Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel: Garantie und Schranken der Versammlungsfreiheit im Recht Englands und der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.] 9783428435920, 9783428035922

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Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel: Garantie und Schranken der Versammlungsfreiheit im Recht Englands und der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.]
 9783428435920, 9783428035922

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EGON CROMBACH

Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel

Schriften zum Internationalen Recht Band2

Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel Garantie und Schranken der Versammlungsfreiheit im Recht Englands und der Bundesrepublik Deutschland

Von

Dr. Egon Crombach

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1976 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L . Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03592 5

Vorbemerkungen In den letzten Jahren hat das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, vor allem durch die studentische Demonstration, aber auch infolge eines allgemeinen Erwachens des politischen Interesses beim Bürger in der Bundesrepublik Deutschland in großem Maße an Aktualität gewonnen. Dabei haben polizeiliches Vorgehen sowie richterliche Entscheidungen deutlich gemacht, daß eine erhebliche Unsicherheit im Umgang mit der Versammlungsfreiheit und in der Beurteilung der Reichweite ihrer Garantie in Art. 8 Abs. 1 GG besteht. Zu erklären ist diese Unsicherheit zunächst damit, daß die Gewährleistung des Versammlungsrechts -wie im übrigen die Garantie aller Grundrechte des GG - in einem Abstraktionsgrad erfolgt, der eine Interpretation erforderlich macht. Dazu kommt, daß die Versammlungsfreiheit durch ein Gesetz- das Versammlungsgesetz von 1953 -eingeschränkt wird, das zu mancherlei Unklarheit Anlaß gibt, und zwar sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der Verfassungsmäßigkeit einzelner polizeilicher Eingriffsermächtigungen. Angesichts dieser Schwierigkeiten im eigenen Recht bietet sich die vergleichende Betrachtung des Rechts fremder Staaten an. Die Suche nach der richtigen Grenzziehung zwischen der Freiheit des einzelnen, sich mit anderen unter freiem Himmel zu versammeln, einerseits und dem vitalen Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung andererseits ist jedem freiheitlichen und demokratischen Staatswesen eigen. Die Probleme, die die Versammlung auf öffentlichen Straßen und Plätzen mit sich bringt, sind überall die gleichen. Von daher erscheint es möglich, Problemlösungen eines fremden Rechts unmittelbar für die Lösungssuche im heimischen Recht fruchtbar zu machen. Eine derartige Verwertung der durch die Untersuchung des ausländischen Rechts gewonnenen Erkenntnisse ist- und damit sind gleichzeitig die beiden Hauptfunktionen einer jeden Rechtsvergleichung angesprochen - in zweifacher Hinsicht denkbar: Einmal können Regelungen des fremden Rechts zur Auslegung nationaler Rechtsnormen, zur Lösung strittiger Fragen, die das eigene positive Recht aufwirft, herangezogen werden. Diese Funktion der Rechtsvergleichung ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn- wie es gerade auf dem Gebiet des Versammlungswesens in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist - das eigene Recht Normierungen enthält, die zwar den Anspruch auf Abgeschlossenheit und

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Vorbemerkungen

Vollständigkeit erheben, trotzdem aber Anlaß zu Auslegungs- und Interpretationsstreitigkeiten geben. Zum anderen dient die Rechtsvergleichung der Ausarbeitung legislativer Vorschläge, insbesondere da, wo bewährte gesetzliche Regelungen des Auslandsrechts keine Entsprechung im eigenen Recht haben und sich zu einer - möglicherweise modifizierten - Übernahme anbieten. Es wird unschwer erkennbar, daß die beiden angeführten Funktionen der Rechtsvergleichung in einem Stufenverhältnis zueinander stehen: Solange die dem Auslandsrecht zu entnehmenden Erkenntnisse auf der Stufe der Auslegung Eingang in das heimische Recht finden können, stellt sich die Frage nach dem Tätigwerden des Gesetzgebers nicht oder doch nur unter dem Aspekt der Klarstellung. Dementsprechend soll das Hauptanliegen dieser Arbeit auch der Frage gelten, ob die Auslegung der vorhandenen gesetzlichen Regelungen durch Zuhilfenahme des ausländischen Rechts und seiner Interpretation zu befriedigenden Problemlösungen führt. Da die Unsicherheit auf dem Gebiet des Versammlungswesens im Recht der Bundesrepublik Deutschland ihren Ursprung in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung selbst, in der abstrakten Formulierung des GG hat, erscheint es interessant, ein Recht vergleichsweise zu untersuchen, das bei der Gewährleistung von Freiheitsrechten von einem unterschiedlichen Ausgangspunkt ausgeht. Unter diesem Aspekt fiel die Wahl auf das englische Recht, das keine geschriebene Verfassung und damit keine schriftlichen Grundrechtsgarantien kennt. Träger der Entwicklung und des Schutzes von Freiheitsrechten in England ist das dem common law zugrunde liegende case-law-System, das im Vergleich zum kodifizierten Recht völlig andere Möglichkeiten für die Auseinandersetzung mit dem Problem der Umgrenzung der Versammlungsfreiheit zu eröffnen scheint. Im kodifizierten Recht sind die Lösungsmöglichkeiten weitgehend auf die Interpretation der Gesetzestexte beschränkt, während das case-law-System, für das das Recht kein ruhendes Kontinuum, sondern ein "law in action" darstellt, zumindest theoretisch eine größere Offenheit gegenüber den sich wandelnden Verhältnissen und somit eine flexible, von den Gefahren begriffsjuristischer Interpretationsanstrengungen entfernte Rechtsprechung ermöglicht. Auf der anderen Seite bringen die aus der Tradition und dem "legal reasoning from precedent to precedent" gewachsenen Rechtsüberzeugungen zweifellos eine größere Sicherheit bei der Beurteilung strittiger rechtlich relevanter Gegebenheiten, so daß sich auch aus diesem Grunde der vergleichende Blick ins englische Recht anbietet. Die Frage des methodischen Vergehens bedarf bei einer rechtsvergleichenden Arbeit besonderer Beachtung. Sicherlich ist es notwendig, das eigene und das fremde Recht zu referieren, um so eine Grundlage für den Vergleich zu gewinnen. Dabei muß Ausgangspunkt das eigene

Vorbemerkungen

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Recht bilden, denn seine problematischen Fragen sollen gelöst, eventuelle Lücken sollen geschlossen werden. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit in die Untersuchung und Darlegung des deutschen Rechts schon eigene Wertungen, Stellungnahmen und Lösungsvorschläge einfließen können. Die Entscheidung muß von Anlage und Hauptzielsetzung der Arbeit getragen werden: Liegt das Schwergewicht auf der rechtspolitischen Seite, so besteht der Vergleich hauptsächlich in der Gegenüberstellung fertiger Lösungen der untersuchten Rechtsordnungen und den daraus resultierenden Vorschlägen für eine gesetzgeberische Tätigkeit. Die Untersuchung des deutschen Rechts müßte daher in diesem Fall einen in sich abgeschlossenen Ausgangspunkt für die rechtspolitische Fortentwicklung darstellen, also die eigene Entscheidung in strittigen Fragen schon enthalten. Eine andere Betrachtungsweise ist dann geboten, wenn - wie hier- neben der Erarbeitung legislativer Vorschläge der Möglichkeit einer Auslegung des eigenen Rechts durch Anstöße aus Lösungen des fremden Rechts besondere Beachtung gezollt werden soll. In diesem Fall sind es gerade die offenen Fragen des eigenen Rechtssystems, die einer Lösung zugeführt werden sollen. Die Erörterung des deutschen Rechts hat sich daher in der Regel auf die Darlegung der Probleme und ihrer in Rechtsprechung und Literatur angebotenen Lösungen zu beschränken. Sie kann und soll nicht mehr als ein Problemaufriß sein. Die offenen Fragen sind dann im vergleichenden Teil der Arbeit unter Einbeziehung und Auswertung der durch die Untersuchung des fremden Rechts gewonnenen Erkenntnisse zu lösen. Darüber hinaus kann auch bei diesem methodischen Vorgehen die Erarbeitung legislativer Vorschläge in die Station des Vergleichs der beiden Rechtsordnungen Eingang finden. Insgesamt erscheint daher im Rahmen der Zielsetzung dieser Arbeit das zuletzt dargelegte Vorgehen am vorteilhaftesten. Die beiden die Rechtslage in den zu vergleichenden Rechtsordnungen referierenden Teile der Arbeit unterscheiden sich dementsprechend wesentlich voneinander. Während der deutsche Teil lediglich die Fragen, die mit Hilfe des Vergleichs einer Lösung zugeführt werden sollen, aufzeigt und somit Ausgangspunkte für den Vergleich setzt, muß die Erörterung des englischen Rechts in sich abgeschlossen sein, die möglicherweise dort strittigen Fragen müssen entschieden werden. Die so gewonnenen Ergebnisse können dann in zweierlei Hinsicht für das eigene Recht von Bedeutung sein: Einmal können sie Anstoß zu neuen Lösungsvorschlägen geben, zum anderen können die Regelungen des englischen Rechts die Überzeugungskraft bestimmter bereits vertretener Auslegungen des eigenen Rechts verstärken. Der bei der Darlegung des Problemstandes im deutschen Recht vorhandenen Gefahr einer ausufernden Aufzeigung aller im Bereich des gewählten Themas

8

Vorbemerkungen

offenen Fragen und dazu vertretenen Meinungen soll durch die Wahl bestimmter Schwerpunkte und die Vernachlässigung fernliegender Ansichten entgegengewirkt werden. Die dadurch bisweilen möglich werdenden abschließenden Stellungnahmen schon im ersten Teil der Arbeit stellen daher keinen Bruch in der gewählten Methode dar, sie sind vielmehr das Ergebnis einer notwendigen Beschränkung auf das Wesentliche. Kurz vor Drucklegung der Arbeit ist im Verlag Duncker & Humblot die Dissertation von Schwäble mit dem Titel: "Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit" erschienen. Eine Berücksichtigung dieser Dissertation war aus technischen Gründen nicht mehr möglich, so daß es bei diesem allgemeinen Hinweis verbleiben muß. Die Arbeit hat in der hier publizierten Form im Studienjahr 1974/75 der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld als Dissertation vorgelegen. Sie geht auf die Anregung von Herrn Professor Dr. Jochen A. Frowein zurück, dem ich an dieser Stelle für die stete Förderung und die überaus hilfreiche Überwachung ihrer Entwicklung danken möchte. Egon Crombach

Inhaltsübersicht Teil A

Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland I. Verfassungsrechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Rechtsnatur des Versammlungsrechts nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2. Die Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 16

3. Begriff der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel . . . . . . . . . . . . . .

18 21

II. Schranken des Versammlungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewährleistungsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Friedlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ohne Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige Gewährleistungsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbehaltsschranken außerhalb des Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 9 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Generelle Vereinbarkeit der Gewährleistungs- und Vorbehaltsschranken mit Art. 11 MRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schranken des Art. 8 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anmeldepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Erlaubnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Befriedete Bannkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das präventive Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Versammlungsrecht und Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grenzen der Meinungsäußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Adressat und Inhalt der polizeilichen Verfügung nach § 15 Abs. 1 VersammlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die fakultative Auflösung der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auflösung bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersammlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Auflösung bei Nichtanmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die obligatorische Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Strafrechtliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strafbarkeit beim Verbot durch Verbotsverfügung und bei der polizeilichen Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 22 22 25 25 26 26 26 28 29 29 30 33 34 36 37 40 44 45 47 47 49 51 52 52

Inhaltsübersi cht

10

bb) Strafbarkeit beim gesetzlichen Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strafbarkeit bei Nichtanmeldu ng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Strafrechtlich e Bestimmunge n, die das Versammlung srecht berühren, aber keine Beschränkung en im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG darstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 125 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C) § 113 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Vereinbarkei t der Beschränkung en des Versammlung srechts im einzelnen mit Art. 11 MRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 55 56 56

57 57

TeilB Die Rechtslage in England I. Die Existenz eines Versammlung srechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Bürgerliche Freiheitsrech te in England allgemein . . . . . . . . . . . . . . . .

60 61 62

2.

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3.

4. 5.

a) Theoretische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschichtlich e Entwicklung und Bedeutung des common law Das Versammlung srecht im besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die "Statements" der Gerichte betreffend ein Versammlung srecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Literaturmein ungen Die Bedeutung der Europäischen Menschenrech tskonvention . . . . a) Begründung der Verpflichtung zur Transformati on aus Art. 13 MRK . .......... . . .. ........ . ...... . . . ........ . .. . ... . .. . .. b) Die Gegenmeinun g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Auffassung Manns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Schutz von Versammlung en erlassene Gesetze . . . . . . . . . . . . . . Die Stellung von "processions" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Inhalt des Versammlung srechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Assembly und meeting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Processions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Öffentlichkei tsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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70 70

71 71 72 74 75 76 76 77 78

III. Grenzen der Versammlung sfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Vorbemerkun gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Die Vorsorge für die Friedlichkeit der Versammlung . . . . . . . . . . . . 80 a) breach of the peace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Common-law -Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Unlawful assembly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Rout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 cc) Riot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 dd) Affray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Inhaltsübersicht

11

c) Statutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) S. 23 des Seditious Meeting Act, 1817 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) S. 1 des Unlawful Drilling Act, 1820 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) S. 1 des Prevention of Crime Act, 1953, und s. 4 des Public Order Act, 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) S. 5 des Public Order Act, 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) S. 6 des Race Relations Act, 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grenzen der Versammlungsfreiheit im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Public nuisance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) S . 121 des Highway Act, 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) S. 54, subs. 14 des Metropolitan Police Act, 1839 . . . . . . . . . . . . . . d) S. 9 des Metropolitan Streets Act, 1867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Byelaws . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erlaubnis zum Abhalten von Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erlaubnis des Eigentümers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die polizeiliche Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 83 84

5. Anmeldepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

6. Die Aufgabe der Polizei im Zusammenhang mit der Veranstal-

tung von Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Aufgabe der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Binding-over-Befehl als Mittel der Präventivkontrolle . . . . . . c) Präventivtätigkeit zur Verhinderung eines breach of the peace d) Die Präventivtätigkeit der Polizei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) S. 3 des Public Order Act, 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Behandlung von meetings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassende Würdigung des polizeilichen Verhaltens .......... .. ................ .. . . ............ . ....... e) Die Auflösung unfriedlicher Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Auflösung der die öffentliche Ordnung auf den Straßen störenden Versammlung ............. ... .... . ....... .... ....

84 84 85 85 85 86 89 90 90 92 93 94

97 97 98 99 105 106 108 109 110

112

Teil C Rechtsvergleichung I. Allgemeiner überblick . .... ............................ . .. ....... . 115 1. Unterschiedlichkeit des Systems staaatlicher Gewährleistung des Versammlungsrechts . .. ......... . ..... . . ... ... . . . . .. . . .. . ..... 115 2. Die rechtliche Regelung des Versammlungswesens allgemein . . . . 117 II. Der Vergleich im einzelnen ..... . ........... .... ........... . ....... 1. Begriff der Versammlung und des Aufzugs .. .. .. ....... ... .... 2. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel ...... .. ...... 3. Die Friedlichkeit der Versammlung . . . . .. ... .... .. . . . .... ...... 4. Die Anmeldepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 120 123 124 127

12

Inhaltsübersicht 5. Befriedete Bannkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Versammlungsverbot ............................... . ...... a) Die äußere Rechtslage ...................................... b) Der Inhalt der Ermächtigungen bzw. die Rechtspraxis ........ 7. Die Auflösung 8. Die Bestrafung der Nichtbefolgung von Verbot und Auflösung .. 9. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Literaturverzeichnis

133 137 137 139 145 148 152 155

Verzeichnis der zitierten englischen Entscheidungen ............. . .. .... 163 Zeitschriften, Gesetzes- und Entscheidungssammlungen ............ .. .. 164

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

abw.

abweichend

a.F.

alte Fassung

bay.ObLG

bayerisches Oberstes Landesgericht

BGH

Bundesgerichtshof

B.K.

Bonner Kommentar, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Harnburg 1950 ff.

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

Erl.

Erläuterung

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949

LG

Landgericht

LStrG

Landesstraßengesetz

MRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11. 1950

n.F.

neue Fassung

NW

Nordrhein-Westfalen

OBG

Ordnungsbehördengesetz

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

pr.

preußisch

PVG

Polizeiverwaltungsgesetz

R.

Regina, Rex

Rdn.

Randnummer

RGBl.

Reichsgesetzblatt

s.

1. siehe

2. section StGB

Strafgesetzbuch

14

Abkürzungsverzeichnis

StVO

Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 16. 11. 1970

UZwG des Bundes

Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. 3. 1961

UZwG NW

Gesetz über Ausübung und Grenzen des unmittelbaren Zwanges vom 22. 5. 1962 (für das Land NordrheinWestfalen)

v. Vol.

= versus

Volume

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960

WV

Die Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Verfassung) vom 11.8.1919

Ziff.

Ziffer

TEIL A

Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland I. Verfassungsreclltliclle Grundlage 1. Rechtsnatur des Versammlungsrechts nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)

Ausgangspunkt für die Untersuchung des Rechts der Versammlungen in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist das Grundgesetz, das in Art. 8 das Versammlungsrecht gewährleistet: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1)

Die verfassungstheoretische Einordnung dieses Grundrechts ist nicht ganz unbestritten. Überwiegend wird in Art. 8 Abs. 1 GG die Garantie der individuellen Veranstalter-, Leiter- und Teilnehmerfreiheit gesehen1 • Daß Art. 8 GG aber über den rein individualrechtliehen Charakter hinaus auch kollektive Züge enthält, wird allgemein anerkannt2 • Das Versammlungsrecht entfaltet seine Wirksamkeit erst durch das Zusammentreffen mehrerer Menschen, die alle das individuelle Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen3 • Aus diesem Charakter der Versammlungsfreiheit als der "Garantierung eines vom Staat unbehinderten kollektiven Handelns" 4 wird jedoch meist nicht gefolgert, daß die Versammlung als solche Trägerin des Grundrechts sein könne5• Es wird gesagt, daß die Versammlungsfreiheit weder die Merkmale der Institutsgarantie (weil die Bestimmungen des Zivilrechts über bestimmte 1 s. etwa Füßlein I, S. 445; Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 22; v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. III 1. 1 Vgl. etwa v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. II 3; v. Münch in B. K., Art. 8 Rdn.ll. s v. Münch, s. Fußnote 2. 4 Füßlein III, S. 553. 6 Vgl. statt vieler: v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. li 3; a. A. Leisner,

s. 397.

16

AI. Verfassungsrechtliche Grundlage

Versammlungen nicht allgemein für Versammlungen gälten6 ) noch die der institutionellen Garantie (mangels umfassender öffentlichrechtlicher Normierung7 ) besitze. Einige Autoren sehen im Versammlungsrecht neben der individualrechtliehen Gewährleistung die Garantie des sozialen Instituts der Versammlung8 , ohne ihm jedoch die Qualität des rechtlichen Instituts zuzusprechen. Das von der h. M. so als Individualgrundrecht mit kollektivem Bezug charakterisierte Versammlungsrecht wird weiterhin nicht lediglich als rein negatives Statusrecht verstanden. Die Zielrichtung ist zwar ausschließlich der Staat, eine absolute Drittwirkung wird nicht anerkannt9 • Die Versammlungsfreiheit paßt aber schon ihrer Struktur nach nicht in das den status negativus kennzeichnende Schema des Gegenüber von Staat und dem von staatlicher Einwirkung freibleibenden Freiheitsbereich des einzelnen10• Sie gewährt vielmehr die Möglichkeit, aus dem privaten Bereich heraus an die Öffentlichkeit zu treten und an der freien Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitzuwirken11 • Das Versammlungsrecht entfaltet somit- in der Terminologie des BVerfG gesprochen - seine Bedeutung im Bereich der "Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes" 12 ; es erschöpft sich nicht in der Freiheit von staatlichen Eingriffen, sondern ist ein "Recht zum Staat", ein aktives Statusrecht13 • 2. Die Europäische Menschenrechtskonvention

Eine zweite innerstaatlich bedeutsame Quelle für das Versammlungsrecht ist Art. 11 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK): (1) Everyone has the right to freedom of peaceful assembly and to freedom

of association with others, including the right to form and to join trade unions for the protection of bis interests.

s. etwa v . Münch in B. K., Art. 8 Rdn. 12. So etwa v. Münch in B. K., Art. 8 Rdn. 13. 8 So v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. II 3; Füßlein I, S. 443. 9 H. M.; vgl. Maunz I Dürig I Herzog, Art. 8 Rdn. 22- 24; Hamann I Lenz, Art. 8 Anm. A; abw. Ott I, Einführung Rdn. 21; vgl. auch Quilisch, S. 160. 10 Vgl. Jellinek, S. 419 f .; Ossenbühl I, S. 62. 11 Vgl. Quilisch, S. 148; Ossenbühl I, S. 62; BVerfGE 8, 104, 112; E 20, 56, 98; Hesse, S. 164. 12 BVerfGE 8, 104, 113; E 20, 56, 98. Von der politischen Willensbildung des Volkes ist die staatliche Willensbildung, d. h. die Äußerung der Meinung oder des Willens eines Staatsorgans in amtlicher Form (BVerfGE 8, 104, 113), zu unterscheiden. Daß das Versammlungsrecht nicht diesem Bereich zuzuordnen ist, übersehen Dietel I Gintzel, wenn sie ausführen (§ 1 Rdn. 18121), das Versammlungsrecht sei ein Mittel zur Realisierung des Prinzips der Volkssouveränität. 13 s. Dietel I Gintzel, a.a.O., § 1 Rdn. 19; Merten I, S. 56; Quilisch, S. 147 ff.; Ossenbühl I, S. 62. 8

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2. Die Europäische Menschenrechtskonvention

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(2) No restrictions shall be placed on the exercise of these rights other than such as are prescribed by law and are necessary in a democratic society in the interests of national security or public safety, for the prevention of disorder or crime, for the protection of health or morals or for the protection of the rights and freedoms of others. This Article shall not prevent the imposition of lawful restrictions on the exercise of these rights by members of the armed forces, of the police or of the administration of the State.

Durch Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG vom 7. 8.1952 ist die Konvention in der BRD unmittelbar geltendes Recht geworden14. Für die Frage, in welcher Weise sich die Konventionsbestimmungen auf möglicherweise nicht mit ihnen in Einklang stehendes einfaches Gesetzesrecht auswirken, ist die Einordnung der MRK in das Rechtssystem der BRD maßgebend. Hätte die Konvention etwa lediglich einfachen Gesetzesrang, wäre sie nicht gegen eine spätere Abänderung durch einfaches Gesetz gesichert. Es ist streitig, welchen Rang die MRK als innerdeutsches Recht einnimmt. Auf der einen Seite wird mit verschiedenen Begründungen versucht, die Normen des ersten Abschnittes der Konvention als Recht im oder gar über Verfassungsrang zu qualifizieren15, nach der herrschenden Gegenmeinung sind sie nur mit schlichtem Gesetzesrang anwendbares Recht1•. Im Rahmen dieser Untersuchung, die die gegenwärtige Rechtslage auf dem Gebiet des Versammlungsrechts zum Gegenstand hat, ist eine Entscheidung für die eine oder die andere Ansicht entbehrlich, da die die Versammlungsfreiheit betreffenden gesetzlichen Bestimmungen sowohl des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge vom 24. Juli 1953 (VersammlG) als auch des StGB früher als die Konvention in Kraft getreten sind17• Wenn die Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit Art. 11 der Konvention negativ ausfallen sollte, so gälten sie nach der h . M. zum innerstaatlichen Rang der Konventionsbestimmungen entsprechend dem Grundsatz "lex posterior derogat priori" als aufgehoben18• 14 Nach der Transformationslehre hat das Gesetz des Bundestages sowohl die Zustimmung zur Ratifizierung durch den Bundespräsidenten als auch die Inkorporation der Vertragsbestimmungen in das Recht der BRD zum Gegenstand (BVerfGE 1, 396, 410 f.; Woesner, S. 1383). Nach a. A. bedarf der völkerrechtliche Vertrag nicht der Transformation (vgl. Guradze I, Einleitung§ 4 II). 16 Für die erstere Einordnung etwa Echterhötter, S. 691, unter Berufung auf Art. 1 Abs. 2 GG; Guradze I, Einleitung§ 5 III- V durch Zuordnung der Normen zu Art. 25 GG; für letztere vgl. Klug, S. 441 f.: überpositives und vorstaatliches Recht. 11 Etwa Partsch, S. 49, 50; Schorn, Präambel Anm. 34, 35; Hodler, a.a.O. 17 Maßgebend ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Konvention, also der 3. 9. 1953, nicht das Datum des Zustimmungsgesetzes (Partsch, S. 50). 18 s. Schröcker, S. 414, 415; Woesner, S. 1383; Schorn, Präambel Anm. 34, 35; Hodler, S. 532.

2 Crombach

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AI. Verfassungsrechtliche Grundlage

Nach der Meinung, die dem ersten Abschnitt der MRK Verfassungsrang oder höheren Rang einräumt, verstießen die entgegenstehenden früheren Gesetze gegen die Verfassung bzw. das "Europäische Menschenrecht" und wären nichtig19• Es wird also bei der Darlegung der die Versammlungsfreiheit einschränkenden Gesetze immer die Vereinbarkeit mit Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu prüfen sein20 • Was das Grundgesetz selbst betrifft, so unterscheiden sich Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 11 der Konvention insofern, als das Grundgesetz nur den Deutschen, die MRK dagegen allen Menschen das Versammlungsrecht gewährt. Diese Abweichung ist jedoch nach beiden zur innerstaatlichen Wirkung der Konvention vertretenen Auffassungen unschädlich: Wenn Art. 11 der Konvention Verfassungsrang hätte, würde das GG durch diese Bestimmung erweitert21 ; allen Menschen wäre damit in Deutschland das Versammlungsrecht verfassungskräftig garantiert. Die Rechtslage in der BRD ist aber auch ohne eine solche Verfassungserweiterung mit der Konvention vereinbar, da das Versammlungsrecht Ausländern und Staatenlosen nicht verwehrt ist; vielmehr räumt § 1 VersammlG ausdrücklich jedermann dieses Recht ein. Es wäre also nach der Auffassung des schlichtgesetzlichen Rangs der Konvention nicht zu einer Abänderung einfachen Rechts gekommen22 • Die Gewährung des Versammlungsrechts lediglich ohne Waffen in Art. 8 Abs. 1 GG läßt sich als nach Art. 11 Abs. 2 der Konvention zulässige Einschränkung zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Verbrechensverhütung sehen23, wenn man nicht schon dem Begriff "peaceful" in Art. 11 Abs. 1 MRK den Sinn beilegen will, der ihm bei der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948 beigelegt wurde, nämlich: "without uproar, disturbance or the use of arms" 24 • Eine Diskrepanz zwischen GG und der MRK besteht in diesem Punkt also nicht. 3. Begriff der Versammlung

Entgegen der- in letzter Zeit allerdings größeren Zuspruch findenden - Mindermeinung, die jedes Zusammentreffen auch nur zweier Menschen zu irgendeinem rechtmäßigen Zweck als Versammlung 19 20

Vgl. Klug, S. 439: "Europäisches Menschenrecht bricht Nationalrecht." Vogel, S. 19, hält den Schutz des Art. 11 MRK von vornherein für ge-

ringer als den des Art. 8 GG, da seiner Meinung nach die Einscllränkungsmöglichkeiten weiter gehen. 21 Vgl. Guradze I, Einleitung§ 6. 22 s. Schorn, Art. 11 Anm. 17. 23 Guradze I, Einleitung § 6. 24 So etwa Partsch, S. 209.

3. Begriff der Versammlung

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betrachtet25, sieht die h. M. die Betätigung der Meinungsfreiheit als entscheidendes Charakteristikum des Begriffs der Versammlung an26 • Das gemeinsame Ziel der Betätigung der Meinungsfreiheit kann dabei sowohl in der Form der Meinungsbildung als auch der Meinungsäußerung verfolgt werden. Die Meinungsäußerung braucht nicht durch das gesprochene Wort zu erfolgen. Jede nur mögliche Form, darunter das demonstrative Schweigen, ist geeignet, das Zusammentreffen mehrerer Menschen zu einer Versammlung zu machen27 • Durch diesen gemeinsamen Zweck der Sich-Versammelnden wird die Versammlung gegenüber dem bloß zufälligen Zusammentreffen von Menschen, der Ansammlung, und dem Zusammenkommen zu irgendwelchen anderen Zwecken, etwa Gottesdiensten oder unterhaltenden Theateraufführungen, abgegrenzt. Mit dieser Grenzziehung ist nicht ausgeschlossen, daß solche Zusammenkünfte, die von Natur aus keinen Versammlungscharakter haben, in ihrem Verlauf zur Versammlung werden können. So können etwa bei kirchlichen Veranstaltungen eindeutig Kundgabezwecke in den Vordergrund treten28 • Innerhalb einer zufälligen Ansammlung kann eine Diskussion entstehen29 , so vor allem etwa dann, wenn Nachrichten bekannt werden, die zu einer Diskussion anreizen30• Daß bei einer derartigen Diskussionsgruppe niemand als Veranstalter fungiert, ist bedeutungslos; denn ein Veranstalter oder Leiter gehört nicht begriffsnotwendig zur Versammlung31 • Da die vorherige Planung nicht Voraussetzung für eine Versammlung ist, fällt auch die sogenannte Spontanversammlung unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG32• Ob jede Betätigung der Meinungsfreiheit ausreicht, um eine Ansammlung von Menschen zu einer Versammlung zu machen, ist umstritten. Teilweise wird gefordert, daß sich die Meinungsbetätigung auf "öffentliche Angelegenheiten" beziehen muß, damit die Zusammenkunft unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG fällt33• Dabei werden als öffentliche Angelegenheiten solche verstanden, "die allgemeines Interesse im lokalen, regionalen, nationalen oder internationalen Bereich 25 Vgl. Maunz I Dürig I Herzog, Art. 8 Rdn. 4 f.; v. Münch III, Art. 8 Rdn. 10; noch weitergehend Müller, S. 50, der den gemeinsamen Willen zusammenzukommen für ausreichend hält. 26 Vgl. statt vieler: Frowein, S. 1081; DieteliGi ntzel, § 1 Rdn. 1; Mallmann, Spalte 108. 27 s. etwa Ott 111; Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 5. 28 Vgl. Ott I,§ 17 Rdn. 2; v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. 1112. 29 s. Frowein, S . 1082; Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 2. so V gl. Ott I, § 1 Rdn. 3. a• Frowein, S. 1082; Ott I,§ 1 Rdn. 1. 32 Str.- vgl. v. Mangoldt I Klein, Art. 8, Anm. 111 1; Maunz I Düri g I Herzog, Art. 8 Rdn. 47; v. Münch III, Art. 8 Rdn. 10; zum Begriff und zur Anmeldeproblematik unten, A II. 4 a. 33 Etwa v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. 111 2; Füßlein Il, § 1 Erl. 3 a; Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 7; BVerwG NJW 1967, 1191 = E 26, 135.

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AI. Verfassungsrechtliche Grundlage

finden und der Gestaltung fähig sind"34 • Diese Meinung wird mit der geschichtlichen Entwicklung der Versammlungsfreiheit in Deutschland begründet, die klar die Entwicklung eines politischen Rechts ist35 • Sowohl die Unterdrückung kollektiver Aktivitäten im Polizeistaat und nach 1848 als auch die staatliche Gewährung dieser Handlungsmöglichkeiten erfolgte im Hinblick auf die politischen Versammlungen und Vereinigungen. In der preußischen Verordnung vom 11.3.185038 wurde die Anmeldepflicht ausdrücklich für Versammlungen eingeführt, die öffentliche Angelegenheiten zum Gegenstand hatten - wobei aber zu berücksichtigen ist, daß der Versammlungsbegriff als solcher das Erfordernis der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten nicht enthielt. Auch das Reichsvereinsgesetz vom 19. 4. 190837 geht in§ 5 von politischen Versammlungen aus. Die Gegenmeinung38 kann sich ebenfalls auf die geschichtliche Entwicklung und die aufgeführten Quellen im deutschen Recht berufen, und zwar mit der Begründung, sowohl die Weimarer Verfassung als auch das GG habe die Versammlung nicht ausdrücklich derart qualifiziert39 und daher bewußt auf diese zusätzliche Einengung des Versammlungsbegriffs und damit des Schutzbereiches von Art. 8 GG (und auch Art. 11 MRK) verzichtet. Nach dieser Auffassung, die ebensowenig wie die erstere als herrschend bezeichnet werden kann, sind etwa Vorträge, Klassentreffen oder Familientage unter der Voraussetzung Versammlungen, daß sie nicht rein unterhaltender Natur sind40• Eine Versammlung ist nicht notwendigerweise an einen festen Ort gebunden. Stehende und sich fortbewegende Versammlungen sind durch Art. 8 GG geschützt41 • Dabei werden letztere nach der Terminologie des Versammlungsgesetzes als Aufzüge bezeichnet. Der Aufzug ist eine Unterart der Versammlung, muß also alle oben dargelegten Voraussetzungen erfüllen. Reklamezüge, Wandergruppen sind damit mangels Meinungsbetätigung keine Aufzüge42 • Da sich die Meinungsbetätigung bei der sich fortbewegenden Versammlung regelmäßig nur in der u Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 7. ss Vgl. Küchenhoff, S. 18 ff. 30 Gesetz-Sammlung S. 277: "Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinsrechtes". 37 RGBl. 1908, 151. 38 Vgl. etwa Ott II, S. 18 f.; Frowein, S. 1082; v. Münch in B. K., Art. 8 Rdn. 24. se Frowein, s. Fußnote 38. • 0 So v. Münch, s. Fußnote 38; ähnlich Merten I, S. 56. 41 v. Münch in B. K., Art. 8 Rdn. 25; v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. III 5; abw. Samper I, S. 21 ff., der das Recht, Aufzüge zu veranstalten, lediglich dem § 1 VersammlG entnimmt. 42 Füßlein I, S. 444; Ott I,§ 1 Rdn. 6.

4. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel

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Form der Kundgabe vollzieht - gerade diese auf möglichst große Breitenwirkung angelegte Kundgebung einer bestimmten Ansicht ist meist das Ziel der Teilnehmer - wird der Begriff Aufzug oft mit dem der Demonstration gleichgesetzt43 • Zu beachten ist aber, daß der Begriff der Demonstration als untechnischer Begriff ebenso eine stehende Versammlung mit Kundgabecharakter bezeichnen kann und auch zu dieser Bezeichnung verwendet wird. 4. Öffentliche Versammlungen unter freiem Bimmel

Mit den vorstehenden Ausführungen ist der im GG und in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegte Begriff der Versammlung umrissen. Eine Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Versammlungen wird in diesen Quellen nicht getroffen. Der Begriff der öffentlichen Versammlung wird durch das Versammlungsgesetz eingeführt, das Beschränkungen nur dieser Kategorie von Versammlungen enthält. Das Versammlungsgesetz selbst enthält wiederum nicht die Kriterien, die die Versammlung zu einer öffentlichen machen. Üblicherweise wird eine Versammlung dann als öffentliche qualifiziert, wenn jedermann teilnehmen kann, wenn also der Teilnehmerkreis nicht auf einen individuell abgegrenzten Personenkreis begrenzt ist44 • Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht dabei der Öffentlichkeit nicht entgegen 45 • Ob darüber hinaus eine Versammlung, an der teilzunehmen nur ein bestimmter Personenkreis - etwa die Mitglieder einer Partei oder eines großen Vereins- berechtigt ist, solange als öffentlich anzusehen ist, wie keine persönlichen Beziehungen zwischen diesen Personen bestehen, ist streitig48• Diese Frage ist jedoch bei den hier interessierenden Versammlungen unter freiem Himmel nicht von Bedeutung. Nach Art. 8 Abs. 2 GG ist eine Beschränkung des Versammlungsrechts für Versammlungen unter freiem Himmel zulässig. Von dieser Ermächtigung hat der Gesetzgeber im III. Abschnitt des Versammlungsgesetzes Gebrauch gemacht, ohne den Begriff "unter freiem Himmel" näher zu erläutern. Rechtsprechung und Literatur sind sich jedoch einig, daß grundsätzlich der Blick nach oben ausschlaggebend ist47 • Aber auch wenn der Blick zum freien Himmel durch ein Dach über dem Versammlungsplatz versperrt ist, kann die Versammlung eine solche Vgl. Füßlein I, S. 444; Ott I,§ 1 Rdn. 6, Vgl. statt vieler: v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. III 3 a; Frowein, S. 1082. 45 Trubel I Hainka, § 1 Anm. 2. 48 Vgl. Frowein, S. 1082 einerseits, Füßlein II, § 1 Erl. 3 b, Samper I, S. 17 andererseits. 47 v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. III 3 b; Frowein, S. 1083. 43

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A II. Schranken des Versammlungsrechts

unter freiem Himmel sein, und zwar dann, wenn keine seitliche Begrenzung und damit keine Abschirmungsmöglichkeit nach außen vorhanden ist48 • Unterschiedliche Auffassungen bestehen lediglich darüber, ob der nach oben offene, aber umfriedete Hof eine Versammlung unter freiem Himmel ausschließt49 • Streitig ist ferner, ob die Öffentlichkeit bei Versammlungen unter freiem Himmel allein nach dem Zutrittsrecht - wie oben dargelegt - zu bestimmen ist60 oder ob die Adressierung an die Öffentlichkeit zur Qualifizierung der Versammlung als öffentlich ausreicht51 • Der Streit hat zwar im Hinblick auf stehende Versammlungen keine allzu große praktische Bedeutung - denn kaum ein eine Kundgebung veranstaltender, sich also an die Öffentlichkeit richtender Verein würde die Teilnahme von Nichtvereinsmitgliedern ablehnen. Bei der Frage nach der Öffentlichkeit von Aufzügen wird er jedoch relevanter: Nach der von Frowein vertretenen Auffassung ist jeder Aufzug öffentlich, da er sich immer an die Öffentlichkeit richtet; der Aufzug trägt demnach das Öffentlichkeitsmerkmal begrifflich in sich52• Nach der Gegenmeinung ist auch bei Aufzügen zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen zu unterscheiden; ein öffentlicher Aufzug liegt danach nur dann vor, wenn es jedermann möglich ist, sich der sich fortbewegenden Gruppe anzuschließen53• Entscheidend für die Meinung Fraweins spricht schon der Wortlaut des Versammlungsgesetzes: Bei Aufzügen fehlt die Qualifizierung als öffentlich. Wenn es nicht öffentliche Aufzüge gäbe, führte das Versammlungsgesetz- da es dem Wortlaut nach auch für nicht öffentliche Aufzüge gälte - eine nicht einzusehende unterschiedliche Behandlung von Versammlungen und Aufzügen ein.

II. Schranken des Versammlungsrechts 1. Gewährleistungsscbranken54

a) Friedlichkeit Der Schutz des Art. 8 GG und auch ausdrücklich des Art. 11 MRK erstreckt sich nur auf "friedliche" Versammlungen. Weder das GG noch die MRK definiert den Begriff der Friedlichkeit bzw. Unfriedlichkeit. Frowein, s. Fußnote 47; Dietel I Gintzel, § 14 Rdn. 2. s. v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. III 3 b einerseits, Frowein, S. 1083 andererseits. so So die wohl h. M., vgl. etwa Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 16; Ott I, vor § 1 Rdn. 2 - die Ausführungen betreffen zwar den Aufzug, die Geltung für Versammlungen allgemein wird aber stillschweigend vorausgesetzt. 61 So etwa Frowein, S. 1083; Hoffmann I, S. 232. 6 2 Frowein, s. Fußnote 51; Samper I, S. 23. 5a Ott I, vor§ 1 Rdn. 2; Dietel I Gintzel, § 1 Rdn. 6; v. Mangoldt I Klein, Art. 8 Anm. III 3 b; Trubel I Hainka, § 1 Anm. 4. 48

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1. Gewährleistungssehranken

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So blieb die Ausfüllung des Begriffs den einfachen Gesetzen und den Interpretationen dieser Gesetze vorbehalten. § 5 Nr. 3 VersammlG, der einen der Verbotsgründe für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen enthält, beinhaltet nach einer weit verbreiteten Meinung eine "Legalinterpretation"55 des Begriffs der Unfriedlichkeit, die über den Bereich der Versammlungen in geschlossenen Räumen hinaus für alle öffentlichen Versammlungen gilt. Danach ist eine Versammlung unfriedlich, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Darüber hinaus kann eine Versammlung, bei der der Ausbruch von Gewalttätigkeiten oder Aufruhr droht, nicht mehr als friedlich bezeichnet werden. Unfriedlich ist eine Versammlung demnach auch dann, wenn Gewalttätigkeiten von Veranstaltern oder Teilnehmern angedroht werden oder zu Gewalttätigkeiten aufgerufen wird oder gewalttätige Maßnahmen gemeinsam beschlossen werden56• Was zunächst den Begriff "gewalttätig" betrifft, so gehen die Meinungen über seine Auslegung auseinander. Teilweise wird ein besonders rohes, Leib oder Leben anderer gefährdendes oder die Substanz von Sachen beeinträchtigendes Handeln gefordert57 • Teilweise wird auf den Begriff der Gewalttätigkeit im StGB, insbesondere § 125 StGB, verwiesen58 . In diesem Rahmen ist das Urteil des BGH vom 8. 8. 196959 bedeutsam, in dem es um die strafrechtli