Die geistige Welt: Einleitung in die Philosophie des Lebens 9783666303067, 3525303068, 9783525303061

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Die geistige Welt: Einleitung in die Philosophie des Lebens
 9783666303067, 3525303068, 9783525303061

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WILHELM DILTHEY ·GESAMMELTE SCHRIFTEN V. BAND

WILHELM DIL THEY GESAMMELTE SCHRIFTEN

V. BAND

B. G. TEUBNER VERLAGSGESELLSCHAFT • STUTTGART VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

DIE GEISTIGE WELT EINLEITUNG IN DIE PHILOSOPHIE DES LEBENS ERSTE HALFTE ABHANDLUNGEN ZUR GRUNDLEGUNG DER GEISTESWISSENSCHAFTEN

8., unveränderte Auflage

B. G. TEUBNER VERLAGSGESELLSCHAFT · STUTTGART

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

ZEICHENERKLÄRUNG

• []

ftir bisher unveröffentlichte Schriften. für einzelne Zusätze aus den Handschriften. fur Eiilfügungen des Herausgebers.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

D ilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften/Wilhelm Dilthey. Von Bd. 18 an besorgt von Karlfried Gründer u. Frithjof Rodi. - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht. Teilw. im Ver!. Teubner, Stuttgart, u. Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen NE: Gründer, Karlfried [Hrsg.]; Dilthey, Wilhelm: [Sammlung] Bd. 5. Die geistige Welt :Einleitung in die Philosophie des Lebens ; Hälfte I, Abhandlungen zur Grundlegung der Geisteswissenschaften. - 8., unveränd. Aufl. - 1990 ISBN 3-525-30306-8 8. Auflage 1990

© 1990, 1957, B. G. Teubner Verlagsgesellschaft m.b.H., Stuttgart. Printed in Germany.- Alle Rechte vorbehalten. Das Werkeinschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Bindung: Hubert & Co., Göttingen

INHALT Seite

Vorbericht des Herausgebers

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AUTOBIOGRAPHISCHES *Vorrede (1911) . . . . . . . . . . . . . . · . . . . · · · · Rede zum 70. Geburtstag (1903) . . . . . . . . . . . . . . • Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften (18R7) *Die dichterischeund philosophische Bewegung in Deutschland 1770 bis 18oo (Antrittsvorlesung in Basel 1867) . . . . . . . . . . . . . . . . . AUFSÄTZE UND ABHANDLUNGEN Über das Studium der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen,, der Gesellschaft und dem Staat (1875) . . . . . . . . . . . . . . *Erfahren und Denken. Eine Studie zur erkenntnistheoretischen Logik des 19. Jahrhunderts (1892). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge zur-Lösung der Frage vom Ursprung unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt und seinem Recht (1890) . . . . . . Der Satz der Phänomenalität . . . . . . . • . . . . . . . • . . . . . . . Die intellektualistische Ausdeutung dieses Satzes. Der Phänomenalismus . . . Die herrschende naturwissenschaftliche Hypothese über den Ursprung des Glaubens an die Realität von Objekten Das Prir.zip der Erklärung . Historische Bemerkung . . Impuls und Widerstand . . Der Druck der Außenwelt . Die leibliche Umgrenzung des Eigenlebens und die Außenwelt Gesichtswahrnehmung und Außenwelt . . . . Der Glaube an dae Realität anderer Personen Die Realität der äußeren Objekte . . . . . . Bestätigende Schlüsse aus den Modifikationen des Bewußtseins der Realität. Bestätigung aus der Lebendigkeit der Dinge für das Kind und den Naturmenschen Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . *Zusatz. Das Verhältnis der Intelligenz zum Glauben an die Rt;alität der Außenwelt Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (1894) Erstes Kapitel. Die Aufgabe einer psychologischen Grundlegung der Geisteswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . Zweites Kapitel. Die Unterscheidung der erklärenden und der beschreibenden Psychologie • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittes Kapitel. Die erklärende Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . Viertes Kapitel. Die beschreibende und zergliedemde Psychologie . . . . . . Fünftes Kapitel. Verhältnis der erklärenden und beschreibenden Psychologie. Sechstes Kapitel. Möglichkeit und Bedingungen der Auflösung der Aufgabe einer beschreibenden Psychologie. . . . . . . . Siebentes Kapitel. Die Struktur des Seelenlebens . . . . . . . . . . . . . Achtes Kapitel. Die Entwicklung des Seelenlebens. Neuntes Kapitel. Das Sturlaum der Verschiedenheiten des Seelenlebens. Das Individuum Anmerkung . . .

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ln!Jalt Seite

[Über vergleichende Psychologie.] Beiträge zum Studium der Indi· vidualität (1895/96) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . *I. Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften . . . . . . . . . • • . II. [Die Methoden.] Gleichartigkeit der Menschennatur und Individuation . III. Allgemeine Gesichtspunkte in bezug auf die menschliche Individuation . IV. Die Kunst als erste Darstellung der menschlich-geschichtlichen Welt in ihrer Individuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . • . *V. Gang der vergleichenden Geisteswissenschaften bis zur methodischen Bearbeitung des Problems der Individuation Die Entstehung der Hermeneutik (1900) . • Zusätze aus den Handschriften. . . Das Wesen der Philosophie (1907) . . . . Einle1tung . . . . . . . . . . . . . . . Erster Teil. Historisches Verfahren zur Bestimmung des Wesens der Philosophie I. Erste Bestimmungen über den allgemeinen Sarede in der Berliner Akademie der Wissenschaften, die Dilthey selbst schon in diese Sammlung aufgenommen hatte; aber auch sie

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Vo,-bericnt des He,-ausgebns

reicht, 1887 gehalten, nur bis an den Anfang der Periode, aus der die Hauptschriften dieses Bandes stammen. Wir fügten d:e Rede ein, die er 1903 zu seinem 70. Geburtstag im Kreise seiner Freunde und Schüler gehalten hat und die damals nur in einer Tagesze:tung mitgeteilt wurde. Und dann fand sich im Nachlaß jene Baseler Antrittsvorlesung: sie hat zwar ein allgemein geistesgeschichtliches Thema, handelt von der "dichterischen und philosophischen Bewegung in Deutschland 1770- r8oo'', aber diese Deutsche Bewegung ist bei ihm nicht bloß ein Objekt geschichtlicher Forschung, und zwar ständiges Objekt seiner cigensten geistesgeschichtlichen Forschung, sondern ein Ort der Ursprünge seiner geistigen Existenz, in seinem persönlichen Geist als wirkende Kraft gegenwärtige Geschichte; und wie ihm diese Geschichtlichkeit des geistigen Lebens eines Menschen den Schlüssel für das Begreifen der menschlichen Individuation gab, entspricht es seiner "Auffassung und Analyse des Menschen", wenn diese Darstellung der geistigen Bewegung von 1770 bis 18oo an die Selbstzeugnisse des 1833 Geborenen angefü:gt wird. Diese Zufügungen sind doch kein Ersatz für das, was Dilthey in der Vorrede hatte geben wollen: die Darlegung des inneren Zusammenhanges seiner Gedanken. Daß er eine solche autobiographische Einführung für diese Sammlung abweichend von seinem sonstigen Brauch angemessen fand, zeigt das Gewicht, das er ihr gab, und stimmt dazu, daß er für sie als Titel seinen Grundbegriff: "Die geistige Welt" wählte und sein anderes Kennwort hinzufügte: "Philosophie ides Lebens". Unsere Ausgabe des Bandes, die seinem Plan gemäß geschieht, kann nicht versuchen wollen, die abgebrochene Vorrede ;zu Ende zu führen. Nur der für das Verständnis unerläßliche Zusammenhang der hier nachgedruckten Aufsätze muß angegeben werden wegen des besonderen Gewichts, das dieser Band hat als Sammlung der Hauptmasse dessen, was Dilthey von seinen systematischen Arbeiten in Fortführung der "Einleitung in die Geisteswissenschaften" der Veröffentlichung wert und reif befunden hat, während das Werk selber, in dem alles seine Ste:le bekommen und durch seine Stellung in dem Ganzen seine bestimmte Bedeutung zeigen sollte, nicht zur Vollendung gekommen ist. Auch müssen die Aufsätze, die noch in die gegenwärtige Arbeit der Philosophie eingreifen, vor Mißdeutungen geschützt werden, denen sie in ihrer Vereinzelung ausgesetzt sind. Eine Sammlung verschiedener Abhandlungen, bloß aneinandergereiht, tritt hier mit dem Anspruch eines Ganzen auf, den der Titel ausdrückt. Die einzelnen Stücke gehören verschiedenen Zeiten an, nacheinander hervortretend durch vier Jahrzehnte hin; und die Jahresdaten der Aufsätz·e bedeuten dabei mehr als eine Anzeige ihrer Stellung im Ablauf der Entwicklung

Der innere Zusammmkang der Gedanken

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ihres Urhebers, in der allmählich die verschiedenen Teile seiner Gedankenwelt mit entschiedenerer Fassung des Ganzen zur festen Gestalt heranreifend, ablösbar wurden aus dem Fluß seines Denkens; sie zeigen vielmehr zugleich, in einer bei maßgebenden Denkern sonst nicht üblichen Weise, die Beziehung seiner Gedanken zu der jeweiligen Lage der um ihn her sich bewegenden Philosoph:e seiner Zeit an: wie etwas dem Historiker Selbstverständliches hat er das beim Rückblick auf seine Schriften bemerkt (V 3): daß sie "durch die aufeinanderfolgenden Lagen der philosophischen Entwicklung bestimmt waren". Dies Bestimmtwerden betrifft nun freilich nicht die Sache selbst, sondern nur die Formulierung des eigen Gesehenen und Gewollten: in der diskursiven Fassung seiner Gedanken glich sich Dilthey leicht an die jeweilige Zeitlage an. Auch das wiederum betrifft weniger die schulmäßig philosophische Entwicklung, die Diskussionen der Logik und Technik der Philosophie -- an ihnen nahm er vielmehr kawn teil, selbständig seinen eigenen Weg gehend -, sondern es war d:e Entwicklung der Erfahrungswissenschaften einschließlich der Psychologie, mit der er konform gehen wollte: da konnten ihn Arbeiten anderer, in denen er etwas ihm Verwandtes fand oder zu finden glaubte, dazu veranlassen, dieses still gewachsene Glied aus seiner Gedankenwelt heraufzuholen, es abzulösen und für die Mitteilung aJuszugesta1ten, und sie gewannen dann auch wohl Einfluß auf die Ausgestaltung selbst. Dieses Aufnehmen und Stehenlassen herangebrachter oder traditioneller Formulierungen verdeckt nun leicht die eigentliche ursprüngliche Intention. Und solchen Mißdeutungen soll begegnet werden durch eine Angabe des Zusammenhangs dieser Aufsätze. Die Ausführlichkeit sei damit gerechtfertigt, daß in d!eser Form sich manches aus seinen Handschriften mitteilen läßt, was sonst, nach der A~t dieserHandschriften, sich der VeröffentliChung entzöge. Die Schriften haben - nach Diltheys eignem Wort zu Anfang der Vorrede - ihre Einheit "in dem fast leidenschaftlichen Impuls seiner Ju,gend". Es war Dilrhey auch in seinem reifen Alter nicht vergönnt, das Werk seines Lebens, das aus dem Impuls seiner Jugend hervorging, in vollendeter Gestalt gleichsam zeitlos aus sich herauszustellen. Der erste Anblick des Verwirklichten gibt sogar den Eindruck des Fragmentarischen, den auch diese Sammlung zunächst erweckt: "Bausteine zu ... ", "Ideen über ... ", "Beiträge zu ... ", die einzelnen Arbeiten brechen vielfach plötzlich ab und sind in der Regel nur bei einer Gelegenheit fertig gemacht. Und die Rede beim 70. Geburtstag mit ihrem Schluß, der das Werk seines Lebens den Schülern überantwortet, erscheint wie ein Dokument für dieses Unvollendetsein, das

Vorbericltt des Herausgebers

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einem skeptischen Bewußtsein von dem fragmentarischen Charakter alles Empirisch-Menschlichen, des empirisch genommenen Lebens selber entspräche. Und doch ist das ein bloßer Anschein. Er entsteht, sobald man die einzelnen Arbeiten als Bearbeitungen versch:edener Probleme in fachwissenschaftlicher Orientierung ansieht und nicht als das, was sie sind und nach dem Gesamttitel: "Einführung in die Philosophie des Lebens" auch sein wollen: Durchbrüche einer eignen philosophischen Intention, die in dem untersuchenden Gange von Einzelforschungen sich als Wissenschaft festzu s t e 11 e n sucht, bei diesem Sichfeststellen als Wissenschaft a her in einer Mischung von Unsicherheit des Vorantastens und kritischer Zurückhaltung, die aus dem Ernst der wissenschaftlichen Gesinnung entspringt, den originalen Impuls bescheiden mit der Situation der Forschung um ihn her verknüpft. Es sind Untersuchungen, die von einem bleibenden Mittelpunkt aus immer weitere Kreise ziehen, wo jedes Stück seinen Hintergrund hat, in dem sie alle zusammenhängen und der jeweilen schon viel weiter durchgearbeitet war, als d:e meist kurz abbrechenden Aufsätze vermuten lassen. Die Handschriften des Nachlasses zeigen das. Jedes Stück wurde von Dilthey bei der Veröffentlichung herausgelöst aus umfassenden Forschungen, mit deren Herausgabe er noch zurückhielt. Blickt man in d:esen Hintergrund, so stellt sich das Bild von dem fragmentarischen Charakter Diltheyscher Arbeiten zurecht; die Stücke erscheinen vielmehr als Teile eines echten Ganzen; dieses ist als Einheit in der Weise einer einheitlich Wirkenden Kraft, die in ihrer eigenen Richtung vorwärts geht, auch voll da in Diltheys Produktion, aber kommt in der Reflexion über den Sinn des eignen Tuns und Strebens, die seine Produktion ständig begleitet und das Grundthema dieser Bände ist, nur Teil für Teil im sachdenklicher Arbeit zur logischen Klarhe:t und nicht durchweg zu radikalen, eigentlich ausdrückenden Begriffen. An dieser Stelle, bei der Überführung der intuitio in ratio, der dornigen Stelle aller Philosophie, ist der Grund des scheinbar Fragmentarischen und wirklich Unvollendeten zu suchen. Das ist nichts bloß Persönliches mehr und dann Negatives - Mangel an Gestaltungskraft oder Begriffskunst -, sondern hängt an seiner positiven philosophischen Tendenz, die er Lebensphilosophie nannte - "das Leben aus ihm selber verstehen wollen" - und deren wissenschaftlicher Wendung. I

Unsere Sammlung gibt als Abschluß der ersten, die Grundlegung betreffenden Hälfte die Abhandlung über ,,Das Wesen der Phi:osophie'', aus der späten Zeit, von dem 74 jährigen. Ein durch ein halbes Jahr-

I. Die Idee der Pltilosopkie

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hundert fortgehendes Ringen mit der Idee der Philosophie lag hinter ihm. Als junger Mensch, mit 25 Jahren, hatte er, über das Verhältnis der Philosophie zur Religion nachs:nnend, sich ins Tagebuch geschrieben, über den Begriff der Philosophie sei "noch v:el Wenigeres wirklich gefunden, nicht bloß enthusiastisch geredet, als über den der Religion"; die ihm vorschwebende Aufgabe e:ner "neuen Kritik der Vernunft" bezeichnete er da mit romantischem Ausdruck Schlegelscher Form, der aber zugleich der Ausdruck für die eigene, in seinem Alter realisierte philosoph:sche Intention ist, als "eine Philosophie der Philosophie"; sie würde "Kants Unternehmen würdig fortsetzen" ( 18 59). Mannigfaltige Bestimmungen des Begriffs der Philosophie hatte er inzwischen teils selber durchschritten mit seiner Zeit - jener philosophisch unsicheren, zur Philosophie erst wieder sich durchfindenden Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts -, teils waren sie ihm in der Durchforschung der Geschichte der Philosophie gegenwärtig. Seinem reifen Alter, das, anschauungsgesättigt, ohne die Sorge, nur sich selber zu objektivieren, den Wesensbegriff zu geben wagen konnte, gelang es, diese verschiedenen inhaltEeben Bestimmungen aus der Einheit der Philosophie zu entwickeln, als ein Sichgliedern der ursprünglichen Einheit zum bez:ehungsreichen Ganzen zu begreifen; es gelang mittels des Begriffs der Struktur, und diese Abhandlung ist ein Musterbeispiel für sein Verfahren der strukturellen Analyse, dessen Au3bildung ein Hauptglied in dem Grundthema dieses Bandes ist. Bevor er dieses Verfahren immanenter Systematik voll besaß, die Zusammengehörigkeit verschiedener Bestimmungen eines Ganzen als desseneigne lebendige Gliederung begrifflich faßlich zu machen, sah er das Ganze der Philosophie in der Form der Polarität konträrer Gegensätze, die durch das schaffende Leben zur Einheit kommen sollten: Philosophie als Wissenschaft und als Weltanschauung.

Die Wissenschaftlichkeit der Philosophie ist sein dringendstes Anliegen, sein kantisch-aufklärerisches Ethos: "Das moderne wissenschaftliche Bewußtsein". Er steht da zusammen mit den artderen, naturwissenschaftlich orientierten Denkern seiner Generation, die, nach Hegels und Goethes Tod geboren, in den 6oer Jahren, umgeben vom Materialismus einerseits, demspekulativen Theismus der Reaktionäre anderseits und der freien genialischen Lebensdeutung Schopenhauers dazwischen, als Antimetaphysiker vorwärtsgingen, zur Wiederaufrichtung wissenschaftlicher Philosophie auf dem Fundamente Kants sich sammelnd, ohne scharfe Grenzlinien noch zwischen Kritizismus und Positivismus. Die Antrittsvorlesung in Basel, 1867, proklamiert seine

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Vorlerickt des Herausgebers

Zugehörigkeit zu dieser Richtung, damals in den Anfängen der neukantischen Bewegung, proklamiert das als den Willen zur Wissenschaft, der sich hier durchsetzen wollte, "kämpfend mit der Ungunst dieser Epoche gegenüber strenger Forschung, kämpfend mit Wind und Wetter". Aber sein Enthusiasmus für die Wissenschaft hat nicht wie bei den Kantianern sonst von vomherein den "Hintergrund einer ganz determinierten Stellung", sondern häJt ihn gerade davor zurück, in die Philosophie eintretend, seinen Standpunkt gleich zu fixieren: nicht bloß aus Unentschiedenheit, sondern weil er das Gefühl einer neu anbrechenden Zeit hat, "wie in dem Grau des Morgens zu stehen", und den starken Glauben an das Übermächtige im Leben, das den einzelnen zu seinen Zielen hinzieht und ihn auch in Form der WiJSsenschaft unmittelbar mit dem Höchsten verbindet, nachdem die Zeiten der Poesie vorbei sind: "daß der Drang der Zeiten und ihr inneres, gärendes Streben mit uns ist und unserem Tun. Er war bei dem bunten Treiben zu Weimar; er war auch mit dem ernsten Bibliothekar zu Wolfenbüttel; auch bei unserer nächtlichen Lampe ist er." So spricht er, 26 jährig, bei der Aufzeichnung seiner Jugendpläne (1859) von der "Gewalt, welche der innere Verlauf des wissenschaftlichen Lebens über den einzelnen übt, welche ihn wie ein Daimonion beseelt, seine Leidenschaft, dieSedeseines Lebens wird". Aus diesem wissenschaftlichen Gewissen geht, in der Erkenntnis der Lage seiner Zeit, als Form seines Philosophierens planmäßig geübt, das Forschen, Untersuchen, Sich-Einstellen in den Zusammenhang der fortschreitenden Forschung hervor: "Da ich mein Leben hindurch einen ganz untersuchenden Gang zu gehen entschlossen bin, kann (die Stellung) noch nicht so in mirdeterminiert !:Iein." (1865) "Wir verschmähen die Konstruktion, lieben die Untersuchung, verhalten uns skeptisch gegen die Maschinerie eines Systems ... Wir sind zufrieden, am Ende eines langen Lebens vielfache Gänge wissenschaftlicher Untersuchung angebohrt zu haben, die in die Tiefe der Ding,e führen; wir sind zufrieden, auf der Wanderschaft zu sterben" - männliche, mündige Reife des wissenschaftlichen Bewußtseins gegenüber dem konstruierenden Ansturm der Epoche von Fichte bis zu Schleiermacher, die, "noch jug~ndlich, das Wesen der Dinge ergriffen"; illusionslose Härte des kritischen Geistes, Geist seines geliebten Lessing, über den er sich um eben diese Zeit (I 864) in seinem Tagebuche notiert: "Er stellte überall den Systemen gegenüber die Freiheit wieder her, welche keine Leerheit war, sondern schöpferischer Hang aller Geisteskräfte. Er führt uns auf einen Turm zu freier übersieht. Er zeigt nicht, was er sah, er macht sehen.'' So gehört zu seiner wissenschaftlichen Haltung von Anfang an die Abwehr gegen den esprit de systeme, wie man im I 8. Jahrhundert

I. Wissmsckajt und Weltansckauung

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sa,gte, gegen "den falschen Systemgeist", wie er selber (um 187 5) mit Bezug auf Hegel sagte. "Exakte Untersuchung in philosophischer Absicht" ist die Aufgabe; sie liefert die "Bausteine zu dem allmählich in langen Zeiträumen sich realisierenden SySitem". Seine erste systematische Veröffentlichung, die Abhandlung von 187 5, mit der dieser Band beginnt, bezeichnet sich denn auch (V 35) als "historische Forschung in philosophischer Absicht" und demnach als "eine bestimmte Klasse der exakten Forschungen in philosophischer Absicht"- das hat diesen Hintergrund. Er .macht für das eigene Schaffen Ernst mit Hegels Anschauung von der Gliedhaftigkeit jedes philosophischen Gedankens in der Gesamtentwicklung der Philosphie, mit dem, was er später "das historische Bewußtsein" nannte, d. h. der zweiseitigen Anschauungsweise, die "in jeder geschichtlichen Leistung die Begrenzung und zugleich die Bedeutung im universalgeschichtEeben Zusammenhange" sieht. Aber dabei erfaßt er im Gegensatz zu Hegel, im Sinne der historischen Schule, in der er aufwuchs, die Form dieses universalgeschichtlichen Zusammenhanges als einen spezifisch ge s c h ich t 1ich e n Verlauf. Die "wahrhafte und zusammenhäng~nde Geschichte der Ideen, in welcher jeder Fortschritt nur durch einen relativ schöpferischen Akt zu begreifen ist", verläuft in der Wechselwirkung des schaffenden Einzelnen mit den allgemeinen Tendenzen, die seinen Lebensumkreis erfüllen: nicht bloß gegen Hegel, von dem sich seine Zeit abwandte, sondern auch gegen Schleiermacher, in den er sich vertiefte, macht der junge Dilthey seine geschichtliche Anschauung geltend; Schleiermachers Ethik umfaßt das menschliche Dasein von einer Methode aus, die "das Bild des geschichtlichen Werdens der menschlichen Kultur in das ruhender und zeitloser Formen verwandelt", und aus dieser "Verwandlung des fortschreitenden Geschehens in ein Nebeneinander der zugleich wirksamen Mächte des menschlichen Daseins" entspringt ein Schema für die Konstruktion der geistigen Welt, welches das Band zwischen dem gemeinsamen Leben und dem persönlichen Schaffen zerreißt, das Schema der Entgegensetzung des Identischen und des Eigentümlichen. Für die Entwicklung der Ideen ist "d:e Alternative: entweder identische Produktion oder synthetische Bildung aus der Individualität durchaus falsch". Und diese Verwerfung gibt er mit einer auf historischer Erkenntnis begründeten Entscheidung über die Bedeutung des Lebens, über das, was "den objektiven Wert" eines Werkes bestimmt: "Nicht, um zu sein, ist der Mensch da, sondern um zu handeln; nicht, was sein Werk im ganzen seiner Individualität ist, sondern was es im Verlauf der Entwicklung ist, in die es eingreift, macht seinen Wert aus. Und was von seinem Wert gilt, gilt auch von seiner Entstehung. Denn der Mensch hat nicht nur die Ideen, welche

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Vorberit:llt' des Herausge/Jen

werkbildend in ihm wirken, sondern wird von ihnen gehabt. Und aus der Lage des Kreises, in welchem sein Tun sich bewegt, entsptingen die Impulse der eigentümlichen Gestaltung desselben durchaus überwiegend." Diese historische Anschauung vom geist:gen Schaffen ist bei Dilthey als regulierende Idee in se:nem Schaffen selber wirksam, so daß hier Lehren und Leben sich decken. So wird sein Sicheinstellen in den universalgeschichtEeben Zusammenhang, jenes Bejahen der "Gewalt, welche der innere Verlauf des wissenschaftlichen Lebens über den einzelnen übt", welches die Stelle seines Zusammenschlusses mit der Deutschen Bewegung war, zugleich der Ort des Abstoßes, wo er gegen den "konstruktiven Geist" des deutschen Idealismus angeht, um statt der spekulativen Systematik den un~er.ruchenden Gang der Wissenschaft als den Lebensnerv auch der Philosophie einzusetzen, und zwar sowohl in der Auffassung der Sache wie in der Sache selbst, dem im geschichtlichen Verlauf sich bildenden Zusammenhang. Auch für die Entwicklung der Philosoph:e, für das allmählich "sich r~lisierende System" trifft die Verlaufsform cler anderen Wissenschaften zu, das Ineinandergreifen vieler Denker Uilld Forscher, ihrer Untersuchungen und Entdeckungen. Aber das Begreifen der Welt in Ganzheit! Bei aller Angleichung der Philosophie an die Einzelwissenschaften ble:bt doch jenes philosophische Streben nach Erkenntnis, das "erst in irgendeiner Totalansicht der Welt und des menschlichen Lebens sich zu befriedigen vermag". Hier, allgemein bei der Bildung eines Ganzen, wo der Zug zur Totalität ist, den Kant als wesentlich für die "Vernunft" abgrenzte, liegen seine Probleme. Und da tritt die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Weltanschauung innerhalb der Philosophie auf. Diltheys Antwort ist nicht mit einem Schlage gegeben; er will gerade hier untersuchend vorgehen, während er doch bei seinem wissenschaftlichen Tun schon als Philosoph am Werke ist; in diesem seinen Vollbringen entwickelt sich das philosophische Wesen seiner Wisse.n.schaft, ehe ·es sich noch begrifflich als Philosophie klar ist. Zunächst, in den Anfängen der Entwicklung - in Manuskripten der Frühzeit, die er nicht veröffentlicht hat - gibt er e:ne einfache intellektuelle Entscheidung in Kantischer Lin:e: jenes allmähliche "Sichrealisieren des Systems" der Philosophie gesch:eht in den auf exakten Untersuchungen, die zu Ende geführt sind, beruhenden Leistungen der Philosophen; diese Leistungen - gemessen noch an dem vorhandenen Begriff der Wissenschaft und nicht d~m der Lebensbesinnung -, und sie allein, sind die "Bausteine zu einer haltbaren Weltansicht"; wogegen eine jenem objektiven Verlauf vorauseilende Totalansicht, so unveräußerlich das Streben danach auch ist, doch

I. Wissenschaft und Weltanschauung

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nur die philosophierende Persönlichkeit angeht und nicht den wissenschaftlichen Belang so:cher "Bausteine" hat. Die Richtung auf Totalität liegt den wissenschaftlichen Leistungen der Philosophen zugrunde, aber terminiert auch in diesen Leistungen; diese fügen si.ch aneinander, hängen untereinander zusammen, einem werdenden Ganzen angehörend; die Erfüllung des Ganzoo ist nicht Sache des einzelnen Denkers. Es handelt sich um den Zusammenhang der Geschichte, der "wirklich stattfindet". Falsche Systemsucht hat seit Hegel im Begriff der Geschichte der Philosophie diesen Zusammenhang verfälscht, dadurch, daß man ibn als einen Zusammenhang zwischen metaphysischen Standpunkten konstruierte. "Wir müssen unsere Vorstellungen vom phi.:osophischen Kopf und der philosophischen Arbeit reformieren nach der Natur der Sache, mit der dann auch die Arbeitsweise der großen Denker wohl übereinstimmt." "Aus dem Bedürfnis eines großangelegten Individuums, eine solche Totalansicht zu entwickeln, treten durchgeführte Arbeiten hervor, exakte Forschungen in philosophischer Absicht, d. h. in Verfolgung se:nes großen Lebensplanes gelangt es zu wesentlichen Entdeckungen. Aber von einem gewissen Punkte der Forscherbahn ab ist dann alles Versuch, Bruchstück, vorläufiger persönlicher Abschluß für sich, für die Freunde, für mündliche Mitteilung, als Grundlage künftiger exakter Durcharbeitung.'' Am Ende seiner Laufbahn entschied er anders. "Das Genie auf dem Gebiet von Kunst, Religion, Philosophie trägt in sich die Möglichkeit, sich durch Individualität Ewigkeit zu verleihen. Mittelstellung der Historie: die Art zu sehen dauert, der Stoff veraltet. . . . Im Gegensatz dazu ist die positive Wissenschaft. Aufgabe der Person an die reine Objektivität. Die Leistung dauert, aber nicht das Individuum - stärkere Tendenz als Fortexistenz." Jene Stellungnahme war die Entscheidung des Antimetaphysikers. Ihr zugrunde liegt die Ablehnung des Hegeischen Prinzips von der Vernünftigkeit des Wirklichen, die das alte metaphysische Prinzip überhaupt ist. Die Zeit, in der Dilthey aufwuchs, hatte mit Hegels Dialektik gebrochen. Das bot sich ihm in jungen Jahren in der Schule Trendelenburgs dar; da notierte er sich (I 8 59) : "Diese vernünftige Gestaltung der Welt erwies sich als eine Illusion in Natur und Geschichte. Die Unregelmäßigkeit der Welt hat keine andere Vernunft in sich als das Gesetz." Und damit scheint nun der Weg vorgezeich.net für sein wissenschaftliches Streben - ein Weg aber, der, für sich genommen, ihn darauf beschränkt hätte, in der breiten Bahn der Philo· sophie der zweiten Hälfte des I 9· Jahrhunderts eine Grundlegung der Wissenschaften, sei es kantisch, sei es rein positivistisch, durch D i I t h e y, Gesammelte Schrlftea v

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Vor!J~icllt

de!__ Herausgebers

Logik oder im Anschluß an die neu sich entwickelnde Psychologie zu geben. 2

Philosophie ist eine Einzelwissenschaft, sie ist "nichts anderes als eine weitere Steigerung des w:ssenschaftlichen Geistes." "Wenn man erwägt, was menschliches Wissen sei, auf welch ein Segment der Dinge sich das Philosophieren bezieht, so begreift man d:e philosophische Eitelkeit nicht, welche von einer Suprematie über die "Einzelwissenschaften" träumt (I 8 59). "Philosophischer Geist und Philosophie sind überall nichts anderes als eine die Grenzen der abgesondert bearbeiteten positiven Wissenschaften überschreitende Richtung auf die Verallgemeinerung und Verknüpfung. Aus diesem Wesen desselben folgt erst als sein Merkmal, daß er sich zu den einzelnen Wissenschaften als Wissenschaft derselben verhält, als ein anderes nicht minder charakteristisches Merkmal, daß er von dem Zusammenhang des Ganzen aus die einzelnen Fragen tmternimmt. . . . Philosophischer Geist in der Behandlung e:ner einzelnen Wissenschaft ist die Stellung und Lösung der Einzelfragen von einem umfassenden Zusammenhang aus und mit den Mitteln desselben" ( 187 5). Die durchgreifenden Mittel, "mit diesem Zusammenhang dem einzelnen Problem gegenüber zu operieren", "die beiden großen Hilfsmittel", deren der Philosoph sich bedient, sind: Logik und Psychologie, beide im weitesten Verstande genommen, die mächtigsten Instrumente zur Erweiterung des menschlichen Wissens. Logik also im Sinne von Methodenlehre. Es gibt demnach statt des Gegensatzes von Philosophie und positiver Wissenschaft vielmehr einen Stufengang von den positiven Wissenschaften zur Philosophie empor, der bestimmt ist durch "eine Reihenfolge von Graden der philosophischen Verallgemeinerung". Das ergibt nun zunächst einfach die Behauptung der Immanenz der Philosophie in den positiven Wissenschaften - eine zeitübliche These, die ein Ausdruck für die damalige Lage der Philosophie· ist. Denn nach der Auflösung der idealistischen Systeme wurde nun auch in Deutschland der Mittelpunkt der Philosoph:e in die Organisation des Zusammenhanges der Erfahrungswissenschaften untereinander verlegt, und das ist die wesentlich positivistische Wendung. Die Immanenz des philosophischen Geistes in den Wissenschaften wurde denn auch von anderen in dieser Situation bemerkt und als Erfüllung der Philosophie bejaht, innerhalb der Kautbewegung z. B. von Riehl, der damals ( 187 4) ausdrücklich die Frage stellte, wo die Phi.!osophie in der Gegenwart lebendig sei, und mit dem Hinweis auf Helmholtz und Robert Maier antwortete. Dilthey käme so neben die großen Forscher

I. Per Dualismus von Wissenschaftstheorie um! LebeRSJ!ertaltung

XIX

des Jahrhunderts zu stehen, die durch die universale Richtung und erkenntnistheoretische Begründung ihrer wissenschaftlichen Arbeit einen philosophischen Rang besitzen, und der Unterschied wäre nur ein gebietsmäßiger: daß er die Immanenz der Philosoph:e auf dem Gebiet nicht der Natur-, sondern der Geisteswissenschaften vertritt, auch hier doch keine ganz einsame Erscheinung, sondern Forschern wie Haym, Riegl, Semper oder dem Ihering des römischen Rechts vergleichbar. Und er selber faßte die Lage auch so: "Es gibt nur zwei Klassen philosophischer Forscher: diejenigen, welche zugleich mittätig sein können an den Fortschritten der mathematisch-physikalischen Wissenschaften und die anderen, welche es können an denen der historischen und poliüschen." "Es ist ein Geschäft des philosophi· schen Geistes, den Zusammenhang der Wissenschaften vom Menschen und seiner Kultur zu umspannen" ( 187 5). Dieses "Geschäft" gibt die Baseler Antrittsrede als die Aufgabe seiner Generation an, und gleich in seiner ersten Vorlesung - "Logik und System der philoSiOphischen Wissenschaften": so, aufs Ganze gehend, begann er als Privatdozent, 186 5 - stellte er in seinen Plan, nächst der Fortbildll'ng der erkenntnistheoretischen Grundlegung Kants, dies auf: "Die Philosophie umfaßt selber die grundlegende und mehrere sehr wichtige unter den Wissenschaften des Geistes. So tritt sie, in erster Stelle, in den großartigen Zu5ammenhang von Untersuchungen ein, welche die von allen Schulund Fakultätsteilungen befreiten Wissenschaften des Geistes bilden müssen." Man spürt in diesen Sätzen die leidenschaftliche Energie des um eine große Sache Kämpfenden; im Kampf mit den vorherrschenden Naturwissenschaften mußte Dilthey die ihn bewegende "Überzeugung von dem Zusammenhang einer Erfahrungswissenschaft der geistigen gesellschaftlichen, geschichtlichen we:t" durchsetzen, der vor ihm stand und seine Lebensarbeit in sich schloß. Aber so wesentlich se:n Ergreifen jener Aufgabe war für die Begründung der Selbständigkeit der Geisteswissenschaften, so fruchtbar auch dadurch das Vermächtnis der deutschen Bewegung angelegt wurde, die das Eigenwesen der geistigen Welt erkannt hatte und mit dieser Erkenntnis den Positivismus in Schach hielt: diese Leistung Diltheys, so formuliert als die Verbindung der Philosophie mit den Geisteswissenschaften, durch die eine zweite ebenbürtige Klasse von philosophischen Forschern neben die Naturforscherphilosophen tritt, bedeutet noch nicht eine grundlegende Erneuerung der Philosophie selber. Die eigentliche Intention muß tiefer liegen. Das Ungenügende dieser Bestimmung zeigt sich aber erst ganz, wenn man sie nach der anderen Seite hin verfolgt, wo die zum \Vesen

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Vor6ericAt des

Herausg~ers

der Philosophie gehörige Beziehung zur Weltanschauung sich geltend macht. Da war schon ein Gegensatz aufgestellt in der Weise, wie Dilthey die exakte Untersuchung und die Totalansicht auseinanderhält. Nun erscheint hier vollends eine Zweiteilung: Kants Scheidung von Er· kenntnis und Ethik tritt ein, und dies wiederum in einem bloß zeitgemäßen Schnitt, der den Riß unbekümmert nachzeichnet. In einer Tagebuchaufzeichnung aus früher Zeit (I 861) stellt Dihhey so glatt wie Lotze einander gegenüber: "das System der Gesetze oder die Wissen· !">chaft" und "das System der bedeutsamen und wertvollen Existenz oder die Weltanschauung"; jenes hat unbedingte Gewißheit, dieses nicht, aber doch auch "nicht eine bloß individuelle; dieselbe beruht auf dem Glauben an uns selber und die innere Treue der Natur" - an anderer Stelle sagt er damals ( 18 59) direkt cartesisch: "dieser ethischreligiösen Fundamentalhypothese können wir doch nicht entraten, die Natur unseres Geistes ist nicht Täuschung, Gott lügt nicht". "Die Philosophie kommt nur durch, wenn sie verschiedene Grade und Motive der Gewißheit ann:mmt." In derselben Linie liegt die Formu· lierung in seinem Baseler Programm von 1867, wo er Kants Resultat an den Anfang stellt (V 12): Der Gegensta.nrl der strengen Erkenntnis ist der gesetzmäßige Zusammenhang der Erscheinungen. "Also die übersinnliche Welt ist keiner WissenschaftEehen Forschung zugänglich: sie ist auf der Gesinnung des Menschen gegründet" - während er doch zugleich in derselben Rede (V 18, 24), die Auseinandersetzung mit der Theologie im Sinne, Lessings Lebens:deal gegen das "weit einseitigere" Kants stellt und anderseits für die wissenschaftliche Bewegung der Gegenwart Goethes Naturbetrachtung im Sinne hat: "So ruht Goethes forschendes Auge noch auf dem, was wu heute tun." In den späteren systematischen Schriften wirkt die!">er Zweiteilung noch nach; in unserem Bande tritt sie gleich zu Anfang auf, in der das Studium der Geistesgeschichte einführenden Abhandlung, wo er zu den damaligen "Grenzkriegen der Philosophie mit den positiven Wissenschaften" Stellung nimmt, und beginnt (V 48): "Philosophie in denjenigen Grenzen, in welchen sie Wissenschaft ist und nicht in der Gesinnung wurzelt .... " Das ist eine Bestimmung bloß aus der Zeitlage hera·o.~s gleich jener These von der Immanenz der Philosophie in den positiven Wissenschaften, zu der sie das Komplement bildet. Denn nachdem der Mittelpunkt der Philosophie in den Zusammenhang der Erfahrungswissenschaften verlegt und als deren Aufgabe allgemein die Erkenntnis der Ordnung nach Gesetzen bestimmt war, nachdem so die Vernünftigkeit des Wirklichen, die der Philosoph zu ergründen sucht, mit der Gesetzlichkeit gleichgesetzt und

I. Der Dualismus

'lltm

Wissen.rcltaflslluorie und Leben.rcestallunc

XXI

dadurch zu Verstande gebracht war, blieb von dem alten Stamme der Vernunftwü.senschaft Metaphysik ein irrationaler Rest zurück; und der wurde nun an irgendeinen Ort in der Philosophie abse:ts von der Wissenschaft hingesetzt: wo dann entweder eine Epigonenspekulation "zur Befriedigun,g der Gemütsbedürfnisse" von ihm Besitz nahm .xler ein Irrationalismus freier Lebensdeutung, von künstlerischen, ethischen, religiösen Genies getragen, ihm Weltentiefe gab. Und auch hierwurde die Lage von zeitgenössischen Denkern K.antischer Herkunft, wie Dühring oder Riehl, bemerkt und bejaht und als etwas Notwendiges hingestellt, in dem "Doppelbegriff" der Philosophie, der von dem philosophischen System der Wissenschaften die Philosophie als Ges:nnung, Geistesführung, LebensgestaJtung unterschied. Auch noch in der "Poetik" ( 1887) ist dies der Schlußgedanke: die Einheit des geistigen Haushaltes, die im Mittelalter bestand, ist seit der Renaissance allmählich aufgelöst worden. "Der weite Raum, der bis dahin von metaphysischen Konstruktionen erfüllt war, wird nun von der Re!i.gion und der Kunst eingenommen." Fiilr die "dernkende Erfahrung", a.n deren "grenzenlose Leistungsfähigkeit" der moderne, diesseitige Mensch glaubt, ist dieser Raum verschlossen: "Die Wi.ssenschaften der Natur und der Gesellschaft haben den ursäch:ichen Zusammen.hang aller Erscheinungen zum GegenstaJnd. Dagegen die Bedeutung des Lebens, wie die der äußeren Wirkli.chkeit, ist für sie nicht erreichbar." "Da die Religion den Halt metaphysischer Schlüsse auf das Dasein Gottes und der Seele verloren hat, ist für eine große Anzahl gegenwärtiger Menschen nur noch in der Kunst und der Dichtlllllg' eine ideale Auffassung von der Bedeutung des Lebens vorhanden" - in der Poesie als "der authentischen Interpretation des Lebens 5elber". Diese Stellung ist keine andere als die der Naturforscher-Philosophen seiner Zeit, die beim Rückgang auf K.ant die Führung hatten; er selber kennzeichnet sie so, in der Vorrede zu unserer Sammlung, ar. Helmholtz und Lange, denen "die Welt des Geistes nur in der Kim:sb gegenwärtig war" - um nunmehr seine eigene geisteswissensd:lAftliche Intention dem entgegenzustellen I So spricht er auch in der Poetik noch, mit Lange, von der Metaphysik als einer "Begriffsdichtung", was er später (I1497) aus tieferer Einsicht abwehrte; der ganze Be: griff "Philosophie der denkenden Erfahrung" wurde dann von iJun auf eine bestimmte Richtung innerhalb der K.antbewegung eingeschränkt, auf eben die Richtung, die sich des deutsch-idealistischen Eindringens der Philosophie in Leben und Geschichte entschlug Wld so "dann freilich dem Kampf um die tiefsten Schwierigkeiten des Lebensverständnisses entging" (IV 280).

XXII

Voromcllt des Herausg-ebers

Weil das das Zeitläufige war, ist es bei Dilthey nicht das, was sein Streben erschöpfen konnte, sondern Formel nur, mit der er vorübergehend sich begnügte, wohl wis!>end, daß man über die gegenwärtige Lage schaffend, erfindend hinausgehen müsse. Denn seine Sehnsucht ging doch dahin, jene Zweiteilung, die die Philosophie auseinanderreißt in theoretische Erkenntnis und praktische Lebensgestaltung zu überwinden, und das aus dem philosophischen Enthusiasmus für die Erkenntnis heraus: den wissenschaftlichen Geist der Ph:.Iosophie so zu erweitern, daß er auch jenes andere sich einzuverleiben vermöchte, was unter Titeln wie Weltanschauung, Gesinnung, Idealbildung, Lebensgestaltung der persönlichen Genialität philosophierender Dichter oder Moralisten überantwortet wurde, wo es nicht der Religion überlassen blieb, die als christlich-ethische mit der griechisch geborenen Philosophie um die Herrschaft in dieser Domäne rang. Nicht um eine bloße Gebietserweiterung der vorhandenen philosophischen Wissenschaft handelt es sich dabei - daß die ErkenntniS!heorie, nachdem sie zu den Naturwissenschaften auch die Geisteswissenschaften als Material oder Objekt überantwortet bekommen hat, nun sogleich noch weiter greift, auf die Weltanschauungen als letztes Objekt ihres kritischen Verfahrens -, sondern eine Fortbildung der ganzen kantischkritischen Haltung steht in Frage: "Selbstbesinnung" statt ·Erkenntnistheorie; Kritik der "historischen" statt der reinen Vernunft - und zwar Umbildung von eben jener weltanschaulich entscheidenden Stelle aus, wo Kant die theoretische uTtd die praktische Vernunft, die Gesetzlichkeit der Natur und die Verbindlichkeit im Reiche der Sitten geschieden hatte: der wunden Stelle des neuzeitlichen, christlich alterierten Vernunftbewußtseins überhaupt, die durch Kant offengelegt war: der kosmisch gebliebene Logos, durch das in Liebe und Glaube subjektiv-seelisch gewordene Ethos gekreuzt, konnte nicht mehr die Ethik schmerzlos ruhig aus der Metaphysik entbinden, um im sittlichen Sein die e:gene Lebensbewährung der Vernunft des Kosmos zu finden, sondern behielt in ruhelos treibender Bewegung den ethischreligiösen Pfahl der Transzendenz im Fleische.

3 Dilthey kam von der protestantischen Theologie her (Sohn eines kalvinischen Pfarrhauses, selber zum Pfarramt bestimmt) zur Philosophie. Er kam von der Religion her zur Philosophie, gle:ch den philosophischen Führern der Deutschen Bewegung im Goetheschen Zeitalter, die gerade aus reformatorischem Ethos heraus darum rangen, jenen von Kant stabilierten Gegensatz der theoretischen tmd der ethisch-religiösen Aufgaben der Vernunft zu überwinden und die Wis-

I. Jmmanemt untl gesclli&/11/iclu

Se/IJstksin~~t~ng

XXlll

senschaftslehre wieder zur Grundlage der Ethik und Religion machten, damit sie, Fichtisch zu reden, "den ganzen Menschen erschaffe". Er ist nicht wie diese gestaltungsmächtigen Denker des deutschen Idealis· mus ein "Verkündiger einer neuen Religiosität" geworden; er scheint diesem Vorgang der "Fortbildung der christlichen Religiosität", die er in Schleiermacher, in Hegel, im entwicklungsgeschichtlichen Pantheismus überhaupt als "die wirksame Kraft" fand (II, 339), nur rückwärts gewandt, in historischer Forschung sich zuzukehren- und doch ist auch für sein philosophisches Wollen "das Ethische und Religiöse" zentral, und seine scheinbar rein objektgeschichtliche Forschung ist gerade der ihm ei.gentümliche Weg des Vollbringens jener deutschidealistischen Aufgabe. Er habe "die Jahre des leidenschaftlichsten Dranges nach Wahrheit dem Studium der Religionsphilosophie und Theologie gewidmet", sei "nachher zur Philosophie gegangen, in der nicht er allein, sondern jedermann, angesichts der ungeheuren Forderungen der gegenwärtigen Wissenschaft nur ewig ein Schüler ist": so bekennt er bei der ersten Arbeit am "Schleiermacher", wie um sich für diese Arbeit zu legitimieren (I 864); und drei Jahre zuvor (in seinem 27. Lebensjahre) hatte er als "Fazit seines Lebens" gezogen: "Mein Beruf ist, das Innerste des religiÖsen Lebens in der H istorie zu erfassen und zur bewegenden Darstellung zu bringen in unseren von Staat und Wissenschaft ausschließlich bewegten Zeiten. Ich wage es, von der Ausbildung und Wirksamkeit einer religiösphilosophischen Weltansicht zu reden, die scheinbar unter den Trümmern unserer Theologie und Philosophie begraben ist" ( I 86o). Als er dann nach einem Menschenalter beim Zusammennehmen seiner wissenschaftlichen Lebensarbeit seinen Standpunkt der "Selbstbesinnung" formulierte, legt er - in einem Entwurf für den 2. Band der "Einleir tung" (um I890/95) - das Motiv derselben fest: "Das Leben bedarf, um Krankheit, Tod, Verkennung usf. zu ertragen, einer Bewußtseinsstellung. Gibt diese den meisten Menschen die Religion, so bedarf es nach Auflösung der Dogmen für die gebildeten Klassen einer Form derselben, die, religiös oder phi!osophisch, aus Besinnung entspringt." Er spricht doch schon in jener Jugendzeit, wo er, Dichtung und Musil. u:ud Philosophie in eins m:t der Religion im Herzen, sich von der Theologie losmachte, von "unserer historisch-philosophischen Weltansicht". Jenes "Innerste des religiösen Lebens", das er in der Historie darstellen will, ist ihm da zwar wesentlich im Christentum! gegenwärtig, aber das Wesen des Christentums liegt ihm nicht in der Botschaft vom Kreuz. Er plante in diesen Jugendjahren, in denen er sich von der Theologie loslöste- als den einen von zwei "gewaltigen" Gegenständen, mit denen der 2 5jährige umging- eine "Geschichte der christli-

XXIV

Vorhricllt d1s Hwatuphn

eben WeltansclJaung des Abendlandes" in Fortsetzung der Arbeiten von Baur, Strauß, Schwegler, die die Geschichte des Christentums im Zeitalter J esu und der Apostel gegeben hatten. Aber während er an diesem Werke arbeitet und sich ins Mittelalter versenkt ( 18 59/60 ), kommt ihm eine innerliche Fremdheit gegenüber jenen religiösen Zuständlichkeiten zum Bewußtsein bis zur Verzweiflung, die "Regungen, Gemütszus.tände, Strebungen", die er erwecken will, wollen sich nicht in seiner Seele erheben: "Es sind in der Tat Tantalusqualen, die der Historiker des Christentums besteht ... ich ringe vergebens, diesem fremden Stoff inneres Leben abzugewinnen. . . . Dieses Mißtrauen gegen die menschliche Natur in ihrer gesunden Ruhe, die mir immer Gegenstand der höchsten Bewunderung war; diese Hast nach dem Jenseits und übersinnlichen Wissen, die mir so gründlich verhaßt ist; dieses Sektenleben, das mir rein unbegreiflich ist." Er liebte es späterhin, seine "Diesseiügkeit" hervorzukehren als die Lebensverfassung des modernen Menschen. Giordano Bruno, Shaftesbury, Goethe drückten diese Einstellung der Welt gegenüber aus, welche die Grundlage seiner Lebenstellung war und blieb. Er hat diese Denker und Dichter als einen großen Zusammenhang aufgefaßt und dargestellt: sie haben durch ihre Lehre von der Immanenz das neuzeitliche wissenschaftliche Bewußtsein überhaupt erst mögli.ch gemacht, und in diesem wissenschaftlichen Bewuß.tsein findet er nun die unserer Zeit gemäße Form jener Diesseitigke:;t und damit die Befreiung von der Theologie und aller "monotheistischen Metaphysik". Dies ist der ursprüngliche Sinn seiner "D:esseitigkeit". "Von~ Erde geht jede Betrachtung aus. Der Mensch, in ihr lebend, von ihr stets zu Fragen angeregt, lebt niemals im Transzendenten. Wo er es scheint, ist ihm sicherlich das Transzendente überall gegenwärtig in der Weit ... Nicht das Transzendente; der Geist in seiner Einzelheit und in seiner Einheit in Gott." D:e sogenannte Richtung auf das Transzendente ist "der Zug einer religiös-metaphysischen Tiefe" im menschlichen "Gemüt". Aber "die Wurzeln des Gemüts sind ein Geheimnis. Ein Geheimnis, ob sie nicht in die Nähe Gottes zurückreichen".- "Daß wi.r's nur recht verstehen, daß wir überall im Geheimnis wandeln. Was hilft es, alles Hohe im Menschen beschlossen zu finden, 1r6AA.a Ta beiva KoubE:v civ9pw1fou betV6Tepov" ( 1861 ).

Diesem Geheimnis nachzugehen, das war der andere J ugendplan, den er im Sinne trug, und oer nun das systematische Ziel seiner Weltanschauungsforschung abgibt, als die ihm aufgegebene Fortsetzung von Kants Unternehmen: "Die kritische Untersuchung des philosophierenden und religiösen (dichterischen) Geistes aus historischem

/. Jmmaneu und gesclliclltliclu Selbstbesinnung

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(psychologischem) Umfassen der Genesis der Systeme und der Systematik" - "eine neue Kritik der reinen Vernunft auf Grund tmserer historisch-philosophischen Weltanschauung" ( 186o) - der Plan einer "Kritik der historischen Vernunft", aus dem dann die "Einleitung in die Geisteswissenschaften" wurde. In dieses systematische Werk ging dann auch der andere Jugendplan ein, die Geschichte der christlichen Weltanschauung, die er zunächst ( 186o) als selbständiges Themaneben der Aufgabe einer Fortbildung der Vernunftkritik wie e:nen rein histich führt, das "erst im Denken gegenständlich wird". "Die innere Erfahrung ist nicht unmittelbar und si.e ist doch objektiv." Dies kann nur auf dem Boden des diskursiven Denkens gezeigt werden, also im Vertrauen zu dessen Erkenntniswert. Der Zirkel in der Grundlegung der Erkenntnis ist unvermeidlich; hier bleibt die Lotzesche Position: der Zirkel muß reinlich begangen werden; nachträglich ist dann durch Analyse der dis· kursiven Denkformen die Begründung ihres vorausgesetzten Erkenntniswertes zu leisten. Und da greift nun die universale Erstreckung der Analyse über das intellektuelle Gebiet hinaus auf die verschiedenen Arten diskursiver Denkakte entscheidend ein; sie wird aus einer blo· ßen Gebietserweiterung der Erkenntnistheorie zu einer Angelegen· heit von logischem Belang. In dem Berliner Entwurf zu dem zweiten Bande der "Einleitung" gibt er das unter dem Titel "Leben und Erkennen" an. Der Vergleich der Behauptungssätze mit den anderen Aussageformen, in denen ein "primärer Denkakt" seinen Ausdruck findet, dem Ausruf als dem Ausdruck von "Gefühls- oder Wertschätzungen", dem Wunschsatz und dem Imperativ, ermöglicht es, die Gleichsetzung des diskursiven Denkakts mit dem Urteil auh;uheben, auf der die Isolierung der in der Erkenntnissphäre durchgebildeten Denkformen und ihre Verfestigung zu einem Eigenbestande als "Logismus" beruht. "Sonach ergibt sich, daß die Denkakte die verschiedenen Bestandteile des

111. Er(aArm unti Denken, Die Struklurformm des Wissens

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Lebensprozesses, wie sie auf Grund der Struktur des Lebens auseinanderfielen, deutlich und klar, sonach durch Unterscheidung oderTrennung, Verbindung usw. zur Darstellung bringen. Sie haben also ihre Basis überall im Lebensvorgang selbst, als welcher ja Bewußtsein ist. Diesen bringen sie zu erhöhter Besonnenheit und erheben so das Leben über den Moment und dessen einzelnen Impuls." Er faßt sich dann in diesem Entwurf so zusammen: "Die elementaren logischen Operationen als die Formen, in denen wir nnser Bewußtsein von Tatsachen zur Deutlichkei.t und Klarheit erheben, sind die Voraussetzung und Bedingung des Erfahrens. Vermittels ihrer erkennen wir aber über sie, daß sie selber Weisen des Erfahrens sind, sonach dieselbe Sicherheit als a:le innere Wahrnehmung haben. So löst sich das vonKant etablierte Verhältnis derForm und des Stoffs desDenkens und die Voraussetzung einer prästabilierten Harmonie zwischen dem Logismus und dem Objekte, weiter rückwärts die ganze metaphysische Grundhypothese der Einheit beider in der Weltvernunft auf durch die analytische Erkenntnis, daß der Logismus auf diese Grundoperationen als Erfahrungsweisen reduziert werden kann. Diese Auflösung empfängt eine unbedingte Sicherheit durch den großen Satz: es ist gleichgültig, ob diese Operationen wirklich ein letztes, ob aus ihnen der Logismus folgt: wir können denselben auf sie, sie auf Erfahrung reduzieren, und so ist er für den logischen Zusammenhang des Denkensauf sie gegründet, gleichviel, welches der genetische Zusammenhang ist." Mit der Auflösung des Logismus ergibt sich als positive Aufgabe der Grundlegung der Nachweis der verschiedenen "Strukturformen des Wissens": gegenüber dem· doppelt beschränkten Ausgangspunkt der herrschenden Wissenschaftslehre einerseits von einer bestimmten Gruppe der Wissenschaften, den Naturwissenschaften vornehmlich, anderseits von der Voraussetzung einer isolierten Intelligenz. In der Breslauer Ausarbeitung findet sich darüber folgende Darlegung: "Der wirkliche Zusammenhang der Tatsachen des Bewußtseins erklärt die tatsächliche, unbefangen aufgefaßte Beschaffenheit der Jurisprudenz, Politik und Ethik, wie der Theologie und Ästhetik. Der Wille ist die Wurzel des Rechts und des Staates, Imperative sind die Aussagen, in denen das juristische und politische Denken, es scheint selbst das ethische, seine erste Form hat; das Livianische: se in armis jus ferre et omnia fortium virorum esse drückt höchst bezeichnend die persönliche Verfassung det Schöpfer des römischen Rechts aus; 1 diese 1 Die lebendige Handlung des Prozesses ist es, welche im alten römischen Recht die Analysis des konkreten Recht!ivcrhältnisses vollzieht (lhering II 3, 14); die leben-

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Vorlllricllt des

Hera~Ugehrs

Beschaffenheit des juristischen, politischen, ethischen Denkens geht dann auch durch die abstraktesten wissenschaftlichen Operationen hindurch. Das sittliche Ideal, die politische Theorie, selbst das Naturrecht, sind die Schöpfung einer Willensrichtung; den einzelnen Momenten, in denen die Wissenschaft sie entwickelt, und dem inneren Zusammenhang derselben liegt der in dem Begriff des Willens entha.l.tene Zusammenhang zugrunde; es besteht ein Zusammenhang der Bewußtseinselemente in dem Willen, welcher verschieden i!>t von dem. der im Intellekt auch da ist, und dieser Zusammenhang bestimmt fundamental die Natur der Wissenschaften, welche die Normen des handelnden Lebens entwickeln; entwickeln in dem Sinne von Gestaltung dessen, was werden soll, nicht in dem einer bloßen BeschreibWJ.g dessen, was wirklich ist. Die Evidenz der theoretischen Wissenschaft, deren Objekt Wirklichkeit ist, ist bedingt durch die Konstitution des VorstellungSI.ebens; das Bestimmende, was ihr als Motiv auf dem Gebiete des Willenslebens entspricht, ist bedingt durch die Konstitution des Willens. . . . Und ist es anders mit der Theologie? Was das Lebensgesetz des theologischen Denkens gewesen, hat erst Schleiermacher erkannt, indem er dasselbe nicht als rein~ 'Theorie, sondern als Aussage über fromlne Gemütszustände faßte. Da er aber nicht erkannte, daß der Satz, der ein Urteil über Wirklichkeit ist, eine ganz andere Funktion hat als ein Satz, der ein Ausdruck eines Gemütszustandes oder eines Willensaktes ist, da er fol·gerecht den durchgreifenden Unterschied zwischen der logischen Konstitution der Erkenntnis von Wirklichkeit und der praktischen Konstitution der Entwicklung des inneren Gesetzes des Willens sowie der affektiven Konstitution der Entwicklung der inneren Ordnung des Gefühlslebens nicht dmchschaute: hat er zwar in seiner bewunderungswürdigen Darstellung des theologischen Studi.ums den der bloßen Erkenntnis von Wirklichkeit ganz heterogenen Charakter der Theologie erkannt ..., jedoch die wirkliche Konstitution des Kreises der religiösen Erfahrung und religiösen Wahrheit ist nicht von ihm erlaßt, und infolge hiervon die Natur der Evidenz auf diesem Gebiet nicht zur Klarheit gebracht worden. Wie der gesunde Menschenverstand Einsage tut gegen die einseitig intellektualistische Entstellung des Satzes der Phänomenalität, so tut der Praktiker, ja die Mächte des Lebens selber tun Einsage gegen die intellektualistische Verstümmelung der Wissenschaften. Schon die Welt ist nicht fü-r den bloßen Verstand da, geschweige denn, daß die Wahrheiten des Rechtes oder der Politik eine bloße Festlegung eines Tatbestandes durch unser theoretisches Vermögen wären. dige Handlung des amtlichen oder politischen Geschäftes ist es, in welchem die Grundsätze der Politik eines Staates gewonnen werden.

111. Der Standpunkt dir Se!IJst/Jesinnung in dir Breslawr AusariJejtung (I88o)

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Selbstbesinnung mag man diese Analysis des ganzen Bestanded und Zusammenhanges der Tatsachen des Bewußtseins nennen, welche eine Grundlegung de& Zusammenhangs der Wissenschaften ermöglicht; Selbstbesinnung im Gegensatz gegen Erkenntnistheorie. Denn die Selbstbesinnung findet im Zusammenhang der Tatsachen des Bewußtseins ebensogut die Grundlagen für das Handeln als die für das Denken.'' Die Selbstbesinnung, so verstanden als Bewußtmachen und Analysis der "Bedingungen des Bewußtseins", die solebergestalt Gegenstand von Reflexion werden, "vollzieht sich in einem langen geschichtlichen Prozeß". Mit Kants Verfahren war der Gedanke verbunden, das Problem definitiv lösen zu wollen - "und die philosophische Operation war von den positiven Wissenschaften des Geistes abgesondert. Erkennt man den Zusammenhang dieser Probleme mit denen der vergleichenden Grammatik, der Mythologie und der Kulturgeschichte: alsdann unterscheidet sich das Geschäft des Philosophen von dem der positiven historischen Wissenschaft weder in bezug auf die Methode noch auf die Hilfsmittel, und in bezug auf den Gegenstand auch keineswegs durchweg. Die Scheidewand zwischen Philosophie und positiver Wissenschaft sinkt hin so gut als sie in bezug auf die Prinzipien der Naturwissenschaft sich nicht hat halten lassen. Sie liegt in der notwendigen Beschränktheit der menschlichen Natur." Die Täuschung der Philosophen durch den "Schein einer isolierten Gestaltung der Intelligenz" und die Auflösung dieses Scheins, die den Bund der Philosophie mit der Historie zum Vollzug der Selbstbesinnung herbeiführt, betrifft schließlich das Schicksal der Metaphysik selbst. "Die Metaphysik entsprang in der Totalität der menschlichen Gemütskräfte. Da aber ihre Elemente und Wahrheiten sich teilweise in einen verstand·esmäßigen Zusammenhang auflösen ließen, reizte es den menschlichen Geist. sie ganz als ein solches System darzustellen.... Es war die Arbeit des Sisyphus.... Augenscheinlich weil in der Metaphysik Voraussetzungen stecken, welche der isoliert gedachten Intelligenz gar nicht angehören. Kant erschien; er machte diese Metaphysik, ja das metaphysische Vermögen zum Objekt der Analysis. Aber so ganz stand er unter den Gewalten dieses seihen Scheines, darin ein echter Schüler der Wolffischen Metaphysik, daß auch von ihm mit den Erfahrungs· tatsachendes Bewußtseins, aus denen die abstrakten Formeln de·r Metaphysik abgezogen worden sind, diese Formeln selber verwechselt wor· den sind. Nicht die lebendige, aus aUen Kräften ihres mütterlichen Bodens, welcher die Totalität der Menschennatur. das Menschenherz selber ist, Nahrung und Blut empfan~ende und so als eine unverwüst · Dilthey, Gesammelte Schrifteu V

s

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Ytnllnidlt du

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liehe Wirklichkeit durch die Geschichte schreitende Macht der metaphysischen Weltansicht hat Kant aufgesucht: was er aufsucht, bekämpft und vernichtet, das ist ein Schatten, die tote Begriffswissenschaft der Metaphysik. Und so entsteht ein sonderbares Schauspiel; in dem Umkreis der isolierten Intelligenz sucht er die analytischen Elemente der Metaphysik, geleitet von der Analogie der Logik und Mathematik, unter dem Einfluß der in Wolff abgeschlossenen Schöpfung einer solchen; weist nach, daß aus dem Grunde dieser Elemente keine Metaphysik aufgestellt werden kann und verlegt schließlich dahin Ursprung, Macht und Evidenz einer metaphysischen Weltansicht, wo er sie von Anfang an hätte suchen sollen; er greift eben die Vagabundin Metaphysik nur da auf, wo sie eben zuletzt sich aufgehalten hatte, und er schickt sie in ihre Heimat zurück. Denn das ist dann die große Operation seiner praktischen Philosophie und Kritik der Urteilskraft." Die Auflösung des Logismus geht somit nicht bloß den Schulbegriff der Philosophie an, sondern ihren Weltbegriff. Der Aufsatz über "Erfahren und Denken" deutet am Schluß diesen Zusammenhang an. Andre Niederschriften führen das weiter aus mit dem großen Relief der historischen Anschauung, die Dilthey in den gle:chzeitigen ArchivAufsätzen entwickelte. Die Erkenntnistheorie läuft gegenwärtig :n einen .,metaphysischen Probabilismus" aus, wie er sich in der ,.von Kant inaugurierten Philosophie der Postulate" bekundet: weil sie den ererbten Glauben an .,Vernunft als Hintergrund des ganzen Weltzusammenhanges", der einst die rationale Wissenschaft in der großen Zeit ihrer Begründung, dem 17. Jahrhundert, trug, nicht mehr besitzt, vielmehr selber Schritt für Schritt ihn in Nebel aufge!öst hat und dabei doch diese rationale Wissenschaft in formaler Logik, mathemat:scher Physik und rational-ethischem Glauben als Basis ihrer Stellung festhält. So zerreißt sie einerseits phänomenalistisch den Nerv der wissenschaftlichen Erkenntnis, der auf Wirklichkeit hingespannt ist, und vermag anderseits aus der Wissenschaft nicht Oberzeugungen zu entwickeln, die den Menschen "dem wahren, im Unsichtbaren gegründeten Zusammenhang der Dinge gegenüberfinden". Es ist ,.die Philosophie der wohlwollenden wissenschaftlichen Philister". "Wir müssen :n der Erkenntniskritik einen Schritt weiter über die vorhandene hinaustun, um das Problem zu lösen", wie die Individualität in der Lebensansicht zu überschreiten und ein Allgemeingültiges zu gewinnen sei. ,.Die Kritik der Anschauungsformen, Kategorien, Substanzen, J ensei!igkeiten hat ihre geschichtliche Aufgabe erfüllt .... Sie ist erschöpfend in bezugauf die transzendente Welt vermittels der Alternative: entweder Hume oder Kant"; in beiden Fällen das Ende im Phänomena!ismus. "Das weitere Abwickeln, das feinere Ausspinnen dieser Fäden, das in den erkennt-

/11. Die oöente Regr/ der Gnlllli/egu"g

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Diskritischen Werken der Gegenwart stattfindet, das Anpassen der Erkenntniskritik an die heutige Naturwissenschaft kann diese Po~ition wohl immer fester machen, aber der Bewußtseinslage, welche eben gerade infolge dieser Kritik der transzendenten Bewußtseinsstellung entstanden ist, kann diese Kritik keine Befriedigung bieten." Dieser Schritt über die Erkenntnistheorie hinaus soll durch die Lebensphilosophie in ihrer Verbindung mit den Geisteswissenschaften und der "in ihnen enthaltenen geschichtlichen Wirk.lichkeitserkenntnis" getan werden. So gibt der Aufsatz das Ziel an: eine Philosophie "die wieder zu behaupten, festzuhalten vermag". Und in einer persönlichen Äußerung aus dieser Zeit: "Die geschichtliche Welt führt durch die Selbstbesinnung auf eine siegreiche spontane Lebendigkeit, einen im Denken nicht formulierbaren, aber analytisch aufzeigbaren Zusammenhang im Einzelleben, im Wirken aufeinander, schließlich in einen höheren Zusammenhang besonderer und die naturwissenschaftlichen Mi~tel übersteigender Art, welchen herauszuheben, kraftvoll auszusprechen notwendig ist, soll er wieder zu gehobener und selbstbewußter Geltung kommen." Aus diesem Prinzip der Selbstbesinnung folgt die Aufhebung der Trennung von Theorie und Praxis, die der Trennung von Form und Stoff in der Erkenntnistheorie entsprach: "Jede theoretische Arbeit kann nur Kräfte, Leben frei machen, mit dem Bewußtsein ihres Gehaltes, Zweckes usf. erfüllen."

3· Auf dem Standpunkt "der Selbstbesinnung oder des Lebens" kann der Cartesische Anfang der Philosophie nicht die entscheidende Rolle spielen wie in der traditionellen, vom Anfang aus in linearer Kontinuität fortschreitenden Systematik. Aus dem Prinzip der Interpretation des Lebens aus ihm selber folgt der Bruch mit dieser ganzen linearen, sozusagen eindimensionalen Form von Systematik. In der großen psychologischen Abhandlung, den "Ideen über eine beschreibende und zergliedernd~ Psychologie" erklärt Dilthey bei der Darlegung der grundlegenden Stellung dieser neu zu gestaltenden Wissenschaft wie nebenhin, daß die Erkenntnistheorie sich der beschreibenden Paychologie bedienen könnte "in derselben Weise, in weicher sie allgemeingültige und sichere Sätze auch aus anderen Wissenschaften entnimmt" (V 1 50). Selbst der Freund, der Dil~heys phllosophif>Chen Intentionen ganz nahe war, und gleichsam als sein logisches Gewissen mit ibm ging, erschrak vor dieser scheinbaren Entgleisung. Aber diese paradoxe Behauptung ist prinzipiell gemeint. S:e betrifft "die obeTste Regel der Grundlegung", wie sie Dilthey für den ersten Band der "Einleitung" nachträglich angegeben hat. Diese Regel ist, "daß nur solche Sätze in

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ihr verwandt werden, welche einleuchtend dargetan werden können, und - wir unterstreichen - "daß auch alle Sätze von solcher Beschaffenheit, gleichviel ob sie den Erfahrungs w iss e n s c haften angehören oder der Erkenntnistheorie und Logik, anzuwenden sind. Es entstehen ebensoviel Irrtümer in der Grundlegung dadurch, daß sichere Sätze nicht angewandt werden, als daß unsichere zur Anwendung gelangen" (I, 4 I 9 ). So tritt derselbe Satz dann au1:h in dem Berliner Entwurf für die Fortsetzung der "Einleitung" an der Spitze des systematischen Teils des Werkes auf. Da ist für das erste Buch dieses systematischen Teils als Titel angegeben: "Das Leben", und für Jlt. ist da!:> zerglied-ernde Verfahren eine den Natur- und Gei-

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Vorllericllt des Herausgdlers

steswissenschaften gemeinsame Methode, ja von der Naturwissenschaft geht sie aus. Dilthey gibt das historische Verhältn:s in seinem Grundriß der Universalgeschichte der Philosophie an: wie "sich in der Naturwissenschaft immer stärker neben der Konstruktion aus Prinzipien der Mechanik die Beobachtung und Zergliederung als selbständige Potenz erhob" und durch "Übertragung der Analysis auf das geistige Gebiet" nun im englischen Empirismus die "Zergliederung der moralischen, ästhetischen, wirtschaftlichen, politischen und psychischen Tatsachen" unternommen wurde. So allgemein gefaßt, steht dann aber die Analyse der geistigen Tatsachen nicht im Gegensatz zur "erklärenden Wissenschaft", deren Typus vielmehr gerade an der modernen Form der Naturwissenschaft herausgearbeitet ist, vor allem in LotzesBestimmung derselben als "causal erklärenderTheorie". UndDilthey selbst würdigt es als die Leistung dieser von den Engländern begründeten Analyse des geistigen Lebens, daß durch sie "wirkliche Kausalerkenntnis vom Seelenleben, Wissen, Kunst, Religion, Wirtschaft, Recht, Sta,at und Sittlichkeit entstand: die Erfahrungswissenschaften des Geistes. Aber auch die philosophische Fundamentalwissenschaft (bis dahin Metaphysik) erhielt nun erst in der Analysis der inneren Erfahrungen die feste Grundlage". Hier greift, weiterführend, die Abhandlung über "die drei Epochen der modernen Ästhetik" (I 892) ein (VI, 247 )- Wie er mit den Dichtem über das Leben sinnend die Idee der inhaltlichen Psychologie erfaßt hatte, und sie dann an der Poetik zuerst erprobte, geht auch die Aufklärung über die wissenschaftlichen Wege zum geistigen Leben von dieser Region aus. In dieser Abhandlung, von der er sagte, daß sie "gelind gegen den Kultus der Fechnerschen Methode angehe", wird der "empirische Standpunkt", der in der englischen Aufklärung mit ihrer EiDdrucksästhetik die konstruktive Stellung des natürlichen Systems ablöste und in Fechners Ästhetik gipfelte, geradezu als der Standpunkt der "Beschreibung und Zergliederung" eingeführt. Als wollte er im voraus darauf hinweisen, daß man sich nicht an die Worte halten dürfe, wenn er dann in den "Ideen" eben diese Bestimmung zur Anzeige seiner eigenen darüber fortgehenden Methode gebrauchte. Wohin der Fortgang führt, gibt jene ästhetische Abhandlung an: zu einer "historischen Methode". Er charakterisiert sie: da ist nichts übertragenes mehr, sondern sie entwickelt sich aus der eigenen Mitte der Geisteswissenschaften mit der "hermeneutischen, dem Gegenstande sich anschmiegenden Kunst" als Verständnis des geistigen Gehaltes aus dem geschichtlichen Zusammenhang eines übergreifenden konkreten Ganzen. Und da tritt der Begriff der psychologischen Analyse nun wieder ein, also als ein Moment, das innerhalb dieser historischen Methode seinen Ort hat:

III. Di4 MeiAotie. Der Begriff der Bescllrei/Jung

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psychologische Zergliederung des geistigen Schaffens, getragen von der deutschen Transzendentalphilosophie, die "auf allen Gebieten das schaffende Vermögen der Menschennatur wieder zur Anerkennung gebracht hat. Hierin liegt der große Atem eigener innerer Erfahrung über den Menschen, der von Kant ausgeht und alles rings um ihn hob und belebte". Diese zum historischen Sehen gehörige, aus "eigener innerer Erfahrung" heraus zergliedernde Methode ist die Analysis, die der kausa;en Erklärung gegenübersteht, nicht mehr als Mittel für diese zur Erkenntnis der Determiniertheiten dient, sondern umgekehrt, sich der kausalen Erklärung als eines der Werkzeuge zum Lebensverständnis bedient. So setzen die "Bausteine zu einer Poetik" mit der psychologischen Methode bei der Einbildungskraft des Dichters ein. Und in den "Ideen" fand ein durchfühlendes Freundeswort das Schöne in den "Beschreibungen der gestaltenden, der in weiterem Sinne bildenden Psyche". In der dazwischen liegenden Abhandlung ilber die Epochen der Ästhetik erklärte er, daß die Psychologie, an die "unerschöpfliche große Tatsächlichkeit" des Genies sich haltend, "einer Umgestaltung vermittels der Analysen in den einzelnen konkreten Gebieten des geistigen Lebens entgegengehe". Die "Ideen" wollen diese Umgestaltung begründen. Die nur fünf Jahre vorher (1889) veröffentlichten "Bausteine" halten den Gegensatz von beschreibender und erklärender Psychologie noch nicht ein; verg!eicht man die Abhandlung mit den Anweisungen zu ihrer "Umgestaltung nach der Strukturpsychologie", die in den Anmerkungen mitgeteilt sind (VI, 3 10), so übersieht man die Richtung des Fortgangs. Aber es bleibt der Begriff der "Beschreibung". Das Wort ist ein Ausdruck . der Zeit. Auch Franz Brentano, von dem eine wesentlich philosophische Erneuerung ausgehen sollte, bezeichnete aus der damaligen empirischen Zeitlage heraus die durchgreifenden Erörterungen, die er in der Schrift: "Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis .. (I 889) veröffentlichte, als "zum Gedankenkreis einer deskriptiven Psychologie gehörig". Bei Dilthey erscheint an dieser fundamentalen Stelle die Nähe zum Empirismus am größten; auch Kirchhoffs Definition der Mechanik als einer beschreibenden Wissenschaft liegt innerhalb dieses Horizonts: für eine Entgegnung, mit der Dilthey den auf seine "Ideen" gerichteten Angriff parieren wollte, wurde ihm von RiehJ als der geeignete Ort die Zeitschrift von Avenarius bezeichnet, weil sie "für die deskriptive Psychologie eintritt". In den "Ideen" setzt er einmal Beschreibung geradezu gleich "Erzählung" - wie zum Spott über den philosophischen Weg, den er in seiner Jugend in der Fortsetzung des Fichteschen Unternehmens einer Deduktion der Kategorien gesehen hatte, jenes Unternehmens, dessen Kern Hegel traf:

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Vorben'dzt des Herausgebers

"Fichte geht nicht wie Kant erzählend zu Werke, indem er vom Ich beginnt ... Das Erzählen soll aufgehoben werden ... " Und doch hat sein Begriff der Beschreibung einen philosophischen Sinn, der ebenso bestimmt ist wie die Richtung der Zergliederung, mit der er über den Empirismus fortging. Zum E m p i r i s m u s, für den er eine Vorliebe bekundet, "weil sich mit ihm etwas anfangen läßt" (V 83), hat Dilthey ein eigenes Verhältnis, das bis in die Zeit zurückgeht, in der die Lugik von John Stuart Mill in Deutschland die Wissenschaftslehre der spekulativen Philosophie verdrängte: da kreuzte sich in ihm jene Intention einer Fortbildung der Kaut-Fichteschen Kategorienlehre mit der empirischpsychologischen Grundlegung des Engländers; auch der Ausdruck: ,,Geisteswissenschaften", den er anfänglich abwechselnd mit "Kulturwi ssenschaft.en" oder dem Comteschen Ausdruck: "moralisch-politische Wissenschaften" gebrauchte, ste:Ite sich ihm damals unter der Einwirkung von Mill, nach dem Vorgang von Helmholtz, fest. Es wirkt wie eine Erneuerung von Humes Programm einer moral philosophy, die sich ebenbürtig neben die natural philosophy Newtons stellte (Treatise on human nature, Einleitung). wenn Dilthey die Aufgabe einer "Erfahrungswissenschaft der geis:igen Erscheinungen" - nach der Baseler Rede ( 1867) die Aufgabe seiner Generation - dahin präzisiert: die geistigen Inhalte, welche "gegenwärtig den Gegenstand der Ästhetik, Ethik, Logik, des Naturrechts und der Politik bilden", sind als ein einheitliches Ganzes zu erfassen, die Schulabteilungen zwischen diesen "realen Geisteswissenschaften" (auch die Logik unter ihnen) müssen fallen und die Einheit dieses Untersuchungsgebietes muß im Studium des Menschen gefunden werden. Aber das ganze deutsche Wissen von der geistigen Welt steht dahinter und soll eingehen in die Auffassung dies·er ,,aus dem Zusammenhang des seelischen Gehaltes selber sich zwanglos mit klarer Größe entwickelnden Einheit". "Nur aus Deutschland - notiert er sich zu Mills Logik- kann das wirkliche empirische Verfahren an Stelle des vorurteilsvollen dogmatischen Empirismus kommen. Mill ist dogrna· tisch aus Mangel an historischer Bildung." Ausgeschlossen ist von vornherein ein Pakt mit dem Empirismus als einem "metaphysischen" Standpunkt, zu dem er wird, "indem er die Abwesenheit eines idealen Zusammenhanges innerhalb der Wirklichkeit positiv behauptet". "Bei Mill und Helmholtz ist die Essenz der philosophischen Theorie die Resignation der Wissenschaft auf Erkenntnis des Transzendenten und nicht Grundlage für eine des Kampfes mit dem Transzenden~en enthobene Vertiefung in die Wirklichkeit. Diese Resignation ist, wie seit Berkeley und Hume die Erbschaft ihrer

IJI. Die Sle!lunl{ zum Emphirmus

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Lehre ist, der Vordersatz zu einem Schluß, dessen Untersatz unser unbezwingliches Bedürfnis des Realen ist und der in der Hingabe an eine transzendente Glaubenswelt endigt, sei es materialistisch - sei e;; christlich. So wandte Hamann Hume christlich, wandten die Franzosen ihn materialistisch. So kann es morgen mit denselben Lehren geschehen" (1875). Aber auch im Methodischen grenzt er sich vorn Empirismus prinzipiell ab. Und zwar nicht bloß dadurch, daß er auf Humes psychologischem Weg einer empirischen Grundlegung einen Schritt vorwärts tut in der von der deutschen Romantik eingeschlagenen Richtung auf eine neue, inhaltliche Psycho:ogie, sondern der ganze psychologische Weg ist für ihn von Anfang an nur ein Moment innerhalb des Ganzen seiner übergreifenden Intention, die er als "anthropologischhistorische Methode", als "philosophisch-historische Weltansicht" bezeichnete. Er kehrte sich von der Völkerpsychologie ab und von Lotze, in dessen Beruhigung bei der "unmittelbaren Tiefe unserer geistigen Natur", in der der "ideale Gehalt" des menschlichen Lebens im Logischen, Ethischen usf. gegründet sei, er nur eine "Erneuerung von Kants Apriorismus auf psychologischer Basis" finden konnte. Als er für seine eigene Aufgabe einer philosophischen Grundlegung der Geisteswissenschaften den Weg der "Realpsychologie" in Anknüpfung an Novalis aufnahm ( 1865), hat er das mit Rücksicht auf die Zeitlage motiviert und dadurch zu relative rn Belang eingeschränkt: dieser psychologische Weg sei, gegenüber dem von Hegel und Schleiermacher eingeschlagenen, "uns Heutigen näher gelegen". Deutlicher noch in einer Aufzeichnung au~ dem siebziger Jahren über aas Problem der "Kultur", die von ihm da definiert wird als "der Inbegriff der geistigen Inhalte und der zu ihnen in Abhängigkeitsverhältnis r:.tehenden geistigen Tätigkeiten im Menschengeschlecht". "D:e vollendete Wissenschaft der Geschichte wäre die Darstellung und Erklärung des Zusammenhanges der menschlichen Kultur." - "Erklären heißt, zu einer Tatsache ihre vtsachen, zu einem Satz die Bedingungen seiner Denkbarkeit hin~udenken .... Die Kultur könnte jedenfalls nicht psychologisch, weder in Kants noch der Empiristen Weise, erklärt werden, sondern eben nur durch die historischen Mittelglieder. Der höhere Geistes inhalt bildet Kulturtatsachen. Jedoch gestatten die Tatsachen sowohl die empiristische als di·e idealistische Auslegung ... Die Entscheidung zwischen ihnen wird am sichersten herbeigeführt werden, indem man den Weg verfolgt, welcher eben durch da·s gegenwärtige Bedürfnis der Wissenschaft vorgeschrieben wird. Dieser Weg ist induktive Feststellung der Tatsachen und gewisser Gruppen derselben durch Verknüpfung aller hierfür in Geschichte und Kulturwissenschaften und Psycho-

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Vor!Mriellt des Herausge!Jers

logie gegebenen Hilfsmittel." t,Indem wir weder annehmen, daß dieselben aus der Erfahrung stammen, noch daß sie a priori gegründet seien~ machen wir diese Inhalte zum Gegenstand der Untersuchung. Das kann aber nur heißen, da diese Inhalte in geschichtlicher Bewegung durch die Individuen hindurchgehen, daß wir in gewisser Weise die Tendenz der Phänomenologie wieder aufnehmen." Späterhin, als die Zeit reif geworden war, und er selber mit der Vertiefung in Hegel vorwärts ging (1904), erklärte er denn auch: "Wir dringen in die Geschichte von den verschiedenen Seiten ... Der Versuch, allgemeinere Formen psychologischer Wechselwirkung zu finden, ist ebenso nur eine Seite wie der Hegels, von demjenigen auszugehen, was als allgemeiner Geist in den Subjekten sich manifestiert und Erkennen, Kunst, Sittlichkeit möglich macht" (IV, 251). Mit seiner Würdigung Hegels aber, die die Folie bildet zu dem Vergnügen, mit dem er sich als "verhärteten Empiriker", seine Methode als induktive bezeichnete, nahm er nur eine Einsicht auf, die ihn seit seiner Jugend bewegte. "Man beurteilt Hegel sehr wunderlich (so schreibt er sich 1 86o ins Tagebuch). Das innerste Streben seiner Natur war nach dem konkreten Begriff: er rang, die Abstraktheit des subjektiven Idealismus wie des Schellingschen zu überwinden: es war ein gewaltig realistischer, sachlicher Zug in ihm. Warum stinunt die Bezeichnung sachlich so mit dem Eindruck seines Strebens? Weil es die Vertiefung in das Wesen jeder Erscheinung für sich, nicht das Suchen nach dem Gesetz bezeichnet." Wie diese Gegensätze ineinander streben, springt aus dem Zeitrahmen des Empirismus der Sinn dessen heraus, was er als Hinnehmen und Beschreiben der Tatsachen bezeichnet. Seine Aufzeichnungen über den Empirismus - sie enden 1879 mit Jem Plan für ein Buch: .,Versuch über Philosophie der Erfahrung und Wirklichkeit im Gegensatz zu Empirismus und Spekulation", mit dem Motto: "Empirie und nicht Empirismus'', und dieser Plan war der Vorläufer der "Einleitung in die Geistesf.rissenschaften" - führen in dieses Ringen h:rtein. Er bezeichnet da die Überwindung des Schulgegen!:Wltzes von Apriorismus und Empirismus als die Aufgabe, wieder in historischer Wendung, als das durch die Lage Gebotene: "Die Arbeiten der Nationen treffen. gegenwärtig nach langer, im wesentlichen abgeschiedener Entwicklung beider Ansichten zusammen": so wird "eine tiefere Fassung der ganzen Frage" möglich. "Es fragt sich, ob es notwendig sei, hier dem Partei· streite zu verfallen; es fragt sich, ob nicht gerade der Empirismus allen Tatbeständen genugtun könne, welche auch die freieste Betrachtung zu ahnen vermag. Denn er ist nicht die Annahme vom Ursprung der psychischen Inhalte aus purer Erfahrung, er ist überhaupt keine

/Il. Airlorismus tmd Emlirnnru als Sclullgegmsats

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Annahme, vielmehr die Regel, die Tatbestände ohne die trügerische Absicht von Erklärungen festzustel!en. Die bisherige Psychologie entwickelt Formen und Gesetze des geistigen Geschehens, ... die Inhalte, welche in erster Linie über die Bedeutung unseres Daseins entscheiden, sind von ihr ausgeschlossen ... Psychologie oder Anthropologie hat all diese Tatbestände festzustellen miot Verzicht auf ihre dE~­ finitive Erklärung. Diese Tatbestände, ganz empiristisch aufgefaßt, enthalten alles in sich, was je eine idealistische Philosophie geltend zu machen vermochte, ausgenommen die deduktiven Trugschlüsse." Erh«~­ stimmt hier die Aufgabe der Wissenschaftslehre dahin, "in der Durchführung des empiristischen Standpunktes den Objektivismus zu erreichen" und kehrt seine Kritik an Kant, während er dessen Konzeption der Synthesis festhält, gegen .seinen falschen Erfahrungs~griff. Eine falsche, weil zu enge Fassung der Idee der Erfahrung liegt zugrunde, wenn bei Kant "alle Erfahrung auf Induktion gegründet erscheint und so den Erfahrungswahrheiten insgesamt die Möglichkeit abgesproche:n wird, notwendig und allgemein zu sein." Hä:lt Dilthey hier noch an dem Ausdruck Empirismus fest, so hat doch auch der moderne Begründer der phänomenologischen Forschung, Husserl, erklärt: "Sagt Positivismus soviel wie absolut vorurteilsfreie Gründung aller Wissenschaften auf das Positive, d. h. originär zu Erfassende, dann sind wir die echten Positivisten." Und ganz voll spricht Dilthey s:ch in einer Äußerung aus früher Zeit (1861) aus: "Genialität des betrachtenden Geistes ist die Gabe, außerhalb bereits existierender Ideen über die Dinge und d1e Welt die Objekte selbst und die Welt selbst zu Gesicht zu bekommen, sich diesen selber ohne Etikette vis-a-vis zu setzen." Hegel sagte für die Aufgabe der Philosophie: "sich dem Leben d'es Gegenstandes ü~rgeben." Wie Dilthey das Verfahren ausübte, ist besonders schön ausgesprochen in dem Urteil seines mitphilo:;ophierenden Freundes ü~r einen Aufsatz, in dem er, über die Einbildungskraft des Dichters (wie dann alsbald umfassender in der Poetik) handelnd, seine beschreibende Psychologie zuerst darbot (1877): "Wenn Sie von Goethe mit Recht sagen, in selbstloser Betrachtung sei er gleichsam ganz Auge gewesen, wenn Sie solche Stimmung ruhiger Klarheit preisen, so darf ausgesprochen werden, das aus gleichem Verhalten, aus gleicher Stimmung Ihre Arbeit hervorgegangen ist. Hier ist .•. das Selbst ausgelöscht und die Sache zum Reden gebracht worden, zugleich aber das Selbst in höchstem Grade le~ndig gewesen, indem es die Sache erlebte." Er schließt damit: "Hier ist ein tatsächlicher Protest der Empirie gegen den Empirismus." Wenn Dilthey sich bis zum Ende der Verwandtschaft mit dem Positivismus freute, und das gerade für das objektive Lebensverständnis (V, 4), so liegt die Möglichkeit

Vflrllwiellt IÜI HwlliiUpHrl

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für diese Anknüpfung in dem Sichbefreien von den Vorurteilen, dem "sich nichts vormachen lassen wollen" - Bacons Idolenlehre hat auch Goethe bewundert.

5· Diesem Ort des "beschreibenden" und "zergliedernden" Verfahrens der Psychologie entspricht es, daß am Anfang dieser Grundlegung das Problem des Zirke!s der Erkenntnis steht: dies Problem nicht bloß als die allgemeine erkenntnistheoretische Schulfrage, auf die die "analytische Logik" antworten sol!te, sondern tiefergreifend: die Aporie des objektiven Lebensverständnisses: "aus dem Einzelnen das Ganze und aus dem Ganzen das Einzelne" (V, 334). In den "Ideen" tritt das nicht explizit hervor, da die Abhandlung aus dem philosophischen Zusammenhang des Ganzen mit einer beschränkteren Absicht herausgelöst ist. Aber in dem Berliner Plan für den systematischen Teil, der als erstes Kapitel angibt: "Der Anfang der Philosophie", ist zu dieser Oberschrift h:nzugefügt: "Der Zirkel des Erkennens und seine Auflösung", ohne daß freilich hier - und auch nicht in der Breslauer Ausarbeitung - eine Ausführung in dem zu erwartenden Sinne gegeben würde. Dilthey behandelt das Problem im Rahmen der Hermeneutik, deren fundamentale Bedeutung für die Philosophie er erst in dem Aufsatz von I 900 (V, 3 I 7) feststellt, während ihn der Zirkel des Verslehens selber von früh an, seit der Preisschrift über Schleiermachers Hermeneutik ( I 86o), beschäftigte. In der Abhandlung über das Wesen der Philosophie (1907. V, 339) steht er dann im Mittelpunkt der einleitenden Darlegung über die Methode der geisteswissenschaftlichen Begriffsbildung. "In der geistesw:ssenschaftlichen Methode liegt die beständige Wechse:wirkung des ErlebO:sses und des Begriffs." "Ober alle Abbülung und Stilisierung des Tatsächlichen und Singularen hinaus will das Denken zur Erkenntnis des Wesenhaften und Notwendigen gelangen" (V, 341 f.). Diese entscheidenden Sätze betreffen auch und zuerst die grundlegende psychologische Wissenschaft selbst. Es handelt sich um die Mög':ichkeit e:ner objektiven Auffassung des "seelischen Zusammenhangs", zu dem die Rede von "Leben, Totalität" in den "Ideen" präzisiert ist: "Die Einsicht in den Strukturzusammenhang des Seelenlebens auf ldare Begriffe zu bringen" (1, 418); die "Besonnenheit psychischer Erfahrungen", die dem Verstehen zugrunde liegt (V, 337) wissenschaftlich tragfähig zu machen - das ganze Erkenntnisproblem in der Fassung: "Allgemeingültiges Wissen aus Erfahrungen" (V, 334). Aber was heißt hier: Erfahrung? Zunächst, solange das einzelne Erlebnis in isolien::nder Abstraktion als die im eigenen Lebensablauf sich zu einem "relativen Ganzen" ab-

I /l.

ner Zirkel der Hen~U~~et~till.

Das /muwerdm seeludeer Realilälm

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sondernde Einheit des psychischen Aktes genommen wird, ist das Problem des Wissens für Dilthey kein eigent~ich log:sches, sondern konzentriert sich auf die Sicherung des Habens von "Realität ohne Abzug" : als des ursprünglichen Kapitals, mit dem dann gewirtschaftet werden kann, um den "großen Positivitäten der Menschennatur", auf die die inhaltliche Psycho:ogie zur Grundlegung der Geisteswissenschaften ausgeht, die Realität zu sichern, an der al:es teilhat, was teilh3.t am seelischen Erlebnis. Wenn er die Darlegung des Begriffs der Realpsyc.hologie in dem Aufsatz über Novalis an dessen "tiefsinnigen Gedanken" anknüpfte: "Wi:J: kennen eigentlich nur das, was sich selbst kennt", so gehört zu diesem Satz der einschränkende (aus ersten Entwürfen sei:ner psychologischen Grundlegung, 187 4): "Wir erkennen nicht Wesen oder Natur unserer selbst"; "jede Erkenntnis unseres Wesens bildet sich ebenso aus Schlüssen, wie die des Wesens irgendeiner psychischen oder körperlichen Wesenheit außer uns. Die Tatbestände allein, diese aber gänzlich, sind so gegeben, wie sie sind.... Wi:J: gewahren in uns ein psychisches Geschehen mannigfacher Art, welches: so wie wir es gewahren, sich vollzieht. Die Grenze unserer Erkenntnis liegt hier nur darin, das dasselbe ein kleiner Teil des psych.:schen Ge· schehens ist, welches sich tatsächlich in uns vollzieht." In der Breslauer Ausarbeitung (um 188o) scheidet er aus dem Begriff des "unmittelbar Gegebenseins", dessen sich die empir:ISChen Psychologen zur Sicherung ihres Anfangs zu bedienen pflegen, das "Gegebensein" aus. Als unmittelbar gegeben erscheint auch das Wissen von evidenten Beziehungen wie vor allem den logischen Gesetzen, aber dieses .,kann nur als in der Entwicklung unserer geistigen Fähigkeiten vermittelt, in einem uns unbekannten Zusammenhang des psychischen Lebens ( vgl. V, 130) begründet angesehen werden". Was das Erlebnis auszeichnet, ist die "unauflösliche Einheit" des Wissens und des realen Vorgangs, dessen wir erlebend "inne werden". Weil das Innewerden ein Wissen von nicht diskursiver Art ist, die theoretische Sonderung von Subjekt und Objekt nicht voraussetzt, sondern ihr zugnmdeliegt, gilt für dieses Urphänomen eines "Seins, das steh besitzt": daß es "nur durch immer neue Wendungen der Sprache umschrieben werden kann". "Der Existenzialsatz, welcher diesen Bewußtseinsvorgang z.um Subjekt, und Da&ein, Realität zum Prädikat hat, drückt nur in diesem letzteren abstrakten Begriffe viel unzureichender das Erlebnis aus, von welchem alles, was Realität hat, diese zu Lehen trägt. . . . Indem ich das Erlebnis. um das es sich hier handelt, vermittels dieses abstrakten Begriffes und seiner Beziehung zu andern ausdrücke, löst sich nicht die Einfachheit dieses Erlebnisses selber. Soweit dies Innewerden, dieses Sichselberbesitzen der Bewußstseinstatsache reicht, existiert das Problem des

VoroericAt des Herausgebers LXXX Wissens überhaupt nicht. ... Es besteht hier nicht der Unterschied zwischen einem Gegenstande, der erblickt wird, und dem Auge, welche!' ihn erblickt." Und nun fährt er fort: "Diese Durchsichtigkeit des Sach· verbaltes schließt freilich nicht eine Aufklärung darüber in sich, wie ein Bewußtseinszustand es anfängt, bewußt zu sein. Eine solche Frage beruht entweder auf einer falschen Auskgung des Tatbestandes, ver· möge deren diesem Ionewerden die in ihm gc..r nicht enthaltene Unterscheidung von Subjekt und Objekt untergeschoben wird, oder auf der unfruchtbaren Kränklichkeit des Denkens, welches sich bei einem erlebten Sachverralt, in welchem die Beziehung seiner rmigen Bestandteil derselben, vermöge dessen die physiologischen und psychischen Anlagen, die in einer Generation vorhanden sind, die Richtung auf tlie dichterische Imagination erhalten. Sie liegen vor allem in einem bestimmten Entwicklungsstadium der Gesellschaft. In diesem löst sich die strenge gesellschaftliche Zucht in die freie Bewegung sich von einander scheidt"'nder Individualitäten auf; es erhebt sich eine ganz neue Freude an der eigenen, an der Individualität anderer, an der Geselligkeit, in welcher ihre Beziehungen genossen werden. In den verschiedensten Ländern hat diese geschichtliche Bedingung - und andere mit ihr verknüpfte - Epochen großer dichterischer Kraft hervorgebracht. Aber ihren singulären Gehalt erhielten diese Epochen jedesmal von einem zweiten Bestandteil in der geschichtlichen Lage. Und diesen gilt es nun hier zu erkennen. Ich verdeutliche diesen singulären Bestandteil in den geschichtlichen Bedingungen durch eine Vergleichung zwischen seinen Wirkungen in der englischen und spanischen Literatur einerseits, in der deutschen andererseits. Eine höchst bewegte Gesellschaft, getragen von ·großer nationaler Mac.htfülle, in eine Welt von Kämpfen, abenteuerlichen Schicksalen, großen Zielen des Ehrgeizes verstrickt, hatten in England unter Heinrich VIII., Eduard und Elisabeth, in Spanien unter Karl V. und seinem Sohne große dichterische Schöpfungen hervorgebracht. Was in dieser Gesellschaft von Leidenschaften des Ruhms und cfer Herrschaft, der Liebe und Ehre gewaltig sich bewegte, das Spiel um die höchste Macht, der blutige Fall ehrgeiziger Großen, das innere und äußere Schicksal der aktiven Leidenschaften: das alles spiegelte sich in der unerschöpflichen glänzenden Imagination der Shakespeare und Calderon, und zwar waro es von ihnen aufgefaßt unter dem Gesichtspunkt eines fertigen Nationalgeistes: dieser sprach aus ihren Werken in seiner Größe wie mit seinen Vorurteilen. Gänzlich andere Bedingungen gaben der deutschen Dichtung ihren eigenartigen Charakter: ein zersplittertes Land. Kriegerische Größe nur in Preußen unter Friedrich, welcher einen mächtif·::n Aufschwung

Die gudliclltlklutt Bedingungen

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des nationalen Selbstgefühls hervorrief, dann aber die Richtung desselben auf Gesellschaft und Staat rücksichtslos unterdrückte. Eine Breite und Kultur der Mittelklassen, welche dies.!n ein geistiges Übergewicht gab, während sie sich von der eigentlichen Staatsleitung ausgeschlossen sahen. Innerhalb dieser Mittelklassen gelangen die Menschen früh in eine fertige Lebensstellung .. Es gibt für sie keine großen Ziele, aber auch keinen schweren Kampf um das Dasein. So wird ihr ganzer Lebensdrang, ihre ganze Energie in den besten Jahren ihrer Kraft nach innen gewandt: persönliche Bildung, geistige Auszeichnung werden ihre Ideale. Und zwar dies alles in einer Atmosphäre mäßige;r äußerer Wünsche, mittlerer Begüterung, eines gesicherten Schicksals, eines ernsthaften gründlichen W ollens. Diese innere Welt, die Welt des empfindenden, beschaulichen Menschen, war also die Welt unserer Dichter- und zwar nicht etwa aufgeiaßt unter dem Gesichtspunkteiner geschlossenen, die Nation begeisternden Welt· und Lebensansicht: es (war) die Literatur, welche gegenüber einem überkommenen, unbefriedigenden Vorstellungskreis diese Lebens- und Weltan.>icht selber hervorbrachtP.: in ihr suchte der Lebensdrang einer kräftigen geistvollen Nation einen Ausweg, welcher durch ihre Lage leidenschaftlich nach innen gewandt war. An den Lippem unserer Dichter hing also die Nation, nicht begierig, lustige oder blutige Abenteuer zu vernehmen, wenn man einmal ausruhte von Unternehmungen und Wagnissen, welche den inneren Lebensdrang gänzlich beschäftigten: sie erwartete von ihnen den höchsten Gehalt ihres Lebens selber. So war dasselbe Maß von Kräften 50 Jahre hindurch bei uns in diesem dichterischen Gestaltungsdrang tätig, welches in den anderen Ländern, nach außen gewandt, Staaten gründete, die sozialen Verhältnisse eines ganzen Erdteiles änderte. Ich bin versucht, die Summe dieser Kräfte und die Energie ihrer Tätigkeit wie in einer Formel auszudrücken. Wie man es bezeichne: nach Wohlsein, nach Glück, nach Entfaltung inneren Wertes und freier Kraft streben alle Generationen der Menschen. In diesem Sinn gestalten sie die äußeren Bedingungen ihres Daseins um, die physischen, die sozialen, die politischen. Aber aus diesen äußeren Bedingungen fließen Glück und Wert erst, wenn sie auf die innere Welt unserer Seele, auf uns selbst bezogen werden. Die Umg~staltung dieser inneren Welt ist also der zweite, nicht minder wichtige Faktor für die Gestaltung eines befriedigten Daseins. Und wenn nun gar die äußeren Bedingungen, wie damals in Deutschland der Fall war, stark und unveränderlich uns gegenüberstehen; dann wirft sich die ganze geistige Kraft einer Generation darauf, dies Selbst umzugestalten. In dem Problem der Entwicklung unserer Kraft ist alsdann unsere äußere Lage wie eine stetige

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Die dickterisdu u11d pkilosopAisclle Bewegunr in DeulscA/Qnd I770-I8oo

Größe, diese Tiefe des Selbst allein veränderlich, allein Quelle von Glück und Leid, von Wert und V n wert, von Freiheit und Knechtschaft. Nenne ich nun eine Konzeption, in welcher sich dies unser Selbst zu einem wertvollen, in sich befriedigten Ganzen entwickelt vorschwebt, Lebens i d e a 1: so erhob sich also damals nicht nur in einzelnen bedeutend angelegten Menschen, sondern in den gebildeten Klassen der Nation überhaupt, der Drang, ein neues Lebensideal zu gestalten - eine Frage nach der Bestimmung des Menschen nach dem Gehalt eines wahrhaft wertvollen Lebens, nach echter Bildung. Und in diesem Drang fand nun unsere Dichtung ihren wahren Gehalt. Lessing war der erste Träger dieses Gehaltes, darum ist er auch der erste, welcher uns ein Gegenwärtiger geblieben ist. Von den drei Generationen, welche ich Ihnen im Flug vorüberführe, repräsentiert er die erste. Vor ihm nur die chaotischen Elemente, welcher diese Entwicklung bedürfen sollte, Bildung der Sprache, Gestaltung ihrer Rhythmik, Kräfte der Imagination in ihrer Entwicklung, als Naturauffassung erscheinend, als Spiel der sinnlichen Empfindungen und der Gefühle. Ja auch neben ihm noch keine Schöpfung, welche für uns eine wahrhaft lebendige geblieben wäre. Und woher kam das? Gewiß hat Wieland ungeheuer gewirkt, indem er viele Jahre hindurch dastand, immer mit demselben reichen poetischen Talent, unermüdlich und so mit freigebigen Händen d!e Erfindungen und Ideen der Weltliteratur ausstreute. Aber in all diesem Reichtum nirgend eine originale Antwort auf die Frage seines Zeitalters an ihn. Ihm war genug, auf dem Niveau der bisherigen Ausbildung des Lebensideals in England und Frankreich stehen zu bleiben. Mit welcher genialen Energie hatte alsdann Klopstock den Empfindungsdrang, wie er sich in dem Mittelstande entwickelt hatte, ausgesprochen I Er hatte, den Zürichern wie den Leipzigern zum Trotz, er zuerst ganz offen und doch ganz besonnen, Freiheit des Empfindens und des Lebens für den Dichter gefordert. Aber er fand seine Grenze an der religiösen Gefühlswelt seiner Jugend. Auch er blieb stehen, ganz wie Wieland, nur in einer anderen Gestalt, ewig jugendlich und enthusiastisch, die Zunge nie zu einfacher Rede gelöst, den Kopf nie durch den wissenschaftlichen Gedanken befreit - vor der Zeit alt und einseitig geworden im engen Zi·rkel von Bewunderern. Lessing kam. Und in seiner männlichen großen Seele gestaltete sich, was rings um ihn in unzähligen individuellen Strebungen sich regte, zum Charakter, zum bewußten Lebensideal in freier Weltansicht. Durch diesen Hintergrund seiner großen Seele erhält schon seine kritische Tätigkeit ihre bewegende Macht. Aus seinem Naturell, aus seinem Charakter erhob sich seine Verurteilung aller malenden oder

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u.r.ring

philosophierenden Poesie, der aus Anstandstugenden zusammengesetzten dramatischen Charaktere, der Moral der Mittelmäßigkeit. Das Wesen der Poesie ist Handlung. Der Gegenstand dieser Handlung ist die innere Vollkommenheit. Diese Vollkommenheit oder der vollendete Charakter erscheint in der freien Bewegung großer Leidenschaften, sie wird auf g e faß t in Mitleid, Mitfreude, im Erzittern unseres Gefühls mit den starken natürlichen Bewegungen der Leidenschaften: es ist Lessing, welcher aus Phiiotas redet: Ich bin ein Mensch und weine und lache gern. Aber der Kritiker war zugleich Dichter. In der intuitiven Anschauung des Dichters erhält das Lebensideal seine volle und naturgemäße Verkörperung. Auch die Poesie spricht ein Allgemeines aus wie die Wissenschaft, aber nicht in einer viele Fälle umfassenden Abstraktion, sondern in der Anschauung eines Lebens. Sie spricht es anschaulich aus und darum mit einer wunderbaren Macht über die Gemüter. Schon wer Minna von Harnhelm sah, mußte mit vollstem Behagen den Atem einer neuen Zeit empfinden: wo hatten diese Charaktere ihresgleichen, stolz auf sich selber ruhend, im Innersten lebendig und ganz natürlich bewegt, in knappen Worten die warmherzige Empfindung beherrschend? Man mußte das empfinde'll, aber man vermochte es noch nicht auszusprechen. Und Lessing selb:>t mußte einen langen Weg wissenschaftlicher Selbstbesinnung durchlaufen, damit er alsdann den vollendeten dichterischen Ausdruck seines Lebensideals fand. Dieser Ausdruck war Nathan. Wer ihn las, der empfand nicht nur, wie in Minna von Barnhelm, um sich, unsichtbar, den Atem einer neuen Zeit: er lernte sie begreifen, lemte ihr Mitbürger sein. Der Gedanke der Aufklärung ist in dem Helden dieses Schau· spiels zu vollendeter sittlicher Schönheit verklärt; und um ihn her ist eine dichterische Welt gebildet, in der sich, geschwisterlich heiter, die Hände reicht, was Lessing um sich in erbittertem Kampfe sah. Das ist der symbolische Sinn der paradoxen Wendung des Schlusses zu einer Wiedererkennung. Diese Wiedererkennung ist wie der verkörperte Zukunftstraum der Aufklärung. Ich sagte: dieses Ideal erhält in der intuitiven Anschauung de~ Dichters seine eindringlichste Macht. Dagegen erwachst demselben die volle Klarheit über sich selber nur in seiner Zerlegung durch die sittliche Reflexion, die volle Klarheit über seine Voraussetzungen nur in seiner Begründung durch eine Weltan-sicht. Und hier erklärt sich die Stellung, welche der Begründer des neuen Geistes zur Wissenschaft einnehmen mußte. Ich erwähne die Worte Mirabcaus in seinem Werk über die preußische Monarchie: die deutsche Poesie, sagt er. trägt den Charakter einer Epoche an sich, in welcher der Verstand Diltbey, Gesammelte ScbrirteR V,

1.

Hälfte

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Du dicltlerisclu ufld pllilosoplu'sclu Bewegu11g ;" Dtutscllltmd r77o-r8oo

den Sieg über die Einbildungskraft erlangt hat. Darum mußte sie eher Früchte als Blüten tragen. Er bezeichnete mit diesem Ausdruck wenigstens die äußeren Bedingungen des Vorganges genau: in einer Epoche, in welcher philosophische und theologische Theorien in jede Pore der Nation gedrungen waren, mußte auch der Dichter sein Lebensideal zum wissenschaftlichen Begreifen seines Gehaltes und seiner Voraussetzungen erheben. So entsprang Lessings Auseinandersetzung mit den herrschenden theologischen Begriffen. Aus ihr entwickelte sich alsdann seine Analyse des mündigen vollendeten Menschen. Diese Analyse ist allerdings sehr unvollkommen. Lessing scheint zu stammeln, wo er die Sprache der Begriffe redet. Und nur darum konnte das weit einseitigere Lebensideal Kants das Übergewicht über das seinige erhalten; ihm fehlte die Sprache der ::ittlichen Begriffe. Ich fasse seine Analyse zusammen. Das Wesen des Menschen ist Handlung, Wille; denWert der Handlung bestimmt ihr Beweggrund. Die Entwicklung der sittlichen Beweggründe in der Menschheit ist gebunden an die voranschreitende Aufklärung über ihre Vorstellungen. Also die Aufklärung der Vorstellungen ist der einzige Hebel für die Bildung des Willens, welcher dem Menschengeschlecht im Ganzen gegeben ist, diese Bildung voranzubewegen. Und zwar ist der Beweggrund der vollkommenen Handlung oder des vollkommenen Willens: das Gute tun um des Guten willen, unangesehen jeder Folge, jeder mit ihm in Zusammenhang gebrachten Belohnung. So ist auch der Beweggrund der Forschung nicht das ins Grenzenlose zurückweichende Ziel: die Wahrheit, sondern die Verfassung einer der Wahrheit gänzlich und offen zugewandten Menschenseele. Und an dieser Stelle wird nun der Kern des neuen Lebensgefühb selber sichtbar: erfülle dich mit dem selbständigen Wert jedes Tages, der so nicht wiederkehrt, laß endlich ab davon, jeden gegenwärtigen Augenblick zum Mittel für einen folgenden zu machen, die Empfindung hinauszuweisen in eine ungewisse Zukunft. Warum kann man das künftige Leben nicht ebenso ruhig abwarten wie einen künftigen Tag? Das ist die Verfassung der Seele, welche ihren höchsten Ausdruck in Schleiermachers Wort fand: "Ewig sein in jedem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion." Und dieses neue Ideal des Lebens begründete sich nun weiter in einer von Spinoza und Leibniz durchdrungenen Weltanschauung. Diese Weltanschauung ist die folgerichtige Durchführung des Gedankens der Entwicklung gegenüber dem Dualismus von Gott und Welt, von Gut und Böse, von Himmel und Hölle. In dem allumfassenden göttlichen Bewußtsein ist von der niedrigsten Form des Organischen ab

Die •weite Generation

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die Reihen aufwärts alles stetige Entwicklung bis zum Stufeng,mg in der religiösen Erziehung des Menschen selber. In Les.;ing wird aus Leibniz das 'historische Bewußtsein entbunden. Auf dem teleologischen oder ideellen Grunde von Leibniz erscheinen die geschichtlichen Er;cheinungen als notwendige Stufen einer Entwicklung, deren Ziel Aufklärung und Vollkommenheit ist. "Erziehung des Menschengeschlechts." Hier tritt er neben Hume. Diese beiden bezeichnen i.n verschiedener Art den Fortgang zu einem historischen Bewußtsein. Und in dem allumfassenden göttlichen Bewußtsein laufen nun die einzelnen menschlichen Individuen, Vorstellungen Gottes gleichsam, auf Grund der Bedingungen, welche in der Materie für ihre Vorstellungskraft gegeben sind, ihre unendliche Bahn zu jenem Guten um des Guten willen, dem verwirklichten Lebensideal, in welchem sich der Ring des Weltalls schließt. Das war Lessings Stellung in dieser Bewegung. Eine neue Welle trug die beiden Männer empor, welche bestimmt waren, dies Lebensideal und diese Weltansicht Lessings fortzugestalten - Goethe und Schiller. In ihnen fand das Lebensgefühl einer zweiten Generation seinen Ausdruck. Diese Generation hatte sich unter den neuen von Klopstock und Lessing geschaffenen Bedingungen gebildet: sie hatte dann in den entscheidenden Jünglingsjahren den ungeheuern Eindruck von J ean J acques Rousseau empfang~n: die Macht des aufsteigenden Naturstudiums empfunden. Durch das Zusammenwirken dieser geschichtlichen Bedingungen erhielt sie einen Anstoß über Lessing hinaus, welcher in einer vorherrschend moralischen und theologischen Epoche heraufgekommen war. Dem Geiste seiner Epoche gemäß hatte Lessing in der Aufklärung unserer Vorstellungen die hervorragendste Bedingung unserer allgemeinen Entwicklung gesehen. Nun ging man von der Bildung der Begriffe auf die elementarsten Operationen der menschlichen Seele zurück: als das wahre Subjekt der Entwicklung erschien der anschauende, seines Körpers und seiner Sinnesenergien ganz mächtige, in seinen Empfindungen sich frei bewegende Mensch. Aus diesem Gedanken ward eine Reform der Erziehung entworfen, und diese Reform ward die gemeinsame Sache der ganzen Nation. Aus dieser Richtung entsprang die Physiognomik von Lavater und Goethe, welche durch die Erscheinung in die gestaltende Seele zu blicken unternahm. Was aber das folgenreichste war: man .erblickte in der Form und Stärke dieser elementarsten Operationen die wahre Grundlage der höchsten geistigen Leistung~n. Diese erschien in ihnen, ganz abgesehen von einer hinzutretenden Kraft, Begriffe zu bilden und durch sie den Willen zu bestimmen. Und zwar ward diese Grundlage als Genie bezeichnet. Das Wesen des Genies ist also -nach Lavater-Goethes Schil~rungen

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Dtl dti:Aierisclu utui pAilos~Airclu BewtKf111J: ;" Deul.rcA/and 177D-r8oo

- eine bestimmte Art des Sentierens und Anschauens; "das Inspirations· mäßige", "die Apparition", die "Gegebenheit". Dies Genie wird demnach in seinen ursprünglichen Offenbarungen erfaßt, wo es noch unbeeinflußt ist von abstrakter Begriffsbildung, in Ossian, in Shakespeare. Auch noch inmitten der Verstandeskultur erhält es nur da seine volle Entwicklung, wo es seine Freiheit bewahrt gegenüber den ästhetischen und moralischen Regeln. Und hier zeigt sich nun cill bedeu· tendes moralisches Problem: das Verhältnis des sittlichen Genies zu den moralischen Begriffen. Es war das Problem Friedrich Heinrich Jakobis in der ersten Hälfte seiner Laufbahn, in AllwiU und Woldemar. Und zwar ist nun dies Genie nicht der besondere Grund des dichte· rischen Vermögens - wie Kant vorsichtig bestimmt hatte - sondern der allgemeine Grund aller schöpferischen Vermögen überhaupt. Die geniale Kraft des Sentierens und Anschauens soll durch ihre Offen· barungen auch die Wissenschaft reformieren. Winkelmann zuerst war mit einer großen Leistung dieser genialen Anschauung innerhalb der Wissenschaft hervorgetreten. Herders unendlich fruchtbare Tätigkeit ist auf dieses Verfahren gegründet. Eine Reihe tief eingreifender Arbeiten schließt sich an diese Werke, bis alsdann dies Verfahren von der Philosophie der Romantik und Schelling, ihrem Repräsentanten, durch seine verhängnisvolle Verallgemeinerung zum Prinzip der Welterklärung erhoben wurde. So war also das fortgestaltete Lebensideal dieser neuen Generation das dichterisch, wissenschaftlich, sittli.ch produktive Genie. Und ich weiß in der Wirklichkeit des Lebens keinen genaueren Ausdruck dieses Lebensideals als das bekannte Reisejournal Herders, in welchem er die Linie seiner künfti•gen Existenz w~ ins Unendliche zieht, die ganze Welt umfassend, eine Umgestaltung aller Wissenschaften. In der Dichtung aber gibt es nur eine ganz adäquate intuitive Darstellung desselben: die älteren Fragmente des Faust. Denn W erther, Götz, selbst die Räuber zeigen die geniale Natur in einer ihr heterogenen Sphäre, inmitten der Bedingungen des handelnden Lebens. Hier sieht sie sich in einen sonderbaren und höchst ungleichen Kampf ver· wickelt. Denn sie findet nichts von den schneidigen Verteidigungsmitteln in sich, welche ein Individuum befähigen, den Kampf mit der Gesellschaft aufzunehmen. So ist ihr ein tragischer Untergang gewiß. Faust allein, der schuldvolle, ist siegreich, denn ihm hatte Goethe voll, oder wenigstens mit dem geringsten Grade von Abstraktion, seinen eigenen genialen Willen mitgegeben. Und hier zeigt sich nun ein Phänomen, welches meine Ansicht von dieser Bewegung zu bestätigen sehr geeignet ist. Wie Goethe voranschritt, erhob sich weit über das Interesse an seinen Dichtungen

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Sc!Jükr

das Interesse an seiner Person und ihrem Lebensgehalt. Das war keine müßige Neugier. Das Zeitalter sah zu ihm auf als dem Inbegriff alles dessen, was das Leben dem Menschen zu gewähren vermag: das Lebensideal seiner Generation war in ihm verkörpert: er selber Faust, Tasso, Wilhclm Meister. Das war die Fortbildung des Lebensideals, wie es an die dritte Generation, die philosophische, überliefert ward. Nun erscheinen aber weiter Goethe und Schiller von Anfang a.n nicht als Dichter allein, sondern als Forscher. Sie ringen nach einer Verständigung des Menschen über sich selbst auf der Grundlage einer Anschauung des W eltganzen. Rings um sie mißlingende Versuche, hier und da hervorbrechend ein verzweifelter Verzicht auf die Harmonie und den Sinn dieses Weltganzen. Der Verlauf und die Resultate ihrer eigenen Entwicklung weit auseinandergehend. Schiller beschrieb, obwohl mit der Selbständigkeit einer großen Natur, doch die geschichtliche Bahn von Leibniz zu Kant. Die Gedichte der Anthologie verherrlichen mit einer hinreißenden Gewalt des Pathos die Weltansicht von Leibniz, die Harmonie des beseelten Universums. Freundlos war der große Weltenmeister, Fühlte Mangel - darum schuf er Geister, Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit! Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches, Aus dem Kelch des ganzen Geisterreiches Schäumt ihm die Unendlichkeit.

Und welches war nun der Gang, welchen er von dieser Reproduktion des Systems von Leibniz in der dichterischen Phantasie zu Kant nahm? Er hat ihn selber in den philosophischen Briefen von Julius an Raphael dargestellt. Unmittelbarer erscheint er in seinen Gedichten. Es macht den Charakter dieser Gedichte aus, wie sich hier überall das Schicksal seines leidenschaftlichen Lebensdranges in metaphysischen _Konzeptionen spiegelt. So entstanden die Resignation, die Götter Griechenlands, das Lied an die Freude, und fanden einen mächtigen Widerhall in der Nation. Es kam die Aufsage gegenüber jedem Glauben an eine übersinnliche Welt in der Resignation: wie umählige Male wiederholte man die bitteren Worte: Wer glauben kann, entbehre. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. .. . Dein Glaube war dein zugewogenes Glück ... . Was man ~on der Minute ausgeschlagen, Gibt keine Ewigkeit zurück.

Es kam andererseits der Protest einer großen dichterischen Natur gegenüber der rein mechanischen Auffassung der Welt in den Göttern Griechenlands:

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Die dickterisclre una plrilosoplrisclre Bewegung in Deutsclrland I770-I8oo Unbewußt der Freuden, die sie schenket, Nie entzückt von ihrer Herrlichkt:it, Nie gewahr des Geistes, der sie lenket, Sel'ger nie durch meine Seligkeit, Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr, Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere Die entgötterte Natur.

Ich wüßte nicht, daß in einer anderen Seele dieser Gegensatz der Weltanschauungen mit solcher Leidenschaft empfunden worden wäre. Zum Glück erhob ihn nun über diesen Kants kriti.scher Standpunkt. Und so begreifen Sie Schillers edles Wort: er preise sich glücklich, in diesem Zeitalter gelebt zu haben, in welchem ihm vergönnt gewesen, die Philosophie Kants zu erleben. Er hatte die Weltanschauung gefunden, die seinen leidenschaftlichen Geist versöhnte, und stand damit am Abschluß seiner philosophischen Entwicklung. Die ästhetischen Briefe bilden ihn. Wie ganz anders war die Bahn der Forschung, welche Goethe durchlief. Von der Natur begann er. Von geologischen Studien anhebend, dann mit den organischen Formen beschäftigt, durchmaß er ein langes Leben, um endlich bei den sozialen und religiösen Erscheinungen anzulangen. Diese große Richtung seiner Arbeiten faßte .Schiller folgendermaßen zusammen: "Sie nehmen die ganze Natur zusammen, um über das einzelne Licht zu bekommen: in der Allheit ihrer Erscheinungsarten suchen Sie den Erklärungsgrund für das Individuum auf. Von der einfachen Organisation steigen Sie, Schritt vor Schritt, zu der mehr verwickelten hinauf, um endlich die verwickeltste von allen, den Menschen, genetisch aus den Materialien des ganzen Naturgebäudes zu erbauen. Dadurch, daß Sie ihn der Natur gleichsam nacherschaffen, suchen Sie in seine verborgene Technik einzudringen. Eine große und wahrhaft heldenmäßige Idee." Diesem umfassenden Plan gemäß, die Natur durchforschend, in sich den Drang, mit Sonne und Luft~ mit Pflanzen und Wassern wie mit befreundeten Mächten zu leben, voranschreitend von den festen Grundlagen der organischen Welt zu den Pflanzen, den Tieren aufwärts, dem Menschen entgegen - überall in herbis et lapidibus das Göttliche suchend: das war die Verfassung, in welcher die schöpferische Konzeption des neueren Pantheismus sich in ihm bildete. Ich teile Ihnen die erste Form mit, in welcher er sie aussprach: "Natur! . . . . Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht .... Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben, und macht sich nichts aus den Individuen .... Sie lebt in lauter Kindern, und die Mutter,

Goetlu

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wo ist sie? ... Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur .... Sie liebt sich selber und haftet ewig mit Augen und Herzen ohne Zahl an sich selbst. Sie hat sich auseinandergesetzt, um sich selbst zu genießen. Immer läßt sie neue Genießer erwachsen, unersättlich sich mitzutei.len. . . . Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben." Also der Kern dieser Aufzeichnung: die Natur hat sich in allem Lebendigen auseinandergesetzt, um sich selber zu genießen. An sich selber unbewußt, kommt sie in den empfindenden, anschauenden, denkenden Organismen zum Bewußtsein ihrer selber. Diese Gestalt des Pantheismus unterscheidet sich von jeder früheren desselben, indem hier der Zusammenhang dieses Weltganzen als ein Prozeß, als eine Geschichte, in welcher die Natur sich ihrer selbst bewußt wird, angeschaut ist. Der Pantheismus des Altertums und der Renaissance hatte die Welt vorgestellt nach der Analogie eines beseelten Organismus: das war die berühmte Theorie von der Weltseele. Der Pantheismus Spinozas hatte sie vorgestellt als eine Fülle von Modifikationen der einmütigen unendlichen Substanz: jede Modifikation Wlter dem Gesichtspunkt des Denkens als Vorstellung erscheinend, unter dem Gesichtspunkt der Ausdehnung als Körper. In der Konzeption Goethes lag die Anlage zu einem ganz neuen Bilde des Universums: ein Stufenreich der Entwicklung, in welchem, was in dumpiem unbewußtem Weben die Natur durchwaltet, zur Empfindung seiner selber, zum Bewußtsein seiner selbst gelangt. Und dieser ist der Grundgedanke, welcher in den Systemen von Schelling und Hegel als die mmmehr aufgeschlossene WeltvernWlft die Gemüter ergriff. Hier ist also die Konzeption, vermöge deren die Natur verstanden werden kann. Es wird sich darum handeln, der Natur ihre Technik abzulauschen; denn in einer solchen muß das Wesen enthüllt werden, welches "denkt, aber nic}lt als ein Mensch". Das Vermögen aber, welches eine solche Technik entwirrt, klärte er sich an der Hand von Kants Kritik der Urteilskraft auf. Es war kein anderes als jene ir.tuitive oder geniale Anschauung, die in dem Dichter wirksam ist und welche seine Generation auch in die Forschung einzuführen begonnen hatte. "Wir können uns - hatte Kant gesagt - einen Verstand denken, welcher vom Synthetisch-Allgemeinen, dem Gedanken eines Ganzen, zum Besonderen fortschreitet d. i. von dem Ganzen- zu den Teilen." Dieser Verstand ist intellektuelle Anschauung. "Aber" - fuhr Kant fort - "ein solcher Verstand ist der Gottheit allein eigen." Darauf entgegnet denn Goethe gutes Mutes: wie wir uns im Sittlichen dem höchsten Wesen annähern sollen, so auch im Intellektuellen. Das Al,l-

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Du diclllerische und pkilosojmische Bewegung in Deutsck/and I770-I8oo

schauen einer immer schaffenden Natur muß uns der Teilnahme an ihrer Schöpfung würdig machen. Und so schloß sich an jene Grundkonzeption Goethes der zweite für die philosophische Entwicklung folgenreiche Gedanke: das Wesen dieser Natur oder ihre Technik erfassen wir durch eine intellektuelle Anschauung, welche vom Ganzen zu den Teilen voranschreiteL Und er machte Ernst mit dieser Erkenntnis der Technik der Natur. Naturforscher selber, wie Helmholtz, haben eingehend die großen und bleibenden Resultate dargestellt, zu welchen er durch diese Methode gelangte. Brach hier die Ausführung seines umfassenden Planes ab, welcher auf eine genetische Wissenschaft der Natur gerichtet war? Er konnte seinen Abschluß nur in einer vergleichenden Wissenschaft des Menschen finden: auf eine solche war er angelegt. Und hier kann ich nun weiter aus Goethes eigenen Aufzeichnungen ein merkwürdiges Verhältnis beweisen. Er selber betrachtete Herders Philosophie der Geschichte als Anwendung seiner Methode und seiner Grundgedanken auf das Studium des Menschen. Der Mensch muß verstanden werden aus der genetischen Kraft der Natur. Und zwar wird für die Lösung dieser Aufgabe ein umfassender Plan ineinandergreifender Wissenschaften entworfen: aus der Stellung der Erde im Weltgebäude die Bedingungen für alles organische Leben auf derselben abzuleiten; alsdann aus der Verteilung von Wasser und Land, Gebirg und Ebene die Verteilung des organischen Lebens auf ihr zu erklären: bis, mit Ritter zu reden, das Individuum der Erde zu voller Anschauung gelangt wäre mit all den Bedingungen, welche es für die Menschengeschichte darbietet. Und auf dieser Basis alsdann wird ein gänzlich anderes Studium des Menschen in seinen geschichtlichen Erscheinungen begonnen. Ein Teil dieses Plan1s erscheint in den unsterblichen Werken Ritters und Alexanders von Humboldt verwirklicht: für andere Teile stehen wir selber noch mitten in den ersten Vorarbeiten. So ruht Goethes forschendes Auge noch auf dem, was wir heute tun. Ich hahc hiermit die Grundlagen dargelegt, welche in zwei Generationen einer dichterisch-wissenschaftlichen Bewegung für das Werk der spekulativen Denker gelegt waren, welches nun begann. Ich komme damit zu der dritten Generation. Ich unterscheide zwei Gruppen. Die eine Entwicklung vollzog sich auf dem Boden von Berlin. Diese werdende Großstadt zeigte von Anfang an praktische Initiative. Hier hatten sich die Überzeugungen der Aufklärung in das Regierungssystem Friedrichs des Großen, in die Propaganda der Aufklärung umgesetzt. Und hier hatte sich nun in den neunziger Jahren eine Gesellschaft gebildet, vor der Reife, wie

Die drille Generation. Sclr.!eiermacker

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es schien, von Fäulnis ergriffen. Die Lehre vom schrankenlosen Recht der Leidenschaft stand hier einem nicht minder entsittlichenden praktischen Moderantismus gegenüber. Auf dem Boden dieser großstädtischen Gesellschaft erwuchsen die Lebensweise und die Doktrinen von Gentz, Tieck, Bernhardi. In dieser Umgebung erhebt sich die große besonnene Erscheinung Schleiermachers. Er war bestimmt, dem, was in diesen Freiheitstendenzen von bleibendem Gehalt war, einen unvergänglichen Ausdruck zu geben - in seiner Lehre von der freien Individualität. Was Kant, Lessing, Goethe, Schiller geleistet, lag ihm als Tatsache vor. Aus dieser Stellung folgten die geschichtlichen Aufgaben, in denen sein Leben verlief. Fichte zuerst sprach als ein von Kants Philosophie Ergriffener wieder aus: es komme nunmehr, da diese festgestellt sei, darauf an, durch sie die Welt zu reformieren. Durch die Dichter war die sittliche Gärung ungeheuer gewachsen. Goethe hatte sich in Weimar gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen, welche seinen Ideen vom Leben entsprachen. Auf dem Boden der großstädtischen Gesellschaft von Berlin wirkte seine Lebensanschauung. Das schrankenlose Recht der Leidenschaft trat hervor. Dieses alles faßte Schleiermacher zusammen. Er schloß die Gestaltung der sittlichen Weltanschauung und des Lebens durch diese große Epoche ab. Auf die Dichter folgt der Ethiker. Das Lebensideal, das in ihren Werken oft als schöner Schein erscheint, ward durch vieljähriges Studium des Lebens wie der moralischen Begriffe in seinem Wesen erforscht. Seine Verwirklichung ist dem Ethiker nicht wie dem Dichter ein glückliches Vorrecht bevorzugter Naturen, sondern in jedem Menschen liegt die ihm eigene göttliche Idee und der Anspruch auf ihre Gestaltung im Leben. Hier erklärt sich die Wahlverwandtschaft, welche Schleiermacher mit einer zweiten Epoche im Leben Friedrich Schlegels hatte. Wenn er sagte, daß er Goethe und Schelling bewundere, in Friedrich Schlegel aber eine hohe sittliche Natur liebe, so war das eine Paradoxie. Der Sinn dieser Paradoxie aber, daß, wenn Friedrich Schlegel inmitten dieser dem Ruin zucilenden, erst durch große geschichtliche Krisen später wieder erhobenen Gesellschaft eine Mission für die Umgestaltung der sittlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu haben glaubte: die Selbsttäuschung in diesem sich mit der Wahrheit in ihm seltsam berührte. Ich stehe hier, obwohl ungern, still vor der wissenschaftlichen Begründung, welche das in Lessing und Goethe entwickelte Lebensideal in Schleiermachers Lehre von der Individualität, der bildenden Sittlichkeit, den großen Formen der sittlichen Welt erhielt. Ich komme zur zweiten Gruppe. Aus der Weltansicht Goethes,

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Die dicklerisclu und pkilosojJkisclu Bewegung in Deutsck!and I770-I8oo

aus seiner Lehre von einer Anschauung, in welcher die Teile aus dem Ganzen verstanden werden, entwickelte sich das System Schellings. Dieser Zusammenhang erscheint am deutlichsten in einem Gedicht Schellings von 1799, welches gegen die Reden über Religion gerichtet war, und das ich daher in Schleiermachers Nachlaß vor· gefunden habe: nur ein Teil bis jetzt gedruckt. Es ist aus einer Zeit, in welcher SeheHing an einem großen Gedicht: Die Natur, arbeitetie: hier ist offenbar der Grundgedanke dieses Gedichtes, in barocker Form freilich: er redet von der Natur: Muß sich unter Gesetze schmiegen, Ruhig zu meinen Füßen liegen. Steckt zwar ein Riesengeist darinnen, Ist aber versteinert mit allen Sinnen, Kann nicht aus dem engen Panzer heraus, Noch sprengen das eiserne Kerkerhaus. Obgleich er oft die Flügel regt, Sich gewaltig dehnt und bewegt, In toten und lebendigen Dingen Tut nach Bewußtsein mächtig ringen. In einen Zwinger eingeschlossen Heißt in der Sprache Menschenkind Der Riesengeist sich selber findt. Vom eisernen Schlaf, vom lan~ten Traum Erwacht, sich selber erkennt er kaum. Möcht alsbald wieder mit allen Sinnen In die große Natur zerrinnen.

Und zwar unternehmen nun die Systeme von SeheHing und Hegel, das Problem, welches Kant gestellt hatte, durch die Weltansicht zu lösen, welche Goethe geschaffen hatte. Was mir in der Erfahrung gegeben, ist mir die Welt der Erscheinungen. Diese Erscheinungen entstehen, indem die Außenwelt mir gegeben ist durch die Formen meiner Anschauung und die Funktionen meines auffassenden Verstandes. Wie sie wäre, nicht in Raum und Zeit angeschaut, nicht durch die Funktionen meines Verstandes gedacht, wie sie an sich selber wäre, ist aller Erkenntnis entzogen. Diese Lehre - sagen SeheHing und Hegel - beruht auf einer Voraussetzung: der Annahme von der Heterogeneität meines erkennenden Vermögens und seines Gegen· standes. Ist aber der Geist nur die zum Bewußtsein ihrer selber ge'wmmene Natur, ist er also identisch mit der Natur: alsdann werde ich .n den Kategorien meines denkenden Vermögens zugleich die realen Kategorien der Weltentwicklung haben. Und hier erhebt sich das großartige logische Weltsystems Hegels. Hier ist unsere Grenze. Das war das Werk der dritten Generation.

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Es ist ein einmütiger Zusanunenhang großer Ideen, den ich von Lessing bis auf Schleiermacher und Hegel in seinen Grundzügen durchlaufen habe. Niemand weiß, wann einst mit reicheren Mitteln ein großer Geist an dieser Gedankenwelt fortbauen wird. Das Bedürfnis, die Bedeutung der Welt zu erfassen, ist ewig. Dies aber weiß ich, daß wir alle, bewußt oder unbewußt, teilnehmen an ihr, irgendwo in ihr mit unserem Gemüt heimisch sind - und daß sie doch den Ansprüchen des Gemüts und der Gesinnung einer ganz anderen Generation nicht mehr Genüge tut. Aber es nützt heute wenig, diesen oder jenen Winkel anders zu ordnen. Die Philosophie steht in einem gesetzmäßigen Zusammenhang mit den Wissenschaften, der Kunst, der Gesellschaft. Aus diesem Zusammenhang ent3pringen ihr ihre Aufgaben. Die unsrige ist uns klar vorgezeichnet: Kants kritischen Weg zu verfolgen, eine Erfahrungswissenschaft des men3chlichen Geistes im Zusammenwirken mit den Forschern anderer Gebiete zu begründen; es gilt, die Gesetze, welche die gesellschaftlichen, intellektuellen, moralischen Erscheinungen beherrschen, zu erkennen. Diese Erkenntnis der Gest:tze ist die Quelle aller Macht des Menschen auch gegenüber den geistigen Erscheinungen. Wenn der Zweck des Menschen Handeln ist: so wird die Philosophie für das handelnde Leben in seinen verschiedenen großen Richtungen, in Gesellschaft, sittlicher Wechselwirkung, Erziehung und Recht nur soweit wahrhaft fruchtbare Vorbedingungen gewähren können, soweit sie das Innere des Menschen auhchließt, soweit sie lehrt, anstatt mit keck versuchender Hand plötzlich in die innere Entwicklung ijes Menschen einzugreifen, welche uns heilig sein soll, in der moralischen Welt tätig zu sein nach klarer Erkenntnis ihres großen gesetzlichen Zusammenhanges.

AUFSÄTZE UND ABHANDLUNGEN

ÜBER DAS STUDIUM DER GESCHICHTE DER WISSENSCHAFTEN VOM MENSCHEN, DER GESELLSCHAFT UND DEM STAAT (1875) I,

Die Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und dem Staat, welche Wissenschaften ich der Kürze wegen als moralisch-politische zu bezeichnen mir gestatten werde, ist noch weit von der durchsichtigen Klarheit entfernt, welche die Geschichte der Naturwissenschaften schon heute in ihren Grundzügen besitzt. Diese Verschi~denheit der Reife in beiden Zweigen der Geschichte der Wissenschaften ist nicht gegründet in der Beschaffenheit der Quellen; eine besondere Ungunst waltet hier nur über unseren Nachrichten von der Entstehung der moralisch-politischen Wissenschaften in den Staaten griechischer Zunge vor Platon, während für diesen Zeitraum teils durch das Verdienst der Geschiehtschreibung in der aristotelischen Schule, teils infolge der vorwiegenden Neigungen der Schriftsteller, denen wir unsere Exzerpte verdanken, über den Gang der mathematischen und astronomischen Untersuchungen, der Vorstellt.mgen von der Konstitution der Materie ein weit helleres Licht verbreitet ist. Auch: ist diese Verschiedenheit nicht gegründet in einem Obergewicht der Quellenkritik und der Einzelforschung auf Seiten der Geschiehtschreiber der einzelnen Zweige und Epochen der Naturwissenschaften. Vielmehr beruht sie erstlieh auf der Tatsache des unvollkommenen Gesamtzustandes der moralisch-politischen Wissenschaften, verglichen mit dem der Naturwissenschaften; diese erstgenannten Wissenschaften vermögen noch nicht einen Zusammenhang aufzustellen, in welchem die einzelnen Wahrheiten nach ihrem Abhängigkeitsverhältnis von der Erfahrung und von anderen Wahrheiten geordnet wären; die wenigen Gliederungen, welche versucht sind, wie etwa die von Lorenz Stein, haben demgemäß noch ein subjektives Gepräge. Auf diesen Zusammenhang der Wahrheiten aber, welcher die Abhängigkeit einer Wahrheit von anderen Wahrheiten zeigt, wie ihn die Naturwi.:;senschaften für einen großen Teil ihres weiten Reiches gewonnen haben, ist in letzter Instanz die Durchsichtigkeit ihrer Geschichte gegründet.

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Ober d. Studium d. Gesclt. d. Wissensclt. vom Mensclten, d. Gesellseitaft u. d. Staat

Alsdann beruht diese geringere Vollendung der Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften auf der viel größeren Kornplikation von Ursachen, welche ihre Bahn bestimmen, und auf der hieraus fol· genden sehr großen scheinbaren Irregularität dieser Bahn. Nicht nur die moralischen, auch die Staatswissenschaften verknüpfen Wahrheiten, welche tatsächliche Verhältnisse begreifen, mit Regeln, welche sie ordnen. Sie werden daher in ihrer Entwicklung sehr wesentlich von Ursachen mitbestimmt, welche außerhalb unserer intellektuellen Stel· lung zu den Objekten liegen, von der Natur und den Zuständen der Völker, den Idealen der Zeitalter, den Erschütterungen der Gesellschaft und der Staaten, der vorandrängenden Macht der Interessen, welche sich in der öffentlichen Meinung ausspricht. Aus dem Willen entspringen hier Impulse zu neuen Theorien, die dann wieder auf den Willen zurückwirken. Dieselben Ursachen, welche diesen Zweig der Geschiehtschreibung in seinen Fortschritten gehemmt haben, geben ihm andererseits seine unterscheidende wissenschaftliche Bedeutung: er ist ein wichtiger Bestandteil der politischen Geschichte und ein mächtiges Hilfsmittel für die Lösung der realen Probleme, welche die moralisch-politischen Wissenschaften beschäftigen. Hierdurch besitzt sein Studium eine Wichtigkeit für die Fortentwicklung der moralisch-politischen Wissenschaften selber, wie sie der Geschichte der Naturwissenschaften in bezug auf diese letzteren weitaus nicht zukommt. "Da der Gang der politischen Wissenschaften" - sagt Robert von Mohl 1 - "mit dem ganzen Leben des menschlichen Geschlechts und mit der natürlichen Beschaffenheit der einzelnen Völker auf das engste zusammenhängt, so spiegelt sich in ihm auch der Verlauf der Weltgeschichte und das Wesen der verschiedenen Nationalitäten fortwährend ab." Die Trümmer der moralisch-politischen Theorien aus der Zeit der Durchführung radikaler Demokratie in Sizilien und Athen und des großen griechischen Krieges ergänzen in wesentlichen Zügen das Bild davon, wie diese politischen Abänderungen entstanden und wirkten, wie der lange furchtbare Krieg den Volksgeist in seinen Tiefen aufwühlte, welchen Schlamm, welche Zerstörung er zurückließ. Ohne die Schriften von Filmer, Hobbes, Locke, Milton gliche für uns die im Freiheitskampfe begriffene englische Nation, um ein Bild Dacons über die Stellung der Literatur zur politischen Geschichte zu gebrauchen, einem Riesen ohne Auge. Von weit größerer praktischer Wichtigkeit ist die hervorgehobene Stellung dieses ~weiges der Geschichte zu den Problernen der mora1

Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften I, 6.

Jlwe Bedeutung fiir die Moralpllilosopllil

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lisch-politischen Wissenschaften selber. Da die Bedeutung der Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften für die Staatswissenschaften vollständig anerkannt ist t, entwickele ich nur die Beziehung zu den Problemen der Moralphilosophie, als welche von der bisherigen Richtung diese Wissenschaft in auffallendem Grade unter dem Einfluß des systematischen Geistes vernachlässigt worden ist. Die Moralphilosophie schleppt gegenwärtig ihr Dasein nur noch auf den Kathedern hin und beginnt selbst auf diesen auszusterben. Dies ist aber die naturgemäße Folge davon, daß sie länger als irgendeine andere verwandte Wissenschaft den weitaus umfassendsten und am meisten objektiver Behandlung fähigen Teil ihres Erfahrungsmaterials, den in der Geschichte vorliegenden Inbegriff moralischer Zustände und der mit ihnen verbundenen Theorien aus ihren Untersuchungen ausgeschlossen hat. Daher ist auch heute noch der moralische Skeptizismus, welcher auf die Veränderlichkeit der sittlichen Wertschätzungen, Verpflichtungen und Ideale und der dieselben nach ihren Beweggründen entwickelnden Theorien gegründet ist, gegenüber einer Wissenschaft im Rechte, welche nicht einmal eine vergleichende Obersicht der Tatbestände, die ihr Reich ausmachen, cmtwickelt hat, und welche infolge hiervon bald aus dieser, bald aus jener Auffassung des Sittlichen ein systematisches Ganzes unbedingter AnforderWlgen bis in ilu zartestes Detail entwickelt. So lange die Moral bald so bald anders, aber immer mit der gleichen Unbedingtheit redet, so lange sie die Motive des sittlichen Handelns, welche doch über dessen Wert entscheidend sein sollen, in jeder neuen Darstellung anders, in jeder einseitig, unter Ausschluß der von anderen entwickelten Motive, bestimmt, so lange sie das Veränderliche, geschichtlich Wechselnde in ihren Normen und Idealen mit dem Stetigen ganz gleich, mit einer ganz gleichen Unbedingtheit des Anspruches entwickelt, so lange sie vor allem nicht die Abhängigkeit dieser Veränderungen von einer Regel feststellt, welche dann eben das unveränderliche sittliche Gesetz mitten in diesen Veränderungen in sich faßt: so lange ist moralischer Skeptizismus ihr gegenüber im Rechte. Und wenn die einfachsten Gebote der Moral, daneben die subtilsten Anforderungen des sittlichen Ideals in ganz der gleichen Form unbedingter Verbindlichkeit dem Handelnden gegenübertreten, wie in der ethischen Systematik geschieht, wenn z. B. das Streben nach Vollkommenheit dieselbe Verbindlichkeit beansprucht, als die Leistung des in einem Gelöbnis Enthaltenen: dann ist und bleibt der moralische Skeptizismus noch einmal in seinem Recht. Demgemäß ist die erste Bedingung für die 1 Vgl. z. H. Knies, Polit. Ökonomie vom Standpunkt der geschichdichen Methode S. 17 ff. Dilthey, Ge•ammeltc Schrüten V, 1. Hälfte 3

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(}Hf-ti. SIIHiiflm d. Gesell. ti. WissnucA.

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Mnucllm, d. Gue/lscllaj't

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d. Staat

Wiederherstellung der Moralphilosophie aus ihrem Verfall die Einführung der geschichtlichen Tatbestände und ihrer Benutzung nach vergleichender Methode, von denen der hier zu erörternde Zweig der Geschichte ein wichtiger Teil ist. Alsdann begegnet die Moralphilosophie bei ihren ersten Schritten sofort einem anderen Problem, welches eines der wichtigsten Kausalverhältnisse der Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften betrifft und demgemäß nur mit ihren Hilfsmitteln gelöst werden kann. Moralphilosophie als eine abstrakte Wissenschaft erscheint einer großen Klasse von Denkern als unfähig, Einfluß auf die Reg~lung des Lebens zu gewinnen; alsdann wäre der große Gedanke einer fortschrei· tenden Regelung der Gesellschaft, ihrer Interessen und Affekte durch Einsicht und Ideen ohne Realität. Den Grund dieses Satzes kan:n ich wohl in dem von Spinoza zuerst generell aufgestellten Gesetze entwickeln, daß ein Streben, ein Affekt nicht durch eine Vorstellung, sondern nur durch ein anderes Streben, einen anderen Affekt aufgehoben werden kann. Dieses "eherne" Gesetz, wie man es wohl nach einer bekannten Analogie nennen könnte, enthält aber nur die Forderung, daß der sittliche Gedanke eine affektive Macht habe. Die größten Philosophen haben diesen Anspruch in betreff der von ihnen entwickelten sittlichen Gedanken erhoben. Mit einer besonders im Gorgias und dem Staat offen hervorbrechenden Leidenschaft strebte die Philosophie Platons nach einer moralisch-politischen Reform, und Aristoteles setzte das Ziel der Ethik nicht in die Erkenntnis, sondern in das Leben, bestimmte das Ziel der ethischen Untersuchung: "nicht um zu wissen, was die Tugend sei, untersuchen wir, sondern um tugendhaft zu werden" 1; ihn entschädigte für die von ihm erkannte geringere Evidenz der Moral ihre Fruchtbarkeit für das Leben. Dann Kant: "wenn es irgendeine Wissenschaft gibt, die der Mensch wirklich bedarf, so ht es die, welche ich lehre, die Stelle geziemend zu erfüllen, welche dem Menschen in der Schöpfung angewiesen ist und aus der er lernen kann, was man sein muß, um ein Mensch zu sein." t Denselben Zug der Ethik Spinozas zeigt der Eingang des Fragments de intelleetos emendatione. Freilich steht dem philosophischen Gedanken kein Mechanismus zur Verfügung, die Gefühle und Bestrebungen der Massen zu regeln. Die Staatswissenschaften üben ihren mächtigen Einfluß auf die Regelung des menschlichen Lebens durch die Gesetzgebung; die abstrakte Moralphilosophie soll für sich allein auf die Massen wirken. Ein Verhältnis ist hierbei doch zu berücksichtigen. Wo eine gesunde Be·

J.

a Eth. Nie. I, II, :z. Kant (Rosenkr.) XI, S.

1

241,

Fragmente aus seinem Nachlaß.

35 ziehung der das Nationalleben bildenden Faktoren waltet, gewinnen die Wahrheiten der abstrakten Moralphilosophie anschauliches Leben und Organe der Wirkung durch die Vermittlung ·der theologischen Moral. Von Melanchtons Epitome philos.ophiae moraüs und der Einführung der aristotelischen Ethik in ihr durch die Beziehung von Kants Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vemunft auf seine Metaphysik der Sitten bis zu der Beziehung von Schleiermachers christlicher Sittenlehre auf seine philosophische geht diese Verbindung, durch welche die Systeme der abstrakten Moralphilosophie in Deutschland Einfluß auf weite Kreise der Bevölkerung erhielten. Aber auch ohne diese Vermittlung will die Moralphilosophie Einfluß gewinnen. Eine bewegende Macht kann aber nie durch eine bloße Analyse unserer sogenannten Triebe gewonnen werden. Noch neuerdings ist daher geschlossen worden, sie müsse in metaphysischen Wahrheiten gefunden werden. Da der Theismus nur eine heteronome Moral zu begründen imstande sei, so vermöge nur eine pantheistische Metaphysik neue bewegende sittliche Kräfte in der europäischen Gesellschaft ins Spiel zu setzen. Hierbei ist diejenige Möglichkeit übersehen, welche mit den sozialen und moralischen Gefühlen der gegenwärtigen Generation am meisten in Einklang ist. Denn die nächsten, natürlichsten und mächtigsten Beweggründe der Handlungen liegen in der Stellung des Individuums zu dem großen Ganzen, von dem es ein nicht einmal durch die Abstraktion der Einzelpsychologie wirklich ablösbarer Teil ist. Alle höheren psychischen Gebilde sind geschichtliche Produkte; schon der Begriff kann in Wirklichkeit nur definiert werden durch die Beziehung der in ihm bestimmten Vorstellung zu der Ordnung der Begriffe in der die Einzelintelligenz und ihre Arbeit einschließenden Wissenschaft; zumal aber die wesentlichen Erscheinungen unseres Willens haben in dem Individuum gar nicht ihren Grund. Dieses ganze geistige Reich, dessen Teil wir sind, als einen Fortschritt, einen aufsteigenden Stufengang enthaltend zu erweisen, ist gerade die Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften von _großer Bedeutung, weil sie die Verbindung: zwischen dem Fortschreiten der Intelligenz und der Regelung der Gesellschaft in sich faßt. Unter diesem systematischen Gesichtspunkt stellt sich also die Untersuchung des Ganges der moralisch-politischen Wissenschaften dar als historische Forschung in philosophischer Absicht, demnac~ als eine bestimmte Klasse der exakten Forschungen in philosophischer Absicht. Ein Verfahren dieser Art mit geschichtlichen Tatsachen ist dem geradezu entgegengesetzt, welches den vom Geschiehtschreiber schon künstlerisch gruppierten Stoff irgendeiner Presse unterwirft, um ihm seine Quintessenz zu entlocken, oder ihn mit irgend welchen phi·

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36 tJhr d. Shulium d. Ges&A. d. WissmscA. 'IIom MenscAm, d. Gesellseitaft u. d. Staat losophischen Wahrheiten zusammentreten läßt, um ein neues Produkt, Philosophie der Geschichte, zu gewinnen. Dies ist eine Art von neuer Alchymie oder Goldmacherei. Der Philosoph muß die Operationen des Historikers am Rohstoff der geschichtlichen Überreste selber machen. Er muß zugleich Historiker sein. 2.

Es fragt sich nun, welche Hilfsmittel und Methoden wir besitzen, den Zusammenhang der Geschichte der moralisch-politischen Wissen· schalten zu studieren. Das Gerüst des Verlaufs geistiger Bewegungen und wissenschaftlicher Leistungen liegt nur von außen angesehen in dem System von Stunden, Monaten, Jahren und Jahrzehnten, in dem wir sie ordnen. Die Einheit, durch die wir diesen Verlauf anschaulich vorstellen, muß in ihm selber liegen. Dem Verhältnis zwischen den Sekunden und Minuten der Uhr wnd dem inneren psychologischen Zeitmaß entspricht für große Zeiträume des geschichtlichen Ablaufs das zwischen den Jahrzehnten, Jahrhunderten und andererseits dem M e n · s c h e n 1eben in seinem mittleren Durchschnitt und in der Aufein· anderfolge seiner Leb e.n s alte r, da in dem Verlauf des Menschen· lebens die natürliche Einheit für anschauliches Abmessen der Ge· schichte geistiger Bewegungen gegeben ist. Gemäß dieser natürlichen Einheit messen wir nun die wirklichen, bald kürzeren bald längeren Lebenslinien der Individuen und die Zwischenräume, in welchen der Beginn der einen von tlem der anderen absteht. Eine graphische Darstellung dieser Lebenslinien ist zuerst von dem Physiker und Philosophen Priestley, in seiner Chart of biography, versucht worden; Poggendorff hat sich dann derselben m seinen Lebenslinien zur Ge· schichte der exakten Wissenschaften 1 bedient, doch blieb, soviel ich sehe, sein Beispiel unbeachtet. Hiervon war wohl der Hauptgrund, daß das Prinzip auch bei ihm noch sehr unvollkommen für den Zweck an· schaulieber graphischer Darstellung angewandt ist. Dem Zeitinbegriff des Menschenlebens ist dann eine zweite abmessende Vorstellung eingeordnet, die der Generation. Ich habe in meinem Leben Schleiermachers versucht, von dieser Vorstellung einen umfassenden GebPauch ru machen, ohne mir ihre Schwierigkeiten zu verhehlen. Aber ich habe ja dort überhaupt den Untergrund meiner Darstellung, der in meiner philosophischen Ansicht der Geschichte liegt, nirgends durchscheinen lassen. Generation ist zunächst also, wie erwähnt, die Bezeichnung für einen Zeitraum, und zwar ebenfalls eine von innen abmessende Vorstellung, welche der des Menschenlebens 1

Poa-gendortT, Lebenslinien 1853·

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eingeordnet ist. Dieser Zeitraum reicht von der Geburts- bis zu derjenigen Altersgrenze, an welcher durchschnittlich ein neuer Jahresring am Baum der Generation sich ansetzt, umfaßt also etwa 30 Jahre. Die intellektuelle Geschichte Europas seit Thales, dem ersten wissenschaftlichen Forscher, dessen Name und Verdienst sich erhalten hat, umfaßt nur 84 Generationen; wir sind von der letzten Blüte der Scholastik kaum durch 14 Generationen getrennt. Generation ist alsdann eine Bezeichnung für ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit von Individuen; diejenigen, welche gewissermaßen nebeneinanderemporwuchsen d. h. ein gemeinsames Kindesalter hatten, ein gemeinsames Jünglingsalter, derenZeitraum männlicher Kraft teilweise zusanunenfiel, bezeichnen wir als dieselbe Generation. Hieraus ergibt sich dann die Verknüpfung solcher Personen durch ein tieferes Verhältnis. Diejeni.. gen, welche in den Jahren der Empfänglichkeit dieselben leitenden Einwirkungen erfahren, machen zusammen eine Generation aus. So gefaßt, bildet eine Generation einen engeren Kreis von Individuen, welche durch Abhängigkeit von denselben großen Tatsachen und Veränderungen, wie sie in dem Zeitalter ihrer Empfänglichkeit auftraten, trotz der Verschiedenheit hinzutretender anderer Faktoren zu einem homogenen Ganzen verbunden sind. Eine solche Generation bilden z. B. A. W. Schlegel, Schleiermacher, Alexander von Humboldt, Hegel, Novalis, Friedrich Schlegel, Hölderlin, Wackenroder, Tieck, Fries, Schelling. Und in diesem Sinn bildet dann eine Generation eine Zusammenordnung von Erscheinungen zu einem dem erklärenden Studium zu unterwerfenden Ganzen. Man kann den Inbegriff der unzähligen Bedingungen, welche auf die intellektuellen Leistungen einer Generation wirken, in zwei Gruppen zer.legen.1 Zuerst tritt gewissermaßen der Besitzstand der intellektuellen Kultur hervor, wie er sich zu der Zeit vorfindet, in welcher die Generation sich bildet; von diesem Besitzstande aus blickt man in eine sehr große Mannigfaltigkeit möglicher Fortschritte. Indem sich nun das heranwachsende Geschlecht des angesammelten geistigen Gehaltes bemächtigt und von ihm aus fortzuschreiten sucht, befindet es sich dabei unter dem Einfluß der zweiten Gruppe von Bedingungen: des umgebenden Lebens, gesellschaftlicher, politischer, mannigfach unterschiedener Kulturzustände, insbesondere neu hinzutretender intellektueller Tatsachen; durch diese werden nun den Möglichkeiten weiterer Fortschritte, die von der früheren Generation aus sich darbieten, bestimmte Grenzen gezogen. Unter 1 VgL zu dem Folgenden die Ausführungen, die ich in der Abhandlung über Nova!is, PreuB. jahrbücher 1866, S. 596 fl'. [abgedruckt in "Das Erie'Dnis und die Dichtung", S. :&69 ff. seit der 3· Auft.; in der 2. Auft. S. 2 so ff., in der I. Auft. S. 203 ff.] gegeben h

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()W,. d. Shuliu• d. Gesell. d. W;ssmscll. 'llt»n Mensrlltt~, d. Gesellsduz(t u. d. Staat

Einwirkung dieser Bedingungen vollzieht sich die Bildung einer Summe von homogen durch sie bestimmten Individuen. Und hier scheinen wir nun ganz der Willkür der schaffenden Natur übergeben zu sein, aus deren rätselhaftem Sehoß die Individuen in einer bestimmten Auswahl und Reihenfolge sich erheben. Inzwischen erscheint doch die Annahme als die natürlichste, daß im ganzen sowohl das Maß als auch die Verteilung der Anlagen für jede Generation unter im ganzen gleichen Bedingungen nationaler Tüchtigkeit dieselben sind, daß also aus jenen zwei Gruppen von Bedingungen die Verteilung wie die Intensität der Leistungen zu erklären sein wird. So bildet eine solche Generation ein Ganzes, welches durch die wechselnde Korn· bination von Bedingungen zur Hervorbringung mannigfacher Rich· tungen wirksam ist. Nur daß wir gleich hier der Grenzen solcher Operationen uns bewußt seien. Die Form der historischen Darstellung täuscht so leicht über dieselben. Denn sie schreitet überall mit der Zeit selber vorwärts, ableitend, aus Ursachen Folgen entwickelnd, womöglich aus der Gesamtheit eines ursächlichen Zustandes die Gesamtheit des durch ihn bedingten Zustandes. Dies Verfahren ist nur ein schöner Schein der Kunst des Geschichtschreibers. Ich leite ab, indem ich aus der Verbindung der Ursachen eine Folge berechne. Dieses Verfahren ist der geschichtlichen Forschung selbstverständlich verschlossen, und der Gang unserer historischen Forschung ist dem viel ähnlicher, welchen Hippel einmal in einem Roman einzuschlagen· beabsichtigte: er wollte rückwärts, immer tiefer in die Vergangenheit hinein, vom Tode der Geburt, von den Folgen den Ursachen entgegen seinen Weg nehmen. Die Folge der Generationen, welche die europäische Wissenschaft geschaffen haben, bildet, in gewissen Grenzen die Sache verstanden, ein durch Kontinuität verbundenes Ganzes. Der wichtige Begriff der historischen Kontinuität zeigt auf jedem Gebiet ein anderes Antlitz. Die Kontinuität des wissenschaf~ichen Geistes beruht auf der völligen Übertragbarkeit von Vorstellungen und Begriffen von dem Denker, welcher eine Wahrheit gefunden, auf denjenigen, dessen Fas· sungskraft der Aufgabe des Verständnisses derselben angemessen ist. Hierauf beruht, daß sich, die Umstände sonst gleichförmig angenom· men, die Wahrheiten summieren, in jeder Generation vermehrt wer~ den, die Wissenschaften also ganz kontinuierlich fortschreiten würden. Dieses Grundverhältnis ist ganz abweichend von dem,. welches die Auf· einanderfolge sittlicher Zustände bestimmt. Inzwischen setzt auch im Gebiet der Wissenschaften die Menschheit nicht so gleichförmig ihre Jahresringe an. Indem die Übertragungen auf eine andere Nation, auf einen anderen Bildungszustand sehr unvollkommen sind, gehen wich-

Die historiselu Kontinuität

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tige Bestandteile des Erworbenen für die nächste Generation, ja oft für eine lange Folge von Generationen verloren und wirken dann erst wieder auf ein Zeitalter, dessen Fassungskraft der Aufgabe ihres Verständnisses angemessen ist. Ja in den Stürmen, der Not, der Gleichgültigkeit solcher Zwischenzeiten sind zweifellos wichtige gefundene Wahrheiten wieder untergegangen: da also ist eine wirkliche völlige Unterbrechung der Kontinuität. Die europäische Wissenschaft hat sich zuerst in den Mittelmeerstaaten des Altertums entwickelt, doch nicht ohne großen Verlust in bezug auf die in den griechischen Politien gefundenen großen Wahrheiten bei ihrer Übertragung auf italischen Boden. Die zweite Generation von Staaten, die neueren europäischen, wuchs dann langsam heran bis zu der ökonomischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Lage, in welcher die Übertragung der von den Alten gefundenen Wahrheiten stattfinden konnte, welche wir als Renaissance bezeichnen. Daher liegt in bezug auf die äußere Struktur der Geschichte der europäischen Wissenschaft der Verbindungspunkt ihrer Teile in der großen Tatsache der Renaissance, welche demgemäß eine besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen muß. Nachdem ich die Übertragung der moralisch-politischen Wissenschaften von den Alten auf die Neueren eingehender Untersuchung unterworfen, kann ich hier vorläufig das Ergebnis dahin aussprechen, daß die Begründung dieser Wissenschaften, insbesondere des Naturrechts und der Politik, im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in einem Umfang an die Alten .anknüpft, fortschreitende Renaissance ist, in welchem aies bisher nicht gesehen wurde. Unter verwandten Umständen der Gesell· schaft und des politischen Lebens werden vor allem die Theorien wie· der aufgenommen, welche das Individuum auf Selbsterhaltung :zurückführen, die Gesellschaft und den Staat auf die Selbstsucht der Indi· viduen, den Kampf um das Dasein und den Vertrag; und zwar geschieht dies, während die im Altertum korrespondierenden atomistischen Theo· rien ebenfalls ihre Übertragung erleben. Innerhalb dieses kontinuierlichen Ganzen möchte man nun die Stärke und den Umfang der wissenschaftlichen Richtungen, ihr Wachs· turn und Sinken, die Ausdehnung der Beschäftigung mit bestimmten Gruppen von Tatsachen in der Aufeinanderfolge der Generationen bestimmen: die großen Strömungen der wissenschaftlichen Atmosphäre. Ist dieses schon für die Geschichte der Naturwissenschaften wichtig, so wäre es für die der moralisch-politischen Wissenschaften geradezu unentbehrlich, da die Bewegungen in der Gesellschaft und der öffentlichen Meinung gerade durch dieses Mittel allein sozusagen einem exakten Maße, wenn auch auf sehr unvollkommene Weise, unterworfen werden könnten. Erst wo der Bücherdruck auftritt und große Beweg-

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t!kr d. Sbltiium d. Ge1de. d. Wü1nucA. vom Mnudun, d. Gueluclulfl u. ti. Staat

lichkeit erlangt hat, kann von einer wenn auch unvollkommenen Feststellung dieser Verhältnisse die Rede sein. Dieselbe läge nämlich in einer Ausnutzung des gesamten Bücherbestandes unserer Bibliotheken nach sozusagen statistischen Methoden. Doch ist ein Verfahren dieser Art über die Mittel von Privatpersonen hinausgehend; wo ich es auch nur unvollkommen angewandt habe, ergab es erst die Mögli:hkeit, das ganze Kausalverhältnis, von den allgemeinen Bedingungen eines Kulturkreises durch die öffentliche Meinung bis zu tastenden Versuchen, endlich zu einer genialen Schöpfung in den wesentlichen Gliedern vorstellig zu machen. Große intellektuelle Phänomene, die wir nur auf wenige Vorgänger bisher zurückführten, zeigen sich so als letztes Resultat einer großen geistigen Bewegung. So verhält es sich, um ein großes Beispiel zu nennen, wie ich nachweisen werde, mit der Affektenlehre Spinozas, einer der größten wissenschaftlichen Leistungen aller Zeiten, welche man bisher als nur durch wenige Vorgänger vorbereitet ansah. Die Bibliotheken sind unsere Archive: sie bewahren den Inbegriff der Urkunden für die Geschichte der Wissenschaften. Wenn die Archive gestatten, ein politisches Geschäft in seinen verschiedenen Stadien gleich einer dramatischen Handlung mit ihren Szenen und Akten zu überblicken - ausgenommen leider, was hinter der Bühne geschieht -, so gestatten die Bibliotheken, einen wissenschaftlichen Vorgang, welcher das Hervortreten eines Inbegriffs von Wahrheiten zum Ergebnis hat, in seinen Stadien festzustellen. Auch die Grenzen dieser Feststellung sind ähnlich; nur ein mäßiger Teil auch des äußeren politischen Vorgangs verläuft in schriftlichen Ausfertigungen, und gar die Genesis eines großen' EntschluS"Ses enthüllt uns kein Papier; der Gang des Beweises, den ein Buch enthält, ist in den meisten Fällen ein anderer als der Gang der Entdeckung, und selten geben große Denker, wie Descartes, selber Einblick in diesen letzteren. Nur eine Ausnahme besteht hier; wo wir aus dem Nachlaß eines großen wissenschaftlichen Denkers schöpfen können, entsteht das vollkommenste Bild, welches wir überhaupt von irgendeinem Teil der geistigen Operationen zu erlangen imstande sind, welche die geschichtlichen Fortschritte bewirken; jede streng chronologische Durcharbeitung eines solchen Materials ist ein Teil der Lösung der großen wahrhaft philosophischen Aufgabe, zu erkennen, "wie ganz zerstreute Elemente der Kultur, welche durch allgemeine Zustände, gesellschaftliche und sittliche Voraussetzungen, Einwirkungen von Vorgängern und Zeitgenossen gegeben sind, in der Werkstatt des einzelnen Geistes verarbeitet und zu einem originalen Ganzen gebildet werden, das wiederum schöpferisch in das Leben der Gemeinschaft eingreift." Das sind Mittel, durch welche das äußere historische Gerüst dieses

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und jedes anderen Zweiges der Geschichte der Wissenschaften noch zu einer weit realistischeren und exakteren Durchbildung gelangen kann und muß. Die Anwendung statistischer Methoden auf dieSchätze der Bibliotheken muß ermöglichen, den Umfang und die Stärke der Richtungen, der Beschäftigung mit einzelnen Zweigen usw., die örtliche Verteilung derselben auf eine quantitative Weise festzustellen. Graphische Darstellung, deren sich Alexander von Humboldt so glücklich für vergleichende Klimatologie bediente, muß die chronologische Grundlage, die Intensität, Ausdehnung und Verteilung der geistigen Richtungen, Beschäftigungen usw. immer mehr zu einem anschaulichen Ganzen vereinigen. Das Problem, in immer weiterem Umfang psychische Vorgänge den exakten Bestimmungen von Messung und Rechnung zu unterwerfen, ist in seinen Einzellösungen abhängig von dem Auffinden stetiger Verhältnisse zwischen den unmeßbaren Größen der psychischen Kräfte und der Beziehungen von solchen einerseits und meßbaren Vorgängen der Außenwelt andererseits. In bezug auf alle anderen Zustände der europäischen Gesellschaft ist statistisches Material nur für einen so engen Zeitraum vorhanden, daß Geschichte, aufgebaut auf exakten statistischen Grundlagen, noch nicht möglich ist. Aus dem Bedürfnis, die geistigen Bewegungen des 17. Jahrhunderts bis in ihr Detail vorstellig zu machen, mit einem höheren Grade von Sicherheit der sie umgrenzenden Linien, als mir dies bei einem früheren angestrengten Versuch rücksichtlich der deutschen Bewegungen in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts gelungen war, ergab sich von selber während des Materialsammeins in den Bibliotheken eine Reihe von statistischen Verfahrungsarten zum Zweck wirklich exakter Verwertung. Ich hege die Hoffnung, wenn die Geschichte der geistigen Bewegungen und des intellektuellen Fortschritts der Menschheit, welche ohnehin den außerordentlichen Vorzug besitzt, daß ihre Bestandteile, Bücher, in einer zuverlässigen und wahrhaften Weise sich uns darstellen, da über Gesinnungen und Absichten Menschen täuschen können, geistige Leistungen aber sich so geben müssen, wie sie sind und kein Schein hier standhält - wenn diese Geschichte sich aller ihrer natürlichen Hilfsmittel bemächtigt haben wird, dann wird kein anderer Teil der Historie sich mit ihr an wissenschaftlicher Strenge vergleichen können; dann wird die unverständige und nur aus Ignoranz in bezug auf die strengen hier in Frage kommenden Wissenschaften erklärbare Abneigung, ja Mißachtung vieler hochpolitischer Historiker gegenüber dem Studium der Geschichte der höchsten Äußerungen des menschlichen Geistes schwinden.t 1

Rücksichtlich eines anderen unter den dargelegten Mitteln, der Einführung des

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Ohr a. Studium d. Gesell. a. Wissm.uh. 'Vom Mnucltm, d. Gesellseitaft u. d. Staat

3· Aus den Vorhallen treten wir in das Heiligtum. Das äußere Gerüst soll schließlich die Erkenntnis des Systems von Kausalbeziehungen ermöglichen, welches so die exakt festgestellten Tatbestände der Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften zu einem Ganzen verknüpft. Die wissenschaftliche Aufgabe kann hier so gefaßt werden: für die feststellbaren Tatbestände in diesem Zweige der Geschichte, für ihr Nebeneinapderauftreten wie für ihre Folge, das System der Ursachen zu finden. John Stuart Mill hat in dem ihm selber wichtigsten Teil seiner Logik, in seiner "Logik derGeisteswissenschaften" oder "moralischen Wissenschaften", in diesem Punkte Comte folgend, die Methode der Erklärung geschichtlicher Tatsachen so bezeichnet, daß die Induktion aus den geschichtlichen Tatbeständ~n empirische Kausalgesetze feststelle, w.elche alsdann deduktiv aus den Ergebnissen des Studiums der menschlichen Natur verifiziert werden müßten. Über die Tragweite dieses zweiten Verfahrens besteht dann zwischen ihm und Comte eine wichtige Differenz, da Comte nicht das Zutrauen zu der wissenschaftlichen Sicherheit der Psychologie hatte, von welchem Mill in seinen Aufstellungen über eine Psychologie und Ethologie geleitet ist. Mill steht in diesem Punkte unter dem modifizierenden Einfluß von Adam Smith und der englischen Richtung der Nationalökonomie, als einer auf die Gesetze der menschlichen Natur gegründeten deduktiven Wissenschaft, und dieser Einfluß auf ihn wird verstärkt durch den Einfluß von J eremias Bentham. In Deutschland ist, seitdem Wilhelm von, Humboldt seinen Untersuchungen die leitende Idee zugrunde legte, "daß alles, was in der Menschengeschichte wirksam ist, sich auch im Innern des Menschen bewegt," eine verwandte Schule aufgetreten. 1 Ich habe wenig Zutrauen zu einem Versuch, die Methode der Erklärung historischer Tatbestände, wenn auch in noch so allgemeinen Grundzügen, für alle Zweige der Geschichte vorauszubestimmen. Ob ein Messer scharf ist, erfährt man am besten, indem man schneidet. Die Fruchtbarkeit einer Methode kann schließlich nur dadurch festBegriffes der Generation als des natürlichen inneren Zeitmaßes geistiger Bewegungen, freut sich der Verfasser des Zusammentreffens mit einer inzwischen hervorgetretenen Abhandlung Rümelins (in der bedeutenden Sammlung seiner Abhandlungen und Reden) über den Begriff der Generation, wo denn auch dies Zeitmaß auf statistischem Wege genauer bestimmt wird. 1 Welches Verhältnis die Geschiehtschreibung in Deutschland zu dieser philosophischen Richtung des deutschen Geistes zeigt, habe ich an einem interessanten Punkte, an Schlossers universalhistorischen Arbeiten zu zeigen versucht. Schlosser, PreuB. Jahrbücher 1862, Aprilheft.

Erkenntnis dw Kausai!Je•ullungm

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gestellt werden, daß durch sie Entdeckungen gemacht werden. Die Lage der Psychologie in ihren verschiedenen Zweigen rechtfertigt nicht das Vertrauen Mills, daß man sich ihrer in allen Zweigen der Ge· schichte erfolgreich zur deduktiven Verifikation von empirischen Gesetzen bedienen könne. Ich erläutere dies an einem einzelnen Fall. Bentham geht für seine Arbeiten von dem psychologischen Axiom aus, daß der Beweggrund aller Handlungen der Menschen darin liege, das Vergnügen zu erlangen und die Pein zu vermeiden, und er schreibt diesem psychologischen Axiom dieselbe Evidenz zu, welche die mathematischen des Euklid besitzen; hieraus folgt dann seine "Maximation des Vergnügens und Minimation der Pein der Menschen" als die Aufgabe der Gesellschaft. In der Tat ist dieser Satz, daß unsere Handlungen von Lust und Unlust bestimmt werden, geradeso die praktische Grundannahme des gesunden Menschenverstandes, als der Satz, daß unsere Vorstellungen sich nach den Dingen richten, die Grundannahme seiner theoretischen Oberzeugungen ausmacht. Der Grund ~einer Augenscheinlichkeit liegt darin, daß wir von dem uns zu Handlungen Bewegenden wirklich nur durch das mannigfache und komplizierte Spiel unserer Gefühle, der Lust und Unlust wissen. Was ist nun aber hiernach dieser Satz zunächst anderes, als die theoretische Formulierung des psychologischen Scheins, welchen die innere Wahrnehmung in bezugauf das Bewegende zu Handlungen in uns darbietet. Es wäre möglich, daß Lust und Unlust nur Weisen wären, wie die Hemmungen und Förderungen unserer Energien - wenn erlaubt ist, mich in Kürze des aristotelischen Ausdrucks zu bedienen - zum Bewußtwerden gelangen. Ja ich glaube, daß dies, besonders durch die Untersuchung der Art, wie Gefühle reproduziert werden, als die wahrscheinlichere Annahme erwiesen werden kann, und aus einer solchen tieferen Grundlegung folgen alsdann ganz entscheidende Abweichungen von dem System des Eudämonismus, welches solebergestalt als das System des psychologischen Scheins innerer Wahrnehmungen in bezug auf das zu Handlungen Bewegende bezeichnet werden kann. So lange eine Wissenschaft in dem Stadium ist, daß ihre allerersten Sätze in gewissen Zweigen gänzlich zweifelhaft sind (und Mill selber erkennt für seine Ethologie keine andere Methode an als die der Ableitung aus elementaren Sätzen), so lange kann von der Einführung ihrer Sätze in andere, exakter Behandlung fähige Wissenschaften, dergleichen Geschichte ist, nur Verwirrung erwartet werden. Anstatt also von dieser methodischen Schablone uns den Weg vorschreiben zu lassen, auf welchem für die Tatbestände der Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften die aufklärenden ursächlichen Beziehungen festzustellen wären, gehe ich von der Untersuchung der für diesen Zweig

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Obe,- d. Studium d. Gesell. d. Wissenscll. vom Menscllen, d. Gesellscllajt u. d. Staat

der Geschichte vorliegenden Aufgabe aus. Die Aufgabe selber muß sich die Methoden schaffen, welche ihr angemessen sind, wo, wie auf diesem Gebiet, noch nicht Spuren von Vorgängern sicher leiten oder die Analogie verwandter Versuche ein Licht auf den Weg wirft. Ich gehe von dem Einfachen aus. Indem ich die Untersuchungen der Logik über das Erkennen im allgemeinen voraussetze, frage ich, welches die besonderen Umstände sind, welche das Verhältnis der Intelligenz zu ihrem Gegenstande auf diesem Gebiete unterscheiden von dem Verhältnis, welches auf anderen Gebieten stattfindet und welche Folgen sich aus dieser Verschiedenheit für die Ordnung ergeben, in welcher die Wahrheiten der moralisch-politischen Wissenschaften gefunden werden. Hierbei wird vorläufig von den Einwirkungen aller anderen Faktoren abgesehen, gleich als ob der Vorgang der Entwicklung dieser Wissenschaften sich ganz unbeeinflußt von den Strömungen der Interessen, den Kämpfen der Parteien, den Leidenschaften und Gefühlen, welche die Gesellschaft in jedem ihrer Stadien erfüllt haben, vollzöge. Auch von der Natur umspannte die Kenntnis der ersten Griechen, welche sich wissenschaftlich in ihr zu orientieren beganne.-·1, nur einen mäßigen Umkreis, und sehr allmählich breitete sich dieselbe über ausgedehntere Räume und die in ihnen gegebene größere Mannigfaltigkeit insbesondere der organischen Wesen aus. Doch hat das Anwachsen der Erfahrungen auf dem Gebiete der moralisch-politischen Wissenschaften noch einen ganz anderen Charakter als auf dem der Wissenschaften der Natur. Wie eingeschränkt auch der Gesichtskreis der Schule von Milet war, die Natur, welche er umspannte, war doch dieselbe als die, welche einem heutigen Forscher zum Studium vorliegt. Dagegen hat sich der moralisch-politische Erfahrungskreis erst selber in den Generationen aufgebaut, welche gleichzeitig über ihn reflektierten. Denn die Zustände der umliegenden uralten Kulturstaaten waren den griechischen Stämmen zu wenig bekannt und zu heterogen, als daß sie Gegenstand der Forschung hätten werden können. Der Sagenkreis, der das Haupt des Solon als des großen Repräsentanten maßvoller griechischer Lebens- und Staatskunst umgibt, zeigt das lebendige Interesse für die großen Katastrophen jener Kulturländer; Gegenstand der Forschung konnten sie nicht werden. Und da Völker und Staaten sich langsam ausleben, ist auch heute der Erfahrungskreis der moralisch-politischen Wissenschaften noch ein sehr eingeschränkter. Hierin lag eines der !'itärksten Hindernisse für das Fortschreiten dieser Wissenschaften. Ich verdeutliche dies an einem Teil der politischen Theorien, welcher für die ganze moralisch-politische Weltauffassung von großer Bedeutung ist. Die griechischen Theorien

Stellung d. Intelligenz zu ihrem Ge~renstande in a. moralisck-polit. Wissenseitaften

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empfingen ihr~ vollendete Gestalt zu einer Zeit, in welcher alle Politien rein griechischer Abkunft schon ihren Höhepunkt überschritten hatten. Weiche Hoffnungen auch Platon an eine der spartanischen ähnliche Konstitution noch knüpfen mochte: für Aristoteles gab es kein Beispiel eines echt-griechischen Staates mehr, welcher dem Schicksal des Sinkens entnommen gewesen wäre. Soweit daher der Einfluß der griechischen politischen Theorie reicht, begünstigt er die Vorstellung von einem Kreislauf menschlicherDinge, gesellschaftlicher und politischer Zustände. Erst das Anwachsen des moralischen und gesellschaftlichen Erfahrungskreises ermöglichte die entgegengesetzte Theorie vom Fortschritt der europäischen Gesellschaft. Dieselbe war vorbereitet durch das Christentum mit seiner unvergänglichen Idee vom Reiche Gottes, mit dem Gedanken eines Fortschreitens von der Gesetzgebung des Moses zu der eines neuen Bundes, durch die an diese Ideen sich knüpfende alexandrinische Theologie, welche eine Erziehung des Menschengeschlechtes in der Reihenfolge der Religionen zuerst in ein System brachte. Alsdann ward sie durch die Erfahrungen der europäischen Gesellschaft zu einer reifen wissemchaftlichen Theorie entwickelt. So bedingte das allmähliche Anwachsen des Erfahrungskreises dieser Wissenschaften zu einem großen Teile das Auftreten und Verschwinden der Theorien. Den Naturwissenschaften ist der Sinnenschein von Körpern verschiedener Größe, in welchen Veränderungen der Beschaffenheiten vorgehen, die sich ausdehnen, zusammenziehen, im Raume bewegen, als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen gegeben, und sie haben sich nur langsam richtigeren Ansichten über die Konstitution der Materie genähert. In diesem Punkte besteht nun ein viel günstigeres V erhältnis zwischen der Intelligenz und den Tatbeständen des Menschen, der Gesellschaft und des Staats. Gerade die einfachen Tatsachen, welche die Naturwissenschaft erschließen muß, sind hier in der Wahrnehmung gegeben. In den Individuen gewahren wir in jedem eine gesonderte Einheit psychischen Geschehens. Und dies Geschehen, so weit es in die innere Wahrnehmung fällt, ist uns auch durchsichtig und anschaulich deutlich. In dem Zusammengesetzten finden wir das Einfache wieder. Die Mischung von zwei Empfindungen zeigt noch d:e Eigenschaften, die wir an den beiden einzelnen wahrnahmen, während in der Mischung von Stoffen die Qualitäten sich für eine uns nicht weiter verständliche Weise ändern. Aus den Einheiten psychischen Geschehens, als welche sich uns die Individuen darstellen, setzen sich vermöge wiederum ganz anschaulicher Beweggründe größere Ganze zusammen. Hieraus ergibt sich, daß die Einheiten, aus welchen die Gesellschaft sich zusammensetzt, das Geschehen in ihnen, die Kräfte,

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8/Jer d. Shldium d. Gesell. a. WissetU&A. vom MetU&Mn, d. Gesells&Aafl u. d. Staat

durch welche .sie aufeinander wirken, gleich den ersten Forschern auf diesem Gebiet in einer keinem Zweifel unterworfenen, inhaltlich wahren, durchsichtigen Weise vorlagen. Und so erklärt sich nun die merkwürdige Tatsache, daß aus einer so eingeschränkten Summe von Erfahrungen in drei oder vier Generationen von Forschern ein Zusammenhang von Wahrheiten aufgestellt werden konnte, welcher von einfachen psychologischen Tatsachen durch ethische zu einem tiefsinnigen Verständnis des Staates gdangt. Die politische Literatur der Griechen ist auch in bezug auf ihren Reichtum von Mohl nicht gehörig gewürdigt.t Und so wuchsen diese Wissenschaften weiter als ein von einfachen Elementen ·aus durchsichtiges Ganzes, wie sie zuerst von Aristoteles aufgestellt worden waren. Da es keiner wissenschaftlichen Abstraktion bedarf, um die Faktoren des realen Zusammenhangs der Gesellschaft in ihrer Wirkungsweise zu erkennen, haben in diesen Zweigen der Wissenschaft die Beobachtungen des Praktikers einen Wert, der ihnen in der Naturwissenschaft nicht zukommt. Andererseits ist das lebendige Gefühl der aktiven Kräfte in uns selber, mit welchen wir bei dem Nachdenken beständig sozusagen experimentieren, auch für den Forscher ein Ersatz für die fehlende Grundlage einer exakten Wissenschaft der elementaren Tatsachen. Auch dies wirkte dahin, daß die moralisch-politischen Wissenschaften trotz der groß~n Komplikation wirkender Ursachen in ihnen schon in einer frühen Zeit Theorien von klassischer Vollendung hervorbrachten. Auch die Beziehungen, welche in dem Inhalt eines Zweiges der Wissenschaften walten, bestimmen an gewissen . Punkten den Verlauf derselben, und dies ist das wichtigste Grundverhältni:; für die Erklärung dieses Verlaufs. Bestimmte Wahrheiten oder Gruppen von \Vahrheiten haben unweigerlich andere Wahrheiten zu ihrer Voraussetzung; ihre Entdeckung ist abhängig von der vorhergegangenen Feststellung jener anderen Wahrheiten. Dieses Verhältnis von Abhängigkeit in Beziehung auf die Feststellung deckt sich durchaus nicht mit dem Abhängigkeitsverhältnis der Wahrheiten voneinander im wissenschaftlichen System. Dennoch bietet dieses letztere Abhängigkeitsverhältnis einen Ausgangspunkt für die Feststellung des ersteren. Die Frage ist auf dem Gebiete d~r Wissenschaften des Menschen, der l..esellschaft und des Staates von besonderen Schwierigkeiten. Aber gerade hier an diesem Punkte muß sich entscheiden, ob die Geschichte dieser Wissenschaften in erster Linie von dem wechselnden Horizont der Erfahrungen, von den Bedürfnissen nnd Einwirkungen des tätigen 1

Literatur der Staatswissenschaften I, :z:z.

47 Lebens bestimmt ist, oder ob sie in einem gewissen Umfang von dertt Gesetz der Sache, von den Beziehungen des Inhalts dieser Wissenschaften selber abhängt. AIJIIiingiKkeitnJerlliilhlis der W alvlleitm untereinander

4· Wir wandten uns der Untersuchung der Möglichkeit zu, den Kausalzusammenhang und damit die wahre Natur und Form des Verlaufs für diesen Zweig der gc:istigen Bewegungen festzustellen. Die Bestimmung dieses ursächlichen Zusammenhang.;; hat ein hervorragendes Interesse für die Verstärkung der großen moralischen Motive, als welche das schlechthin höchste und allein durch keinen überragenden Wert bedingte Interesse der Menschheit bilden. Lessing, Herder, Kant haben im Geiste des 18. Jahrhunderts den Wert des großen Beweggrundes eines Glaubens an den Fortschritt der Menschheit schon in mustergültiger Weise aufgefaßt. Nun ist die Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften gerade das verbindende Glied zwischen der Geschichte der exakten Wissenschaften, in welcher seit Condorcets ersten genialen Aufstellungen immer genauer der gesetzmäßige Fortschritt in seinem ursächlichen Zusammenhang erforscht ist, und andererseits der Geschichte der moralischen, gesellschaftlichen und politischen Zustände, in deren Auf- und Niedergang bis jetzt noch nicht eine inmitten der Schwankungen fortschreitende Bewegung mit einiger Evidenz hat nachgewiesen werden können; daher muß vom Studium dieses Zweiges der Geschichte der Ideen und Wissenschaften eine weitere Förderung der großen Frage erwartet werden. Diese einleitende Abhandlung unternimmt zunächst eine Zergliederung des Problems vom Kausalzusammenhang in der Geschichte der moralisch·politischen Wissenschaften; die Auflösung kann nur das Ergebnis der historisch-kritischen Einzeluntersuclrungen selber sein. Philosophie der Geschichte in dem bisherigen Verstande ist ein Trugbild, dergleichen Naturphilosophie eines ist; aus einer summarischen übersieht über den von den Historikern bereits behandelten und künstlerisch gruppierten Stoff folgen, was auch von psychologischen, logischen, metaphysischen Elementen hinzugemi.;;cht werde, nur unbestimmte Halbwahrheiten. Genauere Kausalbeziehungen können vermöge eines solchen Überblicks wohl zur Wahrnehmung gelangen; aber festgestellt werden sie nur durch historisch-kriti.>che Methode, welche sich auf die durch Zergliederung und Forschung als entscheidend erkannten Punkte richtet. Denn der Fortgang von der Möglichkeit einer ursächlichen Verknüpfung zum Nachweis ihrer Wirklichkeit ist das Geschäft der Einzeluntersuch,mgen, und ·gerade die Vernachlässigung

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Vber d. Studium d. Gesch. d. Wissen.uh. vom Menschen, d. Gesellschf.!(lu. d. StQIJ.t

dieses methodischen Beweises ursächlicher Verknüpfung ist einer der gewöhnlichsten und zugleich der verhängnisvollsten Fehler der Geschichtschreibung, welche an die Feststellung der Einzeltatsache den strengsten methodischen Maßstab legt, dagegen Kausalbeziehungen, durch welche doch Geschichte erst sehend wird, meist mit einer größeren künstlerischen Freiheit zur Verknüpfung der Ta~bestände und zur Abrundung des historischen Gemäldes auf Grund innerer Wahrscheinlichkeit einfügen zu dürfen glaubt. Hier bedarf die Geschichte am dringendsten eine Verschärfung ihres logischen Gewissens, übersieht des Ganzen vermag demgemäß nur Probleme zu finden; ein anderes als verkleidete Probleme sind im Grunde die so gewonnenen unbestimmten Sätze nicht, und die beiden großen kritischen Köpfe. welche ebenfalls eine Philosophie der Geschichte entworfen haben, Kant und Lessing, stellten ihre Entwürfe der eine nur als ein Problem für die Untersuchung, der andere nur als eine Hypothese hin. Einzelforschung erst löst diese Probleme. Und zwar fürchte man nicht, nachdem die Trugbilder von Naturphilosophie und GeschichtsphiJosophie der kritischen Wissenschaft gegenüber nicht standhielten, verarme die Philosophie selber. Neuer-dings ist wiederholt die Frage untersucht worden, welcher Besitzstand ihr nach allen Einschränkungen ihres Gebietes, nach den letzten Grenzkriegen mit den positiven Wissenschaften verbleibe. Philosophie in denjenigen Grenzen, in welchen sie Wissenschaft ist und nicht in der Gesinnung wurzelt, ist die Wissenschaft, welche Logik (nebst Erkenntnistheorie) und Psychologie ausbildet und sich dieser beiden großen Hilfsmittel zur Lösung von Problemen bedient. So oft sich ein Einzelforscher, was leider selten geschehen ist wegen der in der Sache liegenden Schwierigkeit, dieser beiden großen Instrumente völlig bemächtigt, tritt er neben seiner Stellung in den Einzelwissenschaften in das Gebiet der Philosophie ein. Und wenn ein Philosoph, was von seiten beinahe aller großen Denker ersten Ranges geschah, dieser Werkzeuge sich bedient, um mit ihrer Hilfe in irgendeiner Wissenschaft neue Methoden oder Prinzipien einzuführen: gehört dieses zu den schönsten Triumphen echter Philosophie. Von den Alten zu schweigen, welche vor der Durchführung der Arbeitsteilung in den Wissenschaften arbeiteten, ,·erdanken Gassendi, Descartes, Hobbes, Hume, Adam Smith, Kant, Hegel, Schleiermacher dieser Art von Arbeit einige ihrer höchsten Leistungen. Ich vergleiche die Erkenntnistheorie, Logik, Psychologie mit Werkzeugen, Hilfsmitteln, und verstehe dabei unter diesen Wissenschaften nicht nur einen Inbegriff von Einsichten, welche an die anderen Wissenschaften herangebracht werden können : sondern wie die Mathematik bilden sie Methoden und Gewohnheiten geistigen Ver-

Logik und Gesckickle der Wirsmsckaflen

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fahrens aus, die nur durch eindringende Beschäftigung mit ihnen erworben werden und doch zugleich umfassender Anwendung über sie hinaus fähig sind. Dies ist, was wir als philosophischen Geist bezeichnen. Daher es nur einen Standpunkt gibt, welcher unter Anerkennung der Geltung der positiven Wissenschaften die Philosophie in ihrer Wurzel auflöst, den Standpunkt von Comte, der Psychologie und Logik verneint und als Philosophie das Geschäft übrig läßt, "aus dem Studium der letzten wissenschaftlichen Verallgemeinerungen einen gesonderten Zweig der intellektuellen Arbeit zu bilden" . 1 Nur Dilettantismus vermag heute noch dies Geschäft zu übernehmen; die strengen Grundlagen von Naturwissenschaften und von Geiste5wissenschaften können nicht mehr in demselben Kopf zusammengeiaßt werden, und wie die Fehlgriffe Hegels auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, beweisen das die ungenügenden Kenntni5se Comtes in den Geisteswissenschaften. 2 Der Ausgangspunkt einer Zergliederung des Problems vom Kausalzusammenhang in der Geschichte der moralisch-politischen Wis5enschaften liegt naturgemäß in der Untersuchung der Stellung des Erkennens zu dem Inbegriff von Tatsachen der Sitten und des Rechtes, der Wirtschaft und des Staates, des geschichtlichen und gesellschaftlichen Lebens, welche den Gegenstand dieser Gruppe von Wissenschaften ausmachen. Er liegt also in der logischen und erkenntnistheoretischen Erörterung. An diesem Punkte sind echte Logik, welche Wissenschaftslehre ist, und die Geschichte der Wissenschaften miteinander verknüpft. Das Verhältnis dieser beiden ist das der erklärenden Theorie und des mit ihrer Hilfe geordneten Zusammenhangs von Tatsachen. Jede echte Methodenlehre, wie die älteren schönen Arbeiten von Apelt, wie die bedeutenden zwei letzten Abschnitte in Lotzes kürzlich erschienener Logik zeigt diese Verknüpfung, ebenso andererseits jeder Versuch, in die Geschichte der Wissenschaften klaren Zusammenhang zu bringen. Für die Geschichte der Mathematik und der NJtturwissenschaften ist durch logische Zergliederung ein im Ganzen sichergestellter Ausgangspunkt gewonnen worden, von welchem aus der Kausalzusammenhang ihres fortschreitenden Ganges durchschaut werden kann. Dies geschah besonders seit den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, in welchen in England Whewells Geschichte der induktiven Wissen1 Philosophie positive I, 31. ' Besonders interessant ist in dieser Beziehung die Bedeutung, welche de Maistres Schrift du Pape für seine "Theorie der Ordnung" und für seine historische Auffassung des Mittelalters gewonnen hat. Vgl. seine eigenen Mitteilungen Philosophie positive 4, 184. D i lt h e y, Gesammelte Schriften V, 1. Hälfte 4

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(i!Jer d. Studium d. Gesc!J. d. Wissnucll. vom Mnuclun, d. Gesellscllaft u. d. Staat

schaften, in Frankreich Comtes Kursus der positiven Philosophie, in Deutschland die Arbeiten von Fries hervortraten, denen sich die von Apelt anschlossen. Durch diese Arbeiten wurde logische und erkenntnistheoretische Zergliederung zu den monographischen Arbeiten über die Geschichte der mathematischen und Naturwissenschaften in innere Beziehung gebracht und solebergestalt der Einblick in den ursprünglichen Zusammenhang dieser großartigen fortschreitenden wissenschaftlichen Bewegung eröffnet. Der für diese Abhandlung wesentliche Punkt, das Grundgesetz ihres wissenschaftlichen Fortschrittes, ist besonders durch Comte einer fruchtbaren Untersuchung unterworfen worden. 1 Er fand den richtigen Ausgangspunkt der Erforschung dieses Grundverhältnisses, und so einfach und wenig überraschend diese seine Feststellung ist, so ist doch in ihr, nicht in der unbestimmten und halbwahren Aufstellung der theologischen, metaphysischen und positiven Stufe aller Wissenschaften - einer echten Generalisation in der alteu Manier der "Philosophie der Geschichte" - ein klarer, rationeller Entwicklung fähiger Beginn. 5·

Dieser Ausgangspunkt liegt in dem Verhältnis von Abhängigkeit, in welchem zusammengesetzte Wahrheiten sich in bezug auf die einfacheren befinden, von welchen sie eine Anwendung auf einen Tatbestand sind, der neue Elemente enthält. "Chacun de ces degres successifs exige des inductions, qui lui sont propres, mais elles ne peuvent jamais devenir systematiques que SOUS 1' impulsion deductive, re· sultee de tous les ordres moins compliques." So ist von der einfachsten Wissenschaft, der Mathematik, zunächst die Mechanik abhängig, indem in dieser letzteren mathematische Wahrheiten mit einer bestimmten Klasse von Induktionen zusammentreten und so Wahrheiten von einer mehr abgeleiteten und komplizierten Natur gewonnen werden; von mathematischen und mechanischen Wahrheiten sind dann in derselben Weise physikalische abhängig; von all diesen zusammenwirkenden Wahrheiten chemische; und werden diese alle zusammengefaßt, so ist die deduktive Grundlage einer wissenschaftlichen Physiologie gegeben. Aus diesem einfachen logischen Tatbestand folgt ein gesetz' Ich entwickle im folgenden nur die Sätze Comtes, welche ich als einen aus dem logischen Problem des Kausalzusammenhanges der Geschichte der Naturwissen· schalten abgeleiteten, rationeller Entwicklung fahigen Ausgangspunkt für diesen Zweig der hilitorisehen Wissenschaft ansehe; in die Diskussion über das durch Herbert Spen· cer, Whewell und andere Forscher in Frage Gestellte und über dasjenige, welches mehr den Charakter von nicht klar umgrenzter und streng beweisbarer geschichtsphilosophischer Generalisation hat, gehe ich nicht ein.

5I liches Verhältnis für die fortschreitende Geschichte der Wissenschaften. Auch diese elementare Einsicht über den Zusammenhang in der Geschichte der Wissenschaften wird also durch eine logische Zergliederung gewonnen, gemäß der eben aufgestellten Regel. Dieses Comtesche Gesetz lautet nun: Die zeitliche Abfolge, in welcher nacheinander die Naturwissenschaften das Stadium der Reife erlangen, ist bedingt durch das Verhältnis logischer Abhängigkeit, welches zwischen ihnen besteht. Je höher in einer Wissenschaft die Zusammensetzung der Erklärungsgründe ihrer Phänomene steigt, je mehreren Wissenschaften sie also ihre Erklärungsgründe entnimmt, an einem desto späteren Punkte erscheint jene ihre reife systematische Form, in welcher sie in das System der Abhängigkeiten der wissenschaftlichen Sätze untereinander, wie es die in der Stufenordnung voraufgdlenden Wissenschaften darstellen, sich einordnet. "On conc;oit, que 1' etude rationelle de chaque science fondamentale exigeant Ia culture prealable de toutes celles qui Ia precedent dans notre hierarchie encyclop6dique, n'a pu faire de progres reels et prendre son veritable caractere, qu' apres un grand developpement des sciences anterieures relatives a des phenomenes plus generaux, plus abstraits, moins compliques et independants des autres. Cette consideration me semble d 'une telle importance, que je ne crois pas possible de comprendre reellement, sans y avoir egard, l' histoire de 1' esprit humain."l Das C(llll/ue/u Gueu

Durch dieses Comtesche Gesetz werden bestimmte Knotenpunkte in der geschichtlichen Abfolge der Wissenschaften festgestellt, an welchen aus den Wahrheiten der in der Stufenordnung der Wissenschaften voraufgehenden Wissenschaft zusammen mit den die folgende Wissenschaft konstituierenden Induktionen die reife systematische Form dieser folgenden Wissenschaft hervortritt. Das Studium der Abhängigkeit von Wahrheiten voneinander kann durch die einzelnen Abteilungen der Wissenschaften hindurch, durch die Entfaltung jeder einzelnen Abteilung verfolgt werden; jedes festgestellte Verhältnis dieser Art gestattet in dem Zeitpunkt der vollendeten Feststellung der zur Deduktion notwendigen Wahrheiten den terminus festzustellen, vor welchem die abhängige Wahrheit entweder gar nicht entdeckt oder nicht deduktiv dargestellt werden konnte. Das übrigbleibende Problem empfängt nun die allgemeinste Form: den von dieser Anordnung nicht bedingten Teil der Abfolge von Wahrheiten festzustellen. Die Fallgesetze wurden nicht darum erst von Galilei und in seiner Epoche gdunden, weil erst zu dieser Zeit die mat~ematischen Prämissen einer solchen Entdeckung vorhanden ge1

Philosophie positive I,

100.

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Ober d. Studtum d. Gesell. d. Wissensck. vom M enscken, d. Gese/lsckajt u. d. Staat

wesen wären. Die synthetische Geometrie entstand sehr lange nach der Zeit, in welcher die Prämissen einer solchen Erweiterung der Wissenschaft vorhanden waren. Schon hieraus sieht man, wie, da das obige Gesetz nur Zeitpunkte feststellt, vor welchen Wahrheiten nicht gefunden werden können, die V e r z ö g e r u n g in d e r A u ff in dun g von Wahrheiten, deren deduktive Prämissen gefunden sind, eine merkwürdige und sehr umfassende Aufgabe darbietet. Zunächst ist der Förtschritt der Naturwissenschaften innerhalb der von dem obigen gesetzlichen Verhältnis gesteckten Grenzen abhängig von der Entwicklung bestimmter Begriffe (ein Punkt, in dessen Klarlegung sich Whewell besondere Verdienste erworben hat) und von der Ausbildung der Methoden (der andere Punkt, welchen besonders Apelt einer tiefgreifenden Untersuchung unterwarf). So war der eleatische Begriff des sich selber gleich bleibenden, keinen Widerspruch in sich gestattenden Seins notwendig, sollte in die Naturauffassung die Erklärung aus unveränderlichen Einheiten, aus Atomen eintreten, wodurch dann weitere Fortschritte vorbereitet wurden. So, um von der Ausbildung der Begriffe zu der der Methoden überzugehen, ward die Mathematik durch Platon auf einen höheren Standpunkt erhoben, indem er die analytische Methode den Geometern zum Bewußtsein brachte und zu einem klaren Verfahren entwickelte. Auch Mill sagt in dieser Beziehung: Die spezielleren und vollständigeren Wissenschaften bedürfen nicht nur der Wahrheiten der einfacheren und allgemeineren, sondern in noch höherem Maße ihrer Methoden. Die wissenschaftliche Intelligenz muß, im Individuum sowohl als in der Gattung, in den mehr elementaren Stadien jene Kunst des Forschens erwerben und jenen Kanon des Beweises kennen lernen, die in den höheren Zweigen zur Anwendung zu kommen haben.t Demgemäß erlangen die strengen Methoden in Wissenschaften, deren Gegenstände mehr verwickelt sind, erst in einem späteren Stadium Anwendung, nachdem sie in einfacheren Wissenschaften schon zur Herrschaft gelangt sind. Alsdann ist der Fortschritt der Naturwissenschaften abhängig von einer negativen Bedingung. Die Geschichte des Fortschreitens der Wissenschaften ist zugleich die Geschichte der Einschränkung des Inbegriffs von Vorurteilen, welche in dem Bewußtsein der Gesellschaft überall den Platz der entsprechenden Wahrheiten einnehmen. Die theologischen und metaphysischen Vorurteile der Gesellschaft sind als das widerstrebende Medium, innerhalb dessen die Bewegung der Wissenschaft verlaufen muß, von Comte, Littre, Mill, Buckle einer eindringenden Analyse unterworfen worden, leider nicht ohne ein feindl

Mill, Werke, übers. von Gomperz 9, 28.

Dü At~flönmg der Voruruilt als negative Btd "K"'"K des Forlsdw lb

53 liebes Vorurteil ihrerseits, welches die tiefen und alle Abänderungen des Vorstellens überdauernden Wurzeln der Theologie und Metaphysik verkennt. Aber einen ebenso wichtigen Bestandteil dieser Widerstand übenden trägen Masse in den Köpfen der Menschen bilden die vom Sinnenschein, der als wahr angesehen wird, abstrahierten und nicht selten in der Sprache fixierten natürlichen Begriffe. Ein solcher hemmender Gedanke lag in der Vorstellung der sich verlangsamenden Bewegung als einer ursprünglichen Tatsache; ein solcher hemmender Gedanke lag in der Vorstellung der Kreisbewegung als der natürlichen Bewegungsform der höchsten Klasse von Körpern. Ja wenn man die Macht der von Aristoteles fixierten und dem Mittelalter übergebenen Begriffsordnung mit ih:rer bUva,..uc und €v€pre1a und €vTe>.€xe•a verstehen will, muß man davon ausgehen, daß in solchen Begriffen eine Systematisierung des in der Sprache fixierten natürlichen Vorstellens vorlag. Zu dieser weiten Verzweigung eines lebendigen Ganzen von Vorurteilen tritt als ein weiteres Element die anwachsende Masse leichtgläubig aufgenommener Berichte von Tatsachen, Lügen und Erfindungen von Drachen, Riesen, Hexen und dem unzähligen Gesindel der Einbildungen, das durch die Köpfe d-er Menschen in früheren Jahrhunderten schwirrte. Das Studium dieser negativen Bedingung des Fortschreitens unseres Naturwissens führte Buckle zu seiner Auffassung von der Bedeutung des voranschreitenden Skeptizismus für den Fortgang der europäischen Zivilisation im 17. und 18. Jahrhundert; aber gerade die der wissenschaftlichen Analyse und Auflösung am schwersten zu u.nterwerfende Form des Aberglaubens, die an den Sinnenschein und die von ihm abgezogenen Begriffe, entzog sich seiner Aufmerksamkeit. Gegenüber diesem im Laufe der Zeiten mächtig angewachsenen und in sich dem Gestrüpp gleich verwachsenen Inbegriff von Vorurteilen und Aberglauben ist dann auch mit dem Fortschritt des Naturwissens die Größe der Gesinnung verbunden, und das 16. und 17. Jahrhundert bildet das heroische Zeitalter der neueren Wissenschaft, wie das des Anaxagoras und Sokrates das heroische Zeitalter des griechischen Denkens war. 6. Die Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte bilden n i c h t ein Ganzes von e in e r l o g i s c h e n K o n stitution, welche der Gliederung der Naturerkenntnis analog wäre. Ja es kann heute noch nichts darüber entschieden werden, ob diese Wissenschaften jemals einer solchen logischen Konstitution sehr nahe kommen werden. Demgemäß wird mit Vermeidung irreleitender Analogien aus der Stellung des Erkennens zu dieser ande~

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OHr d. Sbuli11"' d. GucA. d. Wissm.r&A.

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Memcllm, d. Gese/lsclulft 11. d. Staat

ren Hälite der Wissenschaften, der anderen Halbkugel gewissermaßen des Ganzen des Wissens, das System von Ursachen und die innere Ordnung für diesen Zweig der Geschichte schließlich erklärbar werden müssen. Mit diesen Sätzen, welche nur den Tatbestand ausdrücken, sondern wir eine in den Grenzen des heute Erkennbaren sich bewegende Ansicht von der unbeweisbaren Grundannahme, durch welche Comte die Stellung dieses Teils unserer Erkenntnisse in der allgemeinen Geschichte der Wissenschaften festzustellen unternahm. Dieser Grundannahme Comtes sind vielfache Modifikationen insbesondere durch englische Forscher gefolgt, welche alle die Geschichte .ier Geisteswissenschaften und ihre Zukunft in einer von der tiefen deutschen Forschung gänzlich abweichenden Weise auffassen; eine unruhige Bewegung entstand, deren Wellen sich auch nach Deutschland hin ausbreiteten. Zwei wesentliche Modifikationen dieser Grundansicht , welche die Erkenntnis der geistigen Erscheinungen der gewonnenen Naturerkenntnis unterordnen will, lassen sich unterscheiden. Jede Art einer solchen Unterordnung würde die Stellung des Erkennens zu den geistigen Erscheinungen als seinem Gegenstande völlig ändern und auf die bisherigen Bestrebungen einen tiefen Schatten werfen. In der Tat wurzeln hier Comtes Mißachtung der bisherigen Psychologie und Politik, Buckles Mißachtung der bisherigen historischen Wissenschaft. Die Ansicht Co m t es als die erste der beiden Auffassu~n, welche den Geist der Naturerkenntnis unterzuordnen streben, betrachtet das Studium des menschlichen Geistes als abhängig von der Wissenschaft der Physiologie, was von Gleichförmigkeit in der Folge geistiger Zustände wahrgenommen werden kann, al~ den Effekt der Gleichförmigkeit in den Zuständen des Körpers, und so leugnet sie, daß Gesetzmäßigkeit in psychischen Zuständen für sich studiert werden könne. Diesem Tatbestand entspricht nach ihm die Stellung der Wissenschaft von der Gesellschaft in der Geschichte der Wissenschaften. Da sie die Wahrheiten aller Naturwissenschaften zu ihrer Voraussetzung hat, gelangt sie erst nach ihnen allen in das Stadium der Reife, d. h. zur Feststellung derjenigen Wahrheiten, welche die gefundenen Einzelwahrheiten zu einem wissenschaftlichen Ganzen verknüpfen. Die Chemie trat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Lavoisier in dieses Stadium; die Physiologie erst im Beginn unseres Jahrhunderts mit der Gewebelehre von Bichat; so schien es Comte, daß die Konstituierung der gesellschaftlichen Wissenschaften als der höchsten Klasse wissenschaftlicher Arbeiten seinem eigenen Zeitalter, ja ihm selber zufalle. Doch besteht - und dieses ist einer der Punkte,

Unterordnung der geistigen Ersclteinungen unter die Naturerkenntnis !Jei Comte

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an denen sich Comtes genialer Blick mitten in seiner Neigung zu einförmiger Reglementierung der Wissenschaften zeigt - ein anderes logisches Verhältnis zwischen den geselhchaftlichen Wissenschaften und dem Inbegriff aller ihnen voraufgehenden, zumal aber der letzten von diesen, der Biologie, welche auch unsere geringe Kenntnis psychischer Zustände in sich faßt, als dasjenige, welches zwischen irgendeiner der früheren Wissenschaften und den sie bedingenden Wahrheiten sich findet. Die logische Abhängigkeit erscheint hier als eine andere. Das Verhältnis der Deduktion und der Induktion ist an diesem höchsten Punkte der Wissenschaften umgekehrt. Die Generalisation aus dem in der Geschichte gegebenen Stoff ist der Schwerpunkt des Verfahrens der Wissenschaften der Gesellschaft, und die Deduktion aus den Ergebnissen der Biologie dient nur zur Verifizierung der so gefundenen Gesetze. Zwei voneinander unabhängige unbeweisbare Annahmen liegen dieser Ansicht zugrunde, welche das Studium der geistigen Erscheinungen der Naturerkenntnis unterordnet. Die Annahme der ausschließlichen Bedingtheit psychischer Zustände durch physiologische ist ein voreiliger Schluß aus Tatbeständen, welche nach dem Urteil der unbefangenen physiologischen Forscher selber durchaus keine Entscheidung gestatten.t Die andere Behauptung, innere Wahrnehmung sei in sich unmöglich und unfruchtbar - "ein Unternehmen, das unsere Nachkommen einmal zu ihrer Belustigung auf die Bühne gebracht sehen werden" - ist aus einer ungenauen und verzerrten Analyse des Vorgangs gefolgert, welche die Unmöglichkeit desselben keineswegs dartut; sie ist durch die Darlegung der Unvollkommenheit der bisherigen Ergebnisse ebensowenig bewiesen. Die ausnehmend lebhafte Bewegung in der englischen und deutschen psychologischen Wissenschaft zeigt ganz andere Erwartungen bei den bedeutenden Köpfen, welche sich diesem Gegenstande gewidmet haben; und erst die Zukunft kann darüber entscheiden, ob aus solchen Arbeiten eine Assoziationspsychologie entstehen wird, deren Gesetze durchgehende Geltung und zugleich Fruchtbarkeit zur Erklärung des Besonderen besitzen. Es gibt keine Art von Schluß hierauf aus irgend welchen Prämissen. ]. St. Mill freilich scheint in den gegen Comtes Annahme ge· richteten Stellen seiner Logik 2 den gegenwärtigen Zustand der AssoSo auch wieder Hitzig in den bedeutenden Untersuchungen über das Gehirn. S. 56 u. a. a. 0. 1 Mill, Logik (übers. v. Schiel, 2. Aufl. 1862) 2, 449 ff., vgl. auch die merkwür· dige Stelle I, 536, in welcher er die Ansicht ausspricht, die Physiologie werde wahrscheinlich eines geringeren Grades von Vervollkommnung fähig !;ein als die Wissenschaften der Gesellschaft. Brentano, Psychologie I, 35 ff. Abweichend Lange, Geschichte 1

Sb

0Jw d. Slltd'IIM d. GueA. d.

Wü~nUeA. """'MMUcltnl, d. Gu6/lsdlqftu. d. S'-1

ziati.onstheorie zu überschätzen. Also diese Annahmen Comtes sind unbewiesen. Damit ist dann auch die S t e 11 e in Frage gestellt, welche er dem Studium psychischer Zustände als einem Teil der Biologie und den Wissenschaften der Gesell&chaft als dem letzten seiner Hierarchie der Wissenschaften eingeordneten, sie alle zu ihrer reifen Ausbildung voraussetzenden Gliede derselben anwies. Die natürliche Ansicht ist nicht mehr abgeschnitten, welcher gemäß diese Wissenschaften zusammen mit der Psychologie neben denen der Natur, auf ihren eigentümlichen und unabhängigen Erkenntnisbedingungen ruhend, ihre Stellung haben, anwachsend aus eigenen Erkenntnismitteln in erster Linie, alsdann auch durch die Fortschritte der Wissenschaften vom Erdganzen und von den Bedingungen und Formen des Lebens und der Entwicklung auf ihm gefördert. Die Untersuchung dieser Beziehungen ist ein ganz besonders interessanter Teil der von mir erörterten Zweige der Geschichte. Die Stellung, welche Comte den Wissenschaften der Gesellschaft anwies, ist nicht einmal im Einklang mit seiner ei·genen Reform derselben, welche auf der Analyse der in der Geschichte gegebenen Tatbestände in erster Linie ruht und ganz wohl unabhängig von den letzten Fortschritten der Naturwissenschaften, ja in einem früheren Stadium derselben hätte vollzogen werden können. Ein anderes ist freilich, daß die Methoden sich naturgemäß früher in den einfacheren und von der Welt unserer Gemütsbewegungen entfernteren Wissenschaften entfalten, und hier liegt eine mitwrrkende Ursache der langsameren Entwicklung der Wissenschaften der Gesellschaft vor, welche Comte mit Recht hervorhob und insbesondere Mill scharfsinnig aber einseitig entwickelte. Hiermit gelangen wior zu der anderen der beiden Ansichten, welche die Geisteswissenschaften denen der Natur unterordnen. J. S t. Mi 11 erkennt die Selbständigkeit der Erklärungsgründe der Geisteswissenschaften vollständig an, aber er ordnet ihre Methoden zu sehr dem Schema unter, welches er aus dem Studium der Naturwissenschaften entwickelt hat. Ja man kann sagen, daß nichts in seiner Logik eine solche Wirkung gehabt hat als der Versuch ({er berühmten Schlußkapitel, die aus der Technik der Naturwissenschaften entwickelten Metboden auf das Gebietder Geisteswissenschaften zu übertragen. Ich zitiere die einleitenden Worte, welche dies als seinen leitenden Gedanken dartun. "Wenn in Betreff der bei weitem wichtigdes Materialismus 2, 395, welcher aber die Frage ebenfalls der weiteren Entwicldunr anheimsteUt. Das Inhaltlich-Bedeutendste regen Comtes ersten Satz gibt Lotze in seiner Darlegung der Unverstleicbbarkeit der physischen und psychischen Vorgänge. I MiU, Lo~k 2, 436

()!Jerlragflng der Metlwdm der Natrwerlunntni.s auf die Geisleswissmscluift. Mü/

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sten Dinge, womit sich der menschliche Geist beschäftigen kann, eine allgemeine Übereinstimmung der Denker jemals stattfinden soll; wenn das, was man das eigentliche Studium der Menschheit genannt hat, nicht bestimmt ist, der einzige Ge,genstand zu bleiben, den von Empirie zu befreien der Philosophie nicht gelingen will, so muß dasselbe Verfahren, durch welches die Gesetze vieler einfacher Erscheinungen, wie allgemein anerkannt, außer aller Frage gestellt wurden, in diesen schwierigeren Untersuchungen mit Bewußtsein und Bedacht angewendet werden. Wenn einige Gegenstände Resultate ergaben, denen zuletzt alle auf den Beweis Achtenden einstimmig beistimmten; wenn man in Beziehung auf andere wenig glücklich war und die scharfsinnigsten Geister sich von der frühesten Zeit an mit denselben beschäftigten, ohne daß es ihnen gelungen wäre, ein ansehnliches, gegen Zweifel und Einwürfe gesichertes System von Wahrheiten zu begründen, so dürfen wir diesen Fleck vom Antlitz der Wissenschaften dadurch zu entfernen hoffen, daß wir die bei den ersteren Untersuchungen so glücklich befolgten Methoden verallgemeinern und sie den letzteren anpassen. Die folgenden Kapitel sind ein Versuch, die Erreichung~ dieses höchst wünschenswerten Zieles zu erleichtern." Er atellt diesen Wissenschaften das Kantsche Problem: "es bleibt zu untersuchen, ob Geisteswissenschaften existieren oder existieren können, auf welchen Grad von Vollkommenheit sie gebracht werden können und durch welche Wahl oder Anpassung der in den früheren Teilen dieses Werkes dargelegten Methoden dieser Grad von Vollkommenheit zu erreichen ist". Die Lösung dieses Problems liegt ihm in einer "Anpassung" der in dem Gebiet der Naturwissenschaften entwickelten Methoden an die Geisteswissenschaften. Unsere ganze Darlegung wird eine Auseinandersetzung mit diesem Standpunkte, mit den Ausführungen des letzten Buches der Logik sein, welche in England und Frankreich von einer Reihe hervorragender Forscher adoptiert worden sind und deren erste Einwirkungen auf unsere Wissenschaft in der Wirkung Buckles lagen. Im Gegensatz gegen diese Auffassung versetzen wir uns in das Problem der in Frage stehenden Wissenschaften, zergliedern dieses Problem, entdecken Abweichungen der hier gegebenen Einzelprobleme von denen der Naturwissenschaften, erörtern von ihnen aus den umfassenden Lösungsversuch, welchen die Geschichte dieses Zweiges der Wissenschaften bietet. Gerade Deutschland ist die Heimat derjenigen Arbeiten, welche aus der zartesten und biegsamsten Empfindung des Eigentümlichen dieses Gebietes von Tatsachen entsprangen. Keiner freilich von den deutschen Forschern hat in zureichendem Umfang das logische Problem dieser Wissenschaften gestellt, ge-

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{)!Jer d. Studiu111 d. Gesell. d. Wissm.sc/1. vo111 Menscllm, d. Gesellscllaft u. d. Staat

schweige denn, daß in der Art, wie Apelt und Whewell dieses für die Naturwissenschaften getan, der Zusammenhang zwischen den Problemen, den möglichen Methoden und der ursächlichen Verknüpfung in der Geschichte dieser Wissenschaften zum Gegenstand dieser Forschung gemacht worden wäre. Wir überblicken das Feld von Tatsachen, um deren Studium es sich handelt.

7· Sitte, Recht, Wirtschaft und Staat bilden ein Ganzes, das praktische Leben der Gesellschaft. Eine Orientierung über diese Seiten der Gesellschaft war nächst der Philosophie diesen Wissenschaften selber Bedürfnis. Die Klassifikationen, insbesondere von Schelling, Hegel und Schleiermacher, enthalten konstruktive Elemente, welche dem exakten Beweis unzugänglich sind. Realistischer untersuchten die moralisch-politischen Einzelwissenschaften .>elber, welche 1:1aturgemäß strebten, ihre Gebiete deutlich abzugrenzen. Indem Roseher als die verschiedenen Seiten der Gesellschaft Sprache, Religion, Kunst, Wis.>enschaft, Recht, Staat und Wirtschaft unterscheidet, bemerkt er: "Inmitten dieser allgemeinen Verwandtschaft ist jedoch leicht zu sehen, daß Recht, Staat und Wirtschaft eine besondere gleichsam engere Familie bilden (soziale Wi5senschaften im engen Sinne). s:e beschränken sich fast ausschließlich auf das von Schleiermacher sog. wirksame Handeln".t Arnold hat dann zum Zweck seiner Untersuchung der Natur des Rechts den Versuch gemacht, das Verhältnis dieser verschiedenen Gebiete des praktischen Lebens zueinander zu bestimmen.' "Der engste Zusammenhang besteht zwischen dem wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Leben eines Volkes. Ja es sind diese drei Gebiete eigentlich nur drei verschiedene Seiten eines und desselben Gebietes, des äußeren praktischen Lebens, das wir im engeren Sinne die bürgerliche Ordnung oder Gesellschaft des Volkes nennen können. In der Wirklichkeit und im Leben kann es niemals eine Wirtschaft ohne Recht, ein Recht ohne Staat und einen Staat ohne Wirtschaft geben. Es sind die drei Seiten eines Dreiecks, deren jede die andere deckt (?) und die erst zusammen eine abgeschlossene Figur bilden." Diese drei Seiten des praktischen Lebens bezeichnet denn auch Arnold als Elemente oder Faktoren des nationalen Lebens. Sprache, Kunst, Wissenschaft, Sitte, Recht und Staat erscheinen ihm als die Faktoren, aus denen das nationale Leben besteht und hervorgeht. Die drei ersten "können wir vorzugsweise als geistige Lebensäußerungen der Völker auffassen". "Zwischen ihnen auf der einen 1

1

Roscher, Nationalökonomie I. 30. Arnold, Kultur und Rechtsleben S. 17 tf., S. 89 ff.

Das luznde/ntie LeiJen der Gesellseitaft

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Seite und einer anderen Gruppe nationaler Lebensäußerungen, bei welcher das leibliche oder physische Element viel breiter und tiefer einwirkt, steht als Mittelglied die nationale Sitte." "Wir nehmen hier Sitte im allgemeinsten Sinn und begreifen darunter nicht bloß das, was man jetzt gewöhnlich in einem engeren Sinne Sitte zu nennen pflegt, sondern auch das, was man jetzt als Sittlichkeit im Gegensatz zu die5en mehr äußeren Sitten und Gebräuchen bezeichnet, das innere sittliche Verhalten der Menschen, gleichviel ob es sich in bestimmten Handlungen verkörpert oder nicht. Und in diesem weiteren Sinne, in welchem die Sitte recht eigentlich im Mi.ttelpunkt des nationalen Lebens steht, nannte ich sie eben ein Zwischenglied." Von dieser Darlegung Arnolds aus wird wohl deutlich, ohne daß wir durch weitere Erwägungen aufhalten, daß auch die Sitte als eine der Seiten des handelnden Lebens der Gesellschaft neben Wirtschaft, Recht und Staat angesehen werden muß. Die Theorie von Adam Smith hat zuerst in der Nationalökonomie zu dem Versuch geführt, eine psychologische Deduktion dieser Faktoren des handelnden Lebens der Gesellschaft zu entwerfen, und Schriftsteller aus anderen Zweigen der in Frage stehenden Wissenschaften haben diese Auffassung fortgebildet. Knies hat in seiner politischen Ökonomie, über die Unterscheidung des Eigennutzes und Gemeinsinnes hinausgehend, drei Grundtriebe, das Streben nach dem Eigenwohl, den Gemeinsinn und den Billigkeits- und Rechtssinn unterschieden. 1 Arnold findet das Verhältnis, welchem gemäß Wirtschaft, Recht und Staat nur die drei verschiedenen Seiten des ein.en prakti, sehen Lebens oder der bürgerlichen Ordnung sind, psychologisch darin gegründet, daß "jedes Gebiet zunächst auf einem besonderen, von der Natur uns angeborenen Triebe ruht, daneben aber zugleich auf denjenigen, die je die zwei anderen zunächst beherrschen und bestimmen: das wirtschaftliche auf der Selbstliebe, das rechtliche auf dem Rechtssinn, das politische auf dem Gemeinsinn". Eine Modifikation dieser Theorien entwickelt Rümelin in seinen Aufsätzen. Grundkräfte der Gesellschaft wird jeder Theoretiker, natürlich als komplexe und abgeleitete Tatsachen, anerkennen müssen, wie schwer es auch sein wird, exakte Feststellungen über sie zu gewinnen. Wenn aber Arnold weiter rückwärts drei angeborene Grundtriebe der einzelnen Seele als psychologischen Tatbestand behauptet: so ist diese Annahme um nichts besser als die verwegensten Konstruktionen spekulativer Philosophie. Eines der dunkelsten und größten Probleme der Wissenschaft, der Ursprung der mächtigen und lebendigen Ordnun1

Knies, Politische Ökonomie S. 165.

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()!Jw d. Stud'um d. Gesell. d. Wissnucll. vom M nucllm, d. Guellsdtafl u. d. Staat

gen der Gesellschaft, in denen wir geboren werden und sterben, wird so durch ersonnene angeborene Triebe erklärt, welche doch zu dem Tatbestande der Existenz solcher gesellschaftlicher Ordnungen nur das Vermögen derselben als eine mythische Kraft in Gedanken hinzufügen. Es ist falscher Individualismus, die Individuen, welche Elemente der gesellschaftlichen Wechselwirkung sind, aus dieser auszulösen und mit angeborenen Trieben auszustatten. Keine exakte Psychologie vermag mit den gegenwärtigen Mitteln eine so weitgehende Annahme zu begründen, welche über das Feld unserer Erfahrungen hinweg die ursprüngliche Konstitution eines isolierten Individuums, welches doch nirgends existiert, zu konstruieren unternimmt. Andererseits aber bilden allein diese Individuen oder genau abgegrenzte Gruppen derselben, sowie sie in der gesellschaftlichen Wechselwirkung uns anschaulicH gegeben sind, die Subjekte für Aussagen exakter Wissenschaft. Denn die abstrakten und dem Umfange des Begriffes nach unbestimmten Subjekte von Aussagen, an welche sich besonders seit Hegel die politischen und historischen Wissenschaften gewöhnt haben, müssen aus denselben immer mehr eliminiert werden, wie dies in den Naturwissenschaften lange geschehen ist. Wir gehen von den Individuen aus. Es gibt stetige Weisen, in welchen sich die Wechselwirkungen der Willen in der Gesellschaft bewegen. Sie beharren, während die einzelnen Willen selber auf dem Schauplatz des Lebens erscheinen und von ihm wieder abtreten. Diese Weisen der Beziehung, welche zwischen Willen nach der Natur derselben überall unter den allgemeinen Bedingungen des Erdganzen auftreten und demgemäß als solche bei dem Auf- und Niedergang der Individuen bleiben, stellen sich als Systeme dar, die wir bei vollständiger Einsicht aus der Natur dieser Weisen selber würden ableiten können. Ein solches System würde alsdann die allgemeinen Begriffe und Gesetze enthalten, aus welchen die betreffende Seite des pra.ICtischen Lebens der Gesellschaft verstanden werden könnte. Aus einem scheinbar so einfachen Grundverhältnis entspringt die wunderbare und der Forschung stets neue Rätsel darbietende Verwicklung des Ganzen, welches wir Gesellschaft nennen. Viel verschlungener noch, rätselhafter als unser eigener Organismus, als seine rätselhaftesten Teile, wie das Gehirn, steht die Gesellschaft als ein Objekt der Betrachtung dem Individuum gegenüber. Wir haben dies Ganze nicht gebaut, in welchem wir als ein Element mit anderen Elementen in Wechselwirkung stehen, bis heute kennen wir nur noch wenige und unbestimmt gefaßte Gesetze, nach welchen Individuen hier aufeinander wirken. Ob es gleich dieselben Vorgänge sind, welche in uns durch innere Wahrnehmung ihrem ganzen Gehalt nach bewußt

Die Weisen der Wecluelwi,-kung de,- lnttividuen in de,- Gese/lscluz{t

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sind und welche au'ßer uns dieses Ganze aufbauten: wir erfassen nichts von ihren Gesetzen. Hieraus entsteht das wunderbare Verhältnis, welches wir zur Gesellschaft einnehmen. Alle Tatbestände in ihr sind uns verständlich; auf Grund der inneren Wahrnehmung unserer eigenen Zustände können wir sie in uns bis auf einen gewi.ssen Punkt in der Vorstellung nachbilden, mit Liebe und Haß, mit leidenschaftlicher Freude und mit dem ganzen Spiel unserer Affekte begleiten wir anschauend die Vorstellung derjenigen Welt, in welcher wir uns als Element, wirkend unter anderen Elementen, wahrnehmen. Denn diese unsere Welt ist die Gesellschaft, nicht aber die Natur. Die Natur ü,t uns stumm, und nur zuweilen fliegt ein Schimmer von Leben und Innerlichkeit über sie vermöge der Macht unserer Imagination; denn sofern wir ein mit ihr in Wechselwirkung stehendes System körperlicher Elemente sind, begleitet kein inneres Gewahrwerden das Spiel dieser Wechselwirkungen. Darum hat auch die Natur für uns den Ausdruck erhabener Ruhe. Dagegen in dem Spiel der Wechselwirkungen der Gesellschaft sind all unsere Affekte gegenwärtig und lebendig, da wir in uns selber von inl)en in lebendigster Unruhe die Zustände gewahren, aus welchen ihr System sich aufbaut. Aber die Gesetze, nach welchen diese Wechselwirkungen psycho-physischer Einheiten in der Gesellschaft verlaufen, sind uns so gut als unbekannt, während die der Wechselwirkung materieller Teilchen in der Natur in einem immer großartigeren Zusammenhang auf Grund der Raumverhältnisse und Bewegungsgesetze sich vor uns entfalten. Und dies scheint nicht wenig den Eindruck der Unruhe, die affektiven Stimmungen zu steigern, mit welchen wir die Gesellschaft betrachten. Wir bauen die Materie durch eine schließliehe ideelle Zerlegung aus kleinsten, keiner selbständigen Existenz mehr fähigen, nur noch als Bestandteile der Molekilledenkbaren Elementarteilchen auf. Die Einheiten, deren Weisen der Wechselwirkung als Sitte, Recht, Wirtschaft, Staat wir in der Gesellschaft unterscheiden, sind Individuen, psycho-physische Ganze, deren jedes von jedem anderen unterschieden, deren jedes eme Welt ist. Ist doch die Welt nirgends anders als eben in der Vorstellung eines Individuums. Diese Unermeßlichkeit eines psycho-physischen Ganzen, als in welchem ja schließlich die ganze Unermeßlichkeit der uns bekannten Natur nur ein Teil des Lebensinhaltes, die Vorstellungsweit ist, verdeutlicht man sich am besten im einzelnen, wenn man den Aufbau der Einzelanschauung aus Empfindungen und Vorstellungen untersucht und alsdann ein aus solcher Fülle von Elementen entstandenes Gebilde wieder als einfaches Element in der bewußten Verknüpfung und Trennung der Vorstellungen auftreten sieht. Wie unsäglich kompliziert und der Forschung schwieri ganz sicher heraus. Den Kern meiner Wahrnehmung von willkürlicher Bewegung bildet das Bewußtsein von meinem Bewegungsimpuls, in dieses gehen Empfindungen von ganz verschiedener Herkunft ein und geben ihm seine abgemessene Bestimmtheit. Dies Bewußtsein der willkürlichen Bewegung tritt nun aber zu der Erfahrung des Widerstandes in Beziehung; so entsteht zuerst eine, obwohl noch unvollkommene Unterscheidung von Eigenleben und dem Anderen, dem von ihm Unabhängigen. Ich taste mit der Sonde. Hierbei habe ich das Bewußtsein meiner Impulse, zugleich verlege ich aber an die Spitze der Sonde eine Widerstandserfahrung, da mir die Sonde als ein fühlsames Tastorgan, als eine Art von Fortsetzung der tastenden Hand erscheint. Die Natur dieser Tasterfahrung wird von mir in der Regel nicht näher beachtet. Bediene ich mich doch derselben gewöhnlich nur, um die Anwesenheit eines Objektes vermittels einer wiUkürlichen Bewegung festzustellen. Ich richte nun meine Aufmerksamkeit auf diesen Eindruck; er ist sowohl von dem der Schwere, als dem des Druckes augenscheinlich unterschieden. Eine eigentümliche Verwandtschaft zwischen der Erfahrung der willkürlichen Bewegung und der des Widerstandes in bezug auf die Art und Weise des Bewußtseins oder Innewerdens läßt mich annehmen, daß den Kern dieses Eindrucks ebenfalls eine Willenserfahrung ausmacht. In dem Eindruck des Widerstandes unterscheiden wir zunächst eine Druckempfindung. Dann sieht Goldscheider den wichtigsten Faktor auch für diesen Eindruck des Widerstandes in dem Gelenkinneren, als einem mit Nerven ausgestatteten besonderen Sinnesapparat. Wie die Verschiebung der Gelenkflächen nach ihm als Be-

102 Beiträge 11.Lösung d. Frage v. Ursj)rung unseres Glaubens a. d. Realität d. Außmwelt

wegurigsempfindung perzipiert wird, so bewirkt nach seiner Ansicht die Verstärkung des Gelenkdruckes die Empfindung des Widerstandes. Nun handelt es sich aber, dies angenommen, weiter darum, wie diese Empfindungszustände in den Gelenken die Setzung eines Objektes außerhalb des Körpers zur Folge haben können. Die Annahme ist unbefriedigend, daß diese Objektivierung durch die Empfindungen, insbesondere durch die oben zuerst als Bestandteile der Widerstandserfahrung herausgehobenenDruckempfindungen, welche an den Fingerspitzenlokalisiert sind, bewirkt werde. Dies würde nur e:ne tote örtliche Empfindung, nichts von der Erfahrung der lebendigen Kraft im WiderstandezurFolgehaben. MeinBewußtsein desWiderstandeshatin der lebendigen Erfahrung, bestimmt zu werden, einen Impuls zu erleiden, augenscheinlich denselben Kern von Willensvorgang, den wir am Bewußtsein des Impulses heraushoben. Die Erfahrung des Willensimpulses verbindet sich in der WiderstandsempHndung mit der einer Hemmung der Intention. Eine Volition erteih zunächst einen Bewegun~simpuls, dieser ist bei dem Ablauf der vorgestellten Bewegung von gering merklichen Lustgefühlen begleitet: hierauf tritt nun die Erfahrung des Widerstandes auf. Geht in ihr etwa der Impuls nun einfach unter? Verschwindet er in einen bloßen Empfindungszustand? Vielmehr dauert er fort, und das Bewußtsein von Willenshemmung tritt nun hinzu. Ein Willens- und Gefühlszustand des Erleidens, des Bestimmtwerdens wird erfahren. Jeder kennt diesen Zustand aus Erfahrungen ganz anderer Art. Mitten in meiner Arbeit stört mkh ein unwillkommenes Geräusch, eine fatale Vorstellung; ich vermag sie nicht zu verdrängen, ihr Druck lastet auf mir. Dieser Druck auf die psychische Aktion, diesergepreßte Zustand von Unlust und von Hemmung besteht nun auch hier: Erfahrung, bestimmt zu sein. Ich erläutere und begründe nun näher diese Annahme, nach welcher den Kern der Widerstandserfahrung, sonach der Realität von Objekten, das Bewußtsein des Willensimpulses und der Intention, dann das der Hemmung der Intention, also zwei W i 11 e n s z u stände , ausmachen. Hierbei müssen wir wieder davon ausgehen, daß der Mensch, von innen angesehen, ursprÜ!nglich ein Bündel von Trieben ist, welche gleichsam nach allen Seiten, im Zusammenhang mit den Gefühlen von Unlust und Bedürfnis, die verschiedensten Strebungen und Volitionen ausstrahlen. In diesem Zusammenhang entspringen nun auch die Impulse zu Bewegungen, und eben in ihm wird denselben die nie nachlassende Kraft zuteil, fortzudauern, sich zu verstärken. Das Bewußtsein der Hemmung der Intention in der Widerstandserfahrung entsteht nun nicht unmittelbar, wenn ein Druckempfindungs-Aggregat auftritt. Wohl hat dies Bewußtsein der Hemmung zunächst zu seinem

]",pwls und Widerstand

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Antezedens unter allen Umständen eine Druckempfindung oder vielmehr ein Aggregat von solchen. Der primäre, darum konstitutive Vorgang ist nämlich: ein Bewegungsimpuls mi-t einer bestimmten Intention dauert fort, ja er wird verstärkt, und anstatt der intendierten äußeren Bewegung treten Druckempfindungen auf. Dies Zwischenglied zwischen dem Bewußtsein des Impulses und dem der Hemmung der Intention, das in dem Aggregat der Druckempfindungen liegt, ist jedesmal da. Wir kommen also zum Bewußtsein der Außenwelt nur clurch Vermittlungen. Man kann sich die Begründung des Glaubens an die Außenwelt nicht durch irgendeine Art von Übertreibung erleichtern, etwa durch die Annahme einer unmittelbaren Willenserfahrung des Widerstandes oder überhaupt durch die psychologische Fiktion von unmittelbarem Gegebensein irgendeiner Art. Wie die Intention eine Bewegungsvorstellung einschließt, wie die wi.Jlkürliche Bewegung ein mit der fortdauernden, verminderten oder verstärkten lntention verschmolzenes Aggregat von Empfindungen und Vorstellungen in sich faßt, so hat auch das Hemmungsbewußtsein, das in der Widerstandserfahrung auftritt, ein Druckempfindungsaggregat zur Vorbedingung. Nun tritt aber als zweites und weiteres Glied in dieser Verkettung von Prozessen, welche zum Bewußtsein des Widerstandes führen, ein Denkvorgang auf. Erst im Aneinanderhalten der Bewegungsvorstellung und des Druckempfindungsaggregats, und in dem so entstehenden Bewußtsein ihres Unterschiedes kann das Urteil entstehen, daß das Eingetretene den Erwartungen, den Intentionen nicht entspreche. Unerwartet:: dies Wort bedeutet hier nur das Auftreten eines Empfindungsaggregats, das im Widerspruch zu det Intention steht. Dagegen Hinderung, Widerstand, Hemmung: in diesen Ausdrücken ist zunächst schon in bezug auf das Empfindungsmaterial und den Denkvorgang mehr enthalten. Denn in denselben liegt zunächst das Aufhören der mit dem Impuls verbundenen und einer glatt ablaufenden Be w eg u n g angehörigen Empfindungen, während doch der Fortbestand der Bewegung in der Intention enthalten war; dann liegt in diesen Ausdrücken der Ersatz der beabsichtigten Bewegung durch das E m pfind ungsagg re ga t des Druckes, das nicht innerhalb der Intention lag. Sind alle diese Bedingungen erfüllt, laufen vom Impuls aus alle diese Beziehungen zwischen Empfindungen und deren Aggregaten in Denkvorgängen ab: dann entsteht nun in diesem System von Trieben, welches der Mensch ist, in welchem ringsum nach allen Seiten Strebungen ausgehen und Gefühle untrerrnbar mit ihnen verwoben sind, ein neuer Willenszustand, eine neue Erfahrung: die Er· fahrung der Hemmung der Intention. Willensbestand und Gefühlsbestand sind in dieser Tatsache nicht trennbar. Sie ist als Tat-

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04 Beiträp 1. Lön~ng d. Fnap "· Unprung unseres Glau~ms a. d. ReaJiliil d. Au.ßmweil

bestand unmittelbar in der Erfahrung auftretend und durch alle Erfahrungen des Lebens immer neu bestätigt, ganz wie der Impuls. Sie ist der Kern der Widerstandsempfindung. Wir erkennen also: in der Widerstandsempfindung ist ein von mir U nahhängiges nicht in einer unmittelbaren Willenserfahrung g egeben. Die Lehre von der unmittelbaren Gegebenheit der Realität der Außenwelt erweist sich zunächst an diesem Punkte nicht als stichhaltig. Andrerseits ist aber auch - und das möchten wir eben feststellen - die Realität der Außenwelt nicht aus den Datis des Bewußtseins erschlossen, d. h. durch bloße Denkvorgänge abgeleitet. Vielmehr wird durch die angegebenen Bewußtseinsvorgänge eine Willenserfahrung, die Hemmung der Intention vermittelt, welche nun im Widerstandsbewußtsein enthalten ist und die kernhafte lebendige Realität des von uns Unabhängigen erst aufschließt.• Ein Ergebnis der Erfahrung kann darum hier mit dem Charakter von Unmittelbarkeit auftreten, ja in vielen Tieren kann die Existenz der Außenwelt auch mit den Gesichtsbildern sich baldigst nach der Geburt verbinden, weil schon die Frucht im Ei oder im Mutterleib Erfahrungen von Impuls, Bewegung, Hemmung und Druck macht, wie wir gesehen haben. Auch tragen noch Erfahrungen des Widerstandes, welche weiter zusammengesetzt sind, trotzdem den Charakter von Unmittelbarkeit im Bewußtsein. Wenn bei verstärkter Intention der Druck abnimmt, ja verschwindet, so mache ich die Erfahrung eines von meinem \Villen Unabhängigen, das ich als zurückweichend nunmehr perzipiere. Nimmt bei geminderter oder gleich fortdauernder Intention der Druck zu, so drängt dies mir noch entschiedener die Erfahrung eines von meinem Willen Unabhängigen auf, das ich nun als andringend oder in der· Intensität der Kraft wachsend perzipiere. Auch in diesen zusammengesetzteren Fällen dauert der Charakter des Unmittelbar-Erfahrenen in diesen Eindrücken fort. • Hierdurch löst sich nun auch das von Rehmke (Sonntagsbeilage zur Vossischen Ztg., 24. April 1892) geäußerte Bedenken auf. Impuls= Intention einer Bewegung; dies setzt die Vorstellung einer Außenwelt voraus, ,.denn wie könnte der Wollende wohl Bewegung wollen, ohne Außenwelt vorauszusetzen". Antwort: Die Bewegungen sind zunächst unwillki.irlich. Sie werden so vom Embryo vollzogen. Aus den Beziehungen der Saugbewegung zur Durst- und Hungerstellung entsteht ein Konnex. Selbst die willkürliche Bewegung beruht noch gar nicht auf dieser Unterscheidung; sie ist eine Anwendung der Gewöhnung, welche ohne Reflexion über Selbst und Welt stattfinden kann. Sie bezieht sich ja nur auf die Verbindung einer Abmessung des Willensimpulses zu einer Befriedigung. Die Hemmung dieser Bewegungen läßt das ,,Andere" allmählich als Erfahrungsbegriff sich bilden. Das Außen, gar die Außenwelt, ist ein spätes Ergebnis. .,Erfahrung" also in anderem Sinn als Rehmke.

Der Drude det Außmwelt

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So wird in dem Impuls und dem Widerstand, als in den zwei Seiten, die in jedem Tastvorgang zusammenwirken, die erste Erfahrung des Unterschiedes eines Selbst und eines Anderen gemacht. Der erste Keim von Ich und Welt sowie von deren Unterscheidung, ist hier vorhanden. Dies aber in der lebendigen Erfahrung des Willens.*

DER DRUCK DER AUSSENWELT Indem ein Kind die Hand gegen den Stuhl stemmt, ihn zu bewegen, mißt sich seine Kraft am Widerstande: Eigenleben und Objekte werden zusammen erfahren. Nun aber sei das Kind eingesperrt, es rüttle umsonst an der Tür: dann wird sein ganzes aufgeregtes Willensleben den Druck einer übermächtigen Außenwelt inne, welche sein Eigenleben hemmt, beschränkt und gleichsam zusammendrückt. Dem Streben, der Unlust zu entrinnen, allseinen Trieben Befriedigung zu verschaffen, folgt Bewußtsein der Hemmung, Unlust, Unbefriedigung. Was das Kind erfährt, geht durch das ganze Leben des Erwachsenen hindurch. Der Widerstand wird zum Druck, ringsum scheinen uns Wände von Tatsächlichkeit zu umgeben, die wir nicht durchbrechen können. [Was für Wände von Tatsächlichkeit stehen unseren Begierden unmittelbar entgegen! Wie drücken und lasten sie auf unsl Schiller als Schüler in der Militärakademie. J Die Eindrücke halten stand, gleichviel ob wir sie ändern möchten; sie verschwinden, obwohl wir sie festzuhalten streben; gewissen Bewegungsantrieben, die von der Vorstellung, dem Unlusterregenden auszuweichen, geleitet werden, folgen unter bestimmten Umständen regelmäßig Gemütsbewegungen, die uns in dem Bezirk des Unlustvollen festhalten. Und so verdichtet sich um uns gleichsam immer mehr die Realität der Außenwelt.

DIE LEIBLICHE UMGRENZUNG DES EIGENLEBENS UND DIE AUSSENWELT [Was so entsteht, ist die Unterscheidung eines äußeren Objektes von meiner Person, deren Grenze die Haut und die anhängenden Sinnes- und Empfindungsorgane sind. Es ist von entscheidender Bedeutung für die Auflösung des ganzen Problems, sich klarzumachen, daß diese Sonderung zunächst ganz auseinandergehalten werden muß von der eines unmittelbar gegebenen Bewußtseinszusammenhangs und eines transzendenten Objektes. Nun aber ist die nähere Art, in welcher die Person und das Objekt und deren Beziehung so gegeben sind, für die Bestimmung des Erkenntniswertes des Unterschiedes weiter bedeutsam.] • Erfahrung des Willens - Zustand, in welchen der Wille gerät, vermittelt durch Vorstellung.

106 Beiträge 1.Lön~ng d. Frage v. Ursjwrmg unseresG/au!Jens a. d. Real~·/ät d.AujJnrwe/t

Der Willensimpuls und die Erfahrung des Widerstandes sind ausgestattet und gleichsam ausgekleidet mit qualitativen und räumlkhen Bestimmungen von den Empfindungsaggregaten her. Wir mischen uns hier nicht in den Streit, wie diese Verräumlichung entstehe, sondern wir nehmen die Tatsache hin, ohne sie zu erklären. Wir bedü,rfen aber, um von hier dann weiter zu gehen, der Hypothese einer Proje k t i o n nicht. Denn die räumlich aufgefaßten Sinnesinhalte treten ja im Bewußtsein zunächst gar nicht in einem räumlichen Verhältnis zu einem Sinnesorgan auf. Auge oder Ohr werden vom Kinde erst verhältnismäßig spät durch Tastwahrnehmungen oder durch die Erfahrungen am Spiegelbild oder durch die Vergleichung mit Auge oder Ohr anderer Personen als räumlich in der Wahrnehmung gegeben und zu den Gegenständen orientiert aufgefaßt. Auch sind sie ja selber Bilder so gut als die von Objekten, und beides, das Wahrnehmungsobjekt wie das Sinnesorgan, gehören dem Zusammenhang der im Bewußtsein enthaltenen Bilder an. So wird nun nicht von dem räumlich bestimmten Sinnesorgan aus der Gegenstand in den Wahrnehmungsraum projiziert, sondern umgekehrt wird von den Sinnesinhalten aus die räumliche Orientierung ausgebildet, welcher dann auch das Bild des Sinnesorgans eingeordnet wird. Sonach hat der Glaube an die Realität der Außenwelt gar nichts mit einer solchen Projektion der Empfindungen in einen äußeren Seh- oder Hörraum zu tun. Die Annahme einer solchen Projektion ist überflüssig. Innerhalb dieser räumlichen Wirklichkeit grenzt sich nun im Verlauf unserer Erfahrungen ein Selbst als Körper, als räumlich gestaltet und orientiert von den Objekten ab. Dies ist zunächst darin gegründet, daß innerhalb einer so räumlich abgegrenzten Sphäre unsere Bewegungsimpulse direkt willkürliche Bewegungen zur Folge haben. Unser Körper ist also zunächst der Bezirk unserer beweglichen Glieder. Das Spiel unserer Triebe, in Verbindung mit Bewegungsvorstellungen, erfüllt gleichsam von einem inneren Mittelpunkte aus den in seinen Gliedern beweglichen Körper. Der Bezirk dieses Körpers grenzt sich von einer Umgebung ab, innerhalb deren Bewegungsimpulse nur indirekt noch eine Bewegung hervorrufen, welcher äußeren Bewegung dann die innen begleitenden Empfindungen in Muskeln, Gelenken und an empfindlichen Flächen fehlen. Zugleich crf.üllen dunkle, unbestimmt lokalisierte Organgefühle gleichsam einen Innenraum meines körperlichen Selbst. In pathologischen Zuständen treten sie intensiver, deutlicher bestimmt, genauer lokalis:ert hervor. Vorhanden sind sie doch immer. Sie werden durch die Vorstellungen, die früher von den Organen und ihren Zuständen erworben wurden, unterstützt. Und indem gerade an den Muskeln der beweglichen

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Glieder und an den Sinnesorganen die sinnlieben Gefühle schärfer akzentuiert auftreten, skizzieren sie gleichsam in ihrer dunklen Symbolsprache ein inneres Gerüst, eine Grundverzeichnung unseres leiblichen Selbst. Im Menschen entsteht durch die Verbindung erinnerter sinnlicher Gefühle und des durch sie erworbenen Zusammenhanges der Vorstellungen über unsere fühlsamen Organe mit den gegenwärtigen inneren Zuständen derselben ein fest verzeichneter Umkreis, innerhalb dessen Eigenleben, Heimlichkeit des Spiels der Gefühle stattfindet; von seinen Grenzen ringsum erstrecken sich Veränderungen, die von keinen sinnlichen Gefühlen mehr begleitet silnd, sondern nur etwa von den ganz verschiedenen Erregungen der Sympathie. Und an der Umgrenzung dieser von Trieben, willkürlichen Bewegungen und sinnlichen Gefühlen erfüllten Lebenssphäre treten nun, deutlich lokalisiert, rings auf der Haut Temperatur- und Druckempfindungen auf. Vor allem geben die Tasteiodrücke Erfahrungen von Wirklichkeit, die jenseit unserer Haut und sonach Außen ist: von einem Anderen, das ganz außerhalb des Bezirkes unseres leiblichen Eigenlebens gelegen ist. So setzt sich also das an der Widerstandserfahrung nachgewiesene Verhältnis, nach welchem Impuls und Widerstand die Grundlage des Bewußtseins unseres Selbst und seiner Abgrenzung von anderen Objekten oder Personen ausmachen, in der Bildung der Anschauung von unserem körperlichen Selbst fort. Die Erfahrungen, welche bei der Bildung dieser Anschauung mitwirken, enthalten überall Impuls, Gefühl, Intention, Hemmung, Widerstand in sich und setzen sich aus diesen und den Empfindungsaggregaten in derselben Weise zusammen, als die primäre und einfachere Erfahrung des Widerstandes. Diese Sätze über die Entstehung der Abgrenzung unseres Körpers von der Außenwelt können auch aus den Veränderungen abgeJeitet werden, welchen die Abgrenzung dieses körperlichen Selbst unterliegt. Viele Anomalien der Personalität, welche an Wahnsinnigen beobachtet worden sind, fallen unter diesen Gesichtspunkt. Aus anomalen Hautsensationen oder einem krankhaften Muskelspiel entsteht die Annahme, daß fremde Körper, Spinnen, Grillen usw. sich im Ionern des eignen Körpers befinden oder daß einzelne Organe von einem bösen Geiste besessen sind.t Erkrankte Organe werden als fremde Wesen aufgefaßt.t Unbewegliche Glieder gelten für fremde Körper, ja ein Gelähmter und der Hautempfindlichkeit Beraubter betrachtet den ganzen eignen Körper als eine nachgemachte Maschine. Analog hiermit ist, daß Kinder, die schon Auge, Nase, Hände zu sich rechnen, mit ihren Zehen spielen, und sie dabei rücksichtslos wie 1

Griesinger, Psych. Krankheiten' S.

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Mauehart, Repertorium 111, 74 ff.

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Beilriigu. LösutJg d. Fral(l 'IJ. Unfw'u"K utueres Glaullnu a.d. Rea/iliil d. Au/ll"we/1

fremde Gegenstände behandeln: erst die Schmerzen, die sie sich so verursachen, belehren sie darüber, daß diese Zehen zu ihnen gehören. So erstreckt sich auch unser unmittelbares Lebensgefühl in .brewi.ssem Grade über jede beständige Erweiterung unserer Person, welche an unseren willkürlichen Bewegungen Teil nimmt und uns Dru(;k- und Widerstandsempfindung vermittelt. Freilich bemerken wir zugleich den Mangel an Gefühl in einem Stock sowie die Druckempfindungen der ihn fassenden Hand, und diese Wahrnehmungen modifizieren die angegebene Erfahrung. Auch das Leben der Tiere läßt uns diese Veränderlichkeit gewahren, welcher die Abgrenzung der Personalität unterworfen ist. Beobachtet man den brütenden weiblichen Vog~l, so will es scheinen, als rechne er Nest, Eier, Junge zu sich selbst und empfinde, was diesen geschieht, als geschähe es ihm selber.

GESICHTSWAHRNEHMUNG UND AUSSENWELT Die Gesichtswahrnehmung tritt nun hinzu. Alle Vorstellungen eines Außen im Unterschied vom Selbst, die bisher erörtert wurden, können auch ohne Mitwirkung des Gesichts entstehen. Denn der Blindgeborene erwirbt vermittels des Tastsinnes, welcher gewöhnlich im Wettstreit der Sinne vermöge der Präponderanz des Gesichtssinnes in seinen Leistungen zurückgedrängt bleibt, ebenfalls eine Orientierung in der Außenwelt. Wie im isoliert wi.rkenden Gesichtssinn die Bilder in bezug auf ihre Realität und ihre Unterscheidung von dem leiblichen Selbst sich verhalten würden, ist ganz verschieden vorgestellt worden und schwer zu entscheiden. Denn wenn das Hühnchen oder das eben geborene Säugetier schon das Bewußtsein einer Außenwelt mitbringen und sich vermittels des Gesichts in ihr sofort in großem Umfang orientieren, so arbeiten sie eben schon mit dem Erwerb von willkürlichen Bewegungen und Tasteindrücken. Dasselbe Verhältnis findet bei den operierten Blindgeborenen statt. Aber beide Klassen von Fällen gestatten doch einen Schluß. Auch in den Gesichtswahrnehmungen müssen Faktoren wirken, welche ihre Objektivierung, wenn auch vermittels einer Unterordnung unter die Tastempfindungen, ermöglichen. Volkmann bemerkt: "Operierte mußten lernen, daß das, was sie sahen, die ihrem Getast wohlbekannten Gegenstände seien. Aber das brauchten sie nicht erst zu lernen, ihre affizierte Netzhaut vom affizierenden Ding künstlich zu sondern. Keiner von ihnen sah die Empfindung des Lichtes als einen inneren Zustand, ähnlich dem des Schmerzes oder Hungers an." I [Dies ist nun entweder durch die Ausbildung der Vor1

Volkmann, Neue Beiträge, Kap. 3·

Gesicktswakrndrmung und Außenwelt

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stellung des Außen im Tastsinn bedingt, oder es ist in dem Triebartigen des Gesichtsinns angelegt und wäre dann für dieses ein Beweis. J Der Grund der Verlegung der Eindrücke nach außen in diesem Sinne liegt, entsprechend dem Vorgang in der Tastwahrnehmung, in der hier stattfindenden Beziehung der Augenbewegungen zu den Lichtund Farbenempfindungen. Wenn ich das Auge nach rechts bewege und der Gegenstand geht nicht mit, so gewinne ich in meiner denkenden Erfahrung das Bewußtsein seiner Unabhängigkeit \'Oll meinem Willen. Es muß nach diesen Erfahrungen ein Außen dasein, und meine Augen müssen dienen, es zu sehen. Und auch hier entspringen die Intentionen zu Bewegungen aus dem System meiner Triebe und werden von demselben beständig erhalten. So werden diese Intentionen in den lebendigen Ablauf von Bedürfnis und Befriedigung verwoben. Man könnte noch direkter im Gesichtssinn etwas Triebartiges wirksam denken, das nach Erfüllung strebe. Auch Rokitansky nimmt einen "ursprünglichen Drang der Sinne nach Funktion" an. Erscheint auch diese Verallgemeinerung der Annahme als dem Beweis !>chwer zugänglich, so sprechen doch für die Gültigkeit derselben inbezug auf den Gesichtssinn des Auges manche bekannte Erfahrungen. Kußmaul sah ein sieben Monate nach der Konzeption geborenes Kind am zweiten Lebenstage spät abends in der Dämmerung den vom Fenster abgewendeten Kopf auch bei veränderter Lage wiederholt dem Fenster und dem Lichte zuwenden. Es suchte zweifelsohne das Licht. Er hebt hervor, wie man Neugeborene in den ersten Tagen die Augen abwechselnd öffnen und schließen sieht. Er erklärt dies Spiel daraus, daß das in das geschlossene Auge eindringeade mäßige Licht es zum öffnen veranlaßt; fällt es stärker ein, so ermüdet das ,\uge und schließt sich, bis sich dann die Retina w:eder erholt hat und mäßigen Lichtreiz wieder aufsucht. Die Grundform des Vorganges, in welchem die Objektivierung der Gesichtswahrnehmung s:ch vollzieht, würde hiernach analog dem der Befriedigung des Hungertriebes zu denken sein. Die Unruhe des Triebes wird gestillt durch den Genuß, und dieser ist sich dann der Objektivität seines Gegenstandes gew:ß. Einzelhaft von langer Dauer bringt eine Disposiüon zu Halluz:nationen des Gehörs hervor; Aufenthalt im Finstern von langer Dauer die Disposition zu Visionen. Aber indem wir die Annahme solcher Triebe oder Energien insbesondere im Gesichtssinn mit Beneke, Rok!tansky, Göring, Riehl verfolgen, bleiben wir uns doch bewußt, daß für diese Ansicht die festere Begründung aussteht, so ansprechend sie auch schon wegen ihrer Beziehungen zum Ästhetischen der Gesichtseindrücke sein würde.

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B1i/räp •· Disung d. Fmg1 "· Urspr11ng uns1ns G'-!Jnu a. d, Rltliiliil d. Außm'IINII

Das aber ist das hier Sichere und Klare. Der Wille erfährt beständig, daß er Gesichtseindrücke nicht herbeiführen kann, diese vielmehr unabhängig von ilun auftreten und verschwinden. Und wo er Eindrücke vermeiden möchte, stehen sie vor ihm da und lassen sich nicht verdrängen. Beides aber geschieht, wie wir nun bald sehen werden, nach einer inneren Gesetzmäßigkeit, di.e ihm fremd, fest und starr gegenübersteht. Es geschieht zugleich in einem Zusammenhang, nach welchem auch die leisesten unmerklichen Augenbewegungen, welche das Objekt fixieren, schließlich in unserem mächtigen Triebleben gegründet sind, wodurch dann das vergebliche Suchen oder Vermeiden von Eindrücken das Bewußtsein der Hemmung von außen und des Druckes der Außenwelt zur Folge hat.

DER GLAUBE AN DIE REALITÄT ANDERER PERSONEN Aus diesem Unabhangig-Wirklichen treten nun die Personen oder Willenseinheiten außer mir mit einer besonders nachdrucksvollen Realität hervor. In diesem engeren Umkreis empfängt die Außenwelt eine erhöhte Energie der Realität. Wir analysieren den hier stattfindenden Vorgang. Zunächst empfängt die&e besondere Klasse von Objekten ihre Realität auf demselben Wege als Gegenstände irgendeiner anderen Art. Und die so entstehende Überzeugung unterscheidet sich in nichts von derjenigen, die wir in bezug auf die Realität von diesen toten Gegenständen hegen. Aber an diese Eindrücke schließen sich nun weitere seelische Vorgänge in dem Auffassenden, die eine Verstärkung der Überzeugung von Realität zur Folge haben. Diese Vorgänge lassen sich als Analogieschlüsse darstellen, sind sonach in ihrem Ergebnis solchen Schlüssen äquivalent, gleichviel welcheS! im einzelnen Falle ihre psychologische Beschaffenheit ist. Ich erblicke eine menschliche Gestalt, das Antlitz von Tränen überströmt. Es bedarf zunächst schon ineinandergreifender Apperzeptionsprozesse, die allgemeinen Bestandteile in diesem Eindruck festzustellen. Ebenso schnell und unmerklich als diese Vorgänge verlaufen dann auch die nächstfolgenden; vermöge ihrer weiß ich, daß hier ein Schmerz gefühlt wird, und ich fühle ihn mi!. Den Obersatz dieses Analogieschlusses bildet das in vielen Fällen erfahrene Verhältnis zwischen dem körperlichen Ausdruck, den ich gewahre, und dem Seelenvorgang des Schmerzes. Den Untersatz bildet die Verwandtschaft der mir gegenübertretenden leiblichen Äußerung mit einer Reihe von ähnlichen Eindrücken. So entsteht mir das Bewußtsein eines ähnlichen inneren Zustandes, als Grundes des äußeren Eindrucks.

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Und zwar wird vermittels dieser den Analogieschlüssen äqui~ valenten Prozesse die Realität eines von außen bestimmenden Willens zuvörderst lebendig in den primären Verhältnissen von Vater und Kind, Mann und Weib, Herr und Untertan erfahren. Die Gefühls- und Willensvorgänge, welche hier die Realität anderer Lebenseinheiten färben und verstärken, setzen sich zusammen aus Herrschaft, Abhängig'keit und Gemeinschaft. In diesen wi·rd nun das Du erlebt, und auch das Ich wird hierdurch vertieft. Ein beständiger leiser Wechsel von Druck, Widerstand und Förderung läßt uns fühlen, daß wir niemals allein sind. Und die Erfahrung von der Existenz einer anderen Person ist eingeschlossen in jedes soziale Verhältnis, jedes Geltenlassen einer anderen Person, jede aufopfernde Handlung. Und da nun das Nachbilden des fremden Inneren von dem Mitfühlen gar nicht trennbar ist, so scheint sich zunächst das M i t g e f ü h 1 unmittelbar an den Eindruck der fremden Gefühlszustände anzuschließen. Die inneren Vorgänge kompliz:eren sich aber weiter. Wie in mir die Vorgänge tendieren, eine gewisse Gefühlslage herzustellen, und Zweck, Selbstzweck nur ausdrückt, daß die Tendenz auf diese im Subjekt belegene Gefühlslage besteht und daß in dieser, wenn sie hergestellt ist, ein unbedingter, d. h. der eine letzte, ruhsame Befriedigung gewährende Punkt erreicht ist : so erfassen wir nun auch im Verlauf der von außen gewahrten, aber durch innere Ergänzung nacherlebten Vorgänge und der Verkettung derselben in einer anderen Lebenseinheit diese Einheit als einen Se 1b s t z weck, wie wir selbst e:n solcher sind. Hierin liegt nun die energischste Verdichtung der Realität dieser Lebenseinheit; da ich mir selber das ens realissimum bin, was auch d!e Metaphysiker von einem solchen uber den Sternen sagen mögen. Zugleich wächst mit der Zahl und dem Gewicht dieser mitgefühlten, nacherlebten Vorgänge, mit dem ungehemmten Abfluß der Nachbildungen, der nirgend auf Widerstehendes, Fremdes, Unfaßbares stößt, das Gefühl von Verwandtschaft, von Homogene i t ä t, mit welchem nach den Eigenschaften des Willens Teilnahme, Sympathie und Leben im Anderen verbunden sind. Hier treten also zu den Erfahrungen von natürlichen Schranken des Willens am Anderen die höher gelegenen sittlichen Erfahrungen, nach welchen dieser Wille Selbstzwecke, die ihm selber gleich sind an Realität und Rechtsansprüchen, anerkennt, ja anzuerkennen sich innerlich gebunden, sonach verpflichtet fühlt. Fichte war wohl der erste, der diesen m o r a 1i s c h e n Beweis für die Existenz einer Außenwelt formulierte. Hierdurch erweiterte er nur die Anwendung der Methode von Kant, auf die Tatsachen des sittlichen Bewußtseins einen Glauben zu gründen, für den das isolierte Erkennen keine ausreichenden Beweisgründe ergab. Hatte Kant die

II 2 Beiträge z. Lösung d. Frage v. Ursprung unseres GlauiJens a. d. Realität d. Außenwelt

affizierenden Objekte außer uns als unantastbare Voraussetzungen des Erkennens gelten lassen, so fielen diese innerhalb der Kantischen Philosophie unerweisbaren jenseitigen Objekte bei den scharfsinnigsten Transzendentalphilosophen seiner Schule, und so auch bei Fichte. Denn nachdem Fichte den Fortgang von den Empfindungen als bloßen Affektionen meiner Selbst durch unbewußte Schlüsse zu äußeren Objekten beschrieben hat, erweist er dann mit siegreicher Schärfe, daß unter dieser Voraussetzung einer im bloßen Denken stattfindenden Ergänzung innerer Empfindungszustände sich uns die Realität äußerer Objekte nicht aufschließt. Und nun sucht er z1• zeigen, daß nur für den \Villen und das in ihm enthaltene Gesetz des ;;ewissens eine bewußtseinstranszendente Welt sich aufbaut. Das erste aber, was der Wille anerkennt, ist das Dasein anderer Willen, die i·hn das Gewissen als Selbstzwecke zu achten lehrt. "Ich werde diese Wesen stets als für sich bestehende, u.;abhängig von mir vorhandene, Zwecke fassende und ausführende Wesen betrachten. Das Gebot: hier beschränke deine Freiheit, hier ehre fremde Zwecke, ist es, das erst in den Gedanken: hier ist gewiß und wahrhaftig und für sich bestehend ein Wesen meinesgleichen, übersetzt wird." 1 Dieser Beweis Fichtes hält nicht Stich gegenüber der soeben entwickelten Möglichkeit, daß die Pflicht, den anderen als Selbstzweck zu ehren, nicht a priori gegeben, sondern durch Erfahrungen und Schlüsse vermittelt sei. Doch bleibt sicher ein Kern. Aus dem Mitfühlen mit anderen entspringt zugleich die Überzeugung ihrer kernhaften w e r t v o ll e n Ex ist e n z , die Achtung vor ihrer S e 1b s t ä n d i g k e i t und doch ein Bewußtsein von Verwandtschaft und Solidarität mit ihnen. Die Unterscheidung meiner selbst von anderen Menschen enthält also diese besondere Relation meines. Willens zu einem von dem meinigen getrennten, selbständigen und ihm doch homogenen und.verwandten Willen. Die Natur der Außenwelt, nämlich der im Bewußtsein stattfindenden Trennung eines Anderen vom Selb:;t empfängt hierdurch einen weiteren Zug. Mit diesem Zuge stimmen andere überein: das Bedürfnis, die eigenen Gefühle durch fremde Personen geteilt, das eigene Wissen in seiner allgemeinen Gültigkeit bestätigt, den eignen Wert in der Ehre anerkannt zu finden. Ich kann auch nicht mit Riehl annehmen, daß der Nachweis der Realität der Außenwelt auf das Dasein sozialer und altruistischer Gefühle als auf einen selbständigen Beweisgrund gegründet werden könne 2 ("sozialer Beweis der Realität der Außenwelt"). Denn das unmittelbar Gegebene ist auch da, wo das Bild einer außer 1 Fichte, Bestimmung, S. W. a. a. 0. 259 f. ' Rieb! II 2, 172.

Die Realität der.gesc!Jichtlichen Personen

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uns befindlichen Person entsteht, nur der Widerstand, der Druck, der Wechsel der Empfindungsaggregate, und erst auf Grund der Unterordnung dieser Eindrücke unter verwandte Bilder und ihrer Verbindung mitinnerstenZuständen als Ursachen wird das Mitleben und Mitleiden möglich. Zunächst ist uns eben nur in der Erfahrung des Widerstandes ein anderer Mensch als ein solcher gegeben. Ohne solche Erfahrung wäre dieser andere Körper für uns gar nicht da: sie bildet also die Voraussetzung jeder weiteren Erfahrung. Aber indem nun das Nachbilden und Nachleben auf eine innere Struktur trifft, welche zu ihrem Mittelpunkte den in sich ruhenden unbedingten Punkt des beffiedigten Gefühls hat, indem es gleichsam nachtastet und nun in innerer Verbindung am Anderen Gewahren, Triebregung, Gefühl, Volition, Befriedigung, neues Streben zur Struktur eines geschlossenen Daseins verbunden findet: erfährt es die Selbständigkeit dieser Willenseinheit. Nun versteht es erst recht das eigene Ich und sein Eigenleben, die Abrundung desselben vermittels seiner Struktur zu einem in sich geschlossenen Ganzen. Zugleich erwächst in diesen Vorgängen mitten in dem Bewußtsein eines Anderen und Fremden das der Verwandtschaft und Gleichartigkeit: mit diesem aber ist das Mitfühlen innerer Zustände, Mitleid und Midreude, Teilnahme verbunden. So kann das Gefühl von Einsamkeit, Fremdheit, das uns aus der Na.tur entgegenweht, abe.r auch durch die unverstandenen feindlichen Seelenvorgänge außer uns hervorgebracht wird, niemals länger als auf kurze Momente uns überfallen. Geschlossene kernhafte Realitäten, der unseren verwandt, in Teilnahme und Solidarität mit ihr verbunden, doch aber jede ein Sitz von Eigenwille, der uns beschränkt, bilden unseren sozialen Horizont. Daß wir so Wille als Schranke des Eigenwillens anerkennen und als Selbstzweck respektieren müssen, das ist, gleichviel welche die Entstehung dieser moralischen Gefühle ist, nunmehr eine mächtige Tatsächlichkeit in Rücksicht auf Realität der Außenwelt. Auch die Realität der geschichtlichen Personen beruht für uns nicht ausschließlich auf hermeneutischen und kritischen Schlüssen, welche etwa am Faden der Kausalität von der Geschichtserzählung Rankes, Häußers und unzähliger anderer über Luther zu den Drucken seiner Werke, Briefe und Tischreden sowie den Schilderungen solcher, die ihn sahen, zurückgreifen, von da dann weiter rückwärts zu dem L\lther selber, der Buchstabe an Buchstabe reihte, oder dessen Gesichtsbild von einem Zeitgenossen aufgefaßt wurde. In unserem literarischen Zeitalter tritt dieses Schlußverfahren in den Vordergrund. Aber für das Verständnis dessen, was Geschichte sei, ü:t es wichti•g, sich zugleich die beständige Ergän.wng solcher Schlüsse durch lebenDilthey, Gesammelte Schriften V,

1.

Hälfte

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114 Beiträgt lt. Lösung d. Frage v. Ursprung unseres Glau/Jens a. d. Realität d. AuPenwelt

digere Vorgänge klar zu machen. Die Realität von Luther, Friedrich dem Großen oder Goethe empfängt aus deren beständigem Wirken auf unser eigenes Selbst, also aus der Bestimmung dieses Selbst durch den fortwirkenden, in der Historie immer weitere Kreise ziehenden Willen dieser mächtigen Personen eine erhöhte Energ-ie und Kernhaftigkeit. Sie sind für uns Realitäten, weil ihre große Personalität willensmächtig auf uns wirkt. So ist uns das Außen zunächst in der anderen Person gegeben. Nach unserer inneren Erfahrung ist uns Hemmung oder Förderung überall Kraftäußerung. Und wie wir unser Selbst als wirkendes Ganzes erfahren, tritt zu allererst für uns aus dem Spiel der Kraftäußerungen verständlich die Willenseinheit der anderen Person hervor. Geburt und Tod lehren uns dann Wirkliches abgrenzen in der Zeit. Herrschaft, Abhängigkeit, Gemeinschaft lehren es in der Abgrenzung des Nebeneinander auffassen.

DIE REALITÄT DER ÄUSSEREN OBJEKTE Zugleich empfängt unser Glaube an die Außenwelt eine erhebliche Verstärkung und eine besondere Farbe durch die Eigenschaften der äußeren Objekte. Die tatsächliche Unterlage der hierbei stattfindenden Denkvorgänge sind die dargestellten lebendigen Erfahrungen des Willens. Aber dieser Glaube empfängt dann doch Verstärkung und Bestimmung erst durch die sehr verwickelten intellektuellen Prozesse, welche das Selbst, das Sinnesorgan, die äußeren Ursachen und die mitwahrnehmenden Personen in Kausalverhältnisse zueinander setzen. Diese Denkvorgänge hat Zeller in seiner Abhandlung über die Gründe unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt t meisterhaft auseinandergesetzt. Er teilt mit von Helmholtz die Grundansich't, daß uns die Realität der Außenwelt in Denkvorgängen aufgehe, welche nach dem Kausalgesetz die Koexistenz und Folge von Empfindungen er.gänzen. 2 Aber diese Grundansicht kann leicht abgetrenntwerden von dem Nachweis, wie aus den Eigenschaften der äußeren Objekte sowie des Zusammen derselben und aus der Verwehung von Personen in sie nunmehr dieser Glaube Energie, Zusammenhang mit unserem ganzen Denken und Handeln, ja eine von aller unmittelbaren Erfahrung unabhängige Bestätigung empfängt. Denn wäre uns nicht in den Erfahrungen des Willens der Glaube an die Außenwelt gegeben, so bliebe er immer noch für das menschliche Raisonnement eine so überwiegend wahrscheinliche Hypothese, daß jede andere Möglichkeit der Erklä1 I

Vortr. u. Abh. III, :z:zs-:z8s. Abh. 252 f.

5 rung des Zusammen unserer Empfindungen nur eine verschwindende Geltung besitzen könnte. Das Denken stellt zunächst zwischen den Veränderungen im Sinnesorgan, dem unabhängigen äußeren Objekt, den Bewegungsantrieben und willkürlichen Bewegungen des eigenen Körpers einen Kausalzusammenhang her. Dieser hat zu seiner ganz allgemeinen Voraussetzung die Realität der Außenwelt. An diesem Kausalzusammenhang weben alle Induktionen des täglichen Lebens und der Wissenschaft. Alle unsere Handlungen sind Experimenten :tu -;ergleichen, die diesem induktiven Zusammenhang angehören. So ist schließlich das ganze Leben, ja das Leben aller miteinander verketteten Generationen ein System von Induktionen, die unter der Voraussetzung der Existenz äußerer Objekte stehen und unter ihr eine widerspruchslose Erkenntnis des Kausalzusammenhanges aller Erscheinungen erwirken. Da diese Voraussetzung durch keine andere ersetzt werden kann, so vollzieht sich hier ein immer neuer, in der :Kraft der Verkettung !:'einer Glieder stets wachsender Erweis der Realität der Außenwelt. Ich hebe zunächst besonders heraus, welche Rolle auch innerhalb dieses Denkvorganges die Erfahrungen des Willens, der Aufmerksamkeit, des Bewegungsimpulses spielen. Daß wir Empfindungsaggregate nicht als Halluzinationen oder Träume auffassen, sondern auf äußere Objekte beziehen, ist zunächst durch ihre Unverdrängbarkeit, den Widerstand, welchen der Wille erfährt, bedingt. Die Möglichkeit, den Eindruck zu wiederholen, weist, verglichen mit der Inkonstanz der Traumbilder, auf eine objektive Ursache. Betrachteten wir die Empfindungsaggregate als eine erste Klasse von Träumen, dann stünde rätselhaft neben der Regellosigkeit des echten Traumes eine folgerichtige, kausalgegl~ederte Traumbilderfolge. In dieser müßten wir auch das, was uns ganz unerwartet, ja zunächst unverständlich von außen entgegenzutreten scheint, wie die Erfindung des Telephons oder die Zeichen der chinesischen Sprache, in Wirklichkeit schon als Vorstellungsinbegriff besessen, nun wiedererinnert oder gar jetzt erst neu hervorgebracht haben. Ebenso würde alles, was unsere Absicht und unsere Erwartung, die eine Willensspannung ist, kreuzt, doch in Wirklichkeit von uns hervorgebracht sein. Wenn der nachts Arbeitende die Spannung seiner Gedanken plötzlich durch Feuerlärm oder das Erlöschen seiner Lampe peinlich unterbrochen findet, wäre er es, der einerseits in dieser Spannung be.griffen ist, und zugleich sie gewaltsam durchbricht. Bei der Vorstellung hiervon entsteht ein vollständiger Schwindel; dieser ist eben darin gegründet, daß in einem Kopfe und im seihen Momente zwei Willensintentionen, die miteinander streiten, zusammengedacht werden sollen. Dies ist uns ebenso unmöglich, als

Die Realität aer äußeren Objekte

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6 Beilriige •· Lö.rt~ng d. Frage v. Ursprung unseres Glaubens a. d. Realität d. Außenwelt

Setzung und Aufhebung desselben zusammen zu denken. Darum packt uns die Realität der Außenwelt kräftiger, wenn unsere wohlabgemessenen Bewegungsimpulse nicht äußere Veränderungen hervorbringen, die unserer Absicht und Erwartung entsprechen, sondern etwas ganz anderes als das Gewollte auftritt. Die Explosion überzeugt den erschreckten Chemiker am besten von der unabhängigen Natur des Objektes. Zugleich erkennen wir, daß die auf uns wirkenden Kräfte endlich und veränderlich sind, indem wir sie durch den Willen beeinflussen. Wir tauchen die Feder ein, bringen Zeichen auf das Papier, und wenn nicht etwa die Tücke des Objektes wirksam ist, folgt das erwartete Gesichtsbild. Die Objektivität der Außenwelt verdichtet sich für unser Bewußtsein alsdann in dem Maße, in welchem nunmehr die Eindrücke in einen ihnen eigenen Zusammenhang gebracht werden können. Zunächst werden, analog der Setzung anderer Personen, aus dem Sinnenchaos 0 b je k t e ausgeschieden, indem die durch ein Empfindungsaggregat regelmäßig vermittelten Wirkungen auf uns einer in diesem Aggregat sitzenden willenartigen Kraft zugeschrieben werden, welche in diesen Eigenschaften wirksam ist. Nun treten tms in dem Wirken der Objekte Gleichförmigkeiten entgegen, welche uns ganz unerwartet sind und zu unseren Wünschen in gar keinem Verhältnis stehen. Indem das unseren Willen Hemmende, das auf uns Lastende, wie das uns ungewollt und unerwartet Erfreuende nach solchen Gesetzen auftritt, die in der Sache, nicht in uns selber gelegen sind, empfängt dies nach seinen eigenen Gesetzen Wirkende den Charakter einer selbständigen Wirklichkeit, im Gesetz gewahren wir eine Macht über uns. Das Bewußtsein von einer selbständigen Realität wird noch durch folgenden Umstand gesteigert. Die perspektivische Verschiebung der Bilder bei dem Wechsel des eigenen Standortes, die Art, wie andere Personen von ihrem Standort aus nach den von ihnen zu uns gelangenden Lauten diese Bilder auffassen, die entsprechend'en qualitativen Veränderungen an den Gegenständen überraschen uns tagtäglich, und er.st wenn wir sie den erkannten Gleichförmi:gkeiten unterzuordnen vermögen, enthüllt sich uns eine Gesetzlichkeit als die alle einzelnen Eindrücke beherrschende Macht, deren Walten uns sonach als etwas Fremd- Selbständiges gegenübertritt. Zugleich vermögen unsere Schlüsse dieses Walten über unser Leben hinaus, ja über das der Menschhert hinaus zu verfolgen. Bevor Menschen auf unserer Erde entstehen konnten, bevor Bilder dnes Wirklichen in ihrem Bewußtsein aufglänzten, bestand nach den Schlüssen, die wir von diesem Wirklichen rückwärts machen können, ein Spiel von Kräften nach Gesetzen auf derselben Erdkugel, wie es uns heute umgibt. Und so

Besläligende Scll/üsse' aus den Modifikationen des Bewußtseins der Realität

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erheben wir uns durch die Macht unserer Schlüsse zu einer Komtruktion des Verlaufs im Geschehen, welche den Gang im Erkennen umkehrt. Nur in einem Bewußtsein, in welchem Willensimpuls und Widerstand auftritt, ist uns ein Wirkliches, i3t uns eine Materie und schließlich dieser Erdball in einem Universum von Himmelskörpern gegeben. Das Ideal der Wissenschaft aber ist, aus den Bedingungen dieses durch Schlüsse abgeleiteten Universums (seinen etwa in Gott gelegenen Grund hinzugedacht) das Bewußtsein hervorgehen zu lassen.

BESTÄTIGENDE SCHLÜSSE AUS DEN MODIFIKATIONEN DES BEWUSSTSEINS DER REALITÄT Wir wenden nun ein anderes Hilfsmittel an, unser Problem vom Ursprung des Glaubens an die Realität der Objekte aufzulösen. Wir schließen nach der Methode der einander begleitenden Veränderungen, sonach von den Modifikationen im Bewußtsein von der Realität der Objekte auf deren veränderliche Faktoren. Sc h 1ü!! s e nach dieser Methode werden an mehreren entscheidenden Stellen der Erkenntnistheorie sich jetzt schon nützlich erweisen. Ich gebe hier diese Methode nur an und behalte mir weitere Ausführungen vor. Erst voo der besseren Aufhellung der Zustände, welche von der Norm des wachen Lebens abweichen, wird allmählich eine größere Genaui·gkeit dieser Sc.hlüsse erwartet werden dürfen. Das Bewußtsein der Realität von Objekten ist sich nicht immer gleich, sondern enthält Grade und Modifikationen. Von den Vorstellungen, .welche, von den Wahrnehmungen scharf unterschieden, auf diese sich beziehen und sie repräsentieren, geht eine Reihenfolge von Graden und Modifikationen zu den in den Sinnen erscheinenden Bildern, die von dem sicheren Bewußtsein ihrer Realität begleitet sind. So besteht schon innerhalb d~ Traumes eine Gradation der Lebhaftigkeit des Wirklichkei.tsbewußtseins. Sie liegt in der Erfahrung von jedermann und kann die Traumbilder der Wirklichkeit annähern. Ich hielt längere Zeit ein Bild, das in meiner Erinnerun·g auftrat, fü,r die Reproduktion eines wirklichen Vorgangs, bis ich konstatieren konnte, daß hier nur die Erinnerung an ein Traumbild vorla.g. Krishaber teilt aus seinen Beobachtungen über eine bestimmte Klasse von neuropathischen Zuständen, für welche tiefgreifendere Sinnesstörungen besonders charakteristisch sind, folgende Beschreibung mit, die ein wissenschaftlich gebildeter Kranker über einen Zustand machte, der längere Zeit hindurch andauerte. "Von diesem allem war mir der .!§.

118 Beitriire •.Lösung d. Frage"· Ursprung unseres Glau!Jens a.d. Realität d. Aujlmwelt

Eindruck zu träumen am empfindlichsten; hundertmal berührte ich die Gegenstände, welche mich umgaben; ich sprach sehr laut, um mir die Realität der Außenwelt, die Identität meiner eignen Person zurückzurufen. Auch das Berühren der Objekte rektifizierte meine Eindrücke nicht." 1 Ein anderer Fall dieser Klasse wurde von ihm an einem Offizier beobachtet; derselbe verlor zugleich mit dem kräftigen Bewußtsein der Identität seiner Person die Realität der Außenwelt, und er hatte die Empfindung, als wäre er in einen tiefen Traum versenkt.' Krishaber hat eine größere Zahl von Fällen derselben Art gesammelt. In keinem derselben trat eine Leugnung des Bewußtseins von Realität und sonach eine Verrückung auf, aber dieses Bewußtsein erfuhr eine Minderung, derjenigen ähnlich, welche wir vom Traume her kennen. Auch bei Geisteskranken treten erhebliche Unterschiede in bezug auf Zuerteilung von Realität an ihre anomalen Sinnesbilder auf. Differenzen geringeren Grades reichen auch in unser reguläres Tagesleben hinein. Blickt ein Kind oder ein Naturmensch zum gestirnten Himmel hinauf, ohne Kenntnis von Gravitation und Spektralanalyse, dann haben diese allein im Gesichtsfeld auftretenden Gestirne eine Feme von unsrer tastbaren und genießbaren Wirklichkeit, welche den Grad ihrer Realität mindert. Dies erleichterte auch die Verschmelzung dieses Gesichtsbildes mit den Ideen von einer transzendenten Welt. Wenn der Glaube Druck, Schwere, Widerstand wegdenkt aus dieser transzendenten Welt, wenn in dieser seine Gestalten auf Wolken einher~ schreiten und sich erheben, wenn die Schwingen der Engel keiner starken Muskeln bedürfen, diese ätherischen Leiber zu tragen: so ist die sinnliche Unterlage hiervon das Erscheinen einer uns ganz fremden Welt der Gestirne im bloßen Gesichtssinn. Das weitere tat dann der Volksglaube und die aristotelisch-scholastische Lehre von ei.ner doppelten Welt diesseits und jenseits des Mondes. Das Verhältnis, nach welchem erst das Zusammenwirken mehrerer Sinne und der von ihnen stammenden Vorstellungen den Objekten volle Realität verleiht, läßt sich auch in anderen einfachen Fällen beobachten. Selbst wenn wir vom Eisenbahnwagen aus die Bilder fremder Gegenstände auffassen, finden wir, daß diese wie Kulissen an uns vorüberziehen; hier werden die Gesichtseindrücke weniger von Erinnerungen an Tastempfindungen, Widerstand und sinnliches Genießen unterstützt. Ferne Berge, Seen, die sich vorherrschend nur optisch genießen lassen, bezeichnen wir als bloße Dekoration. Diese Modifikationen des Bewußtseins der Realität werden nun durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren herI I

Krishaber, De Ia Nevropathie cerebro-cardiaque, p. 8, 9 Ebd. s. rs.

Btlliitigtnde Scßlüsst atu tkn M odijikatimun tks BIWUßlm'ns der Rtaliläl

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vorgebracht. Der Unterschied von Vorstellung und Wahrnehmtmg, die Gradation, in welcher Vorstellungen sich der Sinnfälligkeit der Wahrnehmung annähern, die Modifikationen der Wahrnehmung in anomalen Zuständen des Sinnes bilden einen ersten Faktor, der zweite liegt in den Veränderungen des Willens und der mit diesem verbundenen Gefühle, und der dritte ist in den Vorgängen des Denkens oder deren psychischen Äquivalenten zu suchen, durch welche beide Klassen von Tatsachen, Empfindungen und Willenszustände, dem erworbenen Zusammenhang des Bewußtseins eingeordnet werden. In der Halluzination ist zunächst in einer Reihe von Fällen mit dem Erscheinen der Bilder im Sinnesfelde das Bewußtsein, daß ihnen keine objektive Gültigkeit zukommt, verbunden. Der berühmteste Fall dieser Art sind die Halluzinationen Nicolai·s. 1 Hier lag eine Veränderung der Blutbewegung im Gehirn vor, wodurch dann das Ersc}leinen der Bilder im Gesichtsfelde bedingt war. Die Energie solcher Vorgänge ist eine verschiedene. Von den Fällen, in denen die Energie der entsprechenden Gehirnleistung zu jeder Zeit Phantasmen ermöglicht, wie dies Goethe und Joh. Müller von sich berichten, durch diejenigen hindurch, in welchen bei erregtem künstlerischem Schaffen dieselben auftreten, wie wir aus den Berichten von Dickens, Balzac u. a. wissen,' geht eine Skala zunehmender Energie der Bilder zu den von Nicolai beschriebenen Fällen, in welchen die Gestalten bei offenem Auge zu jeder Zeit auftreten und sich selbständig, vom Willen unabhängig, bewegen. Bei der Genesung blassen diese Phantasmen gleichsam ab. Aber gerade in diesen Halluzinationen lebhaftester sinnfälligster Art, wie denen von Nicolai u. a., hat zwar das Bild sonst vollständig den Charakter der von äußeren Reizen hervorgerufenen Wahrnehmung, aber die Überzeugung von der Realität der Gegenstände im Außenraume ist nicht damit verbunden. Dies ist die Folge davon, daß kein Druck des Willens und keine krankhafte Depression oder Steigerung der Gefühle den erworbenen Zusammenhang der Vorstellungen überwinden und so, dem Verstande zum Trotz, den Phantasiebildern eine volle ganze Konsistenz, gleichsam einen Kern geben, und daß zugleich andererseita das Vermögen, diese Bilder durch Schlußprozesse oder Äquivalente derselben zu prüfen, ungemindert erhalten ist. Auch nach psychiatrischen Erfahrungen ist mit dem Auftreten lebhafter Sinnesbilder im Gesichtsfelde keineswegs stets die Zuteilung von Realität an dieselben verknüpft. Ein Kranker wird durch Sinnestäuschungen belästigt, die be1 Von ihm beschrieben Berliner Monatsschrift 1797. Abgedruckt in seinen phil. Abhandlungen 1, 58 ff. • Vgl. meine Rede über dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn. 1886. (Schriften V, 2.)

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Beiträge•.Lösung d.Fragev. Ursp""ngunseres Glaukns a.d.Realiliitd.Außmwe/1

sonders in der Nacht auftreten, andere Symptome lassen schließen, daß diese Halluzinationen erste Äußerungen beginnendeT Gehirnerweichung sind, aber derselbe kann seine Bilder als "Träume" oder "Phantasien.. vollständig von der Wirklichkeit unterscheiden. Also: das E r;; c h e i nen lebhafter, den Objekten sonst ganz gleicher Bilder im Gesichtsfelde ist nicht für sichmit dem Bewuß taein v?n Realität derselben verbunden; es reicht nicht aus, die;;en Bildern den Charakter von Wirklichkeit z\1' verleihen. Wie ganz anders ist es, wenn solche Halluzinationen da auftreten, wo ein anomaler Druck auf dem Willen und dem Gefühle lastet und die Regulierung der Bilder sowie ihre Beurteilung von dem erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens aus in anomaler Weise gestört ist. Dieselben Momente, welche auch im regulären Bewußtsein den von äußeren Reizen erregten Bildern ihre volle Objektivität geben, erteilen hier diese Objekt ivhät den Halluzinationen. Die Kontrolle von Sinneseindrücken und Erinnerungen vermag die Überzeugung von der Realität der Phantasmen im Irren nicht zu beseitigen. Der Geisteskranke, der eine brennende Kerze in der Tür sieht, die ihm den Tod bedeutet, geht auf Geheiß des Arztes an die Tür, greift nach derselben und bemerkt ganz wohl, daß er weder die Kerze greift, noch das Licht ihn verbrennt. Dennoch hebt dies seinen Glauben nicht auf. Nicht als fehlte ihm das Schlußvermögen. Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß vielmehr dem Schlußvorgang das fein und sicher verkettete Material im erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens verloren gegangen ist.l Zugleich aber ist es der lastende Gefühlsdruck, von welchem kein Willen;;akt zu befreien vermag, was im Irren gleichsam den äußeren Gegenstand postuliert, den ihm die Halluzination nunmehr darbietet und was ihn alsdann so zähe an deren Realität festhalten läßt. Solchen Zuständen, in denen die aus inneren Reizen stammenden Vorstellungen die volle Energie von Tatsachen erhalten, liegen diejenigen gegenüber, in denen das Selbstbewußtsein wie das Bewußtsein von der Realität der Objekte in ihrer Energie gleichmäßig gemindert sind. Ich gehe von Fällen aus, in welchen solche Minderung bei vollem Bewußtsein stattfindet und benutze wieder die von Krishaber an einer bestimmten Form von neuropathischen Zuständen gemachten Beobachtungen. Das Interesse der gegenwärtigen deutschen Nervenärzte ist so durchweg einer vollständigen Konstruktion der physischen Seite des Vorgangs zugewandt, daß ich in unserer Literatur keine ent1

Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn S. 15 ff.

Bestätigende Sckliisse aus den Modifikationen des Bewußtseins der Realität

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sprechenden Krankenberichte gefunden habe. In allen von Krishaber gesammelten Fällen überfiel plötzlich den Kranken Schwindel, Ohrensausen, Störungen im Sehsinn, dem Gehör und den Tastgefühlen. Ein besonders genauer Selbstbeobachter (Fall 38) sagt näher: "diese Sehstörung mahnte mich an die Art, wie man Gegenstände durch sehr stark konkave Gläser sieht oder auch an die Art, wie Gegenstände erscheinen, wenn man neben einem stark geheizten eisernen Ofen durch die warme Luftschicht blickt, welche zu zittern scheint. Meine .Gesichtsstörung würde sich einer Mischung dieser beiden Impressionen nähern." Die Gehörsstörungen waren noch entschiedener: ter Niedergeschlagenheit sowie damit, daß er beim Gehen den Boden nicht fühlte. Aus anderen verwandten Fällen hebe ich noch folgenden hervor, von welchem der wissenschaftlich gebildete Selbstbeobachter eine genaue Aufzeichnung gemacht hatte und dem obige Angaben über die Sinnesstörungen entnommen sind (Fall 38). "Ich schien mir in der ersten Zeit des Tages beständig zu träumen, und es machte mir große Mühe, meine Traumbilder von der wirklichen Welt zu unterscheklen. Ich verlor zuweilen beinahe den Begriff meiner eignen Existenz, ich fühlte mich so vollständig verwandelt, daß ich mir eine andere Person geworden zu sein schien." t Diese Tatsachen erläutern, abgesehen von dem sehr großen Interesse, welches die in denselben enthaltene Modifikation des Selbstbewußtseins sowie des Bewußtseins von Realität der Außenwelt für den Psychologen haben muß, zugleich auch den Einfluß, welchen eine tiefergreifende Störung im Wahrnehmen nicht nur auf das Bewußtsein der Realität äußerer Objekte, sondern auch auf die Energie des Selbstbewußtseins haben kann. Denn zugleich mit der Minderung der objek1

Krishaber, a. a. 0. 151.

B1sliiligmtü Sclllüss1 aus dm Modifikationen tüs B1wußts1ins du R1aliliit

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tiven Realität tritt auch die der Energie des Ichbewußtseins auf. Gleichviel wie man die einzelnen Einflüsse von der Herzerkrankung her abschätze und welche Veränderungen im Gemeingefühl sowie in den Impulsen zu Bewegungen mitwirken: ganz sicher ist doch durch diese Fälle die Wirkung bezeugt, welche die Wahrnehmungsstörungen auf die Minderung der Realität der Objekte und dann indirekt wohl auch auf die Herabsetzung der Energie des S e 1b s t • bewußtseins haben. Diese zweite indirekte Wirkung würde ich folgendermaßen erklären. Wir leben alle gleichsam unter der Summe aller Erfahrungen vom Widerstand und Druck der nach Gesetzen wirkenden und verbundenen Objekte; wir ordnen diesen Erfahrungen jeden neuen Eindruck unter; in dieser Spannung zwischen Impuls und Widerstand besitzen wir die volle Realität unseres Selbst und der Objekte. Indem nun die Wahrnehmungen diesem Wirkungszusammenhang, der bis dahin permanent war, nicht mehr eingeordnet werden können, indem sie gleichsam fernabrücken, schwanken, unfaßbar verbleiben, ist dieser Wirkungszusammenhang nicht mehr da, mit ihm fehlt nun die Spannung zwischen ihm und dem Selbst. Wie anders die Bedingungen, unter denen die Traumbilder eine halbe oder Dreiviertelsrealität erhalten! Und doch ist hier die Bedeutung des Willensverhältnisses für das Bewußtsein der Realität noch viel klarer. Die Veränderungen der Blutverteilung und des Stoffwechsels im Schlafe bewirken einerseits eine größere Erregbarkeit zu Bildern, ähnlich dem Vorgang, in welchem die Halluzination entsteht, andererseits aber eine starke Minderung der regulierenden und unterordnenden Wirkungen des erworbenen seelischen Zusammenhanges auf diese Bilder und der willkürlichen Richtung der Aufmerksamkeit. So fällt die Kontrolle der Bilder aus, die in den oben geschilderten Halluzinationen stattfindet; zugleich vermag die geminderte Aufmerkiamkeit nicht, die Bilder festzuhalten oder willkürlich zu verdrängen; sie gleiten an dem Bewußtsein vorüber, wie Bilder der Laterna magica, unabhängig von Wille und Aufmerksamkeit dessen, der sie sieht; hieraus entsteht ihnen eine schattenhafte Art unabhängiger Re a 1i t ä t; und diese wird durch ihre Beziehung zu dem auch während der Träume fortdauernden Spiel der Gefühle verstärkt. Die Traumbilder verweben sich mit den Passionen. Im wachen Leben herrschen, wie das Tageslicht die Lampe überstrahlt, die permanent gegenwärtigen Wahrnehmungen. Im tiefen Schlaf vermag sich das Bewußtsein den es gleichsam belagernden Phantasiebildern nicht zu entziehen; es wird von ihnen überrascht als von Unerwartetem; es kann, sie nicht zum Stillstand bringen. Dennoch bleibt diesen Bildern, wie gesagt. das Schattenhafte, das wir als den Charakter der Traumsphäre

I 2 4 B~iträge s. Lösung d. Frag~

v. UrsjJrun,l{ unseres Glaubens a. d. R~alität d. Außenweil

bezeichnen. Denn Wille, Impuls, willkürliche Bewegung, und dann wieder energischer Widerstand verleihen dem Leben die volle Realität; Einordnung der Eiruelbilder in eine_ gesetzmäßige Wirklichkeit, welcher sie subordiniert werden, verdichtet diese Wirklichkeit zu einem nach eignen Gesetzen uns_ widerstehenden Zusammenhang; willkürliche Bewegungen bestätigen diese Realität: alles das mangelt der Traumsphäre. Die Spannung zwischen dem energischen bewegungsmächtigen Subjekt und d~n Gegenständen ist hier herabgesetzt. Wie gleichsam durch eine solche Spannung Selbst und \Velt auseinandergehalten werden, kann schließlich auch an den Zuständen von Narkose festgestellt werden, welche ja denen des Traumes vielfach verwandt sind. Aus manchem Belehrenden hebe ich einen Bericht über den Vorgang hervor, in welchem bei dem Erwachen Selbst und Objekte auseinandertreten.l Obwohl dieser Bericht schon den vierziger Jahren angehört, kann er doch auch heute noch nicht durch einen ausfülulicheren ersetzt werden. Er zeigt, wie mit dem Wiederauftreten von Leistungen, unter deren Mitwirkung nach den Ergebnissen der psychologischen Analyse überall das Ichbewußtsein sich aufbaut, nämlich der sinnlichen Gefühle und der willkürlichen Bewegung, auch Selbst und Objekte nun wieder auseinandertreten. Ist es doch derselbe Akt von Auseinanderhalten des Selbst und der Objekte innerhalb des Bewußtseins, gleichsam von Furchung innerhalb dieses Bewußtseins, in welchem das Selbst abgegrenzt und zugleich das Bild als ein Außen objektiviert wird. Ein Selbst ist ja für uns nur da, sofern es von einer Außenwelt unterschieden wird, und das Wort Außenwelt 'hat nur einen Sinn, sofern diese vom Selbst abgesondert wird. Denkt man sich die eine Tatsache aufgehoben, so wäre es auch die andere. Wäre das Selbstbewußtsein ausgelöscht, so gäbe es kein Außen mehr für die Objekte, es fehlte der Ansatz zu der Relation des Eigen oder des Innen zu dem Außen. Aus einer Narkose erwachend, konnte Harless "durchaus nicht seine Persönlichkeit von der einer anderen Person, auf die sein erwachendes Auge fiel, trennen". In diesem Falle war eine Sonderung des Selbst von Objekten noch aufgehoben, obwohl Bilder schon aufgefaßt wurden. In einem anderen noch merkwürdigeren Falle war im Moment des Erwachens der Sehnerv schon imstande, seine Eindrücke zum Bewußtsein zu bringen, aber noch versagte die willkürliche Bewegung, ein Punkt, der sich später als von Wichtigkeit erzeigen wird. "Mit einemmal sah ich meine beklen Freunde, die dem Experiment beiwohnten, am Ofen des Laboratoriums stehen, aber von allen ande1

Harleß und Bibra, Wirkung des Schwefeläthers 1847, S. 25 ff., S. 81 ff.

Besläligung aus det LI/Jifldigkeil der Dinge für das Kind und den Naturmensclun

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renGegenständennoch nichts, weil ich nicht das Vermögen besaß, die Augenachsen anders zu stellen, als sie gerade vor dem Eintritt der Narkose gestellt waren. Bei diesen zweien vennißte ich nun einen dritten, nämlich mich selbst; aber nicht mit dem Bewußtsein, daß ich dabei sein müßte, sondern nur mit der historischen Erinnerung, daß kurz vorher ein dritter noch dabei war. Ich suchte diesen dritten etwa drei Sekunden lang buchstäblich wie in einem öden, leeren Raume, bis in einem Moment mit einer lebhaften Bewegung der Hand mein Selbstbewußtsein wieder erwacht war und ich mich wieder unter ihnen fü'hlte. " 1 Man sieht, wie Gefühl und willkürliche Bewegung zurückkehren und so das Selbstbewußtsein sich wieder herstellt. Es wird nicht ausdrücklich bemerkt, aber selbstverständlich hatten diese Bilder, so lange ihnen der Relationspunkt eines Selbstbewußt;;eins fehlte, keine Außenexistenz. Mit diesem allem ist in Übereinstimmung, daß das Tier und das Kind sich ebenso energisch von der Außenwelt unterscheiden als der erwachsene Mensch. Selbstgefühl, Selbstschätzung, Streben, die Triebe zu befriedigen, sind als Lebensgewalt in ihnen so wirksam als im entwickelten Menschen.

BESTÄTIGUNG AUS DER LEBENDIGKEIT DER DINGE FÜR DAS KIND UND DEN NATURMENSCHEN Impuls und Widerstand enthielten den Keim der Trennung von Selbst und Objekt; dieser entfaltet sich, indem das Selbst sich alsl eigenes Zweckganzes abschließt: nun lösen sich auch aus dem chaotischen Spiel von Kraftäußerungen, welches dies Selbst umgibt, andere Personen ab. Denn der erste objektive Zusammenhang eines Ganzen, der uns aufgeht, ist der einer anderen Person. Die Mutter, welche sich über die Wiege des Kindes beugt, es aufnimmt und nährt, ist ihm die erste volle Realität, welche aus dem Hintergrunde des Sinnenchaos auftaucht und leibhaftig wird. Denn dem Selbst ist gemäß seinen eigenen Erfahrungen von Wolleil und Wirken in jeder Hemmung oder Förderung, welche es erfährt, Kraft gegenwärtig. Und nun wird hier eine Anordnung von Kraftwirkungen regelmäßig erfahren, welche aus dem eignen Lebensgefühl heraus als andere Person verständlich ist. Nach dieser Analogie konzipieren wir dann die Objekte. Die Eigenschaften und Wirkungen eines solchen Objektes werden durch eine dem Willen analoge Kraft zusammengehalten. Das Ding und dessen begriffliche Form«:l: die Substanz ist sonach nicht eine Schöpfung des Verstandes, sondern der Totalität unserer Seelenkräfte. Der nächste Beweis 1

A. a. 0. S. 27 vgl. 84.

26 Beitriip •• un~ng d. Frage"'· Ursprung unseres G/aulmu a. d. Realität d. Außenweil hiervon liegt.in der Unmöglichkeit, diese Formel dem Verstande wider· spruchsfrei durchsichtig zu machen. Dann aber zeigt sich dies in der willenskräftigen Lebendigkeit der Dinge für das Kind und den primitiven Menschen. So bestätigen zahllose geschichtliche Erfahrungen unsere Auffassung: der Animismus bei den Naturvölkern, das mythische Vorstellen, bekannte Eigentümlichkeiten der Sprachen, die unvertilgbare Neigung der Poesie, die Lebendigkeit der Natur immer wieder, der mechanischen Naturerkenntnis zum Trotz, im Namen des ganzen Menschen herzustellen. Dies alles habe ich in meiner Einleitung in die Geisteswissenschaften und in dem Entwurf der Poetik schon zureichend ausführlich entwickelt. I

DAS ERGEBNIS I.

Kant bezeichnete es als einen Skandal der Philosophie und der allgemeinen Menschenvemunft, daß denen gegenüber, welche auf den Einfall etwa geraten, die Realität der Außenwelt zu bezweifeln, kein genügender Beweis derselben vorhanden sei. Geht man von derWeit als Vorstellung aus, betrachtet man das Verhältnis der Empfindungsverbindungen zu Impuls und Gefühl nur als charakteristische Merkmale dieser Empfindungsverbindungen, welche den Schluß von diesen auf deren Ursache jenseit des Bewußtseins ermöglichen, dann entsteht für die Philosophie in der Tat die Aufgabe eines Beweises, welcherdurch Verstandesschlüsse vermittels des Begriffes der Ursache in das Jenseit des Bewußtseins hinübergreift. Man muß dann von den in Empfindung und Denken .gegebenen Phänomenen zum Grenzbegriff des Phänomens, dem Bewußtseinstranszendenten, fortgehen; denn man kann nur vermittels desselben die in Empfindung und Denken auftretenden Tatsachen faßbar machen. So bedient sich die Erklärung der Hypothese von der Existenz eines Bewußtseinstranszendenten, und bestimmt dann etwa weiter hypothetisch dessen Eigenschaften. Diese Erwartung, aus den Tatsachen des Bewußtseins die Existenz eines Bewußtseinstranszendenten allgemeingültig zwingend abzuleiten, ist innerhalb eines nicht vollständig kritischen Denkens entstanden. Dasselbe nimmt selbständige Existenz jenseit des Bewußtseins als einen in sich klaren Begriff und versucht dessen tatsächliche Gültigkeit auf· zuzeigen. Dies ist die Folge einer Methode, welche die erkenntni.stheoretischen Grundfragen und ihre Auflösung in einem Umkreis möglichst weniger abstrakter Begriffe festlegte, als ob deren Sicherheit hierdurch zunehme. Descartes, von der Mathematik verleitet, suchte in dem von der Wirklichkeit und den wissenschaftlichen Begriffen über

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Das Erg-e!Jnis

dieselbe erfüllten Bewußtsein denknotwendige Elemente und Beziehungen; vermittels derselben wollte er von dem cogito sum zur Außenwelt und schließlich zur metaphysischen Erkenntnis gelangen. Diese Beziehungen waren natürlich um so durchsichtiger, je mehr sie bloße Denkbeziehungen waren. So intellektualisierte man die Begriffe Ursache und Substanz, man glaubte, in ihrer Klarheit und Deutlichkeit ein Kriterium der objektiven Gültigkeit zu bes~tzen, und man rechnete mit ihnen im Denken. Die Metaphysiker korrigierten von diesen Begriffen aus die Erfahrungen, aus denen sie entstanden waren (Zeller a. a. 0. 230ff. über die so entstandenen Schwierigkei~en). Ging man später von einer richtigeren Einsicht über den Ursprung der Begriffe Ursache und Substanz in der erkenntnistheoretischen Betrachtung aus, so blieb das Ziel der Methode doch immer Nachweis einer unabhängigen Existenz jenseit des Bewußtseins vermittels des Begriffs der Ursache. Das Merkmal einer unabhängigen Existenz an den Objekten wurde nicht auf die Tatsachen zurückgeführt, die im Bewußtsein gegeben sind. So verband man mit einem Merkmal, das schließlich in den Erfahrungen des Willens gegründet ist, ohne kritische Erwägung seines Ursprungs das der Bewußtseinsjenseitigkeit. Die einen unternahmen nun, die Realität des unabhängigen Bewußtseinstranszendenten zwingend zu erweisen, während die anderen die Unmöglichkeit eines allgemeingültigen Nachweises mit überlegenen Argumenten aufzeigten. Wie vermöchte man aber von dem festen Boden des Selbst aus vermittels des Begriffs der Ursache eine Brücke hinüber zu dem Jenseit des Bewußtseins zu schlagen? Dort ist kein fester Boden. So erhob sich schließlich immer wieder neben dem kritischen Realismus der intellektualistischen Schule und seinem Zwillingsbruder, dem Phänomenalismus, die intuitionist,ische Lehre, welche sich auf die Unmittelbarkeit des Bewußtseins von der äußeren Wirklichkeit berief. Ich versuche zunächst zu zeigen, daß diese Standpunkte gegenüber der vorstehenden Analyse sich nicht halten lassen. 2.

Wir haben gesehen, daß die Annahme der Schotten, Jakobi's und einiger französischer Forscher unseres Jahrhunderts von einer u nmit t e 1b a r e n G e w i ß h e i t der Realität der Außenwelt falsch ist. Auch konnten wir den Ursprung dieses Scheins aufdecken; die Widerstandserfahrung nämlich entsteht zwar in einem zusammengesetzten Vorgang, aber tritt dann in unserem Bewußtsein nachträglich als ein Einfaches auf. Immer sind vermittelnde Denkvorgänge erforderlich, die denkende Erfahrung der Realität herbeizuführen. Die Behauptung von der Unmittelbarkeit dieser Erfahrung entspringt nur dem Mangel

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Beiträge 11. Usung d. Frage v. Ursprung unseres G/au!Jens a. d. Realität d. Außenweil

gründlicher psychologischer Analyse. Diese Behauptung ist durch die Analyse der Gesichts- und Tonwahrnehmungen in den Arbeiten von Helmholtz definitiv widerlegt, und die sogenannte Lehre von der Intellektualität der Sinneswahrnehmung ist durch ihn endgültig erwiesen worden. Diese erwiesene Lehre versuchten wir nun durch den näheren Nachweis der aus dem Triebleben stammenden Seite des Objekta zu ergänzen. Zugleich gaben wir eine Methode an, aus den Veränderungen im Wirklichkeitsbewußtsein auf die verschiedenen Faktoren zu schließen, deren Produkt dasselbe ist. So können wir als !'lieberes Ergebnis betrachten: das Wissen von einem unabhängigen Bewußtseinstranszendenten ist nicht unmittelbar gegeben. Dies Wissen kann aber ebensowenig durch Sc h 1üs s e zwingender Art gewonnen werden. Ein solcher Beweis steht unrt:er der Annahme, daß die Gesetzlichkeit des Denkens Anwendung auf das inhaltlich gänzlich Bewußtseinsjenseitige habe. Dies ist das alte Prinzip der großen griechischen Metaphysiker wie der philosophischen Physiker des 17. ] ahrhunderts. Es bedient sich der Begriffe von Existenz, Realität, Ursache, Substanz trotz der bekannten Schwierigkeiten, welche sowohl von den Positivisten seit Hume, als von den Transzendentalphilosophen seit Kant geltend gemacht worden sind. Und dennoch I Geht man von der Forderung aus, die Eindrücke innerhalb des Bewußtseins nicht bloß durch Gleichförmigkeiten zu beschreiben, sondern zu erklären, so findet man sich von den angegebenen intellektualistischen Voraussetzungen aus zu der Hypothese äußerer Objekte genötigt, und dieselbe erhält um so stärkere Begründung, je mehr gerade die in der Unverdrängbarkeit und Gesetzmäßigkeit gelegenen Eigenschaften der Eindrücke betont werden, wie dies Helmholtz und Zeller tun. Denn die Realität der Außenwelt ist eben die allgemeinste Voraussetzung, welche allen unseren Induktionen im gewöhnlichen Leben sowie in der Wissenschaft zugrunde liegt. Und jede gelingende Induktion, jede Auffindung einer Gesetzmäßigkeit, jedes vorausbedachte erfolgreiche Handeln wird, als unter dieser Voraussetzung stehend, zu einer neuen Bestätigung derselben. Wohl kann diese VoraussetZ'Ung durch eine andere ersetzt werden, und diese kann niemals völlig ausgeschlossen werden. Aber dieselbe zeigt sich als sehr künstlich und im höchsten Grade unwahrscheinlich. Die Objektbilder sind entweder durch etwas Bewußtseinstranszendentes bedingt, das nach Gesetzen wirkt, aus welchen dann das Auftreten, Sichverändern und Schwinden dieser Bilder erklärt werden kann, oder diese Bilder haben ihren Grund in dem Bewußtsein, das sie vorstellt. Im letzteren Falle ist dieses Bewußtsein so eingerichtet, daß es den permanenten Schein der von außen auf· tretenden und vom Ich unterschiedenen Objekte hervorbringt. Auf-

Das Erg16nis

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treten, Veränderung und Schwinden der Objekte sind dann aus der allgemeinen Bedingung des Scheines der Realität dieser Objekte nach Gesetzen ableitbar. Was schließt nun aber diese zweite Annahme in sichl Jede perspektivische Verschiebung steht nach optischen Gesetzen zu dem Wechsel des Standortes des Blickenden in festem Verhältnis. In diesen Zusammenhang sind andere sinnenbegabte Personen gleichsam eingeschachtelt; sie besitzen Gesichtsbilder, sie erzeugen Laute, und auch diese Sinneseindrücke verlaufen allesamt so, als bestünden diese Personen und erblickten sowohl Objekte als gegenseitig sich selbst. Endlich sind in das Leben jeder dieser Personen Zustände, die vom wachen Leben abweichen, Träume, freie Spiele der Phantasie eingeordnet; sie sind so geartet, daß sie wieder nach denselben allgemeinen Gesetzen, gemäß den Eigenschaften der Seele, unter der Bedingung der Existenz objektiver Sinnesreize, abgeleitet werden können. Ein so verwickelter Mechanismus von Einrichtungen, die alle gleichsam dem Schein der Existenz objektiver Gegenstände entgegen konvergieren, setzt selbstverständlich ein zweckmäßig Wirkendes, das nur nicht in unser Bewußtsein fällt, voraus. Mögen wir es Ich nennen oder Gott oder Dämon, es ist die abenteuerlichste Vorstellung, die wir fa5sen können: ein hypothetisches Ungeheuer ohnegleichen. Eine gänzlich zweckwidrige, ja sinnlose Zweckmäßigkeit. Als ich, dieser einzelne Mensch, zu erfahren und zu erinnern begann, muß dies Wesen schon auf den Zusammenhang aller künftigen Erfahrungen meine allererste Erfahrung eingerichtet haben. Ein unermeßlicher Aufwand von Intelligenz muß beständig für den nichtigsten Zweck - einen bloßen Schein aufgewandt werden. Alle moralischen Gefühle, die in diesem Zusammenhang auftreten, aller Arbeitsaufwand des heroischen Willens kann nur durch diesen Schein bedingt sein und muß sich auf bloße Scheinbarkeiten beziehen. So wird diese Welt des Scheins zu einer \Velt des Trugs; das weiseste und nicht;mutzigste Wesen hat dies alles hervorgebracht, ist aber zugleich mein Ich, in welchem meine moralischen Gefühle enthalten sind. Man sieht, wie unwahrscheinlich eine solche Annahme ist. Man braucht sie nur auszubilden, um sie zu verwerfen. Aber - allgemeingültig widerlegen kann sie niemand I da in diesem Bau bewußtseinsjenseitiger Hypothe;;en dem Denken überall Schlupfwinkel bleiben, vor den Folgerungen seiner Annahmen sich im Dunkel der Transzendenz zu verbergen. Ja in dieser Beweisführung liegt ein Fehler, welcher in jedem Argument wiedergefunden werden kann, das diese intellektualistische Schule aufgestellt hat. Es wäre Schikane, das Recht anzuzweifeln, die Operationen des Denkens auch auf das Bewußtseinsjenseitige zu erstrecken und auch da den Gesetzen des Denkens Geltung zuzuerkennen. Jede Argumentation :teht selb;;tDilthey, (lesammt-lte Sl:hriftt-n V,

1.

Uälfte

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Beiträge z. Lösung d. Frage 'II. Ursprung unseres Glaubens a.d. Realität d. Aujlenwelt

verständlich unter den allgemeinsten Eigenschaften des Denkvorgangs, welche wir in der Abstraktion als Formen und als Gesetze des Denkens herausheben. Wie wir ohne Gesichtssinn nicht sehen, dieser sonach die Bedingung ist, unter der alle Bilder stehen, so kann ohne Denken keine Tatsache des Bewußtseins ausgesprochen oder begründet, keine Ergänzung derselben durch Nicht-Gegebenes gefunden werden. Bedenklicher ist es, auf einen Schluß von den Wirkungen zu den Ursachen die Beziehung der Empfindungen auf die Objekte zu begründen. Wir wissen nicht, ob dieser an das Bewußtseinsjenseitige so von außen herangebrachte Begriff etwas an diesem erfaßt. Aber der augenfälligste Fehler besteht in folgendem. Jeder Beweis, daß die Ursachen unserer Empfindungen außerhalb unseres Selbst gelegen seioo, kann, bei der vollkommenen Dunkelheit dieses Außerhalb und seiner Bedingungen, schließlich immer nur indirekt geführt werden, nämlich durch J\.usschluß der Möglichkeit, daß die Empfindungsverbindungen in dem Selbst begründet seien. Hierbei ist aber die Voraussetzung erforderlich, daß die aus dem bewußten Seelenleben abstrahierten Geseae desselben a 1s Maß s t ab in diesem grenzenlosen metaphysischen Felde angewandt werden können. Warum kann aber mein bewußtes Dasein nicht mit ihm verbundene Lebensbedingungen haben, innerhalb deren andere Formen des Geschehens walten? Warum können hier nicht Bewußtseinsprozesse abgelaufen sein und Ergebnisse hinterlassen haben, während die Erinnerung an diese Prozesse unter.gegangen ist? Warum - aber es ist überflüssig im einzelnen zu zeigen, daß die Art, wie in einem solchen Zusammenhang rückwärts ooser Selbst gegründet sein und wie es aus denselben Bedill;giUilgen für uns den bekannten Lebensablauf erhalten kann, gänzlich Wlbestimmbar ist, und daß doch auf den Bestimmungen hierüber jeder Beweis der intellektualistischen Schule für die Realität der Außenwelt beruht. 3· Wir konnten durch psychologische Analyse zu klarem Bewußtsein erheben, wie uns Realität eines von WlS Unabhängigen im Bewußtsein gegeben sei und was wir darunter zu verstehen haben. Der ganze Sinn der Worte Selbst und Anderes, Ich Wld Welt, Unterscheidung des Selbst von der Außenwelt liegt in den Erfahrungen unseres Willens und der mit ihm verbundenen Gefühle. Alle Empfindungen und Denkprozesse umkleiden gleichsam nur diese Erfahrungen. Könnte man sich einen Menschen denken, welcher ganz Wahrnehmung und Intelligenz wäre, dann würde dieser intellektuelle Apparat vielleicht alle möglichen Mittel zur Projektion von Bildern enthalten: niemals würde dieses alles doch die Unterscheidung eines Ich von realen Gegen-

--------------------- ---------~3~ ständen möglich machen. Deren Kern ist vielmehr das VerhältBis von Impuls und Hemmung der Intention, von Wille und Widerstand. leb habe zu zeigen versucht - und gerade in diesem Einzelnachweis lag das mir Wichtige-, daß dies selbe Verhältnis an allen Stellen des Gewebes unserer Eindrücke denselben ihre Realität mitteilt, daß es vermittels der Mitwirkung des Denkens Realitäten summiert, die Wirklichkeit verdichtet und über den einzelnen Setzungen von Reali~ schließlich in den Gesetzen, die als Kraft wirken, mächtige Klammem gleichsam innerhalb der ganzen Wirklichkeit herstellt. Wir sahen weiter: Impuls, willkürliche Bewegung, Druck, Widerstand, Hemmung, Eintreten des Nicbterwarteten, Versagen des Gewollten und Verdrängbarkeit des Widrigen, Nichteintreten des Erwarteten bilden überall gleichsam die Innenseite des Zusammenhan,gs unserer W ahmehmungen, Vorstellungen und Denkvorgänge. In dem Maße, in welchem diese inneren Bestandteile sich summieren, in einander wirken, übereinandergreifen, wächst der Charakter von Wirklichkeit, welchen die Bilder für uns haben. Sie wird zu einer Gewalt, die uns ganz umfängt, ein Netz, dessen Maschen nichts durchlassen, dem nichts sich entzieht. Impuls, Druck, Widerstand sind nun gleichsam die festen Bestandteile, welche allen äußeren Objekten ihre Solidität mitteilen. Wille, Kampf, Arbeit, Bedürfnis, Befriedigung sind die immer wiederkehrenden kernhaften Elemente, welche das Gerüst geistigen Geschehens ausmachen. Hier ist Wls Leben selber. Es ist beständig sein eigener Beweis. Von diesem Standpunkt aus kann nun die Frage nach der Entstehung des Bewußtseins von Realität im einzelnen vollständiger und angemessener aufgelöst, sonach die Erklärung dieses Bewußtseins von Realität befriedigender hergestellt werden. "Wenn die Wahrnehmungen", so faßt Zeller die geltende Ansicht zusammen (Vorträge II 253), "anerkanntermaßen nur Vorgänge in uns sind, vo:n denen wir voraussetzen, sie seien durch Gegenstände außer .uns hervorgerufen, so läßt sich schlechterdings nicht einsehen, auf welchem anderen Wege wir zu dieser Voraussetzung gekommen sein könnten, als durch einen Schluß von der Wirkung auf die Ursache. Wir finden diese Empfindungen und Wahmehmun,gsbilder in uns vor, und die Natur unseres Denkens nötigt uns, nach ihrer Ursache zu fragen." Ich nehme dagegen an, daß wir nicht durch Unter o r d nun g Wlter die Konzeption der Ursache ein Außen im Denken konstruieren: uns ist vielmehr in den Erfahrungen der Hemmung und des Widerstandes die Gegenwart einer Kraft gegeben, die wir dann als eine äußere, von uns getrennte auffassen müssen. Denn die Hemmung und der Widerstand schließen ebensogut Kraft in sich als der Impuls. Wie in

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32 Beiltäge z.Lösung d.Frage '1'1. Ursprung unseres Glaubens a. d. Realität d. Außenwelt

dem Bewußtsein des Impulses die Erfahrung liegt, daß ich eine Kraft übe, so liegt in dem Bewußtsein der Hemmung und des Widerstandes, daß eine Kraft auf mich wirkt. Ich kann die lastende Vorstellung meiner Krankheit durch Willensanstrengung nicht entfernen, sondern sie übt auf mein Lebensgefühl einen dauernden Druck. In jeder Erfahrung solcher Art werde ich deutlich inne, daß in dem Druck oder der Hemmung eine Kraft gegenwärtig ist. Hierbei ist das, was wirkt, von dem, auf welches es die Wirkung ausübt, eben durch dieses Verhältnis unterschieden. Dies schließt natürlich nicht aus, daß ein Zusammenhang das relativ Geschiedene umschließt. So sondert Plato Intellekt und Sinnlichkeit als Teile der Seele und die Empiristen die Empfindungen als Einzelkräfte relativ von einander. Die Trennung verschärft sich, wenn ein konstanter Wille, von welchem Impulse zu Bewegungen planmäßig ausgehen, demselben Widerstande permanent begegnet. Nun bilden wir ferner das Zweckganze unseres Ich, und das hier erlebte Strukturverhältnis wird uns zwn Leitfaden, die Eindrücke zum Ganzen einer anderen zweiten Person zu verknüpfen. Aus dem verworrenen Spiel der Eindrücke tritt dem Kinde die Mutter als volle Wirklichkeit heraus: erste Repräsentation von Realität überhaupt. Ich verfolge dies nicht, sondern hebe einen anderen entscheidenden Punkt hervor, an welchem meine Erklärung sich von der herrschenden trennt. Nach dieser werden von uns Empfindungen, die als solche nur Vorgänge im Inneren des empfindenden Subjekts sind, auf Dinge außerhalb des Bewußtseins bezogen, und die Regelmäßigkeit dieser Beziehung hat dann zur Folge, daß wir Bilder und Dinge nicht zu trennen wissen, sondern die Dinge selber zu sehen glauben (a. a. 0. S. 247). Ich nehme vielmehr an: da ein auftretender Empfindungsverband sich vom Impuls unabhängig erweist, mein Triebleben hemmt und mein Bedürfnis nicht zur Befriedigung gelangen läßt, so ist mir in diesen Wirkungen eine Kraft ,gegenwärtig, deren Außenseite gleichsam die Empfindungsverbindung ist. Hierin ist die Dingvorstellung gegeben. Daher machen mich auch alle durch die Bedingungen des Wahrnehmens herbeigeführten Veränderungen meiner Bilder nicht daran irre, daß die Kraft, welche das Ding ausmacht, in diesen Eindrücken gegenwärtig und wirksam ist. In der Empfindungsverbindung sitzt das Objekt. Erst die nachträgliche wissenschaftliche Betrachtung legt dies Verhältnis dahin auseinander, daß das Bild der Effekt des Zusammenwirkens der Empfindungsleistung mit einer äußeren Ursache ist, sonach das Bild sich auf den Gegenstand beziehe. Das Selbst und die Objekte liegen daher beide innerhalb des Bewußtseins. Denn in den Wirkungen auf den Willen und die Gefühle ist die äußere Kraft gegenwärtig. Das Objekt hat ferner dieselbe Kernhaftigkeit als das Selbst.

Das E rge!Jnis

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Denn es ist nicht durch das Denken in das Leere hinein konstruiert, sondern hat an dem Erlebnis des Willens sein eigenes Leben und seinen selbständigen Kern. 4· Und nun läßt sich endlich auch auf diesem Standpunkte das Problem vom Rechte unseres Glaubens an eine äußere Wirklichkeit auflösen. Die philosophische Begründung dieses Glaubens kann nur dasjenige analytisch darstellen, was in der lebendigen Erfahrung gegeben ist und dann vermittels der in dieser Erfahrung aufgefundenen Be s t an d t e i 1e den Ho r i z o n t derselben e r w e i t e r n. Sie spricht also nur aus, was Realität der Außenwelt im wohlverstandenen Sinne dieser Erfahrung ist. Auch ist, wofern unsere Erklärung sich bestätigt, eine solche Interpretation der Erfahrung völlig ausreichend. Wir brauchen nicht von den Tatsachen des Bewußtseins im bloßen Denken vermittels des Schlusses auf Ursachen in das Bewußtseinsjenseitige hinüberzulangen. In jeder Erfahrnng von Hemmung oder Widerstand ist uns die Kraft gegenwärtig, die in diesem Druck auf den Willen wirksam ist. Die relative Sonderung, welche hiermit immer gegeben ist, vollendet sich in der Unterscheidung des Selbst von einer anderen Person. Trennnng eines Außen von einem Selbst ist nichts als das in dieser typischen Erfahrung gegebene Verhältnis. Sofern ein Empfindungsverband die Struktur eines Willenszusammenhanges nicht besitzt, aber die permanente Ursache eines Systems von Wirkungen ist, nennen wir ihn Objekt. Überall wo wir dieselben Bestandteile durch Schlüsse erweisen können, setzen wir Realität. Und die Objekte erweisen in den vom Willen unabhängigen Gleichförmigkeiten des Wirkens oder den Gesetzen ihre selbständige Wirklichkeit. So ist in dieser Ansicht der Pb ä no menal i sm us auf ge hoben, indem das Bewußtsein von der Realität der Außenwelt den Tatsachen des Willens, der Triebe und Gefühle eingeordnet wird, welche das Leben selber ausmachen. Der Gegensatz von Spekulation und Leben oder Handeln ist aufgelöst. In einem Gespräch zwischen einem Vedantisten und Buddhisten wird der Idealismus so widerlegt: ,,behauptet jemand, wir gewahren keine Objekte, so ist dies, als wenn jemand, der ißt, während sich ihm die Sättigung ganz unmittelbar fühlbar macht, behauptet, ich esse nicht, und ich werde auch nicht ::.att." Dies drückt richtig aus, daß die Realität im Willen aufgeht und das ihm gänzlich Jenseitige ein bloßes Wort ist. Die Erfahrungen des Willens, in denen das Objekt entsteht, sind durch Empfindungsprozesse und Denkvorgänge vermittelt; dies habe ich überall aufgezeigt. Aber in diesen Vermittlungen liegen gleich festen Kernen die bewußten Tat!l.

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34 Beiträge 11. Lösung d. Frage v. Ursprung unseres Glau!Jens a. d. Realität d. Außenwelt

sachen. Es muß in seiner Tragweite erwogen werden, daß vom Impuls zur Willenshemmung nur Empfindungen, Vorstellungen, Denkprozesse hinüberführen, man muß zugeben, daß diese Empfindungen als bloß subjektive Bilder aufgeiaßt werden können, und alsdann wäre, sozusagen, für den Willen kein Adaß, sich gehemmt zu finden. Die Natur der Bilder und Vorstellungen schließt eine solche Auffassung nicht aus, ja Halluzination, Traum und Irresein geben hierfür Analogien. Jedoch die harten Willenstatsachen von Impuls und Hemmung verbieten eine solche subjektive, phänomenalistische Wendung. Der Impuls dauert fort, während die Hemmung eintritt. Es sind nicht Zustände, die aufeinander folgen, vielmehr gleichzeitig besteht der Impuls fort und findet sich gehemmt. Man denke nun den Impuls als Ergebnis der Willensentschließung in einem Selbst, die Hemmung ebenso als solche in einer anderen Person. So wenig wie im Denken a und non-a zugleich gesetzt werden können, so wenig kann nunmehr diese Willensintention und die so bestimmte Gegenwirkung gegen sie demselben Willen zugeschrieben werden. Daß dem Ich ein Du oder ein Es gegenübersteht, das heißt nichts anderes, als daß so von meinem Willen ein ihm gegenüber Unabhängiges erfahren wird. Nun sind zwei Selbständigkeiten da, zwei Willenseinheiten, und das ist die Erfa:hrung, welche diesen Ausdrücken Einheit, Außereinandersein und Mannigfaltigkeit von Willen oder Objekten überhaupt zugrunde liegt. Der Wille und seine Hemmung treten innerhalb desselben Bewußtseins auf. Wie sie beide gleichsam umkleidet sind von Empfindungsaggregaten und Denkvorgängen, wird der Wille zu der im Körper erscheinenden Person, das Widerstehende zum Objekt. So kommt es, daß beide bewußte Tatsachen sind und wir sagen können, daß das Bewußtsein beide umfasse. Hier begegnen wir einem seltsamen Problem. Die Begriffe von Wirkung und Ursache sind durch Verallgemeinerung ood Abstraktion aus den angegebenen Erfahrungen des Willens entstanden. Wir nehmen nun an, daß die Ursache gleichsam in das, worin si.e wirkt, hineintritt und so in ihm gegenwärtig ist; aber dies schließt für uns nicht aus, daß sie zugleich jenseit desselben und von demselben getrennt ist. Dies ist der abstrakte Ausdruck des Tatbestandes, nach welchem innerhalb des Bewußtseins ein Widerstand, eine Hemmung der Intention auftritt, die sich gleichsam jenseits des Willens erstreckt. Indem wir die Bewegungen der Körper vermittels dieser Erfahrungen von Impuls und Widerstand interpretieren, entsteht die Konzeption einer Mannigfaltigkeit physischer Kräfte. Diese Interpretation wird dadurch begünstigt, daß der Impuls schon in unserer eignen Erfahrung als Bewegungsantrieb auftritt, ebenso die Hemmung

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der Intention als Berührung, Widerstand und Druck. Es ist belehrend zu sehen, wie in der Mechanik und mechanischen Philosophie des 17. Jahrhunderts der Begriff des Momentes bei Galilei, des impetus und conatus bei Hobbes, dann bei demselben der Zusammenhang von diesen Begriffen bis zur Empfindung, ferner die Korrelation von Bewegungsvorgängen und Innenzuständen bei Spinoza, das Erscheinen der Mannigfaltigkeit der Kräfte in dem System der Bewegungen bei Leibniz gleichsam die Fäden nur fortspinnen, welche so in den Erfahrungen des Willens und der Umkleidung derselben durch die Empfindungsaggregate im ungelehrten Menschen gleichmäßig gegeben sind. Ebenso konstruieren wir dann auch alle geschichtlichen Vorgänge von einem Mannigfaltigen der Willenseinheiten aus. Alle äußeren körperlichen Handlungen d·ieser psycho-physischen Wesen sind uns der Ausdruck von Willensvorgängen in denselben. Willenseinheit, Kampf der Willen, Verwandtschaft und Solidarität derselben, Herrschaft, Abhängigkeit, Verband: alles Willenstatsachen. Auf ihnen beruht die Geschichte. Und zwar taucht hier ein Hintergrund hinter den Einzelpersonen wie aus Nebeln auf. Die Objekte und ihre einzelnen Elemente sind durch Gesetze zur Einheit verbunden, die Personen erscheinen in den Verhältnissen der Verwandtschaft und Solidarität, in: dem Bedürfnis ihres Denkens nach Allgemeingültigkeit, in den Tatsachen von Ehrgefühl und überhaupt von Bestätigung des eigenen Gefühls durch andere nicht als Atome, sondern in einer nns uniaßbaren Weise verbunden. Alle metaphysischen Spekulationen darüber, wie ein Ich getrennt sein, wie das Getrennte auf einander wirken, wie beides unterdemselben Gesetz stehen könne, ja wie ein Ich in einem Körper wohnen möge, entspringen aus dem Mangel kritischer Selbstbe5innung; das Denken will hier hinter die Tatsachen zurück, die in seinen Begriffen ausgedrückt sind. Sie werden zugleich befördert durch: die falschen Trennungen, welche aus den Voraussetzungen der abstrakten intellektualistischen Richtung hervorgehen. Wir erfahren in jeder Stunde unseres Lebens, wie gerade die Selbständigkeit des wollenden Ich zusammen mit Hemmung seiner Volition und seiner hierdurch ,gesetzten Bedingtheit und Abhängigkeit auftritt. Wir erleben, wie das Eigenleben der Willen, ihr Kampf, und das Bewußtsein von Verwandtschaft und Solidarität zwischen ihnen zusammen bestehen. Ziehen wir hieraus abstrakte Begriffe und bringen sie in Beziehungen, so entlocken wir durch diese Prozedur der Erfahrung nichts über sie Hinausreichendes.

136 Beiträge z. Lösung d. FraE! v. Ursprung unseres Glau!Jens a. d. Rea/iliit d. Außenwelt

*ZUSATZ DAS VERHÄLTNIS DER INTELLIGENZ ZUM GLAUBEN AN DIE REALITÄT DER AUSSENWELT Ich sehe nWl von dieser ganzen Beweisführung ab. Ich :;telle neben sie ergänzend die Beweisführung, welche von den meisten Forschern heute gegeben wird. Die Grenzen derselben werden freilich aus dem Entwickelten sich klarer ergeben als sie bisher hervorgehoben worden sind. Dennoch bleibt ihr ein Wert. I.

Ich stelle ganz abstrakt den Zusammenhang des Bewußtseins, der unmittelbar gegeben ist, und den Anspruch der Objekte in ihm auf transzendente Geltung einander gegenüber und prüfe diesen Anspruch. Stumpf (Psychologie und Erkenntnistheorie, S. 39 f. und 43): Die Außenwelt ist, wissenschaftlich gesprochen, eine Hypothese, um den Gang der Erscheinungen zu berechnen. Diese Hypothese bilden wir mit Hilfe der in den Erscheinungen enthaltenen Daten. Wir benutzen die dazu brauchbaren. Ebenso Sigwart, Logik II 2, S. 2 so. Er spricht sich zwar nicht gegen meine Theorie aus, hebt aber nur hervor: nur unter der Bedingung eines Außen für das Bewußtsein können wir Zusammenhang in die Erscheinungen des Bewußtseins bringen. Rickertl findet in der Setzung im Urteil eine Voraussetzung gegeben, welche ein vom Bewußtsein Unabhängiges als Postulat enthält. Dies ist die Windelbandsehe Philosophie der Postulate, die dunnste Form des von Kant inaugurierten Probabilismus. 2.

Der Unterschied betrifft das Selbst, den Körper einbegriffen, und das affizierende Objekt. Auf dem Standpunkte des Lebens gibt es keinen Beweis durch Überschreitung des im Bewußtsein Enthaltenen auf etwas Transzendentes. Wir analysieren nur, worauf im Leben selbst der Glaube an die Außenwelt beruht. Die fundamentalen Voraussetzungen der Erkenntnis sind im Leben gegeben, und das Denken kann nie h t hinter sie greifen. Es kann sie an ihrer Verwertungstragweite in der Wissenschaft erproben, probieren. Darum aber sind sie nicht Hypothesen, sondern sind aus dem Leben entspringende Prinzipien oder Voraussetzungen, welche in die Wissenschaft als die Mittel, an welche sie gebunden ist, eingehen. Dächte man sich eine Vernunft ohne Wille Wld Gemüt, so würde diese intellektuelle Weltkugel, welche ein Bewußtsein wäre, wohl Unterschiede der Abhängigkeit im Auftreten, die Regelmäßigkeit darin entwickeln, welche der Kausalvorstellung tmd dem Unterschiede von Ich und Objekten entsprechen würden, aber es haftet doch schließlich selbst der Unterschied von Subjekt und Objekt an den Funktionen, also Tätigkeit und Bild. Auch ist der Erkenntniswert des Gegensatze" von Ich und Objekt nicht der einer transzendenten Tatsache, sondern das Ich 1

Rickert, Uer Gegenstand der Erkenntnis, Freiburg 1892.

37 und das Andere oder Außen sind eben nichts anderes, als was in den Erfahrungen des Lebens selbst enthalten und gegeben i.>t. Dieses ist alle Wirklichkeit. Die so gegebene Wirklichkeit, welche diesen Gegensatz einschließt, ist im Bewußtsein so gegeben, daß hieran nun die Analysi.> des lj:rkenntniswertes die Phänomenalität der Erscheinungen, des Raume3 usw., damit also auch der Körperlichkeit meines Selbst nachwei3en kann; dagegen der Unterschied von Selbst und Anderem außerhalb der Phänomenalität steht. So setzt sich der Unterschied in den Ka n t s vom Ich und dem affizierenden Objekte um, auf welchem der ganze Standpunkt des Kritizismus beruht. Das Verhältnis der Intelligenz zum Glauben an die Realität der Außenwelt

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J. Der Begriff des Affizierenden ist aber nicht positiv der eines Transzendenten, sondern negativ enthält er die Forderung, von dem, was aus dem Bewußtsein stammt, abzusehen, und behält dann al.> Kern das Affiziertwerden von dem X übrig, welches selber eine durch Denken vermittelte Erfahrung ist. Nur für den Willen ist das Selbst und das Andere beides als Erfahrung gegeben, da nur in ihm das Affiziertwerden als Erfahrung diese doppelte Seite hat. Man könnte denken, daß innerhalb derselben intellektuellen Einheit, der intellektuellen Weltkugel gleichsam, als Einem Bewußtsein das Spiel der Selbste und der Anderen enthalten wäre, erkenntnistheoretisch wäre das nicht widerlegbar; nur die psychologischen Erfahrungen der Gebundenheit des Bewußtseinszusammenhangs überall an Aufmerksamkeit, Denkspannung usw. lassen uns den Intellekt durch die Willenssphäre eingrenzen. Sonst wäre sehr wunderbare Spekulation möglich.

4· Nun kann man dieses Affizieren ebenfalls ausschließen und behält alsdann als letztes Verhältnis das von Bewußtsein und Bewußtseinstranszendenz übrig (Volkelt, Rickert usw.). In diesem Verhältnis ist alsdann alles, was den Glauben an die Außenwelt tatsächlich begründet, ausgeschlossen; es kann auch nicht mehr analytisch daraus entwickelt werden; dann bleibt bloß übrig, das Weggenommene als Hypothese wieder einzuführen, und so die Bewußtseinstranszendenz von hier aus probeweise plausibel zu machen. Dieses der Standpunkt von Stumpf, Volkelt usw.

5· Von diesem Standpunkt aus bestehen gegen mich folgende Vorwürfe. Stumpf (S. 43): Ich vertauschte diesen fundamentalen erkenntnistheoretischen Unterschied mit dem empirisch psychologischen. Das erkenntnistheoretische Ich= das unmittelbar Gewisse. Für dieses ist eigener Körper so gut als die äußeren Objekte Außenwelt. Demgegenüber bemerke ich: der Unterschied des unmittelbar und des durch die Sinne Gegebenen ist doch zunächst ein psychologischer. Er wird erst erkenntnistheoretisch durch die Sonderung des Subjektiven

138 Beiträge •· Lösung d.Frage 'll. Ursprung unseres Glaubtns a. d. Rea/iliil d.Au.ßmwe/1 und des Transsubjektiven voneinander. Diese ist aber reell nur durch den V er m i tt 1u n g s b e g ri ff d e s A ff i z i e r t werden s , in welchem eben die dargelegten Erfahrungen stecken. Stumpf: Psychologische Erklärung und erkenntnistheoretische Be· gründung haben also einen ganz verschiedenen Gegenstand: jene den Unterschied des psychophysischen Selbst und des Objekts, diese das unmittelbare Bewußtsein und das usw. · Ich behaupte im Gegenteil, daß der erkenntnistheoretische Gegensatz nur eine letzte Generalisation aus jenem lebendigen Unterschied ist, und daß nur von letzterem aus, und unter Beibehaltung des kon· kreten Affiziertwerdens dieser Gegensatz noch einen erkenntnistheore· tischen Wert behält. Es ist wahr: nimmt man das Mittelglied weg und behält nur die letzte Abstraktion, dann bleibt nur Hypothese übrig. Daraus folgt also, daß für eine Wirklichkeitsphilosophie dieser Aus· gangspunkt nicht zureichend ist.

IDEEN ÜBER EINE BESCHREIBENDE UND ZERGLIEDERNDE PSYCHOLOGIE ERSTES KAPITEL

DIE AUFGABE EINER PSYCHOLOGISCHEN GRUNDLEGUNG DER GEISTESWISSENSCHAFTEN Die erklärende Psychologie, welche gegenwärtig ein so großes Maß von Arbeit und Interesse in Anspruch nimmt, stellt einen Kausalzusammenhang auf, welcher alle Ersc~einungen des Seelenlebens begreiflich zu machen beansprucht. Sie will die Konstitution der ~li­ sehen Welt nach ihren Bestandteilen, Kräften und Gesetzen genau so erklären, wie die Physik und Chemie die der Körperwelt erklärt. Be· sonders klare Repräsentanten dieser erklärenden Psychologie sind die Assoziationspsychologen, Herbart, Spencer, Taine, die verschiedenen Formen von Materialismus. Der Unterschied zwischen erklärenden und beschreibenden Wissenschaften, den wir hier zugrunde legen, entspricht dem Sprachgebrauch. Unter einer eTklärenden Wissenschaft ist jede Unterordnung eines Erscheinungsgebietes unter einen Kausalzusammenhang vermittels einer begrenzten Zahl von eindeutig bestimmten Elementen ( d. h. Bestandteilen des Zusammenhangs) zu verstehen. Dieser Begriff bezeichnet das Ideal einer solchen Wissenschaft, wie es insbesondere durch die Entwicklung der atomistischen Physik sich gebildet hat. Die erklärende Psychologie will also die Erscheinungen des Seelenlebens einem Kausalzusammenhang vermittels einer begrenzten Zahl von eindeutig bestimmten Elementen unterordnen. Ein Gedanke von außerordentlicher Kühnheit, welcher in sich die Möglichkeit einer unermeßlichen Entwicklung der Geisteswissenschaften zu einem den Naturwissenschaften entsprechenden strengen System der Kausalerkenntnis tragen würde. Wenn jede Seelenlehre ursächliche Verhältnisse im Seelenleben zum Bewußtsein bringen will, so ist das unterscheidende Merkmal der erklärenden Psychologie darin gelegen, daß sie aus einer begrenzten Zahl eindeutig bestimmter Elemente eine ganz vollständige und durchsichtige Erkenntnis der seelischen Erscheinungen herbeizuführen überzeugt ist. Sie würde mit dem Namen der

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Ideen ü!Jer eine !Je.rdJrei!Jende und

:~erg/iedernde

PsycAologie

konstruktiven Psychologie noch schärfer bezeichnet werden. Zugleich würde dieser Name den großen historischen Zusammenhang, in welchem sie steht, herausheben. Die erklärende Psychologie kann ihr Ziel nur durch eine Verbin· dung von Hypothesen erreichen. Der Begriff einer Hypothese kann verschieden gefaßt werden. Jeder einen Erfahrungsinbegriff durch Induktion ergänzende Schluß darf zunächst als eine Hypothese bezeichnet werden. Der in einem solchen Schluß enthaltene Schlußsatz enthält eine Erwartung, welche sich über das Gegebene hinaus auch auf das Nichtgegebene erstreckt. Solche ergänzende Schlüsse sind in jeder Art von psychologischer Darstellung selbstverständlich enthalten. Ich kann nicht einmal eine Erinnerung auf einen früheren Eindruck ohne einen solchen Schluß zurückführen. Es wäre also töricht, aus der Psychologie hypotheti3che Bestandteile ausschließen zu wollen. Es wäre unbillig, der erklärenden Psychologie aus der Benutzung solcher Bestandteile einen Vorwurf machen zu wollen, da die beschreibende sie ebensowenig würde ent· hehren können. In den Naturwissenschaften hat sich nun aber der Begriff der Hypothese in einem bestimmteren Sinne auf Grund der dem Natur· erkennen gegebenen Bedingungen ausgebildet. Wie in den Sinnen nur Koexistenz und Sukzession ohne ursächlichen Zusammenhang dieses zugleich oder nacheinander Bestehenden gegebe:11 ist, entsteht Kausalzusammenhang in unserem Naturauffassen nur durch Ergänzung. So ist die Hypothese das notwendige Hilfsmittel der fortschreitenden Naturerkenntnis. Stellen sich in der Regel mehrere Hypothesen als gleich möglich dar, so ist die Aufgabe, vermittels der Entwicklung dessen, was aus ihnen folgt und der Vergleichung desselben mit den Tatsachen eine zu erproben und die anderen auszuschließen. Es ist die Stär:ke der Naturwissenscha.ften, daß sie in Mathematik und Exp,!riment die Hilfsmittel haben, diesem Verfahren den höchsten Grad von Ge· nauigkeit und Sicherheit zu geben. Das größte und am meisten belehrende Beispiel dafür, wie eine Hypothese so in den gesicherten Besitzstand der Wissenschaft übergeht, bildet die kopernikanische Hypothese, daß die Erde um ihre Achse in 24 Stunden weniger .4 Minuten sich dreht und zugleich eine fortschreitende Bewegung um die Sonne in etwa 365 1/ 4 Sonnentagen besitzt, in ihrer fortschreitenden Entwicklung und Begründung durch Kepler, Galilei, Newton, Foucault usw. zu einer keinem Zweifel mehr unterworfenen Theorie. Ein anderes berühmtes Beispiel der Zunahme von Wahrscheinlichkeit einer Hypothese bis zu dem Punkte, daß andere Möglichkeiten nicht mehr berücksichtigt zu werden brauchen, bildet die Erklärung des Lichtes

Di1 AfljgaiJ1 ,;"", ~sydwlogiscllm Gru11lillgung du Glisllswissensdtaflln

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durch die Uhdulationshypothese im Gegensatz zur Emanationshypothese. Bei welchem Punkte die einer naturwissenschaftlichen Theorie zugrunde liegende Hypothese durch die Verbindung mit der gesamten Naturerkenntnis und durch die Erprobung der Konsequenzen an den Tatsachen einen solchen Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht, daß der Name Hypothese für sie aufgegeben werden könne, das ist natürlich eine müßige und zugleich unlösbare Frage. Es gibt zunächst ein sehr einfaches Merkmal, durch welches ich innerhalb des weiten Gebietes von auf Schlüsse gegründeten Sätzen Hypothesen unterscheide. Wo ein Schluß zwar eine Erscheinung oder einen Kreis von solchen in einen für sie ausreichenden Zusammenhang zu bringen vermag, welcher mit allen sonst bekannten Tatsachen und allgemeingültigen Theorien in Übereinstimmung ist, aber nicht andere Möglichkeiten der Erklärung ausschließen kann, da liegt sicher eine Hypothese vor. Niemals kann dies Merkmal sich finden, ohne daß ein solcher Satz den Charakter einer Hypothese hätte. Aber auch wo es fehlt, wo entgegenstehende Hypothesen nie ausgebildet wurden oder sich nicht bewährten, bleibt die Frage offen, ob ein auf induktive Schlüsse gegründeter Satz nicht dennoch den Charakter einer Hypothese habe. Besitzen wir doch schließlich kein absolutes Merkmal, durch welches wir unter allen Umständen naturwissenschaftliche Sätze, welche für alle Zeiten ihre definitive Formulierung gefunden haben, von solchen unterscheiden können, welche den Zusammenhang der Erscheinungen nur für die jetzige Lage unseres Wissens von diesen Erscheinungen angemessen ausdrücken. Immer bleibt zwischen dem höchsten Grade von Wahrscheinlichkeit, welchen eine induktiv begründete Theorie erreicht und der Apodiktizität, welche den mathematischen Grundverhältnissen zukommt, eine unübe~brückbare Kluft. Nicht nur die Zahlenverhältnisse haben diesen apodiktischen Charakter; wie auch unser Raumbild sich gebildet haben mag, dieser Vorgang liegt jenseit unserer Erinnerung: es ist nun da: an jeder Stelle desselben können wir dieselben Grundverhältnisse auffassen, ganz unabhängig von der Stelle, an welcher sie auftreten: Geometrie ist die Analysis dieses von dem Bestand der einzelnen Objekte ganz unabhängigen Raumbildes: hierin liegt der Charakter ihrer Apodiktizität, er ist gar nicht vom Ursprung dieses Raumbitries bedingt. In diesem Sinne haben Hypothesen nicht nur als bestimmte Stadien in der Entstehung naturwissenschaftlicher Theorien eine entscheidende Bedeutung: es läßt sich auch nicht absehen, wie bei äußerster Steigerung der Wahrscheinlichkeit unserer Naturerklärung ihr hypothetischer Charakter jemals ganz zum Verschwinden gebracht werden könnte. Unsere naturwissenschaftlichen Überzeugungen werden hierdurch nicht erschüttert. Als durch Laplace

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Ideen ühr eine 6esd•reilmuie uiUI •erg/iltknule Psycllo/ogr-,

in die "Betrachtung der induktiven Schlüsse die Wahrscheinlichkeitsrechnung eingeführt wurde, wurde auch auf den Grad von Sicherheit unserer Naturerkenntnis die Meßbarkeit ausgedehnt. Damit ist der Ausnutzung des hypothetischen Charakters unserer Naturerklärung im Interesse eines öden Skeptizismus oder eines im Dienste der Theologie stehenden Mystizismus der Boden entzogen. Indem nun aber die erklärende Psychologie das Verfahren der naturwissenschaftlichen Hypothesenbildung, durch welche zu dem Gegebenen ein Kausalzusammenhang ergänzend hinzugefügt wird, auf das Seelenlehen überträgt, entsteht die Frage, ob diese Übertragung berechtigt sei. Es ist zu zeigen, daß diese Übertragung wirklich in der erklärenden Psychologie stattfinde, und die Gesichtspunkte sind anzugeben, unter welchen gegen diese Übertragung Bedenken entstehen: Beides hier nur vorläufig, da in der ganzen weiteren Darstellung direkt oder mittelbar weitere Ausführungen hierüber enthalten sind. Wir stellen zunächst die Tatsache fest, daß jede erklärende Psychologie eine Kombination von Hypothesen zugrunde legt, welche durch das angegebene Merkmal sich zweifellos als solche kennzeichnen, indem sie andere Möglichkeiten nicht auszuschließen vermögen. Noch treten in ihr jeder solchen Hypothesenverbindung ein Dutzend andere gegenüber. Ein Kampf aller gegen alle tobt auf ihrem Gebiete nicht minder heftig als auf dem Felde der Metaphysik. Noch ist nirgends am fernsten Horizonte etwas sichtbar, was diesen Kampf zu entscheiden die Kraft haben möchte. Zwar trösttet sie sich mit der Zeit, in welcher die Lage der Physik und Chemie auch nicht besser schien; aber welche unermeßlichen Vorteile haben diese vor ihr voraus in dem Standhalten der Objekte, in dem freien Gebrauch des Experiments, in der Meßbarkeit der räumlichen Welt I Zudem hindert die Unlösbarkeit des metaphysischen Problems vom Verhältnis der geistigen W~lt' zur körperlichen die reinliche Durchführung einer sicheren Kausalerkenntnis auf diesem Gebiete. So kann niemand sagen, ob jemals dieser Kampf der Hypothesen in der erklärenden Psychologie endigen wird und wann das geschehen nru1g. So sinrl wir, wenn wir eine volle Kausalerkeru1tnis herstellen wollen, in einen Nebel von Hypothesen gebannt, für welche die Möglichkeit ihrer Erprobung an den psychischen Tatsachen gar nicht in Aussicht steht. Einflußreiche Richtungen der Psychologie zeigen das deutlich. Eine Hypothese solcher Art ist die Lehre von dem Parallelismus der Nervenvorgänge und der geistigen Vorgänge, nach welcher auch die mächtigsten geistigen Tatsachen nur Begleiterscheinungen unseres körperlichen Lebens sind. Eine solche Hypothese ist die Zu-

Du

Aufgah• .,-_ psyclwlogiscll6n Gnmdl•gung du G•il·teswisunschatlm

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rückführung aller Bewußtseinserscheinungen auf atomartig vorgestellte Elemente, welche in gesetzlichen Verhältnissen auf einander wirken. Eine solche Hypothese ist die mit dem Anspruch der Kausalerklärung auftretende Konstruktion aller seelischen Erscheinungen durch die beiden Klassen der Empfindungen und der Gefühle, wodurch dann das in unserem Bewußtsein und unserer Lebensfülhrung so mächtig auftretende Wollen zu einem sekundären Schein wild. Durch bloße Hypothesen wird aus psychischen Elementen und den Prozessen zwischen ihnen das Selbstbewußtsein abgeleitet. Nur Hypothesen be!'itzen wir über die verursachenden Vorgänge, durch welche der erworbene seelische Zusammenhang beständig unsere bewußten Prozesse des Schließens und Wollens so mächtig und rätselhaft beeinflußt. Hypothesen, überall nur Hypothesen! Und zwar nicht als untergeordnete Bestandteile, welche einzeln dem wissenschaftlichen Gedankengang eingeordnet sind. Solche sind ja, wie wir sahen, unvermeidlich. Vielmehr Hypothesen, welche als Elemente der psychologischen Kausalerklärung die Ableitung aller seelischen Erscheinungen ermöglichen und an ihnen sich bewähren sollen. Die Vertreter der erklärenden Psychologie pflegen nun zur Begründung einer so umfassenden Anwendung von Hypothesen si-:h auf die Naturwissenschaften zu berufen. Aber gleich hier am Beginn unserer Untersuchungen stellen wir den Anspruch der Geisteswissenschaften fest, ihre Methoden ihrem Objekt entsprechend selbständig zu bestimmen. Die Geisteswissenschaften müssen von den allgemeinsten Begriffen der :generellen Methodenlehre aus durch das Probieren an ihren besonderen Objekten zu bestimmteren Verfahrungsweisen und Prinzipien innerhalb ihres Gebietes gelangen, wie es die Naturwi-;sen· schaften eben auch getan haben. Nicht dadurch erweisen wir uns als echte Schüler der großen naturwissenschaftlichen Denker, daß wir die von ihnen erfundenen Methoden auf unser Gebiet übertragen, sondern dadurch, daß unser Erkennen sich der Natur unserer Objekte anschmiegt und wir uns so zu diesem ganz so verhalten, wie sie zu dem ihrigen. Natura parendo vincitur. Nun unterscheiden sich zunächst von den Naturwissenschaften die Geisteswissenschaften dadurch, daß jene zu ihrem Gegenstande Tatsachen haben, welche im Bewußtsein als von außen, als Phänomene und einzeln gegeben auftreten, wogegen sie in diesen von innen, als Realität und als ein lebendiger Zusammenhang originaliter auftreten. Hieraus er.gibt sich für die Naturwissenschaften, daß in ihnen nur durch ergänzende Schlüsse, vermittels einer Verbindung von Hypothesen, ein Zusammenhang der Natur gegeben ist. Fürdie Geisteswissenschaften folgt dagegen, daß in ihnen der Zusammen· bang des Seelenlebens als ein ursprünglich gegebener überall zugrunde

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Ideen ii!Jer eine beschreibende und •erg/federnde Psyclwlogie

liegt. Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir. Denn in der inneren Erfahrung sind auch die Vorgänge des Erwirkens, die Verbindungen der Funktionen als einzelner Glieder des Seelenlebens zu einem Ganzen gegeben. Der erlebte Zusammenhang ist hier das erste, das Distinguieren der einzelnen Glieder desselben ist das Nachkommende. Dies bedingt eine sehr große Verschiedenheit der Methoden, vermittels deren wir Seelenleben, Historie und Gesellschaft studieren, von denen, durch welche die Naturerkenntnis herbeigcfü]Jrt worden ist. Für die Frage, welche hier erörtert wird, ergibt sich aus demangegebenen Unter· schied, daß Hypothesen innerhalb der Psychologie keineswegs dieselbe Rolle spielen als innerhalb des Naturerkennens. In diesem vollzieht sich aller Zusammenhang durch Hypothesenbildung, in der Psychologie ist gerade der Zusammenhang ursprünglich und beständig im Erleben gegeben: Leben ist überall nur als Zusammenhang da. Die Psychologie bedarf also keiner durch Schlüsse gewonnenen untergelegten Begriffe, um überhaupt einen durchgreifenden Zusammenha.n.g unter den großen Gruppen der seelischen Tatsachen herzustellen. So kann sie auch da, wo eine Klasse von Wirkungen innerlich bedingt und doch ohne Bewußtsein der innen wirksamen Ursachen auftritt, wie dies in der Reproduktion oder in der Beeinflussung bewußter Prozesse von dem unserem Bewußtsein entzogenen erworbenen seelischen Zusammenhang aus geschieht, die Beschreibung und Zergliederung des Verlaufs solcher Vorgänge der großen kausalen Gliederung des Ganzen unterordnen, welche von den inneren Erfahrungen aus festgestellt werden kann. Und darum ist sie auch nicht genötigt, wenn sie über die Ursache solcher Vorgänge eine Hypothese bildet, dieselbe gleichsam in die Fundamente der Psychologie einzumauern. Ihre Methode ist von denen der Physik oder Chemie gänzlich verschieden. Die Hypothese ist nicht ihre unerläßliche Grundlage. Wenn also die erklärende Psychologie die Erscheinungen des Seelenlebens einer begrenzten Zahl eindeutig bestimmter Erklärungselemente von durchgehends hypothetischem Charakter unterordnet, so können wir nicht zugeben, claß dies von ihren Vertretern als das unvermeidliche Schicksal aller Psychologie aus der Analogie der Rolle von Hypothesen im Naturerkennen begründet werden könne. Zugleich besitzen aber Hypothesen auf psychologischem Gebiet keineswegs die Leistungsfähigkeit, welche sie im naturwissenschaftlichen Erkennen bewährt haben. Die Tatsachen können im Gebiet des Seelenlebens nicht zu der genauen Bestimmtheit erhoben werden, welche zu der Erprobung einer Theorie durch Vergleichung ihrer Konsequenzen mit solchen Tatsachen erforderlich ist. So ist an keinem entscheidenden Punkte die Ausschließung anderer Hypothesen und die ßewahrheitung der ührig-

Die Aufgabe einer jJsyrlto!ogisclten Grundleffting der Geisteswissenschaften

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bleibenden Hypothese gelungen. Auf dem Grenzgebiet der ~atur und des Seelenlebens haben Experiment und quantitative Bestimmung sich der Hypothesenbildung in ähnlicher Weise dienstbar erwiesen, als dieses im Naturerkennen der Fall ist. In den zentralen Gebieten der Psychologie ist nichts hiervon zu bemerken. Insbesondere die für die konstruktive Psychologie so entscheidende Frage nach den ursächlichen Verhältnissen, welche die Beeinflussung bewußter Prozesse vom erworbenen seelischen Zusammenhang her sowie die Reproduktion bedingen, ist ihrer Lösung noch um keinen Schritt durch alle bisherigen Anstrengungen näher geführt worden. Wie verschieden kann man Hypothesen kombinieren und dann doch ziemlich gleich gut oder schlecht aus ihnen die großen entscheidenden seelischen Tatsachen, das Selbstbewußtsein, den logischen Vorgang und seine Evidenz oder das Gewissen ableiten! Die Vertreter einer solchen Hypothesenverbindung haben das schärfste Auge für das, was ihr zur Bestätigung dient, und sie sind ganz blind für das, was ihr widerspricht. Hier gilt von der Hypothese, was Schopenhauer irrtümlich von derselben durchweg behauptet: eine solche Hypothese führt in dem Kopfe, in welchem sie einmal Platz gewonnen hat oder gar geboren ist, ein Leben, welches insofern dem eines Organismus gleicht, als sie von der Außenwelt nur das ihr Gedeihliche und Homogene aufnimmt, hingegen das ihr Heterogene oder Verderbliche entweder gar nicht an sich kommen läßt oder, wenn es ihr unvermeidlich zugeführt wird, es ganz unversehrt wieder exzerniert. Daher haben solche Hypothesenverbindungen der erklärenden Psychologie keine Aussicht, zu dem Range, den naturwissenschaftliche Theorien einnehmen, jemals erhoben zu werden. So legen wir uns die Frage vor, ob nicht ein anderes Verfahrrn in der Psychologie - wir werden es als das beschTeibende und zergliedernde bezeichnen die Fundierung unseres Verständnisses von allem Seelenleben auf einen Inbegriff von Hypothesen vermeiden könne. Denn die Herrschaft der erklärenden oder konstruktiven Psychologie, welche mit Hypothesen nach Analogie des Naturerkennens wirtschaftet, hat außerordentlich· nachteilige Folgen für die Entwicklung der Geisteswissenschaften. Es scheint heute den positiven Forschern auf diesen Gebieten entweder notwendig, auf jede psychologische Grundlegung zu verzichten oder alle Nachteile der erklärenden Psychologie sich gefallen zu lassen. So ist denn die gegenwärtige Wissenschaft in folgendes Dilemma geraten, das außerordentlich viel beigetragen hat zur Steigerung des skeptischen Geistes und der äußerlichen, unfrucht· baren Empirie, sonach der zunehmenden Trennung des Lebens vom Wissen. Entweder bedienen sich die Geisteswissenschaften der in der Psychologie dargebotenen Grundlagen und erhalten dann hierdurch D i I t h e y, Gesammelte Schriltea V.

1.

Hälfte

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Ideell ükr eme INscAreWmde und •ergludenlde PsycAokJgie

einen hypothetischen Charakter, oder sie versuchen, ohne die Grundlage irgendeiner wissenschaftlich geordneten Obersicht über die seelischen Tatsachen, nur gestüzt auf die zweideutige und subjektive Psychologie des Lebens, ihre Aufgaben zu lösen. In dem ersteren Falle aber teilt die erklärende Psychologie ihren gänzlich hypothetischen Charakter der Erkenntnistheorie und den Geisteswissenschaften mit. Erkenntnistheorie und Geisteswissenschaften können in bezug auf das Bedürfnis psychologischer Begründung, trotz eines erheblichen Unterschiedes in Rücksicht des Umfangs wie der Tiefe dieser Begründung, doch zusammengestellt werden. Zwar hat die Erkenntnistheorie im Zusammenhang der Wissenschaften einen ganz anderen Ort als die Geisteswissenschaften. Unmöglich kann ihr eine Psychologie vorausgeschickt werden. Dennoch besteht in anderer Form auch für sie dasselbe Dilemma. Kann sie unabhängig von psychologischen Voraussetzungen gestaltet werden? Und, falls dies nicht der Fall wäre: Was würde die Folge davon sein, wenn sie auf eine erklärende Psychologie begründet würde? Entstand doch die Erkenntnistheorie aus dem Bedürfnis, in dem Ozean metaphysischer Fluktuationen ein Stück festen Landes, allgemeingültige Erkenntnis irgendwelchen Umfangs zu sichern. Würde sie nun unsicher und hypothetisch, so würde sie selber ihren Zweck vereiteln. So besteht dasselbe unglückselige Dilemma für die Erkenntnistheorie, wie es für die Geisteswissenschaften besteht. Die Geisteswissenschaften suchen gerade für die Begriffe und Sätze, mit welchen sie zu operieren genötigt sind, eine feste, allgemeingültige Grundlage. Sie haben eine nur zu berechtigte Abneigu!lg gegen philosophische Konstruktionen, welche dem Streit unterliegen und so in die empirischen Analysen und Vergleichungen diesen Streit hineintragen. Daher ist in weiten Kreisen die gegenwärtige Tendenz der Jurisprudenz, der politischen Ökonomie wie der Theo~ogie, psychologische Grundlegungen gänzlich auszuscheiden. Jede von ihnen versucht, aus der empirischen Verknüpfung der Tatsachen und der Regeln oder Normen in ihrem Wissensgebiete einen Zusammenhang herzustellen, dessen Analysis alsdann gewisse durchgehende Elementarbegriffe und elementare Sätze ergeben würde, als der betreffenden Geisteswissenschaft zugrunde lie.gend. Wie die Lage der erklärenden Psychologie ist, können sie nicht anders, wofern sie den vielfachen Untiefen und Strudeln der erklärenden Psychologie entgehen wollen. Indem sie nun aber den philosophischen Strudeln der Charybdis entfliehen, geraten sie auf die Klippe der Szylla, nämlich einer öden Empirie. Es bedarf keines Beweises, daß die erklärende Psychologie, wofern sie nur auf Hypothesen begründet werden kann, welche nicht fähig

Die Aufgak einer psycllologisclun Grundlegut~g der Gdsteswissemcllaflen

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sind, zum Rang einer überzeugenden, die anderen Hypothesen ausschließenden Theorie erhoben zu werden, ihre Unsicherheit den Erfahrungswissenschaften des Geistes, welche sich auf sie stützen würden, notwendig mitteilen müßte. Und daß jede erklärende Psychologie solcher Hypothesen zu ihrer Begründung bedarf, das eben wird einen Hauptgegenstand unserer Beweisführung ausmachen. Aber das muß nun an dieser Stelle bewiesen werden, daß jeder Versuch, eine Erfahrungswissenschaft des Geistes ohne Psychologie herzustellen, ebenfalls unmöglich zu einem benutzbaren Ergebnis führen kann. Eine Empirie, welche auf die ~egründung dessen, was im Geiste geschieht, aus dem verstandenen Zusammenhang des geistigen Lebens, verzichtet, ist notwendig unfruchtbar. Dies kann an jeder einzelnen Geisteswissenschaft nachgewiesen werden. Jede von ihnen bedarf psycoologischer Erkenntnisse. So kommt jede Analyse der Tatsache Religion auf Begriffe, wie Gefühl, Wille, Abhängigkeit, Freiheit, Motiv, welche nur im psychologischen Zusammenhang aufgeklärt werden können. Sie bat es mit Zusammenhängen des Seelenlebens zu tun, da in diesem das Gottesbewußtsein entsteht und Kraft gewinnt. Diese aber sind von dem allgemeinen, regelmäßigen seelischen Zusammenhang bedingt und nur von ihm aus verständlich. Die Jurisprudenz hat in Begriffen wie Norm, Gesetz, Zurechnungsfähigkeit psychische Zusammensetzungen vor sich, welche eine psychologische Analyse fordern. Sie kann den Zusammenhang, in welchem Rechtsgefühl entsteht, oder den, in welchem Zwecke im Recht wirksam werden und die Willen dem Gesetz unterworfen werden, unmöglich darstellen, ohne ein klares Verständnis des regelmäßigen Zusammenhangs in jedem Seelenleben. Die Staatswissenschaften, welche es mit der äußeren Organisation der Gesellschaft zu tun haben, finden in jedem Verbandsverhält-' nis die psychischen Tatsachen von Gemeinschaft, Herrschaft und Abhängigkeit. Diese fordern eine psychologische Analyse. Geschichte und Theorie von Literatur und Kunst findet sich überall auf die tusammengesetzten ästhetischen Grundstimmungen des Schönen, Erhabenen, Humoristischen oder Lächerlichen zurückgeführt. Dieselben bleiben dem Literarhistoriker ohne psychische Analyse dunkle und tote Vorstellungen. Er kann das Leben keines Dichters verstehen ohne Kenntnis der Prozesse der Einbildungskraft. Es ist so, und keine Absperrung der Fächer kann es hindern: Wie die Systeme der Kultur: Wirtschaft, Recht, Religion, Kunst und Wissenschaft, wie die äußere Organisation der Gesellschaft in den Verbänden der Familie, der Gemeinden, der Kirche, des Staates aus dem lebendigen Zusammenhang der Menschen.seele hervorgegangen sind, so können sie schließlich auch nur a.us diesem verstanden werden. Psychische Tatsachen bilden ihren wich-

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Ideen ü6er eine besenreibende und Bergfiedernde PsycluJlogie

tigsten Bestandteil, ohne psychische Analyse können sie also nicht eingesehen werden. Sie enthalten Zusammenhang in sich, weil Seelenleben ein Zusammenhang ist. So bedingt das Verständnis dieses inneren Zusammenhangs in uns überall ihre Erkenntnis. Sie konnten als eine übergreifende Macht über den einzelnen nur entstehen, weil Gleichförmigkeit und Regelmäßigkeit im Seelenleben besteht und eine gleiche Ordnung für die vielen Lebenseinheiten ermöglicht.l Und wie die Entwicklung der einzelnen Geisteswissenschaften an die Ausbildung der Psychologie gebunden ist, so kann auch die Verbindung derselben zu einem Ganzen ohne Verständnis des seelischen Zusammenhangs, in welchem sie verbunden sind, nicht herbeigeführt werden. Ohne die Beziehungen auf den psychischen Zusammenhang, in welchem ihre Verhältnisse gegründet sind, sind die Geisteswissenschaften ein Aggregat, ein Bündel, aber kein System. ] ede noch so rohe Vorstellung von ihrer Verbindung untereinander beruht auf irgendeiner rohen Vorstellung von dem Zusammenhang der seelischen Erscheinungen. Die Verbindungen, in welchen Wirtschaft, Recht, Religion, Kunst, Wissen untereinander und mit der äußeren Organisation der menschlichen Gesellschaft stehen, können doch nur aus dem umfassenden, gleichförmigen seelischen Zusammenhang verständlich gemacht werden, aus dem sie nebeneinander entsprungen sind und kraft dessen sie in jeder psychischen Lebenseinheit zusammen bestehen, ohne sich gegenseitig zu verwirren oder zu zersetzen. Dieselbe Schwierigkeit lastet auf der Erkenntnistheorie. Eine durch den Scharfsinn ihrer Vertreter hervorragende Schule fordert die völlige Unabhängigkeit der Erkenntnistheorie von der Psychologie. Sie behauptet, daß in Kants Vernunftkritik diese Emanzipation der Erkenntnistheorie von der Psychologie durch eine besondere Methode im Prinzip vollzogen sei. Diese Methode will sie entwickeln. Hierin scheint ihr die Zukunft der Erkenntnistheorie zu li-egen. Aber augenscheinlich können die geistigen Tatsachen, welche den Stoff der Erkenntnistheorie bilden, nicht ohne den Hintergrund irgendeiner Vorstellung des seelischen Zusammenhangs miteinander verbunden werden. Keine Zauberkunst einer transzendentalen Methode 1 Schmoller hat in seiner Abhandlung über Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und deren Methode in dem neuen Handwörterbuch der Staatswissenschaften überzeugend an der politischen Ökonomie die Abhängigkeit einer einzelnen Geisteswissenschaft, sofern dieselbe dem praktischen Leben Ziele vorschreiben soll, von einem umfassenderen Zusammenhang dargelegt". Er bringt auch zur Anerkennung, daß nur c•n teleologischer Zusammenhang diese Aufgabe lösen kann. Die folgende Abhandlung will nun zeigen, wie in der beschreibenden Psychologie die Mittel für eine allgemeingültige Erkenntnis eines solchen den Geisteswissenschaften zugrunde liegenden Zusammf'nhangs gegeben ist.

Die

Auj~a!Je

einer ps_vcluJiogi.sdun Grundlegung der Geisteswissensc/eaftm

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kann dies in sich Unmögliche möglich machen. Kein Zauberwort aus der Schule Kants kann hier helfen. Der Schein, dies leisten zu können, beruht schließlich darauf, daß der Erkenntnistheoretiker in seinem eignen lebendigen Bewußtsein diesen Zusammenhang besitzt und aus ihm denselben in seine Theorie überträgt. Er setzt ihn voraus. Er bedient sich seiner. Aber er kontrolliert ihn nicht. Daher schieben sich ihm notwendig aus dem Sprachkreis und dem Gedankenkreis der Zeit Deutungen dieses Zusammenhangs in psychologischen Begriffen unter. So ist es gekommen, daß die Grundbegriffe der Vernunftkritik Kants durchweg einer bestimmten psychologischen Schule angehören. Die klassifizierende Vermögenslehre der Zeit Kants hatte die harten Sonderungen, das trennende Fächerwerk in seiner Vernunftkritik zur Folge. Ich mache dies deutlich an seinen Sonderungen von Anschauen und Denken sowie von Stoff und Form des Erkennens. Beide Sonderungen, so hart wie sie bei Kant dastehen, zerreißen einen lebendigen Zusammenhang. Kant legte auf keine seiner Entdeckungen ein größeres Gewicht, als auf seine scharfe Sonderung von Natur und Prinzipien des Anschauen s und des Denke n s. [Zwar durchbricht er diese stren~ Sonderung; gerade er hat von der Wirksamkeit des Verstande3 innerhalb der Sinnlichkeit die erste deutliche Nachweisung gegeben.] Aber in dem, was er Anschauung nennt, wirken überall Denkvorgänge oder ihnen äquivalente Akte mit. So das Unterscheiden, Abmessen von Graden, Gleichsetzen, Verbinden und Trennen. Daher hat man es hier nur mit verschiedenen Stufen im Wirken derselben Prozesse zu tun. Dieselben elementaren Prozesse von (Assoziation, Reproduktion,) Vergleichung, Unterscheiden, Abmessung der Grade, Trennung und Verbindung, des Absehens vom einen und Heraushebens des anderen, wor· auf dann die Abstraktion beruht, wirken in der Ausbildung unserer Wahrnehmungen, unserer reproduzierten Bilder, der geometrischen Gestalten, der Phantasievorstellungen, welche dann auch in unserem diskursiven Denken walten. Diese Prozesse bilden das weite und unermeßlich fruchtbare Gebiet des schweigenden Denkens. Die formalen Kategorien sind aus solchen primären logischen Funktionen abstrahiert. Kant hätte daher auch nicht nötig gehabt, diese Kategorien aus dem diskursiven Denken abzuleiten. Und alles diskursive Denken kann als eine höhere Stufe dieser schweigenden Denkvorgänge dargestellt werden. Ebenso kann die in Kants System durchgeführte Trennung von Stoff und Form der Erkenntnis heute nicht mehr so festgehalten werden. Viel wichtiger als diese Trennung sind die inneren Beziehungen, welche zwischen der Mannigfaltigkeit der Empfindungen, als dem

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/dem ii/Nr titu IN.scllrrihnde und •erg-litdtrnde P.syclwlogit

Stoff unserer Erkenntnis, und der Form, in welcher wir diesen Stoff auffassen, überall bestehen. Wir besitzen gleichzeiti-ge voneinander verschiedene Töne zugleich, und wir vereinigen sie im Bewußtsein, ohnt: daß wir ihr Auseinander in einem Nebeneinander auffassen. Dagegen können wir eine Mehrheit von Tast- oder Gesichtsempfindungen immer nur in einem Nebeneinander zusammen besitzen. Können wir doch nicht einmal zwei Farben zusammen und gleichzeitig anders als in einem Nebeneinander vorstellen. Ist nun nicht augenscheinlich bei dieser Nötigung, im Nebeneinander zu besitzen, die Natur der C..esichtseindrücke und der Tastempfindungen im Spiele ? Ist also hier nicht höchstwahrscheinlich durch die Natur des Empfindungsstoffs die Form seiner Zusammenfassung bedingt? Wie ergänzungsbedürftig Kants Lehre von Stoff und Form des Erkennens ist, zeigt auch folgende Betrachtung. Eine Mannigfaltigkeit von Empfindungen als bloßer Stoff schließt an jedem Punkte Unterschiede, etwa Verhältnisse und Abstufungen von Farben, gegeneinander ein. Diese Unterschiede und Grade bestehen aber nur für ein zusammenhaltendes Bewußtsein; daher muß die Form da sein, damit der Stoff da sein könne, so wie dann natürlich Stoff da sein muß, wenn Form auftreten soll. Es wäre ja auch ganz unverständlich, wie psychische Stoffelemente durch das Band eines vereinigenden Bewußtseins von außen verknüpft werden sollten .I So wird man immer auch in der Erkenntnistheorie der willkürlichen und stückweisen Einführung psychologischer Ansichten nur dadurch entgehen, daß man ihr mit wissenschaftlichem Bewußtsein eine klare Auffassung des seelischen Zusammenhangs zugrunde legt. Man wird die zufälligen Einflüsse irriger Psychologien in der Erkenntnistheorie nur los werden, wenn es gelingt, ihr gültige Sätze über den Zusammenhang des Seelenlebens zur Verfügung zu stellen . .Allerdings wäre untunlich, der Erkenntnistheorie eine durchgeführte beschreibende Psychologie als Grundlage vorauszusenden. Andererseits ist aber die voraussetzungslose Erkenntnistheorie eine Illusion. So könnte man sich zunächst das Verhältnis zwischen Psychologie und Erkenntnistheorie folgendermaßen vorstellen. In derselben Weise, in welcher sie allgemeingültige und sichere Sätze auch aus anderen Wissenschaften entnimmt, könnte die Erkenntnistheorie aus der beschreibenden und ahalysiercnden Psychologie einen solchen Zusammenhang von Sätzen entnehmen, wie sie ihn bed:trf und wie er keinem Zweifel ausgesetzt ist. Ein kunstvolles logisches Gespinst, von innen 1 Zur Ergänzung dieser kurzen Darlegung verweise ich auf die scharfsinnige Untersuchung von Stumpf über Psychologie und Erkenntnistheorie in den Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (vgl. oben S. 78).

15 I herausgesponnen und nun bodentos in der leeren Luft schwebend glaubt man, daß ein solches Spinngewebe sicherer und fester sein werde als eine Erkenntnistheorie, welche sich allgemeingültiger und fester Sätze bedient, die aus Anschauungen in den Einzelwissenschaften schon abgeleitet und bewährt sind? Kann etwa eine Erkenntnistheorie vorgezeigt werden, welche nicht stillschweigend oder ausdrücklich solche Anleihen machte? Nur darauf kann es ankommen, ob die ent· liehenen Sätze die Probe der Allgemeingültigkeit, der strengsten Evidenz bestanden haben, deren Begriff dann freilich seinen Sinn und die Rechtfertigung seiner Anwendung rückwärts in den Grundlagen der Erkenntnistheorie, die schließlich in der inneren Erfahrung liegen, finden muß. Darum allein könnte es sich also zunächst auch bei der Aufnahme psychologischer Sätze handeln. Es wäre demnach nur die Frage, ob solche Sätze ohne Hypothesenpsychologie geliefert werden könnten. Schon dies führt auf das Problem einer Psychologie, in welcher die Hypothesen nicht dieselbe Rolle spielen, wie es in der jetzt herrschenden erklärenden Psychologie der Fall ist. Aber das Verhältnis der Psychologie zur Erkenntnistheorie ist noch ein anderes, als das irgendeiner anderen Wissenschaft zu dieser, selbst der von Kant vorausgesetzten Mathematik, mathematischen Naturwissenschaft und Logik. Der seelische Zusammenhang bildet den Untergrund des Erkenn tnisprozesses, und der Erkenntnisprozeß kann sonach nur in diesem seelischen Zusammenhang studiert und nach seinem Vermögen bestimmt werden. Nun sahen wir aber darin schon den methodischen Vorzug der Psychologie, daß ihr unmittelbar, lebendig, als erlebte Realität der seelische Zusammenhang gegeben ist. Das Erlebnis desselben liegt allem Auffassen der geistigen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Tatsachen zugrunde. Min· der oder mehr aufgeklärt, zer.gliedert, erforscht. Die Geschichte der Wissenschaften des Geistes hat eben diesen erlebten Zusammenhang zu ihrer Grundlage, und sie erhebt ihn schrittweise zu klarerem Bewußtsein. Von hier aus kann nun auch das Problem des Verhältnisses der Erkenntnistheorie zur Psychologie aufgelöst werden. In dem lebendigen Bewußtsein und der allgemeingültigen Beschreibung dieses seelischen Zusammenhangs ist die Grundlage der Erkenntnistheorie enthalten. Einer vollendeten, durchgeführten Psychologie bedarf die Erkenntnistheorie nicht, aber alle durchgeführte Psychologie ist doch nur die wissenschaftliche Vollendung dessen, was auch den Untergrund der Erkenntnistheorie bildet. Erkenntnistheorie ist Psychologie in Be· wegung, und zwar sich nach einem bestimmten Ziele bewegend. In der Selbstbesinnung, welche den ganzen unverstümmelten Befund seelischen Lebens umfaßt, hat sie ihre Grundlage: Allgemeingültigkeit, Die Aujga!Je einw psycllologisclun

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dw Geisü.t'Wissmscllajtm

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Jdem über eine /Jesc/Jrei/Jende und zergliedernde Psychologie

Wahrheit, Wirklichkeit werden von diesem Befund aus erst nach ihrem Sinn bestimmt. Ziehen wir das Fazit. Was von der Psychologie zu fordern war und was den Kern ihrer eigentümlichen Methode ausmacht: beides weist uns in dieselbe Richtung. Aus allen dargelegten Schwierigkeiten kann uns allein die Ausbildung einer Wissenschaft befreien, welche ich, gegenüber der erklärenden oder konstruktiven Psychologie, als beschreibende und zergliedernde bezeichnen will. Ich verstehe unter beschreibender Psychologie die Darstellung der in jedem entwickelten menschlichen Seelenleben gleichförmig auftretenden Bestandteile und Zusammenhänge, wie sie in einem einzigen Zusammenhang verbunden sind, der nicht himugedacht oder erschlossen, sondern erlebt ist. Diese Psychologie ist also Beschreibung und Analysis eine!> Zusammenhangs, welcher ursprünglich und immer als das Leben selb,;t gegeben ist. Hieraus ergibt sich eine wichtige Folgerung. Sie hat die Regelmäßigkeiteil im Zusammenhange des entwickelten Seelenlebens zum Gegenstand. Sie stellt diesen Zusammenhang des inneren Lebens in einem typischen Menschen dar. Sie betrachtet, analysiert, experimentiert und vergleicht. Sie bedient sich jedes möglichen Hilfsmittels zur Lösung ihrer Aufgabe. Aber ihre Bedeutung in der Gliederung der Wissenschaften beruht eben darauf, daß jeder von ihr benutzte Zusammenhang durch innere Wahrnehmung eindeutig verifiziert werden kann und daß jeder solche Zusammenhang als Glied des umfassenderen aufgezeigt werden kann, der nicht erschlossen, sondern ursprünglich gegeben ist. Wa~ ich als beschreibende und zergliedernde Psychologie bezeichne, hat noch .einer anderen Anforderung zu genügen, welche in den Bedürfnissen der Geisteswissenschaften und der Leitung des Lebens durch sie enthalten ist. Die Gleichförmigkeiten, welche den Hauptgegenstand der Psycho logie unseres Jahrhunderts ausmachen, beziehen sich auf die ~'ormen des inneren Geschehens. Die mächtige inhaltliche Wirklichkeit des Seelenlebens reicht über diese Psychologie hinaus. In den Werken der Dichter, in den Reflexionen über das Leben, wie große Schriftsteller, ein Seneca, Mare Aurel, Augustin, Machiavelli, Montaigne, Pascal sie ausgesprochen haben, ist ein Verständnis des Menschen in seiner ganzen Wirklichkeit enthalten, hinter welchem alle erklärende Psychologie weit zurückbleibt. Aber in der ganzen reflektierenden Literatur, welche die volle Wirklichkeit des Menschen erfassen möchte, macht sich nun bis auf diesen Tag, neben ihrer inhaltlichen Überlegenheit, das Unvermögen zu systematischer Darstellung geltend. Wir finden uns durch einzelne Reflexionen bis ins innerste Herz getroffen.

Die Aufgabe einer psychologisdten G1·undlegung der Geisteswissenschaften

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Die Tiefe des Lebens selbst scheint sich in ihnen aufzuschließen. Sobald wir aber aus denselben einen klaren Zusammenhang herzustellen streben, versagen sie. Von solchen Reflexionen ist die Weisheit der Dichter über den Menschen und über das Leben ganz verschieden, welche nur durch Gestalten und Fügungen von Schicksalen, hier und da höchstens blitzartig durch die Reflexion erleuchtet, zu uns redet. Aber auch sie enthält keinen faßbaren allgemeinen Zusammenhang des Seelenlebens. Man hört bis zur Ermüdung, daß in Lear, Harnlet 1,1nd Macbeth mehr Psychologie stecke, als in allen psychologischen Lehrbüchern zusammen. Möchten doch diese Fanatiker der Kunst die in solchen Werken eingewickelte Psychologie uns einmal enthüllen! Versteht man unter Psychologie eine Darstellung des regelmäßigen Zusammenhangs des Seelenlebens, so enthalten die Werke der Dichter gar keine Psychologie; es steckt auch ga,r keine unter irgendeiner Hülle darin, und durch keinen Kunstgriff kann ihnen eine solche Lehre von den Gleichförmigkeiten der seelischen Prozesse entlockt werden. Wohl aber liegt nun in der Art, wie die großen Schriftsteller :md Dichter über das Menschenleben handeln, für die Psychologie eine Aufgabe und ein Stoff. Hier ist das intuitive Verständnis des ganzen Zusammenhanges, welchem auf ihrem Wege die Psychologie sich verallgemeinernd und abstrakt ebenfalls zu nähern hat. Man wünscht sich eine Psychologie, welche in das Netz ihrer Beschreibungen einzufangen vermöchte, was diese Dichter und Schriftsteller mehr enthalten als die bisherige Seelenlehre; eine Psychologie, welche eben die Gedanken, die Augustin, Pascal oder Lichtenberg durch einseitige grelle Beleuchtung so eindringlich machen, in einem allgemeingültigen Zusammenhang erst für das menschliche Wissen nützlich machte; und nur eine beschreibende und zergliedernde Psychologie kann sich der Lösung dieser Aufgabe annähern; nur in ihrem Rahmen ist die Lösung dieser Aufgabe möglich. Denn sie geht vom erlebten, ursprünglich und mit unmittelbarer Mächtigkeit gegebenen Zusammenhange aus; sie legt auch das noch der Zergliederung Unzugängliche unverstümmelt dar. Fassen wir alle diese Bestimmungen zusammen, welche wir nacheinander in bezug auf eine solche beschreibende und zergliedernde Psychologie gegeben haben, so wird schließlich auch die Bedeutung klar, welche die Lösung dieser Aufgabe auch für die erklärende Psy· chologie haben würde. Diese erhielte in der beschreibenden ein festes deskriptives Gerüst, eine bestimmte Terminologie, genaue Analysen und ein wichtiges Hilfsmittel der Kontrolle für ihre hypothetischen Erklärungen.

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Ideen ü/Jer eitu /Jtsclerei/Jende und lltrgliedemde PsycluJ/ogie

ZWEITES KAPITEL

DIE UNTERSCHEIDUNG DER ERKLÄRENDEN UND DER BESCHREIBENDEN PSYCHOLOGIE Die Unterscheidung einer beschreibenden und einer erklärenden Psychologie ist nicht neu. Mehrmals in der Geschichte der modernen Psychologie ist der Versuch wiedergekehrt, zwei einander ergänzende Behandlungsweisen derselben durchzuführen. Christian Wolf sah in der Sonderung der rationalen und empirischen Psychologie einen be· sonderen Ruhmestitel seiner Philosophie.' Die empirische Psychologie ist nach ihm die Erfahrungswissenschaft, welche von dem, was in der menschlichen Seele ist, Kenntnis gewährt. Sie kann mit der Experimentalphysik verglichen werden (Deutsche Log. § I 52, Nachr. v. s. Schriften S. 232). Sie setzt die rationale Psychologie nicht voraus, sie setzt überhaupt keine andere Wissenschaft voraus. Vielmehr dient sie der Prüfung und Bestätigung dessen, was die rationale Psychologie a priori entwickelt (Psych. emp. § 1, 4, 5). Die rationale Psychologie wird von ihm auch als die erklärende bezeichnet (Ps. rat. § 4). Sie hat ihre Erfahrungsgrundlage in der empirischen. Sie entwickelt unter Beihilfe derselben a priori aus der Ontologie und Kosmologie das, was durch die menschliche Seele möglich ist. Und wie sie an der empirischen ihre Erfahrungsgrundlage besitzt, so hat sie auch an derselben ihre Kontrolle (Ps. emp. § s). Nun wies zwar Kant die Unmöglichkeit einer rationalen Psychologie nach: dennoch blieb von diesen Sätzen Wolfs als wertvoller Kern die Unterscheidung eines beschreibenden und eines erklärenden Verfahrens und die Einsicht, daß die beschreibend~ Psychologie Erfahrungsgrundlage und Kontrolle der erklärenden sei. Innerhalb der Herbartsehen Schule bildete dann Theodor Waitz diese Unterscheidung im modernen Sinne fort. Er hatte I849 in seiner Psychologie als Naturwissenschaft die Methode dieses Werkes dahin bestimmt, daß es die in der Erfahrung ,gegebenen psychischen Erscheinungen vermittels der ihnen angemessenen Hypothesen erkläre; so hatte er zuerst in Deutschland eine erklärende Psychologie nach modernem naturwissenschaftlichem Zuschnitt begründet. Nun stellte er I 8 52 in der Kieler Monatsschrift dieser erklärenden Psychologie den Plan einer beschreibenden zur Seite. Er begründete diese Unterscheidung durch die in der Naturerkenntnis bestehende Sondertmg der deskriptiven und theoretischen Wissenschaften. Die deskriptive Psy1 Wolf gab die Sonderung zuerst im discursus praeliminaris Jogices S 112, dann, nachdem Thüming ihm in der Ausfiihrung zuvorgekommen war, erschien seine empirische Psychologie 1732, die rationale 1734.

Die U11tersclleidu11g tkr erklänmim uNi tkr IJescAreiiJetlde11 PsycAolo.fl'e

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chologie hat, entsprechend den Wissenschaften des organischen Lebens, zu ihren methodischen Hilfsmitteln: Beschreibung, Analyse, Klassifikation, Vergleichung und Entwicklungslehre; insbesondere hat sie sich als vergleichende Psychologie und psychi.5che Entwicklungslehre auszubilden. Die erklärende oder naturwissenschaftliche Psychologie arbeitet mit dem Material, das die beschreibende liefert, an demselben erforscht sie die allgemeinen Gesetze, welche die Entwicklung und den Verlauf des psychischen Lebens beherrschen, und sie 5tellt die Abhängigkeitsverhältnisse dar, in denen das Seelenleben zu seinem Organismus und der Außenwelt steht; so besteht sie in einer erklärenden Wissenschaft des Seelenlebens und in einer Wissenschaft von der Wechselwirkung zwischen ihm, dem Organismus und der Außenwelt: wir würden heute sagen einer Psychophysik. Und nun bestimmt er schließlich: "Die Klarheit der wissenschaftlichen Behandlung i-st wesentlich davon abhängig, in welcher Schärfe und Reinheit diese Teilung der Aufgaben durchgeführt und festge·halten wird." Sein großes Werk über die Anthropologie der Naturvölker war ein Teil der damals von ihm geplanten Arbeiten über beschreibende Psychologie. Innerhalb der Herbartsehen Schule hat dann auch Drobisch sich dieser Sonderung bedient, neben seine mathematische Psychologie hat er die meisterhafte empirische gestellt, deren Beschreibungen noch heute wertvoll sind. So hielt Waitz nicht nur an den Einsichten Wolfs fest, er machte auch infolge der Ausscheidung des Metaphysischen aus der erklärenden Psychologie mehrere wichtige Fortschritte in der Bestimmung des Verhältnisses beider Darstellungen zueinander. Er erkannte, daß die Elemente der Erklärung, von denen die naturwissenschaftliche Psychologie ausgeht, den Charakter von Hypothesen haben, ja er sprach aus, daß die erklärende Psychologie nur "die M ö g I ich k e i t zeigen könne, daß durch das Zusammenwirken der angegebenen Elemente nach einer allgemeim·n Gesetzmäßigkeit sich gerade solche komplizierte, psychische Erscheinungen bilden. wie wir sie vermittels der Beobachtung in uns finden" I Psychol. S. 26). Ihm ging auch schon die außerordentliche Ausdehnung der Hilfsmittel einer beschreibenden Psychologie auf: vergleichendes Studium, weJches das Seelenleben der Tiere. der Naturviilker. die seelischen Veränderungen im Fortschritt der Kultur benutzt: Entwicklungsgt•schichte der Individuen und der Gesellschaft. Und ohne noch einen Blick rückwärts auf die Lehrbücher der Herbartscben Schule zu werfen. drang er auf der hohen See der Anthropologie der Naturvölker und der unermeßlichen Religionsgeschichte vorwärts: ein kühner beharrlicher Entdecker. dem nur zu friih sein Ziel gesetzt wurde: sonst hätte er neben Lotze und Fechner in der· Geschichte der

Ideen über eine besenreihende und zergliedernde Psycllolog'ie

modernen Psychologie einen ganz anderen Einfluß gewonnen, als der ihm nun zuteil geworden ist. Zwei Gesichtspunkte scheinen mir eine weitere Umformung des Verhältnisses der beschreibenden zur erklärenden Psychologie über Waitz hinaus zu fordern. Die erklärende Psychologie entstand aus der Zergliederung der Wahrnehmung und der Erinnerung. Ihren Kern bildeten von Anfang an Empfindungen, Vorstellungen, Lust· und Unlustgefühle als Elemente sowie die Prozesse zwischen diesen Elementen, insbesondere der Prozeß der Assoziation, zu welchem dann als weitere erklärende Vor· gänge Apperzeption und VerschmelzJ.Ing hinzutraten. So hat sie gar nicht die ganze volle Menschennatur und deren inhaltlichen Zusammenhang zum Gegenstand. Daher stellte ich zu einer Zeit, in welcher diese Grenzen der erklärenden Psychologie noch schroffer als heute hervortraten, ihr den Begriff einer Realpsychologie gegenüber ( 1865, Novalis, siehe oben S. 37), deren Beschreibungen die ganze Totalität des Seelenlebens, die in ihr bestehenden Zusammenhänge, tmd zwar neben ihren Formen auch ihre Inhaltlichkeit zur Auffassung brächte. Dieser Inhaltlichkeit gehören Tatsachen an, deren Härte bisher keine überzeugende Zergliederung aufzulösen vermocht hat. Solche sind innerhalb unseres Gefühls· und Trieblebens das Streben nach Erhaltung und Erweiterung unseres Selbst, innerhalb unseres Erkennens der Charakter von Notwendigkeit in gewissen Sätzen, und in dem Umkreis unserer Willenshandlungen das Sollen oder die absolut im Bewußtsein auftretenden Normen. Es bedarf einer psychologischen Systematik, in welcher die ganze Inhaltlichkeit des Seelenlebens Raum findet. So reicht denn auch die mächtige Wirklichkeit des Lebens, wie die großen Schriftsteller und Dichter sie aufzufassen bestrebt waren und sind, über die Grenzen unserer Schulpsychologie hinaus. Was dort intuitiv, im dichterischen Symbol, in genialen Blicken ausgesprochen ist, muß eine solche den ganzen Inhalt des Seelenlebens beschreibende Psychologie festzustellen, an seinem Orte darzustellen und zu zergliedern ve·r· suchen. Hierneben macht sich für den, der sich mit dem Zusammenhang der Geisteswissenschaften beschäftigt, ein anderer Gesichtspunkt geltend. Diese bedürfen einer Psythologie, welche vor allem fest und sicher ist, was niemand der jetzigen erklärenden Psychologie nachrühmen kann, welche zugleich aber die ganze mächtige Wirklichkeit des Seelenlebens zur Beschreibung und, soweit möglich, zur Analysis bringt. Denn die Analyse der so komplexen gesellschaftlichen und geschichtlichen Wirklichkeit kann nur ausgeführt werden, wenn diese Wirklichkeit zunächst in die einzelnen Zwecksysteme zerlegt wird, aus

Die Unterscheidung· der erk!ärmden und der beschreibenden Psychologie

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denen sie besteht; jedes dieser Zwecksysteme, wie Wirtschaftsleben, Recht, Kunst und Religion, gestattet dann vermöge seiner Homogeneität eine Zergliederung seines Zusammenhanges. Dieser Zusammenhang in einem solchen System ist aber kein anderer als der seelische Zusammenhang in den Menschen, welche in demselben zusammenwirken. Sonach ist er schließlich ein psychologischer. Er kann daher nur von einer Psychologie verstanden werden, welche gerade die Analysis dieser Zusammenhänge in sich faßt, und das Ergebnis einer solchen Psychologie ist für den Theologen, Juristen, Nationalökonomen oder Literarhistoriker nur dann benutzbar, wenn nicht ein Element von Unsicherheit, von Einseitigkeit, von wissenschaftlicher Parteiung aus dieser Psychologie in die Erfahrungswissenschaften des Geistes dringt. Offenbar stehen die beiden dargelegten Gesichtspunkte in einer inneren Beziehung zueinander. Die Betrachtung des Lebens selber fordert, daß die ganze unverstümmelte und mächtige Wirklichkeit der Seele von ihren niedrigsten bis zu ihren höchsten Möglichkeiten (zur Darstellung) gelange. Dies liegt innerhalb der Forderungen, welche die Psychologie selber an sich stellen muß, wenn sie nicht hinter Lebenserfahrung und dichterischer Intuition zurückbleiben will. Eben dasselbe fordern die Geisteswissenschaften. In ihrer psychologischen Grundlegung müssen alle psychischen Kräfte, alle psychischen Formen von den niedrigsten bis zu den höchsten, bis zu dem religiö~ Genius, bis zu dem Religionsstifter, dem geschichtlidien Helden und dem künstlerischen Schöpfer, als welche die Geschichte und die Gesellschaft vorwärts bewegen, ihre Darstellung und gleichsam ihre Lokalisierung finden. Und gerade indem man die Aufgabe so bestimmt. öffnet sich der Psychologie ein Weg, welcher einen viel höheren Grad von Sicherheit verspricht, als derjenige ist. dPn die erklärende Psychologie nach ihrer Methode erreichen kann. Man gehe von dem ent· wickelten Kulturmenschen aus. Man beschreibe den Zusammenhang seines Seelenlebens, man lasse die hauptsächlichsten Erscheinungen desselben mit allen Hilfsmitteln künstlerischer Vergegenwärtigung so deutlich als möglich sehen, man analysiere die in diesem umfassenden Zusammenhang enthaltenen Einzelzusammenhänge tunlic hst gc>na u. Man gehe in dieser Zergliederung soweit als möglich, man lasse das. was der Zergliederung widersteht, sehen wie es ist, man gebe von dem, dessen Zusammensetzung wir tiefer durchblicken kiinnen, die Erklärung seiner Entstehung, jedoch mit Angabe des Grades von Gewißheit. die dieser Erklärung zukommt, man ziehe überall vergleichendt> Psychologie. Entwicklungsgeschichte, Experiment, Analysis der geschichtlichen Pro· dukte hinzu: dann wird die Psychologie das Werkzeug des Historikers, des Nationalökonomen, des Politikers und Theologen werden; dann

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Ideell iihr eitu lllsdlni6ellde utul 111rg-lüdemde Psyt:lltJ/op

wird sie auch den Menschenbeobachter und den Praktiker leiten können. Von diesen Gesichtspunkten aus gestaltet sich nun der Begriff der erklärenden Psychologie, der Begriff der be!;chreibenden und das Verhältnis dieser beiden Darstellungen des Seelenlebens zu einander in der von den nächsten Kapiteln näher bestimmten Weise. DR\TIES KAPITEL

DIE ERKLÄRENDE PSYCHOLOGIE Wir verstehen unter erklärender Psychologie im folgenden die Ableitun,g der in der inneren Erfahrung, dem Versuch, dem Studium anderer Menschen und der geschichtlichen Wirklichkeit ~gebenen Tatsachen aus einer begrenzten Zahl von analytisch gefundenen Elementen. Unter Element wird dann jedet Bestandteil der psychologischen Grundlegung, welcher zur Erklärung der seelischen Erscheinungen gebraucht wird, verstanden. Sonach ist der Kausalzusammenhang der seelischen Vorgänge nach dem Prinzip: causa aequat effectum, oder das Assoziationsgesetz geradesogut ein Element für die Konstruktion der erklärenden Psychologie als die Annahme unbewußter Vorstellungen oder ihre Verwertung. Das erste Merkmal der erklärenden Psychologie ist also, wie schon Wolf und Waitz annahmen, ihr synthetischer oder. konstruktiver Gang. Sie leitet alle in der inneren Erfahrung und in deren Erweiterungen auffindbaren Tatsachen aus einer begrenzten Zahl von eindeutig bestimmten Elementen ab. Die Entstehung dieser konstruktiven Richtung in der Psychologie hän.gt: geschichtlich mit dem konstruktiven Gei·ste der großen Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts zusammen. Descartes und seine Schule wie Spinoza und Leibniz konstruierten von Hypothesen aus, unter Voraussetzung der gänzlichen Durchsichtigkeit dieses Verhältnisses, die Beziehungen zwischen körperlichen Prozessen und st.:elischen Vorgängen. Leibniz hat dann zuer.st, gleichsam hinter das gegebene Seelenleben greifend, die Beeinflussung des be· wußten Gedankenlaufs durch den erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens und die Reproduktion der Vorstellungen durch Hilfs· begriffe, welche er zur Ergänzung des Gegebenen ersann, zu konstruieren unternommen: das Prinzip der Stetigkeit und dadurch bedingt die Kontinuität in den Gradverschiedenheiten der Bewußtseinszustände von unendlich kleinen Graden von Bewußtheit aufwärts waren solche Hilfsbegriffe, und man bemerkt leicht den Zusammenhang, in welchem sie mit seinen mathematischen und metaphysischen Erfindungen standen. Von derselben konstruktiven Richtung des Geistes, welche das in dem Seelenleben Gegebene durch ergänzende HUfsbegriffe

Die erklärmde Psyclwlogie

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zu ganz durchsichtiger Begreiflichkeil erheben zu können postulierte, ging der Materialismus aus. Ja durch die Bewußtseinsstellung des konstruktiven Geistes sind entscheidende Züge der konstruktiven Psychologie des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts bedingt, welche noch heute fortwirken. Einflußreiche Konzeptionen sind Derivate der konstruktiven Bewußtseinsstellung und Tendenz. Indem man diesen Be· ziehungen nachgeht, erfaßt man die geschichtliche Bedingtheit der konstruktiven Psychologie: die in allen Zweigen des Wissens sich äußernde Macht der Methoden und Grundbegriffe der Naturwissenschaft spricht sich in ihr aus: von hier aus könnte sie auch einer geschichtlichen Kritik unterworfen werden. Eine begrenzte Zahl von eindeutig bestimmten Elementen, von denen aus alle Erscheinungen des Seelenlebens konstruierbar sein sollen: das ist also das Kapital, mit welchem die erklärende Psychologie wirtschaftet. Die Herkunft dieses Kapitals ist nun aber eine verschiedene. In diesem Punkte unterscheiden sich die älteren Schulen der Psychologie von der heute herrschenden. Leitete die ältere Psychologie noch bis auf Herbart, Drobisch und Lotze einen Teil dieser Elemente aus der Metaphysik ab, so gewinnt die moderne Psychologie ··- diese Seelenlehre ohne Seele - die Elemente für ihre Synthesen nur aus der Analysis der psychischen Erscheinungen in ihrer Verbindung mit den physiologischen Tatsachen. Sonach besteht die strenge Durchführung eines modernen erklärenden psychologischen Systems aus der Analysis, welche in den seelischen Erscheinungen die Elemente auffindet, und der Synthesis oder Konstruktion, welche aus ihnen die Erscheinungen des Seelenlebens zusammensetzt und so ihre Vollständigkeit erprobt. Der Inbegriff und das Verhältnis dieser Elemente macht die Hypothese aus, durch welche die seelischen Erscheinungen erklärt werden. Sonach ist das Verfahren des erklärenden Psychologen ganz dasselbe, dessen sich auf seinem Gebiet der Naturforscher bedient. Die Ähnlichkeit im Verfahren beider wird dadurch noch größer, daß das Experiment jetzt, dank einem bemerkenswerten Fortschritt, das Hilfsmittel der Psychologie auf vielen ihrer Gebiete geworden ist. Und diese Ähnlichkeit würde weiter zunehmen, wenn irgendeiner der Versuche gelungen wäre, quantitative Bestimmungen nicht nur in den Außenwerken der Psychologie, sondern in ihrem Inneren selber zur Anwendung zu bringen. Für die Einordnung eines Systems in die erklärende Psychologie ist es natürlich gleichgültig, in welcher Folge diese Elemente eingeführt werden. Nur darauf kommt es an, daß der erklärende Psychologe mit dem Kapital einer begrenzten Zahl eindeutiger Elemente wirtschaftet.

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!dem über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie

-----------------------Vermittels dieses Merkmals

kann nun von einigen der einflußreichsten psychologischen Werke der Gegenwart nachgewiesen werden, daß sie dieser erklärenden Richtung der Psychologie zugehörig sind; zugleich können von diesem Merkmal aus die Hauptrichtungen der modernen erklärenden Psychologie verständlich gemacht werden. Bekanntlich fand nach dem Vorgang von Hume (1739/1740) und Hartley ( 17 46) die englische Psychologie ihre erste umfassende Darstellung in dem großen Werke von James Mill: Analysis der Erscheinungen des menschlichen Geistes. Dieses Werk legt die Hypoth~se zugrunde, daß das ganze Seelenleben in seinen höchsten Äußerungen aus einfachen, sinnlichen Elementen in einem Inneren, in welchem die Assoziationsgesetze wirken, mit kausaler Notwendigkeit :,"ich entfalte. Das Beweisverfahren dieser erklärenden Psychologie liegt i.n der Z~rgliederung und Zusammensetzung, in dem Nachweis, daß die aufgezeigten Elemente die höchsten Vorgänge des Seelenlebens zureichend erklären. Der Sohn von James Mill und der Erbe seiner Gedan· ken, J ohn Stuart Mill, beschreibt in seiner Logik die Methode der Psychologie als ein Zusammenwirken von induktiver Auffindung der Elemente und synthetischer Erprabung derselben ganz in Übereinstimmung mit dem Verfahren seines Vaters. Aber er bereits entwickelt mit dem größten Nachdruck den logischen Wert eines Denkmittels, das sich in dieser Psychologie der beiden Mill als erforderlich herausstellte. Er nimmt eine psychische Chemie an; wenn einfache Ideen oder Gefühle sich zusammensetzen, so können sie einen Zustand erzeugen, welcher für die innere Wahrnehmung einfach und zugleich qualitativ ganz verschieden von den Faktoren ist, welche ihn hervorgebracht haben. Die Gesetze des Geisteslebens sind mitunter mechanischen, mitunter aber auch chemischen Gesetzen vergleichbar. Wenn viele Eindrücke oder Vorstellungen im Geiste zusammenwirken, so findet mitunter ein Hergang statt, der einer chemischen Verbindung ähnlich ist. Wenn man Eindrücke so oft in Verbindung erfahren hat, daß jeder von ihnen leicht und augenblicklich die ganze Gruppe hervorruft, so verschmelzen jene Ideen bisweilen miteinander und erscheinen nicht mehr als mehrere, :,ondern als eine Idee; in derselben Weise wie die sieben Farben des Prismas, wenn sie dem Auge in rascher Folge vorübergeführt werden, den Eindruck der weißen Farbe hervorbringen. Es ist klar, die Annahme eines solchen ganz allgemeinen und unbestimmten Satzes, welcher sonderbar mit der Genauigkeit wirklicher Naturgesetze kontrastiert, muß dem erklärenden Psychologen sein Geschäft ausnehmend erleichtern. Denn er verdeckt die Mängel der Ableitung. Er gestattet, sich an gewisse regel· mäßige Antezedenzien zu halten und die Lücke zwischen ihnen und dem

Die erltliinnde Psycltolorie. Spencer

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folgenden Zustand durch psychische Chemie auszufüllen. Sie muß aber zugleich den ohnehin schon niederen Grad von Überzeugungskraft, welcher dieser Konstruktion und ihren Ergebnissen zukommt, auf Null herabdrücken. über diese psychologische Schule erhob sich in England Herbert Spencer. Im Jahre 1855, erschienen die beiden Bände seiner Psycho· logie zum ersten Male, und sie erlangten einen großen Einfluß auf die europäische psychologische Forschung. Das Verfahren dieses Werkes war sehr verschieden von dem, welches die beiden Mill angewandt hatten. Spencer bediente sich nicht nur der naturwissenschaftlichen Methode, wie jene beiden getan hatten, sondern er schritt dazu fort, im Einverstät.dnis mit Comte, die psychischen Phänomene dem realen Zusammenhang der physischen Phänomene, sonach die Psychologie der Naturwissenschaft unterzuordnen. Und zwar begründete er die Psycho· logie auf die allgemeine Biologie. In dieser aber führte er die Begriffe von Anpassung der Lebewesen an ihr Milieu, Evolution der ganzen organischen Welt und Parallelismus der Vorgänge im nervösen System mit den inneren oder seelischen Vorgängen durch. Er interpretierte also die inneren Zustände und ihren Zusammenhang vermittels des Studiums des Nervensystems, der vergleichenden Betrachtung der äußeren Organisationen in der Tierwelt und der Verfolgung der Anpassung an die Außenwelt. So treten von neuem in die erklärende Psychologie deduktiv bestimmte Erklärungselemente ein, ganz wie di..es bei Wolf, Herbart und Lotze der Fall gewesen war. Nur daß dieselben nunmehr nicht aus der Metaphysik stammen, sondern, der Veränderung der Zeiten entsprechend, aus der allgemeinen Naturwissenschaft. Auch unter diesen neuen Bedingungen ist und bleibt das Werk Spencers eine erklärende Psychologie. Sogar in ihrer äußeren Anordnung zerfällt diese Psychologie in zwei Teile, der erste leitet aus dem Studium des Nervensystems, der vergleichenden Übersicht über die Tierwelt und der inneren Erfahrung durch konvergierende Schlüsse eine Verbindung von Hypothesen ab, der zweite Teil legt dann diese Hypothesen dem erklärenden Verfahren zugrunde. Nur daß Spencer dieses Verfahren auf die Untersuchung des menschlichen Verstandes einschränkte. Die Erklärung der emotionellen 'Zustände erschien ihm zur Zeit unausführ· bar. "Wenn man etwas durch Sonderung seiner einzelnen Teile und Untersuchung der Art und Weise, wie dieselben miteinander verknüpft sind, erklären will, so muß dies etwas sein, was wirklich unterscheid· bare und in bestimmter Art verbundene Teile besitzt. Haben wir es aber mit einem C..egenstande zu tun. der zwar augenscheinlich zusammengesetzt ist, dessen verschiedenartige Elemente aber so durcheinander gemengt und verschmolzen sind, daß sie sich nicht einzeln Dilthey,

Ge~ammelte

Schriftea V.

1.

Hälfte

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Ideen über eine beschreibende und Jlergluderndt Psyclwlo,Rü

scharf erkennen lassen, so ist von vornherein anzunehmen, daß der Versuch einer Analyse wenn nicht völlig fruchtlos bleiben, so doch nur zu zweifelhaften und unzulänglichen Folgerungen führen wird. Dieser Gegensatz besteht nun in der Tat zwischen den Formen des Bewußtseins, die wir als intellektuelle und emotionelle unterschieden haben." In diesem Zusammenhang entstehen nun für Spenccr folgende weitere Denkmittel der erklärenden Psychologie. Er überträgt von der äußeren auf die innere Entwicklung der animalischen Welt ein Prinzip der zunehmenden Differenzierung der Teile und Funktionen und der Integration, d. h. der Herstellung höherer und feinerer Verbindungen zwischen diesen differenzierten Funktionen, und nun bedient er sich zur Erklärung von Problemen, welche die Individualpsychologie nicht hatte überzeugend lösen können, vor allem des Problems vom U rsprun,g des a priori, dieses Prinzips der Entwicklung, das innerhalb des ganzen animalischen Reiches wirksam ist. Alsdann erläutert er aus der Struktur des Nervensystems, seiner Nervenzellen und verbindenden Nervenfäden die Gliederung des seelischen Lebens, seiner Elemente und der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Endlich kann nun auf Grund der Hypothese von dem psycho-physischen Parallelismus, da wo der psychische Zusammenhang Lücken zeigt, der physiologische Zusammenhang eingeschaltet werden. Augenscheinlich n.ähert sich diese erklärende Psychologie Spencers in manchen Punkten der Lebendigkeit des seelischen Zusammenhangs mehr, als dies in der Schule der Mills erreicht worden war. Auch gibt die Einordnung in die Naturwissenschaft dem Zusammenhang der Hypothesen einen festeren Halt und eine größere Autorität. Aber diese Einordnung vermittels der Lehre vom psycho-physischen Parallelismus macht nun die so bedingte erklärende Psychologie zur Sache einer wissenschaftlichen Partei. Sie gibt ihr das Gepräge eines verfeinerten Materialismus. Diese Psychologie ist für den Juristen oder Literarhistoriker nicht eine gesicherte Grundlage, sondern eine Gefahr. Die ganze weitere Entwicklung hat gezeigt, wie in politischer Ökonomie, Kriminalrecht, Staatslehre dieser verschleierte Materialismus der erklärenden Psychologie, wie sie Spencer gestaltet hat, zersetzend gewirkt hat. Und die psychologische Rechnung selbst, sofern sie mit inneren Wahrnehmungen operiert, wird durch die Einführung einer weiteren Hypothese doch noch unsicherer gemacht. Diese erklärende Psychologie der Spencerschen Richtung breitete sich unaufhaltsam auch über Frankreich und Deutschland aus. Sie verband sich vielfach mit dem Materialismus. Dieser ist in all seinen Schattierungen erklärende Psychologie. Jede Theorie, welche den Zusammenhang in den physischen Vorgängen zugrunde legt und diesem

I 6-' die psychischen Tatsachen nur einordnet, ist Materialismus. Von dem Materialismus beeinflußt, am stärksten doch von Spencer bedingt, trat die Psychologie des größten wissenschaftlichen französischen Schriftstellers der letzten Generation hervor. Das erste Stück, welches Spencer aus seiner Psychologie veröffentlicht hatte, war schon I 8 53 erschienen, vor der Veröffentlichung des ganzen Werkes ( 18 55), Wld es hatte die Untersuchung über dieGrundl.agen unseres Verstandes zwn Gegenstand. 1864 erschien nun das philosophische Hauptwerk von Hippoly t e Ta in e .über den menschlichen Verstand. Es ruhte vorwiegend auf Spencer, unter Benutzung der beiden Mill. Spencer selbst schreibt über die Ausbreitung seiner psychologischen Gedanken: "In Frankreich hat Hr. Taine Gelegenheit genommen, in seinem Werk de l'intelligence einige derselben allgemeiner bekannt zu machen." Aber auch Taine hat den Methoden der erklärenden Psychologie etwas hinzugefügt. Das Studium der anomalen psychischen Tatsachen wurde damals in Frankreich bevorzugt, und es bestand die Neigung, die Erscheinungen, welche der Irrenarzt, der Nervenarzt, der Magnetiseur und der Kriminalist gesammelt und interpretiert hatten, für das Studium der Gesetze des Seelenlebens zu verwerten. Die Lehre von der Verwandtschaft des Genies mit dem Wahnsinn ist eine echt französische Erfindung; wie durchweg die französischen Erfindungen fand sie Beifall in Italien. Taine war nun der erste erklärende Psychologe, welcher diese Erweiterung der psychologischen Methoden durch das Studium der anomalen seelischen Tatsachen in die ei·gentliche Psychologie aufnahm. Die sonderbare Hypothese, welche er, hierdurch bedingt, den Annahmen der erklärenden Psychologie hinzufügte, braucht hier nicht ausgeführt zu werden, da sie keinen durchgreifenden Einfluß gewonnen hat. "Die Natur erzeugt mit Hilfe von Wahrnehmungen und Bildergruppen nach Gesetzen Phantome in uns, die wir für äußere Objekte halten und meist ohne uns zu täuschen, denn es sind in der Tat ihnen entsprechende äußere Objekte vorhanden. Die äußeren Wahrnehmung~Jl sind wahre Halluzinationen." Aber ein allgemeineres Interesse bietet doch die Beobachtung des verhängnisvollen Einflusses, welchen diese Theorie auf die Geschiehtschreibung Taines geübt hat. Wie die einseitige erklärende Psychologie der Mill große historische Talente wie Grote und Buckle höchst nachteilig beeinflußt hatte, so hat der Philosoph Taine, welcher uns alle zu beständigen Halluzinanten macht, dem Historiker Taine seine Darstellung Shakespeares und seine Auffassung der französischen Revolution als einer Art von Massenverrückung eingegeben. - Ribot schloß sich dann an Taine an. In Deutschland hatte inzwischen Herbart eine erklärende Psycho-

Du erklärende hydwlogie. Ta1ne

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/dem iih,. eine IJescAreiJnuü u11d '"g/udenrde Psyclwlogie

logie ausgebildet, . welche sich besonders in Österreich und Sachsen der Katheder bemächtigte. Ihre außerordentliche Bedeutung für den Fortschritt der erklärenden Psychologie lag nun darin, daß sie mit den methodischen Anforderungen, welche in der Aufgabe einer Erklärung nach dem Vorbild der Naturwissenschaften enthalten sind, strengen wissenschaftlichen Ernst machte. Soll die erklärende Psychologie den Zusammenhang der seelischen Vorgänge ausnahmlos begreiflich machen, so muß sie die Voraussetzung des Determinismus zugrunde legen. Von dieser Voraussetzung aus wird sie aber nur dann hoffen dürfen, die Schwierigkeiten der Instabilität psychischer Vorgänge, ihrer individuellen Verschiedenheiten und der engen Grenzen der Beobachtung zu überwinden, wenn sie wie die physikalischen Wissenschaften quantitative Bestimmungen in ihre erklärende Rechnung einzuführen vermag. Dann wird sie auch den Gesetzen eine strengere Fassung zu geben vermögen: eine Mechanik des Seelenlebens kann entstehen. Gelang nun das Herbart in seinen eignen Arbeiten nicht wirklich, so setzte dann doch Fe c h n er diese Richtung fort; indem er die Versutellungszustand, und erst sekundär für unser Verständnis des Vorgangs ist in diesem Vorstellungszustande das angenehme Gefühl der Klangvcr\\'andtschaft enthalten. Fassen wir endlich die Anwesenheit von Willenstätigkeit in den psychischen Vorgängen ins Auge, so bleibt hier der Nachweis am weitesten hinter den Anforderungen zurück. Jedes Gefühl hat die Tendenz, in Verlangen oder Abwendung überzugehen. Jeder Wahrnehmungszustand, welcher in der Mitte meines Seelenlebens steht, ist von Tätigkeiten der Aufmerksamkeit begleitet: durch diese vereini.ge und apperzipiere 1ch die Etndrücke: die Farbenkleckse auf einem Bilde werden so zum Gegenstande. Jeder Denkvorgang in mir ist von einer Intention und Richtung der Aufmerksamkeit geleitet. Aber auch in Assoziationen, die in mir scheinbar willenlos ablaufen, bestimmt das Interesse die Richtung, in welcher die Verbindungen vollzogen werden. Deutet dies nicht auf einen Willensbestand, welcher ihre Unterlage bildet? Indes kommt man hier in Grenzgebiete dunkler Art; das Willentliche in den dauernden Richtungen des Geistes, das Selbsttätige als Bedingung dafür, daß ich Druck oder Einwirkung erfahre. Da jedes hypothetische Element aus diesen Beschreibungen ausgeschlossen bleiben muß, ist zuzugestehen, daß die Gegenwart von Willenstäti-gkeiten in den psychischen Vorgängen am wenigsten durchgängig erwiesen werden kann. Wir bezeichnen nun aber auch Gesamtzustände als Gefühl oder als Willensvorgang oder als vorstellendes Verhalten. Dies beruht zunächst darauf, daß wir diesen Gesamtzustand jedesmal nach der vorwiegend in die innere Wahrnehmung fallenden Seite desselben bezeichnen. In der Wahrnehmung einer schönen Landschaft herrscht das vorstellende Verhalten; erst bei genauerer Prüfung finde ich einen Aufmerksamkeitszustand (also ein willentliches Verhalten) damit verbunden und von einem tiefen Gefühl des Glücks das Ganze durch'drungen. Aber dies ist es nicht allein, was die Natur eines solchen Gesamtzustandes ausmacht und darüber entscl.eidet, ob wir ihn als Ge-

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Ideen ü!Jer eine !Jesclt,retöende und s:erglüdernde Psyclt,ologie

fühl od,er wollendes oder vorstellendes Verhalten bezeichnen. Nicht nur um das quantitative Verhältnis der verschiedenen Seiten eines Gesamtzustandes handelt es sich. Die innere Beziehung dieser verschiedeneo Seiten meines Verhaltens, gleichsam die Struktur, in welcher diese Fasern miteinander verknüpft sind, ist in dem Gefühlszustande eine andere als in dem Willenszustand, in diesem wieder eine andere ab in dem vorstellenden Verhalten. So stehen in jedem vor· stellenden Verhalten die Tätigkeiten der Aufmerksamkeit und die mit ihnen verbundenen Bewußtseinserregungen ganz im Dienste der Aus· bildung der Vorstellung; die willentlichen Regungen sind in diese Bil· dungsvorgänge vorstellender Natur ganz eingetreten: sie gehen in ihnen auf. Daher entsteht der Schein eines bloß vorstellenden, willensfreien Verhaltens. Dagegen zeigt der Willensvorgang ein ganz anderes Verhältnis zwischen dem Vorstellungsinhalt und der Volition, in ihm handelt es sich um ein Verhältnis sui generis zwischen Intention, Bild und künftiger Realität. Das Objektbild ist hier gleichsam das Auge des Begehrens, welches auf Realität gerichtet ist. Wir gehen weiter. Innerhalb der vorstellenden Zustände können wir ohne Hypothese zwischen den Wahrnehmungen, erinnerten Vor· stellungen und sprachlichen Denkprozessen eine Reihe herstellen, deren Glieder innerlich zusammenhängen. Wir können ebenso ohne Hypo· thesen den Zusammenhang beschreiben, in welchem Motive gegeneinander abgewogen werden, eine Wahl hervortritt und nun vom Willensentschluß aus zweckmäßig ineinandergreifende Bewegungs· vorgänge ausgelöst werden. Dort die fortschreitende Ausbildung der Intelligenz, welche durch die durchgreifende Macht allgemeiner Einsichten herbeigeführt wird, hier die fortschreitende Idealisierung der Willenstätigkeiten, welche durch die Eingewöhnung innerer Vorgänge und äußerer Bewegungen herbeigeführt wird, und nun immer mehrere Verbindungen innerer Tätigkeiten und äußerer Bewegungen dem Willen zur Verfügung stellt. Dieser stellt gleichsam immer neue Sklaven in den Dienst seiner Zwecke. Darum aber handelt es sich nun, die Ver· bindung zwischen diesen beiden Reihen herzustellen. Die eine verläuft vom Spiel der Reize bis zum abstrakten Denkvorgang oder dem inneren künstlerischen Bilden, dann geht die andere von den Motiven bis zum Bewegungsvorgang. In dem Zusammenhang des Lebens sind sie beide verbunden, von diesem aus wird ihr Lebenswert erst ganz verständlich: ihn also gilt es nun zu erfassen. Eine Aufgabe von außerordentlicher Schwierigkeit. Denn eben das, was zwischen diesen beiden Gliedern die Verbindung herstellt und ihren Lebenswert erst aufschließt, bildet den dunkel5ten Teil der ganzen Psychologie. Ohne Klarheit über diesen Kern unseres Selbst

Die Struktur des .Seelm/e!Jens

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treten wlr in das handelnde Leben ein. Das Leben selbst läßt uns erst allmählich einigermaßen erraten, von welchen Kräften es unaufhaltsam vorwärt~ getrieben wird. Durch alle Formen des tierischen Daseins geht ein Verhältnis zwischen Reiz und Bewegung. In diesem vollzieht sich die Anpa.;sung der tieri!:,chen Lebenseinheit an ihre Umgebung. Ich sehe eine Eidechse die sonnenbeschienene Mauer entlang gleiten und nun an der am stärk· sten bestrahlten Stelle die Gliederehen strecken; ein Laut von mir: und sie ist verschwunden. Durch die Eindrücke von Licht und Wärme wurde dies Spiel in ihr angeregt. Durch die Wahrnehmung, welche eine Gefahr anzeigt, wird es unterbrochen. Mit außerordentlicher Geschwindigkeit reagiert hier auf die Wahrnehmung der Schutztrieb des waffenlosen Geschöpfs durch zweckmäßige, von einem Reflexmechanismus unterstützte Bewegungen. Eindruck, Reaktion und Reflexmechanismus sind also zweckmäßig verbunden. Ich versuche nun, die Natur dieser Verbindung aufzuklären. Die äußeren Bedingungen, unter denen ein Seelenleben steht, würden zu den Veränderungen in diesem nur in einem ursächlichen Verhältnisse stehen, und kein Urteil über ihren Wert für dies veränderliche Seelenleben würde entstehen, wäre das Individuum nur ein vorstellendes Wesen. Und in allen Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffen eines solchen vorstellenden Wesens läge kein Anlaß zu Hand I u n g e n desselben. Wert entsteht nur im Gefühls- und Triebleben, und nur in ihm i!;,t das enthalten, was das Spiel der Reize und den Wechsel der Eindrücke vermittelt mit der Kraft willkürlicher Bewegungen, was von jenem zu die5en hinüberführt. Je nach der Reaktion des Trieb- und Gefühlslebens, welche die Lebensbedingungen hervorrufen, werden sie erst hemmend oder fördernd. Je nachdem die äußeren Bedingungen in der Gefühlssphäre einen Druck oder eine Steigerung hervorrufen, ent5teht aus dieser Gefühlslage erst ein Streben, den gegebenen Zustand zu erhalten oder abzuändern. Indem die Bilder, welche die Sinne darbieten, oder die Gedanken, welche sich nn sie anschließen, mit Vorstellungen und Gefühlen von Befriedigung, Lebenserfüllung und Glück verknüpft sind, werden von diesen Vorstellungen und Gefühlen aus Zweckhandlungen hervorgerufen, welche auf die Erwerbung eines vermittels dieser Handlungen erreichbaren Gutes gerichtet sind. Oder indem diese Bilder und Gedanken mit Vorstellungen und Gefühlen von Hemmung und Schmerz sich verbinden, entstehen Zweckhandlungen, welche auf die Abwehr des Schädlichen zielen. Befriedigung der Triebe, Erreichen und Erhalten von Lust, von Lebenserfüllung tmd Steigerung des Daseins, Abwehr des Mindernden, Drückenden, Hemmenden: das ist es, was das Spiel unserer Wahrnehmungen und Gedanken mit

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Ideen üiJcr 1ine IJesckm'IJende und sergliedernde Psyclwlogie

um;eren willkürlichen Handlungen zu einem Strukturzusammenhang verbindet. Ein Bündel von Trieben und Gefühlen, da~ ist das Zentrum unserer seelischen Struktur, von welchem aus das Spiel der Eindrücke durch den Gefühlsanteil, der von diesem Zentrum aus ihnen zuteil wird, in die Aufmerksamkeit erhoben, Wahrnehmungen und deren Verbindungen mit Erinnerungen, Gedankenreihen gebildet werden, an welche alsdann Steigerung des Daseins oder Schmerz, Furcht, Zorn sich anschließen. So werden alle Tiefen unseres Wesens bewegt. Und r~bcn von hier aus gehen dann im Obergang des Schmerzes in Sehnsucht, dieser dann in Verlangen, oder in einer anderen Reihe von Gemütszuständen, die willkürlichen Handlungen hervor. Und das ist nun für das ganze Studium dieses seelischen Strukturzusammenhangs das Entscheidende: die Obergänge eines Zustandes in den anderen, das Erwirken, das vom einen zum anderen führt, fallen in die innere Erfahrung. Der Strukturzusammenhang wird erlebt. Weil wir diese 0 bergänge, dies Erwirken erleben, weil wir diesen Strukturzusammenhang, welcher alle Leidenschaften, Schmerzen und Schicksale des Menschenlebens in sich faßt, inne werden, darum verstehen wir Menschenleben, Historie, alle Tiefen und Abgründe des Menschlichen. Wer erführe nicht in sich, wie Bilder, welche der Phantasie sich aufdrängen, plötzlich ein heftigesVerlangen hervorrufen, oder wie dieses im Kampf mit dem Bewußtsein großer Schwierigkeiten doch zu einer Willenshandlung hindrängt? An solchen oder anderen konkreten Zusammenhängen werden wir einzelne Übergänge, einzelnes Erwirken inne, jetzt eine Verknüpfung, dann eine andere, di·ese inneren Erfahrungen wiederholen sich, bald diese bald jene innere Verbindung wird im Erleben wiederholt, bis dann der ganze Strukturzusammenhang in unserem inneren Bewußtsein zu einer gesi.cherten Erfahrung geworden ist. Und nicht nur die großen Teile dieses Strukturzu3am~ menhangs stehen in erlebten inneren Verhältnis3en: solche Verhältnisse können nun auch innerhalb dieser Glieder zum Bewußtsein gebracht werden. Ich sitze vor der Bühne, Harnlet steht dem Geist seines Vaters gegenüber; wie aus dem lebhaften Gefühlsanteil, den ich an dieser Szene nehme, eine Spannung der Aufmerksamkeit in kontinuierlichem Obergang hervorgeht, das kann ich zwar nach früheren Darlegungen nicht direkt inne werden, aber im Erinnerungsnachbilde kann ich es ergreifen und zu jeder späteren Zeit an mir probieren. Ich verbinde Schlüsse zu dem Beweis einer Tatsache, welche mein Lebensgefühl stark beeinflußt, in dieser Verbindung, die von Satz zu Satz schließt, ist überall ein Erwirken von den Prämissen zu den Schlußsätzen. Ich werde der wirkenden Kraft in dem Motiv inne, das mich vorwärts zu einer Handlung treibt. Dieses Innewerde:n, Erleben, Erinnern leistet

Dt1 Struktur tü1 Sulmltlmu

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natürlich nicht für meine- Kenntnis dieser Zusammenhänge das, was die wissenschaftliche Analysis zu leisten vermag. Vorgänge oder Bestandteile können als Faktoren in den Zusammenhang eingehen, ohne daß das in die innere Erfahrung fiele. Aber der erlebte Zusammenhang ist die Grundlage. Dieser seelische Strukturzusammenhang ist nun zugleich Höchste ist: wo sie diese Wirklichkeit nicht zu bestimmen vermag, da paßt sie ihr die eignen Lebensprozesse an und beherrscht die unbändigen Leidenschaften und das Spiel der Vorstellungen durch die innere Tätigkeit des Willens. Das ist da.s Leben. Die dritte Grundeigenschaft dieses Lebenszusammenhanges ist, daß in ihr die Glieder so miteinander verbunden sind, daß nicht eines aus dem anderen nach dem Gesetz der in der äußeren Natur herrschen· den Kausalität, nämlich dem Gesetz der quantitativen und qualitati· ven Gleichheit von Ursache und Wirkung, folgt. In Vorstellungen liegt

Die Enlwick'ung des Sttltn!tbms

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kein zureichender Grund, überzugehen in Gefühle; man könnte sich ein bloß vorstellendes Wesen denken, das mitten in dem Getümmel einer Schlacht gleichgültiger und willenloser Zuschauer seiner eignen Zer&törung wäre. In den Gefühlen liegt kein zureichender Grund, sich umzu&etzen in Willensprozesse. Man könnte denken, daß dasselbe We&en den Kampf um sich mit Gefühlen von Furcht und Entsetzen begleitete, ohne daß doch aus diesen Gefühlen Abwehrbewegungen hervorgingen. Der Zusammenhang zwischen diesen verschiedenartigen, nicht auseinander ableitbaren Bestandteilen ist s u i ge n er i s. Der Name Zweckmäßigkeit klärt die Natur desselben nicht auf, sondern drückt nur ein im Erlebnis des seelischen Zusammenhanges Enthaltenes aus, und zwar drückt er auch dieses nicht ganz aus, sondern nur in einer begrifflichen Abbreviatur. ACHTES KAPITEL

DIE ENTWICKLUNG DES SEELENLEBENS Ein zweiter umfassender Zusammenhang, welcher durch unser Seelenleben hindurchgeht, ist in dessen Entwicklung gegeben. ErS'treckt sich die Struktur desselben gleichsam durch seine Breite, so dehnt sich die Entwicklung in seine Länge aus. Daher wäre in einer beschreibenden Psychologie diesem Gegenstande ein besonderes ausführliches Kapitel zu widmen, und dies ist auch in den älteren mehr beschreibenden Psychologien öfters geschehen: hier soll nur auf diese Ergänzung der Lehre vom Strukturzusammenhang hingewiesen werden. Bei d e A rt e n von Z u s a m m e n h a n g b e d i n g e n einander. Man könnte die Entwicklung des Menschen nicht verstehen ohne die Einsicht in den breiten Zusammenhang seiner Existenz: ja der Ausgangspunkt jedes Studiums der Entwicklung ist diese Erfassung des Zusammenhangs in dem schon entwickelten Menschen und die Analysis desselben. Ist doch hier allein eine in der inneren Erfahrung des Psychologen im hellen Lichte des Mittags vorliegende Wirklichkeit gegeben, wogegen wir in das Halbdunkel der ersten Entwicklung ver· mittels der Beobachtung und des Experimentes an Kindem nur unsichere Einblicke gewinnen. Andererseits erläutert der Zusammenhang der Entwicklungsgeschichte den der Struktur. Indem die beschreibende Psychologie beide Betrachtungsweisen verbindet, strebt sie die Beschreibung und Analysis des reifen und fertigen Typus Mensch gleichsam durch eine allgemeine Biographie dieses Typus zu ergänzen. So können wir ja auch ein Individuum, so nahe es uns stehen mag, doch erst ganz verstehen, wenn wir erfahren, wie es geworden ist. Der m e t h od is c he Gang der Erkenntnis dieser Entwick-

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ltkt,. iihr ti"t !Jesrllni/Jtfldt 11"d urglitdtnttü Psycllofogie

lungsgeschichie ist ein anderer als der Gang des Lebens selber oder seiner Darstellung. Die Erkenntnis selber kann nur analytisch vom erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens zurückgehen auf die Be· dingungen und Faktoren seiner Entwicklung. Beobachten wir unser Verfahren bei der Erfassung der Entwicklungsgeschichte eines kon· kreten Individuums genau, so ist es dasselbe. Denn zuerst müssen wir ein gewi!tses Verständnis des Höhepunktes einer individuellen Ent· wiekJung erlangt haben, bevor wir deren Stufen zu bestimmen ver· mögen, wie denn andererseits von der Kenntnis dieser früheren Stufen her das ausgestaltete individuelle Seelenleben eine hellere Beleuchtung empfängt. Das eingewickelte Leben der ersten Entwicklungs· stufen kann nur aus dem Verständnis dessen, was sich im Typus des Menschen oder in individuellen Typen daraus zu entwickeln pflegt, verstanden werden. Kein Lehrer würde sich in der Seele eines Knaben zurechtfinden, fände er nicht in ihr die Keime dessen, was ihm aus weiteren Entwicklungen bekannt ist. Und zwar sind für das ausgestaltete Seelenleben drei Klassen von Bedingungen seiner Entwicklung zu studieren. Dasselbe steht in irgendeinem Verhältnis von Bedingtsein oder Korrespondenz zu der Entwicklung des Körpers, es ist alsdann von den Einwirkungen des physischen Milieus und von dem Zusammenhang mit der umgebenden geistigen Welt abhängig. Diese Bedingungen wirken auf den Strukturzusammenhang des Seelenlebens. Bestände nicht in dieser Struktur und ihren treibenden Kräften eine Zweckmäßigkeit, welche sie vorwärts bewegte, dann würde der Lebenslauf nicht Entwicklung sein. Daher aus dem blinden Willen von Schopenhauer so wenig die Entwicklung eines Menschen abgeleitet werden kann als aus dem atomistischen Spiel psychischer Einzelkräfte nach der Theorie der Herbartianer oder der halben oder ganzen Materialisten. Triebe und Gefühle bilden sonach das eigentliche Agens, welches vorwärts treibt; die Zweckmäßigkeit und der Zusammenhang, welche in dem Verhältnis dieser Triebe und Gefühle einerseits zu den intellektuellen Vorgängen und andererseits zu den Willenshandlungen gelegen sind, geben den so entstehenden seeli· sehen Veränderungen den Charakter der Anpassung zwischen lndivi· duum und Lebensbedingungen; eine zunehmende Artikulation des Seelenlebens entsteht; die Entwicklung macht zu ihrem Mittelpunkte den erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens; so bildet sich das Einheitliche, Stetige und Zielbestimmte, welches den Begriff der Ent· wicklung ausmacht. Ich erläutere die in diesen Sätzen angegebenen Beziehungen, in welchen der Gedanke der Entwicklung steht, nun genauer. So können

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die einzelnen Begriffe aufgeklärt werden, welche in dem Gedanken der Entwicklung verbunden sind. Zumal der innere ursächliche Zusammenhang, in welchem mit der seelischen Struktur die seelische Entwicklung als die notwendige Folge dieser Struktur verbunden ist, kann vollständig eingesehen werden. Aus der Lehre vom Strukturzusammenhang des Seelenlebens ergibt sich, daß die äußeren Bedingungen, unter welchen ein Individuum steht, mögen sie hemmend oder fördernd sein, jederzeit das Streben auslösen, einen Zustand der Erfüllung der Triebe und des Glückes herbeizuführen oder zu erhalten. Indem nun aber jede feinere Entwicklung der Wahrnehmungen, jede zweckmäßigere Bildung von Vorstellungen oder Begriffen, jede Zunahme des Reichtums an Gefühlsreaktionen, jede größere Anpassung der .Bewegungen an die Triebe, jede Eingewöhnung günstiger Willensrichtungen und passender Verbindungen von Mitteln und Zwecken dahin wirkt, die Befriedigung der Triebe, die Herbeiführung angenehmer Gefühle und die Vermeidung der unangenehmen zu erleichtern: so hat der Strukturzusammenhang, in welchem diese Kausalverhältnisse gegründet sind, die weitere wich· tige Folge, solche feinere Differenzierungen und höhere Verbindungen im Individuum zu begünstigen und zu fördern, di'ese ihrerseits ermöglichen dann eine reich'ere Triebbefriedigung, eine höhere Lebens· und Glücksfülle. Wenn nun ein Zusammenhang der Bestandteile des Seelenleben!> solche Wirkungen auf Lebensfülle, Triebbefriedigung und Glück hat, so nennen wir ihn zweckmäßig. Die Zweckmäßigkeit, die im Seelenleben waltet, ist also eine diesem einwohnende Ei.gen• schaft des Zusammenhangs seiner Bestandteile. Weit entfernt also, daß diese Zweckmäßigkeit aus einem Zweckgedanken außer uns ab· zuleiten. wäre, ist vielmehr jeder Begriff ei-ner außerhalb des Seelen· Iebens wirksamen Zweckmäßiglreit aus dieser inneren Zweckmäßig· keit in einem Seelenleben abgeleitet. Von ihr her ist er übertragen. In unserer seelischen Struktur ist er gelegen. Nur durch Übertragung von ihr her nennen wir irgendeinen Zusammenhang außerhalb derselben zweck· mäßig.. Denn Zwecke sind uns nur in dieser seelischen Struktur ge· geben. Die Anpassung an sie finden wir erfahrungsmäßig nur in ihr ausgeführt. Wir bezeichnen diese Zweckmäßigkeit der seelischen Struktur als subjektiv und immanent. Sie ist subjektiv, weil sie erlebt, in der inneren Erfahrung gegeben ist. Sie ist immanent, weil sie auf keinen Zweckgedanken außerhalb ihrer gegründet wird. Und zwar ist der Begriff der subjektiven und immanenten Zweckmäßigkeit der seelischen Struktur ein zweifacher oder derselbe schließt zwei Momente in sich ein. Er bezeichnet zunächst einen Zusammenhang der Bestandteile des Seelenlebens, welcher unter den wechselnden äuß~ren

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Ideen über eine !Jesckrei/Jende und •ergliedenule Psycllologie

Bedingungen, unter denen alle Organismen leben, Lebensreichtum, Triebbefriedigung und Glück herbeizuführen geeignet ist. Hieran schließt sich ein zweiter Begriff dieser Zweckmäßigkeit. Nach demselben ist in diesem Strukturzusamm'enhang zugleich, die wechselnden Umstände des Lebens vorausgesetzt, die Anlage zu seiner Vervollkommnung enthalten. Und zwar vollzieht sich diese Vervollkommnung in den Formen der Differenzierung und der Herstellung von höheren Verbindungen. Sie besteht aber eben in dem größeren Vermögen, Lebensfi.Hle, Trieberfüllung und Glück herbeizuführen. Von dieser subjektiven immanenten Zweckmäßigkeit unterscheiden wir eine objektive, doch ebenfalls immanente. Ihr Begriff entsteht durch eine Hypothese, wenn man das im Strukturzusammenhang mitangelegte V Lebens hat in sich einen selbständigen Wert, denn jede ist ihren besonderen Bedingungen entsprechend einer Erfüllung mit belebenden, das Dasein steigernden ·und erweiternden Gefühlen fähig. Ja das Leben wäre das vollkommenste, in welchem jeder Moment mit dem Gefühl eines selbständigen Wertes erfüllt wäre. Der Zauber, mit welchem Goethes Leben uns umfängt, liegt eben in diesem. Dieser macht ihn auch zum größten Lyriker aller Zeiten. Rousseau, Herder und Schleiermacher haben diesen Satz theoretisch entwickelt. Sie drück·

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ten nur in einer Formel aus, was die Poesie aller Zeiten in packenden Bildern sichtbar zu machen gewußt hat. Insbesondere der Entwick· lungsroman und der Faust als ein Entwicklungsdrama - eine ganz neue Form von Drama, die voll von Keimen einer großen poetischen Zukunft ist - haben den selbständigen Wert der einzelnen Lebens· epochen des Menschen sichtbar: zu machen unternommen. Die Entwicklung besteht aus lauter Lebenszuständen, deren jeder für sich einen eignen Lebenswert zu gewinnen und festzuhalten strebt. Arm· selig die Kindheit, welche den reiferen Jahren geopfert wird. Töricht die Rechnung mit dem Leben, welche unablässig nach vorwärts drängt und da!. Frühere zum Mittel des Späteren macht. Irriger kann nichts sein, als für die Entwicklung, welche das Leben ausmacht, in der Reife des Lebens das Ziel zu finden, welchem die früheren Zeiten als Mittel dienen. Wie sollten sie auch dienen, ein Ziel zu erreichen, das jedem so ungewiß ist I In der Natur des Lebens liegt vielmehr die Tendenz, jeden Moment mit der Fülle des Wertes zu sättigen. Wir !Iehen nun aber, wie aus der Zweckmäßigkeit der seeli-schen Struk· tur !lieh noch ein anderes Verhältnis der Lebenswerte zu der Entwicklung ergibt. Dieses Verhältnis kann in Widerspruch mit dem ersten zu stehen scheinen, indes bildet es nur seine Ergänzung. Die Zustände, welche die Entwicklungsreihe ausmachen, bilden infolge der Wirk· !lamkeit des zweckmäßigen Strukturzusammenhangs einen Vorgang zunehmender Anpassung durch Differenzierung, Steigerung und höhere Verbindungen. Und da ist nun sehr wichtig, daß in diesem umfa:>senden Vorgang die elementarsten Triebe durch reguläre Befriedigung an Energie abnehmen und so höheren Trieben Platz machen können. Eben durch diesen Zusammenhang einer aufsteigenden Reihe bilden diese Zustände eine Entwicklung. Sie sind also zweckmäßig so miteinander verbunden, daß in dem Fortrücken der Zeit eine breitere, reichere Ent· faltung der Lebenswerte möglich wird. Darin besteht nun eben die Natur der Entwicklung im menschlichen Dasein. Jede Epoche des Lebens hat ihren Wert; aber im Fortschreiten desselben entwickelt sich eine mehr artikulierte, zu höheren Verbindungen geformte Gestalt des Seelenlebens. Und dies Fortschreiten kann zunehmen bis an die äußersten Grenzen des Greisenalters. Hierauf beruht ja das oft gepriesene Glück des Greisenalters und seine moralische Bedeutung. Man erzählt von Kant, daß er im Greisenalter keinen fremden Gedankenkreis mehr in sich aufzunehmen imstande war. Friedeich der Große zeigt dieselbe herbe Abgeschlossenheit in dem praktischen Lebensziel. Die inl'ere Form des Lebens ist fest geworden. Die physische Energie mindert sich stetig, die lebendige Wechselwirkung mit der Außenwelt und anderen Personen nimmt ab, mit allen anderen Organis·

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Ideen über eine !Jeschrezöe11de utui llergliedertuie Psychologie

men unterliegt der greise Körper dem Gesetz der Abnahme, aber ungehindert, unbeeinflußt hiervon kann der große Vorgang der Ausbil· dung einer herrschenden Ideenmasse, einer artikulierten geistigen Organisation, einer Festigung der Gestalt des seeli:schen Lebens bis ans Ende zunehmen. Hieraus ergibt sich das große Gesetz, welches die Momente und Epochen der menschlichen Lebensentwicklung zu einem Ganzen verknüpft. Die Entwicklung im Menschen hat die Tendenz, einen festen Zusammenhang des Seelenlebens herbeizuführen, welcher mit den allgemeinen und besonderen Lebensbedingungen übereinstimmt. Alle Prozesse des Seelenlebens wirken zusammen, um einen solchen Zusammenhang in uns herbeizuführen. Auch den großen Störungen des seelischen Gleichgewichts gegenüber enthält dieser zweckmäßige Zusammenhang in sich eine Kraft der Wiederherstellung. Alles, die Bedingungen, unter denen wir stehen, der seelische Strukturzusammenhang, den sie bestimmen, wirkt zusammen, Gestalt des Seelenlebens zu erwirken. Auch das Unterscheiden und Trennen bringt Verhältnisse hervor und dient somit der Verbindung. Unterscheiden ist untrennbar verbunden mit Bewußtsein des Grades des Unterschieds, sonach einem positiven Verhältnis. Das verneinende Urteil steht als Ausschließung einer Annahme im Dienste der Herstellung richtigerer Verbindungen. Unlust, Abwendung und Abwehr, das ganze Spiel der unlustigen, hassenden und abwehrenden Affekte, die ganze Energie der feindlichen Willenshandlungen dienen der bewußten Sonderung des Daseins, auf welcher die Gestaltung beruht. Daher ohne den Schme.rz, welchen die Pessimisten so töricht gegen die Lust, ein qualitativ ganz anderes, verrechnen, um eine Unterbilanz des Lebenswertes abzuleiten, eine Gestaltung des Seelenlebens und einer geschlossenen vollwertigen Individualität nicht möglich wäre. Die Psychologie erkennt als dieses Ergebnis der menschlichen Entwicklung die Herrschaft eines erworbenen seelischen Zusammenhangs, welcher alle Handlungen und Gedanken bestimmt. Alle menschliche Entwicklung kann nicht mehr leisten, als einen solchen Zusammenhang zu bilden, welcher souverän, den Bedingungen des Daseins angepaßt, in sich geschlossen und bedeutsam sei. Das lag in Napoleons Wort über Goethe "voila un homme". Der Charakter bildet nur eine, doch die wichtigste Seite dieser Vollendung. In aller Wirklichkeit auf der Erde tritt solche Gestalt einer Seele als das Höchste hervor. Und in diesem Sinne bezeichnete Goethe die Persönlichkeit als höchstes Glück der Erdenkinder. Für diese innere Form der Persönlichkeit suchte die Transzendentalphilosophie die Bedingungen. Zunächst ist eine Bedingung dieses synthetischen Vermögens in uns in der Formel von der Einheit des Bewußtseins enthalten. Aber die Transzendental-

Die

Enlwicklt~nc

des SeelenleiJens

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philosophie gräbt tiefer. Und schließlich beruht die außerordentliche Macht derselben im europäischen Denken darauf, daß ihre Formeln in abstracto das Synthetische, spontan Gestaltende, die transzendentale Synthesis der ApperzeptiOn dem empiristischen Seelenaggregat gegenübergestellt haben, das den Charakter, das Genie und den Helden zu Unfaßbarkeiten macht. Ihr Mangel war nur, daß sie das Fortschreitende, Schöpferische zunächst abstrakt in intellektuellen Vorgängen aufsuchte und dann, ganz getrennt von diesen, die anderen Seiten der Menschennatur zergliederte. Im Gegensatz hierzu gehen wir vom Strukturzusammenhang aus. Der bringt denn auch die Zweckmäßigkeit in der inneren Form des Lebens hervor. Diese Gestalt des Seelenlebens, welche sich im Verlauf seiner normalen Entwicklung realisiert, ist, als Entfaltung seiner ursprünglichen Struktur, mit demselben Zug einer inneren Zweckmäßigkeit erfüllt, als das einfachste Auftreten der Struktur sie zeigt. Das will nur sagen, daß da:; Verhältnis, in welchem die Triebe durch die Eindrücke erregt, der Wert derselben in den Gefühlen erlebt und die Anpassung der Außenwelt an sie vollzogen wird, ein Verhältnis, das wir in seiner Wirkung auf Triebe und Gefühl als Zweckmäßigkeit bezeichnen, in der Reife des Lebens seine in diesem Individualleben mögliche Vollendung erfährt. Denn die einheitliebste Ge!>taltung gestattet die größte Entwicklung zweckmäßig wirkender Kraft im Individuum, und zwar ist diese Einheit in dem Maße wertvoller für Selbsterhaltung und Lebensgefühl, in welchem eine ft>inere Differenzierung und höhere Steigerung der einzelnen Strukturen das Material dieser höheren Einigung ausmacht. In diesem Zusammenhang kann nun für die Lehre von der Entwicklung der Standpunkt der beschreibenden Psychologie endgültig bestimmt werden. Eine erklärende Psychologie würde sich zu entscheiden haben zwischen den Hypothesen, welche in bezug auf die Natur des Vorgangs von Entwicklung miteinander streiten: die beschreibende Psychologie vermeidet diese Hypothesen, welche in die tiefsten Gegensätze menschlicher Weltauffassung zurückführen. Sie erzählt, was sie findet, sie hebt die regelmäßige Abfolge der Vorgänge, welche in den menschlichen Individuen stattfindet, heraus. \Vie der Botaniker die Abfolge zunächst beschreiben muß, in welcher von der Zeit ab, wenn die Eichel im Boden quillt, bis zu der, in welcher die Eichel sich wieder vom Baume ablöst, die Vorgänge an der Eiche ein· ander folgen: so, ganz so beschreibt der Psychologe in Entwicklungsgesetzen und in Gleichförmigkeiten der Abfolge in einer seelischen Struktur das Leben in derselben. Diese Entwicklungsgesetze und Gleichförmigkeiten gewinnt er aus den Beziehungen zwischen Milieu, Strukturzusammenhang, Lebenswerten, seelischer Artikulation, erwor-

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Ideen ü!Jer eine !Jesckrei!Jende und •erglkdemde P.tyclwlogi'e

beneni seelischem Zusammenhang, schöpferischen Prozessen und Entwicklung: Momenten, welche in der inneren Erfahrung und ihren Ergänzungen durch die äußere ohne jede Hinzunahme hypoth-;!tischer Kausalverhältnisse anschaulich gegeben sind. Wenn nun im Gegensatz zu diesem beschreibenden Verfahren eine er k 1ä r ende Theorie versucht wird, welche hinter die innere Er· fahrung zurückzugehen strebt, so ist ein Inbegriff eindeutig bestimmter innerpsychischer Elemente unzureichend für die Behandlung des Problems; daher auch erklärende Psychologien, die sich auf solche psychische Elemente in ihrer Konstruktion beschränkt haben, der Lehre von der Entwicklung des Seelenlebens auszuweichen pflegen. Die erklärende Psychologie muß entweder die menschliche Entwicklung in einen universellen metaphysischen Zusammenhang stellen oder in dem allgemeinen Naturzusammenhang aufzufassen streben. Für das Verständnis dermetaphysischen Theorie kann man von dem Ausdruck Entwicklung ausgehen; dieser bezeichnet die Auswicklung eines keimartig Zusammengeschlossenen in einer 5tetigen Abfolge von Vorgängen zu einer Lebensstruktur, in welcher ein größerer Reichtum von Gliedern zu einem lebenswirksamen Ganzen verbunden ist. Hierin ist also enthalten, daß zwischen dem Zusammenhang einer Struktur am Anfangspunkte und der schließliehen Artikulation dieses Zusammenhangs ein Verhältnis besteht, nach welchem der Vollendung5punkt und das Ende in dem Anfang angelegt und auf dem Vollendungspunkt erst zum Vorschein kommt, was im Anfang enthalten war. E5 ist ferner darin enthalten - was im eben Gesagten noch nicht liegt - daß von der einheitlichen Wirkung der entwickelten Struktur au5 der Anfang als ein Keim erscheint, der sich zu einem Ziel hin entfaltet. Hieraus folgt dann, daß wir diesen Höhepunkt als Zweck, der sich in der Entwicklung verwirklicht, auffassen können. Dies sind die empirischen Tatsachen, aus denen Ar ist o t e 1es zuerst den metaphysischen Begriff von Entwicklung ableitete, der dann freilich alle Erfahrung übersteigt. Das Wesen dieses metaphysischen Begriffs liegt darin, daß die eben angegebenen allgemeinsten Züge der Entwicklung, welche der organischen Welt mit dem Seelenleben und dem geschichtlichen Prozeß gemeinsam sind, in eine kosmische Potenz zurückverlegt werden. So geschieht es bei Aristoteles wie bei Leibniz, bei SeheHing wie bei Hege!. Aber aus dieser Weltpotenz blickt uns nur wieder dasselbe Rätsel an, das in den konkreten Entwicklungen liegt. Etwas, das noch nicht ist, aber aus dem Nichtsein durch die Zeit zur Existenz gelangt. Ein Foetus ist da, und es entsteht in ihm an irgendeinem Punkte unser uns bekanntes Bewußtsein. Aus einer allge· meinen unfaßbaren Sinnesenergie bilden sich die einzelnen bekannten

Die E11twiclelu11g de.t Seelmle!Jnu

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Sinnesenergien. Gerade darum glaubt man aus dem Begriff der Ent· wicklung alles herauszaubern zu können - weil alle Möglichkeiten in diesem unbestimmten, rätselhaften, von Widersprüchen erfüllten Begriff stecken. Der naturwissenschaftliche Erfahrungsbegriff der Entwicklung hat das nächste Gebiet seiner Herrschaft innerhalb der organischen Welt. Nicht nur die Geschichte jedes organischen Individuums fällt unter denselben, sondern auch die nachweisbare Abfolge .orga· nischer Formen in dem Gesamtreich des Organischen wird hypothe· tisch unter ihn gebracht, und die Stetigkeit dieser Entwicklung im organischen Reiche, welche sich nicht empirisch aufzeigen läßt, wird durch hypothetische Ergänzungen hergestellt. Fragt man dann nach der Erklärung des empirischen Tatbestandes, so findet man sich auch hier zwischen Hypothesen gestellt. Einmal kann die Entwicklung in der or· ganischen Welt als ein besonderer Fall der Ergebnisse angesehen werden, welche allgemein durch den Mechanismus eines Systems un · veränderlicher Einheiten herbeigeführt werden. Es kann aber auch die Tatsache, daß der erreichte Zustand Bedingung für eine weitere Steigerung der Lebensleistung wird, auf einen einheitlichen Grund in irgendeiner Art zurückzuführen versucht werden. Dieser bildet dann den Erklärungsgrund für das Auftreten eines Prinzips der Steigerung innerhalb der organischen Welt. Die eine Erklärung ist so gut eine Hypothese als die andere. Innerhalb dieser organischen Welt und in ihrem Stufenreich aufsteigender Entwicklungen tritt nun das Seelenleben auf. Sein Auftreten ist das große Rätsel, das auch den Mitteln der Naturerkennt:nis widersteht. Wir können dasselbe empirisch nur an dem Auftreten von Bewegungen feststellen, welche von Reizen und nach dem Prinzip der Struktur hervorgebracht werden. Es geht in aufsteigender Entwicklung der Stufenordnung des Reiches organischer Körper parallel. Ebenso entwickelt sich ein einzelnes tierisches oder menschliches Individuum in den Epochen der Ausbildung, Vollendung und Abnahme übereinstimmend physisch und psychisch zugleich. Da nun aber die psychische Entwicklung in die innere Erfahrung fällt und so erlebt wird, wie sie ist, so zeigen sich hier Eigenschaften der Vorgänge, welche durch keine Hypothese vom Zusammenwirken konstanter phy· sischer Einheiten abgeleitet werden können. So wenig die Geschwindigkeit eines Körpers als Summe der Geschwindigkeiten seiner Teile dargestellt werden kann, so wenig kann aus den inneren Zuständen einzelner unveränderlicher Einheiten vermittels ihrer Wechselwirkung die einheitliche Leistung der Vergleichung, des Urteils, des Vorziehens, der Bildung eines Ideals abgeleitet werden. Es ist so, und kein Ktmst·

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/dun ü!Jtr eint !Jescllreibtnde und •wglitdtrnde Ps7d10kJgie

griff einer materialistischen Theorie kann es verdunkeln: diese Leistungen fordern als ihre Bedingung einen ursprünglichen Zusammenhang, eine Einheit, die nicht aus getrennten Elementen und den Leistungen derselben zusammengeschlossen ist. Diese Erkenntnis emp· fängt eine Erläuterung durch die Darlegung des vorigen Kapitels, nach welcher der Strukturzusammenhang nicht aus Leistungen zusammen· wächst, vielmehr aus ihm sich die feineren Gliederungen differen· zieren, hinter ihn selbst aber nicht zurückgegangen werden kann. Aber die Natur der Einheit, welche so als Bedingung der seelischen Vor· gänge anzunehmen ist, ist uns gänzlich unbekannt. Die Nachforschung nach ihr überschreitet die Grenzen unseres Erkennens. Ja da das, was hinter den körperlichen Erscheinungen steckt, uns unbekannt ist, kann nicht einmal ausgeschlossen werden, daß das, was dessen Wirklichkeit ist, auch den Zusammenhang des Vorstellens, Fühlens und Wollens umfaßt. Aber in jedem Fall ist uns nun in dem seelischen Struktur~ zusammenbang selber ein einheitliches Subjekt der psychischen Ent· wicklung gegeben. Hier schließt sich die obige Darlegung an, nach welcher in diesem Zusammenhang die Triebe das vorwärts in die Ent· wicklung drängende Zentrum ausmachen. Die nähere Natur der psychischen Entwicklung, in ihrem Unter· schied von der physischen, stellt sich in einem negativen Merkmal zunächst dar. Wir können das, was im seelischen Verlauf einem er· reichten Zustande demnächst folgen wird, nicht voraussagen. Nur nach· träglieh können wir die Gründe dessen, was geschehen ist, aufzeigen. Wir können von Motiven aus nicht die Handlungen voraussagen. Wir können nur von den Handlungen aus die Motive nachträglich analytisch feststellen. Wir wissen nicht, was wir in den künftigen Tag hineingeben werden. Und zwar zeigt die geschichtliche Entwicklung diesen seihen Charakter. Gerade in den großen schöpferischen Epochen tritt eine Steigerung ein, welche aus den früheren Stufen nicht ab· geleitet werden kann. Hiermit ist der Punkt erreicht, an welchem die detaillierte Beschreibung und Analyse des Gleichförmigen im menschlichen Lebenslauf hinlänglich vorbereitet sein würde. Für diese Beschreibung und Analyse der menschlichen Entwicklungsgeschichte liegen Materialien vom größten Werte vor. Als eine natürliche Auffassung des Lebens, gleichsam eine Naturgeschichte des Seelenlebens im 18. Jahrhundert in den Gesichtskreis der Gebildeten eintrat, mußte auch die Poesie sich dieser natürlichen Betrachtungsweise menschlicher Entwicklung bemächtigen. Rousseau, der Schöpfer der neuen Art von Poesie, Goethe, Novalis, Dickens, Keller, so viele andere haben einzelne Typen von solchen Entwicklungsgeschichten geschaffen. Hier-

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Die Entwicklung tle.r Seelmii!Jm.r

zu kommt, daß das vorige und das gegenwärtige Jahrhundert unter demselben Einfluß der Richtung auf eine Naturgeschichte des Menschen die moderne Biographie geschaffen hat. Dieselbe ist in gewissem Verstande die am meisten philosophische Form der Historie. Der Mensch als die Urtatsache aller Geschichte bildet ihren Gegenstand. Indem sie das Singulare beschreibt, spiegelt sich doch in demselben das allgemeine Gesetz der Entwicklung. Wie unschätzbar sind dann Selbstbiographien: in dem Anton Reiser von Philipp Moritz und dem Leben von Goethe sind gerade die allgemeinen Züge der Lebensalter herausgearbeitet. Eine wissenschaftliche Behandlung der menschlichen Entwicklungsgeschichte wäre aber noch zu schaffen. Dieselbe hat drei Klassen von Bedingungen in ihrem Einfluß zu studieren: die Entwicklung des Körpers, die Einflüsse des physischen Milieus und die umgebende geistige Welt. In dem Selbst, das unter diesen Bedihgungen sich entfaltet, hat sie dann die Beziehungen der seelischen Struktur nach den Relationen von Zweckmäßigkeit und I:ebenswert zu den anderen Momenten der Entwicklung zu erfassen: wie aus diesen Verhältnissen ein herrschender Zusammenhang der Seele sich entfaltet, "geprägte Form, die lebend sich entwickelt", das ist zu 1eigen: die Bilder der Lebensalter, in deren Zusammenhang diese Entwicklung gelegen ist, sind zu zeichnen, und die Analyse der Lebensalter nach den Faktoren, welche sie bedingen, ist zu vollziehen. Kindheit, in welcher eben aus der Struktur des Seelenlebens das Spiel als eine notwendige Lebensäußerung abgeleitet werden kann. Die Morgendämmerung, in der Höhen und Weiten noch verschleiert daliegen: unendlich alles, die Grenzen der Werte unerkannt, der Hauch der Unendlichkeit über aller Wirklichkeit: in der ersten Unabhängigkeit und der frischen Beweglichkeit aller Regungen der Seele, die ganze Zukunft vor Augen, bilden sich die Ideale des Lebens. Im Gegensatz dazu dann im Greisenalter die Gestalt der Seele herrscherlieh waltend zu derselben Zeit, in welcher die Organe des Körpers unkräftig werden: eine gemischte und gedämpfte Stimmung über dem Leben, welche aus der Herrschaft einer Seele, die vieles in sich verarbeitet hat, über die einzelnen Ge1 mütszustände entspringt: das ist auch, was den künstlerischen Produktionen des Alters ihre eigentümliche Erhabenheit gibt, wie Beethovens neunter Symphonie oder dem Abschluß des Goetheschen Faust. Der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens, welcher in dem entwickelten Menschen vorliegt und gleichmäßig Bilder, Begriffe, Wertbestimmungen, Ideale, festgewordene Willensrichtungen usw. umfaßt, enthält konstante Zusammenhänge, welche gleichförmig in allen menschlichen lndividuen wiederkehren, neben solchen, welche einem D i lt h e y, Gesammelte Schrifteo V,

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/dem ü6er eine 6es&lerewende und •erg-liedemtie Psy&lwlogie

der beiden Geschlechter, einer Rasse, Nation, einem Stande usw., schließlich dem einzelnen Individuum eigentümlich sind. Wie alle Menschen dieselbe Außenwelt haben, so bringen sie in sich dasselbe Zahlensystem, dieselben Raumbeziehungen, dieselben grammatischen und logischen Relationen hervor. Wie sie in den Beziehungen zwischen dieser Außenwelt und einem ihnen gemeinsamen seelischen Strukturzusammenhang leben, entstehen hieraus dieselben Formen des Vorziehens und Wählens, dieselben Verhältnisse von Zwecken und Mitteln, gewisse gleichförmige Beziehungen der Werte, gewisse gleichförmige Züge des Lebensideals, wo es auch auftritt. Die Formeln von der Identität der Vernunft in allen Indivi.duis bei Schleiermacher und Hegel, die von der Identität des Willens in ihnen bei: Schopenhauer sprechen in metaphysischer Abstraktion diese Tatsachen von Verwandtschaft aus. An der Gleichförmigkeit der einzelnen Gebilde, welche der Mensch hervorbringt, an den großen und durchgreifenden Zusammenhängen, welche diese Gebilde zu Systemen der Kultur verknüpfen, an dem konstanten Bestande mächtige·r menschenverbindender Organisationen, welche auf der Verwandtschaft der Menschen untereinander beruhen, hat die Psychologie ein festes standhaftes Material, das eine wirkliche Analysis menschlichen Seelenlebens auch in bezug auf seine inhaltlichen Grundzüge ermöglicht. Der gleichförmige Zusammenhang, welcher so in Struktur und Entwicklungsgeschichte des Seelenlebens sich ausbreitet, enthält nun aber, tiefer durchschaut, in sich die Regeln, von welchen die Gestaltung der Individualitäten abhängig ist. NEUNTES KAPITEL

DAS STUDIUM DER VERSCIDEDENHEITEN DES SEELENLEBENS. DAS INDIVIDUUM Die Erkenntnis von der Natur und dem Werte der Individualität hat sich langsam in der europäischen Menschheit ausgebildet. Sokrates zuerst erhebt sich zu der Bewußtheit über den sittlichen Vorgang in in ihm, welche erst die Durchbildung der einheitlichen Person ermöglicht. Dieses "Erkenne dich selbst" war zunächst auf das Gleichförmi-ge der Menschennatur gerichtet, aber es mußte sich von diesem Allgemeingültigen in ihm, das er zum Lichte des Wissens heraufhob, das Mächtige, Unerforschliche abheben, welches er als Daimonion bezeichnete und das ohne Zweifel der Tiefe der Subjektivität angehörte. Sokrates wurde von da ab für seine Schüler, die Stoa, Montaigne usw. der Typus für den Rückgang des Denkens in die Tiefe der Person. Den nächsten großen Fortschritt machte die Stoa in dem Ideal des Weisen.

Das Studiu"'.. der VencMedenluilm des Seelmlelmu. Das lru/ivid11uM

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In diesem Ideal erhob sich die autonome, in sich geschlossene Person über den Horizont des philosophischen Bewußtseins. Die Betonung des Willens im Denken, die Richtung auf die Ausbildung einer über· zeugung, welche dem Handeln Einheit und Zielbewußtheit zu geben vermag, die Abschließung der Person nach außen durch die Überwindung der Macht äußerer Schmerzen und Vergnügungen, das so entstehende Ideal des Weisen, welcher eben durch die bewußte Macht der gedankenmäßigen Gestaltung einer in sich geschlossenen Persön· lichkeit seinen Schwerpunkt in sich selber hat, mehr ist als Könige und Helden, der Kultus der Freundschaft, in welcher die Verwandt· schaft der Individualitäten die Verbindung herbeiführt: all dies sind Züge des stoischen Lebens und Denkens, welche den Wert der abge· schlosseneo einheitlichen Person unermeßlich gesteigert und ihren Be· griff aufgeklärt haben. Indem nun die Wucht der römischen Persön· lichkeiten sich mit dieser Denkart durchdrang, entstand jene wunder· bare Verbindung römischer Willensenergie mit der aus der Philosophie stammenden bewußten Gestaltung der Person, umstrahlt von dem bei· teren Glanz der gesellschaftlichen Grazie der Griechen, wie sie das Seipionenzeitalter zeigt; es bildete sich die auf die Gestaltung der Persönlichkeit gerichtete unermeßlich wirksame römisch-stoische Literatur; zugleich entwickelte sich das erstaunliche Vermögen der Er· fassung von Individualitäten, welches der Geschiehtschreiber Tacitus zeigt. In dieser geschichtlichen Region entstand die Selbstbesinnung des Christentums. Die Meditationenliteratur des Mittelalters !>etzte diese Richtung fort. Was man als Entdeckung der Individualität in der Renaissance bezeichnet hat, war die Säkularisation dieses relhgiösen Gutes. Der Fortgang von der Erfassung des Begriffs der in sich geschlos· senen einheitlichen Persönlichkeit, wie ihn schließlich die Transzen· dentalphilosophie vollendete, zu dem Begriff der Individualität, wie er heute vorhanden ist, vollzog sich zuerst in der Sphäre der deutschen Transzendentalphilosophie. Moritz, Schiller, Goethe bereiten vor, schließlich ist die Lehre von der Individualität von Humboldt und Schleiermacher formuliert worden. "In der Individualität" - sagt Humboldt - "liegt das Geheimnis alles Daseins" (W. I 20). "Jede menschliche Individualität ist eine in der Erscheinung wurzelnde Idee, und aus einigen leuchtet diese so strahlend hervor, daß sie die Form des Individuums nur angenommen zu haben scheint, um in ihr sich "elbst zu offenbaren. Wenn man das menschliche Wirken entwickelt, bleibt nach Abzug aller dasselbe bestimmenden Ursachen etwas Ursprüngliches in ihm zurück, das, anstatt von ihren Einflüssen erstickt zu werden, vielmehr sie umgestaltet, und in demselben Element liegt

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Ideen über eine besenreibende und zergliedernde Psyc!Jologü

ein unauf~örlich tätiges Bestreben, seiner inneren Natur äußeres Dasein zu verschaffen'' (W. I 22 ). Auch Schleiermacher erblickt in der Individualität einen ethischen Wert, welcher in der Weltordnung angelegt sei: aus der göttlichen Vernunft geht sie als ein ideelles Ganzes hervor: eine Offenbarung der Gottheit. "Da alles sittlich für sich zu Setzende als einzelnes zugleich auch begriffsmäßig von allem anderen verschieden sein muß: so müssen auch die einzelnen Menschen ursprünglich begriffsmäßig voneinander verschieden sein, d. h. jeder muß ein eigentümlicher sein." "Der Begriff eines jeden Menschen, sofern ein solcher vom einzelnen vollendet werden kann, ist ein anderer" (Ethik, Schweizer § 131 ). "Die Mehrheit der Individuen wäre keine sittliche, wenn nicht auch das Sein der Vernunft in jedem ein anderes wäre als im anderen." "Was die Vernunft als Seele des einzelnen bildet, das soll auch den Charakter der Eigentümlichkeit haben und für ihn abgeschlossen sein." Wir unterscheiden. Die Lehre vom Wert der Individualität ist der Ausdruck der damaligen deutschen Kultur, und sie bleibt, in ge· wissen Grenzen gefaßt, eine soziale und ethische Wahrheit, welche nicht wieder verloren gehen kann. Die Behauptung, daß dieser Wert der Individualität zurückweise auf ihr Verhältnis zur Gottheit, daß sie demnach als ein Ursprüngliches, Einheitlich-Gesetztes gedacht werden müsse, das aus der göttlichen Weltordnung hervorgegangen sei, ist als eine unbeweisbare metaphysische Ausdeutung des ethischen Tatbestandes anzusehen. Sie gehört unter die metaphysischen Konzeptionen, welche die Grenzen des Erfahrbaren hinter sich lassen. Sie deutet innere Erfahrungen symbolisch und befestigt sie an einem !>'Ubstantialen Hintergrund. Im Gegensatz hierzu ist die Aufgabe der beschr-eibenden Psychologie, unsere Erfahrungen über die Individualität zu sammeln, die Terminologie für ihre Beschreibung herzustellen und sie zu analysieren. Stellte jene metaphysische Theorie das Allgemeine und das Individuelle beziehungslos, oder doch nur ästhetisch vermittelt, nebeneinander, so ist gerade die Aufsuch11ng der Beziehungen, in welchen zu dem Allgemeinen das Eigentümliche steht, schon in der Schilderung des Geschichtschreibers oder Dichters wie in der Reflexion der Lebenserfahrung das einzige Mittel, die Individualität gleichsam zur Aussprache zu bringen. Die Beschreibung hat nur an den allgemeinen Begriffen, welche nach ihrer Natur Gleichförmigkeiten an dem Besonderen ausdrücken, die Hilfsmittel, um dies Besondere darzustellen. Analysis kann nur Beziehungen des Gleichförmigen zugrunde legen, um die Verhältnisse, welche an einem Eigentümlichen stattfinden, im Denken zu erfassen und darzustellen. Sie muß, um sich dem Besonderen zu

Das Studium d(Y V etsclu~dmlteilm des Seelmle/Jms. Das Individuum

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nähern, eben die Beziehungen zu erfassen streben, in welchen es zum Allgemeinen steht. Ich will die Evangelisten Dürers beschreiben; dann muß ich mich der Allgemeinbegriffe bedienen, welche die Lehre von der bildenden Kunst darbietet, ich muß ferner von den Temperamenten, von ihrer Auffassung in Dürers Epoche sprechen. Will ich dies Kunstwerk analysieren, so muß ich die Hilfsmittel der Malerei, große weltgeschichtliche Charaktere wie ] ohannes oder Petrus hinzustellen, mir zum Bewußtsein bringen; ich muß die Natur von Idealgruppen vorstellen, welche mehrere weltgeschichtliche Personen in vollendeter Ruhe, ohne Verbindung durch eine geschichtliche Handlung, nur in ideale Beziehungen gesetzt, zur Anschauung bringen; ich muß den in diesem allem liegenden allgemeinen Verhältnissen abstrakter Tatsachen, welche der Lehre von der Malerei angehören, dann die konkrete Besonderheit einordnen, welche in der Manier der Renaissance in bezug auf solche Objekte gelegen ist; Leonardo, Michelangelo, Raphael, Dürer usw. müssen als besondere Typen solcher Darstellung historisch bedeutender Menschen sowie der malerischen Behandlung von Idealgruppen historisch-bedeutsamer Personen dem Charakter der Renaissance untergeordnet und so muß dann schließlich dem Werke Dürers der Ort für seine Individualität bestimmt w&den. So sind es überall Beziehungen ,allgemeiner Tatsachen zu dem Individuellen, welche eine Analysis des letzteren ermöglichen. Der Hauptsatz, welcher diese Beziehung ausdrückt, kann von jedem an der entwickelten Individualität analytisch festgestellt werden. In d ividualitäten unterscheiden sich nicht voneinander durch das Vorhandensein von qualitativen Bestimmungen oder Verbindungsweisen in der einen, welche in der anderen nicht wären. Es ist nicht iQ. einer Individualität eine Empfindungsklasse oder eine Klasse von Affekt oder ein Strukturzusammenhang, die :in der anderen nicht wären. Es gibt nicht Personen - außer wo geradezu ein anomaler Defekt vorliegt - , welche nur eine bestimmte Auswahl von Farben oder mehrere als die anderen sähen oder keine Lustgefühle an Farbenempfindungen, an Verbindungen von Tönen knüpfen könnten oder unfähig wären, Zorn oder Mitleid zu fühlen, außerstande, Abwehr gegen Angriffe zu üben. Die Gleichförmigkeit der menschlichen Natur äußert sich darin, daß in allen Menschen (wo nicht anomale Defekte bestehen) dieselben qualitativen Bestimmungen und Verbindungsformen auftreten. Aber die quantitativen Verhältnisse, in denen sie sich darstellen, sind sehr v e r schieden voneinander; diese Unterschiede verbinden sich in immer neuen Kombinationen, und hierauf beruhen dann [zunächst] die Unterschiede der Individualitäten. IS

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/dem ii!Jer 1me hscllreikttd1 und nrgliedemde Psydwlogie

Aus diesen Verschiedenheiten im Quantitativen und seinen Ver· hältnissenentstehen solche, die als qualitative Züge auftre· ten. Da sitzen auf derselben Schulbank der Träumer, der Windhund, der Flatterhafte, der Mühsame, der Eigensinnige nebeneinander. Was wir mit diesen Ausdrücken bezeichnen, sind herrschende qualitative Züge oder typische Verbindungen von solchen. Betrachten wir diese näher, so sind es Züge, welche in jedem vorkommen, die aber z. B. im Eigensinnigen oder Träumerischen eine besondere Stärke erreicht haben, oder es sind quantitative Bestimmungen der Geschwindigkeit, der Folge, des Wechsels usw., wie im Flatterhaften, oder Verbindungen quantitativer Bestimmungen wie im Windhund: kurz, schließlich er· halten hier überall quantitative Bestimmungen in der Menschenbeob· achtung· und ihrer Sprache den Charakter des Qualitativen, ohne da· durch eine Änderung ihrer wahren Natur zu erleiden. An demselben Spieltisch sitzt der Geldgierige, die problematische Natur, der Wüst· ling, der Geck. Es ist zunächst der Stärkegrad eines Triebs und seine Herrschaft über alle anderen in der Seele, was in der Bezeichnung geld· gierig oder Wüstling enthalten ist. Unter einer problematischen Natur aber verstehen wir, indem wir Goethes Begriff weiterzudenken versuchen, eine solche, welche darum nicht klar aufgefaßt werden kann, weil das Mißverhältnis ihres Strebens und ihrer handelnden Leistun· gen, ihrer Ansprüche an das Leben und ihres Vermögens, das Leben wirklich zu bestimmen, sie in so viel Farben schimmern läßt, daß der Betrachter verwirrt wird. Dies ist dann eine Form des bekannten un· seligen Mißverhältnisses zwischen der Stärke edler Gefühle und der Unkräftigkeit der Reaktion zu Handlungen, woraus dann unermeßliche Ansprüche, aus hohen Gefühlen hergeleitet, und das Unvermögen, anderen zu nützen und sie zu beglücken, entspringen. Auch dies ist also eine Beziehung quantitativer Bestimmungen. Diese Kombinationen unterliegen nach einem zweiten Haupt· satz gewissen Rege 1n, welche die M ö g li c h k e i t e n des Zu · sammena u ft retens von q uan ti ta ti ven Verhältnisunter · schieden einschränken. Man kann aus den Stellungen der drei Termini, der Verteilung der Qualitäts- und Quantitätsunterschiede des Urteils in Obersatz und Untersatz eine Tafel möglicher Kombinationen von Obersätzen und Untersätzen zu Schlüssen abstrakt ableiten, daraus folgt aber noch nicht, daß alle diese Kombinationen möglich seien: es sind tieferliegende logische Verhältnisse, welche dann erst hierüber entscheiden. So sind auch unter den in abstracto vorhandenen Möglich· keiten von Kombinationen quantitativer Verhältnisunterschiede in einem seelischen Zusammenhang nicht alle in irgendeiner Individualität möglich. Wohl sind viel mehr Kombinationen möglich, als in

Das Studium der Verscküdenlleiten des Seelenleoens. Das Individuum

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der Regel angenommen wird. Mit einem hohen Grade von Frömmigkeit erwarten wir in der Regel auch einen solchen von Zuverlässigkeit und Treue verbunden zu finden. Dennoch ist dies nicht erforderlich. Die Schlafmütze auf der Schulbank ist auf dem Spielplatz der An· führer der verwegensten Bande. Nicht umsonst mahnt man den Lehrer, seine Schüler auch auf dem Spielplatz zu beobachten, um die Wahr· nehmungen aus dem Schulzimmer zu ergänzen. Der verschiedene Grad von Energie in der Rückwirkung auf den Reiz, den Schulbücher und den Spiele üben, im einen Fall weit unter, im anderen weit über dem Mittelmaß liegend, ist doch sehr wohl in demselben seelischen Zu· sammenhang verträglich. Wie die Eigenschaften einander voraus· setzen und ausschließen, das liegt so tief, daß es dem Blick ge· wöhnlicher Beobachter nicht sichtbar ist. Die Erkenntnis hiervon würde eine Wissenschaft ermöglichen, welche feste Regeln für Menschen· beobachtung und ästhetische oder historische Menschendarstellungen enthielte: beruht doch Menschenkenntnis im tiefsten darin, daß man richtig beurteile, welche Eigenschaften mit gewissen anderen verbun· den sein können oder müssen und welche einander ausschließen. Hier entsteht eines der merkwürdigsten Probleme der Menschen· beobachtung. Je beschränkter jemand ist, desto leichter spricht er von Widersprüchen in den Charakteren. In einem gewissen Sinn wird aber dieser Begriff auch vom kundigsten Menschenbeobachter an· gewandt. Was bezeichnet nun dieser Ausdruck? Ich möchte sagen, daß der Begriff von Widersprüchen in einer Individualität immer erst aus der Vergleichung des empirisch Gegebenen mit der Vorstellung eines logisch geordneten und zweckmäßig wirkenden seelischen Zu· sammenhangs entstehe. Es hat jemand als Arzt eine gute Einsicht in das, was gesund erhält, und er handelt dieser Einsicht heständig zuwider; dies betrachten wir als einen Widerspruch: denn es ist mit unserem Ideal eines logischen und zweckmäßigen Zusammenhangs un· verträglich. Indem wir uns nun die Frage vorlegen, warum wir im Individuum einen zweckmäßigen Zusammenhang voraussetzen und in dem Mangel desselben einen Widerspruch sehen, woher dann aber ein solcher Widerspruch stamme: klären wir uns über die Doppelseitig· keit in dem Begriff des Individuums auf; damit nähern wir uns mm der abschließenden Einsicht in die Natur der Individualität. Die individuelle Anlage Hegt zunächst in den quantitativen Maßen und Maßverhältnissen, welche ein Individuum vom anderen unter· scheiden. Nun ist aber in der Struktur Zweckmäßigkeit wirksam, die Teile der Struktur werden von den Trieben aus ins Spiel gesetzt, und diese wirken im ganzen dahin, 'das Leben unter den gegebenen Umständen zu fördern. So werden sie allmählich diesem Ziele an·

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Ideen über eme !Jesckrei!Jende una 6ergliedernde Psychologie

gepaßt. Durch die Übung werden gleichsam die Bahnen des zur Befriedigung führenden Zusammenhangs eingewöhnt. Ein herrschender Ehrgeiz in einem Politiker überwindet die Schüchternheit des Auftretens, welche unter gewöhnlichen Umständen nicht besiegt worden wäre. Ist bei starkem historischem Interesse das Gedächtnis schwächer ausgebildet, so wird von innlichen Vorgänge sind, vollzieht f>ich hier wie überall auf der Grundlage eines Wissens von einem Zusammenhang. Dieser if>t in den physikalisch-chemischen Wissenschaften die mathematische Kenntnis quantitativer Verhältnisse, in den biologischen Wissenschaften die Leben5zweckmäßigkeit, in den Geisteswissenschaften die Struktur der seelischen Lebendigkeit. So ist diese Grundlage )licht eine logische Abstraktion, sondern ein realer, im Leben gegebener Zu5alllmenhang; dieser ist aber individuell, sonach subjektiv. Hierdurch ist Aufgabe und Form dieser Induktion bestimmt. Eine nähere Gestalt empfangen dann ihre logischen Operationen durch die Natur des sprachlichen Ausdrucks. So spezifiziert sich auf dem engeren 5prachlichen Gebiet die Theorie dieser Induktion durch die Theorie der Sprache: die Grammatik. Besondere Natur der Bestimmung von dem (aus Grammatik) bekannten Zusammenhang, von in bestimmten Grenzen unbestimmten (variablen) Wortbedeutungen und syntaktischen Formel-ementen aus. Ergänzung dieser Induktion auf das Verständnis des Singularen als eines Ganzen (Zusammenhangs) durch die vergleichende Methode, welche das Singulare bestimmt und durch die Verhältnisse zu dem anderen Singularen seine Auffassung objektiver macht. Ausbildung des Begriffes der inneren Form. Aber (Vordringen) zu Realität notwendig = die innere Lebendi"gkeit, welche hinter der inneren Form des einzelnen Werks und dem Zusammenhang dieser Werke steckt. Diese ist in verschiedenen Zweigen der Produktion verf>chieden. Beim Dichter das schaffende Vermögen, beim Philosophen der Zu5ammenhang von Lebens- und Weltanschauung, bei großen praktif>chen Menschen ihre praktische Zweckstellung zur Realität, bei Religiö5en usw. (Paulus, Luther.) Damit Zu5ammenhang der Philologie mit höchster Form des ge5chichtlichen Verstehens. Auslegung und historische Darstellung nnr zwei Seiten der enthusiastischen Vertiefung. Unendliche Aufgabe. So .überliefert die Untersuchung des Zusammenwirkens der allen Erkenntnissen gemeinsamen Prozesse und ihrer Spezifikation unter den Bedingungen des Verfahrens ihr Ergebnis an die Methodenlehre. Ihr Gegenstand ist die geschichtliche Ausbildung der Methode und ihre Spezifikation in den einzelnen Gebieten von Hermeneutik. Ein Beispiel. Die Auslegung der Dichter ist eine besondere Aufgabe. Aus der Regel: besser verstehen, als der Autor sich verstanden hat, löst sich auch das Problem von der Idee in einer Dichtung. Sie ist (nicht als abstrakter Gedanke, aber) im Sinne eines unbewußten Zusammenhangs, der in der Organisation des Werkes wirksam ist und aus dessen innerer Form verstanden wird, vorhanden; ein Dichter braucht sie nicht, ja wird nie ganz bewußt sein; der Ausleger hebt sie heraus und das ist vielleicht der höchste Triumph der Hermeneutik. S o muß die gegenwärtige Regelge.bung, welche für Herbeiführung von Allgemeingültigkeit das einzige Verfahren ist, ergänzt werden durch Darstellung der schöpferischen Methoden genialer Ausleger auf den verschiedenen Gebieten. Denn hierin liegt die anregende Kraft. Bei allen Methoden der Geisteswissenschaften ist dieses durchzuführen. Der Zu5arnmenhang tst dann: Methode der schöpferischen GeZusällle aus d4n HflllliscAriften

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__ _ _ _ ___ ___ _ _____ _!J~ ~ntslellung der Hemuneutill nialität. Die von ihr schon gefundenen abstrakten Regeln, welche subjektiv bedingt sind. Die Ableitung einer allgemeingültigen Regelgebung von erkenntnistheoretischer Grundlage aus. Die hermeneutischen Methoden haben schließlich einenZusammenbang mit der literarischen, philologischen und historischen Kritik, und dieses Ganze l~itet zu Er k 1 ä r u n g der singularen Erscheinungen über. Zwischen Auslegung und Erklärung ist nur gradweiser Unterschied, keine feste Grenze. Denn das Verstehen ist eine unendliche Aufgabe. Aber in den Disziplinen liegt die Grenze darin, daß Psychologie und Wissenschaft von Systemen nun als abstrakte Systeme angewandt werden. Nach dem Prinzip der Unabtrennbarkeit von Auffassen und Wertgeben ist mit dem hermeneutischen Prozeß die literarische Kritik notwendig verbunden, ihm immanent. Es gibt kein Verstehen ohne Wertgefühl - aber nur durch Vergleichung wird der Wert objektiv und allgemeingültig festgestellt. Dies bedarf dann Feststellung des in der Gattung z. B. Drama Normativen. Die philologische Kritik geht dann hiervon aus. Die Angemessenheit wird im ganzen festgestellt, und widersprechende Teile werden ausgeschieden. Lachmann, Ribbecks Horaz usw. Oder aus anderen Werken eine Norm, die unangemessenen Werke ausgeschieden; Shakespeare-Kritik. PlatoKritik. Also ist die (literarische) Kritik die Voraussetzung der philQilogischen: denn eben aus dem Anstoß an Unverständlichem Wld Wert· losem entsteht ihr Antrieb, und die (literarische) Kritik hat als ästhetische Seite der philologischen an dieser ihr Hilfsmittel. Die histor i s c h e Kritik ist nur Eine Branche der Kritik wie die ästhetische in ihrem Ausgangspunkt. Nun, wie hier, überall Fortentwicklung, wie dort zur Literaturgeschichte, Ästhetik usw., .so hier zur Geschiehtschreibung usw. I I. Philologie ist, wie Böckh mit Recht sagt: "das Erkennen des vom menschlichen Geist Produzierten" (Enzyklopädie 10 ). Fügt er paradox hinzu: "d. h. des Erkannten'' : so beruht diese Paradoxie auf der falschen Voraussetzung, daß Erkanntes und Produziertes dasselbe sei. In Wirklichkeit wirken in der Produktion alle geistigen Kräfte zusammen, und in einer Dichtung oder einem Brief des Paulus ist mehr als Erkenntnis. , Faßt man den Begriff im weitesten Sinne, so ist Philologie nichts anderes als der Zusammenhang der Tätigkeiten, durch welche das Geschichtliche zum Verständnis gebracht wird. Sie ist dann der Zusammenhang, welcher auf Erkenntnis. des Singularen gerichtet ist. Auch der Staatshaushalt der Athener ist ein solches Singulares, auch wenn er sich als ein in allgerneinen Verhältnissen darstellbares System zeigt. Die Schwierigkeiten, welche in diesen Begriffen liegen, sind aus dem Verlauf der Entwicklung der Disziplin Philologie und der Disziplin Geschichte auflösbar. Einverstanden muß jeder mit dem durchgreifenden Unterschied

Zusähe aus dm Handscllrfflen

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zwischen der Erkenntnis des Singularen als eines an sich Wertvollen und der Erkenntnis des allgemeinen systematischen Zusammenhangs der Geisteswissenschaften sein. Diese Grenz r e g u l i e r u n g ist ganz klar. Denn daß dabei Wechselwirkung besteht und auch Philologie der systematischen Sachkenntnis der Politik usw. bedarf, ist selbstverständlich (gegen Wundt ). Philologie bildete sich nun aus als die Erkenntnis des in schriftstellerischen Werken Gegebenen. Traten die Denkmale hinzu, so war das, was Schleiermacher symbolisierende Tätigkeit nannte, ihr Gegenstand. Geschichte begann ihrerseits mit politischen Handlungen, Kriegen, ... , Verfassungen. Aber diese Sonderung nach Inhalten wurde überschritten, als die Philologie als p r a k t i s c h e D i s z i p 1i n auch Staatsaltertümer in ihren Bereich zog. Andererseits entwickelte sich der Unterschied von methodischen Tätigkeiten und schließlich geschichtlicher Darstellung. Aber auch dieser Unterschied wurde von der p r a k t i s c h e n Disziplin überschritten, sofern sie die antike Literatur und Kunstgeschichte in ihren Bereich zog. So handelt es sich zwischen Philologie und Geschichte um Grenzregulierung. Die!ie ist nur möglich, wenn man das praktische Interesse der Fakultätswissenschaft aus dem Spiel läßt. Dann am besten Usener. Wenn wir nun den ganzen Vorgang der Erkenntnis des Singularen als Einen Zusammenhang begreifen müssen, so entsteht die Frage, ob man im Sprachgebrauch Verstehen und Erklären sondern könne. Dies ist unmöglich, da allgemeine Einsichten durch ein der Deduktion analoges Verfahren, nur ungelöst, als Sachkenntnis in jedem Verstehen mitwirken, nicht bloß psychologische, sondern auch usw. Sonach haben wir es mit einer Stufe !l f o 1g e zu tun. Da, wo bewußt und m e t h o d i s c h die a 11 g e meinen Einsich t e n an g e w a n d t werden, um das Singulare zu allseitiger Erkenntnis zu bringen, erhält der Ausdruck Erklären für die Art der Erkenntnis des Singularen seinen Ort. Er ist aber nur berechtigt, sofern wir uns bewußt halten, daß von einer vollen Auflösung des Singularen in das Allgemeine nicht die Rede sein kann. Hier löst sich die Streitfrage, ob die Besonnenheit psychischer Erfahrungen das Allgemeine sei, das dem Verstehen zugrunde liege, oder die Wissenschaft der Psychologie. Vollendet sich die Technik des Erkennens des Singularen als Erklären, so ist die Wissenschaft der Psychologie ebenso die Grundlage als die anderen systematischen Geisteswissenschaften. Dies Verhältnis habe ich schon an der Ge!ichichte nachgewiesen. 111. Das Verhältnis der Kunstlehre zu dem Verfahren der Auslegung selbst ht hier ganz dasselbe, das Logik oder Ästhetik uns zeigen. Das Verfahren wird durch die Kunstlehre auf Formeln gebracht, und diese werden auf den Zweckzusammenhang zurückgeführt, in welchem das Verfahren entsteht. Durch eine solche Kunstlehre wird jedesmal die Energie der geistigen Bewegung verstärkt, deren Ausdruck sie ist. Denn die Kunstlehre erhebt das Verfahren zur bewußten Virtuosität: Uilthey, Bes:Lmmt"lte ScllriftP.n V

338 Die Entstellung der Hennmeutill sie entwickelt es zu den durch die Formel ermöglichten Konsequenzen; indem sie die Rechtsgründe desselben zur Erkenntnis bringt, steigert sie die Selbstgewißheit, mit der es geübt wird. Tiefer aber reicht eine andere Wirkung. Wir müssen, um diese Wirkung zu erkennen, über die einzelnen hermeneutischen Systeme hinaus zu deren geschichtlichem Zusammenhang fortschreiten. Jede Kunstlehre ist auf das in einem bestimmten Zeitraum geltende Verfahren eingeschränkt, dessen Formel sie entwickelt. So entsteht für Hermeneutik und Kritik, für Ästhetik und Rhetorik, für Ethik und Politik, sobald das geschichtliche Denken hierzu reif geworden ist, die Aufgabe, schließlich die ältere Grundlegung aus dem Zweckzusammenhang durch eine neue geschichtliche zu ergänzen. Das geschichtliche Bewußtsein muß sich über das Verfahren einer einzelnen Zei.tepoche erheben, und es kann dies leisten, indem es alle voraufge .. gangeneo Richtungen innerhalb des Zweckzusammenhangs der Tilterpretation ,und Kritik, der Poesie und der Beredsamkeit in sich ver~melt, gegeneinander abwägt und abgrenzt, ihren Wert aus ihrem Verhältnis zu diesem Zweckzusammenhang selbst aufklärt, die Grenzen, in welchen sie seiner menschlichen Tiefe genügen, bestimmt, und so schließlich alle diese geschichtlichen Richtungen innerhalb eines Zweckzusammenhangs als eine Reihe in ihm enthaltener Möglichkeiten begreift. Für diese geschichtliche Arbeit ist es nun al>er von entscheidender Bedeutung, daß sie mit den Formeln der Kunstlehre als mit Abbreviaturen geschichtlicher Richtungen rechnen darf. So liegt also in dem Denken über das Verfahren, durch welches ein Zweckzu&ammenhang die in ihm enthaltenen Aufgaben zu lösen vermag, eine innere Dialektik, welche dies Denken durch geschichtlich begrenzte R~chtungen hindurch, durch Formeln hindurch, welche diesen Richtungen entsprechen, fortschreiten läßt zu einer Universalität, die immer und überall an das geschichtliche Denken gebunden ist. So wird hier, wie .überall das geschichtliche Denken selber schöpferisch, indem es die Tätigkeit des Menschen in der Gesellschaft über die Grenzen des Momentes und des Ortes erhebt. Dies ist der Gesichtspunkt, unter dem das geschichtliche Studium der hermeneutischen Kunstlehre mit dem des auslegenden V erfahrens verbunden ist, beide zusammen aber mit der systematischen Aufgabe der Hermeneutik zusammenhängen.

DAS WESEN DER PHILOSOPHIE (1907)

EINLEITUNG Wir sind gewohnt, gewisse geistige Erzeugnisse, die im Verlauf der Geschichte bei den verschiedenen Nationen in großer Zahl entstanden sind, unter der Allgemeinvorstellung Philosophie zusammel'lzufassen. Wenn wir dann das Gemeinsame in diesen einzelnen, vom Sprachgebrauch als Philosophie oder als philosophisch bezeichneten Tatbeständen in einer abstrakten Formel ausdrücken, so entsteht der Begriff der Philosophie. Die höchste Vollendung dieses Begriffes wäre erreicht, wenn er das Wesen der Philosophie zu adäquater Darstellung brächte. Ein solcher Wesensbegriff würde das Bildungsgesetz aussprechen, das in der Entstehung jedes einzelnen philosophischen Sy· stems wirksam ist, und die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den ihm untergeordneten Einzeltatsachen würden sich aus ihm ergel:.en. Eine Lösung dieser idealen Aufgabe ist nur unter der Voraus· setzung möglich, daß in dem, was wir mit dem Namen Philosophie oder philosophisch beze~chnen, auch wirklich ein solcher allgemeiner .:iachverhalt enthalten ist: dergestalt, daß ein Bildungsgesetz in all diesen Einzelfällen wirkt und so ein innerer Zusammenhang das ganze Gebiet dieser Namengebung umfaßt. Und so oft vom Wesen der Philosophie gesprochen wird, ist dies die Annahme. Mit dem Namen Philosophie wird dann ein aJJ,gemeiner Gegenstand gemeint; hinter den Einzeltatsachen wird ein geistiger Zusammenhang vorausgesetzt, als einheitlicher und notwendiger Grund der empirischen Einzeltatsachen von Philosophie, als· die Regel ihrer Veränderungen und als das Ord· nungsprinzip, das ihre Mannigfaltigkeit gliedert. Kann nun in diesem genauen Verstande von einem Wesen der Philosophie gesprochen werden? Es ist das keineswegs selbstverständlich: Der Name Philosophie oder philosophisch hat so viele nach Zeit und Ort verschiedene Bedeutungen, und so verschiedenartig sind die geistigen Gebilde, die von ihren Urhebern mit diesem Namen bezeichnet worden sind, daß es scheinen könnte, die verschiedenen Zeiten hätten an immer andere geistige Gebilde das schöne von den

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Das Wesen der Phi!osophte

Griechen geprägte Wort Philosophie geheftet. Denn die einen verstehen unter Philosophie die Grundlegung der Einzelwissenschaften; andere erweitern diesen Begriff der Philosophie, indem sie solcher Grundlegung die Aufgabe hinzufü.gen, aus ihr den Zusammenhang der Einzelwissenschaften abzuleiten; oder Philosophie wird auf den Zusammenhang der Einzelwissenschaften eingeschränkt; dann wieder wird Philosophie definiert als die Geisteswissenschaft, die Wissenschaft der inneren Erfahrung; endlich versteht man unter ihr auch die Verständigung über die Lebensführung oder die Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten. Wo ist das innere Band, das so verschiedenartige Fassungen des Begriffs der Philosophie, so mannigfache Gestalten derselben miteinander verknüpft - das einheitliche Wesen der Philosophie? Kann ein solches nicht gefunden werden, dann haben wir es nur mit verschiedenen Leistungen zu tun, die unter wechselnden geschichtlichen Bedingungen als Bedürfnis der Kultur hervortraten, und die nur äußerlich und durch die historischen Zufälle der Namengebung eine gemeinsame Bezeichnung tragen - es gibt dann Philosophien, aber keine Philosophie. Dann hat auch die Geschichte der Philosophie keine innere notwendige Einheit. Sie empfängt dann unter der Hand der einzelnen Darsteller je nach dem Begriff, den diese im Zusammenhang ihrer eignen Systeme von ihr sich bilden, immer wieder einen anderen Inhalt und einen anderen Umfang. Es mag der eine diese Geschichte darstellen als den Fortgang zu einer immer tiefer reichenden Begründung der Einzelwissenschaften, ein anderer als die fortschreitende Besinnung des Geistes über sich selbst, ein anderer als die zunehmende wissenschaftliche Verständigung über die Lebenserfahrung oder die Lebenswerte. Um nun zu entscheiden, wiefern von einem Wesen der Philosophie zu sprechen ist, müssen wir uns von den Begriffsbestimmungen der einzelnen Philosophen zu dem geschichtlichen Tatbestand der Philosophie selbst wenden: dieser gibt das Material für die Erkenntnis dessen, was Philosophie ist; das Ergebnis dieses induktiven Verfahrens kann dann tiefer in seiner Gesetzmäßigkeit verstanden werden. Nach welcher Methode kann nun die Aufgabe gelöst werden, aus dem historischen Tatbestande das Wesen der Philosophie zu bestimmen? Es handelt sich hier um ein allgemeineres methodisches Problem der Geisteswissenschaften. Die Subjekte aller Aussagen in denselben sind die gesellschaftlich aufeinander bezogenen individuellen Lebenseinheiten. Das sind zunächst die Einzelpersonen. Ausdrucksbewegungen, Worte, Handlungen sind die Manifestationen derselben. Und die Aufgabe der Geisteswissenschaften ist, diese nachzuerleben und denkend zu erfassen. Der seelische Zusammenhang, der sich in

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Einleitung. Die geullswissms:!Yiftliclu M eiMde

diesen Manifestationen ausdrückt, ermöglicht es, in denselben ein typisch Wiederkehrendes aufzuweisen und die einzelnen Lebensmomente in den Zusammenhang von Lebensphasen und zuletzt in den der Lebenseinheit zu bringen. Die Individuen existieren aber nicht isoliert, son· dern sie sind aufeinander bezogen in Familien, Zusammengesetzteren Verbänden, Nationen, Zeitaltern, schließlich der Menschheit selbst. Die Zweckmäßigkeit in diesen singularen Organisationen ermöglicht die typischen Auffassungsweisen in den Geisteswissenschaften. Doch erschöpft kein Begriff den Gehalt dieser individuellen Einheiten, viel· mehr kann die Mannigfaltigkeit des anschaulich in ihnen Gegebenen nur erlebt, verstanden und beschrieben werden. Und auch ihre Verwehung im geschichtlichen Verlaufe ist ein Singulares und für da.s Denken unausschöpfbar. Nicht willkürlich indes sind die Formungen, die Zusammenfassungen des Singularen. Es gibt keine unter ihnen, die nicht der Ausdruck der erlebten Struktureinheit des individuellen und Gemeinschaftslebens wäre. Es gibt keine Erzählung eines noch so einfachen Tatbestandes, welche ihn nicht zugleich verständlich zu machen suchte, indem sie ihn allgemeinen Vorstellungen oder Begriffen von psychischen Leistun~n unterordnet; keine, welche nicht das vereinzelt in die Wahrnehmung Fallende auf Grund der verfügbaren all· gemeinen Vorstellungen oder Begriffe zu einem Zusammenhang ergänzend verknüpfte, wie ihn das eigne Erleben darbietet; keine, welche nicht nach den erreichbaren Erfahrungen von Lebenswerten, Wirkungs· werten, Zwecken die Einzelheiten, auswählend und verbindend, zu einem Bedeutsamen, Sinnvollen vereinigte. In der $eisteswissenschaft· liehen Methode liegt die beständige Wechselwirkung des Erlebnisses und des Begriffs. In dem Nacherleben der individuellen und kollek· tiven Strukturzusammenhänge finden die geisteswissenschaftlichen Begriffe ihre Erfüllung, wie anderseits das unmittelbare Nacherleben selbst vermittels der allgemeinen Formen des Denkens zu wissenschaftlicher Erkenntnis erhoben wird. Wenn diese beiden Funktionen des geisteswissenschaftlichen Bewußtseins zur Deckung gelangen, clann erfassen wir das Wesenhafte der menschlichen Entwicklung. Kein Be· griff soll in diesem Bewußtsein sein, der sich nicht geformt hat an der ganzen Fülle des historischen Nacherlebens, kein Allgemeines soll in ihm sein, das nicht Wesensausdruck einer historischen Realität ist. Nationen, Zeitalter, geschichtliche Entwicklungsreihen - in diesen Formungen schaltet nicht freie Willkür, sondern, gebunden an die Notwendigkeit des Nacherlebens, suchen wir in ihnen das Wesenhafte der Menschen und der Völker zur Klarheit zu erheben. Man verkennt sonach vollständig das Interesse, das der denkende MenStrebt und so zu ihren Gegenständen das Wahre, Schöne und das Gute hat, ist das erste Ergebnis der Besinnung der Philosophie über sich selbst: eine unermeßliche Wirkung ging von ihr aus, und der Kern des wahren Wesensbegriffs der Philosophie war in ihr enthalten. Der sokratisch-platonische Begriff der Philosophie wirkt nach in der Einteilung derselben bei Aristoteles. Philosophie zerfällt nach ihm in die theoretische, poietische und praktische Wissenschaft; sie ist theoretisch, wenn ihr Prinzip und Ziel das Erkennen ist, poietisch, wenn ihr Prinzip im künstlerischen Vermögen gelegen ist und ihr Ziel in einem hervorzubringenden Werke, und sie ist praktisch, wo ihr Prin· zip der Wille ist und ihr Ziel die Handlung als solche. Und zwar um· faßt die poietische nicht nur die Theorie der Kunst, sondern jegliches Wissen technischer Art, das seinen Zweck nicht in der Energie der Person, sondern in der Herstellung eines äußeren Werkes hat. Aber Aristoteles hat seine Philosophie nicht wirklich nach dieser in Platon gegründeten Einteilung gegliedert. Ein veränderter Beg r i f f derselben gelangte mit ihm zur Geltung. Philosophie ist ihm nicht mehr höchste Steigerung der Pe·rsönlichkeit und der menschlichen Gesellschaft durch das Wissen: sie suclit das Wissen um seiner sdbst willen: das philosophische Verhalten ist ihm charakterisiert durch die theoretische Bewußtseinsstellung. Wie die veränderliche, doch vernunftgemäße Wirklichkeit gegründet ist in dem wandellosen und seligen Denken der Gottheit, das keinen Zweck und kein Objekt außer sich selbst hat: so hat dann schließlich die höchste unter diesen veränderlichen Wirklichkeiten, die mensch~iche Vemu:rift, ihre oberste Funktion in dem rein theoretischen Verhalten als dem vollkommensten und glücklichsten für den Menschen : dieses aber ist ihm nun Philosophie; denn sie begründet und umfaßt alle Wissenschaften. Sie schafft eine Theorie des Wissens als Grundlage jeglicher Art von wissenschaftlicher Arbeit, ihr Mittelpunkt ist dann eine universale Wissen· schaft des Seins: erste Philosophie, für die in der Schule der Aus· druck Metaphysik sich bildete; auf die in dieser ersten Philosophie

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Das Wesen der Pltüosopltu. I. Teil. Hisloriseiles VeifaAren

durchgebildete teleologische Weltauffassung gründet sich schließlich der Zusammenhang der Wissenschaften, welcher von der Erkenntnis der Natur durch die Lehre vom Menschen zur Bestimmung des letzten Zweckes für die Indivkl.uen uhd die Gesellschaft reicht. Und nun ermöglicht das neue aristotelische Prinzip des ursächlich wirker;den Zweckes, auch das Veränderliche der empirisch gegebenen Wirklichkeit dem Denken zu unterwerfen. So entsteht der neue Begriff der Philosophie: als die Einheit der Wissenschaften bildet sie den objektiven Wirklichkeitszusammenhang in Begriffen ab, der von der Erkenntnis Gottes bis zur Erkenntnis der Zwecksetzung im Menschen reicht. Der griechischen Unterordnung der Einzelwissenschaften unter die Philosophie entsprach die Organisation der Philosophenschulen. Diese Schulen waren nicht nur Mittelpunkte der Diskussion über die Prinzipien, sondern auch Arbeitsstätten positiver Forschung. In wenigen Generationen gelangte eine ganze Anzahl von Naturwissenschaften wie von Geisteswissenschaften in diesen Schulen zu ihrer Konstituierung. Es ist Grund anzunehmen, daß schon vor Platon irgendeine Ordnung und Stetigkeit in Schulung und gemeinsamer Arbeit nicht nur die Pythagoreer, sondern auch die Schüler anderer älterer Denker mit diesen und untereinander verbunden hat. Im hellen Lichte der beglaubigten Geschichte treten uns dann die Akademie und die peripatetische Schule entgegen, als rechtlich geordnete Verbände, in denen die Einheit des philosophischen Grundgedankens die einzelnen Wissenschaften zusammenhielt und die Leidenschaft der reinen Wahrheitserkenntnis jeder positiven Arbeit Leben und Beziehung auf das Ganze mitteilte: ein unerreichtes Vorbild schöpferischer Macht einer solchen Organisation. Platons Schule war eine Zeitlang Mittelpunkt der mathematischen und astronomischen Forschung; die gewaltigste wissenschaftliche Arbeit aber, die je in einer so beschränkten Zeit und an einer Stelle getan worden ist, vollbrachte die Genossenschaft um Aristoteles her. Die Grundgedanken der teleologischen Struktur und der Entwicklung, die Methode der Beschreibung, Zergliederung und Vergleichung führten in dieser Schule zur Konstituierung der beschreibenden und zergliedernden Naturwissenschaften wie der Politik und der Kunstlehre. In dieser Organisation der Philosophenschulen hat der griechische Begriff der Philosophie als der Gesamtwissenschaft seinen höchsten Ausdruck gefunden. Es geschah dies, indem die Seite im Wesen der Philosophie sich geltend machte, nach welcher eine gemeinsame Aufgabe die Philosophierenden zu gemeinsamer Leistung verbindet. Denn überall, wo derselbe Zweckinhalt in einer Anzahl von Personen wiederkehrt, setzt er die Individ.uen in Zusammenhang untereinander. Hierzu

35I tritt in der Philosophie die verbindende Kraft, welche in ihrer Richtung auf Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit gelegen ist. Die einheitliche Leitung der wissenschaftlichen Arbeit, wie sie in der Schule des Aristoteles ihre höchste Entwicklung gefunden hat, zerfiel wie das Reich Alexa.nders. Die Einzel wissenschalten reiften nun zur Selbständigkeit heran. Das Band, das sie zusammengehalten hatte, zerriß.Die Nachfol,ger Alexanders begründetenaußerhalb der philosophischen Schulen Anstalten, welche dem Einzelbetrieb der Wissenschaften dienten. Hier lag ein erstes Moment, das der Philosophie eine veränderte Stelle gab. Die Einzelwissenschaften besetztenallmählich das ganze Reich des Wirklichen in einem Verlauf, der inderneueren Zeit dann wieder einsetzte und auch heute noch nicht zum Abschluß gelangt ist. Wenn die Philosophie irgendeinen Kreis der Forschung der Reife entgegengefiih'rt hatte, löste dieser sich aus ihrem Verbande. So ist es ihr zuerst mit den Naturwissenschaften gegangen; in der neueren Zeit schritt dann dieser Prozeß der Differenzierung fort: allgemeine Rechtswissenschaft wurde seit Hugo de Groot und vergleichende Staatslehre seit Montesquieu selbständig; he,ute macht sich unter den Psychologen das Streben nach Emanzipation ihrer Wissenschaft geltend, und wie allgemeine Religionswissenschaft, Kunstwissenschaft, Pädagogik, Sozialwissenschaft in dem Studium der historischen Tatbestände und in der Psychologie fundiert sind, muß auch ihre Stellung zur Philosophie fraglich werden. Diese immerfort zunehmende Verschiebung in den Machtverhältnissen innerhalb des Bezirks des Wissens stellte gleichsam von außen der Philosophie die Aufgabe neuer Abgrenzungen ihres Gebiets. In ihrer inneren Entwicklung aber lagen Momente, die noch weit stärker hierauf wirkten. Denn eben in dem Zusammenwirken jenes äußeren Faktors mit den von innen wirkenden Kräften entstand nun die Veränderung in der Stellung der Philosophie, welche von dem Auftreten der Skeptiker, Epikureer und Stoiker bis auf die Schriftstellerei des Cicero, Lucretius, Seneca, Epictet und Mare Aurel sich entwickelte. Innerhalb der neuen Machtverhältnisse im Gebiete des Wissens machte das Mißlingen der metaphysischen Welterkenntnis, die Ausbreitung des skeptischen Geistes und eine in den alternden Nationen entstandene Wendung in die Innerlichkeit sich geltend: es entwickelte sich die Lebens p h i I o so p h i e. In ihr tritt uns eine neue Stellung des philosophischen Geistes entgegen, die für alle Zukunft von der größten Bedeutung sein sollte. Noch wurde das Problem der großen Systeme in seinem ganzen Umfang festgehalten. Doch die Forderung seiner allgemeingültigen Lösung wurde immer läßlicher gehandhabt. Die Gewichtsverteilung lwischen den einzelnen Aufgaben wurde eine andere; dem Prohl'!m von Wert und

Du Plrilosopleensclrulen. E mansijJation d. E irueJwissensclraften. Le!Jensplrilosopkie

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Das Wesen der_!_hilo!__ophie. I. Tei':__ljistor!!_~s__ !'_~rjahr~n_

Zweck des Lebens ordnete sich nun das vom Weltzusammenhang unter; im römisch-stoischen System, dem wirksamsten, das die Welt gesehen hat, trat die personbildende Macht der Philosophie in den Vordergrund. Die Struktur der Philosophie, die Anordnung und das Verhältnis ihrer Teile wurde eine andere. Dieser Veränderung in der Stellung der Philosophie entsprach nun auch das Auftreten neuer Begriffsbestimmungen für dieselbe. Die Philosophie ist in dieser von Cicero vertretenen Wendung "Lehrerin des Lebens, Erfinderio der Gesetze, Anleiterio zu jeder Tugend", und Seneca definiert sie als die Theorie und Kunst der richtigen Lebensführung. Es ist damit gegeben, daß sie eine Lebens· verfassung ist, nichl bloße Theorie, und so gebraucht man gern den Ausdruck Weisheit für sie. Aber geht man von dem neuen Begriff der Philosophie auf die Stellung derselben zurück, die er ausdrückt: so hat sie sich doch in völliger Kontinuität aus den großen metaphysischen Systemen entwickelt, ihr Problem tritt nur unter neue Bedingungen. Lange Jahrhunderte hindurch hat dann die Philosophie, wie dieser Zug in die unergründlichen Tiefen des Wesens der Dinge die alternde Welt zur Religion führte, in der Unterordnung unter die Religion ihr wahres Wesen verloren; die Stellung, die sie nun zur Aufgabe einer allgemeingültigen universalen Erkenntnis einnahm, die Begriffe von ihr, die so entstanden, gehören nicht in die Linie der reinen Entwicklung ihres Wesens: in der Theorie von den Zwischengliedern zwischen Philosophie und Religion wird davon zu reden sein. 2.

Die Formen der Philosophie in der modernen Zeit, wie s1e in den Begriffen von ihr zum Ausdruck gelang·t sind.

Als nun nach den Vorbereitungen der Renaissance, in denen eine sich verweltlichende Kunst, Literatur und mit ihr verwandt eine freie Lebensphilosophie die Kultur beherrschten, die ;Wissenschaften der Natur sich definitiv konstituierten und die der Gesellschaft zum erstenmal in dem natürlichen System den Charakter eines von einer Idee getragenen Zusammenhangs annahmen, als so die Erfahrungswissenschaften die Erkenntnis des Universums nach ihren Methoden zu verwirklichen unternahmen: da entstand im 17. Jahrhundert ein neues Verhältnis der Kräfte der geistigen Kultur. Der Mut zu strengem allgemeingültigem Wissen und der Umgestaltung der Welt durch dasselbe durchdrang die leitenden Völker: in ihm waren die Einzelwissenschaften und die Philosophie verbündet: sie traten so in den schärf~ien Gegensatz zur Religiosität und ließen Kunst, Literatur, Lebemphilosophie hinter sich; daher wurde die Richtung auf objektive \Velterkenntnis mit dem Charakter der Allgemeingültigkeit, wie sie in den

Die konstruktive Methode der metaphysischen Systeme des I7. Jahrhunderts

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großen Systemen des Altertums geherrscht hatte, unter den neuen Bedingungen noch zielbewußter und methodischer durchgeführt. So änderte sich aur.h der Charakter und der Begriff der Metaphysik. Sie war aus der naiven Stellung zur Welt durch den Zweifel hindurch zur bewußten Erfassung des Verhältnisses des Denkens zur Welt vorwärts gegangen; nun sondert sie sich von den Einzelwissenschaften durch das Bewußtsein über ihre besondere Methode. Sie findet auch jetzt den ihr eignen Gegenstand im Sein, das uns in keiner Einzelwissenschaft als solcher gegeben ist; aber in der methodischen Forderung strenger Allgemeingültigkeit und in einer fortschreitenden Selbstbesinnung über das metaphysische Verfahren liegt ein unterscheidendes Moment ihrer neuen Entwicklung. Jene Forderung verbindet sie mit den mathematischen Naturwissenschaften, und der methodische Charakter der Universalität und der letzten Begründung sondert sie von ihnen. Das diesem neuen methodischen Bewußtsein entsprechende Verfahren gilt es demnach festzustellen. a) Der neue Begriff der Metaphysik. Descartes unternahm sofort nach der Begründung der Mechanik, seine neue konstruktive Methode ftir die Bestimmung des Wesens der Philosophie zu benutzen. Das erste Merkmal dieser Methode nach ihrem Gegensatz zu den Einzelwissenschaften lag in der allgemeinsten Fassung des Problems und dem Rückgang von den ersten Annahmen derselben zu einem obersten Prinzip. Hier brachte sie Grundzüge, die im Wesen der Philosophie gelegen sind, nur zu einem vollendeteren Ausdruck als irgendein früheres System. In der Methode der Durchführung lag aber nun ihre geniale Eigentümlichkeit. Die mathematischen Naturwissenschaften enthalten Voraussetzungen in sich, die jenseit der Einzelgebiete der Mathematik, Mechanik, Astronomie gelegen sind. Stellt man diese in evidenten Begriffen und Sätzen dar und erfaßt man den Rechtsgrund ihrer objektiven Geltung, so kann auf sie ein konstruktives Verfahren gebaut werden; damit erhält die mechanische Betrachtung erst ihre Sicherheit und die Möglichkeit weiterer Ausdehnung. Descartes machte dies Galilei gegenüber geltend, und hierin erblickte er die Überlegenheit des Philosophen gegen den Physiker. Desselben konstruktiven Verfahrens bedienten sich dann Hobbes und Spinoza. Eben in seiner Anwendung auf die Wirklichkeit - deren gegebene Eigenschaften er natürlich überall dabei voraussetzt - ergibt sich Spinozas neues pantheistisches System der Identität von Geist und Natur: es ist eine Interpretation der in der Erfahrung gegebenen Wirklichkeit auf Grund der einfachen evidentoo Wahrheiten; in dieser Metaphysik der Identität ist dann die Lehre von dem ursächlichen Nexus der seelischen Zustände gegründet, der durch die Sklaverei D i I t b e y, Gesammelte Schriften V

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Das Wesen der Plti!osopltie. /. Teil. Historisc!Jes Verfaltren

der Leidenschaften zur Freiheit führt. Leibniz endlich ist in der Durchführung dieser neuen philosophischen Methode weitergekommen als irgendein anderer. Bis zu seinem Tode ist er mit der herkulischen Arbeit beschäftigt gewesen, seine neue allgemeine Logik als Grundlage des konstruktiven Verfahrens auszubilden. Die Abgrenzung der Philosophie durch das Merkmal der Methode hat seit dem 1 7. Jahrhundert in den metaphysischen Systemen sich erhalten. Die konstruktive Methode dieser Denker erlag dann der Erkenntn i s k r i t i k von Locke, Hume und K.ant, wenn auch in Leibniz gerade für eine Theorie des Wissens Grundlagen bestehen bleiben, die erst in der neuesten Zeit ihr volles Verständnis finden. Der Schluß aus der Evidenz der einfachen Begriffe und Sätze auf ihre objektive Geltung erwies sich als unhaltbar. Die Kategorien der Substanz, der Kausalität und des Zweckes wurden auf die Bedingungen des auffassenden Bewußtseins zurückgeführt. Wenn die Sicherheit der Mathematik diese konstruktive philosophische Methode garantiert hatte, so zeigte K.ant in der Anschauung die unterscheidende Grundlage der mathematischen Evidenz auf. Und auch das konstruktive Verfahren in den Geisteswissenschaften, wie es sich im Recht und in der natürlichen Theologie darstellt, erwies sich als unfähig, der Fülle der geschichtlichen Welt im Denken und im politischen Handeln genugzutun. Es galt sonach, wenn man nicht zur Verwerfung jeder der Metaphysik eignen Methode kommen wollte, ihr Verfahren neu zu gestalten. Und eben K an t, der die konstruktive Methode der Philosophie gestürzt hat, hat die Mittel einer solchen Umgestaltung entdeckt. Er hat das Unterscheidende seiner kritischen Lebensarbeit - und da ihm in dieser das Hauptgeschäft der Philosophie lag, das Unterscheidende der Philosophie selber - in der Methode gesehen, die er als die transzendentale bezeichnet hat. Das Gebäude, das er mit ihren Mitteln zu errichten gedachte, sollte die so gefundenen Wahrheiten zu seiner Grundlage haben, und in diesem Verstande hat er den Namen der Metaphysik beibehalten. Auch erfaßte er bereits das neue inhaltliche Prinzip, auf welches Schelling, Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer, Fechner, Lotze die Metaphysik begründeten. Die äußere Welt ist nach der großen Einsicht der neuen, auf Erkenntnistheorie fundierten Philosophie von Locke, Hume und Kant nur als Phänomen für uns da; Realität ist (nach den englischen Denkern unmittelbar, nach K.ant freilich aufgefaßt unter den Bedingungen des Bewußtseins) in den Tatsachen des Bewußtseins gegeben: diese Realität aber - das ist das entscheidend Neue im Standpunkt Kants - ist seelischer [geistiger] Zusammenhang, und auf ihn geht jeder Zu· sammenhang der äußeren Wirklichkeit zurück. Die einfachen Begriffe

Die metapkys. Metkode d. deutselten Spekulation u. illre beiden Grundricktungen

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und Sätze, welche die konstruktive Philosophie zugrunde gelegt hatte, sind sonach nur vom Verstand isolierte und abstrakt formulierte Elemente dieses Zusammenhangs. Von dieser Konzeption Kants ging die neue deutsche Metaphysik aus; daher blickten die deutschen Metaphysiker von SeheHing bis Schopenhauer mit Haß und Verachtung auf Reflexion und Verstand, die mit diesen abstrakten Elementen eines Lebendigen, den Substanzen, den kausalen Relationen, den Zwecken ihr ·wesen treiben. Mit' ihrer neuen Methode, die vom seelischen Zusammenhang ausging, konnten sie endlich den Geisteswissenschaften gerecht werden, welche durch dieAnwendung jenerReflexionsbegriffe seicht und trivial geworden waren. Und eben diese Annahme eines geistigen Zusammenhanges führte de_nBegriff der Evolution,die von der Erfahrung am Universum festgestellt worden war, über in die fruchtbare An.schauung der Entwicklung. Es war der letzte und vollkommenste Versuch, eine eigne philosophische Methode zu entwickeln. Ein Versuch von gigantischer Größe I Aber auch er mußte mißlingen. Es ist wahr: im Bewußtsein liegt die Möglichkeit, den Zusammenhang der Welt zu erfassen. Und wenigstens den formalen Operationen, durch welche es das tut, kommt der Charakter der Notwendigkeit zu. Aber auch diese metaphysische Methode findet nicht die Brücke, die von der Notwendigkeit als einer Tatsache unseres Bewußtseins hinüberführt zu der objektiven Geltung, und umsonst sucht sie einen Weg, der von dem Zusammenhang des Bewußtseins zu der Einsicht führt, daß uns in diesem das innere Band der Wirklichkeit selbst gegeben sei. So wurden nun in Deutschland die Möglichkeiten der metaphysischen Methode erprobt - eine nach der anderen, und stets mit demselben negativen Erfolg. Unter ihnen haben während des 19. Jahr· hunderts zwei um die Herrschaft gerungen. Schelling, Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer gingen aus von dem Zusammenhange des Bewußtseins, und jeder von ihnen entdeckte von hier aus sein Prinzip des Universums. Auf der Grundlage von Herbart gingen Lotze und Fechner von dem im Bewußtsein als Inbegriff der Erfahrungen Gegebenen aus und unternahmen den Nachweis, daß eine widerspruchslose begriffliche Erkenntnis dieses Gegebenen nur durch die Zurückführung der gegebenen Sinnenwelt auf geistigeTatsachenund Zusammenhänge möglich sei. Jene gingen von Kant und Fichte aus, welche die P.hilosophie zur allgemeingültigen Wissenschaft hatten erheben wollen. Diese griffen zunächst auf Leibniz zurück, für den die Welterklärung nur eine wohlbegründete Hypothese gewesen war. Die Denkgewaltigsten innerhalb der ersten Richtung, Sc h e 11 in g und Hege I, nahmen ihren Ausgangspunkt in dem Satze Fichtes, daß der in dem empirischen Ich sich manifestierende allgemeingültige Zusammenhang des Bewt!ßtseins den

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Das Wesen der Philosophie. I. Teil. Historisches Verfaltren

des Universums hervorbringt; schon dieser Satz war eine falsche Inter· pretation des Bewußtseinstatbestandes: indem sie nun aber den von ihnen angenommenen Zusammenhang im Bewußtsein, da er die Be· dingung der im Bewußtsein erscheinenden Welt ist, in den des Universums selbst, das reine Ich in den Weltgrund umwandeln zu dürfen glaubten, überschritten sie alles Erfahrbare. In ruheloser Dialektik, von Fichtes und Schellin,gs intellektualer Anschauung bis zu Hegels dialektischer Methode~ haben sie umsonst ein Verfahren gesucht, welches die Identität des logischen Zusammenhangs mit der Natur der Dinge, des Zusammenhangs im Bewußtsein mit dem im Universum erwiese. Und ganz vernichtend wirkte der Widerspruch zwischen dem objektiven Weltzusammenhang, den sie so fanden, und der Ordnung der Erscheinungen nach Gesetzen, wie die Erfahrungswissenschaften sie festgestellt haben. Die andere Richtung aber, deren Führer, auf dem Boden von Herbart, Lot z e und Fe c h n er waren und die das Gegebene durch die Hypothese eines geistigen Zusammenhangs zu widerspruchsloser begrifflicher Erkenntnis bringen wollte, verfiel einer nicht minder zerstörenden inneren Dialektik. Der Weg von der Mannigfaltigkeit des in der Erfahrung Gegebenen zu den Müttern aller Dinge, hindurch durch Begriffe, die durch keine Anschauung belegt werden können, führte sie in eine Nacht, in der Reale oder Monaden, Zeitliches oder Unzeitliches, ein allgemeines Bewußtsein so gut als ein Unbewußtes von ausdeutendem Tiefsinn gefunden werden mochten. Sie häuften Hypothesen, die in dem Unzulänglichen, Unerfahrbaren keinen festen Grund, aber auch keinen Widerstand fanden. Ein Hypothesenkomplex war hier ebenso möglich als der andere. Wie hätte diese Metaphysik die Aufgabe erfüllen können, in den großen Krisen des Jahrhunderts dem Leben des Einzelnen und der Gesellschaft Sicherheit und Festigkeit zu geben I Und so ist auch dieser letzte und großartigste Versuch des menschlichen Geistes mißlungen, im Unterschied von dem Verfahren der Erfahrungswissenschaften eine philosophische Methode zu finden, auf welche eine Metaphysik gegründet werden könnte. Es ist nicht möglich, die in der Erfahrung gegebene Welt, deren Erkenntnis die Arbeit der Einzelwissenschaften ist, durch eine von ihrem Verfahren unterschiedene metaphysische Methode zu tieferem Verständnis zu bringen. b) Die neuen unmetaphysischen Wesensbestimmungen der Philosophie. Die innere Dialektik der Aufgabe, einen Wesensbegriff der Philosophie zu gewinnen, in dem sich ihre selbständige Bedeutung den Einzelwissenschaften gegenüber behaupte, treibt zu anderen Möglichkeiten. Kann nicht eine Methode aufgefunden werden, welche der Metaphysik neben den Erfahrungswissenschaften ihr

Die unmetajJ!Iysisclun Bestimmungen. Pkilosopkie als E rkmntnistluorie

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Existenzrecht sichert, so muß die Philosophie auf neuen Wegen dem Bedürfnis de!f Geistes nach Universalität, nach Begründung, nach Er· fassen der Realität genugtun. Der Standpunkt des Skeptizismus muß auch in der neuen Lage der Forschung überwunden werden. Vorwärts· tastend sucht die Philosophie eine Stellung des Bewußtseins zum Ge· gebenen, welche der durch die neugegründeten Erfahrungswissenschaften geschaffenen Situation genug täte. Und wenn eine Methode nicht gefunden werden kann, die der Philosophie einen ihr eignen Gegenstand schafft, ein Sein, wie Substanz, Gott, Seele, aus dem die Ergebnisse der Einzelwissenschaften ableitbar wären, so entsteht nun zunächst die Möglichkeit, ausgehend von der gegenständlichen Erkenntnis der Einzelwissenschaft"!n selbst, nach deren Begründung in der Theorie der Erkenntnis zu suchen. Denn ein Gebiet ist unbestreiJt:bar der Philosophie eigen. Wenn die Einzelwissenschaften das Reich der gegebenen Wirklichkeit unter sich aufgeteilt haben und jede einen Ausschnitt aus ihr behandelt, so entsteht eben hiermit ein neues Reich: diese Wissenschaften selber. Der Blick wendet sich vom Wirklichen zum Wissen von ihm und findet hier ein Gebiet, das jenseits der Einzelwissenschaften liegt. Seitdem dasselbe in den Horizont des menschlichen Nachdenkens trat, ist es stets als die Domäne der Philosophie anerkannt worden: - Theorie der Theorien, Logik, Erkenntnistheorie. Erfaßt man dies Gebiet in seinem vollen Umfang, so eignet der Philosophie die ganze Lehre von der Begründung des Wissens im Gebiet der Wirklichkeitserkenntnis, der Wertbestimmung, der Zwecksetzung wie der Regelgebung. Und ist nun so der ganze Inbegriff des Wissens ihr Gegenstand, so fallen unter ihn die Beziehungen der einzelnen Wissenschaften zueinander, ihre innere Ordnung, nach welcher jede neue die früheren voraussetzt und sich über sie mit den ihrem eignen Gebiete angehörenden Tat· sachen aufbaut. Unter diesem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt wächst auch in den Einzelwissenschaften selbst der Geist der Begründung und des Zusammenhangs. Ihm dient der gesellige Betrieb der Einzelwissenschaften in den Universitäten und den Akademien, und die Philosophie hat in diesen Körperschaften ihre Aufgabe und Bedeutung darin, diesen Geist wach zu erhalten. Der klassische Repräsentant dieses erkenntnistheoretischen Standpunkts innerhalb der Erfahrungswissenschaften selbst ist He 1m h o 1t z. Er hat das Existenzrecht der Philosophie neben den einzelnen Wissenschaften darauf gegründet, daß sie im Wissen ihren besonderen Gegenstand habe. Immer werde der Philosophie das notwendige Geschäft verbleiben, "die QueHen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung zu untersuchen". "Die Philo· sophie hat ihre große Bedeutung in dem Kreise der Wissenschaften :f!.

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Dtu Wesen tkr P/JiJo.rojJ/Jie. I. Teil. Hi.rlori.rclre.r Verfa/mn

als Lehre \Ton den Wissensquellen und den Tätigkeiten des Wissens, in dem Sinne, wie Kant und, soweit ich ihn verstanden habe, der ältere Fichte sie genommen haben." Indem die wesentliche Leistung der Philosophie in die Erkenntnhtheorie verlegt wurde, erhielt sich doch ihre Beziehung zu ihrem Grundproblem. Eben an der Kritik der Intention einer objektiven Er· kenntnis von Weltzusammenhang und W eltgrund, höchstem Wert und letztem Zweck hatte die Erkenntnistheorie sich entwickelt. Aus cler ver· geblichen metaphysischen Arbeit entsprang die Untersuchung über die Grenzen des menschlichen Wissens. Und die Erkenntnistheorie erfaßte im Lauf ihrer Entwicklung allmählich die universalste Stellung des Bewußtseins zu dem ihm Gegebenen, die daher auch unser Verhältnis zum Welt- und Lebensrätsel am vollkommensten ausdrückt. Es ist diejenige, die Platon schon eingenommen hatte. Philosophie ist die Besinnung des Geistes über alle seine Verhaltungsweisen, bis in deren letzte Voraussetzungen. Dieselbe Stellung wie Platon hat Kant der Philosophie gegeben. Die Weite seines Blickes zeigt sich darin, daß seine Kritik und Begründung des Wissens sich gleichmäßig erstreckt auf Wirklichkeitserkenntnis, wie auf die Beurteilung ästhetischer \Verte und die Prüfung des teleologischen Prinzips der Weltbetrachtung und auf die allgemeingültige Begründung der sittlichen Regeln. Und wie jeder philosophische Standpunkt von der Erfassung der Wirklichkeit fortzuschreiten strebt zur Feststellung der Regeln des Handelns, so hat auch dieser erkenntnistheoretische in seinen größten Vertretern stets die Richtun~ auf die praktische, reformatorische Wirkung der Philosophie und ihre personbilQ.ende Kraft entwickelt. Schon Kant erklärt, der Begriff von Philosophie, nach welchem sie die logische Vollkommenheit der Erkenntnis zum Zweck hat, ist nur ein Schulbegriff; "es gibt aber noch einen Weltbegriff der Philosophie, nach welchem sie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft ist". Es gilt nun, um mit Kant zu reden, den Zusammenhang zwischen dem Schulbegriff der Philosophie und ihrem Weltbegriff aufzufinden, und die heutige neukantische Schule ist dieser Forderung in ausgezeichneten Arbeiten gerecht geworden. Eine andere unmetaphysische philosophische Gei-steshaltung entstand im Kreise der Einzelforscher selbst. Sie begnügt sich mit der Beschreibung der phänomenalen Welt in Begriffen und mit der Bewährung der gesetzlichen Ordnung derselben, wie sie in der Erprobung durch das Experiment und durch das Eintreten der nach der Theorie vorausberechneten Wirkung geboten wird. Geht die Erkenntnistheorie von der Positivität der Ergebnisse der Einzelwissenschaften aus, ver-

Pküos6pkie als Erkmnlnislluorie. Der Positivismus

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mag sie ihnen keine neuen gegenständlichen Erkenntnisse hinzuzufügen und innerhalb des Zusammenhangs ihrer Begründungen keine neuen Begründungen aufzufinden, so bleibt die Möglichkeit, sich an den positiven Charakter ihrer Ergebnisse ein für allemal zu halten, den festen Punkt,. den das neue Philosophieren sucht, in ihrer praktisch bewährten Selbstgenügsamkeit zur Erfassung des Gegebenen zu finden und jede Reflexion über ihre Allgemeingültigkeit als unfruchtbar c.bzulehnen. Und verfolgt man die langen Schlußketten der Erkenntnistheoretiker, die Schwierigkeiten der Begriffsbildung auf ihrem Gebiet, den Streit der erkenntnistheoretischen Parteien, so sind das gewichtige Momente, für diese neue philosophische Haltung sich zu entscheiden. So verlegt die Philosophie ihren Mittelpunkt in das Bewußt~ein vom logischen Zusammenhang der Wissenschaften. In dieser neuen Stellung scheint die Philosophie die gegenständliche Auffassung der Welt, losgelöst von metaphysischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen, endlich zu erreichen. Wenn die Erfahrungswissenschaften die einzelnen Teile oder Seiten der Wirklichkeit erforschen, so bleibt der Philosophie die Aufgabe, die innere Beziehung der Einzelwissenschaften aufeinander zu erkennen, nach welcher sie zusammen das Ganze der Wirklichkeit zur Erkenntnis bringen. Sie ist dann Enzyklopädie der Wissenschaften in einem höheren philosophischen Verstande. In der späteren Zeit des Altertums, seit der Verselbständigung der Einzel Wissenschaften sind Enzyklopädien entstanden; der Schulbetrieb forderte sie, auch bestand das Bedürfnis eines Inventars der großen Arbeiten der alten Welt, und - was uns hier wichtig ist - seitdem dann die nordischen Völker hereinbrachen und nach dem Ende des weströmischen Reiches sich die germanischen und romanischen Staaten auf dem Boden der antiken Kultur mit deren Hilfsmitteln einzurichten begannen, haben von Martianus Capella ab solche enzyklopädische Arbeiten, wenn auch noch kümmerlich, den antiken Gedanken von der Abbildung der Welt in den Wissenschaften aufrechterhalten. In den drei großen Werken des Vincenz von Beauvais war ein solcher Begriff der Enzyklopädie am vollkommensten vertreten. Aus den durch das Mittelalter hindurch fortgehenden Inventarisierungen des Wissens ist nun die moderne philosophische Enzyklopädie hervorgegangen. Ihr grundlegendes Werk stammt von dem Kanzler Bacon: von ihm ab hat die Enzyklopädie bewußt das Prinzip der inneren Beziehungen der Wissenschaften gesucht. Hobbes zuerst entdeckte es in der natürlichen Ordnung der Wissenschaften, wie sie durch das Verhältnis bestimmt ist, nach welchem eine die Voraussetzung der andern ist. Im Zusammenhang mit der französischen Enzyklopädie haben dann D'Alembert und Turgot diesen Begriff der Philo-

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Das Wesen der PllilosojJ!Iie. J. Teil. Historisches Veifalmn

sophie als universaler Wissenschaft durchgeführt. Und auf dieser Grundlage hat schließlich C om te die p h ilosophie positive als das System der inneren Beziehungen der Wissenschaften nach ihrer syste· matischen und historischen Abhängigkeit 'Voneinander 5amt ihrem Ab. schluß in der Soziologie 2ur Darstellung gebracht. Auf diesem Standpunkt vollzog sich eine methodische Analysis der Einzelwissenschaften. Die Struktur einer jeden derselben wurde untersucht, es wurden die in dieser enthaltenen Voraussetzungen festgestellt, und in diesen ist nun das Prinzip der Beziehungen der Wissenschaften zueinander gewonnen worden; es konnte zugleich gezeigt werden, wie in diesem Fortgang von Wissenschaft zu Wissenschaft neue Methoden entstehen: schließlich wurde so als das eigentliche Werk der Philosophie die Soziologie gefordert und methodisch bestimmt. Und damit vollendete sich die mit der Aussonderung der positiven Wissenschaften in ihnen gesetzte Tendenz, ihren Zusammenhang aus ihnen selber, ohne Hinzuziehung einer allgemeinen erkenntnistheoretischen Grundlegung, sonach als positive Philosophie, herzustellen. Es war ein bedeutsamer Versuch, Philosophie als den immanenten Zusammenhang der gegenständlichen Erkenntnis zu konstituieren. Wie diese positivistische Auffassung der Philosophie von dem in den mathematischen Naturwissenschaften entwickelten strengen Begriff des allgemeingültigen Wissens ausgeht: so liegt ihre weitere Bedeutung für die philosophische Arbeit darin, daß sie die so entspringenden Anforderungen geltend macht und die Wissenschaften reinigt von jedem unbeweisbaren Zusatz, der aus den metaphysischen Konzeptionen hervorgegangen ist. Schon durch diesen inneren Gegensatz zur Metaphysik ist die neue philosophische Stellung von der Metaphysik historisch bedingt. Es ist weiter aber die Richtung auf ein universales, allgemeingültiges Weltbegreifen, durch welche auch dieser Zweig der Philosophie mit ihrem Stamm zusammenhängt. Diese zweite unmetaphysische Stellung des philosophischen Geistes reicht nun aber weit über (Jas Gebiet des Positivismus hinaus. Indem sich in dieseln durch die Oberordnung der Naturerkenntnis über die geistigen Tatsachen eine Weltanschauung einmischt, wird er zu einer einzelnen Doktrin innerhalb dieser neuen Stellung des philosophischen Geistes. Wir finden dieselbe Stellung auch ohne diesen Zusatz weit verbreitet, und zwar wird sie von vielen und hervorragenden Forschern auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften eingenommen. Besonders wirksam tritt sie in der Staats- und Rechtswissenschaft hervor. Die Auffassung der Imperative, welche an die einem Staate Zugehörigen in der Gesetzgebung gerichtet sind, kann sich einschränken auf die Interpretation des Willens, der in ihnen zum Ausdruck

Gnmen des Positivismus. PkilosofJkie als Geistetwissenscluzjt

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kommt, und auf die logische Analyse und historische Erklärung, ohne auf allgemeine Prinzipien, wie etwa die Idee der Gerechtigkeit, zur Begründung des positiven Rechts und zur Prüfung seiner Richtigkeit zurückzugehen. In solchem Verhalten liegt eine dem Positivismus verwandte philosophische Stellung. Diese zweite antimetaphysische Stellung der Philosophie findet als positivistische Auffassung der Wirklichkeit, zumal in dem heutigen Frankreich, darin die Grenze ihrer Macht, so groß diese auch dort heute ist, daß die in ihr enthaltene phänomenale Auffassungsweise nicht vermag, der Realität des historischen Bewußtseins und der kollektiven Lebenswerte gerecht zu werden, und ebenso ist diese philosophische Stellung als positive Interpretation der Rechtsordnungen außerstande, Ideale zu begründen, die ein auf Umgestaltung der Gesellschaft gerichtetes Zeitalter leiten könnten. Suchte die erkenntnistheoretische Richtung das Unterscheidende der Philosophie in ihrer methodischen Stellung und fand in ihr die methodische Selbstbesinnung, das Streben der Philosophie nach letzten Voraussetzungen ihre Fortentwicklung, suchte anderseits das positive Denken das Charakteristische der Philosophie in ihrer Funktion innerhalb des Systems der Wissenschaften und setzte das Streben der Philosophie nach Universalität sich in ihm fort: so blieb noch die Möglichkeit übrig, der Philosophie ihren besonderen Gegenstand so zu suchen, daß darin ihr Streben nach Erfassung der Realität Befriedigung fände. Die Versuche, auf metaphysischem Wege in die Realität einzudringen, waren mißlungen, die Realität des Bewußtseins als Tatsache trat um so stärker in ihrer Bedeutung hervor. In der inneren Erfahrung ist diese Realität des Bewußtseins uns gegeben, und mit ihr die Möglichkeit, llie Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse des menschlichen Geistes, wie sie in den Geisteswissenschaften zur Erfassung gelangt, aus ihrem Ursprung tiefer zu erkennen. Die innere Erfahrung ist der Ausgan,gspunkt für die Logik, die Erkenntnistheorie und jede Lehre von der Erzeugung einer einheitlichen Weltansicht, und auf ihr beruhen Psychologie, Ästhetik, Ethik und verwandte Disziplinen. Das ganze so umschriebene Gebiet ist immer als philosophisch bezeichnet worden. Auf diesen Sachverhalt gründet sich diejenige Ansicht vom Wesen der Philosophie, welche sie als Wissenschaft der inneren Erfahrung oder als Geisteswissenschaft begreift. Dieser Standpunkt hat sich seit der Zeit entwickelt, in welcher die Psychologie im 18. Jahrhundert durch die Ausbildung der Assoziationslehre eine empirische Grundlage erhielt und s:ch vor ihr ein weites Reich fruchtbarer Anwendungen in Erkenntnislehre, Ästhetik und Ethik auftat.. David H um e in seinem Hauptwerk über die mensch-

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Das Wesen der Pllilosopkie. J. Teü. Hisloriseiles Verjakrm

liehe Natur sieht in dem ,auf die Erfahrung gegründeten Studium des Menschen die wahre Philosophie. Indem er die Metaphysik verwirft, die Erkenntnistheorie ausschließlich auf die neue Psychologie begründet und in dieser zugleich die erklärenden Prinzipien für die Geisteswissenschaften aufzeigt, entsteht ein in der inneren Erfahrung gegründeter Zusammenhang der Geisteswissenschaften. Nachdem die Naturwissenschaften geschaffen sind, liegt in diesem Zusammenhang, dessen Mittelpunkt die Lehre vom Menschen ist, die andere und größere Aufgabe für den menschlichen Geist. An ihm haben dann Adam Smith, Bentham, James Mill, John Stuart Mill, Ba.in fortgearbeitet. John Stuart Mill will ganz wie Hume unter Philosophie "die wissenschaftliche Kenntnis vom Menschen als einem intellektuellen, moralischen und sozialen Wesen" verstanden wissen. In Deutschland hat Deneke denselben Standpunkt vertreten. Er übernahm ihn von der englischen und schottischen Schule, und nur in dessen Durchführung steht er unter dem Einfluß von Herbart. In diesem Sinne erklärt er schon in seiner ,;Grundlegung zur Physik der Sitten": "Dringt meine Ansicht durch, so wird die ganze Philosophie zur Naturwissenschaft dermenschlichen Seele." Ihn leitete die große Wahrheit, daß die innere Erfahrung uns eine volle Wirklichkeit im Seelenleben aufschließt, während die in den Sinnen gegebene Außenwelt uns nur als Phänomen gegeben ist. Und er zeigte dann in seiner "pragmatischen Psychologie", wie "alles was uns in der Logik, der Moral, der Ästhetik, der Religionsphilosophie, ja selbst in der Metaphysik für unsere Erkenntnis als Gegenstand vorliegt", nur dann klar und tief erfaßt werden; kann, "wenn wir es nach den Grundgesetzen der menschlichen Seelenentwicklung auffassen, wie sie in der (theoretischen) Psychologie in ihrem allgemeinsten Zusammenhange dargelegt werden". Unter den späteren Denkern hat Theodor Lipps in seinen "Grundtatsachen des Seelenlebens" ausdrücklich Philosophie als Geisteswissenschaft oder Wissenschaft von der inneren Erfahrung definiert. Das große Verdienst dieser Denker für die Ausbildung der Geisteswissenschaften unterlie.gt keinem Zweifel. Erst seitdem die grundlegende Stellung der Psychologie in diesem Gebiete erkannt und unsere psychologischen Erkenntnisse auf die einzelnen Geisteswissenschaften angewandt worden sind, begannen diese den Anforderungen an allgemeingültiges Wissen .sich anzunähern. Aber der neue philosophische Standpunkt der Philosophie als Wissenschaft von der inneren Erfahrung konnte die Frage nach der Allgemeingültigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht beantworten, und in seiner Eingeschränktheit vermochte er auch der Aufgabe, die der Positivismus sich mit Recht gestellt hat, nicht gerecht zu werden. So •ist denn

Ergelmis. Beg'riffsoestimmung

'liDn

systnnatisclren Standpunkten aus

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auch Theodor Lipps zu einer neuen Fassung seines Standpunktes fortgegangen. Es macht sich nun in dieser Auffassung der Philosophie ein höchst bedeutsames Verhältnis dieser dritten un!lletaphysischen Stellung des philosophischen Denkens zu den metaphysischen Problemen der Philosophie geltend, das auch Namengebung und geschichtlicher Verlauf bestätigen. Naturwissenschaften heben aus dem Erlebnis nur Teil· inhalte heraus, welche zur Bestimmung der Veränderungen in der von uns unabhängigen physischen Welt dienen können. So hat es Naturerkenntnis nur mit Erscheinungen für das Bewußtsein zu tun. Der Gegenstand der Geisteswissenschaften dagegen ist die in der inneren Erfahrung gegebene Realität der Erlebnisse selber. Hier also besitzen wir eine Realität, erlebt - eben freilich nur erlebt - , weiche zu erfassen die nie endende Sehnsucht der Philosophie ist. Man sieht, wie auch diese Abgrenzung einer Begriffsbestimmung der Philosophie den Zusammenhang ihres Wesens mit ihrem ursprünglichen Grundproblem aufrechterhält. 3· Schluß auf das Wesen der Philosophie.

Die eine Seite des Ergebnisses aus dem historischen Sachverhalt ist negativ. In jeder der Begriffsbestimmungen erschien nur ein Moment ihres Wesensbegriffs. Jede derselben war nur der Ausdruck eines Standpunktes, den die Philosophie an einer Stelle ihres Verlaufes eingenommen hat. Sie sprach aus, was einem oder mehreren Denkern in einer bestimmten Lage als Leistung der Philosophie erforderlich und möglich erschien. Jede derselben bestimmt einen besonderen Kreis von Erscheinungen als Philosophie und schließt aus diesem die anderen mit dem Namen Philosophie bezeichneten Erscheinungen aus. Die großen Gegensätze der Standpunkte, wie sie nun mit gleicher Kraft gegeneinander wirken, gelangen in Definitionen der Philosophie zum Ausdruck. Sie behaupten sich gleichberechtigt einander gegenüber. Und der Streit kann nur geschlichtet werden, wenn ein Standpunkt über den Parteien auffindbar ist. Der Gesichtspunkt, aus welchem die dargestellten Begriffsbestimmungen der Philosophie entworfen worden sind, war sonach der des systematischen Philosophen, welcher aus dem Zusammenhang seines Systems in einer Definition auszusprechen sucht, was ihm als wertvolle und lösbare Aufgabe erscheint. Er ist damit unzweifelhaft in seinem Recht; er definiert dann seine eigne Philosophie; er leugnet nicht, daß die Philosophie im Laufe der Geschichte sich auch andere Aufgaben gestellt hat, er erklärt aber ihre Auflösung für unmöglich oder für wertlos, und so erscheint ihm die Arbeit der Philosophie an ihnen

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Das Wesen der Pltüosopltie. I. Teil. Hisloriscltes Verjallren

als eine lang anhaltende Illusion. Sofern der einzelne Philosoph sichdieses Sinnes seiner Begriffsbestimmung klar bewußt ist, kann über seine Berechtigung kein Zweifel sein, die Philosophie auf Erkenntnistheorie einzuschränken oder auf die Wissenschaften, die in der inneren Erfahrung gegründet sind, oder auf die systematische Ordnung der Wissenschaften, in welcher sie die Erkenntnis verwirklichen. Die Aufgabe einer Wesensbestimmung der Philosophie, welche die Namengebung von ihr, und die Begriffe der einzelnen Philosophen über sie deutlich macht, führt notwendig von dem systematischen zu dem historischen Standpunkt. Es ist zu bestimmen, nicht was jetzt oder hier als Philosophie gilt, sondern was immer und überall ihren Sachverhalt ausmacht. Alle die einzelnen Begriffe von ihr deuten nur auf diesen allgemeinen Sachverhalt, welcher die Mannigfaltigkeit dessen, was als Philosophie aufgetreten ist und die Unterschiede in diesen Auffassungen erklärlich macht. Und eben dadurch, daß die Selbstgewißheit, mit welcher die einzelnen Systeme in ihrer Eigenart auftreten und über Philosophie sich aussprechen, auf diesem historischen Standpunkt in ihrer Notwendigkeit verstanden wird, erweist sich die Überlegenheit dieses Standpunktes. Jede Lösung der philosophischen Probleme gehört, geschichtlich angesehen, einer Gegenwart und einer Lage in ihr an: der Mensch, dies Geschöpf der Zeit, hat, solange er in ihr wirkt, darin die Sicherheit seines Daseins, daß er, was er s·chafft, aus dem Fluß der Zeit heraushebt, als ein Dauerndes: in diesem Schein schafft er frohmütiger und kraftvoller. Hierin liegt der ewige Widerspruch zwischen den schaffenden Geistern und dem geschichtlichen Bewußtsein. Es ist jenen natürlich, das Vergangene vergessen zu wollen und das zukünftige Bessere nicht zu achten: dieses aber lebt in dem Zusammenfassen aller Zeiten, und es gewahrt in allem Schaffen des einzelnen die diesem mitgegebene Relativität und Vergänglichkeit. Dieser Widerspruch ist das eigenste still getragene Leiden der gegenwärtigen Philosophie. Denn in dem Philosophen der Gegenwart trifft das eigne Schaffen zusammen mit dem geschichtlichen Bewußtsein, da seine Philosophie heute ohne dieses nur einen Bruchteil der Wirklichkeit umfassen würde'. Sein Schaffen muß sich wissen als ein Glied in dem historischen Zusammenhang, in welchem er mit Bewußtsein ein Bedingtes erwirkt. Dann wird ihm eine Auflösung dieses Widerspruchs möglich, wie sie an einer späteren Stelle hervortreten wird: er kann sich nun ruhig der Macht des geschichtlichen Bewußtsein'S überlassen, und auch sein eignes Tagewerk kann er unter den Gesichtspunkt des historischen Zusammenhangs stellen, in welchem das Wesen der Philosophie in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen sich verwirklicht.

Der gesckicktliclte Standpunkt. Ableitung der einzelnen Wesenszüge

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Auf die6em geschichtlichen Standpunkt wird jeder Einzelbegriff der Philosophie zu einem Fall, der auf das Bildungsgesetz zurückweist, das der Sachverhalt der Philosophie emhält. Und so unhaltbar jede der aus dem systematischen Standpunkt entworfenen Begriffsbestimmungen der Philosophie für sich ist, so wichtig sind sie nun doch alle für die Auflösung der Frage nach dem Wesen der Philosophie. Sind sie doch ein wesentlicher Teil des historischen Tatbestandes, aus dem wir nunmehr schließen. Wir fassen zu diesem Schluß alle empirischen Data, die durchlaufen wurden, zusammen. Der Name Philosophie erwies sich als verteilt auf Tatbestände der verschiedensten Art. Eine außerordentliche Beweglichkeit zeigte sich in dem Wesen der Philosophie: ein immer neues Stellen von Aufgaben, Sich-anpassen an die Zustände der Kultur: sie erfaßt Probleme als wertvoll und wirft sie dann wieder hin: auf einer Stufe der Erkenntnis erscheinen ihr Fragen als lösbar, die sie dann nachher als unauflöslich fallen läßt. Immer aber sahen wir in ihr dieselbe Tendenz zur Universalität, zur Begründung, dieselbe Richtung des Geistes auf das Ganze der gegebenen Welt wirken. Und stets ringt in ihr der metaphysische Zug, in den Kern dieses Ganzen einzudringen, mit der positivistischen Forderung der Allgemeingültigkeit ihres Wissens. Das sind die beiden Seiten, die ihrem Wesen eignen und sie auch vor den nächstverwandten Gebieten der Kultur [luszeich· nen. Im Unterschied von den Einzelwissenschaften sucht sie die Auf· lösung des Welt- und Lebensrätsels selbst. Und im Unterschied von Kunst und Religion will sie diese Lösung in allgemeingültiger \V eise geben. Denn das ist nun das Hauptergebnis aus dem erörterten historischen Tatbestande: ein folgerichtiger, in sich geschlossener geschichtlicher Zusammenhang führt von der metaphysischen Welterkenntnis der Griechen, welche das große Rätsel der Welt und des Lebens allgemeingültig aufzulösen unternahm, bis zu dem radikalsten Positivisten oder Skeptiker der Gegenwart; alles was in der Philosophie ge_~i!(}s_t1hie. I. Teil. Historisches Veifahren

rische in dem Religionsglauben und den heiligen Schriften zu einer universalen Weltanschauung erhoben. In den Systemen selber werden philosophischer Trieb, Religionsglaube, verstandesmäßige Begründung und mystische Vereinigung mit der Gottheit so miteinander verbunden, daß die religiösen und die philosophischen Prozesse als Momente desselben Vorgangs sich darstellen. Denn in diesem Zeitalter des großen Ringens der Religionen entsteht nun aus der Anschauung der Entwicklung de::- bedeutenden Persönlichkeiten der neue schöpferische Gedanke von einem allgemeinen Typus der Entwicklungsgeschichte der höheren Seelen. Auf ihm beruhen dann :iie höchsten Formen der mittelalterlichen Mystik, so cLaß auch in ihne11 nicht eine bloße Vermischung dieser beiden Gebiete, sondern eiTl psychologisch tief gesehener innerer Zusammenhang derselben anzuerkennen ist. Ein solches geistiges Phänomen mußte ein völliges Schwanken in der Namengebung zur Folge haben. Noch Jakob Böhme bezeichnet sein Lebenswerk als eine heilige Philosophie. Deuten schon alle diese Tatsachen auf die innere Beziehung von Religiosität und Philosophie, so wird si-e schließlich darin offensichtlich, daß die Geschichte der Philosophie diese Zwischenglieder zwischen ihr und der Religiosität nicht aus sich ausschließen kann. Dieselben haben ihre Stelle in dem Fortgang von der Lebenserfahrung zum psychologischen Bewußtsein über dieselbe wie in der Entstehung und der Ausbildung der Lebensanscha.uung. So nötigt diese Zwischenschicht zwischen der Religiosität und der Philosophie, hinter die bisher festgestellten Wesenszüge der Philosophie zu Zusammenhängen von weiterem Umfang und tieferer Grundlage zurückzugehen. Dieselbe Nötigung ergibt sich auch, wenn wir die Beziehungen zu Lebenserfahrung, Literatur und Dichtung ins Auge fassen, wie sie in Namengebung, Begriffsbestimmung und historischem Zusammenhang sich erweisen. Diejenigen, die als Schriftsteller für ihre Einwirkung auf das Publikum einen unangreifbaren Standpunkt zu gewinnen streben, begegnen sich aufdiesem Wege mit denen, welche von der philosophischen Forschung aus selber vorwärtsschreiten und, am System verzweifelnd, das Wissen über das Leben freier, menschlicher beg-ründen und aussprechen wollen. Als Vertreter der ersten Klasse kann L es s in g angesehen werden. Sein Naturell hatte ihn zum Schriftsteller gemacht. Als junger Mensch nahm er von den philosophischen Systemen Notiz, dachte jedoch nicht daran, in ihrem Streit Partei zu nehmen. Aber jede der kleinen und großen Aufgaben, die er sich setzte, nötigte ihn, feste Begriffe und Wahrheiten aufzusuchen. Wer das Publikum führen will, muß selbst auf einem sicheren Weg sein. So wurde er von eingeschränkten Auf-

Formen zwiscken Philosophie u. Kunst d. Le!Jensßihrung, Literatu1, Dichtu11g

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gaben zu Problemen von immer allgemeinerer Art fortgeführt. Ohne die systematische Arbeit des Philosophen durchzumachen, löste er diese Probleme aus der Kraft seines eignen Wes·ens, wie die Zeit es formiert hatte. Ein Lebensideal erhob sich in ihm aus dem Leben selber; aus der Philosophie um ihn her kam die deterministische Lehre ihm zu, und die Menschen, die er so gut kannte, bestätigten sie; auf diesen Grundlagen entstand ihm dann in seinen theologischen Studien eine gewisse Vorstellung von der göttlichen Kraft, in welcher der notwen· dige Zusammenhang der Dinge gegründet ist. Diese Momente und andere, die ihnen verwandt waren, führten ihn so zu einer gewisseP. inneren Struktur seiner Ideen, die von den Wesenszügen der Philoso· phie, wie sie dargelegt worden sind, immer noch sehr verschieden ist. Und doch trägt niemand Bedenken, von Lessings Philosophie zu reden. Er greift an einer bestimmten Stelle in die Geschichte dieses Lebens~ gebietes ein und behauptet da seinen Platz. In all den Schriftstellern sonach, für die er repräsentativ ist, haben wir es mit einer Zwischenschicht zu tun, welche die Philosophie mit der Literatur verbindet. Eben derselben Zwischenschicht gehört nun auch die .andere Klass·e an, die von der systematischen Philosophie fortging zu einer subjektiveren, farmloseren Art, das Lebens- und Welträtsel aufzulösen. Diese Gruppe nimmt in der Geschichte des menschlichen Geistes eine sehr hervorragende Stelle ein. Vor allem, so oft eine Epoche des systematischen Denkens zu Ende gegangen war, so oft die Lebenswerte, die in ihr galten, der veränderten Lage des Menschen nicht mehr entsprachen und die fein und subtil durchgearbeitete begriffliche Welterkenntnis neu erfahrenen Tatsachen nicht mehr genugtun konnte, traten solche Denker hervor und kündeten einen neuen Tag im Leben der Philosophie an. Von dieser Art waren jene Philosophen der stoisch· römischen Schule, die von der Philosophie des Handeln;; aus dahin kamen, die Last der griechischen Systematik von sich zu werfen und in einer freieren Interpretation des Lebens &elber ihr Ziel zu suchen .. Mark Aurel, der in seinen Selbstgesprächen die genialste Form für dies Verfahren gefunden hat, sieht das Wesen der Philosophie in einer Lebensverfassung, der gemäß der Gott in unserem Innern von der Gewalt der Welt unabhängig und von ihrem Schmutz rein erhalten wird. Doch hatten diese Denker einen festen Hintergrund für ihre Lebensbetrachtung in der Systematik der stoischen Lehre, und so blieben sie noch in einer direkten inneren Verbindung mit der Bewegung der unter der Forderung der Allgemeingültigkeit stehenden Philosophie. Ja, sie haben in dieser Philosophie ihren Platz als Fortentwicklung der auf dem pantheistischen Determinismus aufgebauten Persönlichkeitslehre: einer Richtung, die in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts Dilthey, Gesammelte Sc·hriften V

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Das Wesen der PlulosojJI11e

wiedergekehrt ist und auch da wegen des Charakters einer solchen Persönlichkeitslehre eine starke Tendenz zeigt, in freieren Dar3tellun· gen sich auszusprechen. Deutlicher aber löst sich von der Philosophie mit ihrer Forderung der Allgemeingültigkeit eine Re:he moderner Denker los. Die Kunst der Lebenserfahrung und Lebensführung im Zeitalter der Renaissance hat als ihre feinste Blüte die Essays des Montaigne gezeitigt. Montaigne läßt die Lebensbeurteilung der mittelalterlichen Philosophie hinter sich, und entschiedener noch als Mark Aurel gibt er jede Anforderung an Begründung und Allgemeingültigkeit auf. Seine Arbeiten erstrecken sich nur in gelegentlichen und kurzen Ausführungen über das Studium des Menschen hinau:;: seine Essays sind ihm seine Philosophie. Denn diese ist die Bildnerin der Urteilskraft und der Sitten, ja im Grunde sind Festigkeit, Aufrichtigkeit die wahre Philosophie selbst. Und wie Montaigne selbst sein Werk als Philosophie bezeichnet, ist er an seinem Platze unentbehrlich in der Geschichte dieses Lebensgebietes. Ebenso haben Carlyle, Emerson, Ruskin, Nietzsche, selbst Tolstoj, Maeterlinck in der Gegenwart irgendeine Beziehung zur systematischen Philosophie, und noch selbstbewußter, härter als Montaigne wenden sie sich von ihr ab, noch folgerichtiger haben sie jede Verbindung mit Philosophie als Wissenschaft aufgehoben. Alle diese Erscheinungen sind, ebenso wie die Mystik, nicht eine trübe Mischung der Philosophie mit einem anderen Lebensgebiet, sondern wie in dieser kommt auch in ihnen eine seelische Entwicklung zum Ausdruck. Suchen wir das Wesen dieser modernen Lebensphilosophie zu erfassen. Es bildet die eine Seite derselben, wie hier in allmählicher Abstufung die methodischen Forderungen der Allgemeingültigkeit und Begründung nachlassen; das Verfahren, das aus der Lebenserfahrung eine Deutung des Lebems gewinnt, nimmt in dieser Abstufung immer freiere Formen an; Aperc;us werden zur unmetho· dischen, aber eindrucksvollen Lebensdeutung verbunden. Diese Gat· tung der Schriftstellerei ist darin der antiken Kunst der Sophisten und Rhetoren, welche Platon so scharf aus dem Bezirk der Philosophie verwies, verwandt, daß an die Stelle des methodischen Beweises die Überredung tritt. Und dennoch verknüpft eine starke innere Beziehung einige dieser Denker mit der philosophischen Bewegung selbst. Ihre Kunst der Überredung ist eigen verbunden mit einem furchtbaren Ernst und einer großen Wahrhaftigkeit. Ihr Auge bleibt auf das Rätsel des Lebens gerichtet, aber sie verzweifeln daran, dieses vermittels einer allgemeingültigen Metaphysik, auf Grund einer Theorie des Weltzusammenhangs aufzulösen; das Leben soll aus ihm selber gedeutet werden - das ist der große Gedanke, der diese Lebensphilosophen

/!. Teil. Jkre Stellung t'n der get'stt'gen Welt

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mit der Welterfahrung und mit der Dichtung verknüpft. Von Schopenhauer ab hat dieser Gedanke sich immer feindlicher gegen die systematische Philosophie entwickelt; jetzt bildet er den Mittelpunkt der philosophischen Interessen der jungen Generation. Eine Richtung der Literatur von eigner Größe und selbständigem Charakter kommt in diesen Schriften zum Ausdruck. Und wie sie den Namen der Philosophie selbst für sich in Anspruch nehmen, bereiten sie, wie d:ie religiösen Denker es einstmals taten, heute neue Entwicklungen aer systematischen Philosophie vor. Denn nachdem die allgemeingültige Wissenschaft der Metaphysik für immer zerstört ist, muß eine von ihr unabhängige Methode gefunden werden, Bestimmungen über Werte, Zwecke und Regeln des Lebens zu finden, und auf der Grundlage der beschreibenden und zergliedernden Psychologie, welche von der Struktur des Seelenlebens ausgeht, wird innerhalb methodischer Wissenschaft eine, wenn auch bescheidenere und weniger diktatorische Lösung dieser Aufgabe zu suchen sein, welche die Lebensphilosophen der Gegenwart sich gestellt haben. Das zusammengesetzte Verhältnis, das zwischen Religion, Philosophie, Lebenserfahrung, Dichtung in dieser Schicht s:ch auftut, nötigt uns zurückzugreifen auf die Beziehungen, die zwischen niesen Kräften der Kultur in der Einzelperson und in der Gesellschaft obwalten. Die Unsicherheit der Abgrenzung, wie sie in der Beweglichkeit der Merkmale der Philosophie begründet ist und zurückweist auf die Begriffsbestimmung der Philosophie als einer Funktion, kann erst ganz verstanden werden, wenn wir auf den Lebenszusammenhang im Individuum und in der Gesellschaft zurü.ckgehen und ihm die Philosophie einordnen. Dies geschieht durch die Anwendung eines neuen Verfahrens. ZWEITER TEIL

DAS WESEN DER PHILOSOPHIE VERSTANDEN AUS IHRER STELLUNG IN DER GEISTIGEN WELT Aus den Tatbeständen, die den Namen der Philosophie tragen, und aus den Begriffen von ihnen, wie sie in der Geschichte der Philosophie sich gebildet haben, sind bisher induktiv die Wesenszüge derselben abgeleitet worden. Sie führten zurück auf eine Funktion der Philosophie als eines gleichförmigen Sachverhalts in der Gesellschaft. Und durch diesen gleichförmigen Sachverhalt fanden wir alle philosophierenden Personen zu dem inneren Zusammenhang der Geschichte der Philosophie verbunden. In vielartigen Zwischenformen erschien dann Philosophie in dem Bereich von Religion, Reflexion über das Leben, Lite-

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Das Wesen der Philosophie. 1!. Teil. Illre Stellung in der geistigen We!!

ratur, Dichtung. Diese Induktionen aus dem historischen Tatbestand erhalten nun ihre Bestätigung und ihre Verbindung zu der abschließenden Erkenntnis des Wesens der Philosophie, indem diese in de-n Zusammenhang eingeordnet wird, in welchem sie ihre Funktion ausübt: so wird ihr Begriff durch die Darstellung seines Verhältnisses zu den übergeordneten und den nebengeordneten vollendet.

I. EINORDNUNG DER FUNKTION DER PHILOSOPHIE IN DEN ZUSAMMENHANG DES SEELENLEBENS, DER GESELLSCHAFT UND DER GESCHICHTE r. Stellung in der Struktur des Seelenlebens. Historisch gegebene Züge verstehen wir immer nur aus der Innerlichkeit des Seelenlebens. Die Wissenschaft, welche diese Innerlichkeit beschreibt und zergliedert, ist die deskriptive Psychologie. Sie erfaßt daher auch die Funktion der Philosophie in dem Haushalt des geistigen Lebens gleichsam von innen und bestimmt sie in ihrem Verhältnis zu den nächstverwandten geistigen Leistungen. So vollendet sie den Wesensbegriff der Philosophie. Denn die Begriffe, unter welche der von der Philosophie gehört, haben zu ihrem Inhalt die innere Beziehung der Merkmale, welche auf Grund von Innehaben des Erlebten und von Nachverstehen anderer einen realen Zusammenhang darstellen; wogegen die theoretische Naturwissenschaft nur an in den Sinnen gegebenen Phänomenen Gemeinsamkeiten feststellt. Alle menschlichen Erzeugnisse entspringen aus dem Seelenleben und dessen Beziehungen zur äußeren Welt. Da nun die Wissenschajt überall Regelmäßigkeiten aufsucht, so muß auch das Studium der ~eistigen Erzeugnisse von den Regelmäßigkeiten im Seelenleben ausgehen. Diese sind von zweierlei Art. Das Seelenleben zeigt Gleich· förmigkeiten, die an den Veränderungen in ihm festgestellt werden können. In bezug auf diese verhalten wir uns ähnlich wie gegenüber der äußeren Natur. Die Wissenschaft stellt sie fest, indem sie aus den zusammengesetzten Erlebnissen einzelne Prozesse aussondert und Regelmäßigkeiten an denselben induktiv erschließt. So erkennen wir die Prozesse von Assoziation, Reproduktion oder Apperzeption. Jede Veränderung ist hier ein Fall, der in dem Verhältnis der Unterordnung unter die Gleichförmigkeiten steht. Sie bilden eine Seite des psychologischen Erklärungsgrundes für die geistigen Erzeugnisse: so enthalten die eigentümlichen Bildungsprozesse, in welchen Wahrnehmungen zu Phantasiebildern sich umbilden, den einen Teil der Erklärungsgründe für Mythos, Sage, Legende und künstlerisches Schaffen. Die

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Die Struktur des SeelenleiJens

Vorgänge des Seelenlebens sind aber noch durch eine andere Art der Beziehung miteinander verbunden. Sie sind als Teile zum Zusammenhang des Seelenlebens vereinigt. Diesen Zusammenhang nenne ich die psychische Struktur. Sie ist die Anordnung, nach welcher psychische Tatsachen von verschiedener Beschaffenheit im entwickelten Seelenleben durch eine innere erlebbare Beziehung miteinander verbunden sind. Die Grundform dieses seelischen Zusammenhangs ist dadurch bestimmt, daß sich alles psychische Leben von seinem Milieu bedingt findet und rückwärts auf dies Milieu zweckmäßig einwirkt. Empfindungen werden hervorgerufen und repräsentieren die Mannigfaltigkeit der äußeren Ursachen; angeregt durch das Verhältnis dieser Ursachen zu unserem Eigenleben, wie' es in dem Gefühl sich äußert, wenden wir diesen Eindrücken unser Interesse zu, wir apperzipieren, unterscheiden, verbinden, urteilen und schließen: unter der Einwirkung des ge·genständlichen Auffassens entstehen auf der Grundlage der Gefühlsmannigfaltigkeit immer richtigere Abschätzungen des Wertes der Lebensmomente und der äußeren Ursachen für dies Eigenleben und das System seiner Triebe: von diesen Wertschätzungen geleitet, ändern wir durch zweckmäßige Willenshandlungen die Beschaffenheit des Milieus oder wir passen die eignen Lebensvorgänge durch die innere Tätigkeit des Willens unseren Bedürfnissen an. Das ist menschliches Leben. Und in seinem Zusammenhang sind Wahrnehmung, Erinnerung, Denkprozeß, Trieb, Gefühl, Begehren, Willenshandlung auf die mannigfaltigste Weise miteinander verwebt. Jedes Erlebnis, als emen Moment unseres Daseins erfüllend, ist zusammengesetzt. Der psychische Strukturzusammenhang hat einen teleologischen Charakter. Wo in Lust und Leid die seelische Einheit das ihr \Vertvolle erfährt, reagiert sie in Aufmerksamkeit, Auswahl der Eindrücke und Verarbeitung derselben, in Streben, Willenshandlung, Wahl unter ihren Zielen, Aufsuchen der Mittel für ihre Zwecke. So macht schon innerhalb des gegenständlichen Auffassens eine Zielstrebigkeit sich geltend: die Formen der Repräsentation irgendeiner Wirklichkeit bilden Stufen in einem Zweckzusammenhang, in welchem das Gegenständliche zu immer vollständigerer und bewußterer Repräsentation gelangt. Diese Verhaltungsweise, in der wir das Erlebte und Gegebene auffassen, erzeugt unser Weltbild, unsere Begriffe von Wirklichkeit, die Einzelwissenschaften, an welche die Erkenntnis dieser Wirklichkeit sich verteilt - sonach den Zweck· zusammenbang der Wirklichkeitserkenntnis. - An jeder Stelle dieses Vorgangs wirken Trieb und Gefühl. In diesen ist der Mittelpunkt unserer seelischen Struktur; alle Tiefen unseres Wesens werden von da aus bewegt. Wir suchen eine Lage unseres Lebensgefühls, welche auf ~

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Das Wesm der Pkilosopku. II. Teil. Illre Stellung in der geistigen Welt

irgendeine Art unser1e Wünsche schweigen macht. Das Leben befindet sich in der beständigen Annäherung an dieses Ziel: bald scheint es dasselbe ergriffen zu haben, bald entfernt es sich wieder von :ihm. Nur die fortschreitenden Erfahrungen lehren jeden einzelnen, worin für ihn das dauernd Wertvolle. besteht. Die Hauptarbeit des Lebens ist nach dieser Seite, durch Illusionen hindurch zu der Erkenntnis dessen zu kommen, was uns wahrhaft wertvoll ist. Den Zusammenhang von Vorgängen, in dem wir die Lebenswerte und die Werte der Dinge erproben, nenne ich Lebenserfahrung. Sie setzt die Kenntnis dessen voraus, was ist - sonach unser gegenständliches Auffassen, tmd für sie können unsere Willenshandlungen, deren nächster Zweck aufVeränderungen draußen oder in uns selbst gerichtet ist, zugleich Mittel der Feststellung der Werte unserer Lebensmomente wie der äußerenDinge sein - falls sich unser Interesse hierauf richtet. Durch Menschenkennt· nis, Historie, Dichtung erweitern sich die Mi.ttel der Leben.serfahrung und ihr Horizont. Und auch auf diesem Gebiete kann unser Leben seine Sicherheit erst durch die Erhebung zu allgemeingültigem Wissen erlangen. Ob dieses je die Frage nach dem unbedingt Wertvollen beantworten kann? - Auf das Bewußtsein von den Werten des Lebens ist ein dritter und letzter Zusammenhang gegründet, in welchem wir durch unsere Willenshandlungen Sachen, Menschen, Gesellschaft, uns selbst zu leiten und zu ordnen streben. Ihm gehören Zwecke, Güter, Pflichten, Regeln des Lebens, die ganze ungeheure Arbeit unseres praktischen Handeins in Recht, Wirtschaft, Regulierung der Gesellschaft, Herrschaft über die Natur. Auch innerhalb dieser Verhaltungsweise .geht das Bewußtsein zu immer höheren Formen fort, wir suchen als die letzte, höchste ein Handeln auf Grund eines allgemeingültigen Wissens, und wieder entsteht die Frage, wieweit dies Ziel erreichbar ist. Ein Wesen, in welchem eine Zielstrebigkeit gesetzt ist, die irgend· wie auf die in den Trieben geforderten Lebenswerte gerichtet ist, das in der Differenzierung der Leistungen und ihrer wechselseiti·gen inneren Beziehung auf dies Ziel hin sich auswirkt - wird sich entwickeln. So entspringt aus der Struktur des Seelenlebens seine Entwicklung. Jeder Moment, jede Epoche unseres Lebens hat einen selbständigen Wert in sich, sofern ihre besonderen Bedingungen eine bestimmte Art von Befriedigung und Erfüllung u.nseres Daseins möglich machen; zugleich aber sind alle Lebensstufen miteinander verbunden zu einer Entwicklungsgeschichte, indem wir streben, in dem Fortrücken der Zeit eine immer reichere Entfaltung der Lebenswerte, eine immer fester und höher geformte Gestalt des Seelenlebens zu erreichen. Und auch hier zeigt sich wieder dasselbe Grundverhältnis zwischen Leben und Wissen: in der Steigerung der Bewußtheit, in der Erhebung unseres

375 Tuns zu gültigem, wohlbegründetem Wissen liegt eine wesentliche Bedingung für die feste Gestalt unseres Inneren. Dieser innere Zusammenhang lehrt, wie die empirisch festgestellte Funktion der Philosophie aus den Grundeigenschaften des Seelenlebens mit innerer Notwendigkeit hervorgegangen ist. Stellt man sich ein In· dividuum vor, das ganz isoliert wäre und dazu frei von den Zeitschran· ken des Einzellebens, so wird in diesem Auffassung der Wirklichkeit, Erleben der Werte, Verwirklichung der Güter nach Regeln des Lebens stattfinden: eine Besonnenheit über sein Tun muß in ihm cnbtehe.n, und sie wird sich erst vollenden in einem allgemeingültigen Wasen über dasselbe; und wie in den Tiefen dieser Struktur Auffa3sen von Wirklichkeit, innere Gefühlserfahrung der Werte und die Realisierung von Lebenszwecken miteinander verbunden sind, so wird es diesen inneren Zusammenhang in allgemeingültigem Wissen zu erfassen streben. Was in den Tiefen der Struktur zusammenhängt, Welterkenntnis, Lebenserfahrung, Prinzipien des Handelns, das muß auch zu irgend· einer Vereinigung im denkenden Bewußtsein gebracht werden. So ent· steht in diesem Individ4um die Philosophie. Philosophie ist in der Struktur des Menschen angelegt, jeder, an welcher Stelle er stehe, ist in irgendeiner Annäherung an sie begriffen, und jede menschliche Leistung tendiert, zur philosophischen Besinnung zu gelang~n.

Die so11iak Struktur

:z. Die Struktur der Gesellschaft und die Stellung von Religion, Kunst und Philosophie in derselben. Der Einzelmensch als isoliertes Wesen i'St eine bloße Abstraktion. Blutsverwandtschaft, örtliches Zusammenleben, Zusammenwirken in der Arbeitsleistung [in Konkurreru und gemeinsamer Arbeit, die mannigfaltigen Zusammenhänge, die aus dem gemeinsamen Verfolgen von Zwecken hervorgehen], Machtbeziehung in Herrschaft und Gehorsam machen das Individuum zum Gliede der Gesellschaft. Da nun diese Ge· sellschaft aus den strukturierten Individuen besteht, wirken sich in ihr dieselben strukturellen Regelmäßigkeiten aus. Die subjektive und immanente Zweckmäßigkeit in den Individuen äußert sich in der Geschichte als Entwicklung. Die einzelseelischen Regelmäßigkeiten formen sich um in solche des sozialen Lebens. Die Differenzierung und höhere Beziehung der düferenzierten Leistungen aufeinander im Individuum nimmt in der Gesellschaft als Arbeitsteilung festere und wirksamere Formen an. Die Entwicklung wird durch die Verkettung der Geschlechter unbeschränkt: denn die Erzeugnisse jeder Art von Ar· beit bestehen fort als Grundlage für immer neue Generationen; gei· stige Arbeit breitet sich beständig räumlich aus, geleLtet vom Be• wußtsein der Solidarität und des Fortschritts: so entstehen Kontinui·

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Das Wesen der P!Jilosopkie. II. Teil. lkre Stellung in der geistigen Welt

tät der gesellschaftlichen Arbeit, Wachstum der in ihr aufgewandten geistigen Energie und zunehmende Gliederung der Arbeitsleistungen. Diese rationalen Momente, die im Leben der Gesellschaft wirken und von der sozialen Psychologie erkannt werden, stehen unter Bedingungen, auf denen das eigenste Wesen geschichtlichen Daseins beruht; Rasse, Klima, Lebensverhältnisse, ständische und politische Entwicklung, persönliche Eigenart der Individuen und ihrer Gruppichtbar wird. Ein romantisches Denken hat oftmals die Verwandtschaft von Religion, Kunst und Philosophie hervorgehoben. Dasselbe Welt- und Lebensrätsel steht ja vor der Dichtung, der Religion und der Philosophie; ein verwandtes Verhältnis zu dem gesellschaftlich-geschi~ht­ lichen Zusammenhang ihrer Lebenssphäre ist im Religiösen, im Dichter und im Philosophen: umfangen von dieser sind sie doch einsam : ihr Schaffen erhebt sich über alle Ordnungen um sie her in eine Region, in der sie ganz allein den überall wirkenden Kräften der Dinge gegenüberstehen - über alle geschichtlichen Relationen zu dem zeitlosen Umgang mit dem, was immer und überall Leben erwirkt. Sie fürchten die Bande, mit denen Vergangenheiten und Ordnungen ihr Schaffen umstricken wollen. Sie hassen den Verbrauch der Persönlichkeit durch die Gemeinschaften, die nach ihrem Bedürfnis Ehre und Geltung ihrer Glieder bemessen. So trennt ein tiefgreifender Unterschied die festumspannende Verbindung in den äußeren Organisationen, den Zwecksystemen des Wissens oder denen des äußeren Handeins von dem Zusammenwirken in den Kulturzusammenhängen von Religion, Dichtung und Philosophie. Am freiesten aber walten die Dichter. Selbst die festen Beziehungen zur Wirklichkeit lösen sich in ihrem Spiel mit Stimmungen und Gestalten. Diese Gemeinsamkeiten nun von Religion, Dichtung und Philosophie, durch die sie in sich verbunden und von den anderen Lebensgebieten getrennt sind, beruhen schließlich darin, daß die EinspannUI,lg des Willens in begrenzte Zwecke hier aufgehoben ist: der Mensch löst sich aus dieser Gebundenheit an das Gegebene, Bestimmte, indem er sich auf sich selbst und den Zusammenhang der Dinge besinnt: es ist ein Erkennen, das nicht diesen oder jenen eingeschränkten Gegenstand zu seinem Objekt hat, ein Handeln, das nicht an einer bestimmten Stelle des Zweckzusammenhanges vollzogen werden soll. Die Einstellung des Blickes und der Intention in das Gesonderte, nach Ort und Zeit Bestimmte würde die Ganzheit unseres Wesens, das Bewußtsein unseres Eigenwertes, unserer Unabhängigkeit von der Verkettung nach Ursachen und Wirkungen, von der Bindung an Ort und Zeit auflösen: stünde dem Menschen nicht immer wieder das Reich der Religion, Poesie und Philosophie offen, in dem er von solcher Beschränktheit sich erlöst findet. Die Anschauungen, in denen er hier lebt, müssen immer irgendwie die Beziehungen von Wirklichkeit, Wert und Ideal, Zweck und Regel umspannen. Anschauungen: denn das Schöpferische der Religion liegt

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DM Wes111 fÜr PlliiiMojllil. II. T1il. /Ar~ Sllllllllg" itl dw gristirm W1ll

immer in einer Konzeption des wirkenden Zusammenhanges, zu wel· chem das Individuum sich verhält, Dichtung ist immer Hinstellen eines Geschehnisses, erfaßt in seiner Bedeutsamkeit; und von der Philo· sophie ist ja offensichtig, daß ihr begriffliches, systematisches Ver· fahren dem gegenständlichen Verhalten angehört. Die Dichtung nun verbleibt in der Region von Gefühl und Anschauung, da sie nicht nur jede begrenzte Zweckbestimmung, sondern das willentliche Verhalten selbst von sich ausschließt. Dagegen liegt der furchtbare Ernst der Religion und Philosophie darin, daß sie den inneren Zusamm-·mhang, der in der Struktur unserer Seele von der Wirklichkeitsauffassung zur Zwecksetzung geht, in seiner objektiven Tiefe erfassen und aus dieser selber das Leben gestalten wollen. So werden sie zu einer verantwort .. liehen Besinnung über das Leben, welches eben diese Totalität ist; sie werden, gerade im guten Bewußtsein ihrer Wahrhaftigkeit, zu tat· frohen Kräften der Gestaltung des Lebens. Innig verwandt, wie sie so sind, müssen sie sich, eben weil sie dieselbe Intention der Gestaltung des Lebens haben, befehden bis zum Kampf um ihr Dasein. Der Tief· sinn des Gemütes und die Allgemeingültigkeit des begrifflichen Den· kens ringen in ihnen miteinander. Religion, Kunst, Philosophie sind so gleichsam eingeschaltet in die unerbittlich festen Zweckzusammenhänge von Einzelwissenschaften und von Ordnungen des gesellschaftlichen Handelns. Sie stehen so, unter sich verwandt und doch nach ihrem geistigen Verfahren sich fremd, in den merkwürdigsten Beziehungen. Diese 'gilt es nun zu er· fassen. Das führt darauf zurück, wie im menschlichen Geiste der Zug zur Weltanschauung liegt und wie die Philosophie diese allgemeingül· tig zu begründen strebt. Dann wird sich uns auch die andere Seite der Philosophie auftun, wie von den im Leben entwickelten Begriffen und Wissenschaften her die philosophische Funktion der Verallgemeine· rung und Verbindung in Wirksamkeit tritt. U. WELTANSCHAUUNGSLEHRE. REUGION UND DICHTUNG

IN IHREN BEZIEHUNGEN ZUR PHILOSOPHIE Religion, Kunst und Philosophie haben eine gemeinsame Grund· form, die in die Struktur des Seelenlebens zurückreicht. In jedem Moment unseres Daseins besteht ein Verhältnis unseres Eigenlebens zur Welt, die uns als ein anschauliches Ganzes umgibt. Wir fühlen uns, den Lebenswert des einzelnen Moments und die Wirkungswerte der Dinge auf uns, dies aber im Verhältnis zur gegenständlichen Welt. Im Fortschreiten der Reflexion erhält sich die Verbindung von Erfah· rung über das Leben und Entwicklung des Weltbildes. Lebenswertung setzt Kenntnis dessen voraus, was ist, und Wirklichkeit tritt unter wech·

Die Wel/anscltauungen. l"rt elementarm Formen. Wecllsel und Fesligoung

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selnde Beleuchtungen vom Innenleben her. Nichts ist flüchtiger, zarter, veränderlicher als die Stimmung des Menschen gegenüber dem Zusammenhang der Dinge. Dokumente einer solchen sind jene lieblichen Gedichte, die an ein Naturbild den Ausdruck inneren Lebens knüpfen. Und beständig wechseln in uns, wie Schatten von W ol.kcn, die über eine Landschaft hingehen, AuffassWlg und Schätzung von Leben und Welt. Der Religiöse, der Künstler, der Philosoph unterscheiden sich nun dadurch von den Dutzendmenschen, ja auch von Genies anderer Art, daß sie solche LebeD3lllomente festhalten in der Erinnerung, ihren Gehalt zum Bewußtsein erheben und die Einzelerfahrungen zu allgemeiner Erfahrung über das Leben selber verbinden. Damit erfüllen sie eine bedeutsame Funktion, nicht für sich nur, sondern auch für die Gesellschaft. So erheben sich allenthalben Interpretationen der Wirklichkeit: die W eltanschauWlgen. Wie ein Satz einen Sinn oder eine BedeutWlg hat und zum Ausdruck bringt, so möchten diese Interpretationen Sinn und Bedeutung der Welt aussprechen I Wie wechselnd aber 3ind nun doch schon in jedem einzelnen Individuum diese Interpretationen! Sie ändern sich unter der Wirkung der ErfahrWlgen allmählich oder plötzlich. Die Epochen des menschlichen Lebens durchlaufen in typischer Entwicklung, wiP Goethe sah, verschiedene Weltanschauungen. Zeit und Ort bedingt:n ihre Mannigfaltigkeit. Wie eine Vegetation von unzähligen Formen bedecken Lebensansichten, künstleri3cher Ausdruck von Weltverständnis, religiös bestimmte Dogmen, Formeln der Philosophen die Erde. Zwischen ihnen scheint, wie bei den Pflanzen am Boden, ein Streit um Dasein und Raum zu bestehen. Da gewinnen nun einzelne derselben, getragen von der einheitlichen Größe der Person, Macht über die Menschen. Heilige wollen Leben und Sterben Christi nachleben, lange Reihen von Künstlern sehen den .r\1enschen mit den Augen Raffaels, Kants Idealismus der Freiheit reißt Schiller, Fichte, ja die meisten wirksamen Personen der fölgenden Generation mit sich fort. Das Gleiten und Schwanken der seeli3chen Vorgänge, das Zufällige und Partikulare im Gehalt der Lebensmomente, das Unsichere und Wechselnde in der Auffassung, WertWlg und Zweck· setzung, diese innere Unseligkeit des so irrig von Rousseau oder Nietzsche gepriesenen naiven Bewußtseins wird überwWlden. Die bloße Form des religiösen, künstlerischen, philosophischen Verhaltens bringt Festigkeit und Ruhe und schafft einen Zusammenhang, der den religiösen Genius mit den Gläubigen, den Meister mit den Schülern, die philosophische Persönlichkeit mit denen, die unter ihrer Macht stehen, verbindet. So klärt sich jetzt auf, was unter Welt- und Lebensrät;;el als dem

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Das Wesen der Pllilosopkie. II. Teil. Ihre Stellung in der geistigen Welt

gemeinsamen Gegenstand von Religion, Philosophie, Dichtung zu ver· stehen ist. In der Struktur der Weltanschauung i.it immer eine innere Beziehung der Lebenserfahrung zum Weltbilde enthalten, eine Be· ziehung, aus der stets ein Leben.;ddeal abgeleitet werden kann. Die Analyse der höheren Gebilde in diesen drei Sphären des Schaffens ebenso wie die Beziehung von Wirklichkeit, Wert und Willensbestimmung als Struktur des Seelenlebens führen zu dieser Einsicht. Sonach ist die Struktur der Weltanschauung ein Zusammenhang, in welchem Bestandteile von verschiedener Provenienz und verschiedenem Charakter vereinigt sind. Der Grundunterschied zwischen die.sen Bestandteilen geht zurück in die Differenzierung des Seelenlebens, welche als dessen Struktur bezeichnet worden ist. Die Anwendung rles Namens Weltanschauung auf ein geistiges Gebilde, das Welterkenntnis, Ideal, Regelgebung und oberste Zweckbestimmung einschließt, rechtfertigt sich dadurch, daß nie in ihr die Intention zu bestimmten Handlungen gesetzt ist, sie sonach nie bestimmtes praktisches Verhalten einschließt. Das Problem des Verhältnisses der Philosophie zu Religion und Dichtung kann nun zurückgeführt werden in die Frage nach den Beziehungen, die sich aus der verschiedenen StruktlAr der Weltanschauung in diesen ihren drei Formen ergeben. Denn sie treten nur insofern in innere Beziehungen, als sie eine Weltanschauung vorbereiten oder enthalten. Wie der Botaniker die Pflanzen in Klassen ordnet und das Gesetz ihres Wachstums erforscht, so muß der Zergliederer der Philosophie die Typen der Weltanschauung aufsuchen und die Gesetzmäßigkeit in ihrer Bildung erkennen. Eine solche vergleichende Betrachtungsweise erhebt den menschlichen Geist über die in seiner Bedingtheit gegründete Zuversicht, in einer dieser Weltanschauungen die Wahrheit selber ergriffen zu haben. Wie die Objektivität des großen Ge&chichtschreibers die Ideale der einzelnen Zeiten nicht meistern will, so muß der Philosoph das betrachtende Bewußtsein selber, das sich die Gegenstände unterwirft, geschichtlich-vergleichend auffassen und sonach über ihnen allen seinen Standpunkt einnehmen. Dann vollendet sich in ihm die Geschichtlichkeit des Bewußtseins. Die religiöse Weltanschauung ist nun ihrer Struktur nach verschieden von der dichterischen und diese von der philosophischen. Dem entspricht eine Verschiedenheit in der Anordnung der Typen der Weltanschauung innerhalb dieser drei Kultursysteme. Und aus den Grundunterschieden der philosophischen Weltanschauung von der religiösen und der dichterischen ergibt sich die Möglichkeit des Übergangs einer Weltanschauung aus der religiösen oder künstlerischen Form in die philosophische und umgekehrt. Das Vorwiegende des Übergangs in die philosophische Form ist in der seelischen Tendenz gegründet, sei:-

Struktur der T+'eltan.schauunl[. Die Religion

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nem Tun Festigkeit und Zusammenhang zu geben, was schließlich nur im allgemeingültigen Denken erreicht wird. So entstehen die Fragen: Worin besteht die Eigenart der Struktur dieser verschiedenen Formen? nach welchen gesetzlichen Verhältnissen transformiert sich die religiöse oder künstlerische in die philosophische? An der Grenze dieser Untersuchung nähern wir uns dem allgemeinen Problem, für dessen Behandlung hier kein Raum ist: der Frage nach den gesetzlichen Verhältnissen, welche die Variabilitit in der Struktur und die Mannigfaltigkeit der Typen der Weltanschauung bestimmen. Die Methode muß auch hier sein, daß zunächst die historische Erfah· rung befragt und dann der in ihr liegende Sachverhalt der psychischen Gesetzlichkeit eingeordnet wird. r. Die religiöse Weltanschauung und ihre Beziehungen zur ph ilo sop hisehe n.

Der Begriff der Religion gehört derselben Klasse an als der von Philosophie. Er bezeichnet zunächst einen Sachverhalt, der an gesell· schaftlieh aufeinander bezogenen Individuen als ein Teil:nhalt ihres Lebens wiederkehrt. Und weil dieser Sachverhalt die Individuen, denen er gleichförmig angehört, in innere Beziehungen zueinander setzt und zu einem Zusammenhang verbindet: so bezeichnet der negriff Reli· gion zugleich einen Zusammenhang, der die religiös bestimmten Individuen als Glieder zu einem Ganzen verknüpft. Die Begriff:;be;;tim· mung unterliegt hier derselben Schwierigkeit, die in bezug auf die Phi· losophie sich gezeigt hat. Der Umfang der religiösen Tatsachen müßte nach Namengebung und Zusammengehörigkeit festgestellt wer· den, um den Wesensbegriff aus den diesem Umfang unterstehenden Tatsachen ableiten zu können. An dieser Stelle kann das methodi.>che Verfahren, das hier die Schwierigkeiten löst, nicht selbst vorgelegt, sondern nur seine Ergebnisse können für die Zergliederung der reli· giösen Weltanschauung benutzt werden. Religiös ist eine Weltanschauung, sofern sie ihren Ursprung in einer bestimmten Art von Erfahrung hat, die im religiösen Vorgang begründet ist. Wo irgend der Name Religion auftritt, hat diese zu ihrem Merkmal den Verkehr mit dem Unsichtbaren: denn dieser findet sich ebensogut in ihren primitiven Stufen, als :n jenen letzten Verzwei· gungenihrer Entwicklung, in welchen dieser Verkehr nur noch in der inneren Beziehung der Handlungen zu einem alles Empiris~he über· schreitenden und so das religiöse Verhältnis ermöglichenden Ideal be· steht oder in dem Verhalten der Seele zu dem ihr verwandten gött· liehen Zusammenhang der Dinge. Durch diesen Verkehr entwickelt sich die Religion in der Geschichte ihrer Formen zu einem immer um-

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Das Wesen der Pllilosopkie. ll. Teil. lkre Steilung in der geistigen Welt

fassenderen unö vollkommener differenzierten Strukturzusammenhang. Das Verhalten, in welchem dies geschieht und das sonach den hervor· Dringenden Grund aller religiösen Anschauungen und den Erkenntnis· grund für jede religiöse Wahrheit enthalten muß, ist die religiöse Er· fahrung. Diese ist eine Form der Lebenserfahrung, hat aber darin ihren spezifischen Charakter, daß sie die Besinnung ist, welche die Vor· gängedes Verkehrs mit dem Unsichtbaren begleitet. Wenn die Lebenserfahrung ein an den Erlebnissen fortschreitendes Sichbesinnen über die Lebenswerte, die Wirkungswerte der Dinge und die daraus fließen· den höchsten Zwecke und obersten Regeln unseres Handeins ist, so liegt nun das Eigentümliche der religiösen Lebenserfahrung darin, daß sie, wo die Religiosität sich zu vollem Bewußtsein erhebt, in dem Verkehr mit dem Unsichtbaren den höchsten und unbedingt gültigen Lebenswert und in dem unsichtbaren Gegenstand dieses Verkehrs den unbedingt gültigen höchsten Wirkungswert, das, von dem alles Glück und alle Seligkeit ausgeht, erfährt: woraus sich dann auch ergibt, daß von diesem Unsichtbaren aus alle Zwecke und Regeln des Handeins bestimmt werden müssen. Hierdurch ist nun das Unterscheidende in der Struktur der religiösen Weltanschauung bedingt. Sie hat ihren Mittelpunkt in dem religiösen Erlebnis, in welchem die Totalität des Seelenlebens wirksam ist: die in ihm gegründete religiöse Erfahrung bestimmt jeden Bestandteil der Weltanschauung: alle Anschauungen über den Zusammenhang der Welt entspringen, sofern man sie iso· liert betrachtet, aus diesem Verkehr und müssen diesen Zusammenhang sonach als eine Kraft erfassen, die mit unserem Leben in Verhältnis steht, und zwar als eine seelische Kraft, da nur eine derartige solchen Verkehr möglich macht. Das Ideal des Lebens, d. h. die innere Ord· nung seiner Werte muß bestimmt sein durch das religiöse Verhältnis: endlich muß sich aus ihm die höchste Regel für die Beziehungen der Menschen untereinander ergeben. Durch die verschiedene Art, welche dieser religiöse Verkehr, die religiöse Erfahrung und das Bewußtsein von ihr annehmen kann, sondern sich die geschichtlichen Stufen und Formen, in denen die reli· giöse Weltanschauung sich ausbildet. In der uns zugänglichen älteren Religiosität finden wir stets einen Glauben und eine Praxis miteinander verbunden. Sie setzen sich gegenseitig voraus. Denn wie auch der Glaube an lebendige, willentlich wir· kende Kräfte um den Menschen her entstanden sein mag: wir finden die Fortbildung dieses Glaubens, ;;oweit wir sie in Völkerkunde und Ge· schichte feststellen können, durch die Art bestimmt, in welcher die religiösen Gegenstände eben durch das Handeln auf sie Gestalt erhalten, und anderseits bestimmt dann wieder den Kultus der Glaube, da das

Struktur der religiösen We/latuckauung

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religiöse Handeln in ihm erst sein Ziel erhält. Religion ist den Naturvölkern die Technik, das Unfaßliche, det bloß mechanischen Ver· änderung Unzugängliche zu beeinflussen, seine Kräfte in sich auf zunehmen, sich mit ihm zu vereinigen, in erwünschtes Verhältnis zu ihm zu treten. Solche religiöse Handlungen werden von dem ein:relnen, dem Häuptling oder dem Zaubererpriester vollzogen. So bildet sich für deren Handhabung eine Berufsklasse aus. Am Beginn jeder Differenzierung der männlichen Berufe entsteht dies unheimliche, keineswegs besonders respektierte, doch mit bald furchtsamer, bald erwartungsvoller Scheu betrachtete Metier des Zauberers, Medizinmannes oder Priesters. Aus ihm bildet sich allmählich ein geordneter Stand, er wird Träger des ganzen religiösen Verhältnisses, einer Technik von magischen Handlungen, Büßungen und Reinigungen, und er ist so lange Inhaber des Wissens, bis sich eine selbständige Wissenschaft absondert. Er muß sich durch Enthaltungen freimachen für den Gott, er muß sein Verhältnis zum Unsichtbaren durch Entsagungen bewähren, die ihn in seiner Heiligkei·t und Würde von allen anderen Personen absondern: das ist die erste beschränkte Art, in welcher das religiöse Ideal sich vorbereitet. Aus diesem Verkehr mit dem Unsichtbaren, der auf Erlangung von Gütern, Abwendung von Übeln gerichtet und durch besondere Personen vermittelt ist, entwickeln sich die primitiven religiösen Ideen innerhalb dieser Schicht der Religiosität. Sie beruhen auf dem mythischen Vorstellen und dessen innerer Gesetzlichkeit. Es liegt schon in der ursprünglichen Lebendigkeit und Totalität des Menschen, daß er in allen seinen Bezü.gen zur Außenwelt Äußerungen eines Lebendigen erfährt, und es ist das die allgemeine Voraussetzung eines religiösen Verkehrs. Die Technik der religiösen Handlungen mußte diese Form des Auffassen.; verstärken. Subjektiv, wechselnd, mannigfach wie diese Erfahrungen waren, erhielten sie doch in jeder Horde oder jedem Stamm Gleichförmigkeit durch die Gemeinsamkeit der religiösen Er· fahrung, und sie gewannen Sicherheit durch die eigne, am Faden der Analogie verlaufende Logik derselben. Wo noch kein Vergleich wissen· schaftlieber Evidenz sich darbot, konnte viel leichter solche Glauben.;· sicherheitund Obereinstimmung in ihr sich bilden. Wo Traum, Vision, anormale Nervenzustände .aller Art als Wunder in das Tagesleben hineinreichten, erhielt in ihnen die religiöse Logik ein Erfahrungs· material, welches Einwirkungen des Unsichtbaren zu belegen teson· ders geeignet war. Die suggestive Kraft der Glauben.sinhalte, ihre gegenseitige Bestätigung, die nach derselben religiösen Logik wie ihre erste Feststellung fortging, dann die gleichsam experimentelle Beglaubigung, die aus der erprobten Wirkung eines Fetischs, einer Mani·

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Das Wesm der Philosoplr.u. II. Teil. 1/r.re Stellung in der geistigen Welt

pulation des Zauberkünstlers kam, ganz wie wir heute die Kraft eines Gnadenbildes durch die Kranken erprobt und in Abbildungen und Be· richten der Wallfahrtsorte zu Zeugnismassen fixiert sehen, dann auch die Aktionen der Zauberer, Orakelpriester, Mönche, heftige Bewe· gungen und außergewöhnliche Zustände mit Erscheinungen und Offen· barungen, hervorgerufen durch Fasten, lärmende Musik, Berauschung irgendeiner Art - all das stärkte die religiöse Art von Gewißheit. Aber das \Vesentliche war doch, daß auf den ersten uns zugänglichen Kulturstufen nach der Natur des damaligen Menschen und seiner Lebensbedingungen der religiöse Glaube aus überall gleichen, wirk· samenErlebnissenvon Geburt, Tod, Krankheit, Traum, Wahminn seine primitiven religiösen I d e P n entwickelte, die daher allerorts gleichermaßen wiederkehren. In jedem lebendigen beseelten Körper wohnt ein zweites Ich, die Seele (auch wohl als Mehrheit gedacht), das ihn vorübergehend verläßt, im Tode sich von ihm sondert und mannig· facher Wirkungen in seinem schattenhaften Dasein fähig ist. Die ganze .\"atur ist von geistartigen Wesen belebt, die auf den Menschen ein· wirken, und die er durch Zauber, Opfer, Kultus, Gebet für sich zu stimmen strebt. Himmel, Sonne und Gestirne sind Sitze göttlicher Kräfte. Nur hingewiesen sei hier auf eine andere Klasse von Ideeny welche bei den Völkern niederer Stufe auftritt und die sich auf den ürsprung der :\Ienschen oder der Welt bezieht. Diese primitiven Ideen bilden die Grundlage der religiösen 'Welt· anschauung. Sie formen sich um, sie wachsen zusammen, jede Ver· änderung im Zustand der Kultur arbeitet an dieser Entwicklung. Inner· halb der allmählichen Umgestaltung der Religiosität liegt das ent· scheidende :\1oment für den Fortschritt zu einer Weltanschauung in der \"eränderung des Verkehrs mit dem Unsichtbaren. Jenseits des offi· zieHen Kultus mit seinen Tempeln, Opfern, Zeremonien entsteht ein freieres, esoterisches Verhältnis der Seele zum Göttlichen. Ein religiös vornehmerer Kreis tritt in dies besondere Verhältnis zur Gottheit, er schließt sich darin ab, oder er gestattet auch den Zugang. In den :\Iysterien, in dem Einsiedlerleben, im Prophetenturn gelangt das neue Verhältnis zur Geltung. In dem religiösen Genius offenbart sich die geheimnisvolle \1acht der Persönlichkeit, kraft deren sie den Zusammenhang ihres Wesens in \Velterfas.sung, Wertung des Lebens und Gestaltung seiner Ordnungen in sich zusammennimmt. Die religiösen Erfahrungen und ihr vorstellungsmäßiger Niederschlag treten gleichsam in einen anderen Aggregatzustand. Das Verhältnis der religiösen Personen zu denen, die unter ihrer Wirkung stehen, empfängt eine andere innere Form. Nicht einzelne Wirkungen werden erfahren rJder versucht, srJndern der Zusammenhang der Seele tritt in dic-;en

Die pn'mitt'ven reli~sen Ideen

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inneren Verkehr. Diese großen Persönlichkeiten hören ~uf, unter der Gewalt unverstandener, naturdunkler Kräfte zu stehen und an dem heimlichen Bewußtsein des Mißbrauchs, der F.älschung derselben sich zu ergötzen und zu leiden. Die Gefahr, die in diesem neuen, reineren· Verhältnis verborgen ist, ist eine andere, die Steigerung des Bewußtseins von sich selbst, die aus der Wirkung auf die Gläubigen entspringt und aus dem Verkehr mit dem Unsichtbaren den Charakter einer besonderen Beziehung zu diesem empfängt. Unter den Kräften aber, die von diesem neuen Verhältnis ausgehen, ist eine der stärksten, daß es durch die innerliche Beziehung, in die alle Momente des religiösen Verkehrs und alle Seiten seines Gegenstandes zueinander treten, eine einheitliche Weltanschauung vorbereitete. überall wo Anlagen und Verhältnisse eine normale Entwicklung möglich machten, hat sich eine religiöse Weltanschauung gebildet, gleichviel wie lange Zeit diese Veränderung in dem Verkehr mit dem Unsichtbaren an den verschie· denen Stellen, wo zu ihr fortgegangen wird, in Anspruch nehmen mag, welche Stufen durchlaufen werden, einerlei ob die Namen der religiösen Persönlichkeiten vergessen sind. Struktur und Gehalt der religiösen Weltanschauung, wie sie sich so ausbildet, sind bestimmt von dem religiösen Verkehr und der in ihm sich ausbildenden Erfahrung. Daher auch mit einer seltsamen Zähigkeit die primitiven Ideen in beständiger Fortwanddung doch ihre Kraft behaupten. Weltauffassen, Wertgebung, Lebensideal erhalten so in der religiösen Sphäre ihre eigne Form und Farbe. In den Erfahrungen des religiösen Verkehrs findet sich der Mensch bestimmt durch ein Dynamisches, das unerforschlich und innerhalb des sinnlichen Kausalnexus unbeherrschbar ist. Es ist willentlich und seelisch. So entsteht die Grundform des religiösen Auffassens, wie sie sich in Mythos, Kulthandlung, Anbetung sinnlicher Objekte, in der allegorischen Auslegung der heiligen Schriften geltend macht. Die auf Seelenglaube, Gestirnkultus gegründete und im primitiven Verkehr mit dem Unsichtbaren entwickelte Methode des religiösen Sehen.s und Feststelleus erreicht hier den inneren Zusammenhang, welcher der Stufe der Weltanschauung entspricht. Der Verstand kann die in dieser Art zu sehen enthaltenen Annahmen nicht begreifen, sondern nur zersetzen. Das einzelne und Sichtbare meint und bedeutet hier etwas, das mehr als das ist, in dem es erscheint. Dies Verhältnis ist von der Bedeutung der Zeichen, dem Meinen im Urteil, dem Symbolischen in der Kunst unterschieden und doch ihnen verwandt. Es liegt in ihm eine Repräsentation ganz eigner Art: denn eben nach dem Verhältnis alles Erscheinenden, Sichtbaren zu dem Unsichtbaren bedeutet nur eines das andere und ist doch mit ihm eins. [Das ist das Verhältnis, in D i 1 t h ~ y, (fesammelte Schriftrn V

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Das Wesen der Plu1osopkü. II. Teil. Illre Stellung in der geistigen Welt

welchem das Weltbild zur Gottheit steht. Die Wirkungskraft des Unsichtbaren ist darin.] Hieraus ergibt sich, daß auch auf dieser Stufe des inneren Verkehrs mit dem Unsichtbaren das Hineinscheinen desselben in das sichtbare Einzelne, das Wirken in diesem, das Sich-Dar· bieten des Göttlichen in Personen und in religiösen Akten fortdauert. Und auch die mit dieser Stufe zusammenhängende Vereinheitlichung der Gottheiten hat nur in einem kleineren Teil von Völkern und Religionen diesen Zug des religiösen Auffassens dauernd überwinden können. Auf verschiedenen Wegen hat sich von früh an die Zu~ sammenfassung der göttlichen Kräfte in einer höchsten vollzogen. Dieser Vorgang hatte sich bis um das Jahr 6oo v. Chr. bei den wichtigsten Völkern des Ostens durchgesetzt. Die Einheit der Namen, die Herrschaft des im Sieg bewährten stärksten Gottes, die Einzigkeit des Heiligen, die Auflösung aller Unterschiede in dem mystischen religiösen Gegenstande, die Einsicht in die einmütige Ordnung der Gestirne diese und andere ganz voneinander unterschiedene Ausgangspunkte führten zu der Lehre von dem einen Unsichtbaren. Und wie in den Jahrhunderten, in denen diese große Bewegung bei den östlichen Völkern sich vollzog, ein höchst lebendiger Verkehr zwischen ihnen bestand, kann man nicht zweifeln, daß derselbe auch der Verbreitung des größten Gedankens dieser Zeiten förderlich gewesen ist. Aber jede dieser Anschauungen von der die Welt bedingenden Einheit trägt an sich die Marke ihres religiösen V rsprungs in den Merkmalen von Güte, vorsehender Einsicht, Beziehung zu menschlichen Bedürfnissen. Und in den meisten von ihnen ist nach der Grundkategorie religiösen Auffassens das Göttliche umgeben von 'Kräften, die im Sichtbaren liegen, oder es muß als Gott auf der Erde erscheinen, es kämpft mit: dämonischen Gewalten, es erweist sich an heiligen Orten oder in Wundern, es wirkt in Handlungen des Kultus. Die Sprache, in welcher der religiöse Verkehr über das Göttliche sich äußert, muß überall sinnlichgeistig sein. Symbole wie Licht, Reinheit, Höhe sind der Ausdruck für die im Gefühl erfahrenen Werte im göttlichen Wesen. Die allgemeinste abschließende reale Auffassungsform für den göttlich bedingten Zusammenhang der Dinge ist die teleologische Verfassung der Welt. Hinter dem Nexus der äußeren Objekte, in ihm und über ihm besteht ein geistiger Zusammenhang, in dem die göttliche Kraft sich zweckmäßig äußert. An diesem Punkte geht nun die religiöse Welt• anschauung über in die philosophische. Denn das metaphysische Denken ist von Anaxagoras bis zu Thomas und Duns Scotus vorherrschend von dem Begriff des teleologischen Weltzusammenhangs bestimmt gewesen. In dem innerlichen Verkehr mit dem Unsichtbaren erfährt das naive

Wert.~rebung und Ideal in der religiösen Weltanschauung.

Typen derselben

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Lebensbewußtsein eine Umwendung. In dem Grade, in welchem der Blick des religiösen Genies auf das Unsichtbare gerichtet ist und sein Gemüt in dem Verhältnis zu ihm ~ufgeht, verzehrt diese Sehnsucht alle Werte der Welt, sofern sie nicht dem Verkehr mit Gott dienen. So entsteht das Ideal des Heiligen und die Technik der Askese, welche das Vergängliche, Begehrliche, Sinnliche im Individuum zu vernichten strebt. Das begriffliche Denken ist nicht imstande, diese Umwendung vom Sinnlichen zum Göt~lichen auszudrücken. Sie wird in der Symbolsprache, die sich durch ganz verschiedene Religionen erstreckt, als Wiedergeburt bezeichnet, ihr Ziel als die Liebesgemeinschaft der menschlichen Seele mit dem göttlichen Wesen. In der Sphäre der Willenshandlung und der Lebensordnungen entsteht ebenfalls aus dem innerlichen religiösen Verkehr ein neues Moment, da!. :zu der Weihe der weltlichen Beziehungen hinzutritt. Alle, welche in dem religiösen Verhältnis zu der Gottheit stehen, sind dadurch zu einer Gemeinschaft verbunden, und diese ist jeder anderen in dem Grade überlegen, als der Wert der religiösen Beziehung den von anderen Lebensordnungen überwiegt. Die innerliche Tiefe und Stärke der Verhältnisse in dieser Gemeimchaft haben in der religiösen Symbol· sprache einen eignen Ausdruck gefunden: die in der Gemeinschaft Verbundenen werden als Brüder und ihre Beziehung zur Gottheit wird als Gotteskindschaft bezeichnet. Aus diesem Charakter der religiösen Weltanschauung können die Haupttypen und deren Beziehungen zueinander verstanden werden. Evolution des Universums, Immanenz der Weltvernunft in den Lebensordnungen und dem Lauf der Natur, ein geistiges AU-Eines, hinter allem Geteilten, in das die Seele ihr Eigenwesen hingibt, die Dualität der guten, reinen, göttlichen Ordnung und der dämonischen, der ethische Monotheismus der Freiheit - diese Grundtypen der religiösen Weltanschauung erfassen alle das Göttliche auf Grund der \Vertbeziehungen, die der religiöse Verkehr zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen, dem Sinnlichen und dem Sittlichen, der Einhei.t und der Vielheit, den Ordnungen des Lebens und dem religiösen Gute feststellt. In ihnen haben wir die Vorstufen der philosophischen Weltanschauungen anzuerkennen; sie gehen in Typen der Philosophie iiber. Religion, Mystik geht bei allen Völkern, die zur Philosophie halb oder ganz fortgeschritten sind, der Philosophie voraus. Diese Veränderung hängt mit einer allgemeineren zusammen, die sich in der Form der religiösen Weltanschauung vollzieht. Die religiösen Vorstellungen treten abermals in einen anderen Aggregatzustand. Die Religion und die religiöse Weltanschauung setzen sich allmählich - denn alle diese Veränderungen vollziehf'!n sich langsam

:!~~~~ese11 der PltilosofJltie. II. Teil. Illre Sullung in der geistigen Welt

- in die Form des begrifflichen Denkens um. Nicht so, als ob derert begriffliche Form die anschauliche verdrängte. Bleiben doch auch die niederen Arten des religiösen Verkehrs bestehen neben den höheren: sie erhalten sich in jeder entwickelteren Religion als deren untere Schichten. Die Magie in der religiösen Prozedur, die Knechtschaft unter den mit magischer Kraft ausgestatteten Prie.>tern, der gröbste sinnliche Glaube an die Wirkung religiöser Orte und Bilder dauern fort in derselben Religion, in derselben Konfession neben tiefsinniger Mystik, die aus der höchst gesteigerten Innerlichke;rl: des religiösen Verkehrs erwächst. Ebenso behält nun die Bilderschrift der religiösen Symbolik ihre Geltung neben der theologischen Begriffsbildung. Aber wenn die Stufen des religiösen Verkehrs sich wie höhere und niedere zueinander verhielten, so besteht ein solches Verhältnis nicht zwischen den mannigfachen Modifikationen in der Form der religiösen Weltanschauung. Denn das liegt nun in der Natur der religiösen Erlebnisse und Erfahrungen: sie möchten ~hrer objektiven Gelttvng sich versichern, und nur in begrifflichem Denken könnte dies Ziel erreicht werden. Aber in dieser begrifflichen Arbeit selber stellt sich ihre gänzliche Unzulänglichkeit zu solchem Unternehmen heraus. Diese Vorgänge können am gründlichsten an der indischen und an der christlichen Religiosität studiert werden. In der V e d ä n t ap h i los o p h i e un:d in der Philosophie des Albertu.> und Thornas verwirklichte sich eine solche Umsetzung. Hier wie dort aber zeigte sich die Unmöglichkeit, die innere in dem partikularen religiösen Verhalten gegründete Schranke zu überwinden. Aus dem besonderen Verhalten der religiösen Personen, das aber seine Voraussetzungen in einem älteren Dogmenkreise hatte, entsprang dort die Intuit:on vom Heraustreten aus der Verkettung von Geburt, Werken, Vergeltung, Wanderung durch das Wissen, in welchem die Seele ihre Jdentität mit dem Brahman crfaßt. So erwuchs der Widerspruch zwischen tler furchtbaren Realität, in welcher das Dogma den unentrinnbaren Kreis von Täter, Tat und Leiden faßte, und dem Scheinwesen alles Geteilten, das die metaphysische Lehre forderte. Das Christentum stellte sich zuerst dar in Dogmen ersten Grades: Schöpfung, Sündenfall, Offenbarung Gottes, Gemeinschaft Christi mit Gott, Erlösung, Opfer, Genugtuung. Sowohl diese religiösen Symbole als ihre Beziehungen aufeinander gehören einer ganz anderen Region als der des Verstandes an. Ein inneres Bedürfnis trieb nun aber weiter, den Gehalt dieser Dogmen aufzuklären und die in ihnen enthaltene Anschauung göttlicher und menschlicher Dinge herauszuheben. Man tut der Geschichte des Christentums unrecht, wenn man die Aufnahme der Theoreme der griechisch-römischen Philosophie nur als ein äußeres Schicksal ansieht, das ihm durch seine

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U11UeiJiung in die Form des beg,;fl/klun Denkens. Antinomien

Umgebung aufgedrungen sei: sie war zugleich eine· innere, in den Bildungsgesetzen der Religiosität selbst liegende Notwendigkeit. Indem nun die Dogmen den Kategorien des Weltzusammenhangs eingeordnet werden, entstehen die Dogmen zweiten Grades: die Lehre von den Eigenschaften Gottes, der Natur Christi, dem Prozeß des christlichen Lebens im Menschen. Und hier verfällt nun die Innerlichkeit der christlichen Religion einem tragischen Schicksal. Diese Begriffe isolieren die Momente des Lebens, stellen sie gegeneinander. So entsteht der unlösliche Streit zwischen der Unendlichkeit Gottes und seinen Eigenschaften, diesen Eigenschaften untereinander, dem Göttlichen und Menschlichen in Christus, der Freiheit des Willens und der Gnadenwahl, der Versöhnung durch das Opfer Christi und unserer sittlichen Natur. Die Scholastik arbeitet sich vergeblich an ihnen ab, der Rationalismus zersetzt durch sie das Dogma, die Mystik geht zurück in erste Linien einer religiösen Gewißheitslehre. Und wenn nun von Albertus ab die Scholastik dazu fortgeführt wird, die religiöse Weltanschauung umzusetzen in eine philosophische, diese loszulösen von der andersgearteten Sphäre der positiven Dogmen, so kann sie auch so die Schranken nicht überwinden, die in dem christlichen Verkehr mit Gott gegeben waren: die in ihm gesetzten Eigenschaften Gottes verbleiben unverträglich mit seiner Unendlichkeit und die Bestimmung des Menschen durch ihn mit dessen Freiheit. Dieselbe Unmöglichkeit einer Umsetzung der religiösen in die philosophische Weltanschauung zeigte sich überall, wo dieser Versuch gemacht wurde. Philosophie entstand in Griechenland, wo ganz unabhängige Personen sich direkt der Welterkenntnis in allgemeingültigem Wissen zuwandten. Und sie wurde bei den neueren Völkern wiederhergestellt durch Forscher, welche unabhängig von den kirchlichen Ordnungen dasselbe Problem der Welterkenntnis sich stellten. Beide Male entstand sie im Zusammenhangmit den Wissenschaften, sie beruhte auf der Konstituierung der Welterkenntnis in einem festen Gerüst ursächlicher Zusammenhilnge im Gegensatz zu den Weltwertungen der Religion. Ein verändertes inneres Verhalten macht sich in ihr geltend. Aus dieser Analyse ergibt sich, in welchen Zügen die religiöse Weltanschauung gleichförmig mit der philosophischen ist, sowie worin sie sich von ihr unterscheidet. Die Struktur beider ist in den großen Zügen dieselbe. Dieselbe innere Beziehung vo'! Wirklichkeitsauffassen, Wertgebung, Zwecksetzung, Regelung hier wie dort. Derselbe innere Zusammenhang, in dem so die Persönlichkeit in sich zusammengeiaßt und gefestigt ist. Und ebenso ist in dem gegenständlichen Auffassen die Kraft enthalten, das persönliche Leben und die gesellschaftlichen Ordnungen zu gestalten. So nahe sind beide einander, so verwandt eine 1'!_

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Das Wesen der Phi/o.ropleie. II. Teil. fiere Stellung in der geistigen Welt

der anderen,• so übereinstimmend in bezug auf das Gebiet, das sie beherrschen wollen, daß sie überall zusammenstoßen müssen. Denn ihr Verhältnis zu dem Welt· und Lebensrätsel, wie es so vor beiden ausgebreitet liegt, ist nun doch gänzlich verschieden - so verschieden als religiöser Verkehr und das breite Verhältnis zu allen Arten von Wirklichkeit, so verschieden als die in ihrer Richtung festgelegte, selbstsichere, religiöse Erfahrung und eine Lebenserfahrung, die alles innere Tun und Verhalten gleichmäßig und gleichmütig zur Besonnen· heit erhebt. Dort bestimmt das große Erlebnis von einem unbedingten unendlichen gegenständlichen Werte, dem alle endlichen untergcord· net sind, von dem unendlichen Lebenswerte des Verkehrs mit diesem unsichtbaren Gegenstande das ganze gegenständliche Auffassen und die gesamte Zwecksetzung: das transzendente Bewußtsein eines Gei· stigen ist ja selbst nur die Projektion des größten religiösen Erlebnisses, in dem der Mensch die Independenz seines Willens vom ganzen Naturzusammenhang erfaßt; die Färbung dieses Ursprungs der rcli· giösen Weltanschauung teilt sich jedem ihrer Züge mit: die Grund· form des Sehensund Feststellens, die hierdurch gegeben ist, waltet ge· heimnisvoll, gefährlich, unüberwindlich in jedem religiösen Gebilde. Hier dagegen ein ruhiges Gleichgewicht in den seelischen Verhaltungs· weisen, ein Anerkennen dessen, was jede derselben hervorbringt, ein Benutzen sonach der Einzelwissenschaften und eine Freude an den weltlichen Lebensordnungen, aber eine nie endende Arbeit, zwischen diesem allem einen allgemeingültigen Zusammenhang aufzufinden und ein immer zunehmendes Erfahren von Grenzen des Erkennens, von Unmöglichkeit einer gegenständlichen Verknüpfung des in den verschiedenen Verhaltungsweisen Gegebenen - Resignation. So entstehen die historischen Verhältnisse zwischen diesen beiden Arten von Weltanschauung, die an Namengebung, Begriffsbestimmung und historischem Sachverhalt fes_tgestellt worden sind. Religiosität ist subjektiv, in den sie bestimmenden Erlebnissen partikular, ein Unauf· lösliches, höchst Persönliches ist in ihr, das jedem, der nicht an den Erlebnissen teilnimmt, als "eine Torheit" erscheinen muß. Sie ist und bleibt an die Schranken gebunden, die in ihrem Ursprung aus der ein· seitigen, historisch und persönlich bedingten religiösen Erfahrung, in der inneren Form des religiösen Anschauens und der Richtung auf das Transzendente gelegen sind. Indem sie nun aber in ihrem Kulturkreis auf wissenschaftliche Ergebnisse, begriffliches Denken, weltliche Bildung trifft, erfährt sie ihre Wehrlosigkeit in all ihrer inneren Kraft, ihre Schranken bei allem Anspruch der Mitteilung und der Wi·rkung in das Weite. Der Religiöse, der tief genug empfindet, di·ese Schranken einzusehen und darunter zu leiden, muß streben, sie zu überwinden.

Das gescllkntliclu Vernältnis der religiösen 6Ur pnilosopluscllm Weltanscnauung

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Das innere Gesetz, nach welchem die Allgemeinvorstellungen sich nur in begrifflichem Denken vollenden können, zwingt in dieselbe Bahn. Die religiöse Weltanschauung strebt sich umzusetzen in eine philo· sophische. Aber die andere Seite dieses geschichtlichen Verhältnisses liegt nun doch darin, daß die religiöse W eltanschauWlg, ihre begriffliche Darstellung und ihre Begründung die philosophische in einem weiten Umfang vorbereitet hat. Zunächst waren die Ansätze zu einer Begrün· dung des religiösen Wissens sehr fruchtbar für die Philosophie; gleich· viel wie es sich mit der Selbständigkeit des Augustinus in bezug auf die Sätze verhalten mag, die auf Descartes übergingen: von Augustmus kam doch die Anregung zu dem neuen erkenntnistheoretischen Ver· fahren. Sätze anderer Art gehen von der Mystik zu dem Cusaner und von da zu Bruno, und Desca,rtes und Leibniz sind in bezug auf die Unterscheidung der ewigen Wahrheiten von der nur teleologisch verständlichen Ordnung des Tatsächlichen von dem Albertus und Thomas bestimmt. Es zeigt sich ferner immer mehr, in welchem Umfang die logischen und metaphysischen Begriffe der Scholastiker auf Descartes, Spinoza und Leibniz gewirkt haben. Und die Typen der religiösen Weltanschauung stehen in mannigfachen Beziehungen zu denen der philosophischen. Der Realismus eines guten und eines bösen Reiches, den die Zarathustrareligiosität vertrat, und der von da in die jiidische und christliche Religiosität übergegangen ist, ging ein Verhältnis ein zu der Zergliederung der Wirklichkeit nach bildender Kraft und Materie und teilte so dem Platonismus eine eigne Färbung mit. Die Lehre von der Evolution, die von den niederen göttlichen \Vesen zu den höheren führt, wie sie bei den Babyioniern und den Griechen auf· tritt, bereitete die von der Evolution der Welt vor. Die chinesische Lehre von dem geistigen Zusammenhang in den natürlichen OrdnWlgen und die indische von dem Schein und Leiden der sinnlichen Mannigfaltigkeit und der Wahrheit und Seligkeit der Einheit sind die Vorbereitung der beiden Richtungen, in denen der objektive Idealismus sich entfalten sollte. Endlich die israelitische und christliche Lehre von der Transzendenz eines heiligen Schöpfers war die Vorbereitung für denjenigen Typus der philosophischen Weltanschauung, der in der christlichen wie in der mohammedanischen Welt die weiteste Ausdehnung erlangt hat. So haben alle Typen der religiösen Weltanschauung die philosophische beeinflußt, vornehmlich aber liegt in ihnen die Grund· Iage sowohl für den Typus des objektiven Idealismus als den des Idealismus der Freiheit. Die Gnosis schuf das Schema für die wirkungsvollsten pantheistischen Werke: Hervorgang der mannigfaltigen Welt, die Schönheit und Kraft in ihr und zugleich das Leiden der End-

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Das Wesen der Pllilosoplu'e. II. Teil. lkre Stellung in der geisti/{en Weit

lichkeit und Getrenntheit, Rückkehr in die göttliche Einheit: die Neuplatoniker, Spinoza und Schopenhauer haben es zur Philosophie entwickelt. Und die Weltanschauung des Christentums, der Idealismus der Freiheit, entwickelte zunächst in der Theologie Probleme und Lösungen derselben, die dann sowohl auf Descartes als auf Kant gewirkt haben. So wird deutlich, warum und an welchen Stellen die religiösen Schriftsteller Platz finden müssen in dem geschichtlichen Zusammenhang der Philosophie und auch den Namen von Philosophen erhalten konnten und wie doch keine von der Religiosität bedingte Schrift in dem Zusammenhang der Philosophie, in welchem die Möglichkeiten allgemeingültiger Lösung der philosophischen Probleme sich in innerer folgerichtiger Dialektik entwickelt haben, eine Stellung beanspruchen darf. 2.

Die Lebensanschauung der Dichter und die Philosophie.

Jede Kunst macht an einem einzelnen und begrenzt Hingestellten Beziehungen sichtbar, die über es hinausreichen und ihm daher eine allgemeinere Bedeutung geben. Der Eindruck der Erhabenheit, den .n Terminus hat Dilthey nicht von Wundt übernommen; denn er findet sich damals noch nicht bei Wundt in den Schriften, wo er die schöpferische Tätigkeit des Bewußtseins kennzeichnet: Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung 1862, S. 443 f., Menschen- und Tierseele I, r863, S. 436. Z. 6 v. u.: Ethica S. 37 (1859). S. XXX V, Z. 3: Über dies Ethik-Kolleg Dilthey I 890 im Briefwechsel Dilthey-Yorck S. 90 ff. Z. 5 v. u.: Aus der pädagogischen Abhandlung, Band VI, S. 57 und 306. S. XLI, Z. 7 v. u.: Plan der Abh. von 1875, ,,Fortsetzung" C 12, fol. 222 und "Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien vom Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte im r6. und 17.jahrhundert" ( r 8 74), Vorrede C 12, fol. 1 59 ff. S. XLII, Z. rs: Aufzeichnung zur Poetik: ,,Der Zusammenhang, in dem sie steht", C 55, fol. 52. Z. 6 v. u.: Ethica S. 3Q (1859). S. XLIII, Z. 14 v. u.: Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien usf. C. r z, fol. I 59 ff. (Vorrede) und z 58. - Schlußabhandlung C 12, fol. 225 ff. Gegenüber den metaphysischen Systemen: ,,Der philosophische Geist, welcher in einem engeren Bezirk seine Wirkungen Qw/lmnaellwli.t •um Vor!Jiri&llt du H1rausphrs

430 QuellmnacAwei.r sum Vor!JericAI du Herau.rge!Jer.r konzentriert, hat an solchem überwältigendem Zauber, aber auch an solchen Gefahren keinen Anteil; sein Einfluß ist positiver, seine Ergebnisse sind dauernder. Philosophie oder besser Metaphysik in diesem Sinne ist das zusammenfassende Bewußtsein oder die Besonnenheit über das Leben und die Welt. Dies war jederzeit ihr eigen, im Unterschied von Spezial wissenschaften, daß sie auf dieses ,höhere Bewußtsein• als solches gerichtet war." - Notiz "zur Einleitung" C I 2, fol. 20I: "Zu allen Zeiten hat man, was ich als die naive Anwendung der (psychologischen) Auffassung bezeichnen möchte, der Analogien mit dem geistigen Gebiet sich bedient, um die dunklen Abgründe der Natur zu erleuchten.... Aber zu keiner Zeit stellte man sich die Aufgabe, sich von der erdrückenden Macht der auf dem Gebiet der Naturforschung gebildeten Annahmen gänzlich bis in die ersten Wurzeln dieser Annahmen hinein freizumachen, mit derselben Unbefangenheit und Vollständigkeit die psychischen Tatsachen zu betrachten, welche das einzige methodische Prinzip unbedingter Gültigkeit der Naturwissenschaften gewesen war." S. XL V, Z. 2o: Darstellung der deskriptiven Psychologie aus der Zeit zwischen 18 75 und I 88o: "Die Mannigfaltigkeit des psychischen Lebens": Nachlaß C 34 Il, fol. 2- I 9 I.- Der psychologische Weg der Grundlegung wird in den Manuskripten aus dem Umkreis der Abhandlung von I875 beschritten in einem (mit der Vorrede beginnenden) Heft: "Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien" usf. (begonnen Mai 1874) in Auseinandersetzung mit Mill, in Anknüpfung an Beneke und Überweg, in Abwehr von Spencer, "dessen neues System über alle Gräben setzt", in der Richtung auf eine "konsequente Darstellung des Empirismus" (s. S. 433 zu S.LXXIV), C 12, fol. 162-173· Und derselbe Weg in einem anderen, als Fortsetzung der Abhandlung von 1875 gedachten Manuskript (geschrieben 1876) C 12, fol. 5-70, hier aber in Anknüpfung an Wilh. v. Humboldts (und F. Schlegels) "Plan, das Studium des Menschen mit dem der geschichtlichen Tatsachen zu verknüpfen", und in Abwehr von Kants Phänomenalismus, durch den der Gang dieser wissenschaftlichen Arbeiten aufgehalten worden sei. Die Notwendigkeit der Beschränkung der psychologischen Grundwissenschaft auf Beschreibung (gegenüber "Erklärung'') der psychischen Tatsachen ist hier prinzipiell betont: C 29 II, fol. 223. Das Manuskript setzt bei dem Problem der "Zergliederung des Kausalzusammenhanges in der Geschichte der moralisch-politischen Wissenschaften" ein; die Hermeneutik erscheint erst am Schluß in einem Kapiteltitel: "Auslegung von schriftstellerischen und Kunstwerken" (C 12, fol. 69) im Verfolg des Problems der Erkenntnis der menschlichen Individuation. S. XLIX, Z. 23: Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien usf., Vorrede, C 12, fol. 161. -Berliner Entwurf für Bd. II der "Einleitung" in die Geistesw. C 34 II, fol. 79· S. L, Z. 1: Plan der Abhandlung von I 87 5· "Einleitung in das wissenschaftliche Studium des Menschen" usf. (Heft, begonnen Mai 1866), C 121 fol. 260. Absatz I, letzte Zeile: Graf Yorck an Dilthey: Briefwec}Jsel S. 69 (1867)·

431 S. LI, Z. 2 1 : Aus Aphorismen "Zur Psychologie in ihrem Verhältnis zur Geschichte" C. 12, fol. 237 (wohl vor 1870). Z. 2 v. u.: Logik von t865, § 20. S. LII, Absatz 2: Aufzeichnung zur erkenntnistheoretischen Grundlegung (um 1895) C. 28, fol. 244.- Ethica S. 26 (1861).- Aus einem Notizbuch zu dem Aufsatz über das Problem d~'r Religion (191 1) C 102, fol. 6. - Berliner Entwurf zu Band II der Einleitung. Drittes Buch (Das Stadium der Erfahrungswissenschaften und der Erkenntnistheorie. Das heutige Problem der Geisteswissenschaften), Kapitel VIII: Die Philosophie der Wirklichkeit und des Lebens C 76 (in C 34 Il), fol. 25. S. LI V, Z. 7 : Berliner Entwurf: Sechstes Buch (Von der Macht des Menschen usw.), Kap. I "Alte Antworten und neue Fragen" C 76 (in C 34 li), fol. 55· Z. xö: Ebenda Kap. II. "Grenzen der psychologischen Erkenntnis" C 76, fol. 57· S. LV, Z. o: Briefwechsel Dilthey-Yorck S. 181 f. (1895). Z. 22: EbendaS. 129 (1891), I02 f. (18go), 156f. (1892). Z. 12 v. u.: EbendaS. 107 (18go).- In einer I882 (während des Drucks des ersten Bandes) geschriebenen Mitteilung über den Grundgedanken der "Einleitung", in der er den Standpunkt der "Erfahrungsphilosophie" ähnlich wie dann in der Vorrede zu dem ersten Bande darlegt, gibt Dilthey an: ,,daß in der inneren Erfahrung und dem entsprechenden Verstehen Anderer Wirklichkeit, ja die einzige volle Realität, die wir besitzen, gegeben ist, bildet den ersten Teil der Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften. Die Logik der Geisteswissenschaften macht den zweiten aus. - Diese Darlegungen werden das dritte und vierte Buch meiner Arbeit bilden; sie enthalten den zuerst niedergeschriebenen Grundstock des Ganzen." Brief an Althoff, gelegentlich der Berufung nach Berlin, Nachlaß C So, fol. 11of.- Das dritte Buch blieb dann bei der Ausarbeitung des Werkes noch für den historischen Teil, der mit dem zweiten Buch nicht zum Abschluß kam, reserviert, so daß der systematische Teil der "Einleitung'' nach dem ,,Grundmanuskript" aus der Berliner Zeit erst mit dem vierten Buch beginnt. Z. 5 v. u.: Auch in dem Plan der Abhandlung von 187 5 gehen die Niederschriften zur systematischen Grundlegung ("Kap. I: Vom Studium geistiger Tatsachen" bzw. "Buch I: Die Erforschung der Tatsachen'') von dem Satz des Bewußtseins aus, in Auseinandersetzung mit Mills Logik. C 12, fol. 162 und fol. 4· S. LVI, Z. I: Berliner Entwurf der "Einleitung" C 76 (34 II), fol. 26. Z. 15: Briefwechsel Dilthey-Yorck S. 55 (1886). Z. 5 v. u.: Breslauer Ausarbeitung s. ,,Grundlegung der Erkenntnistheorie" (als drittes Buch der "Einleitung'' gedacht), Kapitel VIII: "Die drei Beziehungen des W ahmehmungs- und Vorstellungsinhalts im Bewußtsein." C 34 I, fol. 195 ff., 203 ff. - Kapitel Xl: "Die Einheit des Bewußtseins und der psychische Akt." C 32 I, fol. 290 ff. S. L VIII, Z. I f.: Aus den Handschriften zitiert von Artbur Stein, Der Begriff des Geistes bei Dilthey, S. IO. Vgl. Einleitung in die Geisteswiss. P, S. 126, 129, 529 u. a. Z. q: Dilthey an Graf Yorck 1897, Briefwechsel S. 247. Qutllennackwtis

8Um

Vor!Jerickt des Htrllllsgtbtrs

432

Quellennacltweis sum Vor!Jendtt des Herausgebers

Abs. 2, Z. 7f.: zu V 134, vgl. Breslauer Ausarbeitung Kap. VI. (Die Gliederung der Tatsachen des Bewußtseins) C 34 II, fol. 49: ,.Im unmittelbaren Lebensgefühl finden wir uns bestimmt und bestimmend." S. LIX, Z. I f.: Dilthey an Graf Yorck I895, a. a. 0. S. 18j. Z. 3ff.: Vgl. A. Stein a. a. 0. S. 18f. Z. 2 3: Bedeutung der Reformation usf. C 15 II, fol. 493· A bs. 2: Breslauer Ausarbeitung Kap. V (bzw. I), .,Ausgangspunkt und Methode der Philosophie·•. C 4 II, fol. 61 ff. und Schlußkap. (XIV,) C 32 II, fol. 41off. Z. 5 v. u: Plan der Abhandlung von I 87 5· Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien usf. I. Kap.: Vom Studium geistiger Tatsachen ( 1 87 4). C I 2 fol. 166 u. r 68. S. L. XI, Z. I '"· u.: Mitteilung über den Grundgedanken der .,Einleitung" 1882: .,Auch verändert die denkende Bearbeitung des Materials die objektive ZuYerlässigkeit der Sätze über geistiges Leben nicht. Die psycholog. Analyse der logischen Formen, Gesetze und Kategorien, welche den schwierigsten Teil meiner Arbeit ausmacht, ..." (an Alt hoff, C 8o fol. I 12 f.) . S. LXII, Z. 2 ff.: Berliner Entwurf für Bd. II der .,Einleitung". Fünftes Buch. Grundlegung der Erkenntnis. Erster Abschnitt. Leben und Erkennen. Kap. I: Das Denken als eine Funktion des Lebens. C 76, fol. 41 ff. Z. 25 ff., ebenda Kap. I u. V: Der Zirkel in allem Erkennen und der Anfang oder sichere Grund jeder Grundlegung der Erkenntnis. C 76, fol. 52. S. LXIII, Abs. 4 bis LXII, Abs. 1: Breslauer Ausarbeitung. Grundlegung der Erkenntnistheorie. Kap. II. C. 34 I fol. 28 ff. u. Kap. IV, fol. 52 ff. S. LXII, Abs. 2 Z. 7: Zu den aus diesem Bande - V 79, 136 zitierten Sätzen über den Probabilismus vgl. Dilthey an den Grafen Yorck, Briefw. (1897), S. 247. Abs. 2, Z. I 7 ff.: Berliner Entwurf zu Bd. II der .,Einleitung". Drittes Buch, Kap. VI, Philosophie als Selbstbestimmung der Gesellschaft. Sechstes Buch, Kap. I, Dilthey an den Grafen Yorck r8gz, Briefwechsel S. I 56f. S. LXIII, Z. 4 v. u.: Graf Yorcks Kritik der .,Ideen", Briefwechsel S. I 77 f (I 894). S. LX V lli, Z. I I: Berliner Entwurf. Viertes Buch, Kap. I. Der Anfang der Philosophie usf. C. 76, fol. 27. Der Entwurf bringt für dieses Kap. nur die im Text mitgeteilten Sätze. .. S. LXIX, Abs. 2, Z. 3: ebenda, Viertes Buch, Kap. II (ohne Uberschrift). Abs. 3, Z. 8: Konzept eines Briefes an W. Wundt, r8g6. Nachlaß. C 27 Jl, fol. 181. S. LXX, Z. 18: Auf den Aufsatz über Novalis und dessen Gedanken der Anthropologie bezieht sich auch die in dem Plan der Abhandlung von 1875 auftretende descriptiv. phychol. Grundlegung zurück, in einem ,,Entwurf des Hauptteib", im Zusammenhang einer Darlegung über ,.Möglichkeit der Erkenntnis". Da wird der Gedanke dahin bestimmt, ,,daß die Grundlage, welche wir für Geschichte und tätiges

433 Leben von der Wissenschaft erwarten, nur in einer Anthropologie gegeben werden könnte, welche eine viel breitere Basis haben müßte als die unserer Psychologie. Dieselbe würde gar nicht die Abstraktion des Einzelmenschen vollziehen, sondern ausgehend von dem in der Wechselwirkung mit der Außenwelt und der Gesellschaft lebenden Individuum aufsteigen zu denjenigen Wahrheiten vom Menschen, welche Menschenkenntnis und ethische Untersuchungen vorbereitet haben.'' C 12, fol. 130. Z. 12 v. u.: Aus den Handschriften zur Weltanschauungslehre. C 5, fol. 196, Bd. VIII dieser Ausgabe. S. LXXI, Z. I6: Die Mannigfaltigkeit des psychischen Lebens. Kap. III. ,,Die fundamentale Unterscheidung". C 34 II, fol. 47 f. Z. 25: Aufzeichnung zu den ,,Ideen" (I895). C 28, fol r I6f., C 27 II, fol. 225. S. LXXII, Z. 3: Biographisch-literarischer Grundriß der allg. Geschichte der Philosophie Für die Vorlesungen. 6. Aufl. S. 93 u. 108. Abs. 2, Z. 6: An den Grafen Yorck. Briefwechsel S. 123 (189I). S. LXXIII, Z. 13: Graf Yorck an Dilthey, eben da S. I 77 (I 894). Z. 5 v. u: Brief v. A. Riehl, ein Nachlaß. C. 28, fol. 84. s. oben s. 423. S. LXXIV, Z. g: Der zu dem Plan der Abhandlung von I875 gehörige Entwurf einer "Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien", in der Dilthey mit der psychologischen Grundlegung einsetzt, hat als Anfang des ersten Kapitels (Vom Studium geistiger Tatsachen). ,,Übersicht über die Möglichkeit einer konsequenten Gestaltung des Empirismus.'' C I 2, fol. 16 df. Dilthey erklärt da: "Indem ich die Grundansichten des Empirismus teile, wie er sich von dem genialen Demokrit ab in der europäischen Wissenschaft entwickelt hat, müssen doch einige Schritte rückwärts noch zu seiner Begründung getan werden. Als die innere Aufgabe der Wissenschaftslehre betrachte ich, in der Durchführung des empiristischen Standpunkts den Objektivismus zu erreichen. Dies ist auf zwei Arten angestrebt worden. Repräsentanten der einen sind Mill in England und Hel~holtz bei uns; der anderen auf Schleiermachers und Benekes Bahnen Überweg.... Es ist unser gesamtes Bedürfnis, in der Vertiefung in die Welt unserer Phänomene Objektivität zu besitzen, das höchste Bedürfnis des scientifischen Geistes, seine Rtillschweigende Voraussetzung, sein, wenn der Zweifel da ist, letztes Bemühen, welche nötigen zu Untersuchungen, von denen ich hier eine klare Übersicht zu geben mich bemühe". Beim "Objektivismus" handelt es sich hier um das Realitätsproblem. Vgl. dazu F. Brentano, Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis, I 889. Vorrede. Z. 22: ebenso in der "Einleitung in das wissenschaftliche Studium des Menschen" usf. Heft, begonnen 1866. "Die Psychologie und die Wissenschaften der Kultur." C 12, fol. 268.- Logik von IB(?s. § 39· Z. 12 v. u: Notiz in Diltheys Exemplar Yon Mills Logik. Übers. von Schiele, Bin. r 862. Z. 6 v. u.ff.: Einleitung in die Geschichte usf. (s. die drittletzte Anmerkung) C 12, fol. I64. Vgl. auch in den Abh. zur Weltanschauungslehre C 5 fol. I g6. (Bd. VIII dieser Ausgabe.) Que!/mnacllweis zum Vor!Jericllt des Herausgehers

D i I t h e y, Gesammelte Schriften V

434

Qpellmtlamweis

1111m

VorlJericltt du

Hert.~~~sgekt's

S. LXXV, Z. I8ff.: Einleitung in das wissenschaftl. Studium usf. Heft v. I866. Aufzeichnung über Empirismus. C 12, fol, 267.- Gegen die Völkerpsychologie, eben da. C I 2, I 30. Entwurf des Hauptteils der Abh. von 75: "Daraus, daß psychologische Grundverhältnisse überall Material bilden usw., folgt nur, daß man nichts ohne Psychologie versteht, aber nicht, daß man irgend etwas durch Psychologie versteht." - Über die "Unfruchtbarkeit der Völkerpsychologie." C 28, fol. 273, 27 II, fol. I4. Z. 25: Ebenda Heft von I866. ,,Die Psychologie und die Wissenschaften der Kultur." C 12, fol. 27 3 ff. S.LXXVI, Z.6: Ebenso erklärtDilthey I882 (in der Mitteilung über den Plan der "Einleitung" an Althoff, C So fol. I I3): "Das zweite Buch hat in dem Zusammenhang meiner Gedanken eine Aufgabe, welche ich Ptwa der Stellung der Phänomenologie Hegels in dessen System vergleichen könnte". Z. 17 : Ethica S. I 4, I 86o. Abs. 2, Z. 3: Aufzeichnungen über den Empirismus in den Manuskripten zu der Abh. v. I875, insbes. Heft von I866. C 12, fol. .z67f. Als zusammenfassender Abschluß der zum Plan der Abhandlung von I 87 5 gehörigen Auseinandersetzung mit dem Empirismus erscheint ein - frühestens 1879 verfaßtes - Schema zu einem Buch, für dessen Titel Dilthey sich zwei Fassungen aufschrieb, entsprechend den zwei Hauptmotiven des Planes von I875: "Versuch über Philosophie der Erfahrung und Wirklichkeit im Gegensatz zu Empirismus und Spekulation". "Versuch einer Einleitung in das wissenschaftliche Studium (des Menschen, der Gesellschaft und des Staates) vom Standpunkt der Erfahrung und Wirklichkeit im Gegensatz zu Empirismus und Spekulation''· Statt i'm Gegensatz zu hatte er vorher notiert •n ikren Bezükungen zu (C 34 li fol. I92 u. C 35 I fol. 9). Da der erste Band der "Einleitung in die Geistesw." bereits drei Jahre darnach gedruckt wurde, während für den zweiten Band die Breslauer Ausarbeitung der ,,erkenntnistheoretischen Grundlegung'' vorlag, muß dieses Werk alsbald, um I88o, an die Stelle jenes geplanten Buches getreten sein, dessen Titel: "Wirklichkeitsphilosophie" in dem Berliner Entwurf des zweiten Bandes der "Einleitung" wieder aufgenommen ist. So ist auch hier eine lückenlose Filiation. In dem Schema zu jenE-m Buch (C 35 I, fol. 3-22) sind als Kapitel angegeben: I. Die Philosophie der Erfahrung. Empirie und nicht Empirismus. Alle menschliche Erkenntnis ist nur Analysis der Erfahrung. - li. Es gibt nur eine Erfahrung, welche in einer doppelten Richtung verwertet wird, und so entsteht die Unterscheidung äußerer und innerer Erfahrung.- (Weiter okne Zaklen.) Die Grenzen der Erfahrung. - Die Analysis der Erfahrung und ihre Grenzen oder die Lehre von den Elementen der Wissenschaft. - Die Induktion oder die Verallgemeinerung von Tatsachen einfacher Ordnung und Tatsachen komplexer Ordnung oder Gesetze und ihre Grenzen. - Die Erklärung oder die Zurückführung von Tatsachen auf weiter zurückliegende und ihre Grenzen oder Grenzen der V erstandeserkenntnis. Für das letzte Kapitel sind frühere Aufzeichnungen unter dem Titel: ,,Meine Metaphysik" zusammengelegt, s.o. S. XCVllff. Nur zum

Qlu/lennadvweis 111111t Yorlericld des Herausgebers 435 ersten Kapitel finden sich - kurze - Ausführungen (fol 5 u. 6): der Satz des Bewußtseins als ,.der Ausgangspunkt alles Philosophierens". Dann die Wendung gegen die in Locke angelegten Irrtümer Kants: die falsche psychologische Theorie infolge der Gegenüberstellung von innerer und äußerer Erfahrung und die einseitige Einschränkung der Erkenntnistheorie auf die äußere Erfahrung. ,,Indem sonach alle Erfahrung bei ihm auf Induktion gegründet erschien, entstand der Satz, daß Erfahrungswahrheiten niemals Notwendigkeit und Allgemeinheit haben". Als Fortgang: "11. Erfahrung und Denken. 111. Der Inhalt des Selbstbewußtseins." Unter den Blättern des letzten Kapitels eine Aufzeichnung, die die Richtung, in der Dilthey weitergeht, zeigt (fol. I9): "Ist nach Kaut Metaphysik möglich?

Die Kritik der metaphysischen Weltansichten durch Kant erschöpft sich nicht in seiner Lehre von den Formen, vom Raum, Zeit und Kausalität; sonst bestände immerhin die Möglichkeit, auf dem von Überweg eingeschlagenen Weg eine Welt des wahrhaft Seienden zu bestimmen, nämlich die mathematische Ordnung der modernen Naturwissenschaft. Dies wäre die Vollendung der Unterscheidung von Demokrit und Locke. - Kant hat aber in der 2. Aufi., die ein wahrer Fortschritt ist, sein Werk tiefer gegründet und den Bedingungsinbegriff der Erscheinungen, der in uns gelegen ist, als Synthesis der A pperzeption bestimmt, vermöge der überhaupt allein Objekte zustandekommen. Hier treffen wir auf eine Bedingung, welche nicht aus Erfahrung entspringt, sondern wahrhafte Voraussetzung der Erfahrung ist. Hier liegt die Stärke des Kantschen Kritizismus. Hiernach müssen wir uns entweder auf Herstellung eines Zusammenhanges von Phänomenen beschränken oder durch ein ganz neues Verfahren aus diesemZusammenbang objektive Elemente durch Schlüsse, vermöge der Unmöglichkeit sie subjektiv zu fassen, entwickeln." Hier setzt dann die Breslauer Ausarbeitung und der Fortschritt der Realitätsabhandlung ein, s.o. S. LVIIff. S. LXXVII, Z. 23: Ethica S. 25 (I86I). 11 v. u: Graf Yorck an Dilthey, Briefwechsel S. If. (I87i)· S. LXXIX, Z. I I : Einleitung in die Geschichte der egoistischen Theorien usw. (I874) C I2, fol. I66 u. I68. Z. I9ff.: Breslauer Ausarbeitung, Grundlegung der Erkenntnistheorie. Kap. II Ende u. K.,ap. III-Kap. IX. S. LXXXI, Z. I 7 ff.: Zu "Ideen" V I 7 I ist hinzugenommen ein Satz aus einer von Dilthey für Überweg-Heinzes Grundriß verfaßten "Übersicht über mein System.'' C 78, fol. I 2 f., I 25 ff. Z. 28: Preisschrift über die Hermeneutik Schleichermachers (I866). B 44, fol. 8of., I7o, 197, I54· - Die Schrift von Ast: Grammatik, Hermeneutik und Kritik. I 8o8. S. LXXXII, Z. r v. u.: Auch bei diesem innerlichen Nexus der "Erlebnisse'' handelt es sich nicht um etwas bloß Subjektiv-Psychisches. Z. B. eine Aufzeichnung zur Poetik über den Rhythmus. "Die große vom Gefühl geregelte Periode, die Beziehungen zwischen Motiven, Gestalten usw., die nicht kausal, sondern durch innere, im Gefühl

z.

436 Que/lennacllweu 11"". Vornricllt des Hwausgews gegebene Beziehungen geregelt sind. Dies sind die allgemeinen Momente •..." C 55, fol. 4· S. LXXIII, Z. 11: Zu VI 3 I 5 f. ist eine von A. Stein, a. a. 0. S. 33 aus den Handschriften herausgehobene Wendung hinzugenommen. Die Beziehung zu Hegels Dialektik z. B. in einem Blatt zur Poetik über die Gliederung der Poetik durch Ausgehen von der Aufgabe, Bildungsgesetze aufzufinden, welche Regeln ermöglichen. ,,Die Abgrenzung der Dichtungsarten und der Fortgang von einer zur andern fordert nach innen, daß jede derselben auch nach dem Unzureichenden in ihr, das vorwärtszieht, aufgefaßt werde. Es ist bedeutend an Heget, wie er dies gelei~tet hat. Reinlich aber kann es nur dann geleistet werden, wenn man in dem Erlebnis selbst dte Schranke zum Erlebnis bringt, das Ungenüge.'' C 55, fol. 7 (314). S. LXXIV, Z. 1: Ein Blatt: "Von der Poesie und den Methoden ihrer Erkenntnis" (1907/8). C 55, fol. 165. Abs. 3: Das Blatt: "Gegenseitige Unterstützung'' usf. C 28, fol. 72. Vgl. dazu die Kritik des Grafen Yorck an den "Ideen", Briefw. S. J 78 (I895)· S. LXXV, Z. I4 v. u.: Brief von Freudenthai zu den ,,Ideen'', Nachlaß c :!8. S. LXXVI, Z. I3 v. u.: Die Mannigfaltigkeit des psychischen Lebens I 7· C 34 II. S. LXXVII, Abs. 1: Blatt: "Au~legung'' zur Poetik. C 55. fol. 34· Abs. 4: Ebenda und eine andere Aufzeichnung zur Poetik. C 55, fol 32I.- Blatt: ,,Zur erkenntnistheoretischen Grundlegung" (1895). S. LXXVIII, Z. 9: Dilthey über sich selbst, an die Schüler (1903) in C 53, s. Bd. VIII. Z. 11: An den Grafen Yorck, Briefw. S. 47 (1884). Abs. 2: Brief von Natorp an Dilthey mit Randbemerkungen Diltheys, im Nachlaß C 28, fol. 96. S LXXIX, Z. 2I: Dilthey an Yorck, Briefw. I46 (1892).- Einleitung in die Geisteswissenschaften I', I 26. S. XC, Z. 4: In den Aufzeichnungen zu den "Ideen'' C 2 7 II, fol. 3 I 2. Z. 2 v. u.: Allgemeines zu Bd. I d-er "Einleitung". (Aus späterer Zeit.) C 57, fol. 143. - S. die Anmerkung S. 437 zu S. C V, Abs. 2. S. XCI, Z. IO: Zur Weltanschauungslehre C 5, fol. I94 (Außigheft), s. Bd. VIII. S. XCIII, Z. 6: Blätter mit der Überschrift: "Meine Metaphysik'', I879 zusammengelegt für das letzte Kapital des "Versuchs über eine Philosophie der Erfahrung'' usf. C 35 I, fol. 30. - Im folgenden bezeichnet als ,,Metaphysik (um I 87o)". Z. IO: Allgemeines zu .Bd. I der "Einleitung•' (Aus später Zeit) C 57, fol. I43, s. die Anmerkung S. 437 zu S. CV, Abs. 2. S. XCV, Abs. I: Berliner Entwurf zu Bd. li der "Einleitung'', Sechstes Buch. Kap. I. C 76, fol. 52. Abs. 3: Ebenda: Viertes Buch. Das Leben. Kap. III: Grundzüge. C 76, fol. 2 2. S. XCVI, Z. 7 v. u.: Bemerkung Diltheys· in seinem Handexemplar der "Ideen" C 56, fol. 153. Z. 2 v. u.: Blatt zur Poetik C 55, fol. 337·

43 7 S. XCVII, Abs. 3: Metaphysik (um 1870) C 35 I, fol. 28, fol. 25 ff. S. XCVIII, Z. 19: Plan der Abh. v. 1875, C 12, fol. 56 und 6o, vgl. fol. 236f., wo die Geschiehtschreibung der Naturbeschreibung koordiniert wird. S. XCIX, Z. 3f.: Allgemeines zu Bd. I der ,,Einl. in die Geistesw.", C 57, fol. 142. S. C, Z. 5 und Z. 2 v. u.: Aufzeichnungen zur Psychologie. C 27 II fol. 191 (um 1892). S. Cl, Z. 6: Einl. in die Geistesw. Jl, 418. S. Cll, Z. 27: Berliner Entwurf für Bd.II der Einl., Sechstes Buch, Kap. I. S. CHI, Z. 4: Breslauer Ausarbeitung Kap. XII: Das Selbstbewußtsein. C 34 I, fol. 357· Z. 12: Aufzeichnungen zur Psychologie C 27 ll, fol. 6o. Ebenda fot. 26 gegen Sigwart, Logik II, S. 176-179. - Akademie-Vortrag über vergleichende Psychologie C 27 I gegen Ende. S. CIV, Z. 5: Dilthey an den Grafen Yorck, Briefw. S. 189 (1895). Z. 8 v. u.: Aufzeichnungen zur Poetik. Das philosophische Erlebnis. C 55, fol. 3 1 5· Z. 5 v. u.: Zur Psychologie. Vergleichendes Verfahren in der Geschichte C 27 II, fol. 143· S. CV, Z. 15: Zur Poetik. ,,Die Bezeichnungen für das, was im Dichter vorgeht, stehen zueinander im Verhältnis, so daß die zeitlose Struktur des dichterischen Schaffens dargestellt wird.'' C 55, fol. 208. Abs. 2, Z. b: In einem Konvolut .,Allgemeines zu Band I der Geistesw." ein Blatt. C ;7, fol. 143: ,,Verstehen - Auffassen seelischen Lebens usw. als Grundlage der Geistesw. durch seine konkreten Erscheinungen. 1, Die konkreten Erscheinungen der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt. Verwandtschaften, Übergänge, Differenzen, aber keine Möglichkeit, a) einen inneren Fortschritt, b) ein System derselben. So historischer Skeptizismus, der nur Anschauungen usw. folgt der zi'lierte ~atz. 2. Die Analyse des Gegebenen usf.folgt der Z. z6 dieses Absatzes ziti rte Satz. 3· Methode, Die historische Analysis, Abstraktion, Vergleichung, zusammenwirkend mit der beschreibenden Psychologie •.• Die beschreibende Psychologie ist aber nur die Methodologie folgt der S. Xe.; Z. 3 '~'· u. zitierte Sntz. Der Weg des Aufnehmens der konkretf3n Erscheinungen in den zeitlosen Zusammenhang des Bewußtseins, welches die historischen (Werte) auffaßt. - Das ungeheure Dunkel, in dem wir unter den Menschen dahingehen, unbewußt bei den Nächsten, was sie sind. Solche, die Bismarck gut kannten, sprechen diesem die Menschenkenntnis ab. Nur die Berechnungen, die an Persönliches sich richten, in (ihnen stecken) bleiben. Beobachtungen geben Menschenkenntnis. Bedeutung der französischen Memoiren des 17. Jahrh. usw. Aber mitten durch alles hindurch geht das methodische Verstehen •••" folgt der S. XG"''II I I zitierte Satz. S. CVI, Z. 1: Berliner Entwurf für Bd. II der.Einleitg. Viertes Buch. Das Leben. Vierter Abschnitt. Gemüt und Wille. Kap. V. C 76 (in 34 II), fol. 34· Z. 8: An den Grafen Yorck, Briefw. S . .241 (1897). Quelltn111l<weif sum Voriericltl des HerausgeiJen

z.

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S. CVI, Z. 10: Aus einer Nachschrift der Vorlesung: System der Philosophie, I 900. z. 23: Bemerkung in Diltheys Exemplar der Schrift von Steenbergen über Bergsons intuitive Philosophie (1909). Z. IO v. u.: An den Grafen Yorck, Briefwechsel S. 247 (1897). S. CVII, Z. 6ff.: Berliner Entwurf. Buch 4• Abschnitt 4, Kap. V. z. I9: Metaphysik (um I87o). Das Unendliche und die Religion. C 35 I, fol. 35· z. 33 bis S. CIX, Z. 2: Berliner Entwurf. Viertes Buch. Fünfter Abschnitt. Die Entwicklungsgeschichte des Individuums und dessen höchste Leistung. Kap. II und Kap. IV, C 76, fol. 39ff. S. CIX, Z. 8: An den Grafen Yorck, Briefwechsel S. 156 {I892). Z. I5: Ebenda S. ISO (1892). z. I 7: Zur Psychologie. V ergleichendes V erfahren in der Geschichte C 27 II, fol. 142 f. (vgl. oben S. CIV, Z. s v. u.). Z. I5 v. u.: Berliner Entwurf, Buch 4, Abschnitt 4, Kap. IV. Z. 7 v. u.: An den Grafen Yorck, Briefw. S. 47 (I884). - Auch hier Geschichte und Dichtung als Hintergrund von Diltheys Lebensansicht. Eine Aufzeichnung über die historische Tragödie, anknüpfend an Schiller als den Schöpfer des historischen Dramas (V 297 ff.), dessen "Helden fortan Repräsentanten geschichtlicher Lebensmächte" sind (C 55, fol. I 2of., I 23 f.): "Indem nun aber ein realistischeres Geschlecht, geschult am bürgerlichen Drama und Roman, dem Helden tiefer in die Seele blickte, gewahrte es deutlicher, als Schiller das gesehen, die Diskrepanz zwischen den endlichen, überall begrenzten Individuen und den übermenschlichen Gewalten, welche die Historie durchwirken und in deren Dienst der Mensch geschichtlich wird. Und in dieser Diskrepanz liegt nun eines der Hauptmomente des Tragischen im historischen Drama. Ein eisernes Band von Illusionen über die Kraftverhältnisse um sie her und über ihr eigenes Können umschließt die Stirnen dieser tragischen Helden. Die Leidenschaft des Momentes macht sie blind. Die Zufä.lligkeiten der Umgebung und der Stunde ziehen sie herab. Es liegt da ein Irrationales, das jeder Verantwortung spottet, und hier ist nun völlig die moralische Auffassung überwunden ... Nicht Schuld, sondern menschliche Grenzen. Napoleon I. Napoleon 111. Friedrich Wilhelm IV. Das Zeitalter, welches die Verwicklung der Menschenseele erkennt. Es sucht sie auch in der Historie auf. Grillparzer. Hebbel. - Falsche Forderung der Rationalität der einfachen Realisierung der geschichtlichen Aufgabe." S. CX, Abs. 2-5: "Zusammenhang der Poetik von der Bedeutungslehre aus", C 55, fol. 226 (anschließend an V, 320). Abs. 6: Manuskript zur Weltanschauungslehre (,,Der Traum'' Bd. VIII dieser Ausgabe} C 91, fol. 130. z. 6 v. u.: Universalgeschichtlicher Überblick C 74, fol. 76off. S. CXI, Z. 25 ff.: An den Manuskripten zur ,,Philosophie der Philosophie", c 3, fol. I s6 (s. Bd. VIII). S. CXII, Z. 16: Randbemerkung Diltheys zu dem Aufsatz von Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft. Logos I 191 I (zu S. 316).

439 Z. 26: Zur Weltanschauungslehre, C 91, fol. 18 (Der Traum, s. Band VIII dieser Ausgabe). S. CX.III, Z. df., 18 und 24: Funktion und Struktur der Philosophie C 5, fol. 137f. (Bd. VTII). Was Philosophie sei C 78, fol118ff. (Bd. VIII). S. CXIV, Z. 2: ebenda. Z. 6: Dilthey an den Grafen Yorck (188r), Briefw. S. 20. S. CXV, Z. 15: Manuskript C 76, fol. 202. Z. 7 v. u.: Hugo von Hofmannstal, Erinnerung an Wilhelm Dilthey. In der Berliner Zeitung: "Der Tag'' vom 19. XI. 1911. S. CX VI, Z. 6: Über die Grundverhältnisse des geistigen Lebens C 74, fol. 13af. Z. 8: In den Aufzeichnungen zur Poetik (mi~ Bezug auf "Gustav Schmollers Ergebnisse'~ C 55, fol. 149· Z. 2'6: Berliner Entwurf. Drittes Buch, Kap. VIII. Die Philosophie der Wirklichkeit und des Lebens C 76, fol. 25· Z. 1 v. u.: Entwurf zu einem Urlaubsgesuch (Brief an Althoff 15. 9· 95) in c 27 li. QuellmnacAweis sum VorlJericAI des Herausgebers

NAMENREGISTER Albertus Magnus 388(., 391 D'Alembert 5, 92, 359. 402, 412 Alexandrinische Schule 322 Anaxagoras 53, 195, 386 Anaximander 305 Antiochenische Schule 322 f. Apelt 49f., 58, 75 Apologeten 367 Aratus 32 Aristarch 32I f. Aristoteles8, Io, 34f., 43. 4d., 53· 63, 81, II E, 222, 271, 305 f., 309. 32I f., 325, 345. 340f., 366, 399. 404 Anstotelische Schule 31, 269, 3o6, 35I ~mold 58f. Aschylus 285, 292 Augustinus I 52 f., 246, 308, 323, 391, 410 Avenarius 402

sz,

Bessel 164 Bichat 54 Biran, Maine de 402 Block 310 Boccaccio 328 Böckh 8, 10, 328f., 333· 336 Boerhave 313 Böhme, Jakob 368 Boileau 307 Bopp 7, 309 Brentano, Franz 55 Anm. Brücke 3o6 Bruno, Giordano 391, 398 La Bruyere 287 Buckle 52ff., 57. 163, I91 Buffon 252, 303, 309, 3II, 3I4

Calderon I4, 397 Calvin 324 Carlyle 89, 296, 370, 402, 412 Cervantes 4, 287, 399 Cicero 351 f., 402 Bach 186 Clemens von Alexandrien 3oS, 323, 36 7 Bacon, Francis 32, Oericus 324 292 , Jo8, 359 Coelius 28o Raer, Carl Ernst von Cohen 421 12 6 12 3 • JI , 4 Collins, Samuel 308 Bain 362 Balzac II9. 297 Comte 3· 5, 49-§2, Baumgarten 325 S4ff.' 89' 92' 161' 3t5. 36o, 402, 4I2 Baur, eh r. F. 32 6 C d'll A Beauvais, Vincenz on 1 ac 93 nm. von 359 Condorcet ~7 Beck 92 Cusanus, N1colaus Beethoven 225, 392 39! Bellarmin 324 Cuv1er 261, 270, 303, 1 Beneke 109, 362 309, JIIf., 3I5 Bentham, Jeremias 42f., 362 Dante 297, 395, 397, 39'1 Berkeley 97, 399f. Bernhardi 25 Darwin 88, 264, 303, Bernhard von Clair305, 31 1, 315 vaux 181 Daubenton 309, 3I2

Demokrit 195, 305, Galen 287 Gal•lei SI, 88, I35, 313, 345, 402 Descartes 40, 48, 88, 140, 259. 353. 4I2 90, 93, 95, I 26, 158, Gassendi 48 249, 313, 345, 353, Gentz 25 Gervinus 268, 426 391 f. Descartes" Schule Gibbon 296 1§8 Gnostiker 323 Dickens 119, 224, Goethe 4, 13, 19-26, 278, 296 114, 119, 169, 175. 202, 218ff., 224f., Diderot 302, 305, 227, 2JO, 245f., 313ff., 399 Dikaearch 307 271 f., 278,281Anm., Diodorus 323 296, 302 f., 309. 3 14, Dissen 328 318, 328, 379, 392, Drobisch 155, 159 395-399. 402 Faust 2of., 175, Dufoy 310 Duns Scotus 386 2 19, 22 5· 246, 296, Dürer 229 392, 396. 398 Götz 2o Iphigenie 397 Ebbinghaus 238, 423 Tasso 21, 397 Elisabeth von Eng· Werther 20 land 14 Walhelm Meister Emerson 370 21, 296 Empedokles 305 Goldscheider, Alfred Epictet 351 100 Anm., 101 Epikur 313, 402 Gorgias 333 Epikureer 351 Göring 109 Erdmann, Benno 75 Griesinger 107 Anm. Emesti 326, 329 Grimm, Jakob 7f.. Euklid 43 200, 309 Euripides 286, ,399, Grimm, Wilhelm 8 410 Grote 163, I9I Grotms, Hugo 308, Fechner 15 5, 164, 351 Gustav Adolf 232 354ff., 418 Fichte 9, 13, 25, 69, 93 f., I I I f., 246, 345, Haeckel 316 355f., 358, 379,402 Haller, A. von 31l, Filmer 32 395 Harleß 124 Flacius 324 f. Hartley 16o Foucault I40 Harvey 99 Franklin 310 Franz1skus von Assisi Häußer II3 I8I Hege! 3f., 7, 9, 13, Friedrich der Große 2J, 26f., 37. 48f., 14, 24, II4, 219,272 ss. 6o, 89, ISO, I95· 222, 226, 328, 345. Fries 37, so Freudenthai 42I 354ff., 400, 402, 404

Heindorf 327 Heinrich VIII. von England 14 Helmholtz 3, 24, 93ff., 114, 128, 164, 259. 3o6, 357. 412, 417 Heraklit 195.347,399, 402 Herbart 69, 139, 159, 161, 163 f., 170, 18o, 195. 202, 3ssr., 362 Herbartsehe Schule 154f., 176, 214 Herder 24, 47, 98 Anm., 218,303,309, 314, 326 Herodot 347 Hertz 412 Hesiod 321 Heyne 327 Hipparch 321 Hippel 38 His 316 Hitzig 55 Amn. Hobbes 32, 48, 135, 185, 187, 249. 353. 359. 402 Hölderlin 37, 395 Homer 283 - 286, 290, JoB, 321{., 398, 410 Humboldt, Alexander von 7, 24, 37, 41, 252, 3CCJ Humboldt, Wilhelm von 42, 227, 232, 237. 309. 3~8. 426 Hume, David 19, 48, 74. 92, 94. 97. 128, 100, 296, 345. 354. 361 f., 404 Huyghens 310

246, 252, 345· 354f., 358, 379. 392, 399f., 402, 404, 410, 412 Kantische Schule 86ff., 358 Karl V. 14 Keller, Gottfried 224, 297 Kepler 140, 301, 412 Kirchhoff 200 Klopstock 16, 19 Knies 33 Anm., 59 Kapernileus 140 Krates von Mallos 322 Krishaber 117 f., nof., 122 Anm. Kußmaul 98, 109

Lachmann 336 Lagrange 412 Lamarck 309, 312f. Lambert 310 Lamettrie 305, 313 Lange,F.A. 55 Anm. Laplace 88, 141 Lavater 19f. Lavoisier 54, 310 Leeuwenhoek, Anton von 308, 312 Leibniz 10, 12, 18f., 21, 135. J s8, 179. 222 0 270, JIO, 314, 345. 354f, 366, 391, 399f., 402 Leonardo da Vinci 229, 319 Lessing 13, 16-19, 25, 27, 47f., 368{., 399 Lichtenberg 153 Liebig, Justus 252, 200 Ihering 65 Liebmann, Otto 76 Irenäus 323 Linne 309, 311 Lipps, Theodor 362 {. Jakobi, Friedrich Littre 52 Heinrich 20, 127 Locke 32, 88, 96, 98 James, William 167, Anm., 345, 354, 399 Lotze 5, 10, 49, 56 177 .. Jussieu, d. A. 311 Anm, 7I, 72 Anm., Jussieu, d. J. 311 76ff., 82ff., 87, ISS· Justi 332 I59, I6I,J54ff.,418 Justin 323, 367 Lukrez 305, 313, JIS, 35I, 395. 402 Kant 3, 5, 12f., 18, Luther I IJf ,181,335 20-2J, 25 ff., 34f., Lyell 3 II, 31 5 47f., 57. 66, 69, 74. 76-8o, 82, 84, 86 !4acchiavelli 4, I52, bis 89, 92 f.,98 Anm., 257. 269, 290, 426 111 f. • 126' 128, Mack 4I2 IJ6f.,I48-151, 154, Maeterlinck 370, 412 176, 192, 195f., 219, Maimon 92

De Maistre 49 Anm. Malpighi, Marcello 308, 312 Maltbus 315 MarcAurel I52, 245, 35I, 369f. Marlowe 290, 292 f. Martianus Capella 359 Mauehart I07 Anm. Mayer, 'Robert 2 ;9, 412 Meier, Wolfianer 326 Melanchthon 35, 325 Michaelis 326 Michalsky 98 Anm. Michelangelo 186, 229, 392 Milesische Schule 44 Mill, James, 100 bis I63, I92, 362 Mill, John Stuart 5. 42f., 52, 53f., 63 Anm., 66 {., 74 f., 88, IOO-I63, I92, 259, 362, 4I2 Milton ,2 Minucius, Felix 367 Mirabeau 17 Mahl, R. von 32, 46, 67 Moliere 286f., 399 Mommsen 8 Montaigne 152, 226, 287, 370 Montesquieu 257, 35I Moritz, Philipp 225, 227 Müller, J ohannes von 64, 93f., 98, 119, 3o6 Münsterberg I65 Anm.

441 Pascal 152f., 140 Paulus, der Apostel 335f. Paulus, römischer Jurist 63 Anm. Perrault, Claude 3o8 Pestalozzi 181 f., 195 Petrarca 246 Phiion 323 Pindar 328 Plato 8, 11, 31, 34, 45, 52, 62 Anm., 65, 74, 78, 81, 132, 285 f., 327-330, 332, 336, 345o 347-350, 358, 366, 370, 391, 402, 410 Platonische Schule 350 Plautus 287 Plutarch 63 Anm., 394 Poggendorf 36 Polybius 257, 269 Porphyrios 367 Port-Royal 399 Preller JI9 Preyer 99 Priestley 36 Proklus 367 Pythagoras 195, 347, 366 Pythagoräische Schule 72, 3-50, 399

Rabelais 278, 294 Racine 399 Raffel 98 Anm. Ranke 4, 8ff., 113, 200, 278, 281, 328 Raphael21, 229,281, 379 Redi, Francisco 308 Rehmke 104 Anm. Ribbeck, Otto 286, Nägeli 316 336 Napoleon 220 Ribot 163 Natorp 421 Rickert, Heinrich Neuplatoniker 392 I36f. Newton 88, I40, 310, Riehl, A. 98,109,112, 4I2 423 Nicolai I 19 H. 8, 10, 24, Niebuhr 8f., 2oof., Ritter, 2§Z 270 Robinet 3I4 Nietzsche 370, 379, Rokitansky 109 412 Romantiker 269 Nitzsch 257 Roseher 58, 426 Nollet 3IO Roussea.u 19, 218, Novalis 37, 224, 296 224, 232, 296, 302, 379 Rümelin,42Anm., 59 Origenes 323, 367 Ossian 20 Ruskin 370

442 Savigny 7, 328 Scherer 426 Schelling 13, 20, 23, 25f., 37, 58, ro2, 222, 354ft'., 402 Schiller 13, 19-22, 25, 105, 2l7, 269, 276, 279, 289, 297 bis 303, 328, 379, 395-399, 426 Braut von Messina 395 Don Carlos 297 Kabale und Liebe 396 Philosophische Briefe 21 Räuber 20 Tell 299 Wallenstein 297 bis 302, 396 Schlegel, A. W. 37, 328, 397 Schlegel, Friedrich 25, 37, 328, 397 Schleiden 316 Schleiermacher 4, 7, ro, 13. 18, 25fT., 35 ff., 48, 58, 73, 81, 187, :zr8,2:z6ff., 232, 237, 246, 326-333, 337.354f.,402,418f. Schlosser 4:1 Anm., 268 Schmoller 148 Anm. Schopenhauer 93f., 145, 176, 192, 2o8, 114, 2z6, 354f., 371, 392, 404

Schwann 316 Scioppius 324 Semler 326 Senecar52,287,290, 351 f. Severino, Marco Au· relio 307 Shaftesbury 314, 402 Shakespeare 4, 14, 20, 153, 163, r86, 2o6, 271, 278, 28o, 28.lff., 288- 295, 298f., 336, 394, 399 Harnlet 153, 2o6 Heinrich V. 399 Lear 153, 290 Macbeth 153, 290 Richard lll. 290 Sturm 294 Sigwart, Chr. 74-77, 79f., 82f., 85, 87f., 136, 167, 181, 420 Smith, Adam 42, 48, 59, 362 Sokrates 53, 74, 226, 347, 349 Solon 44 Sophokles 285 Spatding 99 Spencer, Herbart so Anm., 139, 161 ff., 181, 192 Spinoza 18, 23, 34, 40, 135. 1§8, 18§, 187 f., 345,353.391 f., 399, 402, 410 Stahl 63 Anm., 417 Stein, Lorenz 31 Stesichorus z85

Stoa 66, 187, :z26f., 268, 402, 410 Stumpf 78, 136 fl'., 1so Anm., 184, 420 Swammerdam, Jan 308, 312 Tacitus 227 Taine, Hippolyte 139, 163, 191 f., 257, 271 Terenz 287 Tertullian 323 Thales 37, 366 Theodoros von Antiochia 323 Theophrast 286 Thomas von Aquino BI, 386, 388, 391 Thukydides 4, 278, 347 Thüming 154 Anm. Tieck 25, 37 Tocqueville 257, 271 Tolstoj 370, 412 Trendelenburg 7, 10, 195 Turgot 92, 259 Ulpian 72 Usener 337

Volkmann 98, ro8 Voltaire 296, 404 Wackenroder 37 Waitz, Theodor IS4ff., 1§8, 167 Watson 310 Weber, Emst Heinrich 164 Wehrenpfennig 73 Weismann 303, 316 Welcker 319, 3z8 Whewell49, soAnm., §2, Wieland r6 Willis, Thomas 307 Windelband, W. 136, 242f., zs6, 257Anm., 422 ff. Winkelmann 20, :z6q, 278. 326, 332 Wolff, Christian 154f., I §8, 161 Wolf, Friedrich August 270, 319, 327, 331, 333 Wundt, Wilhelm 166f., 251, 334, 337, 425

ss

Xenophon 347

Zeller 95, 114, 127f., IJI, Ißo Anm., 188 Valerius 324 Vico, Giambattista Anm. Zenodot (22 26q, 307, 425 Valkelt 76, 137, 420 Zola 297