Die Genese der idealen Gesellschaft: Studien zum literarischen Werk von Johann Jakob Bodmer (1698–1783) 9783110231267, 9783110231274

This study is the first comprehensive analysis of the literary and literature-theoretical work of Johann Jakob Bodmer (1

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Die Genese der idealen Gesellschaft: Studien zum literarischen Werk von Johann Jakob Bodmer (1698–1783)
 9783110231267, 9783110231274

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
1. Seele, Raum, Metapher – Einleitende Vorbemerkungen
2. Jenseits der Metapher – Seelische Einheit und seelische Pluralität im Spiegel frühneuzeitlicher Seelenkonzepte
3. Seelenräume – Zur Viel-Einheit der Seele in der räumlichen und raumzeitlichen Seelenbildlichkeit barocker Gedichte
4. Viel-Einheitsstrukturen in der Seelenraummetaphorik des Barock – Zusammenfassung und abschließende Reflexionen zum anthropologischen Gehalt der Seelenbildlichkeit
Backmatter

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Frhe Neuzeit Band 142 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Khlmann, Jan-Dirk Mller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Misia Sophia Doms

Die Viel-Einheit des Seelenraums in der deutschsprachigen barocken Lyrik

De Gruyter

Dem Liebsten

Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universitt Mainz im Jahr 2007 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Fr den Druck wurde die Dissertation leicht berarbeitet. ISBN 978-3-11-023126-7 e-ISBN 978-3-11-023127-4 ISSN 0934-5531 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.  2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Satz: epline, Kirchheim unter Teck Druck: Hubert & Co., Gçttingen

¥ Gedruckt auf surefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt

1 Seele, Raum, Metapher – Einleitende Vorbemerkungen . . . . 1.1 Anthropologie mit anderen Mitteln – Umrisse einer literaturwissenschaftlichen Seelenmetaphernforschung . . 1.2 Literaturwissenschaftliche Seelenforschung im 20. und 21. Jahrhundert – Grundstzliche Voru¨berlegungen und Forschungsu¨berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Seelenmetaphern als Gegenstand der Kulturwissenschaften? – Eine paradigmatische Untersuchung zu den Grenzen kulturwissenschaftlicher Forschung . . . . . . . . .

1 2

4

17

1.3.1 Jenseits von Materie und Handlung – Zur Unmo¨glichkeit der kulturwissenschaftlichen Erforschung christlich-abendlndischer Seelenvorstellungen auf der Grundlage eines praxeologischen Kulturverstndnisses 18 – 1.3.2 Die Unhintergehbarkeit der Bilder – Zur Unmo¨glichkeit der kulturwissenschaftlichen Erforschung von Metaphern auf der Grundlage eines textualistischen Kulturverstndnisses 25

1.4 Forschungsweg und Forschungsfeld – Erluterung der Methodenwahl und der Wahl des Metaphern- und Textkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.4.1 »[S]ekundre Synthesis« – Theoretische Grundlagen, Hauptthesen und Zielsetzungen der Studie 32 – 1.4.2 Ein ›Raumproblem‹ und seine Lo¨sung – Inhaltliche Beschrnkung des Metaphernkorpus 54 – 1.4.3 Barocke Verse – Epochale, gattungs- und autorbezogene Eingrenzungen des Textkorpus 58

2 Jenseits der Metapher – Seelische Einheit und seelische Pluralitt im Spiegel fru¨hneuzeitlicher Seelenkonzepte. . . . . . 2.1 Unsterbliche Einfachheit – Einheitsstiftende Seelenattribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Drei Seelen und ein Leib? – Seelendefinition und (vermeintliche?) Seelenpluralitt in fru¨hneuzeitlicharistotelischen Seelenlehren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Seelenvermo¨gen und innerseelische Kmpfe – ¨ berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein U

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73 84

VI 2.4 Menschen »auß dreyen […] Stu¨cken«? – Die implizite Seelenpluralisierung in fru¨hneuzeitlichen Leib-Geist-Seele-Konzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.5 Einheit oder Vielheit? – Zusammenfassende Bemerkungen zu einem Dilemma der fru¨hneuzeitlichen Psychologie. . . . 95 3 Seelenrume – Zur Viel-Einheit der Seele in der rumlichen und raumzeitlichen Seelenbildlichkeit barocker Gedichte. . . . . 3.1 Raum der Seele oder Seele als Raum? – ¨ ber die Mehrdeutigkeit des Begriffs ›Seelenraum‹ . . . . . U

97 97

3.1.1 Nuss-Schalen und Mandelkerne – Der Raum fu¨r die Seele 100 – 3.1.2 Samenko¨rner und Seelenmark – Die Seele als Raum 123

3.2 Strukturen seelischer Rume – Voraussetzungen und Kategorien der seelischen Topoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . 144 3.3 Weite und Tiefe – Dimensionalitt und Ausdehnung in statischen und dynamischen Seelenmetaphern . . . . . . . 151 3.3.1 Flche, Strahl und Achse – Die Dimensionalitt der Seele 152 – 3.3.2 Seelenall und Seelenpunkt – Grenzflle des Seelenraums 185

3.4 Vielfalt im Seelenraum – Zu den Inhalten seelischer Rume aus synchroner Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3.4.1 Heterogene Seeleninhalte – Eine Gefahr fu¨r die Einheit der Seele? 212 – 3.4.2 Die Ordnung der Seele – Heuristische Betrachtungen jenseits des Containerraum-Modells 224

3.5 Seelenhuser und Herzensgste – Zu den Inhalten seelischer Rume aus diachroner Perspektive . . . . . . . . . . 3.6 Heilsame Umgestaltung und fließende Rume – Exogene Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Zerfressene Rume, zersto¨rte Stdte – Exogen-endogene Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume . . . . . . 3.8 Autonome Metamorphosen? – Endogene Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume. . . . . . . . . . . . . . . . .

246

284 326 379

4 Viel-Einheitsstrukturen in der Seelenraummetaphorik des Barock – Zusammenfassung und abschließende Reflexionen zum anthropologischen Gehalt der Seelenbildlichkeit . . . . . . . 389 5 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 5.1 Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 5.2 Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

1

Seele, Raum, Metapher – Einleitende Vorbemerkungen

Gegenstand der vorliegenden Studie ist ein Kompositum, dessen drei ¨ berschrift genannt sind: die Bestandteile in der oben angefu¨hrten U Seelenraummetapher. In einer Wissenschaftslandschaft, die in den letzten Jahrzehnten wiederholt die Wende zum Raum (spatial bzw. topographical oder topological turn)1 und zum Bild (iconic oder pictorial turn)2 verku¨ndet oder zumindest gefordert hat, wird die Beschftigung mit Raummetaphern, d. h. mit Sprachbildern, die Rumlichkeit evozieren, wenig Erstaunen hervorrufen. Immer wieder sind in den letzten Jahren Rume und Bilder, aber auch verbildlichte Rume und Raummetaphern ins Blickfeld der Forschung geraten.3 Dass die Begriffstrias ¨ berschrift neben ›Raum‹ und ›Metapher‹ die ›Seele‹ anfu¨hrt, du¨rfder U te dagegen u¨berraschen. Wie soll die Letztere mit den beiden anderen Gro¨ßen zusammenhngen? Und weiter: Warum wendet man sich der Seele in einer Zeit zunehmender Zweifel an ihrer Existenz u¨berhaupt zu? Die Antwort auf diese und weitere, sich aus der obigen Trias ergebende Fragen wird in den folgenden, einleitenden Abschnitten der vorliegenden Untersuchung zu geben sein.

1

2 3

Vgl. zu diesem turn und seiner Benennung ausfu¨hrlich Anz, 2008, S. 1; weiterhin ¨ berblick u¨ber die Bedeutung auch Bachmann-Medick, 2006, S. 284–328. Einen U des spatial turn fu¨r die verschiedensten Disziplinen geben ju¨ngst etwa Arias/Warf, 2009, bes. S. 1–4; Soja, 2009, bes. S. 23–32. Vgl. dazu etwa Bachmann-Medick, 2006, S. 329–380. Zur Auseinandersetzung mit verbildlichten Rumen seien hier exemplarisch zwei Aufstze aus einem neueren Sammelband zur Raumdiskussion genannt: Schwarte, 2004; Sennewald, 2004. Zum Raum als Metapher vgl. z. B. den Artikel Raum im Wo¨rterbuch der philosophischen Metaphern (Ko¨ster, 2007).

2

1.1

Anthropologie mit anderen Mitteln – Umrisse einer literaturwissenschaftlichen Seelenmetaphernforschung

[…] ich bin kein ausgeklu¨gelt Buch, Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.4

Jede wissenschaftliche Anthropologie, sei sie nun in der Theologie, der Philosophie, der Medizin, in den Natur- oder in den Sozialwissenschaften verankert, hat ihre Grenzen: Sie wirft Fragen auf, die sie nicht beantworten kann, sie enthlt eingestandene oder uneingestandene logische Bru¨che, sie fu¨hrt mit ihren axiomatischen Annahmen und/oder sorgfltigen Beobachtungen immer wieder in die Aporie. Anthropologien gehen niemals auf wie eine Gleichung – und sie ko¨nnen aufgrund der inneren Widerspru¨chlichkeit des Menschen auch gar nicht aufgehen. Wo der Mensch sich in der wissenschaftlichen Betrachtung seiner selbst zur unlo¨sbaren Aufgabe wird, scheint es ihm ein Bedu¨rfnis zu sein, jenseits der Wissenschaften nach verso¨hnlich-ertrglichen Auflo¨sungen seiner inneren Gegenstze und Bru¨che zu suchen: Er setzt sein Nachdenken u¨ber die eigene Verfasstheit auf andere Weise – in Bildern – fort. Die vorliegende Untersuchung wird sich einer spezifischen, dominant rumlich gestalteten Gruppe jener (Sprach-)Bilder zuwenden, die in der deutschsprachigen Lyrik des Barock von der menschlichen Seele entworfen werden. Diese Bilder sollen als eine Weiterfu¨hrung der anthropologischen Reflexion mit anderen Mitteln betrachtet und dabei insbesondere mit den logisch unauflo¨slichen Widerspru¨chen der zeitgeno¨ssischen Seelenkonzepte in Zusammenhang gebracht werden. Unter den Dilemmata, die sich in den fast durchgngig christlich geprgten Seelenlehren der hier fokussierten Zeit nachweisen lassen, sind zwei fu¨r den Kontext der vorliegenden Studie besonders wichtig: 1. Je nach Perspektive erscheint die psychische Komponente des Menschen entweder als unteilbare Einheit – so etwa dann, wenn man die Seele als unsterblichen Trger der Perso¨nlichkeit, als unzersto¨rbaren Identittsgaranten, in den Blick nimmt – oder sie zeigt sich als vielheitlich bzw. vielteilig. Eine plurale Verfasstheit kann man dem Seelischen beispielsweise bei der Introspektion oder bei der allgemeinanthropologischen Betrachtung der verschiedenen psychogenen Lebensußerungen des Menschen zuschreiben. Betrachtet man nun die Seele, diesen beiden Erscheinungsweisen des Psychischen Rechnung 4

Meyer, 1970, S. 55 (26 – »Homo sum« (»Ich halte Leib und Geist in strenger Zucht«)).

3 tragend, gleichzeitig als Einheit und als Vielheit, so missachtet man damit eine der wichtigsten Grundregeln der Logik, den Satz vom Widerspruch. 2. Die Seele muss einerseits, entsprechend den Vorgaben der christlichen Metaphysik, als immaterielle, unrumliche, nicht-lokalisierbare Gro¨ße betrachtet werden. Andererseits aber ist sie – zumindest in der Immanenz – an die Leiblichkeit und damit auch an die Rumlichkeit gebunden, sie ist im Ko¨rper zu ver-orten. In der Auseinandersetzung mit Hans Blumenbergs metaphorologischen Reflexionen lsst sich die These entwickeln, dass sich fu¨r beide mit den Mitteln der Logik nicht oder zumindest nicht wirklich befriedigend zu lo¨senden Dilemmata – dem ersten wird im Folgenden gro¨ßere Aufmerksamkeit gelten – im bildlichen Sprechen eine Lo¨sung anbietet: die Seelenraummetapher. Sie ko¨nnte es mo¨glich machen, weder fu¨r die ausschließliche Einheit noch fu¨r die vollstndige Pluralitt des Seelischen optieren zu mu¨ssen, da sich im sprachlichen Bild psychische Vielheit und psychische Einheit widerspruchsfrei zusammendenken lassen. Der Metapher ko¨nnte es gelingen, die Seele zu verrumlichen, ohne dass diese innermenschliche Instanz deshalb ihre grundlegende Verschiedenheit und Unabhngigkeit vom Leib und vom ußeren Raum aufzugeben htte. Wenn in der vorliegenden Untersuchung eine spezifische Form der Seelenmetaphorik als ›Lo¨sung‹ zweier logisch-begrifflich unlo¨sbarer Dilemmata in Betracht gezogen werden soll, so darf daraus nicht etwa gefolgert werden, dass in der bildlichen Rede von der Seele ausschließlich u¨ber die auch in wissenschaftlich-anthropologischen Kontexten diskutierten Themen und Fragen reflektiert werden ko¨nnte. Im Gegenteil: Gerade wenn die Seelenmetaphorik mo¨glicherweise Dilemmata zu lo¨sen weiß, welche in den unbildlichen Seelentheorien unbeantwortet bleiben mu¨ssen, ist es denkbar, dass die in Seelenbildern und ihren Kontexten enthaltene Anthropologie auch den Themenkreis einer philosophisch-theologischen Menschen- und Seelenkunde zu transzendieren vermag. Dies wre etwa dort zu erwarten, wo der metaphorische Seelenraum zum Raum der unio mystica wird – eine bei den nachfolgend untersuchten barocken Metaphern sehr hufige Konstellation. Die im Zentrum der vorliegenden Studie stehenden exemplarischen Analysen ausgewhlter rumlicher Seelenbilder (Kapitel 3) werden nicht allein zu zeigen haben, dass die Mo¨glichkeit, in einem einzigen

5

Zur heutigen Fremdheit von Begriffen wie ›Seele‹ und ›Jenseits‹ vgl. auch Carozzi, 1994, S. 1.

4 Bild sowohl die Pluralitt als auch die Einheit des Seelischen auszudru¨cken, in den barocklyrischen Seelenraummetaphern tatschlich realisiert wird. Vielmehr sollen sie auch darlegen, wie sich diese Viel-Einheitlichkeit des Seelischen in formal, inhaltlich sowie in ihrem Verhltnis zum Extrapsychischen unterschiedlich konstruierten Seelenrumen im Einzelnen gestaltet und in welchem Umfang die Seelenraummetaphorik des Barock als viel-einheitlich gelten kann. Die bis hierher knapp in ihren Zielen umrissene ›Expedition‹ in die Seelenrume der barocken Lyrik wre eine wenig u¨berzeugende Unternehmung, wollte man auf eine systematische Begru¨ndung ihrer methodischen, epochalen und gattungsbezogenen Eingrenzung verzichten. Dieser Aufgabe werden allerdings erst der dritte und insbesondere der vierte Abschnitt des ersten Kapitels gewidmet sein. Auf den folgenden Seiten soll zunchst gezeigt werden, dass das oben skizzierte wissenschaftliche Unterfangen u¨berhaupt der Mu¨he wert ist. Der Rechtfertigung bedarf zunchst die Entscheidung, die in den modernen Anthropologien weitgehend obsolet gewordene Seele zum Forschungsgegenstand zu machen. Weiterhin ist zu erweisen, dass sich die vorliegende Studie tatschlich in wissenschaftliches Neuland vorwagt und sich nicht auf bereits breit ausgetretenen Wissenschaftspfaden bewegt.

1.2

Literaturwissenschaftliche Seelenforschung im 20. und 21. Jahrhundert – Grundstzliche Voru¨berlegungen und Forschungsu¨berblick

Im 20. und 21. Jahrhundert hat der Begriff ›Seele‹ seine Zentralstellung in der Selbstbeschreibung des Menschen weitgehend verloren, so dass wir ihn mehr und mehr als fremd empfinden.5 Seine Verwendung in der Gegenwart lasse, so etwa das Historische Wo¨rterbuch der Philosophie, »einen Zug ins Anachronistische« erkennen.6 hnlich wie sich die Psychologie in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts zur »Psychologie ohne Seele« entwickelt hat,7 ist auch in den Naturwissenschaften und in der Medizin – abgesehen von wissenschaftshistorischen Kontexten – meistens nicht mehr von der ›Seele‹ die Rede. Hier wird der Begriff der 6

7

Holzhey, Helmut: Seele – IV. Neuzeit (Art.). In: Ritter, Bd. 9, 1995, Sp. 26–52, hier Sp. 50. So Helmut Holzhey (ebd.) mit Bezug auf Lange, 1866, S. 465. Gerd Ju¨ttemann ist sogar davon u¨berzeugt, dass die Psychologie mittlerweile auch keine »Wissenschaft […] von der Psyche« mehr sei (Ju¨ttemann, 1986, S. 20). Auch an anderer Stelle weist er darauf hin, dass die Psychologie in den »Definitionen ihres Gegenstandes« die Worte ›Psyche‹ und ›Seele‹ zumeist nicht verwende (Ju¨ttemann, 1986–2, S. 100).

5 Seele gro¨ßtenteils durch die (keineswegs gnzlich deckungsgleichen) Ausdru¨cke ›Bewusstsein‹, ›Perso¨nlichkeit‹, ›Ich‹, in anderen Zusammenhngen auch durch ›Geist‹, ›Gehirn‹ usw. ersetzt. Wird aber im Einzelfall tatschlich noch einmal von der ›Seele‹ gesprochen, so liegt das einzige Zugestndnis an die christlich-abendlndische Tradition zumeist in der Beibehaltung des Ausdrucks, der mit einem neuen, an ¨ berzeugungen angepassten Sinn versehen die naturwissenschaftlichen U wird. Man denke hier etwa an jene gegenwrtigen Definitionen, in welchen die Seele bloß noch als »u¨bergeordnete Struktur« erscheint, »die als geistige Begleiterscheinung der Wechselwirkung von Nervenzellen ins Spiel kommt«8 und damit ihre Bedeutung als eigenstndiger Bestandteil des Menschen verloren hat. Den Glauben an eine vom Leib bzw. von der Materie unabhngige, unsterbliche Seele haben aber nicht allein Naturwissenschaftler und Mediziner weitgehend aufgegeben. Schon 1967 konnte Max Horkheimer in seinem Aufsatz Zur Idee der Seele – wenn auch noch in einer recht zuru¨ckhaltenden Formulierung – schreiben: So vertrauensvoll der Seelenglaube auf geistliche Autoritt auch sich berufen mag, nicht bloß Naturwissenschaften, sondern Philologie und Historie vermo¨gen ihm nur ho¨chst bedingt noch beizustimmen.9

Und in der Einleitung des 1988 von Dietmar Kamper und Christoph Wulf publizierten – geisteswissenschaftlichen – Sammelbands mit dem programmatischen Titel Die erloschene Seele heißt es zu dieser Instanz nur noch kategorisch: »Es gibt sie nicht, es gibt sie keineswegs außerhalb der Sprache und der Schrift.«10 Wenn im zuletzt angefu¨hrten Zitat die außersprachliche Existenz der Seele in aller Schrfe verneint wird, so ist daraus zunchst zu folgern, dass die beiden Autoren den Versuchen, die Seele etwa im Herzen oder im Gehirn zu lokalisieren, keinerlei Vertrauen mehr entgegenbringen. In ihrem Bild vom Menschen und seiner Beschaffenheit ko¨nnen sie einen »Seelenglaube[n]« nicht mehr unterbringen. Betrachtet man die oben zitierte Behauptung Kampers und Wulfs genauer, so lsst sich indes erkennen, dass diese zunchst vor allem seelenkritische Aussage gewissermaßen noch eine ›Ru¨ckseite‹ hat: Sprechen die beiden Autoren der Seele die Existenz »außerhalb der Sprache und der Schrift« (d. h. im Menschen) ab, so deutet sich in dieser Formulierung zugleich an, 8

9 10

Fleissner, 2005, S. 189. Bezeichnend ist außerdem, dass in jenem mit den Worten Geist, Seele und Gehirn betitelten Sammelband, in den dieser Aufsatz aufgenommen ist, nur an wenigen Stellen u¨berhaupt einmal u¨ber die ›Seele‹ und ihre mo¨gliche Definition nachgedacht wird, vgl. Fleissner/Linden, 2005. Horkheimer, 1967, S. 12. Kamper/Wulf, 1988, S. 2; vgl. hnlich auch Wulf, 1991, S. 11; Wulf, 1997, S. 973.

6 dass sich innerhalb »der Sprache und der Schrift« die Existenz der Seele nach wie vor nicht verneinen lsst. Stellen Kamper und Wulf weiterhin fest, dass »[a]lle Versuche, die Seele u¨ber ihre Metaphorik hinaus zu orten oder gar dingfest zu machen«, gescheitert seien,11 so lsst sich aus dieser zweiten Bekundung des Zweifels an der außersprachlichen Existenz der Seele der innersprachliche Sitz, den die beiden Autoren ihr indirekt zuweisen, sogar noch genauer bestimmen: Die metaphorische Rede wird fu¨r Kamper und Wulf zu jenem Ort, an dem die ihrer Ansicht nach letztlich selbst nur noch als Metapher einzustufende Seele12 auch weiterhin ausfindig gemacht werden kann. In mehr als einer Hinsicht besitzt die antithetische Gegenu¨berstellung der innersprachlich-innermetaphorischen Existenz und der außer¨ berzeugungskraft – sprachlichen Nicht-Existenz der Seele wenig U selbst fu¨r den Fall, dass man das von den beiden Wissenschaftlern bloß postulierte Nichtvorhandensein der Seele im Menschen als endgu¨ltig erwiesen betrachten wollte. So drngt sich etwa der Verdacht auf, dass in dieser Antithese zweier Seelenorte (Mensch vs. Sprache und Schrift bzw. Metaphorik) ein dritter mo¨glicher ›Ort‹ der Seele gnzlich u¨bersehen wird, nmlich der Bereich der nichtsprachlichen Formen menschlicher Kultur, ganz besonders der Bildenden Kunst.13 Auch vermisst man nachvollziehbare Gru¨nde dafu¨r, warum sich die beiden Forscher mit der These von der bloß innersprachlichen Existenz der Seele nicht zufrieden geben, warum sie – eine zustzliche Eingrenzung vornehmend – gleich darauf auch noch die ausschließlich innermetaphorische Existenz der Seele behaupten.14 Und schließlich erscheint es wenig vertrauenserweckend, dass in den apodiktischen Aussagen Kampers und Wulfs vo¨llig offen bleibt, was man sich unter der ex negativo angedeuteten ›Existenz‹ der Seele innerhalb von Sprache und Schrift bzw. innerhalb der Metaphorik konkret vorstellen soll: Hat man darunter ihr durch schriftliche Fixierung bedingtes ›Weiterle11 12 13

14

Kamper/Wulf, 1988, S. 2. Vgl. Wulf, 1997, S. 967; Kamper/Wulf, 1988, S. 1. Vgl. zu Seelendarstellungen in der Bildenden Kunst grundlegend Furger, 1997; speziell fu¨r das Mittelalter etwa Chapeaurouge, 1991. Als Beispiel fu¨r die konstruktive Auseinandersetzung mit bildku¨nstlerischen Seelendarstellungen ko¨nnte man außerdem die Ausfu¨hrungen Peter Dinzelbachers und Rolf Sprandels zur Bedeutung gemalter Seelenbilder fu¨r die Rekonstruktion mittelalterlicher Seelenvorstellungen in der Bevo¨lkerung anfu¨hren, vgl. Dinzelbacher/Sprandel, 1993, S. 164–174 passim. Warum, so ko¨nnte man an dieser Stelle auch fragen, fordert zumindest Wulf in einer anderen Untersuchung ausdru¨cklich auch die »Analyse der Seelendiskurse« (Wulf, 1991, S. 11), wenn er in der mit Kamper verfassten Einleitung des oben genannten Sammelbandes eigentlich nur die innermetaphorische Existenz der Seele anerkennt?

7 ben‹ in den Textzeugen der vergangenen Jahrtausende zu verstehen? Referieren die Autoren auf das Weiterexistieren der Seele in konventionalisierten bildhaften Redewendungen lteren Ursprungs? Oder wollen sie darauf anspielen, dass auch die Schriftsteller der Gegenwart in manchen ihrer Metaphern noch immer an die traditionsreichen Seelenbilder und Seelenvorstellungen fru¨herer Epochen anknu¨pfen?15 Trotz aller Fragwu¨rdigkeit und unbefriedigenden Vagheit transpor¨ berlegung Kampers und Wulfs tiert indes die hier wiedergegebene U gleichsam als Grundvoraussetzung ihres Zustandekommens zwei Erkenntnisse, die im Hinblick auf die Mo¨glichkeiten des wissenschaftlichen Umgangs mit der Seele im 21. Jahrhundert keineswegs unbedeutend sind: 1. Zunchst basiert die Antithese, die in den Aussagen der beiden Autoren zwischen innersprachlichem und innermenschlichem Vorhandensein der Seele entwickelt wird, auf der Einsicht, dass die Nachweisbarkeit der Seele in Sprache und Schrift nicht an die Existenz der Seele im Menschen gekoppelt ist. Dass heutige Natur- und Humanwissenschaftler das Vorhandensein der Seele im Menschen bestreiten, vermag die Spuren der jahrtausendelangen Annahme, dass es eine Seele gebe, nicht aus den kulturellen (besonders schriftlichen) Zeugnissen zu tilgen. Wo aber solche Spuren noch immer vorhanden sind, ist es, vo¨llig unabhngig vom gegenwrtigen Stand der biologischen Anthropologie, legitim, auch im ›seelenunglubigen‹ 21. Jahrhundert die Seele zum Objekt wissenschaftlichen Interesses zu machen. 2. Daru¨ber hinaus hat die nicht weiter begru¨ndete und in ihrer Ausschließlichkeit fragwu¨rdige These, dass die Seele allein in der Metaphorik nach wie vor »dingfest« gemacht werden ko¨nne, immerhin die Beobachtung zur Voraussetzung, dass gerade metaphysische Gegenstnde wie die Seele in den Zeugnissen unserer Kultur nicht nur auf abstrakt-unbildliche Weise prsent sind, sondern immer wieder auch durch konkrete Bilder in den Horizont sinnlich-anschaulicher Erfahrung geru¨ckt werden. Wer die Prsenz von Seelenmetaphern in unserer Kultur ganz oder weitgehend ignoriert – und dies ist in der gegenwrtigen geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Seele eher die Regel als die Ausnahme –, riskiert es, wesentliche 15

So belebt, um hier nur ein Beispiel zu geben, Michael Buselmeier in seinem Gedicht Grab in Handschuhsheim (vgl. Conrady, 1998, S. 852) das bereits in altorientalischer Zeit (vgl. Kemp, 1972, Sp. 142) nachweisbare Bild vom Seelenvogel neu: Dich hat der Tod u¨bersprungen, Amselvater, Seelenvogel, grau im Gesicht […].

8 Aspekte des abendlndischen Seelenglaubens einfach zu u¨bersehen (vgl. zu den besonderen Funktionen der Seelenmetaphorik in unserer Kultur ausfu¨hrlich Abschnitt 1.4.1). Wer sich auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem wenig erforschten Gebiet der Seelenmetaphorik einlsst, hat zunchst, die erste der beiden zuletzt angefu¨hrten Beobachtungen weiterdenkend, zu akzeptieren, dass diese Festlegung des Forschungsgegenstands zugleich auch eine Vorentscheidung im Hinblick auf die Methoden und Ziele seiner Untersuchung darstellt. Ist die kulturelle Prsenz der Seele von ihrem Vorhandensein im Menschen unabhngig, so darf derjenige, der sich ihr auf dem Gebiet der Kultur zuwendet, es nicht als seine vorrangige Aufgabe betrachten, sich an den jahrtausendealten weltanschaulichen Kmpfen um die richtige ›Interpretation‹ des Menschen zu beteiligen und fu¨r oder gegen die Existenz der Seele zu votieren. Auch kann er sich in seiner Seelenforschung unter diesen Umstnden nicht auf die Methoden der vielfach als »Leitwissenschaft« unserer Zeit bezeichneten Biologie,16 der Medizin oder der Psychologie stu¨tzen. Vielmehr muss er sich bei der Durchfu¨hrung seines Projekts an den Verfahren der geisteswissenschaftlichen Disziplinen orientieren. Das vorrangige Anliegen einer Erforschung von Seelenmetaphern muss unter diesen Umstnden die Rekonstruktion der sich in ihnen ausdru¨ckenden, wandelbaren, zeit- und ortsgebundenen Seelenvorstellungen sein.17 Nicht zu einer anthropologia perennis und universalis, wohl aber zu einer Geschichte der Selbstwahrnehmungen und Selbstdeutungen des Menschen darf er – den immer kulturgebundenen anthropologischen Gehalt der Seelenmetaphorik analysierend – beizutragen hoffen. Dass die Seele auch in Zeiten eines schwindenden Glaubens an christliche Seelenkonzepte einen interessanten Forschungsgegenstand fu¨r die historisch verfahrenden Wissenschaften darstellen kann, scheint der heutigen Literaturwissenschaft auf den ersten Blick durchaus bewusst zu sein. Auch wenn sich die geisteswissenschaftlich-anthropologische Forschung der letzten Jahrzehnte insgesamt mehr fu¨r den Ko¨rper als fu¨r die Seele interessiert, ist doch die Zahl jener literaturbezogenen Untersuchungen, welche die ›Seele‹ im Titel tragen, alles andere als gering. Beschrnkte man sich auf die Betrachtungen der Abhandlungsu¨berschriften, so ko¨nnte man allein aus der ju¨ngeren germanistischen Literaturwissenschaft etliche hundert Forschungsbeitrge aufzhlen, welche sich mit der Seele befassten. Bei genauerer Sichtung der fraglichen Aufstze und Monographien ergibt sich allerdings zu16 17

Engels, 2000, S. 92. Vgl. auch Wulf, 1991, S. 11.

9 nchst, dass oft gar nicht die Seele als Ganze, sondern nur ein bestimmter Aspekt des Psychischen oder gar die Psychologie das Thema dieser Studien ist.18 Wo Letzteres nicht der Fall ist, verweist der im Titel verwendete Ausdruck ›Seele‹ viel hufiger auf ›profane‹ Seelenmodelle, d. h. auf die ›Psyche‹ der neueren Psychologie(n),19 als auf das im Zentrum des vorliegenden Bandes stehende christlich-metaphysische Seelenkonzept.20 Dies gilt nicht nur fu¨r einen Großteil jener Forschungsbeitrge, die sich mit der Seele in der Literatur des spten 19. oder 20. Jahrhunderts auseinandersetzen, sondern vielfach auch fu¨r literaturwissenschaftliche Untersuchungen zur Seelendarstellung im 18. Jahrhundert. Was auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen mag, erweist sich bei genauerem Hinsehen als wohlbegru¨ndet: Die wesentliche wissenschaftsgeschichtliche Zsur in den Konzeptualisierungen des Seelischen liegt nmlich nicht erst dort, wo der Ausdruck ›Seele‹ unter dem Einfluss der life sciences vollends obsolet wird. Sie ist vielmehr bereits in jenen Dekaden des 18. Jahrhunderts anzusetzen, in denen sich die »medizinische Psychologie« erstmals um die empirische Erforschung der Seele bemu¨ht, statt sie wie bisher zum Gegenstand metaphysischer Ero¨rterungen zu machen. Diese neue Form der Seelenkunde definiert, wie Lothar Mu¨ller in seiner Studie zu Karl Philipp Moritz Anton Reiser (1785–1790) ausfu¨hrt, »die Seele stets so, daß sie, obwohl unsichtbares Organ, ihrer Beobachtungskunst prinzipiell zugnglich ist«.21 Wo so die Wissenschaft ihren bis dahin der menschlichen Neugierde nicht vollstndig zugnglichen Forschungsgegenstand ihren eigenen Erkenntnismo¨glichkeiten anpasst, kann Mu¨ller zu Recht von einer »Neuerfindung« der Seele reden22 oder – aus einer etwas anderen Perspektive – die »Verwandlung« der »alte[n] Seele« der christlich-abendlndischen Tradition in die »Psyche der Psychologie« diagnostizieren.23 18

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21 22 23

Geradezu irrefu¨hrend erscheint die Verwendung des Begriffs ›Seele‹ etwa im Titel der Untersuchung von Werner Obermeit (Obermeit, 1980), der eine im Wesentlichen psychologiegeschichtliche Studie verfasst hat. Zur »Profanierung der Seele zur Psyche« vgl. Ju¨ttemann/Sonntag/Wulf, 1991–2, S. 1. Eindeutig nicht mit der christlich-abendlndischen Seele befassen sich beispielsweise Lothar Mu¨ller (Mu¨ller, 1987) und Monika Fick (Fick, 1993). Als weitere Beispiele wren hier etwa die Dissertation Antonie Hindelangs (Hindelang, 1999) und die Untersuchung Jens Mergenthalers zu den Sollbruchstellen der Seele (Mergenthaler, 2008) zu nennen. Mu¨ller, 1987, S. 66. Ebd. S. 11. Ebd. S. 11, S. 65. Auch nach Ansicht anderer Forscher vollzieht sich gerade im Werk Karl Philipp Moritz ein bzw. der Bruch mit dem alten Seelenbegriff, vgl. etwa Osinski, 1995, S. 208.

10 Wie radikal man sich die seit dem 18. Jahrhundert erfolgende Ablo¨sung der alten Seelenvorstellungen durch eine neuartige, an den experimentell-empirischen Naturwissenschaften orientierte Psychologie vorzustellen hat,24 zeigen etwa die Ausfu¨hrungen Michael Sonntags. Er weist darauf hin, dass die Seele ab dem 18. Jahrhundert sowohl unter einer »Entvitalisierung« als auch unter einer »Entsubstantialisierung« zu leiden habe und damit zu einer »umgedeuteten, verharmlosten« inneren Gro¨ße werde. Zur Entsubstantialisierung25 geho¨re »de[r] Verlust ihres Wesens, ihrer Unsterblichkeit, ihrer Einfachheit (NichtZusammengesetztheit), ihrer Verbindung zum go¨ttlichen Scho¨pfungsplan ebenso wie ihrer Herrschaft u¨ber die gesamte Innenwelt des Menschen.«26 Die Seele wird ihrer bisher wesentlichen »transzendenten Seite«27 beraubt. Falls man nicht auf eine außersprachliche Realitt der Seele verweisen, sondern mit Kamper und Wulf innerhalb von »Sprache und […] Schrift« verbleiben mo¨chte,28 lassen es diese konzeptuellen und definitorischen Verschiebungen problematisch erscheinen, diesseits und jenseits der im 18. Jahrhundert liegenden Zsur unterschiedslos von ›Seele‹ zu sprechen. Die sprachliche Abgrenzung des seit dem 18. Jahrhundert sich entwickelnden Seelenkonzepts von der mittelalterlich-fru¨hneuzeitlichen Tradition kann entweder u¨ber ein Ausweichen auf den Begriff der Psyche geleistet werden29 oder man hat wenigstens auf die Verwendung differenzierender Zustze fu¨r das dies- bzw. jenseits der

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Vgl. zum empirisch-experimentellen Charakter der neuen Psychologie des 18. Jahrhunderts etwa Du¨lmen, 1997, S. 76–77. Von ›Psychologie‹ ist nach Barbara Mahlmann-Bauer erstmals in einer 1590 erschienenen Textsammlung von Rudolph Goclenius die Rede, die den Titel Psychologia trgt. In wessen »akademische sachliche und methodische Zustndigkeit« sie fllt und ob sie als »scientia« zu bezeichnen ist, ist nach Mahlmann-Bauers Ansicht zu dieser Zeit noch umstritten (Mahlmann-Bauer, 2004, S. 53). Fernando Vidal, dessen Monographie sich ausfu¨hrlich mit der fru¨hneuzeitlichen Entstehung der Psychologie und ihrer Abgrenzung von anderen Disziplinen befasst, verfolgt den Begriff ›Psychologie‹ sogar schon in die 1570er Jahre zuru¨ck, vgl. Vidal, 2006, S. 37. Vgl. dazu – am Beispiel der Seelenforschungen Marcus Herz – auch Mu¨ller, 1987, S. 67. Sonntag, 1988, S. 19, vgl. auch S. 20–24. Wulf, 1991, S. 10. Kamper/Wulf, 1988, S. 2. Die Vorstellung einer historischen Entwicklung vom lteren Begriff der ›Seele‹ zum ›moderneren‹ Ausdruck ›Psyche‹ ist auch jenseits wissenschaftlicher Reflexionen weit verbreitet. So weist etwa auch Christa Wolf in einer beilufig-semantischen ¨ berlegung darauf hin, dass die heutigen Naturwissenschaften die Ausdru¨cke U ›Psyche‹ und ›psychisch‹ den ›altmodischeren‹ Bezeichnungen ›Seele‹ und ›seelisch‹ vorzo¨gen, vgl. Wolf, 1987, S. 729. Vgl. zu den anderen (vor allem weniger christlichen) Konnotationen der Psyche auch Sonntag, 1988, S. 18; Vanja, 1993, S. 182.

11 Zsur als ›Seele‹ Bezeichnete zu achten. Im Folgenden sollen die vor und nach dem Einschnitt liegenden Seelenkonzepte durch die Epitheta ›alt‹ und ›neu‹ unterschieden werden. Eine Markierung der Zsur durch die Unterscheidung einer ›Seele‹ von einer ›Psyche‹ kann schon deswegen als weniger gu¨nstig gelten, weil durch die Wahl zweier unterschiedlicher Begriffe in zu radikaler Weise die Restkontinuitten mit ausgeblendet wu¨rden. Auch wu¨rde dort, wo man das Substantiv ›Psyche‹ und das zugeho¨rige Adjektiv ›psychisch‹ nur noch im Umgang mit neueren Quellen verwendete, der antiken Herkunft des Psyche-Begriffs zu wenig Rechnung getragen. Auf der Basis der vorangehenden anthropologiegeschichtlich-terminologischen Betrachtungen ist es mo¨glich, die Menge jener literaturwis¨ bersenschaftlichen Forschungsbeitrge zur Seele, die u¨berhaupt eine U schneidung mit der vorliegenden Untersuchung erwarten lassen, deutlich einzugrenzen. Da sich die vorliegende Studie voraufklrerischen ¨ berblick Aufstze Seelenbildern zuwendet, ko¨nnen im nachfolgenden U und Monographien, welche sich klar auf die Seele im Sinne aufklrerischer und nachaufklrerischer Anthropologien beziehen, bis auf wenige unten zu behandelnde Ausnahmen von vornherein vernachlssigt werden. Zieht man außerdem von den neueren Forschungsbeitrgen zur Seele auch noch jene ab, die das bildliche Reden von der Seele nicht in Betracht ziehen, so kann die Zahl genauer in den Blick zu nehmender Untersuchungen bereits als sehr u¨berschaubar gelten. Mit Seelenmetaphern oder gar mit Seelenraummetaphern haben sich insgesamt nur wenige Abhandlungen der letzten Jahre und Jahrzehnte befasst. Fu¨r die wichtigsten von ihnen wird im Folgenden zu zeigen sein, dass sie sich sowohl in ihren Thesen als auch in ihren methodischen Prmissen deutlich von der vorliegenden Studie unterscheiden. Zu den wenigen Monographien, die sich sowohl mit der ›alten‹ (christlich-abendlndischen) Seele30 als auch mit deren sprachbildlicher Darstellung auseinandersetzen, zhlt Andres Furgers Studie zum Bild der Seele,31 in der er sich sowohl mit bildku¨nstlerischen als auch mit literarischen Seelenbildern und mit einigen der wichtigsten Theorien zur Seele von der Prhistorie bis ins 20. Jahrhundert beschftigt. Dass Furgers Ausfu¨hrungen trotz ihrer Konzentration auf Seelenbilder ¨ berschneidungen mit der hier unternommenen Unterfast gar keine U suchung aufweisen, hngt zunchst damit zusammen, dass sich der Autor in seiner Studie kaum fu¨r die theoretischen Prmissen einer bild30

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Vgl. zu den verschiedenen abendlndischen Perspektiven auf die Seele, aber weniger zu ihrer sprachlichen Verbildlichung grundlegend Ju¨ttemann/Sonntag/ Wulf, 1991. Furger, 1997.

12 und metaphernbezogenen Seelenforschung interessiert. Furgers Grundu¨berzeugung, »dass die Wahrheiten, die wir alle suchen, bei einem Thema wie dem der Seele in den Kunstwerken selbst am ehesten zu finden sind«,32 wird in seiner Monographie nicht weiter reflektiert, seine Ausfu¨hrungen stellen u¨berwiegend Aneinanderreihungen kulturund teilweise auch wissenschaftsgeschichtlichen Materials dar. Am Ende seines Bandes sucht er hinter den verschiedenen Einzelbildern zum zeitlosen, »ewigen Bild der Seele«, ja »zum grenzenlosen Seelischen an sich« bzw. zum »tiefere[n] Wesen« der Seele vorzudringen33 – ein Ziel, das in seinem Anspruch schon mit den oben angestellten ¨ berlegungen zu den Bedingungen einer Seelenmetaphernforschung U in Konflikt gert. Auch Furgers Reflexionen u¨ber die einzelnen Seelenbilder haben mit der vorliegenden Untersuchung wenig gemeinsam: Der Autor konzentriert sich u¨berwiegend auf Darstellungen der Seele in Menschen- oder Tiergestalt.34 Seelenrume werden allenfalls nebenbei erwhnt.35 Eine große Distanz weist die vorliegende Untersuchung bei nherem Hinsehen auch zu jenen Aufstzen auf, welche sich im eingangs (vgl. Abschnitt 1.1) erwhnten Sammelband zur »erloschene[n] Seele«36 der Seelenmetaphorik widmen. Bei ihnen bleibt der Blick auf die sprachlichen Seelenbilder entweder punktuell, d. h. auf einen einzelnen Text und/oder eine einzelne hochspezifische Metapher37 bezogen, oder die Verfasser springen in ihren Betrachtungen geradezu halsbrecherisch durch die Epochen, Kulturen und Quellentypen.38 Eine systematische, metapherntheoretisch fundierte Analyse der sprachlichen Seelenbildlichkeit als (jeweils in ihrer Historizitt wahrzunehmende) Sonderform anthropologischen Wissens wird in den meist essayistisch-philosophisch gehaltenen Aufstzen nicht angestrebt. Hufig geht es darum, Reflexionsimpulse fu¨r die heutige Sicht auf die Seele zu geben. Mit Metaphern fu¨r die Seele befasst sich weiterhin Bettina WahrigSchmidt in ihrem Aufsatz zur Seelenbildlichkeit Johann Christian Reils und Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns. Schon ihre Orientierung an 32 33 34

35

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Ebd. S. 10. Ebd. S. 167. ¨ berblick am Ende von Furgers Band Vgl. dazu z. B. den summarischen U (ebd. S. 173–174). So befasst sich Furger etwa auf wenigen Seiten mit der Seelenlandschaft, vgl. ebd. S. 116–118. An anderer Stelle erwhnt er, ohne kommentierend darauf einzugehen, zwei verschiedene rumliche Seelenkonzepte Carl Gustav Jungs, vgl. ebd. S. 142–143. Vgl. Kamper/Wulf, 1988. Vgl. etwa Galow, 1988; Hocquenghem/Sche´rer, 1988. Vgl. Kaempfer, 1988; Bahr, 1988.

13 Reils ›neuem‹, d. h. nachaufklrerischem Seelenkonzept wre zunchst Grund genug, Wahrig-Schmidts Forschungsbeitrag nicht weiter in Betracht zu ziehen, doch hat zumindest die Tatsache, dass sie die Seelenmetaphorik mit Blumenbergs Begriff der absoluten Metapher assoziiert,39 Beachtung verdient. Auch weist sie im Zusammenhang mit Hoffmanns Metaphorik auf die Mo¨glichkeit einer metaphorischen Verrumlichung der Seele hin.40 Weder die Seelenraummetapher noch Blumenbergs Metapherntheorie stehen indes im Zentrum ihrer Argumentation. In metapherntheoretischer Hinsicht schließt sich die Autorin eher an die Bildfeldtheorie Harald Weinrichs an.41 Hoffmanns Seelenraummetaphorik wird von ihr zwar erwhnt, aber in ihren Besonderheiten nicht weiterfu¨hrend ero¨rtert. Ausfu¨hrlich wird die Verbindung zwischen der Seele, dem Raum und der poetischen Bildlichkeit in Ju¨rgen Sandhops Monographie zum Fru¨hwerk Hugo von Hofmannsthals thematisiert.42 Sandhop verfolgt den Ansatz, verschiedene reale, gemalte oder getrumte Landschaften als Seelenlandschaften zu interpretieren. Auch Sandhops Un¨ berschneidungen mit der vorliegenden tersuchung weist indes kaum U Studie auf. Abgesehen davon, dass auch hier vorwiegend mit Seelenmodellen gearbeitet wird, die fru¨hestens seit dem 18. Jahrhundert ihre Gu¨ltigkeit haben,43 dass der Autor u¨ber weite Strecken weniger die Gesamtseele als vielmehr nur deren unbewusste Teile in den Blick nimmt und dass u¨ber weite Strecken die Spezialfrage des Einflusses der Seele auf die ku¨nstlerische Produktion im Mittelpunkt von Sandhops Aufmerksamkeit steht, bleibt die Untersuchung einzeltext- bzw. autorzentriert: Sandhop ist kaum daran interessiert, u¨ber die ausgewhlten Einzeltexte des einen Autors hinausgehende, systematische ¨ berlegungen zur Seelenmetaphorik anzustellen. Dies zeigt sich schon U am vollstndigen Fehlen einer metapherntheoretischen Grundlegung seiner Studie. Mit denselben Argumenten lsst sich auch die Distanz des vorliegenden Bandes zu Iris Hermanns Dissertation Raum – Ko¨rper – Schrift begru¨nden.44 Wenn Hermann in ihrer Untersuchung die »Raumbilder« in Else Lasker-Schu¨lers Gedichten immer wieder als Ausdruck »seelische[r] Zustnde« zu verstehen sucht,45 nimmt sie dies

39 40 41 42 43 44 45

Vgl. Wahrig-Schmidt, 1997, S. 489–490. Vgl. ebd. S. 496–497. Vgl. ebd. S. 491–492. Sandhop, 1998. Vgl. ebd. S. 8. Hermann, 1997. Ebd. S. 38.

14 ¨ berlegungen zu den besonderen nicht zum Anlass grundstzlicher U Bedingungen einer Seelenraummetaphorik. Deutlich nher steht der vorliegenden Untersuchung ein Aufsatz, dessen Titel zunchst gar keine Nhe zur Seelenmetaphernforschung vermuten ließe: Jutta Mu¨ller-Tamms Forschungsbeitrag WeltKo¨rperInnenraum. Anmerkungen zur literarischen Anthropologie des Ko¨rperinneren.46 Wie Sandhop ist auch Mu¨ller-Tamm an den Zusammenhngen zwischen Seele, Metapher und Raum interessiert. Immer wieder geht es in ihren Ausfu¨hrungen zu deutsch- und englischsprachigen literarischen und philosophischen Texten des 17. bis 19. Jahrhunderts um die bildliche »Kennzeichnung des Geistig-Psychischen als ›Innenraum‹«,47 um die »metaphorische Verrumlichung« der per se unrumlichen seelischen Anteile des Menschen.48 Trotzdem weist auch Mu¨llerTamms Untersuchung letztlich sowohl inhaltlich als auch methodisch eine deutliche Distanz zur vorliegenden Studie auf. Dies hngt wesentlich damit zusammen, dass die Autorin das mit der Verko¨rperung der Seele entstehende ›Raumproblem‹, d. h. die Frage nach dem »Wie der Verbindung zwischen Rumlichem und Nichtrumlichem«,49 weniger als ein Problem fu¨r die Seele denn als ein leibbezogenes Dilemma betrachtet. Nicht die verko¨rpert-verrumlichte Seele, sondern den »belebten und beseelten Leib« hlt Mu¨ller-Tamm fu¨r ein »Paradox«. Sie interpretiert ihn als einen zwischen dem Seelischen und »der res extensa der Außenwelt« angesiedelten »Zwischen-Raum«.50 Die »Verrumlichung des Ko¨rpers«51, d. h. seine Gestaltung etwa als Landschaft oder als Stadt, ist ihr eigentliches Thema. Nicht um den Raum des Ko¨rpers, sondern tatschlich um den Seelenraum bemu¨ht sind vor allem einzelne medivistische Aufstze wie etwa Claudia Olks Untersuchung zur Seelenraumdarstellung bei Margery Kempe und Mechthild von Magdeburg52 oder einige der Beitrge im von Anne Prior und Katharina Philipowski herausgegebenen Tagungsband zur Seele im Mittelalter.53 Dennoch weisen letztlich auch diese Studien kaum Parallelen zur vorliegenden Untersuchung auf. So verwendet Olk zwar explizit den Begriff des Seelenraums, jedoch ohne ihn dabei genauer in seiner Metaphorizitt in den Blick zu nehmen, geschweige denn generell u¨ber die Bedingungen einer Seelenme46 47 48 49 50 51 52 53

Mu¨ller-Tamm, 2000. Ebd. S. 108. Ebd. S. 99, hnlich auch S. 103. Ebd. S. 100. Ebd. S. 103 [Herv. d. J. M.-T.]. Ebd. S. 113. Olk, 2002. Vgl. vor allem Wandhoff, 2006; Schnyder, 2006.

15 taphorik oder einer Verrumlichung des Seelischen zu reflektieren. Ihre Untersuchung bleibt punktuell auf die Betrachtung der Seelenrume Kempes und Mechthilds von Magdeburg bezogen. Auch spielt das Problem psychischer Einheit bzw. Vielheit in ihrem Aufsatz keine Rolle.54 hnliches gilt fu¨r den Aufsatz Haiko Wandhoffs im oben erwhnten Tagungsband. In seinen Ausfu¨hrungen zu den »Allegorische[n] Konzepte[n] des inneren Menschen in mittelalterlichen Architekturbeschreibungen«55 stellt er zwar, anders als Olk, auch allgemeinere Betrachtungen zum (in diesem Fall vor allem architektonischen) »Seeleninnenraum«56 an. Diese sind allerdings – in der Tradition hnlicher Studien Friedrich Ohlys57 und Gerhard Bauers58 – vorwiegend motivgeschichtlicher Art. Grundstzliche metaphorologische Reflexionen oder gar eine Verknu¨pfung des Raumthemas mit der Frage nach der seelischen Viel-Einheit sucht man auch hier vergebens. Auch an der architektonischen Seelenmetaphorik, aber weniger an deren »großen Traditionslinien« interessiert ist der in einem Band mit Wandhoffs Untersuchung erschienene Aufsatz Mireille Schnyders. Ihr geht es vor allem um die Beantwortung der Frage, »was die Architekturmetaphorik fu¨r die Imagination des Innen leistet und welchen Kontexten sie eingesetzt ist«.59 Durch das Stellen dieser Funktionsfrage kommt Schnyders Ansatz zumindest den Eingangsu¨berlegungen der vorliegenden Studie nher als alle vorangehend betrachteten Forschungsbeitrge. Dennoch weist Schnyders Aufsatz in seinen wesentlichen Thesen allenfalls eine partielle hnlichkeit zu den oben entworfenen Forschungszielen auf. Schnyder differenziert zwischen einer auf die Seele bezogenen »Raummetaphorik«, in der »in unspezifischer Weise ein Innen von einem Außen getrennt« werde, und einer »Architekturmetaphorik«, die den »Seelenrumen« eine »Raumstruktur« zuweise und sie damit zu »gegliederten«60 bzw. geordneten Gebilden werden lasse.61 Die »architektonische Raumstruktur« wird

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Immerhin ist Olk strker an den Seele-Raum-Zusammenhngen interessiert als etwa Sonja A. Buholzer, die in ihren Studien zur Gottes- und Seelenkonzeption im Werk der Mechthild von Magdeburg die Seelenmetaphorik Mechthilds nur sporadisch in ihrer Rumlichkeit reflektiert (Buholzer 1988). Auch bei Buholzer fehlen außerdem theoretische Voru¨berlegungen zur Seelenmetaphorik. Vgl. den Untertitel seiner Untersuchung (Wandhoff, 2006). Ebd. S. 157 u.o¨. Vgl. Ohly, 1986. Vgl. Bauer, 1973. Schnyder, 2006, S. 165. Ebd. S. 165. Zur Bedeutung des Ordnungsbegriffs fu¨r den architektonischen Seelenraum vgl. ebd. S. 166.

16 nach Ansicht Schnyders »immer durch Bewegung« erfahren62 und kann nur »im Verstand oder eben der anima rationalis« nachgewiesen werden.63 Bei dem Versuch, diese beiden Besonderheiten des architektonischen Raums zusammenzudenken, kommt Schnyder zu dem Ergebnis, dass die seelische Architekturmetaphorik wesentlich mit dem »Verstehensprozess« eines Menschen zu assoziieren sei.64 Whrend die Differenzierung zwischen geordneten und ungeordneten Seelenrumen auch in den nachfolgenden Untersuchungen noch eine wichtige Rolle spielen wird (vgl. dazu besonders Abschnitt 3.4.2), weisen die sonstigen ¨ berlegungen Schnyders keinen Zusammenhang mit der vorliegenden U Studie auf. Der fu¨r Letztere entscheidende Aspekt der Raummetaphorik, die rumliche Umsetzung einer Viel-Einheit des Seelischen, wird von Schnyder nicht thematisiert. Zudem fehlen in ihrem Aufsatz, wieder einmal, grundlegende metapherntheoretische Voru¨berlegungen. Auch in Carsten Langes Studie zu den »Architekturen der Psyche« in der »Literatur der Romantik«65 findet der Leser keine grundstzlichen Voru¨berlegungen zur Seelen- oder Seelenraummetapher – und dies mit gutem Grund: »Im Mittelpunkt« des vor allem mit Erzhlprosa befassten Werks, stehen nicht metaphorische […] Rume, wie sie in der Lyrik u¨berwiegend begegnen, sondern Rume, die auf der fiktionalen Ebene als real begehbare erscheinen – als Wohn- oder Aufenthaltsorte der handelnden Personen – oder, wo sie von Figuren nur imaginiert werden, doch eine enge Beziehung zum Schauplatz des Geschehens aufweisen.66

Wo Lange, etwa bei seiner Auseinandersetzung mit Clemens Brentanos Briefen, trotz anderer Schwerpunktsetzung doch metaphorische Seelenrume behandelt, streift er Fragen der Einheit bzw. Pluralitt des Psychischen nur beilufig.67 Am Beispiel der hier diskutierten Studien du¨rfte hinreichend deutlich geworden sein, worin sich die vorliegende, oben knapp skizzierte Untersuchung literarischer Seelenbildlichkeit von den bisherigen Auseinandersetzungen mit Seelenmetaphern bzw. Seelenrumen unterscheidet. Fast allen Forschungsbeitrgen, die sich mit den bildlichen Verrumlichungen des Seelischen oder allgemeiner mit Seelenmeta62 63 64 65

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Ebd. S. 166, S. 168. Ebd. S. 168 [Herv. d. M. S.]. Ebd. S. 169. Vgl. den Titel von Lange, 2007. Die Unterscheidung zwischen »begehbare[n]« und metaphorischen Rumen findet sich schon in Elisabeth Bronfens grundlegender Studie zum literarischen Raum (Bronfen, 1986, S. 5). Lange, 2007, S. 15. Vgl. etwa ebd. S. 229, S. 242–243.

17 phern in der deutschsprachigen Literatur befassen, mangelt es an grundlegenden Reflexionen u¨ber den besonderen Status der sprachlichen Seelenbildlichkeit bzw. u¨ber die Eigenheiten seelischer Rume. Wo sich die Forscher mit dem Seelenraum beschftigen, setzen sie sich zumeist nicht oder nur am Rande mit der Metaphorizitt seelischer Rume auseinander. Wo die Auseinandersetzung mit Seelenbildern im Mittelpunkt steht, wird in den meisten Fllen der Seelenraum nicht als ein mo¨glicher Metapherntypus in Betracht gezogen. Auch wird die Seelenmetaphorik nur selten auf ihre Funktion und Position innerhalb des anthropologischen Diskurses befragt. Eine systematische Analyse der in Seelenraummetaphern nachweisbaren Vielheits- bzw. Einheitsstrukturen konnte selbst in jenen Forschungsbeitrgen, die der vorliegenden Studie thematisch am nchsten stehen, nicht nachgewiesen werden: Sie stellt also tatschlich wissenschaftliches Neuland dar.

1.3

Seelenmetaphern als Gegenstand der Kulturwissenschaften? – Eine paradigmatische Untersuchung zu den Grenzen kulturwissenschaftlicher Forschung

Dass die neuere germanistische Forschung sich trotz des iconic und des spatial turn kaum mit rumlichen Seelenbildern befasst hat, ist vor dem Hintergrund einer zunehmend kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Literaturwissenschaft kein Zufall. Seelenraummetaphern geho¨ren zu jenen Forschungsgegenstnden, die sich durch kulturwissenschaftliche Herangehensweisen kaum erschließen lassen und so aus dem Fokus einer in diese Richtung orientierten Germanistik gleichsam von selbst herausfallen. Diese Inkompatibilitt einer Seelenmetaphernforschung mit kulturwissenschaftlichen Anstzen soll im Folgenden genauer erlutert werden. Ein solches Vorgehen bietet zugleich die Mo¨glichkeit, paradigmatisch auf einige bisher kaum beachtete Grenzen kulturwissenschaftlichen Arbeitens68 hinzuweisen und so einen Beitrag zur aktuellen Methodendiskussion innerhalb der Germanistik zu leisten. Kulturwissenschaftler jedweder Ausrichtung bemu¨hen sich um eine Erforschung ihres Gegenstands innerhalb eines »Ganze[n] der Kultur«69. 68

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Als Beispiel fu¨r die allgemeine Diskussion um das Fu¨r und Wider kulturwissenschaftlichen Arbeitens in der Literaturwissenschaft seien hier nur die großen Debatten im 42. Jahrgang des Jahrbuchs der deutschen Schillergesellschaft (1998) und im 73. Jahrgang der Deutschen Vierteljahrsschrift fu¨r Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (1999) angefu¨hrt. Dass das Bestreben der Kulturwissenschaft, »freie Sicht zu schaffen auf das Ganze der Kultur« nicht unproblematisch sei, betont etwa Wolfgang Riedel (Riedel,

18 Unterschiedliche Antworten geben sie allerdings auf die Frage, wie das Ganze, in welches das Forschungsobjekt integriert werden soll, beschaffen ist. Wie Andreas Reckwitz darlegt, sind innerhalb der kulturwissenschaftlichen Forschung vor allem zwei deutlich voneinander divergierende Kulturmodelle methodisch einflussreich. Whrend viele kulturwissenschaftliche Anstze »Kultur als Praktiken« definieren, d. h. »die symbolischen Ordnungen der Kultur auf der Ebene ko¨rperlich verankerter, Artefakte verwendender und o¨ffentlich wahrnehmbarer ›sozialer Praktiken‹ verorten«,70 herrscht im »textualistischen Kulturverstndnis« das Modell »Kultur als Diskurse« vor.71 Diese ¨ berblick dennoch zwar schematische, aber fu¨r einen allgemeinen U u¨berzeugende Zweiteilung soll den weiteren Ausfu¨hrungen dieses Abschnitts zur Grundlage dienen. Zunchst soll gezeigt werden, dass am erstgenannten Kulturkonzept orientierte kulturwissenschaftliche Anstze nicht fu¨r die Erforschung christlich-abendlndischer Seelenvorstellungen – seien diese nun bildlich oder unbildlich – geeignet sind. Anschließend wird darzulegen sein, dass sich kulturwissenschaftliche Anstze, die auf dem zweiten Kulturmodell beruhen, nicht fu¨r eine literaturwissenschaftliche Metaphernforschung eignen.

1.3.1 Jenseits von Materie und Handlung – Zur Unmo¨glichkeit der kulturwissenschaftlichen Erforschung christlich-abendlndischer Seelenvorstellungen auf der Grundlage eines praxeologischen Kulturverstndnisses Zum engeren Kreis kulturwissenschaftlicher Forschungsanstze zhlen die meisten einschlgigen Konzepte einer Historischen Anthropologie und/oder einer an ihr orientierten72 Literarischen Anthropolo-

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2004, S. 344). Auch Doris Bachmann-Medick weist darauf hin, dass die Annahme eines »kohrente[n] Kulturganze[n]« kritisch zu bewerten sei (Bachmann-Medick, 1996, S. 25). Reckwitz, 2004, S. 17 [Herv. d. A. R.]. Der Zusammenhang des Praxisaspekts der Kultur mit dem Moment der Verko¨rperung klingt beispielsweise auch bei Christoph Jamme an (vgl. Jamme, 2004, S. 213, dort wird auch ausfu¨hrlich die Annahme eines performative turns der Kulturtheorie diskutiert). Zu beachten ist, dass im praxeologischen Kulturmodell Kultur nicht lnger exklusiv mit den Ausnahmeleistungen von Eliten, sondern insbesondere auch mit dem »Alltagsverhalten« und Handeln der »›ungebildete[n]‹ Schichten« assoziiert wird (Du¨lmen, 2000, S. 36–38; hnlich auch Nu¨nning, 1995, S. 179). Reckwitz, 2004, S. 17 [Herv. d. A. R.]. Von jener Verwendung des Begriffs ›Literarische Anthropologie‹, der eine Verwandtschaft zur Historischen Anthropologie suggeriert, hat man drei abweichende Verwendungsweisen zu unterscheiden. Da sie in der Forschung hufig kaum

19 gie.73 Eine solche Zuordnung legt auf den ersten Blick keineswegs die mangelnde Eignung kulturwissenschaftlicher Verfahrensweisen fu¨r die Erforschung von christlich-abendlndischen Seelenmetaphern oder allgemeiner von okzidentalen Seelenvorstellungen nahe, sondern scheint die Letzteren im Gegenteil zu einem wichtigen Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Forschung zu machen. Schließlich geho¨rt es nach Ansicht Jakob Tanners zu den erklrten Zielen der Historischen Anthropologie, die »Selbstreprsentationen« des Menschen innerhalb bestimmter Zeitabschnitte zu untersuchen, um dadurch dem geschichtlichen »Wandel von Menschenbildern« auf die Spur zu kommen.74 Lsst man diese Aussage ohne Einschrnkungen oder Zustze stehen, so erscheint es nur folgerichtig, wenn man mit Claudia Benthien die »Konzeptionen der Seele, des Psychischen und der Emotionen« ausdru¨cklich auf die Liste der »großen Themen« einer historisch-anthropologischen und damit zugleich kulturwissenschaftlichen Forschung setzt.75 Blickt man allerdings auf andere Aufstellungen von Gegenstnden, denen sich eine historisch-anthropologische

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befriedigend von der Literarischen Anthropologie im oben angefu¨hrten Sinn unterschieden werden, seien sie zur Abgrenzung kurz erwhnt: 1. Unter der ›literarischen Anthropologie‹ kann man auch eine »Anthropologie der Literatur« verstehen. Sie setzt sich mit dem Menschen als dichtendem, als Literatur produzierendem (und rezipierendem) Wesen (»Warum dichten Menschen?« Engel/Zymner, 2004, S. 7) bzw. mit der »Literatur als Anthropologikum« auseinander (Neumeyer, 2003, S. 118). Dabei nimmt sie die Literatur gerade nicht (oder jedenfalls nicht primr) »als Gegenstand von Textinterpretation« in den Blick (Iser, 1991, S. 9). 2. Helmut Pfotenhauer bezeichnet nicht die literaturwissenschaftliche Beschftigung mit den anthropologischen Gehalten der Literatur als ›literarische Anthropologie‹, sondern bringt diesen Begriff schon mit der Ebene der literarischen Texte selbst in Zusammenhang, indem er ihn als die (besonders im 18. Jahrhundert beliebte) »Verbindung von Anthropologie und Literatur als wechselseitige Ermutigung, Reflexion, Kritik« definiert. Literarische Anthropologie kann seiner Auffassung nach in verschiedenen literarischen Gattungen manifest werden, was dazu fu¨hre, dass sich die Literatur durchaus »als Anthropologie sui generis versteh[en]« ko¨nne (Pfotenhauer, 1987, S. 1). 3. Schließlich kann der Terminus ›literarische Anthropologie‹ auch zur Benennung all jener Forschungsanstze verwendet werden, die unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen die Literatur als »Schauplatz fu¨r anthropologische Themen und Motive« (Pfotenhauer, 1994, S. 556–557 [Herv. d. H. P.], hier verwendet er den Begriff also in anderem Sinne als in Pfotenhauer, 1987) betrachten wollen, die also nach der Verarbeitung von bzw. der im- oder expliziten Auseinandersetzung mit anthropologischen Themen in literarischen Texten, nach dem ›Anthropologischen‹ in der Literatur fragen (vgl. etwa Neumeyer, 2003, S. 117). Vgl. etwa Bo¨hme/Matussek/Mu¨ller, 2000, S. 131–147; Neumeyer, 2003; Kaser, 2004; Benthien, 2002; Ro¨cke, 2002. Tanner, 2004, S. 21–22. Benthien, 2002, S. 72–73.

20 Forschung besonders zugewendet hat bzw. (nach Ansicht der jeweiligen Autoren) zuku¨nftig widmen sollte, so wird man in den meisten von ihnen vergeblich nach ›Seelenkonzeptionen‹ suchen. Auf der Themenliste der Historischen Anthropologie sowie der sich vielfltig mit ihr u¨berschneidenden76 Mentalittsgeschichte stehen beispielsweise die »anthropologischen Auffassungen«,77 aber auch die unterschiedlichen Umgangsweisen von Gesellschaften mit Geburt,78 Kindheit, Krankheit, Tod und Alter. Ins Blickfeld geraten damit durchgngig solche Phnomene, die im »ko¨rpernahen Bereich« anzusiedeln sind.79 Hinzu kommt etwa ein Interesse an den kulturabhngigen, ebenfalls ko¨rperlich sich manifestierenden Aspekten von Sexualitt und Gewalt,80 von »Ehe, Familie und Verwandtschaft«.81 Der Grund fu¨r die Konzentration der Historischen Anthropologie und der Mentalittsgeschichte auf die oben angefu¨hrten Themen und fu¨r die weitgehende82 Ausklammerung der Seele liegt ausgerechnet in einer jener Eigenschaften dieser Forschungsrichtungen, die ihre Bezeichnung als ›kulturwissenschaftlich‹ rechtfertigen. Alter, Krankheit, Kindheit, Tod etc. verweisen durch ihren Ko¨rperbezug von vornherein eindeutig auf die außermentale Lebenswelt. Sie lassen sich klar mit bestimmten, »o¨ffentlich wahrnehmbare[n] ›soziale[n] Praktiken‹« in Verbindung bringen und fu¨gen sich damit gut in das Modell der »Kultur als Praktiken«83, das – zum Teil gleichzeitig mit dem Diskurs- bzw. Textmodell der Kultur – der Historischen Anthropologie und Menta76

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¨ berschneidung von historischer Anthropologie und MentalittsVgl. zur U geschichte etwa Kellner, 2004, S. 77. Gert Dressel sieht die Mentalittsgeschichte grundstzlich als einen mo¨glichen »historisch-anthropologische[n] Zugang« (Dressel, 1996, S. 265; hnlich Raulff, 1987, S. 8). Es gibt aber umgekehrt auch Konzepte, die nicht »die Mentalittsgeschichte in die historische Anthropologie« eingliedern, sondern die »historische Anthropologie als einen Untersuchungsschwerpunkt der Mentalittsgeschichte« sehen (Riecks, 1989, S. 89). Sprandel, 1987, S. 110. Vgl. etwa Kaser, 2004, S. 463–464. Sprandel, 1987, S. 110. Zur großen Bedeutung des Ko¨rpers fu¨r die historische Anthropologie vgl. Peters, 1992, S. 66; Tanner, 2004, S. 123–131. Vgl. zu diesen und weiteren Themen der historischen Anthropologie etwa Dressel, 1996, S. 18; Apel/Braungart/Ridder, 2004, S. 9; Kiening, 1996, S. 20–21; Tanner, 2004, S. 23. Kaser, 2004, S. 467. ¨ berlegungen Gernot Einen Sonderfall stellen die historisch-anthropologischen U Bo¨hmes dar, in denen die Seele tatschlich eine wichtige Rolle spielt (vgl. Bo¨hme, 1985, bes. 17. Vorlesung). Bei ihnen ist allerdings sehr zu bezweifeln, dass sie sich als kulturwissenschaftlich im Sinne eines praxeologischen Kulturmodells betrachten lassen, mit Gert Dressel ko¨nnte man sie am ehesten als eine »Philosophisch orientierte Historische Anthropologie« (Dressel, 1996, S. 277) bezeichnen. Reckwitz, 2004, S. 17. Vom »praxeologische[n] Erkenntnisinteresse« der Historischen Anthropologie spricht etwa auch Karl Kaser (Kaser, 2004, S. 460).

21 littsgeschichte zur Grundlage dient.84 Wer in seinem wissenschaftlichen Forschungsbeitrag das konkrete Handeln des Menschen in verschiedenen Kulturen beru¨cksichtigen mo¨chte, wer nach Verbindungen zwischen den Einstellungen zu einem bestimmten Phnomen und den daraus resultierenden Verhaltensweisen sucht, wird bei einem Forschungsgegenstand wie beispielsweise der physisch sich manifestierenden Krankheit keine Schwierigkeiten haben. Die Auffassungen einer Gesellschaft zur Krankheit und ihr konkretes, soziokulturelles Handeln gegenu¨ber einem kranken Menschen (bzw. seinem kranken Leib) ko¨nnen in den meisten Fllen direkt miteinander in Zusammenhang gebracht werden: Die Quellen zur Geschichte des praktischen Umgangs mit bestimmten Krankheiten und die Dokumente zur Geschichte der Krankheitsvorstellungen lassen sich in der Regel relativ klar aufeinander beziehen. Die Seele als Gegenstand kollektiver »anthropologische[r] Auffassungen« steht dagegen von Anfang an in gro¨ßerer Distanz zur konkreten Lebenswelt. Zwar du¨rfte es daran, dass sich auch die Seelenvorstellungen auf das praktisch-alltgliche Handeln eines Kollektivs auswirken, keinen Zweifel geben. Aber die handlungsleitenden Auswirkungen kollektiver Seelenvorstellungen tatschlich zu erforschen, sie von den lebenspraktischen Konsequenzen anderer kollektiver Auffassungen ¨ berzeugungen zu differenzieren, erscheint wie etwa der religio¨sen U kaum mo¨glich. Schließlich kann man noch nicht einmal ein bestimmtes Feld kultureller Praktiken eingrenzen, das bei der Suche nach den konkreten Effekten von Seelenvorstellungen besonders privilegiert wre und somit einer gru¨ndlichen Betrachtung vorrangig wu¨rdig erschiene. Lassen sich bestimmte Aspekte des Psychischen, besonders die Gefu¨hle, tatschlich bis auf die »Ebene ko¨rperlich verankerter, Artefakte verwendender und o¨ffentlich wahrnehmbarer ›sozialer Praktiken‹«85 verfolgen,86 so liegen damit keineswegs schon ›Materialisierungen‹87 christlich-abendlndischer Seelenvorstellungen vor. Erstens sind die Emotionen klar von theoretischen Konzeptualisierungen des Emotio84

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Wie die Historische Anthropologie den von ihr untersuchten Gegenstand als »Teil von Handlungsvollzu¨gen und Kommunikationssituationen« (Kiening, 2004, S. 24) wahrnimmt, so formuliert auch die Mentalittsgeschichte immer wieder ihr Interesse gerade auch an Verhaltensmustern, vgl. etwa Raulff, 1987, S. 9–10; Graus, 1987, S. 17. Reckwitz, 2004, S. 17. Nicht zufllig handelt Eva Labouvie in ein- und demselben Aufsatz von der »Kulturwissenschaft des Ko¨rpers und der Gefu¨hle« (vgl. den Untertitel von Labouvie, 2004). Zum Interesse der Kulturwissenschaft an der »materiale[n] Kultur« (Reckwitz, 2004, S. 18) bzw. der materiellen Seite des Kulturellen vgl. etwa auch Benthien/ Velten, 2002, S. 13; Fiala, 2004, S. 60.

22 nalen zu trennen und zweitens stellen auch die Letzteren von vornherein nur einen kleinen Teilaspekt der Modelle des Psychischen dar, der noch dazu selbst in den ›alten‹ Seelenkonzepten relativ nah am Ko¨rperlichen angesiedelt ist.88 Der epistemologische Graben, der zwischen den konkreten Manifestationen des Psychischen im Verhalten des Einzelnen oder einer Gesellschaft und den zeitgeno¨ssischen Vor¨ brigen in beide Richtungen stellungen von der Seele klafft, ist im U unu¨berbru¨ckbar. Genauso wenig, wie der Einfluss von Seelenmodellen und -bildern auf das konkrete menschliche Handeln przise ergru¨ndet werden kann, lassen sich durch die Betrachtung sozialer Praktiken Seelenvorstellungen befriedigend erschließen. Dass sich die traditionellen Vorstellungen von der Seele kaum mit konkreten »ko¨rperlich verankerten […] Praktiken« assoziieren lassen, hngt auch mit der bis ins 18. Jahrhundert angenommenen Distanz zwischen Ko¨rper und Seele zusammen,89 die von Rene´ Descartes nicht etabliert,90 sondern nur noch einmal auf neue Weise bekrftigt wird. Zumindest im Hinblick auf jene okzidentalen Texte, in welchen die Seele als »religio¨se […] Entitt«91 wahrgenommen wird, hat man sich die zwischen Ko¨rper und Seele vorausgesetzte Zsur nahezu unu¨berwindlich zu denken. »Seele und Ko¨rper entstammen«, wie Katharina Philipowski in Bezug auf die geistliche Dichtung des Mittelalters schreibt, »verschiedenen Welten«.92 Vielfach werden sie sogar als Antagonisten wahrgenommen.93 Die nach christlich-abendlndischer Vor88

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Wie in Abschnitt 2.3 deutlich werden wird, werden die menschlichen Empfindungen (oder genauer: die Affekte) noch in der Fru¨hen Neuzeit mit dem Herzen in Verbindung gebracht, einem Organ, das immer schon an der Grenze zwischen Leib und Seele steht. Vgl. zu den nderungen in der Wahrnehmung des Leib-Seele-Verhltnisses im 18. Jahrhundert etwa Pfotenhauer, 1987, S. 3; Bo¨hme, 1989, S. 144–145. Die an die Stelle des Leib-Seele-Dualismus tretende »Anthropologie des ganzen Menschen« (Gaier, 1994, S. 728, vgl. zu dieser und ihrem Scheitern auch Bo¨hme, 1994, S. 139–140) arbeitet dabei nicht zwangslufig auf ein materialistisches, ›seelenloses‹ Menschenbild hin (vgl. dazu Bergengruen/Borgards/Lehmann, 2001, S. 7–8). Vgl. dazu etwa Bo¨hme, 1985, S. 113; allgemein zur Verwurzelung der Philosophie Descartes »in den ihr vorausgehenden Traditionen« auch Boenke, 2005, S. 11. Philipowski, 2004, S. 72. Philipowski, 2006, S. 310. Zu beachten ist allerdings, dass »dieser Dualismus […] im Mittelalter nicht unwidersprochen« bleibt (Philipowski, 2004, S. 68, vgl. dazu auch S. 67–86). Auch in der heutigen Forschung gibt es daher Stimmen, die eine mittelalterliche Zsur zwischen Leib und Seele nicht anerkennen wollen. So widersetzt sich etwa Caroline Bynum der These, dass das Mittelalter von einem Leib-Seele-Dualismus ausgehe, vgl. Bynum, 1996, S. 12–13. Vgl. dazu etwa Dinzelbacher/Sprandel, 1993, S. 161–162. Auch zu dieser Beobachtung lassen sich natu¨rlich bei weniger pauschalem Blick zahlreiche Gegentendenzen benennen.

23 stellung unhintergehbare »Diskrepanz von […] Innerem und ußerem« ist der Erkennbarkeit der Seelenbeschaffenheit aus dem Leiblichen hinderlich.94 Zwar lassen sich auch in den traditionellen Anthropologien von der Sptantike bis zur Fru¨hen Neuzeit aus der Betrachtung des Ko¨rpers gewisse Anzeichen fu¨r die Prsenz und das Wirken der Seele auffinden. Das ›Eigentliche‹, der innere (vor allem moralische und spirituelle) Zustand der Seele, kann jedoch mit einem Blick, der von der Physis zur psychisch-metaphysischen (d. h. zur immateriellen, vom Ko¨rper unabhngigen und unsterblichen) Komponente des Menschen vordringen will, letztlich nicht erkannt werden. Es verweigert sich der Verko¨rperung und damit der Materialisierung. Die menschliche Seele stellt, in Raummetaphern gesprochen, in der christlich-abendlndischen Anthropologie einen »Kontinent« dar,95 dem man sich vom Ko¨rper her zwar bis zu einem gewissen Grad annhern kann, um an seinen Ku¨sten Vermutungen u¨ber sein Inneres anzustellen. Betreten jedoch oder aus einer gleichsam olympischen Perspektive u¨berblicken96 lsst sich das »Andere des Ko¨rpers«97 vom Leib aus nicht. Zudem werden in den Textzeugnissen der abendlndischen Kultur Situationen beschrieben, in denen sich die Seele in einem Zustand des Getrenntseins vom Leib befindet (etwa in der Zeit zwischen Tod und »Endzeitgericht«98 oder in bestimmten mystischen Erfahrungen). In diesen Fllen ist eine vom Leib her vollzogene Annherung an die Seele von vornherein gnzlich ausgeschlossen. Wo die Psyche in einer Kultur in 94

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Wenzel, 1996, S. 96; zu den Mo¨glichkeiten und Grenzen des Unterfangens, aus den Ko¨rperzeichen auf den Seelenzustand zu schließen, vgl. auch ebd. S. 84–98. Zumindest ambivalent wird die Erkennbarkeit der Seele aus dem Leiblichen auch von Ru¨diger Schnell beurteilt: Zwar werde gelegentlich – etwa in den monastischen Lehrschriften um 1200 – die Vorstellung einer »Konvergenz von Innen und Außen« (Schnell, 2006, S. 85, vgl. auch ebd. S. 86) evoziert. Aber u¨berall dort, wo es nicht um die Gott-Menschen-Beziehung, sondern um das Verhltnis zum Mitmenschen gehe, trten Inneres (Seele) und ußeres (Leib) schon im Hochmittelalter auseinander, vgl. zusammenfassend etwa ebd. S. 110–111. Riedel, 1992, S. 33. Riedel referiert dabei Jean Pauls Diktum vom (unerforschten) »innere[n] Afrika« der Seele (Jean Paul, 1963, S. 1182, dort allerdings nicht mit Bezug auf die ganze Seele, sondern nur auf das »ungeheure Reich des Unbewußten«, dieses mache im »Lnderreichtum des Ich« einen betrchtlichen Anteil aus). Als ›terrae incognitae‹ werden, wie Anne-Julia Zwierlein und Claudia Olk anmerken, die »unbekannte[n] Gebiete des menschlichen Ko¨rpers und der menschlichen Psyche« schon »seit Francis Bacon« bezeichnet (Olk/Zwierlein, 2002, S. 10). Noch im 17. Jahrhundert ist Gott der Einzige, der in das Herz bzw. in die Seele hineinschauen kann, vgl. Geitner, 1992, S. 113. So der Titel einer vom 5.–7. Dezember 2003 im Kloster Irsee organisierten Tagung u¨ber Darstellungen und Systematisierungen von ›Seele‹ im 12./13. Jahrhundert, vgl. zu den Ertrgen Philipowski/Prior, 2006. Philipowski, 2004, S. 78.

24 gro¨ßtmo¨glicher Distanz, ja in Opposition zur Ko¨rperlichkeit wahrgenommen wird, ist auch die Distanz der Seelenvorstellungen zu den materiell-ko¨rperlichen Aspekten dieser Kultur leicht nachvollziehbar: Vorstellungen, die von der Nicht-Materialitt ihres Gegenstandes ausgehen, legen a priori eher indirekte und damit kaum zu erforschende Umsetzungen in praktisch-ko¨rperliches Handeln nahe. ¨ berlegungen zusammen, so lsst sich Fasst man die bisherigen U hinsichtlich der Erforschbarkeit von Seelenmetaphern und unbildlichen Seelenvorstellungen mit kulturwissenschaftlichen Methoden Folgendes festhalten: Eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit abendlndischen Seelenbildern scheitert dort, wo der Kulturwissenschaftler, etwa im Rahmen eines historisch-anthropologischen Forschungsprojekts, ein praxeologisches Kulturmodell zugrunde legt, schon an der weitgehenden Unmo¨glichkeit, Materialisationen bildlicher und unbildlicher Seelenvorstellungen aufzuspu¨ren. Damit ist allerdings noch nicht ausgeschlossen, dass eine kulturwissenschaftliche Untersuchung von Seelenmetaphern auf der Basis eines textualisti¨ berlegungen dazu werschen Kulturmodells mo¨glich wre – weitere U den im folgenden Abschnitt anzustellen sein. Hier sei abschließend ¨ berlegungen verallgemeinernde Reflexion noch eine die bisherigen U gestattet. Fu¨hrt man sich vor Augen, dass die Annherung an die Seele u¨ber Materialisationen und praktische Auswirkungen von Seelenvorstellungen besonders durch die im Christentum postulierte Immaterialitt des Seelischen erschwert ist, so wird man annehmen mu¨ssen, dass auch weitere zentrale Gro¨ßen des abendlndischen Weltbilds auf der Grundlage einer an Praxiszusammenhngen orientierten Kulturwissenschaft kaum erforschbar sind. Insbesondere wren hier Gott (besonders in den trinitarischen Personen Gottvater und Heiliger Geist), sein teuflischer Gegenspieler sowie die Engel und die Dmonen zu nennen, die allesamt primr als (immaterielle) spiritus gelten mu¨ssen. Zwar werden diese Mchte etwa in religio¨sen oder naturmagischen Riten zum Anlass konkreter menschlicher Handlungen und ko¨nnen sich innerhalb der christlich-abendlndischen Vorstellungswelt selbst verko¨rpern oder materielle Vernderungen der Wirklichkeit vornehmen. Doch ist auch hier die Zsur zwischen den immateriell gedachten Entitten und der materiellen Kultur so ernst zu nehmen, dass im Kontext einer praxeologischen Kulturwissenschaft eine Annherung an ihr inneres Wesen nur unzureichend erfolgen kann.

25 1.3.2 Die Unhintergehbarkeit der Bilder – Zur Unmo¨glichkeit der kulturwissenschaftlichen Erforschung von Metaphern auf der Grundlage eines textualistischen Kulturverstndnisses Neben handlungsorientierten Modellen der Kultur kann dem kulturwissenschaftlichen Arbeiten, wie oben erlutert, alternativ auch ein Kulturverstndnis zugrunde gelegt werden, das Kultur wesentlich als Text aus miteinander verflochtenen Diskursen oder als »selbstgesponnene[s] Bedeutungsgewebe«99 wahrnimmt, sie also vor allem unter dem Aspekt der Vernetzung verschiedener Teilbereiche betrachtet. Auf einer solchen Sichtweise basiert etwa das von Clifford Geertz entworfene kulturanthropologisch-ethnologische Prinzip der »dichten Beschreibung«.100 Dieses Prinzip weist, zumindest in den Worten Christian Kienings, dem an ihm orientierten Kulturwissenschaftler »idealiter« die Aufgabe zu, »Gegebenes in einem mo¨glichst dichten Netz historisch relevanter Bezu¨ge zu verorten.«101 Einer der populrsten kulturwissenschaftlichen Anstze der Gegenwart, der New Historicism bzw. die Kulturpoetik102 Stephen Greenblatts, steht wesentlich unter dem Einfluss von Geertz Kulturmodell103 und stellt den Netzwerkcharakter der Kultur theoretisch und methodisch in den Mittelpunkt. Greenblatts Ansatz ist dabei fu¨r die Literaturwissenschaft von besonderem Interesse, weil Greenblatt sich selbst immer wieder mit der Literatur und ihrem Verhltnis zur Gesamtkultur auseinandersetzt. Daher soll gerade dieser Entwurf hier zunchst allgemein skizziert und dann in seinem mo¨glichen Verhltnis zur (Seelen-)Metaphernforschung betrachtet werden. Wenn Greenblatt der konventionellen Literaturwissenschaft vorwirft, eine »Mauer zwischen literarischer Symbolik und den symbolischen Strukturen, die anderswo am Werke sind«, zu errichten,104 so gebraucht er diese Metapher, um in anschaulicher Form die Vorstellung eines statisch-separaten Nebeneinanders von literarischen Texten und deren historischen bzw. kulturellen Kontexten105 zu kritisieren. 99 100 101 102

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Geertz, 1987, S. 9. Vgl. schon den Titel von Geertz, 1987. Kiening, 2004, S. 24. Greenblatt sucht, wie Moritz Baßler betont, den Begriff New Historicism, den er selbst geprgt hat (vgl. Baßler, 2001, S. 24), durch den Ausdruck cultural poetics zu ersetzen, nimmt also beide Termini wohl durchaus differenziert voneinander wahr, vgl. ebd. S. 18–19. Hier sollen allerdings beide Begriffe synonym gebraucht werden. Vgl. Veeser, 1989, S. xi. Greenblatt, 2001–2, S. 38. Vgl. etwa Montrose, 2001, S. 64.

26 Auf hnlich anschauliche Weise lsst sich auch das in Opposition zu einem solchen Denken entwickelte Kultur- und Literaturverstndnis des New Historicism selbst beschreiben, besonders u¨berzeugend im Bild eines kulturell-literarischen Gewebes und in der metaphorischen Rede von kulturellen Zirkulationen und Tauschvorgngen. Die Gewebemetapher, die wesentlich von Geertz Definition der Kultur als »selbstgesponnene[m] Bedeutungsgewebe«106 inspiriert ist, findet etwa in Moritz Baßlers Ausfu¨hrungen zum Kultur- und Literaturverstndnis des New Historicism breite Verwendung. Betrachtet nach Baßlers Ansicht der Neohistoriker den literarischen Text als Teil eines »aus Diskursfden gesponnene[n] dichte[n] Gewebe[s] der Kultur bzw. Geschichte«,107 so wird er es als seine forscherliche Aufgabe begreifen, die »einzelne[n] Fden« dieses Gewebes »aus dem Text hinaus und in andere kulturelle Zonen, in andere Medien hinein« zu verfolgen.108 Der einzelne Text wird in diesem Fall von seinen »Rndern«109 oder – um die Gewebemetapher noch deutlicher fortzusetzen – von seinen »Fransen«110 her betrachtet. Dass dabei seine »Konturen […] verschwimmen«,111 wird bewusst in Kauf genommen, um dadurch wenigstens einen Teil jenes »kulturelle[n] Feld[es], das ihn hervorgebracht und auf das er sich in seiner spezifischen Form funktional bezogen hat«,112 in seiner »Komplexitt, Polyphonie, Alogik und Vitalitt«113 sichtbar zu machen. Teilweise ebenfalls an die Gewebemetaphorik ›anknu¨pfend‹, diese allerdings um zustzliche Dynamik bereichernd, verwendet Greenblatt selbst zur Beschreibung kulturell-literarischer Prozesse die Metaphern des Tausches114 und der Zirkulation: Das einzelne (literarische) ›Kunstwerk‹115 erscheint ihm in seiner Genese und in seiner Rezeption als »ein subtiles, schwer faßbares Ensemble von Tauschprozessen«, als »ein Netzwerk von Wechselgeschften, ein Gedrnge konkurrierender Re106 107 108 109 110 111 112

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Geertz, 1987, S. 9. Baßler, 2001, S. 15. Ebd. S. 15–16. Greenblatt, 1993, S. 12. Baßler, 2001, S. 16. Ebd. Kaes, 2001, S. 255. Mit der Feldmetapher arbeitet auch Greenblatt selbst, wenn er literarische Texte »als Kraftfelder, als Orte des Meinungsstreites und changierender Interessen, als Anlsse fu¨r ein Aufeinandertreffen von orthodoxen und subversiven Impulsen« beschreibt (Greenblatt, 2001, S. 33). Baßler, 2001, S. 15. Vgl. etwa Greenblatt, 1993, S. 22–23. Greenblatt scheint dabei hufig einen emphatischen Werkbegriff zu vertreten: So redet er etwa von »große[n] Kunstwerke[n]« (Greenblatt, 2001–3, S. 57) oder von den ›Werken‹ »große[r] Autoren« (ebd. S. 55).

27 prsentationen, eine Verhandlung zwischen Aktiengesellschaften«,116 es ist in seinen Augen Ergebnis und zugleich auch wieder Ausgangspunkt117 von in der Kultur permanent stattfindenden »Leih- und Verleihgeschften«.118 Wer einen Text verstehen, einen Teil seiner einstigen »sozialen Energie« rekonstruieren wolle,119 mu¨sse die »Zirkulation von Reprsentationen innerhalb und außerhalb des literarischen Bereichs«120 weitlufig zu erforschen suchen, ohne dabei die Besonderheiten des Literarischen aus den Augen zu verlieren: »[G]roße Kunstwerke«, so betont Greenblatt ausdru¨cklich, sind keine neutralen Relaisstationen im Umlauf des kulturellen Materials. ¨ berzeugungen und Praktiken, wenn sie Es geschieht etwas mit den Dingen, U in literarischen Texten dargestellt, neu imaginiert und inszeniert werden, etwas oft Unvorhersehbares und Beunruhigendes.121

Die in einem quasi-o¨konomischen122 Prozess mit der Kultur interagie¨ berlegungen Greenrende Literatur ist in den zuletzt angefu¨hrten U blatts weder in Gestalt ihrer kleinsten Elemente (Stze, Bilder, Motive oder Gedanken) noch einfach als die Literatur bzw. das Literarische prsent, sondern sie gert ausgerechnet in Form von Texten (bzw. »Kunstwerke[n]«) in den Blick. Gerade weil Greenblatt »die traditionelle Text/Kontext-Dichotomie« in Frage stellt,123 gerade weil er der Existenz eines »Text[es] an sich« ußerst misstrauisch gegenu¨bersteht,124 widmet er dem Text besondere Aufmerksamkeit und lsst ihn zum Umschlagplatz kultureller Elemente werden. Der aus »kulturellem Material […] gemacht[e]«125 Text wird fu¨r Greenblatt zum textus, zum Gewebe aus Diskursen bzw. kulturellen »Krfte[n]«, die in ihm in »neuartiger Montage und Gestaltung […] miteinander in Kontakt treten«126 und aus ihm in vernderter Form wieder hervorgehen. Bei der auch in vielen anderen theoretischen Ausfu¨hrungen des New Historicism nachweisbaren Textzentriertheit ist es nur verstndlich, wenn sich die gegenwrtige Literaturwissenschaft die Frage nach der Angemessenheit und konkreten Anwendbarkeit kulturpoetischer An116 117 118 119 120 121 122

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Greenblatt, 1993, S. 16. Vgl. dazu auch Montrose, 2001, S. 72. Greenblatt, 1993, S. 16. Vgl. ebd. S. 15–33 passim. Kaes, 2001, S. 263; vgl. hnlich auch Veeser, 1989, S. xi (3. These). Greenblatt, 2001–3, S. 57. ¨ konomie auch Veeser, 1989, S. Vgl. zum Verhltnis von New Historicism und O xiv. Kaes, 2001, S. 256. Greenblatt, 1993, S. 11–12. Greenblatt, 2001–3, S. 56–57. Ebd. S. 57.

28 stze fu¨r ihre Arbeit ebenfalls vor allem im Hinblick auf literarische Texte stellt. Da sich die vorliegende Studie mit Seelenbildern befasst, muss diese Frage hier jedoch in modifizierter Form diskutiert und damit eine in den Debatten um den New Historicism ungewo¨hnliche Perspektive auf dieses kulturwissenschaftliche Konzept eingenommen werden: Lassen sich, so muss gefragt werden, kulturpoetische Anstze bei der Analyse literarischer Bilder anwenden? Dass Metaphern – hnlich wie literarische Texte – nicht im ›luftleeren Raum‹ entstehen, sondern immer auch von außerliterarischen kulturellen Gegebenheiten mit beeinflusst sind,127 du¨rfte heute, zumindest unter den von einer »langen geistes-, ideologie- und sozialgeschichtlichen Tradition« geprgten deutschen Literaturwissenschaftlern,128 kaum noch zum Gegenstand kontroverser Diskussionen werden. Und es erscheint selbstverstndlich, solche Einflu¨sse zumindest dort, wo dies zum Verstndnis der Metaphorik beitrgt, kommentierend zu erwhnen. Genauso wird ein heutiger Forscher auch nicht zu leugnen suchen, dass Metaphern zugleich einen Teil dieser Gegebenheiten auch selbst wieder mit formen.129 Doch hat, wer vom Bestehen eines Wechselverhltnisses zwischen literarischer Metaphorik und Kultur ausgeht und diesem (zumindest in der Richtung von der Kultur zur Metapher) durch entsprechende Kommentare Rechnung trgt, damit keineswegs schon die oben angefu¨hrte kulturpoetische Vorstellung vom »Umlauf […] kulturellen Materials«130 und die sich daraus ergebenden interpretationspraktischen Implikationen anerkannt. Auch wenn dieses neuhistorische »Theorem« aufgrund seiner metaphorischen Verfasstheit insgesamt recht vage bleiben mag,131 zeichnet sich doch im Begriff des Umlaufs ein ganz bestimmter Zusammenhang zwischen Literatur und Kultur ab, der u¨ber den Gedanken einer unspezifischen Wechselbeziehung hinausgeht. Die Rede von einem »Umlauf« setzt das Vorhandensein einer Gro¨ße voraus, die zwar bestndig ihren ›Ort‹ und mo¨glicherweise auch gewisse Akzidentien wechselt, sich »aus einer kulturellen Sphre […] in eine andere« verschiebt,132 dabei aber in 127

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Die literarische Seelenmetaphorik mag etwa von außerliterarischen Seelenmetaphern, theologischen, psychologischen oder naturwissenschaftlichen Seelenkonzepten, von Ko¨rper-, Geist-, Herzens-, Jenseits- und Gottesvorstellungen, von poetischen und rhetorischen Normen, indirekt auch von den Bildungsvoraussetzungen und Arbeitsbedingungen ihrer Produzenten beeinflusst sein. Baßler, 2001, S. 8. Bei Seelenmetaphern wre vor allem an eine Beeinflussung der Seelenvorstellungen und damit zugleich des Menschenbilds ihrer Rezipienten zu denken. Greenblatt, 2001–3, S. 57. Zu diesem bei Greenblatt immer wieder auftretenden Problem ußert sich auch Baßler, 2003, S. 146. Greenblatt, 2001–3, S. 55.

29 ihrer Substanz doch stabil genug bleibt, um immer wieder erkannt zu werden: Ist etwas einer vollstndigen Metamorphose unterworfen, so kann man schwerlich von ihm sagen, dass es zirkuliere. Im Gedanken eines »Umlauf[s]« zwischen Kultur und Literatur steckt also die Vorstellung, dass ›kulturelles Material‹ in die Literatur eingeht, ohne dabei gnzlich – d. h. unter Aufgabe seiner eigenen Existenz – in ihr aufzugehen. Jederzeit mu¨sste es sich, wenn auch vielleicht nicht vo¨llig unverndert, von der Literatur aus auf wiedererkennbare Art und Weise erneut »in Umlauf bringen«133 lassen. Ob das Verhltnis literarischer Texte zur Kultur durch Greenblatts Zirkulationsmetapher angemessen beschrieben ist,134 mag hier dahingestellt bleiben. Um den Zusammenhang zwischen der Kultur und der literarischen Metaphorik richtig zu erfassen, ist das Modell vom »Umlauf […] kulturellen Materials« in jedem Fall wenig geeignet (es sei denn, dass man mit dieser Vorstellung einfach auf das Zirkulieren der Sprache selbst anspielen wollte). Die Transformationsleistung von Metaphern geht u¨ber die einer »neuartige[n] Montage und Gestaltung« kultureller »Krfte«135 bei weitem hinaus: Was auch immer an »Din¨ berzeugungen und Praktiken«136 zur Entstehung einer Metapher gen, U beitragen mag, verliert, sofern man in diesem Fall u¨berhaupt von ei¨ bergang‹ in die Metapher ausgehen will, nem gleichsam materiellen ›U in ihr seine eigenstndige Existenz, wird vollstndig in das neu entstehende Bild eingeschmolzen. So sind etwa unbildliche Komponenten eines philosophischen Seelenkonzepts oder abstrakt-theologische Dogmen von der Seele in einem sprachlichen Seelenbild, fu¨r dessen Hervorbringung sie wichtig waren, allenfalls in substantiell vernderter Form enthalten. Das Unbegriffliche, zu dessen Entstehen sie mit beigetragen haben, ist mehr bzw. Anderes als ihre Summe, es lsst sich nicht mehr analytisch in sie zerlegen. Sollte tatschlich kulturelles Material in die (Seelen-)Metapher ›eingehen‹, so kann von dessen Kontinuitt, wie sie fu¨r Zirkulationen, aber auch zur Nachverfolgung von »Diskursfden«137 im Gewebemodell der Kultur erforderlich wre, nicht die Rede sein. ¨ berlegungen bereits deutScheint sich in den zuletzt angefu¨hrten U lich abzuzeichnen, dass kulturpoetische Anstze als Ausgangspunkt fu¨r die literaturwissenschaftliche Metaphernforschung kaum geeignet sind, so darf doch diese nur an zwei neuhistorischen Kulturmodellen gewon133 134

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Bachmann-Medick, 1996, S. 46. Nach Riedel weisen literarische Texte einen »sthetischen […] Abstand« zur Kultur auf (Riedel, 2004, S. 351). Greenblatt, 2001–3, S. 57. Ebd. Baßler, 2001, S. 15.

30 nene Beobachtung nicht unkritisch verallgemeinert werden. Mit Recht ließe sich dagegen einwenden, dass nicht alle der oben kurz angefu¨hrten, u¨berwiegend dem o¨konomisch-gesellschaftlichen Bereich entlehnten Kulturmetaphern zwingend die dem Zirkulationsmodell inhrente Vorstellung eines substantiell unverndert in die Metapher ein- und wieder aus ihr hervorgehenden ›kulturellen Materials‹ enthielten. Beschriebe man die Interaktion zwischen (Seelen-)Metapher und Kultur als einen Tauschvorgang bzw. als »ein Netzwerk von Wechselgeschften«138, so wre mit diesem Modell der Gedanke einer sich auf der Ebene der Metaphernentstehung ereignenden substantiellen Vernderung des vorgngigen »kulturellen Materials« durchaus vereinbar. Im Bild des Tauschens nmlich wird, anders als im Bild der Zirkulation, nicht die Kontinuitt eines wiedererkennbar zirkulierenden Gegenstands vorausgesetzt: Getauscht werden kann an jeder kulturellen Zwischenstation sogar vo¨llig Verschiedenes. Zu beachten ist allerdings, dass nicht das Tausch-, sondern das Zirkulations- und das Gewebemodell der Kultur die bei weitem einflussreichsten Kulturmetaphern darstellen – fast in jedem kulturwissenschaftlichen Aufsatz begegnet dem Leser eines dieser beiden Modelle.139 Außerdem lsst sich im Blick auf Abschnitt 1.3.1 festhalten, dass zumindest fu¨r bestimmte literarische Bilder auch kulturelle Tauschgeschfte im Sinne Greenblatts nur schwer nachweisbar sind. Wenn Greenblatt im Bild des Tauschens (wie auch in den meisten anderen vorangehend genannten metaphorischen Kulturmodellen) einen sozioo¨konomischen Bildspender140 verwendet, so will er damit keines138 139

140

Greenblatt, 1993, S. 16. Dass gerade die Zirkulationsmetapher von der neueren Forschung als dominantes Bild der Kulturpoetik und allgemeiner der Kulturwissenschaft wahrgenommen wird, zeigt sich in der Forschungsliteratur immer wieder. So versteht etwa Bachmann-Medick die Untersuchung des »Zirkulationszusammenhangs« zwischen Kultur und Literatur als die »zentrale Aufgabe« des New Historicism (Bachmann-Medick, 1996, S. 46). Arno Meteling und Andre´ Suhr sehen im cultural turn die »historischen/sozialen/politischen Diskursfden des literarischen Gewebes […] ins Zentrum« geru¨ckt (Meteling/Suhr, 2000, S. 93). Gleich als eine Kombination von Vernetzungs- und Zirkulationsprozessen (und dabei sich ereignender Transformationen) nimmt Karl H. Ho¨rning kulturelle »Sinn- und Bedeutungssysteme« wahr. Zustzlich bezieht er auch noch praxeologische Aspekte in sein Kulturmodell ein (Ho¨rning, 2004, S. 139). Auch im Kulturbegriff Wolfgang Hiebers verschmelzen die Metapher vom kulturellen Gewebe, die praxeologische Kulturwahrnehmung und (wenigstens implizit in der Vorstellung von der Kultur als Organismus) die Zirkulationsmetaphorik miteinander, vgl. Hieber, 2008, S. 137–138. Die recht prgnanten Ausdru¨cke »Bildspender« und »Bildempfnger«, die im Folgenden auch in dieser Studie gebraucht werden sollen, verwendet Weinrich ¨ berlegungen zur »ku¨hnen Metapher« (Weinrich, 1976, S. 297). Zu in seinen U ihrer Genese vgl. Rolf, 2005, S. 68.

31 wegs nur auf strukturelle hnlichkeiten zwischen o¨konomischen und im engeren Sinne kulturellen Lebensbereichen hinweisen, sondern zu¨ bergnge und gleich auch ihre wechselseitige Verflochtenheit, ihre U ¨ Uberschneidungen im »Netzwerk« einer Kultur im weiteren Sinne verdeutlichen. »Verhandlungen […] u¨ber den Austausch von materiellen Gu¨tern« und Verhandlungen u¨ber »Vorstellungen« geho¨ren fu¨r Greenblatt eng zusammen, werden bewusst in einem Atemzug genannt.141 Gerade auch die Literatur mo¨chte er nicht nur im Kontext anderer im engeren Sinne kultureller Hochleistungen betrachten, sondern sie ganz bewusst als Teil einer umfassenderen Lebenswelt in den Blick nehmen. Er mo¨chte sie dem Leser seiner Interpretationen in allen Facetten ihres ¨ kono»Austausch[s] und Handel[s]«142 mit den Bereichen des O mischen,143 Gesellschaftlichen,144 Politischen und Alltglichen vor Au¨ berlegungen aus Abschnitt 1.3.1 in gen fu¨hren.145 Zieht man hier die U Betracht, so hat man sich einzugestehen, dass zumindest fu¨r Metaphern mit immateriellen Bildempfngern auch das Tauschmodell der Kultur keine befriedigende Basis fu¨r ihre kulturwissenschaftliche Erforschung darstellt. Wenn Bilder fu¨r unko¨rperlich-spirituelle Gegenstnde vor allem auf indirekte und vielfach praktisch schwer rekonstruierbare Weise mit dem Lebensweltlich-Konkreten verbunden sind, ko¨nnen sie nicht so weit, wie es ein Interesse an derartig ausgedehnten Verknu¨pfungen erforderte, in den Bereich der Materialitt hinein verfolgt werden. Somit erweist sich das Diskursmodell der Kultur selbst in der Variante ›Kultur als Tauschprozess‹ als ungeeignet, einer kulturwissenschaftlichen Metaphernforschung zur Universalgrundlage zu dienen.

1.4

Forschungsweg und Forschungsfeld – Erluterung der Methodenwahl und der Wahl des Metaphern- und Textkorpus

Sind die Methoden und Hauptthesen sowie das Metaphern- bzw. Textkorpus der vorliegenden Studie in Abschnitt 1.1 bereits genannt wor141 142 143 144

145

Greenblatt, 2001–3, S. 55. Greenblatt, 1993, S. 22. Vgl. auch etwa Montrose, 2001, S. 66. Vgl. auch Greenblatt, 2001–2, S. 40: »[U]nsere Interpretation htte die Aufgabe, […] sowohl die gesellschaftliche Prsenz des literarischen Textes in der Welt als auch die gesellschaftliche Prsenz der Welt im literarischen Text« zu untersuchen; vgl. hnlich Montrose, 2001, S. 60 (allgemein zu den Kulturwissenschaften), S. 72 (speziell zum New Historicism). Vgl. Kaes, 2001, S. 258–259, S. 263. Zur Annherung von Literatur und Lebenswelt als zentraler Aufgabe der Kulturwissenschaften vgl. auch Braungart, 2004, S. 297.

32 den, so harren doch die oben getroffenen Festlegungen noch der ausfu¨hrlichen Erluterung und Begru¨ndung. Mit diesen Argumentationsschritten soll der einleitende Abschnitt der Untersuchung nun beschlossen werden.

1.4.1 »[S]ekundre Synthesis« – Theoretische Grundlagen, Hauptthesen und Zielsetzungen der Studie Wenn literarische Seelenbilder als Metaphern mit immateriellem Bildspender nicht kulturwissenschaftlich erforscht werden ko¨nnen, weil sich die dabei gebruchlichen Kulturmodelle ihnen nicht zugrunde legen lassen, so muss zu ihrer Analyse ein anderer Weg beschritten werden. Die in Abschnitt 1.3.2 ero¨rterte Zsur zwischen metaphorischen und nicht-metaphorischen Kulturbereichen erfordert dabei einen Zugang, welcher der grundlegenden Differenz zwischen sprachlichen Seelenbildern und allen anderen kulturellen Aussagen u¨ber die Beschaffenheit des Menschen und seiner Psyche Rechnung trgt. Wer Seelenmetaphern erforscht, muss sich – anders als ein Kulturwissenschaftler, der vor allem mit den Zirkulations- und Austauschprozessen innerhalb des kulturellen Ganzen befasst ist – insbesondere darum bemu¨hen, die Seelenmetaphern in ihrer (poetischen) Spezifitt zu wu¨rdigen. Er hat sie sowohl von den in ihr ›verarbeiteten‹ als auch von den durch sie angeregten kulturellen Auffassungen zur Seele klar zu trennen. Wie aber ko¨nnen die sprachlichen Seelenbilder in ihrer Isoliertheit dann trotzdem noch als Beitrag zum Seelendiskurs und zum Menschenbild einer Epoche wahrgenommen werden, wie dies in Abschnitt 1.1 als Ziel der vorliegenden Studie formuliert wurde? Eine Antwort darauf mag ein historisch-anthropologischer Ansatz geben, der zwar durchaus am »Ganze[n] der Kultur«146 interessiert, in seinen wesentlichen Prmissen jedoch nicht an eine Auseinandersetzung mit ihm gebunden ist und somit grundstzlich auch Anregungen fu¨r nicht-kulturwissenschaftliche Projekte enthalten kann. Einen solchen Ansatz entwickelt, wenn auch nur in skizzenartig-vager Form, Dieter Lenzen in seinem Aufsatz Melancholie, Fiktion und Historizitt.147 An einem kurzen Gang durch die Geschichte der Begabung148 will Lenzen, der sich einer historisch-anthropologischen Forschergruppe um die oben (Abschnitt 1.2) erwhnten Wissenschaftler Kamper 146 147 148

Riedel, 2004, S. 344. Vgl. Lenzen, 1989. Vgl. ebd. S. 16–19.

33 und Wulf zuordnen lsst,149 exemplarisch das ›wahre Gesicht‹ aller vermeintlichen anthropologischen »Wissensfortschritt[e]« zeigen.150 Er geht davon aus, dass »das jeweils neu hervorgebrachte Wissen« sich vor allem durch das Vergessen der »alten Wissensbestnde«, ja durch ihre weitgehende Ru¨ckfu¨hrung in den »Status der Nichtexistenz« durchsetzen ko¨nne,151 dass, mit anderen Worten, der angenommene Progress der Anthropologie in Wahrheit nichts anderes als eine bloße Folge von »permanenten Annullierungsprozessen« darstelle.152 Annulliert werden nach Lenzens Auffassung außerdem auch die in und von der Geschichte u¨berholten »(Erkenntnis-)Haltungen«,153 von denen die »alten Wissensbestnde« jeweils hervorgebracht wurden, »reprsentiert« doch jedes der Vergangenheit angeho¨rende Wissen »Antworten auf andere Fragen, auf alte Fragen, auf solche, die gleichfalls vergessen worden sind oder die doch nicht mehr gestellt wurden u¨ber eine lange Zeit.«154 Wenn man, wie angedeutet, auch literarische Seelenmetaphern als eine Form bzw. ein Medium alten anthropologischen ›Wissens‹ verste¨ berlegung Lenzens die hen mo¨chte, so liegt in der zuletzt angefu¨hrten U Lo¨sung des oben formulierten Dilemmas. Um Seelenmetaphern in den anthropologischen Gesamtdiskurs einzubinden, ohne sie dabei in ihrer Unhintergehbarkeit zu missachten, hat man bei der Auseinandersetzung mit ihnen zunchst nach den (sei es tatschlich vergessenen, sei es nur vernderten) Fragen zu suchen, auf die sie einst geantwortet haben mo¨gen. Damit ist zwar erneut ein nicht-metaphorischer, kultureller Kontext der Seelenmetaphorik ins Spiel gebracht. Zugleich aber trgt man bei der Annahme eines Frage-Antwort-Verhltnisses zwischen literarischem Seelenbild und zeitgeno¨ssischer Kultur der Eigenstndigkeit des Metaphorischen viel strker Rechnung als etwa bei der Anwendung des kulturpoetischen Zirkulationsmodells. Auch ist es bei 149

150 151 152 153 154

¨ berlegungen noch einen der klarsten EntTrotz ihrer Vagheit stellen Lenzens U wu¨rfe der am Interdisziplinren Zentrum fu¨r Historische Anthropologie (FU Berlin) unter anderem auch von Kamper und Wulf betriebenen Sonderform der historischen Anthropologie dar, die man mit Gert Dressel als »Philosophisch orientierte Historische Anthropologie« bezeichnen kann (Dressel, 1996, S. 274). Auch wenn Benthien die Letztere insgesamt zu Recht zu den »kulturwissenschaftlichen Forschungsrichtungen« zhlt (Benthien, 2002, S. 63), sind doch ge¨ berlegungen Lenzens von solcher Art, dass sie prinzipiell fu¨r die verrade die U schiedensten, auch nicht-kulturwissenschaftlich orientierten historischen Projekte verwendbar sind. Lenzen, 1989, S. 14. Ebd. S. 18. Ebd. S. 24. Ebd. S. 16. Ebd. S. 19.

34 der Suche nach der bzw. den zur Entstehung der Seelenmetapher beitragenden Frage(n) nicht zwingend erforderlich, immer den ganzen Bereich des Kulturell-Lebensweltlichen in den Blick zu nehmen. ¨ berlegungen Lenzens dazu Anlass geDaru¨ber hinaus ko¨nnen die U ben, die Position einer (literarischen) Seelenmetaphernforschung innerhalb anderer anthropologischer Forschungsvorhaben grundstzlich neu zu bewerten: Wenn man sich auf die in Lenzens Ausfu¨hrungen ¨ brigen auch in allen anderen historisch-anthropologischen (wie im U Anstzen) zu findende Ablehnung der statischen, zeitrumlich »universale[n] […] Anthropologie-Konzepte« einlsst,155 wenn man also jenen Theorien, die etwas u¨ber den Menschen aussagen wollen,156 die Zustimmung verweigert, so erfhrt damit das Projekt einer (literar-)historischen Seelenmetaphernforschung gleichsam ex negativo eine Aufwertung. In diesem Fall nmlich erweist sich die Vorrangstellung, die das gegenwrtig in der o¨ffentlichen Wahrnehmung so dominante seelenlose Menschenbild der life sciences gegenu¨ber allen geisteswissenschaftlich-(literar-)historisch erforschbaren Anthropologien einnimmt, als nicht haltbar. Wie der ihm vorausgehende abendlndische ›Seelenglaube‹ erscheint von Lenzens Standpunkt aus betrachtet auch das ›neue‹ Menschenbild nur als eines der vielen anthropologischen Konzepte, die sich in historischer Folge ablo¨sen, ohne deshalb zu der Wahrheit u¨ber den Menschen vorzudringen: Wenn wir die Diskurse zuru¨ckverfolgen, nimmt ihre Referenz auf eine Wirklichkeit spu¨rbar ab, bis wir eine Schwelle u¨berschreiten, jenseits deren [sic!] wir von Mythen sprechen. Was gibt uns die Sicherheit, diesseits dieser Schwelle nicht von Mythen zu sprechen, sondern von Fakten?157

Die hier in einer Frage versteckte allgemeine These von der Mythizitt des scheinbar Faktischen kann problemlos bei der Auseinandersetzung mit der historischen Sukzession der Menschenbilder und der wechselnden Wahrnehmung des Psychischen Anwendung finden. In diesem Fall hat man mit dem »[D]iesseits der Schwelle« die heutige, naturwissenschaftliche Auffassung vom Psychischen zu identifizieren, die sich zwar – in Abgrenzung zu den mythisch-bildlichen Seelenvorstellungen vergangener Jahrhunderte – der Logizitt ru¨hmt, deshalb aber mitnichten auch de facto von erst retrospektiv erkennbaren, wenigstens im weiteren Sinne ›mythischen‹ Anteilen frei sein muss. Teilt man Lenzens Ansicht, dass der »im wissenschaftlichen Sinne nicht wahrheitsfhi155

156 157

Benthien, 2002, S. 63. Dass es sich bei dieser Ablehnung um ein grundlegendes Merkmal aller historischen Anthropologien handelt, macht auch Harald Neumeyer deutlich, vgl. Neumeyer, 2003, S. 108. Vgl. neben Lenzen, 1989, S. 32, etwa auch Kamper/Wulf, 1994, S. 9. Lenzen, 1989, S. 36.

35 g[e]«158 mythische Anteil in der Selbstwahrnehmung und Selbstdeutung des Menschen nicht u¨berwunden,159 dass die anthropologische Wahrheit nicht erreicht werden kann, dann steht aus dieser Perspektive eine Auseinandersetzung mit Seelenmetaphern keineswegs im Schatten der im o¨ffentlichen Bewusstsein des 21. Jahrhunderts dominierenden biologisch-medizinischen Anthropologie. Vielmehr erscheint die Seelenmetaphernforschung als eines der wenigen u¨berhaupt noch mo¨glichen anthropologischen Projekte – und dies nicht allein aufgrund ihrer notwendig philologisch-historischen Zugangsweise, die sie von vornherein unanfllig fu¨r die Versuchung macht, die Normativitt160 ihrer Aussagen in Bezug auf die Wirklichkeit des Menschen zu propagieren, sondern auch aufgrund ihrer besonderen Quellenwahl. Aus sprachlichen Seelenbildern ko¨nnte man, so steht zumindest zu vermuten, die »mythische[n] Diskurse«, in denen nach Ansicht Lenzens die »anthropologischen Elementaria« enthalten sind, weitaus besser rekonstruieren als etwa aus »theoretischen Texten«.161 Trotz aller Anregungen und Neuperspektivierungen, die sich aus ¨ berlegungen fu¨r eine Seelenmetaphernforschung ergeben, erLenzens U weist sich sein Konzept doch keineswegs als befriedigende Grundlage der vorliegenden Untersuchung – und dies nicht nur aufgrund seiner ¨ bernahme des Ansatzes oben erwhnten Vagheit. Einer vollstndigen U von Lenzen stehen insbesondere auch die weitreichenden Konsequenzen entgegen, die dieser historische Anthropologe aus einer fu¨r ihn, Kamper und Wulf spezifischen Deutung des Adjektivs ›historisch‹ ableitet. Jenes in der Bezeichnung ihrer Disziplin enthaltene Attribut wollen die Forscher nicht nur als Hinweis auf die »Geschichtlichkeit« des »Gegenstandes« ihrer anthropologischen Forschung, sondern – in Abgrenzung zu den anderen historischen Anthropologen – zugleich auch auf die »Geschichtlichkeit ihrer Methoden« verstanden wissen.162 Aus dieser zweiten Form der Historizitt einer ›historischen‹ Anthropologie zieht nun Lenzen besonders weitgehende, wenn auch wiederum kaum konkretisierte Schlussfolgerungen: Die durch die »Geschichtlichkeit« ihres Forschungsobjekts wesentlich als Geschichtsschreibung in Er158 159 160 161

162

Ebd. S. 38. Vgl. ebd. S. 37. Vgl. ebd. S. 32. Ebd. S. 37. Zum Problem ko¨nnte hierbei ho¨chstens Lenzens Forderung nach einer »kulturu¨bergreifende[n] Recherche«, nach einer Suche »in allen Typen von Zeichenkonstellationen«, also auch in Bildern, in der Musik, in Riten etc. (ebd.) werden – sofern man sie nmlich als kulturwissenschaftlichen Aufruf versteht, schon in einem einzelnen Forschungsprojekt Material verschiedenster kultureller Teilbereiche zu sichten. Dass dies hier nicht geleistet werden soll, ist bereits mehrfach betont worden. Kamper/Wulf, 1994, S. 9; Kamper/Wulf, 1989, S. 11.

36 scheinung tretende historische Anthropologie sieht er als eine »Wissenschaft des Augenblicks« an,163 die sich, nachdem sie die »Augenblicksbindung« ihrer »historiographischen Resultate« erkannt hat,164 ganz bewusst auch in der »Darstellungsform« den Bedu¨rfnissen ihrer »Rezeptionszeit« anpassen sollte.165 Fu¨r die Gegenwart fordert er – unter anderem aufgrund einer angeblich »abnehmenden Rezeptionsbereitschaft« gegenu¨ber einer »objektivistische[n]« und »szientifische[n] Form«166 der Ergebnisprsentation – die »Bereitschaft zur Fiktion in der Rekonstruktion«167 und die »Favorisierung« der »Erzhlung«.168 ¨ berlegungen erscheinen schon allein deshalb fu¨r Solche strategischen U die Erforschung von Seelenraummetaphern kaum angemessen, weil sie mehr auf den historiographischen Umgang mit ›erzhlbaren‹ Ereignissen bzw. mit vermeintlichen historischen ›Fakten‹ zugeschnitten sind als auf die Untersuchung von literarischen Quellen oder gar von Metaphern. Auch verbirgt sich hinter der Aufforderung, die in jedem historischen Projekt nachweisbaren unfreiwillig-unvermeidlichen Anstze zur Fiktionalisierung169 absichtlich und unter Auflo¨sung der »Grenzen zur Kunst« zu verstrken,170 eine radikal wissenschaftsskeptische Haltung,171 die, weil sie jeden Erkenntnisanspruch von vornherein unterminiert, als Basis der vorliegenden Studie nicht akzeptabel ist. Die wiederholt konstatierte Differenz zwischen metaphorischen und nicht-metaphorischen anthropologischen Aussagen lsst zur methodisch-theoretischen Fundierung einer Studie zur sprachlichen Seelenbildlichkeit vor allem solche Konzepte geeignet erscheinen, die dem Phnomen der Metapher besondere Aufmerksamkeit schenken – die Metapherntheorien. Dass von der Vielzahl der Letzteren ausgerechnet der Ansatz Blumenbergs der Untersuchung zugrunde gelegt wird, soll ¨ berblick u¨ber die verschiededem Leser zunchst durch einen kurzen U nen Gattungen von Metapherntheorien und durch die knappe Zuru¨ck163 164 165 166 167 168 169

170 171

Lenzen, 1989, S. 25 [Herv. d. D. L.]. Ebd. S. 32, hnlich auch S. 33. Ebd. S. 38. Ebd. S. 38–39. Ebd. S. 42. Ebd. S. 26. Vgl. etwa ebd. S. 30. Whrend in diesem Zusammenhang die unfreiwillige Fiktionalitt historischer Forschungsarbeiten nachvollziehbar dargestellt wird, erscheint es logisch ußerst fragwu¨rdig, wenn Lenzen an anderer Stelle die unfreiwillige Fiktionalitt historisch-anthropologischer Aussagen aus der Fiktionalitt anthropologischer Gegenstnde abzuleiten sucht (ebd. S. 42): »Denn wenn es einen Kern des Menschen nicht gibt, außer als ›Gedicht‹, als ›liebende Einbildung‹, dann muß dies auch fu¨r die ›Rekonstruktion‹ der Geschichte jener anthropologischen Fiktion gelten.« Lenzen, 1989, S. 25–26; vgl. auch Dressel, 1996, S. 276. Vgl. Dressel, 1996, S. 276.

37 weisung einer vermeintlichen Alternative nachvollziehbar gemacht werden. Anschließend wird Blumenbergs Ansatz selbst zu skizzieren und schließlich seine konkrete Anwendbarkeit auf die vorliegende Studie zu ero¨rtern sein. ¨ berlegungen In die Unu¨berschaubarkeit metapherntheoretischer U hat ju¨ngst Eckard Rolf mit seinem Band Metaphertheorien [sic!] eine neue Ordnung gebracht. In die von ihm erarbeitete Systematik lassen sich – trotz der von Anselm Haverkamp proklamierten »Diskontinuitt von Rhetorik und Linguistik«172 – sowohl die wichtigsten sprachwissenschaftlichen als auch die bedeutendsten antik-rhetorischen Anstze, ja selbst solche Konzepte einordnen, die weder der Linguistik noch der Rhetorik zugeho¨ren. Rolf unterscheidet zunchst zwischen »semiosischen« und »semiotischen« Metapherntheorien: Zu den ersteren zhlt er »Theorien, die vornehmlich sachbezogene Aussagen u¨ber den Gegenstand ›Metapher‹ […] machen«. Dabei ko¨nne entweder eine »strukturale« (»[f]ormbezogene«) oder eine »funktionale« (»[l]eistungsbezogene«) Perspektive gewhlt werden.173 Semiotische Metapherntheorien setzen sich dagegen nach Ansicht Rolfs »schwerpunktmßig mit der Frage« auseinander, in welcher (semiotischen) Teildisziplin die Metapher zu beschreiben ist: in der Semantik oder in der Pragmatik. […] Bedeutungsbezogene Metaphertheorien […] betrachten Metaphern als ein semantisches Phnomen. Gebrauchsbezogene Metaphertheorien […] bestehen darauf, daß die Metapher eine pragmatische Erscheinung sei.174

Von Rolfs Systematik ausgehend kann schnell eine beachtliche Eingrenzung der prinzipiell zur Grundlegung der vorliegenden Studie in Frage kommenden Theorien vollzogen werden. Aus mehreren Gru¨nden ergibt sich hier zunchst eine Beschrnkung auf eine der vier von Rolf beschriebenen Theoriegruppen, nmlich auf die funktional-semiosische. Erstens ist es innerhalb einer Studie, in welcher die Seelenmetaphorik als eigenstndiger Beitrag zum anthropologischen Diskurs gewertet werden soll, unumgnglich, die spezifische Leistung des metaphorischen Redens von der Seele zu bestimmen. Dazu aber erscheint es unverzichtbar, sich auch auf eine allgemeine Theorie zu den Funktionen der Metapher zu beziehen. Weiterhin ist die Konzentration auf die funktional-semiosische Gruppe der Metapherntheorien auch deshalb nahe liegend, weil gerade ihr viele Theorien zugeordnet werden ko¨nnen, welche die Metapher aus einer nicht-linguistischen Perspektive 172 173 174

Haverkamp, 1996, S. 3. Rolf, 2005, S. 16. Ebd. [Herv. d. E. R.].

38 betrachten. Dort, wo die Funktionsfrage gestellt wird, sind statt sprachwissenschaftlicher (und rhetorischer) grundstzlich auch ganz andere, etwa kultur- und sozialanthropologische, (neuro-)biologische, philosophische oder theologische Antworten mo¨glich. Einer nicht-linguistischen Studie, wie sie die vorliegende Untersuchung darstellt, kommt diese disziplinre Offenheit der funktional-semiosischen Metapherntheorien sehr entgegen. Auch innerhalb der funktional-semiosischen Theoriegruppe kann schnell eine Auswahl getroffen werden. Schließlich setzt ein Forschungsansatz, der Seelenmetaphern als Beitrag zum zeitgeno¨ssischen anthropologischen Diskurs wahrnimmt, eine Metapherntheorie voraus, welche die Metapher in ihren kognitiven Leistungen ins Auge fasst. Sie muss die besondere Funktion des Sprachbilds vor allem in der abgrenzenden Auseinandersetzung mit den nicht-metaphorischen Wissensund Vorstellungsformen entwickeln und dabei zugleich in der Lage sein, die Metapher in historischer Perspektive wahrzunehmen. Der Ero¨rterung der kognitiven Leistungen der Metapher und ihrer Abgrenzung von nicht-metaphorischen Wissensformen widmet sich neben der Metaphorologie Blumenbergs, die Rolf als »Epistemologietheorie der Metapher«175 bezeichnet, auch die von George Lakoff und Mark Johnson entwickelte »Konzeptualisierungstheorie der Metapher«.176 Da sich Lakoff und Johnson in ihren metapherntheoretischen Publikationen177 wiederholt mit der Verrumlichung des Geistig-Psychischen befassen,178 scheint ihr Ansatz auf den ersten Blick sehr gut als Grundlage zur Erforschung von Seelenraummetaphern geeignet. Allerdings werden hier Sprachbilder nur unzureichend aus historischer Perspektive betrachtet, so dass eine der oben formulierten Voraussetzungen nicht erfu¨llt ist. Die in den Untersuchungen Lakoffs und Johnsons zu konstatierende weitgehende Ausblendung der (historisch variablen) sozialen und kulturellen Faktoren179 bei der Metaphernbildung kann im ¨ brigen nicht nur als Hindernis fu¨r die Anwendung dieses Konzepts U bei der Erforschung von Seelenmetaphern gesehen werden, sondern wird den beiden Forschern auch unabhngig davon von anderen Me175 176 177

178 179

Ebd. S. 243. Ebd. S. 235. Genannt seien hier die gemeinsam verfassten Monographien Metaphors We Live By (Johnson/Lakoff, 1980) und Philosophy in the Flesh (Johnson/Lakoff, 1999), die unabhngig von einander publizierten Werke The Body in the Mind (Johnson, 1987) und More than cool reason (Lakoff/Turner, 1989) sowie Lakoffs sehr informativer Aufsatz The contemporary theory of metaphor (Lakoff, 1993). Vgl. etwa Johnson/Lakoff, 1999, S. 266. Nur gleichsam im Vorbeigehen wird etwa die Kulturabhngigkeit ko¨rperlicher Raumerfahrungen bei der Entstehung von Raummetaphern konstatiert, vgl. etwa Johnson/Lakoff, 1980, S. 56–57.

39 tapherntheoretikern vorgeworfen.180 Die fehlende historische Dimension dieser Metapherntheorie ist dabei unauflo¨slich mit Lakoffs und Johnsons Orientierung an den jeweils neuesten Ergebnissen einer biologisch-medizinisch fundierten Kognitionswissenschaft verbunden. Der Letzteren messen die beiden Forscher gerade auch bei der Ero¨rterung philosophisch-geisteswissenschaftlicher Probleme einen so hohen Stellenwert bei,181 dass dies offenbar auch die Wahl ihrer Forschungsgegenstnde beeinflusst. Beide Forscher bestreiten vehement die Existenz einer nicht-verko¨rperten, rein spirituellen Seele182 und halten es wohl schon deshalb nicht fu¨r no¨tig, neben der metaphorischen Verrumlichung der Gro¨ßen »Self«, »Subject« und »mind«183 auch jene der »soul« zu untersuchen. Bedenkt man, dass in der vorliegenden Untersuchung die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz einer (gegenu¨ber dem Leib selbststndigen) Seele ganz bewusst ausgeblendet und aktuelle neurowissenschaftliche Ergebnisse zur psychischen Verfasstheit des Menschen nicht beru¨cksichtigt werden sollen, so lsst auch diese Haltung Johnsons und Lakoffs ihren metapherntheoretischen Ansatz nicht als sinnvolle Basis der vorliegenden Studie erscheinen. Weiterhin ist die Metapherntheorie der beiden amerikanischen Wissenschaftler auch durch das fehlende Interesse der zwei Forscher an der »Frage der konkreten […] Funktion« einer einzelnen Metapher184 zur Fundierung der vorliegenden Studie ungeeignet. Die Metaphorologie Blumenbergs erfu¨llt dagegen alle fu¨r eine mo¨gliche theoretische Grundlage der vorliegenden Untersuchung notwendigen Voraussetzungen. Schon Blumenberg selbst setzt seine Theorie durchgngig zur Ero¨rterung kulturgeschichtlicher Fragestellungen ein und wendet sich dabei immer wieder gezielt einzelnen Metaphern und ihrer Geschichte zu. Auch entwickelt er sein Konzept unabhngig von den aktuellen Paradigmen der life sciences. Weitere und noch konkretere Ansatzpunkte zur Verwendung seines Ansatzes bei der Erfor180 181 182

183

184

Vgl. etwa Leezenberg, 2001, S. 142–145. Vgl. etwa Johnson/Lakoff, 1999, S. 14–15 u.o¨. Vgl. ebd. S. 563–568. Johnson und Lakoff vertreten die These, dass uns nur die – dem gro¨ßten Teil unseres Sprechens vom Geistigen innewohnende – Metaphorik den »embodied character« des Geistes vergessen und ihn ko¨rperunabhngig erscheinen lasse, vgl. ebd. S. 266, S. 563. Lakoff und Johnson unterscheiden in ihren Ausfu¨hrungen den »mind« als denkenden Teil des Menschen von zwei weiteren inneren Gro¨ßen, dem »Subject« und dem »Self«, vgl. ebd. S. 267–269. Vgl. zu diesem Kritikpunkt, wenn auch in anderem Zusammenhang, Andersson, 2003, S. 306. Bo Andersson wirft den beiden Autoren außerdem vor, »in ihrem Werk […] allzu wenig« auf den »kalkulierten Einsatz« der Bildschemata Bezug zu nehmen (ebd. S. 306).

40 schung der Seelenraummetapher werden sich aus dem folgenden knap¨ berblick u¨ber sein Konzept ergeben. pen U Zum Verstndnis der Metaphorologie Blumenbergs ist es zunchst unumgnglich, die Frage nach dem weiteren Horizont zu stellen, in dem der Philosoph die Metapher ansiedelt: Welchem Oberbegriff, so muss man etwa fragen, ordnet Blumenberg das Phnomen ›Metapher‹ zu? Wie sich besonders deutlich in seinem Aufsatz Anthropologische Annherung an die Aktualitt der Rhetorik zeigt, hlt Blumenberg an der traditionellen Verortung der Metapher in der Rhetorik fest.185 Vor dem Hintergrund seines wiederholt artikulierten Interesses an den »eigenstndigen Orientierungs- und Erkenntnisleistungen metaphorischer Sprache«186 mag dies auf den ersten Blick u¨berraschend erscheinen. Bei der genaueren Betrachtung seines spezifischen Rhetorik-Verstndnisses187 wird jedoch die innere Logik einer solchen Zuordnung deutlich. Blumenberg sieht in der Rhetorik weit mehr als nur eine »Lehre von den Ornamenten« bzw. eine Technik zur Steigerung der »Wirkung der Aussage«.188 Rhetorik erscheint ihm wesentlich als ein kognitives Verfahren, als eine Strategie des »Ersatzdenkens und Ersatzhandelns«,189 mit deren Hilfe es gelingt, »sich im Provisorium vor allen definitiven Wahrheiten und Moralen zu arrangieren«.190 Sie kann nach seiner Auffassung gewissermaßen als »eine Gestalt von Vernu¨nftigkeit« – nmlich als »das vernu¨nftige Arrangement mit der Vorlufigkeit der Vernunft« – betrachtet werden.191 Vor dem Hintergrund einer solchen Rhetorik-Definition stellt die Wahrnehmung der Metapher als rhetorisches Phnomen ihre »Orientierungs- und Erkenntnisleistungen« keineswegs in Frage – im Gegenteil: Nimmt Blumenberg die Metapher nicht nur als »ein Kapitel« der Rhetorik wahr, sondern versteht er sie als »signifikatives Element« dieser Disziplin, »an dem ihre Funktion« optimal exemplifiziert werden ko¨nne,192 so geht aus solchen Aussagen die kognitive Dimension des Sprachbilds geradezu notwendig hervor.193

185 186 187 188 189 190 191

192 193

Vgl. dazu Blumenberg, 2000, bes. S. 75. Schumann, 1995, S. 408; vgl. hnlich Bo¨deker, 2002, S. 24. Vgl. dazu (kritisch) auch Bornscheuer, 2000, bes. S. 102. Blumenberg, 1960, S. 8 [Herv. d. H. B.]. Bornscheuer, 2000, S. 100. Blumenberg, 2000, S. 71. ¨ berblick u¨ber Ebd. S. 83; vgl. dazu auch Bolz, 2000, S. 94. Einen ausfu¨hrlichen U die verschiedenen Funktionen und Verstndnisweisen der Rhetorik im Werk Blumenbergs gibt Otto Mu¨ller, vgl. Mu¨ller, 2005, S. 271–272. Blumenberg, 2000, S. 75. Zur kognitiven Bedeutung der Metapher vgl. ausfu¨hrlich Haefliger, 1996, S. 76–85.

41 Treffend bringt Michael Schumann das weitgehend implizite194 Metaphernverstndnis Blumenbergs auf den Punkt, wenn er betont, dass fu¨r Blumenberg der Begriff ›Metapher‹ »die Bezeichnung eines substitutiv gebrauchten und […] ›gehaltvollen‹, vornehmlich visuellem Erfahrungsmaterial entstammenden Vorstellungsbildes oder vorgestellten Bildkomplexes« darstelle.195 Redet Schumann vom substitutiven Gebrauch der Metapher, so gilt es darauf hinzuweisen, dass hinter einer solchen Formulierung keinesfalls eine implizite Abgrenzung der Metapher vom Vergleich vermutet werden darf. Differenzierungen zwischen Metaphern und Vergleichen spielen in Blumenbergs metaphorologischer Praxis kaum eine Rolle.196 Dass Blumenberg einen »ganz allgemeinen Metaphernbegriff« verwendet,197 lsst es gerechtfertigt erscheinen, den Letzteren wesentlich mit dem Begriff eines kognitivsprachlichen ›Bilds‹ zu identifizieren.198 Wie man sich die kognitive Leistung der Metapher vorzustellen hat, wird am besten u¨ber die Annherung an einen Grundbegriff der von Blumenberg entwickelten Metaphorologie erkennbar, der durch alle (hier nicht im Einzelnen zu ero¨rternden) »Akzentverlagerung[en]« von Blumenbergs Theorie199 erhalten geblieben ist: der Begriff der ›absoluten Metapher‹.200 In seiner grundlegenden Schrift Paradigmen zu einer Metaphorologie definiert Blumenberg absolute Metaphern als ¨ bertragungen‹, »Grundbestnde der philosophischen Sprache […], ›U die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizitt zuru¨ckholen«,201 nicht »in Begrifflichkeit auflo¨se[n]« lassen.202 Absolute Metaphern stellen nach seiner Auffassung eine »authentische Leistungsart der Erfassung 194 195 196

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Vgl. dazu auch Zill, 2002, S. 223. Schumann, 1995, S. 408. Vgl. etwa Blumenberg, 1971, S. 199: Dort zitiert er als Beleg fu¨r die Eisbergmetapher eindeutig einen Vergleich. Ru¨diger Zill merkt an: »Vergleich, Gleichnis, Allegorie werden manchmal getrennt betrachtet, oft aber synonym mit Metapher gebraucht« (Zill, 2002, S. 224 [Herv. d. R. Z.]). Schumann, 1995, S. 408. So verfhrt auch Schumann, indem er in seinen Ausfu¨hrungen zu Blumenbergs Metaphorologie immer wieder statt von der Metapher einfach vom »bildlichen Ausdruck« oder – noch schlichter – vom »Bild« redet, vgl. Schumann, 1995. Betzler, 1991, S. 220: Zusammenfassend beschreibt Monika Betzler die Entwicklung von Blumenbergs Metaphorologie als eine »Akzentverlagerung von einer pragmatischen Funktionsbestimmung« der Metapher zu ihrer »lebensweltlichen Einbettung und […] ›geschichts-theoretische[n]‹ Ortszuweisung und Kategorisierung« (ebd.). Der Ausdruck selbst geht nicht auf Hans Blumenberg zuru¨ck. Er findet sich schon bei Hugo Friedrich (vgl. Friedrich, 1956, S. 55–56), ist aber bei diesem anders definiert, vgl. dazu auch Wetz, 1993, S. 20; Haverkamp, 2001, S. 445. Blumenberg, 1960, S. 9. Ebd. S. 11 [Herv. d. H. B.].

42 von Zusammenhngen«203 dar, die auch parallel zum »philosophische[n] Logos« noch immer fortbestehe und die Aussage, dass der Logos »den vorphilosophischen Mythos ›u¨berwunden‹« habe, in Frage stelle.204 Der absoluten Metapher bedu¨rfen vor allem die »Totalhorizonte«, die »fu¨r unsere Erfahrung nicht mehr zu durchschreiten und abzugrenzen sind«,205 die die menschlichen »Erkenntnismo¨glichkeiten u¨bersteigen und u¨berfordern«:206 »›[d]as Leben‹ als Totalitt individuellen Daseins, ›das Selbst‹ als der sich unbekannte Trger dieser Totalitt, ›die Geschichte‹ als die u¨bergreifende Einheit solcher Lebenstotalitten und schließlich ›die Welt‹ als die ihrerseits umfassende Totalitt aller in die Geschichte einwirkenden Realitten […]«.207 ›Leben‹, ›Selbst‹, ›Geschichte‹ und ›Welt‹, die »Großbegriffe des westlichen Denkens«, sind »begriffsfo¨rmige Ausdrucksgestalten der Unbegrifflichkeit«, die das der Erfahrung Entzogene zwar gleichsam »provisorisch zur Einheit bringen«, dabei aber, wie Ralf Konersmann in einem Aufsatz zu Blumenbergs Reflexionen u¨ber die Unbegrifflichkeit treffend ausfu¨hrt, »die abstraktionsbedingte Gefahr der semantischen Leere« bergen.208 Wer diese Leere etwa im Fall des Begriffs ›Welt‹ durch den Versuch fu¨llen mo¨chte, das Ganze als eine »series rerum« gleichsam analytisch zu bestimmen, kann nach Auffassung Blumenbergs durch eine solche Definition nicht befriedigt werden.209 Einer derartigen Bestimmung fehlt jede Anschaulichkeit, so dass der dem Menschen eigene »horror vacui«, der »Schrecken vor dem Unbekannten und Unfaßbaren«,210 durch sie nicht verschwindet. Erst wenn die Begriffe, welche die Totalitten bezeichnen, durch Metaphern wie etwa die von Blumenberg ausfu¨hrlich untersuchte211 Weltbuchmetapher212 ersetzt bzw. ergnzt werden, fu¨llt sich die beunruhigende Leere,213 wird nach Auffassung Blumenbergs »deutlicher, wie zunchst different Erscheinendes zusam203 204

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Blumenberg, 2001, S. 193. Blumenberg, 2001–2, S. 139; vgl. dazu auch Breuer/Leusch/Mersch, 1996, S. 68–69. Zum Zusammenhang von Metapher und Mythos vgl. weiterhin die Ausfu¨hrungen Stephanie Waldows (Waldow, 2006, S. 239–262). Blumenberg, 2001, S. 196. Wetz, 1993, S. 25. Blumenberg, 1971, S. 168. Konersmann, 1998, S. 37. Blumenberg, 2001, S. 196. Schumann, 1995, S. 410. Vgl. zur von Blumenberg angenommenen anthropologischen Grundempfindung der Angst vor dem »unbesetzten Horizont der Mo¨glichkeiten« bzw. vor dem »Unbestimmten« auch Blumenberg, 1979, S. 12–13; Blumenberg, 2000. Vgl. Blumenberg, 1981. Vgl. auch Blumenberg, 1971, S. 196–197. Vgl. Blumenberg, 1960, S. 142.

43 mengekommen sein kann und zusammenhngt«. Blumenberg nimmt einen »in der Metaphorik konservierten Konsistenzfaktor« an: Eine Metapher »homogenisiert einen Kontext von einer Orientierung her, sein Verstndnis auf diese hin«.214 Dass gerade das Selbstverstndnis des Menschen der Kraft der Metapher zur Einigung bzw. Harmonisierung215 des Disparaten in besonderem Maße bedu¨rftig ist, fu¨hrt Blumenberg in den nachfolgend zitierten Zeilen genauer aus: [D]er Mensch hat zu sich selbst kein unmittelbares, kein rein »innerliches« Verhltnis. Sein Selbstverstndnis hat die Struktur der »Selbstußerlichkeit«. Kant hat als erster der inneren Erfahrung jeden Vorrang vor der ußeren abgesprochen; wir sind uns selbst Erscheinung, sekundre Synthesis einer primren Mannigfaltigkeit, nicht umgekehrt. Der Substantialismus der Identitt ist zersto¨rt; Identitt muß realisiert werden, wird zu einer Art Leistung […]. Der Mensch begreift sich nur u¨ber das, was er nicht ist, hinweg. Nicht erst seine Situation, sondern schon seine Konstitution ist potentiell metaphorisch.216

In Blumenbergs hier verwendeter Formulierung, dass der Mensch sich »u¨ber das, was er nicht ist, hinweg« verstehe und u¨berhaupt erst auf diesem Wege zu einer inneren Einheit gelange, steckt eine Anspielung auf eine andernorts von Blumenberg angefu¨hrte Metapherndefinition, nach welcher man in der Metapher »etwas durch etwas anderes« begreift:217 Der metaphorische Umweg, von dem thematischen Gegenstand weg auf einen anderen zu blicken, der vorgreifend als aufschlussreich vermutet wird, nimmt das Gegebene als das Fremde, das Andere als das vertrauter und handlicher Verfu¨gbare.218

Als »Grenzwert der Metapher« erscheint dabei das Symbol: »hier ist das Andere das ganz Andere, das nichts hergibt als die pure Ersetzbarkeit des Unverfu¨gbaren durch das Verfu¨gbare.«219 Bemerkenswert ist, dass Blumenberg die absolute Metapher zwar einerseits zur ›Sammellinse‹ des vormetaphorisch Mannigfaltigen werden lsst, sie aber andererseits dort, wo er auf den in ihr transportierten Aussagegehalt zu sprechen kommt, eher als eine Art ›Zerstreuungslinse‹ beschreibt. Einer einzelnen absoluten Metapher steht eine unerscho¨pfliche Vielfalt an Deutungsmo¨glichkeiten gegenu¨ber, die wesent214

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Blumenberg, 1971, S. 191. Vgl. zur konsistenzschaffenden Kraft der Metapher auch Blumenberg, 2000, S. 84. Vgl. Betzler, 1991, S. 242. Blumenberg, 2000, S. 86. Ebd. S. 74 [Herv. d. H. B.]. Ebd. Ebd.

44 lich zu ihrer begrifflichen Uneinholbarkeit beitrgt.220 Die absolute Metapher mag zwar aus dem Pluralen eine Einheit herstellen, »[e]in Ganzes […] zur Anschauung« bringen, aber dieses eine Bild bleibt zugleich »in seinen mo¨glichen Verstndnissen unerscho¨pflich«:221 Sein Gehalt lsst sich begrifflich niemals vollstndig bestimmen. Zu Recht betont etwa Monika Betzler die »Widerstndigkeit« der (absoluten) Metapher »gegen eindeutige […] Bedeutungszuweisung«,222 betrachtet Stephanie Waldow gerade die »Unfixierbarkeit« als ihre zentrale Eigenschaft und redet von der »Schwellenposition« der Metapher »zwischen Unbestimmtheit und Prgnanz«.223 Die absolute Metapher, so lsst sich zusammenfassen, »besetzt« zwar »den leeren Raum«224 bzw. die »Leerstelle« des nicht unmittelbar Erkenn- und Darstellbaren, jedoch »ohne sie« dabei durch eine eindeutige Bestimmung »zuzudecken.«225 Besonders im »sthetische[n] Gebrauch der Sprache«, so schreibt Blumenberg in seinen Beobachtungen an Metaphern, spiele die Vieldeutigkeit der Metapher eine tragende Rolle.226 Vermutlich liegt einer solchen Aussage implizit ein hnliches Literaturverstndnis zu Grunde, wie Blumenberg es auch in seinem fu¨r eine DFG–Tagung verfassten Aufsatz Sprachsituation und immanente Poetik entwickelt hat. In dieser Abhandlung vertritt Blumenberg den Standpunkt, dass Literatur mit allen verfu¨gbaren Mitteln »gegen die […] Normierungstendenz der Sprache« opponiere227 und »um die Freigabe der immanenten Tendenz [der Sprache, M. D.] auf die Multiplizitt der Bedeutung« bemu¨ht sei.228 Auch wenn sich in den Beobachtungen an Metaphern eine gewisse Differenz zwischen der poetischen und der nicht-poetischen Metaphernverwendung anzudeuten scheint,229 unterscheidet Blumenberg doch in der Praxis seiner großen metaphorologischen Studien zur Welt-

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¨ bersetzbarkeit«, »Nicht-ParaphrasierVgl. allgemein zur These einer »Nicht-U barkeit« und »Nicht-Ersetzbarkeit« der Metapher bzw. zur Annahme ihrer »unbegrenzte[n] Bedeutungsvielfalt« in verschiedenen modernen Metapherntheorien Danneberg, 2002, S. 352–355 u.o¨. Breuer/Leusch/Mersch, 1996, S. 68. Zur Veranschaulichung des Ganzen in der Metapher vgl. auch Blumenberg, 1960, S. 21. Betzler, 1991, S. 221. Waldow, 2006, S. 259, hnlich auch S. 244. Blumenberg, 2000, S. 84. Waldow, 2006, S. 245. Blumenberg, 1971, S. 191. Lutz Danneberg hlt dagegen eine »Unterscheidung zwischen philosophischen, wissenschaftlichen oder literarischen Metaphern« von vornherein fu¨r wenig sinnvoll, vgl. Danneberg, 2002, S. 261. Blumenberg, 1966, S. 153. Ebd. S. 149. Vgl. Blumenberg, 1971, S. 191.

45 buch-, Ho¨hlen-230 und Schiffbruchmetapher231 kaum zwischen Philosophie und Dichtung bzw. zwischen den in literarischen und den in philosophischen Kontexten gebrauchten Metaphern.232 Gerade dadurch, dass er hier keine scharfen Grenzen zieht, erscheint es u¨berhaupt erst zulssig, seinen vor allem in der Auseinandersetzung mit philosophiegeschichtlichen Fragen entwickelten metaphorologischen Ansatz bei der Erforschung literarischer Seelenmetaphern heranzuziehen. In seinen großen Untersuchungen zu einzelnen Metaphern bemu¨ht sich Blumenberg vor allem um eine diachrone Dokumentation der verschiedenen Deutungsvarianten eines Sprachbilds. An ihnen stellt er zugleich ›paradigmatisch‹233 dar, wie die zunchst nur in der Metaphernrezeption stattfindenden Um- und Gegenbesetzungen234 des Sprachbilds auch produktiv werden, wie sie auf seine konkrete Gestaltung zuru¨ckwirken ko¨nnen. Schon vor dem Erscheinen seiner Paradigmen, nmlich in seiner Abhandlung u¨ber das Licht als Metapher der Wahrheit, hat Blumenberg auf die historische »Wandlungsmo¨glichkeit« sowohl des (rezeptiven) Metaphernverstndnisses als auch der (durch ihre Ausdeutungen mit beeinflussten) Metaphern selbst hingewiesen. Von der Lichtmetapher entwirft er zunchst einen »unvollstndigen Umriß ihres Aussagepotentials« und setzt es sich dann zum Ziel, an ihrem Beispiel zu zeigen, »wie die Umformungen der Grundmetapher die Wandlungen des Welt- und Selbstverstndnisses indizieren.«235 Metaphern (besonders absolute) sind fu¨r Blumenberg gewissermaßen »Seismographen« fu¨r die großen Vernderungen des Weltwissens und ¨ berder Haltung gegenu¨ber der Welt.236 In ihnen kommt nach seiner U zeugung »der gru¨ndige Wandel der Wirklichkeitsauffassung« besser zum Ausdruck als in den philosophischen Termini, die naturgemß in »elementare[r] Trgheit« verharrten.237 In ihrer Seismographen-Funktion ko¨nnen Metaphern dem Historiker aber nicht nur in diachroner, sondern auch schon in »synchrone[r] Betrachtung«238 oder, in Blumen-

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Vgl. etwa Blumenberg, 1996. Vgl. Blumenberg, 1997. Vgl. Leiteritz, 2001, S. 117. Diese Herangehensweise wird von Christiane Leiteritz durchaus kritisch beurteilt: Blumenberg ignoriere »den sthetischen Zusammenhang«, in dem eine Metapher stehe. Zu Blumenbergs Paradigmenbegriff vgl. Blumenberg, 1971, S. 195–199. Zu Gegenbesetzungen vgl. etwa Blumenberg, 1996, S. 303. Blumenberg, 2001–2, S. 140. Astrid Herbold spricht von einem Metaphernverstndnis Blumenbergs, das Metaphern als »Seismographen historischer Mentalitten und Denkmodelle« wahrnehme (Herbold, 2004, S. 32). Blumenberg, 2001–2, S. 140. Bo¨deker, 2002, S. 25.

46 bergs Ausdrucksweise, nicht erst im Lngs-, sondern bereits im Querschnitt239 aufschlussreich sein: Dem historischen verstehenden Blick indizieren sie […] die fundamentalen, tragenden Gewissheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Ttigkeiten und Unttigkeiten, Sehnsu¨chte und Enttuschungen, Interessen und Gleichgu¨ltigkeiten einer Epoche regulierten.240

Wie sich gerade im zuletzt angefu¨hrten Zitat andeutet, liegt in den epochenspezifischen Variationen (absoluter) Metaphern nach Blumenbergs Auffassung jeweils eine spezifische ›pragmatische‹ Wahrheit,241 die er allerdings als retrospektiv nur schwer zugnglich ansieht. Blumenberg betont, dass man von den großen Metaphern der abendlndischen Geschichte nur relativ selten »dokumentarisch dartun« ko¨nne, was sie »jeweils pragmatisch bedeutet« htten.242 Wenn er sich in seinen metaphorologischen Studien trotzdem vor allem in »pragmatischen Interpretation[en]«243 der jeweils von ihm betrachteten Sprachbilder versucht, so du¨rfte dies wohl vor allem mit seiner Feststellung der begrifflichen Unauslotbarkeit der sprachlichen Bilder zusammenhngen. Vor diesem Hintergrund mag ihm die Rekonstruktion des pragmatischen Stellenwerts einer Metapher noch einfacher erscheinen als ihre inhaltliche Ausdeutung. Eine unabdingbare Voraussetzung fu¨r jede pragmatische Interpretation einer Metapher besteht im generellen Bewusstsein und in der konkreten Kenntnis »jene[r] vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind […].«244 Als ›unbeantwortbar‹ mu¨ssen hier vor allem jene Fragen gelten, auf die sich keine das Prinzip des zureichenden Grundes erfu¨llende Antwort formulieren lsst. Zu ihnen stellt die Rhetorik, deren »Hauptsatz« nach Ansicht Blumenbergs das »Prinzip des unzureichenden Grundes« ist,245 ›Ersatzantworten‹ in Gestalt der absoluten Metaphern bereit, die dem Menschen zumindest ein »Orientierungsschema« liefern.246 Wie bedeutsam die Kenntnis der unbeantwortbaren Fragen fu¨r den Metaphorologen ist, mag das nachfolgende Zitat illustrieren. Blumenberg schreibt im Hinblick auf »die Geschichte 239 240 241

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Vgl. Blumenberg, 1960, S. 38. Ebd. S. 20. Vgl. zu Blumenbergs an Kant orientiertem Verstndnis des Begriffs ›pragmatisch‹ Zill, 2002, S. 235–237. Blumenberg, 1960, S. 22 [Herv. d. H. B.]. Ebd. S. 23. Ebd. S. 19. Blumenberg, 2000, S. 80; dazu auch Haefliger, 1996, S. 98–101. Zur Metapher als »Orientierungsschema« vgl. Blumenberg, 2001–3, S. 179.

47 der mit dem Wahrheitsproblem am engsten verschwisterten Metapher, der des Lichtes«:247 Die Lichtmetaphorik ist nicht ru¨cku¨bertragbar, die Analyse richtet sich auf die Erschließung der Fragen, auf die Antwort gesucht und versucht wird, Fragen prsystematischen Charakters, deren Intentionsfu¨lle die Metapher gleichsam ›provoziert‹ hat. Man darf die Naivitt nicht scheuen, diese fundierenden Fragen – auch wenn sie nie ausdru¨cklich gestellt sein sollten – zu formulieren. Welchen Anteil hat der Mensch am Ganzen der Wahrheit? In welcher Situation befindet sich der Wahrheit Suchende […]? Ist der Wahrheitsanteil des Menschen sinnhaft reguliert […]? Das alles sind Fragen, deren theoretische Beantwortung mit systematischen Mitteln kaum eine philosophische Schule auf sich genommen hat; trotzdem behaupten wir, daß sich u¨berall in der Sprache der Philosophie Indizien dafu¨r finden, daß in einer untergru¨ndigen Schicht des Denkens immer schon Antwort auf diese Fragen gegeben worden war, die zwar in den Systemen nicht formuliert enthalten, wohl aber impliziert durchstimmend, frbend, strukturierend gegenwrtig und wirksam gewesen ist.248

Die Strategie Blumenbergs, zu den u¨berlieferten (absoluten) Metaphern jeweils jene Fragen zu rekonstruieren, die fu¨r ihre Entstehung verantwortlich waren, steht der von Lenzen geforderten Vorgehensweise nahe, (altes) Wissen immer im Verbund mit den zu ihm fu¨hrenden Fragen zu betrachten. Wie Lenzens Ansatz kann damit auch Blumenbergs Konzept als theoretische Grundlegung jenes Forschungswegs in Betracht gezogen werden, der in der vorliegenden Untersuchung beschritten wird. Da Blumenberg sich in seinen Darlegungen direkt auf Metaphern und nicht allgemeiner auf Wissensbestnde bezieht, erscheinen sie fu¨r diesen Zweck sogar noch geeigneter. Fu¨r die Erforschung der Seelenraummetaphorik fruchtbar machen lsst sich außerdem der von Blumenberg postulierte Zusammenhang zwischen der (absoluten) Metaphorik und den vom Menschen begrifflich nicht zu fassenden »Totalhorizonten«.249 Zu den Letzteren nmlich kann bei genauerem Hinsehen auch der im Zentrum der vorliegenden Studie stehende Bildempfnger, die Seele, gezhlt werden. Erinnern wir uns: Einem oben weitgehend in Zitatform wiedergegebenen Gedankengang Blumenbergs zufolge ist der Mensch nicht bloß in seiner Lebens-, Geschichts- und Welt-, sondern auch in seiner Selbstwahrnehmung mit einer »primren Mannigfaltigkeit« konfrontiert und kann den Eindruck seiner inneren Einheit erst auf dem Wege einer »sekundre[n] Synthesis« des Disparaten erreichen.250 Blumenberg du¨rfte den Begriff 247 248 249 250

Blumenberg, 1960, S. 12 [Herv. d. H. B.]. Ebd. S. 13 [Herv. d. H. B.]. Blumenberg, 2001, S. 196. Blumenberg, 2000, S. 86.

48 ›Mannigfaltigkeit‹ mit Immanuel Kant vorrangig auf die Pluralitt der aus dem eigenen Innern kommenden Apperzeptionen beziehen, die eine Selbstwahrnehmung ermo¨glichen, doch ko¨nnte man hier ohne Schwierigkeiten auch an eine »Mannigfaltigkeit seelischer Regungen«251 – an eine Vielfalt von Gedanken, Erinnerungen, teilweise gegenlufigen Antrieben usw. – denken. Wie oben gleichfalls erwhnt, bemu¨ht sich der Mensch nach Auffassung Blumenbergs zunchst darum, das von ihm in seiner Umwelt und in sich selbst erfahrene Mannigfaltige u¨ber die Verwendung eines im Singular gebrauchten Begriffs zu synthetisieren. Fu¨r die wenigstens notdu¨rftige ›Fusion‹ der im eigenen Innern wahrgenommenen Pluralitt kommen neben dem von Blumenberg angefu¨hrten Begriff des Selbst252 auch andere Bezeichnungen in Frage: Zu denken wre hier etwa an die Ausdru¨cke ›Ich‹ oder ›Bewusstsein‹. Besonders in fru¨heren Epochen der europischen Kulturgeschichte du¨rfte schließlich auch der Begriff ›Seele‹ dazu verwendet worden sein, einer primr unu¨bersichtlich-ungeeinten Innenseite des Menschen wenigstens auf der Ebene des Sprachlichen eine gewisse Einheit zu verleihen253 – und dies nicht nur im von Blumenberg fokussierten Fall der Introspektion. Auch in den philosophischen oder medizinischen Anthropologien des Abendlands, in denen nicht das je eigene Innere, sondern der Mensch in seinen Lebensvollzu¨gen in den Blick genommen wurde, du¨rfte sich der Ausdruck ›Seele‹ als synthetisierender Oberbegriff zur Verklammerung der verschiedensten, teilweise sogar gegenlufigen basal-lebenserhaltenden, emotionalen, voluntativen und kognitiven Vermo¨gen und Vollzu¨ge254 angeboten haben. Betrachtet man auch den Begriff ›Seele‹ als Ausdruck zur Markierung eines zunchst unzusammenhngend erscheinenden ›Totalhorizonts‹, dann hat man im Umgang mit ihm mit eben jenen Problemen zu rechnen, auf die Blumenberg in Verbindung mit den Begriffen ›Welt‹, ›Leben‹, ›Geschichte‹ und ›Selbst‹ hingewiesen hat: Auch die Bezeichnung ›Seele‹ ist dann von der oben erwhnten Gefahr der »se251

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Diesen Ausdruck gebraucht Ulrike Zeuch im Zusammenhang mit der Seelenlehre Karl Philipp Moritz, vgl. Zeuch, 1999, S. 105. Der »synthetisierenden Wirkung unseres Selbsts«, das die Einzelbestandteile der »multiplexen« Seelenstruktur »zu einer Ganzheit vereinen« ko¨nne, schenkt etwa Mergenthaler, 2008, S. 13, besondere Aufmerksamkeit. Zur »zusammenfassenden« Funktion des Seelenbegriffs, zu seiner Aufgabe, die »Mannigfaltigkeit« des Psychischen zusammenzuhalten, vgl. auch Sonntag, 1988, S. 22–23 (dort allerdings in Bezug auf die Psychologie des 19. und 20. Jahrhunderts). Wie stark der Eindruck einer psychischen Mannigfaltigkeit schon in der antiken Reflexion u¨ber den Menschen ist, zeigt sich etwa an Aristoteles Behauptung, dass es »quasi unendlich oder zumindest ›sehr viele‹ Seelenteile« gebe (Busche, 2001, S. 18, mit Bezug auf Aristoteles, 1995, S. 186–189 (»De anima« III,9 432a)).

49 mantischen Leere« bedroht.255 Auch sie lsst sich u¨ber abstrakt-summarische Definitionen (analog etwa zur Bestimmung der Welt als »series rerum«)256 nur unbefriedigend erfassen, so dass zur Veranschaulichung und zur wirklich befriedigenden Synthese der mit dem Seelenbegriff bezeichneten inneren Mannigfaltigkeit letztlich nur der Weg in ¨ berlegung aus dem die absolute Metapher bleibt. In einer einzelnen U oben erwhnten Aufsatz Licht als Metapher der Wahrheit lsst sich der hier entwickelte Gedankengang schon bei Blumenberg selbst erahnen: In der Auseinandersetzung mit den verschiedenen antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Variationen der (absoluten) Lichtmetaphorik sieht der Metaphorologe die »philosophische ›Leistung‹ der illuminativen Vorstellungen« bei Bonaventura wesentlich darin, auf die »Einheit des Geistes jenseits der psychologischen Vielfalt seiner ›Vermo¨gen‹« hinzuweisen.257 Dass hier der Geist als seelenquivalent zu betrachten ist, wird schon durch die Rede von der »psychologischen Vielfalt« seiner Potenzen deutlich. Schon Blumenberg selbst sieht somit in den Seelenmetaphern offenbar absolute Metaphern, deren Aufgabe es ist, im Sprachbild zur anschaulichen Einheit258 werden zu lassen, was jenseits der Metapher – sei es in der Introspektion oder in anthropologischen Reflexionen – als nicht zu einende Mannigfaltigkeit erscheint. Mit den bisherigen, an Blumenbergs Metaphorologie orientierten Betrachtungen sind die semantischen Dimensionen bzw. pragmatischen Kontexte des abendlndischen Seelenbegriffs noch nicht vollstndig erfasst. So hufig dieser dazu eingesetzt werden mag, die in der Selbstbetrachtung oder in der anthropologischen Bestandsaufnahme der Seelenvermo¨gen konstatierte Mannigfaltigkeit des Psychischen notdu¨rftig zu vereinigen, so wenig bleibt doch der Radius seiner Anwendungsmo¨glichkeiten auf diese beiden Flle beschrnkt. Wenigstens eine (im Abendland sehr wirkungsmchtige) Variante des unmetaphorischen Redens von der ›Seele‹ ist im Zusammenhang mit den vorangehenden metaphorologischen Ausfu¨hrungen bislang noch vo¨llig ausgeblendet worden: jene nmlich, in welcher der Name ›Seele‹ einer – gewisserma255 256 257 258

Konersmann, 1998, S. 37. Blumenberg, 2001, S. 196. Blumenberg, 2001–2, S. 166 [Herv. d. H. B.]. Bei der Verwendung von Metaphern fu¨r begrifflich nicht angemessen beschreibbare Totalitten ist das Kriterium der Anschaulichkeit mit Sicherheit entscheidend. Dies darf indes nicht zu der Annahme verleiten, dass Blumenberg Unbegrifflichkeit und Metaphorizitt immer schon mit Anschaulichkeit gleichsetzte, vgl. dazu etwa Blumenberg, 2001, S. 199. Metaphern dienen, wie etwa an der Darstellung Felix Heidenreichs deutlich wird, zwar beim fru¨hen Blumenberg eindeutig der Veranschaulichung (vgl. Heidenreich, 2005, S. 95–96), doch hat die Anschaulichkeit der Metapher beim spten Blumenberg durchaus ihre Grenzen (vgl. ebd. S. 100–101).

50 ßen auf dem ›Reißbrett‹ der Metaphysik entworfenen – immateriellen, nicht-ausgedehnten, inkorruptiblen, unsterblichen und unteilbaren Substanz zugesprochen wird. In dieser Gebrauchsvariante wird der im Singular verwendete Ausdruck ›Seele‹ nicht zur notdu¨rftig einheitsstiftenden Klammer um ein plurales Signifikat. Hier entspricht vielmehr der Numerus des verwendeten Signifikanten der Beschaffenheit des durch ihn Bezeichneten. Hier stellt das Seelische bereits a priori jene Einheit dar, die sich dort, wo im Rahmen von Introspektionen oder detaillierten anthropologischen Entwu¨rfen von der ›Seele‹ gehandelt wird, erst in einem zweiten (metaphorischen) Schritt mu¨hsam aus der Mannigfaltigkeit konstituieren muss. Das Seelische tritt also auch in nicht-metaphorischen Diskursformen keineswegs nur plural-unzusammenhngend (nmlich als Summe verschiedenster Vermo¨gen, Leistungen, Krfte, innerer Wahrnehmungen) in Erscheinung, sondern kann sich – in anderen Kontexten – auch als (metaphysische) Einheit prsentieren. Dies scheint auf den ersten Blick die oben angefu¨hrten ¨ berlegungen zur Unersetzlichkeit der Metapher bei der SynthetisieU rung seelischer Pluralitt massiv in Frage zu stellen. Wenn bereits jenseits aller Sprachbilder, wenn schon in der abstrakten Begrifflichkeit eines metaphysischen Systems ein Konzept seelischer Einheit existiert, wozu bedarf es dann u¨berhaupt noch der Metapher, um eine als ›Seele‹ bezeichnete Vielheit zur Einheit zu bringen? Mu¨sste nicht, um die entweder in der Introspektion erfahrene oder in anthropologischen Betrachtungen zu Tage tretende seelische Mannigfaltigkeit zur Synthese ¨ berblendung mit dem Seelenkonzept der Mezu fu¨hren, bereits ihre U taphysik ausreichen? Bei genauem Hinsehen ist die zuletzt angefu¨hrte Frage klar zu verneinen. Zwar kommt es in den historischen Seelendiskursen wirklich immer wieder und nahezu selbstverstndlich zur Identifikation der einheitlichen und unteilbaren spirituell-psychischen Substanz der abendlndischen Metaphysik mit jener unu¨bersichtlichen innermenschlichen Pluralitt, von der detaillierte anthropologische Darstellungen oder Introspektionen zeugen – und dies ist, da ja beide als ›Seele‹ apostrophiert werden, alles andere als verwunderlich. Aber gerade auf diesem ¨ berblendung kann man mitnichten zur befriedigenden, den Weg der U metaphorischen Einigungsprozess ersetzenden Synthese der seelischen Mannigfaltigkeit gelangen. Zwischen ›Seele‹ und ›Seele‹ klafft auf der rein begrifflichen Ebene letztlich die Distanz von Homonymen, die noch dazu nicht bloß Unterschiedliches, sondern in wenigstens einer zentralen Eigenschaft sogar polar Entgegengesetztes (das Plurale und das Unteilbar-Eine) bezeichnen. Ihre Gleichsetzung verleiht der psychischen Mannigfaltigkeit nicht die gewu¨nschte Einheit. Sie fu¨hrt, da

51 in der gleichzeitigen Prdikation seelischer Einheit und seelischer Pluralitt der Satz vom Widerspruch missachtet wird, in ein logisches Di¨ berwindung sich besonders die mittelalterliche lemma, um dessen U Scholastik und die fru¨hneuzeitliche Schulphilosophie immer wieder in schier endlos fortgesponnenen Diskussionen bemu¨hen (vgl. Kapitel 2). ¨ berlegungen machen nicht nur deutlich, Die zuletzt angefu¨hrten U dass die Leistung der Seelenmetaphorik, die Pluralitt der psychischen Vermo¨gen, Wahrnehmungen und Empfindungen nicht bloß in den grammatischen Singular zu verwandeln, sondern auf anschauliche Weise zu vereinigen, auch weiterhin unverzichtbar bleibt. Daru¨ber hinaus lsst sich gerade aus den hier dargestellten Problemen eines bipolaren Seelenbegriffs die Erkenntnis ableiten, dass die Seelenmetaphorik auch noch eine zweite, komplexere Syntheseleistung erbringen muss: Das Problem, dass auf der rational-begrifflichen Ebene die Seeleneinheit und die Seelenpluralitt nicht kognitiv zusammengebracht werden ko¨nnen, ohne dabei u¨ber die Gesetze der Logik (den Satz vom Widerspruch) hinwegzusehen, ist vor allem deswegen so gravierend, weil keine der beiden Sichtweisen auf die Seele im christlich-abendlndischen Denken aufgegeben werden kann. Wir sind hier, metaphorologisch gesprochen, mit einer jener Fragen konfrontiert, die sich in der Begrifflichkeit nicht beantworten, gleichzeitig jedoch auch nicht eliminieren lassen und daher auf eine unbegriffliche, eine metaphorische Antwort drngen: Wie kann die Seele als Einheit gedacht werden, ohne dass man dabei zugleich den zweiten Pol des Seelenbegriffs, den der Vielheit, aus den Augen verliert? Soll die Seelenmetaphorik hier eine unbegriffliche Antwort geben, so reicht es nicht aus, wenn sie die introspektiv wahrgenommene oder reflexiv erkannte Mannigfaltigkeit des Psychischen zur anschaulichen Einheit werden lsst. Die in diesem Fall geforderte Syntheseleistung der Metapher liegt vielmehr darin, die aus der einen Perspektive konstatierte Vielheit und die vom anderen Pol des Seelenbegriffs her postulierte Einheit des Seelischen auf einer jenseits der Logik und ihrer Gesetze liegenden Denk- und Sprachebene zu verschmelzen. Sie muss sie gewissermaßen zu einer – außermetaphorisch unmo¨glichen – »Viel-Einheit«259, zu einem einfach-mannigfaltigen Zwitterwesen werden lassen. Bei oberflchlicher Betrachtung mag man den Eindruck eines Widerspruchs zwischen den beiden bisher erwhnten Syntheseleistungen der Metapher gewinnen: Whrend die zuletzt behandelte metaphorische Synthese zur Viel-Einheit des Seelischen fu¨hrt, wird man dort, 259

Zu diesem Begriff vgl. auch den Abschnitt Discors concordia und concordia discors: die universale Einbindung von Differenz und Vielheit in die Identitt des Kosmos in Leinkauf, 1993, S. 75–83.

52 wo die Mannigfaltigkeit eines ›Totalhorizonts‹ durch ein Sprachbild zu einer anschaulichen Einheit gebracht werden soll, zunchst vom Streben nach einer vollstndigen Beseitigung aller Spuren seelischer Pluralitt, nach einer vollstndigen Verschmelzung des Vielfltigen ausgehen. Das Endprodukt einer solchen Synthese wre dann keine VielEinheit, sondern eine absolute Einheit des Seelischen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich indes, dass sich genau diese Vorstellung kaum mit den Rahmenvorgaben von Blumenbergs Metaphorologie vereinbaren ließe. Wu¨rde in synthetischer Absicht eine introspektiv erfahrene oder reflexiv entwickelte Mannigfaltigkeit des Psychischen tatschlich durch solche Metaphern verbildlicht, in denen die Seele als absolute Einheit erschiene, so wre die Relation zwischen dem Bildspender und dem Bildempfnger in wenigstens einer Hinsicht klar antithetisch. Anders ¨ berblendung seelischer Einheit als die oben untersuchte unbildliche U und seelischer Pluralitt fu¨hrte die Verbildlichung des Mannigfaltigen durch das Einig-Einfltige260 zwar nicht notwendig in ein logisches Dilemma. Eine Reprsentationsbeziehung stellt kein Identifikationsverhltnis dar und fllt deshalb nicht unter den Satz vom Widerspruch.261 Trotzdem ist, will man im metaphorologischen System Blumenbergs verbleiben, die Annahme einer Bildspender-BildempfngerAntithese in der Seelenmetaphorik hochgradig problematisch. Nicht aus logischen, aber zumindest aus terminologischen Gru¨nden erschiene sie fragwu¨rdig, stu¨nde sie doch in krassem Widerspruch zu Blumenbergs Metaphernverstndnis. Ein derartig grundlegender Gegensatz zwischen Bildspender und Bildempfnger du¨rfte in den sprachlichen Seelenbildern letztlich nur dann angenommen werden, wenn man sie von vornherein nicht als absolute ›Metaphern‹, sondern nur als ›Symbole‹ bezeichnen und betrachten wollte. Nur das Symbol nmlich bildet nach Blumenbergs bereits oben angefu¨hrter Definition »das Andere durch das ganz Andere« ab,262 nur das Symbol ist als vollstndig »arbitrre[s]« Zeichen263 gnzlich »ohnmchtig, etwas u¨ber seinen Referenzgegenstand auszusagen«,264 und kann damit theoretisch auch et260

261

262 263

264

Auf die »quantitativ bestimmte Variante« des Begriffs der ›Einfalt‹ weist beson¨ ber das ›Einfeltige‹ in ders deutlich Wilfried Barner in seinen Ausfu¨hrungen U Jacob Bo¨hmes Aurora hin (Barner, 1995, S. 446). ¨ berlegungen Vgl. in diesem Zusammenhang auch die sehr aufschlussreichen U Ju¨rg Haefligers zur Aufhebung der logischen Grundgesetze innerhalb der Metaphorik (Haefliger, 1996, S. 93–102). Blumenberg, 2000, S. 74. Schumann, 1995, S. 408; hnlich auch Rudolph, 2000, S. 86–87 (Enno Rudolph schließt an seine Ausfu¨hrungen zum Symbolbegriff Blumenbergs eine Kritik desselben an, vgl. ebd. S. 87–88). Blumenberg, 2001, S. 206.

53 was ihm gerade Entgegengesetztes reprsentieren. Eine Metapher dagegen erscheint zumindest demjenigen, der sie verwendet, in irgendeiner Form als »aufschlußreich«265 fu¨r den Bildempfnger: Sie erfordert »notwendigerweise einen assoziativen Bezug zum explicandum«,266 ja sie fungiert, wie sich aus Blumenbergs Paradigmen-Schrift ergibt, gewissermaßen als ein (kognitives) ›Modell‹ des von ihr Dargestellten.267 In der Metapher kann daher der Bildspender in seinen Eigenschaften schwerlich in vollstndigem Kontrast zu jenen Charakteristika stehen, die dem Bildempfnger als wesentlich zugeschrieben werden. ¨ berlegungen lsst sich folgern, dass Aus den zuletzt angefu¨hrten U auch die erste oben erwhnte Syntheseleistung der Seelenmetaphorik nicht auf die Herstellung einer vollstndigen innermetaphorischen Seeleneinheit zielen kann. Wenn eine absolute Seelenmetapher auf der Grundlage der Metaphorologie Blumenbergs ein anschauliches kognitives ›Modell‹ eines wesentlich als plural erfahrenen Seelischen darstellen soll, muss sie, bei allen Synthetisierungsbestrebungen, zugleich auch dessen Mannigfaltigkeit mit verbildlichen. Die erste Syntheseleistung der Seelenmetapher erfordert daher, streng genommen, ebenfalls die Darstellung des Seelischen als Viel-Einheit. In den vorangehenden abstrakten Ausfu¨hrungen wurden das in Abschnitt 1.1 an erster Stelle skizzierte logische Dilemma sowie seine unbegriffliche Lo¨sung – die viel-einheitliche Verbildlichung des Seelischen in der Metapher – Schritt fu¨r Schritt aus Blumenbergs Metaphorologie deduziert. Dass literarische Seelenbilder tatschlich eine Viel-Einheit des Psychischen entwerfen und auf welch vielfltige Weise dies geschieht, wird bei der Untersuchung konkreter Seelenmetaphern im Hauptteil der vorliegenden Studie zu zeigen sein. Dabei gilt es unter anderem zu beachten, dass nicht in allen viel-einheitlichen Seelenbildern das Seelische notwendig gleich weit von der Pluralitt wie von der Einheit entfernt zu sein hat und dass die Vereinigung des Gegenstzlichen nicht zwangslufig auch mit seiner Harmonisierung gleichgesetzt werden muss: Statt einer metaphorischen ›Verso¨hnung‹ des logisch-begrifflich Unverso¨hnlichen kann sich in der viel-einheitlichen Seelenmetapher prinzipiell auch eine Verschrfung der Gegenstze ergeben. Sucht man nach einer einprgsam-anschaulichen Bezeichnung fu¨r die zuletzt skizzierte Konstellation eines nicht entschrften Widerspruchs zwischen seelischer Einheit und seelischer Pluralitt, so wird ¨ berman sie, ein weiteres Mal, in Blumenbergs metaphorologischen U 265 266 267

Blumenberg, 2000, S. 74. Mu¨ller, 2005, S. 238. Zum Modellcharakter der Metapher vgl. Blumenberg, 1960, S. 10, S. 13.

54 legungen, nmlich in seinem Begriff der »Sprengmetaphorik«268 finden. Immer wieder geht der Philosoph in seinen metapherntheoretischen Betrachtungen auf diesen Sonderfall der Sprachbildlichkeit ein, den er vor allem an der Kreismetaphorik des Nikolaus von Cues exemplifiziert. In einer Sprengmetapher wird nach Ansicht Blumenbergs »eine Intentionalitt u¨berdehnt, um ihre Vergeblichkeit in ihr selbst aus¨ bergriffs zu zusprechen, im Vorgriff zugleich die Zuru¨cknahme des U 269 vollziehen.« Vor dem Hintergrund dieser Definition wird in den folgenden Untersuchungen der Begriff der ›Sprengmetapher‹ dort Verwendung finden, wo in Seelenmetaphern die vormetaphorisch undenkbare Vereinigung der Gegenstze Vielheit und Einheit nicht auf befriedigende Weise gelingt, sondern gewissermaßen zum zweiten Mal scheitert.

1.4.2 Ein ›Raumproblem‹ und seine Lo¨sung – Inhaltliche Beschrnkung des Metaphernkorpus In den bisherigen Ausfu¨hrungen ist durch die wiederholte Identifikation von Metapher und Sprachbild implizit ein weiter Metaphernbegriff verwendet worden, den man als nahezu deckungsgleich mit dem oben dargestellten, gleichfalls weitgefassten Metaphernbegriff Blumenbergs betrachten kann. Auch im Folgenden soll auf eine Verengung des nachfolgend zu untersuchenden Metaphernkorpus durch ausfu¨hrliche rhetorische oder linguistische Abgrenzungen und Definitionen des Ausdrucks ›Metapher‹ verzichtet werden. Als ›Seelenmetaphern‹ sollen auch im Folgenden alle jene sprachlichen Bilder verstanden werden, die zur selbst »bildlos[en]« Seele270 einen klaren Bezug aufweisen. Mit Letzterem ist dabei keineswegs nur ein direktes Reprsentationsverhltnis gemeint. Vielmehr soll allen Sprachbildern, aus denen sich innerhalb ihres literarischen Kontextes Hinweise auf die Beschaffenheit des Psychischen gewinnen lassen, ein ›Seelenbezug‹ zugesprochen werden, so dass sie als ›Seelenmetaphern‹ bzw. ›Seelenbilder‹ eingestuft werden ko¨nnen. Das auf der Basis einer solchen Definition sich ergebende Metaphernkorpus ist so weit und vielfltig, dass es fu¨r konkrete Forschungen dringend weiter eingegrenzt werden muss. Seine wichtigste inhalt268 269 270

Blumenberg, 2001, S. 200 u. o¨. Ebd. S. 200. Belting, 2001, S. 192 (an dieser Stelle handelt Hans Belting von der Bildlosigkeit zumindest der unverko¨rperten Seele); vgl. auch Furger, 1997, S. 172; Chapeaurouge, 1991, S. 104.

55 liche Beschrnkung in der vorliegenden Studie stellt die Konzentration auf Seelenraummetaphern dar. Auch wenn von ihnen bereits wiederholt die Rede war, steht eine genauere Bestimmung dieses Begriffs noch aus. Soweit diese ohne die Betrachtung einzelner Text- bzw. Metaphernbeispiele mo¨glich ist, soll sie hier nachgeholt werden. Vollstndig zum Abschluss gebracht werden ko¨nnen die Erluterungen zum Begriff der Seelenraummetapher allerdings erst am Beginn des Hauptteils im Zusammenhang mit ersten konkreten Interpretationen (vgl. Abschnitt 3.1). Unter ›Seelenraummetaphern‹ sollen in der vorliegenden Untersuchung zunchst alle jene Bilder (und deren unmittelbare Kontexte) verstanden werden, in denen der Aspekt des Rumlichen eine entscheidende Rolle bei der Charakterisierung des Seelischen spielt, in denen man eine Entsprechung und/oder ein Zusammenspiel seelischer und rumlicher Strukturen nachweisen kann. Dies bedeutet selbstverstndlich nicht, dass alle diejenigen Typen von Vergleichen, Allegorien und Metaphern im engeren Sinne beru¨cksichtigt werden sollen, in denen Beziehungen oder Parallelen zwischen dem Seelischen und einem wie auch immer gearteten, etwa menschlichen, tierischen, pflanzlichen, mineralischen oder artifiziell hergestellten dreidimensionalen Gebilde entfaltet werden: Schon deshalb, weil die u¨berwltigende Mehrheit aller sprachlichen Seelenbilder u¨ber einen dreidimensionalen Bildspender verfu¨gt, ko¨nnte in diesem Falle kaum von einer sinnvollen ›Beschrnkung‹ auf eine bestimmte Metapherngruppe gesprochen werden. Weit¨ berlegungen beigehend zu vernachlssigen sind in den folgenden U spielsweise jene (ußerst zahlreichen) Metaphern, in denen die Seele durch ein menschliches oder tierisches Lebewesen271 reprsentiert wird, in denen also – paradoxerweise272 – das »Andere des Ko¨rpers«273 als ein psychophysisches Konglomerat verbildlicht ist.274 Zwar besitzen als 271

272

273 274

Reprsentationen der Seele in Menschen- und Tiergestalt sind nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Bildenden Kunst sehr hufig, vgl. dazu die zahlreichen Beispiele in Furger, 1997. Zum literarisch-bildku¨nstlerischen Motivkomplex der als Mensch imaginierten ›armen Seele‹ der Verstorbenen, der sich von der Vorstellung eines ›inneren Menschen‹ herleitet, vgl. an mittelalterlichen Beispielen etwa Prior, 2006, S. 293–294; allein fu¨r die Bildkunst auch Chapeaurouge, 1991. Dem Paradox einer Reprsentation der unko¨rperlichen Seele durch ein Wesen, das seinerseits u¨ber einen Ko¨rper verfu¨gt, schenkt etwa Fernando Vidal in seinen ¨ berlegungen zur emblematischen Darstellung der Seele als Frauengestalt beU sondere Aufmerksamkeit (vgl. Vidal, 2006, S. 384–394, bes. S. 387–388). Vgl. den bereits oben (Abschnitt 1.3.1) zitierten Tagungstitel. Zumindest in der Bildenden Kunst bedeutet die Verbildlichung der Seele als Tier oder Mensch, dass sie in Gestalt »ein[es] zweite[n] Ko¨rper[s], ein[es] Zweitko¨rper[s], den der erste Ko¨rper mit sich trgt«, erscheint (Dinzelbacher/Sprandel, 1993, S. 168). Als Zweitko¨rper tritt die Seele nach Ansicht Peter Dinzelbachers und Rolf Sprandels vor allem in der mittelalterlichen Malerei auf, in welcher sie

56 Bildspender herangezogene Tiere oder Menschen durch ihre Ko¨rper a priori eine gewisse Ausdehnung, d. h. sie sind selbst rumlich und im Raum zu verorten. Explizit thematisiert und damit eindeutig reflektiert wird Rumlichkeit in der Mehrzahl jener literarischen Texte, in welchen die Seele als Tier oder als Mensch erscheint, allerdings nicht. Zumeist stehen vo¨llig andere Eigenschaften des Bildspenders im Mittelpunkt. Und dies nicht ohne Grund: Der Versuch, die abstrakte Seele in der Metaphorik wesentlich u¨ber die rumlichen Strukturen eines Menschen- oder Tierko¨rpers zu einer nachvollziehbar-anschaulichen Gro¨ße werden zu lassen, mu¨sste letztlich schon daran scheitern, dass der lebendig-beseelte Leib eines Tiers oder eines Menschen einen abgeschlossenen, dem analytischen Blick in sein Inneres nicht zugnglichen Raum darstellt. Statt die Charakterisierung des fu¨r die nachfolgende Untersuchung in Frage kommenden Metaphernkorpus hier weiter mu¨hsam ex negativo, d. h. durch den Ausschluss bestimmter Metapherngruppen, vorzunehmen, erscheint es sinnvoll, die im Hauptteil zu behandelnde Großgruppe literarischer Seelenmetaphern positiv zu bestimmen: In den konkreten Metaphernanalysen soll der Fokus auf jenen im Zusammenhang mit der Seele angefu¨hrten Metaphern liegen, in denen eine oder mehrere rumliche Dimension(en), vernderliche bzw. unvernderliche Raumgrenzen oder die Gegenstze von Innen- und Außenrumen eine besondere Rolle spielen. Insbesondere werden jene Metaphern zu betrachten sein, welche mehr oder minder deutlich die Vorstellung leerer oder mit bestimmten Inhalten gefu¨llter Behltnisse, Gebude, Territorien etc. evozieren, ko¨nnen doch gerade die zuletzt genannten Gebilde in einem emphatischen Sinne als ›rumlich‹ bezeichnet werden. Gerade bei der Untersuchung der Seelenmetaphorik im Hinblick auf eine Viel-Einheit des Psychischen erscheint die Konzentration auf solche sprachlichen Bilder, in denen der Leser in dieser Form etwas u¨ber die Rumlichkeit bzw. u¨ber die Raumbezu¨ge der Seele erfhrt, als ußerst vorteilhaft. Je deutlicher in einem sprachlichen Seelenbild rumliche Binnenstrukturen erkennbar werden, je klarer sich Grenzen zwischen Innen und Außen abzeichnen, umso leichter wird fu¨r den Leser die Suche nach den Indizien fu¨r die seelische Vielheit bzw. Einheit. Die Entstehung der Seelenraummetapher im Speziellen lsst sich im Ausgang von Blumenbergs Metapherntheorie ganz hnlich erklren wie die Entstehung der Seelenmetapher im Allgemeinen. Kann man hufig als »nackte[r] kleine[r] Mensch« dargestellt werde. Fu¨r die Fru¨he Neuzeit ¨ bergang von einer ko¨rperhaften Seelevorstelsehen die beiden Autoren den »U lung [sic!] zu einer Geist-Seele« als weitgehend vollzogen an.

57 Letztere metaphorologisch als Antwort auf die Frage verstehen, wie sich die Vielheit und die Einheit des Seelischen zusammendenken lassen, so lsst sich analog dazu das Zustandekommen rumlicher Seelenmetaphern im Speziellen zustzlich auf eine zweite, in der Begrifflichkeit nicht zu beantwortende und deshalb metapherninduzierende Frage zuru¨ckfu¨hren. Zumindest in der christlichen Dogmatik wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Seele unko¨rperlich sei und sich weder lokalisieren noch messen lasse.275 Damit erscheint sie als eine eindeutig unrumliche Gro¨ße. Andererseits ist sie im Zustand ihrer Verko¨rperung an einen bestimmten Ort im Raum gebunden und dadurch in gewisser Weise auch selbst verrumlicht (vgl. auch Kapitel 2). In die Form einer nur metaphorisch beantwortbaren Frage gebracht lautet dieses bereits in Abschnitt 1.1 skizzierte Dilemma: Wie lassen sich Seele und Raum zusammen-, wie lsst sich die (verko¨rperte) Seele in den Raum hineindenken, ohne dass ihr dabei die Unrumlichkeit, die ihr wesensmßig zukommt, ganz abgesprochen werden muss?276 Auch diese zweite metapherngenerierende Frage wird im Hauptteil der Untersuchung (vgl. Kapitel 3) zumindest indirekt, d. h. in ihren mo¨glichen Auswirkungen auf die konkrete Metapherngestaltung, immer mit im Auge zu behalten sein. Begreift man metaphorische Seelenrume als die Antwort auf die Frage, wie sich die Rumlichkeit und die Unrumlichkeit des Seelischen kognitiv zusammenbringen lassen, dann darf man nicht davon ausgehen, dass es sich bei ihnen um ganz gewo¨hnliche, allen Gesetzen des ›ußeren‹ Raums gehorchende dreidimensionale Gebilde handelte, die ihren festen Platz im Koordinatensystem des Gesamtraums inne htten. Vielmehr hat man gerade bei der Untersuchung literarischer Seelenraummetaphern zu gewrtigen, dass die in ›poetischer Freiheit‹ entworfenen Seelengebilde in einem besonderen Raum stehen bzw. einen besonderen Raum bilden ko¨nnen. Es ist damit zu rechnen, dass sich der Seelenraum vom Raum der materiellen Gegenstnde – d. h. vom Raum auch des Leibes – unterscheidet, dass er seine eigenen Gesetze und daru¨ber hinaus auch seinen eigenen Ort hat. Dass sich ein Seelenraum an einer bestimmten Stelle der Immanenz verorten lsst, du¨rfte wohl eher die Ausnahme als die Regel sein. 275

276

Vgl. dazu etwa den Eintrag Anima in Altenstaig/Tytz, 1619/1974, S. 50–53, hier S. 50: Darin wird die Seele aufgrund von Aussagen Augustins als »substantia incorporea, […] illocabilis, nec quantitatis mensuræ, nec qualitatis formæ susceptibilis« bezeichnet. Auch Jutta Mu¨ller-Tamm stuft das ›Raum-Problem‹ der Seele in gewisser Weise als metapherninduzierend ein, wenn sie einen »ideengeschichtlichen Zusammenhang« zwischen »den Bestrebungen, die Seele im Ko¨rper zu lokalisieren«, und der »Raummetaphorik des Bewußtseins« annimmt (Mu¨ller-Tamm, 2000, S. 100).

58 1.4.3 Barocke Verse – Epochale, gattungs- und autorbezogene Eingrenzungen des Textkorpus Mit den vorangehenden Erluterungen zur theoretischen und inhaltlichen Eingrenzung des Metaphernkorpus ist noch nicht ausreichend erklrt, warum sich die vorliegende Studie auf die Seelenmetaphorik des (mit Dirk Niefanger etwa auf die Zeit zwischen 1620 und 1720 datierten)277 Barock konzentriert. Die Suche nach mo¨glichen viel-einheitlichen Seelenraummetaphern ko¨nnte prinzipiell in allen literarischen Epochen unternommen werden, in denen rumliche Seelenbilder vorkommen und in denen außerhalb der Metaphorik das anthropologisch-logische Dilemma gleichzeitig postulierter Vielheit und Einheit des Seelischen nachzuweisen ist. Beide Voraussetzungen aber sind – wenn auch in stark wechselnden Gestalten – grundstzlich fu¨r alle Zeitrume von der Antike bis in die Gegenwart erfu¨llt. ¨ bAuch daraus, dass im Folgenden – wie schon in den bisherigen U erlegungen – die Vorstellung psychischer Einheit wesentlich mit dem Seelenkonzept der christlichen Metaphysik assoziiert werden soll, kann man allenfalls eine partielle zeitliche Einschrnkung des Textkorpus ableiten: Unter diesen Umstnden lsst sich die Durchsetzung des Christentums im Abendland als provisorischer terminus post quem festlegen. Wenn man beachtet, dass sich die vorliegende Studie als germanistische Untersuchung versteht, so ist der unhintergehbare terminus post quem noch etwas spter, nmlich erst mit jener Zeit anzusetzen, aus der in ausreichendem Umfang deutschsprachige literarische Quellen u¨berliefert sind. Als plausibler terminus ante quem ließe sich die im 18. Jahrhundert beginnende Skularisierung des Menschenbildes benennen, die zunehmend auch in die Dichtung Einzug hlt und die christliche Fundierung einzelner Seelenmetaphern zunehmend in Frage stellt. Fokussiert nun die vorliegende Studie innerhalb dieser weiten, vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert reichenden Zeitspanne exemplarisch das Barock, so hat dies mehrere bisher noch ungenannte Gru¨nde. Als sinnvoll ist eine Konzentration auf barocke Seelenmetaphern zunchst schon deswegen zu erachten, weil sich in dieser letzten Epoche des ›alten‹ Seelenglaubens, die nach Gottfried Willems zugleich die letzte Epoche einer Verpflichtung des Dichters gegenu¨ber der »Wahrheit des […] theologischen Dogmas« darstellt,278 gleichsam die Summe der Seelenbildlichkeit auch der vorangehenden Jahrhunderte finden lassen

277 278

Vgl. Niefanger, 2000, S. 14–16, bes. S. 16. Willems, 1989, S. 235.

59 du¨rfte.279 Anzunehmen ist dies vor allem aufgrund der barocken Tendenz zur »Imitatio nachahmungswu¨rdiger Werke« der Vergangenheit. Die letztgenannte Neigung erscheint – zusammen mit der gleichzeitig vorhandenen Bereitschaft zur produktiven Nachahmung auch zeitgeno¨ssischer literarischer Texte280 – der Entscheidung fu¨r eine exemplarische Untersuchung barocker Seelenmetaphern auch noch in einer wei¨ bernahmen und gemeinteren Hinsicht gu¨nstig: Die gegenseitigen U samen Quellen (heidnisch-antike Autoren, Kirchenvter, Bibel und allegorische Wo¨rterbu¨cher, Impresen- und Emblemsammlungen usw.)281 fu¨hren zur stndigen Wiederaufnahme und produktiven Variation von Seelenbildern bei verschiedenen Barockautoren. Dies erleichtert es fu¨r das Seelenmetaphernkorpus dieser Epoche, die metaphorologischen Einzelbetrachtungen werk- und autorenu¨bergreifend miteinander zu verknu¨pfen. Bis zu einem gewissen Grad mag dieses hier fu¨r die Beschrnkung auf das Barock angefu¨hrte Argument fu¨r die meisten vor der Zsur der Aufklrung liegenden Epochen geltend zu machen sein. ¨ berbietung bemu¨hte imitatio im ›langen Doch wird die zugleich um U 17. Jahrhundert‹ durch das Bestehen von Sprachgesellschaften, die Rhetorisierung der Dichtkunst, die gesteigerte Nutzung der noch relativ jungen medialen Mo¨glichkeiten (Druck)282 und durch andere Faktoren geradezu auf die Spitze getrieben. Daneben lsst sich die Wahl dieser Epoche mit der immensen Bedeutung begru¨nden, die das Barock den Sprachbildern und besonders der Metapher im engeren Sinn zuschreibt. Schon Manfred Windfuhr zeichnet in seiner Habilitationsschrift von 1966 ausfu¨hrlich nach, wie sich im 17. Jahrhundert – und hier ganz besonders bei Georg Philipp Harsdo¨rffer – die rhetorischen Figuren und Tropen zu einem »Zentralthema«283 der Barockrhetorik bzw. -poetik entwickeln und welche besondere Bedeutung unter ihnen der Metapher zugestanden wird: 279

280 281

282

283

Die »seelengeschichtlich[e]« (Gndinger, 1973, S. 116) und metaphorische Kontinuitt barocker Lyrik zeigt, am Beispiel eines Gedichts von Scheffler, etwa Louise Gndinger, vgl. ebd. bes. S. 116, S. 118. Meid, 1986, S. 29, zur Praxis der imitatio insgesamt auch ebd. S. 26–30. Zur Bedeutung der Patristik fu¨r die Barockrhetorik vgl. etwa Dyck, 1969, S. 152. Zur Bibel und ihrer Bedeutung fu¨r das Barock als Tropen- und damit auch als Metaphernspender vgl. – fu¨r den englischsprachigen Protestantismus – Lewalski, 1979, S. 72–110; mit der »Bibelrhetorik« im deutschsprachigen Raum setzt sich Joachim Dyck auseinander, vgl. Dyck, 1969, S. 158–173. Die Einflu¨sse der Emblem- und Impresensammlungen werden etwa von Dietrich Walter Jo¨ns behandelt, vgl. Jo¨ns, 1966, bes. S. 60–74. Zahlreiche Quellen barocker Allegorien benennt etwa Peter-Andre´ Alt, vgl. Alt, 1995, S. 38–41 u.o¨. Vgl. allgemein zur Zunahme an Buchpublikationen im 17. Jahrhundert etwa Czersowsky, 1999, S. 177. Windfuhr, 1966, S. 12.

60 Von den drei Stilqualitten bevorzugt die barocke Theorie eindeutig den ornatus. Deutlichkeit und Angemessenheit werden in den Hintergrund gedrngt oder sogar ausdru¨cklich abgewertet. Alle Krfte richten sich auf die Ausschmu¨ckung der Rede. […] Innerhalb […] des ornatus werden wiederum bestimmte Schwerpunkte herausgearbeitet. Fu¨r Harsdo¨rffer sind das neben den Klangfiguren […] die Tropen. […] Unter den Tropen fu¨hrt mit weitem Abstand die Metapher an.284

hnlich vertritt Joachim Knape in seinen Ausfu¨hrungen zur deutschen Barockrhetorik im Historischen Wo¨rterbuch der Rhetorik die Auffassung, dass die »Sinnbildlehren, das metaphorische, das allegorische, das Bild- und Gleichnisdenken […] geradezu« als das »Signum der Epoche« zu betrachten seien, und weist auf die »Sonderstellung« der Metapher »in der barocken argutia-Bewegung« hin.285 Zum Nachweis der »hervorragende[n] Stelle«, welche die Metapher im Barock unter den Tropen einnimmt,286 wird in der literaturwissenschaftlichen Fru¨hneuzeitforschung neben Harsdo¨rffers Diktum vom »Gleichniss« (d. h. der Metapher)287 als »Ko¨nigin« unter den Tropen288 immer wieder August Buchners Forderung zitiert, »daß ein Poet sich zu forderst scho¨ner und guter Metaphoren befleissigen solle. Denn nichts die Rede herrlicher und auch lieblicher machet / als diese / wenn man nur recht mit ihnen u¨mbegehet […].«289 Aus der barocken Praxis ließe sich »die Ubiquitt metaphorischer Sprache«, d. h. »der Bilderreichtum selbst anspruchloser Texte«,290 als Nachweis fu¨r die Bedeutung der Metapher anfu¨hren. Angesichts aufflliger Metaphernhufungen in zahlreichen Texten der barocken Literatur spricht Windfuhr sogar von einem »Stilideal der totalen Verbildlichung«.291 Auch wenn die »Herrschaft« des »›barocke[n]‹ Bildstil[s]« schon im 17. Jahrhundert »nicht unangefochten« bleibt,292 verfu¨gt doch die Barockliteratur ohne Zweifel u¨ber einen besonders reichen Metaphernfundus, in dem – aufgrund der bereits 284 285

286 287

288 289

290 291

Ebd. S. 39. Knape, 1992, Sp. 1304; zur Metapher als »zentrale[r] Figur« des 17. Jahrhunderts vgl. – in Auseinandersetzung mit Emanuele Tesauro – auch Nell, 2003, S. 152. Meid, 1986, S. 42. Erscheint die Identifikation dieser Begriffe, wie sie etwa Windfuhr vornimmt (vgl. Windfuhr, 1966, S. 38), gerade an dieser Stelle ußerst gerechtfertigt – man betrachte dazu den vorangehenden Abschnitt der Ausfu¨hrungen Harsdo¨rffers (vgl. Harsdo¨rffer, 1653/1969, S. 56) –, so ist doch zu beachten, dass der Gleichnis-Begriff in der Barockrhetorik auch als ein Oberbegriff verstanden werden kann, unter den neben der Metapher auch andere rhetorische Figuren fallen, vgl. Dyck, 1969, S. 56. Harsdo¨rffer, 1653/1969, S. 56–57. Buchner, 1665/1966, S. 67. Fu¨r weitere Belegstellen in barocken Poetiken vgl. Hildebrandt-Gu¨nther, 1966, S. 95. Hillen, 1999, S. 343. Windfuhr, 1966, S. 39.

61 oben erwhnten Maßgeblichkeit des christlichen Welt- und Menschenbilds – die Seelenmetaphorik notwendig eine zentrale Stellung einnehmen muss. Als mo¨gliches Hindernis fu¨r die exemplarische Betrachtung gerade der barocken Seelenraummetaphorik in der vorliegenden Studie ko¨nnte angefu¨hrt werden, dass die Poetiken des 17. Jahrhunderts die Metaphern und die ihnen verwandten Formen der Bildlichkeit als ornatus verstehen. Damit nmlich weisen sie ihnen zunchst vor allem die Aufgaben zu, »die Dinge mo¨glichst lebhaft vor Augen zu stellen«, der Langeweile des Lesers vorzubeugen, dem Text »Glanz« zu verleihen, den Dichter bei der Aufgabe des docere, movere und delectare zu unterstu¨tzen293 und die »Wahrscheinlichkeit« und »Glaubwu¨rdigkeit« des von ihm Geschriebenen zu unterstreichen.294 Eine solche traditionell-rhetorische Funktionalisierung der Sprachbildlichkeit lsst die barocke Metapher bei oberflchlicher Betrachtung mit einer der theoretischen Grundannahmen der vorliegenden Untersuchung, nmlich der in ¨ bereinstimmung mit Blumenberg behaupteten kognitiv-epistemologiU schen Leistung des Sprachbilds, in Konflikt geraten. Bei genauerem Hinsehen erweist sich dieses Hindernis fu¨r die Epochenwahl allerdings als ein bloß vermeintliches: So wre zunchst darauf hinzuweisen, dass die von heutigen Literaturwissenschaftlern festgestellten Leistungen der barocken Metapher mitnichten vollstndig mit jenen Leistungen u¨bereinstimmen, sich keineswegs auf jene Funktionen beschrnken mu¨ssen, die ihr in den Poetiken ihrer Zeit zugeschrieben werden. Auch Sprachbilder einer Epoche, in der eine kognitiv-epistemologische Funktion der Metapher noch u¨berhaupt nicht in Erwgung gezogen wird, ko¨nnen aus der Sicht des 21. Jahrhunderts problemlos als Denkmodelle betrachtet werden. Zudem kann von einem vollstndigen Fehlen des Bewusstseins fu¨r die kognitiv-epistemologische Bedeutung sprachlicher Bilder im Barock gar nicht die Rede sein: Schon im 17. Jahrhundert295 wird, etwa in den Schriften Harsdo¨rffers, auch u¨ber eine »Erkenntnisfunktion«296 der Metapher nachgedacht. So heißt es beispielsweise im dritten Teil der Frauenzimmer Gesprchspiele (1643) Harsdo¨rffers von den ›Gleichnissen‹:

292

293 294 295

296

Meid, 1986, S. 42. Auch Windfuhr weist auf »gelegentliche Ruhepausen des Bildstils« hin (Windfuhr, 1966, S. 39). Dyck, 1969, S. 77–79. Ebd. S. 89. Schon bei Aristoteles hat die Metapher, wie etwa Danneberg ausfu¨hrt, »eine doppelte Funktion […]: als rhetorisches Stilmittel (Ornament) und als erkenntnisfo¨rderndes Mittel« (Danneberg, 2002, S. 339). Meid, 1986, S. 46; vgl. auch Fricke, 1967, S. 22.

62 Dahero haben sich so manche bunte Gleichnisse mit unserer Rede verbunden / und sich zu Dolmetschern unserer Vnwissenheit gemacht / daß wir das Vnbekante mit dem Namen seines Gleichen zu nennen pflegen; sie sind die Merk= und Denkzettul / welche alles leichter unsern Sinnen fu¨rtragen und einbilden; Sie sind die Ferneglser und hellscheinende Christall / vermittelst welcher wir alles eigentlicher ansehen; […] sie bringen den Verstndigen eine unfehlbare Gewißheit / und den Vnverstndigen geben sie Anlaß zu fernerer Erforschung.297

In der kognitiven Leistung der Metapher sieht Harsdo¨rffer auch den Grund fu¨r die lange Tradition der Metaphernverwendung: »[F]ast alle Vo¨lker« htten »jhre Klugheit und Wissenschaften in mancherley Gleichnißarten verborgen gehabt«, unter anderem auch deswegen, weil »hohe Sachen anderer gestalt nicht ko¨nnen verstanden und gefasset werden.«298 Im achten Teil der Gesprchspiele (1649) u¨bernimmt Harsdo¨rffer einen Gedanken aus den Considerazioni sopra larte dello stile e del dialogo (1646) des Pietro Pallavicino Sforza, wenn er schreibt: Das Gleichniß ist der Stab unsers blinden Verstands: Was wir nicht nennen ko¨nnen / beschreiben / und finden wir gleichsam / durch die Vereinparung mit dem / so es hnlich ist / und wird unser Sinn belustiget / wan[n] er durch solches Mittel fasset / was er sonsten nicht verstehen kan.299

Und schließlich heißt es auch in Harsdo¨rffers Poetischem Trichter (3. Teil, 1653), dass »die Gleichniß der Hebel oder die Hebstangen« sei, »welche durch Kunstfu¨gige Ein= und Anwendung aus dem Schlamm der Unwissenheit empor schwinget / was man sonder solche Geretschafft unbewegt muß erliegen lassen.«300 In den drei zuletzt angefu¨hrten Zitaten zeichnet sich bei einem einflussreichen Schriftsteller und Dichtungstheoretiker des Barock ein kognitiver bzw. epistemologischer Gehalt des Sprachbilds ab, der in gewisser Weise schon an Blumenbergs Konzept der absoluten Metapher erinnert: Es scheint Wissensbereiche zu geben, die nur in der bzw. nur u¨ber die Metapher erreichbar sind. Whrend Blumenberg jedoch nicht von der tatschlichen Wahrheit der Metapher ausgeht, sondern den absoluten Wahrheitsbegriff durch die Vorstellung einer epochengebundenen, pragmatischen »verite´ a` faire« ersetzt,301 versteht Harsdo¨rffer das Sprachbild (noch) als ein 297

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301

Harsdo¨rffer, Teil 3, 1643/1968, S. 357–358 (alte Paginierung) bzw. S. 377–378 (neu). Ebd. S. 359 (alte Paginierung) bzw. S. 379 (neu). Harsdo¨rffer, Teil 8, 1649/1968, S. 193 (alte Paginierung) bzw. S. 234 (neu). ¨ brigens schließt sich unmittelbar daran der HinHarsdo¨rffer, 1653/1969, S. 57. U weis auf gleichartige Anschauungen des Aristoteles an. Zu dieser Passage und anderen Textstellen Harsdo¨rffers, die sich mit der Metapher auseinandersetzen, vgl. auch Windfuhr, 1966, S. 31–33. Blumenberg, 1960, S. 20–21.

63 Werkzeug, das – einen Erkenntnisgegenstand aus dem »Schlamm der Unwissenheit« emporziehend – zur Vermehrung des ›wahren‹ Wissens beitrgt. Weniger optimistisch, jedoch gleichfalls von der Vorstellung einer kognitiven Leistung der Metapher bestimmt sind, folgt man ¨ berlegungen zum Windfuhrs Ausfu¨hrungen, auch Jacob Bo¨hmes U und sein praktischer Umgang mit dem Sprachbild: Dem Mystiker scheine der Einsatz von Metaphern »weit besser als die bloße Begriffssprache«.302 Gleichzeitig allerdings fu¨gt sich Bo¨hmes Umgang mit der Metaphorik, zumindest wenn man Windfuhrs Ausfu¨hrungen folgt, auch in Blumenbergs Vorstellung einer Sprengmetaphorik ein: Da Bo¨hme als »ho¨chste Ausdrucksform« nicht die Metapher, sondern jene »bildlose« Expression begreife, in der »Gesagtes und Gemeintes, Aussage und Wesen identisch« seien,303 bemu¨he er sich immer wieder darum, die Unzulnglichkeit der Metapher zu zeigen. Auf verschiedenen Wegen lasse er es zu einer »Selbstaufhebung der Bildsprache« kommen, so etwa durch »paradox-absurde« Bilder.304 Doch zuru¨ck zu den Vorzu¨gen der fu¨r die vorliegende Untersuchung getroffenen Epochenwahl: Fu¨r die Konzentration auf das Barock spricht neben dem barocken Interesse an der Metapher und neben dem poetischen und philosophisch-theologischen Traditionsbewusstsein dieser Epoche auch ihre besondere Vorliebe fu¨r den poeta doctus, der, folgt man einem von Wilfried Barner aufgestellten Eigenschaftskatalog, unter anderem wesentlich durch seine »Wissenschaftsorientiertheit« und sein »Verhaftetsein an Reflexion und Theorie« zu charakterisieren ist.305 Wird in der Dichtung des Barock die Weitergabe von Wissen als zentrales Projekt verstanden – »weite Bereiche der gelehrten Poesie des 17. Jahrhunderts« haben nach Ansicht Barners »die Aufgabe, positive Kenntnisse zu vermitteln«306 –, so empfehlen sich die literarischen Erzeugnisse dieser Zeit schon dadurch als Textfundament fu¨r eine Studie, die literarischen Seelenbildern einen eigenstndigen anthropologischen Aussagegehalt zuweist.

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Windfuhr, 1966, S. 25. Ebd. Ebd. S. 26–27. hnlich unterstellt Bernhard Sorg der Metaphorik der barocken Lyrik (bes. der Metaphorik geistlicher Gedichte) eine Tendenz zur »paradoxalen Totalitt«, die seiner Ansicht nach allerdings eng mit der religio¨sen Gewissheit einer »transzendenten Aufhebung aller irdischen Widerspru¨che« verbunden ist (Sorg, 1984, S. 44–47). Mit dem Phnomen eines »sprachlichen Versagen[s]«, das doch eine Annherung an das »Unsagbare« ermo¨glicht, befasst sich, am Beispiel Schefflers, auch Gndinger (Gndinger, 1973, S. 118) Barner, 1981, S. 728. Barner, 1970, S. 236, vgl. allgemein zum »gelehrte[n] Wissen« in der Dichtung ebd. S. 232–236.

64 Neben der fu¨r die vorliegende Studie getroffenen Epochenwahl ist auch die Begrenzung der folgenden Untersuchungen auf die Gattung ›Lyrik‹ in den vorangehenden beiden Abschnitten noch nicht erlutert und begru¨ndet worden. Dabei muss gerade vor dem Hintergrund der gewhlten Epoche die scheinbar so eindeutige Beschrnkung des Textkorpus auf Lyrik als keineswegs unproblematisch gelten, hat sich doch die Gattungsdreiteilung in ›Epik‹, ›Lyrik‹ und ›Dramatik‹ im deutschsprachigen Raum erst im 18. Jahrhundert herausgebildet (zum ersten Mal findet sie sich bei Alexander Gottlieb Baumgarten).307 Damit stellt die Verwendung der Gattungsbezeichnung ›Lyrik‹ im Umgang mit barocken Gedichten deutscher Zunge streng genommen einen Anachronismus dar. Dass der hier fu¨r die Gattungseingrenzung verwendete Gattungsbegriff in den Poetiken des Barock so noch nicht nachgewiesen werden kann, ist vor allem deswegen bedenklich, weil die aus spteren Jahrhunderten zur Wahl stehenden Lyrikbestimmungen vielfach den Eigenarten der barocken Dichtung nicht gerecht werden. Besonders heikel erscheint in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Lyrik in vielen Definitionen wesentlich mit dem Begriff der Subjektivitt assoziiert wird (zumindest in lteren lyriktheoretischen Schriften werden Gedichte außerdem immer wieder mit der Personalitt ihres Dichters308 in Verbindung gebracht – eine auch epochenunabhngig hochproblematische Annahme).309 Fu¨r die Barockliteratur wre die Anwendung eines solchen subjektivittszentrierten Lyrikbegriffs kaum akzeptabel.310 Zwar gestehen einige Vertreter der ju¨ngeren germanistischen Fru¨hneuzeitforschung zu307

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Vgl. Burdorf, Dieter: Lyriktheorie (Art.). In: Reallexikon, Bd. 2, 2000, S. 502–505, hier S. 503. Fu¨r das Barock hat Hans-Georg Kemper eindru¨cklich formuliert, dass es, »nicht zuletzt wegen des Vorrangs pragmatischer Funktionen«, den »Gattungs-Wald vor lauter Einzelbumen nicht« gesehen habe (Kemper, 1987, S. 38). hnlich argumentiert auch Wulf Segebrecht: Dass »die lyrische ¨ berlegungen oder Poesie« im Barock »kaum Gegenstand gattungstheoretischer U nachdru¨cklicher Bemu¨hungen um eine Begriffsbildung ist«, liegt seiner Auffassung nach in der Anwendungsbezogenheit und Standesorientiertheit der Gattungsunterscheidungen (Segebrecht, 1977, S. 90). Gerhard Dette redet sogar von einer barocken »Unverbindlichkeit der poetologischen Schemata und Begriffe« in Gattungsfragen (Dette, 1976, S. 124–131). Zur Frage der Identifizierbarkeit von (subjektiv-)lyrischem Ich und Autor-Ich ¨ bervgl. ausfu¨hrlich etwa Ho¨fele, 1985. Simone Schiedermair weist in ihrem U blick u¨ber neuere Theorien zum lyrischen Ich darauf hin, dass dessen Abgrenzung vom »real-empirischen Autor« in der neueren Forschung zwar »opinio communis«, jedoch noch »nicht so selbstverstndlich« sei, dass »auf ihre explizite Erwhnung verzichte[t]« werde (Schiedermair, 2003, S. 34). Vgl. allgemein zu Subjektivitt und Autor-Erlebnis als (fragwu¨rdigen) Lyrikkriterien etwa Lamping, 1993, S. 56–63. Vgl. etwa die Ausfu¨hrungen Hans-Henrik Krummachers zum barocken Lyrikverstndnis (Krummacher, 1988, bes. S. 110–116).

65 mindest einzelnen barocken Gedichten (wieder)311 Anstze zu einer – wie auch immer gearteten Subjektivitt – zu: So vertritt etwa Stephanie Wodianka in ihrer Dissertation zur meditatio mortis in der Literatur des 17. Jahrhunderts die These, dass sich in ausgewhlten, durch die meditative »Selbstthematisierung« eines Sprecher-Ich312 (nota bene nicht eines Autor-Ich)313 geprgten Gedichten des Barock314 tatschlich eine »individuell-subjektive Komponente« nachweisen lasse.315 Zumindest eine zum Selbstzweck werdende »intime Mitteilung subjektiver Empfindungen oder seelischer Zustnde«316 ist in der Barocklyrik allerdings auch im Falle einer meditativen Selbstreflexion des Ich nicht zu erwarten. Im Vordergrund steht, wie Wilhelm Ku¨hlmann in seiner Interpretation von Flemings Sonett An Sich gezeigt hat, grundstzlich die Vermittlung »u¨berperso¨nlicher Wahrheiten«, so dass selbst in einem scheinbar hochgradig subjektiven Text das Ich letztlich »zum Exempel menschlicher Existenz« wird.317 Doch nicht nur Lyriktheorien, die das wesentliche Kriterium dieser Gattung in ihrer Subjektivitt sehen, lassen sich kaum auf barocke Gedichte anwenden. Auch solche Definitionen, die als spezifische Differenz der Lyrik ihre gebundene Form wahrnehmen, sind fu¨r die Zeit von 1620 bis 1720 nicht 311

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Vgl. als (der vorliegenden Studie thematisch nahe stehendes) Beispiel fu¨r eine ltere literaturwissenschaftliche Untersuchung, in der die Subjektivitt der Lyrik des 17. Jahrhunderts nicht zuru¨ckgewiesen, sondern sogar besonders betont wird, etwa Iser, 1960: Wolfgang Iser versucht vorwiegend am Beispiel eines Gedichts von John Donne zu zeigen, dass »die Lyrik des 17. Jahrhunderts« vor allem »der Seelenanalyse und der Selbstvergewisserung in der Heilswahrheit« gelte (ebd. S. 286), dass im Gedicht »das lyrische Ich […] seine Seele auszuloten« bestrebt sei (ebd. S. 271). Das Bemu¨hen um die Selbstauslegung gebe »den entscheidenden Anstoß« fu¨r den Metaphernreichtum der Lyrik des 17. Jahrhunderts (ebd. S. 272–273). Wodianka selbst verwendet hier – wohlbegru¨ndet – den Ausdruck ›lyrisches Ich‹ (vgl. Wodianka, 2004, S. 123–124), der allerdings im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie bewusst vermieden werden soll. ¨ berlegungen zur Lyrik als Manifestation der Subjektivitt eines Autor-Ich Vage U stellt etwa Hans-Georg Kemper an, vgl. Kemper, 1987, S. 37. Die Mehrzahl der Barockgedichte sieht Wodianka auch weiterhin als rollenhaft an, vgl. Wodianka, 2004, S. 123. Ebd. S. 123–124. Zur Frage barocker Individualitt und ihrer spezifischen Bedingungen in der geistlich-mystischen Lyrik vgl. etwa auch Gruber, 2002. Ku¨hlmann, 1982, S. 160. Ebd.; hnlich auch Sorg, 1984, S. 47–51, bes. S. 51. Nach Ansicht Sorgs kann gerade in der tendenziell fu¨r die Subjektivittsfrage ›interessanteren‹ geistlichen Lyrik (vgl. Sorg, 1984, S. 16) von einer subjektiven Autonomie oder Mittelpunktstellung des Ich von vornherein keine Rede sein, dieses bleibe schließlich wesentlich auf Gott bezogen (vgl. ebd. S. 38–39). Auch Michael Feldt geht in einer fu¨r die Kernzeit des Barock exemplarischen Gedichtinterpretation davon aus, dass hier »alle seelischen und mentalen Vorgnge« noch »transsubjektiv an eine religio¨se Transzendenz« gebunden blieben (Feldt, 1990, S. 14–15).

66 zufriedenstellend, da sich im Barock nicht nur ›Gedichte‹ im engeren Sinn, sondern auch Dramen vielfach der gebundenen Form bedienen.318 Soll in der vorliegenden Studie trotz dieser Schwierigkeiten am Begriff ›Lyrik‹ zur Eingrenzung des Quellenkorpus festgehalten und diese Gattungsbezeichnung damit auf das Barock angewandt werden, so geschieht dies auf der Basis jener Neubestimmung der Gattung, die Dieter Lamping mit seiner Definition des ›lyrischen Gedichts‹319 als »Einzelrede in Versen« unternommen hat.320 Eine solche Definition erfasst »nicht nur […] personale und subjektive Lyrik«,321 sondern auch andere lyrische Formen »wie etwa die Gelegenheitslyrik, die Chorlyrik oder die Rollenlyrik«.322 Die lyrische »Einzelrede« muss nach Auffassung Lampings nicht von einem Einzelnen gesprochen sein, sondern kann »ebensogut auch die gemeinsame ußerung mehrerer Sprecher« darstellen. Entscheidend – besonders fu¨r ihre Abgrenzung zu dramatischen Formen – sei es, dass sie »eine einzelne, in sich geschlossene ußerung« darstelle und bereits »[]ußerlich […] von anderer […] Rede abgesetzt« sei, also »fu¨r sich« stehe. Sie du¨rfe »nicht als Replik oder Respons in einen umfassenden Redezusammenhang integriert« sein.323 Dabei lsst Lamping gewisse Grenzformen der »Dialogisierung« der Einzelrede wie etwa das direkte Anreden eines (schweigenden) Anderen (z. B. im Gebet) oder »Selbstgesprche mit verteilten Rollen« zu,324 nicht jedoch die »Wechselrede« oder die »vermittelnde Rede«, die sei318

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Neben den oben genannten Differenzkriterien der Subjektivitt und der gebundenen Form wird vielfach auch noch die Ku¨rze zur Differenzierung der Lyrik von anderen Gattungen angefu¨hrt. Dass auch von hier aus keine Definition der barocken Lyrik entwickelt werden kann, zeigt etwa Dette, wenn er darauf hinweist, dass allein auf der Basis dieses Kriteriums eine »Parabel Kafkas« viel eher zur Lyrik zu rechnen sei als ein dreiseitiges »Gedicht des Barock« (Dette, 1976, S. 16). In diesem Kontext leitet sich das Adjektiv ›lyrisch‹ selbstverstndlich nicht von dem ›Lyrischen‹, sondern von der Gattung ›Lyrik‹ her (vgl. zur etwa von Emil Staiger vorgenommenen Unterscheidung zwischen der ›Lyrik‹ – als Gattung – und dem ›Lyrischen‹ Dette, 1976, S. 7). Auf der Grundlage von Lampings Definition ist selbst fu¨r barocke Gedichte die Rede vom ›lyrischen Gedicht‹ kein Widerspruch. Nur dort, wo man das Adjektiv tatschlich mit dem ›Lyrischen‹ verbindet, kann – und muss – man mit Karl Otto Conrady von der Barocklyrik als »nicht-lyrische[r] Lyrik« sprechen (Conrady, 1962, S. 52). Lamping, 1993, S. 63. Ebd. S. 63. Klaus-Dieter Hhnel hlt gerade die Vermeidung des »Subjektivittskriterium[s]« in der Lyrikdefinition Lampings fu¨r ußerst kritisch (Hhnel, 1991, S. 641–642). Lamping, 1993, S. 63. Dass der Begriff ›Rollenlyrik‹ nicht grundstzlich einen Gegensatz zur personal-subjektiven Lyrik darstellen muss, zeigt sich etwa in einem Aufsatz Andreas Ho¨feles, vgl. Ho¨fele, 1985, bes. S. 194–196. Lamping, 1993, S. 64 [Herv. d. D. L.]. Ebd. S. 64–66.

67 ner Ansicht nach die Grundlage des ›dialogischen‹ bzw. ›epischen‹ Gedichts bilden.325 Wird das auf Seelenmetaphern hin zu untersuchende Textkorpus auf ›lyrische Gedichte‹ im Sinne von Lampings »Minimaldefinition«326 eingegrenzt, dann hat dies gegenu¨ber einer Konzentration auf Dramen oder lngere epische Texte entscheidende praktische Vorteile. So ist in lyrischen wie auch in anderen Texten, die grundstzlich als ›Einzelrede‹ konzipiert sind, mit einer deutlich ho¨heren Dichte reflexiv-meditativer oder auch lehrhafter Passagen zu rechnen als in dialogisch-dramatisch aufgebauten oder sich der vermittelnden Rede bedienenden literarischen Werken. Dies erscheint der Erschließung eines mo¨glichst großen Korpus literarischer Seelenmetaphern gu¨nstig, erfolgt doch im Barock die Auseinandersetzung mit der menschlichen Seele (der exemplarischen Einzelseele wie auch der Seele schlechthin in einem abstrakt-anthropologischen Sinne) meist im Rahmen religio¨sphilosophischer Meditation, Reflexion oder Didaxe. Weiterhin erscheint im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie eine Beschrnkung auf die Untersuchung ›lyrischer Gedichte‹ auch deshalb vorteilhaft, weil Letztere gemß Lampings oben zitierter Definition jeweils nur »eine einzelne, in sich geschlossene ußerung« darstellen. Die daraus resultierende besondere Textkohrenz, u¨ber die Dramen und lngere epische Texte in der Regel nicht verfu¨gen, ermo¨glicht es grundstzlich, die Totalitt der sprachlichen Seelenbilder im Gesamtzusammenhang des Textes zu analysieren und nicht nur einzelne Seelenmetaphern in ihrer Verbindung mit den unmittelbar angrenzenden Textabschnitten zu betrachten.327 Zwar kann im Folgenden keineswegs durchgngig von der Mo¨glichkeit Gebrauch gemacht werden, die Seelenmetaphernanalyse mit einer Gesamtinterpretation der zugeho¨rigen Gedichte zu verbinden, doch werden die Interpretationen auch in jenen Fllen, in denen der Verfasserin die Beschrnkung auf einen Gedichtausschnitt ausreichend erscheint, vom besonderen inneren Zusammenhalt des infratextuellen Kontextes328 profitieren. Eine besondere textliche Kohrenz besitzen zwar auch die meisten nicht-fiktionalen Reflexions-, Meditations- und Lehrtexte. Ihnen gegenu¨ber erweist sich jedoch die im Allgemeinen gro¨ßere Metapherndichte der Lyrik als vorteilhaft.

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328

Ebd. S. 88–90. Ebd. S. 63. Vgl. zum Zusammenhang von Metapher und (Gesamt-)Text schon Weinrich, 1976, S. 314–320 u.o¨. Vgl. dazu Danneberg, Lutz: Kontext (Art.). In: Reallexikon, Bd. 2, 2000, S. 333–336, hier S. 334: Beim infratextuellen Kontext handelt es sich um die »Beziehung eines Textes oder Textabschnitts zum Textganzen«.

68 ¨ berlegungen dieses Abschnitts ist die Durch die vorausgehenden U in Abschnitt 1.1 vorgenommene Beschrnkung des Textkorpus auf barocke Gedichte nun hinreichend erlutert. Doch kann auch die Barocklyrik natu¨rlich nur exemplarisch, d. h. unter Beschrnkung auf Einzeltexte ausgewhlter Autoren beru¨cksichtigt werden. Auch die autorbezogene Eingrenzung gilt es hier noch knapp zu kommentieren. Fu¨r die im dritten Kapitel der vorliegenden Untersuchung beispielhaft zu betrachtenden Metaphern, Gedichtausschnitte und ganzen Gedichte sollen bewusst Lyriksammlungen herangezogen werden, die von barocken Autoren aus verschiedenen Generationen sowie aus stark divergierenden regionalen, gesellschaftlichen und literarisch-kulturellen Kontexten stammen: Ausgewhlte Seelenmetaphern der fru¨hbarocken Versdichter Georg Rudolf Weckherlin (1584–1653) und Martin Opitz (1597–1639) sollen ebenso betrachtet werden wie die sprachlichen Seelenbilder des sptbarocken Lyrikers Magnus Daniel Omeis (1646–1708). Der Wolfenbu¨tteler Herzog Anton Ulrich von Braunschweig und Lu¨neburg (1633–1714) und der bekannteste Vertreter des Ko¨nigsberger Dichterkreises, Simon Dach (1605–1659), sollen mit einzelnen Seelenmetaphern bzw. ganzen Gedichten oder Gedichtstrophen ebenso vertreten sein wie der in Wedel bei Hamburg wirkende Pastor Johann Rist (1607–1667), die o¨sterreichische Adlige und Lutheranerin Catharina Regina von Greiffenberg (1633–1694) und ihr Landsmann, der Kapuzinermo¨nch Laurentius von Schnu¨ffis (1633–1702). Unter den zahlreichen schlesischen Dichtern, deren Seelenmetaphorik in exemplarischen Einzelanalysen zu analysieren sein wird, finden sich so unterschiedliche Gestalten wie der 1661 zum Priester geweihte Konvertit329 Johannes Scheffler (Angelus Silesius, 1624–1677), der galante Lyriker Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616–1679) und der ›Hretiker‹ Quirinus Kuhlmann (1651–1689). Neben Gedichtsammlungen der bisher genannten Autoren werden auch Werke der Barockschriftsteller Hans Aßmann von Abschatz (1646–1699), Daniel Czepko (1605–1660), Paul Fleming (1609–1640), Paul Gerhardt (1607–1676), Andreas (1616–1664) und Christian Gryphius (1649–1706), Johann Christian Gu¨nther (1695–1723), Georg Philipp Harsdo¨rffer (1607–1658), August Adolph von Haugwitz (1647–1706), Johann Klaj (1616–1656), Daniel Casper von Lohenstein (1635–1683), Justus Georg Schottelius (1612–1676), Friedrich von Spee (1591–1635), Josua Stegmann (1588–1632) und Philipp von Zesen (1619–1689) sowie die von Benjamin Neukirch

329

Vgl. zur Biographie Schefflers Szyrocki, Marian: Angelus Silesius (Art.). In: Killy, Bd. 1, 1988, S. 181–183.

69 (1665–1729) begonnene Anthologie330 (1695–1727) in den folgenden konkreten Text- und Metaphernuntersuchungen beru¨cksichtigt werden. Wenn in der Auswahl der Gedichtsammlungen das Bemu¨hen im Vordergrund steht, eine mo¨glichst breit gestreute Gruppe von Autoren zu erfassen, so wird bei der Auswahl der jeweils konkret zu analysierenden Gedichte, Gedichtausschnitte oder einzelnen Seelenmetaphern die Frage nach ihrem Verfasser gnzlich ausgeblendet bleiben. Die Entscheidung fu¨r oder gegen die Untersuchung einer einzelnen Seelenmetapher orientiert sich ausschließlich an der Aussagekraft, welche das sprachliche Bild und seine engeren und weiteren Kontexte im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sowie auf die speziellen Themen der einzelnen Abschnitte besitzen. Wird es vor diesem Hintergrund zu einer unterschiedlichen Gewichtung einzelner Autoren kommen, so lsst sich diese daraus erklren, dass in den ausgewhlten Gedichtsammlungen erhebliche Unterschiede sowohl bezu¨glich der Dichte raumbezogener Seelenmetaphern als auch bezu¨glich der anschaulichen Ausgestaltung und Deutlichkeit der einzelnen rumlichen Seelenbilder bestehen. Mit der Benennung der Autoren, deren Werke in die nachfolgenden konkreten Untersuchungen einbezogen werden, lsst sich das Textkorpus der vorliegenden Studie als hinreichend bestimmt betrachten. Im nchsten Schritt stellt sich nun die Aufgabe, den bisher nur in groben Umrissen skizzierten anthropologischen Hintergrund der Seelenraummetaphorik fu¨r die Zeit der untersuchten Texte genauer darzustellen.

330

Vgl. Metzger, Erika A.: Neukirchsche Sammlung (Art.). In: Killy, Bd. 8, 1990, S. 362–364.

2

Jenseits der Metapher – Seelische Einheit und seelische Pluralitt im Spiegel fru¨hneuzeitlicher Seelenkonzepte

Dass sich die nachfolgende epochenspezifische Kontextualisierung der barocken Seelenraum-Bildlichkeit auf die Untersuchung des zeitgeno¨ssischen1 philosophisch-theologischen Menschenbildes und dabei insbesondere der zeitgeno¨ssischen Seelenlehren beschrnkt und nicht auch nach anderen mo¨glichen Kontexten gefragt wird, sollte nach den Ero¨rterungen der vorangehenden Abschnitte keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedu¨rfen. Das Problem einer angemessenen (kultur-)historischen Kontextualisierung der Seelenmetaphorik ist – unter Hinweisen auf die Grenzen und Gefahren eines ausgedehnt kulturwissenschaftlich-kulturpoetischen Bestrebens zur Einbettung der sprachlichen Seelenbilder – in den bisherigen Darlegungen ja bereits ausfu¨hrlich behandelt worden. Welche Leitfrage bei der Untersuchung der zeitgeno¨ssischen philosophisch-theologischen Seelenlehren im Vordergrund zu stehen hat, ergibt sich aus den in Abschnitt 1.4.1 angestellten ¨ berlegungen: Zu klren ist vorrangig, welche metaphorologischen U Antworten in der Fru¨hen Neuzeit auf die Frage nach der Vielheit bzw. Einheit des Psychischen gegeben werden. Nur dann nmlich, wenn diese Antworten in der oben angedeuteten Weise widerspru¨chlich ausfallen, wenn das Psychische in den konkreten fru¨hneuzeitlichen Entwu¨rfen sowohl viel- als auch einheitlich erscheint, ist es schließlich legitim, viel-einheitliche barocke Seelenmetaphern als Antwort auf dieses begrifflich nicht lo¨sbare Dilemma zu begreifen.

1

Unter ›zeitgeno¨ssischen‹ Menschenbildern sind hier sowohl im Barock entstandene als auch im Barock noch immer als gu¨ltig akzeptierte anthropologische Entwu¨rfe zu verstehen.

71

2.1

Unsterbliche Einfachheit – Einheitsstiftende Seelenattribute

Wenigstens auf den ersten Blick scheint das Menschenbild der Fru¨hen Neuzeit eindeutig dualistisch. Zwei Komponenten machen den Menschen aus, [d]ie Seele / vnnd der Leib. […] Die zwey hengen an einander / aber mit einer vneinigen einigkeit / vnd ko¨nnen sich nicht leichtlich vertragen / fu¨rnemlich / wenns die Oberhand vnnd Dienstbarkeit angehet.2

Zwischen Leib und Seele herrscht also, zumindest nach Ansicht des Neostoikers Justus Lipsius, ein geradezu kriegerisches Verhltnis. Es geht im Menschen »nicht anders daher / als wann jmmer zwei theil gegen einander zu Felde legen / vnd alle stunde mit einander scharmu¨tzelten«.3 In Anbetracht solcher ußerungen mag man – auf eine ganz andere als die in Abschnitt 1.3.1 erwogene Art und Weise – noch einmal auf den Gedanken kommen, u¨ber die Leibesbetrachtung zu wichtigen Erkenntnissen u¨ber das Wesen der Seele gelangen zu ko¨nnen: Wo sich die beiden Bestandteile des Menschen vollstndig voneinander entzweit haben und sich als Antagonisten gegenu¨berstehen, erscheint es denkbar, dass sich die Seelenbeschaffenheit u¨ber die »Logik der Negation« aus der Beschaffenheit des ihr gegnerischen Leibes deduzieren ließe.4 Zwar muss die Erwartung, das Gesamtprofil des Seelischen aus der systematischen Umkehrung der Eigenschaften des Leibes entwerfen zu ko¨nnen, als ebenso u¨berzogen betrachtet werden wie der Versuch, die Seele aus ihren im Ko¨rper hinterlassenen Spuren vollstndig zu erkennen. Schließlich verfu¨gt die psychische Komponente des Menschen auch u¨ber Merkmale, zu denen von vornherein gar kein negatives leibliches quivalent existiert. Doch in etlichen Eigenschaften wird die menschliche Seele von barocken Gelehrten tatschlich als das genaue Gegenteil des Leibes entworfen. Ist der Leib materiell, weil schon nach dem biblischen Scho¨pfungsbericht (1. Mose 2,7) von der Erde genommen, und verwandelt er sich nach dem Tode des Menschen augenscheinlich durch Verwesung in sein Element zuru¨ck, so wird im Kontrast dazu die himmlisch-go¨ttliche Abkunft der (vernu¨nftigen) Seele betont.5 Sie wird als unstoffliches Geistwesen (spiritus) beschrieben,

2 3 4

5

Lipsius, 1601/1965, Bl. 11v. Ebd. Bl. 12r. Riedel, 2004–2, S. 4. Riedel betont, dass zumindest in der »Pneumatik […] Seele und Geist als das Andere der Natur (Materie, physis) gesetzt« werden mu¨ssten, »als das was Natur nicht ist« [Herv. d. W. R.]. Vgl. dazu Lipsius, 1601/1965, Bl. 11v–12r; Becher, 1683, S. 10.

72 dem Unzersto¨rbarkeit und Unsterblichkeit eignen.6 Diese Eigenschaften werden vielfach auch mit einer – zumindest rumlich-quantitativen7 und wesensbezogenen8 – Unteilbarkeit der Seele in Verbindung gebracht.9 Ihre Unteilbarkeit,10 Unzersto¨rbarkeit und Unsterblichkeit zusammenfassend schreibt etwa Opitz u¨ber die Seele: »Weil sie nun also fu¨r sich selbst vnd einfach ist / so kan sie nit getheilet / vnd folgends auch nicht auffgelo¨set vnnd zum Vntergange gebracht werden.«11 In vielen fru¨hneuzeitlichen Texten findet sich außerdem fu¨r die verko¨rperte Seele die Formel des »animam esse totam in toto & totam in quali¨ berlegungen Thomas Leinkaufs, so bet parte […].«12 Folgt man den U spricht diese Aussage, in der die Seele gleich zwei Mal als Ganzheit apostrophiert wird, nicht allein der Seele selbst Unteilbarkeit und damit unzersto¨rbare Einheit zu. Daru¨ber hinaus macht sie die Seele zum einheitsstiftenden Moment im Leib, »indem sie an jedem Teil des Teilbaren als selbst Unteilbare und Ungeteilte das Substanz- und FormGebende ist […] und das Vielheitliche […] in eine zusammenstimmende Einheit fu¨gt.«13

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Vgl. etwa Keckermann, 1612, S. 481: Bartholomus Keckermann beschreibt die Seele ausdru¨cklich als »immortalis« und »incorruptibilis«; zum Zusammenhang dieser Eigenschaften vgl. etwa auch Melanchthon, 1846, Sp. 16; Dannhauer, 1630, S. 141; Schottelius, 1675, S. 36. Vgl. Goclenius, 1609/1977, S. 474; Arriaga, 1632, S. 598–599; Schottelius, 1675, S. 37. Vgl. Arriaga, 1632, S. 613. Zu den verschiedenen zeitgeno¨ssischen Interpretationsweisen des Begriffs der Teilbarkeit vgl. ausfu¨hrlich Salatowsky, 2006, S. 173. Einen Zusammenhang zwischen der Unteilbarkeit und der Immaterialitt der Seele weist etwa Johann Conrad Dannhauer auf, vgl. Dannhauer, 1630, S. 21. Eine Verbindung zwischen ihrer Unsterblichkeit und Unteilbarkeit stellt beispielsweise Francesco de Oviedo her, vgl. Oviedo, 1663, S. 17. Vgl. zur Unteilbarkeit der Seele weiterhin auch den Eintrag Anima in Sandaeus, 1640/1963, S. 79–84, hier bes. S. 81–84; Ficino, 1559, Bl. 39v; Keckermann, 1612, S. 253; Hedler, 1657, S. 135; Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 756; Schottelius, 1675, S. 37. Opitz, 1644/1975, S. 189 (»Trostschrifft: An Herrn David Muellern«). Dass nur das »Einfache […] als Nicht-Teilbares […] zerfallsunfhig (incorruptibilis)« sei, ist eine Argumentation, die Riedel noch bei Wolff nachweist (Riedel, 2004–2, S. 5). Dannhauer, 1630, S. 21. Den Ursprung des in der Fru¨hen Neuzeit sehr beliebten »Topos von der Seele als tota in toto & tota in qualibet parte« ero¨rtert etwa Leinkauf, 1993, S. 58 [Herv. d. Th. L.]. Thomas von Aquin fu¨hrt diesen Ausspruch auf Augustinus zuru¨ck, vgl. Thomas, 1937, S. 81 (Quaestio 76,8 – »Utrum anima sit tota in qualibet parte corporis«). Interessant ist, dass dieselbe Formel wie fu¨r Prsenz der Seele im Leib auch fu¨r Gottes Prsenz im gesamten Raum angefu¨hrt wird, vgl. dazu Poulet, 1985, S. 11–12. Leinkauf, 1993, S. 57. Zur Seele als Form und Formursache des Ko¨rpers schon bei Aristoteles (Aristoteles, 1995, S. 70–73 (»De anima« II,2 414 a)) vgl. Busche, 2001, S. 29–30.

73 Werden der Seele in einem Großteil der im 17. Jahrhundert verfassten bzw. intensiv rezipierten lteren Texte ausdru¨cklich die Eigenschaften der Unteilbarkeit, Einfachheit, Unzersto¨rbarkeit und Unsterblichkeit zugesprochen, so macht dies deutlich, dass zumindest eine der vorangehend kontrastierten (christlich-abendlndischen) Sichtweisen der Seele in dieser Zeit tatschlich eine wichtige Rolle spielt: Die Seele wird in ihr tatschlich als metaphysisch-einige Gro¨ße wahrgenommen. Zu ero¨rtern ist nun, inwiefern sich in der Fru¨hen Neuzeit gleichzeitig auch der dazu kontrre Blick auf die Seele nachweisen lsst, inwiefern die Letztere zugleich auch als vielteilig-uneinheitliches Gebilde und damit – zumindest implizit – auch als Pluralitt betrachtet wird. Oben wurden zwei kognitive Situationen erwhnt, in denen das Seelische vor allem als innere Mannigfaltigkeit in Erscheinung tritt: die umfassende Betrachtung der menschlichen Lebensvollzu¨ge im Rahmen anthropologischer Reflexionen sowie die Introspektion. Im folgenden Abschnitt sollen nur die fru¨hneuzeitlichen Ansichten zu den menschlichen Lebensvollzu¨gen genauer auf eine mo¨gliche psychische Vielheit hin untersucht werden. Dazu werden die nchsten beiden Abschnitte (2.2 und 2.3) besonders jenes philosophische Seelenkonzept in den Blick nehmen, das die Gelehrten des 17. Jahrhunderts in ihrer Auseinandersetzung mit den Funktionen des Psychischen im Gesamtmenschen mit Abstand am hufigsten skizzieren: das anatomisierend-analytische Konzept einer nach dem Vorbild des Aristoteles dreigeteilten Seele. Nach durch Introspektion gewonnenen Eindru¨cken psychischer Mannigfaltigkeit soll im Rahmen dieses Kapitels nicht gefragt werden. Hierzu wren fu¨r die Fru¨he Neuzeit vor allem die (vielfach rollenhaftschematisierten) Selbstbetrachtungen der Erbauungsliteratur14 heranzuziehen, die sich kaum ohne die Beru¨cksichtigung der jeweils verwendeten Metaphern analysieren ließen. Den Metaphernuntersuchungen des Hauptteils soll jedoch an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden.

2.2

Drei Seelen und ein Leib? – Seelendefinition und (vermeintliche?) Seelenpluralitt in fru¨hneuzeitlich-aristotelischen Seelenlehren

Die funktionsorientierten Vorstellungen vom Aufbau der Seele in der Fru¨hen Neuzeit folgen (zumindest im Rahmen der an den Universit14

Vgl. zur Selbst-Explorationstendenz in der (englischen) Erbauungsliteratur der Fru¨hen Neuzeit Schlaeger, 1995, bes. S. 139; fu¨r den deutschsprachigen Raum behandelt die (meditativen) Selbstbetrachtungen innerhalb der Erbauungsliteratur grundlegend Wodianka, 2004.

74 ten gelehrten Schulphilosophie) auf katholischer15 wie auch auf lutherischer16 und reformierter17 Seite18 vor allem der von Aristoteles in seiner Schrift De anima19 (4. Jahrhundert v. Chr.) entwickelten Seelenlehre und ihrer »sptmittelalterliche[n] Auslegung«.20 Besonders eindru¨cklich zeigt sich die Dominanz des christlich u¨berformten aristotelischen Seelenmodells in der Fru¨hen Neuzeit an der großen Zahl der De anima-Kommentare, die in der Bibliotheca realis philosophica (1682) von Martin Lipenius unter dem Stichwort Anima verzeichnet sind.21 Durch ihre große Verbreitung und Bedeutung in der Fru¨hen Neuzeit22 nimmt die von Philipp Melanchthon in seinem Liber de anima (1553) entworfene Psychologie eine prominente Stellung unter jenen Seelenlehren ein, die sich an Aristoteles De anima orientieren. Dabei hat man sich zu vergegenwrtigen, dass sich Melanchthon, wie viele andere Schulphilosophen des 16. und 17. Jahrhunderts, in seinen Ausfu¨hrun¨ bernahmen aus De gen keineswegs allein auf Aristoteles stu¨tzt: Zu U anima treten, wie etwa Simone De Angelis gezeigt hat, Spuren aus den Schriften Platons,23 Augustins24 und vor allem Galens. Von Letzterem u¨bernimmt Melanchthon etwa die Lokalisierung der anima rationalis im Gehirn,25 die Zahl und den Ort der – in Abschnitt 2.3 noch 15 16

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Vgl. Blum, 2001, S. 307. Vgl. Keßler, 1988, S. 516; allgemein zu Aristoteles zentraler Stellung in der lutherischen Naturphilosophie (und damit auch in der Psychologie) Sparn, 2001, S. 493–495. Zur Bedeutung der aristotelischen Seelenstruktur im Calvinismus vgl. etwa Holzhey, Helmut: Seele – IV. Neuzeit (Art.). In: Ritter, Bd. 9, 1995, Sp. 26–52, hier Sp. 29. Zu den (im Ganzen geringfu¨gigen) konfessionellen Unterschieden etwa in der Frage der Anzahl der Seelenpotenzen oder besonders der Frage nach der Entstehung der Seele (durch Zeugung oder creatio ex nihilo) vgl. Freedman, 2004, S. 305–308. Dieses Werk wurde im katholischen cursus philosophicus u¨blicherweise innerhalb des Abschnitts ›Physik‹ als Bestandteil der physica particularis behandelt, vgl. Blum, 2001, S. 319, S. 324; auch im lutherischen Raum wird Aristoteles Text der Physik zugeordnet (vgl. Sparn, 2001, S. 494), mag auch die Psychologie an sich – wie Michaela Boenke zu Recht betont – »Fragestellungen aus dem Gebiet der Naturphilosophie, der Erkenntnisphilosophie, der Metaphysik und der Theologie« umgreifen (Boenke, 2005, S. 29). Holzhey, Helmut: Seele – IV. Neuzeit (Art.). In: Ritter, Bd. 9, 1995, Sp. 26–52, hier Sp. 28; vgl. auch Vidal, 2006, S. 33–36 u.o¨. Vgl. Lipenius, 1682/1967, S. 59–64. Vgl. zur Rolle und zum Erfolg von Melanchthons Seelenlehre im Rahmen der »Anstze reformatorischer Psychologie« etwa Stock, Konrad: Seele VI. – Theologisch (Art.). In: TRE, Bd. 30, 1999, S. 759–773, hier S. 760–763, bes. S. 762; Keßler, 1988, S. 518. Allgemein zum Einfluss Melanchthons vgl. auch Deupmann, 1999, S. 100. Vgl. De Angelis, 2004, S. 885; Salatowsky, 2006, S. 91–99. Vgl. De Angelis, 2004, S. 884–885. Vgl. ebd. S. 877. Aristoteles lokalisiert dagegen die Seele im Herzen (vgl. dazu Busche, 2001, S. 18–26), wobei er allerdings zugleich von ihrer »Wirkprsenz«

75 zu benennenden – inneren Sinne26 und, allerdings christlich u¨berformt, ¨ berschneidungen zwischen Melandie Spirituslehre.27 Da sich viele U chthons Abhandlung und den aristotelisch geprgten Seelenlehren des Barock ergeben,28 kann dieses Werk in den folgenden Ausfu¨hrungen exemplarisch als Hauptquelle herangezogen werden. Um es als typisches Beispiel einer fru¨hneuzeitlich-aristotelischen Auseinandersetzung mit der Seele in den Blick nehmen zu ko¨nnen, werden allerdings jene Passagen, in denen es von der Mehrheit der schulphilosophischen Texte abweicht, weitgehend zu vernachlssigen sein. ¨ berraschenderweise wendet sich Melanchthon in seinen Ausfu¨hU rungen zur Seele nicht von Anfang an der psychischen Komponente des Menschen, sondern zunchst der Tierseele zu. Diese bestimmt er unter besonderer Beru¨cksichtigung des von Aristoteles entwickelten Entelechie-Begriffs in erster Nherung einfach als »aliquid, quod cogitari potest in materia fons esse actionum«.29 Anders als der antike Philosoph legt sich Melanchthon in seinen weiteren Ausfu¨hrungen nicht auf eine genauere Definition dieser Seele fest, sondern fu¨hrt aus: »[B]ovis anima recte dicitur, aut spiritus vitalis, aut illa in spiritu vitali agitatio, qua bos vivit.«30 Auch die – vor allem galenische – Bestimmung der Seele als Sftemischung wird von Melanchthon trotz seiner Affinitt zu Aristoteles im Zusammenhang mit der Tierseele in Erwgung gezogen.31 In allen drei mo¨glichen Definitionsvarianten ist die Seele eines Tiers entweder materienah oder selbst materiell32 und damit zugleich auch teilbar.33 Zwar darf die Teilbarkeit der Seele nicht mit einer aktuellen Pluralitt des Seelischen gleichgesetzt werden, doch stellt schon die bloße Annahme einer Teilungs-Mo¨glichkeit eine erhebliche Abweichung von der in Abschnitt 2.1 erarbeiteten Vorstellung unerschu¨tterlicher seelischer Einheit dar. In diesem Fall ist die Diskrepanz der Seelenkonzepte allerdings (noch) leicht zu erklren und fu¨hrt

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im ganzen Leib (ebd. S. 98), von ihrer »operative[n] Allgegenwart« ausgeht (ebd. S. 97). Vgl. De Angelis, 2004, S. 887. Vgl. ebd. S. 882. Hier sei, um nur ein Beispiel zu nennen, auf die Parallelen von Melanchthons Psychologie zu den psychologischen Ausfu¨hrungen in Schottels Ethica (1669) hingewiesen. Melanchthon, 1846, S. 16. Ebd. Vgl. ebd. S. 18. Die Materialitt der Tierseele wird auch im Barock von vielen Gelehrten betont, vgl. etwa Kircher, 1671, S. 594; unter Berufung auf die Scho¨pfungsgeschichte auch Winckelmann, 1623, S. 6. Grimmelshausen setzt die Tierseele im Simplicissimus mit »lebhaffte[n] Geister[n]« gleich, die »in ihrem Todt verschwinden«, vgl. Grimmelshausen, 1989, S. 479. Vgl. Melanchthon, 1846, Sp. 18.

76 (noch) nicht zum in Abschnitt 1.4.1 entworfenen Bruch mit den Gesetzen der Logik, insbesondere mit dem Satz vom Widerspruch. In Abschnitt 2.1 war nur von der Seele des Menschen die Rede, whrend Melanchthon sich hier ausschließlich auf die Seele des ›unvernu¨nftigen Viehs‹ bezieht. Erst mit der Anfu¨hrung einer »Definitio Animae usitata in Ecclesia« wendet Melanchthon sich von der Tierseele ab und der dem Menschen zukommenden anima rationalis zu. Von dieser heißt es: Anima rationalis est spiritus intelligens, qui est altera pars substantiae hominis, nec extinguitur, cum a corpore discessit, sed immortalis est.34

Die unsterbliche Menschenseele ist spirituell, sie kann selbst im Tod nicht zersto¨rt werden, und sie geho¨rt, wie Melanchthon wenig spter ausfu¨hrt, zu den nicht-teilbaren Dingen.35 Melanchthons zuletzt erwhnte Thesen mo¨gen den Anschein erwecken, als kme man auch in den ersten Passagen des Liber de anima nicht u¨ber eine Betrachtungsweise hinaus, welche die Menschenseele als unhintergehbare Einheit wahrnimmt. Tatschlich aber steht in dieser psychologischen Schrift auch der Gedanke einer Pluralitt des Seelischen von Anfang an im Raum: Eine mo¨gliche Bedrohung der Seeleneinheit wird schon dort ¨ berlesichtbar, wo Melanchthon kurz nach seinen oben angefu¨hrten U gungen auf die Annahme zu sprechen kommt, dass nicht eine Seele, sondern »distinctae animae« im Menschen vorlgen. Auch wenn diese Position der vorangehend zitierten Seelendefinition eindeutig widerspricht, weigert sich Melanchthon, einen solchen Gedanken einfach als absurd zu verurteilen.36 Um die hier von Melanchthon angesprochene philosophische Position zu verstehen, ist es zunchst erforderlich, auf eine in jedem Fall von der fru¨hneuzeitlichen Philosophie anerkannte Form seelischer Pluralitt hinzuweisen: die Seelen-Vielheit nicht innerhalb des Menschen, sondern innerhalb der belebten Natur. Dass Melanchthon von einer Pluralitt der Seelentypen in der Scho¨pfung ausgeht, zeigt sich im Grunde schon an seiner oben skizzierten Differenzierung zwischen Menschen- und Tierseele. Mit Aristoteles unterscheidet er eine bereits im Pflanzenreich zu findende anima vegetativa, eine anima sentiens (bei anderen Autoren auch als anima sensitiva oder sensibilis bezeichnet), die erst den Tieren zukommt, und schließlich eine allein dem Menschen 34 35

36

Ebd. Sp. 16. Vgl. ebd. Sp. 19. Dabei weist Melanchthon bemerkenswerterweise die nicht-aristotelische Lokalisierung der Seele tota in toto zuru¨ck, vielmehr halte sich die Seele unteilbar an einem bestimmten Ort auf, von dem aus sie wirke. Vgl. ebd. Sp. 17. Genaueres vgl. Salatowsky, 2006, S. 105.

77 vorbehaltene anima rationalis.37 Zumindest in Bezug auf die beiden ho¨heren Lebensformen erscheint es auf den ersten Blick nahe liegend, aus dieser Annahme einer Seelenvielfalt innerhalb der Scho¨pfung eine Seelenpluralitt auch im einzelnen Lebewesen zu folgern. Wenn die spezifische Differenz des Tiers gegenu¨ber der Pflanze im Vorhandensein einer anima sentiens besteht, so ko¨nnte man daraus schließen, dass die sinnliche Seele zur anima vegetativa einfach noch hinzu kme, so dass das Tier u¨ber zwei Seelen verfu¨gte. Der Mensch mu¨sste dann, analog dazu, sowohl diese beiden Seelen als auch eine anima rationalis besitzen. Eine solche Position scheint sich, zumindest bei isolierter Betrachtung, im folgenden Satz aus dem Liber de anima auszudru¨cken: Tres gradus sunt Animarum. In plantis tantum est vegetativa. In brutis vegetativa et sentiens. In homine vegetativa, sentiens et rationalis.38

Unabhngig davon, ob diese Aussage tatschlich im Sinne einer Seelenaddition zu verstehen ist – unten wird auf den Kontext des hier zitierten Satzes noch zuru¨ckzukommen sein –, nehmen einige fru¨hneuzeitliche Gelehrte tatschlich eine Seelenakkumulation beim Tier und vor allem beim Menschen an. So redet im 16. Jahrhundert etwa Jacobus Zabarella einem gleichzeitigen Vorhandensein aller drei aristotelischen Seelentypen im menschlichen Leib das Wort39 und an der Wende zum 17. Jahrhundert geht auch der Calvinist Clemens Timpler von einer Vielheit der Seelen im Menschen aus, wie an den nachfolgend zitierten Ausfu¨hrungen Joseph S. Freedmans deutlich wird: Timpler states that vegetative, sensitive, and rational souls all co-exist within the individual human being and that they do so in the capacity of three diverse essential forms. He rejects the views of those who argue that 1. vegetative soul and sensitive soul are both subsumed within the rational soul or within the rational faculties of humans and that 2. vegetative soul, sensitive soul, and rational soul are the three substantial parts […] which constitute one essence, the human soul […].40

Noch am Beginn der Aufklrung ist die Annahme einer innermenschlichen Seelenvielheit als mo¨gliche philosophische Position im Bewusstsein der Gelehrten prsent. So weist Christian Thomasius an verschiedenen Stellen seiner Werke darauf hin, dass sich fu¨r ein Seelenkonzept, welches von einer Vielzahl und »Vielfltigkeit der Seelen« im Menschen ausgehe, im neuzeitlichen Aristotelismus Befu¨rworter finden lie37 38 39

40

Vgl. ebd. Sp. 19. Ebd. Vgl. zu seinen Argumenten fu¨r eine Seelenvielheit im Menschen Salatowsky, 2006, S. 167–172. Freedman, 2004, S. 800.

78 ßen.41 Auch wird die Vorstellung einer aus dem aristotelischen Modell ableitbaren innermenschlichen Seelenpluralitt noch im spten 17. Jahrhundert offenbar als reizvoller Diskussionsstoff fu¨r den gebildeten Laien eingestuft, wie sich an einer – fiktiven – gelehrt-geselligen Konversation42 im zweiten Teil von Erasmus Franciscis lustiger Schaubu¨hne (1671) zeigen lsst. Im Verlauf einer lngeren Unterhaltung kommt einer der Gesprchsteilnehmer auf den Zustand des Menschen zu sprechen: Ja! so viel Facultates oder Haupt=Krffte er hat; so viel Seelen geben manche Philosophi jhm zu; welche doch lauter Formen seynd: und statuieren also drey animas, oder Seelen / in dem Menschen: nemlich vegetabilem, sensibilem & moventem, und endlich rationalem: das ist / die wachsende / die sinn= und bewegliche / und denn endlich die vernu¨nfftige Seele. […] Wenn denn nun 3. wu¨rcklich= und wesentlich=bestehende Seelen im Menschen wohnen sollten: fragte ich / mit dem sel. Herrn Casparo Hofmanno: […] welches solcher Seelen Band wre / das sie zusammen hielte?43

Solche Ausfu¨hrungen, in denen eine Seelenpluralitt ernstlich in Erwgung gezogen wird, erzeugen bei den Zuho¨rern nicht etwa Widerwillen oder entru¨stete Zuru¨ckweisung, sondern den Wunsch, Weiteres zur Zahl der Seelen zu ho¨ren: Weil aber demselben [d. h. dem u¨ber die Seelenzahl sinnierenden Vorredner, M. D.] beliebet hat / den edlen Discurs / von der Seelen Vielheit oder Einfltigkeit / zu mehrerm Beweis seines Schlusses / mit herbey zu ziehen: bitte ich / solchen weiter hinaus zu fu¨hren.44

Auch wenn in der Fru¨hen Neuzeit tatschlich einzelne Gelehrte im aristotelisch geprgten psychologisch-anthropologischen »Discurs« von »der Seelen Vielheit« und nicht von ihrer »Einfltigkeit« ausgehen und auch wenn eine Pluralitt des Seelischen in unterhaltenden barocken Texten diskutiert wird, darf jedoch nicht u¨bersehen werden, dass die meisten Wissenschaftler des 16. und 17. Jahrhunderts die Vorstellung einer Seelen-Vielheit innerhalb des Menschen argumentativ klar zuru¨ckweisen. Auf welche Weise dies geschieht, soll hier in einem ersten Schritt an den seelenkundlichen Ausfu¨hrungen des beru¨hmten franzo¨sischen Arztes Jean Fernel exemplifiziert werden:45 Zunchst be41

42

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Thomasius, Bd. 2, 1712/1994, S. 89; vgl. hnlich auch Thomasius, Bd. 10, [1692]/1995, S. 65; Thomasius, Bd. 11, 1696/1999, S. 42. Nhere Analysen zu diesem Typus literarischer Texte finden sich etwa in Doms, 2009. Francisci, 1679, S. 1242. Ebd. S. 1243. Fernels Beitrag zur Seelenlehre ist ein gutes Beispiel dafu¨r, dass auch in der fru¨hneuzeitlichen Medizin Aristoteles (neben Galen) eine wichtige Autoritt dar-

79 zeichnen auch bei Fernel die drei oben genannten Begriffe anima rationalis (bei ihm »anima intelligens«), sentiens und vegetativa (bei Fernel die »anima naturalis«) drei »genera animarum«, die den drei Lebensformen Pflanze, Tier und Mensch entsprechen. Da er – gut aristotelisch – die Seele als Form des Ko¨rpers betrachtet46 und davon ausgeht, dass eine Gleichzeitigkeit mehrerer (substantieller) Formen in ein und demselben leiblichen Lebewesen nicht mo¨glich sei,47 spricht er jedoch von den drei Seelentypen dem Menschen nur eine anima rationalis, dem Tier ausschließlich eine anima sentiens und der Pflanze allein eine anima vegetativa zu. Die Ansicht, dass sich die Seelen bei den ho¨heren Lebensformen gleichsam addierten, resultiert nach Fernels Auffassung aus einem sprachlichen Missverstndnis. Aus »nominum inopia« wu¨rden die innerhalb eines einzelnen (ho¨heren) Lebewesens zu findenden unterschiedlichen Seelenteile – sprachliche Unschrfe erzeugend – mit denselben Namen bezeichnet wie die genera animarum.48 So ko¨nne leicht der Eindruck entstehen, als verfu¨ge etwa der Mensch u¨ber drei Seelen. Dabei seien bei ihm die anima rationalis, die anima sentiens und die anima vegetativa gerade nicht als separate Gro¨ßen zu verstehen, sondern lgen »in totius vnam & integram substantiam« vor.49 Was andernorts als ontologisches Problem diskutiert wird, erscheint in der Darstellung Fernels zunchst als eine bloße Unzulnglichkeit des Vokabulars, die auf terminologischem Wege prinzipiell leicht zu beseitigen wre und im Grunde kaum der Diskussion bedarf. Ganz abgetan ist das Problem der Seelenpluralitt mit dem Hinweis auf die zeitgeno¨ssischen Begriffsver(w)irrungen fu¨r Fernel allerdings noch nicht. Er scheint zu befu¨rchten, dass die von ihm angenommene Dreiheit der Seelenteile auch nach seinen terminologischen Ausfu¨hrungen noch als Seelenvielheit missverstanden werden ko¨nnte. Um zu verhindern, dass sich der Leser die Seelenteile untereinander so unverbunden wie drei separate Seelen vorstellt, bedient sich der Arzt der fru¨hneuzeitlich sehr beliebten Sprache der Geometrie.50 Er fu¨hrt das – in

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stellt – und dies auch mit seiner psychologischen Schrift De anima, vgl. dazu etwa Pozzo, 2004, S. 832–833. Aber nicht nur die Seelenlehre des antiken Philosophen, sondern auch Melanchthons Liber de anima wurde (zumindest im Helmstedt des spten 16. und fru¨hen 17. Jahrhunderts) außer in der philosophischen auch in der medizinischen Lehre verwendet, vgl. ebd. S. 838. Vgl. Aristoteles, 1995, S. 70–73 (»De anima« II,2 414 a). Vgl. Fernel, 1638, S. 164: »Quinimo` eidem nequeunt pariter insidere intelligens & sentiens, vel sentiens & naturalis: quoniam neque complures substantiarum formæ, reuera eiusdem esse possunt subiectæ materiæ […].« Ebd. Ebd. S. 165. Vgl. allgemein zur Geometrie als Sprache des Buchs der Natur etwa Ohly, 1995, S. 574–581.

80 seinen Urspru¨ngen aristotelische51 – Gleichnis vom Fu¨nfeck an, in dem Drei- und Viereck »potestate duntaxat, non reipsa« enthalten seien.52 Dass Fernel ausgerechnet hier nicht rein begrifflich argumentiert, sondern sich eines Sprachbilds bedient, erscheint vor dem Hintergrund der Ausfu¨hrungen in Abschnitt 1.4.1 alles andere als u¨berraschend. Nur in der Sphre des Unbegrifflichen, in welcher der Satz vom Widerspruch außer Kraft gesetzt ist, lsst sich die Vielteiligkeit der Seele – die in gewisser Weise immer schon eine psychische Pluralisierung darstellt – behaupten, whrend zugleich die Vorstellung einer absoluten psychischen Einheit bzw. einer Einfachheit der Seele aufrecht erhalten werden kann. Liest man in Melanchthons Psychologie die bereits oben zitierten Ausfu¨hrungen zur Verteilung der Seelentypen auf die verschiedenen Lebewesen in ihrem unmittelbaren Kontext, so lsst sich an dieser Textpassage eine andere zeitgeno¨ssisch beliebte Strategie zur Aufrechterhaltung der Seeleneinheit aufzeigen: Tres gradus sunt Animarum. In plantis tantum est vegetativa. In brutis vegetativa et sentiens. In homine vegetativa, sentiens et rationalis. Receptum est in scholis unam ponere animam in quolibet animato. Ideo brutis tribuitur anima sentiens, sed additur vegetativa tanquam potentia, quam continet anima sentiens, sicut et potentias appetendi et loco movendi continet. Sic loquuntur scholae et de homine. Unam tribuunt homini animam, videlicet rationalem, sed addunt vegetativam et sentientem, tanquam eius inferiores potentias.53

Anders als im Text Fernels wird hier die eine, dem Menschen oder dem Tier zukommende Seele nicht in mehrere Teile, sondern in mehrere Vermo¨gen bzw. Krfte54 untergliedert: Analog zur Tierseele, die auch die Potenzen der anima vegetativa mit umfasst, sind nach der hier von Melanchthon referierten Position55 der anima rationalis des Menschen die anima vegetativa bzw. anima sentiens als untergeordnete Seelenvermo¨gen beigegeben. Ein und dieselbe Sache ko¨nne nmlich ohne 51

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53 54 55

Aristoteles verwendet jedoch nur das Bild vom im Viereck enthaltenen Dreieck, vgl. Aristoteles, 1995, S. 74–77 (»De anima« II,3 414b). Fernel, 1638, S. 165. Weitere Beispiele fu¨r die hier skizzierte geometrische Rettung der Seeleneinheit in der fru¨hneuzeitlichen Philosophie fu¨hrt Sascha Salatowsky an, vgl. Salatowsky, 2006, S. 163–164 u.o¨. Melanchthon, 1846, Sp. 19. Zum Konzept einzelner Seelenkrfte vgl. auch Zeuch, 1999, S. 99. Zu beachten ist, dass Melanchthon selbst diese Schulmeinung einigermaßen distanziert wiedergibt, wenn er das oben angefu¨hrte Zitat wie folgt fortsetzt (Melanchthon, 1846, Sp. 19): »Loquemur et nos scholarum more, perinde ac si sit unica hominis anima, continens plures potentias.« Vgl. zu Melanchthons eigener Antwort auf das Problem der aristotelischen Seelenvielheit Salatowsky, 2006, S. 105.

81 Schwierigkeiten und ohne sich dadurch zu vervielfltigen u¨ber mehrere Krfte verfu¨gen.56 Die Gefahr der Seelenpluralisierung scheint hier eher gebannt als dort, wo man der unteilbaren Seele Teile zuweist, doch wird spter zu zeigen sein, dass auch die Mannigfaltigkeit seelischer Krfte zu einer Vervielfltigung des Seelischen zu fu¨hren vermag (vgl. Abschnitt 2.3). Die These von der »Einheit der Seele in der Vielheit ihrer Vermo¨gen«57 findet nicht allein im protestantischen Raum breite Zustimmung.58 Auch in der katholischen Schulphilosophie ist die Ablehnung einer tatschlichen Seelendreiheit die Regel – man denke hier etwa an die diesbezu¨glichen Ausfu¨hrungen von Rodericus de Arriaga in seinem Cursus philosophicus59 (1632) und von Franciscus de Oviedo in seiner Philosophia60 (1640).61 Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie beharrlich und ausfu¨hrlich die Vorstellung des gleichzeitigen Vorliegens einer vegetativen, sensitiven und rationalen Seele im Menschen in den Seelenlehren der genannten und anderer Schulphilosophen widerlegt wird. Auch wenn nicht viele weithin anerkannte Philosophen der Fru¨hen Neuzeit tatschlich die Position einer innermenschlichen Seelendreiheit vertreten haben, muss doch zumindest die Furcht vor diesem mo¨glichen ›Missverstndnis‹ des aristotelischen Seelenmodells unter ihnen weit verbreitet gewesen sein. Eine Pluralisierung des Seelischen droht vor dem Hintergrund des fru¨hneuzeitlichen Seelenkonzepts indes nicht allein durch die Bezugnahme auf die aristotelische Seelendreiheit. Eine ganze Anzahl weiterer Gefahren erwachsen der in Abschnitt 2.1 entworfenen Einheit der Seele zudem aus dem Verhltnis der Letzteren zum Leib. So kann die Seele beispielsweise gerade durch das fru¨hneuzeitliche Bestreben, sie auf das Schrfste von der Fragilitt und Teilbarkeit des Leibes abzugrenzen, in ihrer Einheit bedroht sein. Wie bereits oben (vgl. Abschnitt 2.1) angedeutet, wird dem Gedanken einer rumlichen Teilbarkeit der im Leib befindlichen Seele in der Fru¨hen Neuzeit im Allgemeinen dadurch widersprochen, dass man von einer als Ganze im ganzen Leib und als Ganze in jedem seiner Teile befindlichen Seele ausgeht.62 Die Beliebtheit und weitreichende Akzeptanz, derer sich dieses philosophische 56 57 58 59 60 61

62

Vgl. Melanchthon, 1846, Sp. 19. Salatowsky, 2006, S. 321 u.o¨. [Herv. d. S. S.] Vgl. etwa ebd. S. 317–323. Vgl. Arriaga, 1632, S. 597. Vgl. Oviedo, 1663, S. 30. Zusammenfassend fu¨r die katholische Position vgl. auch den Artikel Anima in: Altenstaig/Tytz, 1619/1974, S. 50–53, hier S. 51. Zur weitgehenden Einigkeit der Gelehrten u¨ber die Einheit der Seele vgl. auch Freedman, 2004, S. 808–809. Vgl. ausfu¨hrlicher zu diesem in der zeitgeno¨ssischen Philosophie viel diskutierten Problem etwa Dannhauer, 1630, S. 21–25. Verwendet werden in der Fru¨hen Neuzeit auch jene Argumente, die Thomas von Aquin zu diesem Problem anfu¨hrt,

82 Postulat im Barock erfreute, lsst sich etwa daraus erahnen, dass es selbst in der Poesie und in der Erbauungsliteratur aufgegriffen wurde. So heißt es etwa im folgenden Epigramm aus Czepkos Sexcenta Monodisticha Sapientum (verfasst 1640–1647): ¨ BERALL GANTZ. U Die Seele sucht im Fuß, als wie im Haupt ein Wesen, Und hat nichts edlers hier, nichts bessers dort erlesen.63

Das hier zitierte Monodistichon findet seine Erluterung in der folgenden kurzen Passage aus Czepkos erbaulicher Consolatio ad Baronissam Cziganeam (1633): [D]as Wesen der Seele ist in dem geringsten Gliede so vollkommen, als in dem Obersten, weil sie durch die grosse Einigung des Leibes in einer gleichen Wage schwebt […]. Dann die Seel ist gantz und ungetheilet allzumal, so wol in dem Fuße, als in dem Auge.64

In den beiden zuletzt angefu¨hrten Zitaten wird schon durch die konsequente Verwendung des grammatischen Singular die gegenwrtige Einheit des Seelischen suggeriert. Auch fu¨r die zuku¨nftige Seelenstabilitt scheint vorgesorgt: Sogar fu¨r den Fall eines fragmentierenden Eingriffs in die physische Integritt des Menschen bliebe der Seele durch ihre ungeteilte Prsenz an jedem Ort des Leibes ihre Einheit erhalten. Es liegt darum – zumindest vordergru¨ndig – nahe, die Letztere als absolut bzw. unhintergehbar zu bezeichnen. Versucht man allerdings, die beiden Textausschnitten zugrunde liegende Formel tota in toto et tota in qualibet parte (vgl. Abschnitt 2.1) gedanklich wirklich nachzuvollziehen, so wird deutlich, dass sich von einem auf diese besondere Art im menschlichen Ko¨rper vorliegenden Seelischen nicht nur seine absolute Einheit, sondern auch das genaue Gegenteil aussagen lsst – seine totale Pluralisierung. Alle Bemu¨hungen, sich die gleichzeitige vollstndige Prsenz der Seele an jedem Punkt des Leibes konkret vorzustellen, fu¨hren unweigerlich zu einer vielfachen gedanklichen ›Seelen-Klonierung‹, also paradoxerweise geradewegs zu jener Vervielfltigung des Psychischen, die eigentlich vermieden werden sollte. Zieht man vor diesem Hintergrund nun den zweiten Teil der Formel, die Aussage, dass die Seele sich als Ganze im ganzen Leib befinde, mit heran, so ist man unweigerlich mit dem

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vgl. Thomas, 1937, S. 80–85 (Quaestio 76,8 – »Utrum anima sit tota in qualibet parte corporis«). Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 622 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« IV,57); hnlich auch Scheffler, 2000, S. 150 (I,150 – »Eins in dem Andern«). In Schefflers Epigramm heißt es, dass die Seele »gleich durch alle Glieder« sei. Czepko, Bd. 5, 1992, S. 239 (3. Buch).

83 in Abschnitt 1.4.1 geschilderten Vielheits-Einheits-Dilemma konfrontiert, d. h. man gert durch die gleichzeitige Annahme seelischer Einheit und seelischer Vielheit mit dem Satz vom Widerspruch in Konflikt. Auch zeigt sich an dieser Stelle besonders gut die eigentu¨mliche, logisch-begrifflich nicht nachvollziehbare Zwitterposition des leibgebundenen Psychischen in Bezug auf den Raum (vgl. dazu Abschnitt 1.4.2). Einer im Physischen tota in toto et tota in qualibet parte vorliegenden Seele kann einerseits eine gewisse Verrumlichung nicht abgesprochen werden. Andererseits aber widersetzt sie sich der einfachen Eingliederung unter die Gesetze des ußeren, von materiellen Dingen erfu¨llten Raums. Wre die Seele wie ein materieller Gegenstand (etwa eine Flu¨ssigkeit oder ein Gas) u¨ber den ganzen Leib verteilt, so wu¨rde sie zwar durch das Abschneiden eines bestimmten, beseelten Ko¨rperteils mit fragmentiert werden65 und wre somit permanent von außen in ihrer Integritt bedroht. Gleichzeitig aber ko¨nnte sie, solange der Leib unversehrt bliebe, problemlos eine vollstndige Einheit fu¨r sich beanspruchen. In der fru¨hneuzeitlich favorisierten Variante des Zusammenhangs von Seele und Gesamtleib kann ihr genau diese vo¨llige Einheit bei sorgfltiger Betrachtung nicht zugestanden werden. Zur Einheitsbedrohung wird die Verbindung der Seele mit dem Leib aber nicht nur auf dem zuletzt untersuchten Wege, sondern auch dadurch, dass neben das Postulat der physischen Omniprsenz (oder auch nur der Koextension)66 der Seele immer wieder auch das Bemu¨hen um die genauere Lokalisierung einzelner Seelenvermo¨gen bzw. -teile tritt. Zumindest dort, wo die fru¨hneuzeitlichen Gelehrten mehrere Organe gleichzeitig als bevorzugte Sitze bestimmter psychischer Potenzen bzw. Teilgro¨ßen benennen (vgl. dazu Abschnitt 2.3), kann schnell der Eindruck seelischer Pluralitt entstehen, indem man die Verteilung des Psychischen auf verschiedene Leibespositionen als dessen gleichzeitige Aufspaltung in separate ›Seelen‹ (miss-)versteht. Mit der irdischen Leibesbindung der Seele hngen außerdem auch ¨ berjene Einheitsgefhrdungen zusammen, die dem Psychischen im U gang vom pr- zum postmortalen Zustand drohen. Nimmt man aus der in Abschnitt 2.1 dargestellten metaphysisch-theologischen Perspektive die Seele von vornherein nur als Antagonistin des Leibes wahr, so wird man kaum auf den Gedanken kommen, dass sie in irgendeiner 65 66

Vgl. zu diesem Fall etwa die Ero¨rterungen Oviedos (Oviedo, 1656, S. 17). Vgl. zur Koextension im aristotelischen Seelenmodell Fuchs, 2000, S. 29. Fu¨r Thomas Fuchs tritt eine Ablo¨sung des Koextensionsgedankens erst mit der Durchsetzung von Descartes Konzept der res cogitans ein, vgl. ebd. S. 29–30. Allerdings scheint der Verfasserin schon in der vor Descartes stattfindenden Seelensitzdebatte der Koextensionsgedanke in Frage gestellt.

84 Form durch seinen Tod beeintrchtigt werden ko¨nnte. Geraten jedoch in der aristotelisch geprgten Schulphilosophie die einzelnen Lebensußerungen des Menschen und in diesem Zusammenhang auch die einzelnen Seelenteile bzw. Seelenvermo¨gen in den Blick, so lsst sich ein kategorischer Leib-Seele-Dualismus,67 der die Seele als Ganze gegen den Tod immunisiert, kaum aufrecht erhalten. Aus dieser untheologisch-anthropologischen Perspektive muss fu¨r jeden Seelenteil bzw. jedes Seelenvermo¨gen einzeln die Frage nach seiner Unsterblichkeit gestellt werden. Zumindest dann, wenn man nicht allen Seelenpotenzen ihre jenseitige Fort¨ bergang vom prexistenz zugestehen mo¨chte, wird das Seelische im U zum postmortalen Zustand von einem diachronen Identitts- und damit zugleich auch Einheitsverlust bedroht. Genauer wird auf diese Form der Einheitsgefhrdung allerdings erst am Ende des folgenden Abschnitts einzugehen sein, in welchem die einzelnen Seelenvermo¨gen in ihren pluralisierenden Auswirkungen auf das Seelische behandelt werden.

2.3

Seelenvermo¨gen und innerseelische Kmpfe – ¨ berblick Ein U

Als potentiae animae weist Melanchthon dem Menschen nicht allein die drei aristotelischen Seelentypen zu, sondern er unterscheidet (wie schon Thomas von Aquin)68 in der menschlichen Seele insgesamt fu¨nf verschiedene Vermo¨gen: die »[potentia, M. D.] Vegetativa, Sentiens, Adpetitiva, Loco motiva« und »Rationalis«.69 Sie sollen hier im Einzelnen kurz umrissen werden: 1. Das vegetative Seelenvermo¨gen hat drei Aufgaben, »nutrire, augere, et gignere.«70 2. Die potentia sentiens ist mit der Erkenntnis der Einzeldinge befasst. Die durch sie ermo¨glichten Sinneseindru¨cke sind allen weiteren Erkenntnisformen vorgngig, denn – und hier argumentiert Melanchthon gut aristotelisch – im Intellekt findet sich nichts, das nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist.71 Zu unterscheiden sind die inneren 67

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Steffen Arndal hebt zu Recht hervor, dass es erst in der cartesischen und noch nicht in der bis dahin dominierenden aristotelischen Anthropologie zu einer vollstndigen »Entflechtung von Ko¨rper und Seele« komme (Arndal, 1995, S. 883). Thomas unterscheidet fu¨nf genera potentiarum animae, drei animae und vier modi vivendi, vgl. dazu ausfu¨hrlich Thomas, 1937, S. 118–125 (Quaestio 78,1 – »Utrum quinque genera potentiarum animae sint distinguenda«). Melanchthon, 1846, Sp. 20, vgl. auch Sp. 89. Ebd. Sp. 90. Vgl. ebd. Sp. 108. Einschrnkend heißt es allerdings, »quod etsi non congruit ad omnes noticias, tamen de plurimis vere dictum est.« Nicht aus den Sinnen stammen die noticiae innatae, vgl. zu diesen ausfu¨hrlich ebd. Sp. 144.

85 und die ußeren Sinne. Die fu¨nf ußeren Sinne – Gesichts-, Geho¨r-, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn72 – liefern erste ›rohe‹ Sinnesdaten. Die »intra cranium« (und dort an verschiedenen Stellen)73 zu verortenden inneren Sinne verarbeiten diese weiter.74 Melanchthon nimmt mit Galen drei innere Sinne an: den sensus communis, die cogitatio bzw. compositio75 und die memoria.76 Da er an einer spteren Stelle auch dem Intellekt Erinnerungsfhigkeit zugesteht,77 ist davon auszugehen, dass er, wie viele fru¨hneuzeitliche Gelehrte, letztlich zwei Erinnerungsvermo¨gen, eine memoria sensitiva und eine memoria intellectiva, kennt.78 3. Die potentia adpetitiva ist die »facultas prosequens aut fugiens obiecta.« Sie begleitet die menschliche Erkenntnis sogar auf der ho¨chsten Ebene der Gotteserkenntnis. Melanchthon unterscheidet drei Arten dieses seelischen Strebevermo¨gens:79 – Der »adpetitus […] [n]aturalis […] significat et naturalem inclinationem et actiones, quae tamen non oriuntur a sensu, videlicet, attractionem, retentionem, expulsionem.« Dieses Streben steht vor allem mit dem vegetativen Seelenvermo¨gen im Zusammenhang.80 – Der adpetitus sensitivus tritt in Verbindung mit Sinneswahrnehmungen auf. Er kann »per contactum« verursacht werden wie Schmerz oder Lust, die direkt in den Nerven entstehen, findet sich aber auch »sine contactu« als Folge des Denkens oder bestimmter Vorstellungen. Die letztgenannte Form des adpetitus sensitivus lsst sich im Herzen lokalisieren. Sie ist identisch mit den Affekten, die Melanchthon als Bewegungen des Herzens definiert.81

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Vgl. ebd. Sp. 108. Ebd. Sp. 121–122. Vgl. ebd. Sp. 120. Dieser zweite innere Sinn kann bei anderen fru¨hneuzeitlichen Autoren auch andere Namen tragen, so etwa bei Johann Heinrich Alsted »phantasia« (Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 738), bei Schottelius auch »ratiocinatio« und »æstimatio« (Schottelius, 1669/1980, S. 90). Vgl. Melanchthon, 1846, Sp. 121. Vgl. ebd. Sp. 142. Die Annahme einer memoria intellectualis bzw. intellectiva (vgl. zu dieser Gro¨ße etwa Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 738, S. 765; Keckermann, 1612, S. 346; Dannhauer, 1630, S. 223–224) innerhalb der anima rationalis wird notwendig, um eine Identittsgefhrdung des Menschen beim Verlust des Hirns, also nach dem Tode, zu vermeiden. Melanchthon, 1846, Sp. 122. Ebd. Sp. 122–123. Ebd. Sp. 123–124.

86 – Der adpetitus voluntarius82 schließlich ist dort, wo er auftritt, den anderen Strebevermo¨gen u¨bergeordnet. Er lsst sich nicht nur unter die potentia adpetitiva,83 sondern zugleich auch unter das fu¨nfte Seelenvermo¨gen, die potentia rationalis, subsumieren. 4. Die potentia locomotiva ist jenes Seelenvermo¨gen, durch das der Ko¨rper von einem Ort zum andern bewegt werden kann. Beim Tier geschieht dies unter Beteiligung der imaginatio (und des »appetitus animalis seu sensitivus«),84 beim Menschen vor allem auf Veranlassung der ratio und des Willens.85 5. Schließlich bleibt als fu¨nftes und letztes Seelenvermo¨gen die potentia rationalis bzw. die mens, die an kein spezielles ko¨rperliches Organ gebunden ist.86 Sie kann in zwei Teilvermo¨gen, die potentia cognoscens (intellectus) und die potentia appetens (voluntas), untergliedert werden.87 Dabei sind allerdings Intellekt und Wille »reipsa una substantia«.88 Da der Intellekt im Diesseits mit den inneren Sinnen in engem Zusammenhang steht,89 kann er in Verbindung mit dem Gehirn gesehen werden, whrend die voluntas mit dem Herzen assoziiert ist.90 Grundstzlich muss die hier angedeutete Komplexitt und Vielfalt seelischer Krfte der Vorstellung einer unteilbaren, unerschu¨tterlich geeinten Seele noch nicht widersprechen. Man denke an das in Abschnitt 2.2 angefu¨hrte Argument, dass ein und dieselbe Sache u¨ber mehrere Krfte verfu¨gen ko¨nne. Um die Seeleneinheit trotz der Vielfalt seelischer Vermo¨gen als gewahrt anzusehen, muss man jedoch voraussetzen, dass sich auch nicht die geringste Spur eines Antagonismus zwischen den Seelenkrften nachweisen lsst. Dort nmlich, wo auch nur der leiseste Ansatz gleichzeitig-gegenstzlicher Tendenzen zwischen den Seelenvermo¨gen aufgezeigt werden ko¨nnte, kme man nicht umhin, in der Seele 82 83 84

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Vgl. zu ihm ebd. Sp. 122. Vgl. etwa ebd. Sp. 153: »Voluntas est potentia adpetens suprema […]«. Vgl. Schottelius, 1669/1980, S. 112; zum »appetitus animalis seu sensitivus« vgl. ebd. S. 101, S. 103. Vgl. Melanchthon, 1846, Sp. 136–137. Vgl. ebd. Sp. 138–139. Vgl. ebd. Sp. 139. Zugleich ist Melanchthon auch geneigt, in der Einteilung der oberen Seelenkrfte eine Dreiheit aus Wille, Verstand und Erinnerungsvermo¨gen anzunehmen, vgl. ebd. Dieses Schema u¨bernimmt er von Augustinus. Der Kirchenvater setzt in der mens (die – folgt man der Darstellung Roland Teskes – mit der Seele des Menschen, der anima rationalis, gleichzusetzen ist, vgl. Teske, 2001, S. 116) eine substanziell nicht unterschiedene Dreiheit von »memoria, intellegentia, uoluntas« an (Augustinus, 2001, S. 120–126 (Buch 10)). Melanchthon, 1846, Sp. 171. Zur Einheit der Substanz der anima rationalis vgl. etwa auch den Eintrag Anima in Sandaeus, 1640/1963, S. 79–84, hier bes. S. 81–82. Vgl. dazu etwa auch Sennert, 1664, S. 118; Keckermann, 1612, S. 494.

87 wenigstens den Keim einer psychischen Pluralisierung zu konstatieren. Bemerkenswerterweise wird in den fru¨hneuzeitlichen Seelenlehren gerade auf solche pluralisierenden Friktionen unter den Seelenpotenzen immer wieder hingewiesen, wie im Folgenden, wiederum am Beispiel von Melanchthons De anima, gezeigt werden soll. Spannungen und Konflikte sind – in unterschiedlichen Konstellationen und Parteibildungen – vor allem zwischen denjenigen Seelenvermo¨gen zu erwarten, die Impulse fu¨r das willku¨rliche Handeln geben: zwischen dem Willen, der ratio und den Affekten bzw. dem sie metonymisch vertretenden Herzen. Melanchthon beschreibt die Konstellation dieser drei Instanzen vor und nach dem Su¨ndenfall folgendermaßen. Im vollkommenen Zustand vor dem Su¨ndenfall sei der Mensch auf ¨ bereine Konsonanz von Willen, Herz und Intellekt angelegt und ihre U einstimmung untereinander durch ihre Kongruenz mit Gott gewhrleistet gewesen: »In intellectu fulsit forma Dei noticia, voluntas et cor congruebant cum Dei […].«91 Seit dem Su¨ndenfall sei jedoch im Menschen, der nun nur noch u¨ber eine »depravata natura« verfu¨ge,92 eine »morum atque actionum confusio« nachzuweisen.93 Melanchthon betrachtet also die prlapsarische Harmonie zwischen den verschiedenen potentiae animae als nach der Vertreibung aus dem Paradies schwer gesto¨rt. Ein besonderes Problem liegt nach seiner Auffassung darin, dass der Wille sich nicht an den Vorgaben der ratio, sondern an den durch das Herz reprsentierten Affekten orientiert. So schreibt er u¨ber Davids Entscheidung fu¨r den Ehebruch: Ratio monstrat voluntati turpitudinem. Sed cor incensum amore […] rapit secum voluntatem, ne recto iudicio obtemperet.94

In diesem kurzen Textausschnitt deuten sich gleich zwei Konflikte zwischen einzelnen Seelenvermo¨gen und damit zugleich zwei ›Seelenspaltungen‹ an: 1. Will das Herz bzw. wollen die Affekte den Willen zum Ehebruch bewegen, whrend die Vernunft auf die Schndlichkeit eines solchen Vorgehens hinweist, so werden im Kampf um die Beeinflussung des Willens die ratio und das sinnlich-affektive Streben zu Antagonisten. 2. »Wan es aber so weit ko¨mmet / daß unser / durch Begier eingenommenes und durch unser Lustfeur angeflammetes Hertz den Willen 90 91 92 93 94

Vgl. Melanchthon, 1846, Sp. 139; Keckermann, 1612, S. 553. Melanchthon, 1846, Sp. 169. Ebd. Sp. 140. Ebd. Sp. 157. Ebd.; vgl. hnlich Schottelius, 1669/1980, S. 118.

88 vernebelt / un[d] durch blinde Gier an sich zeucht«,95 wenn also der Wille fu¨r den adpetitus sensitivus – und damit gegen die ratio – Partei ergreift, so muss man diesen Vorgang als eine Spaltung (»dissidium«)96 innerhalb der potentia rationalis wahrnehmen. Erklrt wird die zweite Spaltung, das Auseinanderbrechen von Vernunft und Willen, in Melanchthons Schrift durch einen zwischen beiden bestehenden qualitativen Unterschied. In der potentia cognoscens sind noch immer »radii sapientiae Dei« zu finden, die dem Menschen unter anderem auch einen Begriff vom go¨ttlichen Gesetz geben, »[s]ed nec in voluntate, nec in corde sunt motus et flammae congruentes cum lege Dei.«97 Diese Differenz ko¨nnte auch ihrerseits schon als ein Indiz fu¨r die Pluralisierung der Seele gewertet werden. Bemerkenswerterweise ¨ berlegung Vernunft, erscheinen nmlich in der zuletzt angefu¨hrten U Wille und Affekte weniger als Seelenkrfte denn als rumliche Teilsegmente der Seele, die im Hinblick auf ihr Erfu¨lltsein von der go¨ttlichen Weisheit und auf ihre sonstigen Inhalte separat analysiert werden mu¨ssen. Ja, mehr noch: Da sich offenbar zumindest zwischen Vernunft und Willen große Unterschiede in Bezug auf diese Inhalte feststellen lassen, mu¨ssen sie letztlich nicht nur als verschiedene Raumteile, sondern als jeweils eigene Rume aufgefasst werden. Zu den bisher angedeuteten Formen des Auseinanderbrechens verschiedener Seelenvermo¨gen kann schließlich, als letzte Variante der Seelenpluralisierung, auch ein Zwiespalt zwischen der voluntas einerseits und den niederen Strebevermo¨gen andererseits kommen. Ein solcher tritt etwa dann auf, wenn der Wille sich nicht von den Affekten entflammen lsst, sondern der ratio folgt. In diesem Fall darf man nicht davon ausgehen, dass die voluntas als ho¨heres Seelenvermo¨gen den Konflikt einfach durch ein ›Machtwort‹ an die Adresse der nied¨ berrigeren Seelenkrfte beseitigen ko¨nnte. Zwar kann der Wille (in U einstimmung mit der Vernunft) die Ko¨rperbewegungen despotisch – d. h. auch gegen den Widerstand der Affekte, gegen den Impuls des Durstes etc.98 – kontrollieren.99 Er besitzt also zumindest die »liberta[s] 95

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Schottelius, 1669/1980, S. 126. Auch Melanchthon bedient sich der Feuermetaphorik, indem er betont, dass der Wille, statt der Vernunft zu folgen, wie Zunder vom brennenden Herzen Feuer fange, vgl. Melanchthon, 1846, Sp. 157. Die postlapsarische Macht der Affekte u¨ber den Willen betont etwa auch Johann Amos Comenius, vgl. Comenius, 1662, S. 104. Melanchthon, 1846, Sp. 140. Ebd. Sp. 139–140. Vgl. ebd. Sp. 154. Vgl. ebd. Sp. 130. Vgl. dazu auch die Reflexionen Platons in der Politeia (387 v. Chr.): Dort wird ausgefu¨hrt, dass der vernu¨nftige Seelenteil den begehrenden Part der Psyche kontrollieren ko¨nne (Platon, 1958, S. 165 (»Res publica« 439a-d)).

89 regendae locomotivae, id est, frenandi externa membra, ne faciant externa facta pugnantia cum lege Dei.«100 Seine Macht u¨ber das Herz (und damit u¨ber die Affekte) ist jedoch beschrnkt. Bestenfalls kann ¨ berredung, regieren.101 Je nacher dieses Organ politisch, also durch U dem, auf welche Binnendifferenzierung der Seele man zuru¨ckgreifen will, kann man den zuletzt angefu¨hrten Zwiespalt als ein Schisma zwischen den beiden Seelenteilen anima rationalis und anima sensitiva, als Bruch zwischen der potentia rationalis und der potentia adpetitiva oder aber als ein Auseinanderbrechen der potentia adpetitiva bewerten. Eine Schranke ist der Fragmentierung des Strebevermo¨gens lediglich im Hinblick auf Versuche gesetzt, den Willen in sich selbst aufzuspalten, denn es ist – zumindest wenn man der wohlbegru¨ndeten Ansicht des fru¨hneuzeitlichen Schulphilosophen Oviedo folgt – logisch unmo¨glich, dass die voluntas gleichzeitig dasselbe wollen und nicht wollen ko¨nnte.102 ¨ berlegungen gezeigt werden Nachdem mit den zuletzt angefu¨hrten U konnte, wie die Seelenpotenzen in der irdischen Existenz auseinander zu fallen drohen, soll nun auf die Frage nach der Unsterblichkeit der einzelnen Seelenvermo¨gen bzw. -teile eingegangen werden. Zu umgehen ist diese Frage im Grunde nur dann, wenn man Aristoteles als Verfechter einer vollstndigen Sterblichkeit der Seele interpretiert103 und sich dieser Position anschließt. Eine solche Strategie ist jedoch in der Aristoteles-Rezeption der Fru¨hen Neuzeit eindeutig die Ausnahme104 – was in Anbetracht der Dominanz der christlichen Theologie kaum zu erstaunen vermag.105 Etliche der ontologischen Schwierigkeiten, die sich aus der Frage nach der Unsterblichkeit des Seelischen ergeben, sind 100

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Melanchthon, 1846, Sp. 160. Vgl. dazu auch Thomas, 1937, S. 211–212 (Quaestio 81,3 – »Utrum irascibilis et concupiscibilis obedient rationi«); Keckermann, 1612, S. 556. Vgl. Melanchthon, Sp. 130. Vgl. Oviedo, 1663, S. 86. Eine innere Selbstentzweiung der ratio scheint dagegen nach fru¨hneuzeitlicher Auffassung durchaus mo¨glich zu sein, vgl. etwa Calvin, 1967, S. 183. ¨ berblick zu jenen Aristoteles-Stellen, die – je nach InterEinen guten, knappen U pretation – auf die Sterblichkeit oder Unsterblichkeit der Seele Bezug nehmen, gibt Enno Rudolph, vgl. Rudolph, 2005, S. 22–24. Rudolph weist darauf hin, dass Pietro Pomponazzi in seinem Traktat De immortalitate animae (1516) »[a]us dem Seelenkonzept des Aristoteles […] die Konsequenz der Mortalitt der Seele« ableite und diese auch fu¨r sich selber u¨bernehme. Martin Luther hingegen wolle mit derselben Interpretation der aristotelischen Position zur Unsterblichkeitsfrage »den Aristotelismus aus der christlichen Glaubenswahrheit tilgen« (Rudolph, 2005, S. 22). Zumindest fu¨r die lutherische Schulphilosophie des 17. Jahrhunderts weist Walter Sparn zu Recht darauf hin, dass die aristotelische Auffassung zur Psychologie u¨berall dort, wo sie mit »biblische[n] Aussagen« konfligiere, abgewandelt werde, vgl. Sparn, 2001, S. 494.

90 bereits in Pietro Pomponazzis viel diskutiertem Traktat De immortalitate animae (1516) erfasst. Der Philosoph entwirft in den ersten Kapiteln seiner Schrift folgende Problemstellung: Da die Ttigkeiten der anima sentiens und vegetativa physische Werkzeuge voraussetzten, whrend die Vermo¨gen der anima rationalis, d. h. Intellekt und Wille, den Leib nicht beno¨tigten,106 mu¨sse man dem Menschen im Blick auf seine psychische Komponente eine multiple Natur zuschreiben.107 Der Mensch ko¨nne in seiner psychischen Verfasstheit weder als rein sterblich noch als rein unsterblich betrachtet werden.108 Als problematisch beurteilt Pomponazzi dies vor allem insofern, als von ein und derselben Seele nicht gleichzeitig ihre Sterblichkeit und ihre Unsterblichkeit ausgesagt werden ko¨nnten,109 ohne damit die Gesetze der Logik zu missachten. Andererseits kann Pomponazzi sich aber auch eine echte Seelenpluralitt – sie wird von ihm in Form einer Spaltung zwischen einer (unsterblichen) anima rationalis und einer (sterblichen) anima sentiens diskutiert110 – nicht vorstellen: »Si igitur altera esset essentia, qua sentio et qua intelligo, quo igitur modo fieri potest, ut idem, qui sentio, sim ille, qui intelligo?«111 Whrend Pomponazzi die als Antwort auf die (Un-)Sterblichkeitsfrage entwickelte These einer Seelenpluralisierung als lcherlich (»ridiculum«) betrachtet,112 lo¨sen – zumindest außerhalb der bisher fokussierten Schulphilosophie – etliche fru¨hneuzeitliche Gelehrte das Problem der seelischen (Un-)Sterblichkeit tatschlich durch die Annahme einer Seelenspaltung. Bemerkenswerterweise verwenden sie dabei immer wieder auch eindeutig aristotelisches Vokabular: So gehen etwa, wie Michael Kutzer in seiner auf breitem Quellenmaterial basierenden Studie zu den fru¨hneuzeitlichen Vorstellungen von der Geisteskrankheit zeigt, viele fru¨hneuzeitliche rzte113 von der gleichzeitigen Existenz einer sterblichen »Ko¨rperseele« bzw. »Anima sensitiva« [!] und einer unsterblichen »Geist-Seele« bzw. »Anima rationalis« [!] aus.114 In der Annahme zweier getrennter Seelen (oder zumindest 106 107 108 109 110 111 112

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Vgl. Pomponazzi, 1990, S. 6; dazu auch Boenke, 2005, S. 51–52. Vgl. ebd. S. 8. Vgl. ebd. S. 6; dazu auch Boenke, 2005, S. 51–52. Vgl. ebd. S. 8–10; dazu auch Mojsisch, 1990, S. XVII. Vgl. Pomponazzi, 1990, S. 40. Ebd. S. 42; dazu auch Mojsisch, 1990, S. XXII–XXIII. Pomponazzi, 1990, S. 42; zu Pomponazzis eigener Antwort auf die (Un-)Sterblichkeitsfrage vgl. Mojsisch, 1990, S. XVII, S. XXVII–XXVIII. In Katharine Parks Abriss der Seelenlehre der Renaissance erscheint die Annahme eines solchen Seelendualismus auch als mo¨gliche Position fru¨hneuzeitlicher Philosophen, vgl. Park, 1988, S. 464, S. 483–484. Kutzer, 1998, S. 57. Teilweise lsst sich bei den fru¨hneuzeitlichen rzten allerdings auch einfach ein Desinteresse an der medizinisch kaum relevanten Frage nach der Einheit bzw. Pluralitt des Seelischen beobachten. So mo¨chte etwa

91 zweier in Bezug auf ihr postmortales Schicksal klar unterschiedener »Seelenanteil[e]«115), die nach den aristotelischen Seelentypen bzw. -teilen benannt sind, findet wohl eine Kontamination des peripatetischen Seelenkonzepts mit der galenisch-platonischen Theorie eines »Seelensplitting[s]« statt.116 Mo¨chte man die Frage nach der seelischen (Un-)Sterblichkeit nicht auf dem Wege der Seelen-Pluralisierung beantworten und dennoch den Satz vom Widerspruch nicht verletzen, so drngt sich zunchst die Lo¨sung auf, ein gleichzeitiges Vorliegen sterblicher und unsterblicher Seelenvermo¨gen im Menschen anzunehmen. Auch hier drohen der See¨ bergang von der leneinheit allerdings Gefahren. Verliert die Seele im U Immanenz zur Transzendenz zahlreiche ihrer Potenzen, so erscheint sie dadurch in ihrer Identitt in Frage gestellt und damit zumindest diachron pluralisiert. Der Schulphilosoph Johann Conrad Dannhauer ist bestrebt, in seiner Antwort auf die (Un-)Sterblichkeitsfrage auch diese Form der Seelenpluralisierung zu umgehen. Er wendet sich in seinem Collegium psychologicum nicht nur gegen die Vorstellung, dass im Menschen eine sterbliche und eine unsterbliche Seele vorliegen ko¨nnten,117 sondern er lehnt auch den Gedanken einer partiellen Sterblichkeit der einen Seele grundstzlich ab: »Omnis immortalis anima est hominis anima.«118 In diesem Fall wird im Grunde der schon von Thomas von Aquin119 beschrittene Ausweg aus dem Dilemma der (Un-)Sterblichkeitsfrage gewhlt. Thomas geht davon aus, dass in der postmortal vom Leib getrennten Seele die ›inferioren‹ Seelenvermo¨gen (und damit auch die beiden ›niedrigeren‹ aristotelischen ›Seelen‹) erhalten bleiben, jedoch mit dem ›Wegfall‹ des Leibes die Mo¨glichkeit zu ihrer Aktualisierung verlieren.120 Whrend fu¨r Verstand und Willen (als Vermo¨gen der anima rationalis) die Seele den alleinigen Trger (subjectum) dar-

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Daniel Sennert von vornherein nicht auf die Frage eingehen, ob alle Vermo¨gen im Menschen »ab una; quæ his omnibus viribus prædita sit, anima proveniant; An vero` distinctæ facultates distinctas animas sequantur«. Ihm genu¨ge vielmehr die Betrachtung der Seelenvermo¨gen selbst (Sennert, 1664, S. 46). Kutzer, 1998, S. 57. Klier, 2002, S. 31. Gerhard Klier weist in seiner Dissertation darauf hin, dass der »aristotelische[n] Wissenschaftsfraktion«, die von einer »einzige[n], einheitliche[n] Seele« ausgehe, ein »galenische[s] resp. platonische[s] Seelensplitting« gegenu¨berstehe. Vgl. Dannhauer, 1630, S. 18: »[N]on […] fieri potest, in Uno Subjecto duas esse animas, alteram naturaˆ corruptibilem, alteram incorruptibilem.« Dannhauer, 1630, S. 18. Zur Bedeutung von Thomas von Aquin noch fu¨r die fru¨hneuzeitliche Philosophie vgl. Keßler/Park, 1988, S. 462. Dass die vom Leib getrennte Seele »nicht alle jhre Wirckung« besitze, steht auch fu¨r Matthus Hedler fest, vgl. Hedler, 1657, S. 28.

92 stelle und sie daher bei ihrer Ablo¨sung vom Leib unbeschadet weiter wirksam werden ko¨nnten, bu¨ßten »omnes potentiae sensitivae partis et nutritivae« ihren Trger ein. Letzterer nmlich sei fu¨r die niederen Seelenvermo¨gen nicht die Seele allein, sondern der Mensch als leibseelisches Kompositum, das mit dem Tod (zumindest bis zur leiblichen Auferstehung) nicht mehr existiere: »Unde, corrupto conjuncto, non manent hujusmodi potentiae actu; sed virtute tantum manent in anima, sicut in principio vel radice.«121 So vollstndig, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, wird die Pluralisierungsgefahr allerdings auch in dieser Antwort auf die Unsterblichkeitsfrage nicht gebannt. Auch hier kann – zumindest diachron – eine keimhafte Vervielfltigung des Seelischen nicht von der Hand gewiesen werden. Mag die anima separata auch alle Seelenvermo¨gen »in principio« beibehalten, so befindet sie sich doch bereits durch deren nur noch partielle Aktualisierbarkeit in einer Verfassung, die vom irdischen Seelenzustand ganz erheblich unterschieden ist. ¨ berblick u¨ber die Positionen Insgesamt konnte mit diesem kurzen U zur (Un-)Sterblichkeitsfrage eine weitere Ebene aufgezeigt werden, auf der sich die Seeleneinheit als bedroht erweist. Eine ganz andere, noch weitaus subtilere Form seelischer Pluralisierung, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden: die Unterteilung des Menschen in ›Leib‹, ›Seele‹ und ›Geist‹.

2.4

Menschen »auß dreyen […] Stu¨cken«? – Die implizite Seelenpluralisierung in fru¨hneuzeitlichen Leib-Geist-Seele-Konzepten

In einem von Ludwig Seltzer aus dem Lateinischen u¨bersetzten Traktat Johann Winckelmanns, der Erleuterung der Frage / Ob der Mensch auß zweyen wesentlichen Stu¨cken / nemblich Leib vnd vernu¨nfftiger Seelen: Oder aber auß dreyen wesentlichen Stu¨cken / Geist / Seel vnd Leib bestehe (deutsch publiziert 1623), wird eingangs konstatiert, dass der Mensch u¨blicherweise in »zwey wesentliche Stu¨cke« abgeteilt werde. In der Regel unterscheide man zwischen dem Leib und der »vernu¨nfftige[n] Seel / welche in sich fasset die vntere Krfften vnnd Vermo¨gen / Krafft deren man fu¨hlet / lebet / sich reget vnd beweget.«122 Gegen 121

122

Thomas, 1937, S. 116 (Quaestio 77,8 – »Utrum omnes potentiae animae remaneant in anima a corpore separata«). Vgl. zu den Antworten des 17. Jahrhunderts auf die Frage nach dem Schicksal der niedrigeren Seelen(-vermo¨gen) nach dem Tode auch Freedman, 2004, S. 799 (speziell fu¨r die Position Timplers), S. 809. Winckelmann, 1623, S. 3.

93 diesen »in Kirchen vn[d] Schulen angenom[m]enen […] Vnterscheid der wesentlichen Stu¨cken deß Menschen / Leibs vnd Seelen«, habe sich, vielleicht nach dem Vorbild des Paracelsus, Valentin Weigel gewendet und den Menschen in »Leib / Seel vnd Geist« geteilt. Dem Geist habe er eine Herkunft »auß dem Gestirn deß Himmels« zugewiesen, die Entstehung der Seele dagegen auf »Gottes Einblassen« zuru¨ckgefu¨hrt. Der Leib, so habe Weigel gelehrt, verwese nach dem Tod, der Geist, der schließlich »von dem Gestirn vnd Firmament wider verzehret« werde, erscheine nach dem physischen Ende des Menschen noch einige Jahre auf Erden, die Seele aber kehre zu Gott zuru¨ck. Weigels Konzept ist indes nur eines jener anthropologischen Modelle, die Winckelmann zur Ero¨rterung der Frage nach der menschlichen Zwei- bzw. Dreiteiligkeit drngen. Neben Weigels Entwurf des Menschen, so betont er auf den ersten Seiten seines Traktats, sei gegenwrtig auch eine Lehre im Umlauf, die dem Geist eine go¨ttliche, der Seele dagegen eine siderische Herkunft zuweise.123 Die wenigen hier paraphrasierten Stze aus Winckelmanns Traktat lassen deutlich werden, dass die Fru¨he Neuzeit die Frage nach der Beschaffenheit des Menschen nicht immer nur als die Frage nach Leib und Seele(n) versteht. Von der seelischen kann vielmehr gelegentlich auch noch eine geistige Komponente des Menschen unterschieden werden (in den meisten Fllen, so auch in den meisten barocken Gedichten, wird der Begriff ›Geist‹ allerdings synonym zum Ausdruck ›Seele‹ gebraucht). Auf den ersten Blick scheinen solche triadischen Konzepte keine Seelenpluralisierung zu beinhalten. Nur ein Teil des Menschen wird schließlich in diesen anthropologischen Entwu¨rfen als ›Seele‹ bezeichnet. Dass jedem Menschen daru¨ber hinaus auch noch ein ›Geist‹ zugeschrieben wird, scheint fu¨r die Frage nach der Einheit der Seele keine Rolle zu spielen. Die Voreiligkeit eines solchen Urteils mag sich schon in Winckelmanns oben zusammengefassten Darstellungen andeuten, geht doch aus ihnen hervor, dass Seele und Geist in den trichotomischen Entwu¨rfen des Menschen unterschiedlich gereiht, dass sie gewissermaßen von Modell zu Modell ausgetauscht werden ko¨nnen. Dies ru¨ckt die beiden nicht-physischen Instanzen in eine derartig große Nhe zueinander, dass es sich geradezu aufdrngt, sie in gewisser Weise als zwei Seelen (oder auch zwei ›Geister‹) zu betrachten. Tatschlich ist die wissenschaftsgeschichtliche Forschung immer wieder geneigt, alle triadischen Menschenbilder grundstzlich unter dem Vorzeichen eines »Seelensplitting[s]«124 wahrzunehmen. So benennt Gerhard Klier, der in seiner Dissertation u¨ber die fru¨hneuzeitli123 124

Ebd. S. 4. Klier, 2002, S. 31.

94 che Spirituslehre die verschiedensten anthropologischen Modelle untersucht, die beiden nicht-physischen Komponenten, welche in triadischen Konzepten dem Menschen zugeschrieben werden, grundstzlich als »erlo¨sungsfhige Seele« und (sterbliche) »Vitalseele«.125 Schon durch diese Vereinheitlichung des Namens interpretiert er die Dreiteilung des Menschen als eine Seelenpluralisierung. Dies ist nicht erst eine Sicht des heutigen Forschers. Bereits die Zeitgenossen werfen den Verfechtern triadischer Konzepte vor, mit der Geist-Seele-Differenzierung die Existenz zweier Seelen im Menschen zu behaupten. So wird in Winckelmanns oben angefu¨hrtem Traktat bei der Widerlegung der dreiteiligen Menschenbilder betont: »Es ist aber mit nichten eine zwiefache lebendige Seel in dem Menschen / sondern wie der Text sagt: anima vivens, eine lebendige Seele.«126 Sogar in den heterodoxen127 Abhandlungen selbst wird die Differenzierung zwischen Geist und Seele mehr oder weniger klar als eine Form der Seelenspaltung eingestuft. So geht etwa Paul Felgenhauer davon aus, dass »der Mensch / neben seinem leibe / und neben seiner lebendigen seelen […] auch eine unsterbliche Seele und Geist aus GOTT habe / die da unvergengklich Ewig / und der othem des Allmchtigen ist«.128 Gerade an Felgenhauers Zitat wird deutlich, dass die zweite von Winckelmann angefu¨hrte Variante der Seele-Geist-Unterscheidung (Geist als ho¨herwertige und unsterbliche Komponente) einer bereits thematisierten Form der Seelen-Pluralisierung nahe steht: In struktureller Hinsicht gleicht sie jenen oben erwhnten Konzepten, die unter Verwendung aristotelischer Vokabeln eine Ko¨rper- und eine Geist-Seele unterscheiden (vgl. Abschnitt 2.3). Dass es auch Geist-Seele-Leib-Konzepte geben kann, die eine psychische Pluralisierung weitgehend zu vermeiden suchen, zeigt sich etwa an jenem Menschenbild, das Luther in seiner in der Fru¨hen Neuzeit viel diskutierten Magnificat-Auslegung von 1521 entwirft. Zunchst betont der Reformator, dass die Heilige Schrift »den menschen ynn drey teil«, nmlich »geist, seel« und »leip« teile, von denen »der geist […] das hohste, tieffiste, edliste teil des menschen«, d. h. jene Komponente sei, »damit er geschickt ist, unbegreiflich, unsichtige, ewige ding zu fassen.«129 Die Seele, die er zunchst als vom Geist getrennte Gro¨ße angefu¨hrt hat, ist nach seiner Ansicht nicht etwas substantiell vom Geist Unterschiedenes, sondern 125 126 127

128 129

Ebd. Winckelmann, 1623, S. 6. Diese Widerlegung bezieht sich auf 1. Mose 2,7. Klier weist ausdru¨cklich auf die Unvertrglichkeit der »Zweiseelenlehre« mit der orthodoxen Theologie der Fru¨hen Neuzeit hin, vgl. Klier, 2002, S. 30. Felgenhauer, 1650, S. 38–39. Luther, 1897/1966, S. 550.

95 eben derselbe geist nach der natur, aber doch inn einem andernn werck. Nemlich ynn dem, alsz er den leyp lebendig macht und durch ynn wircket und wirt offt ynn der schrifft fur ›das leben‹ genummen […]. Unnd ist sein art nit die unbegriflichen ding zu fassen szondernn was die vornunfft erkennen unnd ermessen kan.130

›Geist‹ und ›Seele‹ sind fu¨r Luther also nur in ihren Ttigkeiten zu unterscheiden. Diese Argumentation erinnert zumindest entfernt an die Versuche, die zur Rettung der Einheit einer aristotelisch-dreiteiligen Seele unternommen werden. Selbst Luthers vorsichtige, um die Vermeidung einer Seelenreduplikation bemu¨hte Haltung kann allerdings in der anthropologischen Literatur des Barock noch als Bekenntnis zu einer strikten Geist-Seele-Trennung und damit indirekt als Pldoyer fu¨r eine Pluralisierung des Psychischen (miss-)verstanden werden.131 Darin zeigt sich ein weiteres Mal, wie stark sich in das barocke Nachdenken u¨ber die Seele der Gedanke einer seelischen Pluralitt hineindrngt, mag er auch immer wieder auf das Heftigste bekmpft werden.

2.5

Einheit oder Vielheit? – Zusammenfassende Bemerkungen zu einem Dilemma der fru¨hneuzeitlichen Psychologie

In den vorangehenden vier Abschnitten dieses Kapitels wurden – vor allem am Beispiel schulphilosophischer Texte – die verschiedenen Antworten skizziert, die jenseits des Metaphorischen, nmlich in den anthropologischen Ausfu¨hrungen fru¨hneuzeitlicher Wissenschaftler, auf die Frage nach der Einheit bzw. Pluralitt des Seelischen gegeben werden. In Abschnitt 2.1 konnte zunchst festgestellt werden, dass gleich 130

131

Ebd. S. 550–551. hnlich ist die Differenzierung zwischen spiritus und anima, die Maximilian Sandaeus – ebenfalls die substantielle Einheit zwischen Geist und Seele betonend – aus der Bibel, den Schriften der Kirchenvter und Mystiker ableitet, vgl. den Eintrag spiritus in Sandaeus, 1640/1963, S. 332–334. Zu denken wre hier etwa an einen 1620 unter dem Pseudonym ›Christianus Theophilus‹ herausgegebenen Traktat, in dem der Autor einer radikalen, substantiellen Trennung des Menschen in »drey partibus essentialibus sive substantialibus« das Wort redet (Christianus Theophilus, 1620, Bl. Av [Herv. d. C. T.]): Ein Zitat aus Luthers Magnificat-Auslegung voranstellend (vgl. ebd. Bl. †v) geht Christianus Theophilus in seiner Schrift davon aus, dass nur wenige, darunter Luther, den Aufbau des Menschen bisher richtig erkannt htten (vgl. ebd. Bl. ¨ bereinstimmung zwischen Ar). Damit unterstellt er (flschlicherweise) eine U dem Menschenbild Luthers und seinem eigenen Standpunkt. Auch Hedler betont, dass sich die Anhnger eines menschlichen Tripartismus auf Luthers Trias von Leib, Geist und Seele beriefen, vgl. Hedler, 1657, S. 33. Rezipiert wird Luthers Magnificat-Auslegung auch von Franz Simon und Winckelmann, die allerdings beide nicht von einer substantiellen Geist-Seele-Trennung bei Luther ausgehen, vgl. Simon, 1664, S. 750–751; Winckelmann, 1623, S. 11.

96 mehrere Eigenschaften, die fru¨hneuzeitliche Gelehrte der menschlichen Seele zuweisen, das Vorhandensein oder die Entstehung einer SeelenVielheit von vornherein auszuschließen scheinen: Immer wieder wird die Seele des Menschen in fru¨hneuzeitlichen Texten als dem Wesen nach und in rumlicher Hinsicht unteilbar (und damit einfach), als unzersto¨rbar und unsterblich beschrieben. In den folgenden drei Abschnitten (2.2–2.4) hat sich allerdings gezeigt, dass die Wahrnehmung der Seele als unerschu¨tterliche, metaphysische Einheit von verschiedenen Seiten her bedroht wird. Schon dort, wo die Seelenlehren sich auf die aristotelische Seelendreiheit der anima rationalis, der anima sentiens und der anima vegetativa berufen, kann der Eindruck entstehen, dass eine solche Unterteilung eine psychische Pluralisierung bedeute (vgl. Abschnitt 2.2). Zwar wird das separate Vorliegen aller drei aristotelischen Seelentypen im Menschen nur von wenigen Gelehrten der Fru¨hen Neuzeit tatschlich postuliert, doch fu¨hlen sich die Verfechter seelischer Einheit zu erstaunlichen argumentativen Anstrengungen bei der Widerlegung einer solchen Position verpflichtet. Zu einer Vervielfltigung der Seele kann aus bestimmten Blickwinkeln weiterhin die enge Verbundenheit der Seele mit dem Leib fu¨hren. Auch in der Frage ihrer postmortalen Existenz drohen ihr diachrone Pluralisierungen und außerdem lsst das teilweise geradezu antagonistische Verhltnis der verschiedenen psychischen Krfte die synchrone Kohrenz des Psychischen fraglich werden (vgl. die Abschnitte 2.2 und 2.3). Gefhrdet erscheint die Seeleneinheit schließlich auch in jenen Konzepten des Menschen, die von einer Leib-Geist-Seele-Teilung ausgehen (vgl. Abschnitt 2.4). In diesen anthropologischen Entwu¨rfen entspricht die Differenzierung zwischen Seele und Geist zumeist strukturell der Untergliederung des Menschen in einen sterblich-leibgebundenen und einen unsterblichen Seelenteil. Die hier noch einmal rekapitulierten Einzelergebnisse des zweiten Kapitels lassen sich zu folgender Gesamtbeobachtung zusammenfassen: Das in Abschnitt 1.4.1 epochenunabhngig postulierte Problem eines bipolaren Seelenbegriffs, der sich zum einen auf eine psychische Mannigfaltigkeit, zum anderen auf eine absolut einige Seele bezieht, ist in den barocken bzw. im Barock intensiv rezipierten Seelenlehren wirklich nachzuweisen. Damit ko¨nnen die im Hauptteil aufzuspu¨renden und in ihrer unterschiedlichen Ausprgung zu untersuchenden viel-einheitlichen barocken Seelenmetaphern tatschlich als unbegriffliche Antwort auf dieses Vielheits-Einheits-Dilemma gelesen werden.

3

Seelenrume – Zur Viel-Einheit der Seele in der rumlichen und raumzeitlichen Seelenbildlichkeit barocker Gedichte

Zu Beginn der nun folgenden paradigmatischen Interpretationen einzelner Seelenbilder der barocken Lyrik sollen zunchst verschiedene Lesarten des in Abschnitt 1.4.2 entworfenen, sehr weiten Begriffs ›Seelenraummetapher‹ angefu¨hrt werden. An konkreten Beispielen wird in Abschnitt 3.1 zu ero¨rtern sein, ob bei den folgenden Metaphernanalysen alle Varianten metaphorischer Seelenrume beru¨cksichtigt werden sollen oder ob die Konzentration auf einen Typus des Seelenraums sinnvoller ist. In Abschnitt 3.2 soll dann ein Begriffsinstrumentarium fu¨r die weitere Analyse seelischer Rume entwickelt werden, dessen einzelne Komponenten einerseits die Binnengliederung der folgenden Abschnitte des Hauptteils (3.3–3.8) begru¨nden und andererseits als Vokabular fu¨r die konkreten Einzelanalysen dienen werden.

3.1

Raum der Seele oder Seele als Raum? – ¨ ber die Mehrdeutigkeit des Begriffs ›Seelenraum‹ U

In Abschnitt 1.4.2 wurde das Metaphernkorpus der vorliegenden Studie vorlufig auf alle jene Sprachbilder eingegrenzt, »in denen der Aspekt des Rumlichen eine entscheidende Rolle bei der Charakterisierung des Seelischen spielt« bzw. »in denen man eine Entsprechung und/oder ein Zusammenspiel rumlicher und seelischer Strukturen nachweisen kann«. Aus spracho¨konomischen Gru¨nden wurden alle Metaphern, die diese Voraussetzungen erfu¨llen, unter dem neologistischen Begriff der ›Seelenraummetapher‹ zusammengefasst. Dieser Terminus erweist sich bei nherem Hinsehen als hervorragend geeignet, die Vagheit, die in der oben angefu¨hrten Eingrenzung bewusst angestrebt ist, zu transportieren. Vor allem der in diesem Kompositum enthaltene Ausdruck ›Seelenraum‹ ist alles andere als eindeutig, was nicht allein damit zusammenhngt, dass es sich sowohl bei der ›Seele‹ als auch beim ›Raum‹ um keineswegs leicht zu definierende, facettenreiche Begriffe handelt. Selbst wenn man hinter die Problematisierungen des

98 Seelenbegriffs in Abschnitt 1.4.1 zuru¨ckgeht und unter der ›Seele‹ einfach das versteht, was explizit als solche benannt wird, und wenn man, in einem weiteren Vereinfachungsschritt, die Bezeichnung ›Raum‹ zunchst nur fu¨r klar begrenzte, gefßartige Gebilde verwendet (vgl. zum Raumbegriff vor allem Abschnitt 3.2), lassen sich fu¨r den Ausdruck ›Seelenraum‹ mindestens drei Bedeutungsalternativen unterscheiden: 1. Der Seelenraum kann den Raum, der fu¨r die Seele vorgesehen ist, bezeichnen. In diesem Fall ist die Seele gewissermaßen als ein konkreter Rauminhalt zu interpretieren, der ein bestimmtes dreidimensionales Behltnis ganz oder zumindest teilweise ausfu¨llt. 2. Weiterhin kann das Kompositum ›Seelenraum‹ so verstanden werden, dass die Seele selbst einen Raum darstellt und damit ihrerseits als Gefß fu¨r eine wie auch immer geartete, von außen kommende oder aus ihr selbst generierte Fu¨llung fungiert. 3. Schließlich ko¨nnten auch solche Rume ›Seelenrume‹ genannt werden, die in bestimmten Phasen des menschlichen Erlebens (z. B. Meditation, Traum, Vision, Halluzination) subjektiv als ›wirklich‹ – d. h. als außerhalb der Seele liegend – betrachtet werden,1 die der alltglichen sinnlichen Wahrnehmung anderer Personen jedoch verborgen sind, sich ihnen also nicht als ›reale‹ ußere Rume erschließen.2 Auch wenn der hier zuletzt angefu¨hrte Seelenraum-Typus zunchst einmal ein von der Seele (bzw. einer sie vertretenden inneren Gro¨ße) bloß ›geschauter‹ ist, whnt sich die psychische Entitt zumeist auch selbst in diesem Raum enthalten.3 Daher kann in vielen Fllen der von der Seele visionr wahrgenommene Raum zugleich auch als Sonderfall eines Raums fu¨r die Seele, also eines Seelenraums im Sinne der ersten Definition, betrachtet werden. Dies rechtfertigt es, im weiteren Verlauf dieses Abschnitts die der ersten und die der dritten Definition entsprechenden Seelenrume gemeinsam zu untersuchen. Dass Seelenrume im Sinne der dritten oder auch der ersten Definition in der literaturwissenschaftlichen Forschungsliteratur hufig nicht klar von den Seelenrumen im Sinne der zweiten Lesart unter1 2

3

Vgl. Dinzelbacher, 1981, S. 90. Vgl. zu diesem Typus des Seelenraums und dem Ort, den die Seele in oder gegenu¨ber demselben einnimmt, grundlegend Ganz, 2006. Auch wenn David Ganz seine Beobachtungen an nichtliterarischen Quellen (an mittelalterlichen Handschriftenillustrationen) macht, lassen sich doch daraus prinzipiell auch Anregungen fu¨r die Beschftigung mit literarischen visionren Seelenrumen gewinnen. So betont etwa Dinzelbacher bei der Ero¨tertung der visionren Schau: »Das Wesen einer Vision besteht im Versetztwerden in andere […] Rume« (Dinzelbacher, 1981, S. 90).

99 schieden werden,4 muss in den meisten Fllen als unbefriedigende Vereinfachung,5 zuweilen auch als Zeichen einer ungenu¨genden grundstzlichen Reflexion u¨ber die mo¨glichen Erscheinungsformen des Seelenraums beurteilt werden. Kommen in einem literarischen Text mehrere Seelenraumtypen unmittelbar nebeneinander vor, so sollte ein Interpret, der an der systematischen Erforschung des Zusammenhangs von Raum ¨ bergang zwischen beiden Raumund Seele interessiert ist, auf den U varianten hinweisen und sie nicht um der Einheit und der Logik der Raumdarstellung willen als ein und denselben Seelenraum betrachten. Wie schon zu Beginn des Kapitels angedeutet, wird im Folgenden zu ero¨rtern sein, ob beide hier skizzierten Großkategorien von Seelenrumen in den weiteren Abschnitten des Hauptteils betrachtet werden sollten, in diesem Fall wu¨rde die weite Definition des Ausdrucks ›Seelenraummetapher‹ aus Abschnitt 1.4.2 beibehalten, oder ob sich eine Beschrnkung auf ein engeres Verstndnis dieses Begriffs empfiehlt. Im letzterwogenen Fall wren im weiteren Interpretationsverlauf nur Seelenrume im Sinne der zweiten Lesart zu beru¨cksichtigen, da nur hier von einem Reprsentationsverhltnis zwischen Raum und Seele und somit im engeren Sinne von Seelenraummetaphern gesprochen werden kann. In diesem Zusammenhang wird zunchst zu untersuchen sein, in welchem Umfang sich aus Seelenrumen im Sinne der ersten und dritten Definition (d. h. aus den die Seele umgebenden oder von ihr geschauten Rumen) konkrete Informationen u¨ber die Vielheit und/oder Einheit des Seelischen gewinnen lassen (Abschnitt 3.1.1). Anschließend soll kontrastiv dazu betrachtet werden, welches Aussagepotential metaphorische Seelenrume im Sinne der zweiten Lesart im Hinblick auf die Pluralitt und/oder Einheit des Psychischen besitzen (Abschnitt 3.1.2). 4

5

Vgl. etwa Olk, 2002. Wenn Olk bei ihrer Untersuchung mystischer Texte von Margery Kempe und Mechthild von Magdeburg vom ›Seelenraum‹ redet, meint sie damit einmal den »Innenraum der Seele« (ebd. S. 47, vgl. etwa auch S. 43, wo vom »Weg in die Seele« die Rede ist), ein anderes Mal bezeichnet sie als ›Seelenraum‹ dagegen jenen Raum, in welchem die personifizierte Seele auftritt (vgl. etwa ebd. S. 53). Daran, dass beide Rume in den Texten der zwei Mystikerinnen auftreten, besteht kein Zweifel, es wre nur wu¨nschenswert gewesen, dass Olk, wenn sie beide Rume gleichermaßen als ›Seelenraum‹ bezeichnet, grundstzlich auf die Polysemie dieses Begriffs hinweist. Eine sorgfltige Differenzierung beider Raumformen unterbleibt z. B. auch in Hermanns Dissertation (Hermann, 2004) oder in J. Douglas Porteous Landscapes of the Mind (Porteous, 1990). In den beiden letztgenannten Studien wird allerdings der Begriff ›Seelenraum‹ ohnehin nicht verwendet. Dass der Seelenraum des dritten Typs mit dem Seelenraum des zweiten Typs zusammenfllt, kommt nur in Ausnahmefllen vor, nmlich dann, wenn die Seele whrend ihrer Vision, ihrer Meditation, ihres Traums etc. explizit in sich selbst hineinschaut (vgl. etwa Dinzelbacher, 1981, S. 127). Der Seelenraum des ersten Typs kann logisch nicht mit jenem des zweiten Typs zusammenfallen.

100 3.1.1 Nuss-Schalen und Mandelkerne – Der Raum fu¨r die Seele Besonders jene Seelenrume, die unter die erste und/oder die dritte der oben angefu¨hrten Definitionen fallen, erweisen sich als ußerst variabel. So sind sie durch enger oder weiter gezogene Grenzen charakterisiert, ko¨nnen sowohl ein diesseitiges als auch ein transzendentes Territorium bezeichnen und entweder nur eine einzige Seele oder gleichzeitig ein ganzes Seelenkollektiv beherbergen. Bei weitestmo¨glicher Grenzziehung wre der gesamte Welt-Raum, der ganze Kosmos also, als ein einziger großer, universaler ›Seelenraum‹ zu verstehen. Dieser wird im Allgemeinen nicht von einer einzigen Seele fu¨r sich beansprucht (vgl. dazu allerdings auch Abschnitt 3.3.2), sondern er enthlt die Gesamtheit der Einzelseelen und ist, zumindest nach (neu-)platonischer Vorstellung, zugleich durchwirkt von einer omniprsenten Weltseele.6 Einen etwas anders begrenzten Seelenraum im Sinne eines Raums fu¨r viele Seelen, fu¨r Seelenkollektive, entwirft Margaret Wertheim bei ihrer Deutung von Dante Alighieris Divina Comedia (vollendet 1321). Sie fasst die dicht bevo¨lkerten7 jenseitigen bzw. »eschatologischen«8 Rume von Himmel und Ho¨lle zu einem einzigen »Seelen-Raum«9 zusammen und stellt ihn dem Ko¨rper, dem »Raum der Lebenden«, gegenu¨ber.10 hnliche Rume hat beispielsweise Schottelius in der 20. Strophe seiner Sonderbaren Vorstellung / Wie es mit Leib und Seel Des Menschen werde / Kurtz vor dem Tode / Jn dem Tode / und nach dem Tode bewandt seyn (1674) im Sinn, wenn er von (jenseitigen) »Seelen Oerter[n]« redet.11 6 7

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Vgl. zur Weltseele in der Fru¨hen Neuzeit Meier-Oeser, 2001, S. 14–15. Auf die Frage, wen man beispielsweise im Himmel antreffen kann, gibt Schottel in den Strophen 26–29 seiner Sonderbaren Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit (1673) ausfu¨hrlich Antwort, vgl. Schottelius, 1673, S. 109–110. Dinzelbacher, 1981, S. 115 u.o¨. ¨ berblick u¨ber verschiedene christliche VorEin sehr anschaulicher graphischer U stellungen zur Struktur und Gliederung dieses Raums, d. h. eine schematische Darstellung der jenseitigen Lohn-, Straf- und Gerichtsorte und ihres Zusammenhangs, findet sich in der Studie Peter Jezlers, vgl. Jezler, 1994, S. 14, S. 19. Dinzelbacher beschreibt ausfu¨hrlich die Lage und Binnenstruktur dieser Orte in der (Visions-)Literatur des Mittelalters, vgl. Dinzelbacher, 1981, S. 90–112. Wertheim, 2000, S. 37–38. Problematisch an dieser Gegenu¨berstellung ist allerdings, dass sowohl in der Ho¨lle als auch im Himmel zumindest ab dem Termin des Ju¨ngsten Tages nicht mehr nur Seelen, sondern Seelen und Leiber sein werden. So betont etwa Schottelius in seiner Grausamen Beschreibung und Vorstellung der Ho¨lle ausdru¨cklich, dass die Verdammten auch am Leib gestraft und gepeinigt wu¨rden, vgl. Schottelius, 1676, S. 16 u.o¨. Schottelius, 1675, S. 136. Explizit als ›Raum fu¨r die Seele‹ benannt wird der Himmel auch in einem an Christus gerichteten Ausruf in einer ›Passionsbetrachtung‹ Catharina Regina von Greiffenbergs, in welcher der Gottessohn als

101 Dass ein Kollektivseelenraum kosmischen Ausmaßes oder mit zahlreichen Seelen besiedelte jenseitige ›Seelengroßrume‹ hufig eine klare Binnenstrukturierung aufweisen, mag auf den ersten Blick erhoffen lassen, daraus rumlich sich manifestierende Vielheits- bzw. Einheitstendenzen des Seelischen abzuleiten. Tatschlich aber kann aus der Gliederung dieser kollektiven Seelenrume zwar bisweilen die Hierarchie der in ihnen enthaltenen Seelen untereinander abgelesen oder das Befinden der Letzteren erschlossen werden,12 Hinweise auf die Binnengliederung einer Einzelseele und auf deren mo¨gliche Kohrenz oder Inkohrenz lassen sich bei der Betrachtung von Rumen, die eine große Seelenschar zu gleicher Zeit beherbergen, jedoch schwerlich gewinnen. Auf eine Analyse solcher zahlreich bevo¨lkerten Seelengroßrume, die in der Lyrik barocker Autoren immer wieder nachzuweisen sind, kann daher im Folgenden verzichtet werden. Gerade die transzendent-eschatologischen Seelenrume treten indes nicht notwendig als Rume eines Seelenkollektivs in Erscheinung. Zumindest dort, wo sie sich – etwa als ›visionrer‹13 bzw. als »mystische[r] Raum«, in manchen Fllen vielleicht auch als »Raum im Traum«14 – nicht (bzw. nicht nur) der ersten, sondern (auch) der dritten oben angefu¨hrten Gruppe von Seelenrumen zuordnen lassen, mu¨ssen nicht immer viele Seelen in ihnen prsent sein. Die in der Transzendenz zur diesseitigen Lebenswirklichkeit liegenden Rume, denen die Seele schauend gegenu¨bersteht oder die sie in ihrer Entru¨ckung betritt, ko¨nnen auch gnzlich entvo¨lkert sein und ihr damit gewissermaßen ›alleine‹ geho¨ren. Dies ist etwa dann in der Regel der Fall, wenn es sich bei den transzendenten Rumen nicht um Himmel/Paradies, Ho¨lle oder Fegefeuer,15 sondern um deutlich enger begrenzte Rume, nmlich die

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»all=u¨berwindender Allzeit=mehrer des seeligen Seelen=Reichs« bezeichnet wird (Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, S. 302 (6. Betrachtung)). Man denke hier nur an die aufwendige Gliederung von Himmel, Ho¨lle und Purgatorium bei Dante, oder, um ein Beispiel aus der deutschsprachigen Literatur des 17. Jahrhunderts zu whlen, an die vertikale Seelenstaffelung in der von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen beschriebenen Ho¨lle (Verkehrte Welt (1672), vgl. Grimmelshausen, 1997, S. 418–420). Zum ›visionren Raum‹ vgl. – wenn auch untersucht an Beispielen aus der mystischen Literatur des Mittelalters – ausfu¨hrlich Dinzelbacher, 1981, S. 90–140. Die beiden zuletzt genannten Begriffe verwendet beispielsweise Robert Bossard, vgl. Bossard, 1991, S. 71–92. Fu¨r diese Rume hat, allerdings an mittelalterlichen Beispielen, Dinzelbacher gezeigt, wie stark ihre wesentlichen Versatzstu¨cke bereits in der theologischen (und, auf der Seite des Textproduzenten, auch der literarischen) Tradition vorgegeben sind (vgl. Dinzelbacher, 1981, S. 90–112). Neben ihrer zumeist dichten Bevo¨lkerung du¨rfte auch dies dazu beitragen, dass ihre Gestalt nur wenig u¨ber die Struktur einer in ihnen enthaltenen oder sie erfahrenden Einzelseele verrt.

102 Wunden16 oder das Herz Christi17 handelt. Nur in Ausnahmefllen lassen sich in der barocken Lyrik Konstellationen finden, in denen explizit mit dem Gedanken einer Besiedlung dieser intimen Ho¨hlen durch ein ganzes Seelenkollektiv gespielt wird.18 Normalerweise werden sie nur von einem einzigen meditierenden oder in mystischer Schau begriffenen Ich als Wohnung oder »Zufluchtsort«19 fu¨r seine eigene, sich aus der Welt zuru¨ckziehende Seele, als »Raum der ›inneren Jenseitigkeit‹«20 fu¨r die eigene Psyche reklamiert. Trotzdem erlauben auch diese hier als ›mystisch‹ zusammenzufassenden Rume kaum jemals Ru¨ckschlu¨sse auf die Pluralitt oder Einheit der Seele, ja u¨berhaupt auf ihre innere Struktur. Das hngt zunchst damit zusammen, dass die Wund- und Ko¨rperho¨hlen des Erlo¨sers auch dort, wo sie von der Einzelseele betrachtet und/oder betreten werden, nicht wirklich als private Seelenrume gelten ko¨nnen: Sie mu¨ssen vom Ich des Gedichts als »Zuflucht aller Frommen welt«,21 d. h. als potentiell der ganzen Christenheit offen stehende Rume, anerkannt werden. Hinzu kommt, dass die Seele des Ich diese mystisch-meditativ geschauten oder betretenen Seelenrume, in denen keine anderen Seelen sichtbar werden, nicht dominiert. Eine in Christus liegende Wundoder Ko¨rperho¨hle ist von vornherein weitaus mehr durch den Gottessohn selbst als durch eine sie erfahrende Einzelseele bestimmt. Schließlich gilt es zu bedenken, dass solche mystischen Rume nur selten de-

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Zu den Wunden Christi als Aufenthaltsort der Seele vgl. etwa Rist, Teil 3, 1641–42/1976, S. 7 (III,2 – »Geistreiche Erlustigung der Erleuchteten Seelen / Jn den fu¨nff Wunden / jhres am Creutz hangenden allerliebsten Heylandes Jesu Christi« (»WAch auff mein Geist / erhebe dich«)). Zum Herzen Christi als Seelenraum vgl. etwa Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 168 (»Das siebende [der ›Jn dem Tod Christi geschehene[n] / Zeichen oder Wunder=Worte‹, M. D.]: Die Seiten Ero¨ffnung« (»MEin Heiland! wird dann gar dein Heiligs Herz verwund?«)). Vgl. Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 939 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten« – »Uber das Blut JESU / aus seiner rechten Hand« (»ACh dieses ist fu¨rwahr der rechte Bronn der Rechten«)): Ach! daß mir alle Welt / die Hertzen hieher brchten! So sperrt samt meinen ich sie all in die Rondel Der rechten JEsus=Wund Rubinnen dunckelhell / Daraus Welt / Teuffel / Tod / sie nicht mehr bringen mo¨chten. Kern-Sthler, 2005, S. 103. Ku¨sters, 1985, S. 284. Schottelius, 1667, S. 355 (II,29 – »Hertzliche Betrachtung Deß Gnadenweges in das Hertz deß HErrn / durch die geo¨fnete Seite« (»DUrch den Stich ist / JEsu / dir wund und offen Hertz und Seite«)). In diesem Gedicht wird die Ambivalenz zwischen u¨berindividueller und individueller Zugnglichkeit des Raums außerdem dadurch ausgedru¨ckt, dass hier »unser Hertz« in Christi Herz hineinstreben soll, nicht etwa ›mein Hertz‹ oder ›unsere Hertzen‹.

103 tailliert beschrieben werden, meistens genu¨gt den barocken Autoren ihre bloße Nennung. Aus der mangelnden Eignung universaler, jenseitiger und mystischer Seelenrume fu¨r eine Analyse der Viel-Einheit seelischer Strukturen darf indes nicht schon grundstzlich geschlossen werden, dass keiner der prinzipiell denkbaren metaphorischen Seelenrume im Sinne der ersten oder dritten Lesart eine befriedigende Ausgangsbasis fu¨r die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung darstellte. Zumindest die barocken Seelenrume im Sinne der ersten Lesart sind durch die bisher in Betracht gezogenen Raumvarianten nur zu einem kleinen Teil typologisch erfasst. So ko¨nnte man zu den ›Rumen fu¨r die Seele‹ theoretisch auch solche Rume rechnen, die in ihren Außengrenzen mit dem unmittelbaren, diesseitigen Lebensumfeld eines (Sprecher-)Ich (etwa mit seiner Behausung, mit seinem Zimmer etc.) zusammenfallen. In diesem Sinne verwendet – allerdings nicht in Bezug auf literarische Texte, sondern auf die ›Realitt‹ – etwa Rudolf Ho¨gger den Begriff des Seelenraums, wenn er ausfu¨hrt, dass »Wohnraum […] und Seelenraum nicht wirklich voneinander getrennte Realitten, wohl aber unterscheidbare, qualitativ verschiedene Aspekte einer gelebten menschlichen Wirklichkeit«22 seien. Derartigen Rumen, die von der Psyche ihrer Bewohner geprgt werden, sind die mit der Andacht eines Subjekts ›erfu¨llten‹ kultischen Rume nahe verwandt. Auch ußerlich-diesseitige Naturrume ko¨nnte man zu dieser Gruppe von Seelenrumen zhlen, wenn ihre subjektunabhngigen Bestandteile mit dem nach außen projizierten psychischen Zustand realer Menschen oder fiktiv-literarischer Gestalten zur ›Seelenlandschaft‹23 verwoben werden. Unter den hier aufgefu¨hrten Rumen du¨rfte gerade die ›Seelenlandschaft‹ eine der ersten Assoziationen sein, die sich dem erstmalig mit dem Begriff ›Seelenraum‹ Konfrontierten aufdrngen. Will man die Frage klren, ob dieser Seelenraum-Typus in der vorliegenden Studie zu be22 23

Ho¨gger, 1996, S. 380. Die Rede von der ›Seelenlandschaft‹ ließe sich hier mo¨glicherweise auf die Rede von der ›Landschaft‹ verku¨rzen: Fu¨r Jeremy Adler etwa ist jede Landschaft ein »relative concept«, das nicht unabhngig vom Betrachter zu denken ist. Zwar ko¨nne sie einerseits eine gewisse Objektivitt fu¨r sich beanspruchen, doch korreliere sie trotz allem auch immer mit dem Selbst desjenigen, der sie erblicke bzw. erfahre (Adler, 1995, S. 35). Auch Ernesto Grassi betrachtet im Grunde jede Landschaft als mit den psychischen Strukturen des Menschen verknu¨pftes Gebilde (vgl. Grassi, 1979, S. 186–192): »Landschaft entsteht nur dort, wo unsere Phantasie am Werke ist, d. h. dort, wo das, was sich unseren Sinnen zeigt, auf eine menschliche Sinndeutung, auf unser momentanes Befinden, auf unsere Fragen und Leidenschaften zuru¨ckgefu¨hrt wird« (ebd. S. 187). Vgl. grundlegend zum Landschaftsbegriff auch Piepmeier, Rainer: Landschaft – III. Der sthetisch-philosophische Begriff (Art.). In: Ritter, Bd. 5, 1980, Sp. 15–28.

104 handeln sein wird, so muss man zunchst pru¨fen, ob in der Fru¨hen Neuzeit literarische Seelenlandschaften u¨berhaupt schon nachgewiesen werden ko¨nnen. In der Forschung wird, wie sich etwa an der Bewertung von Francesco Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux (1336?) zeigen lsst, das Vorhandensein von Seelenlandschaften in der fru¨hneuzeitlichen Literatur grundstzlich kontrovers diskutiert. Whrend Jeremy Adler schon bei Petrarca eine Seelenlandschaft realisiert zu finden glaubt (»Petrach progressively identifies his spirit with the landscape«),24 warnen Claudia Olk und Julia Zwierlein ausdru¨cklich davor, in diesem Text eine »die Romantik vorwegnehmende Erfahrung von Landschaft als Spiegelraum des Ich« wahrzunehmen. Sie weisen darauf hin, dass es sich bei Petrarcas Bergbesteigung »von Anfang an« um einen »Innenweltdiskurs« handele, »in dem die Natur lediglich Metapher sei«.25 Wichtige Forschungsbeitrge zur literarischen Naturdarstellung im Barock legen es nahe, zumindest fu¨r diesen Teilabschnitt der Fru¨hen Neuzeit die Nicht-Existenz (romantischer) Seelenlandschaften anzu¨ berlegungen zu nehmen. So heißt es in Helen Watanabe-OKellys U einem von Opitz verfassten Melancholie-Gedicht: Bei Opitz spielt […] die Szenenbeschreibung eine viel wichtigere Rolle [als bei Properz, M. D.]. Sie ist […] viel enger mit der Psyche des Dichters verbunden. Sie ist nicht, wie in der Romantik, wo die Landschaft mit dem Dichter trauert, die reine Projektion innerer Stimmung. Das Umgekehrte ist eher der Fall: Der Dichter sucht die Landschaft auf, die zu seiner Trauer paßt, Traurigkeit, Furcht und Schatten umschweben diesen Ort, deswegen eignet er sich als Aufenthaltsort eines Unglu¨cklichen. […] Die Landschaft wird als Attribut oder Symbol der Gemu¨tsverfassung des Sprechers benu¨tzt. Wenn die Stimmung wechselt, muß die Landschaft ebenfalls gendert werden.26

Zwar versucht die Fru¨hneuzeitforscherin hier die Verbindung der Psyche des Dichters mit der ihn umgebenden Landschaft zu klren und nimmt damit eine nach den Maßstben heutiger Barockforschung problematische Identifikation von Autor-Ich und Sprecher-Ich vor (vgl. Abschnitt 1.4.3). Doch erscheint ihre Argumentation dort, wo man diese Gleichsetzung vernachlssigt, durchaus plausibel. Das angefu¨hrte Zitat macht verstndlicher, was Olk und Zwierlein mit ihrer Zuru¨ckweisung einer Seelenlandschaft als »Spiegelraum des Ich« fu¨r fru¨hneuzeitliche Texte meinen. Watanabe-OKelly stellt heraus, dass der dem Sprecher(-Ich) ußerliche Raum im Barock keine von diesem ›beseelte‹, 24 25 26

Adler, 1995, S. 29. Olk/Zwierlein, 2002, S. 13. Watanabe-OKelly, 1978, S. 81–82.

105 d. h. von den externalisierten Seelenregungen eines Ich durchdrungene Landschaft sei, sondern eher die seiner inneren Situation angepasste Kulisse27 darstelle, deren Symbolik vom Leser auf bestimmte Gemu¨tsregungen und innere Zustnde des Ich hin gedeutet werden ko¨nne.28 Auch Klaus Garber weist gerade fu¨r das 17. Jahrhundert die Annahme eines »dem Menschen eigenen Vermo¨gen[s], die Natur zu beseelen«, in aller Schrfe zuru¨ck,29 und dies selbst fu¨r jene Flle, in denen – anders als in der von Watanabe-OKelly betrachteten Situation – die im barocken Gedicht dargestellte Natur tatschlich »Sympathie« fu¨r die Gemu¨tslage des Sprecher-Ich zu empfinden und zur »Mittrauer« fhig zu sein scheint.30 Bei der »Natursympathie« des 17. Jahrhunderts handele es sich um »Topoi«, die »keinen Ru¨ckschluß auf ein wie auch immer geartetes ›Naturgefu¨hl‹« zuließen.31 Wie Watanabe-OKelly behauptet auch Garber vor allem eine symbolische Aufladung von Landschaftsrumen, wenn er besonders den »locus terribilis als allegorische Chiffre«32 fu¨r die innere Befindlichkeit, fu¨r »das innere Leiden«33 des Ich wahrnimmt. Mit Watanabe-OKelly und Garber geht auch die Verfasserin der vorliegenden Studie davon aus, dass von einer ›klassischen‹ Seelenlandschaft im Barock nicht die Rede sein kann, so dass im Folgenden von vornherein nicht weiter nach konkreten Beispielen fu¨r diesen speziellen Seelenraumtypus zu suchen sein wird. Dasselbe gilt fu¨r nach dem Muster der romantischen Seelenlandschaft aufgebaute Kult- oder Wohnrume. Damit ist indes keineswegs schon eine generelle Entscheidung u¨ber den Umgang mit barocklyrischen Natur- und Kulturraumdarstellungen in der vorliegenden Untersuchung getroffen. Schließlich lassen sich, wie Watanabe-OKelly und Garber zumindest fu¨r die literarische Naturdarstellung betonen, aus den in Gedichten beschriebenen Schaupltzen durchaus immer wieder konkrete Ru¨ckschlu¨sse auf die Beschaffenheit der Seele – und dabei nicht nur auf ihre affektive Gestimmtheit34 – ge27

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Nicht umsonst erinnert Watanabe-OKellys Rede von der »Szenenbeschreibung« an Theaterkontexte. Nicht jede Naturraumdarstellung im barocken Gedicht lsst sich allerdings u¨berhaupt mit dem Gemu¨tszustand des Sprecher-Ich in nhere Verbindung bringen. Man denke nur an die locus amoenus-Darstellungen der Ekloge innerhalb der barocken Gelegenheitsdichtung. Folgt man Klaus Garber, so stellt darin die Natur nicht viel mehr als den durch »formelhafte Wendungen« gebildeten »Rahmen« der Besingung eines konkreten Anlasses dar (Garber, 1974, S. 104–105). Ebd. S. 282–283. Ebd. S. 278–281. Ebd. S. 284. Ebd. S. 285. Ebd. S. 289. Garber selbst erwhnt etwa einen locus terribilis des Irrtums und der Su¨nde, vgl. ebd. S. 292–293.

106 winnen: Ursache dafu¨r ist der bereits mehrfach erwhnte symbolische Gehalt dieser in lyrischen Texten entworfenen ›Kulissen‹. Zumindest dann, wenn den Naturrumen (ebenso ko¨nnte man hier auch an Kulturlandschaften bzw. die von Ho¨gger als ›Seelenraum‹ titulierten architektonischen Rume denken) in einem Gedicht eine »ausschließlich sinnbildliche Funktion«35 im Hinblick auf die Seele zugeschrieben werden kann, sind sie fu¨r die vorliegende Studie von Interesse. Als vollstndig ›symbolische Rume‹ leisten sie, wie Peter Dinzelbacher fu¨r die mittelalterliche Visionsliteratur gezeigt hat, in Gestalt »natu¨rliche[r] Landschaften«36 (bzw. Kulturlandschaften) die »Verdinglichung eines an sich abstrakten Sachverhaltes«,37 in diesem Fall der abstrakt-unrumlichen Psyche des Sprechers. Dass u¨ber die vollstndig symbolischen Rume an dieser Stelle keine weiteren Betrachtungen angestellt werden sollen, hngt damit zusammen, dass sie in Wahrheit nicht zu den in diesem Abschnitt zu diskutierenden Seelenrumen im Sinne der ersten oder dritten Lesart, sondern zu jenen im Sinne der zweiten Definition geho¨ren. Es handelt sich bei ihnen letztlich um eine metaphorisch verrumlichte, an die Stelle des Außenraums gesetzte Seele, in welche ihr ›Besitzer‹, nmlich der Sprecher des Gedichts, sie betrachtend und beschreibend eintreten kann. Kann ein im Gedicht auftauchender ußerer Landschaftsraum (bzw. Wohn- oder Kultraum) nicht als vollstndig symbolischer Raum gelten, so erscheint er als Gegenstand der Seelenmetaphernforschung nur eingeschrnkt geeignet. Da seine Komponenten nicht ausschließlich auf die Einzelseele ru¨ckzubeziehen sind, mu¨sste bei der Untersuchung solcher Seelenrume immer zuerst sorgfltig gepru¨ft werden, aus welchen seiner Bestandteile wirklich auf die Struktur und die Befindlichkeit der Einzelseele (und damit auf ihre Kohrenz oder Inkohrenz) geschlossen werden kann und welche dagegen als von ihr unabhngige Raumkomponenten einzustufen sind. Die Untersuchung solcher Außenrume soll aufgrund der dabei von vornherein zu erwartenden Schwierigkeiten im Folgenden nicht weiter erwogen werden. Als ›verheißungsvollste‹ Forschungsgegenstnde zur Erfassung der seelischen Beschaffenheit wren unter den Seelenrumen im Sinne der ersten Lesart wohl diejenigen einzustufen, welche die denkbar engsten Grenzen um die Seele ziehen, nur einer einzelnen Seele zugnglich und außerdem aufs Innigste mit dieser verknu¨pft sind. Diese Voraussetzungen erfu¨llen die – sei es durch den gesamten Leib, sei es durch einzelne 35 36 37

Ebd. S. 298. Dinzelbacher, 1981, S. 117. Ebd. S. 115.

107 Ko¨rperho¨hlen gebildeten – leiblichen Seelenrume. Zwar ist es, wie in Abschnitt 1.3.1 dargestellt, in der abendlndischen Kultur zumeist ein aussichtsloses Unterfangen, aus dem ußeren Erscheinungsbild eines Leibes (aus seiner Scho¨nheit oder Hsslichkeit, Mimik und Gestik usw.) die innersten Strukturen des ihm zugeho¨rigen Seelischen ergru¨nden zu wollen. Doch muss dies nicht zwangslufig bedeuten, dass sich auch aus der dem Leib im Gedicht zugewiesenen Metaphorik nur sprliche oder gar u¨berhaupt keine Hinweise auf die Beschaffenheit der Seele ableiten ließen. Zumindest dann, wenn der Leib in der Bildlichkeit eines literarischen Texts explizit als (wie auch immer geartetes) Seelenbehltnis entworfen wird, erscheint es nicht von vornherein abwegig, aus der Gestaltung eines solchen metaphorischen Leibesraums auch Hinweise auf die Eigenschaften der lebenslang mit ihm verquickten Seele, auf die seelische (In-)Kohrenz und (In-)Stabilitt zu erhoffen. Die Klrung der Frage, wie aufschlussreich solche im vollen Sinne der Einzelseele zugeho¨rigen metaphorischen Seelenrume tatschlich sind, ist das Ziel der nachfolgenden Ausfu¨hrungen. Wo der Leib in der Metaphorik zum Seelenraum, zum Seelenbehltnis wird, erscheint er bildlich in der Regel als wie auch immer gearteter Hohlko¨rper, als »ausgeho¨hlte, leere Form«.38 Diesen Umstand hat schon Claudia Benthien in ihrer Literatur- und Kulturgeschichte zur menschlichen Haut anhand des Sprachbildes vom Leibeshaus reflektiert – und zugleich als unanatomisch kritisiert:39 In der Forschung wurde bisher nicht beachtet, daß die Metapher des Leibes als Haus eine bestimmte, architektonisch-rumliche Form voraussetzt, die dem materiell gegebenen Leib nicht eigen ist. Es ist ein hohlfo¨rmiger, gefßhafter Raum, zu dem der Leib in der Hausmetapher wird.40

Die Anwendung der Hausmetapher auf den Leib kann bis in die Antike zuru¨ckverfolgt werden.41 Auch im Barock lsst sie sich vielfach nachweisen, besonders anschaulich etwa in den folgenden Ausfu¨hrungen Schottels im zweiten Teil von Jesu Christi Nahmens=Ehr (1667), in denen der Autor den Leib und seine Bestandteile mit den verschiedenen Komponenten eines (gekalkten Fachwerk-)Hauses vergleicht: UNser Leib ist ein Wunderhuslein vom Fleisch und Blute / gleich dem Leimen / beklebet; mit einer Haut / gleich dem Kalke / u¨berzogen; mit

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Benthien, 2001, S. 35. Dass die Darstellung des Leibes als Hohlko¨rper tatschlich unanatomisch ist, mag bestritten werden. So sieht etwa Mark Johnson die Gefßhaftigkeit des Leibes offenbar als anatomische Tatsache an, vgl. Johnson, 1987, S. 21. Benthien, 2001, S. 35. Vgl. Ohly, 1986, Sp. 949–953.

108 Knochen und Sehnen / gleich den Stenderen / Balken und Rigeln / befestiget / die Einwohnerin aber ist die Seel […].42

Das Bild der Seele als Haus ist dabei im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren – von Benthien nicht erwhnten – Metaphern zu sehen, durch welche die Lyriker des 17. Jahrhunderts die Hohlfo¨rmigkeit und Gefßhaftigkeit des Leibes43 in hnlicher Weise unterstreichen. So kann der menschliche Ko¨rper, »die sichtbare Einhegung, die usserste Schale der individuellen Entitt«,44 etwa als Ho¨hle,45 als Schrein,46 als Grab47 oder, die Hausmetapher spezifizierend, als Wirtshaus (der Seele bzw. des Geistes)48 dargestellt werden. Die Tatsache, dass man sich in dieser Vielfalt architektonischer und verwandter Bilder den als Seelenbehltnis49 fungierenden Leibeshohlraum nach außen durch feste Mauern oder eine andere feste Trenn42 43

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Schottelius, 1667, S. 481–482 (II,77 – »Unser Leib«). Schottel vergleicht den Leib wo¨rtlich einem »zerbrechlich[en] Gefß« und außerdem auch einem »allerku¨nstliche[n] Geschirr« (ebd. S. 483). Keller, 1997, S. 356. Koschorke weist in seiner Habilitationsschrift Ko¨rperstro¨me und Schriftverkehr allerdings zu Recht darauf hin, dass der Ko¨rper zumindest in seiner Funktion als »humorale[r] Gefßleib« (Koschorke, 1999, S. 112) in der Fru¨hen Neuzeit noch nicht als gnzlich in sich abgeschlossenes Gebilde gedacht werden du¨rfe. So werde gerade der Ausfluss verdorbener Sfte von der fru¨hneuzeitlichen Medizin gewu¨nscht und no¨tigenfalls auch provoziert (vgl. ebd. S. 54–66). Vgl. etwa – um hier nur zwei Beispiele zu nennen – Opitz, 1644/1967, S. 88 (»Vielguet« (»JNdessen daß mein Sinn der Welt gemeines Ziel«)); Scheffler, 1668/2000, S. 175 (II,55 – »Die Psyche du¨rstet nach dem Wasser des Hertzens JEsu« (»WJe ein Hirsch zur du¨rren Zeit«)). Vgl. etwa Greiffenberg, Bd. 1, 1983, S. 455 (»Trauer Gedancken u¨ber meine liebste innig-Freundin!« (»WIe kan und soll die Hand ein Traur-Gedicht aufsetzen?«)). Vgl. etwa Fleming, 1646/1969, S. 32 (»Andacht« (»JCH lebe. Doch nicht ich. Derselbe lebt in mir«)). Vgl. etwa ebd. S. 311 (Ode II,4 – »Auf Jungfr. Magdalena Weinman[n]s Ableben« (»SO bist du dennoch hin«)): Du lustigs Miethauß du / Leib / lege dich zur Ruh / dein hat man satt gepflogen Dein Geist / dein werther Gast den du bewirthet hast / ist außgezogen. Zum Verhltnis von Seele und Ko¨rperhaus vgl. auch Ohly, 1986, Sp. 953–958. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es keineswegs immer die Seele sein muss, die im Ko¨rpergebude Platz findet, ebenso kann der Leib in einer – ebenfalls weit verbreiteten – Metapher als Tempel Gottes erscheinen, vgl. etwa das 12. Tetrastichon aus der von Opitz u¨bersetzten Epigrammsammlung Deß Herren Von Pibrac TETRASTICHA Oder Vier=Verse (Opitz, 1644/1967, S. 517); vgl. zur Tempelmetapher des Leibes ausfu¨hrlich Ohly, 1986, S. 958–960; biblisch 1. Kor 6,19 und Joh 2,21.

109 schicht abgegrenzt zu denken hat, kann bei oberflchlicher Betrachtung zu weitreichenden Schlu¨ssen im Hinblick auf die Beschaffenheit der Seele verfu¨hren. Die Seele scheint in diesen Fllen fu¨r die Dauer ihres irdischen Lebens in klare und feststehende Grenzen verwiesen zu werden, aus denen sie bis zum Eintritt des Todes nicht vertrieben werden kann. Dieser Eindruck mag seinerseits dazu einladen, aus der ›behu¨teten‹, bisweilen auch als beengend empfundenen50 Lage der Seele im Leibeshaus bzw. Leibesgefß Aussagen u¨ber ihre (In-)Stabilitt abzuleiten. Da sie durch die leiblichen Außengrenzen vor exogen bedingten Kohrenzverlusten bewahrt zu sein scheint, mag man ihr allein wegen ihrer Position im Leibesgefß eine gewisse Einheit und Bestndigkeit unterstellen. ¨ berlegunAus zwei Gru¨nden erweisen sich die zuletzt angefu¨hrten U gen bei genauerem Hinsehen als unzulssige Vereinfachungen. So hat man zunchst ganz grundstzlich zu bedenken, dass auch innerhalb eines fest begrenzten Seelenterritoriums, d. h. auch im Falle einer vollstndigen Abschirmung und Sicherung des Seelischen vor exogen-pluralisierenden Einflu¨ssen, seelische Dissoziationen und Verwandlungen nicht auszuschließen sind. Endogene (also aus der Seele und/oder dem Leibesraum selbst entspringende) Pluralisierungsfaktoren ko¨nnen schließlich von einer ußeren Leibesmauer nicht an ihrer Einwirkung auf die Seele gehindert werden. So besteht ohne weiteres die Mo¨glichkeit, dass in einem wohlverschlossenen, nach außen hin einheitlichen architektonischen Seelenraum eine in sich gespaltene bzw. unterteilte Seele oder gar eine Mehrzahl an Seelen vorliegt. Zweitens fußt die Ansicht, dass in einem stabilen, nach außen abgegrenzten leiblichen Seelenraum zwingend eine stabil-einheitliche Seele zu finden sein mu¨sse, auf einer fragwu¨rdigen Vorannahme u¨ber das Verhltnis zwischen See50

Vgl. etwa Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 594 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,22 – »Gefangene Freyheit«); Gryphius, Bd. 1, 1963, S. 71 (II,11 – »Auß dem dritten Buch. Eben desselben wercks [›A. Gryphij Meletomenus‹, M. D.]. An den gefangenen Dicæus« (»DEr Mutter enger Leib hilt erstlich dich gefangen«)). Die prnatale Inkarnation der Seele wird im zuletzt genannten Gedicht als Verstrickung »in Fleisch und Bein« beschrieben. hnlich wird die Gefangenschaft der Seele im Leib auch andernorts von Andreas Gryphius dargestellt, vgl. Gryphius, Bd. 1, 1963, S. 61 (I,69 – »An die Welt« (»MEin offt besturmbtes Schiff der grimmen winde spiell«)). In Gryphius, Bd. 2, 1964, S. 49, wird der Leib als »enge Marther hoehlen« beschrieben (Oden II,7 – »Terra vale! Dominum vitæ stat adire TONANTEM« (»ADe verfluchtes Threnen=Thaal!«)). Negativ konnotiert ist der Leib als Seelenwohnung auch in den Versen 17 und 18 eines von Opitz verfassten Gedichts, in denen er als »schno¨de[s] hauß der Seelen« bezeichnet wird, vgl. Opitz, 1638/1966, S. 283 (»MART. OPITII Lobgesang: Vber den frewdenreichen Geburtstag vnsers HErren vnd Heylands Jesu Christi: Nebenst andern geistlichen Gedichten« – »Der Bußfertige. Auß dem Lateinischen Pabst Vrbans deß 8.« (»JCh / den die tieffe Nacht der Su¨nden hat begraben«)).

110 lenbehltnis und Seeleninhalt: In Analogie zu den uns aus der Außenwelt bekannten Rumen wird hier implizit vorausgesetzt, dass die Grenzen des Außenraums zugleich fu¨r alle in ihm enthaltenen Teilrume und Gegenstnde verpflichtend seien. Dies trifft aber, wie im Folgenden zunchst nicht am Beispiel der Relation von Leib- und Seelenraum, sondern am Verhltnis zwischen dem Leibesraum und den ihm inhrenten Organrumen gezeigt werden soll, keineswegs zwangslufig zu. Wie bereits in Kapitel 2 angedeutet, existiert in der Fru¨hen Neuzeit nicht allein die Vorstellung einer gleichmßig u¨ber den Ko¨rper verteilten Seele. In vielen anthropologischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts werden vielmehr einzelne Organe benannt, in denen die Seele in besonderem Maße gegenwrtig zu sein, d. h. sich zu ›konzentrieren‹ scheint, ohne deswegen notwendig ›nur‹ in diesem kleineren Teilraum des Ko¨rpers prsent zu sein. Zu solchen Rumen sind besonders das Gehirn und die Brust bzw. das Herz zu zhlen. Aus rein anatomischer Perspektive, also jenseits allen metaphorischen Sprechens, lsst sich zwischen jenen Organ-Rumen, die der Seele in besonderem Maße als Aufenthaltsort dienen, und dem beseelten Gesamtleib eine auch rumlich klare Abhngigkeitsbeziehung herstellen. Die organischen Raumsegmente, in denen die Seele gewissermaßen in ›ho¨herer Konzentration‹ prsent ist, verhalten sich zum Gesamtraum des menschlichen Leibes wie Teile zum Ganzen. In der metaphorischen Darstellung ist hingegen ein derartiges, logisch nachvollziehbares und hierarchisches Verhltnis zwischen dem Gesamtseelenraum des Leibes und den in ihm enthaltenen Binnenseelenrumen keineswegs die Regel. Dies sei hier am Beispiel (seelen-)rumlicher Herzmetaphorik51 exemplifiziert. Nicht als zentrale Kammer52 innerhalb des Leibeshauses, nicht als 51

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Wo die Seele in der Lyrik im Herzen lokalisiert wird, wird dies in der Regel indirekt deutlich, vgl. etwa Scheffler, 1668/2004, S. 227 (III,72 – »Sie begehret / daß er sie soll nach sich ziehen« (»ZEuch mich nach dir«)): Du außgegossnes Oele / Geuß dich in Schrein Meins Hertzens ein / Und labe meine Seele. Vgl. auch Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 214 (»Beantwortung der Tugend auf ihre Bedingung« (»KOm[m] nur her / du scho¨ne Tugend / sey zu tausend mal gegru¨st«)). Explizit findet sich die Lokalisation der Seele im Herzen etwa in Gerhardts Danck=Lied vor die gute Leibes=Gesundheit (»WEr wol auf ist und gesund«), vgl. Gerhardt, 1667/1975, S. 101 (IV,39): Lebt ich ohne Rath und Witz / Whr im Haupt verirret / Htte meiner Seelen sitz / Mein Hertz / sich verwirret […]. Wo das Herz tatschlich als Kammer verbildlicht wird, wird in den barocken Gedichten im Allgemeinen kein Bezug zu einem es umgebenden Leib hergestellt.

111 Raumsegment im umgebenden Raumganzen wird das Herz u¨blicherweise verbildlicht. Vielmehr erscheint es selbst als autonome Ganzheit ohne Bezug zur ußeren Form und zur Ausdehnung des umgebenden (Ko¨rper-)Raums. So wird dem Herzen etwa, wie dem Leib, die Gestalt eines Schreins,53 einer Ho¨hle54 oder eines ganzen Hauses55 bzw. Tempels56 zugewiesen. Versucht man diese zunchst fu¨r sich allein stehenden rumlichen Herzensmetaphern mit dem anatomischen Verhltnis zwischen Leib und Herz in Zusammenhang zu bringen, so ko¨nnen sich dabei, wie bereits Benthien analysiert hat, innere Strukturen »gedoppelte[r] Gebude« ergeben: Der Leser sieht sich etwa mit der bemerkenswerten und nicht ganz einfach nachvollziehbaren Vorstellung eines »Haus[es] im Haus« konfrontiert.57 Noch schwerer miteinander zu vereinbaren werden Leibes- und Herzensraum dann, wenn Letzterem in der Metaphorik die Gestalt eines Schlosses, eines Hafens58 oder gar eines weitlufigen Gartens,59 also derartig ausgedehnter Gegenstnde zugeschrieben wird, dass diese kaum noch in einem anderen u¨berschaubaren Raum unterzubringen 53

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Vgl. Scheffler, 1668/2004, S. 289 (III,94 – »Sie ruffet jhn in jhren Garten« (»KOm[m] Liebster / kom[m] in deinen Garten«)). Vgl. ebd. S. 214 (III,68 – »Sie ladet jhn in jhr Hertze ein« (»ACh was stehst du auff der Au«)). Vgl. Gerhardt, 1667/1975, S. 44 (II,16 – »Christliche Zufriedenheit« (»NJcht so traurig / nicht so sehr«)). Vgl. Scheffler, 1668/2004, S. 548 (V,161 – »Sie schencket jhrem Geliebten jhr Hertze in unterschiedener Gestalt zu einem Morgen=Geschencke« (»GRosser Ko¨nig / dem ich diene«)). Benthien, 2001, S. 36. Vgl. zu beiden Bildern Opitz, 1644/1967, S. 101 (»Vielguet«). Vgl. etwa Laurentius von Schnu¨ffis, 1711/1968, S. 256–264, bes. S. 263–264 (III,4 – »Clorinda / ihren Himmlischen DAPHNIS, welcher in den Garten hinunter gestiegen / suchende / kom[m]t in Erkanntnuß / daß es kein irrdischer Wollusts=Garten / wo er die Gilgen sammle / sondern die Seel eines keuschen Menschen sey« (»MEin Liebster ist«)). Noch gro¨ßer schließlich ist das Herz, wenn es einem ganzen Staat – so etwa in der folgenden sechsten Strophe aus einer geistlichen Ode Hoffmannswaldaus dem unbestndigen gypten – gleichgesetzt wird (Hoffmannswaldau, 1679/1984, S. 778 (»MEine Seele laß die Flu¨gel«)): Das Egypten unser Herzen / Das itzt Ehr und Lust verspricht / Macht uns Morgen Angst und Schmertzen / Endert sich und kennt uns nicht. Suche nur ein fester Land / Denn hier wohnt nur Unbestand. Das Verstndnis dieser rtselhaften Metapher wird erleichtert, wenn man weiß, dass schon in einer »tropologischen Exodus-Deutung bei Origines […] die gypter« die »schmutzige[n] und unreine[n] Gedanken« verko¨rpern, vgl. Schumacher, 1996, S. 203. Da in diesem Fall mehr der politische denn der territoriale Aspekt der Herzensmetapher eine Rolle spielt, soll diese Textstelle hier nicht ausfu¨hrlicher analysiert werden.

112 sind. So wird etwa in einem fru¨hneuzeitlichen Erbauungstext Daniel Dykes (Nosce teipsum, 1614)60 offene Verwunderung daru¨ber artikuliert, »wie mancherley heimliche Gnge vnd Winckel / wie wunderliche Krumb= vnd Vmbwege / welche Wildnuß vnd Jrrgrten« in jenem »kaum Faustgrossen Stu¨cklein Fleisches«, aus dem das menschliche Herz bestehe, »anzutreffen« seien.61 Wie groß der Herzensraum im Extremfall werden kann, mag aber auch das folgende Sonett Haugwitz zeigen. Dieses charakterisiert den Herzensraum, in welchem »Gedancken / Muth und Sinn« beheimatet sind, als »unerscho¨pffte[s] Meer«: Jch der HERR ergru¨nde das Hertze. Jerem. XVII,10. KEin Schiffer kan so sehr des Meeres Tieffe Gru¨nden / So fern Er anckern wil / mit seinen [sic!] schweren Bley / Kein Artzt ko¨mmt so mit Stahl der tieffen Wunde bey / Kein Feuer kan so gut des Goldes Probe finden / Als GOTT erkennen kan des Hertzens unterwinden Wie tieff / wie groß / wie weit / wie hefftig selbes sey. Gedancken / Muth und Sinn steht alles blos und frey Vor seiner Augen Glantz / die durch nichts zuverbinden / Wie unerforschlich gleich diß unerscho¨pffte Meer So zehlt er dessen Sand doch auff ein Nglein her. Drum hu¨te dich / O Mensch / und meide alle Su¨nden. GOTT / der das Auge / Ohr und Hertze hat gemacht / Sieht was du hast gethan / auch in der tieffen Nacht / Und lst vor selbes dich einst seinen Lohn empfinden.62

Wenn hier das Herz als metaphorischer Seelenraum die natu¨rlichen Dimensionen des Leibes, d. h. des ihm eigentlich hierarchisch u¨bergeordneten Seelenbehltnisses, in erheblichem Umfang zu u¨berschreiten vermag, so lsst sich schon dies als Bruch mit den ußeren Raumgesetzen betrachten. Und selbst dann, wenn man gegen eine solche Interpretation einwenden wollte, dass der Vergleich nicht-metaphorischer Leibes- mit metaphorischen Herzensdimensionen methodisch unzulssig sei, stu¨nden die zuletzt untersuchten Raumbilder im Widerspruch zur Logik ußerer Rume. Schließlich ko¨nnen sich, wie zuletzt angedeutet, auch die metaphorischen Abmessungen des Leibes kaum mit dem maximalen Ausdehnungspotential metaphorischer Herzensrume messen. Gegenu¨ber der eindrucksvollen Ausgedehntheit und Komplexitt eines meer-, labyrinth- oder gartenartigen Herzensraums erschie60

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Publiziert wurde dieser Text erst postum im Todesjahr Dykes von seinem Bruder Jeremy, vgl. Strter, 1987, S. 102. Dies mag erklren, warum das von der Verfasserin der vorliegenden Studie in der Herzog August-Bibliothek eingesehene Exemplar einen Jeremiah Dyke als Autor angibt. Zur intensiven Rezeption der Schriften Dykes in Deutschland vgl. Strter, 1987, S. 102–103. Dyke, 1636, S. 10.

113 ne selbst ein als Haus verbildlichter Leibeshohlraum verschwindend klein. Ein in dieser extremen Weise ausgedehnter Herzensraum ko¨nnte nur durch metaphorische Leibesrume mit einer deutlich gro¨ßeren Erstreckung eingefasst werden, fu¨r die es allerdings in der barocken Literatur – mit Ausnahme der Mikrokosmos-Metaphorik63 – kaum Beispiele gibt. In Einzelfllen wren die einer Seele als Refugium dienenden Organ-Rume noch nicht einmal in einem metaphorisch maximal ausgedehnten Leibesraum unterzubringen: Zu denken wre hier etwa an eine Passage aus einem Abendgebet Stegmanns, in welchem der Sprecher das Innere des Hirns einem Himmels-»Zelt« gleichsetzt, das statt mit Sternen mit tru¨gerischen Trumen behngt werden kann.64 Selbst fu¨r den Fall, dass man den hier entworfenen Hirnesraum in einen mit kosmischen Dimensionen versehenen Leib einzupassen suchte, stieße man an die Grenzen des Vorstellbaren. Fu¨r das Verhltnis von Leibesraum einerseits und Herzens- bzw. Hirnesinnenraum andererseits, das unmetaphorisch einwandfrei als das Verhltnis eines kleinen Raumsegments zum Gesamtraum zu bestimmen wre, scheint sich auf der metaphorischen Ebene eine wichtige Grundregel der Logik wie der Geometrie65 außer Kraft setzen zu lassen: Bei diesen metaphorischen Rumen muss offenbar der euklidische Satz, dass das Ganze gro¨ßer sei als jedes ihm zugeho¨rende einzelne Teilstu¨ck (»Totum est majus suaˆ parte«),66 nicht mehr zwingend ange62 63

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Haugwitz, 1684, S. 4 (»Aus den geistlichen Sonetten« – 3). Interessant ist in diesem Zusammenhang etwa ein von Opitz verfasstes Neujahrsgedicht, vgl. Opitz, 1638/1966, S. 274–276 (»Auff den Anfang deß 1621. Jahrs« (»WEr dieses alte Jahr wil recht vnd wol vollenden«)). Darin erscheint der menschliche Organismus zunchst zwar als »kleine Welt« (ebd. S. 274) mit einer Vielfalt an Gebuden und Landschaften etc., spter wird jedoch der Leib wieder nur als ein »scho¨ne[s] Hauß« beschrieben (ebd. S. 276). In Stegmanns Versen – vgl. Gryphius, Erg.-Bd. II/2, 1987, S. 78 (»Abend=Gebet am Montage« 3 – »Fernere Abend=Andacht« (»HEiligster Abendstern / Geist Gottes hell und klar«)) – erscheint der Geist Gottes als »HEiligster Abendstern«, an dem das menschliche Herz sich zu orientieren hat: Daß nicht der Geist voll Trug mit meim Geist sich vermenge / Und meins Gehirnes Zelt mit Trumen falsch behenge […]. In der Bearbeitung von Gryphius entfllt die Himmelszelt-Metaphorik, vgl. Gryphius, Erg.-Bd. II/1, 1987, S. 81 (»Abend=Gebet An dem Montage« 3 – »Fernere Abends Andacht« (»HOch=heiliger Abendstern! Geist Gottes! Gottes Rath!«)). Zu den gemeinsamen Wurzeln dieser beiden Disziplinen vgl. etwa Cassirer, 2000–2, S. 71–72. In Johann Heinrich Alsteds Encyclopaedia (1630) wird dieser Grundsatz im Kapitel De toto & Parte als erste Regel angefu¨hrt (Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, Sp. 601). Erstmals formuliert ist dieser Satz als Axiom in den Elementen (entstanden um 300 v. Chr.) Euklids (vgl. Euklid, 1991, S. 3 (1. Buch, 8. Axiom)); dazu Folkerts, 1989, S. 46.

114 wendet werden, so dass sich der organische Teilraum u¨ber die Außengrenzen des Leibesraums hinaus ausdehnen kann. Aus den zuletzt angefu¨hrten Beispielen wird gleich auf zweierlei Weise deutlich, dass metaphorische Binnenrume des Leibes u¨ber die Beschaffenheit ihres Rauminhalts viel weniger verraten, als man auf den ersten Blick annehmen mag. Nicht nur ko¨nnen in einem fu¨r sich betrachtet u¨berschaubaren metaphorischen Leibesraum jederzeit ungleich gro¨ßere metaphorische Organ-Rume enthalten sein. Hinzu kommt, dass die Organ-Rume selbst – wiederum anders als unmetaphorisch-reale Rume – in ihren Abmessungen zwischen der kaum einzufassenden Weitrumigkeit ihres Bildspenders (Meer, Irrgarten, Himmel) und der rumlichen Enge ihres Bildempfngers oszillieren ko¨nnen, besonders wenn die Abmessungen des Letzteren, wie etwa im Dyke-Zitat, explizit angesprochen werden. Ist in der Metaphorik barocker Gedichte noch nicht einmal fu¨r physische Rume gewhrleistet, dass sie in ihren Abmessungen und ihrem Ineinander den logischen Raumgesetzen folgen,67 so wre es noch fragwu¨rdiger, aus der bloßen Darstellung metaphorischer Binnenrume des Leibes auf die rumliche Beschaffenheit des darin enthaltenen Seelischen schließen zu wollen. Auch wenn ein leiblich-organisches Seelengefß genauestens in seinen rumlichen Abmessungen beschrieben werden mag, bleiben damit die ußere Form und Ausdehnung des Seelischen selbst – und erst Recht seine inneren Strukturen – noch unbestimmt. Da sich in der Bildlichkeit die Grenzen des Leibes bereits von den in ihm enthaltenen Organrumen problemlos sprengen lassen, da Herzens- und Hirnesrume eine schwankende Ausdehnung besitzen ko¨nnen, sind diese physischen Seelenbehltnisse noch nicht einmal als zuverlssiger Schutz der Seele vor destabilisierenden Einflu¨ssen der Außenwelt zu betrachten.

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In dieser Eigenschaft gleichen sie etwa mystischen Rumen, vgl. zu deren paradoxer Verfasstheit und ihrer Darstellung in und durch die Sprache etwa Previsic, 2004. Fu¨r Heinz Hillmann sind die Gesetze ußerer Rume in der Lyrik generell außer Kraft gesetzt. Er sucht, vor allem am Beispiel eines Lutherlieds, in welchem nach seiner Auffassung das »Raumkontinuum« gleichzeitig »gilt und nicht gilt«, die Aufhebung des »Kohrenzgebot[s]« und der Logik als Besonderheit der Raumgestaltung in Gedichten darzustellen (Hillmann, 2005, S. 23–24). Zu dieser These gilt es allerdings zu bedenken, dass es sich beim Schauplatz des von ihm exemplarisch behandelten Lieds, in welchem eine Mensch-Christus-Begegnung im Vordergrund steht, zwar formal um einen Raum im Gedicht, zugleich aber auch, dem Inhalt der Verse nach, um einen besonderen Raumtypus, nmlich um einen transzendenten Raum des Glaubens, handelt. Es erscheint plausibler, dass gerade dieser zweite Aspekt den Ausschlag zu der von Hillmann dargestellten Raumgestaltung gibt.

115 ¨ berlegungen bezu¨glich der Organ-Rume Die oben angefu¨hrten U mu¨ssen abschließend noch durch einen grundstzlichen Hinweis zum Begriff ›Herzensraum‹ ergnzt werden: Wie der Begriff ›Seelenraum‹ erweist er sich bei genauerem Hinsehen als doppeldeutig. In den bisherigen Untersuchungen ist der Herzensraum konsequent als ein organischer ›Raum fu¨r die Seele‹ verstanden worden, doch ist zu bedenken, dass das Herz die Seele nicht bloß in sich aufnehmen, sondern in anderen Kontexten auch selbst ihre Stelle vertreten kann: In vielen Fllen lsst sich die Bezeichnung ›Herz‹ entweder als Synonym oder – sofern man ernst nimmt, dass das Herz in seiner Lokalisierbarkeit, Materialitt und Sterblichkeit der Seele nicht entspricht68 – wenigstens als eine Art ›Metapher‹ fu¨r die Seele betrachten.69 Auch von einer metonymischen Reprsentation der Seele durch das Herz ko¨nnte man, dieses als Seelensitz begreifend, sprechen. Dies fu¨hrt dazu, dass sich der Herzensraum vielfach auch als Seelenraum im Sinne der zweiten Definition, also als von der menschlichen Psyche gebildeter Raum, interpretieren lsst.70 Ob in den weiteren Interpretationen beide Lesarten des Begriffs ›Herzensraum‹ zu beru¨cksichtigen sind oder ob die Beschrnkung auf eine seiner Verstndnisweisen mo¨glich ist, wird sich erst dann klren lassen, wenn die Entscheidung u¨ber die im Folgenden zu betrachtenden Seelenrume getroffen ist. Letzteres wiederum ist erst dann mo¨glich, wenn die Frage nach der Erkennbarkeit seelischer Strukturen aus Seelenrumen im Sinne der ersten Lesart abschließend beantwortet ist. Zwar haben die bisherigen Ausfu¨hrungen ergeben, dass die metaphorische Gestalt eines Leibesraums, der als Seelenraum im Sinne der ersten Lesart in Erscheinung tritt, fu¨r sich genommen noch nichts Sicheres u¨ber seinen seelischen Inhalt verrt. Doch bleibt zu untersuchen, ob sich aus diesem Raumtypus nicht wenigstens dort Aussagen zur Seelenstruktur ableiten lassen, wo diese physischen Rume mitsamt ihrer psychischen Fu¨llung metaphorisch dargestellt werden. In solchen Fllen ist, dies gilt es sich zunchst zu vergegenwrtigen, neben dem Seelenraum im Sinne des ›Raums fu¨r die Seele‹ im Grunde immer auch schon ein Seelenraum im Sinne der zweiten Lesart mit prsent, wenn dieser auch noch nicht als ein selbststndiges Gebilde erscheint. Schließlich ist das Seelische, sei es als expliziter Inhalt einer dreidimensionalen Leibes-›Hu¨lle‹, sei es als innerste Fu¨llung ineinandergeschachtelter physischer Hohlrume (d. h. als Inhalt des Leibes und darin 68 69 70

Vgl. Philipowski, 2006, S. 300. Vgl. hierzu etwa ebd. S. 302. Vgl. zur Frage der Austauschbarkeit von Seelen- und Herzensraum, wenn auch auf u¨berwiegend nicht-neuzeitlicher Textgrundlage, etwa Bauer, 1973, S. 79, S. 97.

116 nochmals des Herzens bzw. Gehirns), kaum noch anders denn in rumlicher Gestalt vorstellbar.71 Ein gutes Beispiel fu¨r ein (leibliches) Seelengefß,72 in dem die Seele zum sie umgebenden Seelenbehlter in ein direktes rumliches Verhltnis gesetzt wird, ohne dabei schon als vo¨llig eigenstndiger Seelenraum im Sinne der zweiten Lesart gelten zu ko¨nnen, ist die Elegia I,4 der von Laurentius von Schnu¨ffis verfassten Mirantischen Maul=Trummel (1695). In diesem Gedicht nimmt ein Sprecher-Ich unter dem Einfluss der »Himmlische[n] Begierd« (d. h. des glubigen Verlangens nach der jenseitigen Glu¨ckseligkeit) eine Neubewertung des Diesseits und aller seiner Facetten vor. Gerade der Mu¨hsal und Pein des irdischen Lebens kann der Sprecher dabei im Hinblick auf den neugewonnenen, jenseitigen Fluchtpunkt positive Seiten abgewinnen (15. Strophe): Jn den Nuß= und Mandel=Kernen Wir durch die Erfahrnus lehrnen / Daß die Arbeit lieblich sey / Dann / so bald man sie zerbrochen / Und die Seel herauß gestochen / Jst schon alle Mu¨h vorbey / Welche dann den nicht betru¨bt / Der den su¨ssen Kernen liebt.73

Das Bild des su¨ßen Nuss- oder Mandelkerns, dessen bittere bzw. ungenießbare Schale erst gewaltsam »zerbrochen« (Vers 4) werden muss, um an das Innere zu gelangen, kann dabei in mehrere Richtungen gedeutet werden. Zunchst bezeichnet es den jenseitigen Lohn, der dem Menschen nicht ohne Anstrengungen im Diesseits zuteil wird. So, wie wir nicht an das Innere einer Nuss bzw. Mandel gelangen, ohne uns zuerst mit der harten Schale abzumu¨hen, ko¨nnen wir auch die jenseitigen Freuden nicht ohne Mu¨he, nicht ohne Vorleistungen fu¨r uns beanspruchen. In dieser Weise dienen auch Czepko die Anstrengungen, eine Mandel zum Verzehr aufzubereiten, als ein Exemplum zur Illustration des Satzes: »Durch Mu¨h sind alle Gaben feil.«74 Wolfhart Spangenberg schreibt 71

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Schon 1952 hat Leo Villiger im Zusammenhang mit seiner Analyse der Sonette Greiffenbergs darauf hingewiesen, dass Metaphern, in denen der Leib als das Gefß der Seele erscheine, auf die »ko¨rperhaft kompakte Art der Seele« hindeuteten (Villiger, 1952, S. 72). Den Ausdruck ›Seelengefß‹ verwendet auch Hildegard Elisabeth Keller (Keller, 1997, S. 356). Laurentius von Schnu¨ffis, 1698/1986, S. 47–48 (I,4 – »Die Himmlische Begird ist auch in einem armen Stand ein anmu¨thiger Lustgart« (»WAs fu¨r Lustbarkeit zu finden«)). So der Titel von Czepko, Bd. I,1, 1989, S. 86 (»GegenLage der Eitelkeit« 19 –

117 in seinem Anmu¨tiger Weißheit LustGarten (1621) bei der Erklrung verschiedener mit der Nuss verbundener »Spru¨chwo¨rter«: Wer deß Nußkernen will geniessen / der muß zuvor die Nuß auffbeissen oder auffklopffen.) Das ist / wer den Nutzen haben will / der muß die Arbeyt nit fliehen: Wer das su¨sse kosten will / muß zuvor das bittere versuchen. Wer Wollust sucht / muß zuvor deß Schweisses empfinden […]. Die Nuß ist an der ussern schalen bitter / an der andern hart / inwendig verbirgt sie den Kern / als ein su¨sse Speise zuessen / auch noch in einem du¨nnen / bitterem hutlein.75

¨ berlegungen und Spangenbergs Erluterungen Zieht man Czepkos U als Stu¨tze der oben formulierten Deutung heran, so bleibt ein auf den ersten Blick vielleicht unscheinbar wirkendes Detail der Verse aus der Mirantischen Maul=Trummel ungeklrt: Warum bedient sich Laurentius in Vers 5 ausgerechnet der im Gedicht Czepkos wie in den oben zitierten Ausfu¨hrungen Spangenbergs fehlenden Bezeichnung ›Seele‹ (bzw. »Seel«) fu¨r das Innere einer Nuss bzw. einer Mandel?76 Aus der Reflexion u¨ber diese Frage lsst sich zustzlich zur oben unternommenen Interpretation eine zweite Deutung der Elegiestrophe ableiten. Gerade der Ausdruck ›Seele‹ regt dazu an, das botanische Exempel zugleich als anthropologische Aussage u¨ber unsere psychophysische Beschaffenheit zu deuten. Nicht zwingend mu¨ssen wir uns bei der verstehenden Lektu¨re der oben zitierten Verse an die Stelle der Akteure setzen, die unter großen Anstrengungen Nu¨sse und Mandeln zu knacken haben, um an ihren Kern, an ihre »Seel« (Vers 5), zu kommen. Vielmehr spiegelt sich das menschliche Schicksal zugleich in jenem der Nuss bzw. Mandel selbst wider: Unsere Schale, unsere leibliche Hu¨lle ist es, die im Sterben gewaltsam aufgebrochen wird, unsere Seele wird vom Stachel des Todes unter Schmerzen »herauß gestochen« (Vers 5), d. h. aus dem Leib befreit, damit dann, im Jenseits, endlich »alle Mu¨h vorbey« (Vers 6) ist. Und wer als Zeuge, etwa als Angeho¨riger, dem qualvollen Sterben beiwohnt, wird nicht allzu beku¨mmert u¨ber die Zersto¨rung der irdischen Hu¨lle sein, wenn er »den su¨ssen Kernen« (Vers 8), also die Seele des Sterbenden, liebt. Auch fu¨r diese Interpretation, nach welcher sich der Aufbau einer Mandel auf die Beschaffenheit des Menschen u¨bertragen lsst, kann das oben zitierte

75 76

(»Wer Rosen brechen wil, verachtet Riß und Dorn«)). Bezeichnenderweise ist aber hier nicht von Schalen die Rede, sondern es heißt »Der Kern muß vor entzwey, dann schmecken Mandeln wol.« Spangenberg, Bd. 6, 1982, S. 412 [Herv. d. W. v. S.]. Vgl. zur Verwendung des Ausdrucks ›Seele‹ bei der Bezeichnung eines Innern, eines Kernbereichs in einem Gegenstand auch Anon.: Seele (Art.). In: Grimm, Bd. 15, 1899/1984, Sp. 2922–2923.

118 Kompendium Spangenbergs als weiterer Textzeuge herangezogen werden, mag dieses auch – mit Luthers Magnificat-Auslegung (vgl. Abschnitt 2.4) – eine Dreiteiligkeit der Mandel wie des Menschen entwerfen. In einem Abschnitt u¨ber den Mandelbaum als »Bildniß deß Menschen« heißt es von der Frucht dieses Gewchses: Zu deme wissen wir / daß seine Frucht dreyerley theil hat. Außwendig die gru¨nfalbe Schelffet: welche ein holtzechte Schale oder hertere Hu¨lsen bedecket: in deren allererst der Kern steckt / den wir zuessen pflegen. Also ist der Mensch von dreyen Theilen zusamen gesetzt / das ist / Leib / Seel unnd Geist. […] Welcher gestalt der Mensch Leib / Seel und Geist habe / erklret D Martin Luther gar fein und kurtz […] im 1. Jenisch. Teutschen Theil uber das Magnificat […].77

Wenn Spangenberg in seinem Vergleich zwischen dem Menschen und einer kernhaltigen Frucht ausfu¨hrlich auf die Duplizitt der zum Kern hinzutretenden Schalen hinweist, um so den von ihm vertretenen Tripartismus zu illustrieren, bedient er sich des botanischen Bildspenders auf eine eher ungewo¨hnliche Weise. Zumindest in der barocken Lyrik wird die Relation zwischen Kern und Schale(n) einer Frucht im Allgemeinen zur Verbildlichung eines dualistischen Konzepts vom Menschen gebraucht. So verwendet etwa Hoffmannswaldau in seinen Gedichten etliche Male die Kern-Hu¨lle-Metapher, um das Leib-Seele-Verhltnis zu beschreiben.78 Unter anderem benutzt er dieses Bild etwa in seinen Gedancken bei Antretung des funffzigsten Jahres (1666).79 In diesem Text betrachtet das Ich im Zwiegesprch mit Gott zunchst seinen gegenwrtigen Zustand (Strophe 1) und die Fu¨rsorge, die sein Scho¨pfer ihm bisher zuteil werden ließ (Strophe 2–3),80 um schließlich dessen 77 78

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Spangenberg, Bd. 6, 1982, S. 379. Vgl. etwa Hoffmannswaldau, 1679/1984, S. 722 (»Betrachtung eines offenen Sarges« (»WJe ist mir? Schlaf ich denn? vorwar ich wache nicht«)): […] Jhr [d. h. der Verstorbenen] kaltes Haut und Bein / Die Spreuen / seyn allhier / der Kern / die reine Seele Schmekt die Verwesung nicht / entweichet Gruft und Ho¨le / Steigt freudig u¨ber sich / verlachet Zwang und Band. Ein weiteres Mal verwendet Hoffmannswaldau dieses Bild auch in seinem Trauer=Schreiben / an einen guten Freund (ebd. S. 718 (»MEin Freund der kleine Brief geht neben dir im Leide«)). Ganz hnlich heißt es auch in der sechsten Strophe von Omeis Christus / des Himmlischen Vatters Liebes-Geschenk (Omeis, 1706, S. 14 (»ALso hat GOtt die Welt geliebet«)): Der Leib zwar fllet in den Sand / der Leib / die Schale; nicht der Kern. Die Seele / glnzet als ein Stern. Lothar Noack weist darauf hin, dass dieses Gedicht im Manuskript anders betitelt ist (Alß der Ancker das 50ste Jahr hingeleget), vgl. Noack, 1999, S. 370. Vgl. Hoffmannswaldau, 1679/1984, S. 789 (»Gedancken bey Antretung des funffzigsten Jahres« (»MEin Auge hat den alten Glantz verlohren«)).

119 Gnade auch fu¨r das bevorstehende Alter (Strophe 4–8) und fu¨r seinen Tod (vor allem Strophe 9) zu erbitten.81 Solange der Sprecher seine diesseitige Situation in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektiert, sieht er sich durchgehend als organische Leib-Seele-Einheit. Wenn er aber am Ende der letzten Strophe seinen Tod antizipiert, beginnen sich in seiner Vorstellung seine nicht-leiblichen Anteile aus der Leibeshu¨lle ganz herauszuschlen – die Leib-Seele-Einheit wird aufgebrochen (Verse IX,5–6): Jch wil kein ander Wort um meinen Leichstein haben / Als diß: Der Kern ist weg / die Schalen sind vergraben.82

Geht man auch in diesem Fall wieder davon aus, dass es sich bei dem als ›Kern‹ bezeichneten Bestandteil des Menschen um seinen unsterblichen Geist bzw. seine Seele handelt, so sind die Parallelen zu den Versen des Laurentius von Schnu¨ffis unu¨bersehbar: Auch hier wird ein Kern-Hu¨lle-Modell des Menschen entworfen, in dem beide Komponenten zumindest sub specie aeternitatis keineswegs gleichwertig sind. Mag sich das Ich in Hoffmannswaldaus Gedicht bei der Schilderung seiner diesseitigen Situation mit seinen leiblichen Bestandteilen ebenso identifizieren wie mit dem Geist bzw. der Seele, so wird zumindest am Ende deutlich, dass der Kern das eigentlich Kostbare im Menschen, seine Substanz, darstellt.83 Die abgestreiften, u¨brig bleibenden Schalen haben ihren Wert offensichtlich verloren, fu¨r sie allein lsst sich ein »grosses Leichgeprnge /| Aus Eytelkeit / und stoltzer Pracht erdacht« (Vers IX,3–4) nicht rechtfertigen. Bestand in der postmortalen Existenz hat lediglich diejenige Komponente, die unsichtbar und mo¨glicherweise mit dem Tod auch unrumlich geworden ist: die Seele. Welche Implikationen fu¨r die rumliche Relation von Leib und Seele und fu¨r die Seelenstruktur ergeben sich nun ganz allgemein aus der Kern-Hu¨lle-Metapher, die zuletzt beispielhaft an zwei Gedichtausschnitten betrachtet worden ist? Whrend im Zusammenhang mit den zuvor genannten Bildern fu¨r den leiblichen Seelenraum (Haus, Schrein, Ho¨hle usw.) das rumliche Verhltnis zwischen dem Seelenge81 82 83

Vgl. ebd. S. 790–791. Ebd. S. 791 [Herv. d. C. H. v. H.]. Zunchst als ein Teil des Ich wahrgenommen und anschließend abgewertet wird der Leib etwa auch in den nachfolgend zitierten Versen, die im 35. Sonett aus dem vierten Buch von Opitz Poetischen Wldern (1644) das erste Quartett bilden (Opitz, 1644/1975, S. 378): Ich wil diß halbe mich / was wir den Co¨rper nennen / Diß mein geringstes Theil / verzehren durch die Glut / Wil wie Alcmenen Sohn mit vnverwandten Muth Hier diese meine Last / den schno¨den Leib / verbrennen […].

120 fß und seinem Inhalt, der Seele, hufig nicht explizit thematisiert wird, tritt es in der Kern-Hu¨lle-Bildlichkeit in den Mittelpunkt. Unvermeidlich ist dies schon wegen der wechselseitigen Abhngigkeit der beiden botanischen Bildspender, Schale und Kern. Schalen, zu denen es niemals einen Kern gegeben hat, ko¨nnen ebenso wenig als solche bezeichnet werden, wie ein Kern ohne irgendeine urspru¨ngliche Umhu¨llung die Bezeichnung ›Kern‹ fu¨r sich beanspruchen ko¨nnte. Kern wie Schale bzw. Hu¨lle verdienen ihre Namen nur, wenn sie zunchst in einem rumlich klar definierten Verhltnis zueinander stehen, mag diese Verbindung auch spter aufgehoben werden. Die Schale ist außerdem nicht nur in ihrer Benennung, sondern auch in ihrer Gestalt wesentlich an ihren Inhalt gebunden: Schon ab ovo verdanken sich die Form der Schale und die Dimensionen des von ihr umfassten Innenraums wesentlich der in ihr heranwachsenden, sie mehr und mehr ausdehnenden Frucht. Wird eine Nuss, wird eine Mandel oder eine andere Frucht geschlt und so die Schale vom Kern getrennt, so zersto¨rt man damit die Hohlform, welche die Schale vorher bildete, irreversibel. Psychische Rauminhalte, die gro¨ßere Dimensionen als der sie umgebende physische Raum aufweisen, sind im Falle der hier vorliegenden Metaphorik a priori ausgeschlossen, geho¨rt doch zum Kern-Hu¨lle-Verhltnis das Verbleiben des Kerns innerhalb der Dimensionen seiner Hu¨lle wesentlich dazu. Diese klare rumliche Relation wiederum lsst auf eine gewisse Stabilisierung und Homogenisierung des Seelischen wenigstens gegenu¨ber ußeren Einflu¨ssen schließen. Auch wu¨rde in der harten, mu¨hsam zu o¨ffnenden Schale einer Frucht selbst eine innere Pluralitt des Seelischen zumindest nach außen hin zusammengefasst – abgesehen davon, dass man von vornherein eher dazu neigen wird, eine als ›Kern‹ apostrophierte Seele nicht nur der ußeren Gestalt, sondern auch der inneren Beschaffenheit nach als Einheit einzustufen. Die letztgenannte Tendenz wird in den zwei oben betrachteten Gedichtbeispielen außerdem noch durch die jeweiligen lyrischen Kontexte des Bildes verstrkt. In beiden Fllen wird das stabile Weiterexistieren des seelischen Kerns nicht nur whrend seines Aufenthalts in der ihn umgebenden Hu¨lle, sondern auch nach seiner Herauslo¨sung aus der bzw. den leiblichen Schale(n), d. h. auch nach dem Tod, behauptet. Besonders drastisch ist die Bildlichkeit in den von Laurentius verfassten Versen: In diesen wird die Außenhu¨lle gewaltsam zerbrochen, also in ihrer Integritt (bewusst) vollstndig zersto¨rt. Der Kern aber u¨bersteht diesen Fragmentierungsprozess offensichtlich unbeschadet und erscheint damit geradezu als Inbegriff einer u¨ber den Tod hinaus andauernden Stabilitt. Dass die Kern-Hu¨lle-Bildlichkeit und

121 vielfach auch ihre lyrischen Kontexte somit den Eindruck einer verhltnismßigen Stabilitt der in abhngiger Position befindlichen Seele vermitteln, darf indes nicht u¨ber ein grundlegendes Problem hinwegtuschen: Auch eine als Kern einer Leibesschale angesprochene Seele kann vom Leser keineswegs zuverlssig in ihrer strukturellen Einheit oder Pluralitt, Kohrenz oder Inkohrenz erfasst werden. Dies hngt mit der von vornherein hermetischen Binnenstruktur des Bildspenders zusammen: Whrend Schalen zur Abschlung einladen und damit gewissermaßen a priori als zu ero¨ffnende Behltnisse wahrgenommen werden, bezeichnet man als Kern u¨blicherweise genau jenen Teil einer Frucht, der sich nicht mehr weiter schlen lsst. Er wird im Allgemeinen nicht als potentiell zu ero¨ffnendes, also gefßartiges Gebilde in Betracht gezogen werden. Wird nun innerhalb eines Leib-Seele-Kompositums der Leib bzw. ein innerphysischer Teilraum der Schale, die Seele dem Kern einer Frucht gleichgesetzt, so ldt der Leibesraum zur Ero¨ffnung ein, die Seele aber bleibt einer genaueren Analyse ihrer Binnenstruktur unzugnglich. Sie bildet in einer solchen Konstellation gewissermaßen pauschal die ›Fu¨llung‹ bzw. den Rauminhalt des physischen Innenraums und keine selbst wiederum aufklappbare ›Schachtel‹.84 Fu¨r die Erkennbarkeit der Seelenstruktur aus der Seelenraummeta¨ berlegungen dieses Abschnitts insgesamt phorik haben die bisherigen U Folgendes ergeben: Wann immer der Schritt vom Seelenraum im Sinne der ersten zum Seelenraum im Sinne der zweiten Lesart noch nicht vollzogen ist, behlt die Seele letztlich den Charakter einer black box.85 Selbst aus den zuletzt betrachteten Kern-Hu¨lle-Metaphern, die wenigstens die Relation der Seele zum Leib klar definiert erscheinen lassen, ist die innere (In-)Kohrenz bzw. (In-)Stabilitt des Seelischen nur unzureichend zu erschließen. Derartige Erkenntniseinschrnkungen fehlen bei jenen, in der Barocklyrik zahlreichen Metaphern, welche das Seelische nicht als Rauminhalt in einem ›Raum fu¨r die Seele‹, sondern als eigenstndigen Raum im emphatischen Sinne (als ›Schachtel‹ bzw. ›Gefß‹) verbildlichen. Anders als im Bild der Seele als Kern, in welchem sich die Vorstellung vollstndiger Einheit, Homogenitt und gliederungsloser Kompaktheit der Seelensubstanz aufdrngt, ohne dass die innere Seelenbeschaffenheit tatschlich geklrt werden ko¨nnte, wird in diesem Fall die Seele selbst zur gedanklichen Sektion freigegeben. Hier kommt gewissermaßen der Seele selbst eine Kern-Hu¨lleStruktur zu: Wie eine Ko¨rperho¨hle dem sie ero¨ffnenden Seziermesser 84 85

Zum Raum als »Schachtel« vgl. Einstein, 1980, S. XV. Als black box beschrieben wird die Seele auch in einem Aufsatz Hans-Georg von Arburgs, vgl. Arburg, 1997, S. 33–69.

122 gleichsam als Schale eines freizulegenden Innenbereichs erscheint, tritt nun die Seele als Hu¨lle einer noch nicht nher untersuchten Kernzone auf, die mit einem, aber auch mit mehreren, mit fremden, aber auch mit eigenen Kernen belegt sein ko¨nnte.86 Sptestens an dieser Stelle, wenn nicht schon beim weiter oben zumindest angedeuteten mehrstufigen Ineinander von Seele, Leibesinnenraum (Hirn, Herz) und (Gesamt-)Leib, ist man versucht, sich den Menschen gleichsam als eine russische Matroschka87 vorzustellen: In diesem Bild entsprche jede weitere Stufe der Verschachtelung, d. h. jeder neue Binnenraum, einer in der vorangehenden Gestalt enthaltenen ¨ ffnen auf ihren Inhalt zu Puppe, die dann ihrerseits wieder durch O u¨berpru¨fen ist. Jeder dem Blick sich neu ero¨ffnende innermenschliche Raum steigert den Eindruck der Komplexitt des Gesamtgebildes. Will ¨ berschaubarkeit der nachfolgenden Interpretationen geman die U whrleisten, so erscheint es unabdingbar, eine Komplexittsreduktion vorzunehmen. Weitgehend ausgeblendet werden sollen daher in den nachfolgenden Untersuchungen alle u¨bergeordneten physischen Schachtelrume, die fu¨r die Frage nach der seelischen Einheit bzw. Pluralitt ohnehin wenig aussagekrftig sind. Dieses Vorgehen ist, wie sich leicht zeigen lsst, ohne weiteres vertretbar: Wird die Seele als letztgu¨ltiger, nicht weiter zu zergliedernder Kern in der Leibeshu¨lle betrachtet, dann kann sie, wie oben dargestellt, der Logik der botanischen Metapher entsprechend nicht von der leiblichen Schale unabhngig begriffen und analysiert werden. Ist sie dagegen selbst Hu¨lle fu¨r einen noch nicht weiter spezifizierten Inhalt, so bildet sie gemeinsam mit diesem einen rumlichen Komplex, der sich jederzeit auch isoliert von allen ihr vorgelagerten Schachtelrumen betrachten lsst. Mit der Entscheidung, in den weiteren Ausfu¨hrungen selbst die vom Leib oder von Leibessegmenten gebildeten Seelenrume im Sinne der ersten Lesart unberu¨cksichtigt zu lassen, ist das Seelenraumkorpus der nachfolgenden Untersuchungen endgu¨ltig festgelegt. In den weiteren Interpretationen werden nur Seelenrume im Sinne der zweiten Lesart zu betrachten sein. Dies rechtfertigt eine terminologische Vereinfachung: Im Folgenden wird mit dem Begriff ›Seelenraum‹ nur noch die raumartige Seele selbst und nicht mehr der ›Raum fu¨r die Seele‹ 86

87

¨ bergang von der Seele als Rauminhalt zur Johnson und Lakoff wu¨rden diesen U Seele als Raumhu¨lle als ihre Transformation von der »container substance« (so benennen die beiden Autoren etwa das Wasser innerhalb eines Behltnisses) zum »container object« (dem Wasserbehltnis selbst) bezeichnen (Johnson/Lakoff, 1980, S. 30). Boris Previsic verwendet das Bild der Matroschka in einem durchaus hnlichen Zusammenhang zur Charakterisierung der wechselseitigen »stndige[n] Ineinanderschachtelung« von Seele und Gott (Previsic, 2004, S. 7).

123 (bzw. der von der Seele visionr erfahrene Raum) bezeichnet werden. Wie oben angedeutet, soll die Spannbreite der zu beru¨cksichtigenden Herzensrume sich an jener der Seelenrume orientieren. Daher erscheint es sinnvoll, auch den Begriff ›Herzensraum‹ grundstzlich nur noch auf jene Rume zu beziehen, welche von den psychischen Anteilen des Menschen gebildet werden.

3.1.2 Samenko¨rner und Seelenmark – Die Seele als Raum Konkrete Beispiele fu¨r die Anwendung der Kern-Hu¨lle-Metapher auf die Seele selbst sind in den bisherigen Ausfu¨hrungen noch nicht untersucht worden. An den vorangehenden Abschnitt anknu¨pfend erscheint es sinnvoll, bei ihrer Betrachtung zunchst wieder von der Fruchtmetaphorik auszugehen, die nur eine der zahlreichen Varianten mo¨glicher Kern-Hu¨lle-Verhltnisse darstellt. Nachweisen lsst sich die Anwendung dieses botanischen Metapherntyps auf die Seele nicht nur in der barocken Lyrik oder den im engeren Sinne literarischen Texten des 17. Jahrhunderts, sondern etwa auch in Johann Baptista van Helmonts fachliterarischer Schrift Ortus medicinae (erstmals postum 1648 erschienen).88 Darin wird im 47. Traktat, dem Tractat von der Seelen oder von dem Gemu¨the, der Aufbau der Seele ausfu¨hrlich abgehandelt. Nach der hier nicht detailliert zu ero¨rternden Auffassung van Helmonts muss in der Seele ein innerer, unsterblicher Teil (das Gemu¨t) von einer minderwertigen sinnlichen Seele unterschieden werden. Das Verhltnis der beiden Seelenkomponenten wird dabei in das Bild von Kern und Schale gefasst: »Die Verknu¨pffung des Gemu¨thes« mit dem zweiten Seelenteil geht nach Auffassung van Helmonts »also zu / daß dieses gleichsam der Kern / und die sinnliche Seele gleichsam die Schale« ist.89 Dieses Zitat aus der – von Christian Knorr von Rosenroth 1683 publizierten und als Aufgang der Artzney-Kunst betitelten – deutschen ¨ bersetzung des Ortus medicinae zeigt deutlich, dass die Kern-Hu¨lleU Bildlichkeit gerade dort fu¨r die Seele gebraucht werden kann, wo der Autor ausdru¨cklich die absolute seelische Einheit zur Disposition stellen mo¨chte. Dem letztgenannten Bestreben kommen die Eigenschaften der beiden aus der Botanik entlehnten Bildspender entgegen: In einer Frucht bilden Schale und Kern grundstzlich keine unauflo¨sliche Einheit, sondern nur eine naturgemß instabile, jederzeit dekonstruierbare ›Viel-Einheit‹. Zwar hngen sie durch ihre gemeinsame Genese zusam88 89

Vgl. zum Ortus medicinae ausfu¨hrlich Stolberg, 2003. Helmont, 1683/1971, S. 865.

124 men, doch lsst sich andererseits eine Schale entweder abschlen oder sie trennt sich auf natu¨rliche Weise im Reifungsprozess vom samenartigen Inhalt einer Frucht. Außerdem divergieren Kern und Schale in qualitativer Hinsicht. Die Disparatheit und Separierbarkeit von Kern und Schale spielt u¨brigens auch dort eine Rolle, wo die KernHu¨lle-Metapher in den oben untersuchten Gedichten etwa Laurentii von Schnu¨ffis und Hoffmannswaldaus verwendet wird: Setzen diese Autoren den Leib mit der Schale, die Seele mit dem Kern einer Frucht gleich, so soll die Bildlichkeit von vornherein die wesentliche Ungleichheit dieser beiden Komponenten ausdru¨cken. hnlich wie Kern und Schale in einer Frucht sind auch Leib und Seele substantiell voneinander unterschieden und ihre Verbindung ist fragil. Nur voru¨bergehend sind sie zu einem – hufig in sich widerspru¨chlichen – Ganzen vereinigt. Die Zerlegung eines fruchtartigen Kern-Hu¨lle-Kompositums wird als anschauliches Bild fu¨r die beim Eintritt des Todes erfolgende Trennung von Leib und Seele verwendet. Wenn in der barocken Lyrik die Seele selbst nach dem Kern-Hu¨lleSchema binnenstrukturiert wird, so geschieht dies, anders als in van Helmonts Ortus medicinae, selbstverstndlich nicht im Kontext expliziter anthropologisch-metaphysischer Spekulationen und Explikationen. Die detaillierten Erluterungen des fru¨hneuzeitlichen Mediziners zum Bild der Seelenschale und des Seelenkerns finden in den von der Verfasserin gesichteten Gedichten nirgends ihresgleichen. Auch kann van Helmonts Psychologie nicht als allgemein akzeptierter Schlu¨ssel zum barocken Verstndnis der auf die Seele angewendeten Kern-Hu¨lle-Metaphorik herangezogen werden, weshalb ihre Einzelheiten fu¨r die vorliegende Studie zu vernachlssigen sind. Die zahlreichen Varianten des Bildes von Seelenkern und Seelenhu¨lle stellen in der barocken Lyrik jeweils Einzelflle dar, die trotz der Verwendung derselben Metaphernstruktur in ihrer konkreten Aussage zur Beschaffenheit der Seele erheblich voneinander abweichen ko¨nnen. Schon am Beginn der folgenden paradigmatischen Analysen seelischer Kern-Hu¨lle-Metaphorik wird sich beispielsweise zeigen, dass zum seelenpluralisierenden Dualismus zwischen Hu¨lle und Kern zustzlich eine Gespaltenheit des Kernbereichs selbst treten kann. In Flemings Trauergedicht Auf H. Georg Glogers Med. Cand. Seeliges Ableben beku¨mmert sich das Ich u¨ber das Hinscheiden eines engen Freundes. Seine Leiche betrachtend vergegenwrtigt sich der Sprecher dessen Sterben und Tod (Verse 1–13) und stellt der Vollkommenheit ihrer Freundschaft (Verse 13–25)90 seine jetzt schmerzlich empfun90

Vgl. Fleming, 1646/1969, S. 144 (»Auf H. Georg Glogers Med. Cand. Seeliges Ableben« (»O Liebster / was bedeut das ungewohnte ro¨cheln?«)).

125 dene Verlassenheit gegenu¨ber (Verse 25–32).91 Die letzten Verse (32–44)92 sind von der Frage dominiert, auf welchen Wegen der Freundschaftsbund auch u¨ber den Tod hinaus erhalten und wie dem Freund zuku¨nftig ein Denkmal gesetzt werden ko¨nne. Dabei wird nicht allein die gedchtnisbewahrende Rolle der Poesie ero¨rtert, sondern auch die Frage nach den Minimalanforderungen seelischer Erinnerungsfhigkeit gestellt. Fu¨r eine so zentrale Erinnerung wie die an den verstorbenen Freund wre, wie das Ich in den Versen 32–35 beteuert, selbst das Zuru¨ckbleiben eines samenkorngroßen Seelenrestbestands im Leib noch ausreichend: […] O du mein selber Jch! Mein alles und mein nichts. Ach Liebster! war dein Name / ders wol auch bleiben wird / so lang ein Ko¨rnlein Same der Seelen in mir bleibt. […]93

Das hier verwendete Bild vom »Ko¨rnlein Same der Seelen« hat zunchst quantitative Implikationen: Solange auch nur ein winziger Rest der eigenen Seele im Sprecher zuru¨ckbleibt, wird er des verstorbenen Freundes, der in diesen Zeilen metonymisch u¨ber seinen Namen prsent ist, gedenken. Bemerkenswert ist, dass sich das Ich in dieser Situation nicht mit seiner Seele, sondern mit dem Leib zu identifizieren scheint, knu¨pft es doch sein Erinnerungsvermo¨gen an die Bedingung, nicht ganz von der eigenen Seele verlassen zu werden: »so lang ein Ko¨rnlein Same | der Seelen in mir [!] bleibt.« Verstndlich wird diese ungewo¨hnliche Perspektive dann, wenn man die ›Seele‹ hier vor allem als lebensspendende innere Gro¨ße begreift. Das Ich gelobt sein Gedenken an den Verstorbenen fu¨r die gesamte Dauer seines irdischen Lebens, d. h. bis an die Grenzen seiner Existenz als Leib-Seele-Kompositum. Die vom Sprecher verwendeten Begriffe »Same« und »Ko¨rnlein« verweisen beide auf die schon in Abschnitt 3.1.1 untersuchte Fruchtmetaphorik und damit zugleich auf die einzige bisher behandelte Variante der Kern-Hu¨lle-Bildlichkeit. Zumindest bis zur Reife sind Samenko¨rner im Innern einer Hu¨lle (eines umgebenden Fruchtko¨rpers o. .) angesiedelt, sie sind Teil eines Ganzen, enthalten aber, und dies gilt es fu¨r die weitere Interpretation besonders zu beachten, trotz ihrer geringen Gro¨ße in komprimierter Form die Anlage zu einem vollstndigen Pflanzenorganismus. Jedes einzelne von ihnen transportiert die Essenz der Gesamtfrucht: »Im Saamen liegt die Frucht«, heißt es in 91 92 93

Vgl. ebd. S. 144–145. Vgl. ebd. S. 145. Ebd.

126 Schefflers Epigramm Das grosse ist im kleinen verborgen.94 Und Czepko fu¨hrt in seiner Consolatio ad Baronissam Cziganeam aus: Ein ieglicher Saame hat in sich geschlossen seine ewige Krafft und Tugend […]. Stecket nicht in einem geringen Korn ein so starcker und hoher Baum, und er der Kern, hat er sich nicht ins Mittel von seinem Apffel gesetzet?95

Ist in Flemings Gedicht von einem »Ko¨rnlein Same[n] der Seelen« die Rede, so steht hinter diesem Bild nicht allein die Vorstellung, dass die Gesamtseele eine Kern-Hu¨lle-Struktur aufweist. Zustzlich wird mit dieser Formulierung suggeriert, dass die Psyche insgesamt aus mehr als nur zwei Einzelteilen (einem Kern und einer Hu¨lle) besteht: Die ¨ berlegung des Sprechers, dass selbst noch »ein« einziges, in ihm zuU ru¨ckbleibendes »Ko¨rnlein Same« zur Erinnerungsbewahrung ausreiche, wird nur dann verstndlich, wenn urspru¨nglich nicht allein ein schalenumhu¨lltes Samenkorn, sondern eine Samenvielzahl in der Seele gefunden werden kann. Jeder der Partikel im Innern der fruchtartigen Seele stellt in diesem Fall gewissermaßen ein Konzentrat des Seelischen dar – in nuce, ko¨nnte man unter Beibehaltung des Metaphernfeldes hinzufu¨gen. Selbst im Zustand der vom Sprecher imaginierten Seelenfragmentierung, bei der die Seelenkomponenten in alle Winde zerstreut sind und sich nur noch ein samenkornartiger Restbestand des Psychischen im Leib befindet, ist so zumindest noch eine Reduktionsstufe von Subjektivitt gewhrleistet. Selbst in dieser Situation existiert durch das verbleibende »Ko¨rnlein« Seelensamen in eingeschrnkter Form das (zersto¨rte) Ganze fort, ko¨nnen zumindest einige seelische Zentralleistungen wie das Erinnern noch immer erbracht werden. Die psychische Kontinuitt bzw. Einheit des Sprechers ist somit nicht ganz durch eine seelische Diskontinuitt bzw. Pluralitt abgelo¨st. Vor dem Hintergrund dieses vom Sprecher imaginierten Verfallszustands der Seele wird man ihren Ist-Zustand in jedem Fall als viel-einheitlich zu definieren haben. Im noch vollstndig unverletzten Zustand erscheint die Seele zwar einerseits als ußerst fragiles Konglomerat aus einer Hu¨lle und mehreren Samen und damit vor allem als Vielheit. Da aber, wie der Endzustand zeigt, zumindest die wichtigsten psychischen Vermo¨gen und Gehalte nicht nur tota in toto, sondern auch tota in qualibet parte, d. h. in jedem Seelenkorn, enthalten sind, muss ihr andererseits – trotz der Samenvielfalt und trotz des zu dieser noch hinzukommenden Kern-Hu¨lle-Dualismus – ein hoher Grad von Kohrenz bzw. Einheit unterstellt werden. Zumindest an einem Beispiel ist hier erstmals der

94 95

Scheffler, 2000, S. 177 (IV,158). Czepko, Bd. 5, 1992, S. 166 (1. Buch).

127 Nachweis erbracht, dass in der konkreten Seelenmetaphorik eines barocken Gedichts die Seele tatschlich als Viel-Einheit gestaltet wird. Wie bereits oben angedeutet ist mit den Kern-Hu¨lle-Metaphern aus dem Pflanzenreich die Spielbreite dieses Metaphernkomplexes noch lngst nicht hinreichend erfasst. Kern-Hu¨lle-Relationen bestimmen allenthalben die sinnlich wahrnehmbare Umwelt des Menschen. In der Botanik ko¨nnen sie ebenso aufgespu¨rt werden wie in Zoologie und Anatomie, ja selbst bei Artefakten und bei geometrisch-abstrakten Figuren lassen sich z. T. kern- und schalenartige Bereiche voneinander abgrenzen. Auch diese Typen von Kern-Hu¨lle-Verhltnissen werden in der barocken Metaphorik auf die Seele u¨bertragen und verdienen – wenigstens exemplarisch – eine genauere Untersuchung. Auch von ihnen nmlich lassen sich Hinweise auf die Gestaltung psychischer VielEinheit erhoffen. Zu den Kern-Hu¨lle-Metaphern aus dem Tierreich, die in der abendlndischen Metapherntradition auf vielfltige Weise auf den psychischen Bereich des Menschen angewendet werden ko¨nnen, geho¨rt das Bild der in ihrem Innern mit einer Perle versehenen Muschel. Dabei wird die Muschel in der christlichen Bildersprache in den meisten Fllen mit der Seele identifiziert,96 whrend ihre Perle etwa mit Christus, der in der Seelenmuschel wie im Schoß der Muttergottes heranwchst,97 oder mit der im seelischen Innenraum beheimateten Tugend gleichgesetzt wird.98 Dass daneben auch die Seele selbst als Perle verbildlicht werden kann, zu der dann etwa der Leib die raue Muschelschale bildet, sei nur der Vollstndigkeit halber erwhnt. Da es in diesem Abschnitt um die Kern-Hu¨lle-Bildlichkeit des Seelenraums im Sinne der zweiten Lesart geht, ist diese Verwendungsweise der Perlenmetaphorik hier zu vernachlssigen.99 Im Folgenden soll beispielhaft jene hochkomplexe Variante der seelenbezogenen Muschel-Perlen-Metaphorik betrachtet werden, in der die zoologische Kern-Hu¨lle-Bildlichkeit zustzlich mit einer Mutter-Kind- oder genauer: einer MariaChristus-Metaphorik verwoben ist. In besonders eindru¨cklicher Form findet sich eine solche Konstellation etwa in einem von Schefflers Epigrammen aus dem Cherubinischen Wandersmann (Bu¨cher 1–5 erstmals 1657 als Geistreiche Sinn- vnd Schlussrime erschienen, 1675 in der zweiten Auflage um ein sechstes Buch ergnzt):100 96 97 98

99 100

Vgl. dazu auch den Eintrag Pelvis, Concha in Lauretus, 1681/1971, S. 785. Vgl. dazu ausfu¨hrlich Ohly, 1974, S. 263–278; Kuechen, 1979, S. 487–489. ¨ berblick u¨ber die Perlenmetaphorik Elbern, Vgl. allgemein zu einem ersten U Victor H.: Perle (Art.). In: LexMA, Bd. 6, 1993, Sp. 1891–1892. Vgl. dazu etwa Arendt, 1989, S. 329–344. Vgl. Du¨nnhaupt, 1991, S. 3531.

128 Der Perlen geburt. Die Perle wird vom Thau in einer Muschel Ho¨le Gezeuget und gebohrn / und diß ist bald beweist Wo dus nicht glauben wilt: Der Thau ist GOttes-Geist / Die Perle JEsus Christ / Die Muschel meine Seele.101

Zum Verstndnis der hier zitierten Verse sei zunchst angemerkt, dass nach traditioneller, schon in Antike und Mittelalter nachweisbarer Vorstellung Perlen aus dem nachts fallenden Himmelstau entstehen,102 also gleichsam vom Himmel ›gezeugt‹ werden. Dies legt die Verwendung der Muschel als marianisches Symbol, nicht jedoch schon als Seelenmetapher nahe. Die Bru¨cke zur Anwendung der Muschel-Perlen-Metaphorik auf die Seelen der Glubigen schlagen wohl vor allem die drei neutestamentlichen »Perlenbelege« (Mt 7,6 sowie 13,45–46 und Offb 21,21), in denen die Perle sich als nicht nur von Maria, sondern von allen Glubigen empfangenes go¨ttliches Wort deuten lsst.103 Wichtige Hinweise auf die Struktur des von Scheffler entworfenen Seelenraums erhlt man vor allem aus der wohl problematischsten Passage dieses Gedichts, nach welcher die Perle »in einer Muschel Ho¨le | Gezeuget und gebohrn« wird. Drei Bildebenen sind in dieser Aussage kunstvoll miteinander verwoben: erstens der (ko¨rperliche) Bildbereich der Zeugung bzw. der Geburt, zweitens die Perlen- und Muschel-Metaphorik und drittens das Bild der Ho¨hle, die, wie etwa Blumenberg in seinen Untersuchungen zur Ho¨hlenmetaphorik gezeigt hat, in apokryphen Schriften statt des Stalls zum Ort der christlichen Gottesgeburt wird.104 Dass die Muschel bzw. die Ho¨hle mit der Seele sowie die Perle mit dem Gottessohn zu identifizieren ist, wird streng genommen erst im letzten Vers von Schefflers Gedicht deutlich. Doch soll diese Information bei der Interpretation der hier zentralen Gedichtstelle trotzdem mit beru¨cksichtigt, die Letztere also von der Gesamtheit des Texts her betrachtet werden. Versucht man, die aus dem Zusammenspiel dreier Metaphernbereiche sich ergebende Situation der Seele gedanklich nachzuvollziehen, so sto¨ßt man auf erhebliche Widerspru¨che. Wenden wir uns zunchst der Zeugungsmetaphorik und ihren Implikationen zu: So, wie whrend der Zeugung der Samen in die Gebrmutter eindringt, fließt der Tau des 101

102

103 104

Scheffler, 2000, S. 150 (III,248) [Herv. d. J. S.]; hnlich auch Scheffler, 1668/2004, S. 536–538 (V,158 – »Die Psyche verlangt eine Perle=Mutter der Perle JEsu zu seyn« (»PErl aller keuschen Seelen«)). Vgl. Hu¨nemo¨rder, Christian: Muscheln (Art.). In: LexMA, Bd. 6, 1993, Sp. 946–947; Anon.: Perle (Art.). In: Zedler, Bd. 27, 1741/1996, Sp. 470–483, hier Sp. 472. Vgl. Ohly, 2002, S. 53–74. Vgl. Blumenberg, 1996, S. 43–45.

129 heiligen Geistes in die uterusquivalente ho¨hlenartige Seelen-Muschel, die sich, um ihn aufzunehmen, wie eine Frau bei der Empfngnis »fu¨r ihn o¨ffne[n]« muss.105 Die Parallelisierung des Zeugungsaktes, der Perlenentstehung und des Eintretens Gottes in die Seele bereitet, fu¨r sich genommen, keine Verstndnisschwierigkeiten. Schwierig wird es jedoch, die Zeugungsmetapher mit dem von Scheffler ebenfalls verwendeten Bild eines Geburtsvorgangs rumlich zu verbinden. Verbleibt der Samen in der Schwangerschaft in der Gebrmutter und entwickelt sich daraus ein Kind, so gelangt dieses Wesen am Ende seiner Reifungszeit aus dem Mutterleib in die Außenwelt: Gerade dieser Ortswechsel wird u¨blicherweise als Geburt bezeichnet. Analog dazu wre nun in der Muschel-Metaphorik zu erwarten, dass sich die Muschel o¨ffnete, damit die gereifte Perle aus ihr austreten ko¨nnte. Genau dieser Schritt bleibt jedoch aus, stattdessen finden hier Geburt und Zeugung am selben Ort statt. Wird die Perle ›geboren‹, so verlsst sie dabei nicht die zuvor gleichsam als »Schoß der Seele«106 etablierte metaphorische MuschelHo¨hle, in der sie empfangen wurde, sondern verharrt paradoxerweise am Ort ihrer Empfngnis. Es gbe nur eine Mo¨glichkeit, dieses Paradoxon aufzulo¨sen: Fu¨r den Zeugungsprozess htte man die Seelenmuschel einer inneren Ko¨rperho¨hle, nmlich dem Mutterleib, gleichzusetzen. Fu¨r den Geburtsprozess htte man sie dagegen mit einem ›ußeren‹ Ho¨hlenraum zu identifizieren, der den gebrenden weiblichen Ko¨rper umgibt. Nur unter diesen Umstnden mu¨sste die Christus-Perle die Seelenmuschel auch im Augenblick ihrer Geburt nicht verlassen, sondern ko¨nnte in ihr geboren werden. Dies wu¨rde allerdings zugleich bedeuten, dass der metaphorische Seelenraum, die Muschel-Ho¨hle, innerhalb des oben dargestellten Systems metaphorischer Identifizierungen eine radikale, ihre Identitt und damit auch ihre diachrone Einheit gefhrdende unumkehrbare Metamorphose durchliefe. Geht man nicht von einer definitiven Verwandlung des Seelenraums von einer Ko¨rperho¨hle in eine ußere Ho¨hle aus, so entstehen fu¨r den psychischen Raum ebenfalls erhebliche Probleme. Die Abmessungen der Muschel-Ho¨hle beginnen dann fu¨r den Leser unaufho¨rlich zwischen jenen einer gebrmutterartigen und jenen einer naturrumlichen Ho¨hle zu oszillieren, je nachdem, ob er den Seelenraum unter dem Aspekt der Zeugung oder der Geburt Gottes betrachtet. Auch durch diese Form der Instabilitt erscheint der psychische Raum in seiner 105

106

Vgl. Ohly, 1973, S. 406. Wenn auch unter dem Vorzeichen seiner offensichtlichen Unstimmigkeit wird dieser Vorgang auch noch in Zedlers Universal-Lexicon referiert, vgl. Anon.: Perle (Art.). In: Zedler, Bd. 27, 1741/1996, Sp. 470–483, hier Sp. 472. Ohly, 2002, S. 119. Zum Zusammenhang der Muschel- und Schoßmetaphorik vgl. auch Arendt, 1989, S. 332.

130 Identitt gefhrdet. Die permanenten Ausdehnungsschwankungen, denen er aus dieser Perspektive unterworfen ist, lassen ihn dem leiblichseelischen Zwitterorgan des Herzens gleichen, das, wie in Abschnitt 3.1.1 angedeutet, im Extremfall zwischen Meeres- und Faustgro¨ße changieren, im Leib enthalten sein und ihn zugleich an Ausdehnung u¨bersteigen kann. Wie fu¨r derartige Herzensrume so verlieren auch fu¨r den hier von Scheffler entworfenen Seelenraum die auf alltgliche Außenrume anwendbaren logischen Gesetze ihre Gu¨ltigkeit. Hat der Seelenraum in der hier untersuchten Bildlichkeit in jedem Fall instabile Raumgrenzen, so folgt daraus keineswegs einfach seine vollstndige Pluralisierung. Zumindest in einer Hinsicht erreicht er durch diese Instabilitt eine Bestndigkeit (und damit Einheit), die er andernfalls niemals fu¨r sich beanspruchen ko¨nnte: Dadurch, dass er – sei es zugleich, sei es nacheinander – Muschel und Ho¨hle ist, kann er die einmal in der Zeugung empfangene Perle (Christus) in sich bewahren, ohne sie je wieder freigeben zu mu¨ssen, und darf somit zumindest im Hinblick auf seine innige Verbindung mit Gott als hochgradig stabil gelten.107 Der in der Perle verko¨rperte Heiland kann zudem nicht allein als Final-, sondern – aus etwas anderer Perspektive – auch als Kausalursache der instabil-bestndigen Seelenraumstruktur angesehen werden. Wo Christus oder eine der beiden anderen trinitarischen Gestalten in das menschliche Innere einzieht, sind, wie sich noch an vielen anderen Beispielen zeigen wird, Paradoxa in der Raumgestaltung alles an¨ brigen wenig verwunderlich, wird doch in dere als selten. Das ist im U diesem Fall der Seelenraum zum Raum eines rational nicht mehr nachvollziehbaren mystischen Geschehens. ¨ berlegungen lasDie zur Perlenmetaphorik Schefflers angefu¨hrten U sen zunchst ein weiteres Mal deutlich werden, dass es in der barocken Seelenraum-Bildlichkeit tatschlich zur Ausbildung seelischer Viel-Ein107

Schließt die Muschel hier die Perle Jesus in sich ein, so wird in einem Lied aus Schefflers Heiliger Seelen=Lust (V,158 – »Die Psyche verlanget eine Perle=Mutter der Perle JEsu zu seyn« (»PErl aller keuschen Seelen«)) mehr der Gedanke betont, dass sie dasjenige, was nicht Jesus selbst ist, aus sich auszuschließen habe. Die Muschel gelobt (Scheffler, 1668/2004, S. 537): Jch wil mich fest verschliessen Fu¨r allm / was du nicht bist; Wil sonst von niemands wissen / Als nur von JEsu Christ: Auff daß nur meines Hertzens Schrein Mag deine Perle=Mutter seyn. Verheißt dieser Schritt der Seele einerseits gro¨ßere Bestndigkeit, so kommt es doch andererseits auch in diesem Gedicht gleichzeitig zu ihrer Destabilisierung, da Jesus sie erst noch mu¨hsam nach seinen Bedu¨rfnissen umstrukturieren muss (vgl. zu solchen Vorgngen ausfu¨hrlich Abschnitt 3.5).

131 heits-Strukturen kommt. Auch zeigt sich im Vergleich dieses Beispiels mit den vorangehend untersuchten viel-einheitlichen Seelenraummetaphern bereits die Variationsbreite dieses Metapherntyps: So entfaltet sich die Viel-Einheit hier nicht in der Rumlichkeit, sondern erst in der Raumzeitlichkeit. Zudem weicht die Art, auf welche die Viel-Einheit im vorliegenden Fall zustande kommt, von den bisher untersuchten Fllen ab: Zwar ist sie durch die spezifische Struktur der (verko¨rperten) Seele mitbedingt – nur eine u¨berhaupt in der Zeit und wenigstens metaphorisch auch im Raum verankerte Seele kann auf die oben dargestellte Weise destabilisiert und stabilisiert werden. Der eigentliche Anlass fu¨r die Viel-Einheit liegt jedoch in der Prsenz Christi in der Seele. Die Erkenntnis, dass die seelische (In-)Stabilitt und die daraus resultierende Viel-Einheit des Psychischen grundstzlich auch außerhalb des Menschen liegende Ursachen haben ko¨nnen, erweitert das Bewusstsein fu¨r die Faktoren, die bei den konkreten Metaphernanalysen beru¨cksichtigt werden mu¨ssen. Abschließend sei zu Schefflers Versen noch bemerkt, dass hier, anders als etwa in der Seelenbildlichkeit van Helmonts, nicht schon durch den bloßen Dualismus zwischen Kern und Hu¨lle eine psychische Pluralisierung stattfindet. Eine solche wre dann zu diskutieren, wenn die Perle zur Seele selbst geho¨rte und sich so eine tatschliche Mehrteiligkeit des Psychischen ausmachen ließe. In diesem Fall aber geho¨rt die Perle der Seele nicht an und ist daher nicht als ein zweiter, qualitativ von der Hu¨lle zu unterscheidender Seelenteil zu interpretieren. Ebenso erscheint es wenig sinnvoll, danach zu fragen, ob der Seelenraum im Zustand vor der Zeugung der Perle (d. h. vor der Prsenz Christi) mit der nach der Perlenzeugung vorliegenden Seelenmuschel gleichgesetzt werden kann, da Scheffler einen Seelenzustand vor der Empfngnis der Perle Christi hier u¨berhaupt nicht beschreibt. Nochmals andere Aspekte seelischer Viel-Einheit als in den zuletzt untersuchten Beispielen treten dort zutage, wo vorrangig anatomische Kern-Hu¨lle-Strukturen auf die Struktur des Seelenraums u¨bertragen ¨ bertragung liegt etwa der Metapher des Seelenwerden. Eine solche U marks zugrunde, die beispielsweise von Kuhlmann in seinem Ku¨hlpsalter (1686), genauer im 13. Ku¨hlpsalm des vierten Buchs, verwendet wird. In einer als Untertitel fungierenden Vorbemerkung zu diesem Psalm geht Kuhlmann auf die Abfassungssituation des Gedichts im Februar 1680 ein. Er gibt an, zu diesem Zeitpunkt vom bemerkenswerten Gestndnis eines gewissen Rothe – Johann Rothe wurde von Kuhlmann zunchst zu »seine[m] ersten Propheten« gemacht,108 spter 108

Schmidt-Biggemann, 1997, S. 248–249.

132 jedoch als Gegenspieler betrachtet109 – erfahren zu haben: Rothe bekennet sich von falschen Geistern, Gesichtern und Trumen betrogen, alles zum Feuer destinierend.110 Den Andeutungen dieses Untertitels folgend, wird Kuhlmanns Psalm in seiner Argumentation grundlegend bestimmt von der Dialektik zwischen go¨ttlicher Wahrheit und teuflischer Tuschung, zwischen dem Sieg der – aus Kuhlmanns (selbst heterodoxer) Perspektive – ›Rechtglubigen‹ und der Niederlage ihrer Feinde, zwischen gottverfu¨gter Luterung und vernichtendem go¨ttlichem Zorn. Trotz ihrer Intention, anderen zu schaden, werden auch die ›Feinde‹ letztlich als unfreiwilliges Werkzeug zum Guten (d. h. zum Sieg und zur Verherrlichung der auserwhlten Glubigen) gedeutet. Der Sprecher selbst sieht sich gewissermaßen in die Rolle Christi, der in der Passion fu¨r seine Feinde Vergebung erfleht (vgl. Lk 23,34), und erbittet bei Gott fu¨r seine Widersacher wiederholt Strafmilderung oder Vergebung. So auch in der ersten und zweiten Strophe des Ersten Zusatztheils: Ja, Vater! Vater, ja! Du bist so sehr aufzehrend Als deine gu¨tt ist deinem Volke gros! Wi hoch di rechte hand ist guttes gutts gewhrend, So hoch ist auch di link erbarmungslos. Allein ich fall zu fus Und bitt um Jesuskus, Den su¨ssen, den er gab dir, Vater, vor uns su¨ndern, Um ihre straff zumindern. Ach handle nicht, wi si verdint! Sonst bleiben ewigst si entgru¨nt. Vil tausend haben sich, mein Gott, zwar hoch vergriffen, Das finsternis mit recht sei ihre Sonn: Doch haben si dadurch, mein Gott, uns ausgeschliffen; Geschliffen nun zu aller Vo¨lker wonn. Ihr hunger wird sehr stark: Frisst auf ihr Seelenmark. Di warheit weichet weg. Si taumeln und sind trunken, In deinen zorn versunken.111

Um diese Zeilen in ihren Implikationen fu¨r die Seele zu verstehen, muss zunchst die Metapher des »Seelenmark[s]« fu¨r sich genommen nher betrachtet werden. Sind in der Barocklyrik Wendungen wie »Seel

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Immer wieder hat Kuhlmann versucht, Rothe im Kampf um den geistlichen Wahrheitsanspruch zu bekehren, vgl. dazu etwa Arnold, 1973, S. 237–252; Dietze, 1963, S. 137–140, S. 197 u.o¨. Kuhlmann, Bd. 1, 1971, S. 297 (»GOttlob, mein Vater kommt, den ich anrif zum Richter«). Ebd. S. 301–302 [Herv. d. Q. K.].

133 und Mark«112 oder »Marck und Bein«113 nachzuweisen, so bezeichnet das Mark in diesem Kontext »das innerste des menschen«.114 In den meisten Fllen ist dieses »[I]nnerste« (zumindest primr) als ein leiblicher Binnenraum zu verstehen. So kommt etwa die Wendung ›Mark und Bein‹ zumeist in Kontexten vor, in denen sie »mit einer gnzlichen innerlichen erschu¨tterung des ko¨rpers infolge einer seelischen aufregung in verbindung gebracht« wird.115 Wird die Metapher des Marks auf die Seele angewendet, so erscheint in Anbetracht dieser Implikationen des Markbegriffs auch die Psyche paradoxerweise als eine Art Leib mit eigenen, den Organen und internen Gewebsstrukturen des Ko¨rpers vergleichbaren Innenbereichen. Das Bild weist damit letztlich zuru¨ck auf eine fru¨here (nmlich auf die bereits in Abschnitt 3.1.1 untersuchte) Stufe der Verschachtelung menschlicher Hohlrume. Wer die Markmetapher verwendet, bedient sich der schon bei Platon gebruchlichen Technik, Leibliches als Bild fu¨r Seelisches zu gebrauchen116 bzw. der Seele, wenn auch nur in der »Gleichnisrede«, einen eigenen Leib zuzusprechen.117 Wie der Ausdruck ›Mark‹ in Bezug auf den Leib fu¨r »das Innere der Gebeine« steht, so bezieht er sich in der Metapher auf das Innerste der Seele, auf das Seelenzentrum.118 Dies formuliert explizit etwa Schottelius, der sich in der gebundenen Rede ebenfalls des Seelenmark-Bildes bedient,119 um es dann in den nachfolgenden Erluterungen seiner Verse ausfu¨hrlich zu kommentieren: Die Seele hat weder Knochen noch Mark / sonderen durch das Mark der Seelen wird verstanden das Allerdurchdringendste / das Jnnerlichste der Seelen / die Seelen durch und durch. Wie nun dasselbe / was in einem Leibe durch Knochen und Mark dringet / das Allerinnerlichste aufs eusserste 112

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Rist, 1652/1978, S. 762 (»Ehren=Gedicht / Uber das sehr Geist= und trostreiche Buch / Kreu¨tz=Schule genant / Welches […] Herr / H. M. Valentin Wudrian / […] an den Tag gegeben […]« (»MEin traurigs Seelichen / wie magst du dich so krnken«)). Dieser Ausdruck findet sich, in enger Beziehung zur Seele stehend, etwa bei Gerhardt, vgl. Gerhardt, 1667/1975, S. 151 (VI,63 – »Herrn Johann Arnds Gebeth umb Gedult im Creutz« (»ACh treuer Gott barmhertzigs Hertz«)). Entscheidend fu¨r die Genese dieser Wendung du¨rfte Hebr 4,12 sein. Anon.: Mark (Art.). In: Grimm, Bd. 12, 1885/1994, Sp. 1628–1636, hier Sp. 1629. Ebd. Sp. 1628. Vgl. Loraux, 1989, S. 38–39. Bemerkenswerterweise verwendet auch Platon selbst den Ausdruck ›Seelenmark‹ – und zwar im Zusammenhang mit den Gedchtniseindru¨cken, vgl. Platon, 1958–2, S. 163 (»Theaetetus« 194c–195a). Vgl. dazu grundlegend auch Sto¨rmer-Caysa, 1998, S. 139–149. In Bezug auf Bernhard von Clairvaux analysiert die Verwendung ko¨rperlicher Seelenmetaphern auch Ulrich Ko¨pf, vgl. Ko¨pf, 1980, S. 146–147. Wodianka, 1999, S. 23. Vgl. Schottelius, 1675, S. 72.

134 durchbricht / beru¨hrt und afficirt / und dessen Wirkung nur mit des Leibes Leben aufho¨ret; Also kan und wird auch das / in der Seelen Mark sich gleichsam eingebissene und ewigfest daselbst einwohnende Gewissen / nimmermehr abtrennlich und abgesondert werden von der Seelen selbst […].120

Wenn Schottelius das Seelenmark als »das Allerinnerlichste« der Seele darstellt, so kann es hier problemlos als eine Art Seelenkern gedeutet werden. Zu unterscheiden ist es dann von einem bei Schottel bemerkenswerterweise nicht explizit genannten, jedoch ex negativo erschließbaren Außenbereich der Seele, einer Hu¨lle, die grundstzlich leichter beru¨hr- und affizierbar sein muss als die Kernregion: So, wie beim Leib nicht alles, was an ußeren Einflu¨ssen auf ihn einwirkt, »durch Knochen und Mark dringet«, wird auch der markartige Seelenkern offenbar nur von großen Erschu¨tterungen mit betroffen, weil er sich in geschu¨tzter Lage befindet. Fu¨r sich genommen erscheint er also als besonders stabil. Wie aber wirkt sich seine Existenz auf den Seelenraum insgesamt aus? Wirkt das Seelenmark hier stabilisierend oder destabilisierend, einheitsfo¨rdernd oder pluralisierend? Die Antwort auf diese Frage kann, wieder einmal, nicht eindeutig ausfallen. Betrachten wir zunchst die Beschreibung des Gewissens: Bemerkenswerterweise wird gerade diese anthropologische Gro¨ße, der es offenbar als Einziger gelingt, bis ins Mark der Seele vorzudringen und sich dort dauerhaft huslich niederzulassen, von Schottel als »nimmermehr abtrennlich«, d. h. als nicht von der Seele abzusondern, beschrieben. Was fu¨r das Gewissen als Seelenmark-Bewohner gilt, muss logischerweise auch fu¨r das Seelenmark selbst vorausgesetzt werden. Lsst sich das Gewissen, weil es im Seelenmark lokalisiert ist, nicht von der Seele losmachen, so kann das Seelenmark erst recht nicht von ihr separiert, die Seele also nicht in Kern und Hu¨lle zerlegt werden. Sie erscheint somit trotz ihrer Kern-Hu¨lle-Struktur als faktisch unteilbare und deshalb stabile Gro¨ße. Der Eindruck der Stabilitt und damit zugleich der Einheitlichkeit verstrkt sich dadurch, dass der Seelenkern als »die Seelen durch und durch« in der innersten Zone des Seelenraums noch einmal das Ganze oder zumindest die Essenz der Seele zu speichern und vor ußeren Angriffen zu schu¨tzen scheint. Andererseits weist der Seelenraum, ungeachtet aller Hindernisse seiner praktischen Fragmentierung, durch das bloße Vorhandensein des Seelenmarks zwei qualitativ unterschiedene Bereiche auf und tritt damit als eine wenigstens teilweise pluralisierte Gro¨ße – also, ein weiteres Mal, als Viel-Einheit – in Erscheinung. Hinzu kommt, dass das Seelenmark in Schottels Ausfu¨hrungen zwar vor einer von außen kommenden Zer120

Ebd. S. 77 [Herv. d. J. G. S.].

135 sto¨rung gesichert, aber trotzdem nicht gnzlich ungefhrdet erscheint: Zumindest von Seiten des in diesen Seelenbereich »eingebissene[n]« Gewissens ko¨nnte auch ihm Zersto¨rung drohen. Welche Rolle, so ist nun zu fragen, spielt die Metapher vom Seelenmark im oben zitierten Ausschnitt aus Kuhlmanns Psalm, wie trgt ihr Einsatz dort dazu bei, den Eindruck der Vielheit und/oder Einheit des Seelischen zu vermitteln? Auf den ersten Blick erfhrt der Leser vom Seelenmark in Kuhlmanns Gedicht nicht viel: Es wird vom inneren Hunger, der die im Glauben Abtru¨nnigen qult, aufgefressen. An diesem Bild fllt zunchst auf, dass das Seelenmark hier fu¨r sich alleine steht, dass nur von seiner (im gro¨ßtmo¨glichen Umfang sich vollziehenden) Destabilisierung und Fragmentierung, nicht auch vom Zustand der ganzen Seele die Rede ist. Allerdings erscheint es nahezu unausweichlich, dass mit seiner Zersto¨rung auch die Destruktion der Gesamtseele einhergeht. Dies kann etwa daraus geschlossen werden, dass man – zumindest falls man Schottels oben zitierten Ausfu¨hrungen folgt – von der eigentlich besonders stabilen Lage des Seelenmarks im Innersten der Seele auszugehen hat: Wenn schon das Mark der Seele vollstndig zersto¨rt wird, dann du¨rfte unter diesen Umstnden auch die Seele insgesamt unrettbar sein. Es ist also, kurz gesagt, anzunehmen, dass das kernartige Seelenmark hier als pars pro toto genannt ist, zumal man es, wiederum Schottel folgend, ja gewissermaßen als ›Seele in der Seele‹, als Inbegriff der Seele interpretieren kann. Fragt man nach den unmittelbaren Ursachen fu¨r die Destruktion des Seelenmarks, so wird man sie wohl innerhalb der Seele selbst suchen mu¨ssen. Der Hunger, der die Vernichtung des Seelenmarks veranlasst, steht fu¨r die ungebremst triebhaften, autodestruktiven Impulse der Gottesfernen, fu¨r ihre unkontrolliert-su¨ndhafte Gier, oder aber fu¨r ihr qulendes Gefu¨hl des Gottesmangels bzw. der Gottessehnsucht. In beiden Deutungsvarianten sind es letztlich (auch) innerseelische Krfte, die sich gegen die Integritt des Seelenmarks richten, so dass die Widersacher Gottes in ihrer seelischen Struktur ganz von innen heraus, ganz durch sich selbst vernichtet werden. Unabhngig von den konkreten, bis ins Seelenmark hineinreichenden Zersto¨rungen bewirkt hier schon die Tatsache, dass sich Seelisches gegen Seelisches wendet, eine Destabilisierung und Pluralisierung des Psychischen. Dabei mu¨ssen die intrapsychisch-destruktiven Krfte, die das Seelenmark letztlich zersto¨ren, hier nicht einmal aus der ußeren, das Mark umhu¨llenden Seelenregion kommen. Es wre vielmehr auch denkbar, dass das Seelenmark selbst als Ausgangspunkt der destruktiven Impulse fungierte und sich somit in Eigenregie zersto¨rte. Wie das ko¨rperliche Mark den »sitz der ko¨rperlichen kraft und strke« darstellt und hufig »vertre-

136 tend fu¨r diese« steht,121 so ko¨nnte in Kuhlmanns Versen auch das Seelenmark nicht nur als die (geometrische) Seelenmitte, als das verborgenste und geschu¨tzteste Seeleninnere, sondern zugleich als Zentrum der seelischen Krfte wahrgenommen werden. Am Ende des selbst kraftgeleiteten Vernichtungswerks stu¨nde dann, mit dem Verschwinden des Seelenmarks, die vollstndige Kraftlosigkeit: Wie im Ko¨rper so du¨rfte auch in der Psyche die »entziehung des markes« mit der »entziehung der kraft zum weiterexistieren«,122 d. h. in diesem Fall mit dem Tod der Seele, einhergehen. Mo¨chte man bei der deutenden Annherung an Kuhlmanns Verse nicht nur nach der unmittelbaren, sondern, weiter zuru¨ckfragend, auch noch nach der mittelbaren Ursache der Seelendestruktion suchen, dann wird man diese in der su¨ndig-verstockten Abwendung von Gott finden, die den fatalen »Hunger« u¨berhaupt erst hervorruft. Wo aber die bewusste Entfernung von Gott zu einem seelenzersto¨renden Hunger fu¨hrt, lsst sich ex negativo die Nhe zu Gott als notwendige Bedingung der seelischen Integritt, als indirekte Voraussetzung fu¨r die Einheit seelischer Teile und Krfte benennen. In Kuhlmanns Psalm haben wir es, so lassen sich die bisherigen Ausfu¨hrungen zusammenfassen, mit einem Extrembeispiel seelischer Kern-Hu¨lle-Metaphorik zu tun. Die gut ausbalancierte Viel-Einheit, die dem Seelenraum beim Vorliegen der dualen Kern-Schale-Struktur vielfach zukommt und die eigentlich auch in der Seelenmark-Metapher angelegt ist, ist hier im Begriff, sich vollstndig zur Vielheit zu wandeln, der Seelenraum steht kurz vor der totalen Auflo¨sung. Zugleich verraten die an dieser Metapher angestellten Betrachtungen allerdings auch viel u¨ber einheitsfo¨rdernde und pluralisierende Strukturen und Krfte im noch nicht zersto¨rten Seelenraum. Daher sollen im weiteren Verlauf dieser Studie auch solche Auflo¨sungsformen seelischer Rume beru¨cksichtigt werden. ¨ berblick u¨ber die Variationsbreite der Kern-Hu¨lleIm bisherigen U Metaphorik wurde die wohl wichtigste Gruppe von Bildspendern noch nicht beru¨cksichtigt: die nach dem Kern-Hu¨lle-Modell aufgebauten Artefakte. Besonders beliebt ist hier der Ru¨ckgriff auf das Bild eines diesem Modell entsprechenden Hauses.123 Da die Metapher des Seelenhauses in einem spteren Abschnitt noch ausfu¨hrlich zu behandeln sein wird (vgl. Abschnitt 3.5), soll hier nur skizzenartig auf die Mo¨glichkeit hingewiesen werden, auch im Seelenhaus ein kernartiges Zentrum anzunehmen, um das herum periphere Bereiche angeordnet sind. Eine 121 122 123

Anon.: Mark (Art.). In: Grimm, Bd. 12, 1885/1994, Sp. 1628–1636, hier Sp. 1630. Ebd. Vgl. dazu auch den Eintrag Domus, Aedes, Domicilium in Lauretus, 1681/1971, S. 358–361, hier S. 359.

137 solche Struktur entspricht der von Gaston Bachelard in seiner Poetik des Raumes entworfenen »Psychologie des Hauses«, in welcher das Haus unter anderem als ein »konzentriertes Wesen« charakterisiert wird.124 Als Beispiel dafu¨r, wie die Vorstellung eines Zentrums im Seelenbzw. Herzenshaus dem Leser in der barocken Lyrik begegnen kann, sei das von Anton Ulrich von Braunschweig und Lu¨neburg verfasste Lied Der Seelen entschließung, ihren heiland nicht wieder zuverlaßen angefu¨hrt: 1. Mein Seelen Brau¨tigamb, laß mich dich nun u¨mbfaßen, kom zu mir liebster gast, Ach kehre zu mir ein, ich wil dich nehmen auf, in meines hertzens schrein, du solst mein liebster Gott, ich wil dein tempel sein, Schlag deine hu¨tten auf, erfu¨ll mit gnadenschein, mein hertz, dz nun hinfort, sich shnt nach dir allein, und dich nun nicht mehr wil, aus seiner wohnung laßen. 2. Es ist mein hertz zwar eng, in su¨nden gantz u¨mbhu¨llet, und hat dir mannigmal, verschloßen zu die thu¨r, wann du aus großer gu¨ht, geklopfet an dafu¨r, mit undanck hab ich oft, getrieben dich von hier, doch weil ichs nun erken, mein hertz ero¨fne dir, so kanstu nicht u¨mbhin, du kehrest ein bei mir, und hast mit deiner gnad, mein hertz schon gantz erfu¨llet. 3. Such mein hertz fleißig durch, und was dir drin mißfllet, das iage nur herraus, vertreibe wie den wind, was dir zuwiedersteht, veriage meine su¨nd, baw dir ein kmmerlein, und mach mich so gesindt, dz man kein nebengast, bei meinem Jesu findt, mein Vater soltu sein, und ich dein treu¨stes kind, das iederzeit mit dir, verbleiben mo¨g gesllet. 4. Wolt mich der Satan nun, hinwiederso verleiten, dz mein hertz nehme auf, die lu¨ste dieser weld, So hilf bei Zeiten mir, du liebster freund und heldt, stell eine starcke wach, fu¨r meines hertzens zeldt, und laß niemand hinnein, der sich dir wiedersteldt, hilf mir bei Zeiten auf, bevor ich werd geflt, So wil ich dir mein hort, ein Ewig lob bereiten.125

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Bachelard, 1960, S. 50. Anton Ulrich, 1969, S. 39–41 (»Himlische Lieder« 15).

138 Whrend die Seele nur einmal explizit genannt wird und in diesem Fall in menschlicher Gestalt, nmlich als die Geliebte Christi (I,1), erscheint, existiert in diesen Strophen gleichzeitig auch ein seelenquivalenter innerer Raum, nmlich das Herz. Dieses wird einmal als »schrein« (Strophe 1), einmal als »zeldt« (Strophe 4), vor allem jedoch als Haus bzw. Teil eines Hauses (Strophe 2/3) dargestellt. In Strophe 1 ist es außerdem zugleich Teil eines gro¨ßeren Raums, nmlich eines Tempels, der von der ganzen Person des Sprechers gebildet wird.126 Hier findet also bereits eine erste Ineinanderschachtelung innerer Rume statt: Christus soll, so lsst sich aus den Aussagen des Ich in der ersten Strophe ableiten, einerseits im ganzen Tempelraum des Ich gegenwrtig sein und dort seine ›Hu¨tte‹ aufschlagen, andererseits aber gerade im »hertzens schrein« seine Wohnung nehmen. In der zweiten Strophe weitet sich der (u¨berschaubare) Schrein des Herzens zu einem Raum, der zwar als »eng« bezeichnet wird, aber immerhin mit einer Tu¨r versehen ist. Es kann sich dabei entweder um ein ganzes Haus oder zumindest um einen klar abgegrenzten Gebudeteil handeln. Durch den neuen Seelengast findet hier also eine Verwandlung des Raums statt, die neben binnenstrukturellen Umgestaltungen sogar eine sprunghafte Vernderung der Raumgrenzen mit umfasst. Diese Grenzvariation lsst sich, hnlich wie das rumliche Oszillieren in Schefflers oben untersuchtem Perlengedicht, als besonders offensichtliche diachrone Destabilisierung bzw. Kohrenzgefhrdung des Seelenraums interpretieren. In der nun folgenden dritten Strophe wird Christus noch einmal aufgefordert, das seelenquivalente Herz als seine »Wohnung« in Besitz zu nehmen, es nach seinen Bedu¨rfnissen zu gestalten und dabei ihm missfallende Bestandteile des psychischen Inventars auszusortieren. Gibt das Ich Christus die Erlaubnis zum letztgenannten Schritt, so wird daran indirekt eine synchrone Pluralisierung der Seele, ihr Erfu¨lltsein von vielfltigen Inhalten, deutlich. Eine genuine Kern-Hu¨lle-Struktur erhlt das Seelenhaus schließlich im vierten Vers der dritten Strophe, in dem das Ich Christus einen besonderen Auftrag erteilt. Auch wenn dem Gottessohn das ganze Herz zugewiesen wird, soll er sich zugleich innerhalb dieser Herzenswohnung bzw. dieses Herzenshauses noch ein besonderes »kmmerlein« erbauen. Er soll sich also in jenem architektonischen Gebilde noch einen Bereich besonderer Prsenz schaffen und so die Ineinanderschachtelung innermenschlicher Rume in die Seele hinein fortsetzen.127 Die Rede vom »kmmerlein« du¨rfte dabei – auch wenn das 126 127

Zum Herz, zur Seele und zum Leib als Tempel vgl. Bauer, 1973, S. 74–79. Schon in mittelalterlichen Quellen wie etwa im St. Trudperter Hohenlied (um 1160) lsst sich eine solche go¨ttliche »Bewegung von außen nach innen, ein Ein-

139 Ich Christus ausgerechnet in dieser Strophe nicht als ›Brutigam‹, sondern als ›Vater‹ bezeichnet – auf die in der Barockdichtung hufig nachzuweisende Vorstellung einer intrapsychischen geistlichen Brautkammer128 anspielen, in der Christus als Seelenbrutigam wohnen soll.129 Zunchst stellt die Unterscheidung zweier qualitativ divergierender psychischer Bereiche, die durch die Baumaßnahme Christi vollzogen oder zumindest unterstrichen wird, auch in diesem Fall wieder eine Pluralisierung dar. Gegenu¨ber einigen anderen Kern-Hu¨lle-Metaphern erscheint die Vielheitlichkeit allerdings abgeschwcht, da sich eine Seelenkammer, anders als ein markartiges innerseelisches Kraftzentrum, nicht gegen den Rest der Seele wenden kann und sich, anders als der Samen in einer Seelenfrucht, auch nicht einfach aus der Seele herausschlen lsst. Wie bei der zuvor behandelten Seelenmarkmetapher ist außerdem auch hier davon auszugehen, dass sich die in der Kern-Hu¨lle-Struktur liegende seelische Mehrteiligkeit nicht ausschließlich pluralisierend, sondern auch einheitsstiftend auf den Seelenraum auswirkt, dass das mit einem inneren »kmmerlein« versehene architektonische Seelengebilde keine Vielheit, sondern eine Viel-Einheit darstellt. So kann man etwa das »kmmerlein«, wie das Seelenmark in den Ausfu¨hrungen Schottels, als »die Seelen durch und durch«130 betrachten, als eine pars pro toto, die sich – ganz von Christus erfu¨llt und geeint – nicht zersto¨ren lsst und so der Seele zumindest in ihren wesentlichen Eigenschaften besondere Bestndigkeit garantiert. Die Vorstellung ineinandergeschachtelter innermenschlicher Rume, deren stabilisierendes Zentrum eine von Christus in der Seele erbaute ¨ brigen Parallelen zu einem und bewohnte Kammer darstellt, weist im U Gedankengang Martin Luthers auf. Diese werden sichtbar, wenn man sich noch einmal die im Gedicht explizit genannten Gebudetypen vergegenwrtigt. Neben dem Schrein sind dies Tempel, Zelt und Hu¨tte. Wo solche Rume im geistlichen Lied erwhnt werden, liegt es nahe, sie mit dem israelischen Tempel und dem Bundeszelt bzw. der Stiftshu¨tte zu assoziieren. Die – auf den ersten Blick recht ungewohnte – Assoziation von Wohnhaus und Kammer mit diesen alttestamentarischen Kultrumen findet sich, wenn auch in einem anderen Kontext, schon in Luthers Sermon von dreierlei gutem Leben, das Gewissen zu

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dringen in immer engere Schichten, in geheime, intime Bezirke des inneren Menschen« nachweisen (Ku¨sters, 1985, S. 279). Vgl. zu diesem Motiv und seinen antiken und fru¨hchristlichen Wurzeln Ohly, 1986, S. 994–997. Vgl. Scheffler, 2000, S. 243 (VI,1 – »Wie GOtt in der Heiligen Seele«). Schottelius, 1675, S. 77.

140 unterrichten (1521). Luther setzt die husliche »stube oder schlaffkammer« dem gottgeweihten »Sanctum Sanctorum«, dem heiligsten, innersten Bereich der Stiftshu¨tte, gleich. Das diese Kammer enthaltende Haus wird mit dem etwas weniger zentralen »Sanctum« und schließlich der das Haus umgebende Hof mit dem »Atrium« des ju¨dischen Tempels identifiziert.131 In hnlicher Weise wie Anton Ulrich von Braunschweig und Lu¨neburg entwirft auch Harsdo¨rffer im zweiten Teil seiner Lehrgedichte Nathan und Jotham (1651) das Bild eines architektonischen Kernbereichs der Seele, der zum Raum besonderer go¨ttlicher Prsenz wird. In der Mitte der von ihm beschriebenen »Seelen=Burg«132 befindet sich das »Zimmer der ho¨chsten Gottheit«: VNsere Seele ist ein ko¨niglicher Palast / in welcher viel Wohnungen deß Ho¨chsten sind: der Leib ist die Mauren / welche wir auszuzieren bemu¨het sind […]. Mitten in diesem Schloß ist das Zimmer der ho¨chsten Gottheit / welches gleichsam von Diamanten und Perlen scheinet / das nhste Zimmer daran ist die Buß / durch welches man zu besagtem Mittengemach kommen kan. Das dritte Zimmer ist dem Gebet gewidmet […].133

Harsdo¨rffer lsst in dieser Allegorie134 geradezu einen Grundriss des weitrumigen Seelengebudes vor den Augen des Lesers entstehen. Dieses ist einerseits ganz von seinem Mittelpunkt,135 dem allein Gott vorbehaltenen Zimmer, her bestimmt und durch diesen Zentralraum in gewisser Weise geeint. Gleichzeitig aber weist es auch andere Rume auf und verbildlicht damit eindru¨cklich die innere Mannigfaltigkeit des 131 132

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Luther, 1897/1966, S. 795. Vgl. außerdem zur Darstellung der Seele als Schloss oder Burg in der Mystik, besonders bei Teresa von Avila, Bossard, 1997, S. 93–106. Parallel dazu erscheint – etwa bei Spee – auch das Herz immer wieder als Burg, vgl. Spee, Bd. 1, 1985, S. 70 (»Ermahnung zur Buß an den Su¨nder daß er die Burg seines Hertzens Christo einraume« (»Wolauff, wolauff, du scho¨nes Blut«)). Zur Metapher der – vermutlich zumeist synonymen – Herzensburg vgl. Ohly, 1986, Sp. 978–982. Zur mittelalterlichen Tradition dieses Bildes vgl. auch Bauer, 1973, S. 178–180. Harsdo¨rffer, 1659/1991, S. 123 (alte Paginierung) bzw. S. 137 (neu) (101 – »Seelen=Burg«). Peter-Andre´ Alt unterscheidet in seiner Studie zur literarischen Allegorie besonders zwischen ihrem Auftreten als metaphora continua (zu den antiken Wurzeln vgl. Alt, 1995, S. 47–48) und als Personifizierung (vgl. zu dieser Differenzierung ebd. S. 4–5 u. o¨.). In der vorliegenden Untersuchung wird – hnlich wie in den barocken Poetiken und Rhetoriken (vgl. ebd. S. 61) – die Allegorie u¨berwiegend als »fortgesponnene Metapher begriffen, die sich zu ausufernden Bildserien weitet« (ebd. S. 37). Allegorische Personifizierungen ko¨nnen angesichts der hier vorgenommenen Konzentration auf die Seelenraummetaphorik weitgehend vernachlssigt werden. Zur Prsenz Gottes in der »allerinnersten Mitte« der Seele vgl. auch die »siebte Wohnung« der »innere[n] Burg« (der gleichnamige Text wurde 1588 postum vero¨ffentlicht) Teresas von Avila (Teresa, 1979, S. 191).

141 Seelischen (in diesem Fall besonders die Mannigfaltigkeit der Stufen und Komponenten seiner Religiositt). Von der Gebudemetaphorik aus ist nur noch ein kleiner Abstraktionsschritt erforderlich, um die Kern-Hu¨lle-Bildlichkeit auf ihre rein geometrische Grundlage zu reduzieren. Dass auch die Formen der Geometrie im Barock tatschlich metaphorisch auf die Seele bezogen werden (vgl. dazu besonders Abschnitt 3.3), entspricht der von Ohly ausfu¨hrlich untersuchten Tendenz der Fru¨hen Neuzeit, die Geometrie mit ihren zwei- und dreidimensionalen Figuren als die universale Schrift im »Buch der Natur« anzusehen.136 Die Geometrisierung des Seelischen fu¨gt sich gut in das barocke Bestreben ein, die go¨ttliche Scho¨pfung in ihrem von Maß, Zahl und Gewicht (Weish 11,21) durch und durch geprgten ordo wahrzunehmen und sie (auch) auf mathematisch-geometrischem Wege zu erforschen.137 Aus etwas anderer Perspektive ko¨nnte man die Angleichung der Seele an geometrische Figuren auch mit der Strategie des 17. Jahrhunderts in Verbindung bringen, sich die Geometrie in den verschiedensten Bereichen des Lebens als praktisches Werkzeug – in diesem Fall als Werkzeug zur anschaulichen Vergegenwrtigung des Psychischen – zunutze zu machen.138 Wenigstens in Anstzen findet eine Geometrisierung schon in jenen Texten statt, in denen das Zentrum des rumlich-psychischen Gebildes nicht mehr bildlich gefasst ist, sondern nur noch als ›Mitte‹ bezeichnet wird.139 Fu¨r konkrete Interpretationen bleibt in diesen Fllen die geometrische Seelengestaltung allerdings meist zu vage. In Gryphii satirischem Liebesgedicht Capitain Schwermer. An die Scho¨nste und Edelste dieser Welt reicht die Geometrisierung des Psychischen schon etwas weiter: Hier ist explizit von einem »Mittel=Punct der Seelen« die Rede, 136 137

138 139

Ohly, 1995, S. 573–581. Vgl. Radbruch, 2002, S. 84; hnlich auch Folkerts/Knobloch/Reich, 1989, S. 11. Michael Maurer bezeichnet den barocken Zeitgeist als einen »Geist der Geometrie« (Maurer, 1999, S. 73). Vgl. zur Werkzeugfunktion der Geometrie Radbruch, 2002, S. 91–94. So lsst etwa Klaj in seinem Trauerspiel Der Leidende Christus (1645) den Erlo¨¨ lberg besonders in der Mitte seines Herzens von Furcht ergriffen sein ser am O (Klaj, 1645, S. 5 (Verse 112–118)): […] Jch bin / ich bin bereit: Die herbe Todesart ist herber als der Tod / Jch kmpfe meinen Kampf. O felsenschwere Noht! Mein Hertz zerschmelzet in der Mitten / Es zittert / pochet / zaget / Darf ich wol meinen Vater bitten / Der mir sonst nichts versaget. Das Herz erscheint hier zunchst als ein nicht weiter bestimmter Gegenstand mit einem schmelzbaren Kern, whrend es gleich darauf in seinem Pochen, Zittern und Zagen mehr einem fu¨hlenden Lebewesen gleicht.

142 den das Ich den von ihm angeredeten Zuho¨rern »entdecke[n]« will.140 Wie die geometrische Seelenfigur beschaffen ist, der hier ein Mittelpunkt zugewiesen wird, bleibt zwar auch in diesem Fall noch offen, doch erscheint es naheliegend, an die im Barock zentrale141 geometrische Figur des Kreises (vgl. zur Kreisgestalt der Seele ausfu¨hrlich Abschnitt 3.3.2) zu denken.142 Fu¨r einen Seelenraum mit kreis- oder kugelfo¨rmiger Außengrenze stellte der Mittelpunkt notwendig den Schlu¨ssel zu seiner Existenz als einheitliches Gesamtgebilde dar. Ohne den Mittelpunkt festzulegen, lassen sich kein Kreis und keine Kugel konstruieren und ein bereits gegebenes kreis- oder kugelfo¨rmiges Gebilde ist in seiner Gestalt vollstndig u¨ber die Relation der Außengrenzen zu diesem Punkt festgelegt. Aber auch fu¨r den Fall, dass man sich die Seele im vorliegenden Textausschnitt nicht als Kreis oder Kugel, sondern als andere geometrische Figur vorstellen mo¨chte, muss man einem Seelenmittelpunkt, genauso wie einem innersten Seelengemach oder einem Seelenkern, eine stabilisierend-einheitsstiftende Funktion fu¨r die Gesamtperso¨nlichkeit zusprechen. Allerdings ist auch fu¨r Gryphii Gedicht zugleich eine Pluralisierung der Seele durch die Differenzierung qualitativ divergierender Seelenbezirke zu konstatieren: Die leichter und die schwerer einsehbaren Bereiche des Psychischen mu¨ssen sich deutlich voneinander unterscheiden, denn sonst wre die Enthu¨llung des Seelenmittelpunkts fu¨r den Leser nicht von Belang. Ein Seelenmittelpunkt kann im Barock außerdem u¨ber besondere, der Seele sonst nicht zugeho¨rige Fhigkeiten verfu¨gen. So bezeichnet etwa Greiffenberg in ihrer fu¨nften ›Geburtsbetrachtung‹ Jesus als »unbegreiflich / doch begriffen /| in dem innern Herzens-Punct«143 und deutet damit an, dass es im innersten Bereich des Menschen ein u¨ber seine rationalen Seelenvermo¨gen hinausgehendes ›Fassungsvermo¨gen‹ geben kann. Auf paradoxe Weise koinzidieren hier Nicht-Begreifen (im ›normalen‹, in der anima rationalis enthaltenen intellectus) und Begreifen (im Herzensbzw. Seelenmittelpunkt) innerhalb ein und desselben Menschen. Dadurch erscheint die seelische Vielteiligkeit in Greiffenbergs Gedicht kei140

141 142

143

Gryphius, Bd. 3, 1964, S. 195 (»Vermischte Gedichte« 8 – (»JCh halte mehr denn wahr / daß der aus Stein gehauen«)). Zum Mittelpunkt (und zum gleichzeitigen Ineinander) von Geist und Seele vgl. auch Czepko, Bd. II,2, 1997, S. 252 (»In funere Nobilis cujusdam Medici et Chymici« (»Wie wunderbar ist Gott in seinem Recht und Rath«)). Vgl. Maurer, 1999, S. 74. Dass der Kreis gerade in der Fru¨hen Neuzeit immer wieder als Symbol des Geistes und damit einer psychischen Instanz auftreten kann, betont etwa Susanna Brogi in ihren Ausfu¨hrungen zur Kreissymbolik, vgl. Brogi, Susanna: Kreis (Art.). In: Metzler Lexikon literarischer Symbole, 2008, S. 189–191, hier S. 190. Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 475–476 (5. Betrachtung – (»JEsu! alles Lebens Leben! alles Guten Wesenheit«)).

143 neswegs harmonisiert, sondern – und dies in mehrerlei Hinsicht144 – ußerst spannungsreich. ¨ berblick u¨ber Seelenrume im Sinne der zweiten Im bisherigen U Lesart, die sich der Kern-Hu¨lle-Metaphorik bedienen, ist zweierlei deutlich geworden: Erstens ließ sich an verschiedenen Beispielen zeigen, dass diese Rume (wie u¨brigens auch die Seelenrume im Sinne der ersten und dritten Lesart) hufig nur partiell mit den uns durch unmittelbare Anschauung vertrauten Rumen kongruieren, so dass sie sich keineswegs vollstndig in unser normales, von unserer Erfahrung und den Gesetzen der Logik bestimmtes Raumschema integrieren lassen. Diese Beobachtung deckt sich mit den in Abschnitt 1.4.2 ange¨ berlegungen zur Beschaffenheit metaphorischer Seelenrume, stellten U die in diesem fru¨heren Zusammenhang auf das begrifflich unlo¨sbare Problem der Unrumlichkeit und gleichzeitigen Raumgebundenheit der verko¨rperten Seele zuru¨ckgefu¨hrt wurde. Zweitens konnte aufgewiesen werden, auf welch vielfltige Weise sich aus botanischen, zoologischen, anatomischen, architektonischen und geometrisch-abstrakten Kern-Hu¨lle-Metaphern Hinweise auf die Vielheit bzw. Einheit des Seelischen gewinnen lassen. Fu¨r den hier ero¨rterten Zusammenhang zentral ist dabei vor allem, dass in den kurzen Beispielinterpretationen einzelner Kern-Hu¨lle-Bilder immer wieder ein gleichzeitiges Vorhandensein pluralisierender und einheitsstiftender Faktoren zu konstatieren und damit immer wieder die Diagnose einer seelischen Viel-Einheit zu stellen war. Eine Seele, die sich in der Metapher einerseits als Ganzheit darstellt, in deren Innerem sich aber andererseits zwei qualitativ unterschiedliche Bereiche (Kern und Hu¨lle) erkennen lassen, kann im Allgemeinen nicht mehr als vo¨llig homogen bezeichnet werden, sondern sie erscheint als ein »[t]otum heterogeneum, sive dissimilare […], quod habet partes diversum a` toto nomen obtinentes: ut est ædificium.«145 Lediglich dann, wenn der Kern explizit nicht-seelischer Herkunft ist, muss sein Vorhandensein nicht zwingend als Indiz genuin psychischer Vielteiligkeit interpretiert werden (man denke hier an Schefflers Perlengedicht, in dem allerdings auf anderem Wege trotzdem eine seelische Viel-Einheit nachgewiesen werden konnte). In allen anderen Fllen muss eine nach dem Kern-Hu¨lle-Schema

144

145

In Rechnung gestellt werden sollte hier die Polysemie des Verbs ›begreifen‹: Das Begreifen kann im Falle des Herzensmittelpunkts auch ein ›Umfangen‹ sein. Damit ist ein weiteres Paradoxon benannt, da ein Punkt eigentlich ausdehnungslos gedacht werden muss. Genauer ließe sich diese Dimension des Bildes im Ru¨ckgriff auf die in Abschnitt 3.3.2 zu erluternde Vorstellung der sphaera infinita untersuchen. Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, Sp. 601 [Herv. d. J. H. A.].

144 aufgebaute Seele als vielteilige Ganzheit und so schon durch ihre Struktur als Viel-Einheit gelten. Die erste in Abschnitt 1.4.1 formulierte Aufgabe der konkreten Metaphernuntersuchungen kann an dieser Stelle bereits als erfu¨llt gelten: Der Nachweis, dass sich eine Viel-Einheit des Seelischen in Metaphern des Barock tatschlich auffinden lsst, ist erbracht. Im weiteren Verlauf der konkreten Untersuchungen wird nun vor allem die Frage im Mittelpunkt stehen, in welchen Variationen diese Viel-Einheit in der barocken Lyrik realisiert wird. Soll in den weiteren Beispielinterpretationen die Mannigfaltigkeit der Viel-Einheits-Realisationen im Seelenraum auf systematische Weise ergru¨ndet werden, so sind dazu im folgenden Abschnitt zunchst noch einige weitere theoretische Voru¨berlegungen zur Raumanalyse und ihren Kategorien erforderlich.

3.2

Strukturen seelischer Rume – Voraussetzungen und Kategorien der seelischen Topoanalyse

Die Bewertung der unterschiedlichen Eigenschaften von Rumen und rumlichen Strukturen hngt wesentlich von den grundlegenden konzeptuellen Vorannahmen ab, unter denen ein Raum jeweils betrachtet wird. Die wohl noch heute populrste Raumvorstellung kann man anschaulich mit dem Schlagwort des ›Containerraum‹-Konzepts charak¨ berlegungen Albert Einsteins in seinem terisieren,146 das sich aus U Vorwort zu Max Jammers Das Problem des Raumes generieren lsst.147 Nach diesem Raummodell sind sowohl der Gesamtraum des Weltalls als auch jedes seiner Einzelsegmente letztlich gefß- bzw. schachtelartig und daher mit unterschiedlichen Inhalten belegbar, zugleich aber ko¨nnen auch leere – d. h. nicht belegte – Rume existieren.148 Fragt man, ob eine solche Raumvorstellung auch schon fu¨r das Barock vorausgesetzt werden kann,149 so wre darauf hinzuweisen, dass der letztgenannte Aspekt, die Vorstellung eines absolut leeren Raumes, unter den Wissenschaftlern des 17. Jahrhunderts noch umstritten ist.150 146

147

148 149

150

Auf die »Beharrlichkeit« der »Vorstellung des Raums als eines Behlters« weist auch Anja K. Johannsen hin, die fu¨r dieses Raummodell ebenfalls den Begriff des »Container-Raums« verwendet (Johannsen, 2008, S. 15–16). Einstein verwendet den Begriff des »Schachtel-Raumes«, spricht aber auch vom Raum als »container« (Einstein, 1980, S. XV). Vgl. ebd. Vgl. grundlegend zur Vielfalt und Komplexitt der Raumkonzepte in der fru¨hneuzeitlichen Philosophie Breidert, Wolfgang: Raum – II. Mittelalter bis zum Beginn des 18. Jh. (Art.). In: Ritter, Bd. 8, 1992, Sp. 82–88, hier Sp. 84–87. Vgl. Jammer, 1980, S. 44–45.

145 Schließlich fallen in diese Zeit nicht nur die Vakuum-Experimente Otto von Guerickes, der in seinen Experimenta nova (1672) zwischen den Himmelsko¨rpern tatschlich eine absolute Leere annimmt,151 sondern es gibt auch gewichtige Stimmen, welche die Vorstellung eines leeren Raums nicht oder nur eingeschrnkt akzeptieren wollen. Man denke hier etwa an Descartes, der das Vorhandensein »ein[es] ko¨rperlose[n] Vakuum[s]«, die Existenz von Raum jenseits der Materie, grundstzlich bestreitet,152 oder an Henry More, der zwar so weit geht, eine von ko¨rperloser »Divine Matter« erfu¨llte Leere, keineswegs jedoch eine »Leere im absoluten Sinne« anzuerkennen.153 Ungeachtet der barocken Streitigkeiten um die Vakuumfrage lassen die Metaphernanalysen des vorangehenden Abschnitts es keineswegs anachronistisch erscheinen, den Seelenraum des 17. Jahrhunderts grundstzlich als einen Containerraum zu betrachten. Schon die wiederholten direkten Hinweise auf die Gefßhaftigkeit des Seelischen legen nahe, dass bereits im Barock der psychische Raum in dieser Weise wahrgenommen wird. Bleibt der Seelenraum, wie dies meistens der Fall ist, auf subkosmische Dimensionen begrenzt (vgl. aber Abschnitt 3.3.2), so spielt die Frage nach der (Un-)Mo¨glichkeit seiner vo¨lligen Leere ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, ist doch die Vakuumfrage im 17. Jahrhundert vor allem im Hinblick auf den kosmischen Gesamtraum bzw. den ›Raum schlechthin‹ von Interesse. Die Tatsache, dass das Containerraum-Modell – etwa in der heutigen Physik – lngst vehement in Frage gestellt wird, ist im Zusammenhang mit den in dieser Studie zu entwickelnden Gedichtinterpretationen nicht von Bedeutung. Auch wenn spter noch ein anderes, vom ContainerraumModell abweichendes Raumkonzept zu behandeln sein wird (vgl. Abschnitt 3.4.2), geschieht dies nicht in der Absicht, das ContainerraumModell abzulo¨sen, sondern nur, um es durch eine zustzliche Perspektive auf den Seelenraum zu ergnzen. Mag die Entscheidung fu¨r ein am Containerraum-Modell orientier¨ berlegungen von großer Betes Raumverstndnis fu¨r alle weiteren U deutung sein, so liefert sie doch, fu¨r sich genommen, noch keine u¨bersichtliche Systematik, auf die bei den folgenden Interpretationen seelischer Rume zuru¨ckgegriffen werden ko¨nnte. Anregungen fu¨r eine 151

152 153

Vgl. zu dieser Vorstellung sowie allgemeiner zum Raumbegriff Guerickes Reich, 1989, S. 274–276; Breidert, Wolfgang: Raum – II. Mittelalter bis zum Beginn des 18. Jh (Art.). In: Ritter, Bd. 8, 1992, Sp. 82–88, hier Sp. 86; Floss, 2001, S. 938–940; Krafft, 1997, S. 162. Zu beachten ist allerdings, dass gerade in dieser Leere zahlreiche Krfte wirksam werden ko¨nnen, die zwar immateriell, aber doch zugleich auch als »Ausflu¨sse« zu verstehen sind (Floss, 2001, S. 939). Achermann, 2003, S. 220. Ebd. S. 221.

146 sinnvoll-systematische Vorgehensweise bei den weiteren Untersuchungen, die man mit Bachelard als »Topo-Analyse[n]«, d. h. als »Analy¨ rtlichkeiten unseres inneren Lebens«154 bezeichnen ko¨nnse[n] der O 155 te, finden sich dagegen im Eintrag Corpus in Johann Heinrich Zedlers Grossem vollstndigen Universal-Lexicon (1732–1754). Darin ist zu lesen, dass jeder Ko¨rper, also jedes dreidimensionale (und damit auch jedes hohlko¨rper-, gefß- bzw. containerraumartige) Gebilde, auf zweierlei Weise in den Blick genommen werden ko¨nne: Corpus, ein Co¨rper. Diesen pfleget man auf zweyerley Art zu betrachten, entweder in so ferne er lediglich der Ausmessung unterworffen ist; oder in so ferne er ausser dieser noch andern Eigenschafften hat, so von der Extension, die man aus mißt, nicht dependiren.156

Bei der systematischen Betrachtung beliebiger dreidimensionaler Gegenstnde kann, folgt man diesem Zitat, das jeweilige Untersuchungsobjekt einerseits gleichsam als geometrischer Ko¨rper analysiert werden. In diesem Fall ist nach expliziten oder impliziten Hinweisen auf seine ußere Form, auf seine Dimensionen und auf seine Ausdehnung, d. h. seinen ›Rauminhalt‹ im mathematisch-abstrakten Sinne, zu suchen. Damit wird in den meisten Fllen jedoch nur ein Aspekt des betreffenden Gegenstands erfasst. Daher ist andererseits auch nach den durch »Ausmessung« nicht zu erfassenden »Eigenschafften« des jeweiligen Objekts, nach seiner materiellen Grundlage, der konkreten Beschaffenheit seiner Inhalte und gegebenenfalls auch nach deren wechselseitigem Verhltnis und nach deren Einflu¨ssen auf das Gesamtgebilde, nach ihrem allmhlichen Wechsel, ihrer plo¨tzlichen Wandlung etc. zu fragen. Dieser Differenzierung zwischen einer formal-geometrischen (d. h. von aller Materialitt abstrahierenden)157 und einer nicht-geometrischen, stofflich-qualitativen158 Betrachtungsweise eines Gegenstands 154 155

156 157

158

Bachelard, 1960, S. 40. Auch wenn der Ausdruck und die Kurzdefinition der Topo-Analyse hier den ¨ berlegungen Bachelards entlehnt sind, werden sich die nachfolgenden UnterU suchungen methodisch kaum an ihn anschließen. Zedler, Bd. 6, 1733/1994, Sp. 1347–1354, hier Sp. 1347. Vgl. zur Notwendigkeit der Abstraktion vom Materiellen in der Geometrie etwa den Eintrag Geometrie in Zedler, Bd. 10, 1735/1994, Sp. 932–952, hier Sp. 932. Werden im Folgenden die Bezeichnungen ›qualitativ‹ und ›Qualitt‹ gebraucht, so sind sie jeweils auf die nicht quantitativ erfassbaren, nicht mit numerischen Ergebnissen messbaren Charakteristika eines Gegenstands zu beziehen. Nicht verwechselt werden sollte dieses Begriffsverstndnis mit der urspru¨nglich thomistischen, in der Fru¨hen Neuzeit immer wieder deutlich modifizierten Rede von den primren und den sekundren Qualitten, lassen sich doch zumindest die Letzteren gro¨ßtenteils in Zahlen ausdru¨cken. Da in der vorliegenden Untersuchung auf dieses Begriffspaar nicht nher eingegangen werden soll, sei fu¨r weiterfu¨hrende Informationen auf die Darstellung Ulrike Zeuchs (Zeuch, 2004) verwiesen.

147 wird bei den nachfolgenden Analysen des metaphorischen Seelenraums Rechnung zu tragen sein: Unterschieden werden soll im weiteren Verlauf dieser Studie grundstzlich zwischen der Form und dem Inhalt (d. h. der ›Fu¨llung‹) des jeweils untersuchten Seelenraums. Dabei soll allerdings, um nicht einzelne Gedichtinterpretationen auf unvorteilhafte Weise auseinanderreißen zu mu¨ssen, unter den Inhalt auch die sich zwischen einzelnen konkreten Inhaltskomponenten ergebende Binnenstruktur subsumiert werden, auch wenn diese, streng genommen, zu den formal-geometrischen Aspekten des Raums geho¨rt. In den beiden unmittelbar folgenden Abschnitten soll in einem ersten Schritt zur Systematisierung der seelischen Topoanalyse jeweils nur einem dieser beiden Raumbestandteile, also allein der Form (Abschnitt 3.3) bzw. ausschließlich dem Inhalt des Seelenraums (Abschnitt 3.4) Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein solches Vorgehen rechtfertigt sich aus der – nachfolgend noch an zahlreichen Exempeln zu belegenden – Beobachtung, dass bei der konkreten Ausgestaltung vieler Seelenraummetaphern einer der beiden Aspekte des Raums (Form oder Inhalt) so stark im Vordergrund steht, dass der andere gewissermaßen vollstndig »ausgefiltert«159 wird. Immer wieder kann die Fu¨llung eines Seelenraums von so großem Interesse sein, dass dabei seine ußere Form und seine Ausdehnung u¨berhaupt nicht mehr explizit thematisiert werden. In diesem Fall werden nur Seeleninhalte genannt, an denen dann die rumliche Verfasstheit der Seele ausschließlich indirekt abzulesen ist (vgl. dazu vor allem Abschnitt 3.4.2). In anderen Gedichten wird dagegen der Seelenraum allein oder u¨berwiegend u¨ber seine Ausdehnung bzw. u¨ber die Besonderheiten seiner ußeren Form charakterisiert, so dass fast der Eindruck entsteht, als sei die Seele als ein rein geometrischer Ko¨rper ohne einen konkret-materiellen Inhalt zu denken (vgl. dazu besonders Abschnitt 3.3.2).160 Einen weiteren Parameter zur Beschreibung seelischer Rume stellt ihr Verhalten in der Zeit dar: Fu¨r einen beliebigen, in einem literarischen Text dargestellten Seelenraum, ja – um hier zunchst wieder auf einer abstrakt-allgemeineren Ebene zu bleiben – fu¨r jeden in der Dichtung entworfenen Raum kann gefragt werden, ob er sich im Laufe der Zeit verndert, also dynamisch ist, oder ob er als statisches Gebilde sich selbst gleich bleibt. Da sowohl hauptschlich u¨ber ihre geometri159

160

Vgl. zu diesem von Rolf im Zusammenhang mit Karl Bu¨hlers »Gestalttheorie der Metapher« verwendeten Begriff Rolf, 2005, S. 231. Dass sich gezielte Ausblendungen des formalen oder des inhaltlichen Aspekts des Seelenraums relativ hufig nachweisen lassen, ko¨nnte mit der von Karl Bu¨hler dargestellten ›Untersummativitt‹ der Metapher (vgl. dazu ausfu¨hrlich Rolf, 2005, S. 227–233) zusammenhngen.

148 sche Beschaffenheit als auch u¨berwiegend durch ihre Inhalte charakterisierte Rume sich jeweils als statische oder als dynamische Gebilde erweisen ko¨nnen, sind zunchst wenigstens vier verschiedene Raumtypen zu unterscheiden: Raum hauptschlich charakterisiert durch:

Dargestelltes Verhalten des Raums in der Zeit:

1. geometrische Eigenschaften (ußere Form/Ausdehnung)

a) statisch

2. nicht-messbare Eigenschaften (Inhalt(e)/stoffliche Verfasstheit)

a) statisch

b) dynamisch b) dynamisch

Dabei gilt es zu beachten, dass statische und dynamische Rume jeweils unterschiedliche Betrachtungsweisen erforderlich machen, zu deren Unterscheidung sich das bereits in den vorangehenden Abschnitten gelegentlich verwendete Merkmalspaar ›synchron-diachron‹ anbietet. Bei statischen Rumen genu¨gt ihre Betrachtung innerhalb eines Zeitabschnitts (synchron), whrend bei dynamischen Rumen eine diachrone Perspektive no¨tig wird. Um die jeweils erforderliche Betrachtungsweise ergnzt, stellt sich die oben angefu¨hrte Tabelle folgendermaßen dar: Raumtyp: Raum hauptschlich charakterisiert durch:

Dargestelltes Verhalten des Raums in der Zeit:

Erforderliche Betrachtungsweise:

1. geometrische Eigenschaften (ußere Form/Ausdehnung)

a) statisch

synchron

b) dynamisch

diachron

2. nicht-messbare Eigenschaften (Inhalt(e)/stoffliche Verfasstheit)

a) statisch

synchron

b) dynamisch

diachron

Wie alle tabellarischen Darstellungen ist auch die hier entwickelte notwendig schematisch und beru¨cksichtigt nicht die zwischen den hier dar¨ bergangsforgestellten vier Raumtypen anzusiedelnden Misch- und U men. So ko¨nnen etwa, um ein konkretes Beispiel zu geben, psychische Wohnhuser gleichermaßen u¨ber ihre Inhalte wie auch u¨ber ihre ußere Form und ihr rumliches Fassungsvermo¨gen charakterisiert werden, so dass sie im Hinblick auf die erste Spalte der Tabelle eine Mischform darstellen. Dabei sind sie außerdem zumeist in Bezug auf ihre Form statisch, im Hinblick auf ihre Fu¨llungen jedoch dynamisch gestaltet, so dass sie auch das Schema der zweiten Tabellenspalte sprengen. Auch wenn solche Rume streng genommen in der oben angefu¨hrten tabellarischen Darstellung keinen Ort haben, ko¨nnte man sie allerdings vereinfachend dem Raumtyp 2b zuweisen: In Texten, die sich mit teil-

149 weise dynamischen Rumen befassen, liegt schließlich der Fokus meist auf der sich verndernden Komponente, in diesem Fall also auf dem dynamischen Inhalt. Wie aber ist mit jenen Rumen zu verfahren, die intratextuell durch die Dynamik sowohl ihrer Inhalte und Binnenstrukturen als auch ihrer ußeren Form und Ausdehnung charakterisiert werden (die unter diesen Raumtypus zu subsumierenden Rume sollen nachfolgend als ›Extrem- und Auflo¨sungsformen des Raums‹ bezeichnet werden)? In diesem Fall erweist sich die obige Tabelle eindeutig als nicht ausreichend. Eine Mo¨glichkeit, auch fu¨r die vielfltigen Varianten solcher Rume eine sinnvolle Systematik zu entwickeln, besteht darin, die rumliche Position jener Krfte, von denen die radikalen Umstrukturierungsprozesse jeweils ausgelo¨st werden, zum Ordnungskriterium zu whlen. Erstens ko¨nnen die Vernderungen, die sich in einem Raum vollziehen, exogen sein, d. h. die Krfte, welche die jeweilige Verwandlung provozieren, ko¨nnen von außen auf den zu untersuchenden Raum einwirken. Zweitens kann die Metamorphose eines Raumes auf endogene Prozesse zuru¨ckzufu¨hren sein und drittens kann sich der radikale Umgestaltungsprozess von solchen Krften auslo¨sen lassen, die dem jeweiligen Raum teils innerlich, teils ußerlich sind. Die obige Tabelle wre daher um die folgende Spalte zu ergnzen: Raumtyp:

Erforderliche Betrachtungsweise:

Extrem- und Auflo¨sungsformen des dynamischen Raums

diachrone Betrachtung sowohl der Ausdehnung bzw. Form als auch der Qualitten/Inhalte unter besonderer Beru¨cksichtigung der – entweder exogenen – oder endogenen – oder endogen-exogenen dynamisierenden Prozesse

Fu¨r die nachfolgenden Analysen von Seelenraummetaphern liefern die bisher vorgenommenen Differenzierungen zwischen Ausdehnung/ußerer Form und Inhalt, zwischen syn- und diachroner Betrachtungsweise sowie zwischen den verschiedenen Ursachen rumlicher Vernderung ein Analysevokabular, das bei der konkreten Betrachtung eines einzelnen Gedichts bzw. Gedichtausschnitts als hilfreiches Werkzeug zur genauen Bestimmung der jeweiligen rumlichen Beschaffenheit der Seele dienen kann. Wie fu¨r die Differenzierung zwischen Form und Inhalt bereits angedeutet, geben die oben angefu¨hrten Unterscheidungen außerdem wichtige Anregungen fu¨r die Gliederung der folgenden Abschnitte des Hauptteils. Keinen Einfluss auf die Gliederung wird dagegen eine weitere hier vorzunehmende terminologische Differenzierung haben, die

150 sich allein auf die Beschaffenheit des Seelenraum-Inhalts bezieht. Diese Ergnzung des Analysevokabulars lsst sich anhand der folgenden Ausfu¨hrungen Michel Foucaults entwickeln, der – den »Raum des Innen« dabei besonders beru¨cksichtigend – u¨ber die ungeheure Spielbreite denkbarer Rauminhalte schreibt: Das – unermeßliche – Werk von Bachelard, die Beschreibungen der Phnomenologen haben uns gelehrt, daß wir nicht in einem homogenen und leeren Raum leben, sondern in einem Raum, der mit Qualitten aufgeladen ist, der vielleicht auch von Phantasmen bevo¨lkert ist. Der Raum unserer ersten Wahrnehmung, der Raum unserer Trume, der Raum unserer Leidenschaften – sie enthalten in sich gleichsam innere Qualitten; es ist ein leichter, therischer, durchsichtiger Raum, oder es ist ein dunkler, steiniger, versperrter Raum; es ist ein Raum der Ho¨he, ein Raum der Gipfel, oder es ist im Gegenteil ein Raum der Niederung, ein Raum des Schlammes; es ist ein Raum, der fließt wie das Wasser; es ist ein Raum, der fest und gefroren ist, wie der Stein oder der Kristall.161

¨ berlegungen besonders die MannigfaltigFoucault betont in seinen U keit und die Gegenstzlichkeit der mo¨glichen Fu¨llungen (innerer) Rume und stellt die vielfltig und lebendig besetzten Raumgebilde der – geometrischen162 – Vorstellung eines »homogenen und leeren Raum[s]« gegenu¨ber. Dies kann eine erste Anregung dazu sein, sich bei der Charakterisierung der Inhalte seelischer Rume der antithetischen Adjektive ›homogen‹ und ›heterogen‹ zu bedienen. Um Missverstndnisse auszuschließen, sei darauf hingewiesen, dass sich im Folgenden die Verwendung des Begriffs ›homogener Raum‹ nicht an jener philosophischen (insbesondere phnomenologischen) Bestimmung desselben orientieren wird, nach welcher ein solches Gebilde »sich vor allem durch den Mangel eines definierten Mittelpunkts« auszeichnet, keine Binnengliederung aufweist und u¨ber austauschbare Richtungen verfu¨gt (d. h. beliebig drehbar ist).163 Einem in diesem Sinne homogenen Raum wird als Gegenbegriff ohnehin nicht der heterogene, sondern vielmehr der ›orientierte Raum‹ gegenu¨bergestellt.164 Wird in den weiteren Untersuchungen ein Seelenraum als ›homogen‹ bezeichnet, so soll damit lediglich ausgedru¨ckt werden, dass er entweder vollstndig leer oder nur mit einem einzigen Inhalt (etwa einer Flu¨ssigkeit oder einem Gefu¨hl) ausgefu¨llt ist. Als ›heterogen‹ sollen dagegen alle diejenigen Seelenrume gelten, in welchen gleichzeitig un-

161 162

163 164

Foucault, 1998, S. 37–38. Vgl. zur Homogenitt und Unbestimmtheit des geometrischen Raumes etwa Cassirer, 2000–2, S. 112–113; Cassirer, 2002, S. 98–99. Jooß, 2005, S. 77. Vgl. zum »orientierten Raum« ebd. S. 74–77.

151 terschiedliche, mo¨glicherweise sogar gegenstzliche Krfte und ›Fu¨llungen‹ vorliegen. Mit der zuletzt ero¨rterten Antithese ko¨nnen die kategorialen und terminologischen Ero¨rterungen zur Analyse des Seelenraums als abgeschlossen betrachtet und die bereits in Abschnitt 3.1 begonnenen konkreten Interpretationen fortgesetzt werden. Wie bereits erwhnt, wird die Aufmerksamkeit der Verfasserin dabei zunchst allein den formalen Aspekten des Seelenraums gelten.

3.3

Weite und Tiefe – Dimensionalitt und Ausdehnung in statischen und dynamischen Seelenmetaphern

Im vorliegenden Abschnitt soll ero¨rtert werden, wie sich die metaphorische Viel-Einheit des Seelischen geometrisch, d. h. in der »Lage« realisieren kann, »in welcher […] sich« die einzelnen Punkte eines metaphorischen Seelengebildes im Raum »zueinander befinden«.165 Zu diesem Zweck werden vor allem solche Metaphern zu untersuchen sein, in denen den Dimensionen, den Außengrenzen und dem Fassungsvermo¨gen einer metaphorisch verrumlichten Seele besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, whrend qualitative Aspekte eine untergeordnete Rolle spielen. Dies ist vor allem dort der Fall, wo die Seele in der bildlichen Sprache als ›leeres‹ und homogenes Gebilde im ›geometrischen Raum‹166 erscheint, also noch nicht zugleich durch explizit erwhnte Inhalte charakterisiert wird. Zu beachten gilt es allerdings, dass sich Seelenmetaphern niemals ausschließlich dem homogenen »›Gedankenraum‹ der reinen Mathematik«167 zuordnen lassen. Zumindest von der »qualitative[n] Auszeichnung« der wesentlichen »Richtungen im Raum«168 sind selbst rein geometrische Seelenmetaphern immer mitbeeinflusst. Schon damit aber sind sie, um nochmals die Terminologie Cassirers zu verwenden, streng genommen nicht mehr ausschließlich im geometrischen, sondern zugleich auch im »mythischen Raum«169 anzusiedeln. Genau betrachtet folgen aus der Frage nach den geometrischen Realisationen seelischer Viel-Einheit zwei Teilaufgaben. Zum einen und zunchst ist die Dimensionalitt der Seele in ihren Auswirkungen auf die seelische Vielheit bzw. Einheit zu untersuchen (Abschnitt 3.3.1). 165

166 167 168 169

¨ berlegungen zum eukliCassirer, 2002, S. 98 (im Zusammenhang mit seinen U disch-geometrischen Raum). Vgl. zu diesem Begriff etwa Cassirer, 2000–2, S. 112–113; Cassirer, 2002, S. 98–99. Cassirer, 2002, S. 98. Gehlen, 1998, S. 384. Cassirer, 2002, S. 100.

152 Zu diesem Zweck erscheint es sinnvoll, neben dem dreidimensionalen Seelenraum und seinen Richtungen auch (vorwiegend) ein- und zweidimensionale Seelengebilde (Seelenstrahl, Seelentafel, Seelenspiegel) zu analysieren. An ihnen lassen sich besonders gut jene Pluralisierungsund Einigungstendenzen nachweisen, die – mit den Dimensionen des Raums in Verbindung stehend – grundstzlich auch in dreidimensionalen Seelengebilden vorkommen. Auch kann man nur in Abgrenzung zu ein- und zweidimensionalen Seelenmetaphern das Spezifikum seelischer Dreidimensionalitt erarbeiten. Die zweite Teilaufgabe bildet anschließend die Untersuchung der Auswirkungen seelischer Ausgedehntheit auf die Einheit und Kohrenz der Seele (Abschnitt 3.3.2). Dabei sollen vor allem maximal ausgedehnte und punktfo¨rmige sowie jene Seelenrume analysiert werden, die sich auf dem Weg zu einer solchen Maximal- bzw. Minimalausdehnung befinden. Gerade diese Varianten seelischer Rume nmlich werden in der Lyrik weitgehend unter Ausblendung qualitativer Aspekte beschrieben.

3.3.1 Flche, Strahl und Achse – Die Dimensionalitt der Seele In seiner Dissertation zu Czepko und Scheffler geht Hugo Fo¨llmi von einer »Verrumlichung der innern Welt«, vom Bestehen eines (in mancherlei Hinsicht konzeptuell nicht unproblematischen)170 poetischen »Ichinnenraum[s]« aus.171 Nimmt man – vereinfachend – an, dass es sich auch bei diesem metaphorischen Raum um einen Seelenraum im Sinne der zweiten Lesart handelt, so erscheint es auf den ersten Blick wenig erstaunlich, wenn Fo¨llmi strukturelle Abweichungen dieses Gebildes von den ußeren, uns im Alltag umgebenden Rumen konsta¨ berraschend ist allerdings, welche Abweichungen Fo¨llmi kontiert. U kret festzustellen meint: Von »einer perspektivischen Anschaulichkeit«, so schreibt Fo¨llmi, ko¨nne im »Ichinnenraum« nicht die Rede sein,172 bestenfalls ließe sich fu¨r dieses Gebilde von einem vagen »Gefu¨hl innerer Ausdehnung« sprechen.173 Htte Fo¨llmis Beobachtung fu¨r jene barocken Gedichte, in denen die Seele metaphorisch verrumlicht wird, tatschlich ihre Gu¨ltigkeit, so bedeutete dies, dass sich der fu¨r diesen Abschnitt geplante, gewissermaßen geometrische Blick auf die Dimensionen des Seelischen von vornherein eru¨brigte: Eine nur ›gefu¨hlte‹ (Drei-)Dimensionalitt ließe sich schließlich auf diese Weise niemals 170 171 172 173

Vgl. dazu Doms, 2005, S. 678–679. Fo¨llmi, 1968, S. 99. Ebd. S. 105. Ebd. S. 100.

153 fassen. Gerade an Epigrammen der beiden von Fo¨llmi in den Mittelpunkt seiner Untersuchung gestellten Barockdichter lsst sich indes leicht zeigen, dass die Seele in der barocken Metaphorik eine weit mehr als nur diffuse Dimensionalitt besitzen kann. So heißt es etwa bei Czepko: IM AUSBRUCH. Die Seel ein Strahl von Gott geht in die Welt dahin, Wilt du Gott schaun, must du mit Ihr zuru¨cke ziehn.174

Und Scheffler schreibt: Warumb die Seele ewig. GOtt ist die Ewge Sonn / ich bin ein strahl von jhme: Drumb ist mirs von natur / daß ich mich ewig ru¨hme.175

In beiden Gedichten wird die Seele als ein »Strahl« beschrieben, der von Gott her seinen Ursprung nimmt. Im ersten Epigramm wird außerdem auch seine Ru¨ckkehr zu Gott als mo¨glich erachtet.176 Stellt sich zumindest fu¨r den heutigen Leser beim ersten Gedicht zunchst die Frage, wie der vielfltig verwendbare Begriff ›Strahl‹177 hier u¨berhaupt verstanden werden soll, so mag ihm das zweite, in diesem Punkt eindeutigere Gedicht auf diese Frage eine sinnvolle Antwort geben. In diesem wird die Seele, wie auch in den zeitgeno¨ssischen Seelenlehren u¨blich,178 konkret einem von Gott ausgehenden Licht- bzw. Sonnenstrahl gleichgesetzt. Was die barocke Identifikation der Seele mit einem solchen Strahl fu¨r ihre Eigenschaften bedeutet, lsst sich etwa aus jener Definition des Lichtstrahls179 ableiten, die in Harsdo¨rffers drittem Teil der von Daniel Schwenter begonnenen Philosophischen und Mathematischen Erquickstunden (1653)180 nachzulesen ist:

174 175 176

177

178

179

180

Czepko, I,2, 1989, S. 552 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« I,32). Scheffler, 2000, S. 183 (IV,201). Vgl. zur Ru¨ckkehr in die go¨ttliche Mitte, das go¨ttliche Emanationszentrum auch Poulet, 1985, S. 40–41. Zu den vielfltigen Bedeutungen des Begriffs vgl. Anon.: Strahl (Art.). In: Grimm, Bd. 19, 1957/1984, Sp. 754–777. Vgl. etwa Browne, 1680, S. 133. Richard Sibbes sieht den Verstand als einen Strahl von Gott an, vgl. Sibbes, 1675, S. 39; vgl. hnlich auch Schottelius, 1675, S. 67. Einfach vom ›Strahl‹ zu reden, genu¨gt nicht einmal auf dem u¨berschaubaren Gebiet der Optik, denn nicht einmal dort hat der Begriff des Strahls nur eine Bedeutung: Vom Lichtstrahl (»Radius lucis«) hat der Optiker den »Radius Coloris« und den »Augstral« (»Radius oculi vel visivus«) zu unterscheiden (Harsdo¨rffer, 1651/1990, S. 179). Vgl. zu den Erquickstunden und den Umstnden ihrer Entstehung Berns, 1991.

154 DJe Stralen werden genennet die Linien des Liechtes / oder die Beleuchtung durch eine gerade Linie / deßwegen sie auch Sehstralen heissen / und gleichsam das zweyte Liecht sind / das von dem ersten ausstralet / und erstrecket wird. Jndem nun diese Stralen leuchten / und wrmen […] mu¨ssen sie den wesentlichen und nicht zuflligen Eigenschafften der Sonnen zugezhlet verbleiben […]. Die Stralen haben zwar keinen Co¨rper oder Leichnam / dann sonsten wu¨rden sie das Glas und die Krystallen nicht durchscheinen / und durchdringen ko¨nnen / ob sie gleich die Gestalt eines Kegels (coni) oder Rundspitzen weisen: doch muß man ihnen ein reines und liebliches Wesen / fast ohne Leibe / (substantiam sine corpore corpoream) zuschreiben / welcher Wu¨rckung von der Quellen alles Liechtes herfließet. […] Diese Stralen aber sind keine Mathematische und ku¨nstliche / sondern vielmehr Physische und natu¨rliche Linien / deren Wesen in einem flu¨chtigen Glantz bestehet.181

¨ bertrgt man dieses aus der Optik stammende Verstndnis des BeU griffs ›Strahl‹ auf die bei Czepko und Scheffler durch Strahlenmetaphern charakterisierte Seele, so kommt man fu¨r die Gestalt, die ihr dadurch verliehen wird, zu widerspru¨chlichen Ergebnissen: 1. Zunchst erscheint es fu¨r die Seelengestalt aufschlussreich, dass Harsdo¨rffer die Lichtstrahlen als »Linien« bezeichnet. In der barocken Optik, die von ihren Theoretikern ohnehin als eine »specialis geometria« aufgefasst wird,182 werden verschiedene Formen des Strahls unterschieden, von denen der »Simplex radius […] figuram unius duntaxat lineæ obtinet«.183 Angesichts einer solchen Wahrnehmung des Strahls als eindimensionales Gebilde, das vielfach als »unica recta linea«, also als eine ›gerade Linie‹,184 erscheint,185 mag dem heutigen Leser der (moderne) geometrische Strahlenbegriff in den Sinn kommen, der unter einem ›Strahl‹ eine »von einem Punkt ausgehende, ins Unendliche laufende gerade Linie« versteht.186 Besonders fu¨r das erste oben zitierte Gedicht, in dem der Ausdruck ›Strahl‹ nicht weiter spezifiziert wird, ko¨nnte man sich auf der Basis 181

182

183 184

185 186

Harsdo¨rffer, 1653/1990, S. 226–227 [Herv. d. G. P. H.]. Diana Trinkner hat gezeigt, dass Harsdo¨rffer hnlich wie Scheffler im oben angefu¨hrten Epigramm auch metaphorisch vom Licht redet und dabei die Eigenschaften des Letzteren auf den Bildempfnger u¨bertrgt, vgl. Trinkner, 1997, S. 316–327. So weist Trinkner unter anderem darauf hin, dass Harsdo¨rffer in seinen Erquickstunden »Gedanken und Licht analogisiert«. Daru¨ber hinaus impliziere er eine »Gleichsetzung von Verstand, als Ursprung der Gedanken und Sonne, als Quelle des Lichtes« (ebd. S. 326). Vgl. zum »lumen rationis« im Sinne der »Lichthaftigkeit des menschlichen Geistes« auch Blumenberg, 2001–2, S. 167. Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 1170, vgl. analog Anon.: Strahl[2] (Art.). In: Zedler, Bd. 40, 1744/1997, Sp. 632–634, hier Sp. 632. Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 1179. Zum Begriff der »Gerade[n] Linie« (linea recta) vgl. Anon.: Gerade Linie (Art.). In: Zedler, Bd. 10, 1735/1994, S. 1051–1053. Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 1181. Anon.: Strahl (Art.). In: Duden, 1999, S. 3765.

155 ¨ berlegungen eine als ›Strahl‹ bezeichnete Seele als eindimendieser U sional-gerichtetes geometrisches Gebilde vorstellen. 2. Die Identifizierung des Lichtstrahls mit einer geometrisch-eindimensionalen Geraden wird in Harsdo¨rffers oben angefu¨hrtem Zitat allerdings zweifach wieder zuru¨ckgenommen: Erstens spricht er von kegelfo¨rmigen Lichtstrahlen und zweitens beschreibt er die Strahlen im Unterschied zu den geometrischen als »[p]hysische und natu¨rliche Linien«. Was unter der zweiten Aussage zu verstehen ist, wird deutlich, wenn man den Eintrag Strahl in Zedlers Universal-Lexicon konsultiert. In diesem wird darauf hingewiesen, dass der Lichtstrahl, anders als die »mathematische[n] Linien, die keine Breite und Dicke haben«, u¨ber »eine merckliche Dicke« verfu¨ge,187 ja dass selbst jene Grenzflle, in denen das einfallende Licht sichtbar »die Gestalt eines schwachen Stabes oder Cylinders« habe, noch als Strahl bezeichnet werden ko¨nnten.188 Aus einer solchen Perspektive verfu¨gt auch die als Lichtstrahl verbildlichte Seele neben ihrer Lnge zugleich u¨ber zwei weitere Dimensionen. Schreiben Harsdo¨rffer und das Universal-Lexicon dem Lichtstrahl doch eine gewisse Ausdehnung zu, so knu¨pfen sie damit letztlich an die Tradition der Assoziation, ja der »Gleichsetzung von Raum und Licht«189 an, wie sie von Jammer an mystischen und theologischen Texten von der Antike bis in die Fru¨he Neuzeit hinein aufgewiesen wird.190 Das Licht wird in dieser Traditionslinie gewissermaßen als Inbegriff einer sich vor und unabhngig von aller Materie rumlich ausbreitenden Wesenheit wahrgenommen und erscheint damit als idealer Bildspender fu¨r die metaphorische Darstellung immaterieller und zugleich rumlicher Gegenstnde. ¨ berlegungen zusammenDie Seele kann, so lassen sich die bisherigen U fassen, auf der Basis der Lichtstrahlen-Metapher ebenso als ein- wie auch als dreidimensionaler Gegenstand imaginiert werden. Unabhngig davon, welchen Strahlenbegriff man als Leser der Epigramme Czepkos und Schefflers auf den Seelenlichtstrahl anwendet, wird man zugeben mu¨ssen, dass die Seele in diesem Bild wesentlich durch eine rumliche Eigenschaft – ihre Gerichtetheit auf einen (bzw. zwei) Zielpunkt(e) – charakterisiert ist und dass dabei keinesfalls von einer nur vage gefu¨hlten Ausdehnung die Rede sein kann. Wenigstens eine ihre »perspektivische Anschaulichkeit«191 gewhrleistende Dimension 187 188 189 190 191

Anon.: Strahl[2] (Art.). In: Zedler, Bd. 40, 1744/1997, Sp. 632–634, hier Sp. 632. Ebd. Sp. 632–633. Jammer, 1980, S. 36. Vgl. ebd. S. 36–41. Fo¨llmi, 1968, S. 105.

156 kommt der Seele hier auf jeden Fall zu. Nur ob sie zustzlich auch noch zwei weitere Dimensionen fu¨r sich beanspruchen kann, bleibt bei der (licht-)strahlenfo¨rmigen Seele letztlich unentscheidbar. Zwar ko¨nnte man so weit gehen, diese rumliche Unschrfe als eine Oszillationsbewegung der Seele zwischen Ein- und Dreidimensionalitt zu interpretieren, um diese Dynamik dann, wie das Oszillieren des Seelenraums im oben untersuchten Perlengedicht Schefflers (vgl. Abschnitt 3.1.2), als keimhafte Destabilisierung der Seele zu deuten. Doch soll hier ein anderer Weg beschritten und die Metapher des See¨ berlegungen vereinfachend mehr als Beilenstrahls in den folgenden U spiel eines eindimensionalen denn eines dreidimensionalen Seelenbilds eingestuft werden. Selbst dann nmlich, wenn der Lichtstrahl in den zeitgeno¨ssischen Definitionen keine geometrische Linie ist, selbst wenn er als »Cylinder« oder Kegel zwei weitere Dimensionen besitzt, ist dennoch jene Dimension, mit der er von seinem Ausgangspunkt in die Welt oder von dieser aus wieder zuru¨ck strebt, eindeutig die dominierende, so dass ihr in jedem Fall besondere Aufmerksamkeit gebu¨hrt. In beiden Gedichten wird als Ausgangspunkt der strahlenfo¨rmigen Seele Gott benannt. Whrend es im zweiten Gedicht (zumindest explizit) bei der Festlegung dieses Seelenausgangspunkts bleibt, so dass das Seelengebilde hier an einen Strahl im heutigen, geometrischen Sinne gemahnt, erscheint die rumliche Situation im ersten Gedicht deutlich ¨ berlegungen komplexer. Besonders gut lsst sie sich im Ausgang von U deutlich machen, welche die beiden Metapherntheoriker Lakoff und Johnson zu einem bestimmten Schema rumlicher Wahrnehmung anstellen. Punktuell und aus rein heuristischen Gru¨nden soll hier daher auf ein metapherntheoretisches Konzept eingegangen werden, das sich, wie in Abschnitt 1.4.1 erwhnt, der vorliegenden Studie nicht systematisch zugrunde legen lsst. Wenn im ersten der beiden Verse des Monodistichons neben einem bestimmten Ausgangs- auch ein (allerdings recht vage bleibender) Zielpunkt des Seelenstrahls (die »Welt«) genannt ist, so gemahnt dies an das von Johnson und Lakoff beschriebene path bzw. source-path-goal schema.192 Beim genannten Schema handelt es sich nach Auffassung der Autoren um ein image schema, d. h. in der Definition Johnsons um »a dynamic pattern that functions somewhat like the abstract structure of an image, and thereby connects up a vast range of different experiences that manifest this same recurrent structure.«193 Im Gegensatz zu den sich aus einem konkreten Gegenstand ergebenden mental

192 193

Vgl. Johnson/Lakoff, 1999, S. 32–34. Johnson, 1987, S. 2.

157 pictures lassen sich image schemas nach Johnson auf die verschiedensten Objekte – und so prinzipiell auch auf die Seele – anwenden.194 Ein drittes Element, das neben Start und Ziel unabdingbar zu diesem Schema geho¨rt, ist nach Johnson und Lakoff grundstzlich ein sich bewegender trajector, u¨ber dessen Dynamik der Pfad zwischen Ausgangsund Zielpunkt immer auch mit der Idee der Zeit verbunden ist.195 Fragt man nun, wer in der Metapher vom Seelen-(licht-)strahl als trajector fungieren ko¨nnte, so muss man erkennen, dass in diesem besonderen Fall Pfad und trajector im Grunde miteinander identisch sind, da der Strahl einerseits die Spur der Bewegung darstellt, andererseits aber diese Bewegung auch selbst vollbringt (»geht in die Welt dahin«). Dies lsst im Bild des Seelenlichtstrahls Rumlichkeit und Zeitlichkeit noch enger miteinander verschmolzen sein, als Lakoff und Johnson dies allgemein beim path schema beobachtet haben. Schon im ersten Vers des von Czepko verfassten Epigramms kann dadurch, dass der Strahl sich immer weiter vom Start- zum Zielpunkt ausbreitet, eine gewisse diachrone Pluralitt seiner Zustnde konstatiert werden, die ihn als viel-einheitliches Gebilde erscheinen lsst (schließlich verndert er stndig seine Lnge und damit seine Form). Zieht man außerdem den bisher noch nicht untersuchten zweiten Vers in Betracht, so erscheint er, zumindest der Mo¨glichkeit nach, noch strker pluralisiert. Hier deutet sich nmlich an, dass der Seelenstrahl sich nicht nur zum weltlichen Ziel hin ausbreiten, sondern – wenigstens potentiell – auch wieder an seinen go¨ttlichen Ausgangspunkt zuru¨ckziehen kann. Der Seelenstrahl ist in verschiedenen Zeitabschnitten nicht nur mehr oder weniger lang, sondern auch in gegenstzlichen Bewegungen (Ausbreitung zum Ziel-, Ru¨ckwendung zum Ausgangspunkt) begriffen. Auch ko¨nnte er im Moment eines vollstndig gelungenen Ru¨ckzugs wohl nicht einmal mehr als Strahl bezeichnet werden, da er dann wieder mit seiner Quelle verschmolzen wre. Andererseits lassen sich fu¨r den Seelenstrahl in Czepkos Gedicht verschiedene einheitsstiftende Faktoren benennen: Zunchst ist festzuhalten, dass er sich – von der ihm mo¨glichen einmaligen Richtungsnderung und der Lngenvariation abgesehen – in seiner Relation zur Umwelt nicht verndern kann, da ihm Start und Ziel vorgegeben sind. Die Achse, auf der seine Lngenvariationen stattfinden, ist dadurch eindeutig und unausweichlich fixiert. Als einheitsfo¨rdernd du¨rfte sich auch die Beschaffenheit seines Ausgangspunkts erweisen, der zugleich 194 195

Vgl. ebd. S. 23–24. Vgl. ebd. S. 113–117; Johnson/Lakoff, 1999, S. 33. Zugleich betrachtet Johnson die menschliche Vorstellung von der Zeit selbst als erheblich vom path schema beeinflusst, vgl. Johnson, 1987, S. 114.

158 den ihm anempfohlenen letzten Zielpunkt darstellt: Der Seelenstrahl kommt aus Gott, der selbst die ho¨chste Einheit ist, und soll in diesen zuru¨ckkehren. Betrachtet man den Seelenstrahl, wie dies nach der obigen Festlegung hier geschehen soll, als eindimensionales Gebilde, so muss man ihm außerdem insofern Einheit zugestehen, als er schon der Mo¨glichkeit nach nicht u¨ber plurale Inhalte verfu¨gen kann. Von ¨ brigen auch einer heterogenen Fu¨llung wre der Seelenstrahl im U dann nicht in seiner Kohrenz bedroht, wenn man ihn als dreidimensionalen Gegenstand wahrnehmen wollte. In diesem Fall wre er als qualitativ einheitlich einzustufen, da er ein homogenes, nur aus Licht bestehendes Gebilde darstellte. hnliche Beobachtungen wie an Czepkos Monodistichon lassen sich auch an einem nachfolgend zu untersuchenden Sonett Greiffenbergs machen, in dem die Strahlenmetaphorik allerdings noch erheblich erweitert wird. Wird in Greiffenbergs Text nicht die Seele, sondern der Geist als Strahl verbildlicht, so soll diese psychische Gro¨ße hier als seelenquivalent betrachtet werden. Notwendig wre die Wahrnehmung des Geistes als seelenunabhngige dritte Gro¨ße (vgl. Abschnitt 2.4) nur fu¨r den hier nicht vorliegenden Fall, dass Geist und Seele in der konkreten Bildlichkeit eindeutig als separate Gro¨ßen entworfen wu¨rden (vgl. etwa Spangenbergs tripartistisches Kern-Hu¨lle-Modell in Abschnitt 3.1.1). Uber die Unendlichkeit Gottes. DV ungeendter GOtt / doch einigs End und Ziel / des Wunder=bunten Runds! das ganze Wesen gehet aus dir! und auch in dich: in dir sein Ziel bestehet / der du / unzielbar selbst / hast doch damit dein Spiel. Weil auch in mich ein Strahl zu schiessen dir gefiel von deinem Vnursprung / den Geist mir eingewehet: so gib / daß er sich stts zu seinem Ziel erho¨het. Laß sein Vrwesen ihn aufziehen gar subtil. Ach gib ihm / wann das End der Endlichkeit vorhanden / ich meyn / des Erden=Theils des Leibes: daß er sich recht schwing in seinen Punct / entfreyt von eitlen Banden / Leb / wo von Ewigkeit er war auch ewiglich! zum Gegen=Ziel / zur Ho¨ll / laß ihn nicht sein entstanden! Gib / daß dein Will / mein Heil / fort geh und ich in dich.196

Zunchst fllt auf, dass in diesen Versen mit einer weiteren, in den bisherigen Betrachtungen nicht erwhnten Bedeutung des Ausdrucks ›Strahl‹ gespielt wird: Der ›Strahl‹ lsst sich hier auch als pfeilartiges 196 197

Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 250. Vgl. Anon.: Strahl (Art.). In: Grimm, Bd. 19, 1957/1984, Sp. 754–777, hier Sp. 754.

159 Geschoss verstehen,197 das Gott in den Sprecher hineinschießt: »Weil auch in mich ein Strahl zu schiessen dir gefiel« (Vers 5). Mit diesem Etwas, das Gott gewissermaßen spielerisch198 in den Menschen hineinkatapultiert, wird sein Gescho¨pf zum beseelten, zum ›begeisterten‹ Lebewesen. Neben der gleichsam militrischen Bedeutung des Ausdrucks ›Strahl‹ sind auch die bisher ero¨rterten optisch-geometrischen Implikationen des Strahlenbegriffs im vorliegenden Fall zu beru¨cksichtigen. Der Strahl kann nicht nur als Geist-Geschoss, sondern auch als linienartiger Geistes-Lichtstrahl verstanden werden, der auf den Menschen trifft bzw. in ihn einschießt.199 Außerdem ko¨nnte der Ausdruck ›Strahl‹ hier auch auf einen von Gott (allerdings in guter, nicht in strafender Absicht) geschleuderten Blitzstrahl verweisen.200 Die Polysemie des Strahlenbegriffs201 bleibt durch die weitgehende geometrisch-philosophische Abstraktheit der geschilderten Situation erhalten, der ›Strahl‹ scheint in seinen Bedeutungen gewissermaßen zu changieren und ist dadurch schwer fassbar. Nur eines lsst sich in jedem Fall von ihm aussagen: seine Gerichtetheit. Durch diese wre das Geistgebilde (hnlich wie die Seelenstrahlen aus den beiden oben untersuchten Epigrammen) selbst dann besonders mit einer Dimension des Raums zu assoziieren, wenn man Greiffenbergs Strahl als dreidimensionales Gebilde wahrnehmen wollte. Welche rumliche Situation wird nun aber im Einzelnen in Greiffenbergs Versen geschildert? Ausgangspunkt der Betrachtung ist im ersten Quartett die rumlich paradoxe Existenz Gottes. Dieser ist einerseits unendlich, d. h. rumlich nicht festzulegen und damit zugleich auch nicht als konkretes Ziel anzustreben, andererseits jedoch erscheint er als »End und Ziel« (Vers 1) aller Dinge. Da Gott neben dem Ende auch den Beginn alles Seienden markiert und so Ausgangs- und Endpunkt der Strahlenbewegung identisch sind, kann hier das Pfad-Schema Johnsons noch nicht angewendet werden. Eher wre es mo¨glich, den in dieser Strophe verbalisierten Prozess graphisch als in sich zuru¨cklaufende Kreisfigur darzustellen, die der Strahl auf seiner eigenen Strahlenbahn entwirft. Im zweiten Quartett hingegen wird ein Gott rumlich entgegengesetzter Pol, das Subjekt, genannt. Daher lsst 198

199 200

201

Zum Spiel Gottes mit dem Menschen bei Greiffenberg vgl. Lieth, 2006, S. 655–656; allgemein zu Greiffenbergs Spiel-Begriff vgl. auch Zeller, 1973, S. 131–133, S. 139–143. Zu Gott als Spender geistigen Lichts vgl. etwa Blumenberg, 2001–2, S. 156–158. Vgl. Anon.: Strahl (Art.). In: Grimm, Bd. 19, 1957/1984, Sp. 754–777, hier Sp. 756–758. Zu weiteren Beispielen der Verwendung des Strahlenbegriffs bei Greiffenberg im Zusammenhang mit Gott vgl. auch Daly, 1964, S. 70.

160 sich nun, anders als im ersten Quartett, tatschlich eine zwischen Gott und Subjekt bestehende Pfadstruktur nachweisen. Die Situation des Geistesstrahls gleicht im Wesentlichen jener, die oben fu¨r den Seelenstrahl Czepkos entworfen worden ist. Auch hier sind source und goal austauschbar und, zumindest wenn man Greiffenbergs vieldeutigen Strahl zum Lichtstrahl vereindeutigt, trajector und path identisch. Auch hier wird in einem zeitlichen Nacheinander der Pfad vom Strahl des Geistes in zwei Richtungen – in einem Emanationsprozess von Gott her und, gewissermaßen im ›Ru¨ckfluss‹, wieder zu Gott hin – verfolgt, so dass ihm eine Pluralitt rumlicher Zustnde zugewiesen werden muss. Auch hier ko¨nnen gleichzeitig die fu¨r den Seelenstrahl in Czepkos Monodistichon aufgewiesenen einheitsstiftenden Faktoren (klare Festlegung der Verlaufsachse, Fehlen pluraler Inhalte usw.) vorausgesetzt werden. In Greiffenbergs Sonett wird allerdings die vom Seelenstrahl zuru¨ckzulegende Strecke noch genauer als in Czepkos Epigramm in ihrem Verlauf bestimmt: Sie wird als Vertikale entworfen. Nur so ist es zu erklren, dass der Ru¨ckweg des Geistesstrahls vom Sprecher zu Gott als ein bestndiger Weg nach oben, mo¨glicherweise im Sinne einer »neuplatonisch-christlichen Aufstiegsmystik«,202 beschrieben wird (»so gib / daß er [der Geist, M. D.] sich stts zu seinem Ziel erho¨het« (Vers 7)). Im ersten der beiden Terzette, die durch ein Enjambement miteinander verbunden sind, wird noch einmal der Aufstieg des am »End der Endlichkeit« (Vers 9) von den Leibesgrenzen vollstndig befreiten Geistes zu seinem go¨ttlichen Ausgangs-»Punct« (Vers 11) beschrieben. Im zweiten Vers des zweiten Terzetts dagegen verlngert sich die Vertikale u¨ber einen ihrer bisherigen Endpunkte, das Gott gegenu¨berstehende Subjekt, hinaus. Zustzlich zum Subjekt entsteht ein zweiter Gegenpol zu Gott: die Ho¨lle. Durch dieses »Gegen=Ziel« (Vers 13) wird neben dem Wiederaufstieg des Geistes die Mo¨glichkeit seines weiteren Abfalls ins Spiel gebracht. Damit lassen sich fu¨r den Geistesstrahl nicht mehr nur zwei Richtungsvarianten aufweisen, die in jedem Fall nacheinander einzuschlagen sind (von Gott ins Subjekt und zuru¨ck), sondern nach einem ersten, nach wie vor sicher zuru¨ckzulegenden Wegstu¨ck bieten sich zwei Richtungsalternativen: Der von Gott ins Subjekt vorgedrungene Geistesstrahl hat die Mo¨glichkeit, entweder zu Gott zuru¨ckzukehren (Weg nach oben) oder seinen Weg nach unten fortzusetzen. Erst von der zuletzt aufgezeigten Alternative her wird die Gebetsstruktur des Sonetts verstndlich. Zwar mag, wie Leo Villiger besonders auch im Hinblick auf Geist und Seele feststellt, »den 202

Langer, 2004, S. 45 u.o¨. Der Begriff ›Aufstiegsmystik‹ wurde von Hans Urs von Balthasar geprgt.

161 Dingen« in der von Greiffenberg gezeichneten Weltordnung jeweils ein fester »Ort« als telos »bestimmt« sein.203 Doch erscheint der Geist hier trotzdem in Gefahr, ihn zu verfehlen. Wenn die go¨ttliche Gnade den Geistesstrahl nicht vor dem (mo¨glicherweise bodenlosen) Ho¨llensturz bewahrt, droht ihm der – mindestens graduelle – Verlust seines wesentlichen Stabilittsgaranten: Er entfernt sich weiter von Gott. Auch muss er, wo er nicht mit seinem »ganze[n] Wesen« in die Einheit des go¨ttlichen Ausgangspunkts zuru¨ckkehrt und dort zur Ruhe kommt, notwendig Strahl bleiben. Die ho¨chste Einheit und Stabilitt kann er in dieser vom »Punct« abweichenden Form nicht erreichen (vgl. dazu auch die Ausfu¨hrungen zur Punktmetaphorik in Abschnitt 3.3.2). Insgesamt besttigt Greiffenbergs Sonett den Eindruck, den wir aus den zwei zuvor untersuchten Epigrammen von der Seelenstrahl-Metapher gewonnen haben. Prgend fu¨r dieses Seelenbild ist zum einen die unbestreitbare Dimensionalitt des Seelischen, zum anderen die Notwendigkeit, den Seelenstrahl grundstzlich dynamisch zu verstehen. Zumindest im irdischen Leben, d. h. bevor sie ihren transzendenten Zielpunkt erreicht hat, bleibt die strahlenfo¨rmige Seele in stndiger Bewegung und weist in dieser Unruhe eine unu¨bersehbare innere Pluralitt auf. Auch wenn bei genauer Betrachtung der Seelenstrahl zugleich durch einheitsfo¨rdernde Faktoren geprgt ist, so dass er in jedem Fall als Viel-Einheit charakterisiert werden muss, stellt doch gerade auch in Greiffenbergs Gedicht seine unentwegte Dynamik sein dominantes Merkmal dar.204 Vo¨llig anders als die wesentlich durch Bewegt- und Gerichtetheit bestimmten Seelenstrahlen sind in der Regel jene Seelenmetaphern gestaltet, in denen explizit oder implizit von einem (wenigstens annhernd) zweidimensionalen Seelengebilde, von einer Seelenflche, die Rede ist. Eine Flche macht schon von ihrer geometrischen Beschaffenheit her im Allgemeinen den Eindruck eines in sich abgeschlossenen (und damit ungerichteten) sowie fixierten Gebildes. Relevant fu¨r flchige Seelenmodelle, die insgesamt seltener als dreidimensionale Seelenmetaphern anzutreffen sind, ist vor allem, auf welche Weise sie gefu¨llt sind. Die qualitativen Merkmale der Seelenflche stehen also im Vor203 204

Villiger, 1952, S. 73. Wie zumindest fu¨r das Sonett Greiffenbergs bereits oben angedeutet, stehen hinter der Seelenstrahl-Metapher im Allgemeinen christlich-neuplatonische Konzepte, die von der Emanation der Scho¨pfung aus Gott und von ihrer Ru¨ckkehr, ihrem Ru¨ckfluss in die Einheit mit Gott ausgehen (vgl. grundlegend zu den sptantiken und mittelalterlichen Wurzeln des Emanations- und Ru¨ckkehr-Denkens etwa Langer, 2004). Sie sollen hier allerdings bewusst nicht weiter thematisiert werden: Zu weit wu¨rde ihre ausfu¨hrliche Beru¨cksichtigung von der in diesem Abschnitt zentralen Frage nach der rumlichen Struktur des Seelischen wegfu¨hren.

162 dergrund, so dass es unausweichlich ist, sie mit zu beru¨cksichtigen. Da dies streng genommen den Rahmen eines wesentlich auf die geometrisch-formalen Aspekte der Seelenmetaphorik gerichteten Ab¨ berlegungen zumindest teilschnitts sprengt, sind die nachfolgenden U weise als Exkurs zu betrachten. Verhltnismßig beliebt sind unter den weitgehend als zweidimensional einzustufenden Seelenbildern vor allem die Metaphern der Seelentafel und des Seelenspiegels. Zwar muss die als Spiegel oder Tafel verbildlichte Seele bei genauer Betrachtung als dreidimensionaler Gegenstand wahrgenommen werden. Doch spielt die dritte Dimension in diesen beiden Fllen im Grunde keine oder – etwa im Fall der psychischen Wachstafel, in welche Zeichen eingeritzt werden – allenfalls eine untergeordnete Rolle. Schon dadurch, dass die rumliche Tiefe eines Spiegels oder einer Tafel gegenu¨ber den beiden anderen Dimensionen verschwindend klein ist, dominiert der Eindruck der Flchigkeit, hnlich wie beim Seelenlichtstrahl der Eindruck der Eindimensionalitt selbst dort im Vordergrund steht, wo man ihn als dreidimensionales Gebilde einstuft. Eine der Wurzeln der (Seelen-)Tafelmetapher reicht in die heidnische Antike, zur Schriftmetaphorik Platons205 und – im Bild der leeren Tafel – besonders zu Aristoteles,206 zuru¨ck. Mit der Vorstellung einer zum Zeitpunkt der Geburt noch unbeschriebenen Seelentafel, einer tabula rasa,207 wird der fru¨hneuzeitliche Leser selbst in populren Texten (dafu¨r allerdings weniger in der geistlichen Lyrik) konfrontiert. So betont etwa der Protagonist in Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens schon von den Zeitgenossen eifrig rezipiertem Simplicissimus-Roman (1668): Jch habe seithero der Sach vielmal nachgedacht / und befunden / daß Aristot. lib. 3. de Anima wol geschlossen / als er die Seele eines Menschen einer leren ohnbeschriebenen Tafel verglichen […].208

In der philosophischen Tradition wird das Bild der Seelentafel vor allem verwendet, um die Mo¨glichkeit des Menschen zum Erwerb neuer (Er-)Kenntnisse zu demonstrieren. Durch Bedeutungseinengung wird die psychische Tafel dann zur »Tafel der Erinnerung«, die nach Weinrichs Auffassung, mit dem »Bildfeld« des (dreidimensionalen) »Gedchtnis-Magazin[s]« konkurriert.209 Aufgrund der Eigenschaften des 205

206 207

208 209

Vgl. Platon, 1958, S. 159 (»Theaetetus«, 191c-d); vgl. zu Platons Konzept des Schreibens in die Seele auch Koschorke, 1999, S. 328. Vgl. Aristoteles, 1995, S. 171 (»De anima« III,5 429b–430a). Vgl. zum Begriff: Mittelstraß, Ju¨rgen: tabula rasa (Art.). In: Mittelstraß, Bd. 4, 1996, S. 198. Grimmelshausen, 1989, S. 41. ¨ berlegungen aufgreifend (vgl. Assmann, Weinrich, 1976, S. 291–294. Weinrichs U

163 Bildspenders impliziert das Bild der im Laufe des Lebens zu fu¨llenden leeren Seelentafel keine dimensionale bzw. quantitative Dynamik: Die Schreib- oder Bild-Flche210 einer psychischen Tafel stellt einen in sich abgeschlossenen, gerahmten, rumlich bestndigen Bezirk dar. Massiven Vernderungen, die eine diachrone Betrachtungsweise erforderlich machen, ist sie im Laufe des Lebens allein im Hinblick auf die ihr anvertrauten Informationen (Schriftzeichen, Bilder) unterworfen. Diese erwecken selbst dort, wo sie eingeritzt werden, im Allgemeinen den Eindruck, als blieben sie in der Ebene. Dasselbe wie fu¨r die psychische tabula rasa im Sinne des Aristoteles gilt auch fu¨r jene Varianten der Seelentafel-Metapher, die auf eine biblisch-christliche Tradition zuru¨ckzufu¨hren sind. Die beim griechischen Philosophen betonte Leere (und damit vollstndige inhaltliche Variabilitt) der Tafel ist im christlichen Verstndnis allerdings von Anfang an nur noch eine partielle. Dem Menschen ist schon von seinem Ursprung her das go¨ttliche Gesetz211 in seine Seelen- oder Herzenstafel unwandelbar eingeschrieben,212 wenn auch die Tafel zugleich freien Raum zur Dokumentation der begangenen Taten aufweisen muss.213 Die Su¨nden sowie auch die positiven Taten und Anstrengungen des Menschen ko¨nnen dann von Gott in der Seele bzw. im Herzen ›gelesen‹ werden.214

210

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1999, S. 150–151) hat sich spter Aleida Assmann ausfu¨hrlich mit dem Gegensatz dieser beiden Metapherntypen auseinandergesetzt (vgl. ebd. S. 151–162). Zum Zusammenhang zwischen Seeleninschrift und Gedchtnis vgl. auch Koschorke, 1995, S. 137. Den »inneren ›Raum‹ des Gedchtnisses« behandelt etwa auch Schmidt-Biggemann, 1993, S. 156. Zur (urspru¨nglichen) Nhe von Schriftzeichen und Bild in der Metapher von der Einschreibung in die Seele vgl. Koschorke, 1995, S. 137–138. Bei Gu¨nther begegnet dem Leser daneben auch die Vorstellung eines in das Herz eingeschriebenen zwischenmenschlichen Gesetzes, vgl. Gu¨nther, Bd. 1, 1930, S. 87 (»AN LEONOREN Lu¨ben, den 29. 8br. 1715« (»DIE Trennung dient zu gro¨ßrer Freude«)). Vgl. zum go¨ttlichen, ins Herz eingeschriebenen Gesetz etwa 5. Mose 6,6, Jer 17,1 und 2. Kor 3,3 sowie in der Barocklyrik etwa Anton Ulrich, 1667/1969, S. 52 (»ChristFu¨rstliches Davids-Harpfen-Spiel« 9 – (»HERR! der du mich nebst andren ausersehen«)). In der zweiten Strophe dieses Gedichts versichert das Ich seinem Herrn: Dein klares Wort / in mein Hertz eingeschrieben / hlt fest an dir / und wird nie ausgetrieben. Eine Verbindung der aristotelischen und der biblischen Tradition findet sich bei Zesen, der das Herz aristotelisch als Tafel fu¨r sinnliche Eindru¨cke darstellt, dieses Motiv aber mit Jer 17,1 kontaminiert (vgl. Zesen, Bd. III,1, 1993, S. 28 (»Poetische Rosen=Wlder«)). Vgl. etwa Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 464 (5. Betrachtung – »Sonnet / u¨ber den uns von GOtt geschenkten JEsus« (»ALlgegenwrtigkeit! der alles steht vor Augen«)). Dort wird Gott als derjenige beschrieben, »[d]er in dem Herzen liest / trotz daß man ihm was laugen!« Die schriftliche Su¨ndendokumentation im Her-

164 Abgesehen davon, dass Gott von Anfang an Gesetze in das Herz einprgt und spter den moralischen Status eines Menschen aus ihm abliest, kann er auch noch auf eine dritte Weise mit der Herzensschrift in Verbindung gebracht werden: Mitten im Leben kann er das Herz des Menschen als Schreibflche benutzen. Auch dies stellt dann eine entscheidende qualitative Vernderung der Herzenstafel dar. Ein Beispiel fu¨r eine zu Lebzeiten erfolgende Schreibttigkeit einer go¨ttlichen Instanz auf der psychischen Schreibtafel findet sich in einem ›Psalm‹ Kuhlmanns (Psalm VI,5, 4. Teil, Verse II,9–10). In ihm wird die (seelenquivalente) Herzensflche zum Ort einer in alle drei Zeitebenen hineinreichenden Universal-Offenbarung an den Propheten: Christ schreibt ins hertz der Schrifften Schrifften Schrifft: Was war, ist, wird; was alles anbetrifft!215

Nicht immer muss Gottes fortgesetzte Beschriftung der Herzenstafel derartig spektakulr sein. So kann es dem Scho¨pfer beispielsweise genu¨gen, mit seinen neuen Inskriptionen die (Gesetzes-)Schrift, die er dem Menschen ab ovo in die Herzenstafel eingeschrieben hat, zu aktualisieren und damit seinen go¨ttlichen Willen der Seele gegenu¨ber zu bekrftigen: ACh schreib auch in mein Hertz / mit deines Fingers Krafft / der Weißheit einigs Ziel / den hohen GOttes Willen. der scharffe Geist grab aus / und Christus Blut woll fu¨llen der Lehr=Buchstaben Tieff mit wu¨rk=vermo¨gens=Safft.216

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zen gemahnt an die beiden inneren Bu¨cher des Menschen, die schon Bernhard von Clairvaux kennt, das liber cordis und das liber conscientiae, vgl. Ko¨pf, 1980, S. 177–178. Sie lassen sich als Erweiterung der Tafelmetapher deuten. Vgl. zur Gewissens- und zur Gesetzestafel im Herzen weiterhin Steinmayr, 2006, S. 39–40. Kuhlmann, Bd. 2, 1971, S. 124 (VI,5 – (»Dreieinger Gott, nach dem ich bin gebildt!«)) [Herv. d. Q. K.]. Zur fortgefu¨hrten Schrift Gottes auf der Herzenstafel vgl. auch Arndt, 1733, S. 38–39. In einem die Passion Christi reflektierenden Gedicht des Gedichtzyklus Semita Amoris Divini (»Tag der Creutzigung« 7 – »Christi Leiden, der Christen Freuden« (»Dein Schweiß und Blut, dein Hohn und Spott«)) formuliert Czepko in der zweiten Strophe die Bitte (Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 443): Schreib uns in unsre Hertzen an Die Schmach, die dir wird angethan, Der rothen Furchen gantze Schaar, Damit dein Leib gepflu¨get war. In Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 937 [2] (»Auf dieses [d. h. Auf das ›Verlangen nach der Geistlichen Auferstehung Christi in mir‹, M. D.]« (»So bleibe halt im Grab mein ussers Tugend=Wesen«)), ist von den »Lettern« der Bekehrung die Rede, die im Herzen zu lesen seien. Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 40.

165 In diesen Anfangsversen von Greiffenbergs Sonett Auf die von GOtt selbst geschriebenen Gesetz Tafeln steht die Tafel bemerkenswerterweise explizit an der Schwelle zur Dreidimensionalitt. Whrend es in den meisten Fllen keine Rolle spielt, dass Schrift und Bilder zumindest auf Wachstafeln immer eingeritzt bzw. eingedru¨ckt werden mu¨ssen217 und damit streng genommen immer dreidimensional gestaltet sind, wird hier die Tiefendimension der eingegrabenen Buchstaben, die »Lehr=Buchstaben Tieff«, bedeutsam: Sie kann sich mit einer so wesentlichen Substanz wie dem Blut Christi fu¨llen,218 das dann dem go¨ttlichen Gesetz im Menschen zur Wirksamkeit verhilft. Auf vo¨llig andere Weise verwendet Greiffenberg das Bild der psychischen Tafel in ihrem Gedicht zur Erklrung des Tittel=Kupfers, das sie ihren Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi / Zwo¨lf andchtigen Betrachtungen (1672) voranstellt: LEsch aus / die gantze Welt. Die Tafel der Gedanken rein werd gewischet ab. Nichts bleib / als JEsus Christ. Nichts will ich dulten sonst. Es soll nichts in den schranken der Angedchtnis seyn / als der / der Alles ist. Es mag die wiß=begier viel scho¨nes wesen reitzen: mich labt mein JESUS nur / vor tausend=wissenschaft. Die Welt mag / wie nach Geld / nach Kunst und Weißheit geitzen: ich will und weiß sonst nichts / als seine Creuzeskraft. Der Gall= und Essig=Schwamm lesch aus all Eitelkeiten: nur der Gekreutzigte bleib stehn in meinem Sinn. Wie weit / wann sie allein / die Allheit sich ausbreiten und alles wenden kan / das siht man klar hierinn. Die Allheit ich allein will im Gedchtnis haben: so hab ich alls / und sie gekreutzigt noch darzu. Nur unerreichlicher sind ihre Gnaden=Gaben / je mehr sie angehfft. Jn ihm ist meine Ruh.219

Entsprechend der oben dargestellten Bedeutungseinengung von der Seelen- zur Erinnerungstafel wird die seelische »Tafel der Gedanken« (Vers 1) hier zumindest im vierten und im dreizehnten Vers vor allem mit dem Seelenvermo¨gen des Gedchtnisses identifiziert. Ist in der philosophischen tabula rasa-Vorstellung die Fu¨llung der leeren Tafel mit Erfahrungsinhalten, mit vielerlei Weltwissen erwu¨nscht und notwendig, so beschreibt Greiffenberg dagegen den umgekehrten Vorgang, das Lo¨schen aller weltlichen Spuren220 von der Seelentafel und die 217 218

219 220

Vgl. dazu etwa Assmann, 1999, S. 152. Christian Soboth bringt diesen Vorgang mit dem »Genuß von Wein und Brot« im Abendmahl in Zusammenhang (Soboth, 2000, S. 283). Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, Bl. [)( j]v. Wenn Greiffenberg ein Lo¨schen unerwu¨nschter Gedanken von der Seelentafel fordert, so erinnert dies wenigstens entfernt an den nur auf der psychischen Ebe-

166 Konzentration auf den go¨ttlichen Tafelinhalt. Durch ihr Gedicht wird besonders gut deutlich, wie grundlegend die psychische Konstitution des Menschen durch die Schriftzu¨ge und/oder Bilder, die sich auf seiner Seelentafel finden, geprgt wird, wie einschneidend die tafelfo¨rmige Seele durch ihre Beschriftung bzw. Bemalung verndert werden kann. Wie als Strahl so stellt die Seele auch als beschriebene oder mit Zeichnungen versehene Tafel letztlich eine Viel-Einheit dar. Die Pluralitt der auf ihr dokumentierten weltlichen und geistlichen Erfahrungen, Wissensinhalte, Su¨nden, go¨ttlichen Gesetze und Offenbarungen wird zwar durch die (wenigstens im Regelfall vorauszusetzenden) festen Außengrenzen der Seelentafel eingerahmt und damit am Auseinanderbrechen gehindert. Allerdings findet dabei nicht notwendig eine Harmonisierung der Mannigfaltigkeit zu einem einzigen, in sich kohrenten Text oder Gesamtbild statt. Dort, wo es sich bei den Tafelinhalten um go¨ttliche Gesetze und Botschaften handelt, du¨rfte ihre Kohrenz (und damit auch die des Psychischen) noch relativ hoch sein. Sind die Inhalte dagegen, wie am Beginn von Greiffenbergs oben zitiertem Gedicht, weltlicher Art, wird man von einem deutlich geringeren Zusammenhalt auszugehen haben. So ist es nicht verwunderlich, dass die Mannigfaltigkeit irdischer Gegenstnde auf der Gedankentafel in Greiffenbergs Versen klar negativ konnotiert erscheint und einer deutlich erstrebenswerteren »Allheit« (Vers 11/13) Gottes entgegengesetzt wird, in der das Vielfltige miteinander vereinigt ist. Um die go¨ttliche All-Einheit dem menschlichen Innern einzubilden (das dem Gedicht zugeordnete Titelkupfer zeigt eine Leinwand, auf der keine Schrift, sondern eine Abbildung des Gekreuzigten zu sehen ist), ist das bereits erwhnte Lo¨schen der Seelentafel, d. h. ein geistlich wohlbegru¨ndetes Vergessen der weltlichen Dinge, ja der »gantze[n] Welt« (Vers 1), erforderlich.221 Ob der Lo¨schvorgang vom Menschen oder nur von Gott selbst hervorgerufen werden kann, bleibt offen, da der Imperativ des

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ne sich abspielenden »Bildersturm« gegen die »falschen inneren Bilder« (Berns, 1993, S. 41), den Luther in seiner Schrift Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525) propagiert, vgl. dazu Berns, 1993, S. 41–42. Ein Vergessen irdischer Dinge fordert Greiffenberg vom Gedchtnis auch in Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, S. 411 (7. Betrachtung – »Hinweg! Eitelkeit!« (»HJNweg / mein Herz! mit allen Eitelkeiten«)). Darin heißt es: »Gedchtnus / weg! / mit allen Erden=dingen!« hnlich argumentiert schon Meister Eckhart, vgl. Eckhart, Bd. 2, 1993, S. 452 (»von abegescheidenheit«). Nicht immer allerdings ist in religio¨sen Kontexten das Vergessen positiv konnotiert, da auch kostbare (Schrift-)Inhalte von der Schrifttafel der Seele oder des Gedchtnisses gelo¨scht werden ko¨nnen, vgl. etwa Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, S. 187 (5. Betrachtung): Hier wird dem Jesus verleugnenden Petrus die Frage gestellt: »was vor eine Lethe hat die schriftzeichen der Treue in deinem Gedchtnus so geschwind ausgelo¨schet?«

167 ersten Verses sich sowohl an Gott richten wie auch eine Leser- oder eine Selbstanrede des Ich darstellen ko¨nnte.222 Wenn die Seelentafel nach dem Lo¨schen des tausendfltig sich zersplitternden Weltwissens nur noch von einem einzigen »Gedanken«, dem an Jesus Christus, beherrscht wird, bedeutet dies fu¨r die Seele einerseits einen Zugewinn an synchroner Kohrenz bzw. Einheit und an diachroner Unvernderlichkeit in der weiteren Zukunft (»Ruh« (Vers 16)). Andererseits aber ist auch der neue Aggregatzustand der seelischen Gedankentafel nur der einer (wenn auch ungleich harmonischeren) Viel-Einheit, denn nun umfasst sie statt der Vielheit der Weltdinge die einheitlich-plurale »Allheit« (Vers 11/13) Gottes. Greiffenbergs Verse geben nicht nur die Gelegenheit, die Frage nach den Inhalten der Seelentafel paradigmatisch zu ero¨rtern. Lohnend erscheint es zudem, fu¨r ihr Gedicht noch einmal nach der ußeren Form, d. h. nach den Abmessungen der Seelentafel zu fragen. Fu¨r die formale Gestaltung der Seelentafel Greiffenbergs ist zunchst die metaphorische Wendung von den »schranken der Angedchtnis« in den Versen 3–4 von besonderer Bedeutung. Sie suggeriert die – einer Tafel gemße – Einrahmung und Einfassung der Seelenflche. Fraglich ist nun, wie diese ußere Be-Schrnkung der (Bild-)Tafel mit ihrem neuen Bild-Inhalt, der (gekreuzigten) go¨ttlichen Allheit, zusammenzubringen ist. Ero¨rtern lsst sich diese Frage vor allem anhand der beiden nachfolgend nochmals zitierten Verse 11–12: Wie weit / wann sie allein / die Allheit sich ausbreiten und alles wenden kan / das siht man klar hierinn.223

Zunchst ko¨nnte man die von der »Allheit« in diesem Gedichtausschnitt vollzogene Bewegung so interpretieren, als ob mit dem Verb ›ausbreiten‹ einfach eine vollstndige Ausdehnung der »Allheit« innerhalb der »schranken« des Individuums und seiner Gedankentafel beschrieben werden sollte. In diesem Fall wren die Vernderungen, welche die »alles wenden[de]« Allheit auf der Seelenflche vornimmt, ausdehnungsunabhngig und betrfen nur den Innenbezirk der Seelentafel. 222

223

Das zugeho¨rige Titelkupfer lsst eine Frauengestalt erkennen, die mit einem Schwamm Auslo¨schungen an dem Bild vornimmt, so dass der Imperativ wohl am ehesten als Selbstanrede zu deuten ist. Diese Ansicht vertritt auch Barbara Thums, wenn sie davon ausgeht, dass auf dem Titelkupfer Greiffenberg selbst als »Malerin vor einer Staffelei« dargestellt sei, »die bis auf den Gekreuzigten alle anderen Bildmotive auslo¨scht« (Thums, 2000, S. 262, zu Thums Interpretation des Gedichts vgl. S. 261–266). Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, Bl. [)( j]v (»LEsch aus / die gantze Welt. Die Tafel der Gedanken«). Die adverbiale Ortsbestimmung ›hierinn‹ bezieht sich wohl auf den gesamten Text, dem Greiffenberg das Titelkupfer voranstellt.

168 Andererseits ließen sich aber die in diesen beiden Versen sich abspielenden Wandlungen auch so deuten, dass sich die »Allheit«, sobald sie das Monopol in der Seele innehat, nicht mehr von der beschrnkten Flche der Gedankentafel einfassen lsst. Wenn die »Allheit«, so ließe sich argumentieren, sich »weit […] ausbreiten« kann und außerdem u¨ber Krfte verfu¨gt, »alles« zu »wenden«, dann wird sie sich kaum mit der im Titelkupfer abgebildeten, mßig großen Leinwandflche begnu¨gen. Vielmehr wird sie diesen vorgegebenen Rahmen sprengen und damit aller Wahrscheinlichkeit nach zugleich eine Expansion der Tafelgrundflche provozieren. Wer Gott in seine Gedanken aufnimmt, muss, so ¨ berlegung von der metaphorischen ko¨nnte man die zuletzt angefu¨hrte U auf eine unmetaphorische Ebene ›u¨bersetzen‹, dabei mit erheblichen Erweiterungen seines Horizonts rechnen. Wenn man der zweiten Lesart folgt, scheint sich in diesem Gedicht Greiffenbergs, anders als in den ¨ berlegungen zur bisher betrachteten Beispielen fu¨r und allgemeinen U Tafelmetapher, eine Vernderung in den Abmessungen der Seelentafel anzudeuten. Zu konstatieren wre damit eine diachrone Pluralisierung der Seelenflche im Hinblick auf ihre Ausdehnung. Sieht man indes von der zuletzt angedeuteten Mo¨glichkeit einer von Gott initiierten Expansion der Seelentafel ab, so ist die Seelenflche auch in Greiffenbergs Gedicht schon durch die explizite Schrankenmetapher klar und fest begrenzt. Auch in diesem Fall tritt sie somit als ein in der Frage der Ausdehnung vollkommen statischer, diachron einheitlicher Gegenstand in Erscheinung: Alle Vernderungen, zu denen das Subjekt des Gedichts sich selbst ermuntern kann, betreffen allein den Tafelinhalt (bzw. seine Auslo¨schung). Ausschließlich u¨ber diesen wird die der Ausdehnung nach stabil-einheitliche Seelenflche zur Viel-Einheit. Die allenfalls von Gott aufhebbare Begrenztheit der Seelentafel lsst sich auch anhand der folgenden, an Jesus gerichteten Verse aus einem weiteren Gedicht Greiffenbergs demonstrieren (Strophen 5–6):224 Wann ich auch bin lngst gestorben / lebe doch dein Lob in mir. Wann der Leib im Grab verdorben / blu¨h erst deine ehr herfu¨r. Aus der asch wachs eine blum / nemlich JEsu Lob und ruhm. Meines leibs verwesne erden / mu¨ß ein glori=garten werden. Lasse meinen hirnes=schalen / die das recht gedchtnus=nest / einzudrucken dir gefallen / 224

Zu einer ausfu¨hrlichen Interpretation des Gedichts vgl. Dohm, 2000, S. 32–86.

169 was mir stts im sinn gewest: daß man / wann sie kommt herfu¨r / deine eingeschriebne zier mo¨ge ausgewachsner finden / wie sonst in der ku¨rbis=rinden.225

Hat sich das Ich dieses Gedichts zunchst mit allem Eifer dem mu¨ndlichen (Strophe 3) und schriftlich-poetischen Lob Christi (Strophe 4) verschrieben,226 so hofft es in den oben zitierten Strophen 5 und 6, ¨ berreste das selbst noch nach seinem Tod durch seine sterblichen U Gotteslob fortsetzen zu ko¨nnen.227 In der sechsten Strophe entwirft das Ich ein beeindruckendes Wunschbild von der posthumen Verfasstheit seiner Gebeine: Die frommen Gedanken, die ihm »stts im Sinn« gewesen sind, haben sich so fest in die »Hirnes=Schalen« eingedru¨ckt bzw. eingeschrieben, dass sie auch lange nach seinem Ableben noch immer ihre Lesbarkeit behalten und so noch beim Ausgraben des bestatteten Schdels228 sichtbar werden. Das hier vom Ich entworfene Bild lsst sich als das Ergebnis einer doppelten Metaphorisierung229 interpretieren. Die leiblich-anatomischen Strukturen des Menschen fungieren gleichsam als Metapher zweiter Ordnung fu¨r die – selbst schon metaphorische – immateriellaristotelische Seelen- und Gedchtnistafel. Der zweite Metaphorisierungsschritt macht die klare rumliche Beschrnkung, welche die mit Wissens- und Gedchtnisschrift bzw. mit frommen Gedanken gefu¨llte Seelentafel aufweist, besonders gut deutlich, wird doch die Letztere durch die rumlich eindeutig beschrnkte, materiell-leibliche Innenflche des Schdels reprsentiert. Auch dass in der Beschrnkung zugleich eine Stabilisierung liegt, dass die Seelentafel den diversen, auf ihr niedergeschriebenen Inhalten durch Rahmung zur (Viel-)Einheit 225

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Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, S. 175 (4. Betrachtung – (»JEsu! dein verbindlichs binden«)). Ebd. Vgl. zur Bedeutung des poetischen Gotteslobs im Werk und im Leben Greiffenbergs etwa Gndinger, 1992. Zur Deutung der »hirnes=schalen« als Metapher fu¨r den Totenschdel vgl. Dohm, 2000, S. 60 (zur Gesamtdeutung des Hirnschalen-Motivs auch S. 61–67). Geht Burkhard Dohm weiterhin davon aus, dass Greiffenberg im Bild der Hirnschalen eigentlich auf die »Großhirnrinde« anspielt (ebd. S. 60), so erscheint diese Annahme nicht nur deshalb fragwu¨rdig, weil Dohm sie nicht ausreichend in die zeitgeno¨ssische Hirnanatomie einbettet. Hinzu kommt, dass den so verstandenen Hirnesschalen schwerlich der von Greiffenberg offenbar angenommene lngerfristige Bestand u¨ber den Tod hinaus attribuiert werden ko¨nnte. Wird nach Ansicht Sabine Kyoras in dem Gedicht, dem der oben zitierte Ausschnitt entstammt, »[d]er Topos von der Unsterblichkeit der Dichtkunst […] naturalisiert« (Kyora, 2003, S. 417), so ist damit eine weitere wichtige Deutungsebene des Bildes vom gravierten Hirnschdel benannt.

170 verhilft, wird durch ihre metaphorische Verbindung mit der Schdelhu¨lle deutlich. Diese ist aus hartem, ihre Inhalte schu¨tzendem und zusammenhaltendem Material und – im Vergleich zu anderen Bestandteilen des Menschen – weitgehend verwesungsresistent. Schließlich fu¨hrt die doppelte Metaphorisierung der Seele innerhalb des von Greiffenberg verfassten Gedichts zu einer u¨ber die Tafelmetapher hinausweisenden dimensionalen Unschrfe: Die Tafelmetapher wird man, wie oben erlutert, im Allgemeinen den zweidimensionalen Seelenbildern zuordnen (obgleich ihr im Einzelfall auch ausdru¨cklich eine Tiefendimension zugeschrieben werden kann). Dagegen lsst sich die Hirnschale alternativ als flchiges oder als rumliches Gebilde betrachten, je nachdem, ob man nach dem Text auf ihrer Innenseite fragt oder sie als Hu¨lle der Hirnsubstanz bzw. der Seele und der Gedanken betrachtet. ¨ bergang zur Betrachtung von Auch wenn wir uns hier schon im U Seelenrumen befinden, soll, wie oben angeku¨ndigt, zunchst noch ein zweites Beispiel fu¨r flchige Seelenbilder in den Blick genommen werden: die Metapher der Seele als Spiegel.230 Sie wird etwa im folgenden, wiederum aus der Feder Greiffenbergs stammenden Gedichtausschnitt (Verse I,1–3 und II,1–6) verwendet, in dem es heißt: MEine Seel! sey still in GOtt / laß dich keine Sach bewegen / sey ein starker Fels in Noht. […] Stille / stille / Angst und Schmerz! Sorg und Furcht / last mich mit frieden! daß mein GOtt=besessen Herz bleib in seiner Ruh hieniden. Stille Brunnen nur / sind Spiegel des erhellten Himmels=Liecht […].231

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Zu den sptantiken und mittelalterlichen Wurzeln der Metapher des Seelenspiegels vgl. Renger, Almut-Barbara: Spiegel (Art.). In: Metzler Lexikon literarischer Symbole, 2008, S. 357–359, hier S. 357. Die Spiegelmetaphorik wird im Barock ¨ berblick speziell u¨ber nicht nur zur Verbildlichung der Seele eingesetzt: Einen U die barocke Vielfalt der ›Spiegel-Bildlichkeit‹ gibt etwa Blake Lee Spahr, vgl. Spahr, 1981, S. 223–242. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass noch hufiger als die Seele der ganze Mensch in der barocken Metaphorik als Spiegel (etwa der Tugend und Scho¨nheit) erscheint, vgl. beispielsweise das zweite Lied aus Weckherlins 1616 verfasster Festbeschreibung Triumf NEwlich bey der F. kindtauf zu Stutgart gehalten (Weckherlin, 1894/1968, S. 6–7 (»Warumb, ihr frawen und jungfrawen«)). Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 322 (»Kunst=Gesang« 27 – »Gemu¨tes=Beruhigung«). Analog fordert auch Czepko die Stille des Seelenspiegels, vgl. Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 647 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« V,78 – »Ie reiner Glas, ie scho¨ner Bild«).

171 Betrachtet man besonders die zwei zuletzt zitierten Verse, so fllt auf, dass, hnlich wie im vorangehend untersuchten Gedicht, auch hier eine zweistufige Metaphorisierung stattfindet: Zunchst fu¨hrt der Sprecher sich bzw. seiner Seele als Bild fu¨r den von ihm angestrebten psychischen Endzustand die Brunnen vor Augen, die unter bestimmten Umstnden das Himmels- bzw. Sonnenlicht232 auf ihrer Oberflche reflektieren ko¨nnen. Fu¨r die Brunnen wird anschließend in einem zweiten Metaphorisierungsschritt das Bild des Spiegels verwendet. Die metaphorische Verbindung von Herz bzw. Seele, Spiegel und Wasseroberflche steht gerade in religio¨sen Kontexten in einer langen Tradition, kann sie doch etwa schon im theologisch-mystischen Zusammenhang der Predigten (sptes 13., fru¨hes 14. Jahrhundert) Meister Eckharts nachgewiesen werden.233 Das Himmelslicht ist in Greiffenbergs Versen als Metapher fu¨r Gott zu entschlu¨sseln, der sich in Herz oder Seele wie in einem Brunnen bzw. wie auf einer Wasseroberflche spiegeln234 und das Ich damit wieder zu seinem urspru¨nglichen Ebenbild machen soll.235 Auf beiden metaphorischen Ebenen ist eine klare Beschrnkung der spiegelnden Herzensflche vorauszusetzen. Nicht nur bei der Metapher zweiter Ordnung, dem Spiegel, handelt es sich um ein deutlich abgegrenztes und in der Regel zustzlich gerahmtes Gebilde, sondern auch die Metapher erster Ordnung, jene des Brunnens bzw. der Brunnenoberflche, suggeriert eine Einfassung des Herzensgebildes: Die Wasserflche, auf der sich bei einem Brunnen Himmel und Sonne spiegeln, ist im Allgemeinen von festen Mauern umgeben. Lassen die Begrenzungen der Bildspender ›Spiegel‹ und ›Brunnen(-Oberflche)‹ das Herz in synchroner Betrachtung als Einheit erscheinen, so legt die doppelte Metaphorisierung daru¨ber hinaus auch aus einem zweiten, einem diachronen Blickwinkel eine deutliche Einheit und Stabilitt des Herzens nahe. Die Oberflche eines Spiegels bleibt grundstzlich unbewegt 232

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Vgl. zum Himmelslicht als Sonnenlicht Anon.: Himmelslicht (Art.). In: Grimm, Bd. 10, 1877/1984, Sp. 1359–1360, hier Sp. 1360. Vgl. Eckhart, Bd. 1, 1993, S. 612 (Predigt 57); Konersmann, 1988, S. 91; Largier, 1999, S. 622–623. Vgl. zur Spiegelung Gottes in der Seele etwa auch Harsdo¨rffer, 1651/1990, S. 235: »unsre Seelen sollen reine Spiegel seyn / in welchen das Bild GOttes vollkommen erscheinen ko¨nte.« Vgl. außerdem etwa Czepko, Bd. 3, 1988, S. 117 (»Coridon und Phyllis«, 2. Buch, Strophe 430); Scheffler, 2000, S. 199 (V,81 – »Jm Reinen erscheinet GOtt«), sowie den Eintrag Speculum in Sandaeus, 1640/1963, S. 330–332, bes. S. 331–332, dazu auch Bergengruen, 2007, S. 211–212. Zur vorbarocken Verwendung des Bilds von der Spiegelung Gottes in der Seele vgl. etwa – vor allem am Beispiel von Mechthilds von Magdeburg Fließendem Licht der Gottheit (ca. 1250–1282) – Haselbrink, 2000. Vgl. zur Restitution des Menschen als Ebenbild Gottes in der Spiegelmetaphorik Largier, 1999, S. 617, S. 622–623.

172 und ist, wenigstens im Idealfall, glatt. Sie kann sich nicht wie eine Wasseroberflche kruseln, sie kann keine in die dritte Dimension hineinreichenden Wellen schlagen, die eine Reflexion von Bildern von vornherein verhinderten oder zumindest erschwerten.236 Dass auch in diesem Gedicht nicht von einer Einheit, sondern nur von einer Viel-Einheit der Seele bzw. des ihr quivalenten Herzens die Rede sein kann, ergibt sich zunchst weniger aus der Spiegelmetapher selbst, als daraus, dass die Seele des sprechenden Ich im Ist-Zustand der Identifikation mit einem Spiegel bzw. einer stillen, spiegelnden Brunnenoberflche noch keineswegs wu¨rdig zu sein scheint. Wenn die Seele »Angst und Schmerz« (Vers II,1) zum Schweigen, »Sorg und Furcht« (Vers II,2) zum Weichen auffordert, zeigt sich deutlich, dass sie derzeit eine synchrone Pluralitt von Affekten enthlt, die wohl zugleich eine erhebliche Unruhe, d. h. eine diachrone Instabilitt des Psychischen, herbeifu¨hren. Auf der metaphorischen Ebene wre hier an das Gegenteil eines ruhigen Wasserspiegels, nmlich an eine von heftigen Wellen bewegte seelische Wasseroberflche zu denken. Selbst dann allerdings, wenn die Seele, zur Ruhe kommend, ihren Soll-Zustand bereits erreicht htte und eine glatte und ruhige Spiegeloberflche darstellte, wre ihr dadurch eine dauerhafte Spiegelung Gottes – und damit die Konstanz ihres (qualitativen) Flcheninhalts – nicht garantiert. Eine als Spiegel verbildlichte Seele ist in Bezug auf die Stabilitt der ihr eingebildeten Gegenstnde von vornherein in einer sehr viel schlechteren Position als etwa eine mit dem Gekreuzigten bemalte (Bild-)Tafel. Der Spiegel unterscheidet sich, wie Niklaus Largier ausfu¨hrt, »von anderen Bildern« dadurch, dass er, im Gegensatz zu diesen, nicht »vom Bildgegenstand gelo¨st werden« kann, ohne desselben ver236

Eine wesentliche Voraussetzung, die der von sich aus unbewegte Seelenspiegel erfu¨llen muss, damit sich Gott in ihm spiegelt, ist die der Reinheit bzw. Unbeflecktheit (das Bild des fleckenlosen Spiegels findet sich schon in Weish 7,6; vgl. auch Largier, 1999, S. 618 u. o¨.). Man betrachte dazu etwa den folgenden Ausschnitt (Rist, 1659, S. 188) aus der fu¨nften Strophe eines Klaglieds Rists (31 – »Schmertzliches Klaglied einer hochbetru¨bten Seelen / welche von den bo¨sen Lu¨sten ihres verderbeten Fleisches schwerlich wird angefochten und geplaget« (»HERR Gott / ich weis schon lange Zeit«)): Laß meine Seele scho¨n und rein Fu¨r dir ein solcher Spiegel sein / Der unbeflekt da fu¨r dir steh Auch so / daß man dein Bild drin seh / Und ich von Lastern gantz befreit Sei theilhaft deiner Go¨ttligkeit. Die fu¨r die Bildproduktion unabdingbare Statik des Spiegels dru¨ckt sich hier schon in der Wahl des Verbs ›stehen‹ aus. Psychisch pluralisierend sind in diesem Gedichtausschnitt die Laster bzw. Flecken, unter welchen der Seelenspiegel wohl bisher noch zu leiden hat.

173 lustig zu gehen.237 Bestenfalls gelingt ihm die »passiv[e] und unverzerr¨ ber den t[e]« Wiedergabe dessen, was gerade »vor ihm steht«.238 U »Moment der Spiegelung« hinaus kann er das Bild des von ihm reflektierten Gegenstands grundstzlich nicht bewahren.239 In den meisten Fllen legt die Metapher des Seelen- oder Herzensspiegels eine mo¨gliche seelische Inkohrenz und Pluralitt schon deshalb nahe, weil im Laufe eines Lebens fast notwendig mit einer Lagevernderung des Spiegels und einer daraus folgenden Verschiedenheit der von der psychischen Flche reflektierten Bilder zu rechnen ist:240 Je nachdem, worauf die psychischen Krfte und die Sinne sich richten, verndert der seelische Spiegel seine Position und zeigt dann jeweils einen anderen Ausschnitt der Welt. In den beiden nachfolgenden Zitaten aus Texten Johann Arndts und Harsdo¨rffers wird einer solchen Variabilitt der Spiegelbilder zwar das Ideal einer bestndigen Ausrichtung des Seelenspiegels auf Gott241 entgegengesetzt. Doch ist dieser stabile Zustand selbst nur um den Preis einer vorherigen radikalen Umwendung des Spiegels zu erreichen: Also soll man GOttes Bild in deiner Seele sehen, wie in einem Spiegel; wo man ihn hinwendet, das siehet man drinnen. Wendest du deinen Spiegel um gegen den Himmel, so siehest du den Himmel darinnen? wendest du ihn gegen die Erde, so siehest du die Erde darinnen […].242 Ein Spiegel gegen der Sonnen gewendet / mit dieser Obschrifft: Zu dir allein. Kan eine Gott ergebene Seele bedeuten / die sich von der Welte Eitelkeit zu der Ewigkeit gewendet.243 237 238

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Largier, 1999, S. 617. Konersmann, 1988, S. 89–90. Mit dem Spiegel im 17. Jahrhundert im Spannungsfeld von »Verzerrung« und »tuschende[r] hnlichkeit«, »Reproduktion« und »Reprsentation« setzt sich auch Thomas Macho auseinander (Macho, 2004, S. 234). Largier, 1999, S. 617; hnlich auch Finckh, 1999, S. 198. Harsdo¨rffer bemerkt zum Spiegel (Harsdo¨rffer, Teil 4, 1644/1968, S. 331 (alte Paginierung) bzw. S. 375 (neu)): »Er [d. h. der Spiegel, M. D.] ist der natu¨rlichste Bildhauer / und ist doch nichts / als ein flu¨chtiges Gemhld / eine flache Bildung / un[d] ein brechliches Glas.« Die von Harsdo¨rffer erwhnten Eigenschaften des Spiegels sind wohl auch der Grund, warum in der deutschen Dichtung des 17. Jahrhunderts Spiegel allgemein als »symbolic of inconstancy« interpretiert werden (Spahr, 1981, S. 226). Nicht wahrgenommen wird die Vergnglichkeit des Spiegelbilds auf dem Seelenspiegel etwa in Spees Gu¨ldenem Tugendbuch (1649): Darin gelobt das Ich in seiner Seele ku¨nftig nur noch »gute vnd dir angenhme biltnu¨ssen« zu versammeln, damit Gott »hernacher, allezeit in denselben, als in scho¨nen spiegeln vnd taffelen« sein »lob anschawen« ko¨nne (Spee, Bd. 2, 1968, S. 456). Vgl. dazu etwa Spahr, 1981, S. 226. Vgl. zum als Spiegel auf Gott ausgerichteten Menschen auch 2. Kor 3,18. Arndt, 1733, S. 110 (I,18) [Herv. d. J. A.]. Harsdo¨rffer, 1651/1990, S. 265 [Herv. d. G. P. H.].

174 Anders als bei der ausschließlichen Verwendung der Spiegelmetapher erscheinen in Greiffenbergs Versen ein Lagewechsel des Seelenspiegels und eine daraus folgende qualitative Vernderung der Spiegelflche unmo¨glich, da hier das Bild des Spiegels mit der Brunnenmetaphorik verknu¨pft ist: Die Wasseroberflche eines Brunnens steht notwendig dem Himmel entgegen. Dennoch hat man die Tatsache, dass eine psychische Spiegelflche nur dasjenige abbilden kann, was ihr unmittelbar gegenu¨bersteht, auch im Fall von Greiffenbergs Metaphorik als potentiell pluralisierenden Faktor in Rechnung zu stellen. Wird das Ich von Sorgen und ngsten dominiert, so wird mo¨glicherweise nicht nur die Wasseroberflche des Herzbrunnens heftig von ihnen bewegt (und damit eine klare Spiegelung verunmo¨glicht), sondern es wre auch denkbar, dass diese Affekte verdunkelnd vor das eigentlich vom Herzen zu spiegelnde Himmelslicht treten oder das Spiegelbild tru¨ben. Und selbst wenn sie vertrieben sind, ko¨nnte sich jederzeit ein Gegenstand zwischen den glatten Spiegel der seelischen Wasseroberflche und das Himmelslicht schieben und so das Spiegelbild verndern. Auch hier ist also ein drastischer, das Psychische pluralisierender Wechsel der auf der Seelenflche gespiegelten Objekte denkbar. Insgesamt haben die bisherigen Ausfu¨hrungen gezeigt, dass sich nicht nur im Zusammenhang mit ein-, sondern auch in Verbindung mit zweidimensionalen Seelenmetaphern immer wieder eine Viel-Einheit des Seelischen nachweisen lsst. Allerdings dru¨ckt sich diese in den flchigen Seelengebilden des Spiegels oder der Tafel in der Regel anders aus als in den zuvor untersuchten strahlenfo¨rmigen psychischen Entitten. Whrend bei den Letzteren die einheitsstiftende Homogenitt des Strahls seiner ihn diachron pluralisierenden Verlngerung bzw. Verku¨rzung gegenu¨bersteht, sind spiegelnde, bemalte und beschriftete Seelenflchen zumeist durch einen festen, nicht dehn- oder reduzierbaren ußeren Rahmen geeint, jedoch von einer syn- oder diachronen Pluralitt ihrer Inhalte bedroht. Der wichtigste Unterschied zwischen ein- und zweidimensionalen Seelengebilden liegt, so lassen sich die vorangehenden Betrachtungen noch weiter verallgemeinern, darin, dass in ihnen jeweils eine andere der beiden oben genannten Komponenten von Rumlichkeit dominiert. Stellen Seelenspiegel und Seelentafel vor allem Raum fu¨r Abbilder und Texte zur Verfu¨gung, so sind sie besonders durch ihren (Flchen-)Inhalt, durch ihre ›Fu¨llungen‹ (dies aber noch im zweidimensionalen Sinn verstanden) geprgt. Eindimensionale Seelenmetaphern charakterisieren die Seele dagegen ausschließlich u¨ber ihre Dimensionalitt bzw. Ausdehnung. Neben der Ein-, Zwei- und der im Zentrum der vorliegenden Studie stehenden Dreidimensionalitt des Seelischen kennt die Barocklyrik

175 schließlich auch noch das Bild einer adimensional-punktfo¨rmigen Seele. Weil die Punktmetapher dem Sonderfall einer unendlich ausgedehnten dreidimensionalen Seele polar entgegengesetzt und als ebenso extrem anzusehen ist, wird sie jedoch erst im nchsten Abschnitt, unter den Grenzfllen seelischer Ausdehnung, zu behandeln sein. Soll an dieser Stelle die Betrachtung dreidimensionaler Seelenbilder wieder aufgenommen werden, so ist zunchst zu ero¨rtern, wo die Beobachtungen, die oben an den ein- und zweidimensionalen Seelenmetaphern gemacht werden konnten, auf die Seelenrume u¨bertragbar sind und wo die Dreidimensionalitt ein Umdenken erforderlich macht. Wie die (zweidimensionalen) Seelentafeln bzw. Seelenspiegel sind auch die (dreidimensionalen) Seelenrume im ›Normalfall‹ in sich geschlossen bzw. durch Außengrenzen gerahmt und ko¨nnen damit in gewisser Weise als stabil gelten. Wie die Seelenflchen ko¨nnen auch die psychischen Rume mit bestimmten Inhalten gefu¨llt werden, die einen erheblichen, entweder vereinheitlichenden oder pluralisierenden Einfluss auf die Seele ausu¨ben ko¨nnen. Whrend aber Spiegel- oder Tafelflchen u¨blicherweise nur (mehr oder weniger klare) Abbilder244 oder (erst noch zu entschlu¨sselnde) Schriftzeichen beinhalten,245 nehmen Seelenrume in der Regel die Gegenstnde selber in sich auf, die dann – normalerweise – noch erheblich strkere Wirkungen entfalten ko¨nnen als ihre schriftlich-bildlichen Stellvertreter. Einen noch schrferen Kontrast bildet die Aufnahmefhigkeit des Seelenraums fu¨r konkrete Gegenstnde zu den eindimensionalen Seelengebilden, die von vornherein nichts (noch nicht einmal Abbilder) in sich beschließen ko¨nnen. Der Unterschied zwischen ein- und dreidimensionalen Seelenmetaphern ist also schnell benannt. Bestehen aber zwischen ihnen auch Parallelen? Kann sich etwa ein Seelenraum wie 244

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In der Tradition von 1. Kor 13,12 erscheint die Eigenschaft des Spiegels, bloß (dunkle) Abbilder der Wirklichkeit zu zeichnen, dabei nicht unproblematisch, vgl. dazu etwa Cramer, 2005, S. 216–217. In manchen Fllen steht das aufgenommene Abbild bzw. die aufgenommene Schrift allerdings an der Grenze zum Gegenstand selbst. So bleibt etwa in Greiffenbergs oben untersuchter Erklrung des Tittel=Kupfers unklar, ob hier wirklich nur das Abbild des Gekreuzigten in die Seele aufgenommen wird. Auch findet ein ¨ bergang zwischen Abbilden und Aufnehmen bereits dort statt, erster Schritt im U wo die Metapher der (Wachs-)Tafel ganz bewusst mit dem Vorgang des Eindru¨ckens und »[H]inein«-Bildens assoziiert wird, vgl. dazu etwa Mu¨ller, 1664, S. 68: »Dein Hertz ist ein Tfflein / drauff man bilden kan was man wil / Gott / Teuffel / Welt / Himmel. Wem du es in Lieb zuhltst / der bildet sich hinein.« Daru¨ber hinaus gibt es in der barocken Metaphorik auch Spiegelbilder, die mehr als nur Abbild zu sein scheinen. Ein – allerdings nicht auf den Seelenspiegel, sondern auf Maria als Spiegel Gottes bezogenes – Beispiel dafu¨r findet sich etwa in Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 303 (»Erklrung des Sinnbildes« (»DAs klare SpiegelEis empfngt der Sonne Glut«)).

176 die oben untersuchten Seelenstrahlen entlang einer bestimmten Achse oder Richtung im Raum entfalten, obwohl er sich doch, aufgrund seiner Dreidimensionalitt, streng genommen in alle mo¨glichen Richtungen des Raumes erstreckt? Eine Antwort darauf, ob eine Gerichtetheit auch bei Seelenrumen mo¨glich ist, soll im Folgenden zunchst anhand der Betrachtung eines Epigramms aus dem Cherubinischen Wandersmann gesucht werden: Ein Abgrund rufft dem andern. Der Abgrund meines Geists rufft immer mit Geschrey Den Abgrund GOttes an: Sag welcher tieffer sey?246

Da die Seele in den hier zitierten Versen als Hohl- bzw. Containerraum dargestellt wird, ist sie zunchst natu¨rlich als eines jener Seelengebilde wahrzunehmen, die sich nach allen Seiten in den umgebenden Raum hinein ausbreiten. Andererseits jedoch stehen die Rede vom Seelenabgrund sowie die besondere Betonung der Seelentiefe dem Eindruck einer solchen ungerichteten Ausgedehntheit entgegen. Eine Richtung des Raums, nmlich jene nach unten, wird hier besonders fokussiert, es wird ein rumliches Gebilde beschrieben, das sich vor allem entlang der vertikalen Achse erstreckt, whrend seine Ausdehnung entlang der beiden anderen Achsen deutlich geringer ist. Ein langgestreckter und nach unten gezogener Raum nhert sich in gewisser Weise wieder der Eindimensionalitt an. Je tiefer er reicht, desto mehr gleicht er einem Strahl und erscheint damit als gerichtetes Gebilde. Die hnlichkeit zum Seelenstrahl lsst die Frage aufkommen, ob der Seelenabgrund dabei nur statisch in Richtung Tiefe weist oder ob er sich, wenigstens in jenem Augenblick, in dem er den go¨ttlichen Abgrund ruft, noch weiter in diese Richtung entfaltet und damit der oben fu¨r die Strahlenmetaphorik nachgewiesenen pluralisierenden Dynamik teilhaftig wird. Die am Ende des Epigramms stehende Aufforderung zum quantitativen Vergleich der beiden Abgru¨nde ließe es immerhin denkbar erscheinen, dass der psychische Abgrund, mit dem go¨ttlichen Abgrund wetteifernd, seine Tiefe kontinuierlich zu vergro¨ßern strebt. Unabhngig davon, ob man dem Seelenraum im hier diskutierten Fall tatschlich eine dynamische Entfaltung in eine Richtung zusprechen mo¨chte, wird schon mit dem Aufweis der Mo¨glichkeit einer solchen Bewegung klar, dass die Viel-Einheit von Seelenrumen grundstzlich nicht nur als inhaltliche, sondern auch als diachron-ausdehnungsbezogene gestaltet sein kann: Sie kann sich nicht nur am Muster viel-einheitlicher Seelenflchen, sondern auch an der Viel-Einheit des 246

Scheffler, 2000, S. 37 (I,68).

177 Seelenstrahls orientieren. Um die der Eindimensionalitt angenherte Rumlichkeit der Seele in Schefflers zuletzt zitiertem Epigramm noch genauer zu erfassen, hat man sich zunchst noch einmal zu vergegenwrtigen, dass die Dimensionen bzw. Richtungen des Raums in den verschiedensten Kulturen nicht nur als Bestandteil der ußeren rumlichen Umgebung des Menschen anzusehen sind. Vielmehr sind sie auch fu¨r die rumliche »Reprsentation symbolischer Ordnungen« entscheidend – und dies gerade im religio¨sen Bereich.247 Nicht umsonst geho¨rt im Christentum zur religio¨sen Erkenntnis, die durch go¨ttliche Einwohnung und durch die caritas ermo¨glicht wird, nach Eph 3,18 auch die wahre Erkenntnis der ausdru¨cklich separat genannten Dimensionen: »Auff das jr begreiffen mo¨get mit allen Heiligen / welches da sey die breite / vnd die lenge / vnd die tieffe / vnd die ho¨he […].«248 Ein konkretes Beispiel dafu¨r, dass gerade auch in der barocken Dichtung die Dimensionen spezifische theologische Bedeutungen haben ko¨nnen, ist in diesem Abschnitt bereits zitiert worden: Greiffenbergs Strahlengedicht, in dem sich das Schicksal des Seelenstrahls entlang der vertikalen Achse entfaltet. Auch der Tiefe in Schefflers Epigramm sind symbolische Implikationen zuzuschreiben, die sich nur in Verbindung mit der Abgrundmetaphorik verstehen lassen. Im Bild des Abgrunds erfhrt die Tiefe eine Steigerung, durch welche ihre Auslotbarkeit fraglich erscheint. Man vergleiche dazu das folgende, ebenfalls das Bild des Abgrunds einsetzende Monodistichon Czepkos, in dem durch die Abgrundmetaphorik ein Zustand ußerster Gottesferne entfaltet wird: UNERMEßLICHER ABGRUND. Wann sich die Seele kehrt von Gott und seinem Willen, Kan sie in Ewigkeit kein einge Sache stillen.249

¨ berschrift als ein »unerHier wird der Seelenabgrund schon in der U meßlicher« bezeichnet, d. h. seine Grenzen lassen sich, jedenfalls nach unten hin, nicht mehr festmachen, wodurch seine rumliche Stabilitt ernsthaft gefhrdet ist. Die als »unermeßlicher Abgrund« verbildlichte Seele droht sich selbst zur eigenen Bodenlosigkeit zu werden und sich in sich zu verlieren. Besonders interessant ist im Hinblick auf die Einheitsgefhrdung der gottfernen Seele die Verwendung des Verbs ›stil-

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Gehlen, 1998, S. 384. Wie bei allen nachfolgend angefu¨hrten Bibelstellen wird hier aus Luthers Bibelu¨bersetzung von 1545 zitiert (hier: Biblia, Bd. 3, 1974, S. 2359). Interessant ist, dass in diesem Bibelvers die Vertikale doppelt (als Tiefe und als Ho¨he) benannt ist. Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 609 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,96).

178 len‹. Dieses lsst sich zunchst als impliziter Hinweis auf den unstillbaren Hunger (vgl. dazu auch die Seelenmark-Metaphorik Kuhlmanns in Abschnitt 3.1.2) bzw. Durst nach Gott250 lesen, den die Seele erdulden muss, wenn sie Gott durch ihre Abwendung die Aufnahme in ihren Innenraum verweigert. Bloße, unausgefu¨llte Ausgedehntheit (hier wre tatschlich an die absolute Leere des Vakuums zu denken), die nicht im Dienst der Aufnahme Gottes steht, wird als zutiefst beunruhigend empfunden. Wo mit Gott als Seeleninhalt nicht mehr zu rechnen ist,251 ¨ de‹,252 die neben Hunda ist die Leere gewissermaßen eine trostlose ›O ger und Durst nach Erfu¨llung qulenden Schmerz erzeugt. Indem sich die eigentlich homogene Leere der von Gott abgewandten Seele mit diesen negativen Empfindungen fu¨llt, ist die Seele diachron und synchron in ihrer Einheit bedroht. Sie kann in ihren Qualen nicht mehr zur Ruhe kommen und droht, in jedem Moment vom eigenen Leiden zerrissen zu werden. Mo¨glicherweise deutet das Verb ›stillen‹ hier außerdem darauf hin, dass die einmal begonnene Abkehrbewegung von Gott nicht mehr zum Stillstand gebracht werden kann. Wie fu¨r Schefflers Verse so ließe sich auch fu¨r Czepkos Monodistichon vermuten, dass sich der Abgrund immer weiter in die Tiefe ausdehnt und damit stndigen, pluralisierenden Formvernderungen unterworfen ist. In Czepkos Gedicht erscheint die Wahl der Abgrundmetaphorik relativ leicht nachvollziehbar. Eine Verbindung des darin beschriebenen Zustands der Schuld und der verstockten Gottesferne mit dem Bild des Abgrunds bietet sich schon deshalb an, weil in der christlichen Tradition neben dem Geist bzw. der Seele auch das Gewissen als abyssus bezeichnet wird.253 Vor allem aber die Tatsache, dass der gottfernste 250

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Vgl. etwa den Eintrag Arere, Arefacere, Aridum, Siccare, Exiccare, Exarescere in Lauretus, 1681/1971, S. 133–135, hier S. 133; Gerhard, 2000, S. 424–425 (16. Betrachtung). Der in Czepkos Versen enthaltene Gedanke, dass die Seele darauf ausgerichtet sei, in ihrer ganzen Ausdehnung von Gott erfu¨llt zu werden, und dass die nicht von Gott durchdrungene Seele ihren »gottentleerten« Zustand schmerzlich empfinde, zieht sich im christlichen Abendland durch die Jahrhunderte, vgl. Bauer, 1973, S. 14–20. Bauer weist ihn etwa schon bei Origines nach, vgl. ebd. S. 16; S. 79. Das Bild eines deus internus, das fu¨r diesen Kontext mit entscheidend ist, verfolgt er sogar noch weiter, nmlich bis in die vorchristliche Antike, zuru¨ck (vgl. ebd. S. 44–46). Vgl. zum negativen Aspekt der Leere und zur Charakterisierung des Herzens als ›o¨d‹ auch Heidrich, Peter: Leere I. (Art.). In: Ritter, Bd. 5, 1980, Sp. 157–158, hier Sp. 157. Zur Ambivalenz der Leere in der Seele, die einerseits als Su¨ndenfreiheit, andererseits aber als Gottverlassenheit bewertet werden kann, vgl. den Eintrag Desertum, Solitudo, Eremus in Lauretus, 1681/1971, S. 327–329, hier S. 328. Zum augustinischen Ursprung dieses Bildes vgl. Reiner, Hans: Gewissen (Art.). In: Ritter, Bd. 3, 1974, Sp. 574–592, hier Sp. 580. Mo¨glicherweise liegt dabei ein Bezug auf Sir 42,18 vor, vgl. dazu (allerdings recht vage) Stelzenberger, 1963, S. 60.

179 Ort, die Ho¨lle, zumeist als die unterste Weltregion imaginiert wird, lsst die Verbindung der Qualen einer von Gott abgewandten Seele mit der Abgrundmetaphorik sinnvoll erscheinen. Anders jedoch sieht die Lage in Schefflers Epigramm aus. Die aus Czepkos Monodistichon ableitbaren, tru¨gerisch einfachen Gleichungen Tiefe = ho¨llisch = bo¨se und Ho¨he = go¨ttlich = gut lassen sich auf die Abgrundmetaphorik in Schefflers Gedicht, die vor allem auf Ps 42,8 anspielt,254 nicht anwenden,255 denn hier wird Gott selbst als Abgrund bezeichnet. Wie in Greiffenbergs Strahlenmetaphorik und in Czepkos Bild vom Seelenabgrund erscheint auch in diesem Fall die vertikale Achse als die religio¨s bedeutsame, doch ist sie gleichsam umgepolt: Da Gott hier in der Tiefe statt in der Ho¨he verortet wird, ist das untere Ende der Achse positiv konnotiert. Und die Gott nachstrebende Seele muss sich, statt einen Aufstieg zu ihm zu unternehmen, in ihrer Anhnlichung an den Scho¨pfer vertiefen. In der zuletzt angefu¨hrten Deutung erscheint der Seelenraum erneut als dynamisches, unablssig weiter in die Tiefe vordringendes Gebilde, das wie der Seelenstrahl zwar durch seine klare Richtung stabilisiert, durch seine unausgesetzte Bewegung jedoch pluralisiert wird. Sollte der als dynamisch wahrgenommene Seelenabgrund, sei es durch kontinuierliche Geistes-Vertiefung, sei es durch einen gnadenhaften Quantensprung, schließlich zur vollstndigen Kongruenz mit dem Gottesabgrund und damit zu einer unio mystica gelangen,256 so nhmen damit sowohl die Pluralisierung wie auch die einheitsstiftende Stabilisierung der Seele noch einmal zu (vgl. zu diesen Auswirkungen der mystischen Vereinigung ausfu¨hrlich Abschnitt 3.3.2). Ebenso wie Seelenrume bisweilen explizit als rumlich gerichtete Gebilde beschrieben werden, ko¨nnen sie sich manchmal auch explizit jeder rumlichen Ausrichtung entziehen. Wie man sich dies vorzustellen hat und welche Konsequenzen ein solcher Zustand mit sich bringt, lsst sich sehr gut an einem weiteren Epigramm Czepkos und einigen dazu parallelen Textpassagen seiner Consolatio zeigen: SCHMALER WEG. Zorn oben, unten Quaal: Schuld fornen, hinten Tod. ¨ R! :/ zu Gott.257 Wohin? Ins Hertz: in dem /: O ENGE THU

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Zur Interpretation dieses Psalmenverses in einer Predigt Johannes Taulers vgl. Gndinger, 1980, S. 167–207, bes. S. 201. Die extreme Ambivalenz der christlichen Abgrund-Metaphorik wird etwa auch im Eintrag Abyssus in Sandaeus, 1640/1963, S. 33–36, deutlich. Vgl. zur Ortsgleichheit von menschlichem und go¨ttlichem Abgrund Libera, 2003, S. 243. Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 554 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« I,43).

180 Im ersten der beiden Verse wird der Raum von zwei Achsen bestimmt, einer senk- und einer waagerechten. Auf der vertikalen Achse liegen »Zorn« und »Quaal«, d. h. zu¨rnender, wachsamer (und gegebenenfalls auch schon richtender) Gottvater und ho¨llischer Strafort, whrend die horizontale Achse »Schuld« und »Tod« miteinander verbindet. Mag man auch die Vertikale zunchst allein rumlich verstehen, so kann die Horizontale von vornherein nur als zeitrumliche Achse wahrgenommen werden. Auf ihr wird zeitlich Aufeinanderfolgendes u¨ber die lokalen Bestimmungen ›vorne‹ und ›hinten‹ metaphorisch in eine linear-rumliche Struktur u¨bersetzt,258 die sich biographisch ›lesen‹ lsst: Am Ende einer Lebensgeschichte, die »fornen« mit der »Schuld« beginnt, steht »hinten« der »Tod« als »der Su¨nden sold«259 (Ro¨m 6,23). Bis hierher scheint sich der im Gedicht beschriebene Raum allein aus vier horizontalen bzw. vertikalen Gefahrenzonen zusammenzusetzen, die einander einerseits in Paaren polar gegenu¨berstehen, whrend sie andererseits alle kausal zusammengeho¨ren. Zorn, Tod und Qual lassen sich als die Resultate der auf der horizontalen Achse angesiedelten biographischen Verfehlungen (»Schuld«) verstehen. Im Fadenkreuz der Zeit- und Rumlichkeit, im »Chronotopos«,260 steht der (su¨ndige) Mensch, der Zeit und Raum in diesem Vers ganz unterworfen scheint. Von der furchteinflo¨ßenden Struktur der beiden raumzeitlichen Achsen hebt sich im zweiten Vers des Epigramms ein ›innerer‹ Raum ab, der gewissermaßen als Asyl bzw. als Fluchtpunkt in Frage kommt. Dieser Herzensraum, ein raumartiger Kernbereich der eigenen Person und damit zugleich ein Seelenraum, ist weder auf die Schuld noch auf den Tod, weder auf den Zorn noch auf die Qual gerichtet. Er weist weder nach hinten noch nach vorn, weder nach oben noch nach unten und entgeht doch auch der Gefahr in seiner bedenklich exponierten, unentschiedenen Mittelposition auf der Kreuzung bedrohlich-to¨dlicher Wege von allen zersto¨rerischen Krften zugleich zerrissen zu werden. Die von den destruktiven Achsen und Polen ausgehenden Bedrohungen sind fu¨r ihn offenbar vollstndig irrelevant, denn nur so kann er 258

259 260

Vgl. zu einem solchen Verfahren etwa Gibbs, 1994, S. 168–169. Schon im Mittelalter wird »die Raumdimension der Lnge als Zeitenlnge ausgelegt« (Ohly, 1977, S. 182), also die Zeit mit der eindimensionalen geometrischen Figur der Linie assoziiert, vgl. Ohly, 1977–2, S. 178–187, S. 244–245. Biblia, Bd. 3, 1974, S. 2279. Fu¨r die Literaturwissenschaft wurde der Begriff des »Chronotopos« von Michail Bachtin geprgt. In Bachtins Definition zu diesem aus der »mathematischen Naturwissenschaft« stammenden Terminus wird »die Zeit als vierte Dimension des Raumes« wahrgenommen (Bachtin, 1989, S. 7). »[R]umliche und zeitliche Merkmale« verschmelzen im Chronotopos »zu einem sinnvollen […] Ganzen. […] Die Merkmale der Zeit offenbaren sich im Raum, und der Raum wird von der Zeit mit Sinn erfu¨llt und dimensioniert« (ebd. S. 8).

181 sich als Zufluchts- und Rettungsort u¨berhaupt anbieten. Dass der Herzens- bzw. Seelenraum von den gewaltigen Gefahren des Umraums unbehelligt bleibt, erscheint zunchst paradox. Seine Ursache hat die besondere Konstitution dieses Innenraums darin, dass er seinerseits nur als Hu¨lle eines innersten Bezirks erscheint: Im Herzen findet sich eine weitere, enge Tu¨r (vgl. Joh 10,9 und vor allem Lk 13,24), durch die man in das Allerheiligste, »zu Gott«, gelangt. Wir haben es beim Aufbau dieses psychischen Raums also mit einer jener architektonischen Kern-Hu¨lle-Strukturen zu tun, wie sie bereits in Abschnitt 3.1.2 untersucht und in ihrer Viel-Einheitlichkeit beschrieben wurden. Mit der Prsenz Gottes im Herzens- bzw. Seelenraum wird die auf den ersten Blick sonderbar privilegierte Stellung des Psychischen im bedrohlichen Umraum verstndlich. Fu¨r den Menschen als rumlich verortetes Ko¨rperwesen bilden – im symbolischen Zusammenhang ebenso wie in der alltglich-leiblichen Erfahrung – Horizontale und Vertikale die Hauptachsen seines Raumerlebens.261 Gott dagegen ist, wie auch in der barocken Lyrik immer wieder betont wird,262 von sich aus ortlos. Aus seiner raum- und ebenso auch zeitunabhngigen Perspektive sind die raumzeitlichen Dimensionen als einander »quivalent« einzustufen,263 chronologische Zeitverlufe und die Vorstellung eines Oben und Unten verlieren aus go¨ttlicher Sicht ihren Sinn. Insofern in Czepkos Versen der ortlose, u¨ber allen relativen Raumstrukturen stehende Scho¨pfer im Herzensraum ›verortet‹ wird, ist es letztlich alles andere als paradox, wenn innerhalb dieses psychischen Raums die unheilvoll-destruktive Wechselwirkung zwischen den vier Polen bzw. den zwei Hauptachsen der Umgebung aufgehoben ist. Soll Gott in einem psychischen Innenraum prsent sein – und in dieser Prsenz liegt das wirklich Unbegreiflich-Paradoxe –, dann erscheint es nur konsequent, wenn sein Aufenthaltsraum sich nicht in irgendwelche zuvor entworfenen Koordinatensysteme einordnen lsst. Geradezu notwendig muss sich ein vom ortlosen Gott bewohnter Herzensraum in einen Nicht-Ort, einen utopischen Raum, verwandeln. 261 262

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Vgl. Gehlen, 1998, S. 385. Vgl. etwa Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 588 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« ¨ ber Zeit: Ort: Wesen: Bin ich genesen«), hnlich auch Abschatz, II,100 – (»U 1704/1970, S. 76 (»Himmels=Schlu¨ssel« – »Uber die Worte der Scho¨pffung: Jm Anfang schuff GOtt Himmel und Erden« (»O Anfang sonder Ort / o Anfang sonder Ende«)). In Abschatz Versen gibt es das Ich schließlich auf, Gott, den »Anfang sonder Ort«, zu fragen, wo er vor der Scho¨pfung des Kosmos war: Verzeihe / wo sich hier mein Vorwitz hat vergangen / Und nachgeforscht von dir / was unergru¨ndlich ist. Du wohntest in dir selbst / an keinem Ort gefangen / Da / wo du heute noch und immer wohnend bist. Merleau-Ponty, 1966/1974, S. 208.

182 Nimmt das Verhltnis zwischen dem Scho¨pfer und seinem Gescho¨pf noch weiter an Innigkeit zu, so kann der Mensch sogar fu¨r den umgebenden Raum die mystische Erfahrung einer außer Kraft gesetzten (zeit-)rumlichen Struktur machen: ¨ berall findet ein solches Gemu¨the Ruhe. U ¨ ber ihm. In Gott, der ihm zu U gefallen Mensch wird, daß er ihm zu gefallen Gott seyn solte. Unter ihm. Seine demu¨thige Natur, in die ohn Unterlaß Gott mit allem, was er leisten kan, wirkend ist. Vor ihm den ewigen Tag, da er nichts bekannt, als sich. Hinter ihm das unendliche Leben, das von dem Tode ihm bereitet. In ihm der allertieffste Abgrund der allerho¨chsten Einigkeit. Und dis ist weder dis, noch das, noch dennoch ist es, was es ist, und ist ho¨her u¨ber dis und das, als der Himmel u¨ber der Erden […].264

In diesem Zitat aus Czepkos Consolatio entzieht sich der Umraum nach der Wahrnehmung des seelenquivalenten265 menschlichen Gemu¨ts allen menschlichen Maßstben fu¨r Raum und Zeit: Außerhalb seiner selbst – allein schon diese Selbsttransgression ist rumlich schwer nachvollziehbar – findet das »Gemu¨the« in der Horizontalen und der Vertikalen nur noch den zugleich auch in ihm enthaltenen Gott bzw. das nunc stans der unio mystica. So, wie dem Ich im Außen¨ berzeitlichkeit Gottes raum alle Polaritt durch die Omniprsenz und U 266 aufgehoben erscheint, erlebt es analog dazu auch im eigenen Innenraum an sich unvereinbare rumliche Gegenstze in einer wundersamen »Einigkeit«:267 »In ihm der allertieffste Abgrund der allerho¨chsten Einigkeit.« Eine solche Verso¨hnung rumlicher Gegenstze im Gemu¨ts- bzw. Seelenraum lsst sich zunchst als eine erhebliche Stabili264 265

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Czepko, Bd. 5, 1992, S. 164–165 (1. Buch). Die große begriffliche Nhe zwischen den Ausdru¨cken ›Gemu¨t‹ und ›Seele‹ speziell bei Czepko zeigt sich unter anderem auch in der Consolatio selbst. So heißt es in diesem Text etwa einmal, dass das Gemu¨t (und nicht, wie in der barocken Tradition zu erwarten, die Seele) sich im Tod vom Leib losreiße und »u¨ber alle Himmel Himmel« fliege (Czepko, Bd. 5, 1992, S. 175 (2. Buch)). In einem anderen Monodistichon Czepkos wird als Alternative zu dieser Raumwahrnehmung ein Zustand entworfen, in dem der Mensch den Polen des Außenraums mystisch entru¨ckt wird, ohne deshalb diese selbst als aufgehoben zu betrachten: HALT DICH AN GOTT. ¨ LLE dort: umb keines leide Noth: Hier HIMMEL, HO Dann u¨ber IHM, /: da bleib :/ und unter IHR ist Gott. Hier wird das Du des Lesers aufgefordert, Himmel und Ho¨lle auf nicht mehr nachvollziehbare Weise in ihrer Position rumlich zu u¨ber- bzw. unterbieten (Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 563 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« I,88)). Vgl. ganz hnlich die Verse 13–14 von Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 69 (»Ruhe der unergru¨ndlichen verlangen« (»NVr ruhe / meine Seel / in Gottes tieffen wunden«)). Vgl. zu derartigen mystischen Paradoxien auch die Ausfu¨hrungen Maximilian Bergengruens zur rumlichen und zeitlichen coincidentia oppositorum in den Epigrammen Schefflers (Bergengruen, 2007, S. 180–186).

183 sierung desselben interpretieren. Nichts, noch nicht einmal der schrfste, in seinem Innern hergestellte Kontrast, kann in diesem Zustand noch zu seiner Spaltung oder Pluralisierung beitragen, alles wird durch die Prsenz der go¨ttlichen »Einigkeit« harmonisiert und zur Synthese gefu¨hrt. Da jedoch ein Seelengebilde, in dem Tiefe und Ho¨he zusammenfallen, keine nachvollziehbare Dimensionalitt mehr aufweisen kann, geschieht dies letztlich um den Preis des totalen Rumlichkeitsverlusts. Wenn man der trotz allem noch Rumlichkeit suggerierenden Ortsbestimmung ›in ihm‹ Rechnung tragen wollte, dann ließe sich das Gemu¨t allenfalls als ein »raumlose[r] Raum«268 bezeichnen. Bringt man diese Seelenbeschreibung mit dem Seelenraum aus Czepkos zuletzt zitiertem Monodistichon in Verbindung, indem man ein zeitliches Nacheinander zwischen beiden Texten herstellt, so verwandelt sich die rumliche in eine raumlose Seele. Diese radikale psychische Vernderung stellt die diachrone Identitt – und damit auch die diachrone Einheit – des Seelengebildes massiv in Frage, mag dessen Endzustand auch synchron als hochgradig einheitlich einzustufen sein. Bisher wurden die zwei furchteinflo¨ßenden Achsen bzw. die vier bedrohlichen Pole des im Monodistichon entworfenen (Zeit-)Raums als genuin extrapsychische verstanden. Wie an den folgenden Versen Schefflers deutlich werden mag, ko¨nnen sie alternativ dazu aber auch von vornherein als bloße Projektionen subjektiv-psychischer Strukturen interpretiert werden, die der Mensch zu Unrecht fu¨r außerhalb seiner Seele liegende Gro¨ßen hlt: Der Orth ist selbst in dir. Nicht du bist in dem Orth / der Orth der ist in dir! Wirfstu jhn auß / so steht die Ewigkeit schon hier.269

In diesem Epigramm wird die oben erwhnte go¨ttliche Standpunktlosigkeit zum objektiven Maß aller Dinge. Die ›alltgliche‹ menschliche Raumwahrnehmung wird dagegen als illusionr eingestuft. Die rumlich scheinbar extremen mystischen Zustnde in den beiden vorangehend untersuchten Texten kommen aus dieser Perspektive einfach dadurch zustande, dass der Mensch in der Vereinigung mit Gott seine beschrnkt-selbstbetru¨gerische Sicht auf die Welt aufgibt. Dadurch, dass er in der unio mystica auf seinen inneren »Orth«, d. h. den (subjektiven) Standpunkt der menschlichen Wahrnehmung, verzichtet, wird 268 269

Schmidt-Biggemann, 1992, S. 29. Scheffler, 2000, S. 54 (I,185). Vgl. zu diesem Text und hnlichen Epigrammen Schefflers, in denen der Raum wie auch die Zeit als subjektive Gro¨ßen erscheinen, schon Neuwinger, 1937, S. 202–212.

184 er anstelle des bisherigen rumlich-raumzeitlichen Koordinatensystems ganz von selbst die (wahre) Ort- bzw. Raumlosigkeit der »Ewigkeit« erkennen. Seine Einsicht in die fru¨here Selbsttuschung geht dabei mit einer massiven Vereinfachung seiner bisher nach außen projizierten intrapsychischen Struktur einher: Das Auswerfen des menschlichen »Orth[s]« und seiner Koordinaten aus der eigenen Seele bedeutet zugleich eine radikale Vereinheitlichung des Psychischen. Whrend die zur go¨ttlichen Standpunktlosigkeit gelangte Seele außerhalb und innerhalb ihrer selbst lediglich noch ein »[H]ier« erkennt, das zugleich ein nunc stans ist, hat der in Todesangst befangene Su¨nder eine vo¨llig andere Raum- und Selbstwahrnehmung: ¨ ber Ja dis, wohin er gedenckt, wird ihm zu einer unaufho¨rlichen Qulung. U ihm Gott, den er mit dem Wahn seiner Su¨nden beleidiget. Unter ihm alle Angst und Schmertzen der Ho¨llen. Vor ihm, das strenge Urthel und Ju¨ngste Gericht. Hinter ihm das letzte aller Dinge, den Tod. In ihm das ewige Gewissen, in dem alle Gedancken angeschrieben sind.270

Anders als im Monodistichon Schmaler Weg fu¨hlt sich der Mensch in diesem Textausschnitt aus der Consolatio nicht nur von allen vier Polen der horizontalen und vertikalen Hauptachsen her mit unterschiedlichen Qualen bedroht, sondern es ist ihm auch in sich selbst keine Ruhe vergo¨nnt. Er kann sich in den ußeren Gefahren nicht einmal mit einem Zufluchtsraum in seinem Innern tro¨sten. Bemerkenswerterweise nimmt der Su¨nder in sich u¨berhaupt keine intrapsychische Dreidimensionalitt, sondern nur eine zweidimensionale Gedankentafel wahr. Schenkt man seinem Eindruck von der Beschaffenheit seines Psychischen Glauben und geht man außerdem davon aus, dass sich die hier entworfene Seelengestalt aus jener des Monodistichons Schmaler Weg entwickelt hat, so wird man zwar keine vollstndige Destruktion der Seele, dafu¨r aber ihre Reduktion vom Raum zur Flche zu konstatieren haben. Der psychische Innenraum verliert seine Weite oder Tiefe und wird – in einem Akt massiver diachroner Pluralisierung – zweidimensional. Er mutiert vom schu¨tzenden Asylraum, der in sich noch einmal einen besonderen, von Gott erfu¨llten Innenraum, also eine Kern-Hu¨lle-Struktur, enthlt, zur dokumentierenden Gewissenstafel, die mit der (synchronen) Pluralitt der auf ihr verzeichneten gedanklichen Verfehlungen den Su¨nder erst recht dem Tod, dem Ju¨ngsten Gericht und der Verdammung271 preisgibt. Das Ausgeliefertsein des schuldbeladenen Menschen an alle ›gefhrlichen‹ Richtungen des Raums droht außerdem, ihn zu zerreißen und damit vollstndig zu 270 271

Czepko, Bd. 5, 1992, S. 160 (»Consolatio«, 1. Buch). Das vierte der ›vier letzten Dinge‹, das ewige Leben, fehlt hier als Perspektive.

185 pluralisieren. Der Su¨nder bleibt – im doppelten Sinne – ein allseitig ›Gerichteter‹, der nicht in die Geborgenheit der zeit- und raumlosen go¨ttlichen Gegenwart im Seelenraum entkommen kann. Gerade im Vergleich dieser Situation mit jener des Monodistichons wird auf beeindruckende Weise deutlich, welch großer Schritt es von der (gerichteten) Ein- und der (schreibtafelartigen) Zweidimensionalitt der Seele zu ihrer Dreidimensionalitt ist. ¨ berlegungen lassen sich die Auf der Basis der zuletzt angefu¨hrten U oben entworfenen Unterschiede zwischen der dreidimensionalen Seele einerseits und dem Seelenstrahl und der Seelenflche andererseits nun in ergnzter Form prsentieren: Anders als der Seelenstrahl hat der Seelenraum durch seine Dreidimensionalitt die Option, sich jedem Gerichtetsein im Raum und jeder Dynamik zu verweigern, ja er kann sich durch seine Geschlossenheit und selbstgenu¨gsame Vollstndigkeit im Extremfall sogar jeder Lagebestimmung in Bezug auf die Hauptachsen des Raums (und der Zeit) entziehen und dadurch einen Ort besonderer Stabilitt und Einheit darstellen. Die dreidimensionale Psyche kann dabei fu¨r die Gegenstnde oder Gestalten, die sie anders als ein- und zweidimensionale Seelengebilde aufnehmen kann, als Schutzraum fungieren. Was dem Seelenraum wesentlich angeho¨rt, kann grundlegend anderen Raum-, ja sogar Zeitgesetzen unterworfen sein, als jenen, die fu¨r den Außenraum gelten. Wie bei der Untersuchung der Kern-Hu¨lle-Metaphorik so konnten auch auf den vorangehenden Seiten die besondere Nhe zu Gott wie auch ihr Gegenteil, die vo¨llige Abwendung der Seele vom Scho¨pfer, als Ursache fu¨r besonders drastische Umgestaltungen des Seelenraums aufgewiesen werden. Auch im folgenden Abschnitt wird die Betrachtung der Auswirkungen, die das Gott-Seelen-Verhltnis auf den psychischen Raum hat, fortzusetzen sein. Dabei wird allerdings nicht die Untersuchung der Dimensionen, sondern die Frage nach der Ausdehnung des Seelenraums im Vordergrund stehen.

3.3.2 Seelenall und Seelenpunkt – Grenzflle des Seelenraums In ihrer Ausdehnung grenzwertige Seelenrume treten vor allem dort auf, wo sich die Seele in irgendeiner Weise an Gott anzugleichen bemu¨ht. So kann sie etwa durch eine bestndige, bis an die Grenzen des Vorstellbaren reichende Expansion die Aufnahme Gottes anstreben. Eine solche Erweiterung des psychischen Innenraums, wie sie bereits in der Bibel und in der Patristik entworfen wird, bezeichnet man als

186 dilatatio cordis bzw. animae.272 Konkret artikuliert wird der Wunsch nach einer radikalen Ausdehnung des Seelenraums etwa in Gerhardts bekanntem Weihnachtslied Ich steh an deiner Krippen hier: In den Ero¨ffnungsstrophen dieses Liedes tritt ein im (leiblichen) »Geblu¨the« wie im (psychischen) »Gemu¨the« ganz von Gott erfu¨lltes Ich (Strophe 2) dem neugeborenen Erlo¨ser gegenu¨ber und will sich diesem mit »Geist und Sinn /| Hertz Seel und Muth« u¨bergeben (Strophe 1).273 Auch wenn das Ich hier einerseits schon von seinem Heiland durchdrungen ist, sieht es doch andererseits die jetzigen Dimensionen seiner inneren Rume offenbar als nicht ausreichend fu¨r die vollstndige Aufnahme Gottes an. Sinn und Seele, so formuliert der Sprecher in Strophe 5 im Konjunktiv, mu¨ssten fu¨r diesen Zweck ungleich weitere innere Abmessungen besitzen: O das mein Sinn ein Abgrund wehr / Und meine Seel / ein weites Meer / Daß ich dich mo¨chte fassen!274

Die dilatatio275 wird hier bemerkenswerterweise noch nicht zu Ende gedacht. So ist selbst das weiteste Meer keineswegs grenzenlos, und es ist kaum vorstellbar, dass ein Ozean als Behltnis zur Aufnahme Gottes ausreichen ko¨nnte, wenn dieser hier nicht in seiner irdischen, anfnglich sogar von einer Krippe »umschrnkt[en]« Gestalt, sondern in seiner vollen Gro¨ße, also als der »Unumschrnkte«, von Sinn und Seele gefasst werden soll.276 Schon Luther weist schließlich in der zehnten Strophe seines kinder Lied[s] auff die Weinacht Christi (besser bekannt unter seinem Incipit VOm Himmel hoch, da kom ich her) darauf hin, dass die ganze Welt den Scho¨pfer nicht zu fassen vermo¨chte: 272

273

274 275

276

Vgl. dazu Ohly, 1986, Sp. 993–994; vgl. zum Problem bzw. »Wunder der Einwohnung des Unendlichen im Endlichen« (Ohly, 1977–3, S. 143–144), d. h. zu seiner Aufnahme im engen Herzen, auch Ohly, 1977–3, bes. S. 135–136, S. 138–144. Gerhardt, 1667/1975, S. 132 (V,54 – »Weynacht=Lied« (»JCh steh an deiner Krippen hier«)). Ebd. Zustzlich zu seiner rumlichen Bedeutung hat das Verb ›fassen‹ in diesen Versen natu¨rlich auch kognitive Implikationen, vgl. dazu Stockinger, 2008, S. 93: Hier wird das Fassen als ein Erfassen durch den Verstand gelesen. Vgl. dazu die zweite Strophe des von Omeis verfassten Weihnachtsgedichts »Uber Christi Wunder-Geburt« (Omeis, 1706, S. 6 (»EJn Kind kommt uns zu gut ins Leben«)): Der Scho¨pfer wird / was er geschaffen: man schauet GOtt im Stalle schlaffen: der Unumschrnkte wird umschrnkt. Den Gro¨ßten kan die Krippe wiegen / den Ho¨chsten sieht man unten liegen; Jhn du¨rstet / der uns alle trnkt.

187 Und wer die welt viel mal so weit Von eddelstein und gold bereit, So wer sie doch dir viel zu klein zu sein ein enges wigelein.277

Diese Strophe des beru¨hmten Weihnachtslieds macht eindru¨cklich deutlich, um wie viel die Ausdehnung Gottes den von Gerhardt entworfenen meeresartigen Seelen- und Sinnesraum u¨berschreitet, um wie viel mehr sich dieser Raum also auszuweiten htte, um Gott aufzunehmen. Mit der bemerkenswerten Tatsache, dass in der dreizehnten Strophe desselben Lutherlieds dann statt der Welt der »hertzen schrein« des Sprechers dem »Jhesulin« als »sanfft bettelin« dienen soll,278 kann man als Interpret auf unterschiedliche Weise umgehen. Mit Heinz Hillmann etwa kann man dieses »Raumparadox« einfach als eine »besondere Form der Aufhebung der Kohrenz in der Lyrik« betrachten. In diesem Fall eru¨brigt es sich, nach den Konsequenzen zu forschen, die sich aus der Aufnahme des »unendlichen Gottes« in die Seele bzw. das Herz ergeben.279 Oder aber – und dieser Weg soll hier beschritten werden – man versucht beide Textstellen u¨ber den Gedanken der dilatatio cordis miteinander zu verbinden. Dann hat man von Luthers Versen ausgehend danach zu fragen, ob etwa die rumliche »Progressionsmystik« eines Giordano Bruno, »de[r] Rausch einer entgrenzenden Selbstu¨berbietung der Imagination«,280 in welchem der (ußere) Raum u¨ber jede Vorstellbarkeit hinaus gedehnt werden kann, ein Pendant in der fru¨hneuzeitlichen Seelenraummetaphorik findet: Begegnen uns in der Lyrik bis an die ußersten Grenzen oder in die Grenzenlosigkeit geweitete Seelenrume? Und, falls dies zu bejahen ist, welchen ontologischen Status besitzen solche allumfassenden, gegebenenfalls sogar unendlichen Gebilde? Wie wirkt sich diese besondere rumliche Struktur auf die Kohrenz des Seelischen aus? Gute Beispiele fu¨r einen durch Expansion zu einer kaum oder nicht mehr fasslichen Gro¨ße angewachsenen Seelenraum finden sich im Cherubinischen Wandersmann Schefflers: Erweitert mustu seyn. Erweitere dein Hertz / so gehet GOtt darein: Du solt sein Himmelreich / Er wil dein Ko¨nig seyn.281

277 278 279 280 281

Luther, 1985, S. 289. Ebd. S. 290. Hillmann, 2005, S. 26. Koschorke, 1990, S. 31. Scheffler, 2000, S. 87 (II,106).

188 Die weite der Seelen. Die Welt ist mir zu ng / der Himmel ist zu klein: Wo wird doch noch ein Raum fu¨r meine Seele seyn?282

Die Gro¨ße oder, wie Scheffler schreibt, die »Weite« der Seele lsst sich schon im ersten Epigramm nur schwer ermessen, da die Ausdehnung des von Gott bewohnten »Himmelreich[s]« nicht zu fassen ist. Rumlich noch problematischer ist indes das zweite Epigramm, in welchem die Seele die schon an den Grenzen unseres Vorstellungsvermo¨gens liegenden Rume ›Welt‹ bzw. ›Himmel‹ an Gro¨ße noch zu u¨bersteigen scheint. Dieser Text soll im Folgenden ausfu¨hrlicher betrachtet werden. Zu seinem besseren Verstndnis hat man sich zunchst zu vergegenwrtigen, dass die im zweiten Vers dieses Gedichts gestellte Frage nach einem Raum jenseits von Himmel und Welt gerade zu Schefflers Zeiten erhebliche Relevanz besitzt. Gerade in der Fru¨hen Neuzeit wird heftig u¨ber die Beschaffenheit des gro¨ßten denkbaren, alle einzelnen Raumsegmente umfassenden ›Gesamt-Raums‹ diskutiert.283 Fu¨r ihn bieten sich grundstzlich zwei Alternativen: Entweder ist er als endliches, alles Seiende inkludierendes oder als unendliches Gebilde zu denken, das dann nicht nur alle Gegenstnde, sondern auch Leere in sich fassen kann. Diese beiden Mo¨glichkeiten werden schon in der Physik (4. Jahrhundert v. Chr.) des Aristoteles entworfen,284 die fu¨r die abendlndischen Tradition der Raumwahrnehmung von großer Bedeutung ist. In diesem Text kommt der Philosoph letztendlich zu dem Ergebnis, dass der GesamtRaum endlich sein mu¨sse.285 Erst allmhlich und mit einer langen, bis ¨ bergangszeit wird, wie Alins 17. und 18. Jahrhundert dauernden U brecht Koschorke in seiner Geschichte des Horizonts ausfu¨hrt, der Raum in Philosophie und Astronomie als unendlich wahrgenommen.286 Dadurch aber tritt er in ein Spannungsverhltnis zu Gott,287 handelt es sich doch bei der Unendlichkeit um ein in der mittelalterlichen288 Theo282 283 284 285

286

287 288

Ebd. S. 54 (I,187). Vgl. etwa Koschorke, 1990, S. 34–47. Vgl. Aristoteles, 1987, S. 172–173 (»Physica« IV,5 212b). Vgl. Koschorke, 1990, S. 25–26; vgl. zum aristotelischen Raumkonzept auch Bollnow, 1994, S. 28–30; Jammer, 1980, S. 16–22. Allgemein zur Frage der Existenz eines unendlichen, leeren Raums in der Antike vgl. außerdem Burkert, 1996, S. 60, S. 78–81. Vgl. Koschorke, 1990, S. 32. Auch fu¨r die Mathematik (und damit auch fu¨r die Geometrie) kann Christian J. Emden eine »relativ spte«, nmlich erst »in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts« erfolgende »Aufnahme des unendlichen und unbegrenzten Raums« in die wissenschaftliche Diskussion feststellen (Emden, 2005, S. 117). Vgl. Koschorke, 1990, S. 32. Zur Raumdiskussion in der mittelalterlichen Philosophie und Theologie vgl. etwa Sto¨rmer-Caysa, 2007, S. 26–34.

189 logie entscheidend gewordenes Attribut des Allmchtigen.289 Schließlich wird es sogar mo¨glich, die ußerst beunruhigende Frage zu stellen, wo Gott »in einem unendlichen Universum« u¨berhaupt (noch) seinen Ort hat. Die mo¨glichen Antworten auf diese Frage fasst Livia Datteri Rasmussen wie folgt zusammen: »Die beiden verbleibenden Lo¨sungsmo¨glichkeiten bestanden darin, daß Gott entweder u¨berall war oder aber sein Sitz nicht mehr konkret zu bestimmen war.«290 Ist das in der Fru¨hen Neuzeit viel diskutierte Problem der Grenzen und der Beschaffenheit des Raums zunchst vor allem ein kosmologisches und theologisches, so wird in Schefflers Epigramm deutlich, dass es unter Umstnden auch ein psychologisches sein kann. In einer ersten deutenden Annherung lsst sich das oben zitierte Gedicht so interpretieren: Die Seele des Sprechers ist in diesen Versen schon so weit auf die Aufnahme Gottes vorbereitet (bzw. hat ihn bereits so weit in sich aufgenommen), dass sie sich nur noch in den traditionell allein ihrem Scho¨pfer zugesprochenen rumlichen Dimensionen entfalten kann. Wie ihrem Scho¨pfer so sind auch ihr mit 1. Ko¨n 8,27 »der Himel vnd aller himel himel«291 zu klein.292 Wo Gottes Gro¨ße zum Maßstab werde, so erklrt das Ich in einem anderen Epigramm Schefflers, mu¨sse 289

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Vgl. Koschorke, 1990, S. 28–29; hnlich Emden, 2005, S. 111. Auch trgt, wie Max Jammer gezeigt hat, in der ju¨disch-kabbalistischen Tradition, die in der Fru¨hen Neuzeit zumindest teilweise rezipiert wurde, Gott immer wieder selbst den Namen des Raums oder des Ortes, vgl. Jammer, 1980, S. 28–36. Datteri Rasmussen, 1993, S. 195. Zur Omniprsenz Gottes vgl. auch Jammer, 1980, S. 121–122; Koschorke, 1990, S. 36. Biblia, Bd. 1, 1974, S. 642. Vgl. zum alttestamentlichen Kontext von 1. Ko¨n 8,27 auch Evers, 2000, S. 116. Diese Bibelstelle zur u¨berhimmlischen Gro¨ße Gottes verarbeitet eindru¨cklich auch Greiffenberg in der nachfolgend zitierten ersten Strophe eines Gedichts aus der dritten ›Geburtsbetrachtung‹. Allerdings stellt sie darin keine Expansions-, sondern nur eine flugartige Aufwrtsbewegung der Seele dar (Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 190): Meine Seele! setze dich auf des Geistes Adler / fliege / wann auch solcher schwu¨nge sich Himmel-an / dich nicht vergnu¨ge / weil es noch zu nieder ist / u¨ber aller Himmel Himmel / bring die GOtt-Verehrungs Cimbel / weil du hoch verpflichtet bist. Preiß in solcher Ho¨he GOtt / die zu seiner Gottheit Noth. Vgl. zur rumlichen Verortung Gottes etwa auch Jer 23,23–24; Hiob 22,12–14. Dasselbe ›Raumproblem‹ ergibt sich auch fu¨r das Lob bzw. die Ehre Gottes, vgl. ¨ berlegungen Greiffenbergs (Greiffenberg, Bd. 9, dazu etwa die folgenden U 1683/1983, S. 308 (6. Betrachtung)): […] singet auf dem wege des HErrn […] / daß die Ehre des HErrn JEsu groß seye / gro¨sser als Himmel und Erden: gro¨sser / als sie mit Engel= und men-

190 der »Himmel selbst fu¨r eine kleine Hu¨tte«293 geschtzt werden. Wenn die Seele im barocken Zweizeiler den Gedanken hegt oder sich gar dazu anschickt, den Himmel bzw. den Weltraum zu transzendieren, so wirft dies vor dem Hintergrund der zeitgeno¨ssischen Raumdiskussion zunchst die Frage nach dem Raumverstndnis auf, das diesen Versen zugrunde liegt: Wie positioniert sich Scheffler zur Mo¨glichkeit bzw. Unmo¨glichkeit eines unendlichen Raums? Einerseits ist es auf der Basis literaturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse mo¨glich, Scheffler ein aristotelisches Raumverstndnis zu unterstellen und die Grenze des Himmels hier als die ußerste Grenze des Raums zu verstehen, jenseits derer kein weiterer (leerer) Raum mehr existieren kann.294 Eine systematische Rezeption neuer Raumvorstellungen in der Lyrik findet etwa nach einer Studie von Christof Junker erst im 18. Jahrhundert statt. Die meisten Barockpoeten gehen Junkers Untersuchungen zufolge noch von einem aristotelisch-endlichen und ptolemisch-geozentrischen Raum aus.295 Tatschlich betrachtet, um hier nur ein Beispiel zu geben, etwa Martin Opitz in seinen Erluterungen296 zum Lehrgedicht Vesuuius (1633?) den Himmel ganz eindeutig als den ›Maximalraum‹, wenn er von ihm anmerkt:

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schen=zungen / wann deren tausend Himmel und Welt voll wren / ko¨nte ausgesprochen werden. Im Schfferischen / oder Geistlichen-Abend=Lied der Verliebten (»JEtzund in der Schatten-Stille«) aus Greiffenbergs zehnter ›Geburtsbetrachtung‹ (Greiffenberg, Bd. 4, 1678/1983, S. 947) liest man einen ganz hnlichen Gedanken in Versen: Jhr blank-blitzend-helle Sternen! helfft mir preißen meinen Schatz. strahlet aus in alle fernen (weil zu klein der Erden-Platz) seines Lobs Unendlichkeiten u¨bertrifft auch eure Weiten; aller Himmel-Kreiße Raum klecken einem Pu¨nctlein kaum. ¨ berlegungen zur »Nichtfassbarkeit der Gro¨ße und Vgl. dazu auch Benthiens U Gu¨te Gottes in der lyrischen Rede« als »movens des unentwegten Schreibens« bei Greiffenberg (Benthien, 2005, S. 134). Scheffler, 2000, S. 278 (VI,214 – »Nichts ist groß als GOtt«). Vgl. Aristoteles, 1987, S. 172–173 (»Physica« IV,5, 212b); dazu Bollnow, 1994, S. 30. Vgl. Junker, 1932, S. 19–34. Diese These ist keineswegs unumstritten, sondern sie wird in der spteren Forschungsliteratur immer wieder diskutiert, vgl. etwa Richter, 1972, S. 19–25; Datteri Rasmussen, 1993. Bruno Rieder stimmt Junker im Wesentlichen zu, vgl. Rieder, 1991, S. 10–28. Zur fru¨hneuzeitlichen Tradition solcher ›Eigenkommentare‹ vgl. etwa Martin, 2008, bes. S. 144–147.

191 Vnd ist die Gro¨sse des Himmels darumb vber alle Gro¨sse / weil kein anderer Co¨rper ein weitere Gro¨sse hat oder haben kan / vnnd er alle andere der Welt Co¨rper in sich begrieffen vnd verfasset hat.297

In einem solchen Weltentwurf ko¨nnte Gott nur insofern mit 1. Ko¨n 8,27 als vom Himmelsraum nicht zu fassendes Wesen gedacht werden, als er von vornherein u¨ber (d. h. jenseits) aller Rumlichkeit steht bzw. – trotz seiner gleichzeitigen Allgegenwart – ortlos ist. Das Ziel der Ortlosigkeit bzw. der Entrumlichung htte dann auch die Seele, die in der Aufnahme Gottes u¨ber den Himmel hinaus strebt. Im Blick auf die germanistische Literatur zur Raumfrage im 17. Jahrhundert ko¨nnte man es aber andererseits auch rechtfertigen, Scheffler aus der großen Gruppe der mit traditionellen Raumbegriffen arbeitenden Barockdichter auszunehmen. Zumindest Randolf Quade geht davon aus, dass »Comenius, Opitz, Franckenberg, Czepko, Scheffler, Gryphius, Kuhlmann usw. Schriften von Kopernikus, Galilei und Bruno« gelesen (oder wenigstens deren Ansichten gekannt) htten und dass gerade von Scheffler die Schriften dieser Wissenschaftler aufgeschlossen-positiv rezipiert worden seien.298 Unter diesen Umstnden wre es theoretisch denkbar, dass Scheffler einer Seele tatschlich die Mo¨glichkeit einrumte, jenseits von Welt und Himmel – bzw. jenseits von deren bisher gu¨ltigen Grenzen – einen unbegrenzten und dann wenigstens zum Teil auch leeren Raum zu finden. Seine Verse besagten nach dieser Lesart vor allem, dass die Seele mit dem Platz, der ihr im »universale[n] Raum« des Aristoteles299 zur Verfu¨gung steht, nicht auskme.300 Da das Ich in Schefflers Epigramm die Antwort auf seine Frage, wo seine Seele Raum finden ko¨nnte, schuldig bleibt, wird die Raumsuche jenseits des traditionellen »sphrischen Kosmos«301 zwischen Mo¨glichkeit und Unmo¨glichkeit in der Schwebe gehalten. Je nachdem, welche Antwort man jeweils voraussetzt, ergeben sich fu¨r den Seelenraum andere, jedoch in jedem Fall schwerwiegende ontologische Konsequenzen. 297 298

299 300

301

Opitz, 1644/1967, S. 45. Quade, 2001, S. 66–67. Quade will Schefflers (wenigstens indirekte) Bruno-Rezeption vor allem mit dem Epigramm I,141 aus dem Cherubinischen Wandersmann belegen. Jammer, 1983, S. 18. Mo¨glicherweise ko¨nnten in dem Empfinden der Seele, dass ihr selbst der Himmel zu klein ist, auch Spuren einer gnostischen Auffassung vom Weltraum enthalten sein, nach welcher »[d]ie Sphren des Himmels« dem Menschen »zu undurchdringlichen […] Mauern des Kerkers seiner Weltgefangenschaft« (Blumenberg, 1985, S. 32) werden. Koschorke, 1990, S. 24.

192 Nimmt man an, dass auch Scheffler noch dem ›alten‹ Weltbild anhngt, dann wird durch das Bestreben der Seele, die Grenzen des Himmels zu u¨berschreiten, der Seelenraum auf existentielle Weise bedroht: Als u¨ber den Rand des Himmels hinaus drngende Gro¨ße302 ist er gewissermaßen zwischen Sein und Nichtsein anzusiedeln. Allenfalls in der Kongruenz mit dem ganzen Welt- und Himmelsraum ko¨nnte der Seelenraum – auf einer letzten denkbaren Stufe des seelischen Ausdehnungsprozesses – gerade noch bestehen (wenn auch, wie noch zu zeigen sein wird, gleichfalls mit erheblichen ontologischen Schwierigkeiten). Jenseits dieser Maximalausdehnung kann er dagegen nur gnzlich kollabieren, so dass die Seele gewissermaßen einen Quantensprung von der gro¨ßtmo¨glichen finiten Ausdehnung in die vo¨llige Raumlosigkeit ¨ berschreiten der Raumgrenze, in welcher die vollziehen muss. Das U Seele der ihr metaphorisch zunchst attribuierten Rumlichkeit verlustig geht, ist dabei als eine Metamorphose einzustufen, die zu einer radikalen diachronen Pluralisierung des Psychischen fu¨hrt. Geht man dagegen von der Stimmigkeit der von Quade vertretenen Position aus, muss man die Verse Schefflers anders interpretieren. In diesem Fall wre Schefflers Monodistichon als provozierende Anspielung auf die Mo¨glichkeit und Notwendigkeit einer Transgression der altu¨berlieferten Sphrengrenzen zu lesen, die sich in der Raumdiskussion der Fru¨hen Neuzeit abzuzeichnen beginnt. Indem sich die ›alten‹ Himmelsgrenzen als »zu klein« fu¨r die maßlos expandierende Seele erweisen, erzwingt sie nach dieser Deutung den Schritt von der alten zur neuen Weltraumvorstellung. Die Transgression der u¨berholten Himmelsgrenzen durch den Seelenraum stellt – wenn auch auf andere Weise als die vorangehende Lesart – ebenfalls die diachrone Identitt des Psychischen in Frage. Ein u¨ber die bisherigen Himmelsrnder hinauswachsender, unendlich in den (leeren) Raum hinein expandierender, nirgends zum Stillstand kommender psychischer Raum kann nie mehr feste Raumgrenzen aufweisen. Dies aber bedroht, zumindest wenn er nach der bisher zugrunde gelegten Raumdefinition als ein Containerraum anzusehen ist, massiv seine diachrone Kohrenz, ja sogar seine bloße Fortexistenz. Bei jedem Behltnis nmlich spielt die »Binaritt« von Innen und Außen303 oder – folgt man Johnsons und ¨ berlegungen zum container schema – die Trias von Innen, Lakoffs U Außen und Grenze eine entscheidende Rolle: 302

303

Rieder weist zu Recht darauf hin, dass die »Peripherie des Himmels«, seine ußerste Sphre, selbst eine geistige ist und damit in besonderer Weise der ›GeistSeele‹ korrespondiert (Rieder, 1991, S. 33). Eine Seele, die daru¨ber hinaus strebt, strebt also auch u¨ber ihre Geistigkeit hinaus. Chilton, 1999, S. 30.

193 A container schema has the following structure: an inside, a boundary, and an outside. This is a gestalt structure, in the sense that the parts make no sense without the whole. There is no inside without a boundary and an outside, no outside without a boundary and an inside, and no boundary without sides.304

Dehnt sich die Seele, der es im ›alten‹ Himmelsraum zu eng geworden ist, immer weiter in die Leere des ihr neu ero¨ffneten unendlichen Raums aus, dann fehlt ihr, anders als dem wenigstens in seiner Achse festgelegten Seelenstrahl aus Abschnitt 3.3.1, nach allen Seiten die Grenze, u¨ber die ihr Innenraum von einem Außenraum geschieden werden ko¨nnte. Mit dem Verlust der individualittskonstituierenden »Selbstumgrenzung zum Außen«305 ho¨rt sie auf, ein Containerraum zu sein, so dass auch hier letztlich ein Sprung der Seele in die Raumlosigkeit stattfindet. In diesem Fall erscheint es sogar fraglich, ob die Seele u¨berhaupt noch als ein konkreter, in sich zusammenhngender und definierbarer Gegenstand zu bezeichnen ist. Schließlich geho¨rt gerade die »Limitation« etwa nach Ansicht Norbert Wokarts »als allgemeine Qualitt zu allen Dingen« und ist »eine ihrer inneren Bestimmungen«.306 Schon im 17. Jahrhundert gilt das »Unendliche« als »das ›Unbestimmte‹ bzw. ›Unbestimmbare‹«307 – das dann keine Einheit mehr darstellen kann. So geht Thomas Hobbes in seiner Schrift De corpore (1655) davon aus, dass man »[v]on einem unabgrenzbaren Raum […] nicht sagen« ko¨nne, »er sei ein Ganzes oder eins«.308 Vom Unendlichen kann man nach Auffassung Hobbes weder eine »Vorstellung« noch einen »Begriff« haben.309 Einem die alten Grenzen des Weltalls verlassenden Seelenraum, der sich immer weiter in den ›neuen‹, unendlichen Raum ausdehnt, kann nicht nur seine Grenzenlosigkeit zum Verhngnis werden. Auch die Tatsache, dass der Seelenraum unter diesen Umstnden – wie u¨brigens auch dann, wenn er sich in seiner dilatatio damit begnu¨gte, den ›alten‹ Welt- bzw. Himmelsraum gnzlich auszufu¨llen – alle Dinge in sich aufnimmt, dass er allumfassend wird, kann seine individuell-einheitliche 304 305

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Johnson/Lakoff, 1999, S. 32, hnlich argumentiert auch Chilton, 1999, S. 30. Wodianka, 2004, S. 302. An dieser Stelle geht Stephanie Wodianka auch auf die Probleme ein, die sich fu¨r die Individualitt der Einzelseele aus der unio mystica und ihren rumlichen Konsequenzen ergeben. Wokart, 1995, S. 280. Dass man fu¨r einen unendlichen Raum nur zu einer »von einem grundstzlichen Defizit geprgten«, nmlich »ho¨chst diffusen und formlosen Vorstellung ohne eigentliche Objektreferenz« komme, konstatiert auch Emden, 2005, S. 112. Emden, 2005, S. 118. Hobbes, 1997, S. 107 (II,12). Breidert, Wolfgang: Raum – II. Mittelalter bis zum Beginn des 18. Jh. (Art.). In: Ritter, Bd. 8, 1992, Sp. 82–88, hier Sp. 86.

194 Existenz auf drastische Weise in Frage stellen. Erstens umfasst er in diesem Fall eine extreme und in sich spannungsreiche Mannigfaltigkeit von Inhalten. Zweitens erscheint seine vo¨llige Kongruenz mit dem allgemeinen Raum identitts- bzw. individualittsgefhrdend, besonders wenn man die Auffassung Georg Simmels teilt, nach welcher es »nur einen einzigen allgemeinen Raum« geben kann.310 Zusammenfassend lsst sich festhalten, dass auch nach der zuletzt betrachteten Lesart von Schefflers Zeilen das Seelische u¨ber einen bestimmten Punkt der dilatatio hinaus nicht mehr in befriedigender Form rumlich gedacht werden kann: Auch hier muss das Seelische, wo es nicht seine Existenz einbu¨ßen soll, einen diachron pluralisierenden Rumlichkeitsverlust hinnehmen. Neben den beiden zuvor ero¨rterten Deutungsvarianten wre fu¨r Schefflers Verse schließlich auch noch eine dritte Lesart denkbar. Auch nach dieser htte man Scheffler als einen Verfechter der neu aufkommenden Vorstellung von der Unendlichkeit des Raums anzusehen. Gleichzeitig aber htte man die Verse so zu verstehen, dass die expandierende Seele sich nicht nur im ›alten‹ Himmel, sondern selbst im ›neuen‹, unendlichen (Himmels-)Raum beengt fu¨hlte und selbst ihn noch zu transgredieren strebte. Fu¨r eine Seele, die sich auch von der Grenzenlosigkeit noch nicht fassen lsst, bliebe dann erneut nur der (sie diachron destabilisierende) Quantensprung aus der Rumlichkeit in die Raumlosigkeit. Insofern alle oben angefu¨hrten Interpretationen der Verse Schefflers letztlich den Rumlichkeitsverlust der Seele behaupten, legen sie, zu¨ berlegungen nahe, dass in mindest nach dem bisherigen Stand der U bestimmten Extremsituationen der Mystik die metaphorische Entschrfung der beiden in den Abschnitten 1.4.1 und 1.4.2 entwickelten logischen Dilemmata auch ausbleiben kann. So erscheint es in der Seelenbildlichkeit des zuletzt untersuchten Epigramms unmo¨glich, die Viel- und die Einheitlichkeit des Seelischen harmonisch zusammenzudenken: Zwar wird einerseits der psychische Anteil des Menschen hier ausdru¨cklich mit dem Singular ›Seele‹ bezeichnet und als stabiler Trger der mystischen Erfahrung vorausgesetzt. Andererseits aber wird das Seelische in diesem Zustand seines einzigen Charakteristikums, der Rumlichkeit, beraubt und damit zur totalen Metamorphose, zur totalen diachronen Pluralisierung gebracht. Ebenso stellt in den bisherigen Deutungen die Seelenmetaphorik des Epigramms keine anschauliche Lo¨sung fu¨r das in der Begrifflichkeit nicht zu bewltigende Problem des Seele-Raum-Verhltnisses dar. Der Rumlichkeitsverlust ei310

Simmel, 1995, S. 134.

195 nes wesentlich durch seine Dreidimensionalitt bestimmten Gegenstands kann schwerlich als anschaulich-harmonische Illustration der Zwitterstellung des Seelischen zwischen Rumlichkeit und Unrumlichkeit gelten. Einen bisher noch nicht bedachten Ausweg aus dem Raumdilemma des Epigramms stellt eine vierte Deutungsvariante des Gedichtes dar, in der sich die vo¨llige Entrumlichung und Pluralisierung der Seele ebenso vermeiden lassen wie die fu¨r das 17. Jahrhundert noch problematische Annahme eines neuen, unendlichen Weltraums. Fu¨r diese Interpretationsalternative hat man in Betracht zu ziehen, dass dem außerhalb des Menschen situierten astronomischen Himmel in der Fru¨hen Neuzeit ein zweiter, allen astronomischen Diskussionen entru¨ckter Himmelsraum gegenu¨berstehen kann, der sich im Diesseits nur als ›mystischer Raum‹ (vgl. Abschnitt 3.1) erfahren lsst. So geht etwa der von Scheffler rezipierte311 Mystiker Bo¨hme, wie Gu¨nther Bonheim ausfu¨hrlich nachgewiesen hat,312 vor allem in seiner Morgen-Ro¨te im Aufgangk (1613) von einer »Ambiguitt des Worts Himmel«313 aus. In dieser Schrift heißt es: Nun mercke. Wan du deine gedancken von dem Himmel fassest / waß der sey oder wo der sey oder wie er sey / so darffstu deine gedancken nicht viel tausend meilen von hinnen schwingen / dan derselbe locus oder Himmel ist nicht dein Himmel. Vnd ob er gleich mit deinem Himmel verbunden ist / wie ein Leib / und es ist auch nur ein Leib GOttes / so bistu doch nicht in demselben loco, der u¨ber viel hundert tausend meilen ist / zur Creatur worden / sondern in dem Himmel dieser Welt / die auch eine solche tieffe in sich hat / daß keine menschliche zahl ist. Dan der rechte Himmel ist allenthalben / auch an dem orthe / wo du stehest und gehest / wan dein geist die innerste geburt Gottes ergreifft / und durch die Siderische und fleischliche hindurch dringet / so ist er schon im Himmel.314

¨ bertrgt man diese U ¨ berlegungen Bo¨hmes auf Schefflers Gedicht, so U kann einer selbst an den Grenzen des Himmels noch beengten Seele auch ganz ohne die Annahme eines unendlichen Weltraums oder ihren vollkommenen Verzicht auf jegliche Rumlichkeit aus ihrer Beengung geholfen werden. Wenn der ußere Himmel fu¨r die Seele in Schefflers Gedicht »zu klein« ist, so ko¨nnte das Ich jenen weiter ausgedehnten

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Vgl. etwa Kemper, 1988, S. 209. Vgl. Bonheim, 1997, S. 99–132. Auch Datteri Rasmussen setzt sich mit diesem Problem auseinander, vgl. Datteri Rasmussen, 1993, S. 189–205. Bonheim, 1997, S. 125. Bo¨hme, 1997, S. 339. Auch Luther macht den Himmel im theologischen Sinne von allen Ortsbestimmungen unabhngig, vgl. dazu Evers, 2000, S. 123–124; Elert, 1958, S. 220, S. 273–274, S. 364.

196 Raum, nach welchem es fu¨r seine Seele so eindringlich fragt, mo¨glicherweise in Bo¨hmes »rechte[m] Himmel« finden. Letzterer wre einerseits in der Lage, selbst eine unendlich ausgedehnte Seele problemlos in sich zu fassen, whrend er andererseits immer schon »an dem orthe«, wo das Ich sich aufhlt, vorhanden und zur Aufnahme der Seele bzw. des Geistes bereit ist.315 Tatschlich scheinen ausgerechnet jene beiden Epigramme, die dem hier analysierten Gedicht im Cherubinischen Wandersmann unmittelbar ¨ berlegungen vergleichbares Raumkonzept vorausgehen, ein Bo¨hmes U zu enthalten: Der Orth ist selbst in dir. Nicht du bist in dem Orth / der Orth der ist in dir! Wirfstu jhn auß / so steht die Ewigkeit schon hier.316 Der ewigen Weißheit Hauß. Die Ewge Weißheit baut: Jch werde der Pallast: Wann sie in mir / und ich in jhr gefunden rast.317

Besonders das erste der beiden hier zitierten Gedichte, das in anderem Zusammenhang bereits in Abschnitt 3.3.1 betrachtet worden ist, ge¨ berlegungen. Wie in Bo¨hmes Ausfu¨hrungen der mahnt an Bo¨hmes U »Himmel« so ist in Schefflers Versen die nicht nur zeitlich, sondern raumzeitlich zu denkende »Ewigkeit« jedem in mystischer Erfahrung begriffenen Ich zugnglich. Bringt man diesen Gedanken mit dem Raumproblem im oben ausfu¨hrlich untersuchten Epigramm von der beengten Seele in Verbindung, so ergibt sich fu¨r die Raumnot der Seele ein recht einfacher Ausweg. Sie muss nur erkennen, dass sie in ihrer 315

316 317

Auf einen solchen inneren Himmel deuten bisweilen auch die barocken Verse anderer Dichter, so etwa der folgende Ausschnitt aus einem geistlichen Lied Rists (III,3 – »Andchtiges Lied zu Gott. Umb ein gutes / stilles und ruhiges Gewissen« (»O Gott der du der Menschen Hertz un[d] Sinn«)), in dem es heißt (Rist, Teil 3, 1641–42/1976, S. 19): Jst doch zugleich der Himmel und die Ho¨ll Jn meiner Seel allhie / Den Bo¨sen plagt ja sein Gewissen schnell Er fu¨hlt es gar zufru¨e/ Ein jeder kan sich machen Die Ho¨ll und Himmel beyd […]. In Ku¨hlpsalm IV,8 – dem Sibeneinigen allgemeinen Abend-Nacht-Morgen-Mittagslid […] – ist in den Versen II,1–3 des 7. Zweitagsmorgentheils zu lesen (Kuhlmann, Bd. 1, 1971, S. 244 (»AN Gott glaub ich, der nur allmchtig«)): Ob Christi zukunfft herrlich blitzet, Und seine Heilgen unterstu¨tzet Im eignen himmel ihrer Seel […]. Scheffler, 2000, S. 54 (I,185). Ebd. (I,186).

197 Ausdehnung nicht an den ›ußeren‹ – sei es endlichen, sei es unendlichen – Welt- bzw. Himmelsraum gebunden ist, sondern dass ihr zustzlich der mystische Raum des inneren Himmels zu Gebote steht. In dieser Lesart lsst sich die Rumlichkeit der Seele auch angesichts ihrer Transgression des – sei es endlichen, sei es unendlichen – Weltraums retten. Das oben angedeutete Scheitern der Seelenraummetaphorik bei der unbegrifflichen Lo¨sung des Raumdilemmas ist damit vermieden. Zudem verbu¨rgt in dieser Deutungsvariante die Bewahrung der Rumlichkeit, d. h. die Rettung der einzigen Eigenschaft, welche die Seele in Schefflers Epigramm charakterisiert, wenigstens eine gewisse diachrone Kontinuitt des Psychischen auf der metaphorischen Ebene. Gleichzeitig jedoch kommt es auch in dieser Lo¨sungsvariante unu¨bersehbar zu einer ganz erheblichen diachronen Destabilisierung der Seele, denn auch beim Ru¨ckzug aus der ußeren Welt in den »rechte[n] Himmel« kann sie ihrem Leiden an der Limitation nur durch eine sprunghaft-radikale Vernderung Einhalt gebieten. Wechselt die Seele aus ihrer Zugeho¨rigkeit zur physikalisch-erforschbaren, konkreten Rumlichkeit in ein ganz anderes Bezugssystem, den (inneren) »rechte[n] Himmel«, so kann sie diesen Schritt nicht als eine graduelle OrtsVernderung vollziehen. Fu¨r eine metaphorisch nicht u¨ber ihren Inhalt, sondern nur u¨ber ihre Rumlichkeit erfasste Seele stellt schon ein solcher diskontinuierlicher Positionswechsel eine erhebliche Einheitsbedrohung dar. Vor allem aber ist man in dieser Interpretationsvariante mit dem Problem einer bisher noch nicht konstatierten, paradoxen Seelenraum-Reduplikation konfrontiert, die gleichfalls als eine deutliche Gefhrdung der psychischen Einheit betrachtet werden kann. Der »rechte Himmel« lsst sich, wie oben angedeutet, letztlich an keinem anderen Ort als in der Seele selbst herstellen, so dass sie beim ¨ bertritt in ihn zu ihrem eigenen Aufenthaltsraum zu werden htte. U Auch in dieser letzten Deutungsvariante Schefflers geht somit die radikale dilatatio animae, wenn auch nicht mit einem vollstndigen psychischen Einheitsverlust, so doch zumindest mit einer erheblichen Bedrohung der seelischen Einheit einher. Wie die drei zuvor dargestellten Interpretationsvarianten des Epigramms legt auch diese letzte Deutung den Schluss nahe, dass die Seelendehnung im Grunde nur eine Destabilisierung des Psychischen be¨ berlegungen allerdings ein wirkt. Damit ist in allen vorangehenden U Umstand unberu¨cksichtigt geblieben, der den Einheitsgefhrdungen durch die dilatatio animae gleichzeitig einen erheblichen psychischen Einheitsgewinn gegenu¨berstellt: Die dilatatio ist, wie zu Beginn des Abschnitts erlutert, nicht Selbstzweck, sondern sie dient zur Aufnahme des allumfassenden Gottes. Ein Gefß, das Gott an Gro¨ße u¨ber-

198 trifft und ihn so tatschlich zu umschließen vermag, kann die Seele in diesem Prozess zwar streng genommen niemals werden, ist doch die Gro¨ße Gottes nicht zu u¨berbieten. Wohl aber ist es ihr mo¨glich, eine rumliche Kongruenz mit ihm anzustreben. Zumindest auf der Basis bestimmter Formen der Raumwahrnehmung htte das Erreichen einer ¨ berlagerung mit Gott fu¨r die Seele drastische solchen vollstndigen U Konsequenzen: Nicht nur im euklidisch-geometrischen Raum ko¨nnen, wie Euklid im ersten Buch seiner Geometrie axiomatisch formuliert, einander deckende Objekte als gleich gelten.318 Auch auf der Basis eines (fu¨r Schefflers Verse vorauszusetzenden) mythischen Denkens ergibt sich aus der Kongruenz zweier Gegenstnde ihre Angleichung, wie ¨ berlegungen Cassirers zum »mythischen Raum« zeigen: die folgenden U Wie es dem mythischen Denken u¨berhaupt eigen ist, daß es bloß ideelle »hnlichkeiten« nicht kennt, sondern wie jede Art von hnlichkeit ihm als Zeugnis einer urspru¨nglichen Gemeinschaft, einer Wesensidentitt gilt – so gilt dies vor allem fu¨r die hnlichkeit, fu¨r die Analogie der rumlichen Struktur.319

¨ berlagerung Die in Schefflers Epigramm stattfindende rumliche U muss als besonders radikale Form der »Analogie der rumlichen Struktur« gelten. Gelingt der Seele dadurch, dass ihr, wie ihrem Scho¨pfer in 1. Ko¨n 8,27, der Himmelsraum zu klein wird, tatschlich die Kongruenz und damit im mythischen Denken zugleich die »Wesensidentitt« mit Gott, dann sind die oben diskutierten Extremformen des Seelenraums aus dieser Perspektive ganz anders zu bewerten. Man betrachte etwa die in der zweiten Deutungsvariante zu Schefflers Gedicht diskutierte unendlich-grenzenlose Seele: So, wie Gott trotz seiner Grenzenlosigkeit als Einheit320 bestehen kann,321 ist es auch der mit ihm kongruenten (d. h. wesensidentischen) Seele mo¨glich, sich ihre Existenz, Kohrenz, diachrone Stabilitt und Identitt in einer jenseits der (alten) Sphrengrenzen liegenden, nicht limitierten Ausdeh318 319

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Vgl. Euklid, 1991, S. 3 (1. Buch, 7. Axiom). Cassirer, 2002, S. 107. Cassirer denkt hier noch nicht einmal ausschließlich an ¨ berlagerung. Auch bei zwei weit entden Extremfall einer vo¨lligen rumlichen U fernten Gegenstnden ko¨nnen seiner Ansicht nach im mythischen Denken Strukturanalogien zu einer Verschmelzung fu¨hren, vgl. ebd. S. 107–108. Problematisch ist es aber, unter irdischen Bedingungen Gott als den Einen, als ¨ berleEinheit zu erkennen, vgl. dazu, besonders am Beispiel der theologischen U gungen Meister Eckharts, Sto¨rmer-Caysa, 1998, S. 104–105. ¨ berlegung veranlasst More dazu, u¨ber die Identifikation der »Attribute Diese U Gottes« mit den »Attributen des R[aums]« die Einheit des unendlichen Raums zu retten: »Die Attribute Gottes sind zugleich Attribute des R[aums]: Er ist unvernderlich, unvergnglich, unbeschreiblich, aber in seinen Attributen erfaßbar, einer, einfach, notwendig« (Breidert, Wolfgang: Raum – II. Mittelalter bis zum Beginn des 18. Jh. (Art.). In: Ritter, Bd. 8, 1992, Sp. 82–88, hier Sp. 86).

199 nung zu erhalten. Aus dieser Perspektive erscheint sie in ihrer Bestndigkeit und in ihrem Zusammenhalt gegenu¨ber ihrem vorhergehenden Zustand sogar noch gestrkt. hnliches ließe sich (immer auf der Basis eines mythischen Denkens und der darin vorgenommenen Identifikation von rumlicher Kongruenz und »Wesensidentitt«) auch fu¨r die anderen Deutungsvarianten zeigen. Die Angleichung an Gott wre in allen Fllen als entscheidendes Gegengewicht zu den oben dargestellten Gefhrdungen der psychischen Einheit zu bewerten. Fasst man aus der sich jetzt bietenden Perspektive die wesentlichen ¨ berlegungen zu Schefflers EpiErgebnisse der bisherigen komplexen U gramm zusammen, so ergibt sich Folgendes: 1. Um Gott aufnehmen zu ko¨nnen, strebt die Seele nach ihrer Ausweitung (dilatatio). 2. Schon beim Erreichen der ›raumlogisch‹ gerade noch vorstellbaren ¨ berlagerung Maximalform seelischer Ausdehnung, d. h. bei der U der Seele mit dem allumfassenden (und dabei gegebenenfalls auch unendlichen) Gesamtraum, wird dieser Expansionsprozess zur Gefahr fu¨r die Einheit und Individualitt des Seelenraums. 3. Wenn die Seele in ihrer mystisch-paradoxen Erweiterungsbewegung noch u¨ber die (sei es endliche, sei es gar unendliche) Maximalform der ußeren Ausdehnung hinausstrebt, droht ihr neben dem Verlust ihrer synchronen Kohrenz die Einbuße ihrer Rumlichkeit. Da das Seelische im untersuchten Text ausschließlich durch seine Rumlichkeit charakterisiert wird, ist infolgedessen auch von seiner massiven diachronen Pluralisierung auszugehen. 4. Der Rumlichkeitsverlust mag dadurch umgangen werden, dass die Seele sich dort, wo ihr der ußere Raum nicht (mehr) genu¨gend Ausdehnungsmo¨glichkeiten bietet, in einem mystisch-inneren »rechte[n] Himmel« entfaltet, der nicht an die Grenzen und Gesetze des Außenraums gebunden ist. Eine deutliche psychische Pluralisierung lsst sich allerdings auch dabei nicht vermeiden. 5. Der an den Grenzen des Ausdehnungsprozesses in jedem Fall unvermeidlichen Pluralisierung steht bei Erreichen der rumlichen Kongruenz mit Gott eine erhebliche Stabilisierung entgegen. Im Folgenden wird zu u¨berpru¨fen sein, ob hnliche Beobachtungen wie in diesem Fall auch an anderen grenzwertig oder auf paradoxe Art ausgedehnten Seelenrumen gemacht werden ko¨nnen. Untersucht werden soll zu diesem Zweck zunchst ein weiteres Epigramm Schefflers: Das Grosse im Kleinen. Mein Gott wie mag das seyn? mein Geist die nichtigkeit / Sehnt zuverschlingen dich den Raum der Ewigkeit!322 322

Scheffler, 2000, S. 119 (III,50).

200 In mancherlei Hinsicht unterscheidet sich die hier vom Sprecher ersehnte Situation des Geistes- bzw. Seelenraums von der zuvor untersuchten dilatatio animae bzw. cordis. Weder verlangt das Ich in diesen Versen nach einem maßlos geweiteten noch nach einem infinit expandierenden Seelenraum. Stattdessen wu¨nscht sich die in Relation zu Gott ›nichtige‹ Seele, einen Raum zu »verschlingen«, der sie an Ausdehnung u¨bersteigt. Dies widerspricht dem bereits oben (vgl. Abschnitt 3.1.1) angefu¨hrten und gewissermaßen in das Containerraum-Schema ›eingebauten‹323 logischen Grundsatz, dass das Ganze immer gro¨ßer sein mu¨sse als sein Teil. Hinzu kommt ein weiteres Paradoxon: Der menschliche Geist richtet in diesem Epigramm seine Sehnsucht darauf, Gott als den »Raum der Ewigkeit« in der unio mystica gewissermaßen wie im physischen Prozess der Nahrungsaufnahme zu inkorporieren [!], ihn mit einem abgrundartig-tiefen Schlund zu »verschlingen«. Dabei scheint der psychische Raum von allem, was er außer Gott in sich aufnehmen ko¨nnte, nicht gesttigt werden zu ko¨nnen – ein Gedanke, der etwa auch in einem Monodistichon Czepkos auftaucht: AUGEN UND SEEL UNERSTTLICH. Es wird ja keines satt, ob sich gleich kan verheelen Im AUGE sie die WELT, der HIMMEL in der SEELEN.324

Durch Schefflers Verleiblichung der seelenrumlichen Paradoxie vom »Grosse[n] im Kleinen« fu¨hlt man sich an das etwa von Greiffenberg eindru¨cklich formulierte theologische Problem der Aufnahme des unendlichen Gottes in den Leib Mariens erinnert: Wie »das weite Gottheit-Meer / in eine nge Schale /| des Jungfrulichen Leibs« hinein zu denken ist,325 bleibt rtselhaft und wunderbar, und dies umso mehr, als der go¨ttliche Ozean gleichzeitig auch außerhalb der Gottesmutter in seiner vollstndigen Gro¨ße fortbestehen muss.326 Die hnlichkeit der in Schefflers und Greiffenbergs Gedicht einmal fu¨r Maria und einmal 323

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Bei Johnson und Lakoff (Johnson/Lakoff, 1999, S. 31) heißt es im Zusammenhang mit dem Container-Schema: »Spatial relations also have built-in spatial ›logics‹ by virtue of their image-schemative structures.« Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 548 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« I,12). Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 68 (»Erklrung des [zweiten, M. D.] Sinnbilds« (»DAs weit / und breite Meer gantz unaufhaltlich fließet«)); vgl. zu diesem Text, zum »Sinnbild« selbst und zur zugeho¨rigen ›Geburtsbetrachtung‹ Greiffenbergs ausfu¨hrlich Kundert, 2007; Foley-Beining, 1997, S. 48–51. Vgl. dazu die Fortsetzung der oben zitierten Textpassage aus der Erklrung des [zweiten, M. D.] Sinnbilds (Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 68): […] daß sie [d. h. Maria, M. D.] den wahren GOtt wu¨rk-wesentlich empfang / und doch ohn Abgang-Noht das u¨brig hohe Meer / frey unbeschrnkt fortstu¨rzet […].

201 fu¨r die Seele verwendeten rumlichen Metaphorik ist kein Einzelfall. In zahlreichen barocken Gedichten werden die Muttergottes und die menschliche Psyche explizit miteinander parallelisiert oder sogar gleichgesetzt.327 Will man den zu verschlingenden »Raum der Ewigkeit« in seinem Verhltnis zum Geistes- bzw. Seelenraum recht verstehen, so muss man ihn zunchst separat betrachten. Whrend das Nomen ›Raum‹ an ein dreidimensionales Gebilde denken lsst und der Ausdruck ›Ewigkeit‹ fu¨r sich allein genommen in Opposition zur Zeit (d. h. zur vierten Dimension) steht, bezeichnet die Metapher vom »Raum der Ewigkeit« ein Wesen, das Raum und Zeit zugleich, das den irdischen Chronotopos (vgl. Abschnitt 3.3.1) u¨berragt. Dabei wird die an sich unrumliche Ewigkeit verrumlicht.328 Ein anschauliches Beispiel dafu¨r, dass die Ewigkeit in diesem Fall unermessliche Dimensionen besitzen muss, begegnet dem Leser im Lehrgedichte von der Ewigkeit aus dem zweiten Teil der Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden (1651). Verschiedene Maler sind darin vor die Aufgabe gestellt, die ihnen personifiziert gegenu¨berstehende Ewigkeit zu malen. Die Letztere kommentiert jedes ihrer Portrts unmittelbar nach der Entstehung und kann dabei deren Urheber davon u¨berzeugen, sie nicht adquat abgebildet zu haben. Zum Werk des sechsten und letzten Malers heißt es schließlich: Der sechste mahlte ein O. dessen Anfang und Ende nicht zu unterscheiden. Von diesem sagte die Ewigkeit / daß es ein Schatten seyn ko¨nne ihres unendlichen Wesens / wann dardurch verstanden werde ein gro¨sserer Umbfang / als der Erdenkreiß / gro¨sser als der Mond / gro¨sser als die Sonnen / gro¨sser als der Himmel / und ein gro¨sserer Raum als Menschliche Gedancken begreiffen ko¨nnen.329

Die hier metaphorisch als Kreis verrumlichte Ewigkeit330 beansprucht fu¨r sich in diesen Zeilen ausgerechnet jene Ausmaße, welche sich die Seele in Schefflers Epigramm Die weite der Seelen ersehnt: Sie ist noch »gro¨sser als der Himmel«. Bemerkenswerterweise setzt die Projektion der Ewigkeit in die Rumlichkeit einen unendlichen Raum voraus – so 327

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Vgl. (neben Schefflers in Abschnitt 3.1.2 untersuchtem Perlengedicht) etwa Scheffler, 2000, S. 148 (III,238 – »Die innerliche Geburt Gottes«): »Maria ist die Seel /| Das Krippelein mein Hertz […]« [Herv. d. J. S.]. Vgl. außerdem den Eintrag Maria in Lauretus, 1681/1971, S. 664. Dass Scheffler sich bei der poetischen Darstellung der Ewigkeit wiederholt »geometrische[r] Kategorien« bedient, betont – im Zusammenhang mit anderen Gedichten – auch Schweitzer, 1987, S. 266. Harsdo¨rffer, 1651/1990, S. 128. Zur Kreisfo¨rmigkeit der Ewigkeit und zu ihrer Verbindung mit dem Bild der sphaera infinita in der Philosophiegeschichte vgl. Poulet, 1985, S. 12–14.

202 umstritten dessen Existenz im 17. Jahrhundert auch sein mag –, denn wie ko¨nnte der unendlichen Ewigkeit in der Metaphorik ein begrenzter Raum korrespondieren?331 Vor dem Hintergrund von Harsdo¨rffers Ausfu¨hrungen tritt noch klarer zutage, dass die vom Ich in Schefflers Epigramm ersehnte Aufnahme des Ewigkeitsraums in die Seele geradezu als ein Wunder einzustufen wre, wird doch in Harsdo¨rffers Lehrgedicht schon der Versuch, diesen Raum auch nur in den »Menschliche[n] Gedancken« zu »begreiffen«, als vergeblich betrachtet. Auch lassen sich aus Harsdo¨rffers Betonung der Unermesslichkeit, ja Unendlichkeit des Ewigkeitsraums dramatische Konsequenzen fu¨r eine ihn verschlingende Seele ableiten. In dem Moment, in welchem sie dieses (zeit-)rumlich grenzenlose Ewigkeits-›Unding‹ tatschlich in sich aufnhme, wu¨rden auch ihre eigenen zeitlichen und rumlichen Grenzen unweigerlich in Frage gestellt – mit allen bereits oben erluterten ontologischen Folgeproble¨ berschrift gleichzeitig men. Beharrt Schefflers Sprecher schon in der U darauf, dass der den »Raum der Ewigkeit« verschlingende Seelenraum trotz allem klein bliebe, so oszilliert das ersehnte psychische Gebilde, das ohnehin schon unbegreiflich und in seiner Einheit fragwu¨rdig ist, in der Wahrnehmung des Lesers bestndig zwischen verschwindend kleiner »Nichtigkeit« und unendlicher »Ewigkeit«. Es kennt also mindestens zwei sich radikal voneinander unterscheidende Zustnde, die gleichberechtigt von ihm postulierbar sind. Von seelischer Einheit scheint unter diesen Umstnden kaum mehr gesprochen werden zu ko¨nnen. Und doch lsst sich, hnlich wie im vorangehend untersuchten Epigramm Die weite der Seelen, gleichzeitig auch eine erhebliche Vereinheitlichung und Stabilisierung des Seelischen durch die vom Ich entworfenen dimensionalen Umgestaltungen behaupten. Zu diesem Zweck ist es nur erforderlich, sich noch einmal die oben eher beilufig erwhnte Gleichsetzung des »Raum[s] der Ewigkeit« mit Gott zu vergegenwrtigen, die sich vor allem in der direkten Anrede Gottes im Personalpronomen ›dich‹ andeutet. Da Gott als drei-einiges Wesen in sich selbst die ußerste Synthesefhigkeit besitzt,332 kann er sogar ei331

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Nach Auffassung Karl Richters steht fu¨r das Barock vor allem die (zeitliche) Unendlichkeit der Ewigkeit im Vordergrund, whrend er – ein Gedicht Albrecht von Hallers interpretierend – fu¨r die Aufklrung eine Korrespondenz zwischen rumlicher Unendlichkeit und Ewigkeit sieht, vgl. Richter, 1972, S. 86–87. Aus dem obigen Erquickstunden-Zitat wird jedoch deutlich, dass die Parallele zwischen unendlichen Rumen und unendlicher Ewigkeit auch im Barock schon aufgespu¨rt werden kann. Vgl. etwa die bereits in Abschnitt 3.3.1 ausfu¨hrlich analysierte Consolatio-Stelle, in der von Gott, zweideutig Intensitt und rumliche Ho¨he miteinander vermischend, als von der »allerho¨chsten Einigkeit« die Rede ist (Czepko, Bd. 5, 1992, S. 164 (1. Buch)).

203 nem in seiner Einheit an sich ußerst fragwu¨rdigen unendlichen Ewigkeits-Raum Kohrenz verleihen, wenn er mit diesem identifiziert wird. Eine Seele, die dann ihrerseits dieses Gebilde inkorporiert, nimmt dabei zwar unweigerlich erhebliche rumliche Destabilisierungen und einen Bruch mit ihrem vorherigen Zustand in Kauf, erlangt aber zugleich auch eine Einheit, einen inneren Zusammenhalt, der ihr vorher nicht eignete.333 Auch in diesem vom Ich ersehnten mystischen Extremzustand ist die Seele also nicht als bloße Vielheit, sondern als Viel-Einheit zu begreifen. Nur scheint sie sich, auf logisch schwer nachvollziehbare Weise, dem Pol der Vielheit wie auch jenem der Einheit gleichzeitig stark anzunhern, d. h. es kann dem Psychischen eine intensivere Einheit wie auch eine intensivere Pluralitt als in weniger extremen Seelenzustnden zugesprochen werden. hnliches wird auch bei der genauen Analyse des folgenden, gleichfalls von Czepko verfassten Monodistichons zu beobachten sein: SEELE. ZUSAMMENSTRAHLUNG ALLER SACHEN. Ein Stipp ist sie die Seel, und sie kan alles schliessen, Weil ALLE DING aus ihr, und in sie wieder fliessen.334

Handelt es sich bei dem hier erwhnten »Stipp« bzw. Punkt um ein »punctum Geometricum«, dann kann dieses Gebilde, wie Harsdo¨rffer in den Erquickstunden ausfu¨hrt, Unteilbarkeit fu¨r sich beanspruchen. Durch diese Eigenschaft, so betont Harsdo¨rffer ausdru¨cklich, sei der Punkt in der Metaphorik als Bildspender fu¨r alle jene Gegenstnde geeignet, »welche sich nicht zertheilen« lassen.335 Weiterhin muss man bei geometrischen Punkten weder mit einem qualitativen Wandel durch den Wechsel bestimmter Inhalte und materieller Beschaffenheiten noch mit quantitativen Vernderungen durch Ausdehnung oder Kontraktion rechnen. Wo also die Seele, wie in Czepkos Epigramm, einem solchen Gebilde gleichgesetzt wird, kann dies zunchst als deutlicher Hinweis auf ihre innerliche Einigkeit mit sich selbst gelesen werden. Die Seele wird in Czepkos Monodistichon allerdings nicht nur als Punkt, sondern zugleich als Emanationsquelle und Ziel aller Dinge, also der ganzen Vielfalt des Seins, dargestellt. Durch diese wesentliche Verbindung 333

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¨ berlegungen zur Einheit des Seelenraums gleichen jenen Die oben angefu¨hrten U Reflexionen, die Cornelia Rizek an Texten Meister Eckharts fu¨r das Ich anstellt. Rizek weist darauf hin, dass der scheinbare »Selbstverlust« in der unio mystica letztlich wieder zu einer »paradoxen Identitt« und zu einer »erstaunlichen Strkung des Ich« fu¨hre (Rizek, 2000, S. 99–100). Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 625 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« IV,73). Harsdo¨rffer, 1651/1990, S. 66.

204 zur Mannigfaltigkeit der Scho¨pfung gelangt die menschliche Psyche hier in eine scho¨pferhnliche Position.336 Dass sie »alles [in sich, M. D.] schliessen« kann, wirkt in Verbindung mit der von ihr postulierten Punktfo¨rmigkeit paradox. Kann es ihr wirklich gelingen, die Vielfalt der Scho¨pfung als einig-einheitlicher Punkt zu umgreifen? Ihr weitreichendes Fassungsvermo¨gen scheint eher vorauszusetzen, dass sie zum (dreidimensionalen) Gefß wird, also eine vollstndige Metamorphose durchluft, wodurch ihre diachrone Identitt in Frage gestellt wird. Um Czepkos Gedankengang besser zu verstehen, empfiehlt es sich zunchst, Harsdo¨rffers geometrisch-mathematische Betrachtungen u¨ber den Punkt noch ein wenig weiter zu verfolgen. Der Letztere wird von ihm nicht allein – dem ersten Lehrsatz Euklids folgend337 – als unteilbar charakterisiert, sondern seine Existenz erscheint zustzlich als die unhintergehbare Voraussetzung aller komplexeren mathematischen und geometrischen Operationen: Ob nun wol solches kleine nichts fu¨r unsern Augen gering / so ist es doch der Anfang und der Grund aller Zahlen / Linien und Figuren / die aus der Linien gezogen werden: deßwegen die Linie genannt wird / viel nacheinander geflossene oder gezogene Puncten / wie bald anfangs in Euclide zu lesen ist.338

Aus dieser Eigenschaft des Punkts leitet Harsdo¨rffer am Ende seiner Ausfu¨hrungen einen theologischen Horizont dieses Gebildes ab, der viel zum Verstndnis der Verse Czepkos beitragen kann: Da (in Geometrie und Mathematik) »alles von ihm [d. h. dem Punkt, M. D.] / der unvernderlich / unsichtbar / und unzertheilig ist / herkommet«, liegt fu¨r Harsdo¨rffer sein Vergleich mit Gott nahe, dem er dieselben Attribute zuspricht.339 Johann Arndt geht in seinen Sechs Bu¨chern vom wahren Christentum (Vier Bu¨cher vom wahren Christentum vero¨ffentlichte Arndt 1610, »[s]eit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurden aus einzelnen Traktaten und Briefen A[rndt]s ein fu¨nftes u. sechstes Buch […] hinzugefu¨gt«)340 sogar noch einen Schritt weiter. Er nhert Gott und 336

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Vgl. dazu auch das folgende Monodistichon (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« IV,66), in dem ebenfalls die Seele (bzw. das Gemu¨t) und der go¨ttliche Scho¨pfungsakt mit der Punktmetaphorik verbunden werden (Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 624): ¨ RET KUNST ZU. DA GEHO Wer sein Gemu¨th in sich in EINEM STIPP gebracht, Erkennt und sieht, wie Gott die Welt und ihn gemacht. Vgl. Euklid, 1991, S. 1 (1. Buch, 1. Definition): »Ein Punkt ist, was keine Teile hat« [Herv. in Zitatvorlage]. Vgl. auch Folkerts, 1989, S. 46. Harsdo¨rffer, 1651/1990, S. 66. Ebd. Wallmann, Johannes: Arndt, Johann (Art.). In: Killy, Bd. 1, 1988, S. 207–209, hier S. 208.

205 Punkt in einem konkreten geometrischen Entwurf aneinander an, indem er schreibt: Wenn einer einen Circkel machet, und in der Mitten einen Punct, und zeucht den Circkel voller Linien, so kommen sie alle in dem einigen Punct zusammen, und ru¨hren einander an, und das einige Pu¨nctlein fasset alle Linien zusammen, und kan keine Linien geschieden werden von der andern, sie werden dann auch zugleich vom Mittel=Punct mit abgeschieden, in welchem alle Linien zusammen kommen: Also ist GOtt der Punct […].341

Gott ist in diesem Bild nicht irgendein beliebiger Punkt, sondern der Mittelpunkt eines Kreises.342 Zunchst verleiht ihm diese ›Kontextualisierung‹ eine besondere Stabilitt. Da sie keine anderen Merkmale als ihre Lage aufweisen, ko¨nnen die an sich so stabilen Punkte in der Regel zumindest durch Lagevernderungen massiv in ihrer diachronen Identitt bedroht werden. Ein Kreismittelpunkt jedoch bildet, wie sich an einem anderen Epigramm Czepkos anschaulich zeigen lsst, einen ruhenden Fixpunkt im Zentrum einer geometrischen Gesamtfigur, so dass ein Positionswechsel nicht in Betracht gezogen werden muss: DAS BESTNDIGE. Ein Stab im Circkel steht, der andre misst und trgt, So steht der innre Mensch, der au¨sre wird bewegt.343

Zwar wird in diesen Versen das Merkmal der Bestndigkeit nicht direkt dem Kreismittelpunkt, sondern nur jenem Stab eines Zirkels zugesprochen, der den Mittelpunkt festlegt und whrend der gesamten Kreisbewegung des Zirkels unverwandt auf dem Zentrum ruht, doch verweist das Epigramm damit indirekt auch auf die Unbeweglichkeit des Kreismittelpunkts selbst.344 Gleichzeitig mit der Stabilisierung, die mit der Spezifizierung des go¨ttlichen Punkts als Kreismittelpunkt erreicht 341 342

343

344

Arndt, 1733, S. 183 (I,29). In anderem Zusammenhang kann die Stelle des (Kreis-)Mittelpunkts bei Arndt auch vom Menschen selbst eingenommen werden: In Arndts ›theologischer Astrologie‹ (vgl. den Untertitel von Repo, 2004) wird der Mensch »als Mikrokosmos« zum »Zentrum des Makrokosmos«, in dem »alle Strahlen der Sterne« zusammenkommen (Repo, 2004, S. 363). Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 598 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,45). Vgl. dazu auch das – vo¨llig parallele – Beispiel bei Eckhart (Eckhart, Bd. 2, 1993, S. 450 (»von abegescheidenheit«)): Nuˆ glıˆche ich das uˆzer bret an der tu¨r dem uˆzern menschen, so glıˆche ich den angel dem innern menschen. Soˆ nuˆ diu tu¨r uˆf und zuo gaˆt, so waˆndelt sich daz uˆzer bret hin un her, und blıˆbet doch der angel an einer stat unbewegelich und enwirt dar umbe niemer verwandelt. Vgl. zur Bildlichkeit des ruhenden Kreismittelpunkts auch Poulet, 1985, S. 53 (mit Bezug auf die Kreismetaphorik des franzo¨sischen Quietismus).

206 wird, zeichnet sich in Arndts Kreismetaphorik allerdings auch eine Pluralisierung dieses Punkts ab. Schließlich hat man sich dieses Gebilde, wie Arndt dem Leser anschaulich vor Augen fu¨hrt, von unendlich vielen, sich u¨berschneidenden Linien durchzogen vorzustellen: Es ist, um es noch geometrischer als Arndt zu formulieren, Schnittpunkt aller denkbaren Kreisdurchmesser. Aus dem Titel von Czepkos hier zu untersuchendem Epigramm lsst sich eine hnliche Verfasstheit auch fu¨r den Seelenpunkt ableiten. In ¨ berschrift Seele. Zusammenstrahlung aller Sachen erscheint die der U Seele gewissermaßen als der Brennpunkt, in dem die Mannigfaltigkeit des Geschaffenen zusammenfllt. Die einem Punkt ›normalerweise‹ zuzusprechende unteilbare Einheit besitzt die Seele in diesem Fall nicht. Vielmehr stellt der Seelenpunkt eine aus der Vielfalt des Seienden kon¨ berstituierte Viel-Einheit dar, die zwar durch die rumlich-optische U lagerung der Strahlen zusammengehalten wird, aber zumindest fu¨r den ›analytischen‹ Blick jederzeit wieder in die Vielheit zu zerfallen droht. Einheitsfo¨rdernd mag dabei wirken, dass die Vielheit zugleich mit der Gesamtheit des Geschaffenen (»aller Sachen«) und diese wiederum mit ihrem Scho¨pfer identifiziert werden kann. Fu¨r die weitere Deutung von Czepkos Monodistichon empfiehlt es ¨ berlegungen zur Metapher des sich, zunchst noch weitere allgemeine U Kreismittelpunkts anzustellen. Auch wenn gerade im 17. Jahrhundert die geometrische Figur des Kreises immer wieder in unterschiedlichen Kontexten strukturbestimmend ist,345 werden nicht erst in dieser Zeit Gott und Kreismittelpunkt miteinander identifiziert bzw. verglichen. Ihre Parallelisierung wurzelt vielmehr in einer u¨ber zweitausend Jahre alten paradoxen geometrischen Vorstellung, deren theologisch-philosophische Traditionslinie Dietrich Mahnke in seiner einflussreichen Studie »[z]ur Genealogie der mathematischen Mystik«346 durch Barock, Renaissance und Mittelalter bis in den Neuplatonismus etwa Plotins und schließlich u¨ber den Platonismus bis zu den Vorsokratikern zuru¨ckverfolgt.347 Knapp zusammengefasst findet sich die geometrische Struktur, auf deren Einfluss durch die Jahrhunderte Mahnkes Untersuchung hinweist, in zwei Stzen aus dem Liber XXIV philosophorum 345

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347

Vgl. etwa Maurer, 1999, S. 74–75. Zu den allgemeinen Implikationen des Kreises als Orientierungsmodell unabhngig von seiner Rolle innerhalb einer bestimmten Epoche vgl. Reichert, 1996, S. 33–35. So Mahnke im Untertitel seiner Monographie Unendliche Sphre und Allmittelpunkt (Mahnke, 1937). Vgl. ebd. Grundlegend zu diesem Motiv und seinen neuzeitlich-literarischen Verarbeitungen ist außerdem die Studie Georges Poulets (Poulet, 1985). Zur Verarbeitung dieses Paradoxons im Werk Czepkos vgl. auch Haas, 2005, S. 660.

207 (Ende 12. Jahrhundert),348 in welchen es u¨ber den Scho¨pfer heißt: »Deus est sphaera infinita, cuius centrum est ubique, circumferentia nusquam« und »Deus est totus in quolibet sui«.349 In der hier beschriebenen paradoxen geometrischen Struktur verbinden sich, wie Susanne Edel im Lexikoneintrag zur »[u]nendlichen Sphre« im Historischen Wo¨rterbuch der Philosophie betont, »die beiden Unendlichkeiten der go¨ttlichen Ubiquitt«: Zum einen schlgt sich in dieser Gottesmetapher »die u¨berall zugleich wirkende unrumliche Scho¨pferkraft in der Kontraktion zum unendlich kleinen Mittelpunkt«350 nieder, der als »Allmittelpunkt«351 gleichzeitig die Schnittstelle aller Linien und das Zentrum aller Rume und Figuren darstellt. Zum anderen wird darin Gottes »nirgends begrenzte u¨berrumliche Reichweite in der Expansion zum unendlich großen Umfang«352 dargestellt. Es soll hier ausdru¨cklich darauf hingewiesen werden, dass die sphaera infinita sich keineswegs einfach unter die in Abschnitt 3.1 behandelten Kern-Hu¨lleMetaphern subsumieren lsst, auch wenn sie fraglos auf die Kern-Hu¨lle-Struktur anspielt. Mit Recht betont Ralf Konersmann das bewusste Aufbrechen der traditionellen Vorstellungen von Peripherie und Zentrum im Bild der infiniten Sphre: Die u¨bertragene Bedeutung des unendlich verlngerten Kugelradius […] ru¨hrt an die traditionellen Vorstellungen von der kosmischen Ordnung. Sie destabilisiert das als go¨ttlicher Mittelpunkt gedachte Zentrum, denn die Kugel mit unendlichem Radius besitzt weder eine umgrenzende Peripherie noch einen definitiven Mittelpunkt, sondern eine unendlich große Zahl von Zentren.353

Die von Blumenberg als Sprengmetapher bezeichnete sphaera infinitaVorstellung354 findet immer wieder Eingang in die barocke Lyrik. »Der Umbkraiß«, so formuliert Scheffler in seinem Epigramm Das grosse ist im kleinen verborgen, »ist im Punckt«.355 Und in einem Gedicht, das Greiffenberg in ihren ›Geburtsbetrachtungen‹ (Der Allerheiligsten Menschwerdung, Geburt und Jugend JEsu Christi Zwo¨lf Andchtige Be348

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Vgl. zu diesem Werk Beierwaltes, Werner: Liber XXIV philosophorum. In: Verfasserlexikon, Bd. 5, 1985, S. 767–770. Liber XXIV philosophorum, 1927, S. 208. Edel, Susanne: Sphre – II. Unendliche Sphre (Art.). In: Ritter, Bd. 9, 1995, Sp. 1376–1379, hier Sp. 1377. So Mahnke im Titel seiner Monographie von 1937. Edel, Susanne: Sphre – II. Unendliche Sphre (Art.). In: Ritter, Bd. 9, 1995, Sp. 1376–1379, hier Sp. 1377; vgl. hnlich Poulet, 1985, S. 11–12. Konersmann, 1988, S. 98. Vgl. Blumenberg, 1960, S. 132–133. Scheffler, 2000, S. 177 (IV,158). Zur sphaera infinita bei Scheffler vgl. auch Mahnke, 1937, S. 32; Haas, 1979, S. 388.

208 trachtungen, 1678) anfu¨hrt, heißt es u¨ber den menschgewordenen Christus, der zugleich der Herrscher der Welt ist: Aus einem kleinen Punct / der einem Stublein gleichet / geht so ein weiter Kreis: der Welt-unfaßbar ist / der in Unendlichkeit mit seinem Ringe reichet / von nichts beschlossen wird / doch alles in sich schliest […].356

Auch in Czepkos zuletzt angefu¨hrtem Monodistichon begegnet dem Leser, dies lsst sich nach den vorangehenden Ausfu¨hrungen nun klar erkennen, die Vorstellung der allesumschließenden unendlichen Sphre, die sich zugleich zu einem allgegenwrtigen Punkt kontrahieren kann. Doch wird hier durch dieses Bild nicht Gott, sondern die menschliche Seele in ihrer rumlichen Struktur charakterisiert.357 Auch ein solches »Zusammenfallen des ›Seelenmittelpunktes‹ mit dem ›Allmittelpunkte‹, in dem die ganze ›unendliche Sphre‹ konzentriert ist«,358 ist nicht erst bei Czepko nachzuweisen. Mahnke verfolgt diesen Gedanken bis zu Meister Eckhart zuru¨ck.359 In Czepkos Monodistichon suggeriert die Verbildlichung der Seele als sphaera infinita zumindest aus bestimmten Blickwinkeln eine erhebliche Destabilisierung des Psychischen. Im ersten Vers (»Ein Stipp ist sie die Seel, und sie kan alles schliessen«) oszilliert die Seele zwischen Punktfo¨rmigkeit und einer Ausdehnung, die als allumfassend und unendlich gedacht werden muss. Zwar ko¨nnte man zunchst annehmen, dass sich das Schwanken zwischen diesen beiden Zustnden nur in unserer Wahrnehmung von der Seele abspielte, da wir ihre rumliche Ambivalenz auf anderem Wege nicht nachvollziehen ko¨nnen. Zumindest fu¨r die noch in der Zeitlichkeit stehende Seele liegt es indes nher, den Vers als Darstellung ihres tatschlichen Pulsierens zwischen Adimensionalitt und Dreidimensionalitt zu interpretieren. Eine solche unausgesetzte diachrone Vernderung der Psyche u¨bertrifft selbst die 356

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Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, Bl. ):( ):(v (»Erklrung des Titel-Kupfers« (»DEm unendlichen Gott / des Ho¨h nicht zu erreichen«)). Auch in anderen Gedichten hat Czepko diesen Gedanken formuliert, vgl. etwa Czepko, Bd. I,1, 1989, S. 60 (»Das Innwendige HimmelReich oder in sich Gesammlete Gemu¨the« 1): OHNE DAS MITTEL KEIN HIMMEL. Schau in dich, ach wie weit dehnt sich das gantz in dir, Du siehst als wie ein Stipff im Ewgen Mittel fu¨r: Begreiffst du es, und kanst an Krfften außen seyn, Was wilt du mehr, Gott kommt und schleust sich in dir ein: Das Weite, das du siehst, hat weder Ort noch Ziel, Und ist doch auch ein Stipff, wenn man es schließen wil. Mahnke, 1937, S. 154. Vgl. ebd. S. 152–158; hnlich Edel, Susanne: Sphre – II. Unendliche Sphre (Art.). In: Ritter, Bd. 9, 1995, Sp. 1376–1379, hier Sp. 1377.

209 Dynamik des in Abschnitt 3.3.1 behandelten Seelenstrahls bei weitem an Radikalitt. Schließlich bleibt, aller Bewegung zum Trotz, bei einer strahlenfo¨rmig in die Welt und zuru¨ck zu Gott ziehenden Seele die Anzahl der Dimensionen zunchst gleich – nur am endgu¨ltigen Ziel, d. h. bei der Ru¨ckkehr des Strahls zu Gott, findet dann einmalig eine Dimensionsreduzierung von der Ein- zur Nulldimensionalitt statt. Hier dagegen verwandelt sich die Seele – zumindest nach der vorgeschlagenen Lesart – unaufho¨rlich von einem nulldimensionalen in ein dreidimensionales Gebilde und wieder zuru¨ck. Im zweiten Vers (»Weil ALLE DING aus ihr, und in sie wieder fliessen«) bleibt die Seele auf den ersten Blick unbewegt-passiv und damit in ihrer Ausdehnung stabil. Nicht sie scheint zwischen Nullund Dreidimensionalitt zu oszillieren, sondern die dimensionale Vernderung scheint allein die mit ihr im Zusammenhang stehenden »Sachen« zu betreffen, die – wie schon von der Zusammenstrahlungsmetapher des Titels angedeutet – eine hnliche Bewegung wie die strahlenfo¨rmige Seele in Abschnitt 3.3.1 vollfu¨hren: Wie der Seelenstrahl in Gott so nehmen die Dinge in der Adimensionalitt des Seelenpunkts ihren Anfang und ihr Ende, sie entstro¨men ihm in einem Emanationsprozess und fließen wieder in ihn zuru¨ck. Diese Kontraktionsfhigkeit der Scho¨pfung deutet sich auch im Titel des folgenden Epigramms von Scheffler an: Das Gescho¨pff ist nur ein stu¨pffchin. Schau alles was GOtt schuf / ist meinem Geist so klein / Daß es jhm scheint in jhm ein eintzig Stu¨pfchen seyn.360

Ob in diesem Fall die Kontraktion der Scho¨pfung zur adimensionalen Punktgestalt als eine ›tatschliche‹ (»ist nur ein stu¨pffchen«) oder als eine nur subjektiv so interpretierte Verwandlung (»scheint […] ein eintzig Stu¨pfchen seyn«) zu betrachten ist, lsst Schefflers Epigramm allerdings in der Schwebe. Ebenso bleibt es auch im zweiten Vers von Czepkos Monodistichon bei genauerem Hinsehen ungewiss, ob tatschlich eine Zusammenziehung der Scho¨pfung auf Punktgro¨ße stattfindet. Die darin verwendete Metapher des Aus- und Einfließens impliziert genau betrachtet das Vorhandensein eines dreidimensionalen Aus- bzw. Einfluss-Raums fu¨r alle Dinge. Wie aber wre ein solcher in einer unbewegt in der Punktfo¨rmigkeit verbleibenden Seele unterzubringen? Auch im zweiten Vers von Czepkos Gedicht entsteht so letztlich der Eindruck eines Pulsierens der Seele zwischen Punkt- und Gefßgestalt. Auch hier kann ihre rumliche Struktur nicht zugunsten 360

Scheffler, 2000, S. 39 (I,78).

210 der Drei- oder der Adimensionalitt entschieden werden, so dass die Seele eine hnliche Klage anstimmen ko¨nnte wie das Ich des folgenden Epigramms aus dem Cherubinischen Wandersmann: Man weiß nicht was man ist. Jch weiß nicht was ich bin / Jch bin nicht was ich weiß: Ein ding und nit ein ding: ein stu¨pffchin und ein kreiß.361

Die bisherigen Betrachtungen hinterlassen insgesamt den Eindruck, dass die Seele in Czepkos Monodistichon auf den verschiedensten Ebenen in ihrer Einheit gefhrdet ist. Nicht nur erscheint sie als ein permanent sich wandelndes, paradoxes Zwitterwesen (also gewissermaßen als »[e]in ding und nit ein ding«), sondern sie droht schon im punktfo¨rmigen Zustand, der ihr normalerweise Einheit und Unteilbarkeit garantieren wu¨rde, in die Pluralitt zu zerfallen, ergibt sich doch ihre ¨ berlagerung aller Dinge. Erst recht von PluraliPunktgestalt aus der U sierung bedroht ist die seelische sphaera infinita in ihrem zweiten, der Punktfo¨rmigkeit entgegengesetzten Aggregatzustand, nmlich ihrer alles umschließenden und wohl auch unendlichen Ausdehnung. Fu¨r diesen Seelenstatus bestehen außerdem noch die oben im Zusammenhang mit anderen Epigrammen ausfu¨hrlich ero¨rterten ontologischen Probleme eines allumfassenden Seelenraums. Schließlich muss streng genommen sogar die Annahme revidiert werden, dass es sich beim Seelenpunkt um einen durch seine Lage stabilisierten Kreismittelpunkt handelt. Insofern Czepko hier die Sprengmetapher der unendlichen Sphre ›zitiert‹, ist davon auszugehen, dass der Seelenpunkt nicht die fixierte Position eines ›normalen‹ Kreismittelpunkts aufweist, sondern als »Allmittelpunkt« u¨berall angesetzt werden kann. Der Seelenumfang aber ist bei der infiniten Sphre nirgends. So kann denn noch nicht einmal die Lage der Seele im Raum genauer bestimmt und sie dadurch als individuelle Einheit charakterisiert werden. Doch steht allen diesen Gefhrdungen der Einheit und Bestndigkeit der Seele durch ihre paradoxe Raumstruktur ein weiteres Mal ein unerho¨rter Zugewinn an seelischer Stabilitt entgegen, so dass erneut durch die Extremform seelischer Ausdehnung nicht nur die Pluralitt des Psychischen intensiviert, sondern zugleich die psychische Einheit verstrkt ¨ ber die Charakterisierung der Psyche als sphaera infinita findet wird. U auch in diesem Epigramm eine metaphorische Identifizierung (bzw. in¨ berlagerung) der Seenerhalb der Metapher eine rumlich-wesenhafte U 361

Ebd. S. 27 (I,5). Zu den beiden zuletzt zitierten und weiteren Epigrammen des Cherubinischen Wandersmanns, in denen Scheffler ebenfalls den Zusammenhang von Punkt und Kreis reflektiert, vgl. auch Bo¨hm, 1997, S. 107–112; Bergengruen, 2007, S. 206–208.

211 le mit Gott statt, der als in allem Wandel ho¨chst stabiles, in seiner Existenz niemals untergehendes Wesen verstanden werden muss. Die Intensivierung sowohl der Kohrenz wie auch der Inkohrenz des Seelischen ist zugleich als wesentliches Ergebnis aller im vorliegen¨ berlegungen zur grenzwertig-mystischen den Abschnitt angestellten U Seelenausdehnung festzuhalten. Wie im Falle der Kern-Hu¨lle-Metaphorik so lsst sich also auch hier durchgngig eine seelische Viel-Einheit nachweisen, doch ist dabei keine Verso¨hnung bzw. Synthetisierung zwischen der psychischen Einheit und der psychischen Pluralitt, sondern vielmehr eine Verschrfung der außermetaphorisch unvereinbaren Gegenstze zu konstatieren. Auf der Basis der in Abschnitt 1.4.1 an¨ berlegungen sind die im vorliegenden Abschnitt betrachtegestellten U ten Seelenbilder daher letztlich als Sprengmetaphern einzustufen, die jede Vor- bzw. Darstellbarkeit u¨berschreiten.362

3.4

Vielfalt im Seelenraum – Zu den Inhalten seelischer Rume aus synchroner Perspektive

Jene Flle, in denen der Seelenraum nur u¨ber sein Fassungsvermo¨gen und seine Dimensionen charakterisiert wird, sind in der Barocklyrik insgesamt eher selten. Deutlich hufiger erschließt er sich in den Gedichten des 17. Jahrhunderts allein u¨ber seine Inhalte. Die allgemeinen Ausfu¨hrungen in Abschnitt 3.2 haben deutlich gemacht, dass in synchroner Betrachtungsweise zunchst zwei Optionen fu¨r die ›Fu¨llung‹ des Seelenraums in einem Gedicht denkbar sind. Dem psychischen Raum ko¨nnen homogene oder heterogene Inhalte zugewiesen werden.363 Die in der vorliegenden Studie gestellte Leitfrage nach mo¨glichen Realisationen seelischer Viel-Einheit lsst vor allem die heterogen gefu¨llten Varianten des Seelenraums als lohnenden Gegenstand genauerer Untersuchungen erscheinen. Fu¨r sie wird im ersten Teil des vorliegenden Abschnitts (3.4.1) zu klren sein, wie sich ihre mannigfaltigen Inhalte auf die innere Einheit und Kohrenz des Psychischen auswirken. Daran anschließend soll dann in Abschnitt 3.4.2 das topoanalytische Vokabular den Bedingungen der inhaltsbezogenen Seelenraumanalyse angepasst werden. Dies wird vor allem u¨ber eine Ergn-

362

363

Zumindest fu¨r die Epigramme Schefflers hat auch Louise Gndinger auf die sprachliche Technik hingewiesen, »die Paradoxie ins Unermeßliche« zu steigern und mit den Bildern letztlich »die Unaussagbarkeit der mystischen Wirklichkeit« zu illustrieren (Gndinger, 2000, S. 413). Der Sonderfall des ›leeren‹ Seelenraums lsst sich fu¨r die hier behandelte Fragestellung vereinfachend unter die homogen gefu¨llten Rume subsumieren.

212 zung der bisher benannten Gegensatzpaare ›synchron-diachron‹, ›heterogen-homogen‹ und ›Ausdehnung-Inhalt‹ um eine weitere Leitdifferenz geschehen, die zur Erschließung pluralisierender und stabilisierend-vereinheitlichender Tendenzen im Seelenraum außerordentlich aufschlussreich sein kann. 3.4.1 Heterogene Seeleninhalte – Eine Gefahr fu¨r die Einheit der Seele? Um an der Stabilitt und Einigkeit Gottes teilzuhaben, muss die als ausgedehnt verbildlichte Seele nicht immer die im vorangehenden Abschnitt beschriebenen geometrisch-formalen ›Vorleistungen‹ erbringen. Wie bereits in den Betrachtungen zur Tafel- und Spiegelmetaphorik (vgl. Abschnitt 3.3.1) angedeutet, kann von ihr in anderen Fllen auch eine Vernderung verlangt werden, die sich allein auf ihre Inhalte bezieht. Um Gott in sich aufzunehmen, kann sie dazu verpflichtet werden, sich von anderen ›Fu¨llungen‹, von der irdischen »mannigfaltigkeit« der Dinge,364 frei zu machen. Ex negativo lsst sich aus solchen Aufforderungen erschließen, dass eine dem Irdischen zugewandte Seele u¨blicherweise eine Pluralitt der Inhalte in sich aufweist. Außerhalb von mystischen Kontexten, im diesseitigen Leben, erscheint die heterogen gefu¨llte Seele gewissermaßen als ›Normalfall‹. Ob ein solches stark pluralisiertes Gebilde es u¨berhaupt noch rechtfertigt, seinen Bildempfnger mit dem Singular ›Seele‹ zu bezeichnen (und ihn damit wenigstens noch als eine Viel-Einheit zu betrachten), soll im vorliegenden Abschnitt exemplarisch an jenen Seelenrumen ero¨rtert werden, in welchen sich die Mannigfaltigkeit der ußeren Dinge in einer Vielfalt von intrapsychischen Wissensinhalten und geistigen Fhigkeiten spiegelt. Erste Hinweise auf die mo¨glichen Konsequenzen pluraler Wissensinhalte fu¨r die Beschaffenheit des Seelenraums lassen sich am folgenden Epigramm Schefflers gewinnen, in welchem das vielfltige Weltwissen (vermutlich aus dem barocken vanitas-Denken heraus)365 eindeutig negativ konnotiert ist:366 364

365

Vgl. dazu auch das folgende Epigramm Schefflers, in dem allerdings nur von einer Abwendung von der Mannigfaltigkeit, nicht von der Auswerfung derselben aus dem eigenen Innern die Rede ist (Scheffler, 2000, S. 186 (IV,224)): Wie man zur Einigkeit gelangt. Wenn sich der Mensch entzieht der mannigfaltigkeit / Und kehrt sich ein zu GOtt / kombt er zur Einigkeit. Zusammenhnge zwischen der Eitelkeit des Irdischen und dem Vielwissen lassen sich z. B. in der barocken Erbauungsliteratur hufig nachweisen, vgl. etwa Schottelius, 1667, S. 477–478 (II,72 – »Was rechtes wissen«; II,73 – »Wer weiß / daß er nichtes weiß der weiß viel«). Vgl. allgemein zur barocken Vanitasidee etwa die grundlegende Studie Ferdinand van Ingens (Ingen, 1966).

213 Eins wissen hat den Preyß. Viel wissen blhet auf: dem geb ich lob und preyß / Der den Gekreutzigten in seiner Seele weiß.367

In diesen an 1. Kor 8,1 angelehnten Zeilen scheint die Mannigfaltigkeit der irdischen Wissensinhalte auf den ersten Blick keine Gefahr fu¨r den Zusammenhalt des Seelischen darzustellen, sondern der Seele auf vo¨llig andere Weise zu schaden: Das vielfltige Weltwissen u¨berfu¨llt das Seelengefß und macht es damit ›aufgeblasen‹, d. h. hoffrtig.368 Die Seele dehnt sich zu einer beachtlichen Gro¨ße aus, sie wird ›raumgreifend‹ – und dies nicht etwa deshalb, weil sie sich in der unio den Dimensionen Gottes angliche, sondern allein aus einer egoistisch-narzisstischen Haltung heraus. Nicht eine seelische Zersplitterung, sondern die Todsu¨nde der superbia, der verblendeten Selbstu¨berschtzung, soll hier offenbar mit der (bescheidenen) Konzentration auf das »Eins [W]issen« vermieden werden. Auf indirektem Wege, nmlich u¨ber die Formvernderung, stellt die intrapsychische Wissenspluralitt indes bei genauerem Hinsehen durchaus auch eine Bedrohung fu¨r die Seeleneinheit dar. Ein zunehmender Wissenszufluss kann dazu fu¨hren, dass die Seele ihren Zusammenhalt verliert. Blht die Seele sich u¨bermßig auf, so muss man sich die dabei entstehende, hypertrophe Seelengestalt gleichsam als Gegenteil eines konzentrierten Seelenzustands, als geometrischen Kontrast zu einer Einheit und Unteilbarkeit verbu¨rgenden Punktgestalt der Seele vorstellen. In seiner stark von der Beschftigung mit der fru¨hneuzeitlichen Philosophie geprgten »philosophische[n] Topik«369 bemerkt Wilhelm Schmidt-Biggemann, das Bild des Aufblhens mit dem Problem rumlicher Viel-Einheit zusammenbringend: »Raum ist Metapher des Aufpustens, ›Ebulitio‹ der Einheit in die Vielheit, das Prahlen des Punkts.«370 Im Gegensatz zu einem Seelenpunkt oder zu einem kompakten, nur mit einem Gegenstand (dem »Gekreutzigten«)371 angefu¨ll366

367 368

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Schefflers Position gemahnt an die pietistische Gelehrsamkeitskritik, vgl. zu dieser ausfu¨hrlich Martens, 1987, S. 497–504. Scheffler, 2000, S. 200 (V,84). Vgl. zum Motiv des Aufblhens und Aufblasens auch Gerhard, 2000, S. 473 (27. Betrachtung): »Jn allen dingen muß man sich fu¨r des Teuffels list befu¨rchten. Gehts vns wol / so bleset er vnser Hertz auff / daß es hoffertig wird […].« Weitere fru¨hneuzeitliche und sptmittelalterliche Belege fu¨hrt Wolfgang Martens an, vgl. Martens, 1987, S. 498–499. Vgl. den Untertitel seines Bandes Sinn-Welten, Welten-Sinn (Schmidt-Biggemann, 1992). Ebd. S. 27. Nennt Scheffler Christus hier den »Gekreutzigten«, so mag er dabei indirekt auch die »Raumstelle des Kreuzes« im Blick haben, die, wie Elisabeth Jooß eindrucksvoll nachgewiesen hat (vgl. Jooß, 2005, S. 228–231), in der christlichen

214 ten Seelengebilde ist ein aufgeblhter Seelenraum in Gefahr, wie eine Seifenblase zu zerplatzen und damit vollstndig zur Vielheit zu werden. Er verfu¨gt zwar u¨ber ein eindrucksvolles Volumen, jedoch kaum u¨ber die zu dessen Aufrechterhaltung notwendige Stabilitt. Die zur Gestaltvernderung der Seele fu¨hrende Wissenspluralitt ist, wie die Metapher des Aufblhens suggeriert, kaum von festerer Beschaffenheit als ›heiße Luft‹. Hinzu kommt, dass der Prozess des Aufblhens eine diachrone Formvernderung und auch damit eine gewisse Pluralisierung der Seele darstellt. Dass Scheffler trotz seiner eindeutig negativen Beurteilung des Weltwissens darauf verzichtet, schon die Vielzahl der Wissensinhalte selbst als bedrohlich fu¨r die Seeleneinheit herauszustellen, ist erstaunlich: Warum lsst er sich ein scheinbar so nahe liegendes zustzliches Argument gegen die intrapsychische Wissensanhufung entgehen, um, ungleich mu¨hsamer, mit der psychischen ebulitio zu argumentieren? Die schlichte, aber fu¨r die Fragestellung des vorliegenden Abschnitts entscheidende Antwort auf diese Frage lautet: Weil die Tendenz zur psychischen Pluralisierung, die von heterogenen Seelenfu¨llungen ausgeht, von vornherein durch ein spezifisches stabilisierendes Seelenvermo¨gen aufgefangen wird. Auch dort, wo die Seele keine bewusste Abwendung von der irdischen Mannigfaltigkeit unternimmt, steht sie ihr keineswegs nur als rezeptives, hilflos-passives Gefß gegenu¨ber. Vielmehr begegnet die Seele der pluralisierenden Vielfalt des ußeren grundstzlich immer schon mit einer synthetisierenden Gegenkraft, die es gar nicht so selbstverstndlich erscheinen lsst, dass plurales Weltwissen, dass plurale Empfindungen, Gedanken und Eindru¨cke nach ihrer Aufnahme in das Seeleninnere u¨berhaupt noch als voneinander unterscheidbare Gro¨ßen fortbestehen ko¨nnen. Besonders deutlich wird die beachtliche Leistungsfhigkeit des seelischen Synthesevermo¨gens an den folgenden beiden Monodisticha Czepkos: ALLGEMEINE EINSTIMMUNG. Was in die Seele kommt, stimmt allen Dingen ein, Dann was die bricht, das heist sie in ihr einig seyn.372 MANNIGFALTIGE EINIGKEIT. Schau in die Seel, in der siehst du sie einig seyn, Sonst ist in dir kein Glied den andern nicht gemein.373

372 373

Theologie einen »Mittel- und Orientierungspunkt des Raumes« darstellt (ebd. S. 232). Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 593 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,16). ¨ berEbd. S. 608 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,94). Vgl. auch die U schrift des nachfolgenden Monodistichons III,95: »IE INNIGER, IE EINIGER.«

215 In beiden Epigrammen, dies ist auf den ersten Blick aus ihnen ablesbar, lassen die einigenden Krfte im Seelenraum von vornherein keine uneingeschrnkte, der »Mannigfaltigkeit« der Dinge entsprechende Pluralitt der Inhalte zu. Besonders deutlich manifestieren sich die synthetisierenden Seelenkrfte im ersten Epigramm: Was extrapsychisch disharmoniert, was jenseits der Seele vollstndig unvereinbar ist und die ußeren Dinge (zer-)»bricht«, wird bei der Aufnahme in die Seele zur Einigkeit gebracht. Scheint dies bei oberflchlicher Betrachtung schon den bloßen Ansatz zur Pluralitt in der Seele zu vereiteln, so zeigt sich doch bei der genaueren Analyse der Metaphorik, dass die Syntheseleistung nicht u¨ber die Schaffung der uns schon vertrauten Viel-Einheitsstruktur hinausgeht. Der Begriff der »Einstimmung« lsst darauf schließen, dass es sich bei der intrapsychischen »Einigkeit« ¨ berlagerung, sonnicht um eine vollstndige Verschmelzung374 oder U dern vielmehr um eine Konsonanz, um ein akkordisch-harmonisches Zusammenklingen des außerhalb der Seele Dissonanten handelt. Auch im zweiten Gedicht wird in der Seele trotz aller ihrer Synthesekrfte keine absolute Einheit, sondern nur eine »[m]annigfaltige Einigkeit«, eine concordia discors375 des außerhalb der Seele Unvereinbaren erreicht – oder anders: »Die durch den Geist […] konstruierte Allheit des Intelligiblen ist […] in sich unterschiedene Vielheit und zugleich ununterschiedene Einheit des Vielen.«376 In anderen Metaphern werden die Auswirkungen des psychischen Synthesevermo¨gens auf plurale Wissensinhalte sowie zugleich auf plurale Geisteskrfte in einem Epicedium Greiffenbergs verbildlicht, in dem die Mannigfaltigkeit des Wissens eindeutig positiv konnotiert ist. Im Gedicht Uber des (zwar nicht mehr) Unglu¨ckseeligen / uns Unglu¨ckseeligen und Weltbetru¨bten Todfall betrauert das lyrische Ich das Ableben eines »Teutsche[n] Cicero« (Vers 17), der seinen Ruhm vor allem durch »u¨bermenschte« (Vers 23), durch »Meersand-reiche Witz« (Vers 13) verdient.377 Schon die Meersand-Metapher, in welcher der Bildspender zugleich plural (unzhlig viele Sandko¨rner) und in sich zusammenhngend ist, lsst den Leser hier sowohl eine Vielzahl geistiger Fhigkeiten und innerer Wissensbestnde wie auch zugleich eine Einheit des Intellekts bzw. der Seele wahrnehmen. hnliche Eindru¨cke sind

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375 376 377

Fu¨r hnliche Epigramme Schefflers fu¨hrt Elisabeth Spo¨rri aus: »Die Mannigfaltigkeit der Welt muss im Menschen in eins zusammenschmelzen« (Spo¨rri, 1947, S. 115). Vgl. dazu Leinkauf, 1993, S. 75–83. So Leinkauf in Bezug auf Plotin (Leinkauf, 1993–2, S. 9). Greiffenberg, Bd. 1, 1983, S. 435 (»WAnn die Durchgeisterung der Weißheit / ko¨nde geben«).

216 auch aus der weiteren Lektu¨re des Gedichts zu gewinnen, man vergleiche etwa die Verse 24–45: 25

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Aus GOttes Weißheit-Sonn war er ein heller Blitz; ein Strahl der Allheit / die von lauter Wissen wallet; ein Thon / der lieblich aus des Himmels Wohllaut schallet / den die Dreyeinigkeit aufs su¨sseste beginnt; ein Sinn aus diesem Sinn / den nimmer man aussinnt. Sein Witz / war eine Flamm / die wu¨rklich pflag zulehren die GOtt-zufu¨hrungs-kunst: man must die Brunst begehren zusehen diese Quell / wo dieser scho¨ne Bach so Geist-ergetzbarlich mit Weißheit ausherbrach / Verstand und Land erfu¨llt. Es war ja seine Seele ein Zeughaus aller Kunst / ein Meervoll Witzes-Welle / ein Baum voll Sinnenfru¨cht / ein Schatzhaus voller Raht; ein Kleinod / wo Vernunft die Weißheit-Demant hat in Ku¨nste-Gold versetzt / geschmelzt mit bunten Farben der scho¨nsten Wunder-wort / die ho¨hern Preiß erwarben bey Tugend-Ehrern / als die todten Edelstein die stumm und thumme Schtz der Lebend-Toten seyn / die ohne Weißheit-Lieb. Sein Mund war eine Wiesen / wo tausend Weißheit-West ihr Lieblichkeit ausbliesen / durch Blumenholde Spru¨ch / die so verzuckbar-scho¨n / daß man im Paradeis gedunkt spaziren gehn / anho¨rend solchen Geist. […]378

Nachdem anschließend zunchst verschiedene Einzelgebiete aufgezhlt werden, auf denen der außerordentliche Geist des Verstorbenen zu Lebzeiten geglnzt hat (Theologie, Jura, Medizin bzw. Alchemie, Naturphilosophie bzw. Naturkunde und »Regirkunst«),379 gipfelt Greiffenbergs laudatio in die Aussage (Verse 71–72): […] Kurz! Weißheit war sein Punct / durch tausend Witzesblitz hellstrahlend aus ihm funkt.380

Zuletzt entwirft das Sprecher-Ich dann eine jenseitige Glu¨ckseligkeit des vielgelobten Toten, die sich von seinem – in Andeutungen als unglu¨cklich dargestellten – irdischen Schicksal deutlich abhebt.381 Unter den zahlreichen Bildern, mit denen Greiffenberg in der oben zitierten Passage den verblichenen Gelehrten zu ehren sucht, finden sich einige in ganz unterschiedlicher Weise verwendete Emanationsmetaphern. Zunchst erscheint der Verstorbene – und damit ist in jedem Fall mehr sein außerordentlicher Geist bzw. seine geistbegabte Seele denn sein Leib gemeint – als »heller Blitz« aus der go¨ttlichen »Weißheit378 379 380 381

Ebd. S. 436. Ebd. S. 436–437. Ebd. S. 437. Ebd.

217 Sonn« (Vers 24).382 Aus synchroner Perspektive kann dieser von Gott stammende Geistesblitz als in sich geeint betrachtet werden. Wie bei den in Abschnitt 3.3.1 untersuchten Strahlenmetaphern gilt dies nicht nur dann, wenn man ihn in erster Nherung als eindimensionales, d. h. ohnehin nicht-fu¨llbares und nicht-binnenstrukturiertes Lichtgebilde begreift. Auch wenn man ihn als kegel- oder zylinderfo¨rmig, also als dreidimensional, wahrnimmt, muss man anerkennen, dass er keine inhaltlich-strukturelle Pluralitt aufweist, sondern innerlich und ußerlich vo¨llig homogen ist. Er besteht allein aus go¨ttlichem Licht bzw. aus der go¨ttlichen Weisheit. Diachron dagegen ist ihm sehr wohl eine gewisse Pluralitt zuzuschreiben, sind doch Blitze keine statisch-stabilen, sondern von Augenblick zu Augenblick ihre Form verndernde Gebilde. Dass die sich dadurch andeutende intellektuelle Beweglichkeit letztlich nur dem mit Wissensvielfalt erfu¨llten Geist mo¨glich ist, wird zwar in diesem Bild noch nicht thematisiert, deutet sich aber schon in der unmittelbar folgenden Metapher an: Erscheint darin die Seele als »Strahl der Allheit / die von lauter Wissen wallet« (Vers 25),383 dann verweist zwar die Lichtstrahlenmetaphorik selbst weiterhin auf der Homogenitt des Geistes, doch entspringt der »Strahl« immerhin einer viel-einheitlichen Quelle, nmlich der go¨ttlichen »Allheit«. Einen weiteren Schritt zum plural gefu¨llten Geistesgebilde vollzieht die dritte Emanationsmetapher, die Greiffenberg entwirft. Greiffenberg verbildlicht den »Witz« des Verstorbenen als »scho¨ne[n] Bach«, der aus der Quelle der go¨ttlichen Weisheit ausfließt (Verse 30–33).384 Zunchst weist dieses Bild eine erhebliche hnlichkeit zur Blitz- und Lichtstrahlenmetapher auf: Wie die lichtblitz- und strahlenfo¨rmige Seele verfu¨gt auch der Geistes-Bach in der Momentaufnahme der synchronen Betrachtung nicht u¨ber heterogene, ihn pluralisierende Inhalte. Wie die beiden zuletzt untersuchten Metaphern zeigt er aber diachron Pluralisierungstendenzen, da er in stndiger Bewegung begriffen ist. Gerade aus der diachronen Perspektive lassen sich allerdings gleichzeitig auch erhebliche Unterschiede zwischen dem Bild des Licht- bzw. Blitzstrahls einerseits und der Bachmetapher andererseits nachweisen. Beim Einfallen eines hellen Strahls besteht die Bewegung vor allem in einer Vernderung seiner ußeren Form, in seiner Verlngerung in den Raum hinein. Dagegen lsst sich die Dynamik eines Bachs nicht u¨ber die Varianz seiner Gesamtlnge und u¨berhaupt nicht primr u¨ber den Wandel seiner Außengrenzen charakterisieren. Vielmehr ergibt sich seine diachrone Pluralisierung vor allem daraus, dass man, am Ufer eines 382 383 384

Ebd. S. 436. Ebd. Ebd.

218 Fließgewssers stehend, stndig mit ›neuen‹ Wassermassen konfrontiert ist (man denke hier an Heraklits beru¨hmten Ausspruch von der Unmo¨glichkeit, zweimal in denselben Fluss zu steigen). Diachron ist also keine vollstndige Homogenitt dieses Wasser-Raums gegeben, sondern man hat ihm eine Inhaltsvernderung und damit eine gewisse Heterogenitt zuzuschreiben. Eine Zwitterstellung des Seelenraums zwischen homogener und heterogen-vielfltiger Befu¨llung suggeriert auch die oben zuletzt zitierte Emanationsmetapher des Gedichts, in welcher die Wirkungen eines im Verstorbenen auffindbaren »Punct[s]« der »Weißheit« (Vers 71)385 benannt werden. Sieht man dieses geometrische Gebilde als den einzigen oder zumindest dominierenden Inhalt des Geistes- bzw. Seelenraums im Verstorbenen an oder identifiziert man es gar zur Gnze mit dessen Geist bzw. Seele, so deuten seine geometrischen Eigenschaften (Unteilbarkeit, Einigkeit) zunchst die weitgehende oder vollstndige Homogenitt des Psychischen an. Beru¨cksichtigt man allerdings, dass die im Innern des Geistes liegende Weisheit den Ausgangspunkt von »tausend Witzesblitz[en]« (Vers 72) darstellt, mit denen der Verstorbene zu seinen Lebzeiten auf die Vielfalt der ihn umgebenden geistigen und materiellen Dinge reagiert hat, so ergibt sich ein anderes Bild. Zwar bleibt ¨ bergang vom Einen, d. h. von der einen offen, wo genau sich der U Weisheit, zum Vielen vollzieht, ob er noch im Geist bzw. der Seele selbst oder erst außerhalb derselben stattfindet.386 Es steht jedoch fest, dass die Anlage zu dieser Ausfaltung schon im intrapsychischen Weisheitspunkt enthalten gewesen sein muss, so dass er wenigstens von einer potentiellen Pluralitt nicht freigesprochen werden kann. Abgesehen davon, dass natu¨rlich neben dem Weisheitspunkt auch noch andere Inhalte im Seelenraum enthalten sein ko¨nnten, die mit zur Vielheit der aus ihm ausfließenden Geistesregungen beitru¨gen, liegt somit schon durch das Vorhandensein dieses Punkts kein vo¨llig homogener Seeleninhalt mehr vor. Noch deutlicher als die Emanationsmetaphern weisen die nachfolgend zu analysierenden Bilder der Verse 33–35 auf eine heterogene Fu¨llung des Seelenraums hin: […] Es war ja seine Seele ein Zeughaus aller Kunst / ein Meervoll [sic!] Witzes-Welle / ein Baum voll Sinnenfru¨cht / ein Schatzhaus voller Raht;387 385 386

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Ebd. Sptestens im Mund, aus dem der im Epicedium Geehrte »tausend WeißheitWest« (ebd. Vers 42), d. h. tausend kluge ußerungen, auszublasen pflegt, muss die Pluralisierung sich vollzogen haben. Ebd.

219 Eine auffllige Gemeinsamkeit weisen die erste und die letzte der hier angefu¨hrten Metaphern fu¨r das menschliche Innere (Zeughaus, Meer, Baum, Schatzhaus) auf: Beide verbildlichen die Seele als Gebude (vgl. zu diesem Metapherntyp auch die Abschnitte 3.1.2 und 3.5), dessen Fu¨llung explizit genannt wird. Sie sollen hier zuerst betrachtet werden. Die Verwendung der Zeughausmetapher bei der Darstellung psychischer Zustnde ist in der barocken Literatur keine Seltenheit. So beschreibt etwa Hoffmannswaldau, innere Zustnde gleichsam externalisierend, wie die »Sorgen […] ihr Zeughauß« im Kreis alternder Menschen errichten.388 In einem anderen Gedicht bezieht er dagegen diese architektonische Metapher auf das Innere eines verliebten Menschen, der sich selbst als ein »Zeughauß voller Angst und Leid« charakterisiert.389 In Dykes Erbauungsschrift Nosce teipsum erscheint in ¨ bersetzung das Herz als »Zeughauß aller zeitgeno¨ssischer deutscher U Su¨nde«,390 whrend in einem von Andreas Gryphius verfassten Gedicht ein Ich seiner Geliebten vorwirft, sie habe »ihr [inneres, M. D.] Zeughaus auffgemacht« und sei hart mit seiner verliebten Seele umgegangen.391 In allen hier zitierten Beispielen steht das Zeughaus zunchst vor allem fu¨r die in ihm enthaltenen ›Waffen‹. Diese ko¨nnen die Seele entweder – sei es von außen, sei es aus ihr selbst heraus – bedrohen oder sie ko¨nnen der Selbstverteidigung des Menschen nach außen dienen und dann einen positiven Zweck innerhalb des Individuums erfu¨llen. Auf Greiffenbergs Zeughausmetapher trifft das Letztere zu. Ist die Seele ein »Zeughaus aller Kunst« (Vers 34), so verfu¨gt sie als ›enzyklopdischer‹ Raum392 u¨ber die Waffen393 der im irdischen Leben 388

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Hoffmannswaldau, 1679/1984, S. 728 (»Trauer=Gedicht bey Absterben eines vertrauten Freundes« (»MEin Freund wo ist die Zeit da unsre gru¨ne Jugend«)). Ebd. S. 810 (»Klagelied u¨ber das unbestndige Gelu¨ck« (»WOrzu hat mich der Himmel doch erkohren?«)). Dyke, 1636, S. 488. Gryphius, Bd. 3, 1964, S. 193 (»Vermischte Gedichte« 8 – »Capitain Schwermer. An die Scho¨nste und Edelste dieser Welt« (»JCh halte mehr denn wahr / daß der aus Stein gehauen«)). Schon im Mittelalter sieht Wandhoff in allegorischen »Bauwerke[n] des Geistes« das »Projekt eines« – intrapsychischen – »enzyklopdischen Wissensraums« realisiert (Wandhoff, 2004, S. 24). Schon in der Fru¨hen Neuzeit (etwa bei Albrecht Du¨rer) kann der Begriff ›Zeughaus‹ u¨ber seine engere Bedeutung als Waffenlagersttte hinaus auch im allgemeineren Sinne ein »haus zur aufbewahrung« verschiedener Gegenstnde bezeichnen, so dass die Deutung der in ihm enthaltenen Gegenstnde als Waffen nicht zwingend ist (Anon.: Zeughaus (Art.). In: Grimm, Bd. 31, 1956/1984, Sp. 856–857; vgl. auch Anon.: Zeughaus[2] (Art.). In: Zedler, Bd. 62, 1749/1999, Sp. 246–248). Die Hauptbedeutung bleibt indes die militrische, wie sich etwa an ¨ berlegungen zur Bezeichnung ›Zeughaus‹ zeigt, vgl. NeuHartwig Neumanns U mann, 1992, S. 19–24.

220 unentbehrlichen Wissenschaften und Kunstfertigkeiten. Durch diese ist sie auf zahlreiche Aufgaben vorbereitet und gegen jede Widrigkeit, die von außen auf sie einstu¨rmt, geru¨stet. Eine hnlich zentrale Aufgabe wie das Zeughaus hat auch das »Schatzhaus voller Raht« (Vers 35) inne,394 das Greiffenberg dem Zeughaus als zweite architektonische Metapher an die Seite stellt. So, wie der plurale Inhalt dieser beiden Gebude der Stadt und dem Staat Wehr- und Zahlungsfhigkeit und damit sein Bestehen garantiert, sind die vielfltigen Formen von »Raht« und »Kunst« fu¨r die Beziehung des Individuums zur Welt unerlsslich. In der bisherigen Deutung erscheinen das Seelenzeug- und das Seelenschatzhaus vor allem deshalb als plurale Gebilde, weil sie gleichsam als Synekdoche interpretiert werden: Das Zeughaus wird als Waffenansammlung, das Schatzhaus als Anhufung von Reichtu¨mern betrachtet. Beide Gebude ko¨nnen jedoch auch noch auf andere Weise als plural gelten, verfu¨gen sie doch als gro¨ßere architektonische Entitten in jedem Fall u¨ber eine sie segmentierende Binnenstruktur: Das in der Seele erbaute »Hauß der Wissenschafft«395 bzw. der Kunstfertigkeiten hat viele Zimmer, oder – wie das Haus Gottes in Joh 14,2 – »viel Wonungen«.396 Gerade wenn man die Frage der Binnenstrukturierung beru¨cksichtigt, wird man allerdings bei beiden Seelenbildern auch einheitsfo¨rdernde Tendenzen erkennen ko¨nnen: Die Seele zersplittert sich in beiden Metaphern nicht vollstndig in die einzelnen Waffen und Schtze bzw. Ku¨nste, Wissenschaften und Lebenserfahrungen. So sind in einem Zeughaus die verschiedensten Waffentypen397 nicht einfach angehuft, sondern ordentlich, einen raschen Zugriff ermo¨gli394

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Zur Schatzhausmetapher vgl. unter Bezug auf Lk 6,45 auch Ohly, 1986, Sp. 988. Zur Verwendung der Schatzhausbildlichkeit fu¨r das menschliche Herz in einem Lied Gerhardts vgl. Petzoldt, 2008, S. 51–53. Ohne Schwierigkeiten lsst sich von Greiffenbergs Metapher auch eine Verbindung zum »Gedchtnisraum« der Mnemotechnik und zu den »rumliche[n] Gedchtnismetaphern« der Fru¨hen Neuzeit herstellen, geho¨rt doch zu den typischen, virtuell betretbaren »Gedchtnisorten« der Fru¨hen Neuzeit neben Bibliothek, »geometrische[m] Garten« und »o¨ffentliche[m] Platz« auch die »Schatzkammer« (Tausch, 2001, S. 23). Harald Tausch verweist außerdem darauf, dass noch bei John Locke das Gedchtnis als »Vorratskammer« erscheine (ebd. S. 25). Rist, 1652/1978, S. 134 (»Hertzliche Glu¨ckwu¨nschung / An den Edlen / Vesten und Hochgelahrten Herren Joachim Hagemeier […]« (»REcht fraget man / was doch in dieser Zeit zu finden«)). Zum Konzept eines utopisch-allegorischen »Haus[es] des Wissens« und der Wissenschaften in der Fru¨hen Neuzeit vgl. auch Limpricht, 1994, S. 12–17. Biblia, Bd. 3, 1974, S. 2170. Neumann listet in seiner Bildbeschreibung eines fru¨hneuzeitlichen Kupferstichs eine fast unu¨berschaubare Vielfalt von Waffentypen und anderen Militrutensilien auf, vgl. Neumann, 1992, S. 10.

221 chend und dabei hufig auch in sthetisch beeindruckender Weise verwahrt.398 Nicht zuletzt deshalb stellt das Zeughaus in der Fru¨hen Neuzeit als Ganzes ein reprsentatives Gebude, ein Symbol militrischer Macht, dar.399 Außerdem sind die im Zeughaus eingelagerten Waffen auf einer gedanklichen Ebene schon durch den ihnen allen gemeinsamen Verwendungszweck vor-geeint, so dass sie nicht ausschließlich u¨ber den sie verbindenden Raum zu einem kohrenten Ganzen gemacht werden mu¨ssen. In Greiffenbergs Gedicht zeigt sich die relative Einheit, welche die pluralen Zeughausinhalte u¨ber ihren gemeinsamen Nutzen sowie u¨ber ihre wohldurchdachte Verwahrung und Anordnung im gemeinsamen Raum erreichen, schon darin, dass die ›Fu¨llung‹ des Zeughauses nicht im Plural (Ku¨nste), sondern in der Einzahl (Kunst) benannt wird. Dasselbe gilt fu¨r den Inhalt des Schatzhauses, den »Raht«, der sich schon grammatisch gar nicht in den Plural setzen ließe. Nicht bis zur homogenen Ununterscheidbarkeit nivelliert, aber doch bis zur Ausbildung psychischer Kohrenz zuru¨ckgenommen erscheint die Pluralitt bzw. Heterogenitt des Seelenraum-Inhalts auch in den beiden Seelenmetaphern aus dem Bereich des Natu¨rlichen, die von den architektonischen Bildern des Zeug- und des Schatzhauses gleichsam eingerahmt werden. Beim – sicherlich auch auf Mt 7,18 sowie 12,33 oder auf Ps 1,3 anspielenden – »Baum voll Sinnenfru¨cht«400 (Vers 35) ist der Seelen›inhalt‹ zwar selbst grammatisch eindeutig ein pluraler. Zugleich aber wachsen die verschiedenen Fru¨chte an einem gemeinsamen Stamm und sind, solange sie nicht von ihm abgepflu¨ckt werden, u¨ber das Zweiggeflecht miteinander verbunden. Der Seelenbaum weist also eine Pluralitt der ›Inhalte‹ auf, die durch den organischen Zusammenhalt des Gesamtgewchses abgeschwcht wird. So kann auch dieses dreidimensionale Seelengebilde durch den Begriff der Viel-Einheit charakterisiert werden. Auch die zweite dreidimensionale Seelenraummetapher dieses Gedichtausschnitts (»ein Meervoll Witzes-Welle« (Vers 34)) ist viel-einheitlich angelegt. Anders als im Falle der oben ausfu¨hrlich untersuchten Bach-Metaphorik werden hier im homogen-einheitlichen Wasserraum explizit einzelne Segmente (Wellen) unterschieden. Allerdings erscheint die Pluralitt eines in Wellen aufteilbaren Seelenmeers doch weitaus geringer als jene eines in verschiedene Rume und 398

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Zur Ordnung in fru¨hneuzeitlichen Zeughusern vgl. etwa ebd. S. 13–14, S. 115; Anon.: Arcenal (Art.). In: Zedler, Bd. 2, 1732/1993, Sp. 1188–1189. Zur sthetik des Arrangements vgl. auch Bartetzky, 2000, S. 197; Neumann, 1992, S. 180. Vgl. Neumann, 1992, S. 180; am Beispiel des Danziger Zeughauses auch Bartetzky, 2000, S. 173. Einen ausfu¨hrlichen Einblick in die barocke Baummetaphorik gibt etwa Spangenberg, Bd. 5, 1982, S. 126–141, bes. S. 130–132.

222 Rauminhalte fragmentierbaren Zeug- oder Schatzhauses. An direkt aufeinanderfolgenden Metaphern lsst sich hier eindrucksvoll zeigen, was bereits in Abschnitt 1.4.1 noch vor allen Analysen betont wurde: Sprachliche Seelenbilder, in denen der Zustand seelischer Viel-Einheitlichkeit explizit entfaltet wird, ko¨nnen sich im Ausmaß, in dem sie der Viel- bzw. der Einheit zuneigen, deutlich unterscheiden. Wenn derartige Unterschiede in der Gewichtung rumlicher Einheit bzw. Vielheit ein und denselben psychischen Raum zu verschiedenen Zeitpunkten seiner Entwicklung betreffen, lassen sich aus ihnen vielfach wichtige Erkenntnisse u¨ber die ›Biographie‹ der Seele ableiten. Im vorliegenden Fall allerdings deutet sich kein zeitliches Nacheinander der rumlichen Kohrenzschwankungen an. Wenn der metaphorische Meeresraum gegenu¨ber dem Seelenzeughaus zusammenhngender erscheint, so ko¨nnte man die Wahl unterschiedlich kohrenter Bildspender etwa damit erklren, dass die praxisorientierten Kunstfertigkeiten des Menschen (»Kunst«) noch strker mit der Mannigfaltigkeit des Materiell-Diesseitigen verbunden sind als sein »Witz«. Schließlich steht dieser, wie die vorangehend untersuchte Lichtstrahlenmetaphorik desselben Gedichts zeigt, nicht nur mit der Welt, sondern auch mit dem go¨ttlich-einheitlichen Ursprung aller Weisheit in enger Verbindung. In allen vier zuletzt untersuchten Metaphern erscheint die Vielheit der Inhalte nicht als stabilittsgefhrdender, sondern paradoxerweise sogar als stabilittsfo¨rdernder Faktor. So fehlt den ins Schatz- bzw. Zeughaus eingelagerten Schtzen und Waffen als fu¨r sich genommen unbeweglichen Gebilden nicht nur jeder Impuls, das jeweilige Gebude auseinanderzureißen, sondern man kann ihnen – unter Beru¨cksichtigung ihres Verwendungszwecks – sogar genau die gegenteilige Leistung zuschreiben. Schließlich dienen die im Zeughaus eingelagerten Waffen der Verteidigung auch dieses Gebudes, die im Schatzhaus gesammelten Schtze dem Erhalt auch ihres eigenen Aufbewahrungsorts. Fu¨r die oben untersuchte Obstbaummetapher ist darauf hinzuweisen, dass gerade ein Baum, der viele Fru¨chte trgt, als ein gesundes und daher stabiles Gesamtgebilde gelten kann, whrend seine Unfruchtbarkeit fast unausweichlich den bevorstehenden Verfall anzeigte. Und ein Meer wird erst dadurch zum Meer, d. h. zur unu¨berschaubaren, alles u¨berflutenden Wasserflche, dass es aus unzhligen Wellen besteht – es verdankt also seine einheitliche Existenz als Gesamtgebilde seiner in¨ bertrgt man diese Beobachtungen von der Ebene neren Pluralitt. U des Bildspenders auf jene des Bildempfngers, so kann man konstatieren, dass in Greiffenbergs Versen zwischen den verschiedenen in der Seele gespeicherten Sinneseindru¨cken, Kunstfertigkeiten, Vermo¨gen und Erfahrungen kein Konflikt besteht, der die psychische Kohrenz

223 dramatisch gefhrdete. Im Gegenteil: Gerade die Vielzahl der angeborenen und erworbenen Fhigkeiten der Seele – ihre gute ›Bewaffnung‹, ihre vielfltigen ›Schtze‹ und ›Vermo¨gen‹, die Fu¨lle ihrer ›Fru¨chte‹ – wirkt sich stabilisierend auf die Gesamtheit des Psychischen aus. Die unterschiedlichen Facetten seelischer Vortrefflichkeit tragen dazu bei, der Seele und dem gesamten Menschen nach innen wie nach außen ihre Einheit und Unverletztheit zu bewahren, und steigern dabei gleichsam den Wert der Seele.401 ¨ berlegungen soll hier Die Angemessenheit der zuletzt angestellten U durch die Betrachtung jenes Seelenbildes verdeutlicht werden, das der Schatzhausmetapher unmittelbar folgt (Verse 36–41). Die Seele des Verstorbenen erscheint darin als ein Kleinod / wo Vernunft die Weißheit-Demant hat in Ku¨nste-Gold versetzt / geschmelzt mit bunten Farben der scho¨nsten Wunder-wort / die ho¨hern Preiß erwarben bey Tugend-Ehrern / als die todten Edelstein die stumm und thumme Schtz der Lebend-Toten seyn / die ohne Weißheit-Lieb. […]402

In der Metapher des aufwendig zusammengesetzten »Kleinod[s]« werden gleich mehrere im Gesamtverlauf des Gedichts in unterschiedlichen Bildern dargestellte Geistesvermo¨gen und -ußerungen miteinander verbunden. Die vorher in der Schatzhausmetapher genannte »Kunst« taucht hier als »Ku¨nste-Gold« (Vers 37) wieder auf. Dem an spterer Stelle entworfenen, tausend Strahlen emanierenden Punkt der Weisheit entspricht eine Mehrzahl von Weisheits-Diamanten und die unmittelbar im Anschluss an die Kleinodmetapher erwhnten »Blumenholde[n] Spru¨ch[e]«, die in Form von »tausend Weißheit-West« einst dem Munde des Verstorbenen entstro¨mten (Verse 42–43), finden ihr Pendant in den buntfarbigen Edelsteinen der »Wunder-wort« (Vers 38), die jeden unmetaphorischen Edelstein an wahrem Wert u¨bertreffen. Das hier gezeichnete, aus Gold, Edelsteinen und Diamanten bestehende Kleinod weist nicht die Struktur des zuvor entworfenen Seelenschatzhauses auf, auch wenn in diesem ganz hnliche Stoffe lagern 401

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Diese Aufwertung der Seele zeigt sich etwa in der impliziten Schatzhaus-Metaphorik Rists: Dieser lobt in seinem Ehren=Gedicht / Uber das sehr Geist= und trostreiche Buch / Kreu¨tz=Schule genant / Welches […] Herr / H. M. Valentin Wudrian / […] an den Tag gegeben […] ausdru¨cklich eine Seele, in welcher »[d]er Kunst und Sprachen Schatz /| Der unvergleichlich ist / […] einen weiten Platz« findet (Rist, 1652/1978, S. 762 (»MEin traurigs Seelichen / wie magst du dich so krnken«)). Greiffenberg, Bd. 1, 1983, S. 436 (»Uber des (zwar nicht mehr) Unglu¨ckseeligen / uns Unglu¨ckseeligen und Weltbetru¨bten Todfall« (»WAnn die Durchgeisterung der Weißheit / ko¨nde geben«)).

224 du¨rften. Beim Schatzhaus sind die Kostbarkeiten zwar in einem gemeinsamen Raum angeordnet und einem gemeinsamen Zweck gewidmet, aber doch deutlich voneinander abgegrenzt. In diesem Fall dagegen hat sich die »Vernunft« als Goldschmied bettigt und ein viel-einheitliches Gebilde geschaffen, das deutlich mehr als die Schatz- und Zeughausmetapher oder als die Metapher des fruchttragenden Baums dem Einheitspol zuneigt, auch wenn sich noch immer einzelne Komponenten innerhalb dieses Schmuckstu¨cks unterscheiden lassen. Jeder Edelstein, jede Farbkomponente leistet einen unverzichtbaren und hochwillkommenen Beitrag zur Gesamtwirkung des Geschmeides, das aber nach sthetischen Kategorien mehr als die Summe seiner Teile darstellt und nicht mehr ohne weiteres in die Letzteren segmentierbar ist. Die kunstvolle Form, die das Kleinod besitzt, kann Einheit auch u¨ber die Grenzen verschiedener Stoffe hinweg erzeugen, ohne sie dabei zu einer homogenen Masse zu vermischen. Gerade bei der Gegenu¨berstellung der Schatzhaus- und der Kleinodmetapher sto¨ßt die Erfassung der innermetaphorischen Einheitsunterschiede mit dem in Abschnitt 3.2 erarbeiteten topoanalytischen Vokabular an ihre Grenzen. Die unterschiedlichen Kohrenzgrade etwa zwischen der Zeughaus- und der Gewssermetaphorik ko¨nnen problemlos als Abstufungen in der Heterogenitt der psychischen Inhalte beschrieben werden: Die einzelnen Wellen eines Gewssers sind weniger heterogen als die unterschiedlichen Waffentypen in einem Zeughaus. Der Unterschied zwischen Seelenschatzhaus und Seelenkleinod lsst sich dagegen nicht auf diese Weise fassen, da beide eindeutig plural-heterogen zusammengesetzt sind, ja dieselben Komponenten aufweisen ko¨nnen. Fu¨r den ›Einheitsgrad‹ viel-einheitlicher seelischer Rume mu¨ssen also noch andere qualitativ-inhaltsbezogene Kriterien verantwortlich sein als die in Abschnitt 3.2 genannten. Diese zustzlichen kohrenz- und stabilittsbeeinflussenden Faktoren, die in plural besetzten Seelenrumen wirksam sind, werden im folgenden Abschnitt (3.4.2) zu erarbeiten sein.

3.4.2 Die Ordnung der Seele – Heuristische Betrachtungen jenseits des Containerraum-Modells Um den weiteren Bedingungen fu¨r eine gro¨ßere bzw. geringere Pluralitt psychischer Rume auf die Spur zu kommen, soll zunchst eine rumlich etwas anders gestaltete Variante inhaltlicher Mannigfaltigkeit im Seelenraum betrachtet werden. Wie in Abschnitt 3.1.2 erwhnt, verfu¨gt ein Seelenraum streng genommen schon dann nicht mehr u¨ber

225 einen homogenen Rauminhalt, wenn er nach dem Kern-Hu¨lle-Schema aufgebaut ist, da sich in diesem Fall zwei Bereiche, ein innerer und ein ußerer Sektor, an ihm unterscheiden lassen. Hufig kommt als weiterer Pluralisierungsfaktor eine uneinheitliche Gestaltung des ußeren Sektors (der ›Hu¨lle‹) hinzu. Im folgenden Gedicht aus Greiffenbergs sechster ›Passionsbetrachtung‹ (Greiffenbergs Des Allerheiligst- und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, Zwo¨lf andchtige Betrachtungen wurden 1672 gedruckt) ist eine solche Vielfltigkeit der peripheren Seeleninhalte deutlich erkennbar: 1. KOmm / holder Herz=herscher! zu mir / bereite den Ko¨nigs=thron hier. Mein herz ist vermessen / es wu¨nschet / besessen einig zu werden / O JEsu! von dir. 2. Jch breite die teppig der lieb schon unter / den lieblichen trieb / und spanne den Himmel / von lobes=gewimmel u¨ber / indem ich dein Leiden beschrieb. 3. Jch setze den sessel der Ruh / die einsame stille / dazu / ach lasse dich nieder / und segne mich wieder. Htt ich bald einen so seeligen Nu! 4. Die staffeln der Demut sind auch / Herz=Ko¨nig! zu deinem gebrauch: erkntnus des nichtes selbst=eignen gerichtes: welches verjaget der eitelkeit rauch. 5. Diß alles ist pur helfen=bein / von treue so fein u¨berfein mit gold u¨berkleidet / so alle glut leidet: Glaube / der ko¨stlich / bestndig und rein. 6. Die Leuen stehn auch nach der reih auf beyden thron=seiten dabey / herz / großmut und krften / in allen geschften. Ehre=vermehren mein tichten stts sey! 7. Es stehet auch neben dem thron / die tafel / mit Zepter und Cron / Reichs=apfel und Degen ist alles zugegen / Lorbeer auch / frommen und bo¨sen zu lohn.

226 8. Dein Zepter / dein mchtiges Wort ligt allzeit / O heiliger Hort! im herzen gefangen / das einig will hangen ewig an diesem Seel=seeligkeit=Port. 9. Die Krone der Gottheit / die Gu¨t / verhu¨tet mein glaubigs Gemu¨t: die Weisheit=Saffiren / aufs schonste sie zieren / Rubinen / Carfunkel / von deinem geblu¨t. 10. Die Ewigkeit billig kan seyn der apfel des Ko¨nigreichs dein: das Creutz in der mitten / auf dem du gelitten / fu¨hret und fu¨get und sieget allein. 11. Der Degen die Go¨ttliche Macht / die unter sich alles gebracht / mir schwebet in sinnen / und macht mich gewinnen alles / worauf nur mein Herze=gedacht. 12. So komme / weil alles bereit / du Herrscher du Herz=heiligkeit / Komm / JEsu / mein Leben / ich will dir eingeben Sinnen / beginnen / beherrsch es allzeit.403

¨ ber zwo¨lf Strophen entwirft der lyrische Sprecher die Anordnung U verschiedenster Mo¨bel und Einzelgegenstnde in seinem eigenen Innern. In der ersten Strophe erhofft das Ich von Christus, dass er seinen »Ko¨nigs=thron« im Herzensraum »bereite«. Whrend das Herz bei isolierter Betrachtung der Anfangsverse nicht mehr als den Thronsessel umfassen muss, erweitert es sich, wenn man die folgenden Strophen beru¨cksichtigt, zum allegorischen Thronzimmer. Unterhalb des Throns kommt der »teppig der lieb« zu liegen, oberhalb desselben spannt das Ich als Baldachin »den Himmel /| von lobes=gewimmel« aus (Strophe 2). Neben den Thron Christi wird der »Sessel der Ruh« positioniert (Strophe 3), whrend die »staffeln der Demut« vermutlich vor dem Herrschersitz des »Herz=Ko¨nig[s]« zu verorten sind und zu ihm hinauf fu¨hren (Strophe 4) usw. Auch wenn als Ort der jeweils von Strophe zu Strophe neu hinzutretenden Tugenden und Herrschaftsinsignien Christi nicht immer mit letzter Sicherheit das Herz des Sprechers bestimmt werden kann, ist der allegorische Entwurf in den ersten Strophen doch so detailliert, dass sich dem Leser die Fortfu¨hrung der Allegorie durch 403

Greiffenberg, Bd. 9, 1683/1983, S. 311–312.

227 den ganzen Text hindurch nahelegt. Außerdem findet man selbst in den letzten Strophen des Gedichts noch Hinweise darauf, dass Greiffenbergs Ich durchgngig von der Beschaffenheit des Herzensraums spricht. So ist etwa in der achten Strophe das Zepter des go¨ttlichen Worts »im herzen gefangen«404 und in der letzten Strophe erscheint Christus als »Herz=heiligkeit«. Bemerkenswerterweise wird die Vielfalt der Herzensinhalte im zuletzt zitierten Gedicht Greiffenbergs nicht durch feste metaphorische Außengrenzen zusammengefu¨gt. Weder werden solche explizit erwhnt, noch wird der Herzensraum an irgendeiner Stelle mit dem Namen eines metaphorischen Gebildes belegt, das sofort an stabile ußere Umgrenzungen denken ließe. Einheitsstiftend erscheint fu¨r den hier beschriebenen seelischen Raum allein die Tatsache, dass ein eindeutiges Zentrum auszumachen ist, zu dem alle weiteren Raumkomponenten als unmittelbar von ihm abhngige Peripherie hinzutreten. Ohne den Thron Christi im Herzen verlo¨ren alle weiteren Zuru¨stungen ihren Sinn und ihre Kohrenz, ergben die Einzelkomponenten kein thronsaalartiges Gesamtgebilde, sondern blieben mehr oder weniger unverbunden. Schon die Tatsache, dass in der Chronologie des Gedichts die Festlegung des Zentrums der Darstellung der Peripherie vorangeht, dass der Seelenraum gewissermaßen von seiner Mitte her entworfen wird, macht die Vorrangstellung der Letzteren im pluralen Seelenbzw. Herzensraum deutlich. Damit steht der innere Raum dieses Gedichts in einem bemerkenswerten strukturellen Gegensatz zu den Seelenrumen des im vorangehenden Abschnitt (3.4.1) behandelten Epicediums. Zwar ist, wie oben ausfu¨hrlich dargestellt, auch beim Seelenschatz- oder Seelenzeughaus von pluralen und heterogenen Seeleninhalten auszugehen, doch lsst sich in diesen inneren Gebuden kein einzelnes feststehendes Zentrum benennen, u¨ber das ein Zusammenhalt erzielt werden ko¨nnte. Stattdessen ist in ihnen gerade die architektonische ›Hu¨lle‹ fu¨r den ersten Eindruck der Kohrenz verantwortlich. Zunchst werden also Seelenzeug- und Seelenschatzhaus und ebenso auch der Seelenbaum u¨ber das explizit benannte ›Gefß‹ (Gebude, Baum), das ihre ›Inhalte‹ (Waffen, Schtze, Fru¨chte) umschließt, zu einem zusammenhngenden Ganzen. Gerade die Außengrenzen des Gesamtgebildes sind in diesen Fllen wesentlich daran beteiligt, die innere Pluralitt aufzufangen und eine Viel-Einheit daraus zu gestalten.

404

Dieses Zepter wird außerdem – genauso wie der in Strophe 9 erwhnte Reichsapfel – bereits in der siebten Strophe auf einer Tafel neben dem Herzensthron verortet.

228 Anders als mit den Metaphern des Epicediums verhlt es sich mit der Bildlichkeit der ebenfalls im vorangehenden Abschnitt untersuchten Monodisticha Czepkos. Auch sie behaupten zwar die Einigung des Mannigfaltigen in der Seele, doch bleibt offen, wie diese sich vollziehen soll. Ein mit der Seele zu identifizierendes Gesamtgebilde, u¨ber dessen Außengrenzen von vornherein eine gewisse Einheit gewhrleistet wre, wird in diesem Fall nicht genannt. Wie bei der Herzensthron-Allegorie, in der sich die Einigung offensichtlich vom Zentrum her vollzieht, erscheint auch hier die Wahrnehmung des Seelenraums als Behltnis, das u¨ber seine Hu¨lle den (zunchst pluralen) Rauminhalt synthetisiert, unmo¨glich. Um zu verstehen, wie jenseits der Benennung eines ›Gesamtcontainers‹ die Seele zur rumlichen (Viel-)Einheit gebracht werden kann, soll im Folgenden u¨ber die bisher durchgngig vorausgesetzte Gefßstruktur des Seelenraums und damit auch u¨ber das Containerraum-Schema hinausgedacht werden. Dabei wird die Aufmerksamkeit in der Betrachtung des Raums ganz vom »Seinsbegriff« weg auf den »Ordnungsbegriff« zu lenken sein,405 auf dessen Bedeutung die oben ¨ berlegungen zur Zeug- bzw. Schatzhausmetapher schon angefu¨hrten U erste Hinweise gegeben haben mo¨gen. Ein solcher Perspektivwechsel ist die Grundlage des von Cassirer entworfenen Raumkonzepts, das stark von den Raumbegriffen Gottfried Wilhelm Leibniz406 und Immanuel Kants407 sowie von der modernen Physik408 beeinflusst ist. Es lsst sich in den Worten Dagmar Reicherts wie folgt zusammenfassen: »Raum existiert nicht, hat keine – weder eine sichtbare noch eine unsichtbare – Gegenstndlichkeit, sondern besteht in den Beziehungen von Gegenstnden zueinander.«409 Noch knappere Worte fu¨r sein Raumverstndnis findet Cassirer selbst, wenn er den Raum und parallel dazu die Zeit als »Systeme von Beziehungen« bezeichnet, welche die »empirische Anschauung erst ermo¨glichen«.410 Wie schon in Abschnitt 3.2 angedeutet, kann und soll es im Folgenden nicht darum gehen, einen konsequenten Paradigmenwechsel zu einer relationalen Raumvorstellung zu vollziehen und bei den weiteren ›Topoanalysen‹ den Seelenraum ausschließlich nach Maßgabe dieses Raumkonzepts wahrzunehmen. Dies erschiene schon allein deshalb 405 406

407 408 409 410

Cassirer, 1975, S. 23. Vgl. etwa ebd. S. 21–22; Cassirer, 2000, S. 40. Eine fu¨r den hier ero¨rterten Zusammenhang hinreichende, u¨bersichtliche Darstellung des Raumbegriffs bei Leibniz findet sich etwa in der Dissertation von Dirk Evers, vgl. Evers, 2000, S. 32–36, bes. S. 32–34. Vgl. dazu etwa Cassirer, 1921, S. 75–97. Vgl. Cassirer, 1975, S. 22. Reichert, 1996, S. 17. Cassirer, 2002, S. 103.

229 fragwu¨rdig, weil es sich bei den meisten Bildspendern fu¨r die metaphorischen Seelenrume um lokal begrenzte, materielle Einzeldinge (Haus, ¨ berleSchrein, Muschel usw.) handelt, whrend es Cassirer in seinen U gungen im Grunde gar nicht darum geht, die »Rumlichkeit« eines konkreten Einzelgegenstands nher zu bestimmen. Cassirers Ausfu¨hrungen beziehen sich vielmehr auf »›den‹ Raum« schlechthin. Diesen versteht er – mit Kant – als Grundlage, als »Bedingung« unserer »Anschauung«,411 whrend er ihm – gegen Isaac Newton412 – ein substantielles »Sein […] neben dem Sein der Materie« abspricht.413 Zumindest ¨ bernahme von Cassirers Ausfu¨hrungen in die Auseinaneine einfache U dersetzung mit der barocken Seelenraum-Metaphorik wre also streng genommen allenfalls dort mo¨glich, wo im Gedicht ein unendlich ausgedehnter, mit dem Gesamtraum zusammenfallender Seelenraum gezeichnet wu¨rde. Ließe man sich darauf ein, Cassirers Konzept unkritisch auf die psychischen Rume zu u¨bertragen, so kme man bei diesem Schritt außerdem mit der fu¨r den abendlndischen Seelenbegriff so bedeutsamen metaphysischen Sicht auf die Seele (vgl. dazu insbesondere Abschnitt 2.1) in Konflikt. Wie ko¨nnte die Seele, deren eigenstndigem Sein im christlichen Verstndnis eine zentrale Bedeutung zukommt, angemessen im Bild eines Raums dargestellt werden, dem jegliche »Verdinglichung und metaphysische Hypostasierung«414 verweigert wird, der von vornherein nicht als ontologisch zu fassende »Einheit«, nicht – wie in der »substantialistischen Ansicht« – »als ein fu¨r sich Bestehendes«415 wahrgenommen werden darf ?416 Muss man aus ¨ bertragung des relationalen den genannten Gru¨nden die konsequente U Raumverstndnisses auf den psychischen Raum vermeiden, so werden doch die folgenden Seitenblicke auf dieses Raumkonzept nicht ohne Nutzen fu¨r das Verstndnis der zuletzt betrachteten Seelenrume sein. ¨ berlegungen zum traditionell-substantielCassirer stellt in seinen U len und zum modern-relationalen Raumbegriff einen engen Zusammenhang zwischen der Einheit (bzw. Identitt) und dem Sein sowie zwischen Vielheit und Ordnung her. Zur paarweisen Verknu¨pfung dieser Gro¨ßen schreibt er:

411 412

413 414 415 416

Cassirer, 2002–2, S. 167. Vgl. Cassirer, 1975, S. 21. Vgl. zu Leibniz Widerlegung des von Newton vertretenen Raumkonzepts auch Evers, 2000, S. 33. Cassirer, 1975, S. 22 [Herv. d. E. C.]. Cassirer, 2000, S. 30. Ebd. S. 39. Interessante Parallelen ko¨nnten sich allerdings zwischen Cassirers Raumkonzept und der noch in der Fru¨hen Neuzeit viel diskutierten aristotelischen Definition der Seele als Form des Ko¨rpers (vgl. Kapitel 2) ergeben.

230 Wie fu¨r das Sein die Identitt, so bildet fu¨r die Ordnung die Mannigfaltigkeit gewissermaßen das Lebenselement, in dem allein sie bestehen und sich gestalten kann. Wie der Seinsbegriff die Einheit als Korrelat verlangt […], so besteht eine analoge Korrelation zwischen Vielheit und Ordnung […].417

Lo¨st (erstmals mit Leibniz)418 die Vorstellung vom Raum als Ordnung der Dinge die ontologischen Reflexionen u¨ber den Raum als »eigene[n] ›Gegenstand‹« ab,419 so wird dadurch, wie Cassirer betont, die Einheit des Raums ganz von selbst durch eine (dann u¨berhaupt erst raumkonstituierende) Vielheit ersetzt.420 Im Umkehrschluss bedeutet dies: Assoziiert man nicht einen einzelnen Gegenstand, sondern eine Vielheit von Objekten mit dem Begriff des Raums, so muss bei seiner Analyse deren »Ordnung« – die hier zunchst einfach als »faktische […] Anordnung«421 des Mannigfaltigen zu verstehen ist – betrachtet werden. Zur Charakterisierung der vorangehend behandelten Seelenraummetaphern des Seelenschatz- bzw. Seelenzeughauses einerseits und des Herzensthronsaals andererseits ist jeweils eines der raumtheoretisch relevanten Begriffspaare ›Sein-Einheit‹ und ›Ordnung-Mannigfaltigkeit‹ in besonderem Maße geeignet. Das Seelenschatz- und das Seelenzeughaus wird man trotz ihrer inneren Mannigfaltigkeit eher dem Pol des »Seins« und der »Einheit« zuordnen. In beiden Metaphern wird die Seele explizit als ein Gebude benannt und steht so bereits a priori dem Leser als einfacher (Container-)Raum vor Augen, statt sich erst nach und nach aus einzelnen Partikeln aufzubauen. Die Pluralitt der Waffen und Schtze und deren Beziehungen untereinander erscheinen hier in gewisser Weise sekundr. Anders verhlt es sich mit Greiffenbergs Herzensthron-Allegorie, in welcher der psychische Raum, wie oben erlutert, nicht schon von vornherein als architektonisches Behltnis (und damit gewissermaßen als Einzelgegenstand) apostrophiert wird. Hier konstituiert und konkretisiert sich der innere Raum fu¨r den Leser erst allmhlich im Gedichtverlauf – und zwar in der Interaktion zwischen dem (zentralen) Herzensthron und den Gegenstnden, die nach und nach in bestimmten Positionen um ihn her angeordnet werden. Er entfaltet sich also als 417 418

419 420

421

Cassirer, 1975, S. 23. Vgl. Evers, 2000, S. 32–33, sowie die folgenden Stellen aus dem Briefwechsel Leibniz mit Samuel Clarke: Clarke, 1990, S. 28 (Leibniz dritter Brief); S. 48–49 (Leibniz vierter Brief); S. 72, S. 98 (Leibniz fu¨nfter Brief) u.o¨.; vgl. dazu auch Dellian, 1990, S. LV–LVI. Cassirer, 2002–2, S. 168. Vgl. Cassirer, 1975, S. 21–22. Der essentielle Zusammenhang zwischen Ordnung und Vielheit wird schon in Alsteds Enzyklopdie aufgewiesen (Alsted, Bd. 2/Tom. III, 1630/1989, S. 587): »Vbi ordo, ibi multitudo.« Meinhardt, H.: Ordnung – I. Antike – 2. (Art.). In: Ritter, Bd. 6, 1984, Sp. 1251–1254, hier Sp. 1251.

231 ›System von Beziehungen‹. Da der Seelenraum in diesem Fall wenigstens nicht von allem Anfang an als Seiender und als Einheit etabliert ist, da er seinen Ausgang von der Mannigfaltigkeit seiner Bestandteile nimmt, wird zu seiner Charakterisierung, dem zweiten von Cassirer entwickelten Begriffspaar entsprechend, seine »Ordnung« zentral. Trotz seiner Nhe zum Begriffspaar der Mannigfaltigkeit und Ordnung kann der Herzensthronsaal indes allenfalls stark vereinfachend als rein relationaler Raum eingestuft werden, geht er doch nicht zur Gnze in seinen konkret benannten Bestandteilen und ihren Beziehungen zueinander auf. Dies hngt zunchst wesentlich mit den Eigenschaften des Bildempfngers zusammen, dessen bloße Nennung in Strophe 1 bereits das vorgngige Vorhandensein eines rumlichen Gesamtgebildes impliziert, das all seinen Komponenten u¨bergeordnet ist. Sieht man das Herz als seelenquivalent an, so ist ihm, wie oben fu¨r die Seele ausgefu¨hrt, notwendig ein relationsunabhngiges Sein zuzusprechen, das dem Herzensraum von vornherein auch Zu¨ge eines nicht-relationalen Raums verleiht. Und auch, wenn man das Herz als den organischen Seelensitz verstehen wollte, mu¨sste man ihm a priori einen gewissen Behltnischarakter zubilligen, mag es auch in diesem Gedicht nicht mit einem ContainerraumEtikett – etwa dem des Herzenshauses oder der Herzenskammer – versehen sein. Weiterhin muss fu¨r Greiffenbergs Verse der Begriff der ›Ordnung‹ in einer Weise spezifiziert werden, die ihn vom Ordnungsbegriff innerhalb eines relationalen Raumkonzepts entfernt. Wie bereits erwhnt, lsst sich beim relationalen Raum ›Ordnung‹ zunchst einfach als »faktische […] Anordnung«422 des Mannigfaltigen im Raum betrachten.423 Dagegen ist die in Greiffenbergs Herzensraum sich andeutende Ordnung am Kern-Hu¨lle-Schema orientiert, das immer schon die Zusammengeho¨rigkeit von Kern und Hu¨lle suggeriert und beide Komponenten bis zur ontischen Verschmelzung zu einem ho¨heren Ganzen (etwa einer Frucht) aufeinander bezieht (vgl. Abschnitt 3.1.2). Damit aber trgt die Ordnung des Herzensthronsaals, auch wenn sie zunchst mit der Vielheit seiner Komponenten in Zusammenhang zu bringen ist, zugleich entscheidend dazu bei, dass dem metaphorischen Gebilde trotz seiner Vielteiligkeit ein einheitliches Sein zukommt. Sowohl aufgrund der Implikationen des Herzensbegriffs als auch wegen der spezifischen Form der Ordnung des Mannigfaltigen ist der zuletzt untersuchte Herzensraum somit beides – Container- und relationaler Raum. Der Ordnungs- und der Seinsbegriff mu¨ssen beide gleichermaßen zu seiner adquaten Erfassung angewendet werden.

422 423

Ebd. Vgl. etwa Clarke, 1990, S. 78 (Leibniz fu¨nfter Brief).

232 Die Mo¨glichkeit und Notwendigkeit, einen einzigen Seelenraum gleichzeitig auf der Basis zweier (im Grunde kontradiktorischer) Raumkonzepte zu analysieren, besteht nicht nur in diesem einen Fall. Zu einer gleichzeitigen Verbildlichung der Seele als Container- wie auch als relationaler Raum kommt es auch in anderen barocken Texten, so etwa dort, wo Greiffenberg in ihren u¨berwiegend in Prosa abgefassten ›Geburtsbetrachtungen‹ in gebundener Sprache ein Lob der Einsamkeit anstimmt. Auf ußerst komplexe Weise handelt Greiffenbergs Gedicht von der Seele im Gott wohlgeflligen Zustand bewusst gewhlter Einsamkeit, von der Einsamkeit als »Bild der Seelen […] | die GOttes Geist pflegt zu erwehlen«.424 Dabei wird die Seele des in Weltabgewandtheit und Ruhe lebenden Menschen in verschiedenen Gestalten verbildlicht, unter anderem erscheint sie in mehreren Strophen auch als u¨ppiger, ja paradiesischer425 Garten.426 Dieser Eindruck wird jedoch nicht etwa dadurch vermittelt, dass die Seele explizit mit dem ›Containerraum-Etikett‹ des Gartens bezeichnet427 und auf diese Weise als in sich zusammengeho¨rige Entitt charakterisiert wu¨rde. Die Bestimmung der Seele als Garten ergibt sich fu¨r den Leser vielmehr auf indirektem Wege, einerseits aus der Benennung ihrer einzelnen Komponenten und andererseits aus der spezifischen Art der Zuwendungen, welche sie durch Gott und seine Gnade erfhrt. Man vergleiche dazu den folgenden Ausschnitt aus der dritten Strophe sowie die im Anschluss zitierten Strophen 5 und 6: 424

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Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 226. (3. Betrachtung – »Lob der Einsamkeit« (»ACh Einsamkeit / du Bild der Seelen!«)). Mit der (schon auf Philo von Alexandria zuru¨ckgehenden) Tradition der »allegorische[n] Deutung« des Paradieses »auf die Seele« setzt sich etwa Reinhold R. Grimm (Grimm, 1977, S. 18 u.o¨.) auseinander. Wird hier ausgerechnet die einsam-weltabgewandte Seele mit einem Garten verglichen, so fußt dies auf der Tradition, den Garten als Ort der Ruhe, als Zufluchtssttte vor dem Treiben der Welt usw. zu beschreiben, vgl. etwa Lipsius, 1601/1965, S. 75 u.o¨.; Tandecki, 1987, S. 131–134; Cottone, 2000, S. 990. Gleichzeitig wurden in vielen ›realen‹ barocken Grten auch bewusst Eremitagen angelegt, vgl. etwa Tandecki, 1987, S. 131–133. So verfhrt etwa Schottel in seinem Hertzlichen und bru¨nstigen SonntagsSeuftzerlein (dem emblematischen ersten Teil von Jesu Christi Nahmens=Ehr), wenn er in einem der Embleme gleich zu Beginn des dreistrophigen, als subscriptio angefu¨hrten Gedichts in typologischer Deutung von Hld 4,12 schreibt (Schottelius, ¨ ber das Evangelium am Sontag nach dem Christi Tage / 1667, S. 30 (»U Luc. 2.«)): MEine Seel ein Lustgrtlein Soll und wil so gerne seyn […]. Die zugeho¨rige pictura zeigt u¨brigens einen wohlgeordneten, geometrisch gestalteten barocken Garten mit eingefassten Beeten, in dessen Mitte ein Springbrunnen steht. Vom Zusammenhang des Brunnenmotivs mit der Seelengartenmetapher wird im Folgenden noch ausfu¨hrlich zu handeln sein.

233 3. Die safftig-frische Gnaden-Ku¨hle setzt allen Bru¨nsten Zweck und Ziele in dieser Seel / die Welt-entwehnt mit Geist-Bethauung ist verscho¨nt / und Hoffnung-Schatten tapeziret / weil ewig gru¨ne Krafft man spu¨hret. […] 5. Sie hat auch einen Gnaden-Brunnen vom Himmels-Felsen hergerunnen / der von dem Ocean der Gu¨t urspru¨nglich springt in das Gemu¨t / die Tugend-Fru¨cht erhlt und frischet / unordentliche Lu¨st auslischet / vertrocknet auch zu keiner Zeit / weil seine Qwell die Ewigkeit. 6. Obschon die Wasser ob den Sternen sich von dem untern stts entfernen / noch fliest das schlngelnde Krystall / die Lebens-Qwell / ins Jammerthal; Gedanken / Gierden / Ziel / und Willen / als reine Silber-Fden spielen / es netzet / und ergetzt hernach den Herzen-Baum der Gnaden-Bach.428

Bei der Lektu¨re der hier zitierten Gedichtpassagen erschließt sich die Seele dem Leser nach und nach als ein vorwiegend durch seinen Pflanzenbewuchs charakterisierter Außenraum. Dabei fehlen in allen drei Strophen direkte Hinweise auf feste Außengrenzen dieses Gebildes. In der dritten Strophe erfahren wir zunchst nur in Andeutungen von seiner fruchtbaren (»gru¨ne Krafft« (Vers III,6)) und wohltemperierten Atmosphre (jede zu große Hitze wird durch die »safftig-frische Gnaden-Ku¨hle« (Vers III,1) gemßigt, »Hoffnung-Schatten« (Vers III,5) und »Geist-Bethauung« (Vers III,4) tun das ihrige, um das Klima dieses vollstndig unbestimmten Raums angenehm zu gestalten und seine Fruchtbarkeit zu mehren). Als Komponenten des Raums lassen sich lediglich die weitgehend abstrakt bleibenden ›Bru¨nste‹ identifizieren. In den Strophen 5 und 6 wird der Raum dagegen nicht mehr u¨ber seine Atmosphre, sondern vorwiegend u¨ber seine Bestandteile entworfen: Wir erfahren, dass in ihm »Tugend-Fru¨cht« (Vers V,5), aber auch »unordentliche Lu¨st« (Vers V,6) heranwachsen oder zumindest heranwachsen ko¨nnen, dass »Gedanken / Gierden / Ziel und Willen« (Vers VI,5) ihn als wie auch immer geartete, in jedem Fall aber wasserbedu¨rftige Gebilde besiedeln und dass ein »Herzen-Baum« (Vers VI,8) in ihm 428

Greiffenberg, Bd. 3, 1678/1983, S. 226–227 (3. Betrachtung – »Lob der Einsamkeit« (»ACh Einsamkeit / du Bild der Seelen!«)).

234 gedeiht. Vor allem aber enthlt der Raum einen »Gnaden-Brunnen« (Vers V,1), der sich in Strophe 6 in einen »Gnaden-Bach« (Vers VI,8) verwandelt oder um diesen als weiteres Bewsserungselement ergnzt wird. Besonders die Brunnenmetapher und ihre Ausgestaltung geben einen Hinweis darauf, um welche Art von Raum es sich bei dem in Strophe 3 eingefu¨hrten dreidimensionalen Seelenbild handelt: Ein Brunnen stellt ein artifiziell-architektonisches Gebilde dar, das hier gezielt zur Bewsserung des Seelengelndes eingesetzt wird. Schon dadurch lsst gerade er den seelischen Landschaftsraum nicht als unbestimmt dimensionierten Naturausschnitt mit einer letztlich nicht synthetisierbaren Vielfalt an Elementen erscheinen, sondern charakterisiert ihn als allegorische Gartenlandschaft,429 in der – wenigstens im Idealfall – alle einzelnen ›Naturgegenstnde‹ »ordentlich und nach Manier«430 zur stabilen, wohlgeformten, kultivierten und domestizierten (Viel-)Einheit zusammengefu¨gt sind.431 Konstitutiv fu¨r den Eindruck, dass es sich beim geschilderten Seelenraum um einen viel-einheitlichen Garten handelt, ist der Brunnen aber nicht nur durch seine Ku¨nstlichkeit und durch seinen gezielt-technischen Einsatz auf dem Gelnde, auf dem er errichtet ist. Zustzlich befo¨rdert er in den oben zitierten Versen eine bestimmte, fu¨r den (Nutz-)Garten typische Art der Vegetation. Nur dort, wo er – wie bei der einsamkeitsliebenden, zuru¨ckgezogenen 429

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¨ berblick u¨ber die mittelalterliche Tradition des allegorischen Gartens Einen U gibt etwa Wolfgang Stammler (Stammler, 1975, S. 248–261). Mit dem menschlichen Innern in Verbindung gebracht wird der Garten schon biblisch etwa in Hld 4,12; Jer 31,12; Jes 1,30. Diese Formulierung findet sich in einem Gedicht Schottels, in welchem er die (jahres-)zeitliche Ordnung in der Natur lobt, vgl. Schottelius, 1647/1967, S. 285 (5. Abteilung: »Sum[m]arischer Entwurf Eines […] zu Wulfenbu¨ttel præsentirten / und auf die Zeit gerichteten Ballets« – »Das Erste Lied« (»DJe Natur zeigt uns bereit«)). Dass ein Garten bestndiges »Kontrollieren, Kultivieren und Domestizieren« erforderlich macht, fu¨hrt unter anderem dazu, dass man die Gartenmetaphorik in der Fru¨hen Neuzeit immer wieder zur Beschreibung der Erziehung eines (jungen) Menschen anwendet, vgl. dazu ausfu¨hrlich Niedermeier, 2001, S. 156–162. In barocken Gedichten kann die Erziehungsaufgabe etwa als gezieltes Einpflanzen guter Eigenschaften in die Seele wahrgenommen werden, vgl. z. B. Rist, 1652/1978, S. 491 (»EhrenGedicht Auff den fro¨lichen HochzeitTag / […] Herren Johann Wohrtmanns […] Mit […] J. Katharina Sophia / Deß […] H. Theodori Morriens […] Tochter« (»LEgt nun die Waffen hinn / zerbrechet Spieß vnd Stangen«)): Wie ru¨hmlich ist Sie doch von Kindheit an erzogen? Jhr Eltern haben diß als kluge Leu¨t erwogen / Daß / wer erleben wil an seinen Kindern Ehr Und Ruhm / derselbe pflantz auch Tugend / Zucht und Lehr Jn Jhre Seel hinein. […]

235 Seele – im psychischen Raum seinen Ort hat, werden die »TugendFru¨cht« (Vers V,5)432 erhalten, so dass der Pflanzenbewuchs des Seelengartens aus diachroner Perspektive stabil erscheint. Nur in der Gegenwart des »Gnaden-Brunnen[s]« (Vers V,1) ist die Gefahr des Welkens der Pflanzen, des Vero¨dens und der ›Ver-Wu¨stung‹ dieses Areals dauerhaft gebannt, da dieser seinerseits vom »Qwell« der »Ewigkeit« (Vers V,8) gespeiste Wasserlieferant u¨ber jeden Zeithorizont hinaus vor dem Versiegen bewahrt ist.433 Nur dort, wo dieser Brunnen vorhanden ist, werden außerdem die »unordentliche[n] Lu¨st[e]« (Vers V,6) ausgelo¨scht. Indem die Letzteren wie Unkraut wild und ohne jede Ordnung wachsen, stellen sie eine besondere Gefahr fu¨r den Zusammenhalt, ja fu¨r die Existenz des inneren Gartens dar, der in mikrokosmischer Form die »go¨ttliche Ordnung« symbolisieren soll.434 Wird er nicht stndig vor seinen eigenen »Verwilderungstendenzen« geschu¨tzt,435 so droht er, sich nicht mehr ausreichend von der Umgebungslandschaft, dem »ungebndigten, unbehausten Draußen«436, abzuheben.437 Gerade im 17. Jahrhundert, in dem sich der Gartenbegriff wesentlich auf den Gedanken einer geordneten, einer ›ku¨nstlichen‹ Bepflanzung stu¨tzt,438 wre der nicht ausreichend bewsserte und geku¨hlte, unkrautu¨berwucherte und unfruchtbare Seelenraum, mit dem man offenbar ohne das Vorhandensein des »Gnaden-Brunnen[s]« oder bei

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In anderen Entwu¨rfen intrapsychischer Gartenrume ist statt von Tugendfru¨chten auch von verschiedenartigen Tugendblumen die Rede, vgl. etwa Laurentius von Schnu¨ffis, 1711/1968, S. 263–264 (III,4 – »Clorinda / ihren Himmlischen DAPHNIS, welcher in den Garten hinunter gestiegen / suchende / kom[m]t in Erkanntnuß / daß es kein irrdischer Wollusts=Garten / wo er die Gilgen sammle / sondern die Seel eines keuschen Menschen sey« (»MEin Liebster ist«)). Aufschlussreich fu¨r die mystische Tradition dieser Bildlichkeit ist etwa der Artikel Fons in Sandaeus Lexikon. Darin ist zunchst von einer Quelle des Heiligen Geistes die Rede, von welcher analog zu den vier Paradiesesflu¨ssen vier Bche ausgehen und die verschiedenen psychischen und psychophysischen Komponenten des Menschen bewssern. Die anschließend behandelte Quelle der go¨ttlichen Gnade bewssert den Menschen mit drei Flu¨ssen, vgl. Sandaeus, 1640/1963, S. 217–218. Volkmann, 2000, S. 54, S. 60; hnlich auch Tandecki, 1987, S. 127. Michael Niedermeier bezeichnet den Garten als »Sinnbild der kosmologischen Einheit der Natur« (Niedermeier, 2001, S. 159). Volkmann, 2000, S. 12; hnlich auch Tandecki, 1987, S. 127; Stammler, 1975, S. 251. Volkmann, 2000, S. 54. Dass fu¨r die Abgrenzung des kultivierten Gartens vom unkultivierten »Draußen« seine »Entwilderung« eine entscheidende Rolle spielt, bemerkt auch Ju¨rgen Landwehr (Landwehr, 2007, S. 21). Vgl. etwa Spangenbergs Erluterungen zur »Interordinia« (Spangenberg, Bd. 5, 1982, S. 102–104), d. h. zur »außgezielte[n] Ordnung« der Bume innerhalb des Gartens, sowie – unter Bezugnahme auf Thomas Browne – Comber, 1988, S. 270.

236 dessen Verlust zu rechnen htte, kaum noch als Garten und damit auch kaum als eine (Viel-)Einheit zu bezeichnen.439 Die im Lob der Einsamkeit evozierte Vorstellung einer Bedrohung des Seelenraums durch unkrautartig in ihm wuchernde, wild-unordent¨ berraliche Lu¨ste ist fu¨r sich genommen kaum bemerkenswert.440 U schend erscheint aber die in Greiffenbergs Gedicht hergestellte Beziehung zwischen der Verwilderungs- bzw. Unordnungs- und der Brun¨ berwucherung des Seelenraums durch die nenmetaphorik. Kann die U Prsenz eines Brunnens abgewendet werden, indem dieser mit seinem Wasser die unordentlichen Lu¨ste wie kleine Feuer auslo¨scht, dann geht seine Leistung im Grunde u¨ber die einer Bewsserungseinrichtung weit hinaus. Der Brunnen vertritt hier gewissermaßen den um die Ordnung des Gartens besorgten Grtner – eine zunchst geradezu paradoxe Vorstellung, die sich allerdings bei der vergleichenden Betrachtung hnlicher barocker Metaphernkonstellationen als weniger unverstndlich erweisen wird, als sie auf den ersten Blick erscheint. Eine Verbindung der zuletzt behandelten Bilder (Verwilderungsbzw. Unordnungs-, Garten- und Brunnenmetaphorik) findet sich etwa auch im 94. Lied aus Schefflers Heiliger Seelen-Lust (1657, erstmals mit fu¨nftem Buch 1668 publiziert). In der ersten und zweiten Strophe dieses Textes setzt sich das Ich mit der Unordnung in seinem intrapsychischen Garten und mit deren Beseitigung auseinander. Es bittet seinen Geliebten Jesus Christus: KOm[m] Liebster / kom[m] in deinen Garten / Auff daß die Fru¨chte besser arten; Kom[m] in meines Hertzen Schrein / Kom[m] / O JEsu / kom[m] herein. Kom[m] / bring zu rechte / was zerstreuet / Und setz es ein / damits gedeyet; Kom[m] / du edler Grtner du / Richts nach deinem Willen zu.441

Die Unordnung besteht hier sowohl in der Zerstreuung der Gewchse als auch darin, dass diese offenbar noch nicht einmal in den Boden 439

440

441

Dass ein nicht mehr der go¨ttlichen Gnade teilhaftiger Seelengarten kein einheitliches Gebilde mehr darstellt, betont etwa Lauretus in seinem Artikel Hortus, Paradisus, Hortulanus (Lauretus, 1681/1971, S. 522): »Hortus autem dissipatus est anima, quæ prius erat in gratia, & postea peccavit, Thren.2.b.« Auch in anderen barocken Texten, so etwa in Dykes Erbauungsschrift Nosce teipsum, werden negativ-su¨ndige Seelenkomponenten mit dem Bild einer intrapsychischen »Wildnuß« assoziiert (Dyke, 1636, S. 10–11). Zu einer Verbildlichung der »bo¨sen Lu¨ste [..] und […] su¨ndlichen Begierden« als Unkraut des Herzens kommt es etwa auch bei Christian Scriver (Scriver, 1687, S. 163). Scheffler, 1668/2004, S. 289 (III,94 – »Sie ruffet jhn in jhren Garten«).

237 ›eingesetzt‹ worden sind. Die Aufgabe, das Zerstreut-Entwurzelte an den rechten Platz zu bringen und dort einzupflanzen, um dadurch den Garten erst fruchtbar und fruchttragend zu machen, kommt allein Jesus zu, nur sein grtnerisches Eingreifen442 kann den Seelenraum vor Unordnung und Misswuchs bewahren. In der fu¨nften Strophe kommt zur Verwilderungs- die Bewsserungsmetaphorik hinzu. Hier entwirft Scheffler einen im menschlichen Innern entspringenden Brunnen, der den psychischen Garten vor Verdorrung schu¨tzen und ihn damit geradezu in eine prlapsarische Paradieseslandschaft (vgl. dazu auch die sechste Strophe)443 zuru¨ckverwandeln ko¨nnte:444 Kom[m] / laß deins Hertzens Wasser springen / Und durch deß meinen Erde dringen; Deiner offnen Wunden Safft Gebe mir zum gru¨nen Krafft.445

Es ist unverkennbar, dass hier nach dem Wunsch des Ich Christi Herz und Wunden den Brunnen bilden sollen, der den menschlichen Seelenbzw. Herzensraum bewssert.446 Aus der Zusammenschau der beiden zuletzt zitierten Ausschnitte aus Schefflers Lied lsst sich eine hinreichende Erklrung fu¨r die auf den ersten Blick sonderbare Verquickung der Brunnen- und Grtner442

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Zu Christus als Grtner im Seelengarten vgl. etwa auch den Anfang des folgenden, von Greiffenberg verfassten Sonetts (Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 943 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten«)): JEsus / als ein Grtner. DU Grtner meiner Seel! Ach! wie so scho¨n verkleidet / Am Haupt die Rosen=Kron / die Hand Violen=voll […]. Vgl. außerdem zu diesem Motiv und zu seinem Gegenstu¨ck, dem teuflischen Grtner, Tandecki, 1987, S. 127–128, dort finden sich auch weitere, allerdings englischsprachige Beispiele. Scheffler, 1668/2004, S. 290 (III,94 – »Sie ruffet jhn in jhren Garten« (»KOm[m] Liebster / kom[m] in deinen Garten«)). Auf die Gleichsetzung der Seele mit dem utopischen Raum eines »Inneren Paradieses« verweist auch Finckh, 1999, S. 299–300 u.o¨., dort allerdings bezogen auf die Minnegrotten-Allegorie im Tristan (zwischen 1200 und 1220) Gottfrieds von Straßburg. Scheffler, 1668/2004, S. 290 (III,94 – »Sie ruffet jhn in jhren Garten« (»KOm[m] Liebster / kom[m] in deinen Garten«)). Scheffler verwendet mit diesem ›Wunden-Brunnen‹ ein Bild, das sich im Barock auch anderweitig immer wieder nachweisen lsst. Ein solches Gebilde findet sich etwa auf der beru¨hmten Titelzeichnung und dem Titelkupfer von Friedrich Spees Trvtz-Nachtigal (vgl. dazu Oorschot, 1985, S. 343–345) und in vergleichbaren emblematischen Darstellungen (vgl. etwa Henkel/Scho¨ne, 1996, Sp. 1245). Auch Gabriele Dorothea Ro¨dter beschreibt Embleme eines aus den Wundmalen Christi entspringenden Brunnens, vgl. Ro¨dter, 1992, S. 206. Schließlich wird von einem fu¨nfrohrigen Wundenbrunnen Christi im menschlichen Herzen – allerdings in anderem Zusammenhang – auch in Abschnitt 3.6 zu handeln sein.

238 motivik in Greiffenbergs Versen ableiten. Beim schlesischen Konvertiten werden sowohl die grtnerische Pflege bzw. Ordnungsttigkeit wie auch die Bewsserung des Herzensraums als Aufgaben Christi angesehen: Der Grtner wird mit seinem blutgefu¨llten Zentralorgan und seinen Wunden selbst zum wasserspendenden Brunnen. Tritt nun bei Greiffenberg umgekehrt der intrapsychische Brunnen als Ordnung ¨ berschaffender Grtner auf, so liegt es nahe, dies einfach als eine U blendung der in Schefflers Versen nacheinander evozierten Bilder bzw. als ihre Verdichtung zu einem einzigen Motiv zu sehen und den Grtner-Brunnen als Metapher fu¨r Christus bzw. Gott447 zu interpretieren: Eine go¨ttliche Instanz ist tatschlich problemlos im Stande, den Seelenraum zugleich aus der Fu¨lle ihres eigenen Innern zu wssern und ihn zu ordnen. Diese Deutung von Greiffenbergs Versen ließe sogar die Feuer- und Lo¨schmetaphorik, mit welcher die Autorin die unkrautvernichtenden Eigenschaften des Seelenbrunnens plausibel zu machen sucht, entbehrlich erscheinen. ¨ berlagerung der Grtner- und der BrunnenDass selbst die vo¨llige U metapher zur Darstellung des go¨ttlichen Wirkens in der Seele im 17. Jahrhundert keineswegs gnzlich unu¨blich ist, lsst sich besonders eindru¨cklich an Schottels Fruchtbringendem Lustgarte (1647) zeigen. In einem der Gedichte dieser Sammlung wird die Bewsserungsmetapher auf erstaunlich hnliche Weise wie in den oben zitierten Versen Greiffenbergs verwendet, um verschiedene fu¨rsorgliche Einflu¨sse Gottes auf die Seele in ein einziges, konkret-natu¨rliches Bild zu fassen. Wie in Greiffenbergs Versen die go¨ttliche Gu¨te und Gnade so fungiert im nachfolgenden Textausschnitt die – sicherlich auch mit den drei go¨ttlichen Personen zu identifizierende448 – Liebe Gottes449 als Brunnenwasser: Solche Liebe die durchrinnet / Alle Ro¨hre meiner Seel / Darinn nimmermehr ein Fehl / Oder Mangel sich beginnet / und ausgtet in mir gar / Was in mir ein Mißwachs war […].450 447

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Dass die Brunnenbildlichkeit nicht speziell auf den Gottessohn beschrnkt bleibt, sondern auch ganz allgemein auf Gott bezogen werden kann, zeigt etwa Scheffler, 2000, S. 243 (VI,1 – »Wie GOtt in der Heiligen Seele«): In diesem Gedicht ist »Gott das Wort in einer Seele […] wie ein Garten Brunn« anwesend. Vgl. 1. Joh 4,8. Bemerkenswerterweise wird in einem anderen Gedicht Schottels (LJebe stu¨tzt des Lebens Stand) gerade die in der Scho¨pfung sich manifestierende Liebe als das »Band« apostrophiert, das »Alles in sein Ordnung stellt« (Schottelius, 1647/1967, S. 222 (4. Abteilung: »Eine neue ergetzliche Vorstellung Des WaldGOtt Pans«)). Ebd. S. 77 (1. Abteilung – (»NUn / Herr / ich wil zubereiten«)).

239 Zwar wird in der Wendung »[a]lle Ro¨hre meiner Seel« die Seele zunchst eher mit dem Wasserleitsystem des Brunnens als mit dem vom Brunnen bewsserten Garten gleichgesetzt. Aus dem unmittelbaren und weiteren Kontext dieser Verse wird jedoch einwandfrei deutlich, dass die Seele keineswegs bloß mit der Bewsserungsleitung, sondern gleichzeitig auch mit dem Territorium identifiziert wird, in dem dieser Brunnen entspringt und seinen Segen entfaltet.451 Wie in Greiffenbergs Versen der »Gnaden-Brunnen« so leistet hier die flu¨ssigkeitsartige go¨ttliche Liebe neben der Bewsserung zugleich auch die grtnerische Befreiung des Seelenraums von Unkraut und Unordnung, von gefhrlichunu¨bersichtlichem »Mißwachs«. ¨ berlegungen zu In zweierlei Hinsicht, so kann man die bisherigen U den oben zitierten Ausschnitten aus Greiffenbergs Lob der Einsamkeit zusammenfassen, verwandelt sich die Seele in diesen Textpassagen erst durch die Prsenz des go¨ttlichen Brunnens in einen viel-einheitlichen Garten. Zum einen garantieren auf der Handlungsebene erst die Wsserungs- und die Ordnungsfunktion des Brunnens, dass das Seelengelnde ein Kulturraum bleibt, der sich von der ihn umgebenden Eino¨de und Wildnis unterscheidet. Zum anderen nimmt auf der Rezeptionsebene der Leser im Lektu¨reverlauf erst bei der Erwhnung des Brunnens wahr, dass es sich bei dem beschriebenen Außenraum nicht um einen natu¨rlich-urwu¨chsigen locus amoenus, sondern um ein ku¨nstlich angelegtes Gelnde, einen Garten, handeln muss. Deutlich fu¨hlt man sich hier an das vorangehend untersuchte Gedicht erinnert, in welchem allein der Herzensthron bzw. der auf ihm Platz nehmende Christus das Herz zum viel-einheitlichen (Thron-)Saal werden lsst. Whrend jedoch der Herzensthron auch konkret-rumlich im Zentrum des Seelengebildes steht, bleibt die genaue Position des Brunnens im Seelengelnde unklar. Eine Kern-Hu¨lle-Struktur der Seele kann hier nicht sicher vorausgesetzt werden.452 Dies ist jedoch, um die Schlu¨sselposition des Brunnens herauszustellen, auch nicht erforderlich: Schon aufgrund der ihm explizit zugewiesenen Ordnungsgewalt (»unordentliche Lu¨st auslischet« (Vers V,6)) bleibt beim Brunnen im Lob der Einsamkeit kein Zweifel, dass gerade er den Seelenraum zur harmonischen Viel-Einheit zusammenfu¨gt. Neben der Brunnenmetapher lassen sich in den oben zitierten Ausschnitten aus Greiffenbergs Gedicht mindestens zwei weitere, sie 451

452

Wie ko¨nnte sonst in NUn / Herr / ich wil zubereiten davon die Rede sein, dass sich »Reben« und ihr »Himmelsu¨sse[r] Saft /| Ganz durch meiner Seelenkraft« ausbreiten sollen (ebd. S. 76)? Schon mittelalterliche Klostergrten weisen allerdings meistens einen zentral lokalisierten Brunnen auf, vgl. Landwehr, 2007, S. 24.

240 gleichsam flankierende go¨ttliche Ordnungsstifter erkennen, die – wie der Brunnen – beide explizit mit der go¨ttlichen »Gnade« in Zusammenhang gebracht werden. In der sechsten Strophe tritt ein »GnadenBach« (Vers VI,8) an die Seite, ja mo¨glicherweise sogar an die Stelle des Gnaden-Brunnens. In diesem Fall hindert die einem himmlischen Ursprung zu verdankende Bewsserung die seelische Pluralitt nicht durch die Beseitigung unerwu¨nschter »Lu¨st[e]«, sondern auf vo¨llig andere Weise am Auseinanderbrechen. Indem das go¨ttliche Wasser »Gedanken / Gierden / Ziel und Willen« (Vers VI,5) »netzet« (Vers VI,7), verknu¨pft es sie u¨ber die »Silber-Fden« (Vers VI,6) seines Bachlaufs untereinander und mit dem »Herzen-Baum« (Vers VI,8). Auch dieser Vorgang kann als eine Form der Ordnungsstiftung interpretiert werden, auch er fu¨hrt zu einer psychischen Viel-Einheit. Die im Zusammenhang mit dem Bach verwendete Silber- und Kristallmetaphorik lsst dabei an die in Abschnitt 3.4.1 untersuchte Metapher vom Seelenkleinod denken: Der »Gnaden-Bach« scheint die Einzelteile des Gartens gewissermaßen zu einem kostbaren plural-geeinten Gesamtkunstwerk zusammenzufu¨gen.453 hnliche Wirkungen wie »GnadenBrunnen« und »Gnaden-Bach« zeitigt letztlich auch schon die in der dritten Strophe genannte »safftig-frische Gnaden-Ku¨hle« (Vers III,1), indem sie der ungeordneten Vielfalt der Bru¨nste »Zweck und Ziele« (Vers III,2) setzt, sie also auf das Go¨ttliche hin ausrichtet. Diese NeuOrdnung des Psychischen spielt sich jedoch auf einer deutlich abstrakteren, unrumlichen Ebene ab, allenfalls die »Ziele« weisen von der Semantik des Begriffs her einen gewissen Bezug zur Rumlichkeit auf. Selbstverstndlich gilt auch fu¨r den vorliegenden Ausschnitt aus dem Lob der Einsamkeit, dass der Seelenraum nicht ausschließlich als relationaler Raum verstanden werden darf. Zwar wird der Gartenraum erst allmhlich im Gedichtverlauf aus der Benennung der in ihm vorliegenden Komponenten und der in ihm wirkenden Krfte als geordnetes Gebilde entwickelt,454 doch ist zumindest der Bildempfnger, die 453

454

Sabine Kyora konstatiert fu¨r einen anderen Ausschnitt des hier untersuchten Gedichts eine »Gespaltenheit der Seele«, eine »Uneinheitlichkeit von Subjektivitt« in Folge einer inneren Zerrissenheit »zwischen einem irdischen und einem himmlischen Element« (Kyora, 2003, S. 416). Gerade dank der beiden Himmel und Erde, Gott und Mensch verbindenden Wassermetaphern (»Gnaden-Bach« und »Gnaden-Brunnen«) lsst sich diese Beobachtung nicht auf die hier analysierten Verse u¨bertragen. ¨ berlegungen Werner von Auf der rhetorisch-poetischen Ebene ko¨nnte man, den U Koppenfels folgend, von einer allmhlich-ordnenden Entfaltung der arguten Bildlichkeit sprechen, bei der ein Durchbruch vom »Chaos zum Kosmos« angestrebt wird (Koppenfels, 1995, S. 106). Conrad Wiedemann spricht in Bezug auf die sprachliche Bedeutung der Ordnung im Barock von der »Ordnungsverheißung« des »barocken Sprachverfahrens« (Wiedemann, 1973, S. 29).

241 Seele, schon in der dritten Strophe als umschließender (Container-)Raum (»in dieser Seel«) explizit prsent. Außerdem wird der Leser, sobald der Seelengarten als solcher entschlu¨sselt ist, unweigerlich an den immer wieder mit der Seele identifizierten hortus conclusus, den verschlossenen Garten des Hohenliedes (Hld 4,12; 4,16; 6,2), denken,455 der sich durch seine festen Grenzen klar als ›Behlter‹-Raum auszeichnet.456 Vor allem aber tritt, und darin liegt die dritte Einschrnkung der Anwendbarkeit eines relationalen Raumbegriffs, gerade in einem geordnet-ku¨nstlichen Gartenraum die vegetabilische Vielheit zugleich zu einer ontisch-substantiellen (Viel-)Einheit zusammen, da hier – erneut – die Ordnung deutlich mehr als nur eine »faktische […] Anordnung«457 darstellt. ¨ berlegungen zum Die auf den vorangehenden Seiten angestellten U plural gefu¨llten Seelenraum ermo¨glichen einen neuen Blick auf die beiden in Abschnitt 3.4.1 erstmals zitierten, weitgehend abstrakt bleibenden Monodisticha Czepkos: ALLGEMEINE EINSTIMMUNG. Was in die Seele kommt, stimmt allen Dingen ein, Dann was die bricht, das heist sie in ihr einig seyn.458 MANNIGFALTIGE EINIGKEIT. Schau in die Seel, in der siehst du sie einig seyn, Sonst ist in dir kein Glied den andern nicht gemein.459

Bereits in Abschnitt 3.4.1 konnten an diesen Epigrammen wesentliche Betrachtungen zu den besonderen Bedingungen intrapsychischer Pluralitt angestellt werden: In beiden Gedichten, so wurde ausgefu¨hrt, wird die zwischen den heterogenen Dingen der ußeren Welt bestehende Disharmonie bei ihrer Aufnahme in den Seelenraum durch psychische Krfte offenbar soweit abgemildert, dass sie innerseelisch nur noch in eingeschrnktem Umfang als plural und vielfltig betrachtet werden ko¨nnen. Was sich »im bloßen Sein, in dem harten Raum, in dem die Sachen sich stoßen, […] zu befehden und […] auszuschließen«460 scheint, kann im Seelenraum offenbar als »einig« bezeichnet werden. Jedenfalls fu¨hrt es nicht zu einer Sprengung, nicht zu einem Zerbrechen der Seele. Wie die Vereinigung, die »Einstimmung« der 455 456

457

458 459 460

Vgl. den Artikel Garten in Daemmrich/Daemmrich, 1987, S. 152–156, hier S. 153. Vgl. dazu etwa Comber, 1988, S. 271; zur Umgrenzung als konstitutiver Eigenschaft von Grten auch Landwehr, 2007, S. 20. Meinhardt, H.: Ordnung – I. Antike – 2. (Art.). In: Ritter, Bd. 6, 1984, Sp. 1251–1254, hier Sp. 1251. Czepko, I,2, 1989, S. 593 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,16). Ebd. S. 608 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« III,94). Cassirer, 1975, S. 24.

242 Dinge bei gleichzeitiger Erhaltung ihrer Vielheit aussehen ko¨nnte, ließ sich in den Analysen des vorangehenden Abschnitts noch nicht genauer bestimmen. Die Betrachtungen zum Raumkonzept Cassirers, zum Herzensthronsaal und zum Seelengarten legen nun die Vermutung nahe, dass auch in diesem Fall die ›Ordnung‹ eine entscheidende Rolle fu¨r die Kohrenz des Seelenraums spielt. Was außerhalb der Seele getrennt, unzusammengeho¨rig, ja widerspru¨chlich ist, ko¨nnte im Seelenraum gerade dadurch miteinander vereinigt werden, dass es durch u¨bergreifende Strukturen einander zuge-›ordnet‹ bzw. durch eine bestimmte, die Gegenstze entschrfende oder neutralisierende An-›Ordnung‹ unauflo¨slich miteinander verflochten wu¨rde. Es wre, mit anderen Worten, nicht unwahrscheinlich, dass die Harmonisierung der »verschiedenartigsten geistigen Gebilde« im Seelenraum gerade »[u]nter der Herrschaft« der Ordnung erreicht wu¨rde, dass gerade die Dominanz der Letzteren auch Gegenstzliches friedlich »beieinander wohnen« ließe.461 Trotz der wiederholten Hinweise auf die Bedeutung der Ordnung fu¨r den Seelenraum ist der Ordnungsbegriff selbst bisher recht vage geblieben. Um zu ergru¨nden, was man sich unter der ›Ordnung‹ der in barocken Gedichten entworfenen seelischen Rume eigentlich vorzustellen hat, soll im Folgenden zunchst ein Blick auf die Ordnungsdefinition in Zedlers Universal-Lexicon geworfen werden. Der Verfasser des Lexikonartikels weist darauf hin, dass »zu der Ordnung drey Stu¨cke erfordert« wu¨rden, von denen er die ersten beiden folgendermaßen bestimmt: Erstlich mu¨ssen verschiedene und mannigfaltige Sachen da seyn. Denn die Ordnung begreifft allezeit ein Verhltniß eines Dinges, und daher muß noch etwas anders da seyn, auf welches sich solches beziehet. Die Dinge aber, unter denen eine Ordnung ist, ko¨nnen entweder einander gleich oder ungleich seyn […]. Vors andere mu¨ssen bey der Ordnung diese verschiedene Dinge neben einander seyn, oder auf einander folgen, und das ist die Lage oder die Stellung, was die wu¨rcklich ausser den Verstand existirende Dinge betrifft. Z. E. wenn ich in einem Garten bin, und sehe, daß die Bume ordentlich gesetzet, so muß nicht nur mehr, als ein Baum da seyn; sondern die Bume mu¨ssen auch neben einander existiren, und indem ein jeder seine Existenz hat, so hat er seinen Ort; die Lage aber, so fern er mit andern zugleich existiret.462 461

462

Ebd. Welche rumliche Gestalt die Mannigfaltigkeit dabei in der Seele einnimmt, bleibt bei Czepko unerwhnt, zu denken wre aber, ein weiteres Mal, an die Kreisform bzw. die Form der sphaera infinita (vgl. dazu Abschnitt 3.3.2), erscheint doch, wie Leinkauf betont, »der Kreis bzw. die Sphre« als die »[z]entrale Metapher fu¨r den Typus von Ordnung als eines konsistenten Zusammenhanges von Mannigfaltigem« (Leinkauf, 1993–2, S. 6). Anon: Ordnung[1] (Art.). In: Zedler, Bd. 25, 1740/1995, Sp. 1797–1799 (Ordnung in der Metaphysik), hier Sp. 1798.

243 Bliebe es bei diesen beiden Voraussetzungen der Ordnung, dann htte man sich die Letztere hier so vorzustellen, wie sie weiter oben in den Ausfu¨hrungen zum relationalen Raum erschienen ist. Es handelte sich bei ihr einfach um eine gegebene Anordnung von Gegenstnden und damit um eine Gro¨ße, zu der es keinen Gegenbegriff geben kann. Abgesehen davon, dass ein solcher Ordnungsbegriff schon bei den oben angefu¨hrten exemplarischen Analysen der Gedichte Greiffenbergs mehrfach zuru¨ckgewiesen worden ist, wre eine so verstandene Ordnung als Beschreibungskriterium bei der Analyse seelischer Rume schlichtweg u¨berflu¨ssig: Sie ließe sich einfach von jedem in synchroner Betrachtung heterogenen Seelenraum prdizieren. Tatschlich aber wird, wie bereits erwhnt, in Zedlers Lexikon diesen beiden Voraussetzungen der Ordnung eine weitere Bedingung hinzugefu¨gt: Drittens ist bey der Ordnung no¨thig, daß die verschiedene Dinge in einer Gleichheit und Aehnlichkeit zusammen stimmen, welches so zu reden das Formale bey der Ordnung ist, wie die beyden erstern Stu¨cke dabey nur zum Grunde liegen mu¨ssen, z. E. wenn man sagt, das Buch ist ordentlich geschrieben, so bestehet diese Ordnung darinnen, daß die verschiedene Materien, die darinnen fu¨rkommen, so auf einander folgen, daß die andere mit der ersten, die dritte mit der andern u. s. w. eine Aehnlichkeit haben. Wer also von der Ordnung urtheilen will, der muß die Aehnlichkeit verstehen.463

Mit der Einfu¨hrung dieser dritten Bedingung wird ein der Ordnung entgegengesetzter Zustand des Mannigfaltigen, jener der Unordnung, denkbar, so dass sich eine in diesem Sinne definierte Ordnung sinnvoll als topoanalytische Vokabel einsetzen ließe. Wenn in den weiteren Topoanalysen der vorliegenden Studie auf den Begriff der Ordnung referiert wird, soll ihm indes trotzdem nicht das hnlichkeitskriterium als dritte (und fu¨r die Differenzierung zwischen Ordnung und Unordnung entscheidende) Bedingung zugrunde gelegt werden. Dies hat seinen Grund zum einen darin, dass schon vor dem Hintergrund der bisher ero¨rterten Beispiele von Seelenrumen die Universalitt dieses Kriteriums bezweifelt werden kann: Es ist zu befu¨rchten, dass nicht alle denkbaren Varianten der Ordnung im Seelenraum notwendig als hnlichkeitsbedingt einzustufen sind. Zum anderen sind – wenigstens im Einzelfall – praktische Schwierigkeiten fu¨r den bloßen Nachweis der »Gleichheit und Aehnlichkeit« der »verschiedene[n] Dinge« im Seelenraum zu erwarten. Eine fu¨r die weiteren Untersuchungen sinnvolle Alternative zum hnlichkeitskriterium lsst sich aus einer anderen, gleichfalls in Zedlers Nachschlagewerk nachzulesenden Eigenart der Ordnung ableiten: Im oben behandelten Lexikonartikel wird betont, 463

Ebd. Sp. 1799.

244 dass eine »Ordnung […] allgemeine Regeln habe, daraus sie beurtheilet« werden mu¨sse.464 Das Vorliegen von Ordnung in einem zu untersuchenden Gebilde geht also notwendig mit dessen regelhaftem Aufbau einher. Letzterer soll im Folgenden als dritte Ordnungsvoraussetzung etabliert werden. Fu¨r die weiteren Topoanalysen bedeutet dies: Ein in synchroner Betrachtung aus mehreren Komponenten bestehender Seelenraum wird immer dann als geordnet einzustufen sein, wenn er in der Anordnung seiner inneren Mannigfaltigkeit erkennbar von bestimmten Regeln beeinflusst ist. Trotz seiner hetorogenen Fu¨llung neigt ein solcher Seelenraum als viel-einheitliches Gebilde stark dem Einheitspol zu. Herrschen dagegen erkennbar regelwidrige oder regellose Anordnungen des Mannigfaltigen im psychischen Innern vor, so wird er als unordentliches Gebilde zu bezeichnen und als strker pluralisiert einzustufen sein. Dabei muss man sich den Regel-Begriff mit dem Vernunftbegriff verbunden denken, der, wie Charles Taylor in seiner Studie Sources of the Self betont, schon seit Platon einen engen Zusammenhang zum Ordnungsbegriff aufweist.465 Gerade fu¨r intrapsychische Ordnungen betont Taylor: »The soul ruled by reason is an ordered one, enjoying concord and harmony«.466 Letztinstanzlicher Urheber der vernu¨nftigen Regeln, an denen der ordentliche oder unordentliche Zustand eines Seelenraums festgemacht werden kann, ist Gott, auf den im mittelalterlichen, bis in die Fru¨he Neuzeit hinein wirkenden ordo-Denken in letzter Perspektive ohnehin alles Seiende hingeordnet ist.467 Was sich, wie die »unordentliche[n] Lu¨st« (Vers V,6) in Greiffenbergs oben untersuchtem Gedicht, den go¨ttlichen Vorgaben zur Gestaltung des Seelenraums widersetzt, erscheint als Bedrohung der seelenrumlichen Ordnung und damit zugleich der psychischen Kohrenz. Dagegen wird durch Umstrukturierungen, die Gott oder ein zu Gott bekehrter Mensch in die Wege leitet, die Ordnung des Seelenraums befo¨rdert. ¨ berlegungen lassen sich die Auf der Basis der zuletzt angefu¨hrten U bisherigen Interpretationen zu den beiden mehrfach zitierten Monodisticha Czepkos nochmals ergnzen: Im Monodistichon III,16 bringt die Seele die chaotischen, in ihrer Gegenstzlichkeit auseinanderstreben464 465 466 467

Ebd. Sp. 1798. Vgl. Taylor, 1996, S. 121. Ebd. Vgl. dazu Schildknecht, Christiane: ordo (Art.). In: Mittelstraß, Bd. 2, 1984, S. 1089. Die besondere Rolle, welche die Ordnung und ihre Aufrechterhaltung gerade im Barock in allen Lebensbereichen spielen, ist verschiedentlich nachgewiesen worden (vgl. Maurer, 1999, S. 72–75; Alt, 1995, S. 141–150). Mit Recht spricht Conrad Wiedemann geradezu von einer barocken »Ordnungsmetaphysik« (Wiedemann, 1973, S. 29).

245 den Dinge nach den (durchaus auch akustisch zu denkenden) Regeln der Harmonie468 im eigenen Innenraum zur wohlgeordneten »Einstimmung«. Auf diesem Territorium kann man ihr vor dem Hintergrund der vorangehenden Betrachtungen jene Funktion zuweisen, welche Gott im Weltall zukommt. Sie erzeugt in sich selbst gewissermaßen ihre eigene Sphrenharmonie.469 Im zweiten oben angefu¨hrten Monodistichon (III,94) unterstreicht Czepko vor allem die begrenzte Reichweite der psychischen Ordnungsfunktion. Hier kann man, je nach Perspektive, von abgestuften Ordnungsgraden bzw. einem Ordnungs-Unordnungs-Gegensatz im menschlichen Mikrokosmos sprechen. Whrend die intrapsychische Reprsentation des Leiblichen sich vor allem durch ihre wohlgeordnete Einigkeit charakterisieren lsst, herrscht extrapsychisch, also im Leib selbst, eine deutlich strker vom Chaos bedrohte Mannigfaltigkeit vor. Dieser Umstand lsst sich u¨berzeugend mit der gro¨ßeren Entfernung des Materiell-Leiblichen von den ordnenden Einflu¨ssen der Vernunft bzw. mit der gro¨ßeren Entfernung des Stofflichen von der reinen Geistigkeit Gottes erklren. ¨ ber den oben aufgezeigten Zusammenhang von (go¨ttlicher) OrdU nung, vernu¨nftiger Regelhaftigkeit und Kohrenz psychisch-dreidimensionaler Gebilde lsst sich auch die am Ende des vorangehenden Abschnitts (3.4.1) formulierte Frage beantworten, warum die Zeug- und Schatzhausmetapher einerseits und die Kleinodmetapher andererseits als gleichermaßen heterogen komponierte dreidimensionale Seelengebilde verschiedene Einheitsgrade aufweisen. Fu¨r das Zustandekommen des Seelenkleinods wird, anders als fu¨r die beiden Seelengebude, explizit das Wirken der Vernunft vorausgesetzt. Dieser engere Bezug zur ratio, welche der Seele ›nach den Regeln der Kunst‹ eine sthetische Gesamtstruktur verleiht, lsst das Kleinod noch geordneter und eben dadurch noch einheitlicher erscheinen. Die Auseinandersetzung mit dem relationalen Raumkonzept hat sich im vorliegenden Abschnitt als heuristisch fruchtbar erwiesen. Mit der Erweiterung des topoanalytischen Vokabulars um das Gegensatzpaar ›Ordnung-Unordnung‹ ist allerdings das Raummodell Cassirers bereits wieder zugunsten des Containerraum-Modells in den Hintergrund getreten: Nach dem oben entwickelten Ordnungsbegriff muss die Ordnung im Gegensatz zur Unordnung wesentlich als einheitsstiftend gelten. ›Einheit‹ und ›Sein‹ aber bilden gerade jenes Begriffspaar, 468

469

Schon nach antikem Verstndnis handelt es sich bei der Harmonie um die »Vereinigung von Entgegengesetztem oder Verschiedenartigem zu einem geordneten Ganzen« (Korenjak, 2005, S. 86). Vgl. ausfu¨hrlich zur Sphrenharmonie (auch in ihren Bezu¨gen zur Seele) Korenjak, 2005.

246 das nach Ansicht Cassirers nicht auf den relationalen Raum anwendbar ist. Schon die Tatsache, dass mit der Unterscheidung ›OrdnungUnordnung‹ auch in den weiteren Abschnitten der vorliegenden Studie gearbeitet werden wird, macht es somit erforderlich, im Folgenden die vorrangige Orientierung am Containerraum-Modell beizubehalten.

3.5

Seelenhuser und Herzensgste – Zu den Inhalten seelischer Rume aus diachroner Perspektive

Sind mit dem Seelenzeug- bzw. dem Seelenschatzhaus in Abschnitt 3.4 zwei Seelenraum-Metaphern behandelt worden, die dem Bereich der architektonischen Bildlichkeit entstammen, so hat sich in diesen beiden Fllen eine rein synchrone Perspektive als ausreichend erwiesen. Die entscheidenden Inhalte dieser Gebudetypen, die Waffen und die Schtze, verfu¨gen fu¨r sich selbst genommen u¨ber keinerlei Mobilitt und werden – von Extremsituationen abgesehen – auch von menschlicher Hand nicht permanent in ihrer Zusammensetzung variiert oder verstellt, sondern lngerfristig an dem ihnen zukommenden Ort eingelagert. Wenn dem Schatz- oder Zeughaus eine bestimmte Fu¨llungskomponente entnommen wird, du¨rfte in der Regel auf ihre Ersetzung durch vergleichbare Inhalte hingearbeitet werden. Kommt etwas Neuartiges hinzu, wird man normalerweise versuchen, es in die alte Raumordnung ¨ berlegungen zur lngerfristigen Stabisinnvoll einzupassen. All diese U litt dieser beiden Gebudeformen vermo¨gen die Tatsache, dass die zeitliche Dimension bei ihrer Analyse von vornherein ausgeklammert wurde, zu rechtfertigen. Im vorliegenden Abschnitt werden dagegen solche architektonischen Seelenrume zu untersuchen sein, bei denen eine ausschließlich synchrone Perspektive zur Ergru¨ndung der in ihnen wirkenden pluralisierenden und synthetisierenden Krfte nicht angemessen erscheint. Die psychischen Bauwerke, die im Folgenden auf ihre Einheit bzw. Pluralitt zu pru¨fen sind, werden innerhalb der Gedichte nicht durch in ihnen enthaltene immobil-leblose Schtze oder Waffenansammlungen, sondern durch mobil-lebendige ›Inhalte‹, durch Bewohner und Gste, charakterisiert, die neu hinzutreten bzw. sich entfernen. Solche – hufig im Doppelsinne – ›dramatischen‹ personellen Wechsel, die grundstzlich zur Unterscheidbarkeit wenigstens zweier divergierender Zustnde der Seele (Ausgangs- und Endzustand) fu¨hren, machen eine diachrone Topoanalyse unbedingt erforderlich.470 Um das bewohnte 470

Zu den im Folgenden fu¨r das Phnomen des Bewohner- und Besitzerwechsels exemplarisch ero¨rterten Gedichten gibt es zahlreiche Parallelflle in mittelalterli-

247 Seelenhaus aus diachroner Perspektive zu betrachten, reicht es keineswegs aus, in der Topoanalyse allein dem Zeitenstrahl zu folgen. Ließe man es sich an diesem streng chronologischen Vorgehen genu¨gen, so ko¨nnte man beim Nachweis eines Endzustands, in dem das Seelenhaus von einem einzigen homogenen Inhalt bzw. Bewohner (etwa von Christus oder der go¨ttlichen Liebe) besetzt ist, nur noch die vollstndige Stabilitt und Einheit des Seelischen konstatieren. Dagegen werden sich beim genuin diachronen Blick, d. h. beim Vergleich dieses Endzustands mit dem Ausgangszustand bzw. mit allen zuvor geschilderten Erscheinungsformen des Seelenhauses, vo¨llig andere Erkenntnisse ergeben: Aus dieser Perspektive kann auch ein synchron einheitlicher Seelenendzustand zum Eindruck psychischer Pluralitt beitragen, insofern sich die abschließende von einer fru¨heren Seelenfu¨llung unterscheidet. Trotz der Zsur, welche die konsequent diachrone Betrachtungsweise zu den vorangehenden synchronen Analysen der Seelenzeug- bzw. Seelenschatzhausmetapher setzt, hat man auch von strukturellen Parallelen zwischen den beiden letztgenannten architektonischen Seelengebilden und den nachfolgend zu untersuchenden bewohnten Seelengebuden auszugehen: Wie fu¨r ein seelisches Zeug- oder Schatzhaus ist auch fu¨r die metaphorisch als Wohnhaus gestaltete Seele die Container-Eigenschaft der klaren Umgrenzung vorauszusetzen. Wie diese zwei architektonischen Gebilde du¨rfte auch das Seelenwohnhaus trotz seiner grundstzlichen Offenheit fu¨r den Aus- und Einzug von Seelengsten in der Regel u¨ber feste Mauern verfu¨gen und als ›Immobilie‹ zustzlich einen einmalig festgelegten Standort aufweisen. Dies lsst diachron eine erhebliche formal-ausdehnungsbezogene Stabilitt und damit zumindest eine gewisse Kontinuititt des Seelischen erwarten. Paradigmatische diachrone Analysen der im Barock entworfenen Seelenwohnhuser sollen im Folgenden vor allem anhand zweier Texte – eines Liedes aus Schefflers Heiliger Seelen=Lust und eines Gedichts von Dach – durchgefu¨hrt werden. Schefflers Lied lautet wie folgt: Sie ladet jhn in jhr Hertze ein. 1. ACh was stehst du auff der Au / Und wirst naß und kalt vom Thau? Tritt herein in meine Hu¨tte / Denn dir ruffet das Gemu¨tte; Nihm in meinem Hertzen Ruh / Du verliebter Schfer du. chen Texten. Zu mittelalterlichen Beispielen fu¨r die Gestaltung des Menschen als Wohnort fremder Mchte (receptaculum-Konzept) vgl. etwa Keller, 1997, S. 358–361; Bauer, 1973.

248 2. Schau / ich thu dir auff die Thu¨r / Kom[m] doch / kom[m] herein zu mir; Kom[m] doch / weil ich mit Verlangen Offt gewu¨nscht dich zu umbfangen; Kom[m] / O su¨sser Seelen=Gast / Hier ist deine Ruh und Rast. 3. Ey was wilt du weiter gehn / Oder lnger draussen stehn? Kom[m] in meines Hertzens Ho¨le Liebste Seele meiner Seele; Kom[m] / ich rume dir es ein / Ewig sols dein eigen seyn. 4. Kom[m] / es sol in jedem nun Deinen liebsten Willen thun; Biß es endlich von der Erden Wird durch dich erhaben werden; Da es dir zu Lob und Preiß Sey ein ewig Paradeiß.471

Da die rumliche Situation von Strophe zu Strophe auf andere Weise entfaltet wird, bietet sich fu¨r die Interpretation der hier zitierten Verse zunchst eine chronologische Topoanalyse an, die aber, eingedenk der ¨ berlegungen, in jedem Fall durch gezielt-vergleichende Ru¨ckobigen U blenden ergnzt werden muss. In den ersten vier Versen der ersten Strophe redet ein innerhalb des Strophenkontextes nicht nher bestimmtes Ich einen noch draußen, d. h. außerhalb der menschlichen Innenrume stehenden Schfer an und bittet ihn, in seine – zunchst ebenfalls nicht weiter spezifizierte – Behausung einzutreten. Einen hnlichen Wunsch artikuliert auch das »Gemu¨tte« (Vers I,4), das zwar durch sein Rufen personifiziert wird, aber genauso wie das Ich und seine Hu¨tte jeder weiteren Bestimmung entbehrt. Schließlich bleibt auch das Verhltnis zwischen dem Ich und ¨ berschrift Sie ladet dem Gemu¨t im Dunkeln. Beru¨cksichtigt man die U jhn in jhr Hertze ein sowie den weiteren Kontext der anderen Gedichte (bzw. Gedichtu¨berschriften) und der Vorrede des gesamten Gedichtzyklus, so kann der Schfer dieses geistlichen Schfergedichts mit Christus identifiziert,472 das Ich dagegen als ›Psyche‹ benannt werden. Dass diese bei Scheffler vielfach – und wohl auch in diesem Fall – in

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Scheffler, 1668/2004, S. 212–214 (III,68). Vgl. ebd. Bl. )( ijv–jvv, bes. Bl. )( jvv. Vgl. zu den Hintergru¨nden der geistlichen Schferdichtung etwa Eicheldinger, 1994, S. 21–43, bes. S. 24–25.

249 der Rolle einer Schferin auftretende473 Figur keineswegs einfach der menschlichen Seele gleichzusetzen ist, sondern allenfalls eine Allegorie derselben darstellt,474 kann unter anderem durch einen Vorgriff auf den vierten Vers der dritten Strophe deutlich gemacht werden, in welchem Psyche explizit von ihrer »Seele« spricht. Die letzten beiden Verse der ersten Strophe, in denen die Schferin dem Schfer einen Ruheplatz in ihrem Herzen anbietet, ko¨nnen unterschiedlich interpretiert werden, je nachdem, in was fu¨r einen Zusammenhang man sie mit den vorangehenden Versen bringt. So lassen sich die Aussagen der Verse 1–4 und 5–6 zunchst in einem zeitlichen Nacheinander lesen. Die ihren Schferberuf verrichtende Sprecherin bittet den Schfer Christus erst in die Hu¨tte, in der sie wohnt, anschließend fordert sie ihn zustzlich auch noch zum – metaphorischen – Eintritt in ihr Herz auf. Schon die ¨ berschrift des Gedichts legt es indes nahe, zwischen den ersten vier U und den letzten beiden Versen einen noch engeren Zusammenhang anzunehmen und den Schluss der Strophe gewissermaßen als die Allegorese des in den Versen 1–4 bildlich Dargestellten zu verstehen. Die an den Schfer Christus ergehende Aufforderung, die Hu¨tte der Sprecherin zu betreten, wre dann mit ihrem abschließenden Wunsch, dass der Schfer Christus sich im Herzen niederlassen mo¨ge, gleichzusetzen. Mit den Ausdru¨cken ›Herz‹ und ›Hu¨tte‹ wu¨rde derselbe Raum bezeichnet. Diese zweite Interpretationsvariante, der hier der Vorzug gegeben werden soll, wirft ihrerseits eine weitere, die genaue Position des Sprecherinnen-Ich betreffende Frage auf: Umschließt das Ich als u¨bergreifende Instanz Herz und Gemu¨t und trgt damit gleichsam eine Hu¨tte in seinem Innern? Oder ist es selbst in bzw. – Christi Ankunft erwartend – unmittelbar vor der Herzenshu¨tte zu verorten?475 Diese Frage, 473

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Immer wieder gruppiert Psyche sich unter die »Schfer und Hirte[n]«, vgl. etwa Scheffler, 1668/2004, S. 45 (I,14 – »Sie bereitet sich zu seiner Geburt« (»STreuet mit Palmen jhr Schfer und Hirte[n]«)), bzw. unter die Schferinnen, vgl. ebd. S. 565–568 (V,166 – »Sie vertro¨stet die Schfferinnen der Ankunfft jhres Heilandes« (»SEyd getrost jhr Schfferinnen«)), und redet sie direkt an. Auch spricht sie explizit von ihren »Schffelein«, vgl. ebd. S. 486 (IV,144 – »Sie ruffet alle Creaturen GOtt zu loben« (»AUff / auff mein Hertz / ermuntre dich«)). Allerdings tritt sie bisweilen auch eher als Schaf denn als Schferin auf, vgl. etwa ebd. S. 614 (V,183 – »Sie entbietet sich jhrem sie suchendem Brutigam« (»TReuer Schfer / der du mir«)). Vgl. allgemein zum Verhltnis zwischen Christus und der Seele in der Tradition ¨ bergngen zwischen der weltlichen und geistlichen Schferdichtung und zu den U erotischen und religio¨sen Motiven in der Darstellung ihrer Beziehung Marx, 1998, S. 191–209, bes. S. 197–209. Vgl. zur dritten fu¨r diese Strophe denkbaren Lokalisierungsalternative, nach welcher die Schferin Psyche sich nicht in, sondern vor ihrer Herzenshu¨tte befindet, etwa ein emblematisches Hertzliches und bru¨nstiges SonntagsSeuftzerlein Schottels, in dem die pictura eine allegorische Seelengestalt vor dem Herzenshaus dar-

250 die hier zunchst noch offen bleiben muss, lsst sich zugespitzter formulieren, wenn man im Folgenden eine zentrale terminologische Unterscheidung aus Renate Bo¨schensteins Aufsatz Das Ich und seine Teile476 heranzieht. Bei der Analyse von Gedichten aus verschiedenen Jahrhunderten unterscheidet Bo¨schenstein grundstzlich zwei mo¨gliche Beschaffenheiten des lyrischen Ich. Zum einen fu¨hrt sie Beispiele fu¨r solche Situationen an, in denen ein »Ich, von sich sprechend, Teile seiner selbst evoziert«.477 Von diesen Fllen, in denen das Pronomen ›ich‹ die verschiedensten »Ich-Teile« bezeichnet, differenziert sie solche Konstellationen, in denen sich das Fu¨rwort auf ein »Mantel-Ich« bezieht, das diese Einzelkomponenten in sich begreift, sie umfasst bzw. umhu¨llt.478 ¨ berlegungen zu physischen bzw. psychischen Auch wenn konkrete U Innenrumen und Raummetaphern in Bo¨schensteins Argumentation eine eher untergeordnete Rolle spielen,479 liegt doch die enge Verknu¨pfung zumindest des Ausdrucks ›Mantel-Ich‹ mit der Vorstellung eines innermenschlichen Raums auf der Hand. Wie ergiebig sich Bo¨schensteins Vokabular mit der bisher erarbeiteten topoanalytischen Betrachtungsweise verbinden und schon auf fru¨hneuzeitliche Gedichte anwenden lsst, sei hier exemplarisch zunchst an einem einzigen Vers aus einem Gedicht Opitz demonstriert, in dem es heißt: Der Herr der ist mein theil / spricht meine seel in mir […].480

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stellt. Die Prosaerluterung, die der pictura zustzlich zur subscriptio beigegeben ¨ ber das Evangelium am ist, fu¨hrt aus (Schottelius, 1667, S. 2–3, hier S. 3 (»U ersten Sontage des Advents / Matth. 21.«)): Das Bild / die Christliche Seele andeutend / stehet vor ero¨fneter Thu¨r / zeiget auf das ero¨fnete Hertz / mit sehnlicher Begierde / den aus dem Himmel ankommenden Ko¨nig der Ehren […] fro¨lich anzunehmen und zu empfahen. Gerade die vergleichende Betrachtung dieser Beschreibung Schottels legt es nahe, dass es sich bei der dritten Lokalisierungsalternative letztlich nur um eine geringfu¨gige Variation der Verortung der Ich-Instanz bzw. der allegorischen Seelenfigur im Herzen handelt: Sollte die Sprecherin in Schefflers Versen vor ihrer Herzenshu¨tte stehen, so ist davon auszugehen, dass sie nur voru¨bergehend und in der Erwartung des Herrn aus dem Herzensgebude hervortritt, um Christus in ihre Behausung hineinzugeleiten. Bo¨schenstein, 1990. Ebd. S. 75. Ebd. S. 74. Auch Sabine Kyora beobachtet – gerade an barocken Gedichten – eine »Spaltung des sprechenden Ich« in verschiedene Komponenten (Kyora, 2003, S. 408). Einmal weist Bo¨schenstein, im Zusammenhang mit einer Interpretation, kurz auf innere Raumvorstellungen hin, vgl. Bo¨schenstein, 1990, S. 92. Opitz, 1638/1966, S. 49 (»Die KlageLieder Jeremia« – »Das Dritte KlageLied« (»O Jch betru¨bter mann / der ich mit kranckem muthe«)).

251 Diese Aussage schließt sich eng an den Vers 3,24 aus den Klageliedern Jeremias an (»Der HERR ist mein Teil / spricht meine Seele / darumb wil ich auff jn hoffen«),481 ergnzt sie allerdings um den entscheidenden Zusatz einer Ortsbestimmung. Die Seele beteuert ihre Teilhabe an Gott von einem ganz bestimmten Platz aus: Sie spricht innerhalb eines Ich. Durch diese gegenu¨ber dem Luthertext vorgenommene Ergnzung charakterisiert sich das Sprecher-Ich selbst als Raum, in den die Seele eingeschlossen ist. Die Letztere ist gewissermaßen der Kern in einer das gesamte Leib-Seele-Kompositum umfassenden Ich-Hu¨lle, also in einem Mantel-Ich. Außerdem stellt die Seele, gleichzeitig mit dieser nucleusRolle, selbst wieder eine Hu¨lle, nmlich ein aufnahmebereites Gefß fu¨r den gewissermaßen als nucleolus fungierenden Herrn dar, der hier ausdru¨cklich zum »theil« der Seele erklrt wird. Und schließlich erscheint sie als eine personale Gro¨ße, als interne Sprecherin im eigentlichen Sprecher des Gedichts. Die (Topo-)Analyse zu Opitz Vers soll hier, auch wenn sich noch viel ergnzen ließe, nicht weiter fortgesetzt werden, ist doch ihre Funktion fu¨r den Zusammenhang der vorliegenden Studie bereits an dieser Stelle erfu¨llt: Erstens haben die vorangehenden Darlegungen gezeigt, dass auch im Barock die Anwendungsvoraussetzungen fu¨r Bo¨schensteins Begriff des ›Mantel-Ich‹ gegeben sind. Zweitens ist an ihnen deutlich geworden, dass sein Gebrauch gerade in Anbetracht der Komplexitt einer gleichzeitigen Rede vom Ich und von der Seele sowie einer parallelen Verwendung rumlicher und personaler Metaphorik wu¨nschenswert erscheint, fu¨hrt er doch zumindest zu einer gewissen terminologischen Vereinfachung der Interpretation. Verbindet man nun auch fu¨r das hier ausfu¨hrlich zu analysierende Gedicht Schefflers Bo¨schensteins Vokabular mit einer topoanalytischen Betrachtungsweise, so lsst sich die oben fu¨r Strophe 1 angedeutete Unentscheidbarkeit der Position des Ich folgendermaßen skizzieren: Das Ich kann entweder als ein u¨bergeordnetes, containerraum-artiges, leib-seelisches Mantel-Ich wahrgenommen werden, welches aufgrund seiner gleichsam sphrischen Struktur u¨ber jede punktuelle Perspektive, jede interne oder externe Fokalisierung,482 erhaben ist und seine Position nicht verndert. Durch seine festen Grenzen ko¨nnte es, sofern es auch weiterhin durchgngig Mantel-Ich bliebe,483 in allen weiteren 481 482

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Biblia, Bd. 2, 1974, S. 1385. Zur Anwendung narratologischer Methoden (und damit auch Termini) in der Lyrik vgl. etwa Hillmann, 2005, bes. S. 27; Scho¨nert/Hu¨hn/Stein, 2007. Dass – zumindest in anderen fru¨hneuzeitlichen Gedichten – das Ich nicht immer dasselbe bleiben muss, sondern auch von Strophe zu Strophe wechseln kann, zeigt am Beispiel eines Lutherlieds etwa Hillmann, 2005, S. 25.

252 Geschehnissen des Gedichts eine gewisse psychophysische Kontinuitt garantieren. Oder aber das Ich ist ein aus seiner Herzenswohnung heraus redendes bzw. unmittelbar neben dem Herzen stehendes Teil-Ich, ein lebendiger Herzensbewohner, der durch seine potentielle Mobilitt deutlich weniger stabil (und damit auch deutlich weniger stabilisierend) erscheint. Welcher dieser Alternativen der Vorzug gebu¨hrt, wird sich schon bei der Betrachtung der nachfolgend nochmals zitierten zweiten Strophe zeigen: Schau / ich thu dir auff die Thu¨r / Kom[m] doch / kom[m] herein zu mir; Kom[m] doch / weil ich mit Verlangen Offt gewu¨nscht dich zu umbfangen; Kom[m] / O su¨sser Seelen=Gast / Hier ist deine Ruh und Rast.484

Bevor die Frage nach dem Ort der Sprecherin auch hier gestellt werden soll, gilt es zunchst den auf zweierlei Weise bemerkenswerten Titel des »Seelen=Gast[s]« nher ins Auge zu fassen, den das Ich dem Schfer Christus gegen Ende der Strophe verleiht. Einerseits charakterisiert die Sprecherin den Gottessohn u¨ber das zweite Glied dieses Kompositums als einen voru¨bergehenden Besucher, nicht aber als Eigentu¨mer des inneren Gebudes. Andererseits wird in dieser Anrede Christi Gaststatus ausdru¨cklich mit der Seele assoziiert. In welchem Verhltnis die Seele zum Ich und zu den in Strophe 1 genannten inneren Gro¨ßen ›Herz‹ (als Raum) und ›Gemu¨t‹ (als agierende Figur) steht, bleibt dabei offen. Aber auch die Relation zwischen der Seele und Christus erscheint durch die Apostrophierung des Gottessohns als »Seelen=Gast« nicht hinreichend geklrt. Der im Barock mehrfach verwendete Ausdruck ›Seelengast‹ lsst sich hier auf zweierlei Weise verstehen. Entweder hat die Seele Christus ›bei sich‹ im Herzen zu Gast (Christus als Gast der Seele) und erscheint damit als – mehr oder weniger dem sprechenden Ich quivalente – Person, oder Christus wird, indem er im Herzen einkehrt, zugleich auch zum Gast im Seelenraum (Christus als Gast in der Seele). Die Plausibilitt der zweiten Deutungsvariante fu¨r den Begriff »Seelen=Gast« lsst sich etwa durch einen Seitenblick auf ein Lehrgedicht Harsdo¨rffers zeigen, in welchem Christus ebenfalls ausdru¨cklich als »Seelen=Gast« apostrophiert und dabei zugleich zur Herzenseinkehr aufgefordert wird: Nun / Christe / steht dir offen / mein Hertz / das du verlanget hast: 484

Scheffler, 1668/2004, S. 213–214 (III,68 – »Sie ladet jhn in jhr Hertze ein« (»ACh was stehst du auff der Au«)).

253 Komm / du mein gantzes Hoffen / komm / nun du werther Seelen=Gast!485

Bei isolierter Betrachtung bleibt zwar an dieser Stelle der Ausdruck ›Seelengast‹ ebenso doppeldeutig wie in der zweiten Strophe von Schefflers Gedicht. Indem Harsdo¨rffers Ich jedoch einige Strophen zuvor Christus als »meiner Seelen beste[n] Theil« bezeichnet,486 erscheint zumindest in diesem Parallelfall jene Deutungsalternative schlu¨ssiger, nach welcher das Ich Christus nicht bei der Seele, sondern in der Seele zu Gast haben mo¨chte. Mo¨chte man, wie dies im Folgenden geschehen soll, auch Schefflers Verse in der zuletzt angefu¨hrten Weise lesen, so ergeben sich daraus zwei Alternativen fu¨r das bisher ungeklrte Verhltnis der Gro¨ße ›Seele‹ zur Herzenshu¨tte. Entweder hat man von einer direkten Ineinanderschachtelung von Herzens- und Seelenraum auszugehen (vgl. zu dieser Konstellation Abschnitt 3.1.1) oder – ein weiteres Mal – den offen stehenden Herzensraum als seelenquivalent zu betrachten. Da der Herzensraum in Schefflers Lied kaum als fleischlich-organisches, sondern vor allem als ein dreidimensionales psychisches Gebilde einzustufen ist, soll im Folgenden die Herzenshu¨tte mit der Seele selbst identifiziert und gelegentlich auch als ›Seelenraum‹ bezeichnet werden. ¨ berlegungen nun wieder der fu¨r StroWenden wir uns nach diesen U phe 1 in den Vordergrund gestellten Frage nach der Position der Sprecherin zu. Sie lsst sich in Strophe 2 deutlich besser bestimmen. Zwar ko¨nnte in der Formulierung »weil ich […] | Offt gewu¨nscht dich zu umbfangen« (Verse III,3–4) das Verb ›umfangen‹ in seiner Polysemie wahrgenommen und nicht nur als »umarmen« (die Sprecherin hlt sich als Person im Herzen bzw. in der Seele auf), sondern auch als »umgeben« und »umschlieszen« (die Sprecherin will Christus als Mantel-Ich in sich ›einhu¨llen‹) verstanden werden.487 Da Christus und Psyche in diesen Versen offenbar als zwei Liebende auftreten, beansprucht allerdings die erste Verstndnisweise, das Umarmen, eine gro¨ßere Wahrscheinlichkeit fu¨r sich. Vollends eindeutig erscheint die Position des Ich schließlich bei der Betrachtung des vorangehenden zweiten Verses derselben Strophe: »Kom[m] doch / kom[m] herein zu mir«.488 Offen-

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Harsdo¨rffer, 1659/1991, S. 34 (alte Paginierung) bzw. S. 48 (neu) (XXIX – »die Einwohnung Gottes in unseren Hertzen« (»O Quell erwu¨nschter Freuden!«)). Ebd. S. 33 (alte Paginierung) bzw. S. 47 (neu). So lauten die Synonyma, die das Deutsche Wo¨rterbuch fu¨r das Verb ›umfangen‹ anfu¨hrt, vgl. Anon.: umfangen (Art.). In: Grimm, Bd. 23, 1936/1984, Sp. 865–872. Eine Aufforderung, wie sie ein Mantel-Ich an dieser Stelle gebrauchen wu¨rde, findet sich in einem anderen Gedicht der Heiligen Seelen=Lust (III,69 – »Sie

254 sichtlich befindet sich die Sprecherin, wenn sie diesen Wunsch ußert, selbst schon als Teil-Ich in der Herzens- bzw. Seelenhu¨tte und ersehnt bzw. erwartet von dieser Innenposition aus den Einzug Christi, die Vereinigung mit dem geliebten Schfer.489 Schefflers Gedicht scheint hier von der tropologischen (d. h. der auf die Einzelseele bezogenen) Sinn- bzw. Deutungsebene490 von Hld 5,2–5 inspiriert.491 Dass wenigstens auf die Dauer eine Mantel-Position des Ich gegenu¨ber dem ins Herz einziehenden Christus kaum vorstellbar wre, mag an der folgenden (letzten) Strophe eines anderen Lieds aus der Heiligen Seelen=Lust deutlich werden, in der das Ich sich zunchst zwar als Mantel-Ich entwirft, dann aber bestrebt ist, sich auf eine Ebene mit seinem geliebten Schfer zu begeben: Alsdenn wil ich mein Leben Dich hurtig umbgeben / Und in meins Hertzens Kammer fu¨hrn: Da wil ich dich ku¨ssen / Und deiner geniessen / Jn seligen Freuden Mich laben und weyden / Biß du mich kro¨nen wirst und ziern.492

In den ersten beiden Versen dieser Strophe entwirft das Ich den Plan, den lange Gesuchten auf die denkbar sicherste Art und Weise, nmlich durch die schnelle Aufnahme in sein eigenes Inneres, zu ›fangen‹ (»Alsdenn wil ich […] | Dich hurtig umgeben«). Sobald dies aber geschehen sein wird, mo¨chte das Ich zum ebenbu¨rtigen Begleiter seines Geliebten werden und – als Teil-Ich – mit ihm gemeinsam den vor allen ußeren Sto¨rungen gesicherten »locus intimus«493 der »Hertzens Kammer« als Schutzort aufsuchen.494

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bittet / er wolle bey jhr bleiben / weils Abend worden« (»WO wilt du hin / weils Abend ist«)). Darin heißt es: »Ey bleib doch hier und rast in mir« (Scheffler, 1668/2004, S. 217). Zur »inhabitatio [Christi, M. D.] in fidelibus« als »Merkmal« der unio mystica – allerdings innerhalb der protestantischen Theologie – vgl. Petzoldt, 2008, S. 49–50. Vgl. dazu etwa Alt, 1995, S. 81. Der gesamte Liederzyklus der Heiligen Seelen=Lust weist eine große Nhe zum Hohenlied auf, vgl. etwa Scheitler, 1999, S. 362. Scheffler, 1668/2004, S. 13–14 (I,4 – »Sie suchet den Lieben jhrer Seelen« (»O Wo bist du mein Leben«)). Baier, 2005, S. 202. Sebastian Baier beschreibt die Bedeutung intimer Rume allerdings an einem vo¨llig anders gelagerten Beispiel: an den Aufenthaltsrumen Tristans und Isoldes. Vgl. dazu auch Ohly, 1986, Sp. 994–995.

255 Auch wenn man fu¨r die Sprecherin von Sie ladet jhn in jhr Hertze ein eine Teil-Ich-Position voraussetzen muss, verfu¨gt sie in den bisher untersuchten Passagen des Liedes u¨ber erhebliche Macht: Schon die Possessivpronomina der ersten Strophe (Vers I,3: »meine Hu¨tte«, Vers I,5: »in meinem Hertzen«) machen deutlich, dass die Bewohnerin der Herzenshu¨tte zugleich deren Besitzerin ist. Auch die von ihr ersehnte rumliche Vereinigung mit ihrem Geliebten ist in diesem Textabschnitt ¨ bereignung ihrer Wohnsttte an Chriskeineswegs schon mit einer U 495 tus verbunden: Sie apostrophiert den Gottessohn ausdru¨cklich nur als »Seelen=Gast« und legt damit nahe, dass der Seelenraum auch mit dem erhofften Einzug Jesu in ihrem Besitz bleiben wu¨rde. Bei allen Vernderungen, die dieser neue Inhalt dem Seelenraum bringen mu¨sste, wre damit von vornherein eine erhebliche Kontinuitt dieses psychischen Gebudes gewhrleistet. Vo¨llig anders dagegen gestaltet sich die von der Sprecherin entworfene Situation in der nun zu interpretierenden dritten Strophe: Ey was wilt du weiter gehn / Oder lnger draussen stehn? Kom[m] in meines Hertzens Ho¨le Liebste Seele meiner Seele; Kom[m] / ich rume dir es ein / Ewig sols dein eigen seyn.496

Bei der hier zum dritten Mal an Christus ergehenden Einladung, in das Herz einzutreten, wird die architektonische Metaphorik (»Hu¨tte«, »Thu¨r«), durch welche dieser Raum zuvor bestimmt war, zuru¨ckgenommen und das Herz stattdessen als »Ho¨le« bezeichnet. Fragt man nach den Auswirkungen, welche Vers III,3 fu¨r die Kontinuitt des Herzens- bzw. Seelenraums hat, so wird man feststellen mu¨ssen, dass die Vernderungen so drastisch, wie es zunchst scheinen mag, gar nicht sind. Eine Hu¨tte und eine Ho¨hle u¨berschneiden sich in wesentlichen Merkmalen – bei beiden Bildspendern handelt es sich um bewohnbare Innenrume, beide verfu¨gen u¨ber feste Begrenzungen, die im Normalfall als stabil zu bewerten sind. Zudem weisen die Herzenshu¨tte wie die Herzensho¨hle in der Gestalt des Ich, das explizit von »meine[r] Hu¨tte« (Vers I,3) und »meines Hertzens Ho¨le« spricht, denselben Besitzer auf. Außerdem wre es denkbar, dass die Sprecherin mit dem Begriff ›Ho¨hle‹ einfach etwas unspezifischer auf ihren psychischen Innenraum referierte, whrend er sich auf einer anderen, noch ›bild495

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Fu¨r den Gedanken der Einwohnung Christi im Herzen findet sich einer der wohl fru¨hesten Belege schon in Eph 3,17. Scheffler, 1668/2004, S. 214 (III,68 – » Sie ladet jhn in jhr Hertze ein« (»ACh was stehst du auff der Au«)).

256 licheren‹ Ebene weiterhin als Gebude betrachten ließe. In dieser Deutungsvariante, der im Folgenden der Vorzug gegeben werden soll, hat man Vers III,3 gar nicht als Hinweis auf einen Gestaltwandel des Seelenraums zu verstehen und muss von vornherein nicht u¨ber mo¨gliche destabilisierende Konsequenzen einer solchen Metamorphose diskutieren. Wichtiger als die Benennung des Herzensraums als »Ho¨le« ist fu¨r die Frage nach der seelenrumlichen (In-)Stabilitt in jedem Fall jene Vernderung, die das Ich in den letzten beiden Versen der dritten Strophe fu¨r den erhofften Einzug Christi entwirft. Wie in den vorangehenden Strophen so hat man auch hier davon auszugehen, dass die Sprecherin ihre Worte aus dem Seelen- und Herzensraum heraus, d. h. als ein selbst wesenhaft zur Seele geho¨rendes Teil-Ich, an Christus richtet. Unter diesen Umstnden gewinnt vor allem der fu¨nfte Vers – »Kom[m] / ich rume dir es [d. h. das Herz, M. D.] ein« – entscheidende Bedeutung.497 Es liegt nahe, das fu¨r diesen Vers zentrale Verb ›einrumen‹ mit dem Deutschen Wo¨rterbuch als ein »locum cedere« zu verstehen:498 Indem das Ich die Herzensho¨hle Christus ›einrumt‹, rumt es diesen bisher von ihm bewohnten inneren Ort gleichzeitig selbst. Der Herzens- bzw. Seelenraum ist fu¨r die Sprecherin, wie es in einem Epigramm aus dem Cherubinischen Wandersmann heißt, »verlohren und vergeben«.499 Mit dem Verschwinden des Ich geht die innere Hu¨tte bzw. Ho¨hle vollstndig in den Besitz des Gottessohns u¨ber (vgl. Vers III,6), der damit seinen Gast-Status gegen einen Eigentu¨mer-Status eintauscht. Rhetorisch unterstrichen wird der Verzicht des Ich auf die Anwesenheit im und die Anspru¨che am Herzen in Vers III,5 durch die ¨ berInversion (»dir es« statt ›es dir‹). In ihr kommt die vollstndige ›U schreibung‹ des Herzens an Christus besonders eindringlich zum Ausdruck. Auf die Vorstellung eines ausschließlich dem Gottessohn u¨berlassenen Herzensraums kann man auch in anderen Gedichten stoßen – so etwa in den folgenden Versen Dachs, die wohl zugleich ein weiteres 497

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Vom »[E]inraumen« des Herzens ist auch in anderen Kontexten die Rede, so etwa in der siebten Elegie des dritten Bands von Laurentii von Schnu¨ffis Mirantischer Maul=Trummel (»Die der Welt=Eitelkeit nunmehr verdru¨ssige Seel zeiget an / wie man Gott suchen / und finden soll« (»WAnn der Jger was will fangen«)). Dort wohnt im Herzen allerdings von vornherein kein Ich, sondern nur die »Welt=Lieb« (Laurentius von Schnu¨ffis, 1698/1986, S. 302), so dass die sicherlich auch in diesem Fall erheblichen und weitreichenden Umstrukturierungen nicht die Position der Sprecherin selbst in Frage stellen. Vgl. Anon.: einraumen, einrumen (Art.). In: Grimm, Bd. 3, 1862/1984, S. 246. Vgl. hnlich auch Bollnow, 1994, S. 36. Scheffler, 2000, S. 101 (II,200 – »Die Aufgegebenheit«).

257 Beispiel fu¨r das in Abschnitt 3.3.2 untersuchte Motiv eines unendlich ausgedehnten inneren Raums darstellen: War ist es, HErr, es fassen Dich alle Himmel nicht, Ein Hertz, so Dir gelassen Vnd seinen Willen bricht, Jst dein Gemach allein […].500

Whrend in Dachs Versen nicht explizit vom Ru¨ckzug eines Ich aus seinem hausartigen psychischen Innern die Rede ist, finden sich anderweitig auch fu¨r das Bild vom Auszug des Ich aus dem Seelenhaus zeitgeno¨ssische Exempel – und dies sogar bei Scheffler selbst. Man betrachte dazu etwa die Epigramme I,227 und V,33 aus dem Cherubinischen Wandersmann: Die Babel. Du bist die Babel selbst: gehst du nicht auß dir auß / So bleibstu ewiglich des Teuffels Polter-Hauß.501 Wenn GOtt am liebsten bey uns ist. GOtt dessen wollust ist bey dir O Mensch zu seyn / Kehrt / wenn du nicht daheim / am liebsten bey dir ein.502

Das zweite Epigramm behauptet dabei zugleich eine direkte Kausalbeziehung zwischen dem Auszug oder der Abwesenheit des Ich und dem Einzug Gottes in das innermenschliche Haus,503 das allerdings nicht explizit, sondern nur u¨ber die Einkehrmetaphorik als psychisches Gebude bezeichnet wird. Weder dieses Epigramm noch die dritte Strophe des Liedes aus der Heiligen Seelen=Lust fu¨hren indes aus, warum die gleichzeitige Prsenz Gottes und eines Ich im psychischen Raum letztlich zum Scheitern verurteilt ist, d. h. warum das Ich seinem Scho¨pfer das Feld rumen muss. Der Hauptgrund fu¨r die Notwendigkeit dieses radikalen Schritts liegt wohl darin, dass die Anwesenheit des Ich im inneren Raum mit der Prsenz des Eigenwillens (der Gottes Willen zumeist entgegengesetzt ist) und besonders der Eigenliebe gleichgesetzt wird. Gerade das Vorhandensein der »eigene[n] liebe«504 stellt fu¨r den Einzug Gottes in den Menschen bzw. in dessen Seele ein echtes Hin¨ bersetzung von Johann dernis dar. So heißt es in der zeitgeno¨ssischen U 500

501 502 503

504

Dach, Bd. 3, 1937, S. 293 (206 – »Hertzliches Dank= und Betlied […]« (»WJr armen Leute meinen«)). Scheffler, 2000, S. 60 (I,227). Ebd. S. 193 (V,33). Vgl. hnlich die Argumentation im Eintrag Egoitas, Suitas, Meitas, Ipsitas in Sandaeus, 1640/1963, S. 194. Gerhard, 2000, S. 423 (16. Betrachtung).

258 Gerhards Meditationes Sacrae (1606), die »im 17. Jahrhundert wohl die meistgelesene Erbauungsschrift waren«505: »Die liebe GOttes kompt nit in die Seele / wo nit zuuor die eigene liebe vnd Weltliebe herauß gehen vnd abweichen.«506 Wo das Ich – wie in den beiden oben zitierten Epigrammen aus dem Cherubinischen Wandersmann – als Hindernis fu¨r die innige GottMensch-Beziehung dargestellt wird,507 ergeht es ihm sogar noch geradezu gndig, wenn ihm nur ein Verbannungs- und nicht, wie im folgenden Ausschnitt aus Dykes Nosce teipsum, ein Todesurteil gesprochen wird: Sonderlich / laßt vns wol zusehen / wo vns der Agag [vgl. 1. Sam 15,1–9, M. D.] ins Gesicht / vnd vnter die Hnde kompt / daß wir vns nichts bewegen lassen / seiner zuverschonen / wie der vngehorsame Saul tht: Dieser Agag ist bey einem jeden das jenige / das da / Jch / heisset / vnnd was demselben in seiner Eygenheit / vnd Selbheit / lieb ist vnd anhanget: Solches mu¨ssen wir / wie Samuel den Agag / fu¨r dem HERREN in Stu¨ck zerhawen vnnd in Grund vertilgen / sonst haben wir vns deß HERREN Christi / der diese Verlugnung vnnd Hassung vnserer selbsten / so offt vnnd ernstlich anbefohlen / im geringsten nicht zuru¨hmen.508

Am besten wre es schließlich, wenn man die Entfaltung der zersto¨rerischen Krfte eines su¨ndig-egoistischen Ich im eigenen Innenraum a priori verhinderte, wenn man von vornherein gar keine »Ichheit« in den Seelenraum einließe. Dies wird etwa im Ku¨hlpsalter (Psalm IV,8, Sibentagsnachttheil, Verse III,1–4) gefordert: Inlasse nicht ins seelenzimmer Den allerkleinsten Ichheitglimmer, Weil ihn dein zunder heimlichst fngt, Der dich gefhrlichst leicht versengt.509

Im Lied Sie ladet jhn in jhr Hertze ein sucht man solche expliziten Negativbewertungen des Ich allerdings vergebens. Der Akt der voll¨ berschreibung der inneren Rume an Christus in der dritstndigen U ten Strophe erscheint hier eher durch die aufopfernde Liebe der Sprecherin zu ihrem Erlo¨ser als durch das Bestreben motiviert, das eigene Innere vor einer ihm ansonsten drohenden vollstndigen Destruktion zu retten. Von schdlichen Einflu¨ssen, unter denen die Herzenshu¨tte 505 506 507

508 509

Steiger, 2000, S. 659. Gerhard, 2000, S. 423 (16. Betrachtung). Vgl. insgesamt zur negativen Rolle des Ich bzw. der »Ichheit« im Cherubinischen Wandersmann auch Plard, 1943, S. 74–75. Dyke, 1636, S. 182. Kuhlmann, Bd. 1, 1971, S. 279 (»Sibeiniges allgemeines Abend- Nacht- MorgenMittagslid« (»AN Gott glaub ich, der nur allmchtig«)).

259 durch ihre bisherige Besitzerin zu leiden gehabt htte, ist nicht die Rede. Zu groß wre sonst auch der – ohnehin schon kaum zu u¨bersehende – Widerspruch zur zweiten Strophe, in welcher Christus bei der Sprecherin im Herzen nur besuchsweise anwesend ist und sie keineswegs aus ihrer Position als Herzensbesitzerin verdrngt. Ein solcher ›Besuch‹ Jesu im Seelenraum ist in seinen Konsequenzen fu¨r die diachrone Stabilitt dieses Innenbereichs noch weitgehend unproblematisch. Wie oben bereits dargelegt, bleibt die Sprecherin in diesem Fall in der vollen Verfu¨gungsgewalt u¨ber die Gestaltung und Ordnung des Herzensgebudes. Die einzige Vernderung ihrer Position ist die Erweiterung ihres Aufgabenbereichs, indem sie zustzlich die Sorge fu¨r die angenehme »Ruh und Rast« (Vers II,6) ihres erscho¨pften und von ihr innig geliebten Gastes ¨ berschreibung auf sich nimmt. Die in der dritten Strophe vollzogene U des Herzens-Wohnraums an einen neuen Eigentu¨mer ist dagegen fu¨r die diachrone Kohrenz des Psychischen um einiges kritischer. Verlsst die als Teil-Ich fungierende Sprecherin ihre Herzenswohnung, so bleiben zwar mit diesem Schritt deren Außengrenzen (zunchst noch) unangetastet. Gleichzeitig aber bu¨ßt der Seelenraum wenigstens eine, und zwar ausgerechnet die bis zu diesem Zeitpunkt wichtigste Inhaltskomponente ein, so dass es zumindest in qualitativer Hinsicht zu einer deutlichen diachronen Pluralisierung kommt. Auch legt die Verwendung des Verbs ›einrumen‹ gleichsam ex negativo nahe, dass das Ich bei seinem Auszug zustzlich weitere perso¨nliche Einrichtungsgegenstnde aus dem Herzenshaus ausrumt. Von einer beachtlichen psychischen Diskontinuitt ¨ brigen selbst dann auszugehen, wenn in der Herzenswohnung wre im U man aus den Versen III,5–6 keine Ortsvernderung des Ich ableiten wollte. Auch wenn die Sprecherin den Herzensraum nicht verließe, sondern noch eine schweigend-untergeordnete Rolle darin spielte, suggerierte das Verb ›einrumen‹ deutliche Umstrukturierungen und damit eine erhebliche Vernderung des Herzenshauses. Erscheint es schon in Strophe 3 fraglich, ob das Herz nach dem Besitzerwechsel noch ›dasselbe‹ bleiben, ob es seine Identitt durch die zu erwartenden Umgestaltungen hindurch retten wird, so wird dieser Eindruck in der folgenden und zugleich letzten Strophe noch gesteigert: Kom[m] / es sol in jedem nun Deinen liebsten Willen thun; Biß es endlich von der Erden Wird durch dich erhaben werden; Da es dir zu Lob und Preiß Sey ein ewig Paradeiß.510 510

Scheffler, 1668/2004, S. 214 (III,68 – »Sie ladet jhn in jhr Hertze ein« (»ACh was stehst du auff der Au«)).

260 Zumindest in den ersten beiden Versen wird das Herz nicht mehr als Raum, sondern als ein Christus untergeordneter, gehorsamer Diener wahrgenommen.511 Zunchst mag man diesen Wechsel der Bildebene als Bruch betrachten. Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch erhebliche strukturelle hnlichkeiten zwischen einem Diener-Herrenund einem Haus-Hausbesitzer-Verhltnis nachweisen. Gu¨nter Ro¨hser stellt sie (wenn auch fu¨r einen anderen Kontext) folgendermaßen dar: Wesentlich an der Metapher des Innewohnens ist die u¨beraus enge Verbundenheit des Wohnungsinhabers mit seiner Wohnung bzw. seinem Haus. […] Eine Wohnung kann nicht mehr wirken, sondern nur noch ihr Inhaber. Dieser kann sich seiner Wohnung bedienen wie […] ein Mensch sich seiner Glieder bedient […]. Und damit haben wir das Bindeglied zur Herr-SklaveMetaphorik gefunden: In ihr besteht ein hnliches Verhltnis zwischen dem Besitzer und seinen Sklaven […]. Der absoluten Verfu¨gungsgewalt des Inhabers u¨ber seine Wohnung – zum Guten […] wie zum Schlechten […] – entspricht das Recht auf Gehorsamsforderung des Herrn gegenu¨ber seinen Sklaven […].512

¨ berlegungen machen deutlich, dass man fu¨r die Verse IV,1 Ro¨hsers U und IV,2 aus Schefflers Lied keineswegs notwendig von einem unvermittelten Wechsel der Bildebene sprechen oder gar eine plo¨tzliche Verwandlung der Seele von einem Haus in eine Person voraussetzen muss. Vielmehr erscheint es, wie bei der in Abschnitt 3.3.1 untersuchten Brunnen- bzw. Spiegelmetaphorik Greiffenbergs, mo¨glich, von einem Hinzutreten einer Metapher zweiter Ordnung bzw. von einer wohl¨ berlagerung zweier Bildbereiche auszugehen: Um zu durchdachten U illustrieren, in welcher Art und Weise das Herzens- bzw. Seelenhaus Christus angeho¨rt, wird die Herzenshu¨tte in einem zweiten Metaphorisierungsschritt als gehorsamer Knecht Christi verbildlicht. Kehren die folgenden Verse (IV,3–6) des Liedes wieder zur Verrumlichung des Herzens zuru¨ck, so wu¨rde man vor diesem Hintergrund eigentlich die Wiederaufnahme der Haus- bzw. Wohnungsmetaphorik erwarten. Tatschlich jedoch wird von der Sprecherin ein vo¨llig umstrukturierter Herzensraum entworfen. Aus dem Wohnraum der Herzenshu¨tte oder Herzensho¨hle wird, so stellt sich das Ich vor, durch die 511

512

Was dieser Gehorsam im Einzelnen fu¨r den Gesamtorganismus des Menschen bedeuten kann, mag sich etwa am folgenden kurzen Ausschnitt aus einem Sonett Greiffenbergs (»Man muß so gar vergnu¨gt mit seinem JEsu sein«) zeigen, in welchem gefordert wird (Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 938 [2] (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten«)): […] daß eintzig und allein Jm innern Hertzen=Thron / frey=vo¨llig / Er regieren / Daß Geist / Sin[n] / Muth und Blut allein von ihm sich ru¨hren […]. Ro¨hser, 1987, S. 126.

261 Einwirkung des neuen Herzensbesitzers ein Außenraum werden. Durch die Einflu¨sse Christi (»durch dich« (Vers IV,4)) wird sich das Herz in ein ›u¨ber-irdisches‹ »Paradeiß« (Vers IV,6) verwandeln. Drastischer ist die Vernderung des menschlichen Innenraums durch einen Besitzerwechsel kaum darstellbar. Der Wechsel des Seeleninhalts zieht hier zustzlich auch einen Wandel der ußeren Form des Seelenraums – und, wie die Verse 3 und 4 andeuten, auch seine Lagevernderung – nach sich. Damit ist an dieser Stelle im Grunde schon die Grenze zu jenem radikalen Typus seelenrumlicher Dynamik u¨berschritten, der in den folgenden Abschnitten (3.6–3.8) zu behandeln sein wird: In Schefflers Lied liegt ein Seelenraum vor, der sowohl seine Ausdehnung wie auch seine Fu¨llung verndert. Stellt man fu¨r die letzte Strophe des Texts noch einmal die Frage nach dem Ort der Sprecherin, so muss man zunchst feststellen, dass die Schferin Psyche das Reden von sich selbst hier gnzlich unterlsst. Was die Willensregungen angeht, ist, wie die ersten beiden Verse deutlich machen, das go¨ttliche Du in ihrer Zukunftsvision ganz zum IchErsatz geworden, ein Zustand, den Scheffler an anderer Stelle folgendermaßen auf den Punkt bringt: »Jch bin nicht Jch noch Du: Du bist wol Jch in mir«.513 Auf der grammatischen Ebene kann man fu¨r die vierte Strophe ein Fehlen smtlicher Personalpronomina der ersten Person Singular konstatieren. Der oben ausfu¨hrlich ero¨rterte zentrale Vers III,5, in welchem die Sprecherin Christus ihr Herz einrumt, stellt zugleich die letzte Erwhnung des Ich dar. Als ›Handelnde‹ bleiben allein das – nur pronominal als ›es‹ bezeichnete – Herz und der direkt angeredete Schfer Christus zuru¨ck. Auch die (obligatorische) Einladung an den Schfer ist hier auf ein bloßes »Kom[m]« verku¨rzt, aus dem allein sich die Position des Ich nicht mehr bestimmen lsst. Durch diese Beobachtung findet die bisherige Interpretation von Vers III,5, nach welcher sich das Ich bei der Ankunft Christi zunchst noch im ¨ bergabe an Herzensraum aufhalten, diesen aber im Augenblick seiner U ¨ den Erloser selbst verlassen wird (locum cedere), in der vierten Strophe eine zustzliche Stu¨tze. In dieser letzten Textpassage scheint das Herz in seiner antizipierten Verwandlung von der Sprecherin nur noch distanziert von außen beobachtet zu werden. Alternativ ko¨nnte man allenfalls davon ausgehen, dass das Ich sich ab dem Moment des Einzugs Christi als eine zwar im Herzensraum verbleibende, dafu¨r aber vollstndig bedeutungs- und machtlose Nebenfigur entwirft. In beiden Fllen, besonders eindru¨cklich aber in der hier favorisierten ersten Deutungsvariante, vermag auch das Ich dem in der vierten Strophe rum513

Scheffler, 2000, S. 98 (II,180 – »Der Mensch ist nichts / GOtt alles«) [Herv. d. J. S.].

262 lich vollstndig umgestalteten Herzensinneren keine Stabilitt und Identitt mehr zu garantieren. Verlsst das Ich den Seelenraum, so ko¨nnte man in gewisser Weise sogar von einer Spaltung der Seele reden, da der Ru¨ckzug eines charakteristischen Seeleninhalts aus dem ihm urspru¨nglich zukommenden Raum sich als eine Seelen-Fragmentierung wahrnehmen ließe. Auf diesen Gedankengang wird, wenn auch in etwas anderen Kontexten, im weiteren Verlauf dieses Abschnitts noch zuru¨ckzukommen sein. Die drei wesentlichen Vernderungen im Seelenraum, die im Vergleich der ersten mit der letzten Strophe deutlich werden – der Positionswechsel Christi, der Wandel des Orts oder wenigstens der Bedeutung des Ich und die radikale Umgestaltung des Herzens –, hngen aufs Engste kausal miteinander zusammen. Jener Vorgang, der die diachrone Identitt und Kohrenz des Herzens- bzw. Seelenraums am augenflligsten in Frage stellt, nmlich die Verwandlung der Herzenshu¨tte in einen u¨ber-irdischen Paradiesgarten, ist unmittelbar auf die beiden anderen Vernderungen, d. h. auf den Wechsel der Herzenshausbesitzer zuru¨ckzufu¨hren. Nur der neue – go¨ttliche – Eigentu¨mer des Herzens ist in der Lage, den seelischen Raum derartig einschneidend umzustrukturieren. Und nur dann, wenn das Ich auf seine Besitzanspru¨che am Herzensraum verzichtet, wird er tatschlich in dieser Weise ttig werden. Zu Beginn des vorliegenden Abschnitts ist ohne die Nennung konkreter Beispiele darauf hingewiesen worden, dass erst der abschließende Vergleich spterer mit fru¨heren Seelenzustnden das Ausmaß der psychischen Pluralisierung deutlich macht. Gerade Schefflers Lied eignet sich gut dazu, dies zu exemplifizieren. Analysiert man hier, der Chronologie des Gedichts folgend, zunchst den von der Sprecherin entworfenen Ist-Zustand der Herzenshu¨tte und anschließend den in ihrer Zukunftsvision dargestellten Endzustand des Herzens, so wird man fu¨r beide Erscheinungsformen des Herzensraums fu¨r sich genommen keine gravierende Bedrohung der psychischen Einheit feststellen. Zwar kann aus der Tatsache, dass weder dem vom Ich noch dem von Christus bewohnten Herzen explizit vielfltige Fu¨llungen zugeschrieben werden, nicht auf jeweils vollstndig homogene Herzensrume geschlossen werden. Vielmehr hat man sich sowohl die Herzenshu¨tte als auch den psychischen Paradiesgarten als Gebilde vorzustellen, die aus mehreren Komponenten zusammengesetzt sind. Doch darf man fu¨r das Herzensparadies sowie mit einiger Wahrscheinlichkeit auch fu¨r das Herzenshaus eine harmonisierend-synthetisierende Ordnung voraussetzen, die beide Seelenrume als stark dem Einheitspol zugeneigte Viel-Einheiten erscheinen lsst. Der ordentliche Zustand der Herzens-

263 hu¨tte lsst sich indirekt daraus ableiten, dass Christus u¨berhaupt dazu eingeladen wird, in ihr seine »Ruh und Rast« zu nehmen. Dies ist im Grunde nur in einem wohlgeordneten, nahe am Einheitspol stehenden Raum mo¨glich. Fu¨r den Paradiesgarten ist der Ordnungs-Nachweis sogar noch einfacher zu fu¨hren: Wenn, wie in Abschnitt 3.4.2 dargestellt, jeder Garten immer schon eine gewisse feststellbare Ordnung besitzen muss, um u¨berhaupt als solcher und nicht einfach als Wildnis bezeichnet zu werden, so ist fu¨r den unmittelbar in go¨ttlicher Obhut stehenden, idealen Paradiesgarten im menschlichen Herzen erst recht ein wohlgeordneter Zustand vorauszusetzen. Die dadurch bewirkte Stabilisierung erstreckt sich auch auf die Zukunft, ist doch ausdru¨cklich von einem »ewig[en] Paradeiß« die Rede. ¨ bergang von der einen zur anExplizit thematisiert wird die beim U deren Ordnung stattfindende Destabilisierung des Seelenraums allenfalls im oben ausfu¨hrlich analysierten Vers III,5 (»Kom[m] / ich rume dir es ein«) sowie in der Andeutung einer Positionsvernderung des Herzensraums in den Versen IV,3–4. Die Verwandlung der Herzenshu¨tte bzw. -ho¨hle in das Herzensparadies, welche die Einheit des Herzens bzw. der Seele aus diachroner Sicht ganz erheblich in Frage stellt, bleibt jedoch im Gedicht ausgespart. Nicht diese erste, voru¨bergehend destabilisierende Einwirkung Christi auf den Seelenraum, sondern seine lngerfristig seelenstabilisierenden Einflu¨sse stehen fu¨r die Sprecherin des Gedichts offenbar im Vordergrund. Weder die Perspektive, sich aus dem intrakordialen Aufenthaltsraum des sehnsu¨chtig erwarteten Geliebten schon bald nach dessen Eintreffen zuru¨ckziehen zu mu¨ssen, noch die fu¨r den Herzensraum bestehende Gefahr, bei seiner Verwandlung in einen Paradiesgarten seine Identitt zu verlieren, lassen das Ich des Gedichts vor seiner Zukunftsvision zuru¨ckschrecken. Schefflers Versen – zumindest nach dem ersten Lektu¨reeindruck – erstaunlich hnlich ist das folgende Gedicht Dachs u¨ber den Einzug Christi in das menschliche Innere (das u¨brigens mit dem oben ausschnittartig zitierten Gedicht Harsdo¨rffers u¨ber die Einwohnung Gottes in unserem Hertzen514 fast durchgngig inhaltlich und vielfach auch wo¨rtlich u¨bereinstimmt): 514

Aus diesem Gedicht (Harsdo¨rffer, 1659/1991, S. 33 (alte Paginierung) bzw. S. 47 (neu) (XXIX), in dem allerdings zu jeder Strophe noch ein siebter Vers sowie zu den fu¨nf Strophen noch eine sechste hinzufu¨gt ist, seien hier zum Vergleich nur die ersten beiden Strophen zitiert: O Quell erwu¨nschter Freuden! O JEsu / aller Menschen Heil. Du Trost in allem Leiden / bist meiner Seelen bester Theil. Du kanst allein verbinden

264 Bekehrung zum Herren Christo. JEsu, Quell gewu¨nschter Frewden, O mein Trost, mein bestes Theil, Su¨sser Hort, gewisses Heyl Aller, die in grossem Leiden Sehr gengstet sich befinden Wegen Drangsals ihrer Su¨nden, Bist Du nicht mit deinen Gaben Jetzund schon vor meiner Thu¨r? Ja, du klopffest an bey mir, Wilst mein Hertz zur Wohnung haben, Aber, ach! ich muß mich schhmen So, dich Christe, auff=zu=nehmen. Packt euch erst, ihr Laster=seuchen Zu der Mo¨rderischen Schaar! Geht, Jhr grawsame Gefahr! Wolt ihr nicht? Jhr mu¨sset weichen! Dieses Haus sol meinem Leben, Christo, einig seyn ergeben. Nun, Herr Christe, steht dir offen, Was Du dir erwehlet hast, Komm, du grosser Seelen=Gast! Komm! mein Wunsch, mein gantzes Hoffen! Ko¨mbstu? Ja, Du bist zugegen, Merck ich doch schon deinen Seegen. Lasst das vnterst oben stehen! Lasst ihr Felsen ewren Grund, Stu¨rtzt euch in des Meeres Schlund! Lasst die Welt zu dru¨mmern gehen! Alles das, wo Christus wohnet, Bleibt fu¨r Vnglu¨ck wol verschonet.515

In ihrem gemeinsamen Grundthema, dem erhofften Einzug Christi in das menschliche Herz, sind Schefflers zuletzt analysiertes Lied und Dachs Verse wohl von den gleichen Bibelstellen516 inspiriert. Neben dem bereits oben erwhnten Hohenlied seien hier nur Eph 3,17 und die Wunden unsrer Su¨nden / und reuige Christen erquicken.

515 516

Du harrst / mit deinen Gaben / O GOtt / fu¨r meiner Lebens=Thu¨r! Du wilst die Wohnung haben / und klopffest jetzund an bey mir: Jch muß mich leider schmen / dich / Christe / anzunehmen: ob meinem befleckten Gewissen. Dach, Bd. 3, 1937, S. 71 (66). Zu diesen vgl. etwa Ro¨hser, 1987, S. 119–127.

265 Offb 3,20517 genannt. Daru¨ber hinaus finden sich zwischen den Gedichten Parallelen bis ins kleinste Detail, ja bis in die Wortwahl hinein, die in diesem Zusammenhang allerdings nicht systematisch ero¨rtert werden sollen. Verwiesen sei hier nur darauf, dass Dach wie Scheffler fu¨r Christus die Bezeichnung »Seelen=Gast« (IV,3) verwendet, die auch im Gedicht des Ko¨nigsberger Barockpoeten eine weitgehende Gleichsetzung von Herzens- und Seelenraum rechtfertigt. Bei aller hnlichkeit zeichnen sich bei genauer Lektu¨re zugleich auch deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gedichten ab. So lassen sich etwa erhebliche Differenzen in Bezug auf die Position und die Rolle des Ich nachweisen. Zwar stimmen die fu¨r den Gedichtanfang grundstzlich denkbaren Lokalisierungsvarianten des Ich in beiden Texten noch u¨berein: Das Subjekt kann entweder als umhu¨llendes, u¨bergreifendes Mantel-Ich, das die Herzenswohnung in seinem Innern trgt, oder aber als selbst im Herzen wohnendes Wesen betrachtet werden. Und auch bei Dachs Gedicht muss letztlich wie bei Schefflers Lied jene Deutungsvariante bevorzugt werden, nach welcher Christus in einem vom Ich bewohnten Herzens- bzw. Seelenraum zu Gast ist und nicht von einem leib-seelischen Mantel-Ich umhu¨llt wird. Erhebliche Unterschiede ergeben sich jedoch in Bezug auf den weiteren Gedichtverlauf. In Schefflers Lied ist, wie oben ausgefu¨hrt, davon auszugehen, dass die intrapsychische Ko-Prsenz von Ich und Christus nur von kurzer Dauer ist, d. h. dass die Schferin den Herzensraum schließlich Christus alleine u¨berlsst. Dagegen fehlt in Dachs Versen jeder Hinweis auf einen solchen Standortwechsel des Ich, ja es finden sich sogar deutliche Indizien fu¨r die weitere Gegenwart des Sprechers im Seelenraum: Am von Christus ausgehenden »Seegen« (Vers IV,6) spu¨rt das Ich die unmittelbare Nhe Christi, es bleibt also in seiner EinflussSphre anwesend. Eine weitere Differenz zu Schefflers Versen kann darin gesehen werden, dass das Ich in Dachs Gedicht selbst wichtige Aufgaben bei der Umstrukturierung des Herzensgebudes erfu¨llt. Whrend in Schefflers Text die wesentlichen Vernderungen des Seelenraums erst mit dem Auszug des Ich ihren Anfang nehmen, beginnt die Umgestaltung der Seelenwohnung in Dachs Versen schon zu einem deutlich fru¨heren Zeitpunkt, nmlich noch unter der alleinigen Regie des auf Christus wartenden Ich. Dieses ist vor allem um die Vertreibung der einerseits personifizierten, andererseits als Krankheiten518 betrachteten 517

518

Zum mit Offb 3,20 verbundenen, bei Dach explizit erwhnten Motiv des Anklopfens vgl. Ohly, 1986, Sp. 1004. Vgl. dazu auch Ro¨hsers Untersuchung zur Darstellung der Su¨nde als Krankheit in der Bibel und in der nichtchristlichen Antike (Ro¨hser, 1987, S. 73–80).

266 Laster519 bemu¨ht (dritte Strophe). Offensichtlich ist das Ich sich mit Meister Eckhart schon vor dem eigentlichen Einzug Christi daru¨ber im Klaren, dass der Erlo¨ser im Seelenhaus keine »vremde[n] geste« duldet.520 Dass die aus der Seele zu verbannenden Seeleninhalte eine erhebliche synchrone Destabilisierung der Seele bewirken, lsst sich ¨ berlegungen leicht auf der Basis der in Abschnitt 3.4.2 angefu¨hrten U nachweisen. Plurale Seeleninhalte ko¨nnen, dies hat sich in der vorangehenden Textpassage gezeigt, genau dann als einheitsgefhrdend gelten, wenn sie im Seelenraum ungeordnet vorliegen bzw. selbst Unordnung innerhalb desselben hervorrufen. Wie gleichfalls oben erlutert ist das dann der Fall, wenn sie den Regeln Gottes bzw. der Vernunft widersprechen. Da die Laster dies tun, tragen sie zur seelischen Inkohrenz bei. Ihre destabilisierende Wirkung wird durch die im Zusammenhang mit ihnen verwendete Seuchenmetaphorik verdeutlicht. In der stark von den ditetischen Geboten des Galenismus geprgten Krankheits- und Gesundheitslehre der Fru¨hen Neuzeit wird immer wieder ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Unordnung (d. h. unmßig-unvernu¨nftiger Lebensweise) hergestellt.521 Die Reinigung522 des Seelenraums von den »Laster-Seuchen« kann als ein Aufrumen oder als eine ›Sanierung‹ der unordentlichen inneren Wohnung verstanden werden, fu¨r die sich das Ich vor seinem Gast Christus sonst schmen mu¨sste. Zunchst scheint es nur konsequent, dass das Ich in Dachs Versen die Suberung und Neuordnung des Seelenraums selbst betreibt, trgt doch der Mensch, wie an der folgenden 13. Strophe aus einem Buß519

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Eine begriffliche Differenzierung zwischen den Lastern und den in anderen barocken Gedichten gleichfalls als unerwu¨nschte Seelengste bezeichneten Su¨nden kann hier unterbleiben. Zwar geht Meinolf Schumacher grundstzlich davon aus, dass es sich bei einem Laster um eine »innerweltliche«, eine »im moralisch-ethischen Bereich« angesiedelte Verfehlung handele, whrend die Su¨nde »eine Verfehlung ›vor Gott‹ bezeichne« (Schumacher, 1996, S. 55). Doch lsst sich eine solche Unterscheidung schon auf das oben zitierte Beispiel kaum anwenden. Meister Eckhart schreibt in seiner ersten Predigt (Eckhart, Bd. 1, 1993, S. 18): wil ieman anders reden in dem tempel, daz ist in der seˆle, dan Jeˆsus aleine, so swıˆget Jesus, als er daˆ heime niht ensıˆ, und er ist ouch daˆ heime niht ˆın der seˆle, wan si haˆt vremde geste, mit den sie redet. Sol aber Jeˆsus reden in der seˆle, soˆ muoz sie aleine sıˆn und muoz selber swıˆgen, sol sıˆ Jeˆsum hœren reden. ¨ bergang von der RaummetaBemerkenswert ist an der hier zitierten Stelle der U pher (Seele als Tempel) zur Figurenmetapher (Seele als schweigende Gestalt, die sich in ein und demselben Raum mit Christus aufhlt). hnlich wie Eckhart argumentiert etwa auch Arndt, 1733, S. 228 (I,36). Vgl. dazu etwa die folgende Bemerkung Springinsfelds beim Erzhlen seiner Biographie: »da machte ichs mit unordentlichem Leben so grob / daß ich daru¨ber erkranckte« (Grimmelshausen, 1992, S. 224). Vgl. zur Reinigung des Herzensgebudes in der mittelalterlichen Tradition auch Schumacher, 1996, S. 190, S. 357–359, S. 360–362.

267 gedicht Weckherlins deutlich werden mag, auch die Verantwortung fu¨r die Verderbnis seines intrapsychischen Gebudes: Mein hertz, dein tempel, Herr, ward von mir so versaumet, Daß auch dem Lo¨stergaist ich solches eingeraumet, Der fillet es durch seinen brand Mit lust, zorn, gifft und aller schand.523

Der von Weckherlins Ich erwhnte »Lo¨stergaist« und seine in den Herzenstempel getragenen gefhrlichen Gaben mo¨gen teuflisch bzw. dmonisch sein oder metaphorisch fu¨r eine dunkle, triebhafte Komponente der Gesamtperson stehen – in jedem Fall kann das Ich seine Schuld keineswegs auf diese innerliche oder ußerliche bo¨se Macht abwlzen. Weckherlin entwirft eine Konstellation im Herzenstempel, in der das Ich sich der Nicht-Prsenz bzw. der fehlenden Aufmerksamkeit gegenu¨ber den intrapsychischen Prozessen anzuklagen hat, was einer strflichen Vernachlssigung des Seelengebudes gleichkommt. Die mangelnde Wachsamkeit des Ich ist der Grund dafu¨r, dass der Innenraum mit vielfltigen gefhrlichen Inhalten gefu¨llt und durch diese pluralisiert wird. Dieser Gedanke bildet gleichsam das negative Gegenstu¨ck ¨ berschreibung des inneren Hauses zur erwu¨nschten, tugendhaften U oder Tempels an Christus. Ko¨nnen die Absenz und/oder der Kontrollverzicht des Ich dort, wo der seelische Innenraum Gott u¨bereignet wird, von Nutzen sein, so erscheinen sie in jenen Situationen, in denen die go¨ttliche Autoritt noch nicht im Seelenraum prsent ist, als Unachtsamkeit und damit als Schuld und Su¨nde. So nachvollziehbar die Gru¨nde fu¨r die erheblichen Mitwirkungen des Ich an der Luterung bzw. Umgestaltung des Seelenraums in Dachs Versen sein mo¨gen – ungewo¨hnlich bleibt eine derartig weitreichende Initiative des Ich bei der Reinigung und Verbesserung des Seelengebudes trotzdem. Nicht nur in Schefflers oben ausfu¨hrlich betrachtetem Lied, sondern auch in der Mehrheit der anderen barocken Gedichte, die mit der Umgestaltung architektonischer Seelenrume befasst sind, erfolgt die entscheidende Sanierung des Seelengebudes entweder weitgehend oder sogar ausschließlich unter der Regie Gottes. Besonders deutlich wird dies beispielsweise am 56. Lied aus Rists Sabbahtischer Seelenlust (1651), welches den Herzensbesitzer in der direkten Redesituation als ein ›Du‹ anspricht. Die Kompetenz des Letzteren beschrnkt sich in diesem Text ausschließlich darauf, den verderbtchaotischen Zustand des von mehr als tausend Su¨nden bevo¨lkerten psychischen Raums zu erkennen. Schon der nchste Schritt zur Sanie523

Weckherlin, 1894/1968, S. 411 (141 – »Beicht und Buß« (»Ach! daß der schwere schmertz, damit ich nu geschlagen«)).

268 rung des Herzensinneren, die Erweckung der Reue u¨ber die dort vorherrschenden Su¨nden, hngt nicht mehr vom Menschen selbst ab, sondern steht unmittelbar im Belieben Gottes, der u¨ber die inneren Empfindungen des Herzens gebieten kann: Eß wird dein Hertz / O Menschenkind Genant ein Tempel Gottes / Jst aber leider gantz vol Su¨nd / Alß Lu¨gen / Unzucht / Spottes / Verleumbdung / List / Abgo¨tterei / Begierd und Wollusts mancherlei / Samt tausend andrer Missethat / An welchen Gott ein Greuel hat. Geh eiligst in dein bo¨ses Hertz / Und wenn du das besehen / So bitte Gott daß Reu¨ und Schmertz Jn solchen mu¨g entstehen / Ja stelle sich gar an das Liecht / Damit sein Zorn entbrenne nicht Und straffe dich / dazu das Land Mit Krankheit / Theu¨rung / Krieg und Brand.524

Kann in Dachs Gedicht der Herzensbesitzer u¨ber die Diagnosestellung hinaus auch den ersten Teil der Umgestaltung seines inneren Hauses noch alleine leisten, indem er selbststndig die Laster aus seinem Seelenraum verbannt, so sollte doch auch hier die entscheidende Bedeutung des go¨ttlichen »Seelen=Gast[s]« (Vers IV,3) nicht unterschtzt werden. Wie in Schefflers Versen ist der Christus anfnglich zugewiesene Gaststatus nur ein voru¨bergehender Zustand, da in der dritten Strophe Christus ausdru¨cklich zum Besitzer, ja zum Alleinherrscher525 des psychischen Innenraums erklrt wird (Verse III,5–6): Dieses Haus sol meinem Leben, Christo einig seyn ergeben.526

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Rist, 1651, S. 340–341 (»Uber das Evangelium am fu¨nf und zwanzigsten Sonntage nach dem Feste der H. Dreifaltigkeit« (»WJe wird deß Kummers doch so viel«)). Zur Herrschaft Christi im Herzen vgl. Ohly, 1986, Sp. 995–996, Sp. 999–1000 u. o¨. Auch ein starker Affekt kann die Alleinherrschaft in der Seele u¨bernehmen, vgl. Dach, Bd. 3, 1937, S. 358 (245 – (»SO groß ist warlich keine Noth«)). Dort heißt es vom Kummer: Er setzt sich in das Hertz hinein Sehr tieff vnd herrschet da allein […]. Dach, Bd. 3, 1937, S. 71 (66 – »Bekehrung zum Herren Christo« (»JEsu, Quell gewu¨nschter Frewden«)).

269 Auch wenn der »Wechsel des Wohnungsinhabers« im menschlichen Innern527 an Schefflers Gedicht gemahnt, so erhofft sich doch Dachs Ich, wie im weiteren Gedichtverlauf deutlich wird, vo¨llig andere Konsequenzen fu¨r den Seelenraum als Schefflers Schferin Psyche. Im Zu¨ bergabe der Seele an Christus ist hier weder sammenhang mit der U von einer Verwandlung des Gebudes in einen Außenraum noch von Positionsverschiebungen die Rede, sondern antizipiert wird nur eine ganz erhebliche Stabilisierung des psychischen Hauses. Der Herzensraum, dem Christus als neuer Hausbesitzer »den Charakter seines eignen Wesens aufzuprgen vermag«,528 erscheint als ein geradezu unerschu¨tterliches Gebilde: Lasst das vnterst oben stehen! Lasst ihr Felsen ewren Grund, Stu¨rtzt euch in des Meeres Schlund! Lasst die Welt zu dru¨mmern gehen! Alles das, wo Christus wohnet, Bleibt fu¨r Vnglu¨ck wol verschonet.529

In dieser Strophe zeigt sich deutlich, dass trotz aller vorangehenden Maßnahmen des Ich Christi Wirken zur Stabilisierung des Seelenraums unentbehrlich ist: Dem Ich des Gedichts kommt es zwar zu, die fremdko¨rperartigen Su¨nden aus dem Seelenraum auszuweisen und damit das gegenwrtige Chaos dieses Gebudes zu beseitigen. Die dauerhafte Neuordnung des Psychischen selbst kann dann jedoch erst vom neuen Herzensbesitzer Christus in Angriff genommen werden. Erst mit seiner Anwesenheit wird das Herz widerstandsfhig genug werden, um auch der gro¨ßten denkbaren Unordnung der Außenwelt ku¨nftig nicht mehr anheim zu fallen. Um die Stabilitt eines von Christus gesicherten Herzensraums zu verdeutlichen, entwirft das Ich ein Szenario, in dem die Fundamente der bisherigen Scho¨pfungsordnung ins Wanken geraten. Versinnbildlicht werden sie in den schwer zerbrechlichen Felsen, die im go¨ttlichen Zorn eines (mo¨glicherweise apokalyptischen)530 Erdbebens531 527

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Ro¨hser, 1987, S. 120. Zu den drastischen Konsequenzen dieses Vorgangs vgl. ebd. S. 125–126. Bollnow, 1994, S. 294. Dach, Bd. 3, 1937, S. 71 (66 – »Bekehrung zum Herren Christo« (»JEsu, Quell gewu¨nschter Frewden«)). Vgl. etwa die Erdbebenbeschreibung Schottels in seiner 1668 verfassten Eigentlichen und sonderbaren Vorstellung Des Ju¨ngsten Tages (Schottelius, 1668, S. 46–53, S. 65 u.o¨.), die im Zusammenhang mit der Apokalypse steht, dort auch diesbezu¨gliche Bibelstellen. Vgl. allgemein zu den biblischen Bezu¨gen des Erdbebens (etwa Mt 27,52; Jes 13,13), das unter anderem den go¨ttlichen Zorn ausdru¨ckt, auch Steiger, 2005–2, S. 90–91, S. 93.

270 zersto¨rt werden. Selbst wenn die ganze Welt »zu dru¨mmern« ginge oder, wie in einem Gedicht Gu¨nthers, Himmel und Erde »in Stu¨cke« fielen,532 bliebe doch die ›Arche‹ des Christus zur Wohnung dienenden Herzens von den ußeren destruktiven Tendenzen unberu¨hrt.533 Kann sich das Ich einmal der Einwohnung Christi im eigenen Herzen gewiss sein, so befindet es sich in einer hnlichen Situation wie das ›Wir‹ aus Ps 46,3–4: Darumb fu¨rchten wir vns nicht / wenn gleich die Welt vntergienge / Vnd die Berge mitten ins Meer su¨ncken. Wenn gleich das Meer wu¨tet vnd wallet / Vnd von seinem vngestu¨m die Berge einfielen / Sela.534

Die ungewo¨hnliche Resistenz eines von Christus bewohnten Seelengebudes du¨rfte sich wohl nicht nur seiner innenarchitektonischen Umgestaltung, sondern auch einer drastischen Befestigung seiner Grenze zur Außenwelt verdanken. Schon bei ›normalen‹, nicht durch go¨ttliche Prsenz in ihrer Widerstandsfhigkeit bestrkten seelischen oder auch außerseelischen Gebuden dient die Umgrenzung ganz wesentlich der Bewahrung eines Innen vor einem Außen. Das Chaos und die Bedrohungen der Außenwelt ko¨nnen nicht ungehindert in den durch Wnde fixierten Innenbezirk eindringen.535 Die Abgrenzung gegen die Außenwelt lsst einen »private[n]« Raum entstehen und schafft damit u¨berhaupt erst die Voraussetzung dafu¨r, dass in seinem Innern trotz aller ußeren Unbilden »Ordnung und Regelmßigkeit herrschen«536 ko¨nnen. »Jeder Hausbau« kann mit Friedrich Otto Bollnow als »die Gru¨ndung eines Kosmos in einem Chaos« interpretiert werden.537 In gewisser Weise ist somit das Herzenshaus in Dachs Gedicht schon an sich ein abgegrenzter Mikrokosmos, mag es auch von allerhand ordnungsgefhrdenden Gsten bewohnt sein. Allerdings erhofft das Ich vom 532 533

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Gu¨nther, Bd. 2, 1931, S. 118 ([Fragment] (»WAS fang ich an, wo soll ich hin?«)). Vgl. zum im Herzen zu findenden Schutz vor allen ußeren Gefahren etwa auch das oben bereits in anderem Zusammenhang untersuchte Monodistichon Czepkos (Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 554 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« I,43)): SCHMALER WEG. Zorn oben, unten Quaal: Schuld fornen, hinten Tod. ¨ R! :/ zu Gott. Wohin? Ins Hertz: in dem /: O ENGE THU Biblia, Bd. 2, 1974, S. 1005. Vgl. in Bezug auf reale Rume auch De Mare, 1997, S. 113. Ebd. S. 112: Heidi De Mare analysiert die Schutz- und Ordnungsfunktion von architektonischen Gebilden allerdings nicht an seelischen Innenrumen, sondern am Beispiel von Gebudedarstellungen des niederlndischen Barockdichters Jacob Cats. Von der (auch im metaphorischen Bereich) ordnenden Kraft der Architektur schreibt Andreas Kreul (Kreul, 1995, S. 311): »Architektur steht – wie jede andere menschliche Ttigkeit – im Dienste dieser [d. h. der go¨ttlichen, M. D.] Ordnung, allein, sie erstellt daru¨ber hinaus auch die metaphorische Folie (Gedankengebude, Weltgebude etc.) fu¨r diese Ordnung.« Bollnow, 1994, S. 144.

271 Einzug Christi offenbar eine drastische Verstrkung seiner notwendig schon bestehenden Außengrenzen.538 Ein heruntergewirtschaftetes Wohnhaus soll vom Gottessohn gleichsam in eine uneinnehmbare Festung verwandelt werden. Bislang sind die go¨ttliche Seelenbefestigung sowie die vorangehenden intrapsychischen Umgestaltungsmaßnahmen des Ich vor allem in ihrer ordnungs- und dadurch einheitsstiftenden Funktion ins Auge gefasst worden.539 Auf den ersten Blick scheinen sie damit in ihren Auswirkungen auf den Seelenraum bereits hinreichend ero¨rtert zu sein. Die am Ende des Gedichts entworfene Vision einer Stabilitt des Psychischen, die selbst beim Zusammenbruch der ußeren Weltordnung nicht mehr erschu¨ttert werden kann, verfu¨hrt nur allzu leicht dazu, nicht weiter nach mo¨glichen gegenteiligen Wirkungen der innerseelischen Umstrukturierungen zu suchen. Wie bei Schefflers Lied so ergibt sich allerdings auch hier ein anderes Bild, wenn man die verschiedenen im Gedicht beschriebenen Seelenzustnde diachron miteinander vergleicht: Die unansehnliche Lasterho¨hle der dritten und vierten Strophe und das durch Su¨ndenverbannung und Grenzbefestigung in seinem Bestand gesicherte Domizil Christi der letzten Strophe sind einander geradezu polar entgegengesetzt.540 Nur zwei Kontinuitten lassen sich hier fu¨r den Seelenraum benennen: Erstens bleibt der Seele die Grundeigenschaft eines Hauses, nmlich die Bewohnbarkeit, erhalten und zweitens ist, wie oben angedeutet, nicht von einem Exodus, sondern von einer dauerhaften Prsenz des Ich im Seelenraum auszugehen. Auf den ersten Blick mildert zwar gerade die permanente Gegenwart des Ich im Seelenraum die paradoxe, im Dienst einer ku¨nftigen 538

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An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die go¨ttliche Instanz das Seelenhaus, um es zu stabilisieren, nicht immer als Gast bewohnen muss. So fleht das Ich in der sechsten Strophe des von Christian Gryphius verfassten Gedichts Am Sonntage Exaudi, dass Christus dem Seelen- bzw. Herzenshaus als Sule Stabilitt verleihen mo¨ge (Gryphius, 1707, S. 183 (»KOmm Tro¨ster!«)): Komm Seule! Der Hertzens=Bau geht ein / Und wird nicht taurhaft seyn / Wofern du ihn nicht stu¨tzest / Und vor dem Fall beschu¨tzest / Komm Seule! ¨ brigen selbst dann Als kohrenzfo¨rdernd ließen sich die Vernderungen im U interpretieren, wenn man vom Ordnungs-Einheits-Zusammenhang absehen wollte. In diesem Fall ko¨nnte man argumentieren, dass die Verbannung der – grundstzlich destruktiv wirkenden – Su¨nden (vgl. dazu ausfu¨hrlich Abschnitt 3.7) sowie die Abschottung vor ußeren Zersto¨rungskrften die innerseelische Kohrenz erho¨hten. Mit der »klare[n]«, ja geradezu existentiellen »Alternative zwischen der Su¨nde und dem Reprsentanten Gottes« als Seelenraum-Bewohner befasst sich auch Ro¨hser, 1987, S. 123.

272 Stabilisierung stehende Destabilisierung des psychischen Hauses wieder ab, indem sie auf besondere Weise kohrenzfo¨rdernd erscheint: Nicht nur ist hier u¨berhaupt ein Rauminhalt benannt, der sich in allem Wandel, in allen Umstrukturierungen als bestndig darstellt, sondern dieser lsst sich außerdem gleichsam als permanentes inneres Bewusstsein des Raums interpretieren. Mit der gru¨ndlichen Betrachtung des Gedichts, besonders seiner letzten Strophe, muss jedoch die kohrenzfo¨rdernde Wirkung des Ich erheblich relativiert werden. Fu¨r den ganz von der Gottesgegenwart beherrschten Seelenraum spielt das Ich, auch wenn es in ihm verbleibt, keine große Rolle mehr. Dass sich die Einwirkung Christi erst dann auch als destabilisierend wahrnehmen lsst, wenn man sich aus der Chronologie des Gedichts lo¨st, hngt mit der vollstndigen Aussparung der konkreten Umgestaltungsmaßnahmen in Dachs Versen zusammen. Sie lassen sich nur indirekt – und dabei vielleicht auch nur teilweise – erschließen. Der Sprecher konfrontiert uns in der letzten Strophe nur mit dem Endzustand eines zur Seelenfestung avancierten Seelengebudes. Welche Umstrukturierungsmaßnahmen eine go¨ttliche Instanz grundstzlich in einem von ihr bewohnten Herzens- oder Seelengebude durchzufu¨hren vermag, soll im Folgenden an zwei ku¨rzeren Gedichtausschnitten gezeigt werden, die beide explizit von Eingriffen Gottes in den von ihm bezogenen Seelenraum handeln. In der zweiten Strophe aus Gerhardts Lied O Jesu Christ mein scho¨nstes Licht bittet das Ich seinen Erlo¨ser: Gib das sonst nichts in meiner Seel Als deine Liebe wohne: Gib das ich deine Lieb erwehl Als meinen Schatz und Krohne: Stoß alles aus nim alles hin Was dich und mich wil trennen / Und nicht go¨nnen / Das all mein Muth und Sinn Jn deiner Liebe brennen.541

Der schon im zweiten Vers als bewohnbar ausgewiesene Seelenraum ist in dieser Textpassage mit nicht nher bestimmten, pluralen Inhalten (vermutlich vor allem mit verschiedenen Affekten) gefu¨llt. Sie bilden nicht nur eine Trennmauer zwischen dem Ich und Christus (»Was dich und mich will trennen«), sondern zersto¨ren auch die innere Einigkeit des Menschen mit sich selbst. Erneut wird hier eine Situation der

541

Gerhardt, 1667/1975, S. 148 (VI,62 – »Herrn Johan Arnds Gebeth umb die Liebe Christi«).

273 Unordnung, eine Entfernung der Seele von den go¨ttlichen Regeln, entworfen. Der Sprecher ist außer Stande, das in 5. Mose 6,5 formulierte und in Mt 22,37 wieder aufgegriffene, zentrale Liebesgebot (»VND SOLT DEN HERRN DEINEN GOTT / LIEBHABEN / VON GANTZEM HERTZEN / VON GANTZER SEELE / VON ALLEM ¨ GEN«)542 zu erfu¨llen. Von »gantzer Seele« kann der in der VERMU Gestalt des Sohnes auftretende trinitarische Gott hier nicht geliebt werden, weil einzelne psychische Komponenten nicht bereit sind, harmonisch im gemeinsamen Feuer der (zugleich auch als Seelenbewohnerin personifizierten)543 wechselseitigen Liebe zwischen Gott und Mensch zu »brennen«. In der letzten Strophe von Dachs Gedicht scheint die zentrale Bedrohung der Seeleneinheit, vor der Christus die Seele bewahren soll, von außen zu kommen. Da im Entwurf des Ich die Vertreibung der Laster bereits vor dem Einzug Christi abgeschlossen sein soll, obliegt dem Gottessohn zur Seelenstabilisierung dann ›nur noch‹ die Befestigung der psychischen Außengrenzen. Im zuletzt zitierten Gedichtausschnitt ist die Gefahr dagegen im Innenraum anzusiedeln. Dies hat zur Folge, dass der Gottessohn sich keinesfalls vorrangig oder gar ausschließlich der Grenzbefestigung widmen darf. Auch obliegt ihm in diesem Fall nicht mehr nur die Bewahrung vor, sondern die Rettung aus der seelischen Uneinigkeit. Von Gerhardts Ich wird Christus um einen Abbau der innerseelischen Pluralitt gebeten, welcher auch die in Dachs Versen vom Ich getroffenen Maßnahmen an Radikalitt noch u¨bertrifft. Erfleht wird nicht etwa nur die Beseitigung der Su¨nden, sondern der Ausstoß aller einheitsgefhrdenden Regungen, Gedanken, Impulse etc. zugunsten der Alleinherrschaft des geistlichen, von Gott erwiderten Affekts der Liebe.544 Die Erlo¨sung der Seele von ihrer synchronen Pluralitt wird, 542 543

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Biblia, Bd. 1, 1974, S. 347. Personifizierungen des affectus fidei sind in der Barocklyrik keine Seltenheit, zu einem hnlichen lyrischen Beispiel vgl. Steiger, 2005, S. 191–192. Hufiger als eine solche Affekt-Selektion wird in der Fru¨hen Neuzeit eine Umwandlung der Affekte (von den affectus naturales in die affectus spirituales oder sacri) entworfen. Vgl. dazu am Beispiel von Johann Jacob Rambachs Betrachtungen u¨ber das Leiden Christi (1730) und am Beispiel der Passionen Johann Sebastian Bachs sowie ihrer lutherischen Grundlagen Steiger, 2005–2, bes. S. 40–41, S. 54–55. Die affektive Umgestaltung des Menschen bei Luther behandelt auch Bernd Wannenwetsch (Wannenwetsch, 2005, S. 212): Mit dem menschlichen Versagen, diesen einen geforderten Affekt der Gottesliebe aufzubringen, ist zunchst negativ die allgemeine Su¨ndenverfallenheit des Menschengeschlechts bezeichnet, wie sie in der Abgru¨ndigkeit des Herzens offenbar ist. […] Positiv ist damit aber auch der spezifische Ansatzpunkt des go¨ttlichen Heilshandelns identifiziert: Es geht um nichts weniger als um ein neues Herz (Jer 31,31) als Quellgrund der Affekte. Dies ist notwendig, weil die Affekte nicht, wie die Philosophen meinten, ›erzogen‹, sondern verwandelt

274 ein weiteres Mal, auf Wegen in Aussicht gestellt, die mit ihrer diachronen Pluralisierung einhergehen, d. h. fu¨r das zuku¨nftige Erreichen einer ho¨heren Seeleneinheit werden Eingriffe fu¨r no¨tig erachtet, die aus diachroner Perspektive als destabilisierend beurteilt werden mu¨ssen. Die Seele bu¨ßt im Entwurf der Sprecherin einen erheblichen Teil ihrer bisherigen Einzelkomponenten ein. Ein solcher Ausstoß aller der Gottesbeziehung hinderlichen Entitten kann, zumindest sofern man diese Faktoren als zur Seele geho¨rig betrachtet, in gewisser Weise als psychische Fragmentierung gedeutet werden. Ein weiterer Einblick in die konkreten Umstrukturierungen, die mit dem Einzug Gottes im seelischen Raum einhergehen ko¨nnen, lsst sich anhand des nachfolgend zitierten Ausschnitts aus einem bisher noch nicht analysierten Lied der Heiligen Seelen=Lust gewinnen (Verse I,7–8 und Strophe 2): Kom[m] doch / kom[m] und zeuch ein bey mir Mach Wohnung und bereit mich dir. GOtt Vater nihm gantz krfftig ein Das sinckende Gemu¨te: Mach es zu deinem innern Schrein Und deiner stillen Hu¨tte: Vergib / daß mein Gedchtnu¨ß sich Zerstreut hat offt und su¨ndiglich: Bring es in eine wahre Ruh / Daß nichts in jhm sey als nur du.545

Auch in diesem Fall mo¨chte das Ich seine Innenrume ganz der Einflussnahme ihres neuen Besitzers und Bewohners u¨berlassen. Anders als in den vorangehend untersuchten Gedichten, handelt es sich beim neuen Seeleneigentu¨mer diesmal nicht um Christus, sondern zunchst um die »Dreyfaltigkeit« (Vers I,1), ab Vers II,1 dann um »GOtt Vater« (als eine der drei go¨ttlichen Personen). Aus diesem Umstand ergibt sich jedoch keine nennenswert neue Konstellation, so dass er fu¨r die hier zu ero¨rternde Fragestellung nicht weiter beachtet werden muss. Gro¨ßere Aufmerksamkeit verdient dagegen die Frage, ob der hier beschriebene psychische Raum schon von Anfang an ein Wohnhaus darstellt oder ob er erst durch die erhofften go¨ttlichen Einwirkungen zum Wohnhaus gemacht werden soll. Whrend am Ende der ersten Strophe der psy-

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werden mu¨ssen – u¨berwltigt von einem strkeren Affekt. […] Dieser strkere Affekt ist freilich kein anderer als die caritas Christi, die Liebe, die Christus selbst schenkt, indem er anstelle des unfhigen Menschen das erste Gebot erfu¨llt und den Menschen in das Bild des neuen Adam hineingestaltet. Scheffler, 1668/2004, S. 644–645 (V,191 – »Sie ruffet die Heilige Dreyfaltigkeit an« (»HOch=heilige Dreyfaltigkeit«)).

275 chische Raum offenbar schon fu¨r den Einzug Christi bereitsteht (»zeuch ein bey mir«), so dass schon a priori ein fertiges, wenn auch umstrukturierungsbedu¨rftiges Seelengebude vorhanden zu sein scheint, lassen die Verse II,1–2 genau dies bezweifeln. Handelte es sich beim Gemu¨t um eine ›Immobilie‹, so mu¨sste das Ich wohl kaum Gott darum anflehen, diese innere Gro¨ße an der Abwrtsbewegung des Sinkens, des haltlosen Sich-Verlierens zu hindern. Die folgenden Verse II,3–4 (»Mach es zu deinem innern Schrein | Und deiner stillen Hu¨tte«) sind nicht dazu angetan, hier eine Lo¨sung zu bringen. Sie ko¨nnen entweder als eine Aufforderung zur Inbesitznahme eines schon bestehenden Gemu¨ts-Schreins bzw. einer bereits existenten Gemu¨ts-Hu¨tte gelesen werden (in diesem Fall lge die Betonung auf den beiden Possessivpronomen der zweiten Person), oder sie enthalten die Bitte, u¨berhaupt erst ein bewohnbares Gebude, einen befu¨llbaren Schrein im Innern der Seele herzustellen. Die Verse II,5 und II,6 scheinen vor allem die zuletzt angefu¨hrte Lesart nahe zu legen. In ihnen wird der verderbte Zustand des Gedchtnisses behandelt, das sich – sei es als Kraft, sei es als expandierender Teilraum – in der Vergangenheit offenbar hufig »zerstreut« hat. Dieser Umstand lsst an ein Fehlen begrenzender Mauern um den psychischen Innenraum denken, da andernfalls wohl immer schon die Begrenzung des nach außen Drngenden, d. h. »die Einschrnkung und die Zuru¨ckhaltung von inneren Krften von Ausweitung oder Ausdehnung«,546 vorauszusetzen gewesen wre. In Vers II,8 erscheint das Gedchtnis schließlich eindeutig als ein Containerraum, der Gott als einzigen Inhalt in sich beherbergen soll. Sichere Aussagen u¨ber das apriorische Bestehen eines bewohnbaren Gemu¨tsgebildes lassen sich aus diesem Vers nicht ableiten, da das rumliche Verhltnis von Gemu¨ts- und Gedchtnisraum ungeklrt bleibt. In jedem Fall erhofft sich das Ich, dass auch der Gedchtnisraum durch die Anwesenheit Gottes zur Ruhe gebracht, d. h. von einem dynamischen in ein statisches Gebilde verwandelt werden wird. Auch in den Gedchtnisraum soll Gott wie in ein inneres Gebude einziehen. Betont wird, dass er zum einzigen Inhalt dieses Gebildes werden soll. Es ist anzunehmen, dass er zu diesem Zweck erst noch andere Inhalte aus diesem Raum verbannen, dass er – wie Christus in den zuletzt untersuchten Versen Gerhardts – eine aktive Reduktion pluraler Seeleninhalte vornehmen muss. Die Unentscheidbarkeit der Frage, ob der ¨ bergabe an Gott oder erst durch dessen Gemu¨tsraum schon vor der U Eingreifen als Gebude bezeichnet werden kann, trgt insgesamt entscheidend zum Eindruck einer erheblichen Instabilitt dieses Gebildes 546

Chilton, 1999, S. 30.

276 bei: Letztlich lassen die oben analysierten Verse den psychischen Ausgangszustand unausgesetzt zwischen Hausfo¨rmigkeit und unbewohnbar-unruhiger Unabgeschlossenheit changieren. Passend zum problematischen Ausgangszustand der Seele sind die Umgestaltungen, welche das Ich sich fu¨r seine psychischen Anteile von Gott erbittet, in diesem Gedichtausschnitt besonders drastisch. Um am Ende der Umstrukturierungen als zuverlssig abgeschlossene, konzentrierte, homogene und statische Gebilde gelten zu ko¨nnen, mu¨ssen das Gemu¨t und das Gedchtnis nicht nur eine Begrenzung bzw. Grenzstabilisierung und eine Inhaltsreduktion, sondern zustzlich auch eine Sistierung erfahren. Auch in diesem Fall kommen beim Vergleich von Anfangs- und Endzustand erhebliche Zweifel an der diachronen Identitt des Seelenraums auf – und dies ganz unabhngig davon, wie man sich den Anfangszustand genau vorstellt. Auch in diesem Fall steht jedoch fu¨r den Sprecher des Gedichts der ungeheure Zugewinn an Seelenbestndigkeit nach dem Abschluss aller Umwandlungsprozesse im Vordergrund. Der in barocken Texten entworfene Stabilittszuwachs durch den Einzug Gottes in den psychischen Raum kann so weit gehen, dass ein Seelenhaus selbst den Zuzug weiterer Seelengste ohne seine erneute Destabilisierung u¨berstehen, ja diese problemlos an der eigenen Stabilitt teilhaben lassen kann. Dies zeigt etwa das folgende Gedicht aus Czepkos Gedichtzyklus Semita Amoris Divini (1657): GEISTLICHE ZUNEIGUNG DER UMBSTNDE. Alles ist in uns geistlicher Weise. Furcht und Verlangen ist die Nacht: das Feld ist Ruh: Die Sinnen sind das Vieh, der Hirte, Mensch, bist du. Erknntnu¨ß ist der Glantz, Vernunfft die ist das Rind, Die Seel ist Kripp und Stall, und Gott ist selbst das Kind. Tritt in die Seel, und laß die Hirten und das Vieh, Du hast und findest mehr darinnen, weder Sie.547

In den ersten vier Versen dieses Gedichts werden – noch ohne einen Hinweis auf irgendwelche dynamischen Prozesse – zwei zueinander im Kontrast stehende Rume entworfen. Dass es sich bei ihnen keineswegs um real existierende ußere Rume, sondern um metaphorische Verbildlichungen verschiedener Bereiche des menschlichen Innern han¨ berschrift als auch aus den direkten Gleichdelt, wird sowohl aus der U setzungen der einzelnen Rauminhalte mit verschiedenen psychophysischen Gro¨ßen deutlich. Der erste der beiden hier entworfenen Rume ist eine von der Nacht bzw. von »Furcht und Verlangen« verdunkelte Landschaft, ein Reich 547

Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 430 (»Tag der Menschwerdung« 6).

277 der Affekte, triebhaften Regungen und ungestillten Sehnsu¨chte, begrast vom unvernu¨nftigen »Vieh« der Sinne. Innerhalb dieser allegorischen Weidegru¨nde, die von den Außengrenzen der Gesamtperson ummantelt werden, tritt ein unspezifisch als ›Mensch‹ apostrophiertes Du, gewissermaßen ein ›Teil-Du‹ innerhalb eines ›Mantel-Du‹, als Hirte auf. Eingedenk der barocken Verklrung des Schferlebens mag dem Leser das einfache Leben dieses Hirten548 in enger Gemeinschaft mit seinen (allerdings erst in Vers 6 kurz erwhnten) Berufsgenossen idyllisch scheinen. Im Vordergrund der Metaphorik steht jedoch etwas gnzlich ¨ ber die oben eranderes, nmlich die Weltlichkeit seines Zustandes. U whnte Prsenz des Sinnenviehs, d. h. der ›viehischen‹ Sinne, wird die »Welt der Schfer« bzw. Hirten hier – wie beispielsweise auch in einigen geistlichen Schferspielen des Barock – explizit »als Welt der sinnlichen Wahrnehmung«549 gekennzeichnet. Ab den Versen 3 und 4 tritt die bisherige bukolische Motivik in enge Verbindung mit dem Weihnachtsgeschehen, mit der Gottesgeburt.550 Diese wird hier (wie schon in Schefflers in Abschnitt 3.1.2 untersuchtem Perlengedicht) in die menschliche Seele verlagert, die den zweiten zentralen Raum des Gedichts darstellt. Dass die Seele in diesem Zusammenhang nicht nur mit dem Stallgebude, sondern auch mit der darin enthaltenen Krippe gleichgesetzt wird, erscheint zunchst verwirrend, kann aber im Ru¨ckgriff auf das Kern-Hu¨lle-Schema relativ leicht erklrt werden. So, wie Schottel das Seelenmark als die »Seelen durch und durch«551 beschreibt, weil dieses an zentraler, gut geschu¨tzter Stelle gleichsam die Quintessenz der Seele enthlt, tritt hier die Krippe mit dem darin ruhenden Jesuskind552 als der wichtigste Inhalt des Seelenraums auf und kann daher problemlos als pars pro toto fungieren. Als eigenstndiger Raum innerhalb der weiten innermenschlichen Weidelandschaft erscheint der Seelenstall weniger aufgrund seiner (vermutlich ohnehin fragilen) Außenmauern, als vor allem deshalb, weil in ihm mitten in der Nacht, mitten in der allenthalben herrschenden Dunkel548

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Zum niederen Stand der Hirten, die schon im 16. Jahrhundert von den »Verfasser[n] von Pastoraldramen« entweder als »ungeschlachte Landleute« oder aber als »edle Wilde« bewertet werden (Leopold, 2004, S. 255), vgl. Eicheldinger, 1994, S. 22–23; S. 32–33. Caemmerer, 1998, S. 303. Eine hnliche Verbindung findet sich etwa auch in den ausfu¨hrlich von Martina Eicheldinger untersuchten Weihnachtseklogen Spees, vgl. Eicheldinger, 1994, S. 25–31. Schottelius, 1675, S. 77. Das Bild des in der Seele ruhenden Jesuskindes findet sich in der geistlichen Dichtung des Barock immer wieder, so beispielsweise auch in Rists Weihnachtslied Vber das Evangelium am heiligen Christtage (»WJe groß ist dieser Freudentag«) in seiner Sabbahtischen Seelenlust, vgl. Rist, 1651, S. 29.

278 heit der »Glantz« der Gotteserkenntnis erstrahlt. Am hellsten leuchtet er vermutlich in seinem Zentrum, in der das go¨ttliche Kind enthaltenden Krippe. Wie der in Abschnitt 3.4.2 untersuchte Herzensthron Christi im Gedicht Greiffenbergs ist hier die Krippe bzw. ihr Inhalt die entscheidende Ordnungsmacht, die alle pluralen Seeleninhalte zur Viel-Einheit zusammenfu¨hrt. Stellvertretend fu¨r die bei der Geburt Christi anwesenden Zeugen, die den Seelenstall von vornherein als einen mannigfaltig gefu¨llten, ordnungsbedu¨rftigen Raum erscheinen lassen, tritt in Czepkos Versen ein mit der Vernunft identifiziertes »Rind« auf. Auch wenn die Gleichsetzung der ratio mit dem unvernu¨nftigen »Vieh« auf den ersten Blick befremdet, ist dieses Bild doch mit Bedacht gewhlt. Mag die Vernunft auch gewo¨hnlich die maßgebliche Ordnungsmacht innerhalb des Seelenraums darstellen (vgl. dazu Abschnitt 3.4.2), so ist doch in diesem Fall ihre Unterordnung unter die go¨ttliche Ordnung gefordert. Wie ein vernunftloses Tier lsst sie sich an der Krippe ihres Herrn nieder, der ihre kognitiven Fhigkeiten bei weitem u¨bertrifft553 und ihr in Zukunft seine Regeln vorsetzen wird. Whrend die ersten vier Verse ausschließlich das Verb ›sein‹ verwenden und daher nur aus (statischen) Gleichsetzungen bestehen, indiziert der Imperativ »[t]ritt« im fu¨nften Vers eine gewisse Dynamik. Diese mag auf den ersten Blick auch eine erhebliche Destabilisierung des Seelenraums befu¨rchten lassen: Die Aufforderung an das Du, den eigenen Seelenraum zu betreten554 und ihn damit um die Prsenz einer weiteren, gerade fu¨r dieses Gebude keineswegs unwesentlichen Person zu bereichern, ließe sich als Aufruf zu einer erheblichen Inhaltsvernderung im Seelenraum interpretieren. Von einem entscheidenden, diachron destabilisierenden Wandel des psychischen Gebudes durch den Hinzutritt des Du ko¨nnte jedoch letztlich nur dann die Rede sein, wenn damit zugleich eine Inbesitznahme des Seelenraums, d. h. die Verdrngung Gottes aus seiner Rolle als alles bestimmender, alles durchleuchtender, ordnender und einender Seelenmittelpunkt verbunden wre. Dies ist indes nicht der Fall. Wie die Hirten aus Bethlehem 553

554

Im ebenfalls aus der Semita Amoris Divini stammenden Lied der Engel und der Hirten (»Merck auff der Engel Lied: Du siehest Gottes Sohn«), dessen Untertitel lautet Der Vernunfft Ende ist des Glaubens Anfang, heißt es von der Vernunft (Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 431 (»Tag der Menschwerdung« 8)): Nun binde die Vernunfft als wie den Esel an: Wilt du den Hirten seyn und Engeln beygethan. Die Aufforderung, die Vernunft wie den Esel an die Krippe zu binden, findet sich etwa auch bei Abschatz, vgl. Abschatz, 1704/1970, S. 47 (»Himmel=Schlu¨ssel« – »Uber die Worte: Truffelt ihr Himmel von oben« (»Himmel / ob uns ausgespannt«)). Allgemein zum Motiv der Einkehr des Menschen im eigenen Inneren bei Czepko vgl. auch Haas, 1979, S. 374.

279 so ist auch das Ich hier im Stall nur zu Gast, ist nur staunender und andchtiger Zeuge der Gottesgeburt. Das Seelengebude selbst ist und bleibt dem Jesuskind u¨bereignet, das allein im Zentrum desselben, in der Seelenkrippe, ruht. Der durch die go¨ttliche Prsenz gefestigte psychische Raum erscheint durch die Einkehr des Du in seiner diachronen Identitt nicht wirklich gefhrdet. Mo¨chte man den Eintritt des Du in die Seele trotzdem als (wenn auch geringfu¨gige) diachrone Destabilisierung, als (minimale) Ordnungs- und Einheitsgefhrdung bewerten, so hat man zu bedenken, ¨ bergangserscheidass es sich dabei – wieder einmal – nur um eine U nung auf dem Weg zu einer zustzlichen Seelenstabilisierung handelt. Whrend in den oben untersuchten Epigrammen Schefflers der go¨ttliche ordo den Exodus des Ich aus dem Seelenraum voraussetzt, whrend im Psalm Kuhlmanns nur das Fernbleiben des Ich vom »Seelenzimmer« dessen Stabilitt garantiert, ist im vorliegenden Gedicht Czepkos der Seelenraum der gottgewollte Ort des als Du angeredeten Ich. Es entspricht dem go¨ttlichen Willen, dass es im Seelenstall, an der Krippe seines Erlo¨sers zur Ruhe kommt. Nimmt es diese Position ein, so vervollkommnet es damit auch die Ordnung (und auf diesem Wege zugleich die Stabilitt) der Seele.555 Mo¨glicherweise handelt es sich beim Du in Czepkos Versen gar um einen fru¨heren, in seinem Wesen mit der Seele zusammenhngenden Inhalt des Seelenraums. Nach dieser Deutung htte man davon auszugehen, dass sich das Du gewaltsam und wider den go¨ttlichen Willen aus der Seele entfernt htte und durch die Verlockungen der Sinnlichkeit zu einer »exzentrische[n] Positionalitt«556, d. h. zu seiner Verirrung in die periphere Landschaft der Affekte, gelangt wre. Den Eintritt des Du in die Seele ko¨nnte man dann als eine Wiederherstellung der seelischen Integritt, als die Wiedergewinnung eines vorher absenten Seelenteils interpretieren und ihn auch von daher als eine Stabilisierung des Seelenraums bewerten. Vor allem aber – und unabhngig davon – gewinnt das Ich selbst durch seine Einkehr in den seelischen Raum an Stabilitt. Dies zeigt 555

556

Dass die Aufnahme des Du in den Seelenraum hier nicht als destabilisierend zu bewerten ist, liegt selbstverstndlich nicht nur am Wesen des Seelenraums, sondern auch am Wesen des Du. Letzterem haften in diesem Fall offenbar nicht per se schon irgendwelche negativen Eigenschaften wie Eigenliebe oder Eigenwillen an, die seinen Eintritt in den sakralen Seeleninnenraum problematisch werden ließen. Vielmehr scheint es erst durch die (freie) Wahl seiner Position außeroder innerhalb der Seele in seiner Befindlichkeit entscheidend geprgt zu werden. Dieser rumlich sehr anschauliche, von Helmuth Pleßner geprgte Ausdruck soll hier selbstverstndlich nur in u¨bertragenem Sinne verwendet werden, zum genauen Begriffsverstndnis Pleßners vgl. Pleßner, 1965, bes. S. 288–293.

280 sich etwa am folgenden Ausschnitt aus dem ersten Teil von Heinrich Mu¨llers Geistlichen Erquickstunden (1664): Mein Hauß ist in mir. Jch wohn gern bey mir selbst. Ach daß ist schwer. Du wohnst gern ausser dir / lssest deine Gedancken in der Welt herumb streichen / hast nimmer ruhe; ich bleib zu Hauß / halt meine Gedancken bey einander / bin wohl zu frieden.557

In den hier zitierten Zeilen wirkt das statische psychische Gebude auf den sich darin aufhaltenden Seelengast beruhigend ein und fu¨hrt ihn von der pluralisierenden Zerstreuung zur Konzentration. Entschließt sich das Du in Czepkos Gedicht, den ußeren Raum, die Sinne und die anderen Menschen zu verlassen und gewissermaßen ›in sich‹ zu gehen, d. h. den inneren Seelenstall wie »ein inneres Kloster«558 zu betreten, dann ermo¨glicht diese rumliche Vereinigung mit der eigenen Seele zugleich auch die Vereinigung mit Gott.559 Nicht nur die Vernunft hat im (Seelen-)Stall, wo sie als andchtiges Rind auf ihre Befehlshoheit verzichtet und sich gehorsam der ho¨heren Macht ergibt,560 ihr Ziel erreicht. Auch das Du kann – wie der in seinen Ursprung zuru¨ckkehrende Seelenstrahl aus Abschnitt 3.3.1 – in Gott seine Ruhe finden. Die Einkehr,561 das »Zur-Ruhe-Kommen« im Herzenshaus hat Tradition. Seit dem Mittelalter, ja bereits seit der Sptantike preisen geistliche Texte die beruhigende Wirkung des durch Gott stabilisierten Herzensraums: »Das Haus des Herzens soll der Ort eines aus Gott kom557

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561

Mu¨ller, 1664, S. 139–140. Solche Passagen, in denen es als erstrebenwert dargestellt wird, sein Herz bzw. »sich selbst von innen« zu bewohnen (Schottelius, 1667, S. 464–465 (II,47 – »Sich in sich kehren«)), sind in der barocken Erbauungsliteratur sehr hufig. Kern-Sthler, 2005, S. 101. Vgl. zur Parallelitt dieser beiden Einkehrprozesse etwa Arndt, 1733, S. 144 (I,23). Vgl. zur Vernunft-Beschrnkung beim meditativen Betrachten der Gottesgeburt und des Stalls von Bethlehem etwa auch Lohenstein, 1680/1992, S. 10 (»Him[m]el=Schlu¨ssel oder Geistliche Getichte« 1 – »Wunder=Geburth Unsers Erlo¨sers« (»DAß GOtt der grosse GOtt nach seinem weisen Rath«)). Darin schreibt Lohenstein: Den[n] Frommen muß / wo GOtt und Glaub ins Hertz Die Ku¨hkripp ein Altar / der Stall ein Tempel seyn. Komt! die ihr euren Flug der gru¨belnden Gedancke[n] / weit u¨bern Himmel wagt / verschlu¨ßt in diese Schrancken Der Hu¨tte die Vernunfft / verwerfft die Thorheits=Arth / Die selten suchet Gott / wo er sich offenbart / Und ihn zufinden meint / wo er sich selbst verborgen. Nicht immer werden die architektonischen Implikationen der Metapher von der Herzenseinkehr in der Forschung klar wahrgenommen, vgl. etwa Hans-Jo¨rg Nie¨ berlegungen zur »Herzenseinkehr« bei Johann Arndt (Nieden, 1999, dens U S. 135–149).

281 menden Friedens sein. Es ist des Christen Ort eines ruhigen Einwohnens bei sich selbst […].«562 Immer wieder nimmt die Barocklyrik diesen Gedanken auf. So endet in Schefflers Sie findet jhn nach vielem Suchen in jhrem Hertzen alle Unruhe und Bewegung Psyches in der kontemplativen Gottesschau im eigenen Herzensinnern, das in diesem Fall zwar nicht als Gebude, aber als betret- und bewohnbare Ho¨hle (vgl. Vers X,6)563 dargestellt wird. Die durch die Gottesferne unruhige Schferin sucht in Schefflers Lied ihren Geliebten zunchst auf den Straßen und unter den Menschen (Strophen 1 und 2),564 dann an den wesentlichen Orten der neutestamentlichen Heilsgeschichte sowie in der Natur (Strophen 3–5)565 und schließlich sogar im Himmel (Strophe 8).566 Letztlich jedoch kann die zunchst als Mantel-Ich auftretende Sprecherin ihr »Begehren« im Zustand vo¨lliger Erscho¨pfung allein im eigenen Herzen »stillen«, in das sie, ihren Mantel-Status aufgebend, einkehrt (Strophen 9–11): Als diß geschah / sanck sie fu¨r Leid Jn Ohnmacht und fiel nieder; Ho¨rt aber gute neue Zeit / Da sie zu sich kam wieder: Sie solt in jhren Grund eingehen / Da wu¨rd er seyn und jhr gestehen. Stracks kehrte sie sich in sich ein / Und sucht in jhrem Hertzen; Da ward gemindert jhre Pein / Und abgeku¨rtzt die Schmertzen: Sie fand den Liebsten jhrer Seelen Jn jhrer eignen Hertzens=Ho¨len. Ach Tho¨rin / schrie sie / die du Gott Von aussen meinst zu finden! Und kanst dich in dir selbst von Noth So leicht durch jhn entbinden: Jn dich / in dich must du dich kehren / Wo du wilt stillen dein Begehren.567

Die ho¨chste Steigerung der Statik im gottbewohnten Seelenhaus ist schließlich dann erreicht, wenn dort nicht nur die Bewegung des eintretenden Ich ihr Ende findet, sondern sogar die Voraussetzungen fernerer Dynamik, nmlich Zeit und Raum, aufgehoben werden (vgl. 562 563 564 565 566 567

Ohly, 1986, Sp. 990. Vgl. Scheffler, 1668/2004, S. 606 (V,180 (»PSyche voll heilger Liebs=Begier«)). Vgl. ebd. S. 603. Vgl. ebd. S. 604. Vgl. ebd. S. 605. Ebd. S. 605–606.

282 dazu Abschnitt 3.3.1). Sub specie aeternitatis, d. h. vom Standpunkt der transzendenten Zeitlosigkeit, erweist sich dann mo¨glicherweise selbst eine diachrone Pluralisierung der Seele durch go¨ttliche Umgestaltungsmaßnahmen als belanglos. Nicht immer erscheint, wie in den zuletzt angefu¨hrten Textpassagen, die Einkehr eines Ich (bzw. Du) in sein Seelenhaus in der barocken Metaphorik als ein Vorgang, der diese Instanz endgu¨ltig stabilisiert und auch der Seelenkohrenz nicht zum Nachteil gereicht. Der Eintritt des Ich in das psychische Gebude, an dessen festen Außenabgrenzungen und/oder an dessen innerer Ordnung es partizipieren kann, wird nmlich keineswegs in allen Texten des 17. Jahrhunderts als ein singulrer, zur irreversiblen Vereinigung von Ich und Seelenraum fu¨hrender Vorgang beschrieben. In einem geistlichen Lied Rists beispielsweise wird das unruhige Du von vornherein nicht zum endgu¨ltigen Ru¨ckzug in das eigene »Hertzen=Kmmerlein«, sondern nur dazu aufgefordert, zu wiederholten Malen (»stu¨ndlich«) in das Herzenshaus einzutreten. Nur fu¨r den – im Diesseits naturgemß voru¨bergehenden – Zustand des Gebets wird ihm hier die Beschrnkung auf den Herzensraum und den darin mo¨glichen weltabgewandten Zustand der Andacht empfohlen: Wenn du dich nun bester massen Mensch in deines Lebens=Zeit Wilt zum Beten finden lassen / Solst du stu¨ndlich seyn bereit Deinen Geist zu schliessen ein Jn dein Hertzen=Kmmerlein / Daß die Welt dich nicht verhindre / Noch dein Andacht dir vermindre.568

Zur wiederholten Einkehr in den Herzensraum ermuntert wird der Christ auch im nachfolgenden Zitat aus Gerhards Meditationes Sacrae, die Rist in seinem Werk nachweislich beeinflusst haben.569 In den hier wiedergegebenen Zeilen wird außerdem explizit die in Rists Strophe lediglich implizite Exegese des Christuswortes in Mt 6,6 vollzogen: Wenn du beten wilt / so gehe in dein Kmmerlein / vnd schleuß die Thu¨r hinter dir zu: Das Kmmerlein ist dein Hertz / in dasselbige soltu gehen / wenn du recht beten wilt: Die thu¨r mustu zuschliessen / auff dz dich nit die gedancken der Weltlichen geschffte hindern mo¨gen […].570

568

569 570

Rist, Teil 5, 1641–42/1978, S. 6 (V,1 – »Christlicher Gesang / Von dem hoch=seligen Nutze eines rechten Gebets« (»JSt das nicht ein Werck der Gnaden«)). Vgl. Steiger, 2000, S. 717. Gerhard, 2000, S. 464 (25. Betrachtung).

283 Die Herzensrume aus den oben ausfu¨hrlich untersuchten Gedichten Schefflers und Dachs haben in der jeweils letzten Strophe einen Zustand erreicht, in welchem sie alle Dynamik dauerhaft zur Ruhe bringen, statt von ihr angesteckt zu werden. Dagegen wird der Seelenraum in den beiden zuletzt angefu¨hrten Textausschnitten vorwiegend durch die Unruhe sich o¨ffnender und schließender Herzenspforten dominiert – und bereits dadurch in gewisser Weise destabilisiert. Der Grund fu¨r die hier zu konstatierende gro¨ßere Unbestndigkeit im Herzensraum ist darin zu suchen, dass in Rists Liedstrophe und in Gerhards Zeilen das als ein ›Du‹ angeredete Ich der Besitzer des architektonischen Herzensraums bleibt und diesen nicht, wie das Ich Schefflers oder Dachs, endgu¨ltig seinem Gott u¨berlsst. Whrend nach dem Einzug Gottvaters oder Christi mit der stabilitas loci der go¨ttlichen Instanz, d. h. mit ihrem bestndigen Verbleib im Seelenraum, gerechnet werden kann, ist eine solche rumliche Bestndigkeit dem menschlichen Herzensbesitzer offenbar von vornherein unmo¨glich. Wenn er zum Gebet immer wieder erst in sein »Hertzen=Kmmerlein« hineingehen und dessen Tu¨re hinter sich zuschließen muss, so lsst sich daraus folgern, dass ein Zustand dauerhafter intrakordialer Kontemplation im irdischen Leben nicht zu realisieren ist. Nicht allein das stndige Kommen und Gehen des Herzensbesitzers und die Unruhe sich o¨ffnender und schließender Tu¨ren fu¨hren aus diachroner Perspektive zu einer erheblichen Pluralisierung des Seelenraums. Hinzu kommt, gerade in den Zeilen Gerhards, noch etwas anderes: Wenn nach verrichtetem Gebet die »Weltlichen geschffte« getan sein wollen und die zuvor zugeschlossene »thu¨r« wieder aufgeschlossen werden muss, setzt dies den Seelenraum einer zustzlichen Bedrohung aus: Bei geo¨ffneten Herzenstu¨ren kann jederzeit Weltliches in das Seeleninnere eindringen und dieses auch aus synchroner Perspektive inhaltlich pluralisieren. Die Destabilisierungen, die in den beiden zuletzt untersuchten Textausschnitten mit dem Verhalten des Ich als Herzensbesitzer einhergehen, machen verstndlich, warum das Ich etwa in den Gedichten Dachs und Schefflers bereit ist, auch um den Preis radikaler Umgestaltungen des Seelenraums auf die Befehlsgewalt im und die Besitzanspru¨che am eigenen Innern zu verzichten: Wird der psychische Raum nicht an Christus oder Gottvater u¨bergeben, sondern verharrt er im Besitz des Ich, dann bleibt der Seele zwar ein destabilisierender Besitzerwechsel erspart. Durch die unvermeidliche Unruhe des Ich erscheint jedoch auch in diesem Fall eine diachrone Pluralisierung des Seelenraums unvermeidlich. Zudem bietet sich unter diesen Umstnden noch nicht einmal die Perspektive, dass das psychische Gebilde zuku¨nftig eine maximale Stabilitt erreicht. In der langfristigen dia-

284 chronen Bilanz ist somit das kontinuierlich im Besitz des Ich verbleibende Seelenhaus instabiler als das an Gott u¨bergebene psychische Gebude. ¨ berlegungen zur (In-)Kohrenz eines mit Aus den vorangehenden U dynamischen Inhalten gefu¨llten Seelenraums, die hier am Beispiel der Seelenhausmetaphorik angestellt wurden, ergibt sich aus einer allgemeineren Perspektive folgendes Bild: Fu¨r die oben untersuchten Seelenhausmetaphern lassen sich unterschiedliche Viel- und Einheitsgrade sowie die verschiedensten Spielarten synthetisierender und pluralisierender Prozesse aufzeigen. Dabei lassen sich aber die in diesem Abschnitt fokussierten seelischen Rume genauso wenig ausschließlich dem Vielheits- oder allein dem Einheitspol zuordnen wie die vorangehend untersuchten dreidimensionalen Seelengebilde. Selbst in jenen Texten, in denen die vollstndige Stabilisierung der Seele durch Gott geschildert wird, kann durch den Vergleich des zuletzt erreichten Seelenzustands mit der vorgngigen Seelenkonstitution eine psychische Pluralitt nachgewiesen werden. Oder, aus anderer Perspektive: Selbst in jenen Gedichten, in denen sich aus der Gegenu¨berstellung der zu Beginn entworfenen Seelenverfasstheit und des am Ende des Texts stehenden Seelenzustands der Eindruck nahezu vollstndiger seelischer Pluralitt ergibt, kann im Blick auf die weitere Zukunft des Seelischen ein Einheitsgewinn festgestellt werden. In den folgenden drei Abschnitten (3.6–3.8) wird sich zeigen, ob sich diese Beobachtungen auch an den verschiedenen Varianten der Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume wiederholen werden.

3.6

Heilsame Umgestaltung und fließende Rume – Exogene Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume

Ab Abschnitt 3.3 sind in der vorliegenden Studie die geometrisch-formalen und die inhaltlich-materiellen Eigenschaften des Seelenraums fast durchgngig getrennt behandelt worden. Whrend der Fokus zunchst auf den Dimensionen und der ußeren Form der Seele lag (Abschnitt 3.3), waren die beiden letzten Abschnitte (3.4 und 3.5) vorwiegend auf die syn- bzw. diachrone Analyse der Inhalte seelischer Rume konzentriert. Gerade in Abschnitt 3.5 ist diese isolierte Betrachtungsweise indes schon an ihre Grenzen gestoßen. Wie sich gezeigt hat, kann bei manchen Besitzerwechseln im Seelenhaus der Seelenraum im Gedicht so weitreichende Vernderungen erfahren, dass neben dessen inhaltlichem Wandel auch eine die Form betreffende Umgestaltung stattfindet.

285 Die folgenden drei Abschnitte werden sich systematisch mit solchen Rumen auseinandersetzen, die in ihren Inhalten wie auch in ihrer Form dynamisiert sind. Wie in Abschnitt 3.2 dargestellt, empfiehlt es sich dabei, derartige Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume nach der anfnglichen Position der den Wandel verursachenden Krfte (extern, intern, extern-intern) zu differenzieren. Am leichtesten scheinen sich dabei zunchst solche Flle ausfindig machen zu lassen, in denen sich die vollstndige Umstrukturierung durch eine eindeutig von außen kommende (also extrapsychische) Kraft vollzieht. Daher sollen sie an erster Stelle behandelt werden. Extrapsychische Krfte, welche den Seelenraum inhaltlich und formal auf radikale Weise verndern, ko¨nnen prinzipiell ganz unterschiedlicher Herkunft sein. Einer ihrer mo¨glichen ›Ausgangspunkte‹ ist Gott, der sich schon in Abschnitt 3.5 als Verursacher dramatischer inhaltlich-formaler Umgestaltungen des Seelenraums erwiesen hat. In den oben untersuchten Texten und Textausschnitten wirkt der Scho¨pfer jedoch nicht aus seiner anfnglichen, nmlich externen, sondern erst aus der internen Position eines Seelenbewohners und Seelenbesitzers auf den Seelenraum ein. Daher ko¨nnen die Metaphernbeispiele des vorangehenden Abschnitts bei der Analyse der ›exogenen Extremund Auflo¨sungsformen seelischer Rume‹ nicht fruchtbar gemacht werden. Der jeweilige Standpunkt Gottes bei seinem Eingriff in den Seelenraum kann, so lsst sich vermuten, die Art der von ihm veranlassten Umstrukturierungen erheblich beeinflussen. Von einem innerseelischen Standpunkt aus kann Gott zwar extreme Vernderungen an der ußeren Seelengestalt, der psychischen Binnenstruktur und der qualitativen Beschaffenheit der Seele vornehmen, sie etwa von einem Innen- in einen Außenraum verwandeln, vollstndig neu ordnen oder in ihrer Lage verndern. Letztlich wird es aber immer sein Ziel sein, die Bewohnbarkeit der Seele durchgngig zu erhalten. Zwar mag Gott in manchen Fllen ein durch Reue und ›Zerknirschung‹ gleichsam dekonstruiertes, ein zur Ruine gewordenes Seelenhaus als Wohnort bevorzugen.571 Doch wird er ab dem Zeitpunkt, da er zum Seelenbewohner 571

Vgl. etwa Schottelius, 1647/1967, S. 7 (1. Abteilung – (»AUf / liebe Seele / komm / und las uns eilig weichen«)): Frommer Sinn ist Gottes Hauß / Frommer und zerschlagner Sinn / Jst der Ort da Gott ruht hin. Kuhlmann schreibt in den Versen VII,1–4 und VII,9–10 des Psalms V,4 seines Ku¨hlpsalters (Kuhlmann, Bd. 2, 1971, S. 21 (»Aus tiffster Noth schrei abgemergelt Hertz!«)): Gott ist sehr gros in der zerknirschten seel, Di gantz zermahlt, nicht blos nur durchgemu¨rbet:

286 geworden ist, wohl kaum noch solche Dekonstruktionen vornehmen, die ihm selbst (wenigstens voru¨bergehend) keinen sicheren und stabilen Raum mehr ließen. Und auch fu¨r den Fall, dass er dies unternhme, lge in seiner eigenen, whrend der gesamten Umstrukturierungen fortdauernden Prsenz noch ein letzter, gleichsam untilgbarer Rest von Kontinuitt. Von außen auf den Seelenraum wirkend, befindet sich Gott dagegen in einer vo¨llig anderen Lage. Hier muss er auf die durchgngige Bewohnbarkeit des Seelenraums keinerlei Ru¨cksicht nehmen. Im Extremfall ko¨nnte er daher die Neuordnung und Stabilisierung der Seele, um die es ihm auch bei der exogenen Umgestaltung psychischer Rume letztlich geht, auf dem Umweg der vorangehenden vollstndigen Destruktion des Seelenraums erreichen. Wie man sich die Restitution seelischer Ordnung u¨ber einen klar von außen kommenden Eingriff Gottes in den Seelenraum konkret vorstellen kann, soll zunchst am nachfolgend zitierten Sonett Greiffenbergs untersucht werden, in welchem sie eine Bekehrungssituation im menschlichen Innenraum entwirft: Auf den Geistlichen Wortes=Donner: im gro¨sten Donnerwetter / im Garten. DV starker Donner=GOtt! gib deinem Donner=Krafft / dem Herz durchdringungs=Wort; daß man die Geistes=Blitze darauf erblick / und fu¨hl auch die Einschlagungs Hitze / daß allen Herzen=Stolz es strack danider rafft! das Donner=prastlen hat Bekehrungs=Eigenschafft / weil GOttes Gegenwart im Schrecken hat den Sitze. Es ist voll Fruchtbarkeit diß schro¨cklich Lufft geschu¨tze: So ist sein Eyfer auch mit Gnaden=Krafft behafft. Der Wunder=Strahl / sein Wort / verletzt der Seelen klingen / dem Leib die scheiden nicht; das stark ist nur sein Ziel. Sein Geist=Subtiligkeit kan unvermerkt durchdringen. Zu zeiten durch den Schall zu fllen ihm gefiel. Behu¨t uns nur / O GOtt / vor Wolcken Donner=schlgen: Durch deine Wortstreich wollst bekehrend uns erlegen!572

¨ berschrift des hier zitierten Gedichts werden ein In der zweiteiligen U konkretes Naturgeschehen, nmlich ein auf einen Garten niedergehendes Gewitter, und der abstrakt-psychische Vorgang der Rezeption des go¨ttlichen Worts enggefu¨hrt. Dieses Verfahren mag an Bernard Gor¨ berlegungen zur Darstellung natu¨rlicher Prozesse in den Sonetceix U

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Er wohnt in ihr als seiner festen ho¨hl, Das tausend gu¨tt si tglich sich erwirbet. […] Imehr zerknirscht, imehr vom eignen leer: Imehr wohnt Gott in Uns mit seinem heer. Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 239.

287 ten Greiffenbergs erinnern. Gorceix fu¨hrt aus, dass in den Texten der barocken Autorin vor allem eine mystische »Ebene der Naturbetrachtung« entscheidend sei,573 dass der »Rhythmus« der von ihr beschriebenen Natur »dem Rhythmus der nach der Einigung strebenden Seele parallel« laufe.574 Nimmt man allerdings das Gedicht selbst in den Blick, so wird man feststellen, dass sich Gorceix Deutungsansatz nur bedingt auf die vorliegenden Verse anwenden lsst. Anders als etwa im nachfolgenden Sonett Auf die liebliche Sommer= und Ernde=Zeit575 lsst sich hier von vornherein gar kein dem Seelischen gegenu¨berstehender Naturraum, kein vom Unwetter heimgesuchter ›realer‹ bzw. ex¨ berschrift als den Aufenthaltsort trapsychischer Garten, wie ihn die U des Ich nahe legt, nachweisen. Ein Gewitter geht in Greiffenbergs Versen nicht gleichermaßen auf einen Seelenraum und eine ußere Gru¨nflche nieder, sondern es werden ausschließlich die Auswirkungen eines Unwetters im Seelen- bzw. Herzensgarten entworfen. Der Sprecher des Gedichts bedient sich der Unwetter- und Gartenmetaphorik, um einen von ihm erbetenen geistlich-intrapsychischen Vorgang zu versinnlichen und dem Leser so eine Meditation des abstrakt-unsichtbaren Geschehens576 unter deutlicher Beteiligung der imaginatio zu ermo¨glichen. Betrachten wir zunchst die Metapher des geistlichen Gewitters, dessen Einwirkungen auf den Boden des Seelengartens vom Ich herbeigesehnt bzw. erfleht werden: Das Unwetter erscheint in Greiffenbergs Versen einerseits als eine von Gott ausgehende, auf den Seelengarten einwirkende Kraft – man beachte, dass Gott hier nicht wie in Abschnitt 3.4.2 als behutsamer Grtner, sondern als mchtiger Lenker der Naturgewalten auf das kultivierte Seelengelnde Einfluss nimmt. Andererseits stellt es eine vom Scho¨pfer an sein Gescho¨pf gerichtete ¨ berschrift ist vom »Wortes=Donner«, Botschaft dar. Schon in der U spter vom »Wunder=Strahl« (Vers 9) seines Worts die Rede. Der Zusammenhang dieser beiden Aspekte der Gewittermetaphorik erschließt sich dem heutigen Leser erst vor dem Hintergrund der Tradition sowie der zeitgeno¨ssischen Implikationen der Gewitterbildlichkeit, die von Stephanie Wodianka und Heinz D. Kittsteiner ausfu¨hrlich untersucht worden sind.577 Von entscheidender Bedeutung fu¨r das Verstndnis von Greiffenbergs Versen ist, dass das ußere Gewitter in der Fru¨hen Neu-

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Gorceix, 1979, S. 221. Ebd. S. 223. Vgl. Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 240 (»O Wunder=GOttes Gu¨t! die in die Erd sich senket«). Zum geistlichen Gedicht des Barock als Meditationstext vgl. ausfu¨hrlich Wodianka, 2004, bes. S. 104–113. Vgl. ebd. S. 133–137; Kittsteiner, 1991, S. 31–65.

288 zeit hufig als »vterliche[r] Verweis«578 oder als »natu¨rliche Bußpredigt Gottes« verstanden wird.579 Fu¨r den protestantischen Raum ordnet Kittsteiner dem Gewitter theologisch die folgende Funktion zu: Das Gewitter fu¨hrt zum ersten Teil der Buße. Es reizt den ›sicheren‹ Menschen zur Contritio, zur Zerknirschung des Herzens. Aus der Erkenntnis der Su¨nden aber erwchst der Glaube, das Vertrauen auf die Zusage der Gnade, und aus dem Glauben kommt als seine Frucht das Gebet.580

Bezieht man diese allgemeine Darstellung Kittsteiners auf das hier untersuchte Sonett, so kommt man zu dem Schluss, dass die beiden oben genannten Aspekte der Gewittermetaphorik (Gewitter als umgestaltende Naturkraft und Gewitter als go¨ttliche Botschaft) ein und dasselbe Phnomen nach verschiedenen Seiten hin beleuchten. So, wie in der Natur Donner und Blitz als go¨ttliches (Predigt-)Wort interpretiert werden ko¨nnen, sollen hier Gottes Worte wie Donner und Blitz auf die Seele einwirken und auf diese Weise selbst als umgestaltende Krfte ttig werden. Unter der Beru¨cksichtigung von Kittsteiners Ausfu¨hrungen hat man das go¨ttliche Wort-Gewitter in Greiffenbergs Versen keineswegs als bloße Versinnbildlichung eines sich u¨ber dem Seelenraum in destruktiver Form ›entladenden‹ »go¨ttlichen Zornes«581 zu interpretieren. Durch das erhoffte Blitzen und Donnergrollen wu¨rde zwar in jedem Fall zunchst ein leidvoller Seelenzustand hervorgerufen, der von »Zerknirschung«, von »Unruhe, […] Angst, […] Ungeduld und […] Erregung«582 geprgt ist. Dieses Leiden jedoch wu¨rde weder zum ußersten, nmlich zur Vernichtung der menschlichen Existenz, gesteigert, noch stellte es die letzte Stufe der vom Gewitter ausgelo¨sten psychischen Vernderungen dar. Welches Potential an bedrohlichen, aber auch an heilsamen Krften im Gewitter des u¨ber der Seele sich entladenden go¨ttlichen Worts liegen kann, zeigt sich etwa in Rists Ehren=Gedicht / Uber das sehr Geist= und trostreiche Buch / Kreu¨tz=Schule genant. In Rists Versen werden die seelsorgerlichen Bemu¨hungen des Hamburger Pastors Valentin Wudrian583 dem in der Natur zu beobachtenden Wetterphnomen eines Sommergewitters gleichgesetzt. So heißt es u¨ber ihn (Verse 43–80):

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Kittsteiner, 1991, S. 40. Ebd. S. 45. Ebd. S. 48–49. Zur Gewittermetaphorik speziell bei Luther vgl. auch Hirsch, 1954, S. 137–138. Vgl. zu dieser Gewitterfunktion bei Greiffenberg Gorceix, 1979, S. 224. Ebd. S. 224. Gemeint ist hier Valentin Wudrian der ltere (1584–1625), vgl. den Eintrag Wudrian in Jo¨cher, 1751/1961, Sp. 2086.

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Wie hat Er doch das Wohrt so treflich wolgefu¨hrt / Daß manchem harten Kopff / ward Seel und Mark geru¨hrt! Gleich wie zur SommerZeit / wenn alles wird verzehret / Durch u¨bergroße Hitz / Ein jedes schier begehret / Daß auf die Du¨rre komm ein lieblichs WolkenNaß / Und bald ein Regen fall auff Bluhmen / Laub und Graß: Die Bitte wird erho¨rt / die Sonne steht verhu¨llet / Mit einer Wolkendekk / es wird die Lufft erfu¨llet Mit einem starken Laut / es brauset u¨berall / Der Donner prasselt schon mit einem solchen Schall / Der alle Welt erschrekt: Die schnellen Blitze schiessen Von Osten biß nach West / die Donner Strahlen schliessen Sich selber in die Bum / es kommt in aller Eil Zu sammen Donner / Blitz und starke WetterKeil. Jn dem ein jeder nun erwahrtet schier mit Zittern / Ob auch des Donners Macht die Huser wil zersplittern / Verndert sichs gahr schnell / die Wolken trennen sich / Und schu¨tten Tro¨pfflein auff daß Erdreich mildiglich / Da wird der Mensch erquikt / und alle Thier erlabet / Die Berge feu¨cht gemacht / daß du¨rre Feld begabet Die heisse Lufft wird ku¨hl / die Welt der Furcht befreit / Und / daß Jchs ku¨rtzlich faß: Es wird ein andre Zeit. So pflag Herr Wudrian sein hohes Amt zu fu¨hren: Wolt Jhm die Straff und Zucht an seinem Orht gebu¨hren / So donnert Er daher / des Allerho¨chsten Grimm Verku¨ndigt Er als der Posaunen starke Stimm / Er warff des HErren Zorn wie Blitz in manche Seele / Daß Er Sie retten mo¨cht auß der verdamten Ho¨hle. Er prasselte daher mit einer solchen Ahrt / Daß schier die gantze Kirch ein Bach voll Trhnen ward. Wen nun der grosse Mann / des Eifers heisse Flammen Durch GOttes Geist geru¨hrt / geschu¨ttet auß zu sam[m]en Und der Verstokten Hertz in etwas weich gemacht / So ward ein su¨sser Trost von Jhm her wieder bracht. Sein Donnern hatt ein End / es folgt ein ku¨hler Regen / Man ho¨rte lauter nichts als Friede / Gnad und Segen / Der vormahls als ein Leu¨ von allen ward gesehn / Den fand ma[n] bald hernach recht als ein Lmlein stehn.584

Die lebensbedrohlich verhrtete, su¨ndige Seele wird hier dem durch dru¨ckende Sommerhitze ausgedo¨rrten Land gleichgesetzt, auf dem sich durch die mangelnde Feuchtigkeit kein rechtes Leben mehr entfalten kann. Rettung kann dem Seelenland nur der erhoffte »Regen« (Vers 48) bringen, der einerseits, wie der go¨ttliche Brunnen im Seelengarten (vgl. dazu Abschnitt 3.4.2), die go¨ttliche Gnade, andererseits

584

Rist, 1652/1978, S. 762–763 (»MEin traurigs Seelichen / wie magst du dich so krnken«) [Herv. d. J. R.].

290 aber auch den »Bach voll Trhnen« (Vers 72) symbolisiert, der die Bußfertigkeit des Su¨nders anzeigt. Bevor dieser Regen dem Menschen zuteil werden kann, mu¨ssen »Seel und Mark geru¨hrt« (Vers 44) – also der Mensch bis ins Innerste bewegt – und »der Verstokten Herz in etwas weich gemacht« (Vers 75) werden. Dies geschieht, indem der Prediger die Seelen und Herzen der Glubigen mit Donnerprasseln, Blitzeschleudern und mit des »Eifers heisse[n] Flammen« (Vers 73) bearbeitet. Die schon vorhandene intrapsychische Hitze wird also, bevor sie durch einen ku¨hlen Gnadenregen von der Seele genommen wird, zunchst noch weiter erho¨ht. Bis an die Grenze der ußersten Bedrohung, nmlich bis zu jenem Punkt, an dem der Mensch sich fragt, »[o]b auch des Donners Macht die Huser wil zersplittern« (Vers 58), steigern sich die Destruktionen des Gewitters, und so mancher Baum, der auf der Seelenerde wchst, ist durch Blitz und Donner in seiner Existenz bedroht. Am Ende dieses Unwetters steht schließlich »ein ander Zeit« (Vers 64), in der auch die Seelenlandschaft nicht mehr ohne weiteres mit derjenigen gleichzusetzen ist, die sie einmal war. Ihre fru¨here Hrte ist zur Weichheit,585 ihre Trockenheit zur Feuchtigkeit, ihre Hitze zur Ku¨hle, ihre Lebensfeindlichkeit zu neuer Fruchtbarkeit geworden. An Rists Versen konnte ein Bild davon gewonnen werden, wie sich ein Seelengewitter nach zeitgeno¨ssischer Vorstellung auf den psychischen Naturraum auswirken kann. Ob das in Greiffenbergs Versen entworfene Seelenunwetter in seinem Ablauf und seinen Konsequenzen hnlichkeiten mit jenem Rists aufweist, wird sich jedoch erst bei der nachfolgenden genaueren Topoanalyse des Sonetts zeigen.586 Bei den dynamischen Prozessen, die sich nach dem Wunsch des Ich in Greiffenbergs Seelenraum abspielen sollen, fllt sofort die Dominanz der von oben nach unten gerichteten Bewegungen ins Auge. »Geistes=Blitze« (Vers 2) sollen in den psychischen Raum einschlagen, ein heftiges »Donner=prastlen« (Vers 5) soll auf ihn niedergehen, ex585

586

Interessant ist im Zusammenhang mit dieser Herzenserweichung eine hnliche Textstelle in einem Bußlied von Christian Gryphius (10. Strophe). Darin soll ein von Christus ausgelo¨stes Gewitter ein »erstarrte[s]« Herz »erweichen« (Gryphius, 1707, S. 23 (»HErr JEsu / soll ich nicht vor meiner Schuld erschrecken«)): Erlo¨ser nimm mich an / und gieb mir neue Krfte Auf daß ich beten mag Umb einen guten Geist und heilige Geschffte / Laß deinen Donnerschlag Mit tausend wundervollen Streichen Das gantz erstarrte Hertz erweichen. Vgl. zu den folgenden Zitaten Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 239 (»Auf den Geistlichen Wortes=Donner: im gro¨sten Donnerwetter / im Garten« (»DV starker Donner=GOtt! gib deinem Donner=Krafft«)).

291 plizit ist außerdem vom Niederraffen und von den gewaltsamen Akten des »[F]llen[s]« (Vers 12) und »[E]rlegen[s]« (Vers 14) die Rede. Die beiden zuletzt genannten Gewitter-Einwirkungen lassen, parallel zur Seelenraum-Metaphorik, auch an eine Personifizierung oder zumindest ›Ver-Tierung‹ der Seele denken. Wie ein Delinquent oder ein gejagtes Wild soll die Psyche von den Donnerschlgen und vom – zugleich pfeilartig zu denkenden587 – »Wunder=Strahl« (Vers 9) als Ganze niedergestreckt werden. Vorrangig allerdings soll nicht die Gesamtseele, sondern vielmehr ein bestimmter Teil von ihr gefllt werden. Worauf sich die vertikal erfolgenden ›Angriffe‹ des Gewitters insbesondere richten ¨ ber das Gewitter sollen, wird am Ende des ersten Quartetts deutlich: U gilt es nach Ansicht des Ich vor allem, den »Herzen=Stolz […] danider ¨ berheblichkeit aus dem [zu] raff[en]« (Vers 4), d. h. jenen Zug der U menschlichen Innern zu entfernen, der eine Bekehrung bisher verhindert hat. Aus der Bitte um die ›Fllung‹ des »Herzen=Stolz[es]« kann der Leser ex negativo schließen, dass dieser Seelenbestandteil zu hoch in den drohenden Gewitterhimmel u¨ber dem psychischen Garten ragt. Abgesehen davon allerdings lassen sich in den Versen Greiffenbergs keine weiteren Hinweise zu seiner konkreten Gestalt finden. Man weiß nicht, ob man sich die als »Ko¨nigin vnd Wurtzel aller Su¨nden«588 zu betrachtende superbia hier als unbelebten Gegenstand, als Baum (vgl. dazu die Gewitterwirkungen in den oben zitierten Versen Rists), als sich erhebendes Tier oder als Person vorzustellen hat. Doch ist die nhere Bestimmung der superbia fu¨r die weiteren Analysen im Grunde auch unerheblich. Schon aus der einzigen ihr implizit zugeschriebenen Eigenschaft, ihrem Aufragen, wird die Trefflichkeit des Mittels ersichtlich, dessen sich Gott nach der Vorstellung des Ich zur Eliminierung des »Herzen=Stolz[es]« (Vers 4) bedienen soll. Wenn der Sprecher Gott darum bittet, die Hoffrtigkeit ausgerechnet durch ein Gewitter zu beseitigen, so hat er dabei die Eigenart jedweden Gewitters im Blick, das Hohe vor dem Niederen zu treffen: […] hohe Thu¨rne / Bum / vnd Felse seynd denen Donner=Streichen vnterworffen / nicht so das tieffe Thal / vnd nidrige Myrten / dahero pflegten die Alten zu sagen: Er ist so sicher als ein Lorbeer=Baum. Vnd dises darumb / weilen selbige wegen ihrer Nidrigkeit denen reissenden Winden / vnnd hohen Vngewitter nicht vnterworffen seynd / grosse Aichen aber / vnd schwan-

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Zur Gleichsetzung des »Wunder=Strahl[s]« mit einem Pfeil vgl. Anon.: Strahl (Art.). In: Grimm, Bd. 19, 1957/1984, Sp. 754–777, hier Sp. 754, und Abschnitt 3.3.1 der vorliegenden Untersuchung. Albertinus, 1616, S. 27. Zur superbia als »Wurzel-Su¨nde« (besonders bei Augustinus) vgl. auch Werbick, Ju¨rgen: Su¨nde – III. Historisch-theologisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 1125–1126, hier Sp. 1125.

292 cke Ceder werden von einem jeden Wind angefochten / vnd offtermahlen zu Grunde gestu¨rmet […].589

Dass auch in anderen barocken Texten ein Zusammenhang zwischen einer hoch in der Landschaft aufragenden Erhebung und dem Hochmut hergestellt werden kann, zeigt sich beispielsweise am folgenden Ausschnitt aus einem ebenfalls von Greiffenberg verfassten Lied. ¨ berschrift (Jch traue auf den HERRN / etc. Ps. 11. v. Schon in der U 1) wird auf einen Psalmenvers – »JCH TRAW AUFF DEN HERRN / wie saget jr denn zu meiner seele / Sie sol fliegen wie ein vogel / auff ewre Berge?«590 – Bezug genommen, der dann in den ersten Versen des Gedichts ausgedeutet wird: FLieg nicht / mein erlo¨ste Seel / auf die Hoffart=Stu¨rzungs=Berge / noch auff die Sicilisch Ho¨he / schno¨der Flamm verdampter Brand. Hoffart / spricht GOtt / ist das jenig / welches ich zu meist verherge. Wer die Hoheit kan verachten / wird gar billich hoch genandt. Bleibet fort auf euren Bergen! mir beliebt der Demut Thal.591

Indem hier die im Psalm genannten Berge mit der superbia gleichgesetzt werden, wird dieses Laster auf ungleich anschaulichere Weise rumlich-landschaftlich umgesetzt als im oben betrachteten Gewittersonett. Die Hoffart erscheint im zuletzt zitierten Textausschnitt nicht als unspezifische Erhebung, sondern als mchtiges Gebirge, das allein durch die Naturgewalten eines Unwetters wohl kaum zu beseitigen ist. Auch ist sie, anders als im Sonett Auf den Geistlichen Wortes=Donner, nicht innerhalb eines Herzens- oder Seelenraums zu verorten, sondern liegt außerhalb desselben in einer allegorischen vitiae-virtutes-Landschaft. In der Letzteren kann die hier als vogelartige, geflu¨gelte Reisende erscheinende Seele ihren Aufenthalt offenbar frei whlen. hnlich wie die zeitgeno¨ssischen ditetischen Ratgeber ihre Leser daru¨ber aufklren, dass es zwar der Gesundheit fo¨rderliche, daneben jedoch auch ho¨chst gefhrliche Weltgegenden gebe,592 belehrt das Ich in den hier zitierten Versen seine Seele, dass nicht alle Orte des sie umgebenden Außenraums fu¨r sie unbedenklich seien. Vor den »Hoffart=Stu¨rzungs=Berge[n]« wird sie dringend gewarnt und ermuntert, als sicheren Aufenthaltsort »der Demut Thal«593 zu whlen. Am zuletzt zitierten 589 590 591 592

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Laurentius von Schnu¨ffis, 1688, Bl. C [1]v [Herv. d. L. v. S.]. Biblia, Bd. 2, 1974, S. 975. Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 329 (»Kunst=Gesang« 16). Vgl. – um nur ein zeitgeno¨ssisches Beispiel fu¨r eine ditetische Geographie gesundheitsfo¨rdernder und krankmachender Regionen und Klimate zu nennen – Bo¨ckler, 1678, S. 916. In anderen barocken Gedichten kann die tugendhafte Seele auch selbst zum verborgen-bescheidenen Tal werden, vgl. etwa Zesen, Bd. 2, 1984, S. 55 (»Rosen=

293 Gedichtausschnitt zeigt sich nicht nur, dass es zur Lokalisierung eines Lasters innerhalb der Seele Alternativen geben kann (in diesem Fall seine Positionierung in einer außerhalb der Seele liegenden Landschaft). Zustzlich machen die zuletzt wiedergegebenen Verse auf ho¨chst anschauliche Weise verstndlich, warum das Ich u¨berhaupt so sehr an der Beseitigung der Hoffartserhebung interessiert ist. Im Lied Jch traue auf den HERRN wird eindrucksvoll deutlich, was fu¨r eine große Gefahr von der superbia fu¨r das Seelenheil ausgeht. Auf den »Hoffart=Stu¨rtzungs=Berge[n]« drohen der Seele nicht nur Abstu¨rze oder ein In-Brand-Geraten auf Grund der zu großen Nhe zum vulkanischen Geschehen – die in diesem Zusammenhang genannte »Sicilisch Ho¨he« bezeichnet gewissermaßen den Prototyp des gefhrlichen Bergs, den beru¨hmten sizilianischen Vulkan tna. Die Rede vom »verdampte[n] Brand« verrt außerdem, wohin der Flug auf die Ho¨hen der Hoffartsberge und -vulkane letztlich fu¨hren muss: hinab in die Ho¨lle, die beispielsweise auch im 1587 anonym erschienenen Faustbuch durch den Eintritt in einen Vulkankegel zu erreichen ist.594 Gerade der tna galt schon seit dem Mittelalter als Ho¨lleneingang.595 Eine hnliche Bedrohung der Seele mit Zersto¨rung bzw. mit Tod und qualvoller Verdammnis stellt die Hoffartserhebung wohl auch in Greiffenbergs Gewittersonett dar. Zugleich ist jedoch durch die intrapsychische Verortung der superbia die Lage der Seele ungleich prekrer. Nicht mehr die Vermeidung der Hoffart, sondern nur noch ihre Eliminierung kann hier Abhilfe schaffen – und zu diesem Schritt ist das fu¨r den Herzensraum zustndige Ich nicht selbst in der Lage. Es muss das gewaltsame, aber regulierende Eingreifen Gottes, die Fllung des Stolzes durch den mit himmlischer »Gnaden=Krafft«596 (Vers 8) behafte-

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und Liljen-tahl« 10 – »Jugend= und Tugend-Lob einer fu¨rtreflichen Heldin an seine Hochfu¨rstl. Durchleuchtigkeit Fu¨rst Johan Georgen / Fu¨rsten zu Anhalt / u. a. m. welches ho¨chstgedachte Seine Hochf. Durchl. Dem Verfasser abgewonnen« (»DIese feder ist verspielt«)): Wer die reine Seelenzier Dieser frommen Fu¨rstin schauet / da die zucht ihr wohnhaus bauet / der bekennet fu¨r und fu¨r; daß in Ihrer zahrten jugend wohnt ein bluhmentahl der Tugend. Vgl. zur Seele (bzw. zum seelenquivalenten Herzen) als blu¨hendem Tal der Tugend(en) auch Scheffler, 2000, S. 151 (IV,4 – »Das geheime Nazareth und seine geistliche Verku¨ndigung«). Vgl. Historia, 1999, S. 52 (Kapitel 24 – »Wie Doct. Faustus in die Hell gefahren«). Vgl. Dinzelbacher, 1981, S. 96. Hier und im Folgenden: Greiffenberg, Bd. 1, 1662/1983, S. 239 (»Auf den Geistlichen Wortes=Donner: im gro¨sten Donnerwetter / im Garten« (»DV starker Donner=GOtt! gib deinem Donner=Krafft«)).

294 ten »Wunder=Strahl« (Vers 9) des go¨ttlichen Worts erbitten. Wie groß dabei das Vertrauen in die Spezifitt des go¨ttlichen Eingriffs, in die gezielte und kontrollierte Wirkung des go¨ttlichen Blitzes und Donners ist, zeigt sich etwa auch an den nachfolgend noch einmal zitierten Versen 9 und 10: Der Wunder=Strahl / sein Wort / verletzt der Seele klingen / dem Leib die scheiden nicht; das stark ist nur sein Ziel.

Anders als der ›normale‹ Blitzschlag, der den Menschen von außen nach innen durchfhrt und so zuerst die Leibeshu¨lle bedroht, kann der Blitz des go¨ttlichen Worts den schwachen Leib schonen und doch der Klinge der Seele deutliche Verletzungen zufu¨gen. Gerade in der Frage nach der syn- und diachronen (In-)Stabilitt und (In-)Kohrenz der Seele ist dieses Bild ußerst aussagekrftig. Dass die Seele »verletzt« wird, hat man im Grunde als ihre partielle Fragmentierung bzw. als deutliche Formvernderung zu begreifen. Damit wird zumindest eine gewisse Instabilitt des Seelischen suggeriert. Andererseits wird die Seele hier ausdru¨cklich den ›starken‹ Gegenstnden zugeordnet. Auch evoziert das Bild der Klinge Hrte und Widerstandsfhigkeit. Eine klingenartige Seele ließe sich schwerlich von einem Blitzschlag gnzlich zerstu¨ckeln und damit vernichten, selbst wenn dies, was nicht der Fall ist, in Greiffenbergs Sonett im Sinne Gottes lge. Auf der eingeschobenen zweiten Bild-Ebene der Messer- bzw. Waffenmetaphorik betreffen die gezielten Angriffe Gottes vor allem die ußere Form des dreidimensionalen Seelengebildes (der Seelenklinge). Dagegen sind die Vernderungen, die Gott im Seelengarten vornehmen soll, keineswegs nur als formal-ausdehnungsbezogene zu betrachten, sondern sie erstrecken sich auf Ausdehnung und Inhalt gleichermaßen. Wird beispielsweise die superbia gefllt oder schlagen Blitze in den Herzensboden ein, so wird dadurch einerseits auf markante Weise die Garten-Silhouette (und damit die vertikale Ausdehnung des Gartens) verndert. Andererseits aber stellt die Vernichtung des Hochmuts auch eine inhaltliche Vernderung im Seelenraum dar. Ebenso du¨rften auch die »Einschlagungs Hitze« (Vers 3) sowie das heftige »Donner=Prastlen« (Vers 5) qualitative und binnenstrukturelle Wandlungen des Seelengartens hervorrufen. Aber auch wenn der Seelengarten zum Zeitpunkt des Gewitters als radikal dynamisiertes und damit zugleich stark destabilisiertes Gebilde entworfen wird, zielt doch keine seiner Umstrukturierungen auf seine Vernichtung. Im Gegenteil: Statt dass sich im Entwurf des Ich die auf den ersten Blick destruktiven Krfte negativ auf seinen ku¨nftigen Zustand auswirkten, verheißen sie dem Geln-

295 de schon im zweiten Quartett neues Leben – »Es ist voll Fruchtbarkeit diß schro¨cklich Lufft geschu¨tze« (Vers 7). Wie in Rists Versen so verbildlicht auch hier das u¨ber der Seele niedergehende Gewitter nicht nur Gottes bengstigend große Macht, sondern zugleich auch seine Weisheit, Herrlichkeit und Gu¨te. Die »schro¨cklich[en] […] geschu¨tze« des Dreißigjhrigen Krieges haben u¨berall Tod und Zersto¨rung hinterlassen. Die go¨ttlichen Gewitter-Waffen verbreiten zwar gleichfalls Angst und »Schrecken« (Vers 6) und fu¨hren durch die von ihnen hervorgerufenen Vernderungen der Seelengestalt zu einer Diskontinuitt zwischen dem Ausgangs- und dem Endzustand des Seelenraums und somit zu seiner Pluralisierung. Gleichzeitig aber steigern sie mit ihrer »Gnaden=Krafft« (Vers 8) die Fruchtbarkeit des von ihnen umstrukturierten Seelengartens und tragen so zu seiner Fortdauer, also zu seiner ku¨nftigen diachronen Kohrenz, bei. hnlich wie schon im vorangehenden Abschnitt erweist sich auch hier die von Gott bewirkte voru¨bergehende Destabilisierung des Seelenraums auf lange Sicht als stabilisierend. Auch wenn die Eingriffe in den Seelenraum, die sich das Ich vom Wortgewitter erhofft, drastisch erscheinen mo¨gen, bewirken sie in der Vision des Sprechers doch keineswegs das Maximum dessen, was bei von außen kommenden Eingriffen in den Seelenraum an diachroner Destabilisierung bzw. Pluralisierung grundstzlich denkbar ist. Zwar ist der Garten nach dem Gewitter nicht mehr derselbe wie zuvor, doch hat er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht jede hnlichkeit zu seinem fru¨heren Zustand verloren. Andererseits lsst sich auch die im Gewittersonett entworfene Strkung der syn- und diachronen Seeleneinheit noch u¨berbieten, mo¨gen auch die Ausrottung der wider den go¨ttlichen ordo gerichteten superbia und die Befo¨rderung der seelischen Fruchtbarkeit eine ganz erhebliche psychische Stabilisierung darstellen. Im nachfolgenden Gedicht aus Greiffenbergs Abendmahls=Andachten597 lassen sich deutlich radikalere Stabilisierungen und Destabilisierungen des Seelenraums feststellen. Hier wird Jesus, der im Abendmahl »in unsern Mund / Hertz und Seele kommen ist«, als das »Siegel und Petschafft / das tieffer als in das Marck gehet / und fester als das Firmament / oder die Himmels=Veste ist«,598 apostrophiert und folgendes Gebet an ihn gerichtet:

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Bei den Abendmahls=Andachten handelt es sich um einen Teil der 12. Betrachtung Des Allerheiligsten Lebens JEsu Christi (1693). Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 932–933 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten«).

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Ach dru¨cke dich in mich / du Himmel=festes Siegel / Versigle meinen Sinn / versigle Hertz mit Hertz / Versigle Mund mit Mund fest / u¨ber alle Siegel / Dein Leibes=Petschafft halt in aller Noth und Schmertz. Die tieff begrabnen Ritz / in mir sich hoch erheben / Die ausgeholten Stich / sich sondern recht in mir / Die hohen Gnaden sich in tieffstem Danck begeben / Es werd mein gantzes Jch ein rechtes Bild von dir / Mein Leib von deinem Leib / Gestalt und Bildung mehre / Mein Sinn / von deinem Sinn / sich formen lasse hier / Mein Wille gantz und gar nach deinem sich beqveme / Ein jedes Aederlein sich fu¨g in deine Gier. Das u¨brig wisch man weg / wie bruchig in dem Giessen / Nur was in dir ist bleib / und heisse mein in mir / Jch will von keiner Lust / von keinem Willen wissen / Als nur der deinem gleich / und der von dir herru¨hr / Ach! mach mich durch dein Blut zur sigilirten Erden! Daß eher ich zerbrech als aufho¨r sie zu seyn. Laß eher mich mein GOtt zu Staub und Aschen werden / Als leben sonder dich / dein Bildnus prgen ein / Daß du in mich gedru¨ckt. Mein Hertz das Capsel breche / Bleibt nur dein Siegel gantz / dein lieber Leib und Blut. Der Tod durch tausend Pfeil / das Leben mir absteche Wann meinem Siegel nur im Hertzen er nichts thut / Dem Leben / das du bist / kan er ja nichts angwinnen / Auch mir nicht / weil mit dir ich bin ein einigs Ein / Es mag die gantze Erd der Himmel auch verbrinnen / Jch bin in GOtt / und GOtt wird bleiben gantz allein […].599

Nach der in Zedlers Universal-Lexicon angefu¨hrten Definition ist der Zentralbegriff dieses Gedichts, der des Siegels, schon fu¨r sich genommen nicht eindeutig. Zunchst bezeichnet er diejenige Figur, welche auf dem Petschiere oder Petschafft befindlich, in eine weiche Materie ist abgedrucket worden. […] Doch wird dieser Abdruck bisweilen mit dem Nahmen des Petschaffts und Petschiers belegt, wenn nehmlich von Privat=Leuten solches herru¨hret; und hingegen heisset das Instrument, womit man siegelt, auch offtermahls das Siegel.600

Beide Bedeutungen des Begriffs ›Siegel‹ sind auch bei der Interpretation von Greiffenbergs Versen zu beru¨cksichtigen. Im ersten Vers ist unter dem »Siegel« eindeutig das Siegelinstrument zu verstehen, whrend derselbe Ausdruck in Vers 24 auch den Abdruck eben dieses Instruments meinen kann. In der Zweideutigkeit der zuletzt angefu¨hrten 599 600

Ebd. S. 933–934. Anon.: Siegel (Art.). In: Zedler, Bd. 37, 1743/1996, Sp. 1053–1056, hier Sp. 1053; hnlich auch Anon.: Siegel (Art.). In: Grimm, Bd. 16, 1905/1984, Sp. 895–904, hier Sp. 896–897.

297 Textstelle zeigt sich erneut ein in anderen Zusammenhngen schon oben dargestelltes rhetorisches Charakteristikum der Lyrik Greiffenbergs, nmlich das Spiel mit der Polysemie einzelner Ausdru¨cke.601 Der Vorzug, der in der Ambivalenz des Begriffs ›Siegel‹ liegt, ist schnell ¨ ber die sprachliche soll hier zugleich eine tatschliche Nhe benannt: U zwischen dem Siegelwerkzeug und dem Siegelabdruck angedeutet werden. Jedem, in den sich das Siegel(-instrument) Christus einmal bleibend eingedru¨ckt hat, wird mit der Prsenz des Siegelabdrucks auch die Realprsenz Christi verheißen. Auf die Frage nach dem genauen Verhltnis des Leib-Seele-Kompositums ›Mensch‹ zum Siegelinstrument des Gottessohns bzw. nach dem genauen Ort des Siegelabdrucks gibt das Gedicht von Vers zu Vers divergierende Antworten. Sie sind logisch wie rumlich nicht immer leicht miteinander zu vereinbaren und haben fu¨r die diachrone Stabilitt des Seelenraums ganz unterschiedliche Konsequenzen. In einigen Versen wird das Siegelinstrument Christus dazu aufgefordert, den gesamten Sprecher, also ein leibseelisches Mantel-Ich, als seine Siegelmasse zu benutzen: »Ach dru¨cke dich in mich« (Vers 1); »Es werd mein gantzes Jch ein rechtes Bild von dir« (Vers 8). Gibt Christus, der u¨brigens nach Joh 6,27 selbst mit dem Siegelabdruck Gottvaters gezeichnet ist, der Bitte des Sprechers statt, so geht das Ich vo¨llig in der Gestalt des Siegels auf.602 Es wird zu Christi Ebenbild.603 Dass in diesem Fall die diachrone Identitt auch der psychischen Komponente des Menschen zur Diskussion steht, liegt auf der Hand. In anderen Versen soll sich das Siegelinstrument Christus nach dem Wunsch des Ich nicht auf das gesamte Leib-Seele-Kompositum, sondern nur auf ausgewhlte physische oder psychische Bestandteile des Menschen dru¨cken. In diesem Fall bedient sich der Sprecher der Siegelmetaphorik nicht nur, um die mo¨gliche Umgestaltung des Menschen durch den Gottessohn zu entwerfen, sondern es kommen zustzlich auch noch andere Dimensionen der Siegelbildlichkeit zum Tragen. Besonders gut lassen sich diese am dritten Vers des Gedichts erarbeiten, in dem das Ich seinen Erlo¨ser auffordert: »Versigle Mund mit Mund fest / u¨ber alle Siegel […].« 601

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Am Beispiel von Greiffenbergs Umgang mit dem Wort ›Spiel‹ zeigt dieses Verfahren auch Rosmarie Zeller, vgl. Zeller, 1973, S. 131–133. Vgl. zur Verwandlung des ganzen Menschen in ein Siegel etwa 1. Kor 9,2. Vgl. zur theologisch hochgradig aufgeladenen Rede von der Ebenbildlichkeit im ¨ ber Zusammenhang mit der Siegelmetaphorik etwa Schottelius, 1667, S. 245 (»U die Epistel am 19. Sontage nach Trinitatis, Ephes. 4.«). Hier wird beschrieben, »wie das Wachs / wenn es wol getrukt und fein weich gemacht ist / ein scho¨nes Ebenbild und gleichendes Siegul von einem […] Siegelstokke an sich nehmen / und sich also mit dem / worin es geschlagen oder getru¨kt wird / verehnlichen kan.«

298 Nach der im Deutschen Wo¨rterbuch fu¨r das Verb ›versiegeln‹ angefu¨hrten Definition soll ein versiegelter Gegenstand entweder »durch das aufgedru¨ckte siegel besttig[t]«604 oder durch die Versiegelung fest und sicher verschlossen werden.605 Zum einen ko¨nnte also der im dritten Vers des Gedichts erhoffte Siegelabdruck dem Ich (etwa im Sinne von 2. Kor 1,22, Eph 1,13 und 4,30, Offb 7,2–8 und 9,4)606 als »Eigentumsmarke« dienen. Das Siegel wre dann ein sichtbares Zeichen seiner unauflo¨slichen Zugeho¨rigkeit zum Erlo¨ser und damit zugleich auch »Rettungs- u[nd] Heilszeichen«.607 Selbst in den psychophysisch destabilisierenden Extremzustnden von »Noth und Schmertz« (Vers 4) ko¨nnte das Ich u¨ber seine Versiegelung seine Zuflucht zu der nicht destruierbaren, stabilisierenden Beziehung zu Christus nehmen – ein Gedanke, der an spteren Stellen des Gedichts in gesteigerter Form wiederkehrt (vgl. etwa die Verse 19–25). Zum anderen ko¨nnte die im Deutschen Wo¨rterbuch erwhnte Verschlussfunktion des Siegels einen Grund dafu¨r darstellen, dass die Versiegelung des Mundes dem Sprecher so erstrebens- bzw. erbittenswert erscheint. Das Anbringen des (go¨ttlichen) Siegels auf dieser Ko¨rpero¨ffnung htte dann die Aufgabe, die Grenzen des innermenschlichen Containerraums – sei es nach außen, sei es nach innen – zu befestigen. Als Indiz dafu¨r, dass hier die Befestigung des Mundes und des Gesamtmenschen gegenu¨ber zentrifugalen (also aus dem menschlichen Innern nach außen drngenden) Krften erbeten wird, ließe sich vor allem die Anspielung der Textstelle auf das ›feste Siegel‹ von Sir 22,33 interpretieren. Dieser Bibelvers lautet: ¨ NDE EIN SCHLOS AN MEINEN MUND legen / vnd O DAS ICH KU ein fest siegel auff mein maul dru¨cken / Das ich da durch nicht zu fal keme / vnd meine zunge mich nicht verderbet.608

In Jesus Sirach ist der Wunsch des Sprechers nach einer Versiegelung seines Mundes ausschließlich durch die Schlechtigkeit, die Verdorbenheit seines Innern motiviert.609 Durch das Siegel ko¨nnte gewissermaßen 604

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Anon.: versiegeln (Art.). In: Grimm, Bd. 25, 1956/1984, Sp. 1316–1321, hier Sp. 1319. Diese Bedeutung des Verbs ›versiegeln‹ findet sich u¨brigens vor allem im lteren Sprachgebrauch. Vgl. ebd. Sp. 1316. Vgl. auch Offb 14,1 und 22,4 (vgl. dazu Willmes, Bernd: Siegel – 1. Biblisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 567–568, hier Sp. 568). Maur, Hans Jo¨rg auf der: Siegel – II. Theologisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 568. Biblia, Bd. 2, 1974, S. 1783 (in der Lutherbibel von 1545 wird dieser Vers Sir 23 zugeordnet). Der Gedanke, dass das Verdorbene, Su¨ndige im Menschen durch Versiegelung unschdlich gemacht werden ko¨nnte, findet sich auch bei Christian Gryphius,

299 mit Gewalt verhindert werden, dass der Sprecher sich durch unzulssige (z. T. vielleicht auch nur gegenu¨ber der Gro¨ße und Gu¨te Gottes unzulngliche) ußerungen versu¨ndigte, die ihm unbedacht zu entschlu¨pfen drohen.610 Fu¨r den Sprecher von Greiffenbergs Gedicht wre umgekehrt auch daran zu denken, dass er die Versiegelung des Mundes im Dienste einer Abriegelung und »sicheren Verwahrung«611 des Innenraums vor der als su¨ndhaft oder gefhrlich erfahrenen Außenwelt erflehte. Als Bollwerk gegen zentripetale Krfte diente das Siegel in diesem Fall denselben Zwecken wie die in Abschnitt 3.5 untersuchte Grenzbefestigung beim Seelenhaus. Die letztgenannten Siegel-Funktionen der Beglaubigung bzw. Besitzbesttigung und des Verschlusses sind zwar auch ohne derartig gravierende rumliche Umformungen denkbar, wie sie fu¨r die Umgestaltung des Gesamtmenschen zum Siegel-Abdruck in jedem Fall unumgnglich sind. Doch findet auch im Falle eines nur lokal begrenzten Siegel-Menschen-Kontakts eine gewisse Umstrukturierung bzw. qualitative Vernderung statt. Dies wird etwa an jenen Ausfu¨hrungen deutlich, die sich in Zedlers Universal-Lexicon zum biblischen Begriff des ›festen Siegels‹ finden.612 In ihnen wird ausdru¨cklich auch auf Jes 6,5 (d. h. auf die Reinigung der unreinen Lippen des Propheten durch die ¨ ber die bisher betrachteglu¨hende Kohle eines Engels) verwiesen.613 U ten Deutungen hinaus kann der Siegelbildlichkeit des dritten Verses eine erotische Dimension zugeschrieben werden. Dass hier der menschliche Mund ausgerechnet mit dem Mund Christi versiegelt werden soll, gemahnt an den Vorgang des Ku¨ssens, der im poetisch-metaphorischen Sprechen hufig als Versiegelung der Lippen oder der Gesamtperson des Geliebten dargestellt wird.614 Der Aufdruck des Siegels symbolisiert in diesem Fall gewissermaßen die Anfnge einer Liebes-Vereinigung des Menschen mit Christus, den ersten Schritt zur unio mystica –

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wenn in einem seiner Bußlieder das Sprecher-Ich Gott anfleht (Gryphius, 1707, S. 46 (»GEtrost mein Geist! Der Satan ist gebunden«)): Hilf / daß ich izt / als dein erlo¨stes Kind / Diß / was mich qvlt / versigel und vergrabe; Laß Su¨nd und Uppigkeit gantz ausgetilget seyn […]. Zu den verschiedenen Arten und Funktionen des Schweigens bei Greiffenberg vgl. ausfu¨hrlich und grundlegend Benthien, 2005, S. 131–139, hier bes. S. 139. Willmes, Bernd: Siegel – 1. Biblisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 567–568, hier Sp. 567. Als klassische biblische Beispiele fu¨r diese Siegelfunktion fu¨hrt Bernd Willmes unter anderem Mt 27,66 und Dan 6,18 an, auch 5. Mose 32,36 geho¨rt in diese Gruppe. Vgl. Anon.: Siegel, (Festes) (Art.). In: Zedler, Bd. 37, 1743/1996, Sp. 1064–1065. Vgl. zur mittelalterlichen Deutungstradition dieser brutal anmutenden Lippenreinigung Schumacher, 1996, S. 277–282. Vgl. Anon.: Siegel (Art.). In: Grimm, Bd. 16, 1905/1984, Sp. 895–904, hier Sp. 901.

300 die wiederum mit drastischen Konsequenzen fu¨r die diachrone Identitt des Menschen verbunden ist (vgl. dazu unter anderem Abschnitt 3.3.2). Die Wirkungen, die das Siegel am Mund, d. h. am ußersten, rein physischen Rand des Leibesbehltnisses, entfalten kann, sind grundstzlich auch gegenu¨ber dem psychischen Kernbereich des Menschen denkbar. Dass alle hier angefu¨hrten Aspekte der Versiegelung auch die im Gedicht genannten psychischen bzw. psychophysischen Komponenten der gesamtmenschlichen Siegelmasse betreffen ko¨nnen, deutet sich allein schon bei der Betrachtung des unmittelbaren Kontextes von Vers 3 an. Sprachlich und inhaltlich parallel zur Bitte dieses Verses wird bereits im vorangehenden (zweiten) Vers der Wunsch nach einer Versiegelung des Herzens mit dem Herzen Jesu formuliert und außerdem die Versiegelung des Sinnes erbeten: »Versigle meinen Sinn / versigle Hertz mit Hertz […].« Wie der Verschluss des Mundes mag dem Sprecher auch die Versiegelung des Herzens zur sicheren Verwahrung der innermenschlichen Bosheit angemessen erscheinen. Schließlich wird in der ju¨disch-christlichen Tradition gerade das Herz als Gefß bo¨ser Gedanken und als Motor su¨ndhafter Handlungen wahrgenommen (vgl. dazu besonders 1. Mose 6,5).615 Wie die Lippenversiegelung mag das Ich den Herzensverschluss aber auch umgekehrt erflehen, um sein Inneres und dessen Inhalte vor einem bedrohlichen Außenraum geschu¨tzt zu wissen. Explizit wird die letztgenannte Begru¨ndung einer Herzensversiegelung etwa in der ersten und zweiten Strophe der Elegia III,8 aus Laurentii von Schnu¨ffis Mirantischer Mayen=Pfeiff (1692) entwickelt: DAs / was man sicher haben will / Und es ungern verliehret / Man auch so gar mit dem Sigill Sorgfltig verpitschieret: Wann einer sich wurd understehn Ein solches weckzureissen / Der Frefel=Straff nicht wurd entgehn / Noch seine Schand außweissen. So will auch ich Marien Hertz Vor allen Diebs=Gefahren / Auff daß es mir nicht anderwerts Versetzet werd / verwahren: Jch will mich selbst / als ein Pitschier Demu¨thig jhr darreichen / Darauff zu trucken / jhr / und mir Zum sichern Liebes=Zeichen.616

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Vgl. zu diesen Eigenschaften des Herzens z. B. auch Scriver, 1687, S. 124–128 u.o¨. Laurentius von Schnu¨ffis, 1692, S. 299–300 (»Clorus verlangt mit dem Hertzen der Mutter Gottes vereinigt zu seyn«).

301 Das hier ausschnittweise zitierte Gedicht kann zugleich als eindrucksvolles Beispiel fu¨r die erotisch-mystische Dimension dienen, welche die Herzensversiegelung analog zum Lippenverschluss besitzen kann. Die Verbindung der Siegel- mit der Liebesmetaphorik ist schon bei der Lektu¨re der Gedichtu¨berschrift (Clorus verlangt mit dem Hertzen der Mutter Gottes vereinigt zu seyn) und des ihr beigefu¨gten Zitats aus dem Hohenlied (»Lege mich / wie ein Sigill / auff dein Hertz«,617 Hld 8,6)618 zu erkennen. Besonders deutlich lsst sie sich außerdem an den Strophen 16–18 ablesen. Auch in diesen wird – neben der Herzensversiegelung bei der Gottesmutter (Strophe 18) – die Versiegelung des eigenen Herzens (Strophe 17) entworfen, in dem wiederum Maria als Gesamtperson enthalten ist (Strophe 16): So will ich dann absagen dem / Was ich geliebt auff Erden / Auff daß ich jhr mo¨g angenehm / Und nicht verwu¨rfflich werden: Nach Gott soll sie mir lieber seyn / Als alles / was zu lieben / Will in mein Hertz sie schliessen ein / Und dann den Riegel schieben. Hernach will ich mein Liebs=Pitschier Darauff so krfftig trucken / Daß es kein Mensch wird ko¨nnen mir / Sie selbst auch nicht / verrucken: Wer es wird wo¨llen reissen weck / Der wird mit Ernst erfahren / Was zwischen zweyen Hertzen steck / Die fest vereinigt waren. Wann sie dann mich / wie ein Sigill / Auch auff jhr Hertz wird legen / Muß diser / der uns trennen will / Zuvor die Berg bewegen: Obschon auch Atlas / wie man sagt / Den Himmel hat getragen / Wurd er / allda vil zu verzagt / Es niemahl drffen wagen.619

In den Versen Greiffenbergs lsst sich die Herzensversiegelung ebenfalls als ein erotischer Akt interpretieren,620 auch wenn sie in diesem 617 618

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Ebd. S. 299. Kathleen Foley-Beining weist darauf hin, dass Hld 8,6 auch Greiffenbergs Siegelmetaphorik zugrunde liege, vgl. Foley-Beining, 1997, S. 112–133, S. 124. Laurentius von Schnu¨ffis, 1692, S. 306–307 (»Clorus verlangt mit dem Hertzen der Mutter Gottes vereinigt zu seyn«). Wollte man einem Ansatz von Thomas Althaus folgen, so ko¨nnte man den inhalt-

302 Fall durch Christus und nicht durch ein der Gottesmutter liebend zugewandtes menschliches Ich vorgenommen werden soll. In dieser Deutung hat man den Aufdruck des Siegels auf das Herz gewissermaßen als Steigerung der versiegelnden Lippenberu¨hrung zu sehen. Wo das Ich darum bittet, dass das Herz Christi sein Herz versiegeln mo¨ge, erhofft es eine deutlich tiefer gehende Einwirkung des Gottessohns als dort, wo es die Versiegelung seines Mundes erfleht. Dass das zugleich leibliche wie auch seelische Zentralorgan des Menschen621 durch das siegelartig aufgesetzte Herz Jesu eine erhebliche Umprgung erfahren, dass es sich sowohl in seiner Binnenstruktur als auch in seinen Außengrenzen dramatisch verndern wu¨rde, wird zwar im zweiten Vers des Gedichts nicht explizit thematisiert. Doch lsst sich an anderen Gedichtpassagen, so etwa an den nachfolgend nochmals zitierten Versen 8–12, ein Eindruck davon gewinnen, welch radikale Umstrukturierungen sich das Ich vom Siegelinstrument Christus erhofft: Es werd mein gantzes Jch ein rechtes Bild von dir / Mein Leib von deinem Leib / Gestalt und Bildung mehre / Mein Sinn / von deinem Sinn / sich formen lasse hier / Mein Wille gantz und gar nach deinem sich beqveme / Ein jedes Aederlein sich fu¨g in deine Gier.622

In den Versen 9–12 zhlt der Sprecher die erhofften Einzelvernderungen auf, die alle zusammengenommen zur vo¨lligen Angleichung des »gantze[n] Ich« (Vers 8) an die Vorlage des Siegelinstruments fu¨hren wu¨rden. Die physische und die psychische Komponente der menschlichen Siegelmasse werden dabei getrennt betrachtet. Vers 9 wendet sich ganz der ersehnten Vernderung des Leibes unter dem Einfluss des go¨ttlichen Siegels zu, whrend im parallel gebauten Vers 10 die bereits in Vers 2 artikulierte Bitte um die Sinnesversiegelung wieder aufgegriffen wird. Mit dem Ausdruck ›Sinn‹ referiert dieser Vers auf einen von aller Leiblichkeit abgehobenen, rein geistig-seelischen Bestandteil des Menschen,623 fu¨r den man in der philosophisch-lateini-

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lich erotisch ausdeutbaren Text Greiffenbergs zustzlich nach ›spracherotischen‹ Mechanismen durchsuchen (vgl. Althaus, 1995, S. 779–784). Da dies vom Thema der vorliegenden Studie wegfu¨hrt, soll hier jedoch darauf verzichtet werden. Dohm spricht im Zusammenhang mit Greiffenbergs Abendmahlsdichtung vom Herzen als »reale[m] Verbindungsorgan zwischen dem menschlichen Leib und der Seele« (Dohm, 2000, S. 111). Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 933 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten« – (»Ach dru¨cke dich in mich / du Himmel=festes Siegel«)). Zum Gegensatz zwischen Leib und Sinn vgl. etwa Anon.: Sinn (Art.). In: Grimm, Bd. 16, 1905/1984, Sp. 1103–1152, hier Sp. 1105. In der Rubrik »mit synonymen zusammengestellt« werden dem ›Sinn‹ weitreichende Bedeutungsu¨berschneidungen mit der Seele, dem Mut, dem Gemu¨t, dem Gewissen, dem Geist und dem Herzen zugeschrieben, vgl. ebd. Sp. 1105–1106.

303 schen Terminologie in erster Nherung etwa den Begriff animus624 einsetzen ko¨nnte. Der Sinn bezeichnet unter anderem die »geistig-seelische veranlagung«,625 »das organ und de[n] sitz alles strebens, wollens, verlangens«,626 den »sitz des gefu¨hls, der stimmungen«627 und – »am hufigsten« – »die geistige, intellectuelle, verstandesmszige seite des menschen«,628 also die »cogitatio«629 bzw. den intellectus. Gerade die letztgenannte lateinische ›Hilfsu¨bersetzung‹ erscheint fu¨r die hier zu diskutierende Textstelle besonders angemessen, weil im nachfolgenden elften Vers die ›Zwillingsschwester‹ des Intellekts, die voluntas, erwhnt wird (vgl. dazu Abschnitt 2.3). Sollen hier der Sinn des Menschen vom Sinn Christi und der Wille vom Willen des Gottessohns geformt werden, so kann man sich dies auf der Ebene der Siegelmetaphorik offenbar so vorstellen, dass der geistig-seelische Teil des Siegels Christus auf einem geistig-seelischen Teil der Siegelmasse zu liegen kommt und diesen vollstndig umgestaltet. Im zuletzt untersuchten Abschnitt erbittet der Sprecher eindrucksvoll eine parallele physische und psychische Umstrukturierung. Diesen Wunsch nach gleichzeitiger seelischer und ko¨rperlicher Umgestaltung kann man auch in jenen Passagen des Gedichts voraussetzen, in denen nicht explizit davon die Rede ist. Man kann, mit anderen Worten, annehmen, dass alle vom Ich entworfenen Siegel-Wirkungen, deren genauer Ort ungenannt bleibt, nicht allein den Leib, sondern auch die dreidimensionale Sinn- bzw. Seelenmasse betreffen sollen. Unter dieser Prmisse ist fu¨r die Frage, wie man sich denn nun die vom Sprecher erbetenen Umformungen des Seelengebildes konkret vorzustellen habe, auch der folgende Gedichtabschnitt aufschlussreich: Die tieff begrabnen Ritz / in mir sich hoch erheben / Die ausgeholten Stich / sich sondern recht in mir / Die hohen Gnaden sich in tieffstem Danck begeben […].630

In den hier noch einmal zitierten Versen 5–8 wird, wie im oben untersuchten Gewittergedicht, die erhoffte rumliche Umgestaltung des Menschen vorwiegend als vertikale Umstrukturierung dargestellt. Antizipiert wird eine wechselseitige Verkehrung von Tiefe und Ho¨he, die 624 625 626 627 628 629

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Vgl. ebd. Sp. 1103. Ebd. Sp. 1106. Ebd. Sp. 1107. Ebd. Sp. 1117. Ebd. Sp. 1119. ¨ bersetzungen im Eintrag Sinn in Steinbach, 1734/1973, So lautet eine der U S. 609. Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 933 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten« – (»Ach dru¨cke dich in mich / du Himmel=festes Siegel«)).

304 sich mo¨glicherweise auf zwei ganz verschiedenen Ebenen abspielt. Zunchst mu¨sste ein in die leibseelische Siegelmasse eingebildeter Siegelabdruck notwendig die Umkehrung631 (das ›Negativ‹) der Reliefvorlage auf dem Siegelinstrument darstellen. Was in das Letztere als Vertiefung eingeritzt wre, erschiene auf dem Abdruck als Erhebung. Die erhabenen Stellen auf dem go¨ttlichen Siegelinstrument gru¨ben sich dagegen tief ein, da der »Ho¨he des Wunders« auf der Seite Gottes die »Selbsterniedrigung« auf der Seite des Subjekts632 entsprechen muss. Daru¨ber hinaus ko¨nnte die in den drei Versen entworfene Verkehrung von Ho¨he und Tiefe jedoch auch noch auf andere Weise verstanden werden. Es wre ohne weiteres denkbar, dass sich bei der Neustrukturierung der Siegelmasse die untersten (d. h. etwa die demu¨tigsten und gottesfu¨rchtigsten oder die verborgensten und intimsten) Anteile derselben nach oben kehrten, whrend sich andererseits das Hohe bzw. Hoffrtige angesichts der ungleich ho¨heren go¨ttlichen Gnade in Demut und »tieffste[n] Danck« zu verwandeln htte.633 Als Vorbild einer solchen Vorstellung ko¨nnte etwa die visionre Landschaftsmetaphorik von Jes 40,4 dienen: Alle Tal sollen erho¨het werden / vnd alle Berge vnd Hu¨gel sollen genidriget werden / Vnd was vngleich ist / sol eben / vnd was ho¨ckericht ist / sol schlecht werden.634

Dass durch eine an diesem Bibelvers orientierte Umgestaltung der psychophysischen Siegelmasse das dreidimensionale Seelengebilde wenigstens in formaler Hinsicht vollstndig diachron pluralisiert wu¨rde, bedarf keiner weiteren Erluterungen. Doch selbst dann, wenn die vom go¨ttlichen Siegelabdruck geformten Erhebungen und Senken nicht systematisch an die Stelle ihres Gegenteils trten, wu¨rde sich durch die Versiegelung der Charakter der dreidimensionalen leibseelischen Siegelmasse radikal verndern. Wo sich in der inneren Landschaft auf einmal ganz neue Erhebungen aufwo¨lbten, wo sich an anderen Stellen 631

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¨ berlegungen Paul Ricœurs Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die U zur Verbindung von Vergebung und Umkehr, vgl. Ricœur, 1971, S. 92–96. Neben den hier betrachteten Versen sind, wie Lehel Sata fu¨r die erste ›Passionsbetrachtung‹ Greiffenbergs gezeigt hat, auch andere Passagen dieses Erbauungstextes vom »facettenreich variierte[n] Leitmotiv der […] ›Umkehrung‹« (Sata, 2006, S. 14) geprgt. Benthien, 2005, S. 135. Der Gedanke, dass bei der Aufnahme Gottes in das Herz und in das eigene Leben aus Tiefem Hohes und aus Hohem Tiefes gemacht werden muss, findet sich auch in der fu¨nften und sechsten Strophe eines Lieds von Dach (Dach, Bd. 4, 1938, S. 247 (141 – (»GOTT, welchen der Propheten Mund«)). Dort allerdings ist es der Mensch selbst, der seine biographischen und psychischen Tiefen erho¨hen und seine inneren »Ho¨cker oder Hu¨gel« abschleifen muss.

305 bislang nicht vorhandene Senken in sie einprgten, wu¨rde es beim Vergleich dieses neustrukturierten, neuversiegelten Gebildes mit seinem fru¨heren Zustand schwerfallen, von seiner diachronen Identitt auszugehen. Wenigstens eine Konstante ko¨nnte fu¨r eine mit neuen Bergen und Tlern versehene innerseelische Landschaft allerdings noch geltend gemacht werden: ihr Stoff.635 Die Versiegelung des Menschen durch Christus ist zwar notwendig mit ausdehnungsbezogenen und binnenstrukturellen Vernderungen des dreidimensionalen Seelengebildes (d. h. des psychischen Anteils der gesamtmenschlichen Siegelmasse) verbunden. Eine Ab- oder Zunahme oder gar eine qualitative Vernderung des Seelenstoffs wird jedoch in diesem Bild nicht suggeriert. Allerdings wird an einer anderen Stelle von Greiffenbergs Gedicht, nmlich in den Versen 13–16, deutlich, dass auch die stoffliche Kontinuitt der Seele im Falle eines Eingriffs Jesu nicht mehr vollstndig gewhrleistet wre. In dieser Textpassage wird ein weiteres, außerhalb der Siegelmetaphorik liegendes Bild fu¨r die Umstrukturierung des Menschen durch Christus eingefu¨hrt: Das u¨brig wisch man weg / wie bruchig in dem Giessen / Nur was in dir ist bleib / und heisse mein in mir / Jch will von keiner Lust / von keinem Willen wissen / Als nur der deinem gleich / und der von dir herru¨hr […].636

Whrend das Versiegeln einen (mehr oder weniger radikalen) Prgevorgang darstellt, ist hier von einem vo¨llig anderen Umgestaltungsverfahren, einem Gussvorgang, die Rede, in welchem Christus die Gussform bildet. Da in der Bildgestaltung des vorliegenden Gedichts beide Verformungstechniken ineinander u¨berzugehen scheinen, ko¨nnte man leicht vergessen, dass zwischen ihnen bedeutende, im Folgenden kurz zu skizzierende Unterschiede bestehen: 1. Eine entscheidende Differenz zwischen den beiden Prozeduren liegt im jeweils durch sie ermo¨glichten Ausmaß rumlicher Vernderung. Die dreidimensionalen Spuren, welche durch die Einprgung eines Siegels oder Stempels in ein formbares Material entstehen, verndern die Gestalt des Letzteren hauptschlich von einer Seite her. Dagegen umschließt beim Gussvorgang die Form die Gussmasse

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Biblia, Bd. 2, 1974, S. 1228. hnlich argumentiert Jan-Steffen Mohr in Bezug auf die Prgemetaphorik im Cherubinischen Wandersmann, vgl. Mohr, 2007, S. 144. Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 933 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten« – (»Ach dru¨cke dich in mich / du Himmel=festes Siegel«)).

306 ganz und kann sie so von allen Seiten her, also noch intensiver, umgestalten. 2. Ein weiterer wesentlicher Unterschied betrifft den Verlauf der Umstrukturierungen. Beim Aufdru¨cken eines Siegels erfolgen die Destruktion der bisherigen und die Konstruktion der neuen Form in einem gemeinsamen Schritt, so dass sie nicht voneinander zu trennen sind. Beim Umgießen lsst sich hingegen ein Zwischenzustand der Verflu¨ssigung und damit der vollstndigen Auflo¨sung aller bisherigen festen Strukturen nachweisen.637 Kein Bestandteil der alten Ordnung bleibt dabei erhalten. Obwohl diese beiden Differenzen zwischen dem Prge- und dem Gießvorgang den Letzteren als noch ungleich radikaleren Umgestaltungsprozess ausweisen, kann man prinzipiell auch beim Gießen in allen strukturellen Wandlungen noch eine diachrone Identitt des Stoffs vo¨ bergang von der festen zur raussetzen (sofern man nicht schon den U ¨ ¨ flussigen und von der flussigen zur festen Form als einen Eingriff in die Materialitt der Gussmasse bewerten mo¨chte).638 Zumindest in Greiffenbergs Versen wird indes – wie oben angedeutet – auch eine konkrete stoffliche Vernderung beim Gussvorgang entworfen. Nach dem Wunsch des Ich soll Christus die Gussmaterie nicht nur in ihrer ußeren Form von Grund auf neu definieren, sondern sie zustzlich auch noch einem reduktiven Prozess unterziehen (vgl. die Verse 13–14). Was sich von der vollstndig verflu¨ssigten Masse nicht in die Gussform Christus einfu¨gen lsst, soll als ›u¨berflu¨ssig‹ entfernt werden. Erst dann soll es zu einer Verschmelzung jener psychophysischen Komponenten kommen, die fu¨r den eigentlichen Gussvorgang ausgewhlt sind. Das am Ende der Form zu entnehmende Gussprodukt kann unter diesen Umstnden von seiner stofflichen Zusammensetzung her nicht mehr als wesensgleich mit dem Ausgangsobjekt bezeichnet werden.639 637

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Vgl. dazu auch die nachfolgend zitierten Verse 1–3 aus einem Sonett in der neunten Betrachtung des Allerheiligst- und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, in welchem das Blut Christi als die fu¨r den Gießvorgang notwendige Flamme fungiert und das Herz Jesu als Gussform erscheint (Greiffenberg, Bd. 10, 1683/1983, S. 565–566): O Blut / voll glut und gut / zerschmelzte Lieb im Leiden! zerschmelze mir mein Herz und bring es auch in fluß / daß es in deines fließ / durch milden trnen=guß. Dass zumindest im Mittelalter die Metallschmelze als qualitative Umgestaltung des Materials verstanden wird, geht aus der Tatsache hervor, dass Bilder des Einschmelzens von Metallen in mittelalterlichen Texten zur Darstellung der Luterung eines Menschen verwendet werden, vgl. dazu Schumacher, 1996, S. 40, S. 432. Wenn nach Ansicht Dohms schon der in einem anderen Abendmahlsgedicht Greiffenbergs thematisierte Vorgang des Backens im Herzensofen auf einen alchemistischen Transformationsprozess hindeutet (vgl. Dohm, 2000, S. 101–102),

307 Dass sich analog zur Siegel-Bildlichkeit auch die Gussmetapher nicht nur auf den Leib, sondern auch, ja sogar in besonderem Maße auf die Seele bezieht, wird vor allem an Vers 15 deutlich. Nicht ußere Organe, sondern die Regungen der anima sensitiva (»Lust«) bzw. rationalis ¨ bereinstim(»Willen«) gilt es durch den Gussvorgang mit Christus in U mung zu bringen oder sie, wo sie sich nicht in die Gussform ›einpassen‹ wollen, gnzlich ›wegzuwischen‹. Fu¨r die Gussmasse erscheint der in den Versen 13–16 entworfene Prozess ihrer Reduktion gerade deshalb besonders identittsgefhrend, weil sie durch die in ihr enthaltenen verschiedenen Lu¨ste und Willensregungen als heterogenes Gebilde er¨ berflu¨ssigen wu¨rde sie so nicht scheint. Durch das Wegwischen des U nur quantitativ, sondern auch qualitativ verndert. Wer den Gussvorgang durchfu¨hren soll, erscheint aufgrund des unperso¨nlichen »man« in Vers 13 nicht ganz eindeutig.640 Der Gebetston des Gedichts lsst jedoch darauf schließen, dass auch diese Aufgabe letztlich Christus anheimgestellt wird, so dass ihm hier gleichsam eine Doppelrolle zugewiesen wird. Er soll nicht nur als Seelen-Gussform, sondern auch als Metallurg bzw. Alchemist fungieren, der den Vorgang des Umgießens ¨ berflu¨ssigen u¨berwacht. und die Entfernung des U Wie in vielen der in Abschnitt 3.5 untersuchten Gedichte erscheint auch in diesem Fall das Endziel der gro¨ßeren Gottesnhe, die in diesem Text als gro¨ßere Anhnlichung an Christus entworfen wird, den Preis voru¨bergehender leiblicher und seelischer Destabilisierungen wert. Schließlich kann dadurch der Seelenraum zugleich in den Zustand gottgewollter Ordnung und damit gro¨ßerer Stabilitt u¨berfu¨hrt werden. Dies zeigt sich nicht nur in der zuletzt untersuchten Gedichtpassage, sondern besonders deutlich auch in den unmittelbar an sie anschließenden Versen 17–28:

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Ach! mach mich durch dein Blut zur sigilirten Erden! Daß eher ich zerbrech als aufho¨r sie zu seyn. Laß eher mich mein GOtt zu Staub und Aschen werden / Als leben sonder dich / dein Bildnus prgen ein / Daß du in mich gedru¨ckt. Mein Hertz das Capsel breche / Bleibt nur dein Siegel gantz / dein lieber Leib und Blut. Der Tod durch tausend Pfeil / das Leben mir absteche Wann meinem Siegel nur im Hertzen er nichts thut /

so erscheint es nicht abwegig, auch den hier beschriebenen Gussvorgang als alchemistische transformatio zu interpretieren. In seiner Untersuchung zur »Liebesalchimie der Abendmahlspoesie« Greiffenbergs (Dohm, 2000, S. 86–129) sieht Dohm das Ich in der Rolle eines Alchemisten, der eine »Selbsttransformation«, eine »Verwandlung in Christus« anstrebt (ebd. S. 104, hnlich auch S. 118–119, S. 84). Eine solche Eigenmchtigkeit des Ich ist aber aus dem unperso¨nlichen Subjekt »man« schwerlich abzuleiten.

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Dem Leben / das du bist / kan er ja nichts angwinnen / Auch mir nicht / weil mit dir ich bin ein einigs Ein / Es mag die gantze Erd der Himmel auch verbrinnen / Jch bin in GOtt / und GOtt wird bleiben gantz allein […].641

Soll im 17. Vers das psychophysische Gesamtgebilde durch die Aufnahme des Bluts Christi zur Siegelerde, d. h. zu einem (wiederum dreidimensionalen) Ton-»Ku¨chlein« werden, das mit einem Siegelabdruck versehen ist,642 so ließe sich dies zunchst als eine relativ unproblematische Wiederaufnahme der Siegelmetaphorik interpretieren. Das Blut Christi kann zwar nicht selbst als Siegel fungieren, doch ko¨nnte es etwa an die Stelle des geschmolzenen Siegelwachses treten und sich so ohne Schwierigkeiten in den Gesamtkontext der Prgebildlichkeit und der Identifikation Christi mit einem Siegel(-instrument) einfu¨gen. Gegen eine solche Deutung spricht allerdings, dass das Gedicht im Kontext von Abendmahlsreflexionen steht und dass nach Greiffenbergs Vorstellung im Abendmahl eine »Durchdringung des ganzen Mensch mit Gott«643 stattfindet, indem »Leib und Blut« (Vers 22) vom Glubigen inkorporiert werden. Vor diesem Hintergrund gewinnt man den Eindruck, dass der 17. Vers die fru¨here Siegelmetaphorik nicht nur aufgreift, sondern sie – hnlich wie die Verse 13–16 – zugleich auch durch das Bild eines deutlich radikaleren Umgestaltungsprozesses transzendiert. Trte Christus nur als das Siegelinstrument auf und fungierte sein Blut hier nur als Siegelwachs, so wre damit keine Verschmelzung des Gottessohns mit der Leibes- und Seelenmasse des Sprechers, keine mystische »Durchdringung«, wie sie sich im Abendmahl ereignen soll, mo¨glich: Christus ko¨nnte den durch sein Blut versiegelten Gegenstand nicht mit seiner eigenen Stofflichkeit durchsetzen. Plausibler erschiene es daher, Christus hier erneut als einen Alchemisten wahrzunehmen, von dem in diesem Fall statt der Entfernung widerstndiger Seelenbestandteile eine vollstndige, leibseelische Verwandlung644 durch die Zugabe seiner wunderttigen Ko¨rperflu¨ssigkeit erbeten wird. Aber auch diese Deutung erfasste wohl noch nicht hinreichend die mystische Nhe des Glubigen zu Christus beim Empfang des Abendmahls.

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Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 933–934 (12. Betrachtung, »Abendmahls=Andachten« – (»Ach dru¨cke dich in mich / du Himmel=festes Siegel«)). Anon: Siegelerde (Art.). In: Zedler, Bd. 37, 1743/1996, Sp. 1074–1076, hier Sp. 1074. Die terra sigillata wurde in der fru¨hen Neuzeit vor allem zu medizinischen Zwecken verwendet. Dohm, 2000, S. 113. Zur »Verwandlungskraft des Abendmahlsblutes Christi« bei Greiffenberg vgl. ebd. S. 118.

309 In den Versen 17–20 stellt das Ich die erhoffte Verbindung mit bzw. das Durchdrungensein von Christus u¨ber die Integritt der (leibseelischen) Gesamtperson.645 Derselbe Gedanke wird ab Vers 21 noch einmal fu¨r das Herz formuliert, d. h. auch dessen Kohrenz und Existenz werden der unio an Bedeutung untergeordnet. Gegebenenfalls, so beteuert der Sprecher, wu¨rde er sein Herz ohne Zo¨gern fu¨r die Vereinigung mit Christus opfern und sich dadurch zugleich mit seinem eigenen Ableben einverstanden erklren. In diesem Zusammenhang erscheint das Herz vor allem als physisches Organ, als Vitalittsgarant, dessen Brechen mit dem Tod (des Leibes) einhergeht. In den Versen 23–25 wird deutlich, dass das mit Gott vereinigte Ich den Integrittsverlust, den es in den vorangehenden Versen im Großen wie im Kleinen entworfen hat, letztlich gar nicht zu fu¨rchten braucht, wenn es sich nur des go¨ttlichen Siegels im Herzen sicher ist. Anders als in Vers 21 muss das Herz in Vers 24 nicht primr als leibliches, sondern auch, ja im Grunde sogar vorrangig als seelisches Gebilde wahrgenommen werden. Wre es hier nur fleischliches Organ und nicht auch bzw. vor allem eine psychische Gro¨ße, dann wre die Erhaltung des Siegels in seinem Innern u¨ber den Tod hinaus wenig sinnvoll. Aber nicht nur das Herz, sondern auch das sprechende Ich scheint in den letzten Versen des Gedichts deutlich mehr mit seinen psychischen Anteilen als mit seiner physis identifiziert. Schließlich malt es sich aus, welche Existenz es nach dem vorangehend entworfenen leiblichen Tod erwarten wird. Offensichtlich betrachtet es sich in diesem zuku¨nftigen Zustand als in ho¨chstem Maße stabiles Gebilde, dessen weiterer Fortbestand durch die Ewigkeit Gottes garantiert ist. Bisher wurde das Siegelinstrument wesentlich als ein von außen auf den Leib und die Seele wirkendes Werkzeug und die durch dieses Gert ausgelo¨ste Leibes- und SeelenVerwandlung als exogener Prozess verstanden. Bei der Interpretation der Verse 24 und 25 ließe sich allerdings ein Gegenbild zu dieser Vorstellung entwerfen. Dank der bereits oben erwhnten Ambivalenz des Siegelbegriffs muss in Betracht gezogen werden, dass sich in der hier entworfenen Vision eines umgestalteten Menschen nicht nur der Siegelabdruck im Herzen befindet, sondern auch das Siegelinstrument selbst zur Gnze darin zu lokalisieren ist. Aber auch dann, wenn man nur von einer Prsenz des Siegelbilds im Herzens- bzw. Seelen645

Außerdem mag, folgt man der Interpretation von Barbara Thums, Vers 20 eine weitere Dimension der Prgemetaphorik ins Spiel bringen: Fu¨r Thums rechtfertigt gerade das darin verwendete Verb ›einprgen‹ die Annahme, dass »in der Bildlichkeit des Siegels eine der zentralen Gedchtnismetaphern zitiert wird, nmlich die platonische Vorstellung von der Wachstafel der Seele« (Thums, 2000, S. 266).

310 raum ausgeht, ist der mit dem Siegel und mit dem Siegelbild gleichermaßen zu identifizierende Gottessohn hier im innersten Raum, im Perso¨nlichkeitskern des Menschen prsent. Auch in diesem Fall entfaltet er von dort her – und nicht mehr nur von außen – seine selbst im Angesicht des leiblichen Todes seelenstabilisierende Wirkung. Die zu¨ berlegungen machen es wenigstens in Anstzen letzt angefu¨hrten U mo¨glich, die Siegelmetaphorik sinnvoll mit dem von Greiffenberg als Akt der unio gedeuteten Abendmahlsempfang in Verbindung zu bringen. Allerdings macht selbst ein im Herzen vorliegendes go¨ttliches Siegelinstrument bzw. Siegelbild streng genommen aus Christus und der Seele bzw. dem leibseelischen Gesamt-Ich noch kein »einigs Ein« (Vers 26), sondern bringt sie nur in eine Kern-Hu¨lle-Relation zueinander. Sptestens in den Versen 27 und 28 fu¨hlt man sich an die in Abschnitt 3.5 untersuchten Flle der go¨ttlichen Inbesitznahme des Herzens- bzw. Seelenhauses, besonders an die in Dachs Gedicht entworfene apokalyptische Situation erinnert: Auch in Greiffenbergs Text mu¨ssen nach der Vereinigung mit Gott alle ußeren Turbulenzen den seelischen Innenraum unzersto¨rt lassen. Whrend sich jedoch in Dachs Versen der vom Ich ersehnte Endzustand eindeutig der intrapsychischen Verortung Christi verdankt, erscheint die in Greiffenbergs Gedicht antizipierte Situation deutlich komplexer. Zwar lsst sich das Siegel Christus im Herzen verorten und damit gewissermaßen als Herzensbewohner betrachten. Zugleich aber wird in Vers 28 der trinitarische Gott zur schu¨tzenden ußeren Ummauerung des Sprechers (und damit auch seines Herzens- und Seelenraums). Hier wird die Leitmetaphorik des Prgens ein weiteres Mal gesprengt: Erneut bleibt sie hinter der Radikalitt des geschilderten mystischen Transformationsprozesses zuru¨ck. Zusammenfassend lsst sich festhalten, dass die in Greiffenbergs Gedicht entworfene Heilsvision mehrere Teilschritte umfasst. Anfnglich wirkt Christus von einer externen Position aus auf die Seele bzw. das leibseelische Gesamt-Ich ein. Die Prgemetaphorik impliziert dabei auf den ersten Blick noch eine stoffliche Kontinuitt des Seelischen. Im Laufe des imaginierten Erlo¨sungsprozesses dringt die go¨ttliche Instanz dann jedoch immer tiefer in den Perso¨nlichkeitskern des Sprechers vor und unterwirft ihn immer drastischeren formbezogenen und schließlich auch qualitativen Umgestaltungsmaßnahmen. Am Ende tritt Gott zugleich als innerster Kern wie auch als ußerste Hu¨lle des Ich auf, d. h. der Sprecher ist vollstndig mit ihm verschmolzen. Wie in vielen der vorangehend untersuchten Gedichte so wird auch hier fu¨r die erhoffte unio mystica und die dadurch bewirkte dauerhafte Stabilisierung eine diachrone Pluralisierung des Seelischen in Kauf genommen.

311 Die Bildlichkeit, mit der das Siegelgedicht die Verwandlung der Seele durch von außen kommende go¨ttliche Krfte entwirft, legt zwar eine erhebliche psychische Inkohrenz nahe, welche die seelische Pluralisierung im zuvor untersuchten Gewittergedicht noch geradezu moderat erscheinen lsst, doch ist auch sie an Drastik durchaus noch zu u¨berbieten. Dies lsst sich besonders gut an Czepkos 1640 verfasstem Epicedium Auff deß Wolgebohrnen Herren Hans-Georg Czigan […] in Gott seeligen Abschied zeigen, in dem, wie in Greiffenbergs Siegelgedicht, die Metapher der mystischen Seelenverflu¨ssigung verwendet wird.646 In diesem Gedicht wird ausfu¨hrlich der Bildungshunger des Verstorbenen behandelt, der kurz vor dem Ende seines Lebens idealtypisch in ein brennendes Verlangen nach geistlicher Lektu¨re und nach einem gottgeflligen Leben mu¨ndet:

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Doch in den letzten Jahren / Da list du sonder Schein / Dein mssigs weise-sein / In irdschen ku¨nsten fahren. Die heilgen Bu¨cher die Der Vter ihre Lehren Die mustest du verho¨ren / An stat der eitlen Mu¨h. Drauff sahe man entbrennen Deß Hertzens Fro¨mmigkeit; Man kont ihr weisses Kleid Wie fast noch hie [sic!] erkennen: Du hast mit deinem Gott Vielmehr geredt / alß Leuthen: Du kontest seelig deuten Dir jedre Qual und Noth. Ach! Weh ich sol nu klagen Weil wir so viel verlohrn / Doch bleibt es unerkohrn / Seh ich auff dein behagen. Du warst nicht in der Welt Mit deinen Himmels-Sinnen: Drumb hat deß Tods beginnen Nicht viel an dir gefelt. Es hatte sich verstiegen In ihm dein freier Geist / Und alß er heim gereist /

Wenn die barocke Lyrik wiederholt auf dieses Bild zuru¨ckgreift, um die Vernderung der Seele durch Gott zu illustrieren, so steht sie damit in einer langen Tradition. Im Deutschen Wo¨rterbuch ist nachzulesen, dass »seit dem spten 13. jh. […] unter dem einflusz mystischer sprachformung, die auch sonst eine vorliebe fu¨r verben der bewegung und insbes. des flieszens zeigt, die neigung« festzustellen sei, »geistiges als flieszendes, als strom zu denken« (Anon.: gieszen (Art.). In: Grimm, Bd. 7, 1949/1984, Sp. 7394–7413, hier Sp. 7396).

312 So bleibt der Co¨rper liegen: 140 Nu saust der Gottheit Meer / Durch deiner Seele wesen / Die ihr das best erlesen / In vollen strudeln her. Itzt wirst du / sonder flehen / 145 Davon dein Drepel schrieb Der allzeit bey dir blieb Die Ewigkeit besehn.647

Im dritten Abschnitt des Epicediums, der mit Vers 129 beginnt und nach den rhetorischen Vorgaben der Zeit der consolatio gewidmet ist,648 wird darauf hingewiesen, dass in der Transzendenz der Wunsch des Verstorbenen nach der Annherung an das Ewige erfu¨llt, dass sein Durst nach der Erkenntnis Gottes gestillt werde. »[S]onder flehen« (Vers 145) gelangt der Abgeleibte im Entwurf des Sprechers zur Schau der Ewigkeit, ja mehr noch: In den hier im Vordergrund stehenden Versen 141–144 wird seine Seele von der »Gottheit Meer« durchtrnkt und durchzogen. Die Strom- und Wassermetaphorik, die in diesen vier Versen im Zentrum steht, lsst sich biblisch-theologisch vielfltig kontextualisieren. Handelt diese kurze Gedichtpassage vom jenseitigen Heil eines Verstorbenen, so mag es hilfreich sein, zunchst nach Wasser- und Flu¨ssigkeitsmotiven an zentralen Stellen der Heilsgeschichte zu fra¨ berblick ko¨nnen hier Peter Hessels Hertzgen.649 Fu¨r einen ersten U fliessende Betrachtungen / Von dem Elbe=Strom (1675) herangezogen werden. Zu Beginn dieses Textes belegt Hessel verschiedene geistliche Flu¨ssigkeiten mit dem Namen des »Geheimnuß=Wasser[s]« und zhlt zu diesen besonderen ›Wasserformen‹ unter anderem das Wasser der »heil. Tauffe«, »Blut un[d] Wasser« aus »Christi Seiten«, den in die Herzen der Menschen wie eine Flu¨ssigkeit einstro¨menden »Heilige[n] Geist«, das heilsame Brunnenwasser des go¨ttlichen Worts und das hochgradig vieldeutige Wasser des »ewige[n] Leben[s]«.650 Die Existenz 647

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Czepko, Bd. II,2, 1997, S. 209–210 [Herv. d. D. C.] (»Auff deß Wolgebohrnen Herren Herren Hans-Georg Czigan […] in Gott seeligen Abschied […]« (»Ich weiß nicht / was ich schreiben«)). Zum traditionellen Aufbau und allgemein zur Gattung des Epicediums vgl. Wiegand, Hermann: Epicedium (Art.). In: Reallexikon, Bd. 1, 1997, S. 454–456. Zur Wasserbildlichkeit in der zeitgeno¨ssischen Erbauungsliteratur und geistlichen Dichtung (vor allem den ›Geburtsbetrachtungen‹ Greiffenbergs) sowie in der Bibel vgl. auch Pumplun, 1995, S. 97–110. Zu diesen sowie weiteren, fu¨r den Kontext von Czepkos Meeres- und Wassermetaphorik weniger interessanten ›Geheimniswasser‹-Arten (etwa dem »Geheimnuß=Wasser oben am Himmel« aus dem ersten Genesis-Kapitel) vgl. Hessel, 1675, S. 4–16. Insgesamt nennt Hessel acht verschiedene Formen des »Geheimnuß=Wasser[s]«.

313 des Letzteren ergibt sich fu¨r Hessel vor allem aus der Verheißung des »lebendigen Wassers« in Joh 4,7–15,651 da er diese Flu¨ssigkeit vor allem mit der jenseitigen Glu¨ckseligkeit der Verstorbenen in Verbindung bringt. In seine Exegese des »lebendigen Wassers« im vierten Kapitel des Johannesevangeliums bezieht Hessel die Strom-Metaphorik von Ps 36,9 – »Sie [d. h. die »menschen Kinder vnter dem schatten deiner Flu¨gel«, M. D.] werden truncken von den reichen Gu¨tern deines Hauses / Vnd du trenckest sie mit wollust / als mit einem strom«652 – mit ein.653 In der Verbildlichung der von Gott gewhrten Seligkeit durch Wassermetaphern stehen beide Bibelstellen den Versen Czepkos motivisch nahe.654 Gerade die Frage, in welcher Form Czepko das Bild des lebendigen Wassers in seinem Epicedium rezipiert und welche Bedeutung dieses Bild fu¨r die Stabilitt des Seelenraums hat, wird an spterer Stelle des vorliegenden Abschnitts noch ausfu¨hrlich zu ero¨rtern sein. ¨ ber die bisher genannten biblischen Wassermotive hinaus ist fu¨r U Czepkos Metapher von »der Gottheit Meer« die Bildlichkeit von Sir 24 von Interesse, in welcher die go¨ttliche Weisheit gleich mehrfach mit dem Meer und mit anderen Gewssern assoziiert wird (bzw. sich selbst mit diesen in Verbindung bringt).655 Um zu zeigen, dass Czepko die hier nur exemplarisch angedeutete christlich-biblische Bedeutungsvielfalt der Flu¨ssigkeits- und Wassermetaphorik keineswegs unvertraut ist, sei an dieser Stelle ein Ausschnitt (Strophen 1 und 2) aus der II. Klingel von Czepkos Monodisticha angefu¨hrt.656 In diesem werden gleich mehrere religio¨s-theologische Implikationen des Wassers fassbar: 651

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Noch einmal aufgegriffen wird das Motiv des lebendigen Wassers in Joh 7,38 sowie in Offb 22,1. Biblia, Bd. 2, S. 996. Diesen Psalmvers verarbeitet etwa auch Schottelius in Strophe 24 seiner Sonderbaren Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit (1673). Auch dort steht er im Zusammenhang mit der Vereinigung der menschlichen Seele mit Gott (Schottelius, 1673, S. 106): SO die lieb=vertraute Seel / die in Gottes Licht versunken / Von dem go¨ttlich=su¨ssen Strom aller Wollust worden trunken / Wird in alle Ewigkeit kein Gewalt noch Enderung / Halten im geringsten ab von der Gottes=Wandelung. Abschatz (»Himmels=Schlu¨ssel« – (»Der alte Teutsche trug die Kinder an den Rhein«)) bringt den »Strom der ewigen Wollust« mit dem »Bach« bzw. der »Quelle« der Taufe in Verbindung (Abschatz, 1704/1970, S. 15). Vgl. Hessel, 1675, S. 10–11. Auch andere alttestamentliche Bibelstellen beschreiben die dem Menschen gespendeten go¨ttlichen Wohltaten durch Wassermetaphern, vgl. etwa Ps 46,5 und 65,10; Jer 2,13; Jes 12,3 und 55,1. Vgl. hnlich auch Spr 18,4 (Biblia, Bd. 2, 1974, S. 1117): »Die wort in eines munde sind wie tieffe Wasser / Vnd die quelle der Weisheit ist ein voller strom.« Vgl. zu diesem Gedicht auch Mohr, 2007, S. 91–93.

314 Du must, wilt du den Grund beschaun, Daraus die WEISEN LEHREN fliessen, Des LEBENS WASSER in dich schliessen, Und unserm MITTLER gantz vertraun. Es wird, wirst du mit mir drauf baun, Sich in dir dein Verstand ergiessen, ¨ ME werden schiessen, Ja LEBENSSTRO Und WEISRE LEHREN auf uns thaun.657

In den hier zitierten Versen begegnet dem Leser Wasser in den unterschiedlichsten Formen. Es ist go¨ttlicher Quell-»Grund« der Weisheit und damit Ausgangspunkt einer bestndigen Emanation allen Wissens. Es erscheint – und hier wre etwa an Joh 7,38 zu denken – als rasch und lebendig dahinfließender Strom und wird den Menschen als herabregnender Himmelstau zuteil. Dieses letzte Bild ist wohl vor allem durch die Worte von 5. Mose 32,2 inspiriert, mit denen Moses der zuho¨renden Gemeinde seine in Liedform gestaltete Belehrung anku¨ndigt: »Meine Lere trieffe wie der Regen / Vnd meine Rede fliesse wie Thaw. Wie der Regen auff das gras / vnd wie die tropffen auf das kraut«.658 Whrend es in diesem Bibelvers allerdings einen menschlichen Vermittler des go¨ttlichen Wortes gibt, erreichen die go¨ttlichen Lehren den Menschen bei Czepko durch »unser[n] MITTLER«, d. h. ¨ bersicht zu den verschiededurch den Gottessohn.659 Wie in Hessels U nen Formen des »Geheimnuß=Wasser[s]« erscheint das Wasser hier als Wort- und Lebens-Wasser und es wird wie in der oben genannten Sirach-Stelle mit der go¨ttlichen Weisheit assoziiert. Daru¨ber hinaus aber mag dieser Textausschnitt sogar noch auf eine weitere Dimension der fru¨hneuzeitlichen Wassermetaphorik, auf das heidnisch-antike Bild einer (Inspirations-)Quelle (kastalischer Quell, Hippokrene), anspielen.660 Zur Wassermetaphorik von Czepkos Epicedium weisen die zuletzt untersuchen Verse beachtliche Parallelen auf: Hier wie dort erscheint das go¨ttliche Wasser aufs Engste mit dem Bereich des Geistig-Seelischen verbunden. In beiden Fllen wird die transzendente Flu¨ssigkeit in eine rumliche Relation zum Menschen gebracht. Außerdem kommt 657

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Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 567 (»II. Klingel. An Forschenden. Alles Eines in Einem«). Biblia, Bd. 1, 1974, S. 396; vgl. zum Motiv des Himmelstaus etwa auch Jes 45,8. Zum Gottessohn als »Mittler des menschlichen Geschlechtes« vgl. den gleichnamigen Artikel in Zedler, Bd. 21, 1739/1995, Sp. 625–637. Den alttestamentarischen Moses betrachtet der Verfasser des Artikels im Gegensatz dazu als »blosse[n] Dollmetscher zwischen GOtt und denen Jsraeliten« (ebd. S. 625). Darauf, dass auch in der neulateinischen und landessprachlichen Dichtung der Fru¨hen Neuzeit die traditionelle »Musenquelle« noch immer eine Rolle spielt, finden sich mehrfach Hinweise in Blnsdorf/Janik/Schfer, 1993.

315 es sowohl in der II. Klingel als auch im Epicedium zumindest teilweise zu einer Verflu¨ssigung des Psychischen selbst (vgl. fu¨r die II. Klingel Vers II,2). Derartig radikale Konsequenzen fu¨r die diachrone Identitt des Psychischen, wie sie an den hier nochmals zitierten Versen 141–144 des Epicediums aufzuzeigen sein werden, hat die Verflu¨ssigung in der II. Klingel indes nicht. Nu saust der Gottheit Meer / Durch deiner Seele wesen / Die ihr das best erlesen / In vollen strudeln her.661

Gegen die Untersuchung dieser vier Verse im vorliegenden Abschnitt ließen sich auf den ersten Blick gleich zwei Einwnde anfu¨hren. Erstens ko¨nnte man argumentieren, dass hier kein noch im Gange befindlicher Umstrukturierungsprozess, sondern der Zustand einer von Gott bereits umgestalteten Seele beschrieben werde, und zweitens scheint sich Gott in diesem Fall eher in einer intra- denn in einer extrapsychischen Position zu befinden. Gerade der erste Einwand lsst sich relativ leicht entkrften. Auch wenn in diesen Versen offenbar eine schon von Gott umstrukturierte Seele beschrieben wird, sind doch aus dem »[n]u« in der Seele herrschenden Zustand die Vernderungen, die ein ›normal‹-diesseitiger Seelenraum zum Erreichen dieser Beschaffenheit durchlaufen musste, verhltnismßig leicht zu rekonstruieren – und genau dies soll im Folgenden unternommen werden. Bei einer solchen Rekonstruktion hat man davon auszugehen, dass die »[n]u« durch die Seele sausenden go¨ttlichen Wassermassen fru¨her nicht in der Seele prsent waren und sich somit von außen Eingang in dieselbe verschaffen mussten. Der Umstrukturierungsprozess kann also als exogener bezeichnet werden, womit auch der zweite Einwand entkrftet ist. Gegen den ersten Einwand kann außerdem vorgebracht werden, dass fu¨r diese Textstelle die Rede von der »bereits umgestalteten Seele« aufgrund der noch zu untersuchenden Kontinuitt seelenrumlicher Bewegung letztlich irrefu¨hrend ist. Wie in vielen anderen barocken Kasualgedichten und geistlichen Liedern, die explizit von der Befindlichkeit der Seele nach dem Tod handeln, ist die bildliche Darstellung der Psyche auch in den oben zitierten Versen letztlich paradox. Der Zustand einer eigentlich jenseits des irdischen Zeit- und Raumsystems stehenden anima separata wird durch Metaphern beschrieben, die nicht nur im Raum, sondern – indem eine Bewegung dargestellt wird – auch in der Zeit verankert sind. 661

Czepko, Bd. II,2, 1997, S. 210 (»Auff deß Wolgebohrnen Herren Herren HansGeorg Czigan […] in Gott seeligen Abschied […]« (»Ich weiß nicht / was ich schreiben«)).

316 Als bewegtes Gebilde macht der Seelenraum eine diachrone Untersuchung erforderlich, die allerdings vorderhand noch zugunsten eines heuristischen Zwischenschritts zuru¨ckgestellt werden soll. Um die Komplexitt der Verse 141–144 voru¨bergehend zu reduzieren, soll die in Wahrheit dynamische Verbindung zwischen »der Gottheit Meer« und der Seele des Verstorbenen temporr zu einer statischen Relation ›eingefroren‹ werden, so dass zunchst eine synchrone Analyse des Textausschnitts ausreichend ist. Wird der Seelenraum in den oben zitierten Versen ausschließlich u¨ber seinen Inhalt, das Meer der Gottheit, charakterisiert, so bleibt offen, ob er dieses mit dem Todeseintritt als Ganzes oder nur teilweise in sich aufgenommen hat. Im ersten Fall erweist sich diese ›Fu¨llung‹ schon aus rein ausdehnungsbezogenen Gesichtspunkten als individualittsgefhrdend. Wenn der psychische Raum das go¨ttliche Meer in seiner unermesslichen Weite und Tiefe tatschlich ganz in sich fassen kann, muss er als einer der in Abschnitt 3.3.2 behandelten Grenzflle unendlich ausgedehnter Seelenrume betrachtet werden – mit allen sich daraus ergebenden hochproblematischen Konsequenzen: Seine innere Einheit, Kohrenz und eigenstndige Existenz erscheinen in diesem Fall sowohl durch das Fehlen jeglicher Ausdehungsbeschrnkungen als auch durch seine vollstndige Kongruenz mit Gott bedroht. Erreicht hingegen die psychische Ausdehnung die Dimensionen des Gottesmeeres nicht, kann das Seelengefß also nur einen kleinen Teil des go¨ttlichen Ozeans in sich aufnehmen, dann liegt – ganz in der Tradition des mystischen Bildes vom umfangend Umfangenen – dieses unendliche Gewsser nicht nur in der Seele, sondern es umfließt sie zugleich.662 Wenn der Seelenraum vom Meer gleichzeitig durchdrungen und umgeben wird, so entscheidet allein das Fehlen oder das Vorhandensein fester Umrisse noch daru¨ber, ob er in dieser jenseitigen Situation eine klare Kohrenz und Identitt aufweist. Falls nicht starre und unverru¨ckbare Außengrenzen den Meeresanteil in ihm vom Meer um ihn abgrenzen, muss fu¨r ihn unausweichlich gelten, was Jean de Labadie in seinem Traktetlein von der Selbst=Verlugnung (frz. Traite´ du Soi et Des diverses sortes du Soi ou Le Renoncemant a` Soi meme, 1672) von einem »theil Wassers in dem Meer« schreibt: Er ist »nicht sein selbsten« bzw. verfu¨gt u¨ber »kein eigen Selbs«.663 662

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Einen hnlichen Gedanken formuliert Winfried Freund bei seiner Auseinandersetzung mit einem Epigramm Schefflers, in dem Letzterer die Seele als Tropfen im Gottesmeer beschreibt. Freund weist darauf hin, dass man in einer solchen Situation »Gott im Menschen« und zugleich »de[n] Mensch[en] in Gott« aufgehoben zu denken habe (Freund, 2003, S. 56). Labadie, 1672, S. 7. hnlich sind etwa die Exempel, die Schottel in den Strophen

317 Zur Entscheidung, welche der hier entworfenen Varianten des Seelenraums die gro¨ßte Plausibilitt fu¨r sich beanspruchen kann, darf seine Dynamik nicht lnger ausgeblendet werden. Das Bild des durch die Seele rauschenden Wassers deutet am ehesten auf ein von immer neuen Wassermassen durchflossenes Gebilde hin. Diese Vorstellung aber ist, indem hier ein Außenbereich zur Seele angenommen wird, nur mit dem zweiten Seelenraum-Entwurf (partielle Aufnahme des Gottesmeers) zu vereinbaren. Die sich fu¨r ihn ergebende Frage, ob zwischen den seeleninternen und den seelenexternen Anteilen des Gottesmeers eine eindeutige Grenze besteht, kann im Grunde nur verneint werden. Da das Meer in seinem Fließen offensichtlich auf keinerlei Barrieren sto¨ßt, sondern den Seelenraum »in vollen strudeln« (Vers 144) durchstro¨men kann, erscheint das Vorhandensein klarer Abgrenzungen nur schwer vorstellbar. Die Widerstnde, mit denen man zu rechnen htte, wenn das Meer Gottes auf einen fest umgrenzten psychischen Raum trfe, mo¨gen etwa an einem Bild deutlich werden, das Christian Scriver in seinem Seelen=Schatz (1675–1692)664 verwendet: Er charakterisiert das Herz eines diesseitig orientierten Menschen als ein enghalsiges Glas und damit als einen mit starren Außengrenzen versehenen Containerraum, der nur an ausgewhlten Stellen und nur in sehr begrenz¨ ber ihm tem Umfang den Austausch mit der Umwelt ermo¨glicht. U ko¨nnte man nach Ansicht Scrivers »Wasser mit gantzen Eimern« ausschu¨tten, ohne dass es anders als »Tropffen weiß und mhlich« in das Gefßinnere hineingelangte.665 Das hier von Scriver entworfene Seelengebilde ist, wie in den vorangehenden Abschnitten der vorliegenden Studie gezeigt werden konnte, unter den barocken Seelenrumen kein Einzelfall. Die meisten der bisher in barocken Gedichten betrachteten psychischen Rume mu¨ssen als eindeutig abgegrenzte und allenfalls selektiv fu¨r die ›Einflu¨sse‹ der Umwelt geo¨ffnete Gebilde betrachtet werden. Es ist wohl davon auszugehen, dass im Diesseits auch der Seelenraum des Verstorbenen klar umgrenzt war, dass er aber gerade unter der Einwirkung der Wassermassen, die postmortal auf ihn einstu¨rmen, seine Außengrenzen eingebu¨ßt hat. Die These, dass die vier Verse Czepkos von einem postmortal durch das Gottesmeer entgrenzten und damit in seiner Eigenstndigkeit zweifelhaften psychischen Raum handeln, lsst sich durch die Heranziehung eines anderen Ausschnitts aus Czepkos Werken stu¨tzen. In einer

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14–18 seiner Sonderbaren Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit anfu¨hrt, vgl. Schottelius, 1673, S. 98–103. Dieses fru¨hpietistische Werk geho¨rte zu »den erfolgreichsten Erbauungsbu¨cher[n]« des spten 17. Jahrhunderts (Alt, 1995–2, S. 563). Scriver, 1687, S. 419.

318 Passage aus dem 1647 publizierten Versepos Coridon und Phyllis (2. Buch, Strophe 428) heißt es: Nu der Gottheit gantzes Meer Praust durch mein Gemu¨the her, Des Gemu¨thes Ufer brechen: Schaut das Holtz auf GOLGATHA Steht in meinem Hertzen da Mit den fu¨nff gefrbten Bchen.666

Die ersten beiden Verse dieser Strophe weisen eine bemerkenswerte hnlichkeit zu den Versen 141 und 142 aus Czepkos Epicedium auf. Dies lsst es plausibel erscheinen, auch aus dem unmittelbar folgenden Vers der Coridon-Strophe Ru¨ckschlu¨sse auf die Seelenbeschaffenheit in Czepkos poetischem Nachruf zu ziehen. In diesem Vers wird deutlich, dass das – auch hier seelenquivalente – Gemu¨t vor seiner Vereinigung mit Gott feste »Ufer« besitzt. Blieben sie bestehen, so garantierten sie dem Seelenraum in jedem Fall eine eigene Existenz und Identitt, unabhngig vom Eindringen der go¨ttlichen Wassermassen. Das Bild von den Ufern des Gemu¨ts lsst an ein Flussbett denken, das, solange es den einstro¨menden Wassermassen standhalten kann, sich selbst gleichbleibt, auch wenn sich die durchfließenden Fluten stndig erneuern. In ihrer Stabilitt bewahrt die Flussumgrenzung nicht nur ihre eigene Identitt, sondern die Identitt des ganzen Flusses. Hielten wir uns an das im Doppelsinne ›im Fluss‹ befindliche Wasser, so ko¨nnten wir ein bestimmtes Fließgewsser nicht zu verschiedenen Zeiten mit demselben Namen versehen. Allein sein durch das Flussbett vorgezeichneter, konstant bleibender Weg rechtfertigt die gleichbleibende Benennung. Wenn, wie im hier untersuchten Vers, die Uferumgrenzung we¨ bermacht des neu hinzukommenden Wassers bricht, dann gen der U droht das Gewsser zusammen mit seinen Grenzen auch seine Identitt zu verlieren. In jedem Fall bu¨ßt es seine Erkennbarkeit als eigenstndiges dreidimensionales Gebilde ein. In den drei verbleibenden Versen der Coridon-Strophe, auf die hier noch ein kurzer Blick geworfen werden soll, wird zwar nicht die Gottesmeer-, aber doch immerhin die Flu¨ssigkeitsmetaphorik weiter fortgesetzt. Der in den Versen 4–6 entworfene Herzensraum kann dabei von der Bildlichkeit her schwerlich mit dem Raum des Gemu¨ts deckungsgleich sein. Whrend der Letztere durch die ihn durchstro¨menden Wassermassen vollstndig dynamisiert wird, besitzt der Herzensraum zumindest einen stabilen Inhalt: In ihm »steht«, ruhig und unver-

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Czepko, Bd. 3, 1988, S. 117.

319 ru¨ckbar, das Kreuz.667 Wie die radikale Entgrenzung und Dynamisierung des Gemu¨tsraums stellt auch diese Doppelung innerer Rume die seelische Einheit massiv in Frage. Trotz ihrer Inkongruenz bestehen zwischen dem Raum des Gemu¨ts und dem Herzensraum allerdings auch Parallelen und Zusammenhnge. Wie der Gemu¨tsraum so wird auch der intrakordiale Hohlraum einer Flu¨ssigkeit teilhaftig, die wesentlich durch ihre go¨ttliche Herkunft bestimmt ist: Er wird zum Gefß fu¨r die vom Kreuz wie aus einem Brunnen oder aus einer Quelle stro¨menden fu¨nf Blutbche.668 Auch kann zwischen dem Meer Gottes im Gemu¨t und den vom Kreuz herab in das Herz blutenden Wunden Christi auf verschiedenen Ebenen eine direkte Kausalbeziehung angenommen werden. Aus theologischer Sicht lsst sich das Blut Jesu neben dem in der vorangehenden Strophe (427) genannten »Seelen Bad« der Taufe669 als die heilsgeschichtlich notwendige Voraussetzung fu¨r die Nhe des Menschen zu Gott und damit auch fu¨r die Aufnahme des Gottesmeeres in der unio mystica interpretieren. Aus naturphilosophischer Perspektive ko¨nnte man zwischen beiden inneren Rumen einen kontinuierlichen Wasserfluss annehmen,670 wie er in der Natur671 insbesondere Quellen und Meere 667

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Indem das Kreuz in Czepkos Versen als »Holtz auf GOLGATHA« bezeichnet wird, wird hier gleichsam eine intrapsychische »biblische Landschaft« entworfen, wie sie Hans-Ru¨diger Schwab in der Christus-Trilogie von Patrick Roth gestaltet sieht (Schwab, 2005). Noch einmal sei hier auf die Titelzeichnung und das Titelkupfer von Spees TrvtzNachtigal verwiesen (vgl. Abschnitt 3.4.2). Czepko, Bd. 3, 1998, S. 116 (»Coridon und Phyllis«). Zum Zusammenhang zwischen dem Wasser der Taufe und dem Blut des Gekreuzigten vgl. nochmals Hessel, 1675, S. 5–8. Bei der Aufzhlung der in seinen Hertzfliessenden Betrachtungen erwhnten acht Formen des »Geheimnuß=Wasser[s]« folgen »die heil. Tauffe« und die »in Christi Seiten anzutreffen[de]« wssrig-blutige Flu¨ssigkeit unmittel¨ ber den Zusammenhang beider heißt es etwa (ebd. S. 7): bar aufeinander. U »Durchs Wasser werden wir neu geboren / und durch Christi Blut und Leib werden wir gespeiset.« Meinolf Schumacher setzt sich fu¨r das Mittelalter gru¨ndlich mit den (im metaphorischen Sinne) reinigenden Eigenschaften von Wasser und Blut auseinander und weist dabei auch immer wieder auf Parallelen und Verknu¨pfungen zwischen der Blut- und der Wassermetaphorik hin, vgl. Schumacher, 1996, S. 481–588, bes. S. 560–562, S. 573–580 (hier vor allem im Zusammenhang mit dem in Joh 19,34 erwhnten »Blut und Wasser aus Christi Seitenwunde«). Explizit wird eine solche Verbindung zwischen verschiedenen psychischen Ru¨ ber verschiedene psychische Teil-Inmen etwa von Greiffenberg thematisiert. U stanzen, die sie als separate Brunnenschalen verbildlicht, heißt es (Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 642 (11. Betrachtung)): Freue dich / du Kind des lebendigen Gottes / mit einer grossen lebendigen Freude / daß der grosse GOtt / dein Heyland JEsus Christus / der das Leben und volle Genu¨gung ist und giebt / zu dir in deinen Geist / Seele / Sinn / Hertz / Leib und Leben kommet. Freue dich nicht allein mit grosser / sondern

320 miteinander verbindet (vgl. schon Pred 1,7672: »Alle Wasser lauffen ins Meer«). In dieser Deutungsvariante htte die Wasseru¨bermacht, welche von einem externen Standpunkt aus die Identitt des Gemu¨tsraums gefhrdet, ihren Ursprung in den fu¨nf im Herzen entspringenden Bchen. Es wre also der Ansturm des Bluts Christi, der die Grenzen des Gemu¨tsflussbettes zum Erliegen brchte und zum Aufgehen ¨ ber die in Herz und Gemu¨t gleider Psyche im Gottesmeer fu¨hrte. U chermaßen einstro¨mende go¨ttliche Flu¨ssigkeit wu¨rde dabei zugleich die ontologische Differenz zwischen beiden innermenschlichen Rumen erheblich zuru¨ckgenommen. Der im Coridon-Epos entworfene Bruch der Gemu¨ts-»Ufer« ver¨ berfu¨llung des Gemu¨tsraums mit dankt sich wohl kaum allein der U den neu in ihn eintretenden Wassermassen, also nicht bloß der quanti¨ bermacht des flu¨ssigen Elements. Vielmehr du¨rfte auch die tativen U heftige Bewegung des Wassers,673 sein ›Brausen‹ bzw. Stro¨men, das Zerbrechen der Gemu¨tsbegrenzung mitbewirken. Was beim Durchbruch der festen Seelenufer entsteht, ko¨nnte mit den bereits in Abschnitt 3.2 angefu¨hrten Worten Foucaults als ein »Raum, der fließt wie das Wasser«,674 oder, mit Elisabeth Stro¨ker, kurz als »fließender Raum« bezeichnet werden. Stro¨ker unterscheidet zwei Formen dieses besonderen Raumtyps. Bei der ersten Form sei der Raum »fließender nur von Gnaden der Zeit«, d. h. »im Fluß der ›adjungierten‹ Zeit« bleibe er »derselbe«. In seiner zweiten Form hingegen mu¨sse der fließende Raum selbst als »etwas Fließendes, ja das Fließen der Zeit sogar Mitbedingendes« begriffen werden.675 In diese radikalere Form eines ›fließenden Raums‹ wird der Seelenraum des Verstorbenen in der

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werde gantz voller Freuden! Voller Freuden / daß die Geistes=Schale davon u¨bergehet / und selbe in die Seelen=Schale springet / von solcher in die Sinnen=Salve u¨berquillet / aus der in das Hertzen=Becken herab spielet! aus diesen in alle Glieder und Adern springet / und rieselt und kieselt daß durch solchen Freuden=Wasser=Fall / ein alle Geister= Seelen= Sinnen Hertz= und Beginne[n] u¨bertreffende Himmel=Lob Gottes Himmel=anspringen mo¨ge. Zur besonderen Haltung Czepkos gegenu¨ber der Natur vgl. Gorceix, 1979, S. 212–226. Biblia, Bd. 2, 1974, S. 1137. Auch im folgenden Epigramm Schefflers (Scheffler, 2000, S. 282 (VI,239)) rechnet ¨ bermacht, sondern vor allem mit der das Ich nicht (nur) mit der quantitativen U Dynamik bzw. Kraft (»ein starcker Strom«) eines go¨ttlichen Wasserflusses: Seufftzer zu GOtt. Gott ist ein starcker Strom / der hinnihmt Geist und Sinn / Ach daß ich noch nicht gar von ihm verschwemmet bin. Allerdings soll hier der Druck der Wassermassen wohl weniger entgrenzend als vielmehr ›mitreißend‹ auf »Geist und Sinn« wirken. Foucault, 1998, S. 38. Stro¨ker, 1965, S. 43.

321 oben zitierten Strophe aus Coridon und Phyllis durch die Aufnahme des Gottesmeeres verwandelt. Dasselbe gilt auch fu¨r den Seelenraum aus Czepkos Epicedium, zu dessen Betrachtung im Folgenden zuru¨ckzukehren ist. Der Verlust der (festen) Außengrenzen ist nur ein Teil der destabilisierenden Vernderungen, denen die Seele bzw. das Gemu¨t bei der Verwandlung in einen ›fließenden Raum‹ unterzogen wird. Auch wenn man den Blick nicht auf die ußeren Begrenzungen des Seelenraums, sondern allein auf seine ›Fu¨llung‹ richtet, erweist sich das vom Gottesmeer durchflossene Seelengebilde, jedenfalls vordergru¨ndig, als hochgradig instabil. Vom Vorhandensein einer unangetastet bleibenden, Stabilitt verbu¨rgenden seelischen Kernzone kann im Zusammenhang mit der Gottesmeer-Metaphorik nicht die Rede sein. Noch nicht einmal ein statischer Inhalt urspru¨nglich extrapsychischer Herkunft (man denke etwa an das Kreuz, das in den drei letzten Versen der Coridon-Strophe im Herzensraum steht) kommt dem vom Gottesmeer durchstro¨mten Seelenraum im Epicedium offenbar zu. Dies gilt – und sptestens damit geht der fließende Seelenraum in seiner diachronen Pluralisierung u¨ber alle anderen in diesem Abschnitt untersuchten rumlich-psychischen Gebilde noch einen Schritt hinaus – nicht nur fu¨r eine voru¨bergehende Zeit, sondern ohne jede zeitliche Einschrnkung. Allein die Vernderung selbst, d. h. das unaufho¨rliche Fließen der go¨ttlichen Wassermassen, erscheint im Innenraum der Seele als Konstante. Insgesamt lsst sich somit in Czepkos Epicedium eine diachrone Pluralisierung des Seelischen auf zwei Ebenen erkennen. Zum einen muss durch den permanenten Inhaltswandel die jenseitige Seele fu¨r sich betrachtet als pluralisiert gelten. Zum anderen ist, wie sich in den vorangehenden Ausfu¨hrungen bereits angedeutet hat, eine Diskontinuitt zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Beschaffenheit des Seelenraums vorauszusetzen. Mit der im Tode erfolgenden Aufnahme des Gottesmeers wird das Seeleninnere vo¨llig neu gestaltet und seine bisherige Ordnung vollstndig aufgehoben. Nicht nur in Bezug auf den Seelenraum, sondern auch fu¨r sich genommen ist Czepkos Metapher vom Meer der »Gottheit« bemerkenswert. In vielen barocken Gedichten liegt das tertium comparationis zwischen Gott und Meer nur in der beiden eignenden Unermesslichkeit (vgl. Abschnitt 3.3.2). Die Dynamik eines Ozeans, die permanente Bewegung seiner Wellen, spielt in diesen Fllen keine Rolle. Das Gottesmeer in Czepkos Versen erscheint dagegen als unentwegt ›im Fluss‹ befindliches Gebilde. Bedenkt man, dass in der Bildersprache der Fru¨hen Neuzeit das fließende Wasser immer wieder als Sinnbild »fu¨r die

322 verfließende Zeit« verwendet wird,676 so wirkt die explizit thematisierte Dynamik des Gottesmeeres auf den ersten Blick befremdlich. Auch scheint Czepko in der Wahl dieses Bildes seiner in der Consolatio vertretenen Auffassung zu widersprechen, dass Gott als »das ruhsamste und stilleste Wesen aller Wesen, […] die Ruh […] aller Dinge«677 zu betrachten sei.678 Die Diskrepanz zwischen der Metapher des sausend-bewegten Gottesmeers und dem Postulat des ruhenden Gottes ist indes gar nicht so groß, wie es zunchst den Anschein haben mag. Dies zeigt sich, wenn man sich die besonderen Bedingungen der Bewegtheit dieses Gewssers vergegenwrtigt. Anknu¨pfend an das Bild des Zeitenflusses wird hier keine unruhig-unberechenbare Dynamik, sondern eine unvergnglichkonstante und damit in gewisser Weise auch ›ruhige‹ Bewegung entworfen. Das ewige Stro¨men des Gottesmeeres entspricht seiner rumlichen Unendlichkeit, ja es kann letztlich sogar aus dieser hergeleitet werden: Das go¨ttliche Gewsser kommt deshalb nirgends zum Stillstand, es stro¨mt deshalb zuverlssig-unaufhaltsam weiter, weil rumliche Grenzen fehlen, die seinem Fließen Einhalt gebo¨ten. Sowohl das Bild Gottes als »Ruh […] aller Dinge« wie auch das Bild des in unvergnglicher Bewegung befindlichen Gottesmeeres verheißen einer Kreatur, die sich mit ihrem Scho¨pfer wieder vereinigt, Stabilitt, allerdings auf jeweils andere Weise. Die Stabilisierungsleistung des ewig bewegten Gottesmeers wird vor allem dann deutlich, wenn man die unaufho¨rliche Meeresbewegung mit dem Motiv des »LEBENDIGE[N] WASSER[S]«679 aus Joh 4,10 und 7,38 in Verbindung bringt.680 Wenn Gott in Czepkos Versen als meerartig-unermessliche, niemals versiegende681 Wassermasse bestndig den psychischen Raum durchfließt, so erfu¨llt diese Bewegung die Seele unaufho¨rlich mit Leben. Die uner-

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Rohmer, 1999, S. 68. Ernst Rohmer weist hier auch darauf hin, dass die »permanente Bewegung des fließenden Wassers […] in der Fru¨hen Neuzeit generell als ein Sinnbild der Vergnglichkeit« zu interpretieren sei, wobei die Letztere »positiv gewendet immer auch als stetige Erneuerung verstanden werden« ko¨nne. ¨ berlegungen zur »metaphorical idea Vgl. außerdem auch Johnsons und Lakoffs U of the flow of time«, Johnson/Lakoff, 1999, S. 158–159. Czepko, Bd. 5, 1992, S. 167 (1. Buch). Eine hnliche Beobachtung macht Benno von Wiese an Wassermetaphern, mit denen Scheffler im Cherubinischen Wandersmann Gott zu fassen sucht: Ausdru¨cklich weist er auf die an ihnen deutlich werdende Antithese zwischen go¨ttlicher Statik und go¨ttlicher Dynamik hin, vgl. Wiese, 1965, S. 277. Biblia, Bd. 3, 1974, S. 2144. Dieses biblische Motiv wird auch von Scheffler aufgegriffen, vgl. dazu sowie allgemeiner zu Schefflers mystischer Wassermetaphorik Spo¨rri, 1947, S. 108–110. Vgl. zur Unversieglichkeit des lebendigen Wassers, hier allerdings im Rahmen der Brunnenmetaphorik, auch Hessel, 1675, S. 11.

323 scho¨pflichen682 Fluten und Strudel, welche die Seele durchstro¨men, ko¨nnen in der Terminologie von Hessels Hertzfliessenden Betrachtungen als »Wasser der Unsterblichkeit« bezeichnet werden.683 Noch deutlicher als in Czepkos Versen ist der Zusammenhang zwischen einer unversieglichen, flu¨ssig-dynamischen Seelenfu¨llung und der Erlangung des ewigen Lebens im Ku¨hlpsalm VII,4 erkennbar. In dessen nachfolgend zitierten Versen XXXIII,5–8 verwandelt die »Ewikeit« selbst das seelenquivalente Herz in einen unentwegt in heftiger Bewegung befindlichen (›fließenden‹) Raum: Der Ewikeit hochheilge ufer brausen In unserm Hertz, das uns entru¨kkt! Der Heilge Gott mit seinem Libesausen Hat uns barmhertziglich beglu¨kkt.684

¨ berlegungen wird deutlich, Sptestens an den zuletzt angefu¨hrten U dass auch fu¨r den von Czepko dargestellten fließenden Seelenraum die Frage nach seiner diachronen Kohrenz bzw. Inkohrenz nicht eindeutig zu beantworten ist. Auch wenn dieses dreidimensionale Gebilde nach seiner radikalen Verflu¨ssigung ganz im Gottesmeer aufzugehen scheint und auch wenn die mit Gott vereinigte Seele, anders als in den vorangehend untersuchten unio-Konstellationen, nach Abschluss des Umstrukturierungs- und Verschmelzungsprozesses nicht ›zur Ruhe‹ kommt, kann doch nicht nur von einem Kohrenz- und Stabilittsverlust des psychischen Raums die Rede sein. Mit der totalen Distanzierung des Seelenraums von seiner bisherigen Gestalt geht auch in diesem Fall zugleich ein unerwarteter Zuwachs an Bestndigkeit einher: Mit ihrem vollstndigen Formverlust und ihrer vollstndigen Dynamisierung gewinnt die Seele das ewige Leben. Hinzu kommt, dass der in 682

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Auch in der von Laurentius von Schnu¨ffis verfassten Mirantischen Mayen-Pfeiff wird das Motiv der Unerscho¨pflichkeit des Meeres im theologischen Zusammenhang verwendet. In den unten zitierten Versen aus der dritten Strophe der Elegia II,5 (»Clorus vergleicht die Mutter Gottes wegen der Vo¨lle der Gnaden einem Meer« (»MAria / Gnaden=Meer«)) ist es allerdings nicht Gott, sondern Maria, die in ihren lobwu¨rdigen Eigenschaften dem Meer verglichen wird (Laurentius von Schnu¨ffis, 1692, S. 156): Du bist dem Meer gantz gleich / Von dem zukommen pflegen Die fruchtbarliche Regen / Und bleibt doch Wasserreich […]. Hessel, 1675, S. 8, redet vom »Wasser der Unsterblichkeit« im Zusammenhang mit den Flu¨ssigkeiten, die aus der Seitenwunde Christi austreten. Kuhlmann, Bd. 2, 1971, S. 191 (»JEhoVaIhesVs hILf! genaDe seI Vor reCht!«). Vgl. zu diesen Versen und weiteren Passagen aus den Werken Kuhlmanns, in denen die mystische Erfahrung der Ewigkeit zugleich die Erfahrung großer Dynamik bedeutet, Menhennet, 1991.

324 das go¨ttliche Meer integrierte Seelenraum im stndigen Wechsel der ihn durchstro¨menden Wassermassen doch immer denselben Inhalt in sich trgt: Gott. Auch in den hier untersuchten Versen aus Czepkos Epicedium lassen sich somit aus diachroner Perspektive nicht allein pluralisierende, sondern auch stabilisierende und einheitsfo¨rdernde Einflu¨sse der go¨ttlichen Umgestaltungen auf den Seelenraum wahrnehmen. Selbst zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Verfasstheit der Seele, d. h. zwischen jenen beiden Seelenzustnden, die sich oben als maximal divergierend gezeigt haben, hat man in Czepkos Gedicht noch eine gewisse diachrone Kohrenz anzunehmen. Dies deutet sich bereits in Vers 142 an, wenn das Ich im Zusammenhang mit dem jenseitigen Seelenstatus des direkt angesprochenen Verstorbenen noch immer von »deiner Seele wesen« redet. Zwar bleibt nach dem Tod kein Aspekt seelischer Rumlichkeit unverndert, so dass aus topoanalytischer Perspektive ein totaler Identittsverlust konstatiert werden muss. Doch lsst die zuletzt zitierte Formulierung vermuten, dass die Seele u¨ber nicht-rumliche Eigenschaften verfu¨gt, die ihr einen – wenn auch eingeschrnkten – diachronen Zusammenhalt garantieren. Vollends unvermeidlich wird die Annahme einer Rest-Kontinuitt zwischen der dies- und der jenseitigen Seelenbeschaffenheit gegen Ende des Epicediums (Verse 149–152). Dort heißt es u¨ber den (noch immer selbst angesprochenen) Verstorbenen: Der Fromen ihre Schaar Hat dich voll Lust empfangen / Der du hie nachgegangen / Alß viel es mo¨glich war […].685

Ein wechselseitiges Erkennen der seligen Toten wre ohne die Abgrenzbarkeit der Seelen von Gott und ohne das postmortale Fortbestehen bestimmter diesseitiger Seelenmerkmale undenkbar, denn bis zur leiblichen Auferstehung sind die Verstorbenen allein durch ihre immateriell-psychische Komponente im Jenseits vertreten. Von den radikalen formalen und inhaltlichen Umstrukturierungen der Seele, von der Aufgabe ihrer Selbststndigkeit zugunsten einer vollstndigen Durchdringung mit dem Gottesmeer ist in der Bildlichkeit der zuletzt zitierten Verse nichts zu bemerken. Anders als in der vorangehend analysierten Textpassage wird hier allerdings ohnehin nicht mehr explizit von einem Seelenraum gehandelt. 685

Czepko, Bd. II,2, 1997, S. 210 [Herv. d. D. C.] (»Auff deß Wolgebohrnen Herren Herren Hans-Georg Czigan […] in Gott seeligen Abschied […]« (»Ich weiß nicht / was ich schreiben«)).

325 Mit der Analyse der Metapher vom fließenden Seelenraum aus dem Epicedium Czepkos soll zugleich die Untersuchung der von außen bewirkten Extrem- und Auflo¨sungsformen des psychischen Raums abgeschlossen werden. Fu¨r diesen Raumtypus konnten insgesamt hnliche Beobachtungen gemacht werden wie fu¨r die vorangehend untersuchte Seelenhausmetaphorik. Das Endziel der Umgestaltung liegt in den Textbeispielen des vorliegenden Abschnitts entweder in der intrapsychischen Etablierung einer go¨ttlichen Ordnung im Seelenraum (Gewittersonett Greiffenbergs) oder in der Angleichung an bzw. vollstndigen Verschmelzung des dreidimensionalen Seelengebildes mit Gott (Siegelgedicht Greiffenbergs, Epicedium Czepkos). Die Stabilitt dieser neuen Seelenzustnde kann auch hier nur um den Preis einer vorangehenden (im Falle des Epicediums zustzlich sogar einer gleichzeitigen) Destabilisierung des Seelenraums erzielt werden, die unterschiedliche Grade erreicht und somit zu einer unterschiedlich starken Pluralisierung des Psychischen fu¨hrt. So mu¨ssen auch die zuletzt untersuchten Seelenrume wenigstens aus diachroner Perspektive wesentlich als viel-einheitliche Gebilde wahrgenommen werden. Wurden oben nur solche Extrem- und Auflo¨sungsformen des Seelenraums betrachtet, bei denen die von außen wirkenden Krfte go¨ttlicher Herkunft waren, so ko¨nnte man fragen, warum an dieser Stelle auf eine Analyse der (zumeist ebenfalls von außen kommenden) teuflischen Einwirkungen auf die menschliche Psyche verzichtet wurde. Interessante und neue Ergebnisse ließen sich hier schon deshalb erwarten, weil der Teufel es, im Gegensatz zu Gott, nicht auf die Stabilisierung, sondern auf die Destabilisierung der Seele abgesehen hat. Dass die Analyse teuflischer Einwirkungen auf die Seele hier unterbleibt, lsst sich zum einen damit begru¨nden, dass der Satan seine Attacken zumeist nicht gegen eine rumlich dargestellte, sondern gegen eine als Lebewesen verbildlichte Seele richtet. Als ußerer Seelenangreifer ist er in der barocken Metaphorik vor allem bestrebt, sie als Tier auf der Jagd zu fangen686 bzw. als Mensch im Krieg zu bekmpfen,687 sie zu 686

Vgl. etwa Gerhardt, 1667/1975, S. 15 (I,5 – »An die Seite des HERRN JEsu« (»JCh gru¨sse dich / du fro¨mster Mann«)); Gryphius, Bd. 2, 1964, S. 108 (Oden IV,3 – »Der HErr offenbahret seinem [sic!] Verrther vnd warnet Petrum vor Vermessenheit«): MEnsch wach / vnd nim dich in acht! Weil Sathan vmb dich Tag vnd Nacht Jm Jrrgang dieser Welt / Als ein heiß=ergrimmter Lew / Als ein Mo¨rder ohne scheu Manche sichre Seel anfllt: Vnd stets Jgernetz auffstellt.

326 verwunden688 und schließlich zu to¨ten.689 Zum anderen wird auf eine Analyse der teuflischen Seelenmanipulationen hier deshalb verzichtet, weil sich die Letzteren in ihren Konsequenzen mit den durch die Su¨nde(n) bedingten Umgestaltungen der Seele u¨berschneiden. Diese aber werden im folgenden Abschnitt ausfu¨hrlich zu behandeln sein.

3.7

Zerfressene Rume, zersto¨rte Stdte – Exogen-endogene Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume

In eine Extrem- und Auflo¨sungsform wird der Seelenraum der barocken Lyrik nicht nur durch solche Instanzen u¨berfu¨hrt, die klar von außen oder klar von innen auf ihn einwirken. Seine radikale formale und zugleich inhaltliche Umgestaltung kann vielmehr auch auf solche Ursachen zuru¨ckgehen, die sich weder eindeutig innerhalb noch eindeutig außerhalb der Seele verorten lassen. In der Metaphorik des 17. Jahrhunderts finden sich zahlreiche eng mit der Seele im Zusammenhang stehende Gro¨ßen, die einmal im Innern, ein anderes Mal jenseits des psychischen Raumes anzutreffen sind, so dass sich ihre Position nicht definitiv klren lsst. Neben den Affekten690 und den 687

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Vgl. etwa Gerhardt, 1667/1975, S. 48 (II,18 – »Trost=Gesang in Schwermuth und Anfechtung« (»SChwing dich auff zu deinem GOTT«)). Vgl. etwa Rist, Teil 5, 1641–42/1976, S. 2–3 (V,1 – »Christlicher Gesang / Von dem hoch=seligen Nutze eines rechten Gebets« (»JSt das nicht ein Werck der Gnaden«)). Vgl. etwa Scheffler, 2000, S. 244 (VI,3 – »Die gefallne Seele«); ebd. S. 235 (V,333 – »Deß Teuffels Schlacht Vieh«); Dach, Bd. 3, 1937, S. 19–20 (12 – »Christi Rede, da er vor die Su¨nde der gantzen Welt sterben soltte […] Anno 1635« (»Die Zeit ist hie, das grosse Leiden«)). Gemeint ist hier natu¨rlich nicht der erste, rein leibliche, sondern der »andere Tod«, den der Mensch im Jenseits erleidet, vgl. dazu etwa, mit Bezug auf Offb 21,8 Schottelius, 1676, S. 25–27, S. 30–34. Beru¨cksichtigt man allerdings die Definition Augustins fu¨r den Tod der Seele im 13. Buch der 413–426 entstandenen Schrift De civitate Dei (Augustinus, 1979, S. 846 (13. Buch): »Mors igitur animae fit, cum eam deserit Deus, sicut corporis, cum id deserit anima«), dann kommt dem Teufel im Hinblick auf den Tod der Seele letztlich nur begrenzte Macht zu. Vgl. zum doppeltem Ort der Affekte etwa die folgenden Verse 1–4 aus einer Ode Flemings (Fleming, 1646/1969, S. 534 (V, 36)): WAs sumst du dich / O Seele / zu zerspringen / Fu¨r Angst / fu¨r Quahl / die dich und mich u¨m[m]ringen. Und bist noch du / mein Hertze nicht entzwey. Thus doch! thus bald / und mach uns beyde frey. Hier erscheinen die Affekte der Angst und der Qual einerseits als Umlagerer der Seele (Vers 2) und mu¨ssen damit außerhalb derselben liegen. Andererseits droht die Seele vor Angst und Qual zu »zerspringen« (Vers 1), was im Grunde ihr ¨ berfu¨lltsein‹ mit diesen Affekten und damit eine Affektinklusion impliziert. ›U Wu¨rden die Affekte die Seele ausschließlich von außen zersto¨ren, wre hier bei-

327 Gedanken691 muss man dieser Gruppe rumlich-zwittriger Entitten insbesondere auch die nachfolgend exemplarisch zu betrachtende(n) Su¨nde(n) zurechnen. Bevor anhand konkreter Gedichte und Gedichtpassagen die jeweilige metaphorische Gestaltung der Su¨nde(n), ihre Verortung und ihre Wirkungen auf den Seelenraum erforscht werden ko¨nnen, muss man sich zunchst die vordergru¨ndig einfache Frage stellen, was denn unter der Su¨nde im Barock eigentlich zu verstehen sei. Zunchst mag man hoffen, durch einen Blick auf die Bibel, deren Einfluss auf die fru¨hneuzeitliche Lyrik nicht hoch genug zu veranschlagen ist,692 erste Hinweise auf das barocke Su¨ndenkonzept zu gewinnen. ¨ berblick u¨ber die Su¨ndenvorDoch fu¨hrt zumindest der synoptische U stellungen, die in biblischen Texten fassbar werden, zu eher ernu¨chternden Ergebnissen. In der Heiligen Schrift erscheint die Su¨nde, wie Gu¨nter Ro¨hser in seiner Dissertation ausfu¨hrlich darstellt, als »irgendwie umrissener konkreter ›Gegenstand‹«, als »gefhrliches ›Potential‹«, als »krankhafter ›Zustand‹«, als »schuldhafte ›Tat‹« oder auch als »tathafter ›Vorgang‹«,693 weiterhin tritt sie als tierisches bzw. pflanzliches Lebewesen oder in menschlicher Gestalt694 auf.695 In einer solchen Aufzhlung lsst sich die Su¨nde allenfalls als ein proteisches Wesen fassen, so dass dieser erste Blick auf das Su¨ndenverstndnis der biblischen Texte eher Verwirrung als Klarheit bringen du¨rfte. Hilfreich fu¨r eine erste Annherung an das barocke Su¨ndenverstndnis erscheint dagegen die biblische Differenzierung zwischen einem singularischen und einem pluralischen Su¨ndenverstndnis. In den Paulusbriefen werden die ›Su¨nde‹ und die ›Su¨nden‹ u¨ber die jeweils verwendeten sprachlichen Ausdru¨cke klar voneinander geschieden.696 Redet Paulus singularisch und absolut von ›der‹ Su¨nde,697 dann kann

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spielsweise vom Sprengen der Seele, nicht jedoch von ihrem (selbstinduzierten) Zerspringen die Rede. Vgl. zur extramentalen Lokalisation der Gedanken (ihre intramentale Positionierung bedarf wohl keiner Belegstellen) etwa die folgenden Verse aus den Geistlichen Oden (1 – »Morgenlied« (»DAs Licht so sich verborgen«)) Hoffmannswaldaus (Hoffmannswaldau, 1679/1984, S. 768): Verschleuß des Geistes Schrancken / Fu¨r nichtigen Gedancken / Fu¨r Dornen bo¨ser Lust / Fu¨r Disteln vieler Plagen / Die gute Kruter jagen Aus der verwo¨rrten Brust. Vgl. allgemein zur »Bibelrhetorik« des 17. Jahrhunderts Dyck, 1969, S. 151–173. Ro¨hser, 1987, S. 101 [Herv. d. G. R.]. Vgl. dazu auch Schumacher, 1996, S. 49–54. Vgl. Ro¨hser, 1987, S. 173–174. Vgl. etwa Ruf, 1972, S. 71. Vgl. Ro¨hser, 1987, S. 7–9.

328 sie mit keiner der vielen konkreten Einzelsu¨nden identifiziert werden und ist, zumindest nach Rainer Metzners Auffassung, auch »mehr ¨ berlegungen […] als« deren »Summe«.698 Nach Stanislas Lyonnets U im Dictionnaire de Spiritualite´ muss sie als ein Zustand betrachtet werden, der »a` la source de tout acte peccamineux« (d. h. an der Wurzel der Einzelsu¨nden)699 steht.700 Viel diskutiert sind jene paulinischen Aussagen,701 die eine Deutung der – hufig personifizierten – singularischen Su¨nde als (mo¨glicherweise gar dmonische oder mit dem Teufel gleichzusetzende)702 Macht nahelegen.703 Von einer solchen »›materialen‹ Vorstellung«, in welcher die Su¨nde »als ußerliche Macht vom passiven Ich Besitz« ergreift,704 mo¨gen einige der nachfolgend zu untersuchenden barocken Su¨ndenmetaphern noch beeinflusst sein. Eng mit dem singularisch gebrauchten Begriff der Su¨nde im Zusammenhang steht das Konzept der ›Erbsu¨nde‹,705 das in der Fru¨hen Neuzeit Anlass zu zahlreichen Diskussionen gibt. Die Erbsu¨nde ist nach der Unterscheidung Roberto Bellarminos bei Adam zunchst als »Aktualsu¨nde«, bei seinen Nachkommen aber vor allem706 als »Zustandssu¨nde« zu interpretieren.707 Sowohl im Werk Luthers als auch in der »sptmittelalterliche[n] (und dann katholische[n]) Anthropologie« kann sie zunchst allgemein mit einer »ererbten Zerru¨ttung der

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Metzner, Rainer: Su¨nde/Schuld und Vergebung – V. Neues Testament. In: RGG, Bd. 7, 2004, Sp. 1876–1881, hier Sp. 1877. Vgl. auch Ruf, 1972, S. 71. Lyonnet, 1984, Sp. 811. Michael Sievernich nennt als Belege fu¨r die paulinische Deutung der Su¨nde als »Macht« etwa Ro¨m 3,9 und Ro¨m 7,19 (Sievernich, 1983, S. 34). Vgl. – unter Bezugnahme auf 2. Kor 4,4 – Ruf, 1972, S. 69. Vgl. dazu etwa Brandt, 1997, S. 19; Berger, 1997, S. 115–124; Ro¨hser, 1987, S. 180 u.o¨. Michael Theobald redet auch im Zusammenhang mit Joh 8,34 von der Su¨nde als »versklavende[r] Macht«, vgl. Theobald, Michael: Su¨nde – II. Biblischtheologisch – 2. Neues Testament (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 1120–1123, hier Sp. 1123. Vgl. hnlich auch die – noch im Fru¨hmittelalter vorherrschende – Identifikation der einzelnen Su¨nden mit »den Menschen von außen befallende[n] bo¨se[n] Mchte[n]« (Dinzelbacher, 2001, S. 43). Wodianka, 2004, S. 127; zur Su¨nde als Macht vgl. auch Ricœur, 1971, S. 84: »Indes ist die Su¨nde nicht nur Bruch einer Beziehung; sie ist auch Erfahrung einer Macht, die sich des Menschen bemchtigt« (vgl. weiterhin Ricœur, 1971, S. 102–104 u. o¨.). Eine nahtlose Anknu¨pfung an den paulinischen Su¨ndenbegriff ist hier allerdings nicht mo¨glich, vgl. etwa Schwarz, 1993, S. 103: »Man muß […] betonen, daß Paulus keine Erbsu¨ndenlehre entwickelt hat«. Auch die »aktuelle Su¨nde«, d. h. die »Tatsu¨nde« Adams, wird nach Bellarminos Auffassung den ungetauften Menschen direkt als die ihre angerechnet (Gross, 1972, S. 131–133). Schubert, 2002, S. 52. Vgl. zum Unterschied zwischen der Su¨nde als »action imputable« und als »e´tat subi« Gervais, 1984, Sp. 819–822.

329 menschlichen Natur« gleichgesetzt werden.708 Nach scholastischer wie auch nach protestantischer Auffassung lsst sie sich »formal«709 als ein »Mangel an Gutem [Herv. durch A. S.]«,710 als eine »carentia justitiae originalis«711 definieren, whrend sie »material«712 in einer »vererbte[n], su¨ndige[n] Konkupiszenz«,713 einer »Entordnung der niederen Seelenkrfte«,714 einer Unfhigkeit des Willens zur Affektkontrolle besteht, die den Menschen von sich selbst entfremdet bzw. mit sich entzweit.715 Stimmen bis hierher die verschiedenen Auffassungen zur Erbsu¨nde selbst zwischen den Konfessionen noch weitgehend u¨berein, so scheiden sich an der Detailinterpretation des Erbsu¨ndenbegriffs und seiner material-formalen »Doppeldefinition«716 sowie an der Frage nach den Konsequenzen der Erbsu¨nde fu¨r die Natur des Menschen die Geister.717 So wird etwa innerhalb des Luthertums diskutiert, ob die Erbsu¨nde eine akzidentelle oder substantielle Vernderung des menschlichen Wesens sei.718 Heftige interkonfessionelle Konflikte ergeben sich aus der Frage, ob der Mensch nach dem Verlust der justitia originalis, der »Urstandsgerechtigkeit«, zumindest teilweise noch immer als das Ebenbild Gottes bezeichnet werden ko¨nne719 oder ob er, wie vor 708

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¨ berblick u¨ber die Schubert, 2002, S. 33. Zu einem zeitlich weiter gespannten U Geschichte der Erbsu¨nde vgl. Delumeau, 1983, S. 273–280. Schubert, 2002, S. 34. Ebd. S. 37. So argumentiert schon Augustinus, vgl. Gerwing, Manfred: Su¨nde – II. Patristik und Mittelalter (Art.). In: Ritter, Bd. 10, 1998, Sp. 601–607, hier Sp. 601–602. Schubert, 2002, S. 34. Dabei kann dann wiederum umstritten sein, ob der gefallene Mensch die ganze oder nur einen Teil der Urstandsgerechtigkeit verloren hat, vgl. etwa Gross, 1972, S. 151. Schubert, 2002, S. 34. Ebd. S. 174. Vgl. zur Konkupiszenz schon bei Augustinus etwa Augustinus, 1979, S. 966–968 (XVI,19). Gross, 1972, S. 151. Vgl. Delumeau, 1983, S. 276. Vgl. allgemein zur negativen bzw. positiven Su¨ndendefinition auch die folgenden Ausfu¨hrungen von Gervais im Dictionnaire de Spiritualite´ (Gervais, 1984, Sp. 818): La the´ologie du pe´che´ se trouve toujours confronte´e a` une double exigence en apparence contradictoire. Dune part, contre tout dualisme ontologique, il lui faut affirmer la ne´gativite´ du pe´che´, cest-a`-dire, son caracte`re de non-eˆtre. Dautre part, contre tout moralisme re´ducteur, il lui faut reconnaıˆtre la positivite´ du peˆche´, comme puissance qui investit et asservit. Schubert, 2002, S. 34. Hier ko¨nnen nicht bis ins Detail alle Differenzierungen dargestellt werden. Ausfu¨hrlich behandelt werden die verschiedenen Positionen zur Erbsu¨ndenlehre etwa in den Studien von Anselm Schubert (Schubert, 2002) und Julius Gross (Gross, 1972). Vgl. Schubert, 2002, S. 36–41 u.o¨. Vgl. dazu auch Axt-Piscalar, Christine: Su¨nde – VII. Reformation und Neuzeit (Art.). In: TRE, Bd. 32, 2001, S. 400–436, hier S. 406. Fu¨r die katholische Posi-

330 allem Luther behauptet, »durch den Su¨ndenfall jede Art von Gottesebenbildlichkeit verloren« habe.720 Der wohl gro¨ßte (inter-)konfessionelle Unterschied in der Erbsu¨ndenlehre liegt allerdings in der Frage nach dem Zustand des Menschen nach der Taufe. Nach dem lutherischen Verstndnis der Erbsu¨nde, welches gerade ihrer Bestimmung als ›Konkupiszenz‹ besondere Bedeutung beimisst,721 wird der Mensch auch in der Taufe nicht von seinem »in sich verkehrten Sein«,722 von seiner grundlegenden »Verderbnis«723 befreit: Fu¨r Luther und nach reformatorischer Auffassung […] wird durch die Taufe die Erbsu¨nde selber nicht getilgt, sondern deren Schuld von Gott nicht zugerechnet […]. Entsprechend vollzieht sich in der Rechtfertigung des Su¨nders dessen Gerechtsprechung um Christi willen, die durch die Erneuerung des Gottesverhltnisses ein neues Selbst- und Weltverhltnis des einzelnen begru¨ndet. Whrend seines irdischen Daseins bleibt der Mensch gleichwohl bis zu seinem Tod immer auch ein Su¨nder und steht im fortwhrenden Kampf mit dem alten Adam. Insofern ist er simul iustus et peccator […].724

Nach der Auffassung des Luthertums ist die Verfallenheit an die Erbsu¨nde also eine »auch im Gerechtfertigten fortdauernde Situation«.725 Fu¨r die katholische Seite ist dagegen der »Fortbestand der Erbsu¨nde in Getauften« nicht akzeptabel.726 Sie stellt der lutherischen Position mit Kanon 5 des auf dem Konzil von Trient (1545–1563) beschlossenen Decretum de peccato originali (1546) folgende Kernaussagen entgegen, die zwischen »der Konkupiszenz und deren Reat« unterscheiden: 1. Die Taufgnade nimmt den Reat der Erbsu¨nde, d. i. alles, was an ihr Su¨ndencharakter hat, hinweg; es wird nicht bloß abgeschabt oder nicht angerechnet. 2. In den durch Taufe Wiedergeborenen gibt es nichts Gott Mißflliges mehr; sie sind rein, Gottgeliebte und des Himmels wu¨rdig. 3. Im

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tion spielt hier vor allem die auch im Trienter Konzil noch einmal besttigte Unterscheidung zwischen der similitudo Dei und der imago Dei als zwei verschiedenen Formen der Gotthnlichkeit eine Rolle, vgl. dazu etwa Axt-Piscalar, Christine: Su¨nde – III. Neuzeit (Art.). In: Ritter, Bd. 10, 1998, Sp. 607–615, hier Sp. 609. Schubert, 2002, S. 35, vgl. auch ebd. S. 33–34. Vgl. ebd. S. 50: »Die Confessio Augustana […] verstand im Anschluß an Augustinus die Erbsu¨nde als widernatu¨rliche ›Konkupsizenz‹.« Allerdings wird auch die zweite Erbsu¨ndendefinition, welche die Erbsu¨nde als »Mangel der Urgerechtigkeit« bezeichnet, nicht vollstndig aufgegeben, sondern gleichzeitig weiter vertreten, vgl. ebd. S. 74. Axt-Piscalar, Christine: Su¨nde – VII. Reformation und Neuzeit (Art.). In: TRE, Bd. 32, 2001, S. 400–436, hier S. 400. Ebd. S. 401. Ebd. S. 402 [Herv. d. C. A.-P.], vgl. auch Gross, 1972, S. 75. Werbick, Ju¨rgen: Su¨nde – III. Historisch-theologisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 1125–1126, hier Sp. 1126 [Herv. d. J. W.]. Gross, 1972, S. 117.

331 Getauften verbleibt die Konkupiszenz, jedoch nicht als eigentliche Su¨nde. Sie wird Su¨nde genannt, weil sie von der Ursu¨nde herkommt und zur Su¨nde verleitet.727

Fu¨r die Entstehung der einzelnen »Tatsu¨nde« bedeutet dies, dass sie nach katholischer Vorstellung aus der (im Getauften nicht mehr su¨ndigen)728 Konkupiszenz hervorgeht, die zu ihr geneigt macht,729 whrend sie nach der lutherischen Position der auch im Getauften noch vorhandenen Erbsu¨nde entspringt.730 Ist unter der ›Tatsu¨nde‹ des postadamitischen Menschen zunchst nur eine konkrete, »gegen Gott gerichtete Verfehlung«,731 d. h. eine zu einem bestimmten Zeitpunkt veru¨bte Tat, zu verstehen, so hinterlsst sie doch gleichzeitig in demjenigen, der sie begangen hat, eine bleibende Spur. Schottelius beschreibt diese als ein »GewissensBrandmahl« (vgl. 1. Tim 4,2), ein »Schandzeichen der Su¨nden«,732 ein »Abbild […] des begangenen su¨ndlichen Wesens«, das in der Seele »klebet«.733 Dieser in der Seele verbleibende »Rest der aktuellen Su¨nde«,734 dieser 727

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Ebd. S. 116. Manfred Gerwing definiert den reatus als das »Schuldigsein« durch einen »in einem bestimmten Augenblick gesetzte[n] Akt«, d. h. durch eine Aktualsu¨nde (Gerwing, Manfred: Su¨nde – II. Patristik und Mittelalter (Art.). In: Ritter, Bd. 10, 1998, Sp. 601–607, hier Sp. 603). Schubert spitzt die konfessionellen Differenzen im Hinblick auf die Einschtzung der Konkupiszenz folgendermaßen zu (Schubert, 2002, S. 50): Fu¨r die katholische Theologie […] konnte die Konkupiszenz aus verschiedenen Gru¨nden nicht mit der Erbsu¨nde identisch sein: zunchst leuchtete es der katholischen Theologie nicht ein, wie die nach der Taufe im Menschen noch verbliebene Konkupiszenz Erbsu¨nde sein ko¨nne, wenn diese durch die Taufe doch gerade weggenommen wu¨rde, jene aber bekanntlich bleibe. […] Ausgehend von einem bestimmten Verhltnis der Imago Dei und der Erbsu¨nde erklrten die Katholiken die verbleibende Konkupiszenz fu¨r natu¨rlich und deshalb fu¨r nicht an sich su¨ndig; die Protestanten sahen gerade in dieser sogar nach der Taufe noch bleibenden »bo¨sen Lust« die Erbsu¨nde in ihrer manifesten Form und ein Zeichen dafu¨r, wie tief die menschliche Natur durch den Su¨ndenfall verderbt war. Vgl. Gross, 1972, S. 116–117. Insofern im Getauften der Reat der Erbsu¨nde aufgehoben ist, kann Ju¨rgen Werbick zu Recht hervorheben, dass das Tridentinum den »Tatcharakter der Su¨nde« unterstreiche, vgl. Werbick, Ju¨rgen: Su¨nde – III. Historisch-theologisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 1125–1126, hier Sp. 1126. Vgl. dazu Axt-Piscalar, Christine: Su¨nde – VII. Reformation und Neuzeit (Art.). In: TRE, Bd. 32, 2001, S. 400–436, hier S. 400. In allgemeinerer Form werden die Unterschiede und der Zusammenhang zwischen Tat- und Erbsu¨nde von Tom Kleffmann reflektiert, vgl. Kleffmann, 1994, S. 4–5. Metzner, Rainer: Su¨nde/Schuld und Vergebung – V. Neues Testament. In: RGG, Bd. 7, 2004, S. 1876–1881, hier Sp. 1876. Schottelius, 1675, S. 78. Mit der conscientia cauteriata befasst sich auch Kittsteiner (vgl. Kittsteiner, 1991, S. 184). Schottelius, 1675, S. 79. Scheffczyk, Leo: Su¨nde, »Su¨ndenfall« – I. Scholastik (Art.). In: LexMA, Bd. 8,

332 »Makel«,735 muss, gerade in poetischen Kontexten, nicht immer explizit als Su¨ndenfolge bezeichnet werden, sondern kann verku¨rzt gleichfalls mit dem Namen der Su¨nde versehen sein.736 Dass und warum auch im philosophisch-theologischen Sprechen Su¨nde und Su¨ndenspur bzw. Su¨ndenfolge miteinander verschmelzen ko¨nnen, ergibt sich indirekt etwa aus dem folgenden Lehrsatz Johann Heinrich Alsteds zur Erbsu¨nde: Peccatum originis habet rationem peccati & poenæ. Est enim nativa illa vitiositas, quæ omni homini propter primum peccatum immittitur […].737

An anderer Stelle setzt Alsted sogar die Su¨nde, die Su¨ndenfolge (Strafe) und die Su¨ndenursache miteinander gleich: Unum idemq[ue] diverso respectu est peccatum, causa peccati, pœna peccati. Sic induratio respectu sui est peccatum; respectu consequentium est causa peccati; respectu antecedentium peccatorum est pœna […].738

¨ berlegungen wird man fu¨r die Vor dem Hintergrund der bisherigen U nachfolgend zu untersuchenden lyrischen Textbeispiele ein großes Spektrum an mo¨glichen Bedeutungen des Begriffs ›Su¨nde‹ erwarten, das die einzelne Tatsu¨nde und die Erbsu¨nde als selbst su¨ndenbedingende Zustandssu¨nde ebenso umfasst wie die durch eine »vollzogene Su¨nde« im Menschen hinterlassene Spur, d. h. den durch die Su¨nde verursachten »Schaden«.739 Das von der fru¨hneuzeitlichen Theologie entworfene rumliche Verhltnis zwischen dem Menschen und der Su¨nde erscheint in den vorangehenden Ausfu¨hrungen recht u¨bersichtlich: Entweder wirkt die Su¨nde (als Tatsu¨nde) aus dem menschlichen Innern heraus nach außen oder sie verbleibt (als Zustands- bzw. Erbsu¨nde) gnzlich in der Innenwelt des Menschen, sei sie mit dieser nun akzidentell oder substantiell verbunden. Die bei Paulus sich andeutende Vor-

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1997, Sp. 315–319, hier Sp. 316. Mit Richard Fishacre ko¨nnte man hier wohl von einem peccatum habituale sprechen, vgl. ebd. Sp. 317. Ebd. Sp. 316. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der von Thomas von Aquin geprgte Begriff der »macula peccati«, der den »nach der S[u¨nde] verbleibende[n] Zustand« bezeichnet (ebd. Sp. 318). Anders als Leo Scheffczyk be¨ berlegungen zum Makel diesen handelt Paul Ricœur in seinen grundlegenden U weitgehend getrennt von der Su¨nde, vgl. Ricœur, 1971, S. 33–56. Im Zusammenhang mit der hufig schwierigen Differenzierung zwischen der Su¨nde und den Su¨ndenfolgen gilt es auch die bis in die Neuzeit hinein enge Verbindung zwischen den Begriffen ›Su¨nde‹ und ›Schuld‹ zu beru¨cksichtigen, vgl. dazu Laarmann, Matthias; Martin Ritter: Schuld – II. (Art.)/Ko¨hler, Johannes: Schuld – III. Neuzeit (Art.). In: Ritter, Bd. 8, 1992, Sp. 1446–1465. Alsted, Bd. 3/Tom. V, 1630/1990, S. 1598 [Herv. d. J. H. A.]. Ebd. S. 1597 [Herv. d. J. H. A.]. Gerwing, Manfred: Su¨nde – II. Patristik und Mittelalter (Art.). In: Ritter, Bd. 10, 1998, Sp. 601–607, hier Sp. 605.

333 stellung von der Su¨nde als dmonisch-außermenschlicher Macht scheint in der Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts eher in den Hintergrund zu treten. Wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts erwhnt, kann dagegen in der Sprachbildlichkeit des 17. Jahrhunderts nicht von einer ausschließlich bzw. vorwiegend intrapsychischen Verortbarkeit der Su¨nde(n) die Rede sein. Der Nachweis des doppelten – nmlich intra- wie auch extrapsychischen – Orts der Su¨nde(n) in der barocken Metaphorik an konkreten Textbeispielen steht allerdings noch aus. ¨ berblick u¨ber die in der Barocklyrik denkbaren PositioEin erster U nen der Su¨nde(n) soll im Folgenden an Ausschnitten des 127. Lieds aus Schefflers Heiliger Seelen=Lust (Die Psyche beweinet jhre Su¨nden) gewonnen werden. An ihnen werden sich ho¨chst unterschiedliche rumliche Konstellationen zwischen Su¨nde(n) und Seele sowie, gleichsam als drittem Pol, dem Ich aufzeigen lassen. Dabei mo¨gen zwar in diesem Lied die Seele und ihr (weitgehend) gleichzusetzende psychische Instanzen nicht explizit als konkrete innere Rume verbildlicht werden. Eine gewisse Rumlichkeit des Psychischen wird jedoch bereits dadurch vorausgesetzt, dass die Su¨nde mit dem nicht-leiblichen Teil des Menschen auf jeweils unterschiedliche Weise rumlich interagiert und dabei auch in ihn eintreten kann. Schon in den ersten drei Strophen von Schefflers Lied entwirft die Sprecherin Psyche ihre Su¨ndhaftigkeit in verschiedenen Bildern, die gerade auch in ihren Implikationen fu¨r das Su¨nden-Seelen-Verhltnis deutlich voneinander abzugrenzen sind: ACh weh / ach weh / wo soll ich hin / Fu¨r meinen grossen Su¨nden! Wo wird mein Geist und todter Sinn Das Leben wieder finden! Wer gibt mir eine Thrnen=Flut / Daß ich mein Leid beweine? Wer glu¨t mein Hertz mit Krafft und Glut / Und macht mich wieder reine. Jch hab deß Scho¨pffers scho¨nstes Bild Mein arme Seel beflecket; Und seiner Gleichnu¨ß besten Schild Jn Koth und Schlam[m] gestecket! Jch hab mich von der Herrligkeit Jn Schmach und Spott gefllet! Ach weh! ach weh! O Hertzeleid / Daß ich mich so verstellet! Ach weh! ich habe mich von Gott / Dem ho¨chsten Gut / gewendet! Und zu der Su¨nd / dem ho¨chsten Tod / Gantz tho¨richt angelendet!

334 Jch hab jhn nicht / wie ich gesollt / Von Hertzen Grund geliebet; Und jhm zu Lob / wie er gewolt / Mich nicht sehr streng geu¨bet.740

Ist im zweiten Vers der ersten Strophe von den »Su¨nden« die Rede, so sind damit entweder Zustandssu¨nden gemeint oder es liegt hier einer jener Flle vor, in denen die in oder an der Person zuru¨ckbleibenden Spuren fru¨herer Verfehlungen verku¨rzend als Su¨nden bezeichnet werden. Diesen Su¨nden bzw. Su¨ndenspuren glaubt das Ich in den Versen I,1–2 nicht entkommen zu ko¨nnen. Seine Resignation zeigt sich schon daran, dass der mit »wo« eingeleitete Satz durch die Interpunktion als Ausruf und nicht als Frage gekennzeichnet ist. Zumindest in der Immanenz kennt das Ich offenbar keinen Ort, an den es sich vor seinen Su¨nden(-spuren) flu¨chten ko¨nnte. Aus den beiden folgenden Versen (I,3–4) kann der Leser schließen, dass »Geist« und »Sinn« durch die Su¨nden oder deren Spuren das »Leben« verloren haben741 – ein Motiv, das an die paulinische Wendung vom Tod als »der Su¨nden sold«742 (Ro¨m 6,23) erinnert und in den weiteren Strophen von Schefflers Lied mehrfach wieder aufgenommen wird. »Geist« und »Sinn« du¨rften sich hier entweder mit der Seele identifizieren lassen oder ihr zumindest als zentrale Bestandteile zuzuordnen sein. In beiden Fllen sind die Su¨nden(-spuren) im Kernbereich des Seelischen zu verorten. Dies wiederum lsst die Resignation des Ich in den ersten beiden Versen verstndlich werden. Was in der psychischen Kernzone sitzt, kann naturgemß nicht einfach abgestreift oder zuru¨ckgelassen werden. Umgekehrt verhlt es sich mit den folgenden zwei Versen (I,7–8), in denen die Seele, wie in vielen anderen Gedichten, durch das Herz vertreten wird. Assoziiert man diesen Textabschnitt mit der schon im Mittelalter nachweisbaren Vorstellung einer feurigen Reinigung des Herzens vom »Rost der Su¨nde«,743 so wird man geneigt sein, die Su¨nden(-spuren) hier nicht als intra-, sondern als extrapsychische Gro¨ßen zu imaginieren. In jedem Fall vorauszusetzen ist eine außerseelische

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Scheffler, 1668/2004, S. 422–423 (IV,127 – »Die Psyche beweinet jhre Su¨nden«). Zu den mo¨glichen Formen des Su¨ndentods vgl. ausfu¨hrlich Alsted, Bd. 3/Tom. V, 1630/1990, S. 1598. Dass die Seele durch die Su¨nde(n) »tods verblichen« sein kann, betont auch Spee, vgl. Spee, Bd. 1, S. 78 (»Bußgesang eines recht zerknirschten Hertzens« (»Wan abends vns die braune Nacht«)). Biblia, Bd. 3, 1974, S. 2279. Schumacher, 1996, S. 586. Vgl. allgemeiner zur Reinigung von Su¨nden durch Feuer (etwa durch ein jenseitiges oder ein metaphorisch-diesseitiges Fegefeuer) auch ebd. S. 468–470. Denkbar ist schon im Mittelalter auch eine Reinigung durch die Flammen des Heiligen Geistes bzw. der go¨ttlichen Liebe, vgl. ebd. S. 472.

335 Lokalisation der Su¨nden(-spuren) in den ersten vier Versen der zweiten Strophe. In diesen bekennt das Ich, seiner »armen Seel« dauerhafte Su¨ndenflecken beigebracht zu haben, indem es »seiner Gleichnu¨ß besten Schild | Jn Koth und Schlam[m] gestecket« habe. Mit dem »Schild« ko¨nnte hier entweder gleichfalls die Seele, nmlich als beste Bewahrerin der Gottesebenbildlichkeit in der Scho¨pfung, oder, wenn man diese metaphorische Wendung anders verstehen will, der sie umgebende Leib gemeint sein. Die Vorstellung, dass der Mensch mit seiner Seele im Su¨ndenschlamm steckt, geho¨rt zu einer sehr vielfltigen Gruppe barocker Su¨ndenmetaphern, in welcher die Su¨nden bzw. die von ihnen hinterlassenen Spuren an der Außenflche der innermenschlichen Rume angesiedelt werden. So lesen wir etwa in einem Lied aus Anton Ulrichs von Braunschweig und Lu¨neburg ChristFu¨rstlichem DavidsHarpfen-Spiel (unter dem Titel Geistliche Lieder erstmals 1665 erschienen), dass »die schwere Last der Su¨nden« das Herz des Sprechers »fest u¨mfasst« halte.744 In einem anderen geistlichen Gesang dieser Sammlung schließen »frech und grosse Su¨nden« das Herz wie feindliche Eroberer ein,745 und in einem Abendgedicht Abschatz ist von der »Decke meiner Su¨nden /| Die mein Hertz umnebelt hat«, die Rede.746 Alle hier angefu¨hrten Metaphern weichen erheblich vom zeitgeno¨ssischen abstrakt-theologischen Su¨ndenverstndnis ab, in welchem die Vorstellung eines klar intrapsychischen Su¨ndenorts dominiert. Dies legt die Frage nahe, welche rhetorische Absicht mit der metaphorischen Verlagerung der Su¨ndhaftigkeit nach außen, d. h. auf die Oberflche der Seele, verfolgt wird. Zumindest fu¨r Schefflers Lied, in wel¨ bergang von der ersten zur chem diese Verlagerung sptestens im U zweiten Strophe fassbar wird, lsst sich diese Frage relativ gut beantworten, indem man den Blick auf das bisher noch nicht beru¨cksichtigte Ich lenkt: Die Verußerlichung der Su¨nden verhindert, dass man sie von allem Anfang an als handlungsdeterminierende Faktoren innerhalb der Perso¨nlichkeit wahrnimmt und so die Verantwortlichkeit der Ich-Instanz unterschtzt.747 Indem in der Bildlichkeit der zweiten Strophe das Ich selbst erst den Kontakt zwischen der bzw. den Su¨nde(n) und der Seele herstellt, wird deutlich, dass es selbst die Schuld am Abfall der Seele von Gott, an ihrem Su¨ndenfall aus der »Herrligkeit« 744 745 746

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Anton Ulrich, 1667/1969, S. 30 (6 – (»NAch dir / O GOtt! verlanget mich«)). Ebd. S. 179 (41 – (»GOtt! dessen Wunder-gu¨te«)). Abschatz, 1704/1970, S. 12 (»Himmel=Schlu¨ssel« – (»Dieser Tag ist nun zum Ende«)). hnlich argumentiert Johann Anselm Steiger, wenn er das entscheidende Motiv fu¨r die Externalisierung von eigentlich Intrapsychischem in der Mo¨glichkeit sieht, gegen Extrapsychisches besser ankmpfen, ihm besser widerstehen zu ko¨nnen, vgl. Steiger, 2005, S. 192.

336 in den »Koth und Schlamm« der Su¨nde(n) (Vers II,4) und damit zugleich auch in »Schmach und Spott« (Vers II,6) trgt. Auf der formalsprachlichen Ebene zeigt sich dies besonders am anaphorischen Aufbau der Verse II,1 und II,5 (sowie zustzlich III,5). Die Betonung der Verantwortlichkeit des Ich ist wohl auch der Grund, warum in der dritten Strophe die extrapsychische Lokalisierung der Su¨nde(n) nicht zuru¨ckgenommen wird. Das Ich beschreibt den von ihm schuldhaft nachvollzogenen Su¨ndenfall seines Stammvaters in dieser Strophe allerdings nicht mehr in der Bildlichkeit der Befleckung, sondern auf einer anderen metaphorischen Ebene, welche zugleich den bereits zuvor hergestellten Zusammenhang zwischen Su¨nde und Tod wieder aufnimmt. In der ersten Strophe des Gedichts haben die Zustandssu¨nden, die begangenen Tatsu¨nden oder deren im Innern des Ich zuru¨ckgelassene Spuren den »Geist« und den »Sinn« der Sprecherin geto¨tet. In Strophe 3 wird die Letztere mit der »Su¨nd dem ho¨chsten Tod« als externer Macht konfrontiert. Der Gebrauch des Singulars »Su¨nd« im Gegensatz zum Plural der ersten Strophe soll in diesem Fall wohl nicht auf die Erbsu¨nde verweisen (allenfalls Adam hatte die Wahl, diese aktiv anzusteuern oder sich von ihr abzuwenden), sondern vor allem einen Zuwachs an Dramatik bringen: Wird dem einen Ich die eine Su¨nde gegenu¨bergestellt, so werden damit die vielfltigen, das Ich allmhlich dem geistlichen Tod preisgebenden Versu¨ndigungen zu einem einzigen Fehlhandeln, einer einzigen fatalen Entscheidung komprimiert. In der Seefahrtsmetaphorik der dritten Strophe, deren Schlu¨sselbegriff das in Vers III,4 verwendete Verb ›anlenden‹748 darstellt, setzt sich das Ich an die Stelle eines Steuermanns. Es beklagt, sein Seelen- und Leibesschiff gezielt von Gott weg- und dem tru¨gerischen Strand749 oder den gefhrlichen Klippen der Su¨nde750 zugewendet zu haben. Auch wenn die Su¨nde hier mit dem selbstgewhlten Rei748 749

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Vgl. dazu Anon.: anlnden (Art.). In: Grimm, Bd. 1, 1854/1984, Sp. 390. In Schottels Bekntniß zu JEsu: Bey instehender Beicht (Schottelius, 1667, S. 348 (»JEsu / rechter Gnaden=weg«)), dem 27. Gedicht des zweiten Teils von Jesu Christi Nahmens=Ehr, beschuldigt sich das Ich, dass es sein »LebensSchiff […] | Zu dem eitlen Su¨ndenStrand« gelenkt habe. Das Bild der »su¨nden=klippen« taucht in Samuel Rothes Epicedium u¨ber Die glu¨cklich geendigte schiffahrt des lebens bey dem grabe Frauen Johann Julian Hirschvogelin auf. Hier durchquert die (sterbende oder verstorbene) Seele mit Christi Hilfe sicher das »todte meer« und gelangt bis zum »hafen« (Neukirch, 1970, S. 254 (»DJe flotte / die diß jahr vor Cadix hat gelegen«)): Der stern aus Jacob ist mit seinem glantz vorhanden / Er zeigt der seeligen den weg zur himmels=thu¨r / Und geht im todten meer ihr biß an hafen fu¨r / Jhr glaubens=schiff kan nicht an su¨nden=klippen stranden / An welche sonst der wind ein schiff zu fu¨hren pflegt / So daß es offt betru¨bt die seegel niederlegt.

337 seziel und nicht mit der Reiseroute identifiziert wird, mo¨gen sich in diesem Bild außerdem noch Spuren der von Paul Ricœur an alttestamentlichen Texten aufgewiesenen Vorstellung finden, in der sich die Su¨nde als ein »krumme[r] Weg«, als ein »Abweichen von der Ordnung« (und von Gott) bzw. ein »Abbiegen vom geraden Weg« zeigt.751 In den folgenden vier Strophen beklagt Psyche in verschiedenen Variationen ihren Abfall von Gott: Sie ist ihrem Scho¨pfer nach eigener Aussage weder ein guter »Knecht« (Strophe 4)752 noch ein gehorsames »Kind« (Strophe 5)753 gewesen, sie hat ihm ihre »Freundschafft auffgesaget« (Strophe 6) und ihn nicht lnger als ihren »Brutigam« anerkannt (Strophe 7).754 Diese Metaphern sind fu¨r die Fragestellung dieses Abschnitts von eher untergeordnetem Interesse, beachtlich ist allenfalls, dass auch hier die Verantwortlichkeit des Ich fu¨r seine Su¨ndhaftigkeit betont wird. Wichtige Hinweise auf mo¨gliche rumliche Relationen zwischen der bzw. den Su¨nde(n), dem Ich und seiner Seele lassen sich dagegen aus den folgenden Strophen 8–10 gewinnen: O tausend Weh / O todte Lust / Wie hast du mich vernichtet! O Eitelkeit / O Su¨nden=Wust! Wie bin ich zugerichtet! Du / du / O Su¨nd / O Seelen=Tod / Hast mich mir selbst genommen! Durch dich bin ich umb Vater / Gott / HErrn / Freund und Brutgam kommen! Ach / ist auch jrgends eine Pein Die meiner gleich zu schtzen? Kan auch ein eintzigs Ubel seyn / Das neben meins zu setzen? GOtt ist fu¨r mich auß blosser Huld Ans Creutzes Stam[m] gestorben; Und ich hab mich auß eigner Schuld Doch wiederumb vertorben. Wem soll ich nu mein Hertzeleid Und grossen Jammer klagen? Wem soll ich meine Traurigkeit Und ewgen Schaden sagen! Jch / ich bin selbst mein Seelen=Gifft / Mein Tod und Feind gewesen; Jch hab mir selbst / was mich jetzt trifft / Das Ubel außerlesen.755 751 752

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Ricœur, 1971, S. 85, vgl. auch S. 86–88. Scheffler, 1668/2004, S. 423 (IV,127 – »Die Psyche beweinet jhre Su¨nden« (»ACh weh / ach weh / wo soll ich hin«)). Ebd. S. 423–424. Ebd. S. 424. Ebd. S. 425–426.

338 Im fu¨nften Vers der achten Strophe wird die Su¨nde (auch hier verwendet das Ich wieder den singularischen Begriff) direkt angesprochen und damit personifiziert. Man ko¨nnte dies etwa so interpretieren, dass sich Psyche an dieser Stelle an die Su¨nde schlechthin, die allen Einzelsu¨nden zugrundeliegende Su¨nde des Abfalls von Gott, wendet. Hier scheint man also auf den ersten Blick, den singularischen Su¨ndenbegriff tatschlich der Erbsu¨nde gleichsetzen zu ko¨nnen. Fu¨r eine solche Deutung spricht die Apostrophe des Verses VIII,1, in welcher mit der »todte[n] Lust« die Konkupiszenz gemeint sein ko¨nnte. Auch die Bezeichnung des »Su¨nden=Wust[s]« (Vers VIII,3) ließe sich als Anspielung auf die Erbsu¨nde als von Adam her auf uns gekommene, unsere innere Ordnung (und damit auch innere Einheit) zerru¨ttende Zustandssu¨nde lesen. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass mit dem »Su¨nden=Wust« die Gesamtheit der von den Einzelsu¨nden hinterlassenen Spuren gemeint ist. Schließlich lassen sich auch ußerst gewichtige Einwnde gegen die Identifikation der »Su¨nd« aus Vers VIII,5 mit der Erbsu¨nde anfu¨hren. Von vornherein unmo¨glich ist eine solche Gleichsetzung etwa dann, wenn man die hier als »Seelen=Tod« (Vers VIII,5) apostrophierte Su¨nde mit »der Su¨nd / dem ho¨chsten Tod« aus Vers III,3 identifiziert. Die in der dritten Strophe erwhnte Su¨nde ist schließlich, wie oben ausgefu¨hrt, vom Ich erst im Laufe seines Lebens aktiv aufgesucht worden, whrend ihm die Erbsu¨nde schon von Anfang an zugeho¨rt. Gegen die Interpretation der in Vers VIII,5 genannten Su¨nde als peccatum originale spricht weiterhin der Umstand, dass in allen drei Apostrophen der achten Strophe die Su¨nde als feindliches Gegenu¨ber der Sprecherin und damit als eine grundstzlich nicht zum Subjekt geho¨rige, eigenstndige Macht betrachtet wird. Die direkte Anrede der Su¨nde legt es eher nahe, sie sich zunchst als eine extrapsychische Gro¨ße, als von außen kommenden Feind vorzustellen, der allerdings am Ende des gegen die Seele unternommenen Vernichtungsfeldzugs bis in die innersten Bereiche der Perso¨nlichkeit vordringt, um diese in ihrer Einheit mit sich selbst, in ihrer Kohrenz in Frage zu stellen (»Hast mich mir selbst genommen!« (Vers VIII,8)) und sie zu »vernichte[n]« (Vers VIII,2). Anders als in der dritten Strophe stellt sich das Ich in Strophe 8 als ohnmchtig und wehrlos gegenu¨ber der Su¨nde dar. Es scheint, als ko¨nne es ihren Eingriffen in seine psychische Kernzone nichts als seine Anklage entgegensetzen. Dagegen u¨bernimmt es in der zehnten Strophe nochmals die volle Verantwortung fu¨r seinen korrumpierten Zustand: Jch, ich bin selbst mein Seelen=Gifft, Mein Tod und Feind gewesen […].756 756

Ebd. S. 426.

339 In den beiden hier ein zweites Mal zitierten Versen X,5 und X,6 werden die Vorwu¨rfe, die sich das Ich in der zweiten und dritten Strophe des Gedichts macht, durch eine noch ungleich radikalere Selbstanklage u¨berboten. Indem das Ich sich beschuldigt, sein eigener »Tod« und »Feind« gewesen zu sein, sieht es sich selbst in jener Rolle, die es in der achten Strophe der Su¨nde und ihren schdlichen Einflu¨ssen zugewiesen hat. Auch in der Selbstbezichtigung als »Seelen=Gifft« u¨bertrgt das Ich eine traditionelle Su¨ndenmetapher auf sich und weist sich damit als Zersto¨rer der eigenen Seele aus. Die Metaphorik der Verse X,5–6 legt ein deutlich intimeres Verhltnis der Su¨nde zur Sprecherin und zu deren Seele nahe, als es sich aus der achten Strophe ablesen lsst. Die Su¨nde tritt hier nicht als feindliche, allem Anschein nach von außen kommende Macht auf, sondern sie ist nicht mehr vom Ich zu trennen. Ordnungs- und kohrenzgefhrdend ist in der Sprecherin zusammengewachsen, was nach Gottes Willen nicht zusammengeho¨rt. Als Gro¨ße, die auf das Engste mit der menschlichen Perso¨nlichkeit verwoben ist, kann die Su¨nde hier deutlich besser als in allen vorangehend untersuchten Textpassagen mit der Erbsu¨nde identifiziert werden. Wo man diese Gleichsetzung tatschlich vornimmt, findet man beim Konvertiten Scheffler zugleich eine Antwort auf ein vorwiegend lutherisches Problem: Die Erbsu¨nde muss unter diesen Umstnden als substantieller (und nicht bloß akzidenteller) Bestandteil des Menschen interpretiert werden. Fu¨r die Sprecherin Psyche hat ihre Identifikation mit der Su¨nde eine bemerkenswerte Selbst- und zugleich Seelen-Entzweiung757 zur Folge. Wendet das Ich sich als »Gifft« gegen seine eigene Seele, so kommt es schon deshalb zur pluralisierenden Seelenspaltung, weil das Ich selbst keinesfalls als eine dem Psychischen klar entgegengesetzte, also rein leibliche Gro¨ße verstanden werden kann. Aber auch davon abgesehen, dass sich hier – in Gestalt der psychophysischen Gro¨ße des Ich – Seelisches gegen Seelisches richtet, hat man mit einer Fragmentierung des vom Gift der Su¨nde durchsetzten seelischen Innenbereichs zu rechnen. Die destruktiven Wirkungen, die das Su¨ndentoxin im menschlichen Innern entfaltet, zeigen sich besonders eindrucksvoll in der Bildlichkeit des nachfolgend zitierten Epigramms VI,162 aus Schefflers Cherubinischem Wandersmann: Ein vergifftes Hertze treibt nicht in die Ho¨he. Halt / du verletzest dich / das Gifft muß auß dem Rohr / Sonst springts fu¨rwahr entzwey und treibet nicht embpor.758 757

758

Das Selbstspaltungsmotiv, dem wir bereits in Vers VIII,6 begegnet sind, tritt außerdem auch in den Versen IX,7–8 auf. Scheffler, 2000, S. 271.

340 Die hier zitierten Verse greifen zunchst die Metaphorik des ihnen vorangehenden Epigramms auf.759 In Letzterem wird das Herz einer auf Gott zu richtenden geistlichen Schusswaffe, einem »Rohr«, gleichgesetzt760 und ausdru¨cklich die Herzensreinigung761 vor dem riskanten Schuss auf das go¨ttliche Ziel gefordert.762 Im Epigramm VI,162 erscheint das Herz jedoch gleichzeitig auch als die in diesem »Rohr« enthaltene, in Richtung Himmel abgeschossene Munition, so dass es gewissermaßen als Gefß seiner selbst auftritt. Haben die Su¨nden den Hohlraum des Herzens, das schon im Neuen Testament zum Ursprungsort der (Tat-)Su¨nden erklrt wird,763 einmal vergiftet, so ist das Herz zum einen außer Stande, die heilbringende Richtung nach oben, d. h. in die Transzendenz, einzuschlagen. Das Verb ›emportreiben‹ deutet dabei an, dass das Herz in reinem Zustand ganz von selbst u¨ber einen Drang in die Ho¨he verfu¨gt. Schon bei Augustinus764 oder in Dantes Divina Comedia765 erscheint das Aufsteigen als die unfreiwilligunaufhaltsam sich vollziehende Bewegung jener Geluterten, die daran nicht mehr von Su¨ndenlast und Erdenschwere gehindert werden. Zum anderen steht das Herz durch seine Kontamination mit dem Su¨ndengift unter dem Einfluss chaotischer, in ganz unterschiedliche Expansionsrichtungen drngender Krfte, durch die es letztlich whrend eines einzigen, notwendig fehlschlagenden Schussversuchs vollstndig zersplittert werden kann. Wenn das Su¨ndengift in den inneren Rumen ein ungeordnetes Gegeneinander der Krfte hervorruft, so deutet sich 759

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Zudem steht das oben zitierte Epigramm im Kontext weiterer Reflexionen Schefflers zur Schu¨tzenkunst in zahlreichen hier nicht angefu¨hrten Epigrammen und in Schefflers verschollenem Libellus Desideriorum, vgl. dazu ausfu¨hrlich Gndinger, 1966, S. 42–56. Vgl. dazu auch Scheffler, 2000, S. 270 (VI,158): Der Geistliche Schu¨tze-Zeug. Das Hertz ist unser Rohr / die Liebe Kraut und Loth / Der Zunder gutter Will: Zieh loß so triffstu GOtt. Zum Motiv der (Un-)Reinheit des Herzens im Mittelalter vgl. Schumacher, 1996, S. 188–195. Vgl. Scheffler, 2000, S. 271 (VI,161 – »Das Hertze muß gerumt und rein seyn«). Vgl. Gru¨ndel, Johannes: Su¨nde – V. Theologisch-ethisch. In: RGG, Bd. 9, 2000, Sp. 1128–1130, hier Sp. 1129: »Wie Jesus in der Bergpredigt andeutet, wird die S[u¨nde] bereits in der verkehrten Grundgesinnung, im Herzen des Menschen ›geboren‹ (Mt 5,21.28). Sie schlgt sich in der konkreten Tat nieder, welche die bo¨se Grundhaltung wiederum noch verfestigt.« Vgl. auch Lyonnet, 1984, etwa Sp. 806, Sp. 810. Vgl. zum Motiv des Aufsteigens bei Augustinus und in der Folge auch in einigen deutschsprachigen Texten des Mittelalters Schumacher, 1996, S. 193–194. Vgl. Dante, 2003, S. 365 (Paradies, I. Gesang, Verse 136–141). Sehr hnlich schreibt noch Novalis in Die Christenheit oder Europa (1799) u¨ber die rumlichmetaphysische Ausrichtung des Menschen: »Wie von selbst steigt der Mensch gen Himmel auf, wenn ihn nichts mehr bindet« (Novalis, 1999, S. 743).

341 in dieser Metaphorik ein Su¨ndenverstndnis an, das schon seit der Patristik auch jenseits aller Bildlichkeit nachgewiesen werden kann: Die Su¨nde erscheint als »Zersto¨rung des vom go¨ttlichen Willen auferlegten Ordo«766 zwischen den einzelnen psychischen Komponenten des Menschen. Wenigstens diese zweite im Epigramm fassbare Giftwirkung ist auch fu¨r das oben in Ausschnitten zitierte Lied aus Schefflers Heiliger Seelen=Lust vorauszusetzen. Im Hinblick auf das Su¨nden-Seelen-Verhltnis verdienen in Schefflers Lied neben den bereits angefu¨hrten Textpassagen schließlich auch noch zwei Verse aus der 14. Strophe (XIV,3–4) Beachtung, in denen es voller Vertrauen in die Gu¨te Gottes heißt: Du wirst ja deiner Gottheit Bild Nicht lassen in der Su¨nde!767

Mo¨chte man aus der Prposition »in« (XIV,4) keine eindeutig rumliche Relation zwischen der Su¨nde und dem Menschen bzw. dessen psychischen Anteilen ableiten, so kann man diese beiden Verse mit Ricœurs Konzept der Gefangenschaft des Menschen »in« (d. h. im Zustand) der Su¨nde assoziieren, welches dieser Autor an Texten des Alten Testaments erarbeitet hat. Der Appell an Gott ist dann als die Bitte ¨ bermacht der Su¨nden Gefesselten um »Loskauf und eines von der U Befreiung« zu lesen.768 Eine ohnmchtige Lage des Ich hat man auch dann zu konstatieren, wenn man die Prposition ›in‹ strikt rumlich versteht – eine Lesart, die im Rahmen der Fragestellung dieses Abschnitts zu favorisieren ist. In diesem Fall hat man davon auszugehen, dass die Su¨nde den Menschen als leibseelisches Ganzes umschließt, wobei sie die innermenschlichen Instanzen entweder nur hu¨llenartig umgibt oder sie zugleich auch vollstndig durchdringt. Unabhngig davon, ob sie den psychophysischen Innenraum des Menschen nur als Schale beru¨hrt oder sich mit ihm u¨berschneidet, befindet sie sich offenbar in einer so u¨bermchtigen Position, dass an dieser Stelle nicht mehr das Ich, sondern nur noch Gott (als der Scho¨pfer seines Ebenbilds) ihr Gegenspieler sein kann. Zum Abschluss der Interpretation von Schefflers Lied soll eine Mo¨glichkeit angedeutet werden, wie sich die darin entworfenen stark divergierenden Su¨ndenlokalisationen sowie die verschiedenen Machtverhltnisse zwischen Su¨nde(n) und Seele zusammendenken lassen – allerdings darf in diesem Fall die Su¨nde an keiner Stelle mit der dem 766 767

768

Ohlig, 2001, S. 14. Scheffler, 1668/2004, S. 427 (IV,127 – »Die Psyche beweinet jhre Su¨nden« (»ACh weh / ach weh / wo soll ich hin«)). Ricœur, 1971, S. 110.

342 Menschen a priori innewohnenden Erbsu¨nde identifiziert werden. Es besteht die Mo¨glichkeit, die verschiedenen Konstellationen in einem (nicht der Chronologie des Gedichts entsprechenden) zeitlichen Nacheinander wahrzunehmen. Aus einer freiwilligen Annherung der Sprecherin an die Su¨nde (Seefahrts- und Schlamm-Metaphorik) folgt zunchst eine ußerliche Su¨ndenbefleckung, dann das verheerende Eindringen der Su¨nde(n) in den seelischen Innenraum und schließlich die Verschmelzung von Su¨nde(n) und Ich. Die Macht der Su¨nde(n) gegenu¨ber der Seele nimmt dabei so weit zu, dass das anfnglich autonome Ich ihr bzw. ihnen zunehmend hilflos gegenu¨bersteht. Wo, wie in den zuletzt zitierten Versen, die Su¨nde das Ich ganz umschlossen hlt, wo sie gnzlich mit ihm verwachsen ist oder wo die Su¨nden, wie in der ersten Strophe, »Geist« und »Sinn« geto¨tet haben, kann nur noch Gott einen erlo¨senden Ausweg finden. Aus den bisherigen Ausfu¨hrun¨ berblick u¨ber mo¨gliche rumliche gen, die vor allem einen ersten U ¨ Sunden-Seelen-Konstellationen geben sollten, lassen sich zustzlich zwei wichtige Anregungen fu¨r die weiteren Analysen gewinnen. So zeigt der Fall des in der Rolle der Su¨nde auftretenden Ich in Vers X,5–6, dass bei der Frage nach der (In-)Kohrenz des Psychischen nicht nur die rumliche Position der Su¨nde(n) zu klren ist. Die Einheit des Psychischen wird in diesen Versen nicht allein durch die rumliche ¨ berschneidung, sondern auch durch die Wesens- bzw. Substanzu¨berU einstimmung zwischen der Seele und der bzw. den Su¨nde(n) bedroht. Zustzlich zum Ort der Su¨nde(n) soll daher im Folgenden auch der Grad ihrer Zugeho¨rigkeit zur Seele untersucht werden. Weiterhin ist an den bisherigen Interpretationen deutlich geworden, wie vielfltig sich das Machtverhltnis zwischen der Su¨nde und dem Ich des Gedichts bzw. dessen psychischen Anteilen gestalten kann. Auch dieser Aspekt der Su¨nden-Seelen-Relation wird im Folgenden zu beru¨cksichtigen sein. Eine systematische Untersuchung der Destabilisierungsprozesse, die im psychischen Raum durch die Su¨nde(n) ausgelo¨st werden, ließ sich an Schefflers Lied nicht durchfu¨hren. Allerdings hat sich an den bisherigen Analysen gezeigt, dass sich die seelische Viel-Einheit durch den mehr oder weniger engen Su¨ndenkontakt vor allem auf zweierlei Weise strker dem Vielheitspol zuneigt. Einerseits vermo¨gen die Su¨nden den seelischen ordo zu bedrohen, andererseits sind sie im Stande, eine Perso¨nlichkeits- und damit auch eine Seelenspaltung hervorzurufen. Besonders eindru¨cklich und detailliert werden die destruktiven Folgen der Su¨nde(n) fu¨r die menschliche Psyche in einem nachfolgend zu untersuchenden Gedicht aus der Ersten Abteihlung von Schottels ¨ berschrift bildet Fruchtbringendem Lustgarte dargestellt. Ohne eigene U

343 es mit anderen, die Erlo¨sungstat Christi am Kreuz und die Su¨ndhaftigkeit des Menschen reflektierenden Gedichten einen Zyklus, der mit dem Titel Eine herzliche Anschauung und Betrachtung / unsers gekreuzigten Heilandes JEsu Christi versehen ist. Fragt das glubige Ich im ersten Vers dieses Gedichts nach dem Ort, an dem es seinem Erlo¨ser in der Immanenz gegenu¨bertreten ko¨nne – »ACh HERR / wo sol dich denn ein treuer Sucher finden?«769 –, so weiß es sich in den folgenden ¨ berzeuVersen selbst die Antwort zu geben: Christus ist nach seiner U gung nur am »Creuz und in des Creuzes Pein« (Vers 12) zu suchen und zu finden.770 Dem zunchst nur an sich allein gerichteten Appell, das »Ebenbild« des Kreuzes in seinem »Herzen« aufzurichten und die Seelenkrfte ganz in den Dienst der Kreuzesmeditation zu stellen (Verse 14–28, besonders 27–28),771 leistet das Ich im weiteren Textverlauf unmittelbar Folge (Verse 30–56).772 Dann fordert es auch die nach Su¨nden strebenden und von Su¨nden befleckten »ErdenLeute« zur Betrachtung des Gekreuzigten und zu ihrer Bekehrung auf (Verse 57–70).773 Nicht jeder dieser Su¨nder allerdings ist, wie das Ich in den nachfolgend zitierten Versen 71–74 ausfu¨hrt, zur Kreuzesschau geeignet: Wer Christum schauen wil / und sein Nachfolger seyn / Muß lernen seine Lehr / und u¨ben die allein. Weg / jhr Weltkinder / weg / jhr weltgesinnte Narren / Die jhr verstokter Art wolt auf Weltfru¨chte harren […].774

Wer sich reuevoll dem Gekreuzigten nhern will, muss zunchst zu einer nur durch das Licht des (Heiligen) Geistes775 ermo¨glichten Introspektion bereit sein.776 Dazu hat er, wie der Sprecher in den unten 769 770 771 772 773 774 775

776

Schottelius, 1647/1967, S. 45 (1. Abteilung). Ebd. S. 46. Ebd. Vgl. ebd. S. 47–48. Ebd. S. 48–49. Ebd. S. 49. Der Gedanke, dass der intrapsychische Raum von der Kerze des Heiligen Geistes durchleuchtet werden muss, findet sich etwa auch in Harsdo¨rffers Hertzbeweglichen Sonntagsandachten (1649). Dort heißt es in einem Morgengesang mit dem Incipit »NUn ist die u¨bermu¨de Nacht« (Harsdo¨rffer, 1649/2007, S. 21): Gleichwie der Blumen Bltlein Schrein zertheilt der warme Sonnenschein / sie gntzlich zu erquicken: So soll auch mein verdu¨stert Hertz sich o¨ffnen / daß deß Geistes Kertz kan seinen Schrein durchblicken […]. Vgl. hnlich etwa Hall, 1974, S. 59–60: Joseph Hall gebraucht das Bild einer Fackel, mit der das Herz auf seinen moralischen Zustand hin ausgeleuchtet werden soll.

344 angefu¨hrten Versen 78–84 erlutert, seine exzentrische Position zu verlassen und die eigene Herzenskammer zu betreten (vgl. zum Eintritt in den eigenen Herzensraum ausfu¨hrlich Abschnitt 3.5). ›Vor Ort‹ muss er sich dann mit Gottes Hilfe um eine Luterung der inneren Rume bemu¨hen:

80

Wer seinen Heyland wil recht in sein Herze fassen / Der werffe von sich weg die Welt / und den Weltsinn / Und lege Lust und Schmak der Erden von sich hin: Er geh stillschweigend in die Kammer seines Herzen / Beleuchte sich da recht mit einer GeistesKerzen; Die Finsternu¨ß / das Fleisch / die Gier / der Wiederstand / Muß durch ein Gottes Feur verzehrt seyn und verbrand.777

Die ›Makel‹, von denen es die Herzenskammer mit go¨ttlichem Beistand zu reinigen gilt (Verse 83–84), lassen sich gleich auf dreierlei Weise mit der Su¨nde in Zusammenhang bringen: Zunchst kann man sie, besonders die »Gier« und den »Wiederstand« gegen den go¨ttlichen Willen, selbst als Su¨nde – im Sinne einer Zustandssu¨nde, eines peccatum habituale – deuten. Auch mit der Erbsu¨nde ko¨nnte man nach dieser ersten Lesart die in Vers 83 aufgezhlten Gro¨ßen grundstzlich identifizieren. Dies htte allerdings die problematische Konsequenz, dass sich dann im Gedicht des Lutheraners Schottelius die Mo¨glichkeit abzeichnete, den menschlichen Innenraum durch das Feuer der Geisteskerze gnzlich vom peccatum originale zu reinigen – eine der lutherischen Formel des simul iustus et peccator widersprechende Vorstellung. Weiterhin ko¨nnen in einer zweiten Deutungsalternative die Finsternis,778 die Begierde und der Widerstand des Fleisches als in der sinnlichen Seele verankerte (Erb-)Su¨ndenfolgen eingestuft werden. Und schließlich tragen sie nach einer dritten Interpretationsvariante als Su¨ndenvoraussetzungen erheblich zur Bereitschaft des Menschen zur (aktuellen) Su¨nde bei. Beru¨cksichtigt man die vorangehend zitierten Ausfu¨hrungen Alsteds, so stehen die drei hier angefu¨hrten Lesarten der negativen Seeleninhalte nicht im Widerspruch zueinander, sondern ko¨nnen, ja mu¨ssen alle gleichermaßen beru¨cksichtigt werden. Insbesondere nach der dritten Lesart des in Vers 83 beschriebenen Seelenmissstands mu¨ssen die Luterung des Herzensraums sowie 777

778

Schottelius, 1647/1967, S. 49–50 (1. Abteilung – (»ACh HERR / wo sol dich denn ein treuer Sucher finden?«)). Zur Finsternis als Erbsu¨ndenfolge vgl. etwa Hedler, 1657, S. 10. In manchen barocken Gedichten kann die Finsternis im Herzen statt mit der (einen) Erbsu¨nde auch mit den aus ihr folgenden Su¨nden assoziiert werden, vgl. etwa Zesen, Bd. I,2, 1993, S. 35 (»Filip Zesens Gekreutzigter Liebsflammen oder Geistlicher Gedichte Vorschmak« – »Seufzer zu Gott dem Herren u¨m vergebung der su¨nden und besserung des lebens« (»KOm / o Sonne meiner Seelen«)).

345 schon seine der go¨ttlichen Gnade779 verdankte Erhellung im Licht des Heiligen Geistes als wesentliche Beitrge zur Su¨ndenprvention gesehen werden. Fragt man, welche Folgen diese beiden Prventivmaßnahmen fu¨r die Seeleneinheit nach sich ziehen, so wird man zunchst festzustellen haben, dass die in den Versen 83–84 entworfenen seelischen Luterungsbemu¨hungen mit einer nicht zu unterschtzenden Destabilisierung des vorliegenden Raums verbunden sind. Durch die vom Sprecher skizzierten Umgestaltungen verschwinden zwar unerwu¨nschtproblematische, aber doch fu¨r die psychische Konstitution des Menschen bisher charakteristische Bestandteile der anima sensitiva aus dem Herzens- bzw. Seelenraum. Zu einer merklichen Pluralisierung des Seelischen trgt auch die damit verbundene intrapsychische Beleuchtungsvernderung bei. Allerdings fu¨hrt auch in diesem Fall die pluralisierende Umstrukturierung zugleich zu einer gesteigerten Seelenordnung und Seeleneinheit, wird doch durch sie ku¨nftig ein unordentlich-vielheitliches Gegeneinander der Seelenkrfte vermieden und (mit der besseren Beleuchtung) der Vernunft eine zuverlssigere Kontrolle des Seelenraums ermo¨glicht. So wichtig die innere Luterung des Herzensraums zur Prvention su¨ndenbedingter Seelenchaotisierungen auch sein mag – ausreichend ist sie nicht, denn explizit als ›Su¨nde‹ wird im hier untersuchten Gedicht gerade nicht die von vornherein vorhandene innere Korruption des Menschen, nicht die ab ovo zu seinem Wesen geho¨rige erbsu¨ndliche Konkupiszenz, sondern eine von außen in die Seele eintretende Gro¨ße bezeichnet (Verse 85–96): 85

90

95

779

780

Er schlies auch umher zu die Tu¨hre seiner Sinnen / Die Ruber der Vernunft / die ausser uns beginnen Zusuchen eine Gier / und fangen auf ein Bild Des Bo¨sen / wodurch selbst die Seele wird erfu¨llt. Die Su¨nde rieselt her durch unsrer Sin[n]en Ro¨hren / Vermengt mit einer Lust / das Herze lst sich to¨hren / Durch ein Empfindlichkeit / die wie ein Rauch zerweht / Die Su¨nde mitlerweil in tieffen Wurzlen steht. Den[n] wer die Su¨nde lst durch ofne Gnge dringen / Des neuen Menschen Sinn mit einem Strik umslingen / Den unser Wille flicht; dem ist des Leibes liecht / Die Seel / ohn Seelenliecht / weis von jhr selber nicht […].780

In seinem Hertzlichen und bru¨nstigen SonntagsSeuftzerlein redet Schottel aus¨ ber das Evangel. dru¨cklich von der »Gnaden Kertz« (Schottelius, 1667, S. 75 (»U am Sontag Esto mihi oder Quinquag. Luc. 18«)), die den durch seine Su¨nden erblindeten Menschen zum Sehenden machen soll. Schottelius, 1647/1967, S. 50 (1. Abteilung – (»ACh HERR / wo sol dich denn ein treuer Sucher finden?«)).

346 Die sich in den ersten Versen andeutende außerseelische, ja außermenschliche Ausgangsposition der Su¨nde ist besonders im Hinblick auf die andernorts von Schottel konzipierte Anthropologie u¨berraschend. Kontextualisiert man Schottels Verse mit der Seelenlehre, die er in seiner Ethica (1669) entwirft,781 so lsst sich schwer nachvollziehen, warum von außen in die Seele Eindringendes schon als Su¨nde zu bezeichnen sein sollte. Durch die »Tu¨hre« bzw. die »Ro¨hren« der fu¨nf ußeren Sinne (dass in Vers 85 die drei inneren Sinne gemeint sein ko¨nnten, erscheint schon auf Grund der im Zusammenhang mit ihnen verwendeten Metaphorik eher abwegig) »riesel[n]« Schottels philosophischen Ausfu¨hrungen zufolge zunchst nur wertneutrale Sinnesdaten.782 Zu diesen ko¨nnen sich dann in einem weiteren Schritt der appetitus sensitivus (und damit die Affekte)783 sowie der Wille784 in moralisch korrekter oder unzulssiger Form positionieren. Erst in der Reaktion des Menschen auf das Wahrgenommene, erst in seinem Verhalten gegenu¨ber den in ihn eindringenden Sinnesinformationen kann sich in Schottels anthropologischem Modell die Su¨nde realisieren. Wenn sich Schottel im Gedicht im Widerspruch zu seiner eigenen Anthropologie und zur lutherischen Su¨ndendiskussion der metaphorischen Auslagerung der Su¨nde aus dem Menschen bedient, so betont er damit, hnlich wie Scheffler, die Verantwortlichkeit des Menschen fu¨r sein su¨ndhaftes Handeln. Wie beim oben untersuchten Lied aus der Heiligen Seelen=Lust wird auch hier durch den urspru¨nglich extrapsychischen Ort der Su¨nde ihre individuelle Zurechenbarkeit unterstrichen. Schuldig werden in Schottels Versen gleich mehrere Seelenvermo¨gen. Zunchst vergehen sich die der anima sensitiva zugeho¨renden785 Sinne, die von der Su¨nde keineswegs bloß u¨berfallen und gezwungen werden, sie in die Seele einzulassen. Als »Ruber der Vernunft« (Vers 86) begeben sie sich vielmehr aktiv auf die Jagd, um die Su¨nde bzw. das »Bild [d]es Bo¨sen« (Verse 87–88) einzufangen, in das menschliche Innere zu transportieren und es dort wider die go¨ttliche Ordnung, die den Menschen als imago Dei vorsieht, aufzurichten. Weiterhin kann es dem Herzen,786 das hier metonymisch die aus ihm entspringenden Affekte 781 782

783

784 785 786

Vgl. zu diesem Werk und seinem Kontext Berns, 1980. Vgl. zu den u¨ber die Sinne jeweils aufgenommenen Informationen Schottelius, 1669/1980, S. 77–86. Zur Verbindung des appetitus sensitivus (der »entpfindliche[n] Begierde«) mit den Affekten vgl. ebd. S. 103–104; Berns, 1980, S. 55. Vgl. Schottelius, 1669/1980, S. 124–125. Vgl. ebd. S. 75. In seiner Ethica bezeichnet Schottelius die Affekte – gut aristotelisch-thomistisch (vgl. dazu Meyer-Kalkus, 1986, S. 39) – als »Hertzneigungen«. Sie gehen seiner Ansicht nach aus der »Begier=Kraft« (vis appetitiva) hervor (Schottelius,

347 vertritt, als Schuld zugerechnet werden, wenn es sich von einer durch Sinnesdaten induzierten »Empfindlichkeit« nach und nach »to¨hren« und die Su¨nde immer tiefer in sich wurzeln lsst (Verse 90–91). Und schließlich wird auch der Wille durch die von außen eindringende Su¨nde nicht einfach entmachtet, sondern beteiligt sich als eines der obersten, der anima rationalis zugeho¨rigen Seelenvermo¨gen787 gleichfalls aktiv an der Verflechtung des menschlichen Innern mit der Su¨nde (Verse 94–95). Nicht die Su¨nde selbst hat es also in der Hand, ob und gegebenenfalls wann sie sich in den innermenschlichen Rumen ansiedelt. Vielmehr haben die verschiedenen Seelenvermo¨gen und die mit ihnen eng verbundenen physischen Anlagen die Macht, die Su¨nde zuzulassen oder ihr den Zutritt zu verweigern.788 Nur eine einzige psychische Potenz hat hier offenbar kein Mitspracherecht, sondern wird im Fall eines Vordringens der Su¨nde richtiggehend ausgeschaltet: die Vernunft. Dabei wird die ratio allerdings nicht von der Su¨nde u¨berwltigt, sondern von den Sinnen, also anderen Seelenvermo¨gen, geraubt. Neben der Raubmetaphorik von Vers 86 ko¨nnen auf die Entmachtung dieses Seelenvermo¨gens mo¨glicherweise auch die in Vers 94 geschilderte Fesselung des Sinns (vgl. zu dessen Identifizierbarkeit mit der Vernunft Abschnitt 3.6) sowie das in Vers 96 konstatierte Fehlen des »Seelenliecht[s]« hinweisen,789 das unten noch genauer zu untersuchen sein wird. Die Vorstellung, dass sich die menschlichen Innenrume durch wehrhafte Abschottung vor externen Angriffen auf die intrapsychische Moral und die (gottgewollte) innerseelische Ordnung schu¨tzen ko¨nnten, findet sich nicht allein bei Schottel, sondern auch in anderen barocken Gedichten. So heißt es etwa in den nachfolgend zitierten Versen

787 788

789

1669/1980, S. 107; vgl. hnlich auch andere zeitgeno¨ssische Philosophen, so etwa Galtruchius, 1656, S. 6) und entspringen damit der anima sensitiva (Schottelius, 1669/1980, S. 103). Vgl. Schottelius, 1669/1980, S. 117. Ein hnliches Denken liegt auch der bereits in Abschnitt 3.5 untersuchten Selbstanklage des Ich in einem Gedicht Weckherlins zugrunde, vgl. Weckherlin, 1894/1968, S. 411 (141 – »Beicht und Buß« (»Ach! daß der schwere schmertz, damit ich nu geschlagen«)). Die Zusammenhnge zwischen dem Licht und der Vernunft sind schon in der Fru¨hen Neuzeit so zahlreich, dass hier drei exemplarische Hinweise genu¨gen sollen: Bei Melanchthon kann die ratio vom go¨ttlichen Licht erhellt sein (Melanchthon, 1846, Sp. 138 u.o¨.), Johann Arndt weist darauf hin, dass auch nach dem Su¨ndenfall »im menschlichen Verstande ein kleines Fu¨ncklein des natu¨rlichen Lichts blieben« sei (Arndt, 1733, S. 217 (I,41)), und Schottel selbst fu¨hrt in seiner Ethica aus, dass der Verstand »ein / von Gott ihm eingepflantztes Erkennungslicht« besitze, »welches den Verstand gleichsam immer erleuchtet« (Schottelius, 1669/1980, S. 119 [Herv. d. J. G. S.]). An anderer Stelle redet er von einer in der anima rationalis verbliebenen »Anzeige eines go¨ttlichen Lichtes« und einem »vernunftreiche[n] Straal« (ebd. S. 114 [Herv. d. J. G. S.]).

348 des anonym in Neukirchs Anthologie aufgenommenen Epicediums Die Glu¨cklich=verkehrte Hoffnung / Bey […] Herrn Maximilian R. v. P. u. W. anerkennend von einem Verstorbenen (Verse 61–64): Er ließ des hertzens hauß nicht einen landweg seyn: Die pforten stunden hier nicht einem jedem offen / Die laster haben sie verschlossen angetroffen / Es nahm die tugend nur diß edle zimmer ein.790

In den hier zitierten Versen wird das psychische Gebude des Verstorbenen kontrastierend dem offenen Raum einer Landstraße gegenu¨bergestellt. Whrend die Letztere in ihrer freien Zugnglichkeit allen mo¨glichen chaotisch-destruktiven Einflu¨ssen ungeschu¨tzt ausgesetzt ist, hatte es der Verstorbene in seiner Gewalt, sein Herzens- bzw. Seelenhaus zu Lebzeiten selektiv zu verriegeln. So ist in sein inneres Herzenszimmer als Seelengast – oder, wie das Verb ›einnehmen‹ suggeriert, als Seelenbesitzer – nur die Tugend eingelassen worden, eine Kraft, die der go¨ttlichen Ordnung nicht entgegen-, sondern vielmehr zuarbeitet. Ein fu¨r die Seeleneinheit bedrohliches Durch- und Gegeneinander intraund extrapsychischer Krfte und Einflu¨sse, wie Schottel es in seinem Gedicht entwirft, kann es in einem solchen Seelenraum nicht geben. Genauere Hinweise auf die Schottels Gedicht dominierenden Vorstellungen vom psychischen Raum und auf die konkreten destabilisierenden Wirkungen der Su¨nden finden sich in der zweiten Hlfte des zuletzt zitierten Textausschnitts, der hier nochmals, und zwar im Zusammenhang mit den unmittelbar folgenden Versen, angefu¨hrt werden soll (Verse 89–104): Die Su¨nde rieselt her durch unsrer Sin[n]en Ro¨hren / Vermengt mit einer Lust / das Herze lst sich to¨hren / Durch ein Empfindlichkeit / die wie ein Rauch zerweht / Die Su¨nde mitlerweil in tieffen Wurzlen steht. Den[n] wer die Su¨nde lst durch ofne Gnge dringen / Des neuen Menschen Sinn mit einem Strik umslingen / 95 Den unser Wille flicht; dem ist des Leibes liecht / Die Seel / ohn Seelenliecht / weis von jhr selber nicht: Dem ist sein Himmelsbild mit Erdenlust erfu¨llet / Das Gottes Liecht verblendt / mit Finsterniß umhu¨llet: Verleuret sich in sich / ja wikkelt selber auf / 100 Des Fleisches Gierligkeit / gibt der Lust freyen Lauf: Die lodert bru¨nstig auf mit vollen Lasterflam[m]en / Die Laster unter sich vermengen sich zusammen / Neid / Hoffart / Unzucht / Zorn / Mord / Fluchen / Swelgerey / Mit andren hunderten die folgen frisch und frey.791 90

790 791

Neukirch, 1981, S. 184 (»DEr Schotten ko¨nigin / das muster vieler pein«). Schottelius, 1647/1967, S. 50–51 (1. Abteilung – (»ACh HERR / wo sol dich denn ein treuer Sucher finden?«)).

349 In Verbindung mit der in Vers 81 genannten Herzenskammer evozieren die in Vers 93 erwhnten »ofne[n] Gnge« die Vorstellung eines psychischen Hauses, das durch das Fehlverhalten und das Gegeneinander verschiedener Seelenkrfte gleichsam zur Eroberung offen steht. Es verfu¨gt ganz offensichtlich nicht u¨ber die wohlbewachten »pforten« des Seelengebudes im oben untersuchten Epicedienausschnitt und kann so von der einbrechenden Su¨nde in betrchtliche Unordnung gebracht werden. In Vers 97 hat man sich den Seelenraum dagegen weniger als Haus denn als ein in Fu¨llung begriffenes Gefß zu denken, das mit dem Ro¨hrensystem der Sinne und der durch dieses transportierten, schdlichen Su¨ndenflu¨ssigkeit (vgl. Vers 89) in enger Verbindung steht. Das »Himmelsbild« des Menschen, unter dem wohl vor allem seine psychische, unsterbliche Komponente zu verstehen ist, fu¨llt sich mit »Erdenlust« und wird somit durch einen gefhrlich-wesensfremden Inhalt verunreinigt. Die u¨blicherweise fu¨r den Leib-Seele-Dualismus prgende Antithese zwischen Himmlischem und Irdischem (vgl. dazu Abschnitt 2.1) wird hier in die Seele hineingetragen, die dadurch gespalten zu werden droht. Schließlich erscheint die als Gefß und Gebude verbildlichte Seele auch noch als ein gartenhnlicher Raum, in dessen Erdreich die Su¨nde, den go¨ttlichen ordo im Wortsinne ›untergrabend‹, unkrautartig ihre Wurzeln geschlagen hat (vgl. Vers 92). In allen drei die Seele jeweils auf unterschiedliche Weise verrumlichenden Metaphern wird letztlich dasselbe ausgedru¨ckt: Wo die Seelenvermo¨gen der extrapsychischen Su¨nde Tu¨r und Tor o¨ffnen, entfaltet diese chaotisierend-destabilisierende Wirkungen, welche die zuvor entworfenen intern stabilisierenden Prozesse zunichte machen ko¨nnen. Besonders deutlich zeigt sich dies auch an der ab Vers 95 wiederaufgegriffenen Lichtmetaphorik. Die in den Versen 81–83 beschriebene introspektive Seelenerhellung muss im Falle des Su¨ndeneintritts letztendlich der totalen Vernunft- und Seelenverfinsterung792 weichen. Durch die »Finsterniß der Seel« werden, wie Schottelius auch in seiner Grausamen Beschreibung und Vorstellung der Ho¨lle (1676) betont, vor allem die oberen Seelenvermo¨gen, also »Verstand und Gemu¨ht«, vollstndig »verfinstert und vernebelt«, so dass sie nicht mehr u¨ber den Fortbestand des seelischen ordo wachen ko¨nnen. Auch erscheint die Psyche im Zustand ihrer Verfinsterung insgesamt »vom Liechte der Seeligkeit abgeschieden«.793 792

793

Nach Ansicht Ricœurs (vgl. Ricœur, 1971, S. 47) geho¨rt die Finsternis, hnlich wie die in Vers 96 sich andeutende Beschmutzung und die im weiteren Verlauf von Schottels Gedicht beschriebene intrapsychische Verwirrung, zum Symptomenkomplex der Befleckung. Schottelius, 1676, S. 65. Auf die strukturellen hnlichkeiten seiner Grausamen Beschreibung und Vorstellung der Ho¨lle zu seiner Beschreibung der su¨ndigen Seele im hier interpretierten Gedicht wird auch im Folgenden noch hinzuweisen sein.

350 Bemu¨ht man sich darum, den im Zusammenhang mit der Lichtmetaphorik beschriebenen menschlichen Innenraum (Verse 95–96 und 98) zu kartographieren, so ist man damit vor allem aus zwei Gru¨nden vor eine schwer lo¨sbare Aufgabe gestellt: Zunchst ist es verwirrend, dass die Seele in den Versen 95 und 96 nicht nur als Gefß des bereits oben erwhnten »Seelenliechts«, also ein weiteres Mal als ein Raum, sondern zugleich auch noch in zwei anderen Gestalten in Erscheinung tritt. Erstens fungiert sie ihrerseits als die (erloschene) Lichtquelle des Leibes794 und zweitens wird sie im Verlauf von Vers 96 auch noch als Person bzw. als denkender Perso¨nlichkeitskern dargestellt – nur so nmlich kann ihr durch die Su¨ndenverfinsterung die Mo¨glichkeit zur Selbsterkenntnis genommen werden (»weis von jhr selber nicht«).795 Kompliziert erscheint die Situation weiterhin deshalb, weil hier auch das Su¨ndendunkel die Eigenschaften eines umfassenden Containerraums aufweist, sich als solcher aber nicht eindeutig lokalisieren lsst. Zwar erfahren wir von der Su¨ndenfinsternis, dass sie »Gottes Liecht« – und damit wohl zugleich das »Seelenliecht« aus Vers 96 – »umhu¨llet« (Vers 98). Offen bleibt jedoch, ob sie dabei selbst einen Seeleninhalt oder einen u¨ber die Seelenabmessungen noch hinausgehenden Umraum der Seele darstellt. In der wahrscheinlichsten rumlichen Realisation des Dreiecksverhltnisses zwischen dem Gottes- bzw. »Seelenliecht«, der Su¨ndenfinsternis und der Seele stellt die Letztere eine den Leib erhellende Laterne dar,796 vor deren innere, nucleus-artige Lichtquelle sich – gleichsam als periphere Seelenzone – die Su¨ndenfinsternis geschoben hat. Im su¨ndenfreien Zustand kann das im Seeleninnern brennende go¨ttlich-vernu¨nftige Licht den ganzen Seelenraum mit seinem Glanz einigen bzw. zusammenhalten. Hier dagegen erscheint die Seele gespalten: Sie verfu¨gt u¨ber ein helles und ein diese Helligkeit umgebendes dunkles Segment. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen fu¨r das der Seele in diesen Versen zugesprochene Bewusstsein. Wenn diese Instanz den psychischen Raum von den Rndern her, d. h. gleichsam aus einer Mantel-Position, zu durchschauen sucht, wird es die 794

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Vgl. hnlich etwa eine Definition von Thomas Browne, der die Seele als einen »unempfindliche[n] Stral des himmlischen Lichtes« wahrnimmt (Browne, 1680, S. 133 (164. Satz)). Einen Zusammenhang zwischen der Selbsterkenntnis der Seele, den intrapsychischen Beleuchtungsverhltnissen und dem moralischem Status des Menschen stellt auch Matthus Hedler her, wenn er davon ausgeht, dass Adam vor dem Su¨ndenfall »perfect« mit seiner Seele vertraut gewesen sei, whrend sich dem postlapsarischen Menschen die Beschaffenheit seiner Seele verfinstert habe (Hedler, 1657, S. 10). Vgl. dazu auch die metaphorische Gleichsetzung der Seele mit einer Laterne in der Mystik, die etwa Sandaeus im Eintrag Laterna skizziert (Sandaeus, 1640/1963, S. 262).

351 Bereiche, die jenseits der finsteren Schicht liegen, nicht ergru¨nden ko¨nnen. Aufgrund der gleichsam als Abblendung797 fungierenden Su¨ndenfinsternis wird es den Seelenraum notwendig »ohn Seelenliecht« finden. Wenn die Seele zur Introspektion nicht mehr fhig, sondern sich selbst teilweise entzogen ist, so kann sie auch aus diesem Grund schwerlich als in sich einheitliches Gebilde bezeichnet werden. Fu¨r den Fall, dass Vers 99 syntaktisch mit Vers 93 in Verbindung steht, wird hier zugleich auch der Gesamtmensch als gespaltene, »sich in sich« verlierende Existenz entworfen. Wurde die su¨ndliche Verderbnis des Seelenraums im zuletzt untersuchten Textabschnitt vor allem als Verschmutzung, Verwilderung und Verfinsterung verbildlicht, so treten in den folgenden Versen weitere Metaphern hinzu. In den Versen 99–100 erfhrt der Leser, dass im su¨ndenbesetzten Seelenraum »[d]es Fleisches Gierligkeit« und die »Lust« ›aufgewickelt‹ werden. Zwar ist nach Auskunft des Deutschen Wo¨rterbuchs das Verb ›aufwickeln‹ im 16. und 17. Jahrhundert noch nicht im heutigen Sinne zu verstehen, sondern muss eher mit dem heutigen »[A]ufwiegeln« gleichgesetzt werden.798 In dieser Textpassage allerdings ko¨nnte das Verb sehr wohl auch schon auf das Lo¨sen (›Aufwickeln‹) einer kontrollierenden Fessel anspielen.799 Mit der fleischlichen »Lust« und »Gierligkeit« werden zwei ußerst gefhrliche Bestandteile der anima sensitiva aktiviert, die gewissermaßen einen guten Nhrboden fu¨r die Entstehung weiterer Su¨nden aus der von außen eingedrungenen ›Primrsu¨nde‹ bilden.800 Schon im intrapsychischen Gegensatz von Licht und Finsternis, in der Opposition zwischen Willen 797

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Das im Zusammenhang mit dem Seelenlicht gebrauchte Verb ›verblenden‹ hat, folgt man dem Deutschen Wo¨rterbuch, eine »doppelte bedeutung«. Kann es vielfach mit »unfhig zum sehen machen« paraphrasiert werden, so bedeutet es an anderen Stellen auch »unsichtbar machen, verdecken« (Anon.: verblenden (Art.). In: Grimm, Bd. 25, 1956/1984, Sp. 138–141, hier Sp. 138, Sp. 140). Dass man im vorliegenden Fall wohl die zweite Bedeutung in Betracht zu ziehen hat, ergibt sich aus der gleichzeitigen Verwendung des Verbs ›umhu¨llen‹. Die Kombination beider Verben suggeriert, dass das innere Licht der Seele hier gleichsam mit einer Blende versehen wird. Anon.: aufwickeln (Art.). In: Grimm, Bd. 1, 1854/1984, Sp. 778–802, hier Sp. 778–779. Zum Gegenbild dazu, d. h. der Metapher der Bezhmung und Fesselung der Begierden, vgl. sehr anschaulich etwa Dach, Bd. 4, 1938, S. 251 (144 – »Wahre Freyheit« (»THu die Begierden in den Bann«)). Fu¨r die Verse 77–83 erschien die Identifikation der »Gier« mit der Erbsu¨nde dadurch problematisch, dass dort die Perspektive einer Verbrennung (und damit einer vollstndigen Vernichtung) dieses Seelenbestandteils entworfen wurde. Hier wre eine Gleichsetzung beider Gro¨ßen prinzipiell mo¨glich: Das Bild der gefesselten oder in Latenz befindlichen, prinzipiell aber jederzeit erweck- bzw. freisetzbaren »Gierligkeit« ließe sich sehr gut mit der lutherischen Erbsu¨ndenlehre und der Anthropologie des simul iustus et peccator vereinbaren.

352 und Sinnen einerseits und Vernunft andererseits und in der Unkrautmetaphorik hat sich die Pluralisierung der Seele durch die Su¨nde angedeutet. In den Versen 99–104 wird sie nun auf die Spitze getrieben: In den fru¨heren Bildern erschien wenigstens die Menge der einander spannungsreich gegenu¨berstehenden Seeleninhalte noch u¨berschaubar, whrend sich jetzt unter dem Einfluss der einen Mutter-Su¨nde unzhlbare Tochter-Su¨nden in unzu¨chtig-chaotischer Weise vermehren (Verse 102–104). Gerade die exponentielle Zunahme der Laster zeigt auf eindru¨ckliche Weise, in welche Gefahr sich die Seele mit dem Einlass der bzw. im Sich-Einlassen auf die Mutter-Su¨nde bringt. Die Letztere wird zur nicht mehr kontrollierbaren, ihre Macht immer weiter ausdehnenden Gro¨ße, die im Seelenraum die Oberhand gewinnt. Der im zuletzt zitierten Gedichtabschnitt gezeichnete Seelenraum weist in seiner inneren Struktur bemerkenswerte hnlichkeiten zur Ho¨lle auf. Die Beschaffenheit der noch im Diesseits befindlichen Seele gleicht der Verfassung des ihr jenseitig drohenden Straforts801 nicht allein dadurch, dass sie in der Folge ihrer Su¨ndhaftigkeit gro¨ßtenteils als ein »Land der Finsterniß«802 erscheint. Sptestens mit der zuletzt angedeuteten explosionsartigen Su¨nden- und Lastervermehrung ist sie zudem als ein »Land […] / da keine Ordnung verhanden«,803 zu bezeichnen und auch auf diese Weise als gleichsam infernalischer Raum charakterisiert. Und schließlich hnelt sie dem »Ho¨llische[n] feurigen Reich«804 auch durch die in Vers 101 beschriebenen, im Seelenraum zu¨ngelnden »Lasterflam[m]en«, die dem heilsam-luternden »Gottes Feur« aus Vers 84 entgegengesetzt sind. Dass Finsternis und Feuer in einem ho¨llischen Ambiente kein Widerspruch sein mu¨ssen, legt Schot801

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Dass die innere Befindlichkeit der su¨ndigen Seele im Diesseits auf die Ho¨llenqualen des Jenseits vorausdeutet, wird in der barocken Erbauungsliteratur (auch vo¨llig anderer theologischer Ausrichtung) explizit thematisiert. So geht etwa Friedrich Breckling in einer eindringlichen Beschreibung zunchst ebenfalls von einer Verfinsterung der inneren Instanzen durch die Su¨nde aus – »[S]iehe in dir selbsten / wie dein Verstand so gar verfinstert / dein Wille so verdorben / dein Hertz / Gemu¨th / Sinne / Affecten / Neigungen / Lu¨ste und Begierden so gar von Gott ab zum Bo¨sen verkehrt« sind (Breckling, 1660, S. 37 [Herv. d. F. B.]) –, um diesen Zustand dann ganz explizit als einen infernalischen zu beschreiben (ebd. S. 42): »Jst das nun nicht Elend und Qual / in solcher Verkehrtheit wider Gott leben / in einer solchen Ho¨lle und Gefngniß der Su¨nden tglich sitzen / so sein eigen Feind / Peiniger und Teuffel sein […]?« Nach Brecklings Ansicht sind »alle Grewel und Unordnung / die […] in der Ho¨lle ku¨nfftig verhanden / […] schon in deinem eigenem Hertzen verborgen« (ebd. S. 44). So nennt Schottel die Ho¨lle in seiner Grausamen Beschreibung und Vorstellung der Ho¨lle (Schottelius, 1676, S. 12). Diese Ho¨llenbezeichnung findet sich ebd. S. 17 [Herv. d. J. G. S.], vgl. auch, mit Bezug auf Hiob 10,22, ebd. S. 12. Ebd. S. 12–13.

353 tel in der 12. Strophe seiner Grausamen Beschreibung und Vorstellung der Ho¨lle nahe, wenn er darauf hinweist, dass »Feuer und Gluet« in der Ho¨lle nicht »glentzen«.805 Die bis zum 104. Vers geschilderten su¨ndenbedingten Umgestaltungen lassen den verderbten Seelenraum sowohl syn- als auch diachron pluralisiert erscheinen. Allerdings werden in diesem Gedichtabschnitt nur qualitativ-inhaltliche und binnenstrukturelle, jedoch keine ausdehnungsbezogenen Seelenvernderungen erwhnt. Wre die Beschreibung der Verwu¨stungen, welche die Su¨nde an der Seele vornimmt, an dieser Stelle abgeschlossen, so wre immerhin noch ein Fortbestehen der ußeren Seelengestalt anzunehmen. Im weiteren Verlauf des Gedichts wird jedoch die Darstellung su¨ndeninduzierter Seelenvernderungen zweimal wiederaufgenommen und dabei auch in formaler Hinsicht die diachrone Kohrenz des Seelengebildes in Frage gestellt. Zum ersten Mal kommt der Sprecher in den Versen 113–115 auf die psychischen Su¨ndenwirkungen zuru¨ck. In Form der direkten Anrede wird hier dargestellt, welche Eingriffe in die Seele die der »Weltliebe« (Vers 105) fro¨nenden Menschen zu gewrtigen haben: Der bo¨ser [sic!] Eigennuz / die Dornen eurer Gu¨ter / Der unchristliche Wunsch / die smelzet die Gemu¨hter / Jn eine Form der Welt / in der Gewonheit Stand […].806

Hier unterwerfen die Su¨nden die Seele einem Umgießungsverfahren, das sie in ihrer Form vollstndig verndert. Auch wenn man sich zunchst an die Gussmetaphorik aus Greiffenbergs Siegelgedicht erinnert fu¨hlen mag (vgl. Abschnitt 3.6), weicht die Bildlichkeit dieser Verse doch in zwei Punkten ganz erheblich von jener Greiffenbergs ab: 1. Whrend in Greiffenbergs Gedicht Christus in Personalunion sowohl als Metallurg den Gussvorgang betreut als auch selbst die Gussform darstellt, bettigen sich in diesem Fall die Su¨nden als Metallurgen, whrend die Welt als Form fu¨r die Gussmasse fungiert. 2. Im Siegelgedicht werden die destabilisierenden Gussmaßnahmen in gewisser Weise dadurch gerechtfertigt, dass der Seele nach dem Umgießen eine stabilere Form zugesprochen wird. Davon kann hier keine Rede sein – im Gegenteil: Findet die Seele in der Gussform der Welt ihre neue Gestalt, so verschiebt sich dadurch ihre innere Viel-Einheit im denkbar gro¨ßten Maße zum Vielheitspol. Man ver¨ berlegungen, die Pierre Gervais gleiche dazu etwa die folgenden U 805 806

Ebd. S. 58, vgl. dazu auch seinen eigenen Kommentar ebd. S. 60–61. Schottelius, 1647/1967, S. 51 (1. Abteilung – (»ACh HERR / wo sol dich denn ein treuer Sucher finden?«)).

354 unter dem Lemma Pe´che´ – Pe´cheur im Dictionnaire de Spiritualite´ anstellt: Lhomme est un point en e´quilibre mouvant entre Dieu et le monde, lun et le multiple. Dans la mesure ou` il se centre en Dieu, son souverain bien, il sunifie et sinte´riorise. Dans la mesure ou` il relaˆche ce lien vivant, il retombe sur lui-meˆme pour se re´pandre dans le multiple […].807

In der Zusammenschau der zuletzt angefu¨hrten Verse mit den vorangehend untersuchten Gedichtpassagen erscheint der Seelenraum nun sowohl inhaltlich als auch in seiner Form hochgradig pluralisiert. Dieser Eindruck kann im weiteren Verlauf des Gedichts zwar kaum noch gesteigert werden, doch wird er in einer letzten Reflexion des Sprechers u¨ber die innermenschlichen Su¨ndenfolgen noch einmal in anderen Bildern gestaltet (Verse 141–148): Ein Mensche / dem sein Herz mit Dornen gar durchstochen / Durch dessen Mark und Blut ein Slangengift gekrochen / Dem das Gehirn verrukt durch einen dikken Dunst / Dem das verfaulte Fleisch stets zappelt in der Brunst: 145 Der kan nicht seinen Geist / der so zertrukt / aufwekken / Er bleibet ohne GOtt / muß Su¨nden Hnde strekken / Blst Gift / Er hebet auf ein Huren Angesicht / und kennet dich nicht Herr / und du kennst jhn auch nicht.808

Auf den ersten Blick mag man die meisten der Bestandteile des Menschen, die in diesem Textabschnitt als von der Su¨nde verndert dargestellt werden, vor allem der physis zuordnen. Bei genauerer Betrachtung aber ko¨nnen sie, wie im Folgenden vor allem fu¨r die Verse 141–143 gezeigt werden soll, immer auch als metaphorische und/oder metonymische Reprsentanten der Seele interpretiert werden. Wo die Su¨nden zersto¨rerisch auf sie eingewirkt haben, ist dies also zugleich als erfolgter destruktiver Eingriff in die Psyche zu verstehen. In besonderem Maße gilt dies fu¨r den ersten der hier zu untersuchenden Verse. Da die »Dornen« in Vers 141809 nicht als reale, bei 807 808

809

Gervais, 1984, Sp. 838. Schottelius, 1647/1967, S. 53 (1. Abteilung – (»ACh HERR / wo sol dich denn ein treuer Sucher finden?«)). Die »Dornen« entstammen mo¨glicherweise den im vorangehenden Abschnitt des Gedichts erwhnten »Weltrosen«. Letztere haben die Aufgabe, den am Scheideweg zwischen Seligkeit und Verdammung stehenden Menschen vom Weg des Heils abzulenken. Die falsche Wegalternative wird insgesamt wie folgt charakterisiert (ebd. S. 52–53, Verse 137–140): Der Jrr= und Nebenweg / da die Weltrosen blu¨hen / Die Freuden Plzze sind / die Lu¨ste bru¨nstig glu¨hen: Wo Sorge / Rache / Neid / Geiz / Saufen / Krieg regiert / Jhn seitwerts von dem Creuz / bey tausent Meilen fu¨hrt.

355 der Ero¨ffnung des Ko¨rperraums im Gewebe wahrnehmbare Stacheln und Widerhaken pflanzlicher Abkunft, sondern als Su¨nden bzw. Su¨ndenfolgen810 zu verstehen sind, macht es auch wenig Sinn, das von ihnen durchbohrte Herz als rein materiell-fleischliches Organ statt als Seelenquivalent zu interpretieren. Das Dornengestru¨pp, das den Herzens- bzw. Seelenraum durchzieht, beeintrchtigt seine innere Ordnung und Integritt und stellt damit auch seine Einheit in Frage. Die von den Stacheln hervorgerufenen Schden erscheinen, wenigstens auf natu¨rlichem Wege, kaum noch reversibel. Auch wenn die Su¨ndendornen nicht ganz mit dem menschlichen Wesenskern verschmolzen sind, mu¨ssen sie doch – wie das in Vers 92 in den Seelenboden getriebene Wurzelwerk – als aufs Engste mit dem dreidimensional-psychischen Gebilde ›verwachsen‹ gelten. Nur unter großer Pein und um den Preis einer vollstndigen Herzens- bzw. Seelenfragmentierung ließen sie sich wieder aus ihm herauslo¨sen. Dem Durchstochensein des Herzens mit Dornen entspricht im parallel gebauten Vers 142 das Durchkrochensein von »Mark und Blut« mit einem »Slangengift«. Die metaphorische Reprsentation der Su¨nde als Gift ist, wie sich bereits am oben untersuchten Epigramm VI,162 aus dem Cherubinischen Wandersmann gezeigt hat, kein Einzelfall und auch relativ leicht zu deuten: Su¨nde wie Gift wirken sich auf alles, was ¨ berraschen du¨rfte mit ihnen in Kontakt kommt, zersto¨rerisch aus. U den heutigen Leser jedoch das im 142. Vers verwendete Verb. Eine derartig animalische Fortbewegungsart wie das Kriechen wird man auf den ersten Blick weder mit der abstrakten Gro¨ße der Su¨nde noch mit der sie reprsentierenden unbelebt-giftigen Substanz assoziieren. Selbst wenn ein Gift langsam sich ausbreitende tzspuren in einem bestimmten Material hinterlassen mag, erscheint es auf den ersten Blick kaum angemessen, deshalb schon von seinem ›Kriechen‹ zu sprechen. Um zu verstehen, wie es zur Wahl dieses Verbs kommen kann, muss man beru¨cksichtigen, dass innerhalb des Vergleichs nicht einfach von einem Gift, sondern von einem »Slangengift« die Rede ist. Wie dieser 810

Eine explizite Gleichsetzung von Dornen und Su¨nden(-folgen) findet sich etwa im nachfolgend zitierten Ausschnitt aus der dritten Strophe (Rist, 1659, S. 23) eines von Rist verfassten Liedes (4 – »Die hochbeku¨m[m]erte Seele fu¨hlet schwere Angst und Schmertzen / wegen der grossen Su¨ndenlast / womit sie gantz heftig wird gedru¨kket / und daru¨ber sie jmmerlich klaget in nachfolgendem Traurliede« (»WJe geh ich so gebu¨ckt«)): Gleich wie der schrffste Dorn / So stechen mich die Su¨nde / Wodurch ich deinen Zorn O starcker Gott / empfinde […].

356 ergnzende Hinweis auf den Gifttypus zu deuten ist, wird sptestens durch einen Blick auf Omeis Lied Die wider die Su¨nde allerko¨stlichste Blut-Krafft erkennbar. In dessen vierter Strophe wird bemerkenswerterweise gleichfalls das Verb ›kriechen‹ im Zusammenhang mit einem metaphorischen »Su¨nden-Gifft« verwendet: Hat uns gleich die Schlang gestochen; ist durch unser aller Seel schon das Su¨nden-Gifft gekrochen: JEsu Wunden=Wunder=Oel / JEsu theurer Blutes-Safft / hat allein / allein die Krafft von dem Gifft des alten Drachen uns gesund und rein zu machen.811

In diesen Versen fu¨gt sich sinnvoll zusammen, was bei Schottel auf den ersten Blick rtselhaft erscheint. Das in den inneren Rumen sich verbreitende »Su¨nden-Gifft« muss mit der teuflischen Schlange aus dem dritten Genesis-Kapitel assoziiert werden, die den Menschen zur Su¨nde verfu¨hrt. Deutet man die bei Omeis wie bei Schottel ausdru¨cklich genannte Bewegung des Durchkriechens unter Beru¨cksichtigung der biblischen Erzhlung vom Su¨ndenfall, so vertritt das Gift metonymisch die teuflische Schlange selbst auf ihrem Weg in und durch das menschliche Innere, der ihr bei Omeis vermutlich bereits durch den Su¨ndenfall, ¨ ffnung der Sinnespforten bei Schottel wohl erst durch die fahrlssige O gebahnt ist. Schottel und Omeis sind nicht die einzigen Autoren, welche die Bewegung des Su¨ndengifts in den inneren Rumen des Menschen als ein schlangenartiges Kriechen beschreiben und es so mit der Teufelsgestalt aus dem ersten Buch Mose zu verbinden suchen. Auch in einem Tauflied Gerhardts ist zu lesen: Dein Leib und Seel war mit der Su¨nd Als einen Gifft durchkrochen […].812

In diesen beiden Versen ist mit der ›Su¨nde‹ auf jeden Fall die Erbsu¨nde gemeint. Dies wird vor allem an der vorangehenden Strophe deutlich,813 811 812

813

Omeis, 1706, S. 16 (»WEicht ihr alten Bundes-Schatten«). Gerhardt, 1667/1975, S. 262 (X,117 – »Von der heiligen Tauffe« (»DU Volck / das du getauffet bist«)). Den beiden hier zitierten Versen III,1–2 geht die folgende Strophe (II) voraus: Du wahrst / noch eh du wurdst gebohrn Und an das Licht gezogen Verdampt / verstossen und verlohrn / Darumb das du gesogen Aus deiner Eltern Fleisch und Blut Ein Art die sich vom ho¨chsten Gut Dem ewgen Gott stets wendet.

357 in der die Su¨ndhaftigkeit des Menschen schon vor seiner Geburt (vgl. Ps 51) postuliert wird.814 Doch auch wenn die Su¨nde in Gerhardts Lied schon prnatal in jedem Menschen vorhanden ist, lsst die Metaphorik sie bei genauerem Hinsehen keineswegs als eigentlichen Wesensbestandteil der Nachfahren Adams erscheinen. Im Gegenteil: Wird hier das Verb ›durchkriechen‹ verwendet, so tritt die ab ovo zum Menschen geho¨rende Su¨nde gleichsam als gefhrlicher, fremder Eindringling mit aktivem Eigenleben im Leibes- und Seelenraum auf, der sich gewissermaßen als Transitr seinen Weg durch das menschliche Innere bahnt. Wenn nicht fu¨r den 142. Vers von Schottels Gedicht noch zu zeigen wre, dass die Su¨nde sich darin u¨berhaupt durch psychische Rume bewegt, ließe sich die zuletzt angefu¨hrte Interpretation problemlos auf ihn u¨bertragen. In Schottels Text verbreitet sich das »Slangengift« nicht in »Leib und Seel«, sondern in »Mark und Blut«. So mag es auf den ersten Blick scheinen, als ob hier, anders als in den Versen Omeis und Gerhardts, nur der Leib mit dem Su¨ndengift in Kontakt kme. Bei genauerer Betrachtung allerdings mu¨ssen sowohl das »Blut« als auch das »Mark« als eng mit der Seele verbundene Gro¨ßen eingestuft werden, die – gerade in poetischen Kontexten – neben dem Leib auch die Seele metonymisch bzw. metaphorisch vertreten ko¨nnen. Das alle Organe durchfließende Blut, das auch in anderen barocken Gedichten als Su¨ndenort identifiziert werden kann,815 erscheint zur metonymischen Seelenreprsentation schon deshalb geeignet, weil es bis in die Fru¨he Neuzeit hinein als Seelensitz diskutiert wurde.816 Indem alle Organe durch diese 814

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Auch andere barocke Autoren verwenden die Metapher vom Su¨ndengift besonders zur Charakterisierung der Erbsu¨nde, so etwa Harsdo¨rffer (Harsdo¨rffer, 1653/1969, S. 445: »das alte Su¨ndengifft wu¨rckt offt in uns den Tod«) oder Arndt, der das Su¨ndengift außerdem auf das Engste mit dem Teufel und seiner Einwirkung auf den Menschen in Verbindung bringt (vgl. Arndt, 1733, S. 281 (I,41), S. 285 (I,42) u. o¨.). Vgl. etwa die nachfolgend zitierten Verse aus einem Klaglied Rists (6 – »Jnbru¨nstiges Klaglied zu Gott / Einer / mit grosser Melancholie unnd Traurigkeit des Gemu¨htes ho¨chstbeschwehrten und sehr gengsteten Seelen« (»Du starker Gott im Himmel«)), in welchem das Ich die »Su¨nde / welch ererbet« als ein »Gifft« bezeichnet (Strophe 1), von dem es zu Beginn der zweiten Strophe heißt (Rist, 1659, S. 92): Diß Gifft ist mir geschlichen Durch Adern / Fleisch und Bluht / So / daß ich bin gewichen Von dir / du ho¨chstes Guht […]. Auch hier lsst das im Zusammenhang mit dem Gift verwendete Verb wieder an ein Lebewesen, etwa eine Schlange, denken. So nennt etwa Daniel Georg Morhof das Blut unter den mo¨glichen Seelensitzen, vgl. Morhof, Bd. 2/Tom. II, 1747/1970, S. 450. Simon bringt das Blut mit der Tierseele in Verbindung (vgl. Simon, 1664, S. 748–749). Auch bei Dannhauer wird die Bedeutung des Bluts fu¨r die Seele immerhin noch diskutiert, vgl. Dann-

358 Ko¨rperflu¨ssigkeit ernhrt und am Leben erhalten werden, steht das Blut außerdem zumindest mit den niederen Seelenvermo¨gen bzw. mit dem von Klier als »Vitalseele«817 bezeichneten Seelentyp (vgl. Abschnitt 2.3) in einem engen funktionalen Zusammenhang. Zustzlich ermo¨glicht es nach galenistischer Vorstellung u¨berhaupt erst die Verbreitung der spiritus,818 welche in dieser medizinischen Schule die wesentliche Verbindung zwischen der Seele und dem Leib darstellen.819 Fu¨r das »Mark«, das im 142. Vers von Schottels Gedicht vollstndig unbestimmt bleibt, stellt schon die Lutheru¨bersetzung von Hebr 4,12 eine Verbindung zur Seele her: Bereits die an dieser Bibelstelle auffllige Parallelisierung von »marck vnd bein« und »seele vnd geist«820 lsst es gerechtfertigt erscheinen, das Mark in Schottels Versen als Stellvertreter der Seele wahrzunehmen. Dass eine gewisse Affinitt zwischen dieser Leibeskomponente und den psychischen Anteilen des Menschen besteht, hat sich außerdem in Abschnitt 3.1.2 gezeigt, in welchem die den innersten Seelenbereich bezeichnende Metapher des Seelenmarks analysiert worden ist. An den Beispielen jenes Abschnitts wurde aufgewiesen, dass das in der kno¨chernen Kernzone des Ko¨rpers verborgene Mark den innersten Bereich der Seele reprsentieren kann. Die oben analysierten Mechanismen der Kern-Hu¨lle-Metaphorik legen es nahe, dass auf einer anderen Bildebene das Mark auch mit der kernartig im Leib verborgenen Seele identifiziert werden kann. Selbstverstndlich sind »Mark und Blut« u¨ber ihre metonymische bzw. metaphorische Seelenreprsentation hinaus nach wie vor zugleich als Leibesbestandteile ernst zu nehmen, so dass im Bild der sie durchkriechenden Su¨nde zugleich eine Ausweitung der schdlichen Su¨ndeneinflu¨sse auf den gesamten menschlichen Leib indiziert wird. Allerdings erscheint dies fu¨r die Fragestellung des vorliegenden Abschnitts von untergeordneter Bedeutung. Wo man das Bild des Mark und Blut

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hauer, 1630, S. 12–13. Zu wesentlich lteren Belegen fu¨r die Vorstellung vom Blut als Seelensitz vgl. Bauer, 1973, S. 50; Hasenfratz, 1986, S. 74, S. 77, S. 84–85. Aus der Bibel wren als Belege etwa 1. Mose 9,4 und 5. Mose 12,23 anzufu¨hren. Klier, 2002, S. 30–31. Vgl. zum Zusammenhang von Blut und spiritus etwa Eckart, 2000, S. 75; Mu¨ller, 1993, S. 43. Vgl. z. B. Kutzer, 1998, S. 56. Etwa nach Timpler stellen zustzlich auch noch die Primrqualitten der vier Ko¨rpersfte, die Lebenswrme und der humidus vitalis die Verbindung von Leib und Seele her (vgl. Freedman, 2004, S. 796–797). Auch diese weiteren psychophysischen Verknu¨pfungen stehen in enger Verbindung mit dem Blut. Vgl. Biblia, Bd. 3, 1974, S. 2438: Denn das wort Gottes ist lebendig vnd krefftig / vnd scherffer / denn kein zweischneidig Schwert / Vnd durch dringet / bis das scheidet seele vnd geist / auch marck vnd bein / vnd ist ein Richter der gedancken vnd sinnen des hertzen […].

359 durchkriechenden Gifts auf den seelischen Anteil des Menschen bezieht, gilt es – ein weiteres Mal – nach dem Grad der Gefhrdung des seelischen Zusammenhalts zu fragen. Es zeigt sich, dass die sich hier ergebende syn- und diachrone Seelen-Pluralisierung nicht an jene psychischen Destabilisierungen heranreicht, die in einigen der vorangehend untersuchten Bilder nachgewiesen werden konnten. Zwar darf man, wie oben angedeutet, vermuten, dass das durch die Seele kriechende Su¨ndengift in den inneren Rumen deutliche tzspuren hinterlsst, die als nicht zu unterschtzender Eingriff in die synchrone Integritt und diachrone Stabilitt der Seele verstanden werden ko¨nnen. Von su¨ndeninduzierten Umschmelzungsprozessen, von einer su¨ndenbedingten, zum innerseelischen Schisma fu¨hrenden Aufwiegelung der inneren Seelenkrfte oder von massiven stofflich-qualitativen Wandlungen, die sich unter der Einwirkung des Su¨ndengifts ereignen, wird hier jedoch nichts berichtet. Wie die in den Versen 141 und 142 untersuchten innermenschlichen Gro¨ßen kann auch das in Vers 143 genannte Gehirn prinzipiell jederzeit u¨ber die reine Ko¨rperlichkeit hinausweisen und als zentraler Seelensitz metonymisch die Seele selbst reprsentieren. Trotzdem wird man als Leser bei oberflchlicher Betrachtung kaum geneigt sein, dieses Organ im vorliegenden Vers mit der Seele zu identifizieren, sondern es weitaus eher ausschließlich dem physischen Teil des Menschen zuordnen. Auf die Ebene des rein Leiblichen scheint man zunchst vor allem durch das Bild des Dunstes verwiesen, der auf das Hirn einwirkt und dieses »verrukt«: Vor dem Hintergrund des im Barock noch dominanten humoralpathologisch-galenistischen Medizinkonzepts lsst sich dieses Bild als Symptom einer Dyskrasie, d. h. einer schlechten Mischung der Sfte, interpretieren und Vers 143 so wesentlich als physiologischer Befund lesen. Allerdings hat man sich zu vergegenwrtigen, dass in der Fru¨hen Neuzeit sowohl eine negative Sftemischung als auch der aus ihr resultierende Dunst, der vermutlich von einer intracerebralen Position aus auf das Hirn einwirkt, enge Verbindungen zur Sphre des MoralischPsychischen aufweisen ko¨nnen.821 Daher erscheint es bei genauerem 821

Problemlos ko¨nnen Gelehrte des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Aufsteigen »etliche[r] bo¨se[r] Du¨nste in dem Gehirn« (Beverwijck, 1671, S. 74) die Entstehung krankhafter Gemu¨tszustnde begru¨nden, die unter Umstnden auch moralisch verwerflich sind (man denke hier etwa an die Melancholie als balneum diaboli, vgl. dazu Ku¨mmel, 1969, S. 202; Kutzer, 1995, S. 254; Kutzer, 1997, S. 227–228). Ohne Schwierigkeiten erklren die fru¨hneuzeitlichen Wissenschaftler andererseits das Vorliegen einer Dyskrasie, d. h. einer schlechten Mischung der Sfte, aus der seelisch-geistigen – und dabei insbesondere auch moralischen – Befindlichkeit eines Menschen, vgl. dazu Doms, 2006, S. 32–33.

360 Hinsehen keineswegs abwegig, das Hirn trotz der humoralpathologischen Bildlichkeit als ein (metonymisch-metaphorisches) Seelengebilde zu interpretieren. Stu¨tzen lsst sich eine solche Deutung insbesondere dann, wenn man die Parallelitt von Vers 143 zu den beiden vorangehenden Versen beru¨cksichtigt: Sobald man davon ausgeht, dass auch die humorale Vernebelung bzw. Verdu¨sterung des Hirns als Su¨ndenfolge zu begreifen ist,822 wird es ohne Schwierigkeiten mo¨glich, den Zustand im Hirn als ein Abbild der intrapsychischen Verhltnisse eines su¨ndigen Menschen und damit den Hirnesraum als Spiegel des Seelenraums wahrzunehmen. Die Tragweite der Destabilisierungen, die dem Hirn und indirekt auch der Seele vom (Su¨nden-)Dunst beigebracht werden, lsst sich erst dann ermessen, wenn man den in Vers 142 verwendeten Ausdruck »verrukt« in seiner Doppeldeutigkeit zu erfassen vermag. Er kann zum einen als Adjektiv, zum anderen als Partizip des Verbs ›verru¨cken‹ bzw. ›verrucken‹ verstanden werden. Im ersten Fall ist er mit den weitgehend unanschaulichen Begriffen »tho¨richt« oder »irrig«823 zu u¨bersetzen und bringt so vor allem die intracerebrale bzw. intrapsychische Denk- bzw. Erkenntnissto¨rung auf den Punkt. Als Partizip dagegen besagt er, dass die Einwirkung des (Su¨nden-)Dunsts das Hirn bzw. die metonymisch durch dieses gespiegelte Seele »aus der richtigen lage in eine falsche«

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Einen Zusammenhang zwischen Dunst, Su¨ndhaftigkeit und cerebraler Beeintrchtigung suggeriert auch die nachfolgend zitierte achte Strophe aus einem Gedicht Abschatz (»Himmel=Schlu¨ssel« – »Uber die Worte: Jch armer Mensch / wer will mich erlo¨sen von dem Leibe dieses Todes« (»Wer macht mich armen Kloß der Erde«)). Allerdings spielt hier bei der Dunstentwicklung im Gehirn wohl nicht nur die Su¨nde, sondern auch der natu¨rliche Alterungsprozess eine Rolle (Abschatz, 1704/1970, S. 93): Das Haubt / das o¨fters hat gesonnen Auff Ehre / Lust und Gutt der Welt / Verspu¨rt / wie sein Bedacht verfllt / Die Krffte nach und nach zerronnen / Wie Dunst und Schwindel im Gehirne Mit Schweiß und Schmertz erfu¨llt die Stirne. Anon.: verru¨cken (Art.). In: Grimm, Bd. 25, 1956/1984, Sp. 1020–1025, hier Sp. 1024. Der Verfasser des Artikels weist außerdem darauf hin, dass sich erst im 17. Jahrhundert der Bildcharakter des Adjektivs allmhlich verliere (ebd. Sp. 1024–1025): »zum schlusse bemerke ich, dasz das wort verru¨ckt in der bedeutung ›geistesgesto¨rt‹ noch nicht sehr alt ist […]. unsere literarischen belege fu¨hren bis in die zweite hlfte des 17. jahrh. fru¨her kommt das wort auch schon in der bedeutung vor, aber nur als bild empfunden. dies sieht man daran, dasz ›im kopf‹, ›im hirn‹ u. . dabeistehen musz […].« Im von Friedrich Kluge verfassten und von Elmar Seebold neu bearbeiteten Etymologischen Wo¨rterbuch der deutschen Sprache ist die u¨bertragene Verwendung als Adjektiv generell ab dem 16. Jahrhundert nachgewiesen, vgl. dazu das Lemma verru¨ckt in Kluge/Seebold, 1995, S. 860.

361 gebracht,824 also disloziert hat. Mit der sich hier andeutenden Vernderung des Seelenorts wird auch noch die letzte, in allen anderen Bildern (wenigstens explizit) noch nicht angetastete Kontinuitt zwischen der su¨ndenlosen und der su¨ndigen Seele aufgehoben: ihre feste Position. Wie mit Herz, Blut, Mark und Hirn du¨rfte Schottels Sprecher auch mit dem in Vers 144 erwhnten »Fleisch« weitaus mehr als nur eine leibliche Komponente des Menschen bezeichnen. Schon in der Lutherbibel bezieht sich der Begriff des Fleisches nicht nur auf die »Weichteile« des Ko¨rpers »ohne Knochen, Sehnen und Blut«,825 auf die »Scham« des Menschen oder auf dessen ganze Ko¨rperlichkeit,826 sondern in mehrfacher Hinsicht auch auf den Gesamtmenschen und damit auch auf den Bereich des Seelischen.827 Treibt in Vers 144 die »Brunst« das »Fleisch« zu unablssiger Bewegung, so legt gerade die psychophysische Zwitterstellung dieses su¨ndigen Begehrens es nahe, in dieser Textpassage eine Aussage nicht nur u¨ber den Leib, sondern zugleich auch u¨ber die Seele zu sehen. In diesem Fall hat man unbedingt von einer Destabilisierung des Psychischen durch die unaufho¨rliche Dynamisierung seines Innern auszugehen. Denkt man sich das Zappeln des Fleisches heftig genug, so mag man weiterhin auch aus Vers 144 eine (dieses Mal sogar unaufho¨rliche) Lagevernderung der Seele ableiten. Letzte konkrete Hinweise auf su¨ndenbedingte Seelenvernderungen sind aus dem Bild des »zertrukt[en]« Geistes in Vers 145 zu gewinnen. Auch der Ausdruck ›Geist‹ kann hier entweder analog zum Fleischbegriff auf die »gesamte Existenz« des Menschen828 und damit auch auf dessen psychischen Teil bezogen werden829 oder er bezeichnet, wie das Nomen ›Herz‹ in Vers 141, eine seelenquivalente Gro¨ße. In beiden Lesarten erinnert die exogene Deformation bzw. Formzersto¨rung des Geistes (sein ›Zerdru¨cktwerden‹) ein letztes Mal daran, dass in Schottels Gedicht die – explizit als solche bezeichnete – Su¨nde eine 824

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Anon.: verru¨cken (Art.). In: Grimm, Bd. 25, 1956/1984, Sp. 1020–1025, hier Sp. 1021. Auf die ›verru¨ckende‹ Wirkung der Su¨nde(n) kommt Schottel auch in der Prosa-Erluterung zu einem der Embleme seines SontagsSeuftzerleins zu sprechen. Darin redet er von der »Wu¨rtzel der ErbSu¨nde / welche […] Kettenfest […] eine Seele mit der Welt=Art vereiniget / dieselbe an Hertz / Sinn und allen Gliedern verblendet / verru¨kket und angeschlossen helt« (Schottelius, 1667, ¨ ber das Evangelium am zwo¨lften Sontag nach Trinit. Marc. 7.«). S. 215 (»U Frey, Christian: Fleisch und Geist – I. Altes Testament (Art.). In: RGG, Bd. 3, 2000, Sp. 155–156, hier Sp. 155. Schott, E.: Fleisch I. (Art.). In: Ritter, Bd. 2, 1972, Sp. 957. Vgl. ebd. Erdmann Schott sieht mit dem Ausdruck »Fleisch« in der Lutherbibel unter anderem »den ganzen Menschen in seiner ußeren Existenz […] und inneren Haltung«, d. h. »in seiner gesamten Existenz«, bezeichnet. Ebd. Vgl. zur lutherischen Tradition eines solchen Geistverstndnisses ebd.

362 anfnglich von außen auf die Psyche einwirkende Macht darstellt. Allerdings geht hier, anders als in den Versen 85–89, die Externalisierung der Su¨nde nicht mit einem Gewinn an Handlungsfreiheit und Verantwortlichkeit der Seele und ihrer Instanzen einher. Zwar mag die Su¨nde dem psychisch-geistigen Teil des Menschen ußerlich bleiben, doch wird ihr im Bild des zerdru¨ckten Geistes implizit ein so hohes Ausmaß an Kraft zugewiesen, dass ein Widerstand gegen sie letztlich gar nicht in Betracht gezogen werden kann. Aus den bisherigen Analysen der su¨ndenbedingten Umgestaltungen des Seelenraums in Schottels Versen lsst sich – zumindest vorlufig – der Eindruck einer vollstndigen, plural bedingten Pluralisierung des Psychischen gewinnen. Was darunter zu verstehen ist, soll im Folgenden schrittweise erklrt werden. 1. Als vollstndig erscheint die Pluralisierung des Seelischen in den oben untersuchten Textausschnitten insofern, als die psychischen und psychophysischen Instanzen des Menschen sowohl in Bezug auf ihre Qualitten, Inhalte und Binnenstrukturen als auch im Hinblick auf ihre ußere Form und Lage verndert und außerdem in eine unentwegte Bewegung versetzt werden. 2. Als plural bedingt kann man die Pluralisierung des Seelischen zunchst deshalb beschreiben, weil sie nicht das Resultat eines einzelnen Destabilisierungsprozesses darstellt, sondern sich auf ganz unterschiedliche Vorgnge zuru¨ckfu¨hren lsst: Die psychischen und psychophysischen Strukturen werden durch die Su¨nde(n) unter anderem umgegossen, zerdru¨ckt, verfinstert, vernebelt, mit Dornen und Wurzeln durchsetzt und von Gift vertzt. 3. Weiterhin kann man die Seelenpluralisierung auch deshalb als plural bedingt bezeichnen, weil sie sich keineswegs ausschließlich den Eingriffen der urspru¨nglich extrapsychischen Su¨nde aus Vers 89 verdankt. Schon ihren Einlass in die Seele findet diese nur unter der Mithilfe bestimmter Seelenvermo¨gen, die sich gegen die (ebenfalls in der Seele zu lokalisierende) Vernunft wenden, und auch die Drastik ihrer Wirkungen resultiert vor allem aus der Tatsache, dass sie in ihrem destruktiven Tun von bestimmten psychischen Krften (etwa den Affekten) unterstu¨tzt wird. Bereits vor allen su¨ndenbedingten Seelenpluralisierungen ist somit eine Selbstspaltung des Seelischen zu konstatieren, die zunchst den Su¨ndeneintritt und spter die Weitervermehrung der Su¨nde befo¨rdert. Sind dank des zuletzt genannten Prozesses schließlich ganze Hundertschaften von Su¨nden und Lastern im Seelenraum vorhanden, so erscheint die weitere Pluralisierung der Seele erst recht plural bedingt.

363 Sowohl die plurale Bedingtheit als auch die Vollstndigkeit der psychischen Pluralisierung lassen sich indes aus anderer Perspektive wieder relativieren bzw. in Frage stellen. Gegen die Wahrnehmung der Umstrukturierungen als plural verursachte Prozesse spricht deren nachfolgend zu erluternde strukturelle Gemeinsamkeit: Zwar mag auf der Basis der oben angefu¨hrten Beobachtungen zunchst der Eindruck entstehen, als verliefe der Einheitsverlust bzw. die Chaotisierung des Seelenraums selbst vo¨llig unkoordiniert und damit weitgehend chaotisch. Bei genauerer Betrachtung kann man indes feststellen, dass sich die auf vielfltige Weise vollzogene Pluralisierung der dreidimensionalen Seele durchaus nicht planlos abspielt, dass sie keineswegs einer inneren Logik entbehrt. Die einzelnen destruktiv-chaotisierenden Teilprozesse der Pluralisierung folgen geradezu ›sklavisch‹ einem u¨bergeordneten Prinzip – dem Prinzip der Verkehrung. Geht, wie bereits oben ausgefu¨hrt, die lutherische Theologie vom »in sich verkehrten Sein« des nicht-gerechtfertigten Su¨nders aus,830 so hat Schottel dies in seinem Gedicht vielfltig illustriert. Immer wieder wird der Leser in seinen Versen zum Zeugen dieses heillosen inneren Zustands, hufig lernt er sogar die Dynamik und Dramatik der zum statischen Verkehrtsein fu¨hrenden Verkehrungsprozesse kennen. In einigen Fllen wird die Verkehrung – in rumlicher Hinsicht wenig anschaulich – als eine Perversion von Krften und Eigenschaften beschrieben, so beispielsweise dann, wenn das Leib und Seele reprsentierende lebendige Fleisch als ›verfault‹ charakterisiert wird oder das eng mit der lebensspendenden Seele verknu¨pfte Blut ein todbringendes Gift enthlt. In den meisten Versen jedoch manifestiert sich die Verkehrung direkt im (Seelen-)Raum, dessen positive Ordnung durch sie in Frage gestellt wird.831 Bereits der Einlass der Su¨nde in den inneren Bezirk des Menschen erweist sich als das Gegenteil, als die genaue Umkehrung dessen, was Gott von seinem Gescho¨pf erwartet htte. Statt (wenigstens selektiv) verschlossener Sinnespforten, die den Menschen zumindest vor ußeren Bedrohungen geschu¨tzt htten, findet die Su¨nde »ofne Gnge« (Vers 93) vor, durch welche sie ungehindert eindringen kann. Einmal im Seeleninneren angekommen, wird die Su¨nde dann selbst zur systematischen ›Verkehrerin‹ des bisherigen Seelenzustands. Zunchst zersto¨rt sie unkrautartig die Ordnung des Seelen830

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Axt-Piscalar, Christine: Su¨nde – VII. Reformation und Neuzeit (Art.). In: TRE, Bd. 32, 2001, S. 400–436, hier S. 400. Als »Mißachtung« der »gute[n] Ordnung der Scho¨pfung« beschreibt die Su¨nde auch Werbick, Ju¨rgen: Su¨nde – III. Historisch-theologisch (Art.). In: LThK, Bd. 9, 2000, Sp. 1125–1126, hier Sp. 1126 (hnlich unter Berufung auf Augustinus auch Sp. 1125).

364 gartens mit ihren u¨berall wuchernden Wurzeln und lsst das Gelnde so zur chaotischen Wildnis werden. Dann wendet sie sich dem Licht der Vernunft und zugleich des Heiligen Geistes, d. h. der beiden wichtigsten Ordnungsgaranten im Menschen bzw. der Scho¨pfung, zu. Bisher hat dieses Licht die Seele mit seinem Glanz geeinigt, dem Menschen die intrapsychische Orientierung ermo¨glicht und schdliche Seeleninhalte offengelegt. Nun wird es abgeblendet, so dass in der plo¨tzlich eintretenden inneren Finsternis der Sprecher bzw. seine psychischen Instanzen sich in sich selbst verlieren mu¨ssen und von den bo¨sen Geheimnissen im Seelenhaus keine Kenntnis mehr haben ko¨nnen. Weiterhin vollzieht sich im Zusammenhang mit dem Vordringen der Su¨nde in das innermenschliche Territorium ein beunruhigender Herrschaftswechsel. Der hier wohl mit der ratio zu identifizierende »Sinn« (Vers 94), der den Seelenraum bislang umsichtig und ordentlich regiert hat, wird gefesselt und sein Antagonist, die zum Schutz der Seele in Ketten liegende »Gierligkeit« (Vers 100) des Fleisches, befreit. Die Monarchie der Vernunft wird zunchst von der Tyrannis der Konkupiszenz und in ihrer Folge von der chaotischen Ochlokratie832 des sich stndig vermehrenden (und damit in ußerster Weise dynamischen) Laster-Getu¨mmels833 abgelo¨st, das die inneren Rume außerdem in Brand setzt. Und damit nicht genug der systematischen Verkehrungen: In zwei Schritten wird das wohl seelenquivalente »Himmelsbild« (Vers 97) in sein Gegenteil, ein ›Erdenbild‹, verwandelt. Zunchst erfolgt seine Fu¨llung mit unrein-irdischen Inhalten (»Erdenlust«, Vers 97), dann wird es auch noch geschmolzen und »[i]n eine Form der Welt« (Vers 115) umgegossen, also auch in seiner ußeren Gestalt dem Irdischen angepasst. ›Verkehrt‹ ist, wie oben fu¨r Blut und Fleisch bereits gezeigt wurde, auch die Situation der nicht mehr rein psychischen, sondern psychophysischen Instanzen. Ins Herz, in 832

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Das Motiv der Herrschaft der Su¨nden im Innern des Menschen kehrt in der Barocklyrik immer wieder, vgl. etwa Anton Ulrich, 1667/1969, S. 30 (6 – (»NAch dir / O GOtt! verlanget mich«)): Was ich nicht wil / das thu ich doch: das macht / die Su¨nd beherscht mich noch. Die anschauliche Bezeichnung ›Getu¨mmel‹ fu¨r die Su¨nde und ihre Wirkungen im Seelenraum wird etwa im folgenden Epigramm Schefflers verwendet (Scheffler, 2000, S. 131 (III,124)) [Herv. d. J. S.]: Die geistliche Drachenstu¨rtzung. Wann du auß dir Verjagst die Su¨nd und jhr getu¨mmel / So wirfft St. Michael den Drachen auß dem Himmel. Der Ausdruck »getu¨mmel« ist in diesen Versen im Sinne von »tumultus«, »confusio« oder »turba« zu verstehen (Anon.: Getu¨mmel (Art.). In: Grimm, Bd. 6, 1911/1984, Sp. 4570–4588, hier Sp. 4572, Sp. 4577 u. o¨.) und schließt in jedem Fall ein chaotisches Moment ein.

365 welchem eigentlich die Tugenden blu¨hen sollten,834 reißen die Su¨ndendornen tiefe Wunden, und das Gehirn verfu¨gt nicht u¨ber eine weitreichende Erkenntnisse fo¨rdernde ›Klarheit‹, sondern ist von einem tru¨ben »Dunst« (Vers 143) erfu¨llt, durch den selbst einfache ›Einsichten‹ unmo¨glich gemacht werden. Als jener Ort, von dem aus eigentlich alle Glieder die Anweisung zu sinnvoller Bewegung erhalten mu¨ssten, ist das Gehirn selbst ver-ru¨ckt. Die durch die Su¨nde(n) ausgelo¨sten systematischen Verkehrungen der psychischen bzw. psychophysischen Natur des Menschen verfolgen ein vo¨llig anderes Ziel als die Umstrukturierungen, die Gott im Seelenraum vornimmt. Wie in den Abschnitten 3.5 und 3.6 gezeigt werden konnte, kommt es zwar auch bei den von Gott durchgefu¨hrten Umgestaltungen zu drastischen Destabilisierungen, doch stehen diese im Dienst erheblicher Stabilisierungen: Das dreidimensionale Seelengebilde soll nicht nur eine gro¨ßere Einheit mit sich selbst, sondern auch die ho¨chste Stufe der Einheit, nmlich die unio mit seinem Scho¨pfer erreichen – und in der Verschmelzung mit Gott an dessen synchroner Kohrenz und diachroner Unzersto¨rbarkeit partizipieren. Die su¨ndenbedingten Umgestaltungen der Seele sind dagegen darauf ausgerichtet, die Ordnung und den Zusammenhalt der Psyche ganz und gar zu zersto¨ren. Nach der bisherigen Deutung wird die von der bzw. den Su¨nde(n) angestrebte vollstndige Pluralisierung des Psychischen im Laufe von Schottels Gedicht tatschlich erreicht, d. h. die viel-einheitliche und damit bipolare Disposition des Seelenraums wird unter dem Su¨ndeneinfluss gnzlich zu einem Pol – dem Vielheitspol – verschoben. Eine solche Sicht auf den Text mag es auf den ersten Blick geradezu befremdlich erscheinen lassen, dass Schottels Verse in der vorliegenden Studie zur Viel-Einheit des psychischen Raums u¨berhaupt beru¨cksichtigt werden. Letztlich jedoch bereitet die Rechtfertigung eines solchen Vorgehens keinerlei Schwierigkeiten. So wre zunchst auf den heuristischen Wert der an diesem Text gewonnenen Einzelergebnisse hinzuweisen. Bei der Untersuchung der systematischen Zersto¨rung psychischer Einheit konnten viele Pluralisierungstendenzen aufgezeigt werden, die auch in anderen, weniger einheitsgefhrdeten Seelenru834

Vgl. zum Blu¨hen der Tugend im psychischen Innenraum etwa Scheffler, 2000, S. 151 (IV,4 – »Das geheime Nazareth und seine geistliche Verku¨ndigung«); Scheffler, 1668/2004, S. 458–459 (IV,137 – »Sie begehret den Braut=Schmuk von jhrem Brutigam« (»DU Edler Brutigam / der du mich neu geborn«)); Laurentius von Schnu¨ffis, 1711/1968, S. 256 (III,4 – »Clorinda / ihren Himmlischen DAPHNIS, welcher in den Garten hinunter gestiegen / suchende / kom[m]t in Erkanntnuß / daß es kein irrdischer Wollusts=Garten / wo er die Gilgen sammle / sondern die Seel eines keuschen Menschen sey« (»MEin Liebster ist«)).

366 men eine Rolle spielen. Auch haben sich dort, wo die Auflo¨sung seelischer Kohrenz beschrieben wurde, ex negativo zugleich Krfte und Strukturen angedeutet, welche die weniger extremen psychischen Rume zusammenhalten – als Beispiel sei hier das ›Seelenlicht‹ genannt, das im Tugendhaften die ganze Seele durchstrahlen und damit einen kann. Weiterhin ist zu bedenken, dass man sich auch in diesem Fall bei der diachronen Topoanalyse des Seelenraums nicht einfach damit begnu¨gen darf, in der Beurteilung seelischer (In-)Kohrenz der vom Gedicht vorgegebenen Chronologie zu folgen und den Endzustand absolut zu setzen. Erforderlich erscheint vielmehr die Zusammenschau des finalen Seelenzustands mit seiner Ausgangskonstitution (vgl. dazu Abschnitt 3.5). Wo man diese Synopse unternimmt, wird man auch den Seelenraum Schottels als viel-einheitliches Gebilde einzustufen und ihn so als wu¨rdigen Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie zu betrachten haben. Schließlich lsst sich, wie oben angedeutet, in gewisser Weise sogar bezweifeln, dass am Ende von Schottels Gedicht tatschlich die vollstndige Pluralisierung des Psychischen steht. Wenigstens eine Gro¨ße nmlich wird in der Seele bei allen Umstrukturierungen nicht verkehrt, sondern bleibt kontinuierlich erhalten: ihre Su¨ndenbereitschaft, die (zumindest zu einem ganz erheblichen Teil) mit der mehrfach erwhnten ›Gier‹ gleichgesetzt werden kann. Sie stellt eine wesentliche Voraussetzung fu¨r den Einlass der zunchst extrapsychischen Su¨nde dar und gewinnt mit deren Eintritt in die Seele noch weiter an Einfluss. Zwar ist gerade die Su¨ndenbereitschaft in erheblichem Umfang an der Pluralisierung des Seelenraums beteiligt und nimmt außerdem in der Metaphorik vielfltige Gestalten an. Trotzdem ko¨nnte man sie in ihrer unentwegten Prsenz als eine durchgngige Verklammerung der Vielheit des Psychischen und damit paradoxerweise als zuverlssig einheitsstiftendes Moment im Seelenraum betrachten. Eine letzte Mo¨glichkeit, die Analyse su¨ndenbedingter Extrem- und Auflo¨sungsformen des Seelenraums im Kontext der vorliegenden Untersuchung zu rechtfertigen, wird schließlich am Ende der nachfolgenden Interpretation zweier Epigramme aus Schefflers Cherubinischem Wandersmann aufzuzeigen sein. In diesen unten zitierten Texten werden die su¨ndenbedingten und die go¨ttlichen Umgestaltungen des psychischen Raums einander gegenu¨bergestellt: Die Su¨ndige Seele. Ein außgebrandte Stadt / ein Schloß / das gantz zersto¨hrt / Ein Reich / das durch und durch zerru¨tt ist und entbo¨hrt; Ein Ko¨nigliches Weib / die nu zur Sclavin worden / Jst eine Seel / die sich die Su¨nde lst ermorden.835 835

Scheffler, 2000, S. 249 (VI,13).

367 Die heilige Seele. Ein Neus Jerusalem / ein außgebautes Schloß / Ein Reich / das jedem Feind zu stark ist und zu groß / Ein Mgdlein / die versetzt in der go¨ttinnen Orden / Jst Jungfrau deine Seel / die GOtts gemahlin worden.836

In den jeweils drei Seelenraummetaphern der beiden Gedichte tritt eine Spielform dieses Metapherntyps in den Vordergrund, die bisher nur sporadisch erwhnt wurde. In diesen Bildern, die zum besseren Verstndnis zusammen mit den nachfolgenden Personifizierungen des Psychischen untersucht werden sollen, erscheint die Seele nicht einfach nur als ein Raum im architektonischen oder geographischen Sinne, sondern sie ist zugleich auch als ein sozialer Raum zu betrachten: In allen sechs Metaphern erfu¨llt sie als dreidimensionales Gebilde eine wichtige Funktion innerhalb oder in Gestalt eines politischen Territoriums. Die Bildlichkeit der beiden Gedichte steht in der Tradition der wechselseitigen Spiegelung von Staat und menschlichem Organismus. Dieses bereits von Dietmar Peil837 ausfu¨hrlich analysierte metaphorische Verfahren, das sich bis in antike Texte zuru¨ckverfolgen lsst, funktioniert nach dem »Prinzip der metaphorischen Reversibilitt«: Teile des Staats ko¨nnen als Teile des Organismus wie auch umgekehrt Teile des Letzteren als staatliche Institutionen verbildlicht werden.838 In den beiden oben zitierten Gedichten wird die zuletzt genannte Variante der reversiblen Metaphorik verwendet, in welcher der Einzelne »eher solipsistisch […] als eine Welt«, als ein Staat fu¨r sich betrachtet wird.839 Wo die Institution des Staats als Bildspender fu¨r das Leib-Seele-Kompositum ›Mensch‹ dient, kommt in vielen Fllen der (Vernunft-)Seele eine besondere Rolle innerhalb der Bildlichkeit zu. Sie hat im Gesamtterritorium des Organismus die Regentschaft inne.840 In diese Metapherntradition stellt sich, wenn auch indirekt, der dritte Vers von Schefflers erstem Epigramm (VI,13), in welchem die Seele als »Ko¨nigliches Weib / die nu zur Sclavin worden«, erscheint. In fru¨herer Zeit kam der Psyche im Gesamtmenschen offenbar die (ihr gebu¨hrende) Position der Herrscherin zu. Nun hat sie ihr Amt entweder an andere innermenschliche Instanzen oder an die Su¨nde verloren und sich in deren Knechtschaft begeben. Da diese Rolle ihrem urspru¨nglichen Status entgegengesetzt ist, greift auch hier das Prinzip der systematischen su¨ndeninduzierten Verkehrung. 836 837 838 839 840

Ebd. (VI,14). Vgl. Peil, 1983, S. 302–418. Ebd. S. 323. Honegger, 1995, S. 273. Vgl. etwa Peil, 1983, S. 309; zu den antiken Wurzeln dieser Vorstellung auch ebd. S. 368.

368 hnliches wird in Schefflers architektonischer Seelenmetapher des vollstndig zersto¨rten Schlosses ausgedru¨ckt. In der allegorischen Ausgestaltung des Menschen als Staat wird schon seit vielen Jahrhunderten, ja seit der Antike der Sitz der herrschenden Vernunft, d. h. die ›Schaltzentrale‹ einer der ho¨chsten Seelenkrfte, als arx mentis,841 cordis castra,842 capitolinum843 oder als Akropolis844 bezeichnet. Dass die Verortung der Vernunft in einem reprsentativen Staatsgebude auch in der Lyrik des 17. Jahrhunderts noch fortlebt, zeigt sich etwa an einem Abendgebet Stegmanns, in welchem von der »Fstung der Vernunfft« die Rede ist.845 Dabei lsst sich Stegmanns Metapher allerdings auch so deuten, dass hier nicht nur eine Lokalisation der innermenschlichen Instanz in einem staatstragenden Gebude, sondern ihre Identifikation mit dem Bauwerk vorgenommen wird. In Schefflers Epigramm kommt es unzweifelhaft zur Gleichsetzung einer anthropologischen Gro¨ße mit einem architektonischen Gebilde: Dabei setzt er nicht die Vernunft, dafu¨r aber die wesentlich durch dieses Vermo¨gen bestimmte Seele mit einem zersto¨rten Schloss gleich, um dadurch ein weiteres Mal den Herrschaftsverlust der Psyche innerhalb des Gesamtorganismus auszudru¨cken. Das Schloss muss dabei zunchst als metonymische Reprsentation der Herrschergestalt, also der entmachteten Ko¨nigin, betrachtet werden. Noch deutlicher als in der Personifikation der Seele zeigt sich in der architektonischen Seelenmetapher der Verlust psychischer Einheit durch die Einwirkung der Su¨nde, hat doch ein zersto¨rter Palast in jedem Fall seine geordnete Struktur und Kohrenz verloren. Aber nicht nur die prekre Lage der einstmals herrschenden Psyche spiegelt der vernichtete Palast wider, sondern er steht, wie die Herrscherin selbst, auch als pars pro toto fu¨r den Staat. In unversehrtem Zustand symbolisiert ein imposanter Regierungssitz neben der Uneinnehmbarkeit immer auch die »Einheitlichkeit, Homogenitt, Normierung und Uniformitt« des Staatsgebildes,846 dem er zugeho¨rt. Wird in Schefflers Versen der Seelenpalast durch die Su¨ndeneinwirkung zersto¨rt, so kann man dies analog dazu als Hinweis auf den Integrittsverlust des gesamten Reichsgebiets, also des Gesamtorganis841

842 843 844 845

846

Zu den Urspru¨ngen wie auch zur christlichen Weiterentwicklung dieser Metapher vgl. ausfu¨hrlich Bauer, 1973, S. 110–115. Vgl. Peil, 1983, S. 316–317. Vgl. ebd. S. 321. Vgl. Ohly, 1986, Sp. 969. Gryphius, Erg.-Bd. II,2, 1663/1987, S. 97 (»Abend=Gebet am Mitwochen« 5 – »Abend=Gesang« (»BEwahr mich Gott mein HErre«)). Klinger, 2002, S. 224. Cornelia Klinger setzt sich allerdings nur mit der personalen, nicht auch mit der architektonischen Variante der »symbolische[n] Reprsentation« auseinander.

369 mus, deuten. hnlich wie im zuvor untersuchten Gedicht Schottels reicht auch hier die destruktive und chaotisierende Wirkung der Su¨nde u¨ber die Seele hinaus, d. h. sie entfaltet sich in den Bereich des Leibes hinein. Parallel zum ersten beschreibt auch das zweite oben zitierte Epigramm (VI,14) ein Schloss und eine Frauengestalt, die eine radikale Verwandlung ihres bisherigen Zustands erfahren. Dabei sind jedoch die drastischen Vernderungen selbst jenen des ersten Gedichts genau entgegengesetzt. Wird im ersten Epigramm die Reprsentantin der Macht, die Ko¨nigin, zur Sklavin degradiert, so ist in dieser Verkehrung eine Zersto¨rung der bestehenden Ordnung zu sehen. Diese fu¨hrt implizit auch zu einer Spaltung der ko¨niglichen Seele in sich selbst, da ihre neue soziale Rolle mit ihrem naturgegebenen bzw. gottgewollten Stand als Ko¨nigin nicht mehr u¨bereinstimmt. Wenn andererseits im zweiten Epigramm ein einfaches »Mgdlein« Gott angetraut und »in der go¨ttinnen Orden« versetzt wird, so stellt seine Vermhlung und damit seine Vereinigung mit dem Scho¨pfer in mehrfacher Hinsicht das genaue Gegenteil der Versklavung einer Herrscherin dar. Nicht nur erfolgt hier ein sozialer Aufstieg statt eines gesellschaftlichen Abstiegs, sondern auch in Bezug auf den intrapsychischen Ordnungs- und Einheitsgrad findet ein Umschwung statt, der den Entwicklungen des ersten Epigramms spiegelbildlich entgegengesetzt ist. Im zweiten Epigramm wird die Ru¨ckkehr der personifizierten Seele zur anfnglichen Einheit von Scho¨pfung und Gescho¨pf beschrieben. Ihr neuer Status stimmt mit der Position, die Gott in seiner Weltordnung fu¨r sie vorgesehen hat, besser u¨berein als ihr vorangehender Zustand des Getrenntseins von ihrem Scho¨pfer, der letztlich aus der Unordnung des Su¨ndenfalls resultiert. Da die Vermhlung der Psyche mit Gott ihr gleichsam natu¨rlich ist, bewirkt sie keine Seelenspaltung, sondern umgekehrt eine Zunahme an seelischer Kohrenz. Auch fu¨r das in beiden Gedichten vorkommende Seelenschloss lsst sich im ersten Epigramm ¨ berbietung der bisherigen Ordeine Unter-, im zweiten dagegen eine U nung und des bisherigen Zusammenhalts nachweisen. Whrend der zersto¨rte Seelenpalast aus Epigramm VI,13 in seine Einzelteile zerlegt ist und damit weit hinter die zuvor bestehende architektonische Kohrenz ins zusammenhanglose Chaos zuru¨ckfllt, erreicht der Ausbau des Schlosses im nachfolgenden Gedicht genau das Gegenteil. In Zukunft wird das Gebude durch diese Maßnahme wohl noch besser vor Angriffen in zersto¨rerischer Absicht geschu¨tzt sein. Es gewinnt also zustzliche Stabilitt. Eine Antithese zwischen den go¨ttlichen und den su¨ndenbedingten Umgestaltungen des Psychischen kann auch an den zwei bislang

370 noch nicht betrachteten Seelenmetaphern der beiden Epigramme, den gleichfalls parallel angelegten Bildern der Seelenstadt bzw. des Seelenstaats, aufgezeigt werden. Diese lassen sich, im Unterschied zu den vorangehend untersuchten Metaphern, nicht unmittelbar mit der antiken Parallelisierung von Staat und Organismus in Zusammenhang bringen. In der Reichs- wie auch in der Stadtmetapher erscheint die Seele nicht als Teil eines politischen Gesamtgebildes, das sie beherrscht oder als pars pro toto reprsentiert, sondern sie stellt selbst ein in sich abgeschlossenes politisches Herrschaftsgebiet dar. Als Vorbild fu¨r die Gleichsetzung der Seele mit einem ganzen Staat bzw. mit einer Stadt kommt vor allem Platons »eher psychomorph als organologisch zu nennende[s]«847 Staatenmodell aus der Politeia (387 v. Chr.) in Frage,848 das Verbindungen zwischen den drei Seelenteilen des Einzelmenschen und den drei ein Staatswesen konstituierenden Stnden herstellt. Entscheidend ist dabei, dass in Platons Modell die Regierung nur einem der drei Stnde bzw. einer der drei Seelenkomponenten zugewiesen wird,849 so dass die Seelen- bzw. Staatskrfte einer klaren Hierarchie unterliegen. Im ersten Epigramm Schefflers ist durch die Einwirkung der Su¨nde auf den Seelenstaat gerade ein solches hierarchisches und damit zugleich geordnetes Zusammenspiel der Einzelkrfte offenbar nicht mehr gewhrleistet. Dies wird schon durch das in Verbindung mit dem seelischen Reich verwendete Verb ›zerru¨tten‹ impliziert. Nach Auskunft des Deutschen Wo¨rterbuchs kann es bemerkenswerterweise sowohl auf ein Staatswesen als auch auf einen Seelenoder Geisteszustand Anwendung finden und lsst sich als »etwas geordnetes sto¨ren und in unordnung bringen« umschreiben.850 Die Erwhnung einer innerseelischen Zerru¨ttung mag es offen lassen, ob die politisch-soziale Chaotisierung des psychischen Reichs hier nur durch direkte Angriffe der Su¨nde erfolgt oder ob die Su¨nde auch indirekt, d. h. durch gezielte Einflussnahme auf die einzelnen Seelenkrfte, destabilisierend ttig wird. Das zweite im Zusammenhang mit dem Seelenreich verwendete Verb (›empo¨ren‹) aber lsst keinen Zweifel an der verfu¨hrerisch-aufwiegelnden Kraft der Su¨nde. Folgt man dem Deutschen Wo¨rterbuch, so bedeutet es einerseits so viel wie »excitare ad rebellandum, in aufruhr bringen«, whrend es andererseits den Vorgang des Sich-Auflehnens selbst bezeichnet.851 Die niederen Seelenkrfte werden also von der Su¨nde zum Aufruhr gebracht, so dass sie 847 848 849 850 851

Peil, 1983, S. 314. Vgl. Platon, 1958, S. 160–168 (»Res publica« 434c–443b). Vgl. ebd. S. 167 (»Res publica« 441e). Anon.: zerru¨tten (Art.). In: Grimm, Bd. 31, 1956/1984, Sp. 751–752, hier Sp. 752. Anon.: empo¨ren (Art.). In: Grimm, Bd. 3, 1862/1984, Sp. 435–436, hier Sp. 435.

371 sich, der Vernunft nicht mehr gehorchend, bu¨rgerkriegsartig gegeneinander und gegen die oberen Seelenkrfte erheben. Erscheint im zweiten Epigramm die »heilige Seele« als ein »Reich«, »das jedem Feind zu stark […] und zu groß« ist, so lsst sich aus dieser Aussage ex negativo auch der Vorgang der psychischen Dissoziation im ersten Epigramm noch besser rekonstruieren: Wie im zuvor untersuchten Gedicht Schottels wird die Su¨nde auch hier nicht mit der seelenimmanenten Erbsu¨nde identifiziert, sondern tritt dem Seelenstaat zunchst als eine ußere feindliche Macht gegenu¨ber, die, wenn das psychische Reich ausreichende Strke und Verteidigungsbereitschaft aufwiese, sofort abgeschreckt wre. Dies ist im ersten Epigramm offensichtlich nicht der Fall. Im Gegenteil: Statt den Seelenstaat mu¨hsam im Alleingang zersto¨ren zu mu¨ssen, kann die Su¨nde sich darum bemu¨hen, seine Selbstzersetzung auszulo¨sen. Die Schuld fu¨r die su¨ndenbedingten Zersto¨rungen des Seelenterritoriums liegt damit, wie auch der letzte Vers des ersten Epigramms zeigt, wenigstens teilweise bei der Seele selbst. Zwar wird die Su¨nde an ihr zur Tterin, doch geschieht dies nur, weil die »Seel […] sich die Su¨nde lst ermorden«. Auch in diesem Fall ko¨nnte man aus der Externalisierung der Su¨nde852 eine strkere Verantwortlichkeit der Seele fu¨r ihren moralischen Status ableiten. Allerdings stellt sich die Frage, ob unter normalen ›Umstnden‹ ein politisches Seelenterritorium dazu in der Lage wre, das Eindringen einer als militrischer Gegner auftretenden Su¨nde abzuwehren. Das unten zitierte Monodistichon Czepkos legt es nahe, dass politische Seelenrume nur im Ausnahmefall keine Schwachstelle fu¨r den schdigenden Angriff der ußeren Su¨ndenmacht auf ihr Territorium bieten und sich so jedem Risiko ihrer Vernichtung durch die Su¨nde entziehen ko¨nnen: REICH ALLER REICHE. Gedchtnu¨s und Verstand und Willen ist ein REICH: Wer es beherrscht, ist Gott. Gott: oder ja Gott gleich.853

In den hier wiedergegebenen Versen wird nur Gott oder dem gottgleichen Menschen die Fhigkeit zugesprochen, das dreigeteilte Seelenreich in Personalunion regieren zu ko¨nnen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Mensch nach dem Su¨ndenfall, durch den er entweder die ganze oder zumindest einen Teil seiner Gottesebenbildlichkeit ver852

853

Die Verlagerung der Su¨nde nach außen erscheint beim Konvertiten Scheffler weniger problematisch als bei Schottelius, da, wie oben dargestellt, die katholische Seite in den Diskussionen um die Su¨nde(n) ein strkeres Gewicht auf die Tatsu¨nden legt und den Reat der Erbsu¨nde im Gerechtfertigten bestreitet. Czepko, Bd. I,2, 1989, S. 653 (»Sexcenta Monodisticha Sapientum« VI,1).

372 loren hat,854 im Grunde gar nicht mehr zur Beherrschung und Einigung dieses inneren Staates in der Lage ist. Außer Gott kann allenfalls ein von Gott besonders begnadetes Individuum, eben eine »heilige Seele« wie jene aus Schefflers Epigramm VI,14, auf der psychischen Ebene das Wunder der Trinitt wiederholen. Nur in einer vom Scho¨pfer auserwhlten Seele sind alle drei augustinischen Seelenkrfte855 zu einer Einheit zusammengefasst,856 die sich von der Su¨nde nicht entzweien lsst. Wie die Metapher des Seelenstaats so lsst auch das Bild der Seelenstadt die Seele als einen (leibunabhngigen) sozialen und politischen Raum erscheinen. Wie das Seelenreich wird auch dieses metaphorische Gebilde in den beiden aufeinanderfolgenden Epigrammen Schefflers in entgegengesetzten Extremzustnden entworfen: Im ersten Gedicht erscheint es als »außgebrandte Stadt«, im zweiten als »Neus Jerusalem«. Schon am ersten Epigramm lassen sich allerdings zugleich erhebliche Unterschiede zwischen der Stadt- und der Staatsmetaphorik aufzeigen. Wird die su¨ndige Seele einem zerru¨tteten und empo¨rten Staatsgebilde gleichgesetzt, so erscheint sie vor allem als dynamischer Raum. Zerru¨ttung und Empo¨rung sind weniger Zustnde als Prozesse, die den Seelenraum nicht zuletzt auch dadurch destabilisieren, dass sie seine Ruhe in die unruhige Bewegung gegeneinander gerichteter Krfte verwandeln. Wird die moralisch gescheiterte Psyche dagegen mit einer »außgebrandte[n] Stadt« identifiziert, so scheint zum Beobachtungszeitpunkt im Seelenraum keine Unruhe mehr zu herrschen. Das adjektivisch verwendete Partizip Perfekt deutet darauf hin, dass der Zersto¨rungsprozess bereits abgeschlossen ist. Trotzdem zeigt sich die psychische Einheit in dieser Bildlichkeit diachron und synchron nicht minder bedroht als in der Metapher vom bu¨rgerkriegsgeplagten Seelenstaat: Die Su¨nde (oder die von dieser entzu¨ndete Flamme der Gier) 854 855

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Vgl. Schumacher, 2004, S. 32–35. Vgl. dazu auch Mohr, 2007, S. 123. Von der Dreiheit von »memoria, intellegentia, uoluntas« handelt Augustinus etwa in Augustinus, 2001, S. 120–126 (Buch 10). Noch deutlicher setzt Czepko die Trinittsmetaphorik in der erweiterten Fassung seiner Parentatio auf Herzogin Louise (1660) ein: In der makellosen Seele der jung verstorbenen Herzogin sieht Czepko »ein[en] Spiegel der Heiligen Dreyfaltigkeit« (Czepko, Bd. 5, 1992, S. 423). Auch hier sind die drei Seelenkrfte des Verstandes, des Willens und des Gedchtnisses (vgl. ebd. S. 423–424) verrumlicht, allerdings erscheinen sie nicht als ein Staat, sondern von vornherein als »drey Reiche«. Zugleich lsst Czepko eine unbestimmt als ›Seele‹ bezeichnete Instanz auftreten, die in menschlicher Gestalt erscheint. Sie kann durch ihre Vortrefflichkeit und Unschuld in allen drei Rumen herrschen und sie dadurch miteinander harmonisieren: »Und begeben wir uns in die DREY REICHE, darinnen die Seele ihre vollkommene Herrschafft veru¨bet, so befinden wir dieselbige in voller Ruh, in vollem Frieden« (ebd. S. 423).

373 hat als Feuersbrunst in der Seelenstadt gewu¨tet und dabei Vernderungen gegenu¨ber ihrem unversehrten Zustand bewirkt, die ihre diachrone Identitt in Frage stellen. Abgesehen davon, dass das vom Feuer zersto¨rte Stadtgebiet in formal-binnenstruktureller Hinsicht nicht wiederzuerkennen sein du¨rfte, entbehrt es, da es als zersto¨rtes Gelnde nicht mehr bewohnbar ist, auch seines fru¨heren lebendigen Inhalts. Die stoffliche Restkontinuitt durch das, was an Ruinen mo¨glicherweise noch u¨brig geblieben ist, erscheint gegenu¨ber diesen Wandlungen gering. Der Verlust der Bewohner fu¨hrt, so paradox dies zunchst klingen mag, zugleich auch zu einer synchronen Pluralisierung des Stadtareals, die durch die Fragmentierung seiner Bebauung natu¨rlich noch verstrkt wird. Eine unbewohnte Stadt kann nicht lnger als funktionale Einheit gelten. Der kontinuierliche Warenfluss, der soziale Austausch, die intra muros allgemeinverbindliche Rechts- und Gesetzesordnung etc. sind aufgehoben. Im zweiten oben zitierten Epigramm wird die menschliche Seele nicht einer zersto¨rten Stadt, sondern dem eschatologischen »Neu[en] Jerusalem« gleichgesetzt. Bei der Analyse dieser Metapher erscheint es unvermeidlich, endlich die bisher ausgeklammerte Frage nach dem Zusammenhang zwischen den beiden parallel gebauten und aufeinanderfolgenden Gedichten des Cherubinischen Wandersmanns zu stellen.857 Hier sind vor allem zwei erheblich voneinander divergierende Antworten denkbar: Entweder werden in den beiden Gedichten zwei alternative Endzustnde der am Scheideweg stehenden Seele entworfen,858 oder die Zustandsbeschreibungen der su¨ndigen und der heiligen Seele stehen im Verhltnis eines (wenigstens mo¨glichen) zeitlichen Nacheinanders. Nach der zuletzt angefu¨hrten, gewissermaßen chronologischen Lesart lassen sich beide Gedichte zu einer intrapsychischen Heilsgeschichte zusammenfassen. Im Gesamtkontext von Schefflers Gedichtzyklus859 erscheint diese gleichsam optimistischere Lesart deutlich plausibler, weshalb ihr im Folgenden der Vorzug gegeben werden soll. 857

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Vgl. allgemein zum Zusammenhang der Epigramme im Cherubinischen Wandersmann etwa Mohr, 2007. Scheffler scheint hier keine Gleichzeitigkeit beider Stdte in ein und derselben Seele anzunehmen, wie sie aus der sptantiken und mittelalterlichen Tradition in zahlreichen Beispielen u¨berliefert ist. Mit der Vorstellung, dass die »Seele als großflchige Kulturlandschaft mehreren Stdten Platz bietet«, dass sich »Gottesstadt« und »Teufelsstadt« (Letztere allerdings, nach Bauer, 1973, S. 86, mehr als Babylon denn als das alte Jerusalem verstanden) gleichzeitig in einer Seele finden, befasst sich etwa Bauer, 1973, S. 84–85. Zur Anwendbarkeit des Zyklusbegriffs auf den Cherubinischen Wandersmann vgl. Mohr, 2007, S. 42.

374 Die Nennung Jerusalems im zweiten Epigramm macht deutlich, dass Schefflers Seelenstadtmetaphern nicht bloß im Zusammenhang mit der heidnisch-philosophischen, sondern auch im Kontext der (biblisch inspirierten) christlichen Stadtmetaphorik betrachtet werden mu¨ssen.860 Die Gleichsetzung des neuen (d. h. himmlischen) Jerusalem mit der Seele vermag vor dem Hintergrund der fru¨hneuzeitlichen Exegesebzw. Allegoresepraxis kaum zu erstaunen. So zeigt auf katholischer Seite etwa die im Barock außerordentlich beliebte861 Silva allegoriarum (1570) des Hieronymus Lauretus862 Parallelen zwischen der biblischen Stadt und der menschlichen Seele auf.863 Und der Protestant Arndt liefert eine, wenn auch nicht ausschließlich auf die Seele bezogene, so doch immerhin klar anthropologische Deutung Jerusalems, indem er dem alten Menschen (Adam) das alte, irdische, dem neuen Menschen hingegen das neue, himmlische Jerusalem zuordnet.864 Doch nicht allein das dies- und das jenseitige Jerusalem, sondern auch andere in der Bibel genannte Stdte werden in der Fru¨hen Neuzeit865 vielfltig mit der menschlichen Seele und ihrem moralischen Zustand in Zusammenhang gebracht. Friedrich Breckling beispielsweise identifiziert unter Verweis auf Jes 13 und Offb 18 eine ganze Reihe biblischer Ansiedlungen mit einer durch Su¨nden verdorbenen Seele, die einem wirren Haufen divergierender teuflischer Bewohner Unterschlupf bietet und so selbst zum chaotischen Gebilde wird.866 Und der Eintrag Civitas, Civis, Oppidum, Vrbs867 aus Lauretus oben erwhnter Silva stellt eine 860

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Vgl. allgemein zur seit der Sptantike nachweisbaren christlichen Stadtmetaphorik als Erweiterung der Hausmetapher etwa Bauer, 1973, S. 80–81. Auf die Beliebtheit der Silva im »deutschen Barock« weist etwa Ohly hin (Ohly, 1977, S. 160). Noch 1744 wurde sie in Ko¨ln nachgedruckt, vgl. ebd. S. 156. Vgl. sowohl zu diesem bereits mehrfach in den Anmerkungen zitierten Werk wie auch zur Biographie seines Verfassers ebd. S. 156–170. Vgl. den Eintrag Hierusalem in Lauretus, 1681/1971, S. 516–517, hier S. 517. Schon Prudentius verleiht der Seele am Schluss seiner im fru¨hen 5. Jahrhundert entstandenen Psychomachie Zu¨ge des himmlischen Jerusalem, vgl. dazu ausfu¨hrlich Wandhoff, 2004, S. 15. Vgl. Arndt, 1733, S. 341 (II,7). Zur Entsprechung zwischen der Stadt und der anima christiana schon vor der Fru¨hen Neuzeit vgl. Bauer, 1973, S. 82–83. Vgl. Breckling, 1660, S. 42: Jst das nun nicht Elend und Qual / in solcher Verkehrtheit wider Gott leben / in einer solchen Ho¨lle und Gefngniß der Su¨nden tglich sitzen / so sein eigen Feind / Peiniger und Teuffel sein / und ein solches Babel / Sodom / Egypten / Jerusalem / Grewel der Verwu¨stung / Pful voller bo¨ser Wu¨rm und Behausung voller Gespenst und Unreinen Geister in ihm selbst haben und finden? Lauretus, 1681/1971, S. 238–240, zur anima besonders S. 238–239. Dass Lauretus hier civitas und urbs/oppidum in einen gemeinsamen Artikel zusammenfasst, ist ein Zeichen fu¨r die semantische Nhe der Metaphern vom Seelenreich und von der Seelenstadt.

375 Verbindung zwischen den »civitates exustæ« aus Jer 2,15 und den »animæ vitiorum igne flagrantes« her868 – eine Parallelisierung, die sich ohne Schwierigkeiten auf die »außgebrandte Stadt« aus Schefflers erstem Epigramm u¨bertragen ließe. Noch deutlicher als in Schefflers Epigramm VI,13 treten die biblischen Anklnge der Metapher von der verwu¨steten Seelenstadt in den ersten beiden Strophen eines von Laurentius von Schnu¨ffis verfassten Liedes hervor, das – wie das Gedicht aus dem Cherubinischen Wandersmann – die su¨ndige Seele nicht nur als verwu¨stete Stadt, sondern auch als versklavte Ko¨nigin darstellt. Zu beachten ist allerdings, dass hier nicht eine externalisierte Su¨nde, sondern das gnzlich von Su¨nde(n) durchdrungene Ich die detailliert beschriebene Zersto¨rung der inneren Stadt betreibt: WAs Ubels an Jerusalem Antiochus vollbracht / Jndem er es zu einer Schwemm Der Thrnen hat gemacht: Den Tempel rein geplu¨ndert auß / Die Stadt biß auff das letste Hauß Verwu¨stet / und versto¨rt / Nur nicht gar umbgekehrt. Das hab an meiner Seelen ich Auch allerdings veru¨bt / Jndem ich sie stieffmu¨tterlich Biß in den Tod betru¨bt: Jch hab Sie / als das Oberhaupt / Der Herrschung meines Leibs beraubt / Und immer nur veracht / Zur Sclavin mir gemacht.869

Mit Antiochus ist hier der Seleuzidenko¨nig Antiochus Epiphanes aus dem ersten Makkaberbuch benannt, der zunchst den Tempel in Jerusalem (1. Makk 1,16–28), in einem spteren Feldzug dann durch Brandschatzung und Plu¨nderung auch die Stadt selbst vollstndig verwu¨stet (1. Makk 1,29–40) und dabei zugleich einen Religionskrieg gegen die Einwohner der Stadt und des Landes Juda fu¨hrt. Kurz vor seinem Tod muss er erkennen, dass diese Taten Verderben u¨ber ihn gebracht haben (1. Makk 6,9–12). Wird das Ich, d. h. die als Sprecherin fungierende Schferin Clorinda, mit dem sterbenden Antiochus identifiziert, so kommt es, wie im eingangs untersuchten Lied Schefflers, zu 868 869

Ebd. S. 239. Laurentius von Schnu¨ffis, 1711/1968, S. 92–93 (I,10 – »Clorinda bewinet ihr unmenschliche Grausamkeit / so sie sowol gegen ihr eigne / als viel andere durch ihr verfu¨hrerische Lieb verkehrte Seelen veru¨bt«).

376 einer psychischen Selbstentzweiung, bei der das Ich als su¨ndenquivalenter Gegner der Seele auftritt. Schon dadurch wird die psychische Kohrenz in erheblichem Maße bedroht. Hinzu kommt, dass das innerseelische Jerusalem hier »biß auff das letste Hauß« (Vers I,6) vernichtet ist. Setzt man schließlich voraus, dass der hier sich andeutende Seelenzustand der Verfassung Jerusalems in 1. Makk 3,45 entspricht, so ist eine weitere Gefhrdung des seelischen Zusammenhalts unvermeidlich: In diesem Fall nmlich hat man sich auch das einheitsstiftende Stadtleben innerhalb der Seele als gnzlich erloschen zu denken, da ihre bisherigen Bewohner (also ihre lebendigen Inhalte) vollstndig aus ihr vertrieben worden sind. Trotz aller synchron und diachron pluralisierenden Su¨ndenfolgen scheint jedoch die Seelenstadt noch nicht ganz verloren. Der Leser erfhrt, dass sie »nicht gar umbgekehrt« (Vers I,8), d. h. die letzte Stufe der Verkehrung noch nicht vollzogen worden ist. Außerdem werden zumindest in jenen Bibelpassagen, auf welche sich die Verse beziehen, die Restitutionsplne fu¨r Volk und Stadt keineswegs begraben (vgl. etwa 1. Makk 3,43). Am Ende des Liedes findet das Ich zur Buße. So kann es hoffen, die eigene sowie weitere, von ihm in die Su¨nde gerissene Seelen »aus der Su¨nden=Ho¨ll | Erlo¨sen« zu ko¨nnen (Strophe 19),870 mo¨gen sie auch zuvor schon »mo¨rderisch versehrt /| Zerrissen / und verzehrt«, d. h. bereits vollstndig fragmentiert worden sein (Strophe 5).871 Obwohl der abschließende Heilsentwurf die Seele nicht mehr als zersto¨rtes Jerusalem zeichnet, sondern sie personifiziert, wird man doch aus der Perspektive des Liedschlusses auch die architektonischen Verwu¨stungen als reversibel einzustufen haben: Wo die su¨ndige Sprecherin sich bekehrt, steht auch einem Wiederaufbau der vernichteten Seelenstadt nichts im Wege. Geht man in der oben skizzierten chronologischen Lesart der beiden Epigramme Schefflers davon aus, dass sich in ihrem Nacheinander eine mo¨gliche Abfolge der darin beschriebenen Seelenzustnde ausdru¨ckt, so bietet sich auch fu¨r die Seelenstadt aus Epigramm VI,13 eine Heilsperspektive. Gott kann die von der Su¨nde niedergebrannte und damit ihrer Ordnung und Stabilitt beraubte alte Ansiedlung durch ein neues, u¨berirdisch-bestndiges Jerusalem ersetzen – eine Umstrukturierung, die wie alle go¨ttlichen Umgestaltungen des Seelenraums nicht nur mit einer Zunahme der seelischen Ordnung und Stabilitt, sondern auch mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung verbunden ist. Die eigentliche Verwandlung der Seele hat man dabei gewissermaßen in der Leerzeile bzw. »typographischen[n] ›Kluft‹«872 zwischen den beiden 870 871 872

Ebd. S. 98. Ebd. S. 93. Mohr, 2007, S. 45.

377 Epigrammen anzusiedeln. Aus der Metaphorik der beiden Texte lassen sich keine Hinweise darauf gewinnen, auf welche Weise sich eine Ablo¨sung der Stdte ereignen ko¨nnte. Anhaltspunkte fu¨r den mo¨glichen Ablauf einer solchen intrapsychischen Umgestaltung liefert dem Leser jedoch die biblisch-christliche Tradition, in der die Eigenschaften und besonderen Entstehungsumstnde des himmlischen Jerusalem873 immer wieder thematisiert werden. Entscheidend ist zunchst, dass diese Stadt nach christlicher Auffassung kein materielles, sondern ein geistiges Gebilde darstellt,874 so dass sie sich schon in der Art der Bausubstanz erheblich vom irdischen Jerusalem und allen anderen biblischen Ansiedlungen unterscheidet. Ja, mehr noch: Die neue Stadt ist u¨berhaupt nicht von dieser Welt, sondern sie muss »von Gott aus dem Himel her ab faren«875 (Offb 21,2;876 vgl. auch Offb 3,12), hnlich wie auch die Verwandlung des alten in den neuen Adam nur vom Himmel und von Gott her in die Wege geleitet werden kann.877 Vor diesem Hintergrund erscheint es schwerlich mo¨glich, sich die Entstehung des neuen Jerusalem in der Seele als eine bloße restitutio ad integrum, als einen einfachen Wiederaufbau der vernichteten alten Seelenstadt aus ihren Tru¨mmern zu denken. Gerade aus Offb 21,2 ergibt sich, dass man sich den Wechsel von der toten, in Schutt und Asche liegenden Su¨ndenstadt zur »Stad des lebendigen Gottes«878 (Hebr 12,22) als eine u¨bergangslose, instantane Verwandlung zu denken hat. Wenn aber Gott die ausgebrannte Sttte in einem Augenblick zur klar strukturierten, auf ihren Scho¨pfer bzw. Messias hin zentrierten879 himmlischen Siedlung machen kann, so ist eine Fu¨llung der Leere zwischen beiden Epigrammen letztlich gar nicht erforderlich. An der Seelenstadtmetaphorik der beiden Epigramme lsst sich exemplarisch sehr gut zeigen, wie sehr die – keineswegs ›harmlosen‹ – su¨ndenbedingten Zersto¨rungen seelischer Rume an Radikalitt hinter 873 874

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Vgl. zu dessen Gestaltung grundlegend Breuer, 2000. Vgl. Ko¨pf, Ulrich: Jerusalem, himmlisches (Art.). In: RGG, Bd. 4, 2001, Sp. 448–449, hier Sp. 448. Biblia, 1974, Bd. 3, S. 2510. In Offb 21,2 erscheint das himmlische Jerusalem bemerkenswerterweise zugleich als Braut Gottes. Indem Scheffler in seinem Epigramm VI,14 die Seele zugleich als neues Jerusalem und als »Gemahlin« Gottes bezeichnet, folgt er somit der biblischen Tradition. Im Grunde ist es sogar fraglich, ob die Transformation der Seele in das neue Jerusalem u¨berhaupt auf Erden stattfinden kann, vgl. dazu die Verortung des neuen Jerusalem im Himmel bzw. seine Setzung als Himmel schon in der mittelalterlichen Visionsliteratur (Dinzelbacher, 1981, S. 108–109). Vgl. auch Ko¨pf, Ulrich: Jerusalem, himmlisches (Art.). In: RGG, Bd. 4, 2001, Sp. 448–449. Biblia, 1974, Bd. 3, S. 2451. Vgl. Bo¨cher, Otto: Himmlisches Jerusalem – I. Biblisch (Art). In: LThK, Bd. 5, 1996, Sp. 129–130, hier Sp. 129.

378 den go¨ttlichen Eingriffen in die Seele zuru¨ckbleiben. Zunchst differiert schon die Geschwindigkeit, mit der die Su¨nde und Gott auf den Seelenraum einwirken: Der Scho¨pfer kann das psychische Gebilde in einem Augenblick umstrukturieren, die Su¨nde hingegen muss dabei Schritt fu¨r Schritt vorgehen. Hinzu kommt, dass der stoffliche und formale Wandel im Fall der go¨ttlichen Umgestaltungsmaßnahmen ungleich gro¨ßer ist: Als »außgebrandte Stadt« verfu¨gt die Seele zumindest dadurch noch u¨ber eine gewisse Kontinuitt, dass unter der Asche Reste der fru¨heren Bausubstanz zuru¨ckbleiben. Wird dagegen die zersto¨rte irdische Seelenstadt in das himmlische Jerusalem verwandelt, so tritt etwas vollstndig Neues an die Stelle der alten Ansiedlung. Whrend Gott zur Errichtung des neuen Jerusalem in der Seele weder auf intraund/oder extrapsychische Formvorlagen noch auf die fru¨heren Seeleninhalte zuru¨ckgreifen muss, erweist sich die Su¨nde zu einem solchen Scho¨pfungsprozess in Schefflers Epigramm, aber auch im vorangehend untersuchten Gedicht Schottels außerstande. Wenn sie den psychischen Raum fragmentiert, zerru¨ttet, zerfrisst, disloziert oder in Asche verwandelt, schafft sie nichts Neues, sondern vernichtet nur, was vorhanden ist. Auch wenn sie der Seele in einem Gussvorgang die Gestalt der Welt verleiht, bedient sie sich dabei einer bereits vorhandenen Form. Und selbst wenn sie in manchen ihrer Zersto¨rungsschritte (so etwa bei der Zeugung weiterer Su¨nden im Seeleninneren) tatschlich einmal ›kreativ‹ zu werden scheint, bleibt sie letztlich zur systematischen Verkehrung der psychischen Zustnde in ihr Gegenteil verpflichtet, d. h. an die ›Vorlage‹ des wohlgeordnet-su¨ndenlosen Zustands gebunden. Sie kann also, in jedem Fall, nur als ein »Geist, der stets verneint«,880 auftreten. Schließlich ist der go¨ttliche Eingriff in den Seelenraum den intrapsychischen Manipulationen der Su¨nde auch darin u¨berlegen, dass die von Gott vorgenommenen Umstrukturierungen deutlich stabiler sind. Whrend eine von der Su¨nde zuru¨ckgelassene Seelenstadt-Ruine ungeschu¨tzt allen exogenen Krften ausgeliefert ist und man jederzeit mit weiteren Eingriffen der Letzteren zu rechnen hat, ko¨nnen die himmlisch-endzeitliche Seelenstadt und andere von Gott umstrukturierte Seelenrume (vgl. dazu die Abschnitte 3.5 und 3.6) als unzersto¨rbar und uneinnehmbar gelten.881 Die Schutzlosigkeit und Ohnmacht 880 881

Goethe, 1972, S. 47 (»Faust I«, Vers 1338). Vgl. etwa die dritte Strophe aus Schefflers Darstellung der ewigen Freuden der Seeligen im vierten Teil seiner Sinnlichen Beschreibung der vier letzten Dinge (1675). Darin heißt es vom himmlischen Jerusalem (Scheffler, 1949, S. 268): Die Mauern sind hoch aufgespitzt, Ganz schußfrei, voller Tu¨rme,

379 sowie die daraus resultierende Instabilitt eines von der bzw. den Su¨nde(n) vernichteten Seelenraums du¨rfen dabei keineswegs nur als nachteilig fu¨r die Psyche gesehen werden. Gerade sie ero¨ffnen im Lied des Laurentius von Schnu¨ffis, in Schefflers Epigramm VI,13 und letztlich auch in anderen Texten dem psychischen Raum u¨berhaupt erst die Perspektive einer heilsamen Verwandlung, einer Aufhebung seiner Verwu¨stungen: Nur dadurch, dass die su¨ndeninduzierten psychischen Umgestaltungen sich selbst wieder verwischen lassen, hat die Seele die Chance, dass Gott ihre inneren Verkehrungen ru¨ckgngig macht. Dass die su¨ndenbedingten Seelenzersto¨rungen grundstzlich als reversibel gedacht werden ko¨nnen, lsst sich dabei zugleich als letztes Argument fu¨r die Betrachtung dieser Extremform des Seelenraums in einer Studie zur Viel-Einheit des Seelischen anfu¨hren: Auch dort, wo durch die Su¨nde(n) die geordnete (Viel-)Einheit des Seelenraums vollstndig oder weitgehend vernichtet, wo sie vo¨llig oder zum gro¨ßten Teil in eine chaotische Vielheit verwandelt ist, kann zumindest Gott sie jederzeit wieder aus dem systematisch verkehrten psychischen Ist-Zustand rekonstruieren. Zumindest der Potenz nach ist die Einheit des Psychischen somit auch in dieser Extrem- und Auflo¨sungsform des Seelenraums noch enthalten.

3.8

Autonome Metamorphosen? – Endogene Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume

Nachdem in den beiden vorangehenden Abschnitten die exogenen und die exogen-endogenen Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume in Gedichten des 17. Jahrhunderts untersucht worden sind, drngt sich nun die Frage auf, wie es in der barocken Lyrik um die endogenen Extrem- und Auflo¨sungsformen des psychischen Raums bestellt ist. Wollte man das Adjektiv ›endogen‹ hier in einem weiten Sinne verstanden wissen, so ko¨nnte man darauf verweisen, dass fu¨r diesen Raumtypus bereits in Abschnitt 3.5 Beispiele angefu¨hrt worden seien. Schon in jener fru¨heren Passage der vorliegenden Studie sind schließlich – unter anderem – auch solche metaphorischen Konstellationen analysiert worden, in denen Gott aus einer klar intrapsychischen PoSie lachen, wenn es kracht und blitzt, Sie fu¨rchten kein Gestu¨rme. Die Steine sind dem Jaspis gleich, Durchscheinend wie kristallen, Der Grund ist ko¨stlich, stark und reich, Kann ewig nicht zerfallen.

380 sition heraus zugleich die Ausdehnung und den Inhalt des Seelengebudes verndert. Im Folgenden allerdings soll das Adjektiv ›endogen‹ enger gefasst und von einer endogenen Extrem- bzw. Auflo¨sungsform des Seelenraums nur dort gesprochen werden, wo der Seele a priori angeho¨rende Gro¨ßen bzw. Krfte ohne weiteren extrapsychischen Anlass die Umgestaltung des psychischen Raums vornehmen. Vor dem Hintergrund einer solchen Definition lassen sich schwerwiegende Vorbehalte dagegen formulieren, die von Gott bewohnten und zugleich inhaltlich und formal umgestalteten Seelengebude als endogene Extrem- oder Auflo¨sungsformen des Seelenraums zu etikettieren. Zwar nimmt Gott in den Beispielen des Abschnitts 3.5 die einschneidendsten Vernderungen des dreidimensionalen Seelengebildes von einer intrapsychischen Position aus vor, doch gilt es zu bedenken, dass er diesen Aufenthaltsort nicht von Anfang an innehat, dass er nicht als genuiner Wesensbestandteil der Seele gelten kann: Zunchst bildet er den extrapsychischen Anlass fu¨r jene Vernderungen des Seelenraums, die sich unter der Regie des Ich zur Vorbereitung seines Einzugs vollziehen. Exakter wre es somit, die von Gott bezogenen Seelengebude als exogen-endogen umgestaltete Gebilde zu bezeichnen. Psychische Rume, die der engeren Definition endogener Extrem- und Auflo¨sungsformen des Seelenraums entsprechen, sind in den bisherigen Ausfu¨hrungen noch nicht erwhnt und die Bildlichkeit barocker Gedichte noch nicht gezielt auf ihr Vorkommen befragt worden. Unternimmt man Letzteres, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass – zumindest im dieser Untersuchung zugrunde gelegten Textkorpus – rein endogene Metamorphosen des Seelenraums praktisch nicht entworfen werden. Wo intrapsychische Faktoren bei radikalen inhaltlichen wie auch zugleich formalen Vernderungen von Seelenrumen eine wichtige Rolle spielen, ist die Wandlung in vielen Fllen zugleich durch Krfte mitbeeinflusst, die gnzlich außerhalb des Leib-SeeleKompositums liegen. In den anderen Fllen verbleiben die wandlungsauslo¨senden Faktoren zwar innerhalb des Gesamtmenschen, jedoch nicht ausschließlich innerhalb seiner Seele. So ko¨nnen etwa die halb extra-, halb intrapsychischen Affekte an den Umgestaltungen beteiligt sein oder die Wandlungsprozesse werden von einem Mantel-Ich moderiert, das die leibseelische Totalitt reprsentiert. Im Folgenden soll die prinzipielle Heteronomie der radikalen Seelenvernderung an einem Textbeispiel illustriert werden, in dem sie nicht auf den ersten Blick, sondern erst bei genauerer Betrachtung erkennbar ist. Ein solches Exempel findet man – ein weiteres Mal – in Schefflers Heiliger Seelen=Lust, wo es in der sechsten Strophe des

381 143. Liedes (Die Psyche muntert sich mit dem Fru¨hling zu einem neuen Leben auff) heißt: Drumb kreuch auch / meine Seel / Herfu¨r auß deiner Ho¨l; Laß deines Hertzens Erden Zu einem Fru¨hling werden: Zertritt Gefro¨st und Eiß / Und werd ein gru¨ner Reiß; Sey eine neue Welt Und Tugend=volles Feld.882

In diesen Versen wird eine Metamorphose der Seele entworfen, in welcher die Letztere dem Leser nacheinander in den verschiedensten metaphorischen Gestalten – im ersten und zweiten Vers als Tier, in Vers VI,5 als bewusst handelnder Mensch, in Vers VI,6 als Pflanze und in den Versen VI,7–8 als »eine neue Welt« bzw. ein »Tugend=volles Feld« – vor Augen tritt. Bei oberflchlicher Betrachtung scheinen nur die letzten beiden Metaphern die Behandlung dieser Strophe in der vorliegenden Studie zur Seelenraummetaphorik zu rechtfertigen. Bei genauerem Hinsehen allerdings zeigt sich, dass die Seelenbildlichkeit dieser Strophe insgesamt stark raumorientiert, dass die Seele hier durchgngig vor allem u¨ber ihre rumliche Situation definiert ist. Nicht nur ist gleich zu Beginn dieses Textausschnitts von einer (vertikalen) Bewegung der Seele durch den Raum die Rede, sondern es geho¨rt zu ihr offenbar zugleich auch ein erdreicher Herzensraum (VI,3). Solange die Seele als Lebewesen angesprochen wird, kann sie als Bewohnerin dieses – gleichfalls psychischen – Areals gedacht werden, whrend sie nach ihrer Verwandlung in ein Feld bzw. eine Welt den Herzensraum in sich aufnehmen du¨rfte. Dass die in dieser Strophe entworfene Seelenmetamorphose radikal ist, lsst sich leicht erweisen. Schließlich beinhaltet sie nicht nur Vernderungen der ußeren Seelenumrisse sowie der psychischen Fu¨llung – als Pflanze, Tier oder Mensch enthlt die Seele in ihrem Innern notwendig anderes als in Gestalt eines Feldes bzw. der Welt –, sondern schon in Vers VI,1 auch eine Positionsvernderung der Seele innerhalb des Raums. Die wechselnden metaphorischen Erscheinungsformen des Psychischen im oben zitierten Textausschnitt weisen somit (zumindest aus der bisher eingenommenen Perspektive) keine Kontinuitt verbu¨rgende Gemeinsamkeit auf. Eine Seele, die nacheinander als Tier, Mensch, Pflanze und Raum verbildlicht wird, erinnert an den Meeresgott Proteus, welcher dem

882

Scheffler, 1668/2004, S. 480 (IV,143 – »Die Psyche muntert sich mit dem Fru¨hling zu einem neuen Leben auff« (»DEr Fru¨hling kom[m]t heran«)).

382 Barock etwa durch Ovids Metamorphosen (entstanden ca. 1–10 n. Chr.) vertraut ist:883 Wie diese mythische Figur lsst sich das Seelische hier in keiner festen Gestalt fassen. In einigen barocken Gedichten wird Proteus explizit mit dem Psychischen gleichgesetzt, so etwa im einleitenden Gedicht der Pia desideria (1624) Hermann Hugos.884 Dort fungiert der Gott als Sinnbild des hinter wechselnden Rollen und (ko¨rperlichen) Larven verborgenen Gemu¨ts,885 d. h. er verweist auf die von der Seele gegenu¨ber anderen Menschen betriebene (dis-)simulatio.886 Die von Scheffler entworfene Seelenmetamorphose erscheint dagegen nicht als bewusst-strategisches Tuschungsmano¨ver: In dieser Hinsicht besteht zwischen ihr und den proteischen Verwandlungen keinerlei Verwandtschaft. Auf den ersten Blick zeichnet sich hier jedoch eine andere Parallele zwischen Proteus und der Seele ab: Wie der Meeresgott so scheint auch die Letztere dazu in der Lage zu sein, ihre Verwandlung in Eigenregie, also vollstndig autonom, zu vollziehen. Die Betrachtung der bisher noch nicht analysierten Sprechsituation des Gedichts wird allerdings zeigen, dass dies keineswegs der Fall ist. Die Seelenverwandlung wird in den Versen des Schlesiers nicht einfach prognostiziert. Vielmehr wird sie der Seele von einem Ich geboten, das sich in der oben zitierten Strophe durch das Possessivpronomen ›meine‹ explizit ins Spiel bringt. Alle Verben nicht nur der sechsten Strophe, sondern auch der Strophen 7–8 werden in imperativischer Form verwendet und auch in den beiden letzten Versen der 9. Strophe sind noch einmal zwei an die Seele gerichtete Imperative nachweisbar. Auch bei psychischen Vernderungen, die von einem Ich veranlasst werden, kann es sich grundstzlich um endogene Umstrukturierungen der Seele handeln. Schließlich kann das die Seelenwandlung befehlende Ich ja ein der Psyche zugeho¨riges und in ihr zu lokalisierendes Teil-Ich darstellen. Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich das Ich in der Seele befindet. Schließlich wird die Seele zu Beginn der in Strophe 6 geschilderten Metamorphosen nicht als Raum, sondern als ein vom Ich angeredetes Lebewesen verbildlicht. Daher wird man sich die Ich-Instanz im vorliegenden Fall als ein die Seele in sich enthaltendes Mantel-Ich vorzustellen haben. Verordnet ein solches Subjekt, dessen Ausdehnung u¨ber die des Seelengebildes hinausgeht, der Seele eine Reihe von Metamorphosen, dann ko¨nnen diese 883 884

885 886

Vgl. etwa Ovid, 2003, S. 438–441 (II,731–738). Vgl. Hugo/Scherffer, 1662/1995, S. 2–4 (»VOn was Verlangen ach! mein Hertz gantz heimlich brennet«). Fu¨r Gott bleibt ein solches Gemu¨t weiterhin durchschaubar, vgl. ebd. S. 4. Ingo Sto¨ckmann sieht im Gegensatz zwischen (dis-)simulierendem ußeren und undurchschaubarem Innern das barocke Pendant zur aufklrerischen Spaltung in Leib und Seele, vgl. Sto¨ckmann, 2002, S. 12–13.

383 nicht als rein endogene, sondern nur als endogen-exogene Prozesse bezeichnet werden. Wenn man die hier zitierte Strophe im Kontext des gesamten Liedes betrachtet, wird noch deutlicher, dass darin keine endogene Seelenverwandlung entworfen wird. Aus dieser Perspektive nmlich zeigt sich, dass die Seele im Falle eines Vollzugs der ihr befohlenen Metamorphose nicht nur der Regie des Mantel-Ich folgt, sondern zugleich unter dem Einfluss gnzlich extrapsychischer Krfte steht. So wird beim Blick auf den ersten Teil des Liedes erkennbar, dass die vom Ich gewu¨nschten Seelenvernderungen sich in hohem Maße an der außermenschlichen Realitt orientieren. Sie finden ihr Vorbild in Prozessen, die sich in den ersten fu¨nf Strophen des Liedes im Naturraum abspielen. In dieser ersten Gedichthlfte wird eine außerhalb der Seele liegende Landschaft mit all ihren Bewohnern gleich auf zweierlei Weise in die Dynamik eines Herrschaftswechsels einbezogen, der sich zwischen dem allegorischen »hulde[n] Blumen=Mann« (Vers I,2), d. h. dem Fru¨hling, und dem anstelle des Winters genannten Nordwind (»Der Blu¨te Feind / der Nord«, Vers I,5)887 vollzieht. Zum einen bereitet sich mit der Ankunft des Fru¨hlings eine Vernderung der sthetischen Qualitten der Landschaft vor – »Es geht schon Feld und Anger | Mit seiner Scho¨nheit schwanger« (Verse I,3–4).888 Zum anderen wird die Natur von einem Bewegungsdrang erfasst, der sich nicht nur auf ihre Tierwelt (Wild, Vieh, Vo¨gel und Fische)889 erstreckt, sondern sich bis in die normalerweise weitgehend immobile, in der Erde verwurzelte Pflanzenwelt und damit bis in den festen, eigentlich als starre Koordinate des Naturraums dienenden Boden fortsetzt (Verse IV,3–4): Es tantzen alle Wlder / Es hu¨pffen alle Felder […].890

Vom Wandel der (Jahres-)Zeit beeinflusst werden neben der Erde (Vers V,3), aus welcher der Wald- und der Feldboden gemacht sind, auch die Elemente ›Wasser‹ (Vers V,4) und ›Luft‹ (Vers V,5).891 Alles Geschaffene erfhrt eine jahreszeitliche Vernderung (Verse V,1–2): Die gantze Creatur Wird anderer Natur […].892 887

888 889 890 891 892

Scheffler, 1668/2004, S. 478 (IV,143 – »Die Psyche muntert sich mit dem Fru¨hling zu einem neuen Leben auf« (»DEr Fru¨hling kom[m]t heran«)). Ebd. Vgl. ebd. S. 479–480. Ebd. S. 479. Vgl. ebd. S. 480. Ebd.

384 Mit ›Natur‹ ist hier nicht die Scho¨pfung, die natura naturata, sondern die allen Kreaturen innewohnende Essenz (etwa im Sinne der aristotelischen physis als dem »›innere[n]‹ Wesen der Sache«)893 gemeint. Die Ankunft des Fru¨hlings greift nicht akzidentell in die Landschaft ein, sondern verndert substantiell »die Beschaffenheit […] der erschaffenen Dinge«.894 Die imperativischen Anweisungen des Ich ko¨nnen vor allem als verbale Vermittlungen zwischen der ußeren Fru¨hlingsatmosphre und dem Seeleninneren gelesen werden. Selbst wenn sie fehlten, gbe wohl irgendwann die unaufhaltsame Ausweitung der saisonalen Vernderungen auch der Seele genu¨gend »Anlaß, sich dem allgemeinen Aufblu¨hen anzuschließen«.895 In diesem Fall wren die extremen Vernderungen des Seelenraums dann ausschließlich auf Extrapsychisches zuru¨ckzufu¨hren. Eine zweite außermenschliche Gro¨ße, die im Verbund mit dem Ich auf die Metamorphose der Seele hinarbeitet, lsst sich sptestens am Ende des Gedichts fassen. Nachdem in der siebten und achten Strophe die Seele zu einem weiteren Gestaltwechsel aufgefordert wird – sie soll sich in einen Vogel verwandeln, der sich, seinen Scho¨pfer preisend, in den Himmel erhebt896 –, fhrt das Ich in Strophe 9 fort: Es fhret schon herein Sein gndger Sonnenschein; Er lst schon seine Strahlen Dein gantzes Hertz bemahlen: Sein Geist / der su¨sse Wind / Weht schon dich an sein Kind: Drumb blu¨h in seiner Lieb / Und folge seinem Trieb.897

Sptestens an diesem Textausschnitt, in welchem die Possessivpronomina der dritten Person noch immer auf den »Scho¨pffer« aus Vers VIII,7 bezogen sind, wird deutlich, dass auf der Ebene des sensus spiritualis der weltlich-natu¨rliche Fru¨hling des Liedes einen geistlichen Fru¨hling bezeichnet. Die irdische, regelmßig wiederkehrende Jahres893

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897

Kaulbach, Friedrich: Natur – V. Neuzeit (Art.). In: Ritter, Bd. 6, 1984, Sp. 468–478, hier Sp. 468. Anon.: Natur (Art.). In: Zedler, Bd. 23, 1740/1995, Sp. 1035–1038, hier Sp. 1036. Zum Zusammenhang der Begriffe substantia, essentia und natura und ihrer wichtigen Rolle in der fru¨hneuzeitlichen Erbsu¨ndendiskussion vgl. auch Schubert, ¨ berblick u¨ber die verschiedenen Aus2002, S. 32–58; vgl. außerdem Leinkaufs U formungen des fru¨hneuzeitlichen Naturbegriffs und seine antiken und mittelalterlichen Wurzeln (Leinkauf, 2005, S. 1–19, dort auch weitere Literatur). Marx, 1998, S. 201. Vgl. Scheffler, 1668/2004, S. 481 (IV,143 – »Die Psyche muntert sich mit dem Fru¨hling zu einem neuen Leben auf« (»DEr Fru¨hling kom[m]t heran«)). Ebd.

385 zeit, die sich als eine Neuscho¨pfung der Natur wahrnehmen lsst (»Die Erde wird verneuet«,898 Vers V,1), symbolisiert die geistliche Neuscho¨pfung und Wiedergeburt des Menschen,899 in der seine im Su¨ndenfrost erstarrte Seele zu einer »neue[n] Welt« bzw. zu einer neu erblu¨henden Landschaft werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Strophe kann der in Vers I,2 erwhnte »hulde Blumen=Mann« des Fru¨hlings ohne Schwierigkeiten mit dem in Menschengestalt auf Erden erscheinenden Erlo¨ser identifiziert werden. Verbindungen zwischen Jesus und dem Fru¨hling, die beide mit ihrem Wirken die Welt zum Positiven verndern, werden in der barocken Metaphorik schließlich auch andernorts hergestellt, so etwa in Greiffenbergs DEs Allerheiligsten Lebens JESU Christi Ubrigen Sechs Betrachtungen (1693). In diesem Text apostrophiert die Autorin den Heiland nicht nur als »ewige[n] Fru¨hlings=Bringer«,900 sondern fu¨gt zudem zahlreiche Fru¨hlingsgedichte in die Beschreibung von Jesu Einzug in Jerusalem (vgl. Mt 21,1–11; Mk 11,1–11; Lk 19,28–38; Joh 12,12–16) ein.901 In besonderer Weise mit dem Fru¨hjahr assoziiert wird in der christlichen Tradition daru¨ber hinaus auch das erlo¨sende Ostergeschehen, auf das Scheffler hier ebenfalls anspielen mag. Dass das Letztere sich im Fru¨hling ereignet, lsst diese Saison unter Schefflers Zeitgenossen zu einer ganz besonderen werden. So wird etwa im vierten Teil der Frauenzimmer Gesprchspiele (1644) in einem Streitgesprch das Osterfest als Grund dafu¨r angefu¨hrt, dem Fru¨hjahr und nicht dem fruchtbringenden Herbst den Vorrang unter den Jahreszeiten einzurumen.902 Wichtige Voraussetzungen fu¨r einen ku¨nftigen geistlichen Seelenfru¨hling schaffen neben dem Gottessohn auch Gottvater (vgl. Vers IX,6) und der Heilige Geist (vgl. Vers IX,5). Aus einer extrapsychischen Position lassen sie »gndge[n] Sonnenschein« (Vers IX,2) 898 899

900 901 902

Ebd. S. 480. Eine Parallelisierung zwischen der Neugestaltung der Natur und der Wiedergeburt des Menschen findet sich schon bei Paulus in Ro¨m 8,19–22, vgl. dazu auch Popkes, Wiard: Wiedergeburt – II. Neues Testament (Art.). In: TRE, Bd. 36, 2004, S. 9–14, hier S. 11. Paulus geht es in diesem Zusammenhang allerdings nicht um eine bloß saisonale Neugestaltung des Geschaffenen, sondern er thematisiert »die am Ende der Zeiten erneuerte Erde«, das »irdische Paradies« (Oechslin, 1994, S. 43). Greiffenberg, Bd. 8, 1693/1983, S. 657 (11. Betrachtung). Vgl. ebd. S. 658–741. Vgl. Harsdo¨rffer, Teil 4, 1644/1968, S. 376 (alte Paginierung) bzw. S. 420 (neu). Schon Ambrosius stellt eine Verbindung von Fru¨hling und Christentum her, indem er die Ablo¨sung des Winters durch das Fru¨hjahr mit der Ankunft Christi parallelisiert, vgl. dazu Rdle, 1995, S. 55–56. Zur christlichen Symbolik des Fru¨hlings und des Ostertermins vgl. auch Knoch, 1995, S. 87–88.

386 und »su¨sse[n] Wind« (Vers IX,5) in den Seelen- und Herzensraum dringen. Erst dadurch, dass sie die winterliche Klte vertreiben und damit das intrapsychische Klima verndern, ermo¨glichen sie das Aufblu¨hen, das der Seele in Vers IX,7 aufgetragen wird – die Seele muss dabei nur noch dem go¨ttlichen »Trieb« (Vers IX,8) folgen. Auch die in Strophe 6 entworfenen Seelenmetamorphosen ließen sich ohne den intrapsychischen Klimawandel, der von Gottvater und dem Heilige Geist herbeigefu¨hrt wird, sicherlich ebenso wenig realisieren wie ohne die Ankunft des ›Blumenmanns‹ Christus. Dass die psychischen Wandlungen im Falle ihres tatschlichen Zustandekommens nicht autonom ablaufen, sondern durch ein MantelIch und den trinitarischen Gott gesteuert werden, erweist sich fu¨r die Seele keineswegs als nachteilig. So lsst es die Beteiligung Gottes an der radikalen Seelenumgestaltung zu, die Verwandlung der Seele in eine »neue Welt« nicht bloß als einen Einheitsverlust, sondern – wieder einmal – zugleich als einen Einheitsgewinn zu begreifen. Zwar stellt die Umgestaltung der anfnglich als tierisches oder pflanzliches Lebewesen verbildlichten Seele in eine »Welt« eine extreme diachrone Pluralisierung dar und zudem wird man auf den ersten Blick gerade die neue Gestalt der Seele als den Inbegriff des synchron Mannigfaltigen einstufen. Allerdings ist dort, wo Gott an den Umstrukturierungen beteiligt ist, davon auszugehen, dass es sich bei der »neue[n] Welt« um einen erneuerten Mikro-Kosmos903 bzw. um eine neue Erde im Sinne von Offb 21,2 handelt. Daher ist bei genauer Betrachtung fu¨r den psychischen Endzustand zugleich mit einer deutlichen Zunahme an innerseelischer Ordnung und damit auch an innerseelischem Zusammenhalt zu rechnen. Dem Mantel-Ich kann schon durch seine bloße Prsenz eine Stabilisierungsfunktion whrend der in Strophe 6 entworfenen Umgestaltungen zugesprochen werden. Da es keine rein extrapsychische Gro¨ße darstellt, sondern die Seele mitumfasst, stellt es in allen Metamorphosen zugleich ein letztes Bindeglied, eine Restkontinuitt dar. Am hier analysierten Lied Schefflers konnte paradigmatisch illustriert werden, dass und wie auf den ersten Blick autonom ablaufende Seelenmetamorphosen von extrapsychischen bzw. extrapsychisch-intrapsychischen Faktoren mitbeeinflusst sind. Gerade der Umstand, dass hier gleich ein ganzes Geflecht solcher Faktoren aufgezeigt werden 903

In den Versen Schefflers bezieht sich die Weltmetapher dabei bemerkenswerterweise nur auf die Seele, den homo interior, nicht auf den Gesamtmenschen. Zur problematischen Rolle des homo interior in der mittelalterlich-fru¨hneuzeitlichen Parallelisierung von Mikro- und Makrokosmos vgl. etwa Harms, 1999, S. 556–557.

387 konnte, verweist eindrucksvoll auf ein bisher noch nicht isoliert behandeltes, universelles Merkmal des Psychischen: seine grundstzliche Unabgeschlossenheit. Durch die enge Verknu¨pfung des proteischen Seelengebildes mit einem leibseelischen Mantel-Ich, mit dem trinitarischen Gott und der es umgebenden ußeren Natur lassen Schefflers Verse besonders gut erkennen, dass die Seele in der Metaphorik weder vom Ganzen des Menschen noch vom Ganzen des Kosmos hermetisch abgegrenzt ist. Die Offenheit der Seele gegenu¨ber Gott und der Welt (wobei hier unter die Letztere auch der Teufel, der Leib sowie die extrapsychischen Anteile der Su¨nden und Affekte subsumiert werden sollen) ist fu¨r alle Seelenzustnde konstitutiv, die in den vorangehenden Abschnitten untersucht wurden. Sie stellt in allen Fllen den entscheidenden Grund dafu¨r dar, dass die Seele als Viel-Einheit wahrzunehmen ist. Wenn Gervais in einem bereits in Abschnitt 3.7 angefu¨hrten Zitat904 fu¨r den ganzen Menschen ausfu¨hrt, dass er durch seine Zwischenstellung zwischen Gott und Welt zugleich zwischen Einheit und Vielheit positioniert sei, so gilt dies in der barocken Lyrik auch fu¨r die Seele. Ihre Vielheit liegt vor allem in ihrer Unabgeschlossenheit gegenu¨ber der innerweltlichen Mannigfaltigkeit begru¨ndet. Alles intrapsychisch Unterscheidbare (etwa Seelenvermo¨gen, gespeicherte Sinneseindru¨cke/Erinnerungen, Spuren moralischen oder amoralischen Handelns, Empfindungen etc.) weist enge Bezu¨ge zur Welt und zum Leib auf. Dass der Seele trotz der Vielfalt ihrer inneren Komponenten noch eine gewisse Einheit eignet und dass in vielen Fllen eine Steigerung der psychischen Kohrenz mo¨glich ist, verdankt sich wesentlich ihrer gleichzeitigen Offenheit gegenu¨ber Gott und seinem ordo. Zur psychischen Vereinheitlichung trgt vielfach das Streben der Seele nach der gro¨ßtmo¨glichen Abgrenzung gegenu¨ber der chaotischen Vielfalt des Nicht-Go¨ttlichen bei – ein Bemu¨hen, das seinerseits wiederum dem Gottesbezug der Seele entspringt: Die vollstndige Abkehr vom vielfltigen Leiblich-Weltlichen wird, wie in den vorangehenden Abschnitten mehrfach gezeigt werden konnte, nur dort mo¨glich, wo die Seele sich in die denkbar engste Verbindung, ja in die Vereinigung mit Gott begibt.905 Wenn sich in der Seelenraum-Bildlichkeit barocker Gedichte die Vielheit wie auch die Einheit des Psychischen immer aus seinen Bezu¨gen zu Nichtseelischußerem, zu den beiden Polen ›Gott‹ und ›Welt‹ ergeben, so darf eine 904 905

Gervais, 1984, Sp. 838. Die vorangehenden Analysen mystischer Vereinigungen von Gott und Seele haben dabei gezeigt, dass die Gleichsetzung Gottes mit einem einheitsfo¨rdernden Faktor, wie Gervais sie vornimmt, eine gewisse Vereinfachung darstellt, da auch Gott pluralisierend auf die Seele wirken kann.

388 Aussage u¨ber das Psychische ›an sich‹ den Metaphern nicht abverlangt werden. Eine Antwort auf die Frage, ob das Seelische fu¨r sich allein betrachtet – d. h. als eine aus all seinen Verbindungen zu Gott, Teufel, Welt, Leib, Su¨nden und Affekten herausgelo¨ste Gro¨ße – als Vielheit oder als Einheit einzustufen sei, sucht man in der hier analysierten Bildlichkeit vergebens.

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Viel-Einheitsstrukturen in der Seelenraummetaphorik des Barock – Zusammenfassung und abschließende Reflexionen zum anthropologischen Gehalt der Seelenbildlichkeit

Anthropologische Reflexionen finden, so lautete die Ausgangsu¨berlegung der vorliegenden Untersuchung, nicht nur in wissenschaftlichen Kontexten statt. Auch in Bildern denkt der Mensch u¨ber sich nach, besonders dann, wenn er in seinen Gedankengngen auf Fragen sto¨ßt, die sich logisch-begrifflich nicht beantworten lassen. Eine der Fragen, auf die in den christlich-abendlndischen Entwu¨rfen vom Menschen keine begrifflichen Antworten mo¨glich sind, ist jene nach der Einheit oder der Pluralitt des Seelischen. Whrend die abendlndische Metaphysik u¨ber Jahrtausende die absolute Einheit und Unteilbarkeit der Seele fordert, lassen die Introspektion und das Nachdenken u¨ber die (seelisch) bedingten Lebensußerungen des Menschen das Psychische immer wieder als Mannigfaltigkeit erscheinen. Problematisch ist dies vor allem insofern, als in der Begrifflichkeit von ein und derselben Sache nicht gleichzeitig gegenstzliche Aussagen gemacht werden ko¨nnen. Im Eingangskapitel wurde in Anlehnung an die metaphorologischen Reflexionen Blumenbergs die Hypothese entwickelt, dass dieses Problem in der (absoluten) Seelenmetaphorik seine Lo¨sung findet. Da die Unbegrifflichkeit des Bildes nicht an die Einhaltung der Gesetze ¨ berlegung, im sprachlichen der Logik gebunden ist, ko¨nnten, so die U Seelenbild die beiden polar entgegengesetzten Seelenwahrnehmungen des Abendlands ohne Schwierigkeiten miteinander verso¨hnt und das Psychische zu einer anschaulichen Viel-Einheit verschmolzen werden. Exemplarisch wurden im Hauptteil der vorliegenden Studie solche sprachlichen Seelenbilder des Barock auf ihre Vielheit bzw. Einheit hin befragt, in denen die Rumlichkeit des Psychischen eine entscheidende Rolle spielt (›Seelenraummetaphern‹). Es ließ sich zeigen, dass zumindest in dieser Metapherngruppe die Seele in der Regel tatschlich als Viel-Einheit entworfen wird. Diese wird allerdings von Sprachbild zu Sprachbild auf ganz unterschiedliche Weise realisiert. Manchmal kann sie schon in der rein geometrisch-formalen Gestaltung der Seelenraum-

390 Bildlichkeit nachgewiesen werden (vgl. besonders Abschnitt 3.3). In anderen Fllen verdankt sich der Eindruck einer seelischen Viel-Einheit wesentlich der inhaltlichen Gestaltung des psychischen Raums (vgl. die Abschnitte 3.4 und 3.5). Zum Teil kann der Seele gleichzeitig eine vielheitliche wie auch eine einheitliche Beschaffenheit attestiert werden, zum Teil entfaltet sich die Viel-Einheitlichkeit in einem zeitlichen Nacheinander und wird erst in diachroner Betrachtung sichtbar. Die in den Abschnitten 3.6 bis 3.8 untersuchten Extrem- und Auflo¨sungsformen seelischer Rume, die sowohl in Bezug auf ihre ußere Form wie auch hinsichtlich ihrer Inhalte einschneidende Vernderungen erfahren, erscheinen auf den ersten Blick hufig vollstndig pluralisiert. Bei genauerem Hinsehen lsst sich allerdings bei allen betrachteten Beispielen dieses Seelenraumtyps auch eine gewisse psychische Einheit nachweisen. Selbst bei jenen Rumen, die von den Su¨nden zur Gnze pluralisiert werden (vgl. Abschnitt 3.7), ist zumindest ein viel-einheitlicher Ausgangszustand des Seelischen vorauszusetzen, der systematisch verkehrt wird – und gegebenenfalls durch eine ho¨here Macht (Gott) auch wieder hergestellt werden kann. Auch die Extrem- und Auflo¨sungsformen des Seelenraums verbreitern somit das Spektrum der Realisationen psychischer Viel-Einheit. Vielfltig realisiert erscheint die seelische Viel-Einheit weiterhin auch dadurch, dass viel-einheitliche Seelenrume in ihrem ›Einheits-‹ bzw. ›Vielheitsgrad‹ stark divergieren ko¨nnen. Beeinflusst wird der Kohrenzgrad des Seelenraums unter anderem durch seine Stellung zwischen den Polen der Statik und der Dynamik sowie – zumindest, sofern es sich bei ihm um ein heterogen gefu¨lltes Gebilde handelt – zwischen den Polen der Ordnung und der Unordnung. Die Ordnung des Seelenraums, d. h. die Anordnung der in ihm enthaltenen Gegenstnde nach bestimmten Regeln, ist insbesondere dort garantiert, wo der Seelenraum auf Gott ausgerichtet ist. Intrapsychische Unordnung bildet sich dagegen vor allem dann aus, wenn es zur oben erwhnten Verkehrung des Seelenraums durch die Su¨nde kommt. Allein aus dem Nachweis psychischer Viel-Einheit in der Seelenraummetaphorik barocker Gedichte darf keineswegs schon gefolgert werden, dass die untersuchten Sprachbilder tatschlich als unbegriffliche Antworten auf das begrifflich-logische Problem gleichzeitiger psychischer Vielheit und psychischer Einheit zu verstehen sind. Die Annahme eines Frage-Antwort- bzw. Problem-Lo¨sungs-Zusammenhangs zwischen der viel-einheitlichen Seelenmetaphorik und dem oben skizzierten Vielheits-Einheits-Dilemma erscheint allerdings dadurch gerechtfertigt, dass beide letztlich aus denselben Wurzeln hervorgehen. Erweist sich die Seele in den analysierten Gedichten sowohl als Einheit

391 wie auch als Pluralitt, dann hngt dies wesentlich mit ihrer Offenheit gegenu¨ber den beiden Polen ›Gott‹ und ›Welt‹ zusammen (vgl. dazu besonders Abschnitt 3.8). Auf eben diese Verbindung der Seele mit Gott und mit der Welt lsst sich letztlich auch die am Beginn der Studie umrissene Bipolaritt des Seelenbegriffs zuru¨ckfu¨hren. Dass der Mensch in der Introspektion in sich eine Mannigfaltigkeit des Psychischen wahrnimmt und in philosophischen Reflexionen u¨ber den Gesamtorganismus von einer seelischen Pluralitt ausgeht, hat seinen Grund letztlich in der Weltzugewandtheit der Seele. Nur deshalb, weil man sie als verko¨rpert-weltbezogene Gro¨ße zu betrachten hat, die den verschiedensten ußeren Anforderungen gerecht werden muss, wird man der Seele in anthropologischen Ausfu¨hrungen eine Vielzahl von Teilen oder Vermo¨gen zuschreiben. Nur dadurch, dass aus der unu¨berschaubaren Masse irdischer Gegenstnde eine ebenso unu¨berschaubare Menge welthaltiger Gedanken, Empfindungen etc. erwchst, nimmt der Mensch seinen psychischen Anteil introspektiv als ungeeinte Vielheit wahr. Die von der Metaphysik betonte absolute Einheit der Seele hngt dagegen wesentlich mit dem Dogma ihres go¨ttlichen Ursprungs und ihrer daraus resultierenden Gottesebenbildlichkeit zusammen. ¨ berlegungen es legitim erscheiAuch wenn die zuletzt angefu¨hrten U nen lassen, die viel-einheitliche Seelenmetaphorik tatschlich als unbegriffliche Antwort auf die begrifflich unbeantwortbare Vielheits-Einheits-Frage der abendlndischen Seelenlehre wahrzunehmen, ist hier ein einschrnkend-ergnzender Hinweis unverzichtbar: An den Betrachtungen der vorangehenden Abschnitte hat sich gezeigt, dass nicht in allen untersuchten Seelenraummetaphern Einheit und Vielheit tatschlich auf anschauliche Weise miteinander in Einklang gebracht werden. Zumindest bei der Beschreibung der unio mystica wird die seelische Viel-Einheit immer wieder in Form von Sprengmetaphern realisiert, in denen es nicht zu einer Verso¨hnung, sondern zu einer Intensivierung des Vielheits-Einheits-Gegensatzes kommt (vgl. dazu schon Abschnitt 3.3). In solchen Fllen kann der Seelenbildlichkeit keineswegs die Leistung zugesprochen werden, das logisch unlo¨sbare ›Vielheits-Einheits-Problem‹ auf unbegrifflich-anschauliche Weise zu lo¨sen. Stattdessen zeigt sich an der Sprengmetaphorik, dass die unseren Verstand u¨bersteigende unio mystica in ihren anthropologischen Konsequenzen selbst von der Bildlichkeit nicht mehr eingeholt werden kann. In der vorliegenden Untersuchung ist die in der Seelenraummetaphorik enthaltene Anthropologie – oder vielmehr ein ganz bestimmter Aspekt derselben – nur fu¨r das Barock und damit fu¨r eine Epoche entwickelt worden, deren Seelenkonzepte noch nicht von der aufklre-

392 rischen und nachaufklrerischen »Profanierung der Seele«1 betroffen sind. Wollte man, aufbauend auf den Ergebnissen der vorangehenden Analysen, untersuchen, wie sich die Vielheits- bzw. Einheitsgestaltung innerhalb der Seelenmetaphorik spterer Epochen verndert, so wre vor allem eine Frage zu klren: Wenn bis zum Barock die Einheit des Seelischen durch seine Beziehung zu Gott garantiert ist, der gewissermaßen den Gegenpol zur Mannigfaltigkeit des Weltlichen bildet, wer (oder was) garantiert diese Einheit dann dort, wo mit der Seelen-›Profanierung‹ auch eine Skularisierung des Weltbilds einhergeht? Es wre zu hoffen, dass ku¨nftige Studien zur Seelenbildlichkeit und insbesondere zur bisher wissenschaftlich kaum beachteten Seelenraummetaphorik sich um die Beantwortung dieser Frage bemu¨hen.

1

Ju¨ttemann/Sonntag/Wulf, 1991, S. 1.

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Bibliographie

5.1

Quellen

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396 Fernel, Jean: VNIVERSA MEDICINA: […] EDITIO POSTREMA. […] Apud Iacobum Crispinum. M. DC. XXXVIII. Ficino, Marsilio: THEOLOGIA PLATONICA DE IMMORTALITATE ANIMORVM DVO DE VIGINTI LIBRIS […]. PARISIIS, Apud Aegidium Gorbinum, sub insigni Spei, prope` Collegium Cameracense. 1559. [Stadtbibliothek Mainz III a 49] Fleming, Paul: Teu¨tsche Poemata. Hildesheim 1969 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Lu¨beck [1646]). Francisci, Erasmus: Der lustigen Schau=Bu¨hne vielerhand Curiositten Zweyter Theil […]. Nu¨rnberg / Jn Verlegung Wolffgang Moritz Endter / und Johann Andreæ Endters sel. Erben. Anno M DC LXXIX. Galtruchius, Petrus: PHILOSOPHIAE AC MATHEMATICAE TOTIVS INSTITVTIO, Cum Assertionibus disputatis, & vario genere Problematum. […] CADOMI, Apud ADAMVM CAVELIER. ET IOANNEM CAVELIER, Regis & Academiæ Typographu[m]. M. DC. LVI. [Stadtbibliothek Mainz III l 50a] Gerhard, Johann: Meditationes Sacrae (1606/7). Lateinisch – deutsch. Kritisch hg., kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Johann Anselm Steiger. Teilband 2. Stuttgart-Bad Cannstatt 2000 (Doctrina et pietas, Abt. 1: Johann Gerhard-Archiv 3). Gerhardt, Paul: Geistliche Andachten (1667). Samt den u¨brigen Liedern und den lateinischen Gedichten hg. von Friedhelm Kemp. Bern, Mu¨nchen 1975 (Deutsche Barock-Literatur). Goclenius, Rudolph: Conciliator Philosophicus. Hildesheim, New York 1977 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Kassel 1609). Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Trago¨die erster Teil. In: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz. Bd. III: Dramatische Dichtungen. Erster Band. Hamburg 91972, S. 9–145. Greiffenberg, Catharina Regina von: Smtliche Werke in zehn Bnden. Hg. von Martin Bircher und Friedhelm Kemp. Millwood 1983. – Bd. 1: Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte. Anhang: Nachwort – Materialien – Register (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1662). [= Greiffenberg, 1662/1983; Anhang: Greiffenberg, 1983] – Bd. 3: Der Allerheiligsten Menschwerdung, Geburt und Jugend JEsu Christi Zwo¨lf Andchtige Betrachtungen. Betrachtungen 1–6 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1678). – Bd. 4: Der Allerheiligsten Menschwerdung, Geburt und Jugend JEsu Christi Zwo¨lf Andchtige Betrachtungen. Betrachtungen 7–12 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1678). – Bd. 8: Des Allerheiligsten Lebens JESU Christi Ubrige Sechs Betrachtungen. Betrachtungen 10–12 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1693). – Bd. 9: Des Allerheiligst- und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, Zwo¨lf andchtige Betrachtungen. Betrachtungen 1–8 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1683). – Bd. 10: Des Allerheiligst- und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, Zwo¨lf andchtige Betrachtungen. Betrachtungen 9–12 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1683). Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch […]. In: Ders.: Werke. Bd. I,1. Hg. von Dieter Breuer. Frankfurt/Main 1989 (Bibliothek der Fru¨hen Neuzeit, 2. Abt.: Literatur im Zeitalter des Barock 4/1; Bibliothek deutscher Klassiker 44), S. 9–551. – Der seltzsame Springinsfeld […]. In: Ders.: Werke. Bd. I,2. Hg. von Dieter Breuer. Frankfurt/Main 1992 (Bibliothek der Fru¨hen Neuzeit, 2. Abt.: Literatur im Zeitalter des Barock 4/2; Bibliothek deutscher Klassiker 73), S. 153–295.

397 – Des Abenteuerlichen Simplicii Verkehrte Welt. In: Ders.: Werke. Bd. II. Hg. von Dieter Breuer. Frankfurt/Main 1997 (Bibliothek der Fru¨hen Neuzeit, 2. Abt.: Literatur im Zeitalter des Barock 5; Bibliothek deutscher Klassiker 144), S. 411–510. Gryphius, Andreas: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. von Marian Szyrocki und Hugh Powell. – Bd. 1: Sonette. Hg. von Marian Szyrocki. Tu¨bingen 1963 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 9). – Bd. 2: Oden und Epigramme. Hg. von Marian Szyrocki. Tu¨bingen 1964 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 10). – Bd. 3: Vermischte Gedichte. Hg. von Marian Szyrocki. Tu¨bingen 1963 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 11). – Erg.-Bd. II: Himmel Steigente HertzensSeu¨fftzer. Ubersehen und mit newe[n] Reimen gezieret (1665). Hg. von Karl-Heinz Habersetzer und Marian Szyrocki. Tu¨bingen 1987. – Teilbd. II/1 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 33). – Teilbd. II/2: Ernewerte Hertzen=Seufftzer (1663). Tu¨bingen 1987 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 34). Gryphius, Christian: Poetische Wlder. Faksimiledruck der Ausgabe von 1707. Hg. und eingeleitet von James N. Hardin und Dietrich Eggers. Bern [u. a.] 1985 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts 24; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Frankfurt/Main, Leipzig 1707). Gu¨nther, Johann Christian: Smtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Hg. von Wilhelm Krmer. – Bd. 1: Liebesgedichte und Studentenlieder in zeitlicher Folge. Leipzig 1930 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 275). – Bd. 2: Klagelieder und geistliche Gedichte in zeitlicher Folge. Leipzig 1931 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 277). Hall, Joseph: Der grosse Betru¨ger Des Menschen Herze […]. Aus Englischer Sprache ins Teutsche u¨bersezzt. Braunschweig / Verlegt durch Christoph Friedrich Zilliger und Caspar Gruber / 1674. [HAB Wolfenbu¨ttel QuN 867 (2)] Harsdo¨rffer, Georg Philipp: Frauenzimmer Gesprchspiele. Hg. von Irmgard Bo¨ttcher. Tu¨bingen 1968. – Teil 3 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 15; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1643). – Teil 4 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 16; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1644). – Teil 8 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 20; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1649). – Hertzbewegliche Sonntagsandachten. Erster Teil (1649). Das ist / Bild- Liederund Bet-Bu¨chlein / aus den Spru¨chen der H. Schrifft / nach den Evangeli- und Festtexten verfasset. In: Ders.: Hertzbewegliche Sonntagsandachten (1649 und 1652). Hg. und mit einem Nachwort versehen von Stefan Keppler. Hildesheim, Zu¨rich, New York 2007 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1649). – Prob und Lob der Teutschen Wolredenheit. Das ist: deß Poetischen Trichters Dritter Theil. In: Ders.: Poetischer Trichter. Darmstadt 1969 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1653). – Delitiae Mathematicae et Physicae. Der Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden Zweyter Teil. Neudruck der Ausgabe Nu¨rnberg 1651. Hg. und eingeleitet von Jo¨rg Jochen Berns. Frankfurt/Main 1990 (Texte der Fru¨hen Neuzeit 3). [= Harsdo¨rffer, 1651/1990] – Delitiae Mathematicae et Physicae. Der Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden Dritter Teil. Neudruck der Ausgabe Nu¨rnberg 1653. Hg. und

398 eingeleitet von Jo¨rg Jochen Berns. Frankfurt/Main 1990 (Texte der Fru¨hen Neuzeit 3). [= Harsdo¨rffer, 1653/1990] – Natham und Jotham: das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte. Bd. 2. Hg. und eingeleitet von Guillaume van Gemert. Frankfurt/Main 1991 (Texte der Fru¨hen Neuzeit 4; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Nu¨rnberg 1659). Haugwitz, August Adolph von: Aus den Geistlichen Sonnetten. In: Prodromus Poeticus, Oder: Poetischer Vortrab. 1684. Hg. von Pierre Be´har. Tu¨bingen 1984 (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 32; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Dresden 1684). Hedler, Matthus: Unschetzbarer Seelen Schatz Das ist / Schrifftmssiger Bericht von des Menschen vernu¨nfftigen Seele […]. Hamburg / Gedruckt bey Georg Papen / Jn Verlegung Johann Naumans. 1657. [HAB Wolfenbu¨ttel M: 1271.6 Th. (1)] [Helmont, Johann Baptista van:] Christian Knorr von Rosenroth: Aufgang der Artzney-Kunst. Bd. 2. Mit Beitrgen von Walter Pagel und Friedhelm Kemp. Mu¨nchen 1972 (Deutsche Barockliteratur; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Sulzbach 1683). Henkel, Arthur; Albrecht Scho¨ne (Hgg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Taschenausgabe. Stuttgart, Weimar 1996. Hessel, Peter: Hertzfliessende Betrachtungen / Von dem Elbe=Strom / Zur Danckbahrkeit gegen GOTT gescho¨pffet / darneben allen Schiff=Leuten zu einer geistlichen Zeit=Vertreibung vermacht […]. Erster Theil. Altona / Gedruckt bey Victor de Leeu, in Verlegung des Autoris, Anno 1675. Historia von D. Johann Fausten. Text des Druckes von 1587. Kritische Ausgabe. Mit den Zusatztexten der Wolfenbu¨tteler Handschrift und der zeitgeno¨ssischen Drucke. Hg. von Stephan Fu¨ssel und Hans Joachim Kreutzer. Bibliographisch ergnzte Ausgabe. Stuttgart 1999 (RUB 1516). [= Historia, 1999] ¨ berHobbes, Thomas: Elemente der Philosophie. Erste Abteilung: Der Ko¨rper. U setzt, mit einer Einleitung und mit kritischen Annotationen versehen und hg. von Karl Schumacher. Hamburg 1997 (Philosophische Bibliothek 501). Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Gesammelte Werke. Hg. von Franz ¨ bersetzungen und Gedichte. Hg. und mit einem Heiduk. Bd. I,2: Deutsche U Nachwort versehen von Franz Heiduk. Teil 2. Hildesheim [u. a.] 1984. [Hugo, Hermann:] Scherffer von Scherffenstein, Wencel: Hermanni Hugonis S. J. Gottsliger Verlangen Drey Bu¨cher (1662). Hg. und mit einem Nachwort versehen von Michael Schilling. Tu¨bingen 1995 (Rara ex bibliothecis silesiis 4). Jean Paul: Selina oder u¨ber die Unsterblichkeit der Seele. In: Ders.: Werke. Bd. 6. Hg. von Norbert Miller. Nachwort von Walter Ho¨llerer. Darmstadt 1963, S. 1107–1236. Keckermann, Bartholomus: SYSTEMA PHYSICVM, SEPTEM LIBRIS ADORNATVM, […]. Editio Tertia prioribus auctior & multo` correctior. HANOVIÆ, Apud Hæredes Guilielmi Antonii. M D C X I I. [Stadtbibliothek Mainz III O 31d] Kircher, Athanasius: ITER EXSTATICUM COELESTE […] Hac secundaˆ editione Praelusionibus & Scholiis illustratum […] A P. GASPARE SCHOTTO. […] HERBIPOLI, Sumptibus JOHANNIS ANDREAE ENDTERI, & WOLFGANGI JUNIORIS Haeredum. Prostat Norimbergae apud eosdem Anno M. DC. LXXI. Klaj, Johann: Der Leidende CHRISTUS / Jn einem Trauerspiele vorgestellet Durch Johann Klaj / Der H. Schrifft Beflissenen / und gekro¨nten Poeten. Nu¨rnberg / in Verlegung Wolffgang Endters / Jm Jahre M. DC. XLV. Kuhlmann, Quirinus: Der Ku¨hlpsalter. Hg. von Robert L. Beare. Tu¨bingen 1971. – Bd. 1: Buch I–IV (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 3).

399 – Bd. 2: Buch V–VIII, Paralipomena (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N. F. 4). Labadie, Jean de: TRAKTETLEJN von der Selbst=Verlugnung oder von dem SELBS und Dessen mancherley Arten […] von HERMAN STRAUCH verteutschet. Nach der Copie gedru¨kt zu HERFORD Bey Cornelis vander Meulen / Jm Jahr 1672. [HAB Wolfenbu¨ttel QuN 895 (2)] [Laurentius von Schnu¨ffis:] PHILOTHEUS. Oder deß Miranten Durch die Welt / vnd Hofe wunderlicher Weeg nach der Ruhe=seeligen Einsambkeit. Entworffen / Von Mirtillen einem deß Miranten guten Freund / vnnd vertrauten Mit=Hirten. […] Gedruckt zu Passau / Bey Georg Ho¨ller / im Jahr 1688. – Mirantische Mayen=Pfeiff. ODER Marianische Lob=Verfassung / Jn Welcher Clorus / ein Hirt / der Großmchtigsten Himmels=Ko¨nigin / und Mutter GOttes Mariæ unvergleichliche Scho¨n= Hoch= und Vermo¨genheit anmu¨thig besingt. […] Dillingen / Bey Johan Caspar Bencard / Acad. Buchhandlern. Anno 1692. – Mirantische Maul-Trummel. Hildesheim [u. a.] 1986 (Dokumentation zur Geschichte des deutschen Liedes 5; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Konstanz 1698). – Mirantisches Flo¨tlein. Mit einem Vorwort zum Neudruck von Annemarei Daiger. Darmstadt 1968 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Frankfurt/Main 1711). Lauretus, Hieronymus: Silva allegoriarum totius sacrae scripturae. Barcelona 1570. Fotomechanischer Nachdruck der zehnten Ausgabe Ko¨ln 1681. Einleitung von Friedrich Ohly. Mu¨nchen 1971. Liber XXIV philosophorum. In: Clemens Baeumker: Studien und Charakteristiken zur Geschichte der Philosophie inbesondere des Mittelalters. Gesammelte Vortrge und Aufstze von Clemens Baeumker. Mit einem Lebensbilde Baeumkers hg. von Martin Grabmann. Mu¨nster/Westfalen 1927 (Beitrge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 24, Heft 1/2), S. 207–214. Lipenius, Martin: Bibliotheca realis philosophica. Bd. 1. Hildesheim 1967 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Frankfurt/Main 1682). Lipsius, Justus: Von der Bestendigkeit [De constantia]. Faksimiledruck der deut¨ bersetzung des Andreas Viritius nach der zweiten Auflage von c. 1601 schen U mit den wichtigsten Lesarten der ersten Auflage von 1599. Hg. von Leonard Forster. Stuttgart 1965 (Sammlung Metzler, Realienbu¨cher fu¨r Germanisten, Abt. G: Dokumentationen, Reihe b: Zu Unrecht vergessene Texte). Lohenstein, Daniel Casper von: Blumen (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Breslau 1680). In: Ders.: Lyrik. Die Sammlung »Blumen« (1680) und »Erleuchteter Hoff¨ berliefemann« (1685) nebst einem Anhang: Gelegenheitsgedichte in separater U rung. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Gerhard Spellerberg. Tu¨bingen 1992, S. 2–478. [Luther, Martin:] D. Martin Luthers Wercke. Kritische Ausgabe (Weimarer Ausgabe). Bd. 7. Weimar, Graz 1966 (Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Weimar 1897). – Das Maginificat Vorteutschet und außgelegt durch D. Martinum Luther Aug., S. 544–604. – Sermon von dreierlei gutem Leben, das Gewissen zu unterrichten, S. 795–802. – Luthers Geistliche Lieder und Kirchengesnge. Vollstndige Neuedition in Ergnzung zu Band 35 der Weimarer Ausgabe. Bearbeitet von Markus Jenny. Ko¨ln, Wien 1985 (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers 4). Melanchthon, Philipp: Liber de Anima. In: Philippi Melanchthonis Opera Quae Supersunt Omnia. Hg. von Heinrich Ernst Bindseil und Carolus Gottlieb Bretschneider. Bd. 13. Hg. von Carolus Gottlieb Bretschneider. Halle/Saale 1846 (Corpus Reformatorum 13), Sp. 5–178. Meyer, Conrad Ferdinand: Smtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe hg. von Hans Zeller und Alfred Zch. Bd. 8: Huttens letzte Tage. Eine Dichtung. Hg. von Alfred Zch. Bern 1970.

400 Morhof, Daniel Georg: POLYHISTOR LITERARIUS, PHILOSOPHICUS ET PRACTICUS. Cum accessionibus a Johannes Frick et Johannes Moller. Editio quarta […]. TOMUS 2 ET 3: Polyhistor philosophicus et practicus. Neudruck der 4. Ausgabe Lu¨beck 1747. Aalen 1970. [Mu¨ller, Heinrich:] Geistliche Erquickstunden oder CL Hauß= und Tisch=Andachten Von guten Hertzen zum Druck befordert. Rostock / Bey Johan Keylen / der Universitt Buchdrucker / im Jahr 1664. [HAB Wolfenbu¨ttel M: 925.25 Th. (2)] [Neukirch, Benjamin:] Benjamin Neukirchs Anthologie. Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte dritter Theil. Nach dem Erstdruck vom Jahre 1703 mit einer kritischen Einleitung und Lesarten hg. von Angelo George de Capua und Erika Alma Metzger. Tu¨bingen 1970 (Neudrucke deutscher Literatur, N. F. 22). – Benjamin Neukirchs Anthologie. Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen bißher noch nie zusammen-gedruckter Gedichte Fu¨nffter Theil. Nach dem Druck vom Jahre 1705 mit einer kritischen Einleitung und Lesarten hg. von Erika A. und Michael M. Metzger. Tu¨bingen 1981 (Neudrucke deutscher Literatur, N. F. 29). Novalis: Die Christenheit oder Europa. In: Werke, Tagebu¨cher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Hg. von Hans-Joachim Mhl und Richard Samuel. Bd. 2: Das philosophisch-theoretische Werk. Hg. von Hans-Joachim Mhl. Darmstadt 1999, S. 732–750. [Omeis, Magnus Daniel:] Geistliche Gedicht= und Lieder=Blumen / zu GOttes Lobe und from[m]er Seelen-Erquickung geweihet und gestreuet von dem Pegnesischen Blumgenoßen Damon M. D. O. Nu¨rnberg in Verlegung Wolfg. Michahelles und Joh. Adolph / Buchhndll. Gedruckt zu Altdorf / durch Heinrich Meyern / Acad. Buchdr. A. 1706. Opitz, Martin: Geistliche Poemata 1638. Hg. von Erich Trunz. Tu¨bingen 1966 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 1; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. [Breslau] 1638). –– Weltliche Poemata 1644. Teil 1. Hg. von Erich Trunz. Tu¨bingen 1967 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 2; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Frankfurt/Main 1644). [= Opitz, 1644/1967] – Weltliche Poemata 1644. Teil 2. Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Hg. von Erich Trunz. Tu¨bingen 1975 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Barock 3; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Frankfurt/Main 1644). [= Opitz, 1644/1975] ¨ bersetzt und hg. von Michael von Ovid: Metamorphosen. Lateinisch – deutsch. U Albrecht. Bibliographisch ergnzte Ausgabe. Stuttgart 2003 (RUB 1360). Oviedo, Franciscus de: PHILOSOPHIÆ […] TOMVS II. COMPLECTENS LIBROS DE ANIMA, ET METAPHYSICAM. TERTIA EDITIO. Ab Authore aucta, & a` pluribus, quibus scatebat, mendis expurgata. LVGDVNI, Sumpt. PHILIPPI BORDE, LAVRENTII ARNAVD; PETRI BORDE, & GVILELMI BARBIER. M DC LXIII. [Stadtbibliothek Mainz III d: 2 462] ¨ bersetzung von Friedrich Platon: Politeia. In: Ders.: Smtliche Werke. Nach der U Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung hg. von Walter F. Otto, Ernesto Grassi und Gert Plambo¨ck. Bd. 3: Phaidon, Politeia. Reinbek bei Hamburg 1958 (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Griechische Philosophie 4), S. 67–310. ¨ bersetzung von Friedrich – Theaitetos. In: Ders.: Smtliche Werke. Nach der U Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung hg. von Walter F. Otto, Ernesto Grassi und Gert Plambo¨ck. Bd. 4: Parmenides, Theaitetos, Sophistes. Reinbek bei Hamburg 1958 (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Griechische Philosophie 5), S. 103–181. [= Platon, 1958–2]

401 Pomponazzi, Pietro: Abhandlung u¨ber die Unsterblichkeit der Seele. Lateinisch – ¨ bersetzt und mit einer Einleitung hg. von Burkhard Mojsisch. Hamdeutsch. U burg 1990 (Philosophische Bibliothek 434). Rist, Johann: Sabbahtische Seelenlust / Daß ist: Lehr= Trost= Vermahnung= und Warnungsreiche Lieder u¨ber alle Sontgliche Evangelien deß gantzen Jahres / Welche so wol auf bekante / und in reinen Evangelischen Kirchen gebruchliche / alß auch gantz Neue / Vom Herren Thoma Sellio […] wolgesetzete Melodeien ko¨nnen gesungen und gespielet werden. […] Lu¨neburg / Gedruckt und verlegt durch die Sternen. ANNO M DC LI. – Neuer Teutscher Parnass. Hildesheim, New York 1978 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Lu¨neburg 1652). – Neu¨e Musikalische Kreutz= Trost= Lob= und DankSchuhle / Worinn befindlich Unterschiedliche Lehr= un[d] Trostreiche Lieder / […] Welche gro¨sseren Theils / auf bekante / und in den Evangelischen Kirchen gebruchliche / alle mit einander aber / auf gantz neu¨e / von dem fu¨rtreflichem […] Musico / Herrn Michael Jakobi […] gesetzete Melodien / ko¨nnen gespielet und gesungen werden […]. Lu¨neburg / Gedruckt und verlegt durch die Sternen. ANNO M. DC. LIX. Rist, Johann; Johann Schop: Himlische Lieder. Hildesheim, New York 1976 (Documentation zur Geschichte des deutschen Liedes 2; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Lu¨neburg 1641–1642). [Rist, 1641–1642] Sandaeus, Maximilian: PRO THEOLOGIA MYSTICA CLAVIS […]. HeverleeLouvain 1963 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Ko¨ln 1640). Scheffler, Johannes: Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge. In: Angelus Silesius: Smtliche Poetische Werke in drei Bnden. Hg. und eingeleitet von Hans Ludwig Held. Bd. 3: Cherubinischer Wandersmann/Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge. Neu u¨berarbeitete 3. Auflage. Mu¨nchen 1949, S. 221–312. – Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hg. von Louise Gndinger. Bibliographisch ergnzte Ausgabe. Stuttgart 2000 (RUB 8006). – Angelus Silesius: Heilige Seelen-Lust. Reprint der fu¨nfteiligen Ausgabe Breslau 1668. Hg. von Michael Fischer und Dominic Fugger. Kassel 2004 (Documenta Musicologica, Erste Reihe: Druckschriften-Faksimiles 41). Schottelius, Justus Georg: Fruchtbringender Lustgarte. Hg. von Marianne Burkhard. Mit einem Nachwort von Max Wehrli. Mu¨nchen 1967 (Deutsche BarockLiteratur; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Wolfenbu¨ttel, Lu¨neburg 1647). – Jesu Christi Nahmens=Ehr / Worin alles auf den su¨ssen Nahmen GOttes und dessen Wort eingerichtet / mit vielen Kupferstu¨kken gezieret / und in gebundener und ungebundener Rede verfasset ist. […] Jn Verlegung Conradi Bunonis, und gedrukt in der Fu¨rstlichen Residentz Wolfenbu¨ttel / Von JOHANNE Bißmarken / im Jahr 1666. [Kupferstich datiert auf 1667, daher = Schottelius 1667] – Eigentliche und sonderbare Vorstellung Des Ju¨ngsten Tages und darin Ku¨nfftig verhandenen Grossen und Letzten Wunder=Gerichts Gottes […]. Braunschweig / Jn Verlegung Christoff=Friederich Zilligers. ANNO M DC LXIIX. – ETHICA. Die Sittenkunst oder Wollebenskunst. Hg. von Jo¨rg Jochen Berns. Bern, Mu¨nchen 1980 (Deutsche Barockliteratur; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Wolfenbu¨ttel 1669). – Sonderbare Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit […]. Braunschweig / Gedrukt und verlegt durch Christoff=Friederich Zilligern / im Jahr 1673. – Sonderbare Vorstellung / Wie es mit Leib und Seel Des Menschen werde / Kurtz vor dem Tode / Jn dem Tode / und nach dem Tode bewandt seyn. Braunschweig / Gedruckt und verlegt durch Christoff=Friederich Zilliger / im Jahr 1675. [HAB Wolfenbu¨ttel Te 1160] – Grausame Beschreibung und Vorstellung Der Ho¨lle Und der Ho¨llischen Qwal / Oder Des andern und ewigen Todes. […] Wolfenbu¨ttel / Jn Verlegung CONRADI BUNONIS seel. Erben. Jm Jahr 1676.

402 Scriver, Christian: Seelen=Schatz / Darinn von der menschlichen Seelen hohen Wu¨rde / tieffen und klglichen Su¨ndenfall / Busse und Erneuerung durch Christum / Go¨ttlichen heiligen Leben / vielfltigen Creutz / und Trost im Creutz / seligen Abschied aus dem Leibe / Triumphirlichen und fro¨lichen Einzug in den Himmel / und ewiger Freude und Seligkeit / erbaulich und tro¨stlich gehandelt wird. […] LEIPZIG / Jn Verlegung Johann und Friedrich Lu¨derwald / Buchhndlern zu Magdeburg und Helmstdt. Gedruckt bey Johann Wittigaus sel. Witwe / 1687. [HAB Wolfenbu¨ttel Th. 2426] Sennert, Daniel: INSTITUTIONUM MEDICINÆ LIBRI V: […] Apud Zachariam Schurerum. Typis VVolfgangi Meisneri, Anno M DCLXIV. [Stadtbibliothek Mainz II k: 4 908] Sibbes, Richard: Der Seelen Selbst=Streit / und derselben Uberwindung u¨ber sich selbst / durch den Glauben. […] Nunmehr […] auß dem Engellndischen ins Hoch=Teutsche u¨bersetzet Durch J[ohann] D[eusing]. Cassel / Jn Verlegung Gerhard Henckeln / Jm Jahr 1675. [HAB Wolfenbu¨ttel Th. 2475] Simon, Franz: MACROCOSMUS et MICROCOSMUS DIDACTICI. Was die grosse und kleine Welt unß Augenscheinlich lehret. 1664. 2. Teil: MICROCOSMUS DIDACTICUS Das ist / Die Kleine Welt / der Mensch / […]. [HAB Wolfenbu¨ttel M: 925.25 Th. (1)] Spangenberg, Wolfhart: Smtliche Werke. Unter Mitwirkung von Andor Tarnai hg. von Andra´s Vizkelety (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). – Bd. 5: Anmutiger Weisheit Lustgarten I. Bearbeitet von Andor Tarnai. Berlin, New York 1982. – Bd. 6: Anmutiger Weisheit Lustgarten II. Bearbeitet von Andor Tarnai. Berlin, New York 1982. Spee, Friedrich von: Smtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe in drei Bnden hg. von Emmy Rosenfeld (Deutsche Barockliteratur). – Bd. 1: Trutz-Nachtigall. Hg. von Theo G. M. van Oorschot. Mu¨nchen 1985. – Bd. 2: Gu¨ldenes Tugend-Buch. Hg. von Theo G. M. van Oorschot. Mu¨nchen 1968. Teresa von Avila: Die innere Burg. Hg. und u¨bersetzt von Fritz Vogelgsang. Zu¨rich 1979 (detebe-Klassiker 20643). Thomas von Aquin: Summa theologica. Vollstndige, ungeku¨rzte, deutsch-lateini¨ bersetzt von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands sche Ausgabe. U ¨ sterreichs. Hg. vom Katholischen Akademiker-Verband. Bd. 6: Wesen und und O Ausstattung des Menschen I. Salzburg, Leipzig 1938 (Die Deutsche Thomas-Ausgabe). Thomasius, Christian: Ausgewhlte Werke. Hg. von Werner Schneiders. – Bd. 2: Einleitung zur Hof-Philosophie. Vorwort von Werner Schneiders, Personen- und Sachregister von Frank Grunert. Hildesheim [u. a.] 1994 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Berlin, Leipzig 1712). – Bd. 10: Einleitung zur Sittenlehre. Vorwort von Werner Schneiders, Personen- und Sachregister von Albrecht Geck. Hildesheim [u. a.] 1995 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Halle/Saale [1692]). – Bd. 11: Ausu¨bung der Sittenlehre. Vorwort von Werner Schneiders, Personen- und Sachregister von Frauke Annegret Kurbacher. Hildesheim [u. a.] 1999 (Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Halle/Saale 1696). Weckherlin, Georg Rudolf: Gedichte. Hg. von Hermann Fischer. Bd. 1. Darmstadt 21968 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 199; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Tu¨bingen 1894). [Winckelmann, Johann:] Erleuterung der Frage / Ob der Mensch auß zweyen wesentlichen Stu¨cken / nemblich Leib vnd vernu¨nfftiger Seelen: Oder aber auß dreyen wesentlichen Stu¨cken / Geist / Seel vnd Leib bestehe. […] Jetzo […] den Ein-

403 fltigen zu nu¨tzlichem Vnterricht vnnd Warnung auß dem Lateinischen ins Teutsch versetzet Durch M. LUDOVICUM SELTZERUM […]. Getruckt zu Giessen / Durch NICOLAUM HAMPELIUM, Typogr. Acad. M DC XXIII. [HAB Wolfenbu¨ttel 466.44 Th. (2)] Zesen, Philipp von: Smtliche Werke. Hg. von Ferdinand von Ingen (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). – Bd. I,2: Lyrik I. Bearbeitet von Ferdinand van Ingen. Berlin, New York 1993. – Bd. II: Lyrik II. Bearbeitet von Ferdinand van Ingen. Berlin, New York 1984. – Bd. III,1: Lyrik und Schferdichtung. Bearbeitet von Ferdinand van Ingen. Berlin, New York 1993.

5.2

Forschung

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427 Johann Anselm Steiger [u. a.]. Bd. 1. Wiesbaden 2005 (Wolfenbu¨tteler Arbeiten zur Barockforschung 43), S. 39–107. [= Steiger, 2005–2] Steinbach, Christoph Ernst: Vollstndiges Deutsches Wo¨rter-Buch. Bd. 2. Hildesheim, New York 1973 (Documenta Linguistica, Reihe II: Wo¨rterbu¨cher des 17. und 18. Jahrhunderts; Reprograph. Nachdr. d. Ausg. Breslau 1734). Steinmayr, Markus: Menschenwissen. Zur Poetik des religio¨sen Menschen im 17. und 18. Jahrhundert. Tu¨bingen 2006 (Communicatio 35). Stelzenberger, Johannes: Syneidesis, conscientia, Gewissen. Studie zum Bedeutungswandel eines moraltheologischen Begriffes. Paderborn 1963 (Abhandlungen zur Moraltheologie 5). Stockinger, Ludwig: Barocklyrik, die immer noch verstanden wird. Literatur¨ berlegungen zur andauernden Wirkung von Paul Gerhardts geschichtliche U geistlichen Liedern. In: »In Traurigkeit mein Lachen… in Einsamkeit mein Sprachgesell.« Das evangelische Kirchenlied am Beispiel Paul Gerhardts aus interdisziplinrer Perspektive. Hg. von Ulla Fix. Berlin 2008 (Beitrge der PaulGerhardt-Gesellschaft 3), S. 81–102. ¨ ber Schrift und Ko¨rper im Barock. In: Text Sto¨ckmann, Ingo: Entußerungen. U und Kritik 154 (4/2002): Barock. Hg. von Ingo Sto¨ckmann, S. 5–21. Sto¨rmer-Caysa, Uta: Entru¨ckte Welten. Einfu¨hrung in die mittelalterliche Mystik. Leipzig 1998 (Reclam-Bibliothek 1634). – Grundstrukturen mittelalterlicher Erzhlungen. Raum und Zeit im ho¨fischen Roman. Berlin, New York 2007 (de Gruyter Studienbuch). Stolberg, Michael: Die Vision als Modus der medizinischen Wissensautorisierung. Johann Baptist van Helmont (1579–1644) und sein Aufgang der Arzney-Kunst. In: Morgen-Glantz 13 (2003), S. 47–72. Strter, Udo: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tu¨bingen 1987 (Beitrge zur historischen Theologie 71). Stro¨ker, Elisabeth: Philosophische Untersuchungen zum Raum. Frankfurt/Main 1965 (Philosophische Abhandlungen 25). Tandecki, Daniela: Der Garten als Symbol und Refugium go¨ttlicher und menschlicher Liebe. Versuche der Vollendung einer Tradition in den Grten und der Lyrik Europas im XVI. und XVII. Jahrhundert. In: Arcadia 22 (1987), S. 113–141. Tanner, Jakob: Historische Anthropologie zur Einfu¨hrung. Hamburg 2004 (Zur Einfu¨hrung 301). Tausch, Harald: Locke, Addison, Hume und die Imagination des Gartens. In: Der imaginierte Garten. Hg. von Gu¨nter Oesterle und Harald Tausch. Go¨ttingen 2001 (Formen der Erinnerung 9), S. 23–44. Taylor, Charles: Sources of the Self. The Making of the Modern Identity. Cambridge [u. a.] 1989. Teske, Roland: Augustines theory of the soul. In: The Cambridge Companion to Augustine. Hg. von Eleonore Stump und Norman Kretzmann. Cambridge [u. a.] 2001, S. 116–123. Thums, Barbara: Zur Topographie der memoria in fru¨hneuzeitlicher Mystik: Catharina Regina von Greiffenbergs »Geistliche Gedchtnisorte«. In: Meditation und Erinnerung in der Fru¨hen Neuzeit. Hg. von Gerhard Kurz. Go¨ttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 251–272. [TRE:] Theologische Realenzyklopdie. Hg. von Gerhard Mu¨ller und Gerhard Krause. Berlin [u. a.] 1977 ff. Trinkner, Diana: Gedankenflug und Lichtmetaphysik. Zu Georg Philipp Harsdo¨rffers und Kaspar Schotts Erkenntnislehre. In: Morgen-Glantz 7 (1997), S. 311–346.

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Personenregister [Nicht beru¨cksichtigt sind Namen biblischer und literarischer Gestalten sowie Namensnennungen im Literaturverzeichnis] Abschatz, Hans Aßmann von 68, 181, 278, 313, 335, 360 Achermann, Eric 145 Adler, Jeremy 103 f. Albertinus, Aegidius 291 Alsted, Johann Heinrich 72, 85, 113, 143, 154, 230, 332, 334 Alt, Peter-Andre´ 59, 140, 244, 254, 317 Altenstaig, Joannes 57, 81 Althaus, Thomas 301 f. Ambrosius 385 Andersson, Bo 39 Angelus Silesius s. Scheffler, Johannes Anton Ulrich Herzog von Braunschweig und Lu¨neburg 68, 137, 140, 163, 335, 364 Anz, Thomas 1 Apel, Friedmar 20 Arburg, Hans Georg von 121 Arendt, Dieter 127, 129 Arias, Santa 1 Aristoteles 48, 61 f., 72–76, 78–80, 89, 162 f., 188, 190 f. Arndal, Steffen 84 Arndt, Johann 173, 204–206, 266, 280, 347, 357, 374 Arnold, Heinz Ludwig 132 Arriaga, Rodericus de 72, 81 Assmann, Aleida 163, 165 Augustinus 57, 74, 86, 291, 326, 329 f., 340, 363, 372 Axt-Piscalar, Christine 329–331, 363 Bach, Johann Sebastian 273 Bachelard, Gaston 137, 146, 150 Bachmann-Medick, Doris 1, 18, 29 f. Bachtin, Michail Michajlovicˇ 180 Bacon, Francis 23 Bahr, Hans-Dieter 12 Baier, Sebastian 254

Balthasar, Hans Urs von 160 Barner, Wilfried 52, 63 Bartetzky, Arnold 221 Baßler, Moritz 25–27, 29 Bauer, Gerhard 15, 115, 138, 140, 178, 247, 358, 368, 373 f. Baumgarten, Alexander Gottlieb 64 Becher, Johann Joachim 71 Beierwaltes, Werner 207 Bellarmino, Roberto 328 Belting, Hans 54 Benthien, Claudia 19, 33 f., 107 f., 111, 190, 299, 304 Bergengruen, Maximilian 22, 171, 182, 210 Berger, Klaus 328 Bernhard von Clairvaux 133, 164 Berns, Jo¨rg Jochen 153, 166, 346 Betzler, Monika 41, 43 f. Beverwijck, Johan van 359 Blnsdorf, Ju¨rgen 314 Blum, Paul Richard 74 Blumenberg, Hans 3, 13, 36–49, 52–54, 56, 61–63, 128, 154, 159, 191, 207, 389 Bo¨cher, Otto 377 Bo¨ckler, Georg Andreas 292 Bo¨deker, Hans Erich 40, 45 Bo¨hm, Maria M. 210 Bo¨hme, Gernot 20 Bo¨hme, Hartmut 19, 22 Bo¨hme, Jacob 52, 63, 195 f. Boenke, Michaela 22, 74, 90 Bo¨schenstein, Renate 250 f. Bollnow, Otto Friedrich 188, 190, 256, 269 f. Bolz, Norbert 40 Bonaventura 49 Bonheim, Gu¨nther 195 Borgards, Roland 22

432 Bornscheuer, Lothar 40 Bossard, Robert 101, 140 Brandt, Sigrid 328 Braungart, Wolfgang 20, 31 Breckling, Friedrich 352, 374 Breidert, Wolfgang 144 f., 193, 198 Brentano, Clemens 16 Breuer, Dieter 377 Breuer, Ingeborg 42, 44 Brogi, Susanna 142 Bronfen, Elisabeth 16 Browne, Thomas 153, 235, 350 Bruno, Giordano 187, 191 Buchner, August 60 Bu¨hler, Karl 147 Buholzer, Sonja A. 15 Burdorf, Dieter 64 Burkert, Walter 188 Busche, Hubertus 48, 72, 74 Buselmeier, Michael 7 Bynum, Caroline 22

Datteri Rasmussen, Livia 189 f., 195 De Angelis, Simone 74 f. Dellian, Ed 230 Delumeau, Jean 329 De Mare, Heidi 270 Descartes, Rene´ 22, 83, 145 Dette, Gerhard 64, 66 Deupmann, Christoph 74 Dietze, Walter 132 Dinzelbacher, Peter 6, 22, 55, 98–101, 106, 293, 328, 377 Dohm, Burkhard 168 f., 302, 306–308 Doms, Misia Sophia 78, 152, 359 Donne, John 65 Dressel, Gert 20, 33, 36 Du¨lmen, Richard van 10, 18 Du¨nnhaupt, Gerhard 127 Du¨rer, Albrecht 219 Dyck, Joachim 59–61, 327 Dyke, Daniel 112, 114, 219, 236, 258 Dyke, Jeremy 112

Caemmerer, Christiane 277 Calvin, Jean 89 Carozzi, Claude 3 Cassirer, Ernst 113, 150 f., 198, 228–231, 241 f., 245 f. Cats, Jacob 270 Chapeaurouge, Donat de 6, 54 f. Chilton, Paul Anthony 192 f., 275 Christianus Theophilus (Pseud.) 95 Clarke, Samuel 230 f. Comber, Philippa 235, 242 Comenius, Johann Amos 88, 191 Conrady, Karl Otto 7, 66 Cottone, Margherita 232 Cramer, Thomas 175 Czepko, Daniel 68, 82, 109, 116 f., 126, 142, 152–155, 157 f., 160, 164, 170 f., 177–179, 181–184, 191, 200, 202–206, 208–210, 214, 228, 241 f., 244 f., 270, 276, 278–280, 311–315, 317–325, 371 f. Czersowsky, Peter 59

Eckart, Wolfgang Uwe 358 [Meister] Eckhart 166, 171, 198, 203, 205, 208, 266 Edel, Susanne 207 f. Eicheldinger, Martina 248, 277 Einstein, Albert 121, 144 Elbern, Victor Heinrich 127 Elert, Werner 195 Emden, Christian Ju¨rgen 188, 193 Engel, Manfred 19 Engels, Eve-Marie 8 Euklid 113, 198, 204 Evers, Dirk 189, 195, 228–230

Dach, Simon 68, 247, 256 f., 263–270, 272, 283, 304, 310, 326, 351 Daemmrich, Horst S. 241 Daemmrich, Ingrid 241 Daly, Peter Maurice 159 Danneberg, Lutz 44, 61, 67 Dannhauer, Johann Conrad 72, 81, 85, 91, 357 f. Dante Alighieri 100 f., 340

Feldt, Michael 65 Felgenhauer, Paul 94 Fernel, Jean 78–80 Fiala, Erwin 21 Ficino, Marsilio 72 Fick, Monika 9 Finckh, Ruth 173, 237 Fishacre, Richard 332 Fleissner, Alfred 5 Fleming, Paul 65, 68, 108, 124, 126, 326 Floss, Pavel 145 Fo¨llmi, Hugo 152 f., 155 Foley-Beining, Kathleen 200, 301 Folkerts, Menso 113, 141, 204 Foucault, Michel 150, 320 Francisci, Erasmus 78 Franckenberg, Abraham von 191

433 Freedman, Joseph S. 74, 77, 81, 92, 358 Freund, Winfried 316 Frey, Christian 361 Fricke, Gerhard 61 Friedrich, Hugo 41 Fuchs, Thomas 83 Furger, Andres 6, 11 f., 54 f. Gaier, Ulrich 22 Galen 74, 78 Galilei, Galileo 191 Galow, Ju¨rgen 12 Galtruchius, Petrus 347 Ganz, David 98 Garber, Klaus 105 Geertz, Clifford 25 f. Gehlen, Rolf 151, 177, 181 Geitner, Ursula 23 Gerhard, Johann 178, 213, 257 f., 282 f. Gerhardt, Paul 68, 110 f., 133, 186 f., 220, 272 f., 275, 325 f., 356 f. Gervais, Pierre 328 f., 353 f., 387 Gerwing, Manfred 329, 331 f. Gibbs, Raymond W. 180 Gndinger, Louise 59, 63, 169, 179, 211, 340 Goclenius, Rudolph 10, 72 Goethe, Johann Wolfgang von 378 Gorceix, Bernard 286–288, 320 Gottfried von Straßburg 237 Grassi, Ernesto 103 Graus, Frantiek 21 Greenblatt, Stephen 25–31 Greiffenberg, Catharina Regina von 68, 100–102, 108, 110, 116, 142, 158–161, 164–171, 174 f., 177, 179, 182, 189–200, 207 f., 215–217, 219–223, 225–227, 230–233, 235, 237–239, 243 f., 260, 278, 286–297, 299, 301–308, 310–312, 319, 325, 353, 385 Grimm, Reinhold R. 232 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von 75, 101, 162, 266 Gross, Julius 328–331 Gruber, Bettina 65 Gru¨ndel, Johannes 340 Gryphius, Andreas 68, 109, 113, 141 f., 191, 219, 325, 368 Gryphius, Christian 68, 271, 290, 298 f. Gu¨nther, Johann Christian 68, 163, 270 Guericke, Otto von 145

Haas, Alois Maria 206 f., 278 Haefliger, Ju¨rg 40, 46, 52 Hhnel, Klaus-Dieter 66 Hall, Joseph 343 Haller, Albrecht von 202 Hardenberg, Friedrich von s. Novalis Harms, Wolfgang 386 Harsdo¨rffer, Georg Philipp 59–62, 68, 140, 153–155, 171, 173, 201–204, 252 f., 263, 343, 357, 385 Haselbrink, Burkhard 171 Hasenfratz, Hans-Peter 358 Haugwitz, August Adolph von 68, 112 f. Haverkamp, Anselm 37, 41 Hedler, Matthus 72, 91, 95, 344, 350 Heidenreich, Felix 49 Heidrich, Peter 178 Helmont, Johann Baptista van 123 f., 131 Henkel, Arthur 237 Heraklit 218 Herbold, Astrid 45 Hermann, Iris 13, 99 Herz, Marcus 10 Hessel, Peter 312–314, 319, 322 f. Hieber, Wolfgang 30 Hildebrandt-Gu¨nther, Renate 60 Hillen, Gerd 60 Hillmann, Heinz 114, 187, 251 Hindelang, Antonie 9 Hirsch, Emanuel 288 Hobbes, Thomas 193 Hocquenghem, Guy 12 Ho¨fele, Andreas 64, 66 Ho¨gger, Rudolf 103, 106 Ho¨rning, Karl Heinz 30 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 12 f. Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 68, 111, 118 f., 124, 219, 327 Hofmannsthal, Hugo von 13 Holzhey, Helmut 4, 74 Honegger, Thomas 367 Horkheimer, Max 5 Hu¨hn, Peter 251 Hu¨nemo¨rder, Christian 128 Hugo, Hermann 382 Ingen, Ferdinand van 212 Iser, Wolfgang 19, 65 Jamme, Christoph 18 Jammer, Max 144, 155, 188 f., 191 Janik, Dieter 314

434 Jean Paul 23 Jezler, Peter 100 Jo¨cher, Christian Gottlieb 288 Jo¨ns, Dietrich Walter 59 Johannsen, Anja K. 144 Johnson, Mark 38 f., 107, 122, 156 f., 159, 192 f., 200, 322 Jooß, Elisabeth 150, 213 Ju¨ttemann, Gerd 4, 9, 11, 392 Jung, Carl Gustav 12 Junker, Christof 190

Kuechen, Ulla-Britta 127 Ku¨hlmann, Wilhelm 65 Ku¨mmel, Werner Friedrich 359 Ku¨sters, Urban 102, 139 Kuhlmann, Quirinus 68, 131 f., 135 f., 164, 178, 191, 196, 258, 279, 285, 323 Kundert, Ursula 200 Kutzer, Michael 90 f., 358 f. Kyora, Sabine 169, 240, 250

Laarmann, Matthias 332 Labadie, Jean de 316 Labouvie, Eva 21 Kaempfer, Wolfgang 12 Lakoff, George 38 f., 122, 156 f., 192 f., Kaes, Anton 26 f., 31 200, 322 Kafka, Franz 66 Lamping, Dieter 64, 66 f. Kamper, Dietmar 5–7, 10, 12, 32–35 Landwehr, Ju¨rgen 235, 239, 241 Kant, Immanuel 43, 46, 48, 228 f. Lange, Carsten 16 Kaser, Karl 19 f. Lange, Friedrich Albert 4 Kaulbach, Friedrich 384 Langer, Otto 160 f. Keckermann, Bartholomus 72, 85–87, Largier, Niklaus 171–173 89 Lasker-Schu¨ler, Else 13 Keller, Hildegard Elisabeth 108, 116, Laurentius von Schnu¨ffis 68, 111, 247 116 f., 119 f., 124, 235, 256, 292, Kellner, Beate 20 300 f., 323, 365, 375, 379 Kemp, Wolfgang 7 Lauretus, Hieronymus 127, 136, 178, Kempe, Margery 14 f., 99 201, 236, 374 Kemper, Hans-Georg 64 f., 195 Leezenberg, Michiel 39 Kern-Sthler, Annette 102, 280 Lehmann, Johannes Friedrich 22 Keßler, Eckhard 74, 91 Leibniz, Gottfried Wilhelm 228–231 Kiening, Christian 20 f., 25 Leinkauf, Thomas 51, 72, 215, 242, Killy, Walther 68 f., 204 384 Kircher, Athanasius 75 Leiteritz, Christiane 45 Kittsteiner, Heinz Dieter 287 f., 331 Lenzen, Dieter 32–36, 47 Klaj, Johann 68, 141 Leopold, Silke 277 Kleffmann, Tom 331 Leusch, Peter 42, 44 Klier, Gerhard 91, 93 f., 358 Lewalski, Barbara Kiefer 59 Klinger, Cornelia 368 Libera, Alain de 179 Kluge, Friedrich 360 Lieth, Vanessa von der 159 Knape, Joachim 60 Limpricht, Cornelia 220 Knobloch, Eberhard 141 Linden, Walfried 5 Knoch, Wendelin 385 Lipenius, Martin 74 Knorr von Rosenroth, Christian 123 Lipsius, Justus 71, 232 Ko¨hler, Johannes 332 Locke, John 220 Ko¨pf, Ulrich 133, 164, 377 Lohenstein, Daniel Casper von 68, Ko¨ster, Werner 1 280 Konersmann, Ralf 42, 49, 171, 173, 207 Loraux, Nicole 133 Kopernikus, Nikolaus 191 Luther, Martin 89, 94 f., 114, 118, Koppenfels, Werner von 240 139 f., 166, 177, 186 f., 195, 251, 273, Korenjak, Andrea 245 288, 328, 330 Koschorke, Albrecht 108, 162 f., Lyonnet, Stanislas 328, 340 187–189, 191 Krafft, Fritz 145 Macho, Thomas 173 Kreul, Andreas 270 Mahlmann-Bauer, Barbara 10 Krummacher, Hans-Henrik 64

435 Mahnke, Dietrich 206–208 Martens, Wolfgang 213 Martin, Dieter 190 Marx, Friedhelm 249, 384 Matussek, Peter 19 Maur, Hans Jo¨rg auf der 298 Maurer, Michael 141 f., 206, 244 Mechthild von Magdeburg 14 f., 99, 171 Meid, Volker 59–61 Meier-Oeser, Stephan 100 Meinhardt, Helmut 230, 241 Meister Eckhart s. Eckhart Melanchthon, Philipp 72, 74–76, 79–81, 84–89, 347 Menhennet, Alan 323 Mergenthaler, Jens 9, 48 Merleau-Ponty, Maurice 181 Mersch, Dieter 42, 44 Meteling, Arno 30 Metzger, Erika Alma 69 Metzner, Rainer 328, 331 Meyer, Conrad Ferdinand 2 Meyer-Kalkus, Reinhart 346 Mittelstraß, Ju¨rgen 162, 244 Mohr, Jan-Steffen 305, 313, 372 f., 376 Mojsisch, Burkhard 90 Montrose, Louis Adrian 25, 27, 31 More, Henry 145 Morhof, Daniel Georg 357 Moritz, Karl Philipp 9, 48 Mu¨ller, Ingo Wilhelm 358 Mu¨ller, Heinrich 175, 280 Mu¨ller, Lothar 9, 19 Mu¨ller, Otto 40, 53 Mu¨ller-Tamm, Jutta 14, 57 Nell, Florian 60 Neukirch, Benjamin 68, 336, 348 Neumann, Hartwig 219–221 Neumeyer, Harald 19, 34 Neuwinger, Rudolf 183 Newton, Isaac 229 Nieden, Hans-Jo¨rg 280 Niedermeier, Michael 234 f. Niefanger, Dirk 58 Nikolaus von Cues 54 Noack, Lothar 118 Novalis 340 Nu¨nning, Ansgar 18 Obermeit, Werner 9 Oechslin, Christa 385

Ohlig, Karl-Heinz 341 Ohly, Friedrich 15, 79, 107 f., 127–129, 139–141, 180, 186, 220, 254, 265, 268, 281, 368, 374 Olk, Claudia 14 f., 23, 99, 104 Omeis, Magnus Daniel 68, 118, 186, 356, 357 Oorschot, Theo G. M. van 237 Opitz, Martin 68, 72, 104, 108 f., 111, 113, 119, 190 f., 250 f. Origines 111, 178 Osinski, Jutta 9 Ovid (Ovidius Naso, Publius) 382 Oviedo, Franciscus de 72, 81, 83, 88 Paracelsus 93 Park, Katharine 90 f. Peil, Dietmar 367 f., 370 Peters, Ursula 20 Petrarca, Francesco 104 Petzoldt, Martin 220, 254 Pfotenhauer, Helmut 19, 22 Philipowski, Katharina 14, 22 f., 115 Philo von Alexandria 232 Piepmeier, Rainer 103 Pietro Pallavicino Sforza 62 Plard, Henri 258 Platon 74, 88, 133, 162, 244, 370 Pleßner, Helmuth 279 Plotin 206, 215 Pomponazzi, Pietro 89 f. Popkes, Wiard 385 Porteous, John Douglas 99 Poulet, Georges 72, 153, 201, 205–207 Pozzo, Ricardo 79 Previsic, Boris 114, 122 Prior, Anne 14, 23, 55 Properz 104 Prudentius 374 Pumplun, Cristina Marina 312 Quade, Randolf 191 Radbruch, Knut 141 Rdle, Fidel 385 Rambach, Johann Jacob 273 Raulff, Ulrich 20 f. Reckwitz, Andreas 18, 21 Reich, Karin 141, 145 Reichert, Dagmar 206, 228 Reil, Johann Christian 12 Reiner, Hans 178 Renger, Almut-Barbara 170 Repo, Matti 205

436 Richter, Johann Paul Friedrich s. Jean Paul Richter, Karl 190, 202 Ricur, Paul 304, 328, 337, 341, 349 Ridder, Klaus 20 Riecks, Annette 20 Riedel, Wolfgang 17, 23, 29, 32, 71 f. Rieder, Bruno 190, 192 Rist, Johann 68, 101, 133, 172, 196, 220, 223, 234, 267 f., 277, 282 f., 288–291, 295, 326, 355, 357 Ritter, Joachim 4, 74, 103, 144 f., 178, 193, 198, 207 f., 230, 241, 329–332, 361, 384 Ritter, Martin 332 Rizek, Cornelia 203 Ro¨cke, Werner 19 Ro¨dter, Gabriele Dorothea 237 Ro¨hser, Gu¨nter 260, 264 f., 269, 271, 327 f. Rohmer, Ernst 322 Rolf, Eckard 30, 37 f., 147 Roth, Patrick 319 Rothe, Johann 131 f. Rothe, Samuel 336 Rudolph, Enno 52, 89 Ruf, Ambrosius Karl 327 f. Salatowsky, Sascha 72, 74, 76 f., 80 f. Sandaeus, Maximilian 72, 86, 95, 171, 179, 235, 257, 350 Sandhop, Ju¨rgen 13 f. Sata, Lehel 304 Schfer, Eckhart 314 Scheffczyk, Leo 331 f. Scheffler, Johannes 59, 63, 68, 82, 108, 110 f., 126–131, 138 f., 143, 152–156, 171, 176–179, 182 f., 187–192, 194–202, 207, 209–215, 236–238, 247–257, 259–265, 267–269, 271, 274, 277, 279, 281 f., 293, 316, 320, 322, 326, 333–335, 337, 339–342, 346, 364–368, 370–387 Scheitler, Irmgard 254 Sche´rer, Rene´ 12 Scherffer von Scherffenstein, Wencel 382 Schiedermair, Simone 64 Schildknecht, Christiane 244 Schlaeger, Ju¨rgen 73 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 131, 163, 183, 213 Schnell, Ru¨diger 23 Schnyder, Mireille 14–16

Scho¨ne, Albrecht 237 Scho¨nert, Jo¨rg 251 Schott, Erdmann 361 Schottelius, Justus Georg 68, 72, 75, 85–88, 100, 102, 107 f., 133–135, 139, 153, 212, 232, 234, 238, 249 f., 269, 277, 280, 285, 297, 313, 316 f., 326, 331, 336, 342–349, 352–354, 356–358, 361–363, 365 f., 369, 371, 378 Schubert, Anselm 328–331, 384 Schumacher, Meinolf 111, 266, 299, 306, 319, 327, 334, 340, 372 Schumann, Michael 40–42, 52 Schwab, Hans-Ru¨diger 319 Schwarte, Ludger 1 Schwarz, Hans 328 Schweitzer, Franz-Josef 201 Schwenter, Daniel 153 Scriver, Christian 236, 299, 317 Seebold, Elmar 360 Segebrecht, Wulf 64 Seltzer, Ludwig 92 Sennert, Daniel 86, 91 Sennewald, Jens Emil 1 Sextus Propertius s. Properz Sibbes, Richard 153 Sievernich, Michael 328 Simmel, Georg 194 Simon, Franz 95, 357 Soboth, Christian 165 Soja, Edward William 1 Sonntag, Michael 9–11, 48, 392 Sorg, Bernhard 63, 65 Spahr, Blake Lee 170, 173 Spangenberg, Wolfhart 116–118, 158, 221, 235 Sparn, Walter 74, 89 Spee, Friedrich 68, 140, 173, 237, 277, 319, 334 Spo¨rri, Elisabeth 215, 322 Sprandel, Rolf 6, 20, 22, 55 Staiger, Emil 66 Stammler, Wolfgang 234 f. Stegmann, Josua 68, 113, 368 Steiger, Johann Anselm 258, 273, 282, 335 Steiger, Renate 269, 273 Stein, Malte 251 Steinbach, Christoph Ernst 303 Steinmayr, Markus 164 Stelzenberger, Johannes 178 Stock, Konrad 74 Stockinger, Ludwig 186 Sto¨ckmann, Ingo 382

437 Sto¨rmer-Caysa, Uta 133, 188, 198 Stolberg, Michael 123 Strter, Udo 112 Stro¨ker, Elisabeth 320 Suhr, Andre´ 30 Szyrocki, Marian 68 Tandecki, Daniela 232, 235, 237 Tanner, Jakob 19 f. Tauler, Johannes 179 Tausch, Harald 220 Taylor, Charles 244 Teresa von Avila 140 Tesauro, Emanuele 60 Teske, Roland 86 Theobald, Michael 328 Theophrastus von Hohenheim s. Paracelsus Thomas von Aquin 72, 81 f., 84, 89, 91 f., 332 Thomasius, Christian 77 f. Thums, Barbara 167, 309 Timpler, Clemens 77, 92, 358 Trinkner, Diana 154 Turner, Mark 38 Tytz, Joannes 57, 81 Vanja, Christina 10 Veeser, Harold Aram 25, 27 Velten, Hans Rudolf 21 Vidal, Fernando 10, 55, 74 Villiger, Leo 116, 160 f. Volkmann, Helga 235 Wahrig-Schmidt, Bettina 12 f. Waldow, Stephanie 42, 44 Wallmann, Johannes 204

Wandhoff, Haiko 14 f., 219, 374 Wannenwetsch, Bernd 273 Warf, Barney 1 Watanabe-OKelly, Helen 104 f. Weckherlin, Georg Rudolf 68, 170, 267, 347 Weigel, Valentin 93 Weinrich, Harald 13, 30, 67, 162 Wenzel, Horst 23 Werbick, Ju¨rgen 291, 330 f., 363 Wertheim, Margaret 100 Wetz, Franz Josef 41 f. Wiedemann, Conrad 240 f. Wiegand, Hermann 312 Wiese, Benno von 322 Willems, Gottfried 58 Willmes, Bernd 298 f. Winckelmann, Johann 75, 92–95 Windfuhr, Manfred 59–63 Wodianka, Stephanie 65, 73, 133, 193, 287, 328 Wokart, Norbert 193 Wolf, Christa 10 Wolff, Christian 72 Wudrian, Valentin d. . 288 Wulf, Christoph 5–12, 33–35, 392 Zabarella, Jacobus 77 Zedler, Johann Heinrich 128 f., 146, 154 f., 219, 221, 242 f., 296, 299, 308, 314, 384 Zeller, Rosmarie 159, 297 Zesen, Philipp von 68, 163, 292, 344 Zeuch, Ulrike 48, 80, 146 Zill, Ru¨diger 41, 46 Zwierlein, Anne-Julia 23, 104