Damit, dass drei Freunde‒ Elifas, Bildad und Zofar‒ ganz im Sinne der Tradition von Hiob das Nachdenken über das Verhält
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German Pages 366 [364] Year 2017
Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
III. Der Aufbau und die Stilistik der Freundesreden
IV. Die Theologie der Freundesreden und ihr alttestamentlicher Kontext
V. Die außerbiblischen Parallelen zu den Freundesreden
VI. Ergebnisse und traditionsgeschichtlicher Ausblick
Backmatter
Urmas No˜mmik Die Freundesreden des ursprünglichen Hiobdialogs
Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von John Barton · Reinhard G. Kratz Choon-Leong Seow · Markus Witte
Band 410
De Gruyter
Urmas No˜mmik
Die Freundesreden des ursprünglichen Hiobdialogs Eine form- und traditionsgeschichtliche Studie
De Gruyter
ISBN 978-3-11-022435-1 e-ISBN 978-3-11-022436-8 ISSN 0934-2575 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Meinen Eltern
Vorwort Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete und ergänzte Druckfassung der im Wintersemester 2008/09 an der Philipps-Universität Marburg angenommenen Dissertation des Verfassers. Die Arbeit wurde von meinem verehrten Lehrer und Erstgutachter Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Otto Kaiser, angeregt und während vieler Jahre begleitet und gefördert. Er hat mich bereits vor fünfzehn Jahren für das Alte Testament begeistert und in die deutschsprachige akademische Welt eingeführt. Ihm gilt mein herzlicher Dank. Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Fachbereichs Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg, insbesondere des Fachgebiets Altes Testament, danke ich für die vielseitige Hilfe sowohl bei der Forschung durch die Doktorandenkolloquien und Gespräche als auch bei der Lösung der praktischen Fragen. Für die Übernahme des Zweitgutachtens bedanke ich mich besonders bei Herrn Prof. Dr. Rainer Kessler. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg Jeremias für die gute Begleitung während der Marburger Jahren. Zu danken habe ich zudem dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, dessen Promotionsstipendium den dreijährigen Aufenthalt in Marburg sowie diese Arbeit überhaupt ermöglicht hat. Und: Die Forschung wurde von der Europäischen Union durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (Exzellenzzentrum CECT) gefördert. Viele haben mir mit wichtiger praktischer Hilfe, anregenden Gesprächen oder auch mit verständnisvoller Einstellung in Zeiten, wo es dringend nötig war, beigestanden. Ich danke an dieser Stelle Herrn PD Dr. Juha Pakkala (Helsinki), Herrn Prof. Dr. Christoph Levin (München), Herrn Prof. Dr. Winfried Thiel (Bochum), dem inzwischen verschiedenen Prof. Dr. Timo Veijola (Helsinki), Frau PD Dr. Elisabeth von der Osten-Sacken (Marburg), allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen der AT-Seminare München-Helsinki-Tartu, meinen guten Kollegen und Kolleginnen an der Theologischen Fakultät der Universität Tartu sowie am Theologischen Institut der Estnischen Evangelischen Lutherischen Kirche und meinen Freunden in Deutschland, insbesondere Dietmar Becker. Zu danken habe ich auch Herrn Dr. Helmut Diekmann und Herrn Pfarrer Matthias Burghardt für die Hilfe bei der Korrektur der Arbeit.
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Vorwort
Mein Dank gilt weiterhin den Herausgebern der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, besonders Herrn Prof. Dr. Markus Witte, sowie dem Verlag Walter de Gruyter für die Aufnahme der Arbeit. Schließlich möchte ich mich für die Geduld und Begleitung bei meiner geliebten Frau Evelyn bedanken. Dieses Buch ist aber meinen Eltern Jaan und Maie Nõmmik gewidmet, denn ohne meine gute Kinderstube wäre ich nie so weit gekommen. Uudeküla, im Oktober 2009
Urmas Nõmmik
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................ Inhaltsverzeichnis
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II. Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden .......................... 1. Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden ........................... 1.1. Die erste Elifasrede (Hi 4-5) .......................................... 1.1.1. Kolometrie ............................................................. 1.1.2. Übersetzung .......................................................... 1.1.3. Text- und Literarkritik ......................................... 1.2. Die zweite Elifasrede (Hi 15) ........................................ 1.2.1. Kolometrie ............................................................. 1.2.2. Übersetzung .......................................................... 1.2.3. Text- und Literarkritik ......................................... 1.3. Die dritte Elifasrede (Hi 22) .......................................... 1.3.1. Kolometrie ............................................................. 1.3.2. Übersetzung .......................................................... 1.3.3. Text- und Literarkritik ......................................... 2. Die ursprüngliche Gestalt der Bildadreden ......................... 2.1. Die erste Bildadrede (Hi 8) ........................................... 2.1.1. Kolometrie ............................................................. 2.1.2. Übersetzung .......................................................... 2.1.3. Text- und Literarkritik ......................................... 2.2. Die zweite Bildadrede (Hi 18) ...................................... 2.2.1. Kolometrie ............................................................. 2.2.2. Übersetzung .......................................................... 2.2.3. Text- und Literarkritik ......................................... 2.3. Exkurs: Die sogenannte dritte Bildadrede (Hi 25) ..... 2.3.1. Kolometrie ............................................................. 2.3.2. Übersetzung .......................................................... 2.3.3. Textkritik und Begründung des sekundären Charakters ............................................................ 3. Die ursprüngliche Gestalt der Zofarreden ........................... 3.1. Die erste Zofarrede (Hi 11) ...........................................
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I. Einleitung
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Inhaltsverzeichnis
3.1.1. Kolometrie ............................................................. 3.1.2. Übersetzung .......................................................... 3.1.3. Text- und Literarkritik ......................................... 3.2. Die zweite Zofarrede (Hi 20) ........................................ 3.2.1. Kolometrie ............................................................. 3.2.2. Übersetzung .......................................................... 3.2.3. Text- und Literarkritik .........................................
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III. Der Aufbau und die Stilistik der Freundesreden .................... 1. Strophengefüge und Kolometrie ........................................... 1.1. Der ursprüngliche strophische Aufbau ...................... 1.2. Kolometrie ...................................................................... 2. Poetologie und Rhetorik ......................................................... 2.1. Parallelismus membrorum ........................................... 2.2. Anakrusis ........................................................................ 2.3. Kausale, konditionale, syntaktische u.a. Fügungen .. 2.4. Nominal- und Verbalsätze in der Poetologie ............. 2.5. Fragen als stilistisches Mittel ........................................ 2.6. Sonstige für die Rhetorik und den Strophenbau relevante Merkmale ........................................................ 2.7. Anmerkungen zum Wortschatz .................................. 3. Klangfiguren ............................................................................ 3.1. Alliteration ...................................................................... 3.2. Assonanz ......................................................................... 3.3. Reim ................................................................................. 3.4. Sonstige Klangfiguren ................................................... 4. Aufbau ...................................................................................... 4.1. Mahnung und Lehre ...................................................... 4.2. Zur Mahnung ................................................................. 4.3. Zur Lehre ........................................................................ 4.4. Zur Anrede und zum Summary appraisal .................... 4.5. Ergebnis: Tabellen zum Aufbau .................................. 4.5.1. Die erste Elifasrede (Hi 4–5) ............................... 4.5.2. Die zweite Elifasrede (Hi 15) .............................. 4.5.3. Die dritte Elifasrede (Hi 22) ................................ 4.5.4. Die erste Bildadrede (Hi 8) ................................. 4.5.5. Die zweite Bildadrede (Hi 18) ............................ 4.5.6. Die erste Zofarrede (Hi 11) ................................. 4.5.7. Die zweite Zofarrede (Hi 20) ..............................
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Inhaltsverzeichnis
IV. Die Theologie der Freundesreden und ihr alttestamentlicher Kontext ........................................................... 1. Die theologisierte Vergeltungslehre als Ausgangspunkt der Reden ................................................................................. 1.1. Die Vergeltungslehre und die Gerechtigkeit Gottes ............................................................................... 1.1.1. Die Vergeltungslehre der Freunde .................... 1.1.2. Der alttestamentliche Kontext der Vergeltungslehre der Freunde .................... 1.2. Die Lehre vom Untergang der Gottlosen und die Metaphorik ....................................................... 1.2.1. Die Löwenmetapher in der ersten Elifasrede ... 1.2.2. Die Vegetationsmetaphorik in den Bildadund Elifasreden .................................................... 1.2.3. Feuer, Flut und Finsternis in den Freundesreden ..................................................... 1.2.4. Weitere Illustrationen in den Elifasreden ......... 1.2.5. Weitere Illustrationen in den Bildadreden ....... 1.2.6. Weitere Illustrationen in den Zofarreden ......... 2. Die drei Hauptdarsteller der Lehre und ihr Verhältnis zueinander: Die Gottlosen, die Frommen und Gott ........... 2.1. Die Gottlosen .................................................................. 2.1.1. Zur Terminologie ................................................. 2.1.2. Der Gottlose in den Elifasreden ......................... 2.1.3. Der Gottlose in den Bildadreden ....................... 2.1.4. Der Gottlose in den Zofarreden ......................... 2.2. Die Frommen .................................................................. 2.2.1. Zur Terminologie ................................................. 2.2.2. Die Frommen in den Elifasreden ....................... 2.3. Gott .................................................................................. 2.3.1. Zur Terminologie ................................................. 2.3.2. Das harmonische Verhältnis zu Gott in den Elifasreden ................................................ 2.3.3. Der gerechte Gott der Bildadreden .................... 2.3.4. Der allmächtige Gott der Zofarreden ................ 3. Der Mensch und sein Schicksal ............................................. 3.1. Die Verantwortung des Menschen für sein Schicksal ............................................................ 3.1.1. Die Verantwortung des Menschen für sein Schicksal in den Elifasreden .............................. 3.1.2. Die Verantwortung des Menschen für sein Schicksal in den Bildad- und Zofarreden .........
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Inhaltsverzeichnis
3.2. Die Aufforderungen der Freundesreden .................... 3.3. Die Verheißungen der Freundesreden ........................ 3.3.1. Die Verheißungen der Elifasreden .................... 3.3.2. Die Verheißungen der Bildadreden ................... 3.3.3. Die Verheißungen der Zofarreden .................... 4. Die Legitimationen der Lehren der Freunde ....................... 4.1. Die Erfahrung des Elifas ............................................... 4.2. Die Weisheit der Väter in den Bildadreden ............... 4.3. Die ewige Weisheit des Zofar ...................................... V. Die außerbiblischen Parallelen zu den Freundesreden ............ 1. Einleitendes .............................................................................. 2. Die aramäischen Ahiqarsprüche und ihre Parallelen zumal in den Zofarreden ....................................................... 2.1. Die aramäischen Ahiqarsprüche ................................. 2.2. Die Unersättlichkeit der Bösewichter in den Zofarreden und in den Ahiqarsprüchen .......................................... 2.3. Einige Parallelen zwischen den Ahiqarsprüchen und den anderen Freundesreden ................................. 3. Die Weisheit der Väter in den Bildadreden und in der mesopotamischen Weisheitsliteratur ........................ 3.1. Die Bedeutung der akkadischen Vorläufer zur biblischen Hiobdichtung ........................................ 3.2. Die Vergänglichkeit der Gottlosen in den Bildadreden und die Bedeutung des Šamaš in den akkadischen Texten ............................................ 3.3. Weitere Parallelen zu den anderen Freundesreden in der mesopotamischen Weisheitsliteratur ............... 4. Anmerkungen zum möglichen Hintergrund der Elifasreden ............................................................................... 4.1. Nimmt Elifas Bezug auf die ägyptische Weisheit? .... 4.2. Besitzen die Elifasreden Parallelen in der südöstlichen Weisheit? .................................................. VI. Ergebnisse und traditionsgeschichtlicher Ausblick ................ 1. Ergebnisse: Der Inhalt und die Gestalt der Freundesreden ......................................................................... 1.1. Wichtigste Gemeinsamkeiten der Freundesreden .... 1.2. Elifas ................................................................................ 1.3. Bildad .............................................................................. 1.4. Zofar ................................................................................
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Inhaltsverzeichnis
2. Ausblick I: Die Freundesreden im Rahmen des ursprünglichen Hiobdialogs .................................................. 2.1. Die Funktion der Freundesreden im Hiobdialog ...... 2.2. Die Poesie der Freundesreden im Rahmen der Hiobdichtung .................................................................. 3. Ausblick II: Die traditionsgeschichtliche Stellung der Freundesreden und des ursprünglichen Hiobdialogs ....... 3.1. Die Hiobdichtung als Teil der Entwicklung der Weisheitsliteratur ........................................................... 3.2. Die Hiobdichtung im Spannungsfeld von Weisheit und Psalmen .................................................................... 3.3. Die Hiobdichtung vor dem Hintergrund der Prophetenliteratur .......................................................... 3.4. Die Hiobdichtung und andere alttestamentliche Texte ................................................................................. 3.5. Die Hiobdichtung vor dem Hintergrund der außerbiblischen Traditionen und mythischen Motive .............................................................................. 4. Der Hiobdichter und die Freundesreden .............................
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Abkürzungs- und Literaturverzeichnis .......................................... Allgemeine Abkürzungen .......................................................... Bibliographische Abkürzungen ................................................. Literaturverzeichnis ....................................................................
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Stellenregister
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I. Einleitung „Warum werden wir wie Vieh geachtet?“
Mit dieser Frage eröffnet Bildad seine zweite Rede an Hiob und fordert seinen Freund auf, den leeren Worten ein Ende zu setzen und seine Diskussionspartner nicht zu unterschätzen. Er hat zusammen mit seinen beiden Freunden Elifas und Zofar zahlreiche Thesen und Bilder zum Thema Untergang des Gottlosen geliefert und will ernsthaft, daß ihre vernünftigen Ratschläge zur Umkehr nicht auf taube Ohren oder unangemessene Erwiderungen stoßen. Damit, daß die Freunde ganz im Sinne der Tradition von Hiob das Nachdenken über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch verlangen, aber am Ende doch von Gott verurteilt werden, wirft das Buch Hiob eine der großen und komplizierten Fragen der alttestamentlichen Exegese auf. Denn wie ist die Rolle der Freunde zu beurteilen, wenn ihre Reden im alttestamentlichen Vergleich als traditionelle Lehren bestehen? Was hat den ursprünglichen Hiobdichter dazu bewogen, drei Freunde oder überhaupt jemanden neben Hiob und Gott in sein Meisterwerk der Weltliteratur aufzunehmen? Wenn es drei Weisen sind, wie sind ihre Reden und ihre Rollen zu bewerten? Aus diesen Fragen ergibt sich die Aufgabe der folgenden Studie über die Reden des Elifas, Bildad und Zofar.1 Sie werden auf ihre ursprüngliche Gestalt und Form, auf ihren Charakter und Sinn, auf ihren traditionsgeschichtlichen Hintergrund und schließlich auf ihre Rolle im Gesamtzusammenhang der Hiobdichtung untersucht. Dabei können wir die Reden des vierten Freundes Elihu gleich auf sich beruhen lassen, denn nach dem berechtigten, längst bei der Mehrheit der Alttestamentler erreichten Konsens gehören sie nicht zum ursprünglichen Hiobdialog.2 Weiterhin bildet der literar- und redaktionskritische Befund, daß die Reden der Hiobdichtung ursprünglich teilweise wesentlich kürzer
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Im folgenden werden entsprechend Abkürzungen wie ER für Elifas-, BR für Bildad-, ZR für Zofar-, HR für Hiob- und GR für Gottesreden benutzt. Die Abkürzungen beziehen sich nur auf die von uns für ursprünglich gehaltene Gestalt der Reden des Hiobdialogs. Siehe den Forschungsüberblick und die Behandlung der Bedeutung der Elihureden bei H.-M. Wahl (1993); zu ihrem sekundären Charakter a.a.O., 156ff.172ff.
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Einleitung
gewesen sind als in ihrer überlieferten Gestalt, eine wesentliche Voraussetzung unserer Studie. Wenn wir dieses Ergebnis im zweiten Kapitel in hohem Maße bestätigen, betreten wir also kein Neuland. In der Forschungsgeschichte3 begegnen nicht nur kleinere, sondern auch größere, überaus drastische Ausscheidungen.4 Die Schlüsselrolle in diesem Prozeß kommt der erst 1994 von Markus Witte vorgelegten Studie über den sogenannten dritten Redegang zu, in dem er nachweisen konnte, daß in der Dichtung zwischen einer Niedrigkeits-, einer Majestäts- und einer Gerechtigkeitsredaktion zu unterscheiden ist. Im Hinblick auf die Freundesreden verdient sein entscheidendes Ergebnis, daß Hi 4,12–21; 15,11–16 und 25,1–6 zur Niedrigkeitsredaktion gehören und nach c. 22* keine Spuren der ursprünglichen Freundesreden zu finden sind, besondere Erwähnung.5 Bekanntlich bilden die genannten Abschnitte einen Eckpfeiler der Auslegung der Freundesreden, ja haben es immer gebildet.6 Wittes Thesen sind erst wenig rezipiert (und auch nicht widerlegt!) worden, sie bilden aber eine große Herausforderung für die weitere Forschung. Von den wenigen, die sich mehr oder weniger durch sie herausgefordert gefühlt haben, sind hier zu nennen WolfDieter Syring, der weitere wichtige redaktionskritische Beobachtungen zur Rahmenerzählung und zu ihrer Verknüpfung mit dem Hiobdialog gemacht hat,7 sowie Otto Kaiser und Jürgen van Oorschot, die die Thesen Wittes und Syrings aufgenommen und in kritischer Auseinandersetzung weiterentwickelt haben8.9 Viele früher beliebte Lösungsversu3
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Zur Geschichte der Hiobforschung siehe vor allem H.-P. Müller (1995) und J. van Oorschot (1995), zum Stand der Diskussion über die Entstehung des Buches J. van Oorschot (2007), 166–171, aber auch ältere Überblicke wie C. Kuhl (1953; 1954), W. Baumgartner (1962) und J.A. Emerton (1979). Zur Forschung der Weisheit generell siehe K.J. Dell (2000), 360–364, und C. Westermann (1991). So z.B. F. Baumgärtel (1933a) oder J. Vermeylen (1994). Siehe bes. die Synopse der redaktionellen Schichten: M. Witte (1994), 190–192, und die Zusammenfassung, 223–228. Weiterhin betreffen seine Thesen auch die redaktionellen Antworten Hiobs auf die Reden Jahwes. Siehe dazu auch J. van Oorschot (1995), 360–362. Auch in den jüngeren Untersuchungen sind sie der Hauptanhaltspunkt für die Auswertung der Freundesreden, ihrer Legitimierung oder ihres Inhalts, vgl. z.B. G. Fuchs (1993), 133–135; H.-J. Hermisson (1998a), 293–295; M. Köhlmoos (1999), 182ff.242ff; A. Scherer (2005), (2008), 40–56.156f.; W.A.M. Beuken (2007a), und K. Schmid (2007), 252–258. W.-D. Syring (2004), hinsichtlich von M. Witte siehe bes. 165f. Sein wichtiger Beitrag besteht im Beweis der sekundären Hinzufügung der Rahmenerzählung und ihres mehrstufigen Wachstums; darunter befinden sich aber auch die wegen der Verurteilung der Freunde wichtigen Verse Hi 42,7–9 (siehe a.a.O., 166ff.). Siehe O. Kaiser (1994b), 73–75.85ff., (2006), bes. den redaktionsgeschichtlichen Entwurf, S. 114–119.125–127; er hat zusätzlich mit einer Unschuldserweiterung gerech-
Einleitung
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che wie die umfangreiche Rekonstruktion der dritten Bildad- und Zofarrede oder umfangreiche Umstellungen der Verse sind daher nicht mehr aktuell. Auch die mehrmals vertretene Ansicht, daß in der Hiobdichtung eine beabsichtigte und assoziative Anhäufung von unterschiedlichstem traditionellem Material vorliege, hat dadurch ihre Glaubwürdigkeit verloren.10 Auf den Ergebnissen der Text-, Literar- und Redaktionskritik aufbauend werden im dritten Kapitel unserer Arbeit die poetische Form und der Aufbau der ursprünglichen Freundesreden gründlich untersucht. Methodisch erhebt unsere Behandlung einen hohen Anspruch, weil die Bedeutung der poetologischen Analyse, darunter auch der von uns erneut verwendeten kolometrischen Methode, nicht nur bei der Auslegung des Hiobbuches, sondern auch des ganzen Alten Testaments immer noch unterschätzt wird.11 Eine poetologische Analyse und rhetorische Kritik12, die demonstrativ die Ergebnisse der literar- und
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net. J. van Oorschot (2007), 171–184, beschäftigt sich mit den Redaktionsschichten aus einer anderen Perspektive, z.B. bezeichnet die Majestätsbearbeitung als Gottesfurcht-Redaktion. Siehe auch I. Kottsieper (2004), 782ff. Weiterhin möge der Hiobkommentar von H. Strauß (2000) erwähnt werden, weil er Hi 20* für das letzte ursprüngliche Kapitel der Freundesreden hält und Hi 22–28* als ein sekundäres Werkstattgespräch behandelt. Vgl. z.B. F. Hesse (1978), 53; H. Graf Reventlow (2000), 284f. Wir verzichten grundsätzlich auf die traditionelle Untersuchung der Metrik der Hiobdichtung, weil sich hier nach mehr als hundert Jahren immer noch keine einheitliche Meinung gebildet hat und die Ergebnisse manchmal mehr Fragen als Antworten bieten; siehe z.B. G. Fohrer (1963a), 54 (das Problem des Metrums sei vielleicht unlösbar). Tatsächlich schimmert bei der ursprünglichen Hiobdichtung die Grundstruktur von 3+3 Tonsilben hindurch (so z.B. K. Budde [1896], iv; S.R. Driver / G.B. Gray [1950], I lxxvii), aber es reicht manchmal nicht aus, um korrupte Stellen text- oder formkritisch zu korrigieren. Dagegen gelingt es der Kolometrie, dem Ideal des Messens und Vergleichs viel näher zu kommen, weil die Konsonanten (unabhängig von matres lectionis) viel sicherere Stützpunkte bilden als Vokale oder Silben oder ihre Akzente. Zur Einführung in die Methode siehe O. Loretz / I. Kottsieper (1987), zu der heutigen Stellung und den Einzelaspekten O. Loretz (2002), 1–9; U. Nõmmik / R. Tasmuth (2006), 64–69, und mehrere praktische Anwendungen wie O. Loretz (1979; 1988; 2002), T. Veijola (1982); M. Nissinen (1991) und U. Nõmmik (2000). Im Anschluß an den Vergleich verschiedener metrischer Methoden zieht K. Seybold (2003), 102–127, den Schluß (S. 126), daß die Kolometrie „für die poetologische Analyse von erheblichem Wert sein“ kann. Vgl. die kritischen Anmerkungen bei M. Mark (2007), 45f.60–63. Zur Methode siehe R. Meynet (1998), bes. 350, der den Ertrag der rhetorischen Analyse, erstens, in der Einsetzung der wissenschaftlichen Kriterien zur Bestimmung der literarischen Einheiten und des ‚Kontextes’, und daher zweitens, in der Einsetzung dieser Kriterien zur Interpretation sieht: „that is to grasp the significant relations
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Einleitung
redaktionskritischen Arbeit verachtet und oft unter der Flagge einer „synchronen Exegese“ daherkommt, vermag allein nicht zu befriedigen.13 Als eine einschlägige Illustration kann die durch mehr als hundert Jahre diskutierte Frage der strophischen Gliederung der Hiobdichtung und der regelmäßigen Gestalt ihrer Verse herangezogen werden. Die Forschungsgeschichte verfügt über (in seltenen Fällen extreme) Beispiele der Optimisten14 und Skeptiker15. Ein Mittelweg, in dem die literar- und redaktionskritische Arbeit mit der formkritischen, darunter poetologischen, und rhetorisch-kritischen Analyse gekoppelt wird, wird selten gewählt.16 Unsere Studie will im zweiten und dritten Kapitel eine Synthese der text-, literar-, form- und redaktionskritischen Methoden mit den poetologischen und rhetorisch-kritischen Methoden vorlegen, damit die ursprüngliche bemerkenswert regelmäßige Gestalt der Freundesreden, ihre kleinsten poetischen Nuancen und Akzente deutlicher hervortreten und schließlich auch ihr Inhalt besser verstanden wird. Der kolometrischen Methode, die formkritischen Grundsätzen folgt und doch sinnvoll nur in Verbindung mit der Redaktionskritik eingesetzt werden kann, kommt bei dieser Synthese fast die
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between the literary units, at the different levels of structuration of the text, as if they had been ‚com-posed’ by the authors themselves“. M. Cheney (1994), 20–23, hat mit Recht die Praxis der Verwendung des Begriffs „synchron“ kritisiert, weil es sich oft eigentlich um „achrone“ Behandlung handelt. Unsere formkritische Studie ist laut Cheney synchron, denn analysiert wird eine Gestalt des Hiobbuches, nämlich die ursprüngliche, die in ihrer Zeit für die Leser als eine Gesamtheit mit eigenen formalen und inhaltlichen Grundsätzen verfaßt worden ist. Vgl. bereits F. Delitzsch (1876), vi.13f., der Strophen, obwohl nicht mit gleicher Länge, behauptet (ähnlich G. Fohrer [1963a], 55); G. Beer (1895/97), viii, der im Aufbau einzelner Kapitel von vierzeiligen Strophen ausgeht; B. Duhm (1897), ix; G. Hölscher (1952), 8; A. de Wilde (1981), 63f.; N.C. Habel (1985), 47. Besonders ist S. Terrien (1963), 33f., hervorzuheben, weil bei ihm nicht nur Strophen, sondern auch die Unterstrophen („sous-strophe“) ähnlich zu uns markiert werden. Als ein Extremum gilt das durchgehend regelmäßige strophische Schema von P. Skehan (1971). Trotz literarkritischer Arbeit äußert sich K. Budde (1896), v, sehr skeptisch zu den Strophen in der hebräischen Dichtung und läßt neben den Bikola auch Trikola zu. Vgl. auch R. Gordis (1978), 506f. Z.B. können die von uns herausgearbeiteten Grundsätze zur Abgrenzung der Bikola, Unterstrophen und Strophen durchaus mit den von P. van der Lugt zur Hiobdichtung (1995) und den Psalmen (2006) verglichen werden, da er aber keine literarkritische Schichtung der Texte vornimmt, sind die Ergebnisse der Stropheneinteilungen der Freundesreden im Gegensatz zu uns sehr unterschiedlich. Vgl. K. Seybold (2003), 192, daß die Form eines Psalms „auf den verschiedenen Ebenen sich an unterschiedlichen Mustern orientieren“ kann. Vgl. auch E. Talstra (1994), 339f., der die Diskussion über Hi 21 richtig als dominiert von der einseitigen Analyse der theologischen Aussagen auf Kosten der Analyse der linguistischen Form kritisiert.
Einleitung
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Schlüsselrolle zu.17 Aber auch weitere Analysen, wie z.B. die des Parallelismus membrorum, der Syntax, der syntaktischen Fügungen und Klangfiguren, verdient schon hier ihre Hervorhebung, weil ihre Rolle bei der Einteilung der Kola, Bikola und Strophen keinesfalls zu unterschätzen ist.18 Damit wird erst durch die „Wiederherstellung des ursprünglichen Textes“ mit Hilfe der kritischen Methoden der Boden für die folgende „Erforschung der intertextuellen Verbindungen“19 im vierten und fünften Kapitel dieser Arbeit vorbereitet. Im dritten Kapitel wird neben dem Befund, daß dem ursprünglichen Hiobdichter ein bemerkenswert hohes dichtungstechnisches Niveau zuzumessen ist, die Frage berührt, ob es in seiner Absicht stand, die Freunde ursprünglich als unterschiedliche Charaktere darzustellen, d.h. ob ihre Unterschiede (weil alles menschliche Reden, auch fiktives, nicht ohne gewisse Eigenarten auskommen kann) sich auch in inhaltlichen Abwandlungen spiegeln. Blickt man in die Forschungsgeschichte, so ist der Gedanke, daß die Freunde als Individuen und keine (vollkommen) einheitliche Partei dargestellt werden, im Zeitalter der kritischen Exegese freilich nicht neu.20 Seit Johann Gottfried Herder21 und Johann Gottfried Eichhorn22 17
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Siehe ein einschlägiges Beispiel zur Analyse von Hi 3* bei O. Loretz (2000). Der Tatsache, daß das kolometrische Argument niemals allein eine These begründen kann, ist sich der Verfasser der vorliegenden Arbeit freilich bewußt, sowie der Probleme von der Art: Ob ein poetischer Text vorerst inhaltlich oder formal (Kolometrie und Strophenbau) gegliedert werden soll (so O. Loretz [2002], 5). Als klassische Handbücher gelten immer W.G.E. Watson (1984) und L. AlonsoSchökel (1988), die nun durch eines von K. Seybold (2003) wesentlich ergänzt worden sind. Als eine besonders wichtige Studie ist die text-, literar- und formkritische Untersuchung der Tempora des Hiobdialogs von H. Bobzin (1974) hervorzuheben. Des weiteren siehe die Behandlungen von W.B. Stevenson (1947), 56–72.98–101, über das Metrum, die Strophen, die Alliteration, die Assonanz (beide als ‚assonance’ bezeichnet) und den Reim, von L.J. de Regt (1996) über die rhetorischen Fragen im Hiobbuch und von T. Muraoka (1985) über die rhetorisch gewichtigen Wörter im Alten Testament. Von den Kommentatoren haben E. Dhorme (1967), clxxx–clxxxix; R. Gordis (1978), 501–518 u.a., und N.C. Habel (1985), 46–49, mehr Raum dem Stil gewidmet. Vgl. die Kritik der gegenwärtigen Psalmenforschung bei O. Loretz (2002), 5, und S. 6: „Ein allzu fortschrittgläubiges Vertrauen auf Sinnzuwachs mit steter Wertsteigerung ohne Gefahr von Verlusten und Fehlentwicklungen bildet ein wenig tragfähiges Fundament für philologische, poetologische und historische Überlegungen“. Der vorliegenden Arbeit ist eine text- und literarkritische und zugleich poetologische Analyse von Hi 4f.* vorausgegangen (U. Nõmmik [2003]). Siehe zur Einleitung H.-P. Müller (1995), 73f.; M. Remus (1993), 13–15, und A. Scherer (2008), 5–17. Vgl. ein Zitat nach einer Neuausgabe des zuerst in 1782–83 erschienenen Werkes von J.G. Herder (1993), 776: „Durch alle geht ein seidener Faden fort. Die drei Wei-
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Einleitung
hat es nicht an Anmerkungen oder zumindest entsprechenden Beobachtungen, welche auf eine persönliche Charakterisierung der Freunde hinweisen, in den Hiobkommentaren gefehlt. Nach dem Kommentar von August Dillmann23 und fast gleichzeitig mit Bernhard Duhm24 hat Karl Budde am Ende des 19. Jahrhunderts die Freunde mit folgenden Worten einprägsam beschrieben: „Und doch ist ihm [dem Hiobdichter] dies glänzend gelungen. Eliphaz der würdevolle, der weise vor andren, der sich auf seine Lebenserfahrung und selbstempfangene Offenbarungen beruft, Bildad der eitle Schönredner, der sich auf Zeugnisse und Überlieferung stützt, Sophar der rohe Polterer, der mit Allerweltsweisheit und Gemeinplätzen um sich wirft. Bis in die Wahl der Bilder nicht nur, sondern selbst in den Wortschatz lässt sich diese Absicht der Charakter- und Typenzeichnung verfolgen.“25
In den 1920er Jahren hat Johannes Hempel der Frage nach der Eigenart der Freunde einen größeren Raum gewidmet und sogar von verschiedenen „Frömmigkeitstypen“ gesprochen. Neben der Hochschätzung der „Kunst der Menschenzeichnung“ des Dichters26 hat er die Hauptzüge des bewußten Elifas27, des gefühllosen Bildad28 und des die Ge-
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sen sprechen charakteristisch, und Hiob überwindet sie als Weiser und Dichter. Eliphas ist der bescheidenste, so gar daß er die erste Lehre, die er Hiob geben will, nicht selbst sagt, sondern einem Orakel in den Mund legt. Bildad greift Hiob mehr an und Zophar übertreibt meistens nur, was Bildad sagte. Er verliert sich auch zuerst vom Schauplatz.“ So nach H.-P. Müller (1995), 73. A. Dillmann (1891), xx: „... hat der Dichter sie auch individuell etwas verschieden gezeichnet: Elifaz ist der älteste (15,10), reicher Erfahrung (4,8.12. 5,3. 15,17f.), der Wortführer, der immer zuerst redet u. den Ton angibt, ein Mann fast profetischer Würde, besonnen u. mässig; Bildad, jünger, hält an Weisheit, Kampfesgewandtheit u. maassvollem Takt die Mitte zwischen dem ersten u. dritten; Sofar der jüngste ist der hitzigste, leidenschaftlichste u. derbste, aber auch an eigenen Gedanken dürftigste, der am frühesten verstummt.“ Auf S. xxii werden Ansätze aufgezählt, die die Sprechweise der Freunde auseinander halten: Bei Elifas hf)r : yi , daxk: ni , }aks f ; bei Bildad die blumige, sentenziöse Redeweise; hfn) f -da( in 8,2; 18,2 und lLim, )fg& f , byib$ : ; bei Zofar die derben, unedlen Bilder (11,11; 20,7.14f.20.23). B. Duhm (1897), 24.46.61, läßt „nach Temperament, Anschauungsweise und Beweisführung und sogar in ihrer Redeweise“ die Nuancierung der Freunde zu. K. Budde (1896), xiv. Das hat er (1913), xxi, wiederholt. Es sei gemerkt, daß er auch die Elihureden zum ursprünglichen Bestand und zu den Charaktergestalten zählt. J. Hempel (1961), 148. A.a.O.: „Lebendig tritt uns im Eliphaz das Abstandsbewußtsein des Israeliten Gott gegenüber entgegen /.../ das Bewußtsein um die Macht des Schöpfers und um sein sittliches Walten, vor allem, der sozialkaritativen Einstellung des israelitischen Gottesglaubens entsprechend, zugunsten der Armen und Schwachen“. A.a.O., 152: „Wie Eliphaz auf dem Gesangbuch, so steht er [Bildad] auf der Tradition der alten Zeit /.../ und der Sachkunde der Väter /.../ Vergeltungslehre“.
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danken des Wissens und der Macht Gottes wiederholenden Zofar29 nachzuzeichnen versucht. Im Laufe der folgenden Forschung hat man hauptsächlich die Meinung vertreten, die Freunde stritten, lehrten und ermahnten mehr oder weniger ähnlich. Den variierenden Grad der meistens formalen und weniger inhaltlichen Unterschiede hat man flüchtig zugegeben und hauptsächlich die besondere Stellung des Elifas unterstrichen.30 Von anderen heben sich Friedrich Baethgen,31 Paul Krieger,32 Hans Wilhelm Hertzberg,33 Curt Kuhl,34 David J.A. Clines35 und durch die Behauptung der unterschiedlichen Typisierung der Freunde als Theologen besonders Otto Kaiser36 hervor.37 In der neueren 29 30
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A.a.O., 156f. Davon, daß auf die Frage nicht gründlich eingegangen wird, zeugen im deutschsprachigen Raum Wendungen, auf die man seit hundert Jahren durchgehend stößt. Bei Elifas sind es „Würde“ und „Milde“ und bei Zofar „Ungestüm“. Bezeichnend ist, daß bei Bildad die Meinungen am meisten auseinander gehen. Vgl. ein Florilegium der Meinungen in A. Scherer (2008), 17–19. F. Baethgen (1898), x f.xvi, der bei Hiob und seinen Freunden unterschiedliche Dialekte vermutet. P. Krieger (1930), 44: Gleiches Denken, aber unterschiedlich dargestellt. Elifas sei am schonendsten, mit schwerfälligem Pathos, Bildad sei ein starrer Vertreter der Tradition und Zofar als jüngster sei am abfälligsten. H.W. Hertzberg (1949), 28.40.50f.71.80.89: Elifas sei am sachlichsten, ein Typus des „Weisen“, „ganz folgerichtiger Vertreter der Glaubens- und Lebensrichtung, die mit dem Worte Chokhma, Weisheit, gekennzeichnet wird“, mit dem „fast seelsorgerlichen Ton und Charakter“; Bildad gebe „sich keinerlei Mühe, in Güte und wohlwollender Belehrung zu Hiob zu sprechen“, „ein sturer Vertreter der Weisheitslehren“; Zofar sei temperamentvoll und orthodox. C. Kuhl (1953), 272: Elifas als alter Weiser „von Besonnenheit und Erfahrung“ sei am liebevollsten, Bildad sei aggressiver und der jüngste Zofar schroff und die Situation verschärfend, „da er als erster und am schwersten Hiob anklagt“. D.J.A. Clines (1989), xl f., sieht bei den Freunden „difference in opinion over what precisely Job's sufferings signify“; laut Elifas müssen auch die Unschuldigen leiden, aber nicht lange; Bildad sei mehr von der Vergeltungslehre überzeugt, aber sei die Tatsache, daß Hiob noch lebt, Beweis dafür, daß er kein großer Sünder sei; Zofar stehe für das Prinzip, und einen Grund für das Leiden müsse es immer geben. Weiterhin hält Clines (a.a.O., 344) die Beschreibungen der Gottlosen für unterschiedlich: „For Eliphaz it is a picture of what Job is not; for Bildad (chap. 18) it is a picture of what Job may become; for Zophar (chap. 20) it is a picture of what Job must avoid.“ O. Kaiser (1985), 57f.: „Da erscheinen die drei Freunde, die, scharf charakterisiert, jeder ein Typos des Theologen vertreten: Eliphas von Theman, der älteste unter ihnen, verfügt über eine große Lebenserfahrung und beruft sich jedenfalls darauf wie auf eigene Offenbarungen. Er ist also gleichsam ebenso gebildeter Theologe wie religiöser Experte. Bildad von Suah erscheint daneben als ein selbstgefälliger Systemtheologe, der sich bei seiner Argumentation auf die Überlieferung der Väter beruft. Und schließlich tritt uns in Zophar von Naama der schülerhafte „junge Theologe“ entgegen, der aufbrausend mit seinem Wissen um sich wirft. Eliphas wartet zunächst ab, geht behutsam vor, um Hiob zu selbständiger Erkenntnis seines vermeint-
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Einleitung
Forschung wird immer mehr die Tendenz spürbar, die Freunde untereinander und mit Hiob unter einem besonderen Blickpunkt oder einer neuen Methode zu vergleichen. Im Lichte des altorientalischen Chaoskampfmotives hat Gisela Fuchs die Freunde unterschiedlich betrachtet und besonders bei Zofar (Hi 20) die individuellen, sich auf eine drastische Form der Chaostradition gründenden Züge behauptet.38 Michael Cheney hat in seiner umfangreichen Studie die Endgestalt (3. Jh. v. Chr.) des Hiobbuches, seine Teile und die Reden auf Charakter, Struktur, Gattung, Poetologie, Syntax und Wortschatz hin untersucht.39 Hans-Jürgen Hermisson hat die Freundesreden bzw. die Thematik ihrer Reden verglichen: Dabei entwerfe Elifas das Programm, und seine beiden Freunde nähmen Einzelthemen auf.40 Eine spezielle Untersuchung des Charakters und der inhaltlichen Nuancen der Freundesreden ist stets gefordert worden, aber eine solche ist wegen anderer Forschungsschwerpunkte noch nicht zustande gekommen. In gewisser Hinsicht ist jüngstens Andreas Scherer am weitesten gegangen, indem er gezielt die Reden des Elifas „als Teil eines kommunikativen Geschehens“ und auf ihre Eigenart hin untersucht hat.41 Im Gegensatz dazu fehlen nicht einschlägige Studien, die die Argumentation der Freunde
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lich selbstverschuldeten Schicksals zu führen. Bildad redet von vornherein unverblümter, während Zophar Gemeinplätze von sich gibt.“ Vgl. O. Kaiser (2006), 111: Elifas sei ein erfahrener Seelsorger, Bildad gebildet und energisch und Zofar temperamentvoll. Weiterhin vgl. W. Volck (1889), 22.35.56; P. Volz (1921), 43f.48.50; H. Masing (1931), 80ff.; G. Hölscher (1952), 21.27.33.52; C. Westermann (1956), 17.67; A. Weiser (1980), 15.17; G. Fohrer (1963a), 185f.191.194.223.232 (die Freunde seien gleichaltrig!); S. Terrien (1963), 40.67.89.91.104 (Bildad repräsentiere den „type du paléo-orthodoxe“); A. Guillaume (1963), 109 („Job’s friends are not only champions of an untenable theology: they are rivals in a poetic contest“); H.H. Rowley (1980), 3f.; F. Hesse (1978), 18; R. Gordis (1978), 46; A. de Wilde (1981), 105.156; H. Groß (1986), 23.35.45 (Bildad verfüge über „nicht zu leugnende Überzeugungskraft“); J.E. Hartley (1988), 154 (Bildad sei ein „champion of „old-time“ religion“); H.-M. Wahl (1993), 157f., und I. Müllner (2003), 176, die aufgrund der persönlichen Anreden besonders den am persönlichsten Elifas hervorhebt. G. Fuchs (1993), 125, und ebendort insgesamt zum zweiten Redegang: „In der Eliphasrede ist der Frevler noch ein fast ebenbürtiger Gegner, der gegen Gott mit steifem Nacken anrennt. In der Bildadrede wird er schon zur Beute dämonischer Mächte. Die Zopharrede aber hat die Tendenz, in mythisches Urgestein, in fast archetypische Schichten vorzustoßen.“ M. Cheney (1994). H.-J. Hermisson (1998a), 287f.: Die Freunde beschreiben im zweiten Redegang entsprechend Hiob auch in „verschiedenen Spielarten: als Tyrannen (Eliphas), als Reichen / reichen Ausbeuter (Zophar) oder auch nur als den in jeder Hinsicht Untergangsgeweihten (Bildad)“. A. Scherer (2008), bes. 149–169.
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ausdrücklich als eine Einheit betrachten. Aus der neueren Zeit sind besonders die Monographien von Martin Remus im Hinblick auf das Menschenbild der Freundesreden42 und von Klaudia Engljähringer im Bezug auf die Dynamik der Dialoge des Hiobbuches als „eine(r) faszinierenden Einheit“43 hervorzuheben.44 Tatsächlich hinterläßt die Dichtung selbst den Eindruck, daß die Freunde als eine Einheit anzusehen sind. Bekanntlich redet Hiob die Freunde in der 2. Person plur. an (6,24–30*; 13,5–13 u.a.) und auch Elifas und Bildad sprechen von „uns“ (5,27; 18,3). Der literar- und redaktionskritische Befund kann aber die Einheitlichkeit in ein anderes Licht rücken. Denn seit langem hat man beobachtet, daß inhaltlich ähnliche Aussagen nicht nur bei allen Freunden, sondern auch bei Hiob und den Freunden vorkommen. Mithin muß man auch fragen, ob der einheitliche Eindruck nicht hauptsächlich auf Kosten der späteren Redaktionsarbeit zurückzuführen ist. Daher rechnet man in der neueren Forschung, z.B. in den Studien von Hans-Peter Müller und Jacques Vermeylen, bereits mit der Möglichkeit, daß die ursprüngliche Rolle der Freunde (und freilich auch des Hiob) im Hiobbuch durch Redaktionen entstellt worden ist.45 Mit den Worten von M. Witte:
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M. Remus (1993); zu den Freundesreden als eine Einheit siehe S. 13–18 und zur Argumentation S. 16–36. K. Engljähringer (2003), zu den Freunden siehe S. 37–75, bes. 74f. und 190f.: Das Reden der Freunde zerstöre Beziehung und das Reden Hiobs und Gottes stifte Beziehung. Ähnlich gründlich und relativ einheitlich behandeln die Existenzauffassung der Freundesreden noch E. Würthwein (1970), 227–252, und C. Westermann (1956), 66– 78; weiterhin aber auch J. Lévêque (1970), 239–277; J. Vermeylen (1986), 36–43; (1994), und R. Albertz (2003). Ferner vgl. die stärksten Vertreter der These, die Freunde seien verschieden charakterisiert, aber eine Einheit in ihrer Theologie: S.R. Driver / G.B. Gray (1950), I lvi; H. Gese (1958), 75; F. Horst (1968), 166; V. Maag (1982), 125ff., und J. Vermeylen (1986), 36. So im Hinblick auf die Traditionsgeschichte der der Rahmenerzählung zugrundeliegenden Hioblegende und ihrer Verknüpfung an den Dialog bei H.-P. Müller (1970; kritisch dazu A. Scherer [2008], 7–9) und auf die drastisch verminderten Freundesund Hiobreden bei J. Vermeylen (1994). Vermeylen hat bereits früher (1986) behauptet, daß im ursprünglichen Dialog Hiob die radikale Gruppe und Freunde die moderate Gruppe der theologisch-politischen Diskussion in der Perserzeit vertreten haben und daß der Elihu-Redaktor erst später versucht hat, in Hiob einen Frommen zu sehen. Selbstverständlich ergibt sich die Verschiebung der Bedeutung der Freunde auch aus den Studien von M. Witte (1994), W.-D. Syring (2004), I. Kottsieper (2004) und J. van Oorschot (2007). Daß der Elihudichter oder andere die Wichtigkeit des Vergeltungsgedankens, damit gewisserweise auch der Freunde, zu rehabilitieren versucht hat, haben z.B. B. Duhm (1897), xi f.; G. Hölscher (1952), 6f., und V. Maag (1982), 99, unterstrichen.
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„Im Verlauf der unterschiedlichen Redaktionen der Hiobdichtung ist immer stärker die Figur Hiobs in die Mitte der theologischen Betrachtung getreten. In der ursprünglichen Dichtung waren Hiob und seine Freunde zwei allein schon kompositionell gleichgestellte Größen.“46
Durch diese Beobachtungen gewinnt unsere „scheinbar periphere Fragestellung“47 hinsichtlich der Theologie und Traditionsgeschichte des Hiobbuches immer mehr an Gewicht. Will man solche Fragen beantworten und weiß man auch, daß keine umfangreiche Studie der Freundesreden mit ähnlichen Prämissen vorliegt, scheint der einzige methodische Weg der zu sein, bei ihrer Analyse und im Aufbau dieser Arbeit von Anfang an die ursprünglich unterschiedliche Gestaltung vorauszusetzen. Außerdem ist man fast einig darüber, daß es im Hiobdialog keine Entwicklung im heutigen Sinne der Diskussionskultur gibt. So ist eine gesonderte Untersuchung der Freundesreden, auch ohne auf die Hiobreden gründlicher einzugehen, berechtigt. Daher stellt sich die vorliegende Studie der Aufgabe, die genannten Probleme zu lösen. Kann man einen wesentlichen Einfluß der Text-, Literar- und Redaktionskritik auf die Auswertung der ursprünglichen Rolle der Freunde in der Hiobdichtung voraussetzen, so muß man die Frage der möglichen unterschiedlichen Theologie der Freunde im vierten Kapitel unserer Studie von neuem stellen. Im Anschluß an das Ergebnis der poetologischen Analyse und begründet in der Prämisse, daß eine dermaßen detaillierte und dichterische Gestaltung der Freundesreden vom Hiobdichter nicht umsonst geschehen ist, wird ein Versuch gewagt, der Traditionsnähe und theologischen Tauglichkeit der Freundesreden und damit ihrer wichtigen Rolle gerecht zu werden. Seitdem das Buch Hiob über die göttliche Verurteilung der Freunde und die Wiederherstellung Hiobs in der Rahmenerzählung (42,7–9.10ff.) verfügt, geht die Tendenz dahin, die Freunde als lebensferne Dogmatiker zu verurteilen.48 Von der Mehrheit der Forscher werden die Freundesreden als ein Beispiel
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M. Witte (1994), 227. So H.-P. Müller (1995), 73. So mit Variationen sehr viele, z.B. B. Duhm (1897), 35; H.H. Rowley (1980), 20ff.; V. Maag (1982), 165f.190ff.; M. Köhlmoos (1999), 364ff. Als extreme Beispiele gelten A. Weiser (1980), 21 u.a., und G. Fohrer (1963a), 157 u.a., die dazu neigen, den Satan der Rahmenerzählung hinter den Freunden zu sehen (vgl. die berechtigte Kritik dagegen bei M. Remus [1993], 31f.). Als ein symptomatisches Urteil kann das von U. Berges (1994), 300, angeführt werden: „Das Hiobbuch ist nicht nur ein Protest gegen ein weisheitliches Ordnungsschema, gegen ein deuteronomistisches Retributionsdogma oder gegen die Engführung durch eine priesterschriftliche Heiligkeitsideologie, sondern gleichzeitig die notwendige Konsequenz aus all diesen geschlossenen Systemen“.
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für die zeitgenössische gelehrte Weisheit verstanden.49 Gleichzeitig werden sie dann der Lebensferne und des Dogmatismus bezichtigt. Sämtliche Forscher, die die Rolle der Freundesreden positiver beurteilen, sehen im Hiobbuch den Stimmenchor von verschiedenen Antworten auf die komplizierte Wirklichkeit dieser Welt. Denn die Forscher haben die Spannung zwischen dem hohen dichterischen Anspruch und der Traditionsnähe der Freundesreden auf der einen Seite und ihrer Verurteilung in der Rahmenerzählung auf der anderen Seite freilich seit langem bemerkt.50 Angesichts unserer Analyse im zweiten und dritten Kapitel muß man aber wohl fragen, was aus dieser Menge verschiedener Antworten im Hiobbuch wird, wenn es abgesehen von seinen zahlreichen Bearbeitungen und seiner Rahmung gelesen wird. Der hier vorgelegte Versuch wird zeigen, daß einige Tendenzen der ursprünglichen Reden, z.B. das von vielen Forschern angesprochene seelsorgerliche Bemühen des Elifas, sich klarer abzeichnen und sie eine Bedeutung für die Endlösung des gesamten Dialogs besitzen.51 Es sei vermerkt, daß ein Teil der jüngsten Forschung ohnehin dazu neigt, in den Freundesreden mehr als ein bloßes Gerede zu sehen, wie es besonders Hans-Jürgen Hermisson trefflich formuliert hat: „Man soll die Freunde Hiobs nicht, wie es oft geschehen ist, zu einer Karikatur bornierter orthodoxer Theologen werden lassen, die angesichts der realen Fragen des Lebens nur ihre Sprüche klopfen können. Vielmehr steckt in den Reden der Freunde eine Menge praktischer Lebenserfahrung und ein großes seelsorgerisches Bemühen. Und der Hiobdichter läßt sie nicht so ausführlich zu Worte kommen, um am Ende bloß die Absurdität der alten Weisheit zu konstatieren.“52
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Vgl. z.B. S. Terrien (1963), 41: Satire der Orthodoxie; N.C. Habel (1985), 118: Parodie der weisheitlichen Beratung. Vgl. z.B. H.-J. Hermisson (1998b), 300: „Wenn der Hiobdichter so viel Mühe auf die kunstvolle Gestaltung auch der Freundesreden verwandt hat, so ist das ein Argument dafür, daß er die Freunde nicht einfach „Ungereimtes“ reden ließ, sondern die Vielzahl der Antworten im Sinn hatte, mit denen allein man versuchen kann, der disparaten menschlichen Wirklichkeit zu entsprechen.“ Vgl. auch ders. (1996), 213ff. Vgl. die Analyse der ersten ER als seelsorgerlichen Rede bei A. Scherer (2005) und a.a.O., 283, Anm. 8.9, genannte weitere Literatur. H. Strauß (2000), 34, zieht aus der Analyse die Konsequenz, daß die zweite ZR das leistet, was sie leisten soll: „Orientierung zu schaffen mitten in dieser Welt und in diesem Leben, so daß der Mensch seinen (guten!) Anteil darin erkenne“. A. de Wilde (1981), 16, hat übrigens Hiob, Elifas und Jahwe für die Hauptdarsteller des Hiobbuches gehalten, Bildad und Zofar spielen nur Schelt- und Drohrollen. H.-J. Hermisson (1996), 213. Vgl. auch die Kritik bei M. Remus (1993), 30–32, bes. Anm. 113.117.118. Weiterhin vgl. H.L. Ginsberg (1969), 111; D.J.A. Clines (1989), 121; R.B. Murphy (1996), 38, und I. Kottsieper (2004), 776 (vgl. G. von Rad [1992], 292).
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Ein Vergleich der Freundesreden und eine systematische Behandlung ihrer Theologie macht freilich die Untersuchung ihres form- und traditionsgeschichtlichen Hintergrunds erforderlich. Im vierten Kapitel unserer Studie sollen die Aussagen der Reden durch Erörterung ihrer alttestamentlichen Parallelen präzisiert, ihre inhaltlichen Schwerpunkte festgestellt und verglichen werden und schließlich dadurch auch ein wenig Licht in die Frage der Verortung der ursprünglichen Hiobdichtung in der alttestamentlichen bzw. israelitischen (weisheitlichen) Tradition gebracht werden. Zum einen muß bemerkt werden, daß die Frage nach der Gattung des Hiobbuches immer noch offen steht, zumal es im Alten Testament keine Parallele besitzt.53 Zum anderen ist daran zu erinnern, daß man im Verlauf der Forschungsgeschichte zunehmend und reichlich fast zitathafte Hinweise auf verschiedene alttestamentliche Texte und Gattungen bemerkt hat, besonders seit den wichtigen Studien und dem bis heute in seiner Gründlichkeit immer noch unübertroffenen Kommentar von Georg Fohrer.54 Seine Beobachtungen zu der Art und Weise, wie der Hiobdichter die verschiedensten Elemente, Motive der alttestamentlichen Gattungen und Sprache, zumal der Weisheit, der Psalmen und des Rechts kombiniert hat, sind noch nicht überholt worden. Er selbst faßt das Phänomen wie folgt zusammen: „Dieser klare Aufbau der Hiobdichtung ist um so erstaunlicher, als dem Dichter im Hebräischen nur begrenzte Stil- und Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung standen. Er hat sein Ziel besonders dank dreier Methoden erreicht, deren er sich mit großem Geschick bedient hat. Ausdrucksmäßig verwendet er eine überaus vielfältige Bildsprache, die er durch die umfangreiche Einbeziehung des Bildungsgutes der übrigen altorientalischen Weisheitslehre bereichert; offensichtlich schreibt er als Gebildeter für Gebildete. Ferner zeigt die formgeschichtliche Untersuchung, daß die Reden der Hiobdichtung nach dem Grundsatz der Gattungsmischung komponiert sind. Der Dichter hat die Redeformen in einer sehr mannigfaltigen und bunten Weise den Bereichen der Weisheitslehre, des Rechtslebens und der Psalmen entnommen. Schließlich läßt sich eine dritte Methode feststellen: Der Hiobdichter vergrößert den Anwendungsbereich der Redeformen, indem er sie in einer anderen als ihrer eigentlichen Funktion verwendet.“55
Bei diesem Befund fällt jedoch auf, daß Fohrer die Redeformen der prophetischen Verkündigung nicht in Betracht gezogen hat und daß er
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So besonders K.J. Dell (1991), 83: „Job questions the wisdom tradition to such an extent that it breaks out of the areas of Israelite life“. Zu den neuen Tendenzen in der Forschung neben den klassischen, aber überholten (C. Westermann [1956]; H. Richter [1959]) siehe J. van Oorschot (1995), 377–383; (2007), und K.J. Dell (2000), 361–363. G. Fohrer (1963a; 1963b). G. Fohrer (1963b), 70, ferner siehe a.a.O., 68–86, und (1963a), 48–53.
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in den Freundesreden hauptsächlich Weisheitsformen entdeckt hat.56 Wir wollen diese Beobachtungen hinsichtlich der Freundesreden überprüfen und ein Stück weitergehen, indem wir die von Katharine J. Dell als „Parodie“ bezeichnete Technik des abweichenden Einsetzens der Formen (Sitz im Buch)57 und nach der Verwendung einzelner im Alten Testament belegter Wörter und Wortpaare in den Reden fragen. Wir wollen aber zusätzlich auch die Entwicklung der Formen und des Wortgebrauchs in der alttestamentlichen Tradition im Auge behalten, weil unser Verständnis von der Form-, Redaktions- und Traditionsgeschichte durch die neueren Studien dazu herausgefordert wird. Schon längst kann man nicht mehr einfach mit ganzen Textblöcken oder Büchern operieren, sondern muß man auf der Ebene der kleinsten Texteinheiten arbeiten. Die redaktions- und traditionsgeschichtliche Erforschung des Alten Testaments ist damit zu einer exakten philologischen Wissenschaft geworden. So wird unten ein Versuch vorgelegt, den Hiobdichter zumindest relativ in die Weisheits- und übrige alttestamentliche Tradition einzuordnen. Dabei sind die nach Meinung der Forscher das zeitgenössische Normdenken verkörpernden Freundesreden auf ihr Verhältnis zu den von Jürgen van Oorschot (Proverbien), Christoph Levin (Psalmen), Klaus Koenen (Propheten) und M. Witte (Hiobbuch) behaupteten übergreifenden Gerechtigkeitsredaktionen58 56
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G. Fohrer (1963a), 51. Die prophetischen Formen seien nach ihm ([1963b], 82) über einen Umweg in die Weisheit aufgenommen worden. Zumindest bei den Verheißungen der Freundesreden werden die prophetischen Einflüsse oft beteuert, vgl. z.B. J. Lévêque (1970), 252.259. K.J. Dell (1991), 64ff.109f.148ff. Vgl. K.J. Dell (2000), 361: „The author may have been some kind of renegade sage, working at the edge of the wisdom tradition and parodying earlier material in order to critique the easy conclusions of the earlier wisdom quest.“ Ihre Beobachtungen treffen zwar hauptsächlich die HR. Die Verwendung der traditionellen Formen im abweichenden Kontext behaupten noch z.B. F. Hesse (1978), 11; A. de Wilde (1981), 28f.; V. Maag (1982), 99 u.a. Die Kolorierung der Bilder und Argumente der Freundesreden mit Hilfe von Psalmen- und Prophetensprache hat bereits E. Dhorme (1967), 227, behauptet. Vgl. die Tabellen der Parallelstellen bei J.E. Hartley (1988), 11f., und J. Vermeylen (1986), 57–61. Hinsichtlich der Psalmenformen und -sprache empfiehlt sich immer die Studie von C. Westermann (1956). Durch Zitate und nur wenige originelle Hinzufügungen läßt der Hiobdichter die Tradition mit ihr selbst diskutieren nach H. Graf Reventlow (2000). Siehe J. van Oorschot (1998); C. Levin (1993); K. Koenen (1994); M. Witte (1994), 183ff., aber auch O. Kaiser (1997), 129ff.; (2006) und U. Nõmmik (2000). Vgl. auch J. van Oorschot (2007), 170: „Als Desiderat der Hiobforschung verbleibt in diesem Zusammenhang auch eine Rezeption der neueren Ergebnisse der Psalmen- und Psalterforschung. Sie führte in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einem differenzierteren Bild des literarischen Wachstums und der Kult- und Frömmigkeitsgeschichte. Ihre Ergebnisse über die alte formkritische Debatte zum Hiobbuch hinaus zu nutzen, steht noch aus.“
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oder zu den sogenannten Weisheitspsalmen hin befragt werden. Es sei an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß aus unserer Analyse einige Ansätze auch für die zeitliche Anordnung der ursprünglichen Hiobdichtung gewonnen werden können. Eine in der breiten Spanne zwischen dem 6.–3. Jh. v. Chr.59 vorgeschlagene Datierung verlangt jedenfalls nach ihrer Präzisierung. Beim Hiobdichter handelt es sich unumstritten um einen genialen und gebildeten Dichter. Daher sind zahlreiche seltene oder einzigartige Wörter, Wendungen, Metaphern, Motive und ursprünglich mythische Vorstellungen im Hiobbuch seit langem anhand außerbiblischen und -israelitischen Materials erklärt worden.60 In den Freundesreden gibt es sogar Verse, bei deren Auslegung die Hinweise auf einen bestimmten außerisraelitischen Hintergrund zur „kanonischen“ Exegese gehören.61 Die Frage des Verhältnisses des Hiobbuches zur sogenannten mesopotamischen Hiobliteratur ist nach heutiger weitverbreiteter Ansicht im Sinne einer Verwandtschaft und nicht einer Abhängigkeit zu lösen.62 Neue Funde und Texteditionen liefern für den Motivvergleich jedoch ständig neues Material und neue Behandlungen, wie die von Gisela Fuchs, halten die Diskussion über die möglichen nahöstlichen oder mythischen Reminiszenzen wach.63 Deswegen kann eine Studie wie die unsere ohne eine eingehende Suche nach Parallelen in den altorientalischen und -ägyptischen Literaturen nicht auskommen und wird sie im
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Mit der Datierung des entweder ursprünglichen oder ganzen Buches tendieren zu einer früheren Zeit ([6.–]5. Jh.) z.B. A. Guillaume (1963), 108; S. Terrien (1963), 23; J. Lévêque (1970), 116; H. Gese (1991), 171; H.H. Rowley (1980), 22; E.A. Knauf (1988); M. Köhlmoos (1999), 72; S. Burkes (2003), 236; und zu einer eher späteren Zeit (4.–3. Jh.) z.B. P. Volz (1921), 26f.; G. Hölscher (1952), 7; W. Baumgartner (1961), 220; A. de Wilde (1981), 52ff.; K.J. Dell (1991), 160ff.; P. Sacchi (2000), 187; H. Graf Reventlow (2000), 293, Anm. 59; O. Kaiser (2006), 104. Es verdient erwähnt zu werden, daß die Elihureden von H.-M. Wahl (1993), 184, ins 3. Jh. und weitere drei wichtigste Bearbeitungsschichten von M. Witte (1994), 219f. ins 3.–2. Jh. datiert werden. Zur Einleitung in die Beziehungen zwischen den Weisheitsliteraturen des Alten Testaments und des Nahen Ostens siehe R.E. Murphy (1996), 151–176, zum Verhältnis des Hiobbuches zur außerbiblischen Literatur J. Gray (1970); H.-P. Müller (1995), 57ff., bes. 67ff.; A. Schellenberg (2007); F. Sedlmeier (2007), und bes. C. Uehlinger (2007). Vgl. aber schon K. Budde (1896), xiv. Bei Hi 8,11f. handelt es sich um ein markantes Beispiel, weil hier fast alle den ägyptischen Einfluß annehmen; siehe dazu unten, S. 251f. Vgl. H.-P. Müller (1991); F. Sedlmeier (2007), bes. 124, und C. Uehlinger (2007), bes. S. 159–163. G. Fuchs (1993) erklärt zahlreiche Motive im Hiobdialog durch Anspielungen auf altorientalische Chaoskampfmythen. Vgl. auch N. Sarna (1963); L.G. Perdue (1991; 1994). C. Uehlinger (2007), 101ff., stellt dagegen einen „Rückgang des komparatistischen Interesses“ bes. in der deutschsprachigen Forschung fest.
Einleitung
15
fünften Kapitel auch durchführen. Allzu viel Hoffnung kann auf einen solchen Vergleich nicht gesetzt werden, weil man analog zur Diskussion über die mesopotamischen „Vorlagen“ schon im Voraus mit vermittelter Tradition und indirekten Einflüssen zu rechnen hat. Nimmt man im Lichte der redaktionskritischen Forschung den sekundären Charakter der Prosatexte einschließlich der Redeeinleitungen im Hiobbuche wahr,64 erhebt sich die dringende Frage, woher die dort genannten Namen und Herkunftsorte stammen. Oder anders ausgedrückt: Gibt es in den Reden des Elifas, Bildad oder Zofar Anzeichen für ihre unterschiedliche (und außerisraelitische) Herkunft, auf die der Redaktor zurückgreifen konnte?65 Als Ergebnis der einzelnen Analysen werden im sechsten Kapitel unserer Studie eine Darstellung der Gestalten der Freundesreden, die Auswertung ihrer Rolle im Gesamtgefüge der Hiobdichtung und ihre Verortung in der alttestamentlichen Traditionsgeschichte vorgelegt. Da es im vorliegenden Zusammenhang keinen Raum für eine umfangreiche kritische Behandlung der Hiob- und Gottesreden geben kann, gelten unsere Ergebnisse im Blick auf die ganze ursprüngliche Hiobdichtung als vorläufig. Einige Vorschläge für weitere Untersuchungen können jedoch gemacht werden, weil mehrere grundlegende Fragen und die Vielzahl unterschiedlicher Meinungen über das Hiobbuch es fordern. Wird eine existentielle oder eine theologisch-theoretische Zielsetzung der ursprünglichen Hiobdichtung bestätigt? Wird die Fehlleistung der Freunde demonstriert, oder stehen sie doch als gleiche Diskussionspartner Hiob gegenüber? Spielt ihre mögliche unterschiedliche Argumentation eine Rolle? Ergeben sich aus ihr Hinweise auf die Ursache der Entstehung der Hiobdichtung? Aber auch die Frage, worauf sich die Autorität der ursprünglichen Hiobdichtung gründet, so daß sie trotz und vielleicht gerade wegen der kühnen Reden Hiobs so beliebt bei den Ergänzern und Fortschreibern gewesen und schließlich kanonisiert worden ist, verlangt nach einer Antwort. Nachdem das Hiobbuch Objekt zahlreicher und kaum mehr zu überblickender Behandlungen geworden ist und allgemein zu den Lieblingsthemen der alttestamentlichen Wissenschaft gehört, wird man fragen, ob eine weitere Studie wie die unsere noch gerechtfertigt ist. Pro domo mea kann man jedoch behaupten, daß kein Zeitalter, besonders kein anderes als das unsere, ohne neue Versuche der Auslegung dieses wichtigen Buches auskommen kann. Wenn auch hunderte von Unter-
64 65
W.-D. Syring (2004). Den Forschungsüberblick siehe unten, S. 235–237. Eine die vorliegende Untersuchung vorbereitende Studie ist bereits erschienen: U. Nõmmik (2007b).
16
Einleitung
suchungen bereits vorliegen, haben viele von ihnen zur Auslegung des Hiobbuches sowohl im Blick auf seine Endgestalt als auch in dem auf seine Entstehung beigetragen und damit weitere Studien geradezu provoziert. So ist es auch dem Verfasser der vorliegenden Studie ergangen: Je länger er sich mit dem Buch und seiner Auslegung beschäftigt hat, desto mehr fühlte er sich zumal durch die redaktionskritischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte herausgefordert, durch eine gründliche und vielseitige Untersuchung der Freundesreden einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten.
II. Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden 1. Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden 1.1. Die erste Elifasrede (Hi 4–5) 1.1.1. Kolometrie1 4,1 wycn 'lypz htymny wy'mr
IA
B
IIA
1
20
4,2a hnsh dbr 'lyk tl'h 2b wcsr bmlyn my ywkl
15 15
3a hnh ysrt rbym 3b wydym rpwt thzq
11 13
4a kwšl yqymwn mlyk 4b wbrkym krcwt t'ms
14 15
5a ky cth tbw' 'lyk wtl' 5b tgc cdyk wtbhl
17 12
6a hl' yr'tk ksltk 6b [w]tqwtk tm* drkyk
13 13
4,7a zkr n' my hw' nqy 'bd 7b w'yph yšrym nkhdw
16 15
8a k'šr r'yty hršy 'wn 8b wzrcy cml yqsrhw
16 14
9a mnšmt 'lwh y'bdw 9b wmrwh 'pw yklw
14 12
In den folgenden kolometrischen Tabellen und Übersetzungen wird die Grundgestalt der Freundesreden in gewöhnlicher Schrift dargestellt, die Konjekturen sind kursiv wiedergegeben und die Ergänzungen des Textes in einen Punkt kleinerer Schrift. [ ] deuten auf eine konjizierende Ergänzung hin und < > auf eine Glosse in M bzw. L. Die Begründungen zu den Konjekturen, falls mit * angemerkt, befinden sich in den Unterkapiteln für Text- und Literarkritik unten. In der ersten Spalte bezeichnen die römischen Zahlen die sukzessiven Strophen und die Buchstaben A oder B die jeweilige Unterstrophe. In der vierten Spalte ist die Konsonantenzahl angegeben (in Klammern die Zahl laut M bzw. L, falls konjiziert) und in der fünften Spalte ist, falls nötig, die Textform von M bzw. L wiedergegeben.
18
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
B
10a š'gt 'ryh wqwl šhl 10b wšny kpyrym ntcw
15 14
11a lyš 'bd mbly trp 11b wbny lby' ytprdw
13 14
12a w'ly dbr ygnb 12b wtqh 'zny šms mnhw
11 15
13a bścpym mhzynwt lylh 13b bnpl trdmh cl 'nšym
17 16
14a phd qr'ny wrcdh 14b wrb csmwty hphyd
13 14
15a wrwh cl pny yhlp 15b tsmr ścrt bśry
13 12
16a ycmd wl' 'kyr mr'hw tmwnh lngd cyny 16b dmmh wqwl 'šmc
16 13 12
17a h'nwš m'lwh ysdq 17b 'm mcśhw ythr gbr
14 14
18a hn bcbdyw l' y'myn 18b wbml'kyw yśym htlh*
15 16
19a 'p škny bty hmr 19b 'šr bcpr yswdm ydk'wm lpny cš
12 12 12
20a mbqr lcrb yktw 20b mbly šm* lnsh y'bdw
12 15(17)
21a hl' ytrm bm 21b ymwtw wl' bhkmh
IIIA
nsc
12 13
5,1a qr' n' hyš cwnk 1b w'l my mqdšym tpnh
12 14
2a ky l'wyl yhrg kcś 2b wpth tmyt qn'h
B
14 12
3a 'ny r'yty 'wyl mšryš 3b w'qwb nwhw pt'm
17 13
4a yrhqw bnyw myšc 4b wydk'w bšcr w'yn msyl
13 18
5a 'šr qsrw* rcb y'kl w'l ms[p]nym* yqhhw 5b wš'p sm f ah taYax in V. 23). Ein Wort gibt uns auch diesmal Auskunft über den vermutlichen Verfasser dieser Glosse, nämlich der Aramaismus }fpfK,84 der im Alten Testament nur dreimal begegnet, außer
77 78 79 80 81 82
83
84
O. Kaiser (2006), 14, rechnet ihn zum Gerechtigkeitsbearbeiter. H. Bobzin (1974), 103f. Siehe unten, S. 103f. Vgl. GK28, § 106n; Dav3, § 416; E. Dhorme (1967), 69; G. Fohrer (1963a), 133, und J.E. Hartley (1988), 123, Anm. 4. K. Budde (1913), 24. So K. Budde (1913), 24; P. Volz (1921), 31; G. Hölscher (1952), 20; G. Fohrer (1963a), 133; F. Horst (1968), 59; H. Bobzin (1974), 105; F. Hesse (1978), 52; M. Witte (1994), 73; M. Köhlmoos (1999), 186, Anm. 8; A. Scherer (2005), 297; (2008), 65, und O. Kaiser (2006), 14. G. Beer (1895/97), 34, würde V. 22f. streichen. Am Anfang der Zeile ist die Präposition l : insgesamt nur zweimal in den Freundesreden und in ganz besonderer Position belegt, nämlich am Anfang der Rede in ZR 20,2a und ER 22,2a. E. Kautzsch (1902), 43; M. Wagner (1966), 66.
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
33
Hi 5,22 in Ez 17,7 und Hi 30,3. Die letzte Stelle ist laut M. Witte und O. Kaiser ein Produkt der Gerechtigkeitsredaktion.85 5,23a Der Überlänge wegen streichen G. Fohrer und F. Hesse den yiK,86 der V. 23 eröffnet aber eine neue Strophe und so sind 17 Konsonanten hier keine Ausnahme.87 5,26 H. Bobzin muß Recht gegeben werden, wenn er V. 26 von yiK T f (: d a yf :w am Anfang von V. 25 für abhängig hält.88 5,26a Das Wort xalke b : bietet Deutungsschwierigkeiten, muß aber inhaltlich das hohe Alter bedeuten.89 5,27b Der in M stehende Imperativ hfN(e m f $ : könnte mit G, S, T und mehreren Kommentatoren besser punktiert werden: h f nu A(m a $ : .90
1.2. Die zweite Elifasrede (Hi 15) 1.2.1. Kolometrie91 1 wycn 'lypz htymny wy'mr
IA
B
IIA
85 86 87 88 89
90 91
20
2a hhkm ycnh dct rwh 2b wyml' qdym btnw
14 13
3a hwkh bdbr l' yskwn 3b wmlym l' ywcyl bm
15 14
4a 'p 'th tpr yr'h 4b wtgrc śyhh lpny 'l
12 15
5a ky y'lp cwnk pyk 5b wtbhr lšwn crwmym
13 15
6a yršyck pyk wl' 'ny 6b wśptyk ycnw bk
15 12
7a hr'yšwn 'dm twld 7b wlpny gbcwt hwllt
14 15
M. Witte (1994), 183f.; O. Kaiser (2006), 53. G. Fohrer (1963a), 133, und F. Hesse (1978), 52. Vgl. auch V. 27 (17:13) und zu den kolometrischen Regeln unten, S. 90f. H. Bobzin (1974), 106f. Vgl. A. Dillmann (1891), 47f.; E. Dhorme (1967), 73 (aus hlk, „to be completed“, oder aus llk, „to be whole, perfected“); S.R. Driver / G.B. Gray (1950), II 33 (verwandt mit einer arabischen Wurzel KLH); L.L. Grabbe (1977), 43ff. (xlk als Variante zu xlq, also „old age“). Siehe die Begründung von G. Fohrer (1963a), 134; vgl. G. Beer (1895/97), 35. Siehe oben, Anm. 1.
34
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
B
8a hbswd 'lwh tšmc 8b wtgrc 'lyk hkmh
13 13
9a mh ydct wl' ndc 9b tbyn wl' cmnw hw'
12 14
10a gm śb gm yšyš bnw 10b kbyr m'byk ymym
13 13
11a hmct mmk tnhmwt 'l 11b wdbr l't cmk
15 10
12a mh yqhk lbk 12b wmh yrzmwn cynyk
9 14/13
13a ky tšyb 'l 'l rwhk 13b whs't mpyk mlyn
14 13
14a mh 'nwš ky yzkh 14b wky ysdq ylwd 'šh
12 14
15a hn bqdšw l' y'myn 15b wšmym l' zkw bcynyw
14 16
16a 'p ky ntcb wn'lh 16b 'yš šth kmym cwlh
13 14
17a [...]* 'hwk šmc ly 17b wzh hzyty w'sprh
IIIA
B
9[+n](9) 14
18a 'šr hkmym ygydw 18b wl' khdw m'bwtm
13 13
19a lhm lbdm ntnh h'rs 19b wl' cbr zr btwkm
15 13
20a kl ymy ršc hw' mthwll 20b wmspr šnym nspnw lw*
17 16(19)
21a qwl phdym b'znyw 21b bšlwm šwdd ybw'nw
14 15
22a l' y'myn šwb mny hšk 22b wspw hw' 'ly hrb
16 13
23a ndd hw' llhm 'yh 23b ydc ky nkwn pydw *
13 13(19)
24a [ywm hšk]* ybcthw * 24b [sr wmswqh]* ttqphw * 32b wkptw l' rcnnh
16(10) 12
33a yhms kgpn bsrw 33b wyšl(y)k* kzyt nstw
12 13/14(13)
34a ky cdt hnp glmwd 34b w'š 'klh 'hly šhd
13 14
35a hrh cml wyld 'wn 35b wbtnm tkyn mrmh
13 13
1.2.2. Übersetzung 1* Da hob Elifas von Teman an und sprach:
IA
2a Antwortet ein Weiser mit windigem Wissen 2b und füllt er seinen Bauch mit Ostwind, 3a rechtend mit Worten, die nichts nützen, 3b und Reden, die nicht helfen?
B
4a Wirst du sogar die Gottesfurcht* zerbrechen, 4b die Andacht vor El schmälern?* 5a Wenn es deine Schuld ist, die deinen Mund belehrt* 5b und du die Zunge der Listigen* wählen willst, 6a möge dein eigener Mund dich verurteilen und nicht ich, 6b und deine Lippen gegen dich zeugen.
IIA
7a Wurdest du als der erste Mensch geboren, 7b und vor den Hügeln zur Welt gebracht?
36
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
8a Hast du im heimlichen Rat Gottes zugehört 8b und Weisheit an dich gerissen? B
9a Was weißt du, was wir nicht wissen, 9b was verstehst du, was nicht schon bei uns wäre? 10a Auch ein Ergrauter, auch ein Greis ist unter uns, 10b reicher an Tagen als dein Vater. 11a* Sind dir die Tröstungen Els zu gering, 11b und ein Wort, das sanft mit dir umgeht? 12a Was reißt dein Herz dich fort, 12b und warum winken deine Augen so*, 13a daß du deinen Zorn* gegen El richtest 13b und Worte aus deinem Munde hervorbringst? 14a Was ist der Mensch, daß er rein wäre, 14b und recht hätte, der vom Weibe geboren? 15a Siehe*, sogar seinen Heiligen traut er nicht; 15b und die Himmel sind nicht rein vor seinen Augen, 16a wieviel weniger ein Abscheulicher und Verdorbener, 16b ein Mann, der Unrecht wie Wasser trinkt.
17a [...] ich will zu dir reden*, hör mich an! 17b Was ich geschaut habe, will ich erzählen!* 18a* Was die Weisen verkünden, 18b was ihnen* ihre Väter nicht verhehlt haben, 19a denen allein das Land gegeben war, 19b und kein Fremder zog unter ihnen umher.
IIIA
20a Tagtäglich* leidet der Gottlose Qualen, 20b und durch viele Jahre, die für ihn* aufgespart. 21a Schreckenslaute sind in seinen Ohren, 21b zur Friedenszeit kommt der Verwüster über ihn.
B
22a Er glaubt nicht, aus dem Dunkel zurückzukehren, 22b er ist bestimmt* für das Schwert. 23a Hingeworfen ist* er zum Fraß des Habichts*, 23b er weiß, daß sein Untergang* bereit ist .* 24a [Ein Tag des Dunkels]* erschreckt ihn *, 24b [Not und Bedrängnis]* packen ihn *.
IVA
25a *Denn er hat seine Hand gegen El gereckt, 25b sich gegen Schaddai erhoben,
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
37
26a er lief mit hartem Nacken gegen Ihn, 26b mit dicken Buckeln seiner Schilde. B
27a *Weil er sein Gesicht mit Fett* bedeckte 27b und Schmer auf den Lenden tat, 28a die zerstörten Städte bewohnte, 28b Häuser, in denen man nicht mehr wohnt, – *die bestimmt sind zu Steinhaufen –,
29a bleibt er nicht reich und sein Gut nicht bestehen, 29b sein Schatten* breitet sich nicht über dem Lande aus. 30a* Er wird der Finsternis nicht entrinnen;
VA
30b seinen Sproß verdorrt die Flamme, verweht* vom Wind wird seine Blüte*. 31a* Er glaube nicht an Eitles* – er irrt*, 31b denn Eitles wird, was er eintauscht, sein *.
32a Noch vor ihrer Zeit welkt* [seine Ranke]* 32b und sein Sproß wird nicht grünen. 33a Wie ein Weinstock läßt er seine Beeren* fallen, 33b wie ein Ölbaum wirft er seine Blüte ab*. B
34a Ja, unfruchtbar ist des Heuchlers Versammlung, 34b und Feuer frißt der Bestechung Zelt, 35a *da sie mit Mühsal schwanger und Unheil gebären, 35b und ihr Leib Trug bereitstellt.
1.2.3. Text- und Literarkritik 1 Die Überschrift ist vermutlich sekundär.92 4 H. Bobzin hat richtig beobachtet, daß das Bikolon eine an die Fragepartikel h A in V. 2 anschließende Frage ist (vgl. Mare’ und die Übersetzung von G).93 Dies wird von der Beobachtung unterstützt, daß die Redeeröffnungen der Freunde als Kettenfragen aufgebaut sind.94 5–6 Die erste Strophe besteht aus zwei Unterstrophen mit 3+2 Bikola, und V. 5–6 müssen daher eine Unterstrophe im Sinne einer Protasis und Apodosis bilden.95 5b Wortwörtlich: „der Klugen“.96 92 93 94 95
Zur Überschrift siehe oben zu 4,1 (S. 22f.). H. Bobzin (1974), 217f. Vgl. auch L.J. de Regt (1996), 53. Siehe unten, S. 113–117. Das haben E. Dhorme (1967), 209f., und H. Bobzin (1974), 218, mit Recht erkannt. Dagegen aber G. Hölscher (1952), 38, der V. 6 vor V. 13 stellen möchte.
38
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
11–16 Die zweite Strophe wird zwischen den Versen 10 und 17 durch den umfangreichen sekundären Abschnitt V. 11–16 unterbrochen. Er besteht aus zwei dreiversigen Einheiten: In V. 11–13 wird gefragt, warum Hiob die Tröstungen Gottes geringschätze und wohin ihn sein Herz treibe, in V. 14–16 wird dann die Niedrigkeit des Geschöpfs, besonders aber des Menschen vor Gott hervorgehoben. Seit der Studie M. Wittes97 sind beide Einheiten wahrscheinlich dem Niedrigkeitsbearbeiter zuzuordnen, wie es mit Sicherheit bei V. 14–16 der Fall ist. Ein inhaltlicher Vergleich mit den von uns diesem Redaktor zugeschriebenen Versen 4,12–21 und der sog. dritten Bildadrede Hi 25 bestätigt diesen Verdacht.98 Den Versen 15,14f. entsprechen 25,4f. fast wörtlich (es weichen nur vier Wörter ab), die Verse 15,16 und 25,6 setzen ähnlich ein und äußern die gleichen Niedrigkeitsgedanken. Aus der Bearbeitung in der ersten ER ist 4,18 mit 15,15 vergleichbar. Weiterhin tritt eine Reihe von Wörtern und Parallelen in den sekundären Elihureden oder in der stark überarbeiteten Antwort Hiobs auf die dritte ER99 auf: Vgl. z.B. +(m in V. 11 mit 24,24 und 32,22; V. 13b mit 37,2b; V. 15 mit 24,22 und die in den Freundesreden einzigartige Kombination yiK va) in V. 16 außer 25,6 mit 35,14. Ein auffallender Aramaismus $OnE) und ein Hapaxlegomenon zmr100 in V. 12 sowie die Verben hkz und \kz in V. 14f. anstelle des in den Freundesreden üblichen Adjektivs |az (8,6; 11,4) sprechen auch nicht gerade für die Ursprünglichkeit dieses Abschnitts. Ebenso pflegen die Wörter hfLm i und rfbfD (V. 11 und 13) eher in den Anfangsversen der Freundesreden zu begegnen.101 Der Redaktor ist darüber hinaus beim Einhalten von dem in c. 15 höchst regelmäßigen kolometrischen Schema inkonsequent verfahren: V. 11b und 12a mit ihren 10 und 9 Konsonanten sind auffallend kurz, V. 15b enthält zum ersten Mal in der Rede mehr als 15 Konsonanten. Bei der Verwendung der Partikel h A und ham (11a.12a.b.14a) und der Konjunktion yiK (13a.14a.b.16a!) ist er aber zu weit gegangen – damit verlieren diese Verse deutlich den Charakter der Originalität.
96 97
Siehe dazu unten, S. 192. Siehe M. Witte (1994), 75f.91ff. (vgl. O. Kaiser [2006], 30f.). Es gibt nicht viele Exegeten, die hier eine sekundäre Erweiterung vermutet haben. G. Hölscher (1952), 38, hat Umstellungen vorgenommen in der Reihenfolge V. 11f.6.13f. Er streicht V. 15. P. Volz (1921), 59, und J. Vermeylen (1994), 108ff., streichen V. 14–16. H.L. Ginsberg (1969), 102ff., hält 15,14–16 in Verbindung mit 4,12–21 für ein Zitat aus der Hiobrede (siehe oben, Anm. 13). 98 Näher zu c. 25 siehe unten, S. 66–68; zu 4,12–21 siehe oben, S. 24f. 99 Siehe dazu M. Witte (1994), 116ff. 100 Wenn konjiziert; siehe unten zu V. 12b. 101 Zu den weiteren vokabularen Besonderheiten siehe M. Witte (1994), 75f.
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
39
12b Einige Manuskripte schreiben }Uz:mr : yi , „winken“, statt des Hapaxlegomenons }Um:zr : yi in M. Das Wort ist wahrscheinlich als Metathesis von *zmr zu betrachten.102 Die Lesart von G ἐπήνεγκαν = !yeny"( }UmUr:y, „sich erheben“, sei aber unbedingt bemerkt.103 13a Wörtlich: x a Ur, „Geist, Wind“, als Schnauben auf Gott bezogen. 15a Die Interjektion }"h ist wiederum auch als „wenn“ übersetzbar.104 17a Da die Rede an dieser Stelle so umfangreich überarbeitet worden ist, hat V. 17 wahrscheinlich darunter gelitten: V. 17a fällt wegen der kolometrischen Kürze auf und ist nicht mehr vollständig105 – oder sollte man anstatt !:Ux a ) A etwas anderes lesen (auf den aramäischen späten Charakter des Verbs und auf sein Vorkommen in den Elihureden 32,10 ist mehrmals hingewiesen worden). Vgl. aber inhaltlich 5,27 und 31,35. 17b Der Vorschlag von H. Bobzin, w vor hfrP" as) A an das Ende von yityizx f anzuknüpfen, ist in Betracht zu ziehen.106 18–19 Diese sekundären Verse lehnen sich im Gegensatz zur eigenen Erfahrung des Elifas in V. 17 an die Autorität der alten Weisen und deren Väter an. Dieser Einschub ist weder mit V. 17 noch mit den alten Weisen in V. 9f. (vgl. BR 8,8.10) in Verbindung zu bringen. Die beiden Verse wirken wie eine – wie M. Witte zu recht angemerkt hat – Legitimation des Elifas „im Stil des Targums“ eingefügte Ergänzung.107 Auch das unpoetisch wirkende Relativpronomen re$) A in V. 18 gehört nicht zum gewöhnlichen Grundbestand des Wortschatzes der Freunde.108 Darüber hinaus heben sich die Verse wegen des m-Reims im Gegensatz zu den Alliterationen in der ursprünglichen Dichtung hervor. Fragt man nach der traditionsgeschichtlichen Position der Verse, muß man trotz des verhältnismäßig populären Vokabulars und der Parallelen zum Majestätsredaktor (z.B. dgn, jer) e , rwz) besonders die Querverbin-
102 So G. Beer (1895/97), 92; E. Dhorme (1967), 212f.; A. Weiser (1980), 110; G. Fohrer (1963a), 263; L.L. Grabbe (1977), 66f.; N.C. Habel (1985), 247; J.E. Hartley (1988), 243, Anm. 7; M. Köhlmoos (1999), 243, Anm. 11. 103 So konjizieren auch K. Budde (1913), 78; N. Peters (1928), 155; H. Bobzin (1974), 220f. 104 Siehe zu Hi 25,5 unten, S. 68. 105 So auch M. Witte (1994), 76, Anm. 64. 106 H. Bobzin (1974), 222; vgl. GK28, § 143d. 107 M. Witte, a.a.O. (vgl. O. Kaiser [2006], 31); außer ihm wird V. 19 von G. Hölscher (1952), 38; M.H. Pope (1985), 116; H. Bobzin (1974), 223; A. de Wilde (1981), 184, und M. Köhlmoos (1999), 244, gestrichen. 108 Von den sieben Belegen in den Freundesreden werden von uns nur der in ER 22,16 als ursprünglich angenommen; vgl. zu 4,12–21 und 5,3–5 oben, S. 24f.26f.; und zu V. 28bβ unten, S. 42.
40
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
dungen zum Gerechtigkeitsredaktor betonen: dxk (40,11), }tn (5,10109; 24,23), jer) e (5,10.22110; 9,6; 24,18; 30,8), rb( (9,11).111 18b Lies {ftObA) {UdAxki .112 20a Wörtlich: „Alle Tage“. 20b Un:Pc : ni ist ein asyndetischer Relativsatz.113 Das Wort jyir(f l e erweckt den Verdacht, weil V. 20 kolometrisch unter deutlicher Überlänge leidet (17:19), die nach unseren Beobachtungen mit der Stilsicherheit der Freundesreden nicht in Verbindung zu setzen ist.114 Darüber hinaus wären vier so lange Wörter, zusätzlich mit Präposition und Suffix usw., in einer Zeile eine Ausnahme. Vielleicht ist das Wort dem jer) f fh am Ende des sekundären V. 19a als Stabreim nachgebildet worden. Ursprünglich hat das Kolon entweder nur aus drei Wörtern bestanden (d.h. }pc ohne Objekt, vgl. z.B. 21,21) oder es ist mit Ol abgeschlossen worden. Unsere These wird dadurch bestätigt, daß in der ursprünglichen Gestalt der Strophe V. 21 und 24 mit U und V. 23 mit O geendet haben115 und daß in der zweiten ER die Zeilen sich mehrmals mit suffigierten Präpositionen schließen (vgl. V. 3b.6b.10a.28aβ). 22b Man braucht nicht die Qere-Form wiederherzustellen.116 Ebenso ist eine Konjektur in }upc f w: unnötig,117 ebenso die Ergänzung mit y"dy: wegen der kolometrischen Überlänge.118 23a Lies unter Berufung auf das κατατέτακται δὲ εἰς σῖτα γυψίν in G dfdon (Nif. Partizip von ddy) statt d"don, „umherirrend“,119 und hfY) a {exl e l : statt h"Y) a {exL e l a , „nach Brot: wo ist’s“120. 23b Statt des unverständlichen Wortes OdfyB : , „in seiner Hand“ lies mit der Mehrheit der Exegeten OdyiP. Die die Zeile in die Länge ziehende 109 Siehe zu 5,9–16 oben, S. 28–31. 110 Siehe a.a.O. 111 Siehe M. Witte (1994), 191. Auffallend ist aber, daß hier keine Rede über die Gerechtigkeit vorliegt. 112 G. Beer (1895/97), 93; N. Peters (1928), 155; A. Weiser (1980), 110; G. Hölscher (1952), 38; G. Fohrer (1963a), 264, und H. Groß (1986), 60. 113 Siehe H. Bobzin (1974), 223f., aber auch K. Budde (1913), 79f.; E. Dhorme (1967), 215f.; G. Fohrer (1963a), 264. 114 Siehe unten, S. 89–91. 115 Vgl. das kolometrische Schema oben, S. 34, und besonders zu 4,7–11 unten, S. 136f. 116 Siehe dazu E. Dhorme (1967), 217, und 41,25. 117 Siehe E. Dhorme (1967), 217, und Est 2,9; Thr 4,17. G. Hölscher (1952), 38; G. Fohrer (1963a), 264; H. Bobzin (1974), 224, möchten konjizieren. 118 Vgl. G.R. Driver (1955), 78. 119 So auch E. Dhorme (1967), 217f. 120 So G. Beer (1895/97), 94; E. Dhorme (1967), 217f.; G. Hölscher (1952), 38; G. Fohrer (1963a), 264; A. de Wilde (1981), 185; M.H. Pope (1985), 117; N.C. Habel (1985), 247; H. Bobzin (1974), 224f. Vgl. auch M. Köhlmoos (1999), 244, Anm. 9.
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
41
Wendung |e$ox-{Oy knüpfe an V. 24 an. Diese breit angenommene Umstellung findet ihre Begründung in G und wird durch die sichere Alliteration des o-Lauts am Anfang aller Bikola in dieser Strophe unterstützt.121 24a Zur Umstellung dieser Wörter siehe oben zu V. 23b. Das Wort Uhut(A b a y: ist damit als Singular Uh"t(A b a y: und Uh"pq: t : T i als Plural Uhupq: t : T i zu punktieren (so G, S und V).122 24b Noch einmal sind die Wörter umzustellen. Nach der Wiederherstellung der ursprünglichen Wortfolge und Zeilenteilung in V. 23f. erweist sich V. 24bβ als drittes Glied in V. 24 poetologisch überflüssig. Es handelt sich um einen inhaltlich bedeutungslosen Einschub, der die Not, die Bedrängnis und den dunklen Tag aus V. 24 durch das vielleicht von V. 26 inspirierte Schlachtbild stark hervorheben sollte. Darüber hinaus fällt das Kolon wegen des NichtEinhaltens der in dieser Strophe vorliegenden stilistischen Regeln wie UReim, der symmetrisch verwendeten Doppelkonsonanten oder des verbalen Aufbaus aus dem Rahmen.123 Welche Hand die Zeile an diese Stelle eingetragen hat, ist wegen ihrer Kürze, wobei rOdyiK ein Hapaxlegomenon ist, nicht mehr feststellbar. Die Verwandtschaft des Wortes dyit(f zu der Glosse V. 28bβ (dt() ist jedoch bemerkenswert. 25–28 B. Duhm hat behauptet, daß V. 25–28bα sekundär seien, weil sie den Kontext von V. 24 und 28bβ.29 unterbrächen.124 Grundsätzlich ist diese These zu erwägen, weil das Redegefüge tatsächlich ohne V. 25–28 einheitlicher wäre. Außerdem sprechen massive textkritische Probleme in der zweiten Hälfte der Rede zusammen mit den sicher als Ergänzungen zu beurteilenden V. 11–16.18f. dafür, daß wir möglicherweise überhaupt nicht mehr in der Lage sind, die ursprüngliche Gestalt der zweiten Redehälfte zu rekonstruieren (ähnlich wie in 5,1–7*). Wir bleiben daher wegen fehlender Anhaltspunkte für eine sinnvolle Rekonstruktion bei der Ursprünglichkeit dieser Verse. 27–29 Da wir V. 25–28* als ursprünglich gelten lassen, muß ihr logisches Verhältnis zu den vorausgehenden und folgenden Versen bestimmt werden. V. 25f. und 27–28bα stehen poetisch einander sehr nahe (vgl. yiK am Anfang von V. 25 und 27, die unmittelbar daran an121 Siehe auch unten, S. 134. 122 E. Dhorme (1967), 218f.; N. Peters (1928), 155; H. Bobzin (1974), 225f., u.a. 123 Das Kolon ist eine Ergänzung nach G. Fohrer (1963a), 262ff., F. Hesse (1978), 107; M. Witte (1994), 76, und O. Kaiser (2006), 31. G. Hölscher (1952), 38f., und H. Bobzin (1974), 225, vermuten, in V. 24 sei ein Kolon verloren gegangen. 124 B. Duhm (1897), 84f.; E. Würthwein (1970), 231f. vgl. G. Beer (1895/97), 96. H. Bobzin (1974), 226f., äußert ähnlich den Verdacht, P. Volz (1921), 59, streicht V. 27f.29a und O. Kaiser (2006), 31, V. 25.
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Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
schließenden Perfekte und andererseits die Imperfekte symmetrisch in V. 25b.26a und 27b.28a und vor allem den elliptischen Parallelismus in V. 26 und 28a.bα).125 Beide Vierzeiler begründen das schlechte Los der Gottlosen. Fast ausschließlich hat man bisher angenommen, daß ein Bezug auf vorhergehende Verse bestehe. Das läßt sich unter folgender Voraussetzung und Präzisierung annehmen: Wenn die Einteilung der Strophen in der zweiten Rede durchgehend 2+3 wäre, mit einer Ausnahme am Ende (3+2),126 und wenn in ER 22,6–10 eine zwei Strophen übergreifende kausative Fügung, dabei mit Begründung vor der These, möglich ist,127 dann erwiese sich hier die Lösung, daß V. 25f. auf V. 20– 24* und V. 27–28bα auf V. 29 bezogen sind, als passend. Dabei wären V. 27–28bα als Begründung und V. 29 als Folgerung zu fassen.128 27a Das Suffix am Ende von OB:lx e B : ist anscheinend eine Dittographie.129 28bβ Vielleicht hat der Gedanke vom Wohnen in zerstörten Häusern in V. 28 die Leser verwirrt, jedenfalls hat ihn ein späterer Redaktor durch ein erklärendes Kolon ergänzt.130 Der Gottlose wohnt in den Städten, die nämlich „zu Steinhaufen bestimmt sind“. Die Nahtstelle läßt sich genau erkennen: Die Relativpartikel re$) A 131, die einen syndetischen Relativsatz im Gegensatz zu dem asyndetischen in V. 28bα132 einleitet und von einer in der Reihe von Präfixkonjugationen in V. 27b–32 auffallenden Afformativkonjugation Gebrauch macht, gibt einen ersten Hinweis auf den sekundären Charakter. Dabei unterbricht das Kolon die Serie von vier Negationspartikeln )ol und drei Personalsuffixen O- in den Versen 28bα und 29a.b.133 29b Das Wort {fln: m i ist eine alte crux interpretum und bleibt ohne sichere Erklärung. Gewiß steht es als Schreibfehler unter dem Einfluß von {yiLga l : am Ende von V. 28. Wir nehmen hier eine Bedeutung wie
125 126 127 128 129 130
131 132 133
Siehe zum Parallelismus und Satzbau unten, S. 97, und vgl. unten, S. 111. Siehe dazu unten, S. 87. Siehe unten, S. 48. Vgl. auch unten, S. 111f. So A. Weiser (1980), 111; G. Hölscher (1952), 39; G. Fohrer (1963a), 264; H. Bobzin (1974), 227. V. 28bβ ist sekundär nach G. Hölscher (1952), 38f.; G. Fohrer (1963a), 263ff.; F. Hesse (1978), 107; H. Bobzin (1974), 228; M. Witte (1994), 76, und O. Kaiser (2006), 31. G. Beer (1895/97), 96, streicht den ganzen Abschnitt V. 25–28 und K. Budde (1913), 81, äußert nur den Verdacht. Siehe oben, S. 39 und Anm. 108. Siehe dazu H. Bobzin (1974), 228. Die Verwandtschaft zu V. 24bβ liegt wegen des Verbs dt( nahe; siehe oben zu V. 24b.
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
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„Schatten“ nach G σκιάν an134 und vermuten, daß des Parallelismus wegen das ursprüngliche sich hier befindende Wort mit dem Suffix Ogeendet hat. Der inhaltliche Parallelismus läßt jedoch die Lösung von M. Dahood ({flonm : , „ihr Besitz“, aus dem arabischen Wort manal) als bedenkenswert erscheinen.135 30a.31 Am Anfang der letzten Strophe sind erneut spätere Bearbeiter tätig gewesen. V. 30a wiederholt noch einmal den Gedanken über die für den Gottlosen bestimmte Dunkelheit (|e$ox) aus V. 22.24a.bα, an dieser Stelle ist er aber nicht sonderlich gut angebracht.136 Inhaltlich noch befremdlicher wirkt aber V. 31 mit einer völlig deplazierten, die Reihe von den Bildern aus der Pflanzenwelt unterbrechenden und mahnenden Ergänzung über das Eitle und das Irre des Verhaltens des Gottlosen.137 Beide Einschübe ändern das nur aus Bikola bestehende fünfversige Strophenschema, außerdem fällt V. 31 stilistisch deutlich aus dem Rahmen: Der Vers enthält keine Kopula am Anfang der zweiten Zeile, benutzt aber den für die Freundesreden nicht gerade charakteristischen, in dieser Rede aber völlig auffallenden Vetitiv }"m) A ya -la) und die sonst nur eine bestimmte rhetorisch-stilistische Funktion besitzende Konjunktion yiK an unpassender Stelle.138 Der Wortschatz bietet eine Parallele zu den stark überarbeiteten c. 12 und 26–28 an: rws (12,20.24; 27,5; 28,28), \$x (12,22.25; 26,10; 28,3), }m) (12,20), h(t (12,24f.). Daher liegt der Verdacht nahe, daß beide Einschübe dem Majestätsredaktor zuzuschreiben sind.139 30b Anstatt von rUsfyw: , „es weicht“, lies ra(osyiw, weil G: ἐκπέσοι δὲ αὐτοῦ τὸ ἄνθος.140 Ebenso ist nach G wyiP, „sein Mund“, in Ox:rPi zu konjizieren.141 Die Bikola V. 32f. entnehmen ihre Vergleiche der Pflanzenwelt, und V. 30 würde ihnen mit den Verbesserungen und dem Strophenbau vollkommen entsprechen. 134 E. Dhorme (1967), 222: Om:lc a . 135 Nach J.E. Hartley (1988), 249f., Anm. 15. 136 V. 30a ist sekundär nach K. Budde (1913), 81; P. Volz (1921), 59; E. Dhorme (1967), 223; G. Hölscher (1952), 39; G. Fohrer (1963a), 263f.; M.H. Pope (1985), 119; F. Horst (1968), 218; F. Hesse (1978), 107; H. Bobzin (1974), 230; M. Witte (1994), 76, und O. Kaiser (2006), 31; anscheinend auch nach M. Köhlmoos (1999), 245. 137 Zur Umstellung der Wörter und zu den textlichen Problemen siehe gleich unten. V. 31 wird von den in vorausgegangener Anmerkung genannten Forschern und G. Beer (1895/97), 98, und H.W. Hertzberg (1949), 65, für sekundär erklärt, anders E. Dhorme und M. Köhlmoos. 138 Siehe auch unten, S. 108f. und 117. 139 Alle Stellen gehören nach M. Witte (1994), 191, zum Majestätsredaktor. 140 So P. Volz (1921), 59; E. Dhorme (1967), 223; G. Hölscher (1952), 39; G. Fohrer (1963a), 264; F. Horst (1968), 219; H. Bobzin (1974), 230, und A. de Wilde (1981), 187. 141 Oder die Alternative Oy:rPi ; so die Mehrheit der Kommentatoren.
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Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
31a Lies )w$b wie viele Manuskripte es bezeugen und wie es allgemein angenommen wird, daß ) an das Wort )lmt in V. 32a irrtümlich angeknüpft worden ist. Das Wort h(tn erweckt wegen des Satzbaus den Verdacht, aber kann im Blick auf V. 31b so stehen gelassen werden.142 31b Wir schließen uns der heutigen maßgebenden Annahme an, daß das Wort OtfrUm:t ursprünglich als OtfrOm:z am Anfang von V. 32a gestanden hat oder ihm nachgebildet worden ist.143 32a Siehe zu V. 31b (OtfrOm:z). Sonst fehlte das Subjekt des Satzes und die Zeile bliebe zu kurz (10 Konsonanten). Darüber hinaus bestätigt G (τομή) diese Konjektur. Das ) am Wort )lmt, „er erfüllt“, ist ein Schreibfehler (siehe zu V. 31a); deswegen lies lfMT i (aus llm).144 33a Gemeint sind die unreifen Trauben. 33b Man lese entweder Impf. |(y)il$ : ya w: oder nehme die dichterische Verwendung des Jussivs statt Impf.145 (vgl. 13,27) an. 35a Die Beobachtung H. Bobzins, daß die Infinitive hier in Analogie zu V. 3 zu verstehen sind,146 mag richtig sein, zumal es mit der Interdependenz der Redeanfänge und -enden in den Freundesreden übereinstimmt.
1.3. Die dritte Elifasrede (Hi 22) 1.3.1. Kolometrie147 1 wycn 'lypz htmny wy'mr
IA
B
142 143 144 145 146 147
19
2a hl'l yskn gbr 2b ky yskn clymw mśkyl
11 16
3a hhps lšdy ky tsdq 3b w'm bsc ky ttm drkyk
14 16
4a hmyr'tk ykyhk 4b ybw' cmk bmšpt
12 12
5a hl' rctk rbh 5b w'yn qs lcwntyk
10 13
K. Budde (1913), 81. Vgl. E. Dhorme (1967), 224f., und G. Fohrer (1963a), 264f. Vgl. aber jüngstens anhand der akkadischen Parallelen S.M. Paul (2003). Vgl. E. Dhorme (1967), 225, und Joüon, § 114 l. H. Bobzin (1974), 232. Siehe oben, Anm. 1.
45
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
IIA
B
IIIA
6a ky thbl 'hyk hnm 6b wbgdy crwmym tpšyt
13 16
7a l' mym cyp tšqh 7b wmrcb tmnc lhm
12 12
8a w'yš zrwc lw h'rs 8b wnśw' pnym yšb bh
14 14
9a 'lmnwt šlht ryqm 9b wzrcwt ytmym tdk'*
14 15
10a cl kn sbybwtyk phym 10b wybhlk phd pt'm
16 13
11a 'w[r]* hšk l' tr'h 11b wšpct mym tksk
12(11) 12
12a hl' 'lwh gbh šmym 12b wr'h r'š kwkbym ky rmw
B
IVA
B
VA
B
(L: ydk')
14 18
13a w'mrt mh ydc 'l 13b hbcd crpl yšpwt
12 13
14a cbym str lw wl' yr'h 14b whwg šmym ythlk
16 13
15a h'rh cwlm tšmr 15b 'šr drkw mty 'wn
12 13
16a 'šr qmtw wl' ct 16b nhr ywsq yswdm
12 12
17a h'mrym l'l swr mmnw 17b wmh ypcl šdy lnw*
16 13
18a whw' ml' btyhm twb 18b wcst ršcym rhqh mny
15 16
19a yr'w sdyqym wyśmhw 19b wnqy ylcg lmw
16 11
20a 'm l' nkhd yqmm* 20b wytrm 'klh 'š
12(13) 11
21a hskn n' cmw wšlm 21b bhm tbw'k* twbh
13 12(13)
22a qh n' mpyw twrh 22b wśym 'mryw blbbk
12 13
23a 'm tšwb cd šdy tcnh* 23b trhyq cwlh m'hlk
15 14
(L: lmw)
(L: qymnw)
(L: tbnh)
46
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
VIA
B
24a wšyt cl cpr bsr 24b wbswr nhlym 'wpyr
12 15
25a whyh šdy bsryk 25b wksp twcpwt lk
12 12
26a ky 'z cl šdy ttcng 26b wtś' 'l 'lwh pnyk
14 14
27a tctyr 'lyw wyšmck 27b wndryk tšlm
13 10
28a wtgzr 'wmr wyqm lk 28b wcl drkyk ngh 'wr
15 14
29a ky hšpyl 'lwh* gwh 29b wšh cynym ywšc
14(16) 12
30a ymlt 'y[š]* nqy 30b wnmlt bbr kpyw*
10(9) 12
(L: hšpylw wt'mr)
(L: kpyk)
1.3.2. Übersetzung 1* Da hob Elifas von Teman an und sprach:
IA
2a Kann denn ein Mann El Nutzen bringen? 2b Ja, sich selbst* nur nützt ein Kluger. 3a Hat Schaddai wohl Vorteil davon, wenn du gerecht bist, 3b und Gewinn, wenn du unsträflich wandelst*?
B
4a Wird er dich wegen deiner Gottesfurcht richten, 4b mit dir ins Gericht gehen? 5a Ist deine Bosheit nicht groß, 5b und endlos deine Verschuldung? *
IIA
6a *Weil du deine Brüder grundlos pfändetest 6b und den Nackten die Kleider ausgezogen hast, 7a du Erschöpfte* nicht mit Wasser getränkt, 7b und den Hungrigen* Brot versagt hast,
B
8a *– denn dem Mann des Armes* gehört ja das Land, 8b und der das Angesicht erhebt*, wohnt in ihm, – 9a du Witwen leer fortgeschickt 9b und den Arm* der Waisen zerbrochen hast*,
IIIA
10a darum bist du von Schlingen nun umgeben 10b und schreckt dich plötzliches Entsetzen auf,
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
11a ward das Licht dunkel*, daß du nichts mehr siehst, 11b und bedeckt dich ein Wasserschwall. 12a* Ist Gott nicht in der Himmelshöhe? 12b Sieh die höchsten Sterne* – wie hoch sind sie!
B
13a Weil* du sprachst: „Was weiß denn El, 13b kann er denn hinter Wolkendunkel richten? 14a Verhüllt von Wolken sieht er nichts, 14b und er wandelt am Himmelskreise.“
IVA
15a Willst du den altbekannten Weg* einschlagen, 15b den Pfad*, auf dem die Ungerechten gingen? 16a Sie wurden weggerafft vor ihrer Zeit*, 16b ein Strom ergoß sich* über ihren Grund. 17a* – Die zu El sprachen: Weiche von uns! 17b Und: was kann Schaddai uns* antun? 18a Doch Er* hat ihre Häuser angefüllt mit Gutem, 18b aber der Gottlosen Rat war von mir fern?* –
B
19a Als die Gerechten es sahen, freuten sie sich*, 19b und der Unschuldige spottete ihrer: 20a „Fürwahr, vertilgt ist ihr Bestand*, 20b und ihren Rest fraß auf das Feuer!“
VA
21a Vertrag’ dich doch mit Ihm* und schließe Frieden*, 21b denn dadurch* kehrt das Glück zu dir zurück*. 22a Nimm doch die Weisung an aus seinem Munde 22b und lege seine Worte in dein Herz!
B
23a Wenn du zu Schaddai umkehrst, dich demütigst*, 23b Unrecht entfernst aus deinem Zelte, 24a* – Und lege* in den Staub das Gold 24b und das Ophir in den Fels der Wadis, 25a dann wird Schaddai dein Golderz sein 25b und Silberglanz* für dich –
26a dann wirst du dich an Schaddai freuen 26b und dein Antlitz zu Gott erheben. VIA
27a *Flehst du Ihn an, erhört Er dich, 27b und du erfüllst deine Gelübde. 28a Was* du beschließt, wird dir gelingen, 28b und über deinen Wegen scheint es hell.*
B
29a Denn den Hochmut zwar erniedrigt El,* 29b jedoch er rettet die, welche* die Augen senken.
47
48
Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
30a Den unschuldigen Mann* errettet er, 30b er wird gerettet durch die Reinheit seiner* Hände.
1.3.3. Text- und Literarkritik 1 Die Überschrift ist vermutlich sekundär.148 2b Omy"l(f (= wyfl(f ) wird hier singularisch verstanden.149 3b Wörtlich: „Wenn du unsträflich machst deine Wege“. 5b Wörtlich: „Gibt es kein Ende deinen Sünden?“ 6–9 Diese Verse sind nicht auf V. 5 bezogen, sondern bilden die vorangestellte Begründung zu V. 10f. (vgl. yiK in V. 6 und }"K-la( in V. 10). Die Imperfekte in V. 6–8 haben einen durativen, die Vergangenheit und die Gegenwart umspannenden Charakter. Vom Perfekt in V. 9a her ist mit H. Bobzin und E. Dhorme eine präteritale Übersetzung möglich.150 7 Die „Erschöpften“ in V. 7a und die „Hungrigen“ in V. 7b sind kollektive Singularformen. 8 Der sekundäre Charakter dieses Bikolons ist vermutet worden,151 wir bleiben aus mehreren unten angeführten Gründen bei seiner Ursprünglichkeit und seinem Zitatcharakter.152 8a D.h. „der Gewalttätige“. 8b D.h. „der Angesehene“. 9b Die Handschriften haben hier )"Kd a T : statt )fKd u y: , „wurden zerbrochen“, gelesen; wegen des Parallelismus ist es richtig.153 „Den Arm“: In M wörtlich im Plural. 11a Statt |e$ox-O) lies |a$x f rO) (nach G und mit BHS und der Mehrheit der Ausleger), weil die einfache Licht-Finsternis-Metaphorik in den Freundesreden sehr üblich ist.154
148 Siehe oben zu 4,1 (S. 22f.). 149 S.R. Driver / G.B. Gray (1950), II 153; H. Bobzin (1974), 302; M. Witte (1995), 34, u.a. 150 Zum Ganzen siehe H. Bobzin (1974), 302ff., der die Imperfekte als comitatives Mare’ betont, und E. Dhorme (1967), 327ff., der yiK und }"K-la( hervorhebt. Vgl. auch GK28, § 107e. 151 Z.B. K. Budde (1913), 124, und P. Volz (1921), 72. Dagegen A. de Wilde (1981), 234, stellt ihn nach V. 9 um. 152 Siehe unten, S. 121f.; 141 und 195. 153 So BHS; G. Beer (1895/97), 146; E. Dhorme (1967), 329; G. Hölscher (1952), 55; H. Bobzin (1974), 304; M. Witte (1994), 81; (1995), 38, u.a.; dagegen aber S.R. Driver / G.B. Gray (1950), II 153; G. Fohrer (1963a), 351; H.-J. Hermisson (1998b), 303.309; H. Strauß (2000), 56; D.J.A. Clines (2006), 541, u.a. 154 Siehe unten, S. 177–182.
Die ursprüngliche Gestalt der Elifasreden
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12 Das sekundäre Gepräge von V. 12155 ergibt sich aus seinem hymnischen Charakter: Auf die rhetorische Frage nach dem Aufenthalt Gottes im höchsten Himmel folgt die imperativisch gefaßte Aufforderung, die Höhe der Sterne zu betrachten, um so der unermeßlichen Größe Gottes innezuwerden. In seinem Kontext dient das Bikolon vermutlich als eine vorgreifende Widerlegung von V. 13, wobei Hi 11,8 Pate gestanden haben könnte. Das Bikolon unterbricht mithin den unmittelbaren Zusammenhang zwischen V. 10f. und ihrer Begründung durch V. 13f. Kolometrisch fällt V. 12b durch seine Überlänge von 18 Konsonanten ebenso auf wie durch die Stilisierung des V. 12a als eines mit einem Imperativ eröffneten Nominalsatzes und des V. 12b als eines durch ein yiK eingeleiteten Nebensatzes. Der Ergänzer hat sich der Strophe geschickt angepaßt, in dem er V. 12a mit einer Fragepartikel und V. 12b mit h)r eröffnet, das Wort {iym a $ f (vgl. V. 14) benutzt, gleichzeitig dem m-Reim folgend. Allerdings ist es ihm nicht gelungen, die stilistischen und poetischen Regeln einzuhalten, die solche Glossen nicht zulassen. Die komplizierte Frage nach der Herkunft des Bikolons läßt sich durch weitere Beobachtungen mit relativer Sicherheit beantworten: 1.) Inhaltlich könnte es sowohl zum Majestäts- als auch zum Gerechtigkeitsredaktor gehören. 2.) Sein Wortschatz ist umfangreich und besitzt daher Parallelen in allen Redaktionsschichten. Weil aber M. Witte festgestellt hat, daß der Gerechtigkeitsredaktor als der jüngste von den drei Ergänzern auf zwei frühere zurückblicken156 und daher ihren Wortschatz benutzen kann, dürfte die Herkunft des Bikolons gesichert sein: 1.) Die im Hiobbuche seltensten Wörter dieses Bikolons sind alle beim Gerechtigkeitsredaktor anzufinden (haboG in der Hiobdichtung achtmal: 40,10; $)or elfmal: 24,24; bfkOK fünfmal: 9,7; {wr siebenmal: 24,24157). 4.) Die Bezeichnung H a OlE) wird in sekundären Abschnitten und überwiegend vom Gerechtigkeitsredaktor gebraucht.158 5.) Neben 24,24 sind sehr viele Wörter in der entsprechenden Stelle 9,2–14 vertreten (aHOlE): 9,13; {iym a $ f : 9,8; h)r: 9,11; bfkOK: 9,7).159 12b Wörtlich: „Das Haupt der Sterne“. 13a Die Kopula dürfte hier von yiK in V. 6 und }"K-la( in V. 10 abhängig sein. 155 V. 12 ist sekundär nach G. Hölscher (1952), 54f.; H. Richter (1959), 96, Anm. 287; G. Fohrer (1963a), 351; A. de Wilde (1981), 234; M. Witte (1994), 85ff., und O. Kaiser (2006), 42. 156 M. Witte (1994), 183. 157 Die Stellen sekundär nach M. Witte (1994), 191f. 158 In den Stellen a.a.O. sogar achtmal. 159 Zwei Worte treffen wir auch in den sekundären Versen in 20,16f. an, die vermutlich der Gerechtigkeitsredaktion angehören; vgl. dazu unten, S. 80f.
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Die ursprüngliche Gestalt der Freundesreden
15a Wörtlich: „Weg der Ewigkeit“.160 Die Übersetzung „Beachtest du den Weg der Sünder“ würde somit mit dem konjizierten Vers 15b parallel sein (siehe unten). Doch kann hier auch ein schöner synthetischer Parallelismus in Erscheinung treten. 15b Um den doppelten Relativsatz (in V. 16a ist einer bereits vorhanden), d.h. auch die in der Hiobdichtung einzigartige Häufung von re$) A zu vermeiden und der Aufnahme dieser Stelle in 23,11 zu folgen, lies ru