Die ewige Ruhe der Heiligen [Sechste, wohlfeile Auflage., Reprint 2021] 9783112491782, 9783112491775

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Die ewige Ruhe der Heiligen [Sechste, wohlfeile Auflage., Reprint 2021]
 9783112491782, 9783112491775

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Die

ewige Ruhe -er Heiligen, dargestellt

Richard Barter.

Aus dem Englischen von

Kilo von Herlach, weil. Dr. u. Prof, der Theologie, Consisicrialrath u. Hefprediger in Berlin

Sechste- wohlfeile Auflage.

Leipzig, I. C- Hinrichs'sche Buchhandlung. 1874.

Vorrede zur ersten Auflage. Das vorliegende Werk,

welches jetzt, grade nach

hundert Jahren, den christlichen Lesern in

Deutschland

wieder übergeben wird, war die erste Schrift, welche der

ausgezeichnete, reich Richard

begabte

presbyterianische Theologe

Baxter verfaßte.

Im Jahre 1615 geboren,

ward er als ein kränklicher junger Mann, mit der Aus­

sicht auf einen frühen Englischen

Kirche

Hülssprediger

Tod, 1638 zum Presbyter der

ordinirt.

Kaum war

er

1640

als

(lecturer) zu Kidderminster angestellt

worden, als die furchtbaren Kämpfe ausbrachen, welche die Englische Kirche und Nation in zwei heftig tun die

Herrschaft streitende Parteien, die Episcopalen und Pres­ byterianer, die Anhänger des Königs und des Parla­

ments, spalteten; bis allmählig unter den gewaltigen Er-

TV

schütterungen eine dritte Partei,

die der Independenten

und Republikaner, ihr Haupt erhob, die beiden andern überwand, und auf den Trümmern der kirchlich-politischen

Verfassung des Landes ein zwölfjähriges Reich aufrichtete.

Baxter trat, nach reiflicher Untersuchung der da­

maligen Streitigkeiten, anfangs auf die Seite des Parla-

ments und der Presbyterianer gegen den König und die Bischöfe; als er aber, während der inneren Kriege, die

Partei der Independenten und das wilde Gemisch anderer Secten unter der Armee aufkommen sah, verließ er Kid­

derminster, begab sich zu den Truppen des Parlaments,

und wirkte dort, wiewohl mit geringem Erfolge, als Feld­

prediger gegen die Sectirer.

Mitten in dieser schwierigen

und gefahrvollen Thätigkeit wurde er sehr krank, und die gewaltsamen Mittels welche man anwandte, schwächten seinen Körper so sehr, daß man ihn schon aufgeben zu

müssen

glaubte.

Während einer

langen

Siechheit, wo

liebende Gönner ihn auf ihren Gütern aufnahmen und pflegten, in beständiger

Erwartung des herannahenden

Todes, richteten sich Baxter's Gedanken mehr als je auf die Ruhe, welche deni Volke Gottes aufbehalten ist.

V

Um seinem Gemüthe eine festere Richtung, seinem Nach­ denken mehr Stetigkeit zu geben, fing er an aüfzuschrei-

ben, was ihm wichtig geworden war, in Betrachtungen, welche den Umfang einer oder einiger Predigten haben sollten; da aber seine Krankheit sich verlängerte, wuchs

auch seine Arbeit immer mehr an, und es ward allmählig ein Quartband von mehr als 800 Seiten daraus, welchen

er nach seiner Herstellung und Rückkunft vollendete und 1649 herausgab.

zen

und

Dieses unter vielen Leiden und Schmer­

manchen

Unterbrechungen in

etwa

einem

halben Jahre geschriebene Werk fand so großen Beifall,

daß es in dreizehn Jahren bereits neun Auflagen lebt hatte, welchen später bald

er­

noch mehrere folgten.

Das Original hat jedoch Mängel, die ihm den Eingang unter uns sehr

erschweren würden.

Es enthält lange

Stellen, welche die Streitigkeiten der damaligen, so be­

wegten, Kirche berühren, und eine eigne umständliche

Beweisführung für die Göttlichkeit der heiligen Schrift, welche letztere der Verfasser unter der Voraussetzung ein­ schaltete, es möchte sich fügen, daß ganz rohe, ungläu­

bige Menschen sein Buch in die Hand bekämen.

Schon

VI

längst ist daher eine bedeutend abgekürzte Ausgabe, welche

der Prediger Fawcett zu Kidderminster, im Jahre 1758,

herausgegeben, in England und Nord-Amerika die allge­ mein gebrauchtes,

während die ältere Deutsche Uebersetz-

ung*) **) nach dem Original gemacht ist.

Jene Abkürzung

ist durchaus in des Verfassers Geiste geschehen, denn er selbst fugt***), sein Hauptzweck in diesem Buche sey ge­

wesen, eine Anleitung zu geben, wie man durch Betrach­

tung der himmlischen Dinge sein Herz zu einem Wandel

im Himmel geschickt machen möge, und alles Andre habe

nur als Vorbereitung dazu dienen sollen. — Baxter trat

damals noch nicht ein

in die Ruhe, nach welcher

sein

Herz sich sehnte; und zu der er auch durch diese Schrift

*) The Saints’ Everlasting Rest, or a treatise on the blessed state of the 'saints in their enjoyment of God in heaven. By the Rev. R. Baxter. Abridged by the Rev. Benj. Fawcett. **) Die ewige Ruhe der Heiligen, oder Beschreibung des glück­ seligen Zustandes der Heiligen in der Gemeinschaft mit Gott nach die­

sem Leben, abgefaßt durch R. Baxter. Die andre Auflage, mit einer Vorrede von Herrn I. I. Rambach. Leipzig 1733 in 4. ***) In seiner Selbstbiographie, bei 0 r m e, Life and Times of

R. Baxter.

London 1830. Voll II. p. 408.

VII

sich erhob.

Nach einer reich gesegneten Pastoralthätigkeit

und einem siechen und zugleich überaus stürmischen Leben

starb er erst in hohem Alter 1691. Der

heilige, ehrwürdige Mann, welcher in diesem

vor fast zwei Jahrhunderten geschriebenen Werke noch zu uns redet, ist zu Anfang dieses Jahres

einem großen

Theile der Deutsch-Evangelischen Kirche durch sein Buch

„der EvangelischeGeistliche," welches derselbe Ueher-

setzer

in demselben Verlage herausgegeben, wieder be­

kannt geworden.

ist

eine

In der zweiten Auflage dieser Schrift

kurze Lebensgeschichte Baxter's

hinzugefügt

worden, die auch einzeln zu haben ist; auf diese verwei­ sen wir alle, welche von ihm und vorzüglich seiner merk­

würdigen Thätigkeit als Prediger nähere Kunde zu Haden wünschen.

Der Gegenstand, von welchent dies Buch redet, ist

seit Lava ter's Aussichten in die Ewigkeit, welche nach einem andern Plane geschrieben sind, unter uns in keiner

besonderen Schrift behandelt worden. Nicht nur solche, welche dem Wort Gottes nicht gehorsam sind, auch viele

ernste, gläubige Christen beschäftigen sich in unsern Tagen

VIII

vorzugsweise wenig mit dem Hinblick auf das zukünftige Leben; mit dem Gedanken an das Gericht und die große

Scheidung der Spreu von dem Waizen in demselben, an das Elend der Verdammten und die Wonne der Seligen,

und an die Nothwendigkeit, mit bestinimter Beziehung dar­

auf schon hier seinen Beruf und seine Erwählung fest zu

machen.

Ein das göttliche Wort wankend machender Un­

glaube, ein das Gesetz und seinen strafenden Ernst ent­ nervendes Gefühlswesen, und eine immer höher getriebene,

sinnliche und geistige Genußsucht hat auch über viele gläu­ bige Christen eine gewisse Herrschaft sich angemaßt; hat ih­ nen die Schrecken des Todes und des Gerichts, und damit

auch die volle Süßigkeit und Seligkeit des evangelischen Trostes, welcher diese Schrecken überwindet, genommen. Der Zeitgeist hat die große Wahrheit, daß Christus schon

hier in der Zeit das ewige Leben offenbart hat und denen gibt, die an Ihn glauben, furchtbar gemißbraucht, um

diese Welt

mit der

darauf

herrschenden

Sünde

als

den wahren Himmel uns anzupreisen, und das wohl­ gefällige Behagen auf der

armen

Erde,

zu

welchem

auch die höchsten Kräfte und Thätigkeiten der Seele zu-

IX

sammenwirken sollen, ist die größte Seligkeit, welche die gefeiertste Dichtkunst unter uns zu besingen weiß.

so

erscheint

denn

auch vielen

gläubigen

Christen

Und

die

Sünde nicht mehr, in dem Lichte des Wortes Gottes, als strafwürdige, Gottes Abscheu auf sich ziehende Uebertretung Seines ewigen Gesetzes, welche den unter ihrem

Fluche seufzenden Menschen zu dem Versöhner und Hei­ lande treibt, sondern nur

als Hemmung des

höheren

Selbstbewußtseyns, als Störung des edelsten Genusses des

Geistes,

in die man sich, wie in andre Beschränkungen

erschaffener Wesen, nach und nach finden lernt.

Darum

ist bei solchen das Trachten nach endlicher, vollkommener

Erlösung von der Sünde, die Sehnsucht nach der Vollen­

dung der ganzen streitenden Gemeine des Herrn, keine wesentliche,

bleibende Richtung ihres Herzens.

Die all­

gemein verbreitete, sorglose Zuversicht des Zeitgeistes, daß droben über dem Sternenzelte ein guter Vater wohnen müsse, ergreift auch sie, und läßt das jenseitige Leben ihnen

dunkel und die Betrachtung deffelben unfruchtbar erscheinen, weil ihr Herz dem dieses Dunkel aufhellenden Lichte des

göttlichen Wortes nicht genug geöffnet ist.

Der Ueber-

setzer des vorliegenden Werkes glaubte daher grade des­ halb einer großen Zahl seiner Brüder einen Dienst zu

leisten, wenn er die Ströme lebendigen Wassers, welche

nach

der

Verheißung

des Herrn

von diesem seinem

Diener ausgeflofsen sind, auch bis zu ihnen leitete, und

sie einlüde, zu schöpfen und zu trinken.

Vielleicht wirkt

in dieser Zeit ein solches Lebenswort, das wie mitten

hineinversetzt in die großen Schriftwahrheiten, vom Tode, als der Sünde Sold, von dem Gerichte, von der unseligen

und der seligen Ewigkeit, mehr als eine noch so vorzüg­ liche Streitschrift, welche diese biblischen Lehren erörtert

und vertheidigt. Nach der angeführten Ausgabe von Fawcett ist diese

Schrift ihrem bei weitem größten Theile nach worttreu über­ setzt; nur hie und da hat sich allerdings der Uebersetzer,

wie bei dem andern Buche von Baxter, kleine Freiheiten erlaubt, wenn ihn: einzelnes zu gedehnt, oder zu abstract

oder zu unklar erschien; oder wenn ein vom Verfaffer hingeworfener Gedanke vielleicht besser noch etwas weiter

ausgeführt worden wäre.

Er fürchtet die Mißbilligung

einsichtsvoller Leser, welche das Original vergleichen wol-

XI

len, nicht. 17ten

Die herrliche, seelenvolle Englische Sprache des

Jahrhunderts, welche Richard

Baxter als ein

Meister schreibt, ist übrigens im Ganzen leichter und treuer zu übersetzen, als die dürr abstracte, französirte der gegen­

wärtigen Zeit, welche, bis auf größere practische Ausbild­

ung, zu jener älteren ähnlich sich verhält, wie das ent­

seelte Deutsch zu Anfang des Luther's

geistvoller

Sprache.

vorigen Jahrhunderts zu

Möchte der

Uebersetzer

diese Schönheit dem Werke nicht geraubt, vor allen nie

den Geist gedämpft haben, welcher durch dies schöne Organ redete! Möchten recht viele Leser nicht bloß die herrlichen

Worte lesen, sondern dem weisen und erfahrenen Führer

die Hand reichen und ihm folgen, damit das äußerliche, schlaffe,

kränkelnde

und

ersterbende .Glaubensleben

so

Mancher in unserer Zeit durch den Geist, der auch aus diesem Geistesmanne redet, wie von Neuem erweckt, ge­

sund und himmlisch gemacht werde! — Ber lin, am 1. August 1833. ,

XII

Vorrede zur zweiten Auflage. Nach fünf Vierteljahren bereits ist eine neue Auflage

dieser Schrift nöthig geworden.

In dieser ist die Ueber«

setzung durchgängig verbessert und zum Theil treuer dem Originale angepaßt worden.

Möge dies niit so vieler Theilnahme aufgenommene

Werk noch lange unter uns segensreich wirken! Berlin, im November 1834.

Uebersicht des Inhalts. Eingang

............................................................................................

1

Erster Abschnitt. Von der Beschaffenheit der Ruhe der Hei­ ligen ..............................................................................................................5 Wir werden dort vollkommenerlöst von allem Uebel, 8; wir eireidjeii die höchste Vollkommenheit nach Leib und Seele, 9; die innige Gemeinschaft mit Gott, 9; eine selige, unablässige Thätigkeit aller Kräfte des Leibes und der Seele, 13; die Seele insbesondere genießt durch Erkenntniß, 15; Erinnerung, 18; Liebe, 19; und Freude, 23; Schluß, 26.

Zweiter Abschnitt. Die großen Vorbereitungen auf die Ruhe der Heiligen........................................................................................... 28 Die herrliche Zukunft und Erscheinung des Sohnes Gottes, 29; die Auf­ erweckung der Leiber, 33; das jüngste Gericht, 34; die Krönung der Hei­ ligen, 39.

Dritter Abschnitt.

Die Herrlichkeit der Ruhe der Heiligen .

.

42

Sie ist ein erkauftes Gut, 43; ein freies Geschenk, 45; eine Gemeinschaft der vollendeten Heiligen und der Engel, 48; alle Freude geht dort unmittelbar von Gott aus, 50; sie wird ganz unsrer Natur angemessen, 52; vollkommen, 54; und ewig seyn, 63.

Vierter Abschnitt. Wie diejenigen beschaffen sind, für welche diese Ruhe bestimmt ist . ...........................................................................66 Sie sind in Ewigkeit von Gott auserwählt, 67; vom Vater dem Sohne über geben, 67; von Neuem geboren, 68; tief durchdrungen vom Elend der Sünde, 68; der Nichtigkeit aller Hülfe von Geschöpfen, 70; und von der Nothwendig­ keit , der Allgenugsamkeit und der Herrlichkeit der Erlösung Jesu Christi, 72;ihr Wille ist erneuert, 74; sie treten mit Christo in einen Bund, 75; und beharren bis an das Ende, 76; Schlußermahnung, 79.

XIV Seite

-Fünfter Abschnitt. Das Elend derer, welche der Ruhe der Hei­ ligen verlustig gehen..................................................................... .

82

Sie büßen ein die Vollkommenheit, zu der die Heiligen gelangen, 85; Gottes Gemeinschaft, 86; alle seligen Züge zu Ihm hin, 87; die Verbindung mir den Engeln und den vollendeten Gerechten, 87; ihre Erkenntniß wird heller, 89; ihre Schätzung der Dinge eine andre, 90; ihre Gewissen zeigt ihnen aus? nachdrücklichste ihre Schuld, 91; die Stumpfheit ihres Gefühls hört auf, 92; und ihre Erinnerung wird lebhafter, 93.

Sechster Abschnitt. Wie das Eleud der Verdammten dadurch noch größer wird, daß sie nicht nur der Ruhe der Heiligen verlustig gehen, sondern auch die irdischen Freuden verlieren und die Qualen der Hölle dulden müssen.............................................. 104 Sie verlieren ihr falsches Vertrauen auf Gottes Gnade, 105; alle ihre Hoffnungen. 106; den falschen Frieden ihres Gewissens, 109; ihr fleischliches Vergnügen, 111; ihre Sinnenlust, 112; die Größe ihrer Qual zeigt sich an deren Urheber, Gott selbst, 114; dem Ort und der Art der Qual, 114; und der Ewigkeit derselben 115; Schlnßermahnnng, 119.

Siebenter Abschnitt. Die Nothwendigkeit, ernstlich nach der Ruhe der Heiligen zu trachten....................................................................122 Nachlässigkeit der Weltlichgesinnten, 123; der gottvergessenen Menge, 124; der äußerlichen Bekenner, 126; selbst der Gläubigen, 128; Gründe, die uns antreibeu sollen, nach jener Ruhe zu trachten, 132.

Achter Abschnitt. Wie wir gewiß werden können, daß wir in die ewige Ruhe eingehen werden................................................... 142 Durch Selbstprüfung ist es möglich,, zur Gewißheit zu gelangen, 147; was die Menschen davon abhält, 148; Beweggründe, nach der Gewißheit zu streben 158; Anleitung dazu 161; Kennzeichen des Gnadenstandes, 164.

Neunter Abschnitt. Die Pflicht der Kinder Gottes, Andere zu erwecken, daß sie nach der ewigen Ruhe trachten........................ 172 Wie-diese Pflicht geübt werden solle, warum sie so vernachlässigt werde, 185; Beweggründe dazu, 191; Schlußermahnung, 194.

XV Seite

Zehnter Abschnitt.

Die Ruhe der Heiligen darf nicht auf Erden

erwartet werden................................................................................... 205 Cs ist angemessen, daß wir in diesem Leben Trübsale leiden, denn: sie der Weg zur Ruhe, 206; sie bewahren vor dem Vergessen des Zieles, sie sind Gottes wirksamstes Zuchtmittel, 208; beschleunigen unsere Schritte, kränken nur unser Fleisch, 209; schließen den süßesten Vorschmack der ewigen Ruhe in sich, 210; und machen uns dem Heilande ähnlich, 213. — II. Wer in den zeitlichen Freuden seine Ruhe sucht, macht sie zu seinem Ab­ gott, 217; widerstrebt Gottes Absicht, 218; nöthigt Gott, sie ihm zu versagen, 219; würde den schwersten Fluch auf sich ziehen, wenn er seinen Wunsch erhielte, 220; und sucht die Ruhe, wo sie nicht zu finden ist, 221; ohne den Schöpfer würden die Geschöpfe unser Elend nur vermehren, 223; alles dies bestätigt die Erfahrung, 224; Ermahnung, 225. — III. Wie thöricht unser Widerwille vor dem Sterben sey, 228. I. sind 207; 209;

Elster Abschnitt.

Wie wichtig es sey, ein himmlisches Leben

auf Erden zu führen.........................................................................243 Das Trachten nach dem Himmel ist die beständige Frucht eines ungefärbten Glaubens, 247; das Köstlichste in der Gesinnung eines Christen, 248; der Weg zum seligsten Leben auf Erden, 249; die beste Bewahrung in der An­ fechtung, 252; belebt alle unsre Gnadengaben und Anstrengungen, 258; gibt den süßesten Trost in Trübsal, 261; setzt uns Andern am meisten zum Segen 264; und verherrlicht Gott an uns, 267; das Gegentheil ist eine Uebertretung der Gebote Gottes, und beraubt uns des Lichts aus seinem Worte, 269; Gottes Herz ist stets auf uns gerichtet, so sollte unser Herz auch auf Ihn gerichtet seyn, 271; nach dem Himmel zieht uns so vieles, 272; außer dem Himmel gibt es nichts Begehrenswerthes für uns, 276.

Zwölfter Abschnitt. Anweisungen, wie man ein himmlisches Leben auf Erden führen möge.........................................................279 I. Meide die Hindernisse: das Leben in wissentlicher Sünde, 280; irdischen Sinn, 281; die Gemeinschaft der Ungläubigen, 283; ein Christenthum, das bloß im Wissen besteht, 286; einen stolzen, hochfahrenden Geist, 288; einen Geist der Trägheit, 291; das Dich-begnügen mit den Vorbereitungen, 295. — II. Geh fleißig den Weg dahin: präg dir ein, daß dein Schatz im Himmel ist, 297; werde darüber gewiß, daß das Erbe der Heiligen dein sey, 298; bedenke, wie nahe dir die Ruhe ist, 301; mache sie oft und ernstlich zum Gegen­ stand deiner Gespräche, 302; laß die Gnadenmittel dir dienen, dein Verlangen danach zu vermehren 304; was bir begegnet, wende dazu an, 306; weTe oft

XVI Seite im Engelsgeschäft des Lobens und Dankens, 308; sieh zu, daß deine Seele mit gläubigen Gedanken von Gottes Liebe erfüllt sey, 310; beobachte treu die Regungen des Geistes Gottes in deinem Herzen, 311; sorge auch auf die rechte Weise für deinen Leib, 312.

Dreizehnter Abschnitt.

Wie die Betrachtung himmlischer Dinge

beschaffen seyn müsse.........................................................................315 Die rechte Art einer solchen Betrachtung, 316; die rechte Zeit dazu: eine bestimmte, 321; oft wiederkehrende, 321; die passendste 324; der rechte Ort, 330; die rechte Fassung der Seele dabei, 332; Entfernung von welt­

lichen Gedanken, 333; Ernst, 334.

Vierzehnter Abschnitt. Wodurch die Betrachtung der himmlischen Dinge in uns geweckt, genährt und gefördert werde .... 337 1) Durch Nachdenken; 338; denn: es thut die Thür auf zwischen Kopf und Herzen, 338; übergibt die erkannte Wahrheit der Empfindung, 339; stellt

die wichtigsten Wahrheiten aufs erschütterndste uns vor Augen, 339; gibt dem Geiste in uns die ihm gebührende Herrschaft, 340; macht den Geist thätig und kräftig, 341; muß aber beharrlich seyn, 341; 2) durch Erweckung der Empfindung, 342; und zwar der Liebe, 343 ; der Sehnsucht, 347; der Hoffnung, 350; der Zuversicht, 353; der Freude, 355; 3) durch Selbst­ gespräch, 360; und Gebet, 362.

Fünfzehnter Abschnitt. Wie auch äußere Dinge die Betrachtung der ewigen Ruhe anregen sollen, und wie man sich dabei vor der Arglist des Herzens bewahren möge.........................................364 Wie wir aus den sinnlichen Dingen Bilder der himmlischen entnehmen, 366; und sie mit den Gegenständen des Glaubens zusammenhalten sollen, 368; wie wir uns bewahren mögen vor dem Widerwillen gegen die Betrach­ tung, 384; dem Zuleichtnehmen, 387; dem Abschweifen, 388; dem schnellen Abbrechen, 389.

Sechszehnter Abschnitt. Beispiel einer Betrachtung der himm­ lischen Dinge, und Schluß des Werkes........................................ 391

Vie ewige Nutze der Heiligen. „Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volk« GotteS." Hebr. 4, 9.

Die Menschen sind von Natur blind; nicht nur ihres

Antheils an Gott, ihrer seligen Gemeinschaft mit ihm sind sie durch Adams Fall verlustig gegangen, sondern auch selbst des Verlangens nach diesem ihrem wahren Glück. Wenn der Sohn Gottes kommt mit seiner erlösenden Gnade, und eine geistliche, ewige Seligkeit und Herrlichkeit offenbart, so findet er keinen Glauben auf Erden, der die Menschen mit Sehnsucht danach erfüllte. Wie ein armer Bettler sich gar nicht denken kann, daß es Leute gebe, die eine so große Summe, wie tausend Thaler, besitzen, weil sie so weit alles, was er hat, übersteigt: so können jetzt die Men­ schen es sich gewöhnlich gar nicht denken, daß es eine solche Glückseligkeit gebe, als die war, welche sie einst hatten, und noch viel weniger, als die ist, welche ihnen Christus erworben hat. Da Gott den Israeliten verhieß, daß sie eingehen sollten in seine Ruhe, in das Land, wo Milch und Honig floß, da war es schwerer für sie, daran zu Baxter, Ruhe der Heiligen. 1

2 glauben, daß ein solches Land ihnen bestimmt sey, als nachher, ihre Feinde zu überwältigen. Und als sie nun dies Land der Ruhe besaßen, diesen schwachen Vorschmack und dies Unterpfand der unvergleichlich herrlicheren Ruhe, die sie in Christo haben sollten: so glaubten sie auch wie­ der nicht mehr, als sie sahen, sondern sagten, wie der Schlemmer bei einem fetten Bissen: Es giebt keine grö­ ßere Seligkeit als diese! Oder erwarteten sie auch mehr vom Messias, als sie schon hatten: so war es nur größere Herrlichkeit auf Erden. Gegen diese Verkehrtheit richtet der Apostel einen großen Theil des Briefs an die Hebräer, und zeigt deutlich und umständlich, wie alles äußere Ge­ pränge, alle Schatten des Alten Bundes nur hinleiten sollten zu dem Körper, Jesus Christus, wie die Ruhe des Sabbaths und die Ruhe in Canaan nur reizen sollte, sich zu sehnen nach einer zukünftigen Ruhe, welche ihre wahre Seligkeit sey. Mein Text beschließt seine lange Ausfüh­ rung und dieser Schluß enthält den Grund alles Trostes für die Gläubigen, das Ziel aller ihrer Kämpfe und Lei­ den, das Herz und die Summe aller Verheißungen des Evangeliums, aller Segnungen des Christenthums. Was giebt es Willkommneres für Betrübte, für Arbeitende und Kämpfende, für Leidende und Gequälte, als Ruhe? Was uns Kraft giebt für die Erfüllung der göttlichen Gebote und Ausdauer in unseren Trübsalen, was uns zum Preise Gottes und zur Liebe und Dankbarkeit gegen ihn entzün­ det, die Seele unseres ganzen Christenlebens, ist der le­ bendige, feste Glaube an diese Ruhe. Nun, Leser, was du

3 auch seyst, jung oder alt, reich oder arm, ich fordere dich auf, im Namen des Herrn, der bald dich zur Rechenschaft ziehen, und deinen Zustand für die Ewigkeit bestimmen wird, lies dies nicht blos, und leg es dann bei Seite mit einer kalten Billigung; sondern tritt heran ans Werk, suche Gott in Christo als deine einzige Ruhe, und richte dein Herz allein_auf Ihn. Möge der lebendige Gott, der das Erbe und die Ruhe seiner Heiligen ist, unseren fleisch­ lichen Sinn so geistlich machen, und unsere irdischen Her­

zen so himmlisch, daß die Liebe zu Ihm und die Freude an Ihm unser Leben werde, und weder ich, der ich dies schreibe, noch du, der du dies liesest, je abirren von diesem Wege des Lebens, damit wir die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, nicht versäumen, und unser keiner dahin­ ten bleibe! Die Ruhe der Heiligung ist die Vollendung der Selig­ keit des Christen; sie ist die vollkommene, ewige, selige Gemeinschaft der Heiligen mit Gott nach dem Maße ihrer Fähigkeit, zu dem ihre Seele im Tode, und Leib und Seele vollkommen gelangt durch die Auferstehung und das

jüngste Gericht. Die Beschaffenheit dieser Ruhe soll der erste Abschnit zeigen; der zweite, die Vorbereitungen dazu; der dritte, die Herrlichkeit derselben; der vierte,

für wen sie bestimmt sey. Um diese Dinge noch mehr zu erläutern, soll im fünften Abschnitt das Elend derer beschrieben werden, welche dieser Ruhe verlustig gehen: und im sechsten, wie ihr Elend dadurch noch größer

Hebr. 4, 1.

4 werde, daß sie die irdischen Freuden verlassen, und die Qualen der Hölle leiden müssen. Dann wird der sie­ bente Abschnitt die Nothwendigkeit zeigen, ernstlich nach dieser Ruhe zu trachten; der achte, wie wir gewiß wer­ den können, daß wir sie erlangen; der neunte, wie die­ jenigen, welche dessen gewiß geworden sind, andere erwe­ cken sollen, darnach zu trachten; und der zehnte, wie man auf Erden diese Ruhe nicht erwarten dürfe; daran wird sich im elften Abschnitt eine Betrachtung darüber anschließen, wie wichtig es sey, ein himmlisches Leben auf Erden zu führen; im zwölften wird gezeigt werden, wie man ein solches Leben führen möge; im dreizehn­ ten, wie die Betrachtung himmlischer Dinge beschaffen seyn müsse; im vierzehnten, wodurch sie geweckt, genährt und gefördert werde; im fünfzehnten, wie auch äußere Dinge sie anregen sollen, und wie man sich vor der Arg­ list des Herzens dabei bewahren möge. Im sechzehn­ ten Abschnitt wird ein Beispiel der Betrachtung himmli­ scher Dinge gegeben, und damit das ganze Werk beschloffen werden.

5

Erster Abschnitt.

Bon der Beschaffenheit der Ruhe der Heiligen. Wollen wir von der Beschaffenheit dieser Ruhe spre­ chen, so setzt das nothwendig Einiges voraus. 1) Sterb­ liche Menschen sind es, die nach dieser Ruhe trachten; denn die Engel und die verklärten Geister besitzen sie schon, und die Teufel und die Verdammten haben keine Hoffnung mehr. 2) Die diese Ruhe suchen, deren einziges Ziel und deren Seligkeit muß Gott allein sein. Die ir­ gend etwas anderes für ihre Seligkeit halten, die sind vom ersten Schritt an aus dem Irrwege. 3) Sie müssen wissen, daß sie noch fern sind von ihrem Ziel. Das ist der elende Zustand aller Menschen nach dem Fall. Wenn Christus kommt mit seiner erneuernden Gnade, so findet er niemand still sitzend; sondern alle ziehen ins ewige Verderben und eilen auf die Hölle zu, bis Er durch die Wirkung seines Geistes Buße in ihnen erweckt, sie zum Stillestehen bringt, und ihre Herzen zu sich bekehrt. Nie­ mals ist jemand den Weg zum Himmel gegangen, der nicht inne wurde, er sey noch ohne Gott und auf dem

6

Wege zur Hölle. Der Grund, warum so viele von dieser Ruhe werden ausgeschloffen werden, ist eben der, weil sie nicht inne werden, daß sie noch kein Anrecht darauf empfangen haben, und weil sie dagegen alles thun, um sie nicht zu erlangen. „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken." — 4) Sie müssen ferner wissen, daß ohne Gott sie nichts vermögen; wer das nicht weiß, steht still, und eilt nicht auf diese Ruhe zu. Wir sind untüchtig, von uns selber etwas zu denken, als von uns selber; was wir tüchtig sind, ist allein von Gott. „Ohne mich," sagt Christus, könnt ihr nichts thun." — 5) Es muß in den Herzen derer, welche auf diese Ruhe zueilen, ein neues Leben erwacht seyn. Gott bewegt die Menschen nicht wie die Steine, sondern er schenkt ihnen Le­ ben; nicht, daß sie Kraft empfangen, ohne Ihn etwas zu thun, sondern durch Ihn und in Ihm. — 6) Das Ver­ langen der Seele muß wirklich ganz darauf gerichtet seyn, und ihr Ringen danach anhaltend und ausdauernd. Wer sein Pfund vergräbt, wird den Lohn eines faulen Knechts empfangen. Christus ist die Thür und der einzige Weg zur himmlischen Ruhe; aber eng ist die Pforte und schmal der Weg; ringen müssen wir daher, um einzugehen, denn viele werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht thun können; das zeigt uns, daß das Him­ melreich Gewalt leidet, und die ihm Gewalt thun, die reißen es zu sich. Und wenn wir im Geiste anfangen, im Matth. 9, 12. — 2 Cor. 3, 5. — Joh. 15, 5. — Matth. 7, 14. — Luk. 13, 24. — Matth. 11, 12. — Gal. 3, 3.

7 Fleische aber vollenden, so kommen wir auch nicht ans Ziel. Nur wer beharret bis ans Ende, der wird selig. — Alles dies muß voraus gesetzt werden, wenn ein Christ die Gewißheit, einzugehen in die himmlische Ruhe, empfan­ gen soll. Nun sind wir die Stufen zu dem Vorhof hinange­ stiegen, dürfen.wir jetzt wohl in das Heiligthum selbst ein­ treten? Dürfen wir und können wir eben so leicht darstel­ len, wie diese Ruhe beschaffen ist, als was sie nothwendig voraussetzt? Ach, wie wenig weiß ich von jener Herrlich­ keit! Paulus erhielt einen Blick hinein und hörte unaus­ sprechliche Morte. Hätte er von himmlischen Dingen in himmlischer Sprache geredet, und keiner hätte diese Sprache verstanden, was hätte es uns geholfen? Der Herr offen­ bare mir, was ich euch offenbaren soll! Der Herr gebe mir einen Strahl seines Lichtes, der uns unser Erbe im Lichte zeige! Nicht blos, wie dem Bileam, der sahe, wie schön die Hütten Jacobs und die Wohnungen Israels waren, an denen er keinen Theil hatte, und von denen aus er Tod und Verderben empfangen sollte; nicht blos, wie dem Moses auf Nebo, wo er das Land Canaan sah, ohne daß er hinein kommen durfte; sondern wie dem Kaufmann, der gute Perlen suchte, die Eine köstliche Perle gezeigt wurde, so daß er keine Ruhe hatte, bis er verkaufte alles, was er hatte und kaufte diese Perle; wie dem Stephanus der Himmel sich aufthat, in den er bald eingehen, und die Herrlichkeit sich offenbarte, die ihm zu Theil werden sollte! — Match. 24, 13.

8 In der himmlischen Ruhe werden wir vollkom­ men erlöst von allem Uebel; wir erreichen die höchste Stufe der Vollkommenheit, nach Leib und Seele; wir erlangen die völlige Gemein­ schaft mit Gott, dem höchsten Gute; und eine selige, unablässige Thätigkeit aller Kräfte des Leibes und der Seele in der Gemeinschaft mit Gott.

1. Wir werden in der himmlischen Ruhe erlöst von allem Uebel, von allem Uebel, das bei unserm Laufe durch das irdische Leben uns begleitete, und die nothwendige Folge unsrer Entfremdung von dem höchsten Gut war, und von dem ungleich größeren Elend des ewi­ gen Feuers und des endlosen Verderbens, welches allen denen zu Theil wird, die Christum und seine Gnade verschmäheten: von dem jammervollen Erbtheil, das nach un­ serer angeborenen und wirklichen Sünde uns nicht min­ der, als ihnen gebührte. In dem Himmel geht nichts Unheiliges und das da Greuel thut, alles das bleibt drau­ ßen. Da giebt es keinen Schmerz und keine Klage, kein bleiches Gesicht, keinen siegen Leib, keine matten Glieder, keine unreife unvermögende Kindheit, kein welkes Alter, keine ängstigende Furcht, keine verzehrende Sorge, kein, gar kein Uebel. Wir weinten und heulten, als die Welt sich freute; aber unser Schmerz ist dann in Freude ver­ kehrt, und unsre Freude wird niemand von uns nehmen. Off. 21, 7. 22, 15. — Joh. 16, 20. 22.

9 2. In dieser Ruhe erreichen wir die höchste Stufe der Vollkommenheit nach Leib und Seele. Wäre die Herrlichkeit noch so groß, wir aber unfähig, sie zu ge­ nießen, so würde es uns wenig helfen. Kein Auge hat gesehen, kein Ohr hat gehört, und ist in keines Menschen Herz gekommen, wos Gott bereitet hat denen, die ihn lie­ ben. Denn des Fleisches Auge kann es nicht sehen, dies unser Ohr kann es nicht hören, dies unser Herz es nicht vernehmen; aber dann wird Auge, Ohr und Herz dazu fähig seyn — wie sollten sie sonst den Genuß davon ha­ ben? Je vollkommener das aus erblicken, und an dieser Aussicht sich erquicken; aber ewig! — das ist ein unerträglicher Gedanke. Die Sün­ der wußten es, daß es das ewige Reich Gottes war, was sie von sich stießen; daß es die Gebote des ewigen Gottes waren, welche sie übertraten; was Wunder, wenn sie nun auf ewig ausgeschloffen werden aus dem Reiche Gottes? Predigten und Gebete dünkten ihnen auf Erden so lang; wie lang werden ihnen nun erst diese Qualen erscheinen! Wie kurz waren ihre Freuden, und wie lang sind nun diese Leiden! Die Freuden dauerten einen Augenblick, und die Leiden durch alle Ewigkeit. Sünder, denket daran, daß eure Zeit vielleicht bald abgelaufen ist! Ihr stehet an der Thür der Ewigkeit; der Tod wartet drinnen, um die Thür aufzuschließen, und euch hineinzuziehen. Ein Paar Nächte schlafet ihr noch, und ein Paar Morgen stehet ihr noch wieder auf, dann werden eure Tage und Nächte zu Ende seyn; eure täglichen Gedanken und Sorgen und Freuden verschlingt dann alle die Ewigkeit, und ihr tretet hinüber in einen unveränderlichen Zustand. Wie die Him­ melsfreuden weit erhaben sind über unsere Vorstellungen, so auch die Qualen der Hölle. Eine ewige Qual ist auch eine unnennbare Qual. Aber mir ist, als hörte ich hier einen verstockten Sün­ der sagen: „Wenn ich denn doch einmal verdammt werde, so hilft nichts dagegen; so will ichs denn lieber

117 darauf ankommen lasten, als daß ich mich bequemen sollte, so zu leben, wie es die heilige Schrift verlangt; es mag mir gehen, wie es so vielen andern neben mir ergeht, wir wollen versuchen, es zu ertragen, so gut wir können." Ach, du Armer, erlaube mir, ehe du einen so fürchterlichen

Entschluß fastest, dir noch einige Fragen vorzulegen; er­

wäge sie und beantworte sie, als ein vernünftiger Mensch. — Wer bist du, der du meinest, du könntest den Zorn Gottes ertragen? Bist du Gott, oder ein Mensch ? Oder was für Kraft hast du? Ist sie nicht wie Wachs, oder wie Stroh im Feuer? Oder wie Spreu im Sturme? Oder wie Staub im Wirbelwind? Wäre deine Kraft ei­ sern und deine Gebeine ehern, ständen deine Füße fest,

wie die Erde, und umspannten [betne Arme den Himmel: doch würdest du umkommen vor dem Hauche Seines Mun­ des! Und nun bist du doch nichts, als ein wenig belebter Staub, den in einigen Tagen die Würmer verzehren, und der nur durch besten Gnade aufrecht dasteht, dem du so freventlich widerstrebst! — Zitterst du nicht oft vor den schwachen Zeichen der 'Allmacht, die wir in der Natur wahrnehmen? Wenn der Blitz daniederfährt, wenn der

Donner rollt? Wenn die unsichtbare Macht eines Erd­ bebens die festesten Häuser umwirft? Wenn die Pest um dich her wüthet? Hättest du die egyptischen Plagen ge­

sehen, oder wie Dathan und Abiram |»on der Erde ver­ schlungen wurden, oder wie Elias Feuer vom Himmel fallen ließ — würdest du nicht von Furcht und Entsetzen ergriffen worden seyn? Wie meinest du denn, du werdest

118 die Höllenstrafen ertragen können? Wie wirft dich jetzt oft ein kleines Leiden darnieder l Ein Zahnweh, ein Anfall von Gicht oder Stein, der Verlust eines Gliedes, das Ver­ sinken in Armuth oder Schande! Und doch, häuftest du auch das alles zusammen, du würdest es in der Hölle für lauter Glück halten gegen die Qualen, welche dort dich treffen. Hast du nie einen Menschen in Verzweiflung ge­ sehen? Dem schmeckt kein Effen noch Trinken: der Anblick von Menschen quält ihn; er ist des Lebens überdrüssig und fürchtet sich vor dem Tode. Wäre nun die Verdammniß in der Hölle erträglich, warum sollte denn die­ ser Vorschmack der Verdammniß so unleidlich seyn? Wäre der Zorn Gottes eine so leichte Sache, warum war er denn dem Sohne Gottes so schwer zu tragen? Er schwitzte so, daß sein Schweiß ward wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen. Der Fürst des Lebens rief aus: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod!" Und am Kreuze: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Konnte einer diese Qualen leicht ertragen, so war es Christus; er hatte doch ein anderes Maß von Kraft dazu, als du hast. Wehe dir, Sünder, in deiner tollen Sicher­ heit! Meinst du, dir wird es leicht werden, was Christo so schwer ward? Ja siehe, der Sohn Gottes ^eräth in Todesangst, er schwitzt Blutstropfen, indem er danieder­ sinkt unter dem Fluche des Gesetzes, und du, ohnmächti­ ges, thörichtes Geschöpf, meinest, es werde leichter seyn, wenn dich der Fluch, nicht blos des Gesetzes, sondern auch Luc. 22, 44. - Matth. 26, 38. — Matth. 27, 46.

119 des Neuen Bundes trifft, daß du den Sohn Gottes ver­ achtet und das Blut des Neuen Testaments für unrein geachtelt hast? O möchte der gütige Herr dir Gnade geben zur Buße, sonst möchte dein hellerer Blick dir dereinst theuer zu stehen kommen! Und nun, lieber Leser, denke nach und entschließe dich

— was willst du zu all' diesem sagen? Soll es vergeb­ lich zu dir gesprochen seyn — oder willst du es ernsthaft erwägen? Manche Warnung Gottes hast du in den Wind geschlagen, willst du es mit dieser auch so machen? Nimm dich in Acht, Gott wird nicht immer blos warnend und drohend dastehen; die Hand der Rache ist aufgehoben, der Schlag wird fallen, und wehe

dem,

welchen er trifft!

Willst du etwa dies Buch wegwerfen und sagen: Es spricht von nichts, als von Hölle und Verdammniß? Solche

Klagen hast du über manchen Prediger auch schon geführt.

Sollten wir dir aber nichts davon sagen? Sollten wir schuldig seyn an deinem Blute, indem wir von dem schwie­ gen, was Gott uns zü verkündigen befohlen hat? Aber frage doch lieber, ob das alles wahr sey, oder nicht? Ist

es nicht wahr, nun, dann will ich gern mich mit dir gegen diejenigen verbinden, welche den Leuten unnöthige Angst machen. Sind diese Drohungen aber Gottes Wort, was bist du denn für ein elender Mensch, daß du darauf nicht hören und es nicht erwägen willst? Gehörst du zu dem Volke Gottes, dann wird diese Lehre ein Trost, und Hebr. 10, 29.

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nicht ein Schrecken für dich seyn. Bist du aber noch nicht wiedergeboren, dann solltest du dich eben so sehr davor fürchten, von dem Himmel zu hören, als von der Hölle, wenn du anders dich nicht mit den bloßen Namen Him­ mel und Erlösung abspeisen lassen willst. Wenn man dir den Himmel [unb die Gnade Gottes verkündigt, so bittet man dich damit, sie zu suchen, nicht sie von dir zu stoßen, wenn man die Hölle dir predigt, so bittet man dich, ihr zu entrinnen. Hättest du keine Hoffnung mehr, ihr zu entgehen, dann wäre es vergebens, dir von der Hölle zu predigen; aber so lange du lebest, ist noch Hoffnnng da, daß du dich bekehrest, und darum muß man alles anwen­ den, dich aus deinem Schlafe zu wecken. Ach, wer kann es sich vorstellen, welche Zunge kann es ausdrücken, wie einer armen Seele zu Muthe seyn wird, die sich unter dem Zorne Gottes befindet! Da werdet ihr zu Christ» schreien, ihr Sünder: „Ach Gnade! Erbarmen über meine arme Seele!" Seht, so rufe ich jetzt, im Namen des Herrn Jesu euch zu: „Hab' Mittleid, erbarme dich Mensch, deiner eignen armen Seele!" Wie? soll Gott mit dir Mitleid haben, da du selbst kein Mitleid mit dir haben willst? Wer kann vor Seinem Zorne stehen und vor Seinem Grimm bleiben? Sein Zorn brennet, wie Feuer, und die Felsen zerspringen vor ihm. Mich dünkt, es bedürfte keiner weiteren Worte: wirf weg die Sünden, die deine Seele ins Verderben stürzen. Nah. 1, 6.

121 und übergib dich Christo ganz und gar.

Entschließe dich

gleich, und setze es ins Werk, damit ich auch dich in der Ruhe der Heiligen erblicke. Möge der Herr dein Herz überzeugen und gewinnen, daß du diesen Bund mit ihm

schließest ohne allen weiteren Aufschub! Verhärtest du dich aber bis zum Tode, und es ist dann keine Rettung mehr für dich, so sage auch nicht dereinst, daß du nicht treulich gewarnt worden seyest, und keinen Freund gehabt habest, der es von Herzen wünschte, du möchtest der Verdammniß entrinnen.

122

Siebenter Abschnitt.

Die Nothwendigkeit, ernstlich nach der Ruhe der Hei­ ligen zn trachten. Wenn denn eine so herrliche Ruhe vorhanden ist für das Volk Gottes, warum trachten die Menschen denn nicht eifriger danach? Man sollte denken, wenn einer nur ein einziges Mal von solch einer unaussprechlichen Herrlichkeit hörte, und wie leicht man sie erlangen könnte, und glaubte, daß dies wahr sey, so müßte ein so großes Ver­ langen in ihm danach entbrennen, daß er fast Essen und Trinken darüber vergäße, und sich um nichts anderes be­ kümmerte, und von nichts anderem spräche und nach nichts anderem fragte, als wie er doch zu diesem Schatze kom­ men möchte. Und doch bekümmern sich die Leute, die täglich davon hören, und bekennen, daß es ein Hauptstück ihres Glaubens ist, so wenig darum, und trachten so we­ nig danach, als hätten sie nie von dergleichen gehört, oder glaubten kein Wort davon. Dieser Iorwurf trifft ins­ besondere die Weltlichgesinnten — die gottver-

123 gessene Menge — die äußerlichen Bekenner — und selbst die Gläubigen. 1. Die Weltlichgesinnten sind so sehr mit den irdischen Dingen beschäftigt und davon eingenommen, daß sie weder Herz noch Zeit haben, nach dieser Ruhe zu trachten. O ihr thörichten Sünder, wer hat euch so be­ zaubert? Die Welt verzaubert die Menschen zu Thieren, und nimmt ihnen alle sUeberlegung. Welch ein Rennen und Jagen, welch ein Haschen und Greifen nach einem Nichts, während die ewige Ruhe vergessen liegt! Wie müht man sich und drängt sich, um eine Stufe höher in der Welt zu stehen, nur nach der königlichen Würde der Hei­ ligen Gottes fragt man nicht! Welch unersättlicher Durst nach Fleischeslust — und das Lob Gottes und die Freude der Engel erscheint als eine mühselige Last! Wie steht man früh auf und sitzt bis spät in die Nacht und arbeitet von Jahr zu Jahr, um sich und seine Kinder in Ehre und Wohlstand bis an den Tod zu erhalten — aber an das, was dann folgt, denkt niemand! Wie früh weckt man seine Knechte und Mägde zur Arbeit — aber wie selten oder nie ruft man sie zum Gebete oder zum Bibellesen! Was hat die Welt denn ihren Freunden und Liebhabern gethan, daß man ihr so emsig nachläuft, so mühsam nach ihr trachtet; und Christus und sein Himmel stehen da, und wenige nur sehen sich nach ihnen um? Was wird die Welt für sie in Zukunft thun? Mit Schmerz und Wei­ nen kommen wir in die Welt; mit viel Sorge und Kum­ mer ziehen wir durch sie hin; und der Austritt aus ihr

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ist das Bitterste von allem. Ach ihr thörichten, bezau­ berten Menschen I Werdet ihr die Freude und Lust mit euren Händen festhalten können? Werden Gold und Sil­ ber und weltliche Ehre als eure treuesten Freunde sich be­ weisen zur Zeit eurer größten Noth? Werden sie es hö­ ren, wenn ihr in der Angst um Hülfe schreiet? Werden sie in der Todesstunde euch antworten oder euch retten? Werden sie euch in jene Welt begleiten, und den Richter dort bestechen, und euch frei machen im Gericht, und einen Platz unter den Seligen euch verschaffen? Warum sehnte sich der reiche Mann nach Einem Tropfen Wassers, um damit seine Zunge zu kühlen! O du blinde, betrügerische Welt! Wie oft hat man deine treuesten Diener zuletzt klagen hören: „Ach, wie hat mich die Welt betrogen. Sie schmeichelte mir mit Glück, aber nun verläßt sie mich in meiner Noth. Hätte ich Christo so treu gedient, als ich ihr gedient habe, er würde mich nicht so ohne Trost und ohne Hoffnung gelaffen haben."*) So klagen sie; aber die Sünder, die ihnen folgen, wollen sich nicht war­ nen lassen. 2. Der gottvergessenen Menge kann man nicht einmal so weit das Christenthum wichtig machen, daß sie äußerlich die Gnadenmittel benutzt. Wird das Evangelium an dem Orte gepredigt, wo sie wohnen, so *) Der einst so mächtige Cardinal Wolfe y, erster Minister König Heinrichs XIII. von England, klagte, nach seinem Sturze, auf feinem Todtbette: „Hätte ich Christo so gedient, wie ich meinem Könige ge­ dient habe, er würde mich jetzt gewiß nicht im Tode verlassen."

125 hören sie es einmal vielleicht, das andere Mal bleiben sie wieder zu Hause; ist der Hausherr, der Meister in die Kirche gegangen, dann müssen die andern zu Hause blei­ ben. Und fehlt es an ihrem Wohnorte an der lebendigen

kräftigen Predigt des Evangeliums, wie wenige gehen auch nur eine Viertelmeile weit, um es zu hören, obwohl

sie viel weiter zu Markte gehen! Sie wissen, die heilige Schrift ist das Wort Gottes, wonach sie gerichtet werden, und daß der Mann selig ist, der „Lust hat zum Gesetze des Herrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht;" dennoch mögen sie sich nicht die Mühe nehmen, auch nur Ein Capitel täglich zu lesen. Obwohl Gottes Wort sagt:

„Betet ohne Unterlaß;" — so mögen sie doch weder mit Daniel ließ sich lieber in die Löwengrube werfen, als sich das dreima­ lige Gebet an jedem Tage verbieten; aber sie wollen lie­ ber dem brüllenden Löwen, dem Satan, auf ewig zum Raube werden, als nach ihrer Sicherheit durch Gebet trachten. Oder ihr kaltes, herzloses Gebet fordert Gott heraus, sein Angesicht vor ihnen zu verbergen; denn auch

ihren Familien, noch in der Stille beten.

unter Menschen ist es ja angenommen, daß wer nur obenhin und selten bittet, damit zeigt, daß er nicht viel

fragt nach dem, was er bittet. So erklären sich diejenigen selbst des Himmels unwerth, die ihn nicht ihrer inbrünsti­ gen und anhaltenden Gebete werth halten. Würde jede Thür gezeichnet, wo eine Familie wohnt, die Morgens und Abends nicht gemeinschaftlich im Gebet den Herrn

Ps. 1, 2. — 1 Thess. 5, 17. — Dan. 6.

126 sucht, damit über solche gottlose Familien der Zorn Got­

tes ausgeschüttet werde, bald würden unsre Städte aus­ sehen, als wären sie von der Pest verheert; unter zehn Häusern würde kaum eines entgehen. Ja könnte man sehen, was die Menschen in ihrem verborgenen Kämmer­

lein thun, wie wenige in einer ganzen Stadt würden sich finden, die täglich auch nur eine Viertelstunde Gott ernst­ lich um das Heil ihrer Seelen anrufen? O wie gering­ schätzig behandeln alle solche Leute die ewige Ruhe! 3. Eine dritte Klasse sind die äußerlichen Be­ kenner, die man zu manchen äußeren Uebungen des Christenthums bringen kann, nie aber zu dem Werke der Herzensbekehrung und der Heiligung. Sie predigen, oder hören und lesen und reden vom Himmel, beten auch wohl mit den Ihrigen, verbinden sich mit andern zu guten Zwecken, ja, wünschen, zu den Gläubigen gerechnet zu werden; aber nichts kann sie zu der Erfüllung der inner­ licheren, geistlicheren Christenpflichten bewegen: zu Treue und Inbrunst im stillen Gebet und Betrachtung; zu ge­ wissenhafter Selbstprüfung; zum Trachten nach dem, was droben ist; zur Wachsamkeit über ihre Herzen, Worte und Wege; zur Kreuzigung des Fleisches mit seinen Lüsten und Begierden; ihre Feinde von Herzen zu lieben und ihnen zu vergeben; die Brüder höher zu achten, als sich selbst; alles, was sie haben, thun und sind, zu Christi Fü­ ßen niederzulegen, und Seinen Dienst allem andern vor­ zuziehen; auf den Tod sich vorzubereiten; und willig von allem zu scheiden, um bei Christo zu seyn. — Nimmt

127 ein solcher äußerlicher Bekenner das Evangelium auch auf mit Freuden, so läßt er es nicht tiefer dringen, als in die

Oberfläche; er bekommt neue Ansichten, neue Augenlust, aber es schmelzt sein Herz nicht um, und Christus ge­ winnt keine Gestalt darin. Und wie sein Christenthum vornehmlich in Ansichten besteht, so dreht sich auch darum seine Thätigkeit und sein Gespräch. Er streitet lieber ohne innere Erfahrung über dunklere Gegenstände, als daß er

in Demuth und Gehorsam die erkannte Wahrheit sich zu­ eignete. Und so nimmt ihn denn der Wind der Anfech­ tung schnell und leicht mit sich fort, wie eine Feder, weil sein Herz nicht auf Christum und Seine Gnade gegrün­ det ist. Er beweinet nicht täglich im Stillen seine Ge­

brechen, bekennt nicht in tiefer Beschämung seine Undank­ barkeit gegen Christum; sondern er sammelt sich seinen, vornehmsten Trost aus seiner Stellung zu anderen Gläu­

bigen, aus dem, was sie von ihm halten, aus seiner Be­ schäftigung mit den Angelegenheiten des Reiches Gottes. —

Dasselbe gilt auch von dem weltlich gesinnten Heuchler, der das Evangelium erstickt unter den Sorgen und Lüsten der Welt. Er fühlt, daß er Glauben haben muß, um selig zu werden; darum liest er und hört er und betet er und

verläßt seine früheren Verbindungen; bei dem allen will er aber nicht loslasien von den zeitlichen Dingen. Sein Verstand sagt ihm: Gott ist das höchste Gut; aber sein Herz und seine Neigungen sagen nicht so; über sie herrscht die Welt, und darum ist sie sein Gott. Rennt und läuft er auch nicht nach neuen Meinungen, wie der andre, so

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ist er doch immer für die Meinung, die seinem weltlichen Vortheil am besten dient. Wie matt ist ein solcher im Gebet! Wie oberflächlich in der Selbstprüfung und Be­ trachtung! Wie kalt ist seine Liebe, seine Freude, sein Verlangen nach Gott! 4. Ja, selbst die Gläubigen trachten viel zu schläfrig nach ihrer ewigen Ruhe. Ach, welch ein Mißver­ hältniß ist in uns zwischen Licht und Wärme! zwischen Bekenntniß und Wandel! Wer eilet und läuft wohl nach dem Kleinod, als gälte es, den Himmel erobern? Wie stehen wir doch so stille! Wie sind wir doch so träge zur Arbeit! Wie schwatzen und spaßen und lachen wir unsre Gnadenzeit hinweg! Wie halbherzig thun wir Gottes Werk! Wie hören wir, als hörten wir nicht; beten, als beteten wir nicht, denken an die Sünde, als wäre es et­ was anders, und genießen Christum, als genössen wir ihn nicht! Ja, mit dem Heiland und den himmlischen Din­ gen machen wir es grade, wie der Apostel will, daß wir es mit dem irdischen machen sollen (1 Cor. 7, .29. 30.). Was für eine eisige Kälte hat uns ergriffen! Wir sterben täglich und merken es nicht; wir stehen an der Thür, die zur ewigen Seligkeit oder Verdammniß führt, und wissen es nicht, der Tod klopft an, und wir hören es nicht; Gott und Christus rufen uns zu: „Heute, wenn ihr meine Stimme höret, so verstocket eure Herzen nicht! wirket, weil es Tag ist, es kommt die Nacht, da Niemand wirken kann" — und Ps. 95, 7-9. — Hebr. 3, 7. — Joh. 9, 4.

129 wir richten uns nicht mehr auf, als ob wir halb im Schlafe wären. Wie eilt der Tod und das Gericht herbei! Wie nahe sind sie uns schon, und wie wenig machen wir Anstalt! Herr, was für ein unempfindliches, höllisches Ding ist doch ein hartes Menschenherz! Ach, wir alle, alle denken doch viel zu wenig an die Ewigkeit; wir sehen so nebenbei ein wenig daraufhin; aber wir machen nicht aus der Vorbe­ reitung darauf das große Geschäft unsers ganzen Lebens. Wäre ich nicht krank an demselben Uebel, in wie viele Thränen würde ich meine Feder tauchen! Mit welchen tiefen Seufzern diese Klage ausschütten! Mit wie schwerer Herzensbekümmerniß trauern über diese allgemeine Leblo­ sigkeit! Gläubige, die in obrigkeitlichen Aemtern stehen, thun sie ernstlich ihre heilige Berufspflicht? Eisernste für Gott? Bauen sie ihm sein Haus? Sind sie zärtlich besorgt für seine Ehre? Fördern sie die Ausbreitung seines Wortes? Und sehen sie die Sünde und die Sünder als die Ursa­ chen alles Elends im Lande an? Bedienen sie sich ihrer Macht, ihres Reichthums, ihrer Ehre, und alles ihres Einflufles so, daß Christi Reich den größten Vortheil davon hat, und als Männer, die in Kurzem Rechnung thun sol­ len von ihrem Haushalten? Gläubige, die im Predigtamte stehen, wie selten sind sie recht eifrig in ihrem Berufe! Ach, wie lassen es die Besten da an sich fehlen! Predigen wir den Leuten ihren Ungehorsam gegen das Evangelium in Beweisung des Geistes und der Kraft? Gehen wir mit der Sünde um, Barter, Ruhe der Heiligen. 9

130 wie mit einer Feuersbrunst, die eben unsere Sradt ver­ zehrt? Bitten und ermahnen wir unsre Gemeinen als solche, welche die Schrecknisse der göttlichen Gerichte ken­ nen? Legen wir ihnen Christum, den Glauben an Ihn, die Wiedergeburt, die Heiligung mit der lebendigen, im­

mer gegenwärtigen Ueberzeugung ans Herz, daß ohne sie niemand das Leben haben kann? Bewegt sich unser In­

nerstes bei dem Anblick der unwissenden, sorglosen, ver­ stockten Menschenmenge vor uns? Wenn wir ihnen ins Angesicht sehen, schmilzt unser Heiz über ihnen bei dem

Gedanken, daß wir durch unsere Schuld sie in der ewigen Ruhe nicht wiedersehen könnten! Sprechen wir, wie Pau­ lus, weinend vor ihnen von ihrer fleischlichen und irdischen

Gesinnung?

„Ermahnen wir sie öffentlich

und in

den

Häusern/' „zur rechten Zeit und zur Unzeit," unter vielen Thränen? Bitten wir sie um ihrer Seligkeit willen? Oder denken wir nicht zu viel an den Beifall kritischer Zuhörer,? Als ob es das Geschäft eines Predigers wäre, eine hübsche Rede auf eine Stunde zu halten, und bis zur nächsten Predigt sich um die Leute nicht weiter zu bekümmern! Dämpft die fleischliche Klugheit nicht unser Feuer, macht sie nicht unsre Worte leblos, auch wenn wir von den ge­

waltigsten Dingen reden? Wie sanft gehen wir doch mit den Sünden um, die so unsanft mit den Seelen unsrer Zuhörer umgehen! Mit einem Worte, unser Mangel an Ernst in den himmlischen Dingen bannt die Leute fest in einem blos äußerlichen Wesen, und macht das Anhören Apostelgesch. 20, 31. - 2 Tim. 4, 2.

131 der Predigten zu einer todten Gewohnheit, die zuletzt ihr Verderben wird. Möge der Herr den Predigern die gro­

ßen Sünden vergeben, die sie in dieser Hinsicht begehen, und mir insbesondere meine eigenen! Und sind die Unterthanen und Laien etwa ernsthafter und brünstiger, als die Obrigkeiten und die Prediger? Wie läßt sich das erwarten? Leser, blick in dein eigen Herz, und beantworte die Frage. Laß dein Gewissen dir treulich die Wahrheit sagen. Hast du die ewige Ruhe dir vor die Augen gesetzt, als das große Ziel deines ganzen

Lebens? Hast du gewacht, daß dir niemand deine Krone raube? Hast du geeilt, um nicht zu spät zu kommen? Hast du dich gedrängt durch die Haufen von Menschen, die dir im Wege standen, immer mit dem Blick auf das Kleinod der himmlischen Berufung Gottes in Christo Jesu,

und immer ausgestreckt nach dem, was vor dir ist? Weiß dein Gewissen etwas von deinen verborgenen Seufzern und Thränen der Sehnsucht nach der ewigen Krone zu sagen? Geben dir die Deinigen das Zeugniß, daß du sie in der Furcht des Herrn unterwiesen hast? daß du sie ge­ warnt hast, damit sie nicht kommen möchten an jenen Ort

der Qual? Weiß dein Prediger oder ein älterer Freund etwas von deinen bekümmerten Fragen: Was soll ich thun, daß ich selig werde? Hat er von deinen bitteren Klagen über deine Verderbnisse, und deinen ernstlichen Fragen nach dem Herrn gehört? Geben deine Freunde und Nachbarn dir das Zeugniß, daß du die Gottlosen strafest und das Seelenheil deiner Brüder dir am Herzen 9*

132 liegt? O laß heut, als vor dem Richterstuhle Gottes, alle diese Zeugen auftreten, daß sie dir sagen, ob du ernstlich nach der ewigen Ruhe ttachtest! Wenn dein Knecht faul gewesen ist, so kannst du es an seiner Arbeit sehen, magst du ihn dabei auch nicht beobachtet haben; mit solchen Augen sieh einmal deine eigne Arbeit an. Ist deine Liebe zu Christo, dein Glaube, deine Inbrunst stark oder schwach, feurig oder matt? Woran freut sich dein Herz? Worauf verläßt es sich? Ist in dir alles in Ordnung? Bist du bereit zu sterben, wenn es auch heute schon seyn sollte? Diese Fragen beantworte dir, und du wirst gewahr wer­ den, ob du treu gearbeitet hast oder faul gewesen bist. O du selige Ruhe, wie schmählich wirst du verachtet! O du herrliches Reich, wie wirst du gering geschätzt! Wie wenig bedenken die sicheren Menschenkinder, welch eine Perle sie von sich wegwerfen! O Leser, ich hoffe, du fühlst es, wie fürchterlich es ist, mit der Ewigkeit zu spielen und wie du dessen dich selbst schuldig gemacht hast. Nun denn, kehre um, da es noch Zeit ist. Rüttele dich auf aus deinem Schlafe, und suche Christum. So undankbar du bisher gegen ihn gewesen bist, so dankbar gib dich ihm jetzt hin; dann ist dein Heil dir so sicher, als thäte er dir vor deinen Augen schon die Perlenthore des himmli­ schen Jerusalems auf. Christus hat für alle deine Sünden genug gethan, seine Verheißung ist eine freie Gnadenver­ heißung, er verlangt nichts zuvor, sondern will dir alles schenken. Aber deß sei auch gewiß, schwatzest du bloß von dieser Gnade und magst du auch noch so eifrig davon dis-

133 putiren, so hilft sie dir nichts: willst du nicht ringen und kämpfen, so verlierst du die Krone. Nur der widerstehet der Gnade nicht, den sie lebendig macht, den sie ziehet, treibt und regiert. So gehe denn schleunig und ernstlich ans Werk, und preise Gott, daß er dir die köstliche Gna­ denzeit dazu noch dauern läßt. Und um dir zu zeigen, daß ich nicht ohne Ursach ip dich dringe, will ich hier eine Reihe von Betrachtungen dir vorführen, welche dich alle dazu anfeuern sollen. Wache auf, und, wie Moses zu den Israeliten sagte, „nimm zu Herren alle Worte, die ich heut bezeuge; denn es ist nicht ein vergeblich Ding, sondern es ist dein Leben." Möge der Herr dein Herz öffnen, und sein Wort hineinschreiben! Willst du ein vernünftiger Mensch seyn, so bedenke doch, wie wichtig es sey, daß unser Eifer in Verhältniß stehe zu dem Ziele, wonach wir trachten, zu der Kürze und Ungewißheit der Zeit, die uns zugemeffen ist, und zu dem Widerstande, den unsre Feinde uns in den Weg legen. Das Ziel der Sehnsucht und der Kämpfe eines Christen ist so groß, daß keines irdischen Menschen Ver­ stand es begreifen kann. Was kann es Erhabneres, Wich­ tigeres, Nothwendigeres geben, als die Verherrlichung Gottes, unsere und andrer Menschen Errettung? Kann man von so großen Dingen wohl zu sehr ergriffen seyn? Kann man zu lebhaft danach sich sehnen, zu innig sie lie­ ben, zu eifrig danach trachten? — Groß und mannichfaltig ist des Christen Werk auf Erden. Sein Geist muß

5 Mos. 82, 46.

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erneuert, die Glieder auf Erden ertödtet, Augenlust und Fleischeslust überwunden, die Ehre, die Freunde und das' Leben selbst verleugnet, und Gewißheit der Vergebung unsrer Sünden und der Seligkeit erlangt werden. Zwar schenkt uns diese Gott ohne all' unser Verdienst aus Gna­ den, und mit ihr die Kraft zum neuen Leben; aber nie­ mandem gibt er, den nicht verlangt nach der Gabe, und niemand kann seiner Gnade versichert seyn, der durch die­ selbe nicht gedrungen wird zu ringe.« nach dem Kleinod. Da gibt es so viel Erkenntniß, die wir uns erwerben, so viel Gnadenmittel, die wir gebrauchen, so viel Pflichten, die wir erfüllen sollen; jedes Lebensalter, jedes Jahr, jeder Tag, jeder neue Ort, an den wir kommen, jede neue Lage, in die wir eintreten, jede Bekanntschaft, die wir machen, fordern zu neuer Arbeit auf; Ehegatten, Kinder, Dienst­ boten, Nachbarn, Freunde, Feinde, alle verlangen etwas Besonderes von uns. Und sollen Menschen, denen so vieles obliegt, sich nicht anstrengen? Können sie bei gesunder Vernunft träg und saumselig seyn? Die Zeit eilt vorüber, in wenigen Tagen sind wir nicht mehr hier: viele Krank­ heiten stellen uns nach; wir, die wir jetzt predigen oder zuhören, lehren oder lernen, müssen bald uns niederlegen ins Grab zur Speise den Würmern; wir wissen nicht, ob wir noch eine Predigt, noch einen Sonntag haben werden. O wie thätig und betriebsam sollten wir seyn in dieser kurzen Zeit. — Und wir haben Feinde, die beständig an unserm Untergange arbeiten. Wie schlau ist Satan in seinen Versuchungen! Seyd daher nüchtern und wachsam.

135

denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, welchen er verschlinge; dem widerstehet fest im Glauben! Wie thätig sind alle Diener und Helfershelfer des Satans! Falsche Lehrer, Spötter, Verfolger und unser eignes inwohnendes Verderben, das emsigste und eifrigste von allen! Wird ein matter Wider­ stand uns da etwas helfen? Sollten wir denn nicht thä­ tiger seyn zu unsrer Errettung, als unsre Feinde zu un­ serm Untergange? Es sollte unsern Eifer anfeuern, wenn wir das Pfund, das er uns anvertraut, die Gnade, die er uns geschenkt, unser Verhältniß zu Gott, und die Trübsale, die er uns auflegt, erwägen. — Das Pfund, das er uns anvertraut hat, ist groß. Wir haben die heilige Schrift in unsrer Muttersprache von Jugend auf gehabt; und so viel herr­ liche Bücher, daß wir nicht wußten, welche wir zuerst lesen sollten. Welch ein Volk hat Gott so nahe gehabt? hat Christum sich so vor die Augen gemalt gesehen? Wem that sich so Himmel und Hölle vor seinen -Augen auf? Wie sollten die fliegen, die mit solchen Flügeln angethan sind! Wie sollten die schnell segeln, die so günstigen Wind ha­ ben! — Unser ganzes Leben ist voll von Denkmalen der göttlichen Gnade; wollten wir sie zählen, so könnten wir eben so leicht die Sterne zählen, oder den Sand am Ufer des Meeres. Ist das Blut des Sohnes Gottes Gnade, nun dann haben wir Gnade von Gott empfangen. Und sollte Gott nichts zu hoch und zu theuer achten, was er

1 Petr. 5, 8. 9.

136 nicht für uns hingäbe, und wir sollten alles zu hoch und zu theuer achten, um es für ihn hinzugeben? Vergleiche ich mein faules, unfruchtbares Leben mit den Strömen von Gnade, die ich von Gott empfangen habe, so werde ich tief beschämt, zum Schweigen gebracht und habe keine Entschuldigung. — O, und unser Verhältniß, unser Ver­ wandtschaftsverhältniß zu Gott, wie muß uns das anfeuern k Wie? wir sind Gottes Kinder, und sollten Ihn nicht zärt­ lich lieben, und willig Ihm gehorchen? Wir sind Christi Braut, und sollten ihm nicht anhangen und folgen? „Ist Er ein Vater, wo ist seine Ehre? Ist Er Herr, wo ist seine Furcht?" Wir nennen Jesum Meister und Herr und wir thun recht daran. Stimmt aber unsre Gesinnung nicht zu unserm Verhältniß, so verdammen wir uns selbst, indem wir uns seine Kinder oder seine Knechte nennen. Wie wird die saure Mühe und schwere Arbeit irdischer Knechte für ihre Herren die einst verdammen, die nicht eben so für ihren himmlischen Herrn und Meister arbeiten! Wahrlich, ihm ist kein andrer Herr gleich, und kein Knecht kann solchen Lohn erwarten, als wer in Seinem Dienste steht. — Und verirrten wir uns von Gottes Wegen, oder sind träge auf denselben, wie kann er jedes seiner Geschöpfe zu einer Geißel für uns machen, die uns wieder hintreibt oder anspornt! Die süßesten Liebesgaben kann er uns da zu lauter bitterem Kummer machen. Ehe er es uns an einer Geißel fehlen ließe, machte er uns selbst uns zur Geißel; wir seufzen unter der Last eines siechen Leibes; Mal. 1, 6. — Ich. 13, 13?

137 unsre sich durchkreuzenden Wünsche und Begierden rauben uns die Ruhe; unser Gewissen ist wie eine Schlange, die wir in unserm Busen tragen. Und ist nicht Mühe und Arbeit leichter zu ertragen, als der Sporn? Obgleich aber auch die, welche am meisten arbeiten, den Trübsalen nicht entgehen: so genießen sie doch süßen Frieden des Hebens in Christo und in seiner Nachfolge, welche sie die Bitterkeit des Kelches vergesien läßt. Um unsern Eifer anzufeuern, sollten wir ferner be­ denken, welchen Beistand wir haben, welche große Dinge wir glauben, und wie gewiß es ist, daß wir nie zu viel thun können. Um uns in Gottes Dienst zu unterstützen, muß die ganze Welt uns dienen. Die Sonne, der Mond und die Sterne leuchten uns dazu mit ihrem Schein; die Erde, mit ihrem Schatze von Gräsern und Blumen und Früchten; von Vögeln und Thieren; das Meer mit seinen Bewohnern; die Lust, der Wind, das Eis und der Schnee, das Feuer und die Hitze, die Wolken und der Regen, alle sind unsre Diener bei unsrer Arbeit. Ja, die Engel selbst sind unsre dienstbaren Geister. Gottes Langmuth steht da zu unserm Dienst; Jesus Christus steht für uns da, und bietet uns sein Blut an; der heilige Geist steht da und zieht unsre in die Welt zurücksinkenden Herzen; und in ihrem Namen und auf ihren Befehl stehen die Prediger des Evangeliums da, bitten und warten auf die sicheren Sünder. Und wir sollten trag und saumselig seyn, und nichts thun, während Menschen und Engel, ja der Herr Hebr. 1, 14.

138 selbst dastehen, und uns gleichsam das Licht halten? Ich

bitte euch, Christen, wenn ihr betet, oder wenn ihr des

Herrn Werk treibet und Sünder zu ihm weiset, bedenket immer, wie groß der Beistand ist, den ihr habt, und wie eifrig ihr also arbeiten solltet. — Und zu welchem Glauben bekennen wir uns? Daß Gott das . höchste Gut, daß seine Liebe unsere Seligkeit ist, und daß also danach zu trachten uns über alles gehen muß; daß er unser rechtmäßiger Herr

ist, dem allein wir dienen sollen; daß wir ihn lieben sollen

von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen un­ sern Kräften; daß unser Beruf in dieser Welt ist, Gott zu verherrlichen und unsre Seligkeit zu schaffen. Sieht man nun dies Bekenntniß in unserm Leben? Oder ver­ leugnen etwa unsre Werke, was unser Mund zusagt? —

Wie sehr aber auch unser Beistand und unser Bekenntniß uns aufmuntert, wir können sicher seyn, daß wir nie zu viel thun. Wenn wir alles thäten, was wir zu thun schul­

dig wären, so wären wir dennoch unnütze Knechte; um wie viel mehr, da wir alle mannichfaltig fehlen. Niemand

kann Gott zu viel gehorchen und zu viel dienen. In eigen­ erdachtem Gottesdienst, in selbstauferlegten Uebungen können wir wohl zu viel thun; bleiben wir aber in den Schranken

des göttlichen Wortes, so können wir nie zu viel thun. Für die Welt und in ihrem Dienst können wir leicht zu viel thun, für Gott und in seinem Dienst aber nie.

Und nun, lieber Leser, nachdem ich dir diese unabweis­ baren Betrachtungen vorgehalten habe, fordre ich dich im Luc. 17, io.

139 Namen Gottes auf, einen Entschluß zu fasten; willst du ihm gehorchen oder nicht? Ich bin fest überzeugt, dein Gewissen sagt dir, du sollst. Solltest du es nun noch ein­ mal wagen, in deinem bisherigen, sicheren Gange unbeküm­ mert fortzufahren, gegen deine Ueberzeugung, gegen Gottes Gebot? Solltest du es noch ferner wagen, eben so leicht­ sinnig zu leben, eben so dreist zu sündigen, eben so selten zu beten, als bisher? Willst du nie die Lenden deines Ge­ müthes gürten, deine Seligkeit schaffen, und durchbrechen durch allen Widerstand, Hohn, Spott und Verfolgung der Welt, und ablegen die Sünde, die dir anklebt und dich träge macht, und mit Geduld laufen in dem Laufe, der dir verordnet ist?Jch hoffe, dubistdazu entschloffen. Weil ich aber die Härte des menschlichen Herzens kenne, und herzlich wün­ sche, daß deine Seele leben möge, so bitte ich dich noch einmal, beantworte dir folgende Fragen: „Wenn du durch die Gottseligkeit reich würdest und zu Ehren und Aemtern in der Welt gelangtest, und vor allen Krankheiten gesichert bliebest und immer auf Erden ein glückliches Leben führen könntest: wie eifrig würdest du da seyn in Gottes Dienst! Und ist die ewige Ruhe der Heiligen nicht ein viel höheres Glück? Wäre es ein todeswürdiges Verbrechen, den Sonn­ tag zu entheiligen, den Hausgottesdienst zu vernachlässigen, oder ein leichtsinniges, weltliches Leben zu führen, was würdest du da für ein Mensch seyn! Und ist der ewige Tod nicht mehr, als der zeitliche? Wenn Gott leibliche Strafen augenblicklich auf jede Sünde folgen ließe, wie bei Anamas und Saphira, wie würdest du da leben! Und ist

140 Sem ewiger Zorn nicht viel schrecklicher? Wenn einer dei­ ner Bekannten aus der Hölle zu dir käme, und dir von den Qualen erzählte, die er für eben die Sünden leide, in welchen du lebst, wie würde dich das erschüttern! Soll­

ten Gottes Drohungen dir aber nicht noch weit schreckli­ cher seyn? Wüßtest du, daß heut dein letzter Tag sey, den du auf der Welt zubringen solltest, wie würdest du ihn verleben! Und weißt du denn, ob es nicht der letzte ist?

Weißt du nicht gewiß, daß der letzte Tag dir nahe ist? Wenn du die Welt in Feuer aufgehen sähest, und alle Herrlichkeit darin in Staub und Asche verwandelt, was würde der Anblick für einen Eindruck auf dich machen? Wirst du diesen Anblick aber nicht wirklich einmal haben? Wenn du den Richterstuhl des Herrn, und die Bücher aufgeschlagen, und die Gottlosen zitternd zu Seiner Lin­ ken, die Gerechten frohlockend zu Seiner Rechten stehen sähest: was würde das für einen Eindruck auf dich ma­

chen! Wirst du das alles aber nicht wirklich einmal se­ hen?" — So habe ich dir denn vor die Seele gestellt, was nur irgend dich bewegen kann, umzukehren und ernstlich nach dem ewigen Leben zu trachten. Ich zittre, so ost ich daran denke, wie so viele beschämt und sprachlos vor dem Herrn stehen werden, wenn er zu ihnen sagt: „Hat­ test du an der Welt oder an Satan einen besseren Freund, als an mir? Haben sie mehr für dich gethan, als ich? Sieh nun zu, ob sie dich erlösen, oder dir den Verlust des Himmels ersetzen können!" Was können die elenden

141 Sünder hierauf antworten? Wenn aber Menschen auch

nicht hören wollen, so dürfen wir doch hoffen, daß Gott auf unsre Worte hört. O du, der du weinest und im Geist bewegt wurdest über den todten Lazarus, sieh doch

mit Erbarmen diese todten, gefühllosen Herzen an, auch die, welche in diesem Buche lesen, daß sie auch weinen und bewegt werden mögen über ihren Jammer! Wie du deinen Knechten befohlen hast zu reden, so rede du nun selbst! Die meine Worte nicht hören wollten, werden dich hören, wenn du an ihre Herzen sprichst! Herr, du hast so lange schon vergebens angeklopft; o brich nun die

Thür auf und dringe ein!

142

Ächter Abschnitt.

Wie wir gewiß werden können, daß wir in die ewige Ruhe eingehen werden. Ist eine ewige Ruhe vorhanden, in welche niemand eingehen wird, als das Volk Gottes, woran denken denn die meisten Menschen, daß sie so sicher dahin leben, ohne

sich zu fragen, ob sie denn auch eine Gewißheit haben, daß sie in djese ewige Ruhe eingehen? Hat der Herr uns die Herrlichkeit jenes Reiches so hell offenbart, in welche doch

niemand eingeht, als seine Gläubigen, und hat er uns die Qualen so furchtbar geschildert, welche alle andre Menschen leiden müssen: so sollen doch diejenigen, welche seine Worte für wahr halten, sich nicht eher beruhigen, als bis sie die

volle Gewißheit haben, daß sie Gottes Erben und Miter­ ben Christi in seinem Reiche sind. Ist es nicht eine thö­ richte Verblendung, daß Menschen, welche wissen, ihnen stehe der Uebergang in einen unveränderlichen Zustand be-

143 vor, dennoch über ihr zukünftiges Endurtheil in der groß» ten Ungewißheit bleiben, als hätten sie nie etwas von ei­ nem solchen Zustande gehört? Schlafen sie oder wachen

sie? Woran denken sie? Wo ist ihr Verstand? Haben sie einen wichtigen Prozeß, wie gespannt sind sie auf den Ausgang, ob das Urtheil für oder gegen sie ausfallen wird! Stehen sie vor einem irdischen Richterstuhle, und sollen über eine Handlung ihres Lebens einen Ausspruch hören, wie möchten sie da so gern wisien, ob sie losge­ sprochen oder verdammt werden, besonders wenn sie selbst noch etwas dazu beitragen können! Sind sie gefährlich krank, wie ängstlich fragen sie da den Arzt: Was meinen Sie, Herr Doctor, werde ich wohl wieder besser werden? Bei dem Geschäft ihrer Seligkeit aber können sie ganz ru­ hig in der Ungewißheit bleiben. Fragt man viele Menschen nach dem Grunde der Hoffnung, die in ihnen ist, s» antworten sie: Gott ist ja barmherzig, Christus ist ja für

uns gestorben! Fragt man sie nun aber näher, ob sie denn ihres Antheils an der erbarmenden Gnade Gottes und

an dem Heil in Christo gewiß geworden seyen, so wissen sie nichts zu antworten. Fragt Gott oder ein Mensch sie: In welchem Zustande befindet sich deine Seele? Ist sie

gerechtfertigt und wiedergeboren, oder nicht? — so ant­ worten sie wie Cain von Abel: „Ich weiß es nicht; soll

ich meiner Seele Hüter seyn? Ich denke, gut; mein See­ lenheil stelle ich Gott anheim; ich danke Gott, daß mir nie Angst gewesen ist um meine Seligkeit " Aber, lieber Freund, eben weil dir nie Angst gewesen ist, darum hast

144 du Ursache, es zu seyn. Deine eignen Worte zeigen ja, daß du bewußter Weise dein Heil geringschätzest. Wenn

ein Steuermann sagen wollte: „Ich will ruhig hinfah­ ren unter den Klippen, Wogen und Winden, ich will es Gott überlassen, und wie die andern Schiffe segeln, will ich auch segeln" — was wäre das für ein Mißbrauch des

Namens Gottes, wenn man sich seiner bediente, um seine Faulheit zu beschönigen? Vertrautest du wirklich auf Gott, dann würdest du auf den Wegen Seiner Gebote dich von Ihm leiten lassen und auf der von Ihm dir vorgesteckten Bahn dich Ihm hingeben. Er fordert dich auf, „deinen Beruf und deine Erwählung fest zu machen;" folgst du

dieser Aufforderung, dann vertraue auf Ihn. Er fordert dich auf, „dich selbst zu versuchen, ob du im Glauben seyst;" folgst du dieser Aufforderung, dann vertraue auf

Ein wenig ernstliche Nachfrage nach deinem Wege kann dir viel Mühe und Noth sparen. Ihn.

Wie kannst du an den großen Gott denken oder von ihm reden ohne Entsetzen, so lange du nicht weißt, ob er

dein Vater oder dein Feind ist? Ob seine Allmacht für oder gegen dich steht? Ob „das Blut Jesu Christi dich rein gemacht hat von aller Sünde?" Ob er der Grund­ stein des Gebäudes deiner Seligkeit, oder „ein Stein des

Anstoßes und ein Fels des Aergernisses für dich ist, an welchem du zerschellst, wenn du gegen ihn anläufft, oder welcher dich zermalmt, wenn er auf dich fällt ?" Wenn du 2 Petr. 1, 10. —2 Cor. 13, 5.— 1 Joh. 1, 7. — Jes. 8, 14.— Matth. 21, 44.

145 die Verheißungen der Bibel liesest, so weißt du nicht, ob Wenn du die Drohungen liesest, mußt du ja darin dein eignes Urtheil finden. Kein Wunder, daß dir die nachdrücklichen Prediger zuwider sind! Wie kannst du ohne Grauen einem Gebete dich anschließen? Wenn du das heilige Abendmahl empfängst, weißt du sie dich angehen.

nicht, ob du dir nicht das Gericht issest und trinkest. Wel­

chen Trost können deine Freunde, deine Ehren, deine Gü­ ter dir gewähren, bis du weißt, ob das Wohlgefallen Got­ tes über dir sey, und du Ruhe haben werdest bei Ihm, nachdem jenes alles dich verlassen hat? Gib einem Gefan­ genen die schönsten Kleider und Genüffe, was hilft es ihm,

ehe er weiß, ob ihm sein Leben gesichert ist? Wenn du dich zum Schlaf niederlegst, sollte, dünkt mich, die Unge­ wißheit deiner Seligkeit dich wach erhalten, oder dich mit Träumen schrecken, oder aus deinem Schlafe wecken. Ist es nicht ein Schmerz für dich, wenn du Gläubige um dich her so guten Muths siehst, und du hast keine Hoff­ nung des ewigen Lebens? Was für Gedanken macht dir deine Todesstunde? Du weißt, sie ist nicht fern, und du kannst ihr nicht entgehen, und es gibt keine Arzenei, die dich davor schützte. Solltest du heut sterben (und wer weiß, was geschehen mag), so weißt du nicht, ob du in den Himmel oder in die Hölle kommst. Und könntest du vergnügt seyn, ehe du aus diesem gefährlichen Zustande heraus bist? Wenn du vom jüngsten Gericht hörest, zitterst

Apostelgesch. 24, 25.

146 du nicht, wie Felix? Wenn „die Wächter hinfieleu und wurden wie Tode, als sie den Engel herabkommen und den Stein von Christi Grabe Hinwegrollen sahen," wie kannst du bei dem Gedanken an die Hölle ruhig werden, bis du eine gewisse Zuversicht hast, ihr zu entrinnen? Dein Bett muß sehr weich oder dein Herz sehr hart seyn, wenn du in einem solchen Zustande einen gesunden Schlaf hast. Gäbe es keine Hülfe wider diese allgemeine Ungewiß­ heit der Welt über ihre Seligkeit, dann müßte man sich darein finden als in ein unvermeidliches Elend. Aber die allgemeine Ursache derselben ist die absichtliche Untreue. Die Menschen wollen die Mittel nicht anwenden, die ih­ nen Gewißheit geben könnten. Selbstprüfung, Reue und Glauben würde sie zur Gewißheit führen. Aber laßt uns einmal eine Versammlung von tausend Menschen durch­ fragen und zusehen, wie viele von ihnen wohl eine Stunde ihres Lebens zu ernstlicher Selbstprüfung angewendet ha­ ben? Leser, frage dein eigen Gewisien: Wann war die Zeit, wo war der Ort, da du die feierliche Probe vor Gottes Angesicht mit deinem Herzen anstelltest., und es nach der heiligen Schrift untersuchtest, ob es von Neuem geboren sey, oder nicht? Ob es mehr auf Gott oder auf die Geschöpfe sein Vertrauen setze? Wann fuhrest du in dieser Prüfung so lange fort, bis du deinen wahren Zu­ stand entdeckt und demzufolge dein Verdammungsurtheil über dich ausgesprochen hattest? Weil nun dieses hochwichMatth. 28, 2—4.

147 tige Werk so häufig vernachlässigt wird, so will ich dir zeigen: daß es möglich sey, durch Selbstprüfung zur Gewißheit zu gelangen — was die Men­ schen von dieser Prüfung und Kenntniß ihres Zustandes abhalte—dir die Beweggründe zu dieser Selbstprüfung vorhalten — Anleitun­ gen dazu geben — und einige Kennzeichen dir nennen aus der heiligen Schrift, woran du er­ kennen könnest, ob du zu den Kindern Gottes gehörest, oder nicht. 1. Die heilige Schrift lehrt uns, daß wir Ge­ wißheit der Seligkeit erlangen können, und danach trachten sollen; denn sie erzählt uns von den Hei­ ligen vor uns, welche die Gewißheit ihrer Rechtfertigung vor Gott und ihrer zukünftigen Seligkeit hatten; sie sagt, wer an Christum glaubt, werde nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Alle diese Aussprüche würden vergebens seyn, wenn wir nicht wissen könnten, ob wir im Glauben stehen oder nicht. Sie macht ferner einen so großen Unterschied zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels, heißet uns Fleiß anwen­ den, unsern Beruf und unsere Erwählung fest zu machen; gebietet uns, allewege uns zu freuen; Gott unsern Vater zu nennen, in seinem Lobe zu leben; Christi Erscheinung lieb zu haben, zu wünschen, daß er bald kommen möge 2 Tim. 1, 12. - Joh. 3, 15. 16. — 1 Joh. 3, 10. — 2 Petr. 1, 10. — Philipp. 4, 4. — Sol. 3, 17. — 2 Tim. 4, 8. — Off. 22, 20.

148 und uns selbst damit zu trösten. Wer kann aber irgend etwas hiervon thun, ohne eine Gewißheit zu haben, daß er Gottes Kind ist? 2. Unter dem Vielm, was die Menschen von der Selbstprüfung abhält, ist Satan ohne Zweifel ganz vorzüglich thätig. Er mag es nicht leiden, daß die Gläubigen die Freude, die Zuversicht und die Kraft gegen ihr Verderben haben, welche eine treue Selbstprüfung ih­ nen verschaffen würde; und von den Ungläubigen weiß er, daß sie, wenn sie nur einmal ernstlich sich selbst prü­ fen wollten, bald seinen Betrug und ihre Gefahr ent­ decken und so vielleicht bald seiner Gewalt entrinnen möch­ ten. Wie könnte er es dahin bringen, daß Millionen so ruhig zur Hölle eilten, wenn sie wüßten, daß ihr Weg sie dahin führt? Und wie könnten sie darüber in Ungewißheit bleiben, wenn sie nur einmal ihren Zustand untersuchen wollten, da sie in der heiligen Schrift einen so bewährten Prüfftein haben? Ist die Schlinge nicht verborgen, so kann der Vogel ihr ja entgehen. Satan versteht sich aber zu gut auf das Angeln, als daß er die Schnur und den Haken sehen ließe, oder Lärm machte, oder gar sich selbst zeigte. Darum weiß er die Leute entfernt zu halten von Predigern, welche den Grund ihrer Herzen herauskehren; darum stört er die Prediger selbst in diesem Geschäft, und macht ihr Schwert stumpf, daß es nicht durchdringt und schneidet, er lenkt ihre Gedanken ab, oder erfüllt sie mit Vorurtheilen. Kommt eine kräftige Predigt, so weiß er

1 Thess. 4, 18.

149 die Zuhörer des Tages mit anderen Sachen hinzuhalten, daß sie nicht hineingehen, oder macht sie schläfrig, oder nimmt gleich nachher das Wort hinweg von ihren Herzen durch die Sorgen und- das Geschwätz der Welt. - Ein anderes großes Hinderniß kommt von gottlosen Menschen. Ihr Beispiel, ihre lustige Gesellschaft und Unterhaltung, ihre unablässige Beschäftigung mit weltlichen Angelegen­ heiten, ihre Witze und Spöttereien über die Gläubigen, ihre Lockungen und Drohungen, alles dies, einzeln und zusammen genommen, sind starke Anfechtungen und Ver­ leitungen zur Sicherheit. Kaum thut Gott einem armen Sünder die Augen auf, und er sieht seinen Irrweg, so ist sogleich eine Menge von Satans Aposteln und Dienern um ihn her, die ihn wieder zu verführen, und die Herr­ schaft des alten Herrn in ihm wieder zu befestigen suchen. „Wie?" sagen sie, „du wolltest an deiner Seligkeit zwei­ feln, der du ein so rechtschaffenes Leben geführt, und keinem Menschen etwas zu Leide gethan hast? Gott ist ja barmherzig, und wenn so einer, wie du, nicht selig wer­ den sollte, dann sey Gott uns allen gnädig! Was denkst du denn von deinen Eltern und Großeltern und Ver­ wandten und Freunden? Sollen die alle verdammt werden? Ach komm und höre doch nicht auf den Prediger, der macht dich noch verrückt. Sind denn nicht alle Men­ schen Sünder? Setz dir doch nicht solche Dinge in den Kopf, und laß dich beruhigen." Ach wie viele Tausende haben sich durch solche Lieder in den Schlaf der Sicherheit einsingen laffen, bis der Tod und die Hölle sie aufgeweckt

150 haben! Der Herr sagt dem Sünder klar und deutlich: „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal und wenige sind, die ihn finden; darum forsche, sieh dich um, prüfe genau, um sicher zu gehen!" Die Welt aber ruft: „Laß dich nicht stören von solchen Gedanken." Darum bedenke, Sünder, Christus, und nicht deine Eltern und Großeltern und Verwandten und Freunde, wird dich zuletzt richten, und wenn Christus sie alle verdammt, so können sie dich nicht selig machen; darum lehrt dich die gesunde Vernunft, daß du in Sachen deiner Seligkeit nicht auf die Reden unwisiender Menschen, sondern auf das Wort Gottes hören mußt. Als Ah ab sich nach Antworten unter seinen schmeichlerischen Hofpropheten umsah, da war es sein Tod. Solche können die Menschen wohl in Schlingen hinein­ schmeicheln, aber nicht sie wieder herausbringen. „Darum lasset euch niemand verführen mit vergeblichen Worten, denn um dieser willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens." — Das größte Hinderniß aber liegt in dem eignen Herzen des Menschen. Viele sind so unwissend, daß sie gar nicht einmal wissen, was das ist, eine Selbstprüfung, und was der Prediger damit meint, wenn er sagt, man solle sich selbst versuchen, ob man im Glauben sey; oder sie sehen nicht ein, wozu es nütze, und sie meinen, jedermann müsse fest glauben, daß ihm seine Sünden vergeben seyen, möge es wahr oder falsch seyn, und daß man sehr unrecht daran thue, es in Zweifel zu ziehen; oder sie meinen, eine Gewißheit lasse sich darüber Matth. 7, 14. — 1 Kön. 22. — Eph. 5, 6.

151 nicht erlangen; es sey überhaupt kein so großer Unter­ schied unter den Menschen, wir seyen ja alle Christen, und brauchten also uns nicht weiter zu beunruhigen; oder sie haben über die Wiedergeburt eben so grobfleischliche Ge­ danken, wie Nicodemus. Einige glauben, ist dem zu­

künftigen Leben werde gar nicht ein so großer Abstand seyn zwischen Seligen und Verdammten, und geben sich

daher auch keine Mühe, in diesem Leben darüber klar zu werden, zu welcher Seite sie gehören. Andere sind so stumpf, daß sie alles anhören, was man ihnen sagt, aber es geht nicht in ihr Hetz ein, und man richtet mit ihnen nichts aus. Andere sind so beseffen von Hoffahrt und Selbstliebe, daß sie gar nicht sich denken können, sie seyen in Gefahr; wie ein hoffährtiger Kaufmann, der den klu­

gen Rath, seine Bücher zur rechten Zeit einzusehen, ver­ achtet; wie eitle Eltern, die durchaus nichts 'Uebles von ihren Kindern hören, ja glauben mögen. Andre sind von ihrer Schuld so niedergedrückt, daß sie an keine Prüfung gehen mögen, und überlasten sich so der viel furchtbareren

Prüfung vor dem Gerichte Gottes! Einige sind so sehr in die Sünde verliebt, und Gottes Wege sind ihnen so sehr zuwider, daß sie, aus Furcht, in ihrem Vergnügen gestört

zu werden, gar nicht untersuchen, wo sie sind. Andre sind so fest entschloffen, ihren gegenwärtigen Zustand, in dem sie so lange zugebracht haben, nicht zu verlassen, daß sie es nie zu einer Prüfung kommen lasten, ob sie eine Ge­ wißheit der Seligkeit haben.

Joh. 3, 4.

Noch andre sind so sehr zu

152 allem Guten träge, daß selbst eine kurze Selbsterforschung

ihnen schon zu mühselig ist. Bei weitem das häufigste und größte Hinderniß ist aber die falsche Zuversicht, welche die Herzen der meisten Menschen aufrecht hält, und jeden Gedanken an Gefahr ihnen aus dem Sinn entrückt. Bricht ein Mensch nun auch durch alle diese Hinderniffe hindurch, so hat er deshalb doch nicht sogleich volle Gewißheit. Auch in der Selbsterforschung täuschen sich wieder viele durch eine oder die andere der folgenden Ur­ sachen: In dem Herzen eines Menschen, besonders eines unwiedergeborenen, ist solche Verwirrung und Finsterniß, daß er kaum weiß, wäs er thut, oder was in ihm vor­ geht. Wie in einem Hause, wo nichts an seiner rechten Stelle steht, eine Sache sich schwer finden läßt, so in dem

Herzen, wo alles in Unordnung ist.

Die meisten Men­

schen sind nie daheim in ihrem Innern, und beachten ihre Bewegungen und Begierden nicht. Viele sind entschlossen zu dem, was sie thun wollen, noch ehe sie es geprüft ha­ ben; wie ein bestochner Richter, der die Untersuchung

führt,

als

ob

er

ganz

der

Wahrheit

gemäß

erken­

nen wollte, eigentlich aber schon zuvor entschieden ist, was er für ein Urtheil fällen soll. Viele sind parteiisch gegen sich selbst; ihre großen Sünden sehen sie für klein an, und die kleinen beachten sie gar nicht; ihre

Naturgaben betrachten sie als ein Werk der göttlichen Gnade und ein Zeichen ihrer Kindschaft und sprechen:

153 „Alles dies habe ich gehalten von meiner Jugend auf; ich bin reich und habe gar satt, und bedarf nichts." Die meisten Menschen bleiben auf halbem Wege stehen; sie fan­ gen an, ihr Herz zu erforschen, aber ehe sie damit zu Ende sind, lasten sie es fahren. Auch prüfen sie sich nach falschen Regeln und Kennzeichen, sie kennen das wahre Christenthum nicht genau; bald übertreiben sie, bald ver­ kürzen sie die Worte der Schrift. Sehr häufig gelingt ihnen das Werk nicht, weil sie es in eigner Kraft versu­ chen. Wie einige meinen, der heilige Geist solle es thun, während sie stille sitzen (eigentlich aber ihm widerstreben), so fangen es andre für sich selbst an, ohne die Hülfe des heiligen Geistes zu suchen oder zu erwarten. Beide wer­ den in ihrer Zuversicht gewiß zu Schanden. Noch andere Hindernisse gibt es, welche auch wahre Christen in dem Genuffe dieser tröstlichen Gewißheit stö­ ren. Dahin gehört: die Schwäche der Gnadenwirkungen in ihren Herzen. Die meisten Christen begnügen sich mit einem geringen Maße der Gnade, und geben sich der Wirkung des Herrn nicht hin, wenn er sie männlich und stark machen will; und da werden sie denn der geringen Anfänge der Gnade in ihrem Herzen selbst nicht gewahr. Unverwandt auf Christuni und seine vollkommene Erlö­ sung blicken, fest auf die von Gott selbst verordneten Gna­ denmittel, das Hören und Lesen seines Wortes, den Ge­ nuß des Sakraments, und das Gebet sowohl im Kämmer­ lein, als in der Gemeinschaft mit anderen, vertrauen, und Matth. 19, 20. — Off. 13, 17.

154 in stillem Gehorsam die Zeit und Stunde Gott anheim­ stellen, das würde für solche der rechte Weg zur Gewiß­ heit werden. O, daß doch die Christen vielmehr ihre Zeit darauf verwendeten, sich der Gnade gewiß zu machen, als daß sie mit Zweifeln sie hinbringen, ob sie in der Gnade stehen oder nicht! D.aß sie die -Sehnsucht, welche jene Zweifel in ihnen erzeugt, zum Gebete triebe um mehr Licht und Gewißheit, statt daß sie in unfruchtbaren Klagen verrauchte! Ich bitte dich, lieber Christ, sieh dies als einen Rach von Gott selbst an. Befolgst du ihn, und fährst fort mit Gebet und Flehen, und glaubest lebendig und liebst inbrünstig, so vergehen dir die Zweifel von selbst, und du kannst so wenig zweifeln an deinem Gnadenstande, als einem Menschen, der in sehr warmem Sonnenschein steht, zu Muthe seyn kann, als fröre er, oder ein starker, gesunder Mensch Zweifel daran haben kann, ob er lebe. Der rechtfertigende Glaube, lieber Christ, besteht nicht darin, daß du ein lebhaftes Gefühl von Gottes besonderer Liebe zu dir hast, sondern daß du, ohne alles Vertrauen auf dein Verdienst, Christum als deinen Heiland annimmst, damit er dich Gott angenehm mache. Statt daß du so viel hin und herzweifelst, ob du Christo angehörst oder nicht, hättest du ihn schon längst annehmen sollen, wie er als Opfer für deine Schuld im Evangelio sich darbietet. — So liegt nun ein zweites Hinderniß auch bei wahren Gläubigen darin, daß sie die Glaubenszuversicht und die Gewißheit ihrer Kindschaft verwechseln mit der Freude, die oft in ihrem Gefolge ist. Sollte denn jemand sich nicht

155 länger für seines Vaters Kind halten, als dieser sein An­ gesicht ihm freundlich zukehrt oder liebreiche Worte zu ihm spricht? Auch muß man nicht so schlechthin still sitzen und warten, bis Gott uns seinen Trost verleihen will. Die Hauptquelle, aus der Gott uns seine Tröstungen zufließen läßt, sind seine Verheißungen; die muß der Christ täglich und wiederholentlich unter Gebet betrachten, und auf diesem Wege die Glaubenszuversicht erwarten, die der heilige Geist seinem Herzen mittheil t. Die Freude aus Gottes Verheißungen und die Freude im heiligen Geiste sind eins und daffelbe. — Ferner ist es ganz falsch, wenn die Christen meinen, das sey keine Gewißheit des Heils, wenn noch irgend eine Regung des Zweifels in ihnen übrig ist. Es gibt ja Grade dieser Gewißheit, und die Versicherung des Heils in ihrem Herzen steht im Kampfe gegen die aus ihrem sündlichen Verderben beständig sich erhebenden Zweifel. So lange wir auf Erden sind, er­ kennen wir stückweise. — Eine nur zu häufige Ursache der Ungewißheit ist die Hegung irgend einer wiffentlichen Sünde. Davon wird gleich unser Geist niedergeschlagen, und kann zu keiner Freudigkeit kommen. Vernichtet eine solche Sünde auch nicht gleich das ganze Gnadenwerk Gottes in der Seele, so verfinstert sie doch alles; der hei­ lige Geist kann nicht frei wirken; er weckt und zieht nicht mehr, kaum hört man noch seine Stimme. Sie sticht der Seele das Auge aus, oder hält wenigstens einen Flor vor daffelbe, und stumpft das Gefühl ab, daß man seinen wahren Zustand weder sieht noch fühlt. Vor allem abör

156 reizet sie Gott, sich uns zu entziehen, seine Kraft und den Beistand seiner Gnade uns zu rauben, und ohne den kön­ nen wir lange vergebens nach Gewißheit trachten. Gott hat die Sünde und den Frieden für ewig von einander geschieden Vergebens sehnest du dich nach Trost und Frieden, so lange du wissentlich in dir die Hoffahrt, die, Weltliebe, die Fleischeslust, oder irgend einen ungöttlichen Hang duldest. Wenn ein solcher Götzendiener kommt, um den Herrn zu fragen, dann hört er diese Worte von ihm: „Menschenkind, diese Leute hangen mit ihren Herzen an ihren Götzen, und halten ob dem Aergerniß ihrer Miffethat; sollte ich denn ihnen antworten, wenn sie mich fragen? Darum rede mit ihnen und sage zu ihnen: So spricht der Herr Herr: Welcher Mensch vom Hause Israel mit dem Herzen an seinen Götzen hanget, und hält ob dem Aergerniß seiner Miffethat, und kommt zu fragen: demselbigen will ich antworten, wie er verdient hat mit seiner großen Abgötterei." — Eine andere sehr allgemeine Ursache der innern Unruhe und des Mangels an Zuver­ sicht ist, wenn die geschenkte Gnade nicht gleich zum Ge­ horsam angewandt wird. Der Weg der selbstverleugnen­ den Nachfolge Christi ist auch der Weg des süßesten Tro­ stes in seiner Nähe, in seinem Gehorsam gibt er uns Friede und Ruhe und stärkt uns damit zu größerer Treue; und wenn wir gleich nichts vor ihm verdienen können, so steigt und sinkt doch unser Friede und Trost gewöhnlich mit unserer Treue. Ja, diese Thätigkeit der Seele in der E;. 14, 3. 4.

157 Nachfolge Christi bringt selbst Trost mit sich. Christum lieben ist etwas unaussprechlich Seliges. Eine mit Gnade erfüllte Seele, welche still liegt, ist gleich einer schön ge­ stimmten, wohlklingenden Laute, auf der niemand spielt, und die sich so lange auch von einem gewöhnlichen Stück Holz nicht unterscheidet. — Zuweilen ist auch ein natür­ licher, körperlicher Hang zur Schwermuth die Ursache des Mangels an Glaubenszuversicht. Einem solchen Schwermüthigen ist es oft eben so natürlich zu zweifeln, zu fürch­ ten, ja zu verzweifeln, als einem Kranken zu stöhnen, oder einem Kinde, wenn es gezüchtigt wird, zu schreien. Ohne den Arzt arbeitet da oft der Seelsorger vergebens; man kann einen solchen zum Schweigen bringen, aber nicht trösten; man kann ihm das Geständniß entlocken, daß er Gnadenerfahrungen an seiner Seele gemacht hat, aber kann ihn nicht leicht dahin bringen, zu glauben, er sey ein Kind Gottes. Alle guten Gedanken, die man in ihm erweckt, werden selten älter als einen oder zwei Tage. Er schreit über die Sünde und den Zorn Gottes, wenn ihn eigentlich sein leibliches Uebel quält. Solche Leute sollten, um zur Glaubenszuversicht zu gelangen, immer den Weg des stillen Gehorsams und der herzlichen Selbst­ verleugnung gehen, und gern und willig auf Erden ein Leben des Kreuzes führen, wie der Herr es ihnen bestimmt hat; dadurch würde ihr Geist auch mitten in den körper­ lichen Leiden immer mehr erstarken, und die von dem siechen Körper ausgehende Macht des Unmuths und der Zweifel immer mehr an Kraft verlieren.

158 3. Von Beweggründen zu einer ernsten Selb st Prüfung möchte ich euch besonders Folgendes ans Herz legen: Ueber die Kindschaft Gottes und die Ge­ wißheit der Seligkeit sich zu täuschen, ist etwas sehr Häu­ figes. Viele sind jetzt in der Hölle, die nie einen Be­ trug in ihrem Herzen vermutheten, die in Weisheit der Welt sich hervorthaten, die in dem Hellen Lichte des Evangeliums lebten, und sogar andere vor Trägheit warnten. Es ist also gar nichts Seltenes, in dieser wich­ tigen Angelegenheit sich zu täuschen. In der Welt vor der Sündfluth, in Sodom finden wir keine Furcht vor den Strafgerichten Gottes. Bei uns meinen die meisten Leute selig zu werden; und doch sagt Christus, „der Weg sey schmal, der zum Leben führt, und wenige seyen, die ihn finden." Wenn nun so viele sich betrügen, sollten wir den nicht ernstlich suchen, um uns nicht gleichfalls betrügen zu lassen? Wenn Gläubige in der Anfechtung ihren Zustand für ärger halten, als er ist, so kann das üble Folgen haben; aber unaussprechlich größer ist das Elend, wenn Ungläubige sich über ihren Zustand be­ trügen. Das befestigt recht die Herrschaft des Satans in ihnen, und vereitelt die Wirkung aller göttlichen Gnaden­ mittel. Und dauert der Betrug fort bis an den Tod, dann ist der Unglückliche für ewig verloren. Da die Ge­ fahr nun so groß ist, welcher Mensch sollte denn nicht Tag und Nacht sein Herz erforschen, bis er Gewißheit hat über seine Seligkeit? Wie gering ist doch diese Mühe Matth. 7, 14.

159 im Vergleich mit der Qual, die uns. bevorsteht, wenn wir sie scheuen? Die Zeit ist nahe, Mensch, wo Gott dich prüfen wird. Wäre es bloß in diesem Leben durch Trüb­ sal, so müßtest du schon wünschen, daß du der Prüfung und dem Gerichte Gottes durch Selbstprüfung hättest zu­ vorkommen können. Es war das für Adam eine fürch­ terliche Stimme: „Wo bist du? Hast du nicht von dem

Baume gegessen?" Oder für Cain: „Wo ist dein Bruder Habel?" „Die Menschen wollen nicht bedenken,- daß ich alle ihre Bosheit sehe; ich sehe aber ihr Wesen wohl, das

sie allenthalben treiben." Und dann, bedenke doch, wel­ ches die seligen Folgen dieser Selbstprüfung seyn werden. Bist du redlich und gläubig, so führt sie dich gerade hin zu der Versicherung von Gottes Liebe; bist du es noch nicht recht, so wird sie dich zwar anfangs sehr in Un­ ruhe setzen, zuletzt aber dennoch zur Gewißheit deiner Seligkeit führen. Wie himmlische Gedanken wirst du dann von Gott haben! Alle seine Allmacht und Majestät, die für andere so furchtbar ist, wird zur Seligkeit dir werden. Welche süße selige Gedanken von Christo, von dem Blute, das er vergossen, von der Herrlichkeit, die er dir erworben hat, werden dein Herz erfüllen! Wie leben­ dig und köstlich wird Gottes Wort dir werden, und. wie lieblich die Füße der Boten, die es predigen! Wie selig werden die Verheißungen erscheinen, wenn du gewiß bist, sie sind dein! Ja, die Drohungen des göttlichen Wortes selbst werden dir tröstlich werden, wenn du dabei

1 Mos. 3, 9. 11. 4, 9. — Hos. 7, 2.

160 selig inne wirst, daß sie dich nicht mehr treffen. Welche Freudigkeit und welchen Trost wirst du aus dem Gebete schöpfen, wenn du recht mit Zuversicht „Unser Vater" wirst sagen können! Welch ein Mahl der Erquickung und 'Stärkung wird dir dann das heilige Abendmahl werden! Ja, alle anderen, geringeren Gnadenerweisungen Gottes werden dann für dich wie aufleben und dir noch einmal so herrlich erscheinen. Mit welchem Troste wirst du ins Leiden gehen! Wie wirst du zu des Herrn Werk gestärkt werden, und allen um dich her zum Segen werden! Wie werden alle Gnadenwirkungen in deinem Herzen so viel lebendiger, deine Buße so viel ernster, deine Liebe so viel inbrünstiger, deine Sehnsucht so viel feuriger, dein Glaube so viel fester und für dich eine unversiegliche Quelle der Freude werden, die dich mit Selig­ keit überströmt, zu stetem Lobe entzündet, dein Herz nach oben zieht, wo Christus ist, und ausharrende Geduld in Allem dir schenkt! Alle diese seligen Folgen der Glaubens­ zuversicht werden dein Leben zu einem Himmel auf Erden machen. Obwohl alle diese Beweggründe an sich selbst ernst und gewichtig genug sind, so bin ich doch besorgt, lieber Lesxr, du möchtest dies Buch so aus der Hand legen, als ob du nun das Deine gethan hättest, und nie ans Werk gehen. Die vor der'liegende Frage ist von so unendlichlicher Wichtigkeit: Ob du ewig im Himmel oder in der Hölle zubringen werdest? Ich bitte dich daher um deiner Seligkeit willen, ja, im Namen des Herrn fordre ich dich

161 auf: Laß es nicht länger

anstehen, prüfe und erforsche

ernstlich dein Herz, und sprich zu deiner Seele: Ist es denn wirklich eine so leichte, so allgemeine und so gefähr­

liche Sache, in dieser Angelegenheit sich selbst zu täuschen? Sind so viele auf dem breitem Wege, der ins Verderben führt? Ist das menschliche Herz ein so betrügerisches Ding? O warum durchsuche ich denn nicht alle seine Falten, bis ich Gewißheit über meinen Zustand habe? Muß ich in Kurzem ein Verhör bestehen vor dem Richterstuhle Christi— o warum erforsche ich nicht selbst sogleich mein Herz?" Vielleicht antwortest du mir aber: Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Nun so will ich dir denn jetzt Anleitungen dazu geben; aber ach, sie werden alle ver­ gebens seyn, wenn du nicht zuvor entschlosien bist, dich leiten zu lassen! Ehe du daher weiter gehest, gelobe es hier vor dem Herrn, daß du in seinem Namen und in seiner Kraft sogleich ans Werk gehen willst, nach den An­ leitungen, die ich dir aus dem göttlichen Worte jetzt geben werde. 4.

Diese Anleitungen, die ich dir geben möchte,

sind folgende: Leere dein Herz aus von allen andern Ge­ danken, daß sie dich nicht zerstreuen und deine Arbeit nicht theilen; du wirst an diesem Werke der Selbstprüfung

genug haben, ohne daß du dich noch mit andern be­ ladest. — Dann falle nieder in herzlichem, inbrünstigem Gebet vor Gott, und bitte ihn um den Beistand seines

Geistes, damit er dir die wahre Beschaffenheit deines HerBarter, Ruhe der Heiligen.

H

162 zens zeige, und in dem Fortgänge des Werkes dich be­ gleite. Wähle dir dann Zeit und Ort, wie sie am pas­ sendsten sind; den Ort so still, als möglich; die Zeit, wo du am meisten sicher bist vor jeder Störung; und geht es, so wähle «die allernächste Zeit. — Stelle dir einige Stellen der heiligen Schrift vor die Augen, worin Christus in seiner Gnade und Freundlichkeit, und die Seligkeit, die er uns durch sein Blut erworben, und der Weg beschrieben wird, auf dem er uns zu sich ruft; und suche dich von ihrer untrüglichen Wahrheit zu überzeugen. Und dann gehe zu den Fragen über, die du deinem Her­ zen vorzulegen hast. Frage dich aber nicht etwa, ob in dir irgend etwas Gutes von Gott gewirkt sey; frage dich nicht, ob du das oder jenes Maß der Gnade empfangen habest, sondern frage dich, ob du die Gnade empfangen habest, ein Kind Gottes, ein Jünger Christi zu seyn. — Fühlest du, daß mitten in der Prüfung dein Herz kalt und matt wird, und ablassen will, so wirf dich wieder ins Gebet, und will dies nichts helfen, dann geh zu einem treuen Seelsorger oder Freunde, und leg ihm deinen Zu­ stand dar, wie ein Kranker dem Arzt. Er kann zwar die Gewißheit und Glaubenszuversicht dir nicht schenken, aber er kann dir eine große Hülfe werden, sie zu erlangen. Nur nimm nicht etwa die Menschenhülfe zum Vorwand, um in der Selbstprüfung nachzulassen; sondern nur, wenn du selbst dich zu ohnmächtig und zu wenig gesammelt fin­ dest im Gebet, dann laß dich unterstützen. — Hast du nun bei redlicher, ernster Selbstprüfung gefunden, daß du

163 ein Kind Gottes dich nennen darfst, o dann danke doch sogleich dem Herrn dafür, daß er dich in einen so seligen

Zustand versetzt hat. Hast du aber gefunden, daß du noch außerhalb des Gnadenbundes stehest, o dann denke an dein großes Elend! Gehe diesen Gedanken nach, bis sie einen tiefen Eindruck auf dein Herz gemacht haben. Präge deinem Gedächtniß ein, was sich dir bei deiner «Prüfung

ergeben hat: „Zu der Zeit fand ich, nach genauer Er­ forschung meines Herzens, daß mein Zustand so oder so beschaffen sey." Der Gedanke an das, was du auf diese Weise in dir gefunden hast, wird auch in späteren Zeiten dir sehr heilsam seyn. — Verlaß dich übrigens nicht auf diese einmalige Prüfung so, daß du darin nicht fortfahren

solltest; laß dich dadurch von der täglichen Untersuchung deiner Gesinnungen und Wege nicht abhalten, und werde nicht muthlos, wenn du oft dieselbe Prüfung vornehmen mußt, und oft dieselben Ergebnisse findest. — Bist du noch nicht von Neuem geboren, so hüte dich besonders, aus deinem jetzigen Zustand einen Schluß zu ziehen auf den künftigen. Sage nicht: „Weil ich jetzt ungläubig bin, werde ich es bis an meinen Tod bleiben; weil mein Christenthum jetzt äußerlich und heuchlerisch ist, darum

werde ich nie anders werden." Verzage nie; Christus, der allgenugsame Heiland, steht vor dir, und bietet dir seine freie Gnade an, er ist mächtig, alle deine Feinde, die auch seine Feinde sind, zum Schemel seiner Füße zu legen; nichts, als dein eignes Widerstreben, kann das Werk seiner Gnade

in dir

hindern,

magst du ihn bis jetzt li*

164 noch so oft verleugnet und von dir zurückgestoßen ha­ ben.

5. Nun laß mich noch einige Kennzeichen hinzufügen, an welchen du erkennen kannst, ob du die Ge­ wißheit, einzugehen in die Ruhe, wirklich empsangen ha­ best. Ich will nur zwei derselben erwähnen: wenn Gott dein höchstes Gut ist; und, wenn du von ganzem Herzen Christum als deinen alleinigen Herrn und Heiland an­ nimmst.

Jeder, welcher die Gewißheit hat, in die Ruhe der Heiligen einzugehen, findet in Gott seine höchste Seligkeit. Denn diese Ruhe besteht eben in der innigen, vollkomme­ nen seligen Gemeinschaft mit Gott. Wer Gott nicht als sein höchstes Gut und Endziel ansieht, der ist in seinem Herzen ein Heide und ein elender Götzendiener. Run so laß mich dich fragen: Hältst du es wirklich für die größte Seligkeit, daß du dereinst der vollkommenen Gemeinschaft mit dem Herrn theilhaftig werden sollst? Kannst du sagen: „Der Herr ist mein Licht und mein Theil!" „Wenn ich Dich nur habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde?" Bist du wirklich eine Erbe des Himmelreichs, dann ist das dein Sinn; denn in diesem Falle, obwohl das Fleisch zu seinen Freuden dich lockt, und die Welt sich hineinstiehlt in deine Liebe, ist doch die Hauptrichtung deines Herzens in deinem gewöhnlichen, ruhigen, vorherrschenden Zustande auf Gott, vor allen andern Dingen gerichtet. Er ist das Ziel aller deiner Neigungen und Begierden. Was dir

165 das Leben auf Erden lieb und wünschenswerth macht, ist das Anhören Seines Wortes, das Gebet zu Ihm, Ihn zu suchen und deiner ewigen Gemeinschaft mit Ihm dich ge­ wiß zu machen. Ist dein Verlangen auch nicht so inbrün­ stig, als es seyn sollte, so zieht dich doch kein ander Ding so sehr an, daß dich stärker danach verlangte, als nach Gott. — Und keine Mühe und kein Leiden erscheint dir zu groß, um zu dieser Gemeinschaft zu gelangen. Will das Fleisch auch bisweilen zurückschaudern, so bist du doch fest entschlossen, durch alles hindurchzubrechen. Und so achtest du die ewige Ruhe weit höher, als alles, was sonst ein Gut genannt wird. Wenn Gott dir auf der einen Seite eine Ewigkeit von irdischen Freuden, auf der andern die Ruhe der Heiligen zeigte, und dir die Wahl ließe, so würdest du der Welt entsagen und diese Ruhe wählen. Bist du aber noch nicht wiedergeboren, dann ziehst du in deinem Herzen deine weltlichen Freuden Gott vor; und spricht auch deine Zunge: „Gott ist mein höchstes Gut," so stimmt dein Herz doch nicht damit überein; denn deine Neigungen und Begierden sind der Welt zugekehrt; dein innerstes Herz gehört ihr an; deine größte Sorge und Mühe ist aus deine Ehre und auf deine Fleischesfreuden gerichtet. Aber nach dem zukünftigen Leben trachtest du nicht; die unsichtbare Herrlichkeit jener Welt schien dir nie so köstlich, daß sie dein Herz auf sich hingerichtet, und ein eifriges Trachten danach in dir erweckt hat. Die we­ nige Mühe, welche du dir darum gibst, kommt erst nach deinen anderen Sorgen. Gott hat an dir nur so viel,

166

als die Welt übrig läßt, nur so viel Zeit und Mühe schenkst du ihm, als du dir absparen kannst von deinem Welttreiben, nur die wenigen kalten, flüchtigen Gedanken, welche sich an deine steten, lebhaften und dich ganz einneh­ menden Gedanken an irdische Dinge anhängen. Für den Himmel würdest du gar nichts thun, wüßtest du nur, wie du die Erde festhalten solltest; weil aber „die Welt vergeht mit ihrer Lust," darum bekümmerst du dich nebenbei auch etwas um das jenseitige Leben. Deshalb scheint dir Got­ tes Weg zu schmal, und es scheint dir eine zu große Mühe, immer nach der Richtschnur des Evangeliums zu wandeln; und kommt es zur Probe, und die Wahl wird dir vorge­ legt, ob du Christo oder der Weltlust entsagen wollest, dann willst du den Himmel lieber daran geben, als die Erde, und verleugnest mit Bewußtsein den Gehorsam deines Gottes. Mag nach dem Himmel trachten, wer da will, denkst du dann, die Freuden der Erden sind mir lie­ ber. So sieht es in dir aus, wenn du noch nicht von Neuem geboren bist, und noch keine Gewißheit hast, in die ewige Ruhe der Heiligen einzugehen. Und wie du Gott für dein höchstes Gut hältst, so nimmst du auch Christum von ganzem Heiden als deinen alleinigen Herrn und Heiland an, der dich einführen kann in die ewige Ruhe. Das erste Kennzeichen war die Summe, das vornehmste und größte Gebot des Gesetzes: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Her­ zen, und von ganzer Seele, und aus allen deinen Kräf-

167 ten." Dies zweite Kennzeichen ist die Summe dessen, was das Evangelium fordert: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig." Siehest du also mir ganzem Herzen auf Christum, als auf deinen Heiland? Vertrauest du nicht ferner deinen Werken und Pflichter­ füllungen, daß sie dich in den Himmel bringen sollen? Bist du fest überzeugt, daß sie auch im Geringsten nicht im Stande sind, den Fluch des Gesetzes von dir zu neh­ men, oder Gottes Forderungen genug zu thun, und dir eine wahre, vor Gott geltende Gerechtigkeit zu erwerben? Und setzest du die Hoffnung deiner Seligkeit ganz allein auf die Gnade, welche dir angeboten wird durch die jOffenbarung Jesu Christi? Bist du ihm, als deinem Herrn und Könige, mit Freuden unterthänig, und hast dich Ihm übergeben, damit Er dich regiere mit Seinen Geboten und mit Seinem Geiste? Und willst du ihm gehorchen, auch wenn er das Schwerste von dir fordert, und was am meisten dein Fleisch mit dessen Lüsten und Begierden kreuzigt? Ist es dir eine herzliche Betrübniß, wenn dieser dein Entschluß wankend geworden ist? Und findest du deine Freude darin, dich ganz zu Jesu zu halten? Möch­ test du für die ganze Welt deinen Herrn junb Meister nicht verändern? Das ist der Sinn eines wahren Chri­ sten. Bist du aber ein Heuchelchrist, dann sieht es ganz anders in dir aus. Du nennest Christum wohl deinen Herrn und Heiland, aber niemals hast du dich ohne ihn so verloren gefühlt, daß es dich trieb, Ihn zu suchen, Ihm zu vertrauen und deine ganze Hoffnung auf Ihn zu

168 setzen.

Nie hast du von ganzem Herzen Jesum als deinen

Herrn anerkannt, nie Seiner alleinigen Herrschaft dein Herz und Leben hingegeben, nie Sein Wort zur alleinigen Richtschnur deiner Gedanken, Worte und Werke genom­ men. Freilich sähest du es recht gern, wenn Christus dich nach dem Tode von der Hölle erlöste, inzwischen aber läs­ sest du ihn nicht mehr Gewalt über dich üben, als sich mit

deiner Ehre, deinem Vergnügen und andern Weltfteuden verträgt. Und stellte er dir die Wahl, so würdest du viel lieber nach der Welt und nach dem Fleische, als nach dem Worte und Geiste Gottes leben. Und erwacht auch hie und da einmal eine bessere Regung oder ein besserer Vor­

satz in dir, so ist doch habe, der gewöhnliche Darum hast du keinen Christum; denn sob du verleugnest du ihn doch

der Zustand, den ich beschrieben und herrschende deines Herzens. wahren, lebendigen Glauben an ihn auch in Worten bekennest, so mit deinen Thaten, indem du un­

gehorsam und zu jedem guten Werke untüchtig bist. So steht es mit allen denen, welche ausgeschlossen werden von der Ruhe der Heiligen. Merke wohl, die Richtung deines Herzens oder Wil­ lens ist es vornehmlich, welche du zu erforschen hast. Ich frage dich nicht danach', ob du ein Gefühl der Gewißheit deiner Seligkeit in deinem Herzen habest, nicht danach, ob

du glauben kannst, daß dir deine Sünden vergeben und du von Gott angenommen seyst in Christo; diese gewisse Zuversicht und dies Gefühl sind.herrliche Früchte des

169 rechtfertigenden Glaubens, und jeder Gläubige empfängt sie gewiß einmal zu seinem Troste; aber wohl kann es seyn, daß du während deines Lebens auf Erden nie völlig sie empfängst, und bist doch ein Erbe des Himmel­ reiches. Sag daher nicht: „Ich habe kein Gefühl von der Vergebung meiner Sünden, darum habe ich auch noch keinen wahren Glauben." Das ist ein ganz falscher Schluß. Frage dich vielmehr, ob du von Herzen Christum, wie er dir von Gott gemacht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung, als deinen Heiland annimmst, und von ihm allein die Vergebung deiner Sün­ den, die Versöhnung mit Gott und die Seligkeit hoffest? Ob du wirklich dich ihm unterwirfst, als deinem einigen Herrn, der dich mit Seinem Blute erkauft hat, und damit einverstanden bist, daß er dich auf dem Wege, den er für gut findet, in den Himmel bringe? Das ist der rechtfer­ tigende, selig machende Glaube, und das Kennzeichen, an welchem du dich zu prüfen hast. Aber bemerke wohl, diese Einwilligung muß von Herzen und mit der That gesche­ hen, nicht mit Worten oder Gedanken, oder mit allerhand Vorbehalt. Es gilt dabei nicht, mit jenem Sohne, den der Vater aufforderte, in seinen Weinberg zu g^hen, zu sagen: „Herr, ja!" und dann nicht hinzugehen. Hat einer mehr Gewalt über dich, als Christus, so bist du sein Jünger nicht. Diese beiden Kennzeichen, davon bin ich fest überzeugt, hat jeder wahre Christ, und nie­ mand, als wahre Christen. O möchte der Herr dich jetzt zu dieser Selbstprüfung bewegen! Möchtest du

170 nicht dereinst zittern, wenn der Richter der ganzen Welt seine Prüfung mit dir anstellen wird, sondern so gewiß seyn deiner Seligkeit, daß der Anblick des Todes und des Gerichts dich nur freudiger macht und mit Wonne dich

erfüllt!

Und überhaupt, da doch alle Christen gern einen Trost hätten, der sie nicht verläßt, o möchten sie es doch zu der großen Angelegenheit ihres ganzen Lebens machen, in der Gnade zu wachsen, Christo immer mehr Gewalt einzuräumen in ihren Herzen, und die Gewalt des Flei­ sches darin immer mehr zu nichte zu machen! Betrüget euch nicht selbst mit der Ausrede: Christus hat ja alles gethan, so brauchen wir nichts zu thun. Wer nicht wir­ ket in der Kraft, die Christus ihm darreicht, wer nicht kämpft und siegt mit Gottes Waffen und in der Macht Seiner Stärke, der verhält sich nicht gleichgültig gegen Christum, sondern er widerstehet Seiner Gnade, und kann also auch keine bleibende Zuversicht und Gewißheit seiner Seligkeit haben. Nicht jedem, der sich einen selbstgemach­

ten Wahnglauben an seine Erlösung in den Kopf setzt,

sondern der überwindet, dem wird Christus zu effen geben von dem verborgenen Manna, und wird ihm ein gutes Zeugniß geben, und mit den Zeugniß einen neuen Na­ men, welchen niemand kennt, als der ihn empfängt; er

wird effen von dem Baum des Lebens, der im Paradiese Gottes ist; und ihm wird kein Leid geschehen von dem Off. 2, 7. 11. 17.

171 andern Tode. Christus wird seinen Namen bekennen vor seinem Pater und seinen Engeln, und ihn zum Pfeiler machen im Tempel seines Gottes, und er wird nicht mehr hinauskommen; und er wird auf ihn schreiben den Namen seines Gottes, und den Namen der Stadt seines Gottes, des neuen Jerusalems, welches vom Himmel und seinen Namen, den Ja, er wird ihn mit sich sitzen lassen auf Seinem Stuhl, gleich wie er überwunden hat, und gesessen ist mit seinem Vater auf Seinem Stuhle. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt! herabkommt von seinem Gott,

neuen.

Off. 3, 5. 12. 21. 22.

172

Neunter Abschnitt.

Die Pflicht -er Kinder Gottes, andre zu erwecken, daß sie nach dieser Ruhe trachten. Hält uns Gott ein so herrliches Kleinod vor, als die

Ruhe Seiner Heiligen ist, und macht uns theilhaftig einer solchen unaussprechlichen Seligkeit: warum sind die Kin­

der dieses Reiches nicht ernstlicher bemüht, andere zum Genusse derselben zu verhelfen? Ach, wie geringschätzig behandeln wir doch die armen Menschenseelen! Wir sehen die Herrlichkeit jenes Reiches, und sie sehen nicht; wir sehen das Elend derer, die davon ausgeschlossen sind, und

sie sehen es nicht; wir sehen sie vom rechten Wege in der Wildniß herumirren, und wissen, daß sie, wenn sie so fortgehen, nie zu jenem Ziele gelangen, und sie selbst mer­ ken das nicht; und doch mögen wir nicht ernstlich ihnen

ihre Gefahr und ihren Irrweg zeigen, und ihnen wieder zurecht helfen, damit sie das Leben haben möchten! Ach, wie wenige Christen gibt es doch, die mit aller ihrer

173 Macht bemüht sind, Seelen zu erretten! An uns liegt es sicher nicht, daß der Himmel nicht leer ist, und die See­ len unsrer Bruder nicht ewig verloren gehen. Da denn die Erfüllung dieser heiligen Pflicht von solcher Wichtig­ keit ist zur Verherrlichung Gottes und zur Seligkeit der Menschen: so will ich nun zeigen, wie sie geübt wer­ den solle — warum .sie so sehr vernachlässigt wird — und will einige Betrachungen anstel­ len, die zu ihrer Uebung auffordern.

1. Indem ich sage, daß ein jeder Christ die Pflicht habe, andere zu der Prüfung zu bewegen, ob sie des Eingehens in die ewige Ruhe der Heiligen gewiß seyen, so meine ich damit keinesweges, daß jedermann ein Pre­ diger werden, oder die Grenzen seines besonderen Be­ rufes überschreiten solle. Noch viel weniger meine ich da­ mit, daß der diese Pflichten übt, welcher Secten und Par­ teien stiftet, am allerwenigsten aber ein solcher, der über die Sünden andrer hinter ihrem Rücken redet, und ihnen gegenüber davon schweigt. Diese Pflicht besteht in ganz etwas Anderem; erstlich in der Betrübniß unsres Her­ zens über das geistliche Elend unsrer Brüder; zweitens in dem Wahrnehmen aller Gelegenheiten, um sie auf den Weg zur Seligkeit zu führen, und drittens in der Beförderung ihres geistlichen Wohles durch die von Gott angeordneten Gnadenmittel. Erstlich, das geistliche Elend unserer Brüder muß uns mit Betrübniß erfüllen. Ihren Schmerz müssen wir mitfüh-

174 len, und nach ihrer Bekehrung und Begnadigung ein in­ brünstiges Verlangen haben. O, wer kann sich einen Christen nennen, und hier den Fußstapfen unsres Heilan­ des nicht Nachfolgen! Was trieb ihn denn vom Himmel auf die Erde? „So spricht der Herr: Niemand jammerte deiner, daß er sich über dich hätte erbarmet, sondern du wurdest auf das Feld geworfen. Ich aber ging vorüber, und sahe dich in deinem Blute liegen, und sprach zu dir, da du in deinem Blute lagst: Du sollst leben. Ja zu dir sprach ich, da du so in deinem Blute lägest: Du sollst leben." Und als er nun erschienen war unter dem ver­ kehrten und undankbaren Geschlechte, da war es sein Ge­ schäft von früh bis spät, daß er umherzog und wohl that und machte gesund alle, die vom Teufel überwältigt waren. Wie jammerte ihn des Volkes, wenn er sie so „ver­ schmachtet und zerstreut sah, wie Schafe, die keinen Hirten hatten!" Wie sah sein Auge aus nach den klein­ sten Regungen des Glaubens und der Liebe zu ihm! Wie herzte er die Kinder, und küßte und segnete siel Wie liebreich und gnädig stillte er die Thränen der Sünderin zu seinen Füßen! Wie freundlich rief er den Zachäus vom Maulbeerbaume herab! Wie frohlockte er, als er noch im Sterben den Glaubensaugen des reuigen Schächers die Thore des Paradieses austhun konnte! Wie rief er die Kinder der prophetenmörderischen Stadt Jerusalem zu sich, wie eine Henne ihre Küchlein lockt unter ihre Flügel! Hes. 16, 5. 6. — Apg. 10, 38. — Matth. 9, 36. — Marc. 10,16.— Luc. 7, 48. 50. — Luc. 19, 5. — Luc. 23, 43. — Luc. 19, 41.

175 Wie weinte er so voll Milde und Erbarmen über die verblendete Stadt, die nicht bedenken wollte, was zu ihrem Frieden diente! Wie ließ er sich selbst durch die Unempfindlichkeit und Verstocktheit der kalten, starren Heuchler nicht abschrecken, daß er nicht immer aufs Neue ihr tiefes Verderben ihnen aufdeckte, ob sie nicht einmal nüchtern werden möchten aus des Teufels Strick, der sie gefangen hielt nach seinem Willen. Dort, dort siehe hin, du kalter, träger, unempfindlicher Christ, und hast du selbst Antheil an der Gnade dieses Heilandes voll Liebe, hast du voll Scham und Reue einen Blick in das Herz gethan, das auch über dir gebrochen ist, hast du geschmeckt, wie freundlich er ist, dann zünde deine Bruderliebe an diesem Feuer an! Sodann müssen wir alle Gelegenheiten wahrnehmen, um unsere Brüder auf den Weg der Seligkeit zu führen. Findest du neben dir noch einen ganz Unwissenden, so zeige ihm, worin das wahre Glück des Menschen be­ stehe, und wie der Mensch ursprünglich heilig und selig erschaffen war; welchen Bund Gott mit ihm machte; wie der Mensch diesen Bund brach, und in welches Elend er sich dadurch stürzte; zeig ihm die Nothwendigkeit eines göttlichen Heilandes und Erretters aus dieser Noth; wie Christus in die Welt kam, um uns zu dienen und das Lösegeld für uns zu bezahlen; worin der neue Bund be­ steht, und wie die Menschen zu Christo gezogen werden; und welche Reichthümer und Vorrechte die Gläubigen in

Matth. 23.

176 ihm besitzen. Bewegt ihn alles dies nicht, dann zeig ihm die Herrlichkeit der Güter, die er so geringschätzt; die Furchtbarkeit uud die Ewigkeit der Strafen der Verdamm­ ten; die Gerechtigkeit dieser Strafen, da sie wissentlich die errettende Gnade von sich stießen; die Gewißheit, die Nähe und die Schrecken des Todes und des Gerichts: die Nich­ tigkeit aller irdischen Dinge; wie überaus sündig die Sünde, wie überaus lieblich und herrlich der Heiland ist; die Noth­ wendigkeit der Wiedergeburt, des Glaubens und der Hei­ ligung und deren wahre Beschaffenheit. Bleibt er nach diesem allen noch in seinen falschen Hoffnungen, so dring in ihn, daß er sein Herz erforsche; zeig ihm die Noth­ wendigkeit der Selbstprüfung; sey ihm dabei behülflich, und laß ihn nicht eher los, als bis du ihn von seinem Elend und der Erlösung daraus überzeugt hast. Zeig ihm, wie eitel und verderblich es sey, wenn er Christus und seine Pflichtübungen im Werke der Rechtfertigung mit einander verbinden will. Aber führe ihn dabei zu dem Gebrauche aller von Gott geordneten Gnadenmittel: dem Hören und Lesen des Wortes, dem Anrufen des Herrn, der Gemeinschaft der Gläubigen; beweg ihn, die Sünde zu verlassen, alle Versuchungen zu meiden, besonders die schlechte Gesellschaft, und in der treuen Anwendung der Gnadenmittel ruhig auf Gott zu harren, daß er ihm helfe auf dem Wege, den Er für gut findet, und zu der Zeit, die Er als die beste dazu ersieht. Aber weil die rechte Art und Weise der Uebung dieser Pflicht von großer Wichtigkeit ist, füge ich noch einige Be-

177

merkungen, Winke und Warnungen hinzu. Geh ja an dies heilige Geschäft mit gradem, aufrichtigem Herzen. Trachte dabei nur nach Gottes Ehre und des Menschen Heil. Thu es nicht, um dir einen großen Namen zu machen, oder aus Selbstgefälligkeit, oder um andre von dir abhängig zu machen, oder um Anhang zu gewinnen; sondern thu es im Gehorsam gegen deinen Heiland, in Seiner Nachfolge, und aus zärtlicher Liebe zu den Seelen der Menschen. Mach es nicht wie die, welche bloß dann ihre Kinder und Dienstboten schelten oder ermahnen, wenn ihr Vortheil oder ihre Laune von jenen verletzt worden ist, und Gottes Sache und das Heil ihrer Angehörigen dabei nicht vor Augen haben. Und was du einsiehst, daß du es thun sollst, das thu bald. So wenig du wünschest, daß sie ihre Bekehrung aufschieben möchten, so wenig schieb du deine Ermahnung auf. Während du immer überlegst und Vorsätze fastest, häuft der Mensch Schulden auf Schulden, der Zorn Gottes entbrennt immer stärker gegen ihn, die Sünde breitet immer weiter und tiefer ihre Wurzeln aus, die Gewohnheit hält ihn immer fester, die Versuchungen mehren sich, sein Gewissen wird immer härter, sein Herz immer verschlossener; seine Seele wird vom Teufel beherrscht, er widersteht dem heiligen Geist, und schließt die Thür zu vor Christo; täglich ent­ heiligt er Gott und übertritt seine Gebote; die Zeit ver­ geht, Tod und Gericht stehen vor der Thür; wenn nun der arme Mensch stürbe und in die Hölle sänke, während b» mit dem guten Vorsatz umgehest, ihm zu helfen? Baxter, Ruhe der Heiligen. 12

178 ein leiblich Armer und Elender zu dir, und bittet dich um eine--Gabe, und du hast genug bei dir,

.Kommt

wie dürftest du sagen: Geh, und komm morgen wieder! Um wie viel weniger darfst du es bei der Seelennoth des

Nächsten! Der Arzt ist nicht besser, als ein Todtschläger, der aus Nachlässigkeit seinen Kranken nicht besucht, bis es zu spät ist. So lasset denn ab von euren Entschul­

digungen, und räumt die Störungen aus dem Wege, und ermahnet einander täglich, so lange es heute heißt, damit nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. — Sieh zu, daß du mit einem recht mitleidigen,

liebevollen Herzen an dies Geschäft gehest. Spottreden oder harte, zurückstoßende Worte werden nicht leicht je­ mand bessern oder zu Gott bekehren. Geh mit Thränen in den Augen zu den armen Sündern, damit sie sehen, du haltest sie wirklich für unglücklich, und habest unge­ heucheltes Erbarmen mit ihrem elenden Zustande. Bitte sie ernstlich und demüthig; laß sie fühlen, daß du ihnen gern einen Segen zuwenden möchtest; daß du keinen an­ dern Wunsch für sie habest, als ihre ewige Seligkeit; daß

dein Gefühl ihrer Gefahr und deine Liebe zu ihren Seelen dich zu reden zwinge; weil du wissest, daß der Herr zu fürchten ist, und sie deshalb in die ewige Pein gehen möchten. Sprich zu ihnen: „Lieber Freund, du weißt, ich suche nicht meinen eignen Vortheil; wollte ich dir schmeicheln oder ginge ich bloß darauf aus, das gute Ver­ nehmen mit dir zu erhalten, so müßte ich dich bestärken

Hebr. 3, 13.

179

in deinen Wegen, oder dich zufrieden lassen; die Liebe läßt mich aber dein Verderben nicht ruhig mit ansehen. Ich verlange nichts von dir, als was dir zu deiner eignen Seligkeit Noth ist; der Gewinn und Vortheil liegt ganz auf deiner Seite, wenn du zu Christo kommst." Gingen wir auf diese Weise zu jedem unsrer blinden, unbekehrten Freunde und Bekannten, wie schnell würden wir gesegnete Früchte sehen! O thu es so einfältig und so treulich als möglich! Mache ihre Sünden nicht kleiner, als sie sind, und be­ stärke sie nicht in ihren falschen Hoffnungen. Siehst du sie in einem gefährlichen Zustande, dann sprich gerade heraus: „Lieber Freund, ich fürchte, Gott hat dein Herz noch nicht erneuert, du bist noch nicht, bekehrt von der Gewalt des Satans zu Gott; du hast Christum noch nicht allem andern vorgezogen und Ihm, als deinem unum­ schränkten Herrn, dich unterworfen. Hättest du das ge­ than, dann würdest du nicht so leicht seine Gebote über­ treten, und den häuslichen und öffentlichen Gottesdienst versäumen können; du würdest der Welt nicht so emsig nachfolgen, und von nichts als weltlichen Dingen dich

unterhalten. Wärest du ein Christ, dann würdest du eine neue Creatur seyn; das Alte wäre vergangen, und alles wäre neu geworden; du würdest neue Neigungen und Gedanken, neue Freunde und neue Gegenstände der Unterhaltung haben und einen neuen Wandel führen. Hast du alles dies nicht, so bist du nicht in Christo, und änderst du dich nicht, so kannst du nicht selig werden, du magst zwar wohl ganz andre Gedanken haben, du 12*

180 magst hoffen so viel du willst, aber alle deine Hoffnungen werden dich betrügen, und du wirst mit ihnen umkom­ men." So gerade und offen mußt du mit den Menschen umgehen, wenn du ihnen für die Ewigkeit Segen bringen willst. Mit der Heiligung der Seele eines Menschen ist es nicht so, wie mit der Heilung des Leibes, wo die Ge­ fahr ihm verborgen bleiben muß, damit die Kur nicht ge­ stört werde; in der Seelenkur, wenn Gottes Geist sie er­ greift, find die Menschen mit thätig, und kennen sie ihr Elend nicht, so werden sie es auch nie beweinen und nach einem Heilande verlangen. — Sieh ferner zu, daß du mit rechtem Ernst, Eifer und Flachdruck zu ihnen redest. Zeig ihnen, daß Himmel und Hölle keine Dinge seyen, mit denen sich spielen lasse, oder über die man sorglos mit den Gedanken hinfahren könne. „Es ist ganz gewiß/ daß du an jenen: Tage in die ewige Freude oder in die ewige Pein eingehen wirst, und doch willst du nicht auf­ wachen? Es ist gewiß wahr, daß „nur wenige den Weg zum Leben finden, daß viele auf dem breiten Weg ins Verderben eilen," daß es so schwer ist, dem zu ent­ gehen, so leicht, den Tag des Heils zu versäumen, und doch sitzest du still und zerstreust dich? Woran denkst du? Die Welt vergeht vor deinen Augen, ihre Ehren, Freuden und Güter sinken hin und verlassen dich; die Ewigkeit rückt heran; Gott ist ein gerechter und eifriger Gott, seine Drohungen wie seine Verheißungen sind wahrhaftig; wie unvorbereitet bist du doch noch auf jenen furchtbaren Tag, Matth. 7, 14. ,

181 wo „alle Geschlechter auf Erden heulen werden!" Und doch säumest du noch? Bedenke, daß Gott die ganze Zeit, wo du so träge dageseffen hast, auf dich wartete; oder verachtest du den Reichthum seiner Güte, Geduld und Langmüthigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?" Sieh, wie Gottes Liebe dich bittet! wie Christus sein Blut und Verdienst dir anbietet! wie sein Geist mit Liebesseilen dich ziehet! Möchtest du denn wohl lieber in der Hölle die Teufel zu Peinigern, als im Himmel Christum zu deinem Herrn und Seligmacher haben? Willst du Gott und seiner unaussprechlichen Herr­ lichkeit lieber entsagen, als deinen Sünden? O lieber Freund, was sagst du denn zu diesen Dingen? Gott hat dich ja als Menschen mit Vernunft erschaffen, brauche sie doch, um zur Besinnung zu kommen über das Allernothwendigste!" — Ach bedenket doch immer, nicht ein paar matte Worte, die zwischen Scherz und Ernst, zwi­ schen Schlafen und Wachen in der Mitte stehen, können todte Sünder anfwecken. Steht ein Haus in Flammen, so werdet ihr euch doch nicht hinstellen und eine kalte Rede über die Beschaffenheit und die Gefahren einer Feuersbrunst halten; nein, ihr werdet laufen und schreien: Feuer, Feuer! So sanft jemandem seine Sünden vor­ halten, wie Eli seinen Söhnen that, oder wie Josaphat dem Ahab: „Der König rede nicht also!" — das thut Matth. 24, 30. — Röm. 2, 3. 4. — 1 Sam. 2, 23—25. — 2 Thron. 18, 7.

182 meistens mehr Schaden, als Gutes. Wollen wir den Menschen gefällig seyn, so richten wir sie zu Grunde. Doch hüte dich auch vor Uebertreibungen, und sey vorsichtig und klug. Wähle die passendste Zeit aus; rede nicht mit den Leuten, wenn sie erbittert sind, oder unter Umständen, wo sie die Vorhaltung für eine Beschimpfung halten könnten. Wenn die Erde weich ist, dann dringt der Pflug ein. Wähle dir die Zeit, wenn jemand unter dem Kreuze liegt, oder von einer Predigt stark bewegt ist. Christliche Bruderliebe gebietet uns, Gutes zu thun, nicht bloß wenn es uns in den Weg gelaufen kommt, sondern sorgfältig die Gelegenheiten abzuwarten. Und dann, richte dich auch nach der Eigenthümlichkeit und der Gemüthsart des Andern. Einen nachdenkenden, gescheuten Menschen mußt da nicht bloß zu überreden suchen, sondern ihm Grund geben; bei dem noch ganz Unwissenden ist beides nöthig; dem, welcher schon überzeugt ist, mußt du das Herz zu rühren suchen; den Verstockten muß du scharf strafen; dem schon Gebrochenen zart und freundlich zureden. Liebe, Einfalt und Ernsthaftigkeit mußt du bei allen beweisen; aber schreckende Strafworte können einige nicht tragen. Siehe zu, daß du immer die angemessensten Worte brauchest; eine unziemliche Sprache macht, daß deine Zuhörer vor der Speise ekelt, von der sie leben sollten, besonders wenn es Leute von neugierigen Ohren und noch irdischgesinnten Herzen sind. Vor allem laß immer Gottes Wort die Grundlage aller deiner Ermahnungen seyn; damit die Sünder immer gewiß seyen, du redest nicht von dir selbst

183 und aus deinem Kopfe. Führe sie, wenn es Noth ist, zu dem Capitel und Verse der Bibel, wo ihre Sünde gestraft und ihr die Verdammniß gedroht wird. Menschen­ wort wird leicht verachtet, aber Gottes Stimme hat im­ mer etwas Gewaltiges und Furchtbares, hat eine verbor­ gene Macht über seine Geschöpfe, wenn man deren Wir­ kungen auch nicht sogleich sieht. Sodann, laß nicht ab von der Ermahnung. Sollen wir allezeit beten und nicht müde werden, weil Gott will, daß wir ihm Gewalt an­ thun sollen, so wird auch bei Menschen dies Verfahren das richtige seyn, falls wir es nur nicht eigensinnig und auf unsre Kraft hin thun. Dahex gebietet der Apostel: „Ermahnet euch unter einander alle Tage;" darum sagt er: „Halte an, es sey zur rechten Zeit oder zur Unzeit, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld." Man lockt nicht mit Einem Schlage den Funken aus einem Feuersteine; so kann man auch eines Menschen Herz selten mit Einer Er­ mahnung erschüttern. Ja, könnten wir es auch, so würde, wie das menschliche Herz einmal ist, die Wirkung bald wieder vorübergehen. Geh den Sündern nach mit deinen liebevollen, dringenden Bitten; laß ihnen keine Ruhe in ihren Sünden. Richte dabei dein Herz immer auf den Erfolg hin; Gott segnet die Arbeit an den Menschen­ seelen am meisten, wobei der Ermahnende immer mit liebendem, aber selbstverleugnendem Herzen die Bekehrung des Andern im Auge hat. Sieh zu, wenn du einen er­ mahnest, von einer Sünde abzustehen, daß du nicht eher Hebr. 3, 13. — 2 Tim. 4, 2.

184 «blässest, als bis du von ihm das Versprechen erhalten hast, daß er sie nicht wieder thun will. Führest du Men­ schen zu Christo, so laß nicht ab, bis sie dir das Elend ihres unwiedergeborenen Herzens und die Nothwendigkeit eines Heilandes und einer inneren Umwandlung gestanden und versprochen haben, daß sie vermittelst der von Gott geordneten Gnadenmittel danach trachten wollen. O möchten doch alle Christen es so machen mit ihren Näch­ sten, die noch Knechte der Sünde und entfremdet von Christo sind! Aber denke ja immer daran, daß dein Leben eben so ermahne, als deine Worte. Laß dich immer treu finden in allen den Sachen, zu welchen du ermahnest. Zeig dich in deinem Wandel so los von der Welt, als deine Lippen es anpreisen. Zeig durch dein unablässiges Trachten nach dem, was droben ist, daß du selbst das glaubst, wovon du sie überzeugen willst. Ein heiliger, himmlischer Wandel straft beständig alle Gewissen der Sünder umher, und ermahnt sie, umzukehren. Drittens, außer der Privatermahnung mußt du auch den treuen Gebrauch der Gnadenmittel befördern. Zu diesenl Ende suche die Zahl der gläubigen, thätigen Prediger, so viel an dir ist, zu vermehren. Wie sollen sie glauben ohne Predigt? Wie sollen sie hören ohne Pre­ diger? Wende deinen Einfluß und deine Thätigkeit aufs Acußerste an, bis es dir gelingt; scheue keine Ausgabe dazu. Denke daran, wie viele Seelen gerettet werden können durch den Dienst eines einzigen gläubigen Predi-

Röm. 10, 14.

185 gers, zu dessen Anstellung du beigetragen hast. Was könnten reiche und vornehme Leute für Gutes stiften, wenn sie sorgfältig ausgewählte gläubige Jünglinge auf den Universitäten unterstützten, bis sie tauglich wären ins Predigtamt. zu treten! Und sind solche Prediger angestellt, dann trage dazu bei, daß die armen Seelen Frucht da­ von haben. Ermahne sie, fleißig den Predigten beizu­ wohnen; erinnere sie oft an das Gehörte, und, wenn es möglich ist, suche zu bewirken, daß sie zu Hause mit den Ihrigen es wiederholen. Ermahne alle, die auf ihr See­ lenheil aufmerksam geworden sind, häufig zusammenzu­ kommen; nicht um sich von der Kirche zu trennen und eine abgesonderte Gemeine zu bilden, sondern als die treuesten Glieder in der Kirche, die allen ihren Pflichten, und namentlich denen der gemeinschaftlichen Erbauung und Ermahnung, sorgfältiger, als leider so viele andre, nach­ kommen. — Suche ferner die Ordnungen Gottes in der Gemeine und das Predigtamt in Achtung zu erhalten. Auf niemanden kann etwas wirken, was er verachtet. Paulus sagt: „Wir bitten euch, liebe Brüder, daß ihr erkennet, die an euch arbeiten in dem Herrn, und euch vorstehen und euch ermahnen; habt sie desto lieber um ihres Werkes willen und seyd friedsam mit ihnen." 2. Lasset uns nunmehr untersuchen, worin doch die Ursachen der großen Vernachlässigung dieser heiligen Pflichfl liegen; damit wir die Hindernisse, wenn wir sie kennen, desto leichter überwinden mögen. 1 Thess. 5, 12. 13.

186 Das vornehmste Hinderniß bleibt immer die eigne Sünde und Schuld. Die himmlischen Freuden haben manche Gläubige selbst nicht so angezogen, wie sollten sie denn anderen sie anziehend vor die Augen stellen können? Ihre eigne Noth, ihr eignes Bedürfniß nach einem Hei­ lande verschwindet ihnen immer wieder; wie könnten sie andern diese Noth und dies Bedürfniß aufdecken? Die besonderen Sünden, welche sie den Leuten vorhalten soll­ ten, hegen sie selbst noch in ihrem Busen, und darum müssen sie bei jeder Vorhaltung sich schämen. — Dazu kommt der geheime Unglaube, der auch in den Herzen der Gläubigen noch wohnt. Wenn wir wirklich glaubten, daß alle, die nicht wiedergeboren sind aus dem Geiste, ewig unselig werden, wie könnten wir unsrer Zunge wehren, daß sie ihnen nicht von dieser Pein sagte, wie könnten wir unsere Thränen zurückhalten, wenn wir ihnen ins Angesicht sehen? Und das besonders, wenn sie nun gar unsre nahen Verwandten, unsre geliebtesten Freunde sind? Aber weil wir den Worten der heiligen Schrift nicht glauben, so zehrt dieser Wurm des Unglaubens alle Kraft der Liebe, allen Ernst in der Heiligung in uns auf. O Christ, glaubtest du wirklich, daß deine ungläubigen Bekannten, dein Gatte oder Gattin, Weib oder Kind ewig in der Hölle leben müssen, wenn sie sich nicht be­ kehren, ach wie würde das dir Tag und Nacht keine Ruhe lassen, daß du sie vor dem Verderben warnen müßtest! Wäre dieser unselige Unglaube nicht in uns, unsre Näch­ sten würden weit, weit mehr Segen von uns empfan-

187 gen! — Aus beiden Gründen fehlt es uns dann so sehr an zärtlichem Mitleid und Erbarmen. Wir sehen die

elende halbtodte Seele da liegen, und gehen vorüber, wie

der Priester und der Levit an dem Manne, der unter die Mörder gefallen war. Und wenn auch der Sünder selbst, der vom Scheitel bis zur Fußsohle voll Sünderwunden

und ein Gefangener des Satans ist, selbst deiner Hülfe nicht begehrt: schreit sein Elend denn nicht laut genug um Hülfe? Hätte Gott diesen Schrei unsres Elends nicht

gehört und erhört, noch ehe unsre Gebete zu ihm schrieen, uni) wäre sein Herz ihm nicht gebrochen aus Erbarmen gegen uns, ehe wir durch unsre Bitten es zu bewegen suchten, wir wären ewig Knechte des Teufels geblieben.

Du betest doch zu Gott für sie, daß er ihre Augen öffnen und ihre Herzen bekehren möge; warum versuchest du denn nicht selbst mit den von Gott dir gereichten Mitteln und Kräften ihre Bekehrung, wenn sie dir so am Herzen liegt? Oder liegt sie nicht dir am Herzen, warum betest du denn darum? Warum bittest du si-e nicht eben so sehr, um­ zukehren und zu Gott sich zu wenden, als du Gott bittest, sie zu bekehren und zu sich zu ziehen? Sähest du deinen Nächsten in eine Grube gefallen, und bätest Gott, er möchte ihm heraushelfen, legtest aber die Hand nicht nn, ja gäbest ihm nicht einmal einen Rath, wie er sich helfen sollte: würde dich nicht jedermann mit Recht heuch­ lerisch und grausam nennen? Und ich sehe nicht, warum in Bezug auf die Seele es anders wäre, als in Bezug

188 auf den Leib. Wenn jemand seinen Bruder darben siehet, und schließet sein Herz vor ihm zu: wie bleibt die Liebe Gottes bei ihm? Oder wie könnte er behaupten, seinen Brudev lieb zu haben? — Eben so hindert uns auch die elende Menschengefälligkeit, mit der wir behaftet sind. Das Bestreben, uns in Gunst und Ansehen bei Menschen zu erhalten, verleitet uns, aufs unverantwortlichste die Gebote Gottes zu übertreten. Doch ist'das ein jämmer­ licher, gewissenloser Arzt, der einen Kranken lieber sterben läßt, als er ihm Unruhe macht. Ist ein Freund von uns wahnsinnig, so suchen wir ihm sicher in nichts zu gefal­ len, was zu seinem Schaden gereicht. Ist er aber im Punkt seines Seelenheils in wahnsinniger Verblendung und läuft toll in sein Verderben, dann mögen wir ihn nicht aufhalten, aus Furcht ihm zu mißfallen. Aber „sind wir noch menschengefällig, so sind wir Christi Knechte nicht." Diese sündliche falsche Scham ist ein nur zu allgemeines Uebel. Werden nicht die Sünder selbst im Ge­ richt einmal uns verdammen, wenn sie sich nicht schämten zu fluchen, sich zu betrinken, den Feiertag zu entheiligen, und wir schämten uns, es ihnen zu sagen und sie davon abzuziehen? Es ist keine Sache, deren man sich zu schä­ men hat, wenn man nach Gottes Willen Menschen vor der Sünde warnt und Christo zuführt. Leser, hat dein Gewissen dir nicht oft gesagt, du solltest zu den armen Sündern sprechen, und doch hast du dich dann geschämt, deinen Mund aufzuthun, und hast es darauf ankommen 1 Joh. 3, 17. - Gal. 1, io.

189 lassen, ob sie fortschwimmen oder untersinken würden? O lies des Heilands ernstes Wort und zittere: „Wer sich mein und meiner Worte schämet unter diesem ehe­ brecherischen und sündigen Geschlechte, deß wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln." — So hindert uns auch ein Geist der Trägheit und der Ungeduld. Selten gelingt uns das Werk das erste Btal, wir müssen damit anhalten; man hat lange an den Un­ wissenden zu lehren, lange an den Verstockten zu arbeiten. Dabei vergessen wir denn zu leicht, welche Huld und Langmuth Gott uns bewies, als wir noch in unsren Sünden waren. — Für viele ist die Hoffahrt ein großes Hinderniß. Ja, wenn es gälte mit einem. vornehmen Mann über seine Seligkeit zu sprechen, und es zöge ihnen nicht sein Mißfallen zu, da würden sie bei der Hand sein; aber so unter die armen Leute zu gehen, und in ihren elendem Hütten sich mit ihnen Mühe zu geben, wer thut das wohl gerne? Ach, solche Leute denken nicht daran, wie tief Christus zu uns herabgestiegen ist! „Nicht viel Weise nach dem Fleische, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen; sondern was thöricht vor der Welt ist, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach vor der Welt ist, das hat Gott erwählt, daß er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das nichts ist, auf daß er zu nichte mache,

Marc. 8, 38. — 1 Cor. 1, 26. 27. 28.

190 was etwas ist." Den Armen wird vornehmlich das Evan­ gelium gepredigt. Wende gegen diese Aufforderung nicht ein, du habest die Gabe, andere zu ermahnen, nicht empfangen; sondern entweder suche dann solche, welche diese Gabe haben, zu bewegen, daß sie es thun, oder benutze treulich das kleine und schwache Maß, das du besitzest, und sage ihnen, wenn auch noch so sehr im Gefühl deines Unvermögens, was Gott in seinem Worte uns geoffenbaret hat. — Weise diese Aufforderung deshalb nicht ab, weil der, welchen du ermahnen sollst, dein Vorgesetzter, oder ein Vornehmer ist. In Fällen der Noth muß eine solche Rangordnung weichen; ist es dein Ehemann, dein Vater, dein Geist­ licher, so mußt du dich von einer bescheidenen, ernsten Vorhaltung dennoch nicht abschrecken laffen. Sind die Eltern krank, so müssen die Kinder für sie sorgen; ist der Ehemann krank, so versieht die Frau, so viel als möglich, seine Stelle? sind reiche Leute verarmt, so müssen sie auch von Unterstützung leben; ist der Arzt selbst von einem Uebel befallen, so muß ein andrer nach ihm sehen. So muß auch der geringste Diener seinen Herrn, das Kind seine Eltern, das Weib ihren Mann, die Gemeine ihre Geistlichen ermahnen, wo es Noth ist, in aller Demuth, Sanftmuth und Bescheidenheit. Antworte nicht darauf: „Dann müßten wir ja alle Prediger werden!" Jeder Christ ist von Christo zu einem „Priester und Könige ge­ macht, und hat, jeder an seiner Stelle und auf seine Matth. 11, 5. — Off. 1, 6.

191 Weise, für die Seele seines Nächsten zu sorgen. Jeder­ mann wird zum Arzte, wenn man einen ordentlich studirten Arzt nicht haben kann; so muß auch unter Um­ ständen jeder ein Lehrer werden. Antworte nicht darauf: „Das würde bloß heißen, die Perlen vor die Säue werfen!" Christus setzte hinzu, als er davor warnte: „Auf daß sie nicht sich wenden und euch zerreißen;" wo aber nun nicht die geringste Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahr ist? So lange sie hören wollen, hast du auch eine Aufmunte­ rung zu reden, und darfst sie nicht auf so verächtliche Weise behandeln. Sprich auch nicht: „Er ist mein Gön­ ner, von dem ich abhange; sagte ich ihm von seiner Sünde und seinem Elend, so könnte ich mich um seine Liebe brin­ gen, und mich unglücklich machen." Sollte seine Gunst dir mehr am Herzen liegen, als seine Seligkeit? Sollte dein eigner Vortheil dir über die Errettung seiner Seele gehen? Oder wünschest du darum seine Verdammniß, weil er dein Freund und Gönner ist? 3. Damit aber alle, welche Gott fürchten, aufs stärkste sich angetrieben fühlen möchten, andre zu dieser seligen Ruhe der Heiligen zu führen, so bitte ich dich, lieber Leser, Folgendes noch aufs ernsteste zu erwägen: Würdest du den nicht für unmenschlich grausam halten, der seine Kinder oder seine Freunde auf der Straße liegen und umkommen ließe, während er vollauf hätte? Wie nun, wenn du sie der ewigen Verdammniß Preis gibst, weil du nicht einmal

Matth. 7, 6.

192 deinen Mund aufthun magst? Hätte Gott dich geheißen, all dein Gut, ja dein Leben zu ihrer Rettung hinzugeben, so würdest du dich dessen doch sicher geweigert haben, da du nicht einmal einige Worte ihnen schenken willst. Ist die Seele deines Mannes oder deiner Frau, deiner Kinder oder deiner Freunde nicht ein paar Worte werth? Denke daran, wie ganz anders Christus sich gegen uns stellte. Er achtete unsre Seelen seines Blutes werth, und du hältst sie nicht deiner Worte werth? Willst du denn nicht ein so Geringes thun, wo Christus so viel ge­ than hat? Und nun bedenke einmal, wie bejammernswerth die Seelen unbekehrter Menschen sind. Sie sind todt in Uebertretungen und Sünden, sie haben kein Herz, ihr Elend zu fühlen oder Mitleid mit sich selbst zu haben. Wenn andre sich ihrer nicht erbarmen, dann erbarmt sich ihrer niemand; denn es 'ist die Art dieser Krankheit, daß sie die Menschen unbarmherzig gegen sich selbst, ja zu den ärgsten Feinden ihrer eignen Seele macht. Und nun be­ denke, daß du dereinst in demselben Jammer lägest. Gott sprach zu den Israeliten: „Du sollst das Recht des Fremd­ lings nicht beugen: denn du sollst gedenken, daß du ein Knecht in Egypten gewesen bist, und der Herr dein Gott dich von dannen erlöst hat. — Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisset um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch seyd Fremdlinge in Egypten ge­ wesen." So solltest du auch immer Mitleid haben mit denen, welche entfremdet sind von Christo und ohne Hoff5 Mos. 24, 17. 18. -2 Mos. 23, 9.

193 nung und ohne Trost in dieser Welt leben, indem du daran gedenkest, wie auch du „fremd und außer der Bürg­ schaft Israels, fremd den Testamenten der Verheißung und ohne Gott in der Welt wärest." — Denke daran, wie tiefe Wunden du fühlen wirst, wenn dein Gewissen einmal aufwacht. Ich habe oft die Bemerkung bei Ster­ benden gemacht, daß selten eine Unterlassungssünde sie tiefer bekümmert, als diese; auch ich selbst, wenn ich dem Tode nahe war, habe mich wegen keiner Sünde so ge­ straft gefühlt; mein Gewissen führte jeden meiner gottlo­ sen Bekannten an meiner Seele vorüber, dem ich sein Elend niemals vorgestellt hatte! Es erinnerte mich daran, wie zu der und der Zeit ich mit unwissenden, blinden Sündern in Gesellschaft war, wie ich an ihrer Seite ging, und die schönste Gelegenheit hatte, an ihr Herz zu reden, wie ich es aber nicht that, oder lahm und matt that. Gebe der Herr, daß ich künftig auf seine Stimme in meinem Gewissen aufmerksamer höre, damit ich weniger Gewissens­ bisse fühle in der Todesstunde! — Und nun bedenke, wenn dein Werk Erfolg hat, was es für Früchte bringt! Du kannst eine Seele erretten, für welche Christus vom Him­ mel kam und sein Blut vergoß, über deren Bekehrung die Enget im Himmel sich freuen; hienieden, und noch mehr jenseits, wird eine solche Seele dich segnen und für dich bitten; und dir vielleicht durch die innerlichen Gnadengüter, die sie auf dich herabfleht, doppelt erstatten, was du an sie gewandt hast. Gott wird dadurch verherrlicht; seine

Eph. 2, 12. Barter, Ruhe der Heiligen.

13

194 Gemeine wächst und mehret sich; deine eigene Seele wächst in der Gnade, und nimmt zu an wahrem Leben, an Frie­ den und Freude an dem heiligen Geist. Von allen Gna­ denerweisungen Gottes, die ich erfahren habe, fordert keine so unablässig mich zu seinem Preise auf, als der reiche Segen, den er auf meine Arbeiten an andern gelegt hat. Was würde ich aber für Früchte gesehen haben, wenn ich treuer gewesen wäre! Ich weiß, wir müssen mit großer Eifersucht wachen über unsere trügerischen Herzen, daß diese unsre Freude nicht aus Hoffahrt herfließe. Von Na­ tur möchten wir gern das Verdienst eines jeden guten Werkes und das Lob dafür uns selbst aneignen; dieser Gefahr ungeachtet bleibt es aber doch die Pflicht eines je­ den Kindes Gottes, seinem himmlischen Vater ähnlich zu werden in Liebe und Erbarmen, und sich dankbar darüber zu freuen, wenn es ihm immer ähnlicher wird. Daruni sage ich euch aus meiner eignen Erfahrung: Wüßtet ihr, was es für eine Seligkeit ist, verlorene Sünder dem Hei­ lande zuzuführen, ihr würdet, alles Entmuthigenden unge­ achtet, was euch dabei zustößt, Tag und Nacht darauf denken. Auf denn, alle, die ihr eine Zunge habt und Jünger Christi seyd, thut etwas in dem Werke eures Meisters! Wozu hat er euch eine Zunge gegeben, als um zu reden in seinem Dienste? Und wie könnt ihr ihm herrlicher die­ nen, als wenn ihr ihm Seelen errettet? Er, der euch selig preisen wird am jüngsten Tage, und das Reich euch

195 aufthun, das für euch bereitet war von Anbeginn der Welt, weil ihr ihn gespeiset und getränkt, beherbergt und bekleidet habt in seinen geringsten Brüdern, er wird euch noch viel mehr selig preisen wegen des iveit herrlicheren Werkes, daß ihr Menschenseelen in sein Reich eingeführt habt. Er, der gesagt hat: „Ihr habt allezeit Arme bei

euch!" — hat auch allezeit Unbekehrte um euch hergestellt, daß ihr den größten Liebesdienst ihnen erweisen könnet. Habt ihr christliche, menschliche Herzen, so lasset sie bren-

nen gegen die Unwissenden und Unbekehrten in eurer Nähe. Sprechet wie die Aussätzigen zu Samaria: „Lasset uns nicht also thun; dieser Tag ist ein Tag guter Bot­ schaft; wo wir das verschweigen, wird unsere Missethat gefunden werden." Hat Gott an euch so viel Barmher­

zigkeit gethan, und ihr wollet euch nicht eurer Brüder er­ barmen? — Aber obgleich diese Pflicht allen obliegt, so doch einigen ganz besonders, die Gott vorzugsweise dazu berufen oder mit Gaben ausgerüstet hat, und an diese will ich meine Ermahnung noch im Einzelnen richten.

Gott erwartet diesen Dienst noch besonders von euch, denen er mehr Erkenntniß und Weisheit und mehr Lehr­ gabe geschenkt hat, als andern. Die Starken sollen- den

und die Sehenden die Leiter der Gott erwartet von euch die treue Anwen­ dung eurer Gabe, die ihr viel besser gar nicht empfangen hättet, als daß ihr sie vernachlässiget; denn sie wird eure Berdammniß nur vermehren, und zu eurer Seligkeit euch

Schwachen aufhelfen, Blinden seyn.

Match. 25, 34. 35. — Match. 26, 11. — 2 Kon. 7, 9. 13*

196 eben so unnütz seyn, als sie es andern war. — Alle solche, die mit einigen unbekehrten Menschen in besonders

naher Verbindung stehen, und Einfluß auf sie haben, for­ dert Gott ganz besonders zu diesem Werke auf. Christus nahm Zöllner und Sünder an und aß mit ihnen; aber er that es, um sie zu erretten und zu bekehren, nicht um sich ihnen gleichzustellen. Wer weiß, vielleicht schenkte Gott dir blos darum diesen Einfluß, damit du ein Werkzeug zu ihrer Bekehrung werden möchtest! Die auf die Worte eines Fremden nicht achten würden, achten doch vielleicht auf die Stimme ihres Bruders,

ihrer Schwester, ihres Mannes, ihrer Frau, oder ihres nahen Freundes. Aerzte, die viel an Sterbebetten sind, sollten ganz vorzüglich an diese Pflicht denken. Sie haben den beson­ deren Vortheil, daß sie bei der'Hand sind; daß sie in Krankheit und Gefahr, wenn das Ohr offener und das Herz weicher ist, als in gesunden Tagen, bei den Sündern stehen, und daß diese auf sie blicken als auf Männer, in deren Hand ihr Leben steht, oder die doch viel zu ih­ rer Rettung thun können. Darum gilt ihr Wort auch viel, und wird oft willig ausgenommen. Ihr, die ihr diesen edlen Beruf habt, haltet nicht dies Werk für eine demselben fremde Beschäftigung, als schickte es sich nur für Prediger; oder sehet ihr es auch für eine eurem Berufe fremde Sache an, liebevoll und christlich gesinnt zu seyn? O helfet euren Patienten noch in den Himmel hinein! Und mögen sie nun sich bessern oder zum Sterben gehen, gebt ihrer Seele Arzenei, wie ihr sie ihrem Leibe gebet, lehret

197 sie gottselig leben und sterben! Gepriesen sey Gott, daß sehr viel ausgezeichnete Aerzte in unserer Zeit durch ihren echt christlichen Sinn ihren Beruf befreit haben von dem ihm so oft gemachten Vorwurfe, daß alle Aerzte ungläu­ bige, von Gott entfremdete Menschen seyen. Reiche, angesehene und mächtige Leute, von denen viele andere abhangen, haben eine ganz besondre Auffor­

derung zu dieser Pflicht. Welch eine Welt von Segen könnten große Herren, Edelleute und Reiche um sich her verbreiten, wenn sie nur Herzen hätten für die Noth ihrer

Brüder! Habt ihr nicht alles Ansehen und allen Reichthum von Gott? Sagt Christus nicht: „Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern?" Wenn ihr zu euren Untergebenen von Gott und ihrem Seelenheil sprechet, so

werden sie vielleicht auf euch hören, während sie einen Prediger verachten. So lieb euch daher die Ehre Gottes, die Ruhe eurer Seele und das Heil eurer Miterlösten ist, wendet all' euren Einfluß auf eure Untergebenen zu ihrem Segen an, redet mit ihnen, besuchet sie, sehet zu, ob sie Hausandacht halten, und benutzet jede Gelegenheit, um sie auf den Herrn und seine Gebote zu weisen. Achtet sie nicht gering; denket daran, daß Gott keine Person ansieht; zeiget den Leuten, daß ihr euch eben so sehr in Liebe zu

Christo, in herzlichem Erbarmen und in Treue auszeich­ net, als ihr andere durch Reichthum und Ansehen über­ treffet. Ich gestehe, wenn ihr es so machet, werdet ihr

Luc. 12, 48.

198 wie Sonderlinge dastehen; aber ihr werdet auch sonderlich seyn in der Herrlichkeit; denn wenig Edle und Reiche sind berufen.

Prediger des Evangeliums haben es nun recht eigent­ lich zum Berufe, andre zum Himmel zu weisen. O ihr Prediger, machet es doch zum Ziel alles eures Studirens

und Predigens! Das ist der tüchtigste Prediger, der die Kunst, Seelen zu rühren, zu überzeugen und Christo zu gewinnen am besten versteht; das ist die beste Predigt, die dazu am meisten taugt. Suchet ihr Gott nicht, sondern euch selbst, so macht Gott euch zu den verachtetsten unter

allen Menschen. Auf euren Ruf paßt recht, was Christus noch allgemeiner ausspricht: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren." Es gibt unter allen Menschen keine jämmerlichere, verächtlichere Classe, als Prediger, die ihres Berufes nicht eingedenk sind. O laßt doch den Nachdruck, mit welchem ihr den Menschen ans Herz redet, zeigen, daß ihr fühlet, wie wichtig das Werk ist, zu welchem ihr ausgesandt seyd; prediget mit dem Ernst und der In­ brunst, die Menschen zukommt, welche glauben, was sie lehren, und wissen, daß ihre Zuhörer entweder errettet

werden müssen durchs Evangelium, oder verloren gehen. Meinet aber ja nicht, daß eure Hauptarbeit in eurem Studirzimmer und auf der Kanzel abgethan sey. Ihr seyd die Hirten der Seelen, und müsset daher jedes Schaf eurer Heerde insbesondere kennen, müsset wissen, worin seine Krankheit bestehe, auf welchem Irrwege es sich befinde,

199 müsset das Verlorene wiedersuchen, das Verwundete ver­ binden, das Verirrte wiederbringen und des Schwachen warten; dann seyd ihr Nachfolger und Mitarbeiter des Hirten und Bischofs unserer Seelen. Lernet von Paulus, nicht nur öffentlich lehren, sondern auch alle einzeln von Haus zu Haus. Sehet zu, auf welchen Grund sie die Hoffnung ihres Heils erbaut haben, ob sie aufrichtig wan­ deln, ob sie wachsen in Gnade und Erkenntniß, und ob sie treu in ihrem Beruf und Wandel sind. Forschet nach, ob sie Hausandacht halten mit den Ihrigen, und gebt ih­ nen eine Anleitung dazu. Nähert euch ihnen zutraulich, damit ihr Einfluß auf sie ausüben, und zur Ehre Gottes dessen euch bedienen' möget. Erkundigt euch, was sie für Nutzen von der öffentlichen Predigt haben. Hat einer noch wenig oder gar keinen Geschmack für geistliche Dinge, so verachtet ihn deshalb nicht, sondern habt' desto mehr Mit­ leid mit ihm. Wandelt einer unordentlich, so bringet ihn zurück mit Geduld und Liebe. Ist einer unwissend und todt, so kann es leicht eure Schuld eben so gut seyn, als die seinige. Schlafet nicht, während der Wolf wacht. Handelt mit niemand obenhin. Seyd treu und sorgfältig, damit die Art, wie ihr euer Amt verwaltet, der Herrlich­ keit desselben gleichkomme. Jede vernünftige Menschenseele hat Erkenntniß und Gefühl, und jede wahrhaft geistreiche Predigt muß an beides sich wenden. — Und lasset euren Wandel eben so kräftig predigen, als euer Wort. Jaget eben so eifrig der Heiligung nach, als ihr andere dazu

Ezech. 34, 16. — Apostelgesch. 22, 20.

200 antreibet. Eure Unterhaltungen lasset immer erbaulich und Leidet lieber alles, als daß ihr das Evangelium und das Seelen­ heil eurer Brüder leiden ließet. Was ihr nur immer von Sanftmuth, Demuth und Freundlichkeit ihnen aus der heiligen Schrift lehret, das predigt ihnen ebenso sehr geistlich, „lieblich und mit Salz gewürzet" seyn.

durch

ein treues,

ungeheucheltes Beispiel. — Trachtet

immer nach Einigkeit und Frieden, und beweiset euch über­

all als Friedensstifter. Mitten unter Zank und Streit in euren Gemeinen gesunde Erkenntniß, ein zartes Gewissen und ein Trachten nach dem Himmel zu erhalten, ist eben so schwer, als ein Licht im größten Sturm brennend zu bewahren. „Selig ist der Knecht, wenn sein Herr kommt, und findet ihn also thun." Alle, denen Gott Kinder oder Dienstboten anvertraut hat, möchte ich gleichfalls nachdrücklich zu diesem Werke,

sie zu der himmlischen Ruhe zu weisen, ermahnen. Beden­ ket, welche klare und dringende Gebote Gott euch deshalb

„Diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen, und sollst sie deinen Kindern ein­ schärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzest, oder auf dem Wege gehest, wenn du dich niederle­ gest, oder wenn du aufstehest." — „Wie man einen Kna­ ben gewöhnet, davon lässet er nicht, wenn er alt wird." — „Ziehet aus eure Kinder in der Zucht und Vermahnung zum gegeben hat.

Herrn." Josua beschloß, er und sein Haus wollten dem Herrn Matth. 24, 46. - 5 Mos. 6, 6. 7. - Spr. 22, 6. — Eph. 6, 4. Jos. 24, 15.

201 dienen. Und Gott selbst sagt von Abraham: „Ich weiß, er­ wirb befehlen seinen Kindern und seinem Hause nach ihm, daß sie des Herrn Wege halten, und thun, was recht und

gut ist." — Denket daran, daß ihr es euren Kindern schuldig seyd. Von euch empfingen sie ihre mit der Erb­ sünde behaftete, verderbte Natur, daher seyd ihr ihnen alle nur mögliche Hülfe zu ihrer Erneuerung schuldig. Beden­ ket, wie nahe eure Kinder euch stehen; sie sind ein Theil

von euch; wenn sie nach eurem Tode gedeihen, ist es euch, als lebtet ihr fort und gediehet in ihnen: und sollte in

Bezug auf ihre ewige Ruhe euch nicht eben so zu Muthe seyn? — Ist das nicht der Fall, dann werden sie gegen euch Zeugniß geben im Gerichte. Eure Sorgen und Mü­ hen und euer Aufwand für ihren Leib werden euch ver­ dammen, weil ihr darüber ihr Seelenheil vernachlässigtet.

Ja, die unvernünftigen Thiere selbst werden euch verdam­ men, denn wo ist eins, das nicht mit Zärtlichkeit für seine Jungen sorgte? — Gott hat eure Kinder und euer Gesind euch zum Arbeitsfelde überwiesen. Jeder wird zu­ geben, daß sie, wie alle übrigen Glieder der Gemeine, das dem Prediger zugewiesene Feld sind. Aber sind sie nicht in viel höherem Grade euch zugewiesen, als sie es einem

Prediger seyn können? Ja gewiß, von eurer Hand wird der Herr ihr Blut fordern. — Bedenket, welche Schmer­

zen ihr euch bereitet durch die Vernachlässigung euer Kin­ der. Gerathen sie euch zu Dornen in den Augen, so den-

1 Mos. 18, 19.

202 ket daran, daß ihr diese Dornen gepflanzt habt. Solltet ihr euch bekehren und selig werden, ist es da etwa nichts, zu denken, daß sie nun verdammt sind, und ihr die Veranlaffung dazu seyd? Sterbt ihr aber in euren Sünden, wie werden sie in der Hölle euch zurufen. „An dem allen wäret ihr Schuld; ihr hättet uns den rechten Weg zeigen sollen, aber ihr thatet es nicht; ihr hättet uns vor der Sünde warnen und zu Christo führen sollen, aber ihr thatet es nicht." Wie muß solch ein Zuruf eure Qual vermehren! — Auf der andern Seite, denket, wie froh es euch machen muß, wenn ihr treu in dieser Pflicht seyd. Gelingt es euch auch nicht, eure Kinder dem Herrn zuzu­ führen, so habt ihr doch eure eignen Seelen gerettet und habt Frieden in eurem Gewissen. Gelingt es euch aber, dann ist die Freude unaussprechlich, die ihr an ihrer Liebe und ihrem -Gehorsam, ihrer Hülfe und Unterstützung auf dem noch übrigen Theile eures Weges zur Herrlichkeit ha­ ben werdet. Ein einziges gläubiges Kind, ein einziger gläubiger Dienstbote kann vielleicht ein Segen für euer ganzes Haus werden. Die größte Freude werdet ihr aber dann haben, wenn ihr sagen werdet: „Siehe, Herr, hier sind wir, und die Kinder, die du uns gegeben hast!" und in ewig seliger Gemeinschaft mit ihnen lebet. — Denket daran, wie sehr die Wohlfahrt der Kirche und. des Landes von der christlichen Kinderzucht abhängt. Auch die besten Gesetze können nichts ausrichten, wenn die Besserung nicht in den Familien anfängt. Alle unsre Kirchen- und Landdesnoth liegt in dem Mangel einer wahrhaft heiligen,

203 christlichen Erziehung. — Denket daran, ihr Eltern, welche Vortheile ihr vor andern voraus habt in dem Werke der Bekehrung eurer Kinder. Ihr habt sie in Händen, da sie noch weich und biegsam sind; einen kleinen Schößling sollt ihr ja umbiegen, nicht eine alte Eiche. Niemand in der ganzen Welt kann ihr Herz so gewinnen, als ihr; von niemand hangen sie im Aeußerlichen so sehr ab; ihr kennet ihre Eigenheiten und Neigungen am Besten; ihr seyd im­ mer mit ihnen zusammen, und es kann nie an Gelegen­ heiten euch fehlen. Besonders ihr Mütter, bedenket dies ja, da ihr in der frühesten Jugend beständig mit euren Kindern zusammen seyd, und mehr als die Väter. Mit welchen Schmerzen habt ihr sie in diese Welt geboren! Wie besorgt seyd ihr für ihre Gesundheit und ihr leibliches Gedeihen! Wollt ihr denn nicht eben so viel Sorge tragen für ihr Seelenheil? Ihr liebt sie ja doch zärtlich; wie, und sie ewig verloren gehen zu sehen, sollte euer Herz nicht rühren? Ich bitte euch, ihr Mütter, um eurer Kin­ der willen, die ihr unter eurem eignen Herzen getragen habt, lehret sie, ermahnet sie, wachet überjsie, und gebt euch nicht zufrieden, als bis ihr Christo sie zugefiihrt habt. Ja ihr Eltern, gehet ihnen voran mit dem Beispiele des Gebets, des Lesens der heiligen Schrift und des Haltens ihrer Gebote; erweitert immerfort ihre Erkenntniß; prägt heilsame Lehren ihrem Gedächtniß ein; leitet ihren Willen; feuert ihre Liebe an; machet ihr Gewissen zart; haltet ihre Zungen in Zaum, und lehret sie, was lieblich ist und

204 wohllautet; wachet über ihren ganzen Wandel. Gebet ih­ nen früh die heilige Schrift in die Hand, und sehet zu, daß sie darin lesen; prüfet sie oft, was sie daraus gelernt haben; besonders den Tag des Herrn bringt mit diesem Geschäft zu, und lasset sie nicht in Spiel und Trägheit ihn vergeuden; lehret sie verstehen, was sie hören oder le­ sen. Bewahret sie vor schlechter Gesellschaft, und führet sie schon früh in christliche Gemeinschaft ein. Vor Allem zei­ get ihnen, wie selig man es hat im Dienste des Herrn, und richtet all' ihr Tichten und Trachten darauf hin.

Zehnter Abschnitt.

Die Ruhe der Heiligen darf nicht auf Erden

erwartet werden.

Noch sind wir nicht zu unsrer Ruhe eingegangen; es ist noch vorhanden eine Ruhe dem Volke Gottes. Wie groß ist daher unsre Sünde und unsre Thorheit, auf Er­ den diese Ruhe zu suchen und zu erwarten! Und doch, wo findet man wohl einen Christen, der diesen Vorwurf nicht verdiente? Wir alle möchten gern in beständigem Glücke leben, weil es dem Fleische gefällt und wohlthut, und be­ denken nicht, wie unvernünftig dieser Wunsch ist. Besitzen wir ein hübsches Haus, ein Gut, reichliche Einkünfte, oder sind uns von Gott die Gnadenmittel gewährt, durch welche wir zu unserm Heile gelangen sollen, so suchen wir unsre Ruhe in dem Genusse dieser Dinge. Mögen wir im Glück oder im Unglück seyn, immer suchen wir so sehr gern in den Geschöpfen unsere Ruhe. Wenn uns Freude und Behaglichkeit an ben. Geschöpfen fehlt, trachten wir nicht danach viel heftiger, als nach denl Schöpfer selbst? Und

206

erfreuen wir uns an ihrem Besitze nicht viel mehr, als an der Gemeinschaft mit Gott selbst? Ist es nicht genug, wenn sie uns zu Erquickungen dienen auf unserm Him­ melswege, daß wir sie auch noch zu unserm Himmel selbst machen müssen? Christlicher Leser, diese Sünde möchte ich gern dir fühlbarer machen, als irgend eine andre, wenn ich nur wüßte, wie ich es anfinge, denn hier liegt der Punkt über den der Herr den größten Hader mit uns hat. Um dir dies zu zeigen, bitte ich dich dringend, in Erwägung zu ziehen: I. wie angemessen es sey, daß wir im gegenwärtigen Leben Trübsal leiden; II. wie verkehrt es sey, in der zeitlichen Ergötzung seine Ruhe zu suchen; und UI. wie widersinnig es sey, daß wir so ungern sterben, um in die ewige Ruhe einzugehen. . I. Um zu erkennen, wie angemessen es sey, daß wir im gegenwärtigen Leben Trübsale leiden, bedenke: 1) sie sind der Weg zur Ruhe: 2) sie bewahren uns vor dem Vergessen unseres Zieles, der himmlischen Ruhe; und 3) vor dem Abirren von dem Wege zu demselben; 4) sie be­ schleunigen unsern Lauf; 5) sie drücken vorzugsweise nur unser Fleisch; 6) grade unter den Trübsalen hat Gottes Volk den süßesten Vorgeschmack von seiner ewigen Ruhe; 7) durch sie werden wir dem Heiland selbst ähnlich. 1. Mühe und Arbeit sind in diesem Leben der Weg zur Ruhe, im Reiche der Natur sowohl als der Gnade. Kann es ein Ausruhen geben ohne Ermüdung? Folgt nicht erst die Arbeit, dann die Ruhe? Erst kommt der Tag,

207

da man wirken, dann die Nacht, da man ruhen soll; warum wollten wir es denn im Gnadenreiche umkehren? Es ist ein unwandelbarer göttlicher Rathschluß, „daß wir durch viel Trübsal eingehen müssen in das Reich Gottes," und daß, „wenn wir mit Christo leiden, wir auch mit ihm herrschen werden." Wie, und diese ewigen Rathschlüfse Gottes sollten zu unserm Vergnügen aufgehoben oder ver­ ändert werden? 2. Trübsale sind uns sehr heilsam, denn sie be­ wahren uns vor dem Vergessen unsres Zieles, der himmlischen Ruhe. Der Christ kann nur willig, nicht gezwungen' dem Himmel zuwandern; die Beförderungs­ mittel daher, die am stärksten auf unsere Erkenntniß und auf unsern Willen einwirken, sind die kräftigsten. Der gefährlichste Irrthum aber, in welchen ein Mensch gerathen kann, ist, wenn er das Geschöpf für seinen Gott und die Erde für seinen Himmel hält. Wie fest und leidenschaft­ lich hangen wir an der Welt, bis die Trübsal diese Be­ gierde kühlt und mäßigt! Die Trübsal hat eine mächtige Sprache, die mit hinnehmender Gewalt redet, wo der' Prediger nicht mehr vernommen wird. Wie mancher Christ hängt sich mit seinem Herzen an Reichthum, Flei­ scheslust oder Menschenbeifall, seine Gemeinschaft mit Christo löst sich immer mehr und mehr auf, seine geistliche Freude wird immer mehr und mehr gedämpft, bis Gott sein Hab' und Gut, seine Kinder, seine Gesundheit und sein Gewissen schlägt, und die feste Burg, in der er sich so sicher glaubte, zer-

Apostelgeschich. 14, 22. — 2 Tim. 2, 12.

208 stört. Wenn er dann, wie Manasse, in Feffeln liegt, oder eine Krankheit ihn aufs Siechbett streckt, dann wird ihm die Welt zu nichte, und der Himmel fängt an, etwas für ihn zu werden. Legte unser lieber Herr diese Dornen nicht unter unser Haupt, wir verschliefen unsre Lebenszeit, und verträumten die Herrlichkeit des Himmels. 3. Trübsale sind ferner Gottes wirksamstes Zuchtmittel, daß wir den Weg zu unsrer Ruhe nicht verlieren. Ohne eine solche Dornhecke zur rechten und linken Seite des Weges würden wir schwerlich vor Abir­ rungen gesichert bleiben. Wo nur eine Lücke ist, da misten wir sie auch zu finden, und wenden uns hin. Wenn wir leichtsinnig, weltlich oder hoffährtig werden, wie führt uns Krankheit oder andre Trübsal wieder auf den rechten Weg zurück? Jeder erfahrne Christ wird, mit Luther, die Trübsal seinen besten Zuchtmeister nennen, und mit David sagen: „Ehe ich gedemüthiget ward, irrete ich; nun aber halte ich dein Wort." Viele tausend bekehrte Sünder rufen mit Einer Stimme: „O du gesund machende Krankheit! O du erquickender Schmerz! O du gewinn­ reicher Verlust! O du reich machende Armuth! O du gesegneter Tag, wo ich Trübsal litt!" Nicht allein die grünen Auen und die frischen Wasser, sondern auch der Stecken und Stab unsres Hirten trösten uns. Obwohl das Wort und der Geist die Hauptsache thun, so schließt die Trübsal doch die Thür des Herzens auf, daß das Wort hineindringen kann. Ps. 119, 67. — Ps. 23.

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4. Die Trübsal beschleunigt unsern Schritt auf dem Wege zur Ruhe. Schön wäre es, wenn die Liebe allein hinreichte, und wir mehr gezogen, als getrieben wür­ den! Aber da unsere Herzen so verderbt sind, daß die Gnade allein sie nicht überwältigt, so ist es besser, mit der schärfsten Geißel gezüchtigt zu werden, als mit den thörichten Jungfrauen zu säumen, bis das Thor geschlossen ist. Welch ein Unterschied ist zwischen unsern Gebeten üii Wohlseyn und in der Trübsal, zwischen unsrer Buße tni Glück und im Unglück! Ach, fühlten wir nicht manchmal den Sporn, mit wie trägem Schritt würden wir gen Himmel ziehen! Da unsre verderbte Natur es erfordert warum sträuben wir uns dagegen, daß Gott uns durch scharfe Mittel heilt? Frage dich, Christ, ob du emsiger und schneller gen Himmel ziehest in deinen Leidenszeiten, oder wenn es dir wohl geht? 5. Bedenke ferner, es ist ja nur das Fleisch, wel­ ches durch Trübsal gekränkt und geängstet wird: der Geist wird unter Trübsalen ineistens freier, wenn wir nicht durch unsre Schuld ihn in das Leiden des Fleisches hineinziehen, Warum führest du denn also, liebe Seele, die Sache deines Fleisches und klagest mit ihm, wenn es klaget? Du solltest es grade herunterhalten und dir unterthänig machen; und da du nun hierin so saumselig bist, und Gott es für dich thut, hast du Ursach, unzufrieden darüber zu seyn? Ist nicht die Lust und das Wohlbehagen des Fleisches von je her der Grund alles deines geistlichen Kummers gewesen? Sollte nun nicht die Trübsal des 23einer, Ruhe der Heiligen. 14

210 Fleisches deine geistliche Freude fördern? „Sangen nicht Paulus und Silas, während ihre Füße in dem Stock­ lagen, Loblieder?" Da war ihr Geist nicht gefangen. Du undankbare Seele, ist das deine Erkenntlichkeit dafür, daß Gott dich dem Leibe so weit vorgezogen hat? Wenn dieser im Grabe verwesen wird, dann wirst du unter den Geistern der vollendeten Gerechten leben; hast du inzwi­ schen nicht einen Trost, von dem das Fleisch nichts weiß? Murre denn also nicht über das, was Gott mit deinem auswendigen Menschen vornimmt; thäte er es, weil er dich nicht liebte, so würde er nicht so mit allen seinen Heiligen verfahren seyn. Erwarte aber niemals, daß auch dein Fleisch an den Schlägen Seiner Ruthe Wohlgegefallen haben sollte; immer wird eA Liebe Haß, und Er­ lösung Verderben nennen. Das Fleisch ist es grade, was leiden soll, und ist daher nicht geschickt, in dieser seiner Sache zu urtheilen. Wenn du aber Gott unbedingten Glauben schenkst, und alles, was Er mit dir thut, nach Seinem Worte beurtheilst, und immer die Frucht für dei­ nen Geist und die ewige Ruhe deiner Seele dabei im Auge hast, und die Ohren dir zuhältst gegen alles Geschrei des Fleisches, dann wirst du richtiger urtheilen über deine Trübsal. 6. Bedenke ferner, wie Gott Seinem Volke nie einen so süßen Vorschmack seiner zukünftigen Ruhe giebt, als unter schweren Trübsalen. Seine kost­ barsten, stärkendsten Mittel hebt er für Ohnmachten und Apg. 16, 25.

211 große Gefahren auf; er giebt sie, wenn sie Noth thun, und am höchsten geschätzt werden; wenn er weiß, daß die ©einigen ihm dafür danken und sich darüber freuen. Ganz besonders, wenn wir um Seinetwillen leiden, dann unterläßt er es selten, den herben Trunk uns süß zu machen. Die Märtyrer haben die höchste geistliche Freude gehabt. Wann waren Christi Reden an seine Jünger so trostreich, als da er ihre Herzen voll Trauerns sah, weil er zum Vater gehen wollte? Wann erschien er mitten unter ihnen, und sprach: Friede sey mit euch? Als sie die Thüren verschloßen hatten aus Furcht vor den Juden. Wann sah Stephanus den Himmel offen? Da die Steine auf ihn regneten und er seinen Geist aufgab als ein Zeuge Jesu. Und ist das nicht unser seligster Zustand, wenn wir am innigsten mit Gott verbunden sind? Warum verlangt uns. denn danach, in den Himmel zu kommen? Erwarten wir dort bloß Freiheit von Fleischesbeschwerden, und daher Wohlbehagen des Fleisches, so werden wir uns betrogen finden. O so sehet denn daraus, daß Trübsal nicht etwas so Schlimmes ist für die Heiligen auf ihrem Wege zur ewigen Ruhe. Oder sind wir weiser als Gott? Weiß er nicht eben so gut, was uns nützlich sey, als wir und sorgt er für unser Heil nicht eben so gut, als wir selbst? O wehe uns, wenn er es nicht unendlich bester wüßte, und unendlich mehr dafür sorgte! Wenn er nicht unendlich mehr uns liebte, als wir Ihn, ja als wir uns selbst lieben! — Sag nicht: „Jede andre Trübsal könnte Joh. 14, 15. 16. — Joh. 20, 19. —Apg. 7, 55.

14*

212 ich ertragen; aber gerade diese nicht." Hätte Gott dich da

geschlagen, wo du es weniger enipfändest, dann würdest du deinen Abgott nie haben herausfinden und ihn von

seinem Throne stürzen können. Sag nicht: „Wenn ich nur wüßte, daß Gott mich aus dieser Trübsal retten würde, dann wollte ich mich noch darein schicken." Ist

dir das denn nichts, daß er dir gesagt hat, sie solle zu deinem Besten dienen? Ist es dir denn nicht genug, daß du im Tode gewiß davon wirst frei werden? Sag nicht: „Wenn meine Trübsal mich nur nicht grade von der Er­ füllung meiner Pflichten abhielte, dann würde sie mir noch erträglich sein." Sie hält dich von der Pflichterfüllung nicht ab, .die dir für dein eigen Herz heilsam ist, ja sie hilft dir vielmehr aufs entschiedenste dazu; was aber die Pflichten gegen andre betrifft, so sind es keine, wenn Gott dir die Fähigkeit nimmt, sie zu erfüllen. Vielleicht sprichst du: „Ja, wenn nur die Gläubigen es nicht wären, die mir Trübsal zufügen! Wären es Unbekehrte, dann wollte ich' es leicht ertragen." Wer auch immer das Werk­

zeug ist, die Trübsal kommt von Gott, und du bedarfst ihrer! Und solltest du daher nicht mehr auf Gott und dich selbst dabei sehen? Wußtest du es denn nicht, daß auch .die besten Menschen noch Sünder sind? — Sprich auch nicht: „Ja, fühlte ich nur den Trost, von dem du selbst sagst, daß Gott ihn für Leidenszeiten aufhebt, dann

wollte ich stiller werden; aber davon erfahre ich nichts." Je mehr du leidest um der Gerechtigkeit willen, desto mehr

Rvm. 8, 28. 5, 3. — Phil. 3, 10. 11.

213 von diesem Trost kannst du hoffen; und je mehr du um deiner eignen Uebelthat willen leihest, desto .länger wird es dauern, ehe du seine'Süßigkeit kostest. Und hast du nicht vielleicht den Trost, nach welchem dich verlangt, als er dir angeboten wurde, gering geachtet und 'ihm wider­ standen? Hast du die Trübsal auch wirklich dein Herz brechen und weich machen lassen, daß du also geschickt wurdest, den Trost zu empfangen? Das j Leiden allein kann dich noch nicht geschickt machen; sondern die Frucht und die Wirkung des Leidens auf dein Herz." 6. Endlich: Bedenkest du denn nicht, wem du grade durch Leiden besonders ähnlich wirst? Ist das nicht dein Heiland? Sehnte sich nicht Paulus danach, „zu erkennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, daß er seinem Tode ähnlich werde, damit er ihm entgegenkäme zur Aufer­ stehung der Todten?" Sagt nicht Petrus: „Well nun Christus im Fleische für uns gelitten hat, so wappnet euch auch mit demselbigen Sinn?" Christ, wenn du deinen Heiland kennst, und geschmeckt hast, wie freundlich er ist, ja, wenn du auch nur einmal in deinem Leben einen tiefen Eindruck von seiner Herrlichkeit, einer rlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater,"vo^. Gnade und Wahrheit, erhalten hast, dann kannst bit dir keine größere Seligkeit denken, als „gesinnt zu seyn, rote Jesus Christus auch roar." Oder solltest du dir wirklich eine größere Seligkeit denken können, als wenn es immer in 1 Petr. 4, 1. — 1 Petr. 2, 3. — Joh. 1, 14. — Phil. 2, 5.

214 dir hieße:

„Deinen Willen, mein Gott, thue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinen Herzen!" wenn es „deine Speise wäre, den Willen deines Vaters zu thun, und sein Werk zu vollenden?" wenn du „sanstmüthig wärest und von Herzen demüthig?" wenn du „gehorsam wärest bis zum Tode?" wenn du bei dem Trinken auch aus dem bittersten Leidenskelche immer sagtest: „Mein

Vater, ists nicht möglich, daß dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn: so geschehe dein Wille." Nun siehe, liebe Seele, der so sprach, dein Heiland, dessen ganzes Leben auf Erden war ein unablässiges Leiden.

Er wurde

in einem Stalle geboren und in eine Krippe gelegt; er hatte späterhin nicht,

da er sein Haupt hinlegte, und

mußte seinen Unterhalt

empfangen von

den Weibern,

die ihm dienten mit ihrer IHabe; wenn er Wunder der Liebe und Erbarmung that, oder in holdseligen Reden den

Rathschluß der Erlösung offenbarte, war gewöhnlich sein

Lohn, daß sie Steine aufhoben, um auf ihn zu werfen; seine Brüder glaubten nicht an ihn, und aus seiner Va­ terstadt ward er hinausgestoßen; die Städte, in welchen die meisten seiner Thaten geschahen, bekehrten sich doch nicht; Jerusalem, deren Kinder er so oft versammeln wollte, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter

ihre Flügel, Jerusalem wollte nicht bedenken zu ihrer Zeit, was zu ihrem Frieden diente, und mit bittern Thränen

Ps. 40, 9. — Joh. 4, 34. — Matth. 11, 29. — Phil. 2, 8. — Luc. 2, 7. — Matth. 8, 20. — Luc. 8, 3. — Joh. 8, 59. — Luc. 4, 29.— Matth. 11, 20. — Matth. 23, 37. — Luc. 19, 42.

215 sah er ihr Verderben voraus; unter den Zwölfen, die er zu immerwährenden Zeugen seiner segnenden Liebe aus­ erwählt hatte, war ein Teufel, einer, der sein Brod aß,

und ihn mit Füßen trat; ja auch die andern, denen nicht Fleisch und Blut, sondern der Vater im Himmel offenbart hatte, daß Er sey Christus, des lebendigen Gottes Sohn, die, von den Worten des ewigen Lebens aus Seinem Munde angezogen, nicht von ihm weggehen wollten, mußte er nicht mit tiefem Schmerze sehen, wie „sie um nichts

verständiger wurden" über seinen Wundern, „und ihr Herz verstarret war?" Mußte er nicht auch zu einem von ihnen sprechen: „Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich, denn du meinest nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist?" Mußte er nicht auch über

sie klagen: „O du ungläubige und verkehrte Art, wie lange soll ich bei euch seyn? wie lange soll ich euch dul­ den?" Und als er nun in das bitterste Leiden des Todes

gehen sollte, wie mußte er da zu seinem tiefsten Schmerz mit seinem allwiffenden Auge voraussehen, „daß sie in der Nacht sich alle würden ärgern an ihm;" daß Petrus, ehe der Hahn krähete, ihn dreimal verleugnen werde? Nun zog er mit seinen Jüngern über den Bach Kidron, aber auch von seinen drei vertrautesten Freunden mußte er sich losreißen, als er „mit dem Tode rang und heftiger betete, und sein Schweiß ward wie Blutstropfen, die auf

Joh. 6, 70. 13, 18. — Matth. 16, 17. — Joh. 6, 68. — Marc. 6, 52.— Matth. 16, 23. — Matth. 17,17. — Matth. 26, 31. 34. — Luc. 22, 41. 44. 48.

216 die Erde fielen;" und da nun Judas kam und Les Men­ schen Sohn verrieth mit einem Kuß, und die Schaar die Hände an ihn legte und ihn griff: da verließen ihn alle Jünger und flohen; ja als er dastand vor seinem unge­ rechten Richter, und verhöhnt und ins Angesicht geschlagen ward, da, grade da, sagte Petrus: „Ich kenne den Menschen nicht!" Und so ward er denn zum Tode ver­ dammt, den Heiden überantwortet, verspottet, gegeißelt und starb, auch von Gott, seinem Vater, verlaffen, des bittersten und schmählichsten Todes am Kreuze. Schau doch, und sieh, ob irgend ein Schmerz sey, wie der Schmerz welcher ihn getroffen hat! Und nun, liebe Seele, weißt du, daß dies der Sohn Gottes ist, dein Heiland, und solltest du dich nicht darnach sehnen, in seine Leidensge­ meinschaft einzutreten? Wenn er, „wiewohl er Gottes Sohn war, doch an dem, das er litt, Gehorsam lernen mußte," um „allenthalben gleich wie wir versucht zu wer­ den, doch ohne Sünde:" solltest du nicht dich danach sehnen, den Weg zu gehen, auf dem der Herzog deiner Seligkeit durch Leiden vollendet worden ist? Gibt es hienieden eine höhere Würde, eine größere Herrlichkeit, als daß, wie Er, der Sohn Gottes war, so auch wir sind in dieser Welt? O du erstarrtes eisiges Herz, zerschmilz an dieser Sonne der Liebe! O du zum Leiden unwilliger, nach Augenlust, Fleischeslust und hoffährtigem Leben trach­ tender Sinn, erstirb hier an Jesu Kreuz! Erkenne, daß du hier keine bleibende Stadt hast, und trachte nach dem, Matth. 26, 56. — Matth. 26, 72. - Hebr. 5,8. — Hebr. 4, 15.

217 was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes! II. Um dich davon zu überzeugen, wie unvernünftig es ist, wenn man in der zeitlichen Freude seine Ruhe sucht, bedenke: du machst sie damit zu deinem Abgott; du widerstrebest der Absicht Gottes, in der er sie dir gab; eben dadurch wird sie dir versagt, entzogen und verbittert; es würde der schwerste Fluch für uns seyn, wenn wir hier unsre Ruhe finden müßten; wir würden sie da suchen, wo sie nicht zu finden ist, indem die Geschöpfe ohne den Schöpfer, unser Elend nur noch vermehren würden; zur Bestätigung von allem diesen wollen wir unsre eigne und Andrer Erfahrung zu Rathe ziehen. 1. Es ist Abgötterei, wenn wir in irgend einem Geschöpf unsre Ruhe suchen. Die Ruhe der Seele kann nur Gott allein seyn. Wie es offenbare Abgötterei ist, wenn wir in Reichthum und Ehre unsre Ruhe suchen, so ist es nur eine feinere Abgötterei, wenn wir sie auch in den herrlichsten Gnadenmitteln suchen. Wie übel muß es unser lieber Herr aufnehmen, wenn wir ihm Ursach geben, über uns eben so zu klagen, wie er über unsre Mit-Abgötter klagte: „Mein Volk ist wie eine verlorene Heerde; sie haben ihrer Hürden vergesien!" „Mein Volk kann eher in allem Ruhe finden, als in mir; sie können sich eher aneinander erfreuen, als an mir; sie können an meinen Geschöpfen und Gnadenanstalten sich ergötzen, aber nicht an mir; ja in ihren eignen Mühen und Arbeiten 3er. 50, 6.

218 suchen sie Ruhe, aber nicht in mir; sie blieben lieber ir­ gendwo anders als bei mir Und sind denn das ihre Götter? Sind das ihre Heilande? Werden sie mehr für

sie thun und für sie sorgen, als ich?" Hättest du ein Weib, oder einen Mann, oder ein Kind, die lieber irgend­ wo anders, als in deiner Gesellschaft, und nie so froh wären, als wenn sie weit von dir entfernt wären: müßtest du das nicht übel empfinden? So muß es ja unser

Gott auch. 2. Du widerstrebst der Absicht Gottes, in der er dir die zeitlichen Freuden gab. Er schenkte sie dir, daß sie dich zu ihm führen sollten; und du bleibst nun bei ihnen stehen, statt daß du zu ihm kommen solltest? Er gab sie dir zur Erholung auf deinem Wege; und du

schlägst nun in der Herberge deine Wohnung auf und ziehest nicht weiter? Von allen solchen Erquickungen und Anstalten kann man dasselbe sagen, was von den Israeli­ ten gesagt wird: „Die Lade des Bundes des Herrn zog

vor ihnen her, ihnen zu weisen, wo sie ruhen sollten." So ist es mit allen Gnadenerweisungen Gottes im Ein­ zelnen; sie sind nicht diese Ruhe, sondern, wie Johannes sagte: „Ich bin nicht Christus!" — so sind auch sie Stim­ men, die uns zurufen in der Wüste dieser Welt: Bereitet dem Herrn den Weg! Thut Buße, denn das Himmel­ reich, eure wahre Ruhe, ist nahe herbeigekommen! Woll­ test du 'daher hier deine Ruhe suchen, so wäre das der

Bestimmung der zeitlichen Freude gradezu entgegen; wir

4 Mos. 10, 33.

219 würden uns mit eben dem Werkzeuge zu Grunde richten, das zu unserer Hülfe uns gegeben war. 3. Eben dadurch nöthigen wir Gott, sie uns zu versagen, zu entziehen oder zu verbittern. Gott ist nirgends so eifersüchtig, als hierin. Hättest du einen Diener, den dein Weib mehr liebte als dich, würdest du es ihr nicht sehr übel nehmen, und den Diener schleunig

aus deinem Hause entlassen? So ist es, wenn der Herr sieht, daß du dir hier in der Welt eine Ruhestätte bauen willst; kein Wunder, daß er sie dir bald zerstört; kein Wun­ der, wenn er dich lieb hat, daß er dir das wegnimmt, womit du dich zu Grunde richtest. Ich habe an vielen oft die Bemerkung gemacht: wenn sie große Werke unternom­ men, und sie nun eben vollendet hatten; wenn sie nach hohen Dingen getrachtet, und sie eben erreicht hatten; wenn sie in großer Unruhe gelebt, und eben sie überwun­ den hatten, und nun mit Wohlbehagen ihre Lage betrach­ teten und ihre Ruhe darin fanden: so war das gewöhnlich kurz vor ihrem Tode oder Verderben. Spricht ein Mensch: „Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Muth;" so lautet gewöhnlich die nächste Botschaft: „Du Narr, diese Nacht, oder diesen Monat, oder dieses Jahr wird man deine Seele von dir fordern, und was wird's seyn, was

du bereitet hast?" Wie viel Häuser gibt es bei uns, wo solche Narren wohnen! Lasset uns wohl zusehen, ob wir nicht auch zu ihrer Zahl gehören. Manchen Diener GotSltf. 12, 19. 20.

220 tes hat es zu Grunde gerichtet, daß man ihn zu sehr ehrte und hochhielt. Unsre Unzufriedenheit, unser Murren ist oft gewiß sehr sündlich; aber nichts fordert doch so sehr Gott heraus, nichts ist so verderblich für den Sünder, als das süße Behagen, das wohlgefällige Ruhen in seinem Glück. Schickt Gott dir Kreuz durch dein Weib, deinen Mann, deine Kinder, dein Hab' und Gut, deine Freunde

indem er sie dir entweder nimmt, oder die Freude daran verbittert, sieh zu, ob es nicht deshalb geschieht; denn worauf dein Verlangen ruht, und wobei du sprichst: „Hier geht mirs wohl!" — das machst du zu deinem Abgott, und reizest damit Gott, es dir zu nehmen. Magst du ein Freund oder ein Feind Gottes seyn, nie wird er ruhig zusehen, wie du an deinen Abgöttern dich ergötzest. 4. Wollte Gott es zugeben, daß du hier deine Ruhe fändest, so wäre es der schwerste Fluch, der dich treffen könnte. Es wäre besser, du hättest nie einen frohen Tag in der Welt; denn alsdann würde der Druck,

unter dem du seufztest, dich treiben, nach der wahren Ruhe zu trachten. Könntest du aber hier dich niederlassen und deine Ruhe finden, so wärest du der elendeste Mensch in

alle Ewigkeit. „In diesem Leben ihr Theil zu haben," ist das Loos der verlorensten Sünder. Und Christen ssollten hier es erwarten? Unsre Ruhe ist im Himmel; wo wir unsre Ruhe suchen, da suchen wir unsern Himmel. Und möchtest du keinen andern Himmel haben, als diesen, den diese Welt dir bietet? Ps. 17, 14.

221 5. Du würdest die Ruhe da suchen, wo sie nicht zu finden ist. Alle deine Mühe und Arbeit wäre ver­ loren, und gingest du fort auf dem Wege, auch deine ewige Ruhe. Unsere ewige Ruhe können wir da allein finden, wo wir unsere Bestimmung völlig erreichen; das können wir aber in diesem Leben nicht erwarten; so kön­ nen wir also auch die Ruhe hier nicht erwarten. Könnte man Gottes in der lautersten Gemeine auf Erden wohl genießen, wie man seiner im Himmel genießt? Die eige­ nen Klagen der Heiligen auf Erden legen ein Zeugniß da­ von ab, wie schwach und wie gestört auch bei den herr­ lichsten Gnadenmitteln ihre Gemeinschaft mit Gott noch ist. Ohne Gott selbst sind auch die herrlichsten Anstalten nur leidige Tröster. Sollte ein Reisender auf seinen We­ gen seine Wohnung aufschlagen? Nein, am Ziel seiner Reise liegt seine Heimath. Wenn du alles hast, was Ge­ schöpfe und was Anstalten dir gewähren können, hast du damit schon alles, was du glaubtest, warum du betetest und littest? Das wirst du doch wohl nicht sagen. Wir sind wie kleine Kinder, die sich vom Hause verloren haben, und nun hat Gott uns wiedergefunden und will uns zu­ rückbringen; aber wir bleiben bei jedem neuen Gegenstände auf unserm Wege stehen, und spielen damit, und setzen auf jede grüne Rasenbank uns hin, und es kostet viel Mühe, uns nach Hause zu bringen. — Hier auf Erden stehen wir mitten in der Arbeit und den Gefahren, wie könnten wir da Ruhe finden? Was für ein gewaltiges Werk liegt uns ob! Blick' auf unsre Brüder, blick' auf

222 deine eigne Seele, blick auf Gott! Könnten wir mitten in all' dieser Arbeit schon ausruhen? Ja, wir können Ruhe finden auf Erden, wie die Bundeslade ruhte mitten im Jordan; eine kurze, vorübereilende Ruhe; oder wie Abra­ ham die Engel bat, in seine Hütte zu kommen, wo sie ge­ wiß nicht für immer hätten ihre Wohnung aufschlagen mögen. Hätte wohl Israel seine Ruhe suchen mögen in der Wüste, in großer Müdigkeit, Hunger und Durst, unter feurigen Schlangen und wilden Feinden? Hätte wohl Noah die Arche für seine Heimath halten, und sie mit Widerwil­ len verlassen mögen, nachdem die Gewässer sich verlaufen hatten? Möchte der Seefahrer wohl das Meer als seine Wohnung ansehen, und sich zwischen Felsen und Sand­ bänken und unter wüthenden Stürmen niederlasien? Möchte ein Kriegsmann seine Ruhe suchen mitten in dem Schlachtgetümmel? Und sind die Christen nicht solche Pilgrimme, solche Seefahrer, solche Kriegsleute? Geht es uns nicht, wie der Apostel sagt: „Unser Fleisch hat keine Ruhe: sondern allenthalben sind wir in Trübsal; auswen­ dig Streit, inwendig Furcht?" O Christ, wenn du von Ruhe auf Erden sprichst, geht es dir, wie dem Petrus auf dem Berge: Du weißt nicht, was du redest. Hätte Christus zu dem bekehrten Schächer statt seines göttlichen Trostwortes: „Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn," gesagt: Hier sollst du ewig deine Ruhe haben an dem Kreuze! müßte er es nicht für Spott gehalten haben? Jos. 3, 8.17. — 1 Mos. 18,3 — 2,Lor. 7, 5.— Luc. 9, 33. — Luc. 23, 43.

223 Doch sollte alles dies dich noch nicht berzeugen, so wird doch die noch in dir wohnende Sünde, welche dir anklebt und dich träge macht, dich davon überzeugen, daß hier deine Ruhe nicht jift. Jedem daher, welcher auf Erden Ruhe zu finden meint, rufe ich zu: „Machet euch auf, ihr müffet davon, ihr sollt hier nicht bleiben; denn um seiner Unreinigkeit willen muß dieser Ort zerstört werden." — Alle Dinge auf Erden können ihrer Natur nach einem Christen keine Ruhe gewähren. Sie sind zu arm, um uns reich, zu gering, uns um glücklich zu machen, zu leer, um unsere Seele zu füllen; zu vergänglich, um uns zu genügen. Alle Freude an den Geschöpfen altert und ver­ geht nach kurzem Genusse. Wenn Gott uns Engelbrot herabregnete, bald würde uns auch vor diesem Manna ekeln. Wenn der Reiz der Neuheit verschwindet, werden alle Erdenfreuden uns langweilig. Alle Geschöpfe sind uns, was die Blumen den Bienen sind; jede hat nur ein wenig Honig, und darum kann man nur etwas daran kosten und muß dann weiter. Und je mehr man die Ge­ schöpfe kennen lernt, desto weniger reichen sie aus. Die allein werden davon hingerissen, welche ihre Schönheit nur von Außen kennen, und ihre innere Leerheit und Vergäng­ lichkeit nicht sehen. Wenn wir einen Menschen ganz von Nahem kennen, von seinen guten sowohl als seinen schlech­ ten Seiten, dann hat es meist mit unserer Bewunderung ein Ende. 6. Die Geschöpfe ohne den Schöpfer würden unMich. 2, io.

224 ser Elend nur noch vermehren. Wenn Gott zu uns spräche: „Da , nimm meine Geschöpfe, mein Wort meine Diener, meine Gnadenanstalten, aber mich nicht mit ihnenkönntest du es für ein Glück achten? Hättest du das Wort Gottes, aber nicht das Wort, welches Gott ist; hättest du das Brot des Herrn, aber nicht den Herrn, der das Brot ist, das vom Himmel gekommen ist und gibt der Welt das Leben; oder, riefen wir mit den Israeliten: „Hier ist des Herrn Tempel!" und hätten den Herrn des Tempels nicht: so märe das ein armseliges Glück. War Capernaum glücklicher oder elender, weil so große Thaten in ihr geschehen, und weil sie Christi Worte gehört hatte? Gewiß, was unsere Sünde und unser Elend noch ver­ mehrt, das kann unsere Ruhe nicht seyn. 7. Um alles dies noch zu bekräftigen, lasset uns unsere eigene und Andrer Erfahrung zu Rathe ziehen. Millionen haben schon den Versuch gemacht; aber haben sie je auf Erden Ruhe gefunden? Freuden allerlei Art ha­ ben sie wohl gefunden, aber Ruhe und Genüge nicht. Und sollten wir meinen finden zu können, was noch nienrand vor uns gefunden hat? Ahab dünkt sein Königreich nichts zu seyn, weil er Raboths Weinberg nicht hatte; und als er ihn nun hatte, fand er da Ruhe? Geh hin und frag die Ehre, ob du Ruhe in ihr finden könnest? Eben so gut kannst du Ruhe finden auf dem stürmischen Gipfel eines hohen Berges, oder in dem Kessel des Aetna, wenn er Feuer speit. Geh hin und frage den Reichthum, ob bit Joh. 6, 33. — 3er. 7, 4. — 1 Kön. 21.

225 Ruhe in ihm finden könnest? Eben so gut kannst du Ruhe finden auf einem Dornenbette. Und so wirst du es bei allen Weltsreuden finden; es geht dir damit, wie dem Fisch mit dem Köder; wenn er am süßesten schmeckt, dann ist der Tod am nächsten. Alle antworten dir, wie Jacob der Rahel: „Bin ich doch nicht. Gott, daß ich dir Ruhe geben könnte!" Nicht Aemter noch Würden, nicht Hof- noch Landleben, nicht Handel noch Gewerbe, nicht Schätze noch Bücher, nicht Gesellschaft noch Einsamkeit, nichts von dem Allen kann dir Ruhe geben. Frage die Todten aller Zeiten, frage die Lebenden in allen Ländern der Welt, sie antworten dir mit Einer Stimme: Hier gibt es keine Ruhe. — Oder ist die Erfahrung Anderer von keinem Gewicht für dich, frage deine eigene. Kannst du dich einer Zeit in deinem Leben erinnern, wo du gar kei­ nen Wunsch mehr hattest? Oder gab es solch eine Zeit einmal für dich, dauert sie noch bis jetzt fort? Ja gewiß, wir alle müssen von unserer Ruhe sagen, was Paulus von unserer Hoffnung sagt: Wäre sie allein für dies Leben, so wären wir die elendesten unter allen Menschen. Wenn denn nun die heilige Schrift, die Vernunft und die Erfahrung der ganzen Welt zusammenstimmt, so können wir deutlich erkennen, es gibt keine Ruhe für uns auf Erden. Ach, und wie schwer versündigen sich doch die meisten unter uns, daß wir sie hier suchen! Wie oft hal­ ten wir an und ruhen aus, ehe der Herr uns einführt zu seiner Ruhe! Wie muß Gott uns treiben, wie schwer 1 Mos. 30, 2. — 1 Cor. 15, 19. Baxter, Ruhe der Heiligen.

15

226 muß er jede Lage des Lebens uns machen, damit wir nicht darin uns niederlassen! Gibt er uns Glück, Reichthum und Ehre, so tanzen wir davor, wie die Israeliten vor ihrem goldenen Kalbe, und rufen: „Das sind deine Göt­ ter!" — und denken: Hier ist -gut sein! Verbittert Gott uns das Alles, ach, wie unruhig sind wir, bis wir's wieder süß gemacht haben, um uns von neuem hinsetzen zu können und uns auszuruhen! Fährt Gott fort in seiner Kur und nimmt uns die Götzen ganz weg, wie ringen wir da, und schreien und bitten, daß Gott sie uns doch wieder schenken möchte, um aufs Neue unsere Ruhe darin finden zu können! Und sind wir nun endlich unsers Abgotts beraubt, und sollten und könnten nun wenigstens zu Gott kommen, so vergnügen wir uns an der Hoff­ nung, ihn wieder zu erlangen und machen aus dieser Hoff­ nung unsere Ruhe; oder wir suchen ringsherum unter den Geschöpfen, ob wir wohl ein anderes irgendwo antreffen könnten, was die leere Stelle ausfüllte; ja, können wir keinen Ersatz finden, so setzen wir lieber in diesem Elend uns zurecht, bauen aus den zerfallenen Trümmern uns ein Hüttchen, und finden uns darein, elende Geschöpfe zu seyn, als daß wir alles fahren ließen und zu Gott uns wendeten. O du verruchte Abkehr unserer Seelen von Gott! Gäbe es in der Hölle irgend einen erträglichen Ort, unsere Seele würde lieber dort ihre Ruhe suchen, als daß sie zu Gott kommen möchte! Ja, wenn er uns zu sich zieht, und und uns davon überzeugt, wie lieblich Seine Wege und Sein Dienst sind, so kommt nun hier

227 der letzte Betrug, daß wir uns lieber auf den Wegen niederlassen, die zu Ihm führen, und lieber in den An­ stalten verweilen, die auf ihn Hinweisen, und lieber an

den Gaben uns erquicken, die von Ihm ausfließen, als daß wir gänzlich uns Ihm übergeben möchten. Christ, wundre dich nicht, daß ich von diesem letzten Punkt so oft rede; du könntest leicht selbst in dem Falle seyn. Viel­ leicht hat Gott dich von der Eitelkeit des Reichthums, der Ehre und der irdischen Freuden überzeugt, und du kannst sie leicht missen, und wohl dir, wenn es so ist; aber die

Gnadenmittel kommen dir sichrer vor, und du meinst, daran könntest du nicht genug dich ergötzen, besonders wenn du siehst, wie die Welt umher sie gering schätzt und so wenig Freude daran findet. Und ich weiß wohl, daß man sie ehren soll, und wer an irgend einem weltlichen Dinge mehr Freude findet, der ist kein Christ. Aber sind wir lieber in der Predigt, als im Himmel, sind wir lieber Glieder der Kirche auf Erden, als der oberen Ge­ meine, so ist das ein unseliger Fehlgriff. So lange

wir im Leibe wohnen, wallen wir als Pilgrime in der Fremde; und sind wir noch nicht bei dem Herrn, so sind wir auch noch nicht in unserer Ruhe. Wäre Gott eben so damit zufrieden, von uns fern zu bleiben, als wir damit zufrieden sind, es von Ihm zu bleiben; verlangte Ihn so wenig danach, unsere Ruhe zu seyn, als uns danach verlangt, unsere Ruhe in Ihm zu finden: so würden wir ewig ohne Ruhe, ewig von Ihm geschieden seyn. Mit Einem Wort, so tief du die Sündlichkeit dei15*

228 ner irdischen Trauer und Unzufriedenheit fühlst, so tief fühle auch die Sündlichkeit deiner irdischen Behaglichkeit, und bitte Gott, daß er sie dir vergeben möge. Fliehe mehr, als alle Plagen, die es außer der Hölle gibt, das Suchen einer Heimath außer dem Himmel und die Ruhe in irgend etwas, das geringer ist als Gott. III. Das letzte, was wir hier noch zu erwägen haben, ist unser Widerwille gegen das Sterben, das uns doch in den Genuß der ewigen Ruhe einführt. Wir säumen und säumen, gleich Lot in Sodom, bis der Herr aus Gnaden uns ergreift und mit sich fortnimmt. Der Tod in sich selbst ist freilich nichts Liebliches; aber die ewige Ruhe der Seele ist unbeschreiblich lieblich, und zu ihr der Tod der Gläubigen der gerade Weg. Weil wir es mit diesem Widerwillen meistens zu leicht nehmen, so will ich hier in einer Reihe von verschiedenen Betrach­ tungen zu zeigen suchen, was dieser Widerwille in sich schließt, und wie wir davon frei werden. Ein Haupt­ bestandtheil desselben ist der Unglaube. Glaubten wir wahrhaftig, daß es das Wort Gottes ist, welches uns diese Ruhe verheißen hat, und daß Gott, was er zusagt, auch gewiß hält, glaubten wir in der That, daß eine solche Seligkeit den Gläubigen bereitet ist: so würden wir sicherlich eben so ungeduldig darüber werden, daß wir noch länger auf Erden leben sollen, als wir jetzt unge­ duldig sind, wenn es ans Sterben geht; und wir würden jeden Tag für ein Jahr ansehen, bis unser letzter Augen­ blick gekommen wäre. Ist es möglich zu glauben, daß

229 der Tod uns aus dem Elende zu solch einer Herrlichkeit erheben werde, und doch mit Widerwillen zu sterben? Wenn die Zweifel darüber, ob wir auch zu jener Selig­ keit gelangen werden, uns Furcht vor dem Tode ein­ flößten, so würden wir dann doch wenigstens keine Ruhe haben, bis wir Gewißheit darüber erlangt hätten, daß wir berufen sind. Aber ist auch viel Christenthum und Glaube in unserm Munde, so bleibt doch viel Unglaube und Heidenthum in unsern! Herzen, und das ist die Haupt­ ursache dieses Widerwillens. — Unser Kaltsinn hat einen großen Antheil daran. Haben wir einen Freund lieb, so sind wir gern in seiner Gesellschaft; seine Gegen­ wart erfreut, seine Abwesenheit betrübt uns; kommt er zu uns, so empfangen wir ihn mit Freuden; stirbt er, so sind wir in tiefer, meist zu tiefer Trauer. Von einem treuen, geliebten Freunde getrennt zu seyn, ist als ob ein Glied -am Leibe uns fehlte. Und würde uns nicht eben so sehr nach Gott verlangen, wenn wir ihn innig lieb­ ten? Ja, sollte uns nicht noch viel stärker nach ihm ver­ langen, da er so sehr viel liebenswürdiger ist? Möge der Herr uns lehren, genau unsere Herzen zu erforschen, da so viel Selbstbetrug grad hierüber stattfindet! Was wir auch sagen mögen, lieben wir Vater, Mutter, Mann, Weib, Kind, Freund, Hab' und Gut, ja das Leben selbst mehr als Christuni, so können wir seine wahren Jünger nicht seyn. Kommt es zur Untersuchung vor Gottes Gericht, so wird nicht danach gefragt werden, wer am meisten von Christo gepredigt, gehört und gesprochen

230 hat, sondern wer ihn am meisten geliebt hat. Predigten, Fasten, Gebete, ja, gäben wir auch alle unsre Habe den Annen und ließen unsern Leib verbrennen, nichts von dem nimmt Christus anstatt der Liebe an. Und sollten wir Ihn wohl lieben, wenn uns nichts daran liegt, ob wir noch lange abwesend sind von Ihm? War Jacob etwa so gestimmt, als er Joseph in Egypten wiedersehen sollte? Und uns sollte es gleichgültig seyn, ob wir Christum in der Herrlichkeit wiedersehen? Ich will nicht sagen, der Widerwille vor dem Tode sey ein Kennzeichen, daß wir keine Liebe zu Christo hätten; aber das sage ich, liebten wir ihn mehr, wir würden auch williger sterben. Brennte diese heilige Flamme recht hell in unsrer Brust, wir würden mit David rufen: „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, nach dir! Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem leben­ digen Gott! Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?" — In unserm Widerwillen vor dem Tode zeigt es sich, daß wir der Sünde noch nicht recht überdrüssig sind. Hielten wir die Sünde für das größte Uebel, dann würden wir uns sehnen, die Gemeinschaft mit ihr los zu werden. O du thörichtes, sündiges Herz! Bist du nun schon so lange eine Mörderhöhle voll unreiner Lüste und Begierden, ein Quell gewesen, der unablässig die bitteren Wasser der Uebertretung ausströmt, und bist noch immer dessen nicht satt? Bist du nun so lange schon vom Scheitel bis auf Ps. 42, 2. 3.

23 t die Fußsohle voll Wunden, so krank und lahm in allem, was du vornimmst, ein so üppig mit Unkraut bewach­ sener Acker, und bist du immer dessen noch nicht satt? Möchtest du denn noch ferner unter deinem Drucke seuf­ zen? Hast du von der Sünde so viele Vortheile gezogen, hast du eine so hülfreiche Freundin und eine so süße Be­ schäftigung an ihr gehabt, daß du das Scheiden von ihr so fürchtest? Thäte Gott nicht recht daran, wenn er deine Wünsche dir gewährte, und da du erklärst: „Ich habe meinen Herrn lieb!" — deine Ohren annagelte an dies Thor des Jammers, und ewig dich ausschlösse von seiner Gemeinschaft? — Unser Widerwille vor dem Sterben zeigt, daß wir die Geschöpfe dem Schöpfer vor ziehen. O du thörichtes, sündiges Herz! Sehnt jeder Gefangene sich nach Befreiung, jeder Sclave nach deni Jubeljahre seiner Freilassung, jeder Kranke nach Genesung, jeder Hungrige nach Speise, und du allein widerstrebst deiner endlichen vollkommenen Erlösung? Verlangt den Seefahrer das Land zu sehen, den Ackersmann die Ernte, den Arbeiter seinen Lohn;' verlangt den Reisenden nach der Heimath, den Wettläufer nach dem Kleinod am Ziel, den Kriegsmann nach dem Siege, und du allein sehnest dich nicht nach dem Ziele aller deiner Arbeit? nach dem Ende deines Glaubens und deines Leidens? War denn all' dein schmerzliches Verlangen bloß ein Traum? Und wäre es nur das gewesen, du solltest doch nicht erschrecken vor dem Aufwachen. Oder sind nicht die Weltfreuden vielmehr alle

2 Mos. 21, 6.

232 Träume und Schatten?

Oder ist die Welt neuerlich etwa

anders und besser geworden? Du magst dich auf deine Gefahr wohl mit der Welt versöhnen; nie aber wird sich die Welt mit den Gläubigen versöhnen. O du undank­ bares Herz! Du möchtest lieber in diesem Lande der Fin­

sterniß wohnen und in dieser dürren Wüste herumirren, als zu Jesu in die Ruhe eingehen? Du möchtest lieber

unter den Wölfen hausen und täglich den Stich der Scorpione empfinden, als dem Herrn mit den himmlischen

Heerschaaren in Ewigkeit lobsingen? — Dieser Widerwille vor dem Sterben trägt den Keim des Abfalls von

Gott in sich. Denn wenn wir die Erde Ihm vor­ ziehen und in den zeitlichen Dingen unsre Seligkeit suchen, machen wir da nicht aus ihnen unsern Gott? Wäre Gott wirklich unser Theil, unser Schatz, unsre Ruhe,

unser Ziel, wie wäre es möglich, daß wir nach Seiner vollkommenen Gemeinschaft uns nicht innig sehnten? — Er zeigt immer bei uns eine gewisse Heuchelei. Kannst du wohl einen Menschen glauben machen, daß du die Wahrheit redest, wenn du den Herrn deine einzige Hoff­ nung, und Christum dein Alles nennst, und die unaus­ sprechlichen Freuden in seiner Gemeinschaft schilderst, da du dennoch lieber das' schwerste Leben ertragen möchtest, als sterben und zu dem Anschauen seiner Herrlichkeit ge­ langen? Was ist das für ein Widerspruch in sich selbst, so scharf gegen die Welt und das Fleisch zu reden, zu seufzen unter der Sünde und den Leiden dieses Lebens, und doch keinen Tag nrehr zu fürchten, als der zu deiner

233 vollkommenen Erlösung dich einführt? Was ist das für eine Heuchelei, angeblich so gewaltig zu kämpfen und zu streiten für das Himmelreich, und doch nicht hinein zu wollen; eine Stunde nach der andern im Gebet zuzu­ bringen um etwas, was wir nicht haben mögen? — Wir strafen den Herrn und seine Verheißungen Lügen, und machen, daß Sein Name gelästert wird von der Welt. Es ist grade, als ob wir die Welt herausforderten, zu zweifeln, ob Gott seine Zu­ sagen halte oder nicht, ob es eine solche Herrlichkeit gebe, wie die heilige Schrift sie schildert. Wenn die Welt solche, die ein Leben des Glaubens zu führen behaupteten, und ihrer Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit sich rühmten, und die irdischen Dinge so tief herabgesetzten im Vergleich mit den hinlmlischen, nun so fest kleben sieht an der Erde, o wie muß sie das in ihrem Unglauben und in ihrem irdischen Sinne bestärken! „Wahrlich/' spricht sie, „glaub­ ten diese Leute wirklich, in eine solche Herrlichkeit einzu­ gehen, und hielten sie so wenig von der Welt, als sie vorgeben, sie würden doch nicht selbst mit solchem Wider­ streben an die große Veränderung gehen." Ach, wie können wir doch den Schaden wieder gut machen,'den wir Gottes Sache durch ein solches Aergerniß zufügen f Wie würde aber Gottes Name verherrlicht, wie würden die Gläubigen gestärkt, wie würden die Ungläubigen über­ zeugt werden, wenn die Christen in diesem Stücke ihrem Bekenntniffe entsprächen, und den Boten, der sie zum Eingehen in die Ruhe aufforderte, willkommen hießen! —

234 Wir sehen daraus, wie unfruchtbar wir die bis­ herige Zeit unsres Christenlebens hingebracht haben! War sie uns nicht geschenkt, um auf das Ster­ ben uns vorzubereiten? So viele Jahre waren uns ge­ geben, um auf eine Stunde uns fertig zu machen, und doch find wir noch sehr voll Widerwillen! Was haben wir bisher gethan? Womit haben wir uns beschäftigt? Hatten wir etwa wichtigere Angelegenheiten zu besorgen? Mußte uns noch mehr davon gesagt werden? Wie oft ist der Tod nun schon in die Häuser unserer nächsten Verwandten und Freunde eingebrochen! Wie oft hat er schon an unsre Thür angeklopft! Haben wir nicht an uns und andren die Vorboten des Todes in den Krankheiten des Leibes schon oft gesehen? Und nach diesem allen haben wir doch noch denselben Widerwillen? O ihr siche­ ren, todten Sünder, o ihr leichtsinnigen Verächter der göttlichen Drohungen, o ihr treulosen Verräther eurer eignen Seelen! Verlangt Gott danach, durch den Tod uns in die Herrlichkeit einzuführen, und uns verlangt nicht danach, zu sterben, um in die Herrlichkeit einzugehen? Ich dächte, wenn ein Fürst dich zu seinem Thronerben machen wollte, du würdest schwerlich etwas dawider haben, es anzunehmen; und das Ausschlagen einer solchen Gnade würde deine Undankbarkeit und Unwürdigkeit zeigen. Wie Gott es als einen unwandelbaren Rathschluß verkündet hat gegen diejenigen, die sich entschuldigen, da die Knechte sie rufen:

•235 „Ich sage euch, daß der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird" — so wäre es gerecht, wenn er uns einen ähnlichen Beschluß ankündigte, da wir

uns weigern, in Seine Herrlichkeit einzugehen. — Unser Herr Jesus Christus wollte vom Himmel auf die Erde­ kommen um unsertwillen, und wir sollten nicht einmal gern von der Erde in den Himmel eingehen, um Seinetund unsrer selbst willen? Hätte er nicht sagen können: „Was geht es mich an, wenn diese Sünder verloren gehen? Da sie denn ihr Fleisch höher achten, als den Geist, da ihnen ihre Lust lieber ist, als meines Vaters Liebe, da sie ihre Seelen für ein Nichts verkaufen wollen,

wer wird dabei am meisten verlieren? Sollten sie von freien Stücken mein Gesetz übertreten, und ich sollte die verdiente Strafe leiden? Sollte ich vom Himmel auf die Erde kommen, und in ihr Fleisch mich kleiden, sollte mich verhöhnen und anspeien lassen von den Menschen, sollte fasten, weinen, schwitzen, leiden, bluten und eines ver­

fluchten Todes sterben, uud das alles für die elenden Würmer, welche lieber ihr Seelenheil aufs Spiel setzen, als von dem Kosten einer verbotenen Frucht sich enthalten wollten? Werfen sie sich selbst für einen so wohlfeilen Preis hinweg, und ich sollte sie so theuer wieder erkau­ fen?" So sehen wir, daß Christus Ursach genug hatte, in seinem Zorne ewig von uns fern zu bleiben; und doch kam er willig zu uns herab. Wir aber haben keine Ursach, warum wir nicht zu Ihm kommen sollten; es wäre denn, Luc. 14, 24.

236 daß wir Ursach hatten alle unsre Hoffnungen zu zerstören, und unser ewiges Elend herbeizuziehen. Christus kam auf Erden, um uns in seinen Himmel zu erheben; und wir solten ihn sein Blut und seine Arbeit verschwenden, und ohne uns wieder heimkehren lassen? Hat Er uns so theuer erkauft, ist unser Erbe uns mit Seinem Blut erworben,

und wir haben trotz diesem allen nicht Lust, es in Besitz zu nehmen? Ach, geliebte Freunde, Christus war es, und nicht wir, der Ursach hatte, keine Lust zu haben! Möge der Herr uns vergeben und uns heilen von dieser thörich­ ten Undankbarkeit. Verbünden wir uns denn nicht mit unsern bitersten Feinden in ihren bösesten Absichten, indeni wir einen sol­

chen Widerwillen haben vor dem Sterben und vor beut Eintritt in den Himmel? Was hat der Teufel Tag für Tag im Sinn?

Will er nicht unsre Seelen von Gott abziehen? Und wir sollten damit einverstanden seyn? Ist es nicht die halbe Hölle, die wir uns wünschen, wenn wir noch länger des Himmels entbehren mögen? Was für

eine Freude muß doch der Satan empfinden, wenn er seine Wünsche mit den deinigen so übereinstimmen sieht! wenn er dich zwar für jetzt nicht in die Hölle ziehen, doch aber vom Himmel entfernt halten, und dir selbst die ernstliche Bitte darum eingeben kann! O arbeite dem Teu­ fel doch nicht so in die Hände zu deinem Verderben!' — Macht nicht die Furcht vor dem Tode uns das Leben zu

einer Qual? Dieses von Gott uns geschenkte Leben, in welchem wir fried- und freudvoll der zukünftigen Welt

237 entgegengehen können, selig in dem süßen Vorschmack der uns aufbehaltenen himmlischen Seligkeit, wie füllen wir es ohne Ursach an mit Furcht und Schrecken! So ver­ zehren wir unsern Trost und Frieden, und rauben uns die schönsten Freuden. Statt daß wir uns niederlegen und wieder aufstehen und einhergehen mit Herzen voll Freude in dem heiligen Geist, füllt der böse Geist der Schwermuth und Jrdischgesinntheit uns mit Unruhe und Angst. Denn wer sich vor dem Tode fürchtet, hat eigent­ lich Ursach, beständig sich zu fürchten, da er immer dem Tode ganz nahe steht. Und wie kann einem Menschen wohl seyn in einem Leben, in welchem er beständig den Grund seines Wohlseyns zu verlieren fürchten muß? — Ist die Todesfurcht nicht ein Leiden, was wir uns selbst machen? Sendet Gott uns nicht genug Leiden, daß wir selbst uns noch eigne auferlegen müssen? Ist der Tod dem Fleische nicht schon bitter genug, daß wir seine Bit­ terkeit noch verdoppeln und verdreifachen müssen? Das Kreuz, das Gott uns auferlegt, führt allemal zu einem heiligen Ausgang; denn „Trübsal bringet Geduld, Ge­ duld bringet Erfahrung, und Erfahrung bringet Hoff­ nung; Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden." -Aber das Leiden, was wir s lbst uns machen, ist ein Cirkel, der kein Ende hat; da geht es immer von Sünde in Leiden von Leiden in Sünde und von da wieder in Leiden; ja, und wenn es allein so wäre; aber alles dies wächst in seinem Laufe, jede folgende Sünde ist größer als die vorige Röm. 5, 3. 4. 5.

238 und so auch jedes folgende Leiden. Bilden wir uns daher nicht ein, daß Gott uns zu unsern eignen Peinigern gemacht hat, so haben wir wenig Ursach, die Todesfurcht in uns zu nähren. — Und ist diese Furcht nicht eine unnöthige und unnütze? Niemand kann ein Haar seines Hauptes weiß oder schwarz machen, niemand seines Leibes Länge eine Elle zusetzen, so sehr er darum sorget; eben so wenig kann all' unsre Sorge unser Leben oder unser Leiden um eine Stunde verkürzen, fort müssen wir, wir mögen wollen oder nicht. Oft hat die Furcht jemandes Tod beschleunigt, nie aber ihn aufgehalten. Zwar ist es wahr, daß eine ntäßige Besorgniß vor dem Tode manche vor der Todes­ gefahr bewahrt hat; aber für ein Glied Christi, einen Himmelserben, ist die Furcht, seine Erbschaft anzutreten, jedenfalls etwas eben so Sündliches als Unnützes. — Und verstrickt diese Todesfurcht nicht oft unser Herz, und ver­ stärkt die Kraft unsrer Versuchungen? Warum verleugnete Petrus seinen Herrn? Warum fielen in Zeiten der Ver­ folgung so viele vom Christenthum ab? Warum verwelkt das frische, grüne Pflänzchen des nicht tief gewurzelten Glaubens in der Leidenshitze? Furcht vor Gefangenschaft, vor Armuth thut viel, noch mehr aber Furcht vor dem Tode. So viel Todesfurcht, so viel Zaghaftigkeit und Feigheit haben wir auch meistens in Gottes Sache. Und dazu kommen denn noch die vielen ungläubigen Gedanken, das Murren über Gottes weise Fügungen und die Un­ dankbarkeit gegen seine Liebe, welche diese Sünde immer in ihrem Gefolge hat.

239 Lasset uns ferner erwägen, wie hinreichend die Zeit war, welche die meisten von uns hatten. Wie sollte einer nicht im dreißigsten oder vierzigsten Jahre eben so gern sterben wollen, wenn Gott es für gut findet, als im 7Öften oder SOften ? Die Länge der Zeit ist es nicht, die

das Verderben des Herzens überwindet; das stirbt nicht hin, wenn es noch so alt wird; ja, wenn Gott uns nicht immer mit den verlängerten Jahren ein neues Maaß der Gnade schenkt, wird es immer schlimmer mit uns. O meine Seele, fahre hin in Frieden! Wie du dir kein ewiges Leben in Reichthum und Ehre und irdischem Wohlbehagen wünschen magst, so wünsche dir auch kein langes Leben darin. O wenn du immer recht be­ dächtest, wie wenig du Eine Stunde der Geduld und Langmut!) verdient hast, welche bisher dich getragen hat, du würdest deine Gnadenzeit sehr lang finden. Ist es Gottes Weisheit nicht, welche die Grenzen ihr gesteckt hat? Gott will durch mancherlei Personen, durch man­ cherlei Lebensalter, Kinder, Jünglinge und Jungfrauen, Männer und Frauen, Greise und Greisinnen verherrlicht seyn. Hast du nun vollbracht, wozu er dich bestimmt hatte, und dein vorgestecktes Ziel erreicht, so leg dich in Ruhe nieder, und laß andern deine Stelle, die so gut, als du, ihre Aufgabe zu vollenden haben. — Je mehr Zeit, je mehr Arbeit. Bitte um Gnade, die Zeit gut anzuwenden; aber begnüge dich mit deinem Antheil. — Und nun bedenke, was du schon empfangen hast in dei­ nem Leben. Hätte Gott es dich nicht können zubringen

240 lassen ohne diese ligmachende Erkenntniß Christi und seiner

Gnade? Aber er hat schon früh deine Augen geöffnet, und zeitig dir gezeigt, wozu du in dieser Welt bestimmt bist. Hätte dein himmlischer Vater dich nicht in Asien oder in Afrika können geboren werden lasten, und nicht in Europa?

In Spanien und Italien, und nicht in der

evangelischen Kirche? Hat er dein Leben mit Liebeser­ weisungen angefüllt, und du hältst alles für zu wenig?

Wie manche Stunde des Trostes, der stillen Sabbaths­ ruhe, der seligen Gemeinschaft mit andern, der Befreiung aus Gefahren, der segensreichen Arbeit, der frohen Bot­ schaft hast du es schon gezählt! Und so dankst du dem, der dich zu immer höherer Seligkeit erheben möchte? O du thörichtes Herz, wärest du doch eben so begierig nach der Ewigkeit, als du nach diesenr vergänglichen, dahinsterben­ den, Leben bist! nach dem Anschauen Gottes in der Herr­ lichkeit, als nach dem Fortleben auf der Erde! Dann würdest du rufen: Warum säumet sein Wagen so lange zu kommen? Warum stehen seine Räder noch immer still? Ach wie lange, Herr, wie lange! — Wenn nun Gott noch viele Jahre dich leben ließe, aber die Gnade dir entzöge, deren du bisher dich erfreut hast? Könnte er dir nicht Jahre deines Lebens geben, wie er den Israeliten Wachteln gab? Er könnte dir Leben geben genug, bis dir davor ekelte, und du eben so gern, wie Ahitophel und Judas, es los seyn möchtest und du herabsänkest zu dem Ps. 106, 15.

241 Jammer der elenden Menschen, welche kaum sich ent­ halten können, die Hand an sich selbst zu legen. Darum begehre nicht so sehr zu leben, es könnte leicht ein Ge­ richt dir werden, statt eines Segens. — Wie viele herr­ liche Diener Gottes aller Alter und Stände sind dir vorangegangen! Du sollst keinen unbetretenen Pfad gehen, du sollst nicht zuerst das Eis brechen. Welcher von den Heiligen, außer Henoch und Elias, ist dem Tode ent­ gangen? Und bist du etwa besser, als sie? Viele Mil­ lionen von Heiligen sind nun schon todt, viel mehr, als noch auf Erden sind. Wie viele deiner Herzens­ freunde, deiner Gefährten und Mitarbeiter sind nun schon bei Jesu, und du magst ihnen nicht nachfolgen? Ja, ist dein Heiland nicht selbst diesen Weg vorangegangen? Hat er unser Grab nicht geheiligt? Duftet der Staub, in den wir uns legen, nicht von seinem heiligen Leich­ nam, und doch magst du ihm nicht folgen? Sag lieber mit Thomas: „Lasset uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben!" O Leser, wenn alles, was hier gesagt worden ist, dich nicht bewegt, dann hat das Wort Gottes und die Wahrheit wenig Gewalt über dich. Ich habe darum so viel davon gesprochen, weil ich es für mich selbst und andre so nöthig finde; weil ich sehe, daß es unter so vielen Christen, die manches für Christum thun und lei­ den könnten, so wenige gibt, die gern sterben; und daß Ich. 11, 16. Barter, Ruhe der Heiligen.

16

242 so viele, welche andere Regungen ihres sündigen Verder­ bens überwunden haben, über diesen Widerwillen vor dem Sterben nicht Herren werden können. Die Ungläubigen und Unbekehrten mahne ich nicht ab von der Todesfurcht; es ist vielmehr ein Wunder, daß sie sich nicht noch mehr davor fürchten, und ihre Tage nicht in unablässiger Angst hinbringen.

243

Elfter Abschnitt.

Wie wichtig es sey, em himmlisches Leben auf Erden zu führen. Ist eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes: warum

sind denn unsere Gedanken nicht mehr darauf hingerichtet?

Warum verweilen unsere Herzen nicht immer dort? Was ist die Ursache dieser Geringschätzung? Haben wir Recht, sie so zu .behandeln, oder nicht? Der ewige Gott hat uns eine solche Ruhe bereitet und uns verheißen, daß er uns zu sich hinaufnehmen wolle, damit

wir bei Ihm selbst

wohnten; und ist das nicht der Mühe werth, daran zu

denken? Sollte nicht die feurigste Sehnsucht unserer Her­ zen dorthin gerichtet seyen? Glauben wir daran, und doch vergeffen wir sie und achten sie gering? Wollte Gott uns nicht" verstatten, diesem Lichte uns zu nahen, was sollten alle seine dringenden Einladungen bedeuten? Warum

straft er so unsern irdischen Sinn, und heißt uns trachten 16*

244 -nach dem was droben ist? O ihr undankbaren Herzen! Versagte Gott euch diese Ruhe, dann würdet ihr vielleicht

danach trachten; nun er aber euch danach trachten heißt,

wollt ihr nicht einen Schritt darauf zugehen; grade wie unsere Vorgänger in der Sünde, die Israeliten: als

Gott sie nach Canaan ziehen hieß, da empörten sie sich und wollten nicht vorwärts; als er es ihnen aber verbot, da wollten sie mit Gewalt hinein. Weil Gott sagt: „Habt

nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist;" — da sind unsere Begierden darauf gerichtet. Wie leicht, wie oft, wie anhaltend können wir an unsre Freunde, unsre

Arbeiten, unser Fleisch und seine Lüste, ja selbst an unsre Unglücksfälle, unsern Mangel, unsre Furcht und unsre Leiden denken; aber wo ist der Christ, dessen Herz eben so nach seiner ewigen Ruhe steht? Und warum ist das so? Haben wir etwa so viel Freude, daß wir keiner mehr bedürfen? Oder ist im Himmel nichts, desien Erwartung unsre Freude weckte? Oder sind nicht vielmehr unsre Herzen fleischlich und stumpf? Ach! laßt uns diese irdischgesinnten Herzen in tiefer Demuth vor dem Herrn darlegen. Ich spreche doch bloß zu denen, deren Erbe im Himmel ist, deren Hoffnnng dorthin steht, die alles verlasien haben, um zu jener Herrlichkeit zu gelangen: und sollte ich müde werden, solche Menschen zu ermahnen, daß sie trachten was droben ist? Meine Brüder, wenn ihr nicht hören und folgen wollt, wer soll es denn sonst thun? Wohl könnten wir müde werden, die blinde un­ gläubige Welt zu ermahnen, und mit Mose sprechen:

nach dem,

245 „Siehe, die Kinder Israel hören mich nicht, wie sollte mich denn Pharao hören?" Darum bitte ich dich, lieber Leser, so wahr du hoffest einen Antheil zu haben an jener Herrlichkeit, mach dich gleich heran, schilt dein Herz wegen seiner bisherigen sündlichen Entfremdung von Gott, kehre deine Gedanken ab von dem Wege der Eitelkeit, richte dich ganz auf die Betrachtung der Ewigkeit, und laß diese Gedanken nicht bloß dann und wann und flüchtig an deiner Seele vorüberziehen, sondern bade deine Seele,

tauche sie unter in die Wonne des Himmels: und wenn dein irdisch gesinntes Herz anfängt herumzuflattern und deine

Gedanken sich zerstreuen, dann rufe sie wieder zurück, richte sie auf ihr Werk, dulde ihre Trägheit nicht, sey Und hast du, gehor­ sam gegen Gott, dies Werk versucht, dich darin geübt und deine Gedanken behütet, bis sie sich an den Gehorsam ge­ wöhnt haben: dann wirst du finden, daß du in den Vor­ höfen des Himmels wohnest, und daß in der That in Gottes Werken und Wegen eine unaussprechliche Süßig­ keit, und das Leben eines Christen Friede und Freude in dem heiligen Geist ist. Du wirst den reichen Trost schmecken, um den du gebetet, nach dem du dich gesehnt und geseufzet hast, und von dem so viele Christen hier so wenig erfahren, weil sie diesen Weg zu ihm nicht kennen, oder ihn nicht gehen mögen. Sprich nicht: Wir können nicht selbst unser Herz gen Himmel schicken, das ist allein Gottes Werk." Ja, Gott ist es, der die Herzen lenkt; aber wenn gegen keinen Leichtsinn gleichgültig.

2 Mos. 6, 12.

246 du nun in seinem Worte liesest, daß er will, du sollest nach dem, was droben ist, trachten, meinest du, er werde dir die Kraft versagen, seinem Willen gehorsam zu seyn? Er werde erst dir die süßesten Verheißungen geben, und sein sanftes Joch dir auflegen, das alles aber nur, um deiner zu spotten, da du es doch nicht tragen kannst? Ja, „ohne Christum kannst du freilich nichts thun;" aber „du vermagst auch alles durch den, der dich mächtig macht,

Christus." Ach, Christen, wäret ihr recht gesund an der Seele, ihr wurdet unvergleichlich mehr Vergnügen und

Süßigkeit in dem gläubig- frohen Gedanken an eure zu­ künftige Seligkeit finden, als der gesundeste Leib an kräf­ tiger Speise, als jeder Sinn an seinem ihm eignen Ge­ nuß; so wenig würde euch diese Beschäftigung eine Last seyn. Aber weil ich weiß, daß wir das verderbte Fleisch um und an uns haben, und fleischliche Gesinnung in

unserm Herzen, die eine Feindschaft ist wider Gott und seinen Himmel, so will ich einige Betrachtungen euch vor­ legen ; werdet ihr diese ernst und ruhig in Erwägung ziehen, so zweifle ich nicht daran, daß sie sich wirksam beweisen werden in euren Herzen, und euch anfeuern zu dieser seligen Pflicht. So erwäget denn: Das Trachten nach dem Himmel ist die beständige Frucht eines ungefärbten Glaubens; es ist das Köstlichste in der Gesinnung eines Christen; es ist der Weg zu der größten Seligkeit, die man auf Erden haben kann; es ist die beste Bewahrung in der Joh. 15, 5. — Phil. 4, 13.

247 Anfechtung; es belebt alle unsre Gnadengaben und alle unsre Anstrengungen, in Gottes Wegen zu wandeln: es ist der süßeste Trost in der Trübsal; wir werden dadurch am meisten An­ dren zum Segen; es verherrlicht Gott; ohne dasselbe übertreten wir seine Gebote und gehen des herrlichsten, seligsten Lichtes aus dem Worte Gottes verlustig-, da Gottes Herz auf uns be­ ständig gerichtet ist, sollte auch das unsrige auf Ihn immer gerichtet seyn; und auf den Himmel, zu dem so vieles uns zieht, mit dem so vieles uns verbindet; und es gibt nichts, als den Him­ mel, was unsres Verlangens und Begehrens werth wäre. 1. Das Trachten nach dem Himmel ist die beständige Frucht eines ungefärbten Glaubens. Kein sichereres Kennzeichen gibt es von der ungeheuchelten Gesinnung eines wahren Jüngers Christi, kein deutlicheres Merkmal, daß das Werk der Gnade in seinem Herzen zu Stande gekommen ist. Oft fragst du: Woran soll ich doch erkennen, daß ich wirklich gläubig geworden bin? Sieh, hier hast du ein untrügliches Kennzeichen, wie Jesus Christus selbst es angibt: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer HeH " Gott ist der Schatz und die Seligkeit der Heiligen; der Himmel ist der Ort und der Zustand, wo sie Seiner am vollkommensten genießen. Ein Herz, das nach dem Himmel trachtet, ist daher auch ein Herz, Matth. 6, 21.

248

das nach Gott trachtet; und ein Herz, das durch Chri­ stum auf Gott gerichtet ist, muß auch ein begnadigtes Herz seyn. Das Wissen von Christo ist kein Kennzeichen des Gnadenstandes; die Erkenntniß, die Weissagung, die äußeren Pflichtübungen werden alle einmal aufhören und uns verlassen; alle Beweise deiner Zunge und deiner Hand können zu Schanden werden; aber dies Kennzeichen aus der Richtung deines Herzens wird nie trügen. Denke dir einen armen Christen, von schwachem Verstände, schlechtem Gedächtniß, stammelnder Zunge; aber sein Herz ist auf Gott gerichtet, Ihn hat er zu seinem Theil erwählt, seine Seele lebt in der Ewigkeit, seine Sehnsucht ist dort­ hin gerichtet, er ruft oft: „O, daß ich doch erst dort wäre!" — er sieht den Tag als verloren an, an welchem er keinen erquickenden Blick in die Ewigkeit hat thun können: möchtest du nicht lieber in der Herzensverfassung dieses Menschen sterben, als in dem Zustande eines An­ dern, der herrliche Gaben empfangen und große Dinge ausgerichtet hat, dessen Herz aber nicht von Gott und seinem Himmel erfüllt ist? Christus wird an jenem Tage nicht fragen: Was hast du auf Erden von mir gewußt, gesprochen und gelehrt? — sondern: „Hattest du mich lieb, und stand dein Herz nach mir?" Christen, wollt ihr eurer Seligkeit gewiß werden, so schicket eure Herzen gen Himmel. Kann der Satan und die Sünde die Sehn­ sucht eures Herzens dorthin nicht tilgen, so können sie auch euren Namen nicht tilgen aus dem Buche des Lebens. 2. Das Trachten nach dem Himmel ist das

249

Köstlichste in der Gesinnung eines Christen. Wie die Christen durch eine eigenthümliche Schönheit von der Welt sich unterscheiden, so unterscheiden sich die gefördertsten unter ihnen durch diese geistliche Herrlichkeit von den übrigen. Wie das leibliche Antlitz des edelsten unter den Geschöpfen gen Himmel gerichtet ist, so das geistliche Ant­ litz der herrlichsten rmter den Gläubigen. Solch ein himmlisch-gesinnter Mensch, der ganz zu Gott gezogen worden in seinen Betrachtungen und eben zurückkommt von dem innigen Umgänge mit Christo, was kann der uns sagen von jenen oberen Räumen! Wie heilig und erhaben sind seine Reden! Jeder erfahrene Zuhörer er­ kennt sogleich, daß er bei dem Herrn war, und daß niemand so reden kann, es sey denn, daß er mit Gott im Umgänge gestanden hat. So, so sind die gefördertsten unter den Gläubigen beschaffen. Die gepriesensten Berge und Bäume sind die, welche am höchsten zum Himmel hinauf reichen; und der herrlichste unter Jesu Jüngern ist der, dessen Herz am häufigsten und liebsten dort oben weilt. Ist ein Mensch bei einem Könige gewesen, erscheint er uns höher als andre. Wie nun, wenn einer täglich dis zum Himmel hinauf reiste und dort den König aller Könige erblickt, und öfteren Zutritt zu seiner Person ge­ habt, und von dem Baume des Lebens gekostet bat? Ich für mein Theil ziehe einen solchen, allen Edlen, Reichen und Gelehrten der Welt weit vor. 2. Das Trachten nach dem Himmel ist der sicherste und nächste Weg zu dem seligsten Leben,

250 das man auf Erden führen kann. Die Länder, die gen Norden liegen, starren-von Kälte und Eis, weil sie am weitesten von der Sonne entfernt sind: und was macht so viele Christen so kalt und todt, warum fühlen sie sich so unbehaglich, als weil sie vom Himmel so weit entfernt leben? Was gibt andren solche Lebenswärme, solche stille Heiterkeit und Frische, als weil sie steten Zu­ tritt zu Gott haben? Wenn die Sonne im Frühling uns näher kommt, wie wacht da alles auf und jauchzt ihr ent­ gegen, sie zu begrüßen! Die Erde bedeckt sich mit Grün, die Bäume gewinnen Blätter, alle Pflanzen und Ge­ sträuche leben wieder auf, die Vögel singen, und die ganze Natur lacht uns an. Ach, und wollten wir nur einmal in diesen innern Herzensumgang mit Gott und Seinem Himmel uns recht hineinbegeben, welch' ein Frühling der Freude und Wonne würde in unserm Herzen aufblühen! Wie würden wir den Winter unsres Grams und unsrer Sorgen vergessen! Wie würde früh beim Erwachen schon ein Lobgesang auf unsern Lippen seyn! O Christen, trach­ tet nach dem, was droben ist! Alle, die dort hinauf sich schwangen, fanden es dort wärmer, als auf der kalten Erde; und gewiß, einige Erfahrung habt ihr selbst schon davon gemacht. Wann fühltet ihr euch am seligsten? War es nicht, wenn ihr von Gott einen Strahl seines Gna­ denlichtes empfinget, der euch die Versicherung gab, er habe euch je und je geliebt, und zu sich gezogen aus lauter Güte; wenn er die süßen Verheißungen seines

251 Wortes, „er wolle euch behüten, wie Seinen Augapfel, er habe in Seine Hände euch gezeichnet, und werde niemals eurer vergessen," durch Seinen heiligen Geist euch bestä­ tigte; wenn ihr alles, was der Heiland auf Erden gethan und gelitten, durch die inwendige Versicherung des überall Gegenwärtigen zu eigen geschenkt bekämet, und wenn ihr also gewiß wurdet, daß das Erbe der Heiligen im Licht eure von Ihm euch ^bereitete ewige Wohnung sey? Hast du solche Erfahrungen schon gemacht, dann, sage ich zu­ versichtlich, weißt du auch, was Freude im heiligen Geiste ist. Wen daher sollen wir anklagen, wenn wir uns so trostesleer finden, als unser träges Herz? Gott hat uns eine Krone der Herrlichkeit bereitet, und will sie bald auf unser Haupt setzen, und wir mögen nicht einmal daran denken; er heißt uns sie anblicken und uns ihrer freuen, und wir mögen nicht einmal hinsehen; und doch klagen wir über Mangel an innerem Trost und Frieden. Durch den Glauben werden wir mit Frieden und Freude erfüllt; hören wir auf zu glauben, dann hört auch Friede und Freude auf. In Hoffnung sind die Heiligen selig, und mit ihrer Hoffnung hören sie- auf, es zu seyn. Der hei­ lige Geist tröstet uns, aber so, indem er unsre Herzen auf die göttlichen Verheißungen richtet und uns zu dem Lande der Seligkeit erhebt. Wie man das Herz eines Geldgierigen erfreut, wenn man ihm große Schätze zeigt, die bald sein eigen werden sollen, so erfreut Gott die ©einigen, indem er sie schon hier gleichsam in seinen Ps. 17, 8. 32, 8. — Jes. 49, 15. 16.

252 Himmel einführt, und ihnen dort sich selbst und ihre Ruhe Er kann uns nicht mit Seiner Freude erfüllen, während wir träge oder von andern Dingen hingenommen sind. Er schenkt uns die Früchte des Gar­ tens , in dem wir graben und düngen und pflanzen und begießen und gäten und beschneiden und geduldig auf Seinen Segen harren; und auf dieselbe Weise gibt er auch Seine heilige Freude in unser Herz. Darum bitte ich dich im Namen des Herrn, lieber Leser, wenn du dir ein Leben der Seligkeit schon auf Erden wünschest, lerne diese selige Kunst, nach dem Himmel gerichtet, himmlisch

bei ihm zeigt.

gesinnt zu seyn, und du wirst finden, daß du von deinem schwachen Säen hundertfältige Frucht ernten wirst. Aber das ist eben das Elend der menschlichen Natur: obwohl

jedermann von Natur den Schmerz hasset und nach einem freudenvollen, glückseligen Leben trachtet, so mögen die Meisten den Weg nicht gehen, der dahin führt, und schaudern vor dem Schmerz zurück, vor der Reue, die zur Seligkeit führt, und die niemand gereuet; sie greifen nach dem ersten besten, was ihnen in die Hand tommt, und begnügen sich mit irdischen Freuden, statt daß sie sich

himmelwärts kehren sollten, um die Freude zu suchen; und zuletzt müssen sie dort sie doch finden oder in Ewig­ keit ohne sie leben. 4. Ein gen Himmel gerichteter Sinn ist die beste Bewahrung in der Anfechtung. In einem solchen Zustande bist du gut beschäftigt. Sobald wir faul

da

sitzen,

kommt der Teufel, uns zu versuchen;

wie

253 Tagelöhner, die keine Arbeit haben, leicht stehlen.

Aber

ein gen Himmel gerichtetes Herz spricht zum Versucher, wie Nehemia: „Ich habe ein groß Geschäft auszurichten, ich kann nicht hinabkommen!" Er hat keine Zeit dazu, der Lust oder dem Leichtsinn nachzugehen, ehrsüchtig oder

weltlich gesinnt zu seyn. Schon wer in seinem irdischen Berufe treu und unablässig thätig ist, hat nicht so viel Versuchungen, als Andre; um wie viel mehr, wer es in seinem himmlischen Berufe ist! Mag man wohl einen Richter, der eben auf seinem Stuhle sitzt, um ein Urtheil dahin bringen, daß er aufstehe und mit den Kindern auf der Gasse spiele? Eben so wenig kann ein Christ, der einen Blick empfängt in seine ewige Ruhe, den Reizungen des Satans Gehör geben. Die Kinder jenes Reiches sollten nie Zeit haben zu dem irdischen Spielwerk; am wenigsten aber haben sie Zeit, wenn sie ganz mit den Angelegenheiten des Reichs beschäftigt sind, und diese Beschäftigung ist das Haupt­ bewahrungsmittel der Heiligen gegen Anfechtungen. — Ein himmlischer Sinn ist ferner am meisten los von der Sünde, weil er die geistlichen Dinge schärfer erkennt und lebendiger fühlt. Er blickt so tief in das Elend der Sünde, die Eitelkeit der Geschöpfe und die Niedrigkeit der fleisch­ lichen, sinnlichen Ergötzungen, daß Anfechtungen wenig Gewalt über ihn haben. „Vergeblich ist es, das Netz über Leben oder Tod zu fällen,

auszuwerfen vor den Augen der Vögel," sagt Salomo. Die Erde ist der Ort für Satans Versuchungen, die Erde

Mhern. 6, 3. — Spr. 1, 17.

254 ist auch sein gewöhnlicher Köder; wie sollte er nun wohl

den Christen in seine Schlinge ziehen können, der sich über die Erde emporgeschwungen hat und mit Gott um«

geht? Wird' man

klug und gelehrt durch den Umgang

mit klugen und gelehrten Leuten: um wie viel mehr wird nlan göttlich gesinnt in dem Umgang mit Gott! Kommen Reisende mit Kenntnissen und Erfahrung aus der Fremde

zurück: um wie viel mehr die, welche oft gen Himmel reisen! Gewöhnt unser Körper sich an die Lust und den Himmelsstrich, wo wir leben: wie lichtvoll muß es aus­ sehen in einem, der mit dem Vater des Lichts umgeht! Weltmenschen, die auf Erden zu Hause sind, und keinen

andren als weltlichen Umgang kennen, müssen nothwendig auch in Finsterniß leben, und kein Wunder, wenn Satan sie gefangen hält nach seinem Willen. Wie können Wür­ mer und Maulwürfe scharf sehen, deren Behausung in der Erde ist? jSo lange dieser Staub in unsren Augen ist, vertauschen wir freilich unsre Erstgeburt mit einem Linsengericht, Gott mit der Welt, die Gnade mit der Sünde, Christi Gebote mit unsrem Eigenwillen, und zu? letzt den Himmel mit der Hölle. Macht aber ein Christ sich los von seinen weltlichen Gedanken, und fängt an mit Gott umzugehen, dann, dünkt mich, geht es ihm, wie dem Nebucadnezar, als er von den Thieren des Feldes genommen und wieder auf seinen Thron gesetzt ward und seine Vernunft wieder zu ihm kam. So wie er einen Blick erhält in die Ewigkeit, und von dort aus auf die Welt herabsieht, wie verdammt er da als Thor-

255 heit alle seine irdischen Lüste, seine Fleischesfreuden und seine Untreuen gegen Christum! Wie spricht er da zum Lachen: Du bist toll! und zur Freude: Was machst du? Wie scheint es ihm da so klar, daß kein Mensch im Irren­ hause so unsinnig ist, als diejenigen, welche mit Bewußt­ seyn sündigen und die ihnen aus freier Gnade durch Christum angebotene Herrlichkeit verschmähen! Darum sind Leute auf dem Todtenbette gewöhnlich weiser, als andre weil sie am Rande der Ewigkeit stehen, und mehr herz­ durchdringende Gedanken daran haben, als sonst jemand in Wohlseyn und Glück. Da thun sich manchen der bit­ tersten Feinde der Gläubigen die Augen auf, und sie rufen aus mit Bileam: „Meine Seele müsse sterben des Todes dieser Gerechten, und mein Ende sey wie dieser Endel" Aber werden dieselben Menschen wieder gesund, und ver­ lieren den lebhaften Eindruck von dem jenseitigen Leben wie schnell geht ihnen da auch oft jene tiefe Einsicht, die sie bekommen hatten, wieder verloren! Erzähle einem sterbenden Sünder von den Reichthümern, Ehren und Freuden der Welt, wird er dir nicht antworten: „Was hilft mir dies alles, da ich jetzt vor Gott erscheinen und von meinem Leben Rechenschaft geben muß?" Kann nun die Furcht vor der nahen Ewigkeit solche starke Ein­ drücke öfters selbst auf gottlose Menschen machen, und ihnen so viel mehr Weisheit geben, als sie ftüher hatten: welche mächtige Wirkung würde es auf dich machen, wenn du immer vor Gottes Angesicht und mit dem Hinblick Pred. 2, 2. — 4 Mos. 23,10.

256 auf deinen ewigen Zustand lebtest? Sicherlich wird doch ein gläubiger Christ, wenn er seinen Glauben aus Gottes Wort und Verheißungen nährt und stärkt, lebendigere Eindriicke von der Ewigkeit auch in gesunden Tagen haben, als ein Ungläubiger in seiner Todesstunde. — Ein gen

Himmel gerichteter Sinn ist darum stark gegen alle An­ fechtungen, weil sein Verlangen ganz hingenommen ist

von den höheren Freuden der andern Welt. Wer am meisten liebt, nicht wer am meisten weiß, wird den Re­ gungen der Sünde am kräftigsten widerstehen. Der Wille des Menschen hat eine eben so süße Freude am Genuß der Liebe, als seine Erkenntniß an der Wahrheit; und hier liegt des Christen größte Stärke. Hast du einen leben­ digen, seligen Vorschmack des Himmels, dann wirst du dich nicht leicht davon abziehen lassen. Du wirst ein Kind nicht leicht bewegen, seine Zuckerplätzchen dir zu

geben,

wenn es ihren süßen Geschmack noch auf der Zunge hat.

O könntest du doch eben so dich gewöhnen an den Genuß des verborgenen Manna, und dich weiden an den Freu­ den des Himmels! wie würde das deine Entschlüsse stär­ ken, wie würdest du dann die Thorheiten verachten, und es verschmähen, mit dem Kinderspiel dich lange zu be­

schäftigen! Hätte der Teufel den Petrus auf dem Berge der Verklärung versucht, als dieser Moses und Elias mit Christo reden sah, ob er ihn wohl damals verleitet hätte, seinen Herrn zu verleugnen? Bei dem Anblick all' dieser Herrlichkeit? Gewiß nicht. So, wenn er eine Seele

antritt, welche im Geiste hei ihrem verklärten Heilande ist, was wird sie zn ihm sagen? „Hebe dich weg von mir Satan! Willst du mich mit solchem jämmerlichen Spiel­ werk von hier weglocken, und mein Herz aus dieser seligen Ruhe hinausstehlen? Sollte ich diese Freuden für nichts und wieder nichts verkaufen? Kakin es eine Ehre und eine Lust geben, die dieser gleich käme? Kann ich dabei gewinnen, wenn ich dies verliere?" Darum wartet aber auch Satan, bis wir wieder hinabgestiegen sind, und wir nicht mehr die Freuden des Himmels schmecken, und die Herrlichkeit, die wir erblickten, vergessen haben, und dann kann er schon eher unsre Herzen bestricken. Die Israeliten unten am Berge setzten sich hin zu essen und zu trinken, und stehen auf, um zu spielen vor ihrem Götzen; aber Moses auf dem Berge konnte das nicht. O wenn doch unsre Seelen unablässig die süße Himmelskost genössen, wie würden sie alle Lockspeisen der Sünde ausspeien aus ihrem Munde! — Endlich, wenn das Herz gen Himmel gerichtet ist, dann stehen wir unter Gottes unmittelbarem Schutze. Kommt dann Satan und will uns angreifen, so steht Gott da an unsrer Seite und spricht: „Du vermagst alles durch mich, der dich mächtig macht!" Ist jemand auf den seligen Wegen Gottes, so reizt ihn die Sünde weniger. Mitten unter deinen Anfechtungen, christlicher Leser, bediene dich dieser kräftigen Waffe: durch einen gen Himmel gerichteten Sinn halte dich fest an Gott, trachte unab­ lässig nach dem, was droben ist, wo Christus ist. „Der Baxter, Ruhe der Heiligen.

17

258 Weg des Lebens geht überwärts klug zu machen, auf daß man meide die Hölle unterwärts." Denke daran, daß „No ah ein frommer Mann war, und ohne Wandel," denn „er führte ein göttlich Leben zu seinen Zeiten;" und daß Gott zu Abraham sprach: „Wandle vor mit, und sey fromm." 5. Ein gen Himmel gerichteter Sinn be­ lebt alle unsre Gnadengaben und unsre An­ strengungen in Gottes Wegen zu wandeln. Ein himmlisch gesinnter Christ ist auch ein lebendiger Christ; weil der Himmel uns fremd ist, darum werden wir so leblos und trag. Wie treibt der Gedanke an un­ gewisse, vergängliche Schätze den Kriegsmann mitten ins Schlachtgetümmel, den Seeman durch Stürme und Wellen, und kein Hinderniß schreckt sie ab l Und wie muß nun nicht erst der Gedanke an die ewigen himmlischen Schätze Leben und Kraft der ganzen Thätigkeit des Chri­ sten einhauchen! Wir laufen so langsam, wir kämpfen so matt, weil das Kleinod am Ziele uns nicht vor Augen steht! Sieh dir einmal einen Menschen an, der viel im Himmel ist, ob er nicht ganz anders aussieht, als so viele andre Christen! Etwas von dem, was er da oben erblickt hat, zieht sich durch alles, was er sagt und thut, und gibt ihm ein eigenthümliches, stilles, heiliges Feuer und Leben. Ist er ein Prediger, wie athmen dann seine Pre­ digten den Himmel! Ist er ein Laie, wie sind seine Reden, seine Gebete und sein Wandel so von Gott ange­ schienen! O mach' es so, und es wird dir oft gehen wie Spr. 15, 24. — 1 Mos. 6, 9. 17, 1.

259 Moses, daß dein Angesicht glänzt, wenn du vom Berge herabkommst. Liegst du aber da, und klagst, daß du so träg und todt dich fühlst, und Christum nicht lieb haben könnest, daß deine Gebete wie deine Werke alle kraft- und leblos seyen, und bei' dem allen versuchest du nie, dich an Gottes Verheißungen und dem Hinblick auf den Him­ mel zu stärken und zu beleben, so bist du ja die Ursach deiner eignen Klagen. Ist denn dein Leben nicht ver­ borgen mit Christo in Gott? Wenn du also Leben haben willst, zu wem anders mußt du gehen, als zu Christo? Und wo anders ist Christus, als im Himmel? „Du willst ja also nicht zu Christo kommen, daß du das Leben haben

möchtest!" Willst du Licht und Wärme haben, warum kommst du nicht mehr in den Sonnenschein? Weil dein Sinn nicht gen Himmel steht, darum ist deine Seele wie eine Lampe, die nicht brennt, wie ein Opfer, das nicht angezündet ist. Nimm eine Kohle von diesem Altar, und

sieh zu, ob dein Opfer nicht brennen wird! Halte deine Lampe an diese Flamme, und speise sie täglich mit Oel

von dort, und

sieh

zu,

ob sie nicht herrlich leuchten

wird! Halte dich nahe bei diesem allbelebenden Feuer, und sieh zu, ob du nicht warm werden wirst! Fehlt es dir

an Liebe zu Gott, so heb deine Augen auf gen Himmel, und betrachte alle Seine Schönheit und Herrlichkeit, und sieh zu, ob Seine Liebenswürdigkeit und Seine vollkom­ mene Heiligkeit dein Herz nicht entzückt! Wie Bewegung dem Leibe Eßlust, Kraft und Leben gibt, so die BeweJoh. 5, 40.

260 gung in diesem himmlischen Elemente geistliche Kraft und geistliches Leben. Und das ist dann kein fremdes Feuer, mit welchem du da dein Opfer anzündest; die Inbrunst, der Eifer, der aus himmlischen Betrachtungen entsteht, ist ein himmlisches Feuer. Einige Menschen haben ihr Feuer und Leben bloß aus ihren Büchern, oder aus natürlicher Lebhaftigkeit, oder aus einem bewegten, wech­ selreichen Leben, oder aus dem Munde eines erschüttern­ den Predigers, oder aus der Theilnahme ihrer Zuhörer; wer aber diesen Weg zum Himmel kennt, und täglich aufs Neue aus der rechten Quelle schöpft, dessen Seele wird mit dem Wasser des Lebens erfrischt, und er ge­ nießt die Erquickung, die nur die Heiligen erfahren. So kannst du durch den Glauben Gott ein besser Opfer, als andre, darbringen, wie Abel, und überkommst Zeugniß durch denselbigen, daß du gerecht seyest, indem Gott zeugt von deiner Gabe. Wenn andre, wie die Baalspfaffen, sich ritzen möchten mit Messern und Pfriemen, daß Blut darnach ginge, weil ihr Opfer nicht brennen will, lebst du in dem stillen, Gott vertrauenden Sinn, wie Elias, bis dein Opfer herrlich brennt, alles Wasser der Feind­ schaft ungeachtet, welches Fleisch und Welt darauf gießen. Sprich nicht: „Ja, wie können denn sterbliche Menschen in den Himmel sich erheben?" Der Glaube hat Flügel, und die Betrachtung des göttlichen Wortes ist ein Flam­ menwagen. Die Betrachtung hält deinen Glauben, wie ein Brennglas, gegen die Sonne: so klein und schwach er Hebr. 11, 4. — 1 Kön. 18, 28. ff.

261 ist, halte nur stille, und du wirst erfahren, wie mächtig die Wirkung der himmlischen Strahlen ist, die sich darin­ nen zusammenziehen. Leser, frag dich selbst, wenn du einen lebendigen Christen siehst, und seine lebendigen, brünstigen Gebete hörst und seine geistvollen Gespräche, sagst du nicht da in dir selbst: „Wie selig ist doch dieser Mensch! O möchte doch meine Seele in derselben Fassung seyn!" 4iun, so geb' ich dir im Namen Gottes den Rath, mach dich mit Ernst an dies Werk, bade dich fleißig in diesem Jordan, und deine leblose, todte Seele wird wieder leben­ dig und gesund werden; ja, du wirst erfahren, daß ein Gott in Israel ist, und daß du ein seliges, freudenvolles Leben führen kannst, wenn du die angebotene Gnade nicht selbst ausschlägst. 6. Das Trachten nach dem Himmel gibt uns den süßesten Trost in der Trübsal. Ein solcher Balsam erquickt unsern Geist und macht dadurch das Leiden uns leicht; er setzt uns in Stand, es mit Geduld und Freude zu tragen, und kräftigt unsern Ent­ schluß, daß wir nicht aus Scheu vor Leiden Christum verlassen. Ist der Weg noch so rauh: kann er uns be­ schwerlich seyn, wenn er gen Himmel führt? O wie süß sind Krankheiten, Schmähungen, Gefängnisse, ja der Tod, wenn wir dabei diesen Vorschmack unsrer ewigen Ruhe haben! Der hält das Leiden von dem Geiste fern, daß es nur das Fleisch trifft. Hätte ich nicht diesen Vorschmack (ach, leider nur zu wenig durch meine Schuld!) gehabt, 2 Kön. 5, 14.

262

mein Leiden wäre schrecklich nnd der sich mit nahende Tod furchtbar gewesen. Darum „bitte ich eins vom Herrn, das hätte ich gern, daß ich im Hause des Herrn bleiben möchte mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und Seinen Tempel zu besuchen. Denn er deckt mich in Seiner Hütte zur bösen Zeit, er verbirgt mich heimlich in Seinem Gezelt, und erhöhet mich auf einen Felsen; und wird nun erhöhen mein Haupt über meine Feinde, die um mich sind; so will ich in Seiner Hütte Lob opfern, ich will fingen und lobsagen dem Herrn." Alle Leiden werden uns wie nichts, wenn diese Freuden uns aufrecht halten. Haben auch Verfolgung und Furcht die Thüren verschlossen, Christus kann doch hineinkom­ men, und in die Mitte treten und zu seinen Jüngern sagen: Friede sey mit euch! Paulus und Silas konn­ ten im Himmel weilen, während sie ins innerste Gefäng­ niß geworfen, ihre Rücken gegeißelt und ihre Füße im Stock waren. Die Märtyrer fanden mehr Ruhe in ihren Flam­ men, als ihre Feinde in Pracht und Gewalt, denn sie blickten hinüber auf das ewige Feuer, dem sie entgingen, und die Ruhe, zu der ihr Flammenwagen sie trug. Wan­ delt der Sohn Gottes bei uns, dann sind wir in dem Feuerofen sicher, der diejenigen verzehrt, welche uns hinein­ geworfen haben. „Abraham ging aus seinem Vater­ lande, und wußte nicht, wo er hinkäme, denn er wartete auf eine Stadt, die einen Grund hat, welcher Baumeister und Schöpfer ist Gott. Moses achtete die Schmach Ps. 27, 4. — Ps. 27, 5. 6.

263 Christi für größeren Reichthum, als die Schätze Egyptens; denn er sahe an die Belohnung. Durch den Glauben verließ er Egypten und fürchtete nicht des Königes Grimm, denn er hielt sich an den, den er nicht sahe, als sähe er ihn." „Andre sind zerschlagen und haben keine Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten." Ja, selbst „Jesus, der Anfänger und Voll­ ender unsres Glaubens, erduldete um der ihm vorlie­ genden Freude willen das Kreuz und achtete der Schande nicht, und ist gesessen zur Rechten auf dem Stuhl Gottes." Das ist die herrliche Macht des Glaubens, daß er Weg und Ziel wie mit Einem Blick übersieht; und darin liegt die Hauptursach unsrer Ungeduld, daß wir immer nur das Leiden, und nicht, was dahinter liegt, ins Auge fas­ sen. Die Christum bloß am Kreuze oder im Grabe sahen schüttelten die Köpfe und hielten, es sey aus mit ihm; aber Gott sah ihn sterbend, begraben, auferstanden und verherrlicht, mit Einem Blick; und der Glaube vereinigt uns so innig mit Gott, daß auch hierin wir Antheil be­ kommen, an der göttlichen Natur. Thun wir das Glau­ bensauge nicht auf, dann sehen wir nur, wie Gott uns in die Erde hineinsäet und wir da verfaulen; und wir sehen den Frühling nicht, wo wir aufteimen. Könnten wir nur den Himmel, das Ziel aller Führungen Gottes sehen, nicht eine einzige würde uns schwer fallen. Wird uns Gott einmal zu jenem Leben wieder auferwecken, Hebr. 11, 8. 10. 26. 27. 35. — Hebr. 12, 2. nach der englischen, hier richtigeren, Uebersetzung.

264 dann werden wir zwar finden, daß Himmel und Sünde durch eine unendliche Kluft von einander geschieden sind; aber daß der Himmel und ein Gefängniß oder die Verban­ nung, daß der Himmel und» der Bauch eines Wallfisches oder eine Löwengrube, daß der Himmel und eine lang­ sam verzehrende Siechheit und ein qualvoller Tod gar nicht weit auseinander liegen. Aber wie Abraham Christi- Tag sah und sich freute: so können auch wir in unserm größten Elend den Tag sehen, wo Christus uns in seine Ruhe einführen wird, und können deren uns freuen. Darum bitte ich dich, christlicher Leser, um der Ehre deines Herrn und des Friedens deiner Seele willen, sey nicht trag, diese himmlische Kunst zu lernen, denn in deinen größten Nöthen wirst du ihrer am meisten bedürfen. Wer mit Stephanus die Herrlichkeit Gottes sieht und Jesum zu seiner Rechten stehen, wird ruhig den Stein­ regen ertragen. „Die Freude am Herrn ist unsre Stärke/' und diese Freude müssen wir uns holen aus dem Lande unsrer ewigen Freude vor Seinem Angesicht; wandeln wir aber ohne diese unsre Stärke, wie lange werden, wir es aushalten? 7. Weß Wandel im Himmel ist, der ist An­ dren am meisten zum Segen. Ist jemand in einem fremden Lande, wie freut er sich, wenn er einen Lands­ mann trifft! Wie spricht er so gern mit ihm von ihrem Vaterlande, ihren Bekannten, und den Vorfällen in der Heimath! Wie froh war Joseph, als er mit seinen BrüNehem. 8, 10.

265 dern sich unterhalten, und sie nach seinem Bater und nach seinem Bruder Benjamin fragen konnte! Geht es einem Christen nicht auch so, wenn er mit seinen Brüdern spre­ chen kann, die dort oben waren, und sie nach seinem und ihrem Vater und ihren! Herrn Christo fragen, kann? Ein Weltmensch redet nur von weltlichen Dingen; ein

Staatsmann von Staatssachen, ein Gelehrter von der Wissenschaft, ein äußerlicher Christ von allerhand äußerem Wirken für's Reich Gottes; ein himmlisch gesinnter Mensch wird aber am liebsten vom Himmel reden, und von der überschwenglichen Herrlichkeit, die sein Glaube dort er­ blickt hat, und wie bald und selig wir dort uns sehen werden. Wie erfrischend und beseligend sind solche Reden! Wie dringen seine Worte durch und schmelzen die Herzen und machen andre Leute aus denen, die sie hören! Wie „trieft seine Lehre, wie der Regen, und träufelt seine Rede, wie der Thau; wie der Regen auf das Gras und die Tropfen auf das Kraut, indem seine Lippen den Namen des Herrn preisen, und seinem Gott allein die Ehre geben!" Ist seine süße Unterhaltung nicht gleich dem Alabastergefäß mit köstlicher Salbe, das, auf Christi Haupt

ausgegossen, das ganze Haus mit Duft erfüllte? Alle, die ihm nahe kommen, fühlen sich erfrischt. Selig die Gemeine, die einen solchen himmlisch gesinnten Prediger hat! Selig die Kinder und das Gesinde, die einen himm­ lisch gesinnten Hausvater haben! Selig jeder, der einen himmlisch gesinnten Freund hat, der über seinen Wegen 5 Mos. 32, 2. 3.

266 wacht, ihm Muth einspricht, wenn er wach ist, und ihn tröstet mit dem Troste, mit welchem er selbst schon oft von Gott getröstet worden ist. Ein solcher bläs't immer aufs Neue den Funken unsres geistlichen Lebens an, zieht nut sich uns empor zu Gott, und spricht mit der Sama­ riterin: „Kommt und sehet einen, der mir alles gesagt hat, was ich gethan habe, der meine Seele bis in den Tod geliebt hat; ob er nicht Christus ist? Ob Gott und Ihn zu er­ kennen nicht das ewige Leben ist? Ob es nicht die Selig­ keit ielbst ist, mit Ihm in Gemeinschaft zu stehen?" Geh

in eines solchen Menschen Haus und setz dich an seinen Tisch, und er wird deine Seele speisen mit Himmelsbrod; reise mit ihm auf deiner Wallfahrt, und er zeigt dir den rechten Weg und erquickt dich; handle mit ihm in der Welt, und er hilft dir die Eine köstliche Perle finden und

kaufen.

Beleidigst^du ihn, so kann er dir vergeben, indem

er daran denkt, wie Christus seine viel größeren Belei­ digungen ihm vergeben hat; bist du heftig, so ist er sanft-

müthig, indem er an die Sanftmuth und Demuth seines himmlischen Vorbildes denkt. Tritt auch einmal ein Miß­ verständniß ein zwischen dir und ihm, so läßt er sich doch bald wieder versöhnen, wenn er daran denkt, wie ihr

auf ewig im Himmel Freunde seyn werdet. Das ist ein Christ rechter Art, und alles um ihn her erntet Segen von ihm. Aber wie wenig hilft uns das Zusammenseyn mit allen andern Arten von Christen im Vergleich mit diesem! — Käme ein Mann aus dem Himmel herab, wie würde alles gespannt seyn, zu hören,

was

er aus

267 jener Welt erzählt, was er dort gesehen, und in wel­ chem Zustande die Seligen sich dort befinden! Sollte ein solcher Mensch nicht zum Dienste andrer am ge­ schicktesten, allen am meisten zum Segen seyn? Nun, warum schätzest du denn >bte Gemeinschaft der Heiligen auf Erden nicht höher? Warum fragst du sie nicht mehr? Warum lernst du nicht mehr von ihnen? Denn jeder unter Gottes Heiligen auf Erden wandelt im Himmel, ist oft dort, schaut immer hinein durch den Spiegel des Evan­ geliums. Ich für mein Theil möchte viel lieber mit himm­ lisch gesinnten Christen in Gemeinschaft leben, als mit den geistvollsten Gelehrten oder den Mächtigen dieser Erde. 8. Niemand verherrlicht Gott so sehr, als einer, deß Wandel im Himmel ist. Ist es nicht eine Schande für einen Vater, wenn seine Kinder Trü­ ber essen und in Lumpen gehen und mit niemand, als Landstreichern und Bettlern, Umgang haben? Und sollte nicht der Name unsres himmlischen Vaters gelästert werden, wenn wir, die wir uns seine Kinder nennen, nichts als irdische Speise essen, und keine andre Kleider haben, als die nackte Welt? Wenn unsre Seelen beständig im Staube liegen und daran kleben, statt immerdar vor dem Ange­ sicht unsres himmlischen Vaters zu stehen? Wahrlich, wir leben nicht wie Königskinder, nicht dem Stand unserer Hoffnung gemäß, nicht nach dem Reichthum unsres väter­ lichen Hauses. Wahr ist es, wir haben einen gnädigen, zärtlichen Vater, der seine Kinder auch in Lumpen noch für die seinigen erkennt; hätte er nicht zuerst sich zu un-

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ferm Vater gegeben, mir hätten nie erfahren, daß mir seine Kinder mären. Aber menn eines Christen Wandet im Hinmel ist, und seine Seele sich nährt von Himmels­ speise: roie mirb Gott durch solch ein Kind verherrlicht! Der Herr giebt einem solchen das Zeugniß: „Dieser Mensch hat Vertrauen zu mir, und hält mich bei meinem Wort; er ist selig in meiner Verheißung, noch ehe er in den Besitz eingetreten ist; er preiset mich für Dinge, die sein leibliches Auge nie gesehen hat; sein Herz ist bei mir; er ist gern in meiner Gegenwart; und wahrlich, er soll ewig in meinem Reiche bleiben. Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben. Die mich ehren, die will ich wieder ehren." Wie hoch ward Gott verherrlicht durch Caleb und Josua, als sie zurückkamen aus dem verheißenen Lande, das sie besehen hatten, und Trauben von dort mitbrachten, und die Früchte des Landes sehen ließen und bestätigten, was Gott zuvor gesagt hatte, daß es ein Land sey, da Milch und Honig innen fleußt! Und roie schändeten die andern Kundschafter Seinen Namen und Seine Verheißung, als sie, durch Schuld ihres Unglau­ bens und ihrer fleischlichen Gesinnung, obmohl auch sie dort gewesen waren, dem Lande ein böses Geschrei unter den Kindern Israel machten! Da erschien die Herrlichkeit des Herrn in der Hütte des Stifts, und er sprach: „So wahr ich lebe, alle die Männer, die meine Herrlichkeit und meine Zeichen gesehen, und mich nun zehnmal ver­ sucht und meiner Stimme nicht gehorcht haben, derer soll Joh. 20, 29. — 4 Mos. 13, 24. 33.

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keiner das Land sehen, das ich ihren Vätern geschworen habe; keiner soll es sehen, der mich gelästert hat; aber meinen Knecht Caleb, daruni daß ein andrer Geist in ihm ist, und hat mir treulich nachgefolgt, den will ich in das Land bringen." 9. Ein Mensch, deß Sinn nicht gen Him­ mel gerichtet ist, übertritt Gottes Gebot, und geht des herrlichsten, seligsten Lichtes aus Got­ tes Wort verlustig. Derselbe Gott, welcher dir ge­ boten hat, an Christum zu glauben und Ihm nachzufol­ gen, hat dir auch geboten, „zu trachten nach dem, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes; zu trachten nach dem, was droben ist, nicht nach denr, was auf Erden ist." Derselbe Gott, der dir verboten hat zu stehlen, zu todten, die Ehe zu brechen, der hat dir auch die Trägheit in dieser heiligen Pflicht verboten; und du willst es wagen, ihm wissentlich ungehorsam zu sein? Warum liegt dir Ein Gebot mehr am Herzen als das andre? Aber er hat es eben so sehr zu einer Seligkeit, als zu einem Gebote für dich gemacht, damit ein doppel­ tes Band dich hinaufzöge. Und sind nicht alle Seine herr­ lichen Schilderungen des Himmels, alle Blicke in die zu­ künftige Seligkeit, alle köstlichen Verheißungen der ewigen Ruhe verloren für dich? Und sind nicht grade diese Schil­ derungen die Sterne am Himmel des göttlichen Worts, die goldnen Fäden, die sich durch die Schrift ziehen? Mich dünkt, nicht für die ganze Welt solltest du Eine 4 Mos. 14, 22—24. — Col. 3, 1. 2.

270 solche Verheißung fahren lassen. Wie der Himmel die Vollendung des ganzen Gnadenwerkes ist, so sind die Ver­ heißungen, die dorthin zielen, recht eigentlich die Seele des Evangeliums. Ist ein Trostwort aus Gottes Munde etwas so Köstliches, daß aller Welttrost nichts dagegen ist: und du verachtest und überstehest so viele dieser Worte? Warum hat uns Gott so viel von seinem Rathe verkün­ digt, und alle Freuden, die wir haben würden, zuvor verheißen, als damit wir immer damit umgehen, und unsre Seligkeit darin finden möchten? Hätte er uns durch diese zuvor verkündigte Herrlichkeit nicht mit Freude er­ füllen "wollen, wozu offenbarte er sie uns, und wartete damit nicht, bis wir sie hätten? Ja, auch nachdem wir schon ihren Besitz angetreten, hätte er doch noch die Ewig­ keit derselben uns verbergen können, und die Furcht, sie zu verlieren, hätte ihr viel von ihrer Süßigkeit geraubt. Aber es hat unserm himmlischen Vater gefallen, den Rath seines Willens uns zu offenbaren, die geheimsten Ab­ sichten seines Herzens uns kund zu thun, damit unsre Freude vollkommen sey, und wir leben, wie es Erben einer solchen Königskrone gezieme. Und das alles sollten wir für nichts achten? sollten in weltlichen Sorgen und Bekümmernissen leben, und alles dieses Lichtes entbehren, grade als ob der Herr niemals seine Verheißungen hätte niederschreiben lassen? Hätte dein König dir ein Patent zu einem Grafentitel eingehändigt, wie oft würde dein Auge darauf blicken und es lesen und wieder lesen, bis du im Besitz der Würde wärest! Und Gott schenkt dir

271 ein Patent für den Himmel, und du willst es weg­ legen und vergeffen? O schwängen unsre Herzen sich doch so hoch hinauf, als unsre Hoffnungen, und unsre Hoff­ nungen so hoch, als diese untrüglichen, göttlichen Ver­ heißungen! 10. Da Gottes Herz immer auf uns ge­ richtet ist, sollte auch unser Herz immer auf Ihn gerichtet seyn. Kann der Herr der Herrlichkeit sich so tief erniedrigen, daß er an eine Handvoll elenden sündlichen Staub denkt, da, sollte ich denken, könnten wir uns doch wohl bewegen lassen, unsre Herzen auf Christum und Seine Herrlichkeit zu richten, und täglich zu Ihm hinaufsteigen, der so tief zu uns herabsteigt. Christ, erfährst du es denn nicht, daß Gottes Herz immer auf dich gerichtet ist, und daß er immer noch mit zärt­ licher Liebe an dich denkt, auch dann, wenn du dich und Ihn vergiffest? Geht er dir nicht nach mit seinen Wohl­ thaten, sorgt für deinen Leib und ziehet an deiner Seele und bewahret beide? Trägt er dich nicht unablässig auf Armen der Liebe, und verheißet dir, daß alle Dinge zu deinem Besten dienen sollen, und lässet alle deine Führun­ gen zu deiner Förderung gereichen, und befiehlt seinen Engeln, daß sie dich behüten? Und du kannst dich so einnehmen lassen von den irdischen Freuden, und deines Herrn vergeffen, der deiner doch nie vergißt? O schänd­ licher Undank! Wenn er seine liebevollen Gedanken an uns beschreibt, höre, wie er spricht: „Zion sagt, der Herr hat mich verlaffen, der Herr hat meiner vergeffen. Kann

272 auch ein Weib ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht

erbarme über den Sohn ihres Leibes?

Ja, könnte sie seiner vergessen, so will ich doch deiner nicht vergessen, Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet, deine Mauern sind immer vor mir." Wenn er aber von unsrem Andenken an Ihn spricht, so lautet es ganz anders. „Ver-

gisset doch eine Jungfrau ihres Schmuckes nicht, noch eine Braut ihres Schleiers; aber mein Volk vergisset mein ewiglich."

Als wollte er sagen: Ihr könnt keinen Morgen

aufstehen, ohne daran zu denken, wie ihr euch kleiden, ja

wie ihr euch putzen wollt, und ist das mehr des Anden­ kens werth, als euer Gott? wichtiger, als das ewige Leben?

Und doch vergeht ein Tag nach dem andern, und ihr denket nicht an Ihn. 11. Nach dem Himmel zieht uns

so vieles, Dort

mit dem Himmel verbindet uns so vieles!

wohnt unser Vater. Wir rufen ihn an: „Unser Vater, der du bist im Himmel!" Unwürdige Kinder, die so mit ihrem Spielzeug beschäftigt sein können, daß sie einen sol­

chen Vater darüber vergessen! Dort ist Christus, unser Haupt und unser Leben; sollten wir nicht auf Ihn blicken und zu ihm eilen, so oft wir können, bis wir ihn sehen werden von Angesicht zu Angesicht? Da „der Himmel Ihn hat aufnehmen müsien, bis auf die Zeit, da her­ wiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch

den Mund seiner heiligen Propheten von der Welt an,"

Jes. 49, 14. 15. 16. — Jerem. 2,32. - Luc. 11,2. — Match. 6, 9. — Apg. 3, 21.

273 so laßt auch unsre Herzen in den Himmel ausgenommen werden. Dort ist „das neue Jerusalem," unser aller Mut­ ter;" dort sind so viele unsrer älteren Brüder; dort sind unsre Freunde, an deren Umgang wir solche Freude hät­ ten, deren Abscheiden uns so tief betrübte; und sollte alles das uns nicht aufwärts ziehen? Wären sie irgendwo auf Erden, und du könntest sie besuchen, würdest du nicht zu ihnen eilen, und ehe das noch geschehen wäre, im Geiste sie besuchen, und auf den Augenblick des Wiedersehens dich freuen? „Sokrates freute sich, daß er sterben sollte, weil er glaubte, daß er Homer und Hesiod und andre große Männer sehen würde; um wie viel mehr," sagte einmal ein alter frommer Prediger, „freue ich mich, der ich gewiß bin, Christum, meinen Heiland, den ewigen Sohn Gottes in der Menschheit, die er um meinetwillen angenommen, zu schauen, und mit ihm so viele weise und heilige Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer und Heilige!" Dr. Luther, der als Märtyrer zu sterben wünschte, und dazu nicht gelangen konnte, tröstete sich selbst mit diesen Gedanken, da er an die Gefangenen schrieb: „Es ist dennoch mein Trost, daß eure Bande meine Bande, und euer Gefängniß und Feuer mein sind, sintemal ich die Lehre bekenne und predige, derentwegen ihr leidet, und mit euch leide, und zu eurem Leiden euch Glück wünsche." So sollte auch ein gläubiger Christ auf­ wärts gen Himmel schauen, und in der Betrachtung des seligen Zustandes der Heiligen bei sich selbst sagen: „Bin Gal. 4, 26. Baxter, Ruhe der Heiligen.

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274 ich auch noch nicht so glücklich, schon bei auch zu seyn, so ist es doch mein täglicher Trost, daß ihr meine Brüder und Mit-Glieder an Christo seyd, und darum sind eure Freuden auch meine Freuden, und eure Herrlichkeit ist durch diese nahe Verwandtschaft auch meine Herrlichkeit; denn weil ich an denselben Heiland glaube, und demselben Heiland Nachfolge, der euch so verherrlicht hat, so froh­ locke ich im Geiste mit euch, und ergötze mich in meinen täglichen Betrachtungen an eurer Seligkeit." — Dort oben ist unsre Heimath. „Denn wir wissen, daß wenn unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen ist,* daß wir einen Bau haben von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel." Warum blicken wir denn nicht öfter dorthin, und sehnen uns nach unsrer Behausung, die vom Himmel ist, und wünschen, damit überkleidet zu werden?" Hätten wir auch eine schlechtere Heimath, so sollten wir doch daran denken, weil es unsre Heimath ist. Wärest du in ein fremdes Land verbannt, wie oft würden deine Gedanken daheim seyn! Warum ist es nun nicht eben so mit dem Himmel? Ist der nicht eigentlicher und wirklicher deine Heimath, da du ewig dort wohnen wirst, als diese irdische, von der du jede Stunde für immer geschieden werden kannst? Hier sind wir Fremdlinge, dort ist unser Vaterland, wir sind Erben, und dort liegt unsre Erbschaft; „ein unvergäng­ liches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbe, das uns be­ halten wird im Himmel." Hier sind wir beständig in

2 Cor. 5, 1. 2. - 1 Petr. 1, 4.

275 Mangel und Noth; dort liegt unser Vermögen, eine bes­ sere und bleibende Habe." Ja, die ganze Hoffnung unsrer Seele liegt dort: alle unsre Hoffnung auf Erlösung aus unsrem Elend; alle Hoffnung auf Seligkeit; alle „diese Hoffnung ist uns beigelegt im Himmel." Wie nun? Zieht uns so vieles gen Himmel, und doch sind unsre Gedanken so wenig dort? Sind wir so eng mit dem Him­ mel verbunden, und die Liebe trägt so selten uns dort­ hin? Ziemt es uns, an der Gesellschaft von Fremdlingen uns zu ergötzen, und unsres Vaters und unsres Herrn zu vergeffeu? Ziemet es uns, an denen, die uns Haffen und uns Schaden thun, ein solches Gefallen zu finden, und darüber unsre besten und liebsten Freunde zu vergesien? Oder an geborgtem Spielwerk uns so zu ver­ gnügen, daß wir darüber unsern Schatz und unser Erbe aus dem Sinn verlieren? So von Thränen und von Sorgen übernommen zu werden, daß wir unsre ewige Ruhe darüber vergessen? Gott macht gewöhnlich immer zuerst sein Eigenthumsrecht an uns geltend, und zieht dann daraus den Schluß, er wolle uns segnen, weil wir sein Volk seyen und er uns aus der ganzen Welt erwählt habe; warum machen wir denn nicht unser Eigenthumsrecht an Ihm geltend, und schließen, daß wir schon jetzt im Him­ mel wohnen dürfen, weil Er unser Gott, und jene Woh­ nungen die unsrigen sind? Die Menschen überschätzen meistens das, was ihre ist, und denken zu viel daran; Hebr. 10, 34. — Sol. 1, 5.

276 ach, daß wir doch auch unser ewiges Erbe nur halb so hoch schätzten, als es werth ist! 12. Bedenke endlich noch: Es gibt außer dem Himmel nichts, das unsres Verlangens und Begehrens werth wäre. Verlangt dich nicht nach Gott, wonach verlangt dich denn? Begehrest du nicht deine ewige Ruhe, woraus ist denn deine Begierde gerich­ tet? Hast du etwa einen andern Gott entdeckt? Oder etwas gefunden, was die Seligkeit dir ersetzt? Hast du ewiges Glück auf der Erde gefunden? Wo ist es? Worin besteht es? Wer hat es zuerst aufgefunden? Wer zuletzt sein genossen? Wo hat er gewohnt? Wie hieß er? Oder bist du etwa der erste, der den Himmel auf Erden ent­ deckt hat? O du elender Mensch; gib nichts auf deine Entdeckung; prahle nicht mit deinem Funde, bis du ihn aus Erfahrung kennst. Jage nicht nach etwas, das auf Erden nicht zu finden ist; sonst könnte deine Seele bei der Probe verloren gehen, die du wohlfeiler hättest machen können, nämlich indem du auf das Wort Gottes hörtest und merktest auf die Tausende, die vor dir den breiten Weg ins Verderben gingen. Führt Satan dich auf den hohen Berg, und zeigt von da dir alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, so kann er dir nichts von dort zeigen, was deines Verlangens werth wäre, vielweniger, was den Vorzug verdiente vor der ewigen Ruhe. Zwar müssen wir uns, so weit die Pflicht und die Noth ge­ bietet, um die Dinge hier auf Erden bekümmern; aber wer kann in diese engen Grenzen sich einschließen lassen?

277 Und ziehen wir alle unsre Gedanken und Wünsche noch so sehr zusammen, so finden wir doch jeden unbefriedigten Wunsch bitter und quälend für uns. O lieber Christ, sieh an, wie leer alles dies ist, und wie köstlich dagegen die himmlischen Güter sind l Könnten deine Gedanken, wie die geschäftige Biene von Blume zu Blume, so von Ge­ schöpf zu Geschöpf fliegen, sie würden doch keinen andern Honig, keine andre Seligkeit nach Hause bringen, als die in ihrem Hinweisen auf Gott besteht. Jede Gotteswahr­ heit ist köstlich, und wir sollen in sie eindringen und für sie kämpfen; aber auch all unser Forschen nach Wahrheit sollte doch immer nach unsrer ewigen Ruhe zielen. Die den Streit lieben über Religionswahrheiten, sind von Got­ tes Liebe nie erwärmt worden. Wie ist es aber mit der Sorge für Kirchen- und Staatsangelegenheiten? So weit sie Gottes Vorsehung verherrlichen, und durch ihre weise Leitung das Reich Gottes ausgebreitet und die Seligkeit unsrer Zeitgenossen und Nachkommen befördert wird, sind sie unsrer ernstlichen Beschäftigung werth; aber nur in so fern. Ja all' unser Verkehr mit der Welt, unser Kaufen und Verkaufen, unser Essen und Trinken, unser Heirathen und Kinderziehen, unser Kriegführen und Friedenschließen, bezieht es sich nicht auf die Ewigkeit, so darf es nur im Vorbeigehen uns beschäftigen. Run, lieber Leser, scheinen dir diese Betrachtungen erheblich, oder nicht? Habe ich dir bewiesen, daß es deine Pflicht sey, zu trachten nach dem, was droben ist, oder habe ich es nicht? Sagst du: Nein, so wird sicherlich dein

278 eignes Gewissen dich Lügen strafen. Erkennest du aber deine Verpflichtung an, so wird deine eigne Zunge einmal dich verdammen und dein eignes Bekenntniß wider dich austreten im Gericht, wenn du wissentlich eine anerkannte Pflicht versäumest. O wolle nur ernstlich, so ist das Werk schon mehr als zur Hälfte gethan. Nun möchte ich dir gern noch einige einfältige Anweisungen geben, um dir in diesem großen Werke zu Hülfe zu kommen; aber ach! es ist vergebens, sie dir auszusprechen, wenn du nicht entschlossen bist, sie ins Werk zu setzen. Indeß will ich doch sie dir vorlegen, und will den Herrn bitten, daß er dein Herz bewege, sie zu Leben und That zu machen!

279

Zwölfter Abschnitt.

Anweisungen, wie man ein himmlisches Leben oitf Erden führen möge. Leser, wenn du die Seligkeit eines Wandels im Him­ mel zu schätzen weißt, so fordre ich dich im Namen Got­ tes auf, I. die Hindernisse sorgfältig zu meiden, welche dich abhalten können, und II. fleißig die Wege zu gehen, die am sichersten dazu dich fuhren. I. Die wichtigsten Hindernisse, welche du aufs sorgfältigste meiden mußt, sind das Leben in einer wissentlichen Sünde — ein irdischer Sinn — Gemeinschaft mit Ungläubigen — ein aus bloßem Wissen gemachtes Christenthum — ein hochfahrender Sinn — ein Geist der Träg­ heit'— ein Sichbegnügen mit den Borbereitun­ gen zu dem himmlischen Leben, ohne zur Sache selbst zu kommen. 1. Das Leben in einer wissentlichen Sünde

280 ist ein großes Hinderniß des Wandels im Himmel. Was gibt das für einen Todesstoß dem innern Menschen! Welche Freuden hat es schon zerstört, welche Verwüstung in den empfangenen Gnadengaben angerichtet; wie viel herzstärkende Thätigkeit gelähmt I Christlicher Leser, gehörst du etwa zu denen, die ihrem Gewissen Gewalt anthun? Vernachlässigst du wissentlich deine Pflichten, sey es öffent­ lich oder im Verborgenen? Bist du ein Knecht deiner Gier oder irgend einer andern Sinnenlust? Trachtest du nach Ruhm bei den Menschen? Bist du ein argwöhnischer heftiger Mensch, den jedes Wort oder jede vermeintliche Geringschätzung gleich in Feuer und Flammen setzen kann? Täuschest du andre, indem du gern, es sey nun wie es wolle, reich werden möchtest? Bist du so beschaffen, dann sage ich dir grade heraus, dein Herz und der Himmel sind noch weit auseinander. Solche Splitter in deinen Augen lassen dich nie frei gen Himmel blicken; immer steht eine düstre Wolke zwischen dir und deinem Gott. Ver­ suchest du es auch, an die Ewigkeit zu denken, und Trost dir zu holen aus dem jenseitigen Leben, so tritt sogleich deine Sünde dazwischen, sieht dich an und sagt: „Das alles ist nicht für dich. Wie solltest du Trost aus dem Himmel empfangen können, der du so viel Freude aus der Fleischeslust hast?" Ach wie dämpft das deine Freude, und macht deine Gedanken an jenen Tag dir nicht' zum Labsal, sondern zur Qual! Jede wisientliche Sünde wird für deinen innern Frieden seyn, was das Wasser dem Feuer ist; wenn du meinst ihn zu fördern, wird sie ihn

281 zerstören. Sie macht dich eben so unfähig — in heiligen Gedanken dich emporzuschwingen, als ein Vogel es ist zum Fliegen, wenn ihm die Flügel verschnitten sind. Die Sünde zerschneidet recht eigentlich die Sehnen des himm­ lischen Lebens. O Mensch! welch ein Leben gibst du da­ durch auf! Welche tägliche Seligkeit verkaufest du für eine elende Lust! Wenn Himmel und Hölle einmal in eins zusammenfließen, und Gott die Sünde lieb gewinnt, dann wirst du auch in deiner Sünde fortleben und dabei einen Vorschmack des Himmels haben können, dann wirst du im Himmel wandeln, und dabei die Sünde im Busen hegen können. Aber nimm dich in Acht, daß sie nicht wie jetzt dein Herz von einem Wandel im Himmel, so dermaleinst für alle Ewigkeit von der Seligkeit des Him­ mels dich ausschließt. Und fühlst du dich auch jetzt des­ sen nicht schuldig, und bist du dir keiner Sünde bewußt, die in deiner Seele herrscht, bedenke, wie traurig es seyn würde, wenn späterhin es einmal dahin kommen sollte! Darum wache, und ganz besonders sieh dich vor, daß du alle Gelegenheit zur Sünde meidest und von aller Versuchung dich fern haltest. Ach, wie sehr nöthig ist es doch, daß wir alle Tage beten: Führe uns nicht in Ver­ suchung, sondern erlöse uns von dem Bösen! 2. Ein irdischer Sinn ist ein andres, sorgfältig zu meidendes Hinderniß. Gott und der Mammon, der Himmel und die Erde können nicht beide zugleich die Freude deines Herzens seyn. Wenn der Gläubige sich selig fühlt in seinem Gott und sich rühmet der Hoffnung der

282 zukünftigen Herrlichkeit, fühlst du vielleicht dich selig in deinem zeitlichen Glück und rühmst dich deines Gedeihens auf Erden.

Während er seine Seele weidet in den Blicken

auf den gekreuzigten und auferstandenen Heiland, auf die Engel und Heiligen des Himmels, bei denen er in Ewig­ keit dereinst seyn soll, weidest du dich an deinen Reich­ thümern, an deinen Wechseln, an deinen Gütern, deinen Häusern und Aeckern, deiner Gunst bei den Großen dieser Welt, der Versorgung deiner Kinder, dem Emporsteigen deiner Familie, der Ausdehnung deines Einflusses. Nannte Christus den einen Narren, der zu seiner Seele sprach: „Liebe Seele, habe nun Ruhe, du hast nun genug für viele Jahre;" um wie viel mehr bist du ein Narr, da du Seiner Warnung ungeachtet in deinem Herzen jene Worte nachsprichst? Sag mir, was ist für ein Unterschied zwi­ schen den Worten dieses Narren und deiner Gesinnung? Bedenke, daß du es mit dem Herzenskündiger zu thun hast! Gewißlich, je mehr du Freude und Ruhe auf Erden

findest, desto mehr von deiner Freude an Gott entweicht dir. Dein irdischer Sinn kann mit einem auswendigen Bekenntniß und mancher christlichen Pflichterfüllung wohl be­ stehen : aber nie mit einem Trachten nach Oben. Du weißt es ja selbst, wie sparsam und wie kalt, wie flüchtig und wie matt deine Gedanken an die Freuden der jenseitigen Welt waren, seitdem du so sehr in diese Welt dich ver­ tieftest. O des unseligen Wahnsinns so vieler, die gläu­

big zu seyn scheinen! Sie werfen sich in eine Menge Ge­ schäfte, bis sie so beladen mit Arbeit und so verstrickt in

283 Sorgen sind, daß sie eben so ungeschickt zum Umgänge mit Gott werden, als ein Mensch zum Gehen ungeschickt ist, der einen Berg auf dem Rücken hat; eben so unfähig, sich in heiliger Betrachtung emporzuschwingen, als ihr Leib unfähig

ist, über die Sonne hinaus zu fliegen! Und haben sie sich so um diesen Himmel auf Erden gebracht, den sie hät­ ten haben können, so kommen sie denn mit einigen faulen Gründen an. Um zu zeigen, das es nichts Unrechtes sey, auch ohne ein Trachten nach oben zu leben. Lieber Christ, ach bitte dich, hast du die Freuden eines himmlischen Lebens gekostet, und möchtest ihrer gern noch mehr haben, o dann meide diesen alles verschlingenden Abgrund eines

irdischen Sinnes. Kommst du dahin, daß du gern reich werden möchtest, so „fällst du in Versuchung und Stricke und viel thörichte und schädliche Lüste." Alle irdischen Dinge laß nur lose dir anliegen, wie einen übergewor­ fenen Mantel, daß du sie immer ablegen könnest, wenn as Noth thut; Gott und die ewige Herrlichkeit laß aber

in dein Herz gewachsen seyn. Bedenke immer, daß „der Welt Freundschaft Feindschaft gegen Gott ist; denn wer der Welt Freund seyn will, der ist Gottes Feind." ^,Hab nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist; hat jemand die Welt lieb, in dem ist nicht die Liebe des Vaters." Das sind klare, einfältige Worte; selig der Mensch, der sie in Einfalt des Herzens an- und aufnimmt! 3. Hüte dich vor der Gemeinschaft mit Un­ gläubigen. Nicht, daß ich dich von dem nothwendigen

1 Tim. 6, 9. — Jac. 4, 4. — 1 Joh. 2, 15.

284 Verkehr des Lebens abhalten möchte, noch weniger von Liebesdiensten, die du ihnen erweisen könntest; am aller­ wenigsten, das Heil ihrer Seele zu suchen, so lange nur

noch eine Hoffnung oder Gelegenheit sich zeigt; auch halte ich es für sehr sündlich, sie schlechtweg zu den „Hunden oder Säuen" zu zählen, denen man das Heilige nicht mittheilen müsse, damit man nicht die Probe mit ihnen zu machen brauche, so lange irgend noch Hoffnung der Besserung da ist. Aber der unnöthige Verkehr mit unbe­ kehrten Leuten, die zu große Vertraulichkeit mit Menschen, die ohne Gott leben, diese ist es, wovon ich dringend dir abrathe. Nicht bloß offenbar gottlose Menschen, die in

groben Lastern leben, sind im Umgänge schädlich für uns, obwohl wir solche vorzugsweise zu meiden haben; sondern

auch wohl äußerlich sittliche Menschen, deren Gespräche leer und unerbaulich sind, können sehr dazu beitragen, uns von einem Wandel im Himmel abzuziehen. Unser Widerwille dagegen ist so groß, daß wir immer der mäch­ tigsten Hülfen bedürfen. Ein!Stein oder Klotz ist von Natur eben so geschickt, sich zu erheben und in oer Luft herumzufliegen, als unsre Herzen von Natur geschickt sind, sich gen Himmel zu erheben. Du brauchst ein Felsenstück nicht davon zurückzuhalten, daß es sich nicht gen Himmel schwingt; du brauchst ihm nur nicht behülflich dazu zu seyn. Grade so ist es auch mit unserm Geiste: hat er nicht mächtige Hülfe dazu, so schwingt er sich nicht auf­ wärts, auch wenn gar kein Hinderniß ihm im Wege liegt. O denke daran bei der Wahl deines Umgangs! Ist dein

285 Herz grade so gestimmt, daß es keiner Hülfe bedarf, son­ dern strebt es, wie eine Flamme, immer nach Oben, und nimmt mit sich alles, was ihm in den Weg kommt, dann brauchst du freilich weniger sorgfältig bei der Wahl deiner Gesellschaft zu seyn; so lieb dir aber die Se­ ligkeit eines Wandels im Himmel ist, sey vorsichtig dabei. Was hilft es dir zu einem göttlichen Leben, wenn du hörst, wie die Preise stehen, was für Wetter ist oder zu hoffen steht, was für Neuigkeiten da sind, wenn das nicht grade deines Berufes ist? Davon unterhalten sich irdisch­ gesinnte Menschen. Wie dient es dazu, dein Herz zu Gott zu erheben, wenn du hörst, das ist ein tüchtiger Prediger, jener ein frommer Mann, das eine vortreffliche Predigt oder ein schönes Buch, oder wenn du irgend einen für dein ewiges Heil unwichtigen Streitpunkt durchsprichst? Und doch ist dies meistens noch die beste Art Unterhaltung, die man von äußerlichen Bekennern des Evangeliums hört. Ja, wenn du eben von der seligen Betrachtung himmlischer Dinge herkommst, und dein Herz an jenen Freuden erwärmt hast, dämpft das nicht dein Feuer und macht dich wieder kalt und frostig? Ich berufe mich auf jeden, der es versucht und sein Herz dabei beobachtet hat Die Menschen können einmal nicht von Einem Dinge sprechen, und mit dem andern ganz und gar im Herzen beschäftigt seyn, besonders wenn die Art beider so ver­ schieden ist. Ihr jungen Leute, die ihr dieser Versuchung am meisten ausgesetzt seyd, bedenket ernstlich, was ich sage: Könnt ihr, wenn ihr Theilnehmer an einer lärmen-

286 den Gesellschaft in einem Wirthshause seyd, eure Herzen wohl gen Himmel erheben? Qder wenn ihr Stunden und Tage mit solchen verlebt, deren Reden schmutzig, oder voll thörichter Witze oder Flüche sind? Das könnt ihr so wenig, daß ihr, wenn ihr noch Freude findet an solcher Gesellschaft, und sie nicht, wo es nur immer geht, mei­ det, aufs ernstliche prüfen solltet, ob ihr wohl überhaupt schon eine Gewißheit eurer Seligkeit habt. Wäre euer Schatz im Himmel, dann würde euer Herz nicht bei so ganz andern Dingen seyn. Die Gemeinschaft der Hei­ ligen, die Befreiung von der Gemeinschaft mit den Gott­ losen wird ein Hauptbestandtheil eurer himmlischen Selig­ keit seyn; und hinieden ist es eine große Förderung auf dem Wege dorthin, wenn ihr die eine suchet und die andere fliehet. 4. Vermeide vieles Streiten über unwichtigere Wahr­ heiten und ein Christenthum, das bloß in Wissen besteht. Die sind meistens mit dem Wandel im Himmel am wenigsten bekannt, welche heftig über die Außendinge des Christenthums streiten. Einer, deffen Christenthum bloß in Wissen besteht, spricht immer sehr viel und sehr lebhaft über seine Ansichten; und einer, deffen Christen­ thum in der Erkenntniß und Liebe Gottes besteht, spricht am liebsten von der Zeit, wo er vollkommen sie besitzen wird. Das ist ein seltener und ein auserwählter Christ, der aus den allbekannten Wahrheiten die reichste Nahrung zu ziehen weiß. Darum lasset mich euch, die ihr himm­ lisch werden wollt auf Erden, bitten: wendet nicht zu viel

287 Gedanken, Zeit, Eifer und Worte auf Wahrheiten, die euer Seelenheil nicht allzunah angehen; und wenn Heuchler bei ihren Hülsen und Trabern hungern, weidet ihr euch an den himmlischen Freuden. Freilich wünschte ich, ihr könntet jede Gotteswahrheit auch vertheidigen, und dazu lesen und studiren; aber könntet ihr das auch alle, so würde ich es doch am liebsten sehen, wenn ihr die Hauptwahrheiten vor­ zugsweise studirtet, und durch nichts euch von den Ge­ danken an die Ewigkeit abbringen ließet. Diejenigen Punkte, über welche am wenigsten gestritten wird, sind meistens die wichtigsten, und als tägliches Brod der Seele am unentbehrlichsten. Darum studire fleißig solche Schrift­ stellen, wie diese: „Der thörichten und unnützen Fragen entschlage dich, denn du weißt, daß sie nur Zank ge­ bühren; ein Knecht des Herrn aber soll nicht zänkisch seyn, sondern freundlich gegen jedermann und lehrhaftig." — „Der thörichten Fragen aber, der Geschlechtsregister, des Streits und Zanks über dem Gesetz entschlage dich, denn sie sind unnütz und eitel." — „So jemand anders lehret, und bleibet nicht bei den heilsamen Worten unsers Herrn Jesu Christi und bei der Lehre von der Gottseligkeit, der ist verdüstert und weiß nichts, sondern ist seuchtig (krank) im Fragen und Wortkriegen, aus welchen entspringet Neid, Hader, Lästerung, böser Argwohn, Schulgezänk solcher Menschen, die zerrüttete Sinne haben, und der Wahrheit beraubt sind, die da meinen, die Gottseligkeit sey ein Ge­ werbe. Thue dich von solchen." 2 Tim. 2, 23. 24. — Tit. 3, 9. — 1 Tim. 6, 3-6.

288 5. Hüte dich vor einem stolzen, hochfahrenden Geist. Es ist solch ein Widerspruch zwischen dieser Sünde und Gott, daß du nie dein Herz Ihm nähern, noch Ihn deinem Herzen nahe bringen kannst, so lange als sie darin herrscht. Stürzte sie die Engel vom Himmel herab, so muß sie doch gewiß in deinem Herzen den Himmel ver­ schließen. Vertrieb sie unsre ersten Eltern aus dem Pa­

radiese, und schied sie und den Herrn von einander, und zog seinen Fluch herab über die ganze irdische Schöpfung, so wird sie gewiß auch uns fern halten von dem Herrn, und seinen Fluch über uns immer stärker herabziehen. Der Umgang mit Gott demüthiget, und diese Demuth be­ fördert wieder den Umgang mit Gott. Lebt jemand viel in Gottes Nähe und in der Betrachtung seiner herrlichen Eigenschaften, so sinkt er in den Staub nieder in Schaam über sich selbst; und diese Schaam ist die beste Vorberei­ tung, um von neuem Zutritt bei Gott zu empfangen. Darum ist ein Tag der Selbsterniedrigung, oder eine Zeit der Trübsal, wo die Seele am tiefsten gedemüthigt ist,

auch die Zeit, wo sie den freisten Zugang zu Gott und den seligsten Vorschmack des ewigen Lebens hat. „Gott sieht an den Elenden, und der zerbrochenen Geistes ist,

und der sich fürchtet vor Seinem Wort;" und eben so er­ freut sich solch ein Herz auch Gottbs; und dieses gegen­ seitige Wohlgefallen macht den Zugang offen, die Bewill­ kommnung herzlich und den Umgang ungestört. Aber Gott ist so fern davon, in dem Herzen des Hoffährtigen zu

Jes. 66, 2.

289 wohnen, daß er ihm nie einen nahen Zutritt zu sich ge­ stattet; „der Herr ist hoch, und siehet auf das Niedrige, und kennet den Stolzen von ferne." „Gott widersteht den Hoffährtigen, aber den Demüthigen gibt er Gnade." Ein hoffährtiger Geist ist hoch in seiner Einbildung, in seiner eignen Schätzung, in fleischlichem Verlangen; aber ein demüthiger Geist ist wahrhaftig hoch, nach Gottes Schätzung und in heiligen! Verlangen. Diese beiden Höhen stehen sich schnurstracks einander entgegen, grade wie wir einen Fürsten mit einem andern Fürsten, nicht aber mit einem Bauer Krieg führen sehen. Nun wohlan, bist du ein Mensch von Werth in deinen eignen Augen? Freust du dich, wenn du hörst, wie die Menschen dich preisen, und betrübst du dich, wenn du hörst, wie sie dich verachten? Liebst du die am meisten, die dich ehren, und achtest du die gering, die es nicht thun, obwohl sie sonst gottselige, ernste Leute sind? Mußt du immer deine Laune befriedigt, und deine Entscheidung von allen um dich her befolgt sehen? Entbrennt dein Zorn, wenn dein Wort oder Wille gekreuzigt wird? Nennest du. die Demuth leicht Niederträchtigkeit, und magst du nicht daran gehen, dein Unrecht zu bekennen, wenn du gegen Gott gesündigt oder deinen Bruder beleidigt hast? Ist ein frommer, aber armer und geringer Mann dir fremd, und schämst du dich, mit ihm umzugehen? Kannst du Gott auf einer niedrigen Stelle nicht eben so wohl dienen, als auf einer hohen? Wird dein Rühmen von dir selbst zurückgehalten, nicht durch Demuth, sondern Ps. 138, 6. — 1 Petr. 5, 5. Barter, Ruhe der Heiligen.

19

290

durch Klugheit und Rücksicht auf andre? Möchtest du gern, daß aller Augen auf dich gerichtet wären, und man sagte: „Das ist er!" Bist du unbekannt mit der Lügen­ haftigkeit und Bosheit deines Herzens? Vertheidigst du dich lieber, als du dich anklagst oder einen Fehler be­ kennst? Kannst du eine Vorhaltung, oder ein grades, redliches Wort nicht ertragen? Sind alle diese Kenn­ zeichen in dir, dann bist du ohne Frage ein hoffährtiger Mensch. Da ist noch zu viel von der Hölle in dir, als daß du deinen Wandel im Himmel haben könntest; da hast du noch zu viel Aehnlichkeit mit dem Teufel, als daß du Umgang mit Gott haben könntest. Ein stolzer Mensch macht sein Ich zu seinem Abgott; wie könnte sein Ver­ langen wohl auf Gott gerichtet seyn? Wie könnte sein wohl im Himmel seyn? Seine Einbildungskraft und sein Gedächtniß können wohl für seine Zunge demü­ thig und himmlisch klingende Redensarten liefern, aber in seinem Herzen ist nicht mehr vom Himmel, als von der Demuth. Ich halte mich darum so lange hierbei auf, weil es die allerhäuftgste und gefährlichste Sünde »st, die dem gänzlichen Abfall zum Unglauben am meisten den Weg bereitet. Christlicher Leser! Möchtest du gern immer in Gottes Nähe leben, dann liege im Staube, von da kann Er dich hören. Lerne von Jesu „sanftmüthig und von Herzen demüthig seyn, dann findest du Ruhe für deine Seele." Bist du nicht so, dann ist „dein Herz wie ein Matth. 11, 29.

291 ungestüm Meer, das nicht still seyn kann, dessen Wellen Koth und Unflath auswerfen." Statt süßer Freuden vor Gottes Angesicht füllt deine Hoffahrt dich mit unablässiger Unruhe. Wie „der, welcher sich selbst erniedrigt, wie ein Kind, der größte seyn wird im Himmelreich:" so wird er hier schon den lebhaftesten, süßesten Vorschmack des Him­ melreiches haben. „Gott wohnt bei denen, die zer­ schlagenen und demüthigen Geistes sind, daß er er­ quicke den Geist der Gedemüthigten und das Herz der Zerschlagenen." „Darum demüthigt euch vor Gott, so wird er euch erhöhen." Denn „die Demüthigen erhöhet er, und wer seine Augen niederschlägt, der wird ge­ nesen." 6. Ein Geist der Trägheit ist ein andres Hin­ derniß zu diesem Wandel im Himmel. Käme es bloß auf leibliche Uebungen an, Lippenbewegung, Kniebeugung, so würden die Leute eben so gern und oft gen Himmel sich wenden, als sie einen Freund besuchen. Aber Gedanken und Empfindungen von der Welt loszureißen, alle Gna­ denkräfte, die Gott uns geschenkt, in Bewegung zu setzen und jede auf ihr eignes Ziel hinzurichten, bis uns das Werk gelungen ist, hierin liegt die Schwierigkeit. Leser, der Himmel liegt hoch über dir, meinst du ohne Mühe und Entschluß so hoch hinaufsteigen zu können? Meinst du dein irdisch gesinntes Herz in den Himmel und deinen widerstrebenden Geist zu Gott wenden zu können, indem Les. 57, 20. — Match. 18, 4. — Jes. 57, 15. — Jac. 4, 10. — Hiob 22, 29.

292 du still sitzest und an dein zeitliches Behagen denkst? Könnte es uns etwas helfen, indem wir am Fuße eines Berges liegen, daß wir hinaufsehen und wünschten oben zu seyn, dann würden wir täglich viel gen Himmel reisen sehen. Aber „das Himmelreich leidet Gewalt, und die ihm Gewalt thun, reißen es zu sich." Diese Erstlinge zu er­ langen, müssen wir eben so wohl Gewalt brauchen, als um nachher zu dem vollen Besitze zu kommen. Erfährst du denn das nicht so, auch ohne daß ich es dir sage? Schwingt sich dein Herz so leicht und wie von selbst auf­ wärts? Du weißt, daß alle deine Hoffnung im Himmel ist, daß nichts auf Erden dein Herz stillen kann, und wenn du nur selten und flüchtig an den Himmel denkst, du auch nur wenig Trost von dorther empfangen kannst; doch aber lässest du keine Gelegenheit vorübergehen, dir irdisches Behagen zu verschaffen, und bleibst auf der Erde liegen, statt im Himmel zu wandeln und mit Gott um­ zugehen! Du preisest die Süßigkeit und Lieblichkeit eines Wandels,im Himmel Andern an, und hältst diejenigen für die gefördertsten Christen, welche am meisten darin leben, und dennoch machst du selbst die Probe nicht! Wie ein Fauler sich in seinem Bette streckt und sagt: „Ach wäre dies doch Arbeiten!" — so sprichst und schwatzest du und lebst wohlbehaglich und sagst dabei: „Wäre mein Herz doch im Himmel!" Lesen nicht viele Leute christliche Bücher und hören Predigten, weil sie irgendwo hoffen, einen leichteren, behaglicheren oder kürzeren Weg zur Ruhe Matth. 11, 12.

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anzutreffen, als sie jemals einen in der Schrift zu finden erwarten? Oder sie bitten um eine Anweisung zu dem Wandel im Himmel, und käme es allein aufs Hören an, wären es auch wirklich himmlisch gesinnte Christen; zeigt man ihnen aber, was sie thun unb meiden müssen, und sagt ihnen, auf leichterem Wege ließen sich jene Freuden nicht erlangen, dann verlassen sie uns mit Betrübniß wie „der reiche Jüngling" Christum. Bist du überzeugt, lieber Leser, daß dies Werk zu deiner Ruhe nothwendig ist, dann greif es muthig an; zieht dein Herz zurück, so wende es wieder um im Namen Gottes; will deine Ver­ nunft Einwendungen machen, zeig ihr den göttlichen Be­ fehl und stell ihr deine eigne, dringende Noth vor, mit allen den Betrachtungen, die wir früher durchgegangen sind. Laß doch nicht einen so unvergleichlichen Schatz da liegen, während du die Hand im Mantel behältst, laß dir doch dein Leben nicht zu beständiger Qual werden, da es eine fortwährende Seligkeit seyn könnte. Sitz doch nicht still mit einem trostlosen Herzen, während der Trost vor deinen Augen daliegt, wie ein Mensch, der in einem Garten umgeben von Blumen liegt, aber nicht aufstehen mag, um ihren Duft zu genießen. Das weiß ich, Christus ist die Quelle des lebendigen Wassers; aber der Brunnen ist tief, und du mußt schöpfen, ehe du dich mit diesem Waffer erquicken kannst. Freilich weiß ich, insofern du geistlich bist, insofern du geschmeckt hast, wie freundlich der Herr ist, bedarf es solcher Gewalt und solches Kampfes nicht; aber du bist Marc. 10, 22.

294 auch noch fleischlich, und insofern geht es ohne Kampf und Anstrengung nicht ab.

Bei den Parthern war die Sitte,

ihren Kindern des Morgens nichts zu essen zu geben, bis sie den Schweiß von irgend einer Arbeit an ihren Stirnen

sahen; so wirst du auch erfahren, daß es Gottes Weise gewöhnlich ist, seine Süßigkeiten seinen Kindern nicht eher zu kosten zu geben, bis sie angefangen haben, im Schweiße

ihres Angesichts sie zu suchen. Darum urtheile selbst, ob ein himmlisches Leben oder fleischliches Behagen besier sey, und wähle als ein weiser Mensch. Ja, laß mich noch mehr zu deiner Aufmunterung hinzufügen.

Du brauchst

deine Gedanken gar nicht mehr in Thätigkeit zu setzen, als du ohnehin schon thust, nur auf bessere, seligere

Dinge sollst du sie richten. Denke nur eben so ernstlich alle Tage an die Herrlichkeit des ewigen Lebens, als du jetzt an deine weltlichen Geschäfte oder Freuden und Eitel­ keiten denkst, und dein Herz wird bald im Himmel seyn. Kurz, „auf dem Acker des Faulen und dem Weinberg des Narren wachsen eitel Nesseln und steht alles voll Disteln, und die Mauer ist eingefallen; der Faule stirbt über seinen Wünschen, denn seine Hände wollen nichts thun; er spricht: Ein Löwe ist draußen, ich möchte erwür­ get werden auf der Gasse. Wie die Thür in der Angel, so dreht sich ein Fauler in seinem Bette. Er verbirgt seine Hand in den Töpfen, und wird ihm sauer, daß er sie zum Munde bringe," wäre es auch, um Speise des ewigen Lebens zu genießen. Und werfen wir nicht muthSpr. 24, 30. 31. — 21, 25

— 22, 13. - 26, 14. 15.

295 willig unsern Trost und unser Heil weg, und damit auch das theure Blut, das es uns erkauft hat? Denn „wer laß ist in dieser Arbeit, der ist ein Bruder dessen, der das Seine umbringt." Wende dies auf deine geist­ liche Arbeit an, und denke wohl darüber nach, was es sagen will. 7. Mit den bloßen Vorbereitungen für dies himmlische Leben sich begnügen, während wir von dem Leben selbst fern bleiben, ist ein andres gefährliches heimliches Hinderniß; wenn wir uns blos mit den Verstandsbegriffen von himmlischen Dingen beschäftigen, oder davon einer mit dem Andern uns un­ terhalten, als ob wir dadurch schon himmlisch gesinnt würden. Niemand ist in größerer Gefahr vor dieser Schlinge als solche, welche die Erbauung Andrer leiten, namentlich Prediger. Wie leicht können solche sich täu­ schen! Sie lesen und studiren, reden und beten und pre­

digen ja von nichts, als von himmlischen Dingen; sollte das nicht ein Wandel im Himmel seyn? Ach! alles dies ist doch nur die Vorbereitung dazu; das heißt nur Bau­ material sammeln, aber noch nicht, bauen; das heißt nur das Manna für Andre sammeln, nicht, es selbst genießen und sich daran erquicken. Es kann jemand zu Hause auf seinem Zimmer sehr schöne und genaue Karten zeichnen von Ländern, die er nie gesehen hat, noch jemals sehen wird; so kann man auch Andern die Himmelsfreuden be­ schreiben, und doch mit dem Herzen ihnen fremd^bleiben.

Spr. 18, 9.

296 Ein blinder Mann kann durch Reden- und Vorlesen-Hören auch vom Licht und von den Farben wissen und disputiren; so kann man auch Andern das himmlische Licht anpreisen, das nie die eigne Seele erleuchtet, und das Feuer den Leuten zeigen, das nie das eigne Herz erwärmt hat. Welche herrlichen Worte sprach Bileam aus, und wie fern blieb er von ihrem Sinn! Ja, wir Prediger haben eine viel subtilere Versuchung in dieser Hinsicht zu bestehen, als Andre. Vom Himmel studiren, vom Him­ mel predigen sieht einem Wandel im Himmel viel ähn­ licher, als dasjenige, was die Welt gewöhnlich davon abzieht, und diese Aehnlichkeit führt uns fehr leicht irre. Das ist aber doch die jämmerlichste Art zu sterben, wenn man verhungert, während das Brod vor uns auf dem Tische steht, und wenn man verdurstet, wäh­ rend man Andern Lebenswasser reicht, und dabei immer denkt, es sey genug, wenn man nur täglich sich da­ mit zu thun mache, möge man es nun selbst trinken oder nicht. II. Indem ich dir nun die Hindernisse, die von diesem Werke dich abhalten, gezeigt habe, hoffe ich, du werdest ernstlich sie im Auge behalten und treulich meiden; sonst wird deine Arbeit vergeblich seyn. Nun hoffe ich ferner, wenn dir die Seligkeit dieses Vorschmacks des Himmels lieb ist, du werdest fleißig die Wege gehen, welche am sichersten dich dahin führen, und daher Folgen­ des dir stets vor die Augen stellen — freilich nicht bloß, 4 Mos. 23, 26.

297 um es zu lesen, das würde dich nicht in den Himmel bringen, sondern um es zu üben: Sey stets überzeugt, daß dein einziger Schatz, deine Seligkeit, allein im Himmel ist — bemühe dich zu erkennen, daß dieser Schatz dein sey — und wie nahe er dir bereit liege — sprich oft und ernstlich davon — bei jedem christlichen Werke richte dein Herz inniger d.arauf hin — alles, was du siehst und hörst und was dir begegnet, wende an, um ihm näher zu kommen — weile oft in der Engel-Be­ schäftigung des Lobens und Dankens— fülle deine Seele mit gläubigen Gedanken an die unendliche Liebe Gottes — beobachte und be­ nutze sorgfältig jede Bewegung des Geistes Gottes — und vernachlässige nicht die nöthige Fürsorge für die Gesundheit deines Leibes. 1. Sey überzeugt, daß dein einziger Schatz, deine Seligkeit, allein im Himmel ist, und be­ mühe dich, zu erkennen, was für ein Schatz, was für eine Seligkeit das sey. Glaubst du nicht, daß dort dein höchstes Gut liegt, so wird nie dein ganzes Herz dorthin stehen. Aber diese Ueberzeugung muß sich auch den Nei­ gungen deines Herzens mittheilen; freilich bleibt sie ein bloßer Verstandsbegriff, dann wird sie wenig wirken. Da Eva meinte, daß die verbotene Frucht köstlicher sey, als die Liebe und Gemeinschaft Gottes, da war es kein Wun­ der, daß ihr Herz mehr darauf sich richtete. Zieht deine

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Ueberzeugung die Fleischesfreuden der Wonne von Gottes Angesicht vor, dann ist es unmöglich, daß dein Herz im Himmel sey. Wie zum Theil darum, weil der Mensch nicht weiß, wie leer die irdischen Dinge sind, er sie so sehr überschätzt, so ist es zum Theil auch Unkenntniß der heiligen Himmelsfreuden, daß er sie so gering achtet. Siehst du eine volle Börse, bist aber überzeugt, daß Zahl­ pfennige darin sind, so wird sie dich nicht reizen. Nicht der wirkliche, sondern der anerkannte, uns bewußte Werth eines Dinges weckt unsre Begierde danach. Sieht ein unwissender Mensch ein Buch, welches die Geheimnisse der Künste und Wissenschaften enthält, so achtet er es nicht höher, als das allergewöhnlichste, weil er nicht weiß, was darin steht; wer es aber weiß, schätzt es sehr hoch, und kann Effen, Trinken und Schlafen vergessen, um es zu lesen. Wie die Juden nach dem Elias fragten, und Christus ihnen sagte, Elias sey schon gekommen, aber sie hätten an ihm gethan, was sie wollten; wie sie den Messias, auf den sie selbst warteten, dennoch tödteten, weil sie ihn nicht kannten, so sehnt sich die Welt nach Ruhe und sucht aufs emsigste nach Glück, während sie daran vorbeigeht, ja es für sich vernichtet, weil sie es nicht kennt; denn kennte sie das wahrhafte Glück, sie würde den unvergänglichen Schatz nicht so verächtlich be­ handeln. 2. Bemühe dich auch, darüber gewiß zu werden, daß das Erbtheil der Heiligen im Licht dein eigen Match. 17, 12.

299 sey. Wir können den Himmel für den seligsten Zustand halten, und dabei doch daran verzweifeln, daß wir hinein­ kommen; wir können ein Verlangen, eine Sehnsucht danach empfinden, wenn wir es auch nur als möglich ansehen, daß wir hineinkommen; aber nie können wir selig uns des Himmels freuen, wenn wir nicht wenigstens einiger­ maßen gewiß sind, daß auch uns die Stätte dort bereitet ist. Was ist es einem Nackten für ein Trost, wenn er die schönen Kleider Andrer sieht? Was hilft es einem, der nicht hat, wo er sein Haupt hinlege, wenn er die kostbaren Wohnungen Andrer sieht? Vermehrt dies nicht ein Unwohlseyn, und macht es ihm nicht sein Elend desto fühlbarer? Wer labt sich wohl am Reichthum eines An­ dern? Wären deine Häuser, deine Güter, deine Heerden, deine Kinder nicht dein, wie viel weniger Freude hättest du daran! Christlicher Leser, ruhe daher nicht, bis du deinen Beruf und deine Erwählung fest gemacht hast; er­ forsche und richte dein Herz; vergleiche die Beschreibung des Zustandes der Gläubigen im Worte Gottes mit dei­ nem eignen Seelenzustande, und sieh zu, ob beide sich gleichen. Du hast dasselbe Wort, was dich dereinst richten wird am jüngsten Tage, um dich jetzt selbst danach zu richten. Mißverstehe nicht die Beschreibung der Heiligen im Worte Gottes, damit du nicht irrthümlicher Weise dich zu ihrer Zahl rechnest, oder davon ausnehmest. Grundlose Hoffnungen werden einmal zu Schanden, und sind die häufigste Ursach der Verdammniß; grundlose Zwei­ fel enden in Verzweiflung, und sind die Quelle vieles

300 selbstgemachten Elends und Kreuzes. Suche daher einen festen Grund für dein Urtheil, schreite prüfend und mit Entschiedenheit vorwärts, und laß nicht ab, bis du weißt, ob du einen Anspruch aus Gnaden auf das Erbe der Hei­ ligen empfangen habest. O wenn Menschen es gewiß wüßten, daß Gott ihr Vater, daß Christus ihr Heiland und ihr Haupt, und daß im Himmel ihnen die Stätte bereitet ist, wo sie ewig wohnen und ewig selig seyn werden, wie könnten sie anders, als von dem Vorschmack dieser Seligkeit ganz erfüllt und entzückt werden? Wenn ein Christ nur Sonne, Mond und Sterne anblicken, und gewiß seyn könnte, daß sie in Christo ihm gehörten, und sagen: „All das Schöne hat der Herr mir geschenkt, und noch unendlich Größeres als dies!" — welch heiliges Ent­ zücken würde ihn ergreifen! Um so mehr sündigen die­ jenigen ebensowohl gegen ihre eigne Ruhe, als gegen die Gnade des neuen Bundes, die ihren Unglauben nähren, und Gedanken Raum geben, welche an Gottes Erbarmen verzweifeln, und die vollkommne Erlösung des Heilandes verkleinern: die den neuen Bund vorstellen, als wäre er ein Bund der Werke, und nicht der Verheißung und der Gnade, und Christuin, als wäre er nicht ein Heiland, sondern ein Feind der Menschen, als wollte er, daß sie in ihrem Unglauben sterben sollten, obgleich er so oft und so zärtlich sie zu sich eingeladen, und ihre Krankheit ge* tragen und ihre Schmerzen auf sich genommen hat. Was sind wir für elende Menschen, daß wir mit argwöhnischen Blicken auf unsern Heiland hinsehen, statt zu frohlocken

301 und zu jauchzen über seine Liebe! Als ob jemand Christum erwählen könnte, ehe er von Christo erwählt worden, oder als ob ihn mehr nach der Seligkeit verlangen könnte, als Christum danach verlangt, ihm die Seligkeit zu schenken! Hinweg mit diesen entehrenden, ja lästerlichen Gedanken! Hast du je dergleichen in deinem Busen genährt, wirf sie hinaus, und laß sie nie wieder ein. Gott hat die Namen der Seinigen im Himmel angeschrieben, wie wir unsre Namen schreiben auf etwas, was uns gehört; sollten wir denn einen Versuch machen, sie dort auszulöschen, und sie über die Pforten der Hölle zu schreiben? Aber gelobt sey Gott, „der Grund, den er gelegt hat, steht fest," und „aus Seiner Macht werden wir durch den Glauben be­ wahret zur Seligkeit". 3. Stelle dir immer vor Augen, wie nahe deine Ruhe ist. Alles, was wir nahe wissen, fühlen wir leb­ hafter, als was wir nur aus der Ferne erblicken. Sind Gottes Gerichte oder Gnadenwohlthaten uns noch fern, so sprechen wir davon ohne sonderliche Bewegung; rücken sie aber nahe heran, so erzittern wir davor, oder froh­ locken darüber. Das macht viele nun auch so unempfind­ lich gegen die Himmelsfreuden, daß sie viel zu fern sie denken; als ob zwanzig, dreißig, vierzig Jahre noch da­ zwischen lägen. Wie viel besser wäre es, wenn wir immer, wie der Apostel sagt, „bei uns beschlossen hätten, wir müßten sterben," und die Ewigkeit nahe bei uns stände?

Joh. 15, 16. — 2 Tim. 2, 19. — 1 Petr. 1, 5.-2 Cor. 1, 9.

302 Während ich jetzt daran denke nnd davon schreibe, rückt sie heran, und ich bin darin, ehe ich es gewahr werde. Während du dies liesest, du magst seyn, wer du willst, eilt dein Leben davon, und es wird einmal vorüber seyn, wie eine auserzählte Geschichte. Glaubtest du wirklich, du werdest morgen sterben, wie ernstlich würdest du noch diesen Abend deine Gedanken auf den Himmel richten! Als Samuel zu Saul sagte: „Morgen wirst du und deine Söhne mit mir seyn!" — da fiel Saul zur Erde, und erschrak sehr vor den Worten. Und wenn Christus zu einer gläubigen Seele spräche : „Morgen wirst du bei mir seyn!" — sie würde schon heute im Himmel seyn. Stell' dir nur immer vor, daß du wirklich schon deinen Einzug in den Himmel hältst, und du wirst auch lebendiger daran denken können. 4. Mache deine ewige Ruhe recht oft und recht ernstlich zum Gegenstand deiner Gespräche, be­ sonders mit denen, die aus Erfahrung davon sprechen können, die selbst himmlisch gesinnet sind. Es ist zu beklagen, daß Christen jemals zusammenkommen, ohne von ihrer einstigen Gemeinschaft im Himmel, oder dem Weg dorthin zu reden; es ist Schade, daß so viel Zeit in leerer Unter­ haltung, in unnützen Streitigkeiten hingeht, und nicht ein ernstliches Wort vom Himmel darunter! Mich dünkt, wir sollten gern blos in der Absicht zusammenkommen, um uns durch Gespräche über unsre Ruhe zu erwärmen. Wenn man einen Christen jenen seligen, herrlichen Zu-

1. Sam. 28, 19. 20.

303 stand mit Kraft und Leben aus den Verheißungen des Evangeliums darstellen hört, müssen wir da nicht oft sagen: „Brannte nicht unser Herz in uns, da er uns die Schrift öffnete?" Wenn ein Felix zittert, da ihm von der Ge­ rechtigkeit und der Keuschheit und dem Gerichte gepredigt wird, wie sollte nicht der Gläubige innigst erquickt sich fühlen, wenn seine ewige Ruhe ihm dargestellt wird! Gottlose Menschen haben ihre Freude daran, von ihrer Gottlosigkeit mit einander zu reden; und Christen sollten nicht ihre Freude daran haben von Christo, Himmelserben von ihrem Erbe im Himmel, zu reden? Da leben unsre Herzen auf, wie Jacob, da er die Botschaft hörte, die ihn nach Gosen rief, und die Wagen sah, die ihn zu Joseph bringen sollten. O hätten wir doch immer Ge­ schick und Entschlossenheit genug, um die Gespräche über die Gegenstände des täglichen Lebens auf diese erhabnen und himmlischen Dinge zu lenken! Wie viel Gutes könnten wir da uns und Andern thun! Wenn andre von Narrentheiding schwatzen, sollten wir einige Worte himmlischer Nahrung darunter mischen, und mit Petrus sagen: „O nein, ich habe noch nie etwas Gemeines oder Unreines ge­ gessen!" Was wollte Christus anders, als uns warnen vor den eiteln, nichtigen Gesprächen, da er sagte, „wir würden am Tage des Gerichts von jedem unnützen Wort Rechenschaft geben müssen?" Wenn du daher in Gesellschaft bist, sprich mit dem Psalmisten: „Meine Luc. 24, 32. — Apg. 24, 25. — 1 Mos. 45, 27. — Apg. 10, 14. — Matth. 12, 36.

304 Zunge müsse an meinen Gaumen sieben, wo ich dein nicht gedenke, wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude seyn!" Dann wirst du das Wort der Schrift be­ stätigt finden: „Meine heilsame Zunge ist ein Baum des Lebens!" 5. Bei dem Gebrauche eines göttlichen Gnadenmittels strebe danach, dein Verlangen inniger auf den Himmel zu richten. Alle Heilsanstalten Gottes sollten, wie Stufen, jede unsrer himmlischen Ruhe uns näher bringen, und durch die Kraft Christi sollten wir täglich mit unsrer Sehnsucht hinaufsteigen. Dazu laß sie dir dienen, und zweifle nicht daran, daß der Erfolg ge­ segnet seyn wird. Welche Freude hast du oft durch wenige Zeilen eines Freundes gehabt, wenn du ihn persönlich nicht sehen konntest? Und könnten wir denn nicht auch mit Gott hier schon eine solche Gemeinschaft in seinen Gnadenanstalten haben, obwohl wir ihn noch nicht schauen von Angesicht? Kann unser Herz sich nicht freuen, wenn wir die Zeilen lesen, die das Vermächtniß der himmlischen Wohnungen uns bestätigen? Wie froh und selig können wir uns fühlen, wenn wir da die Versicherungen der göttlichen Liebe erblicken und von unserm himmlischen Vaterlande hören, obwohl wir noch nicht so glücklich sind, uns dort zu befinden! Menschen, die durch Länder und Meere von einander geschieden sind, können durch Briefe einen großen, gewinnreichen Handel treiben; sollte nicht ein Christ durch weis» Benutzung der ihm eröffneten Ps. 137, 6. — Spr. 15, 4.

305 Straßen in diesem seligen Handel die „Eine, köstliche Perle" sich erwerben können? Auf denn, entsag dem todten For­

menwesen, der Gewohnheit, der Menschengefälligkeit, und falle vor Gott nieder, im Kämmerlein und mit Andern, in dem festen Glauben, daß du ihm näher gekommen seyn

wirst, wenn du wieder aufstehst. Oeffnest du die Bibel oder ein andres Buch, so fasse die bestimmte Hoffnung, daß du ein Wort der göttlichen Wahrheit, und in ihm einen geistlichen Segen finden werdest, der dir ein leben­ digeres Vorgefühl des Himmels mittheilt. Gehst du zu

dem Hause Gottes, so sprich: „Ich hoffe, Gott wird mir, ehe ich wieder heimkehre, etwas schenken, das mein Herz zu ihm erhebt; ich hoffe, der heilige Geist wird zu mir kommen, und mit himmlischer Freude mein Herz erfüllen; ich hoffe, Christus wird auf diesem Wege mir erscheinen, wird mit Himmelslicht mich umleuchten, wird mit seiner tödtenden und lebendigmachenden Stimme an mein Herz

reden, wird die Schuppen von meinen Augen fallen lassen, daß ich mehr von jener Herrlichkeit erblicke, als bisher; ich hoffe, ehe ich nach Hause komme, wird mein Heiland mir die Aussicht auf die ewige Ruhe austhun, wird mich

in seines Vaters Nähe versetzen, „daß ich, wie die Hirten

von der Krippe Christi, wieder umkehre, ynd preise und lobe Gott um alles, das ich gehört und gesehen habe." Als die Indianer zuerst bemerkten, daß die Engländer sich durch Briefe ihre Gedanken sagen könnten, meinten sie, Luc. 2, 20. Barter, Ruhe der Heiligen.

20

306

es sey ein Geist in den Briefen eingeschossen. So müßten auch die Nebenstehenden erstaunen, wenn sie sähen, wie die Christen durch Gottes Heilsanstalten mit Ihm selbst Gemeinschaft haben; müßten fragen, was doch in dem Buche, in der Predigt, in dem Liede, in dem Gebete sey, das sie so mit Freude erfüllte und über sich selbst erhöbe? Ja gewiß, Gott würde nie bei solcher Gelegenheit fehlen, ließen wir es an uns nicht fehlen. Darum vergiß nie, für deinen Prediger zu beten, daß Gott ihm ein Wort himmlischer Botschaft in den Mund lege, das deinen Geist mit himmlischer Sehnsucht und Erquickung erfülle! 6. Was du siehst und hörst, und was "dir be­ gegnet, das wende an, um dein Herz mit der deiner wartenden Ruhe vertrauter zu machen. Alle Fügungen der göttlichen Vorsehung, alle Geschöpfe sind Werkzeuge, die auf die Ruhe, als unser Ziel, uns weisen und ihr uns nähern sollen. Gottes lieblichste Fügungen in diesen! Leben würden nicht halb so lieblich seyn, als sie sind, wären sie nicht Vorbedeutungen und Unterpfänder noch lieblicherer Dinge. Wolltest du dich wohl mit dem An­ gelds begnügen, und die Hauptsumme fahren lasten? So machst du es, wenn du dich mit Gottes Gnadenerweisungen in diesem Leben begnügst, und darüber deine Krone vergiffest. O verständen Christen doch diese Kunst recht! Du verstehst es, die Bibel aufzuschlagen; o lerne daraus auch das Buch aller Geschöpfe und Ereignisse aufschlagen, und lies darin von Gott und Seiner Herrlichkeit! Könnten

307 wir das, dann würden wir, wenn wir unsere gewöhn­ lichen Speisen und Getränke äßen und tränken zu Gottes

Ehre, oft mehr Segen davon haben, als Andre, wenn sie das Sacrament genießen. Hast du Glück in der Welt, so laß es dir dazu dienen, daß du lebhafter an dein ewiges Glück denkst.

Bist du müde von deiner Arbeit auf Erden,

laß dir das den Gedanken an die ewige Ruhe recht süß machen. Geht es dir schlecht, so laß das dein Verlangen

beflügeln nach der Zeit, wo Leiden und Kummer auf ewig wird gestillt werden. Erquickst du deinen Leib mit Speise oder Schlaf, so denke an die unaussprechliche Er­

quickung, die du bei Christo finden wirst.

Hörst du von

Kriegen und Kriegsgeschrei, und wirst du gewahr, daß eine Blutwolke auffteigt, so gedenke an den vollkommenen Frieden, den du in Ewigkeit bei dem Friedensfürsten ge­ Hörst du eine gute Nachricht, so denke daran, welche frohe Botschaft dir die letzte Posaune und die endliche Entscheidung des Richters bringen wird. Fühlst du dich selig in der Gemeinschaft der Heiligen, so denke daran, wie herrlich diese erst im Himmel seyn

nießen wirst.

wird.

Offenbart sich Gott schon

hier deinem

Geiste, so

denke an die Zeit, wo deine Gemeinschaft nlit Gott und deine Freude in Ihm vollkommen seyn werden. Hörst du von der Unruhe und Verwirrung, welche die Leiden­

schaften gottloser Menschen in der Welt anrichten, so denke ün die selige Eintracht aller im Himmel. Hörst du von Kriegsstürmen, zuerst und dann für

so

denke an den

Tag, wo du

alle Ewigkeit vollkommnen Frieden 20*

308 haben wirst unter den Fittigen des Friedensfürsten.

So fördert jede Lage, jedes Geschöpf uns in dem himmlischen Leben, wenn wir nur nüchterne und sehnsuchtsvolle Herzen

haben. 7. Weile recht oft in dem Engel-Geschäft des Lobens und Dankens. Je himmlischer deine Beschäftigung, desto himmlischer wird auch dein Geist wer­ den. Gott preisen ist das Tagewerk der Engel und der Heiligen im Himmel, und wird auch unser Geschäft in der Ewigkeit seyn; weilten wir nun jetzt mehr darin, so würden wir auch den Engeln und vollendeten Heiligen ähnlicher seyn. Sehnsucht, Glauben, Hoffnung hören

einmal auf, Liebe und Freude aber hören nie auf.

So

hören Predigt, Gebet und Sacrament und alles, was be­

stimmt ist, Glauben und Hoffnung

in uns

zu nähren,

auf, während die Triumphgesänge der Liebe und der Wonne ewig in unserm Munde seyn werden. Das leben­ digste Bild des Himmels, daß ich auf Erden kenne, ist

wenn Gottes Volk,

in

tiefer Empfindung Seiner Herr­

lichkeit und Gnade, aus dankbaren, lieberfüllten, seligen

Herzen mit Geist und Mund ihm gemeinschaftlich lobsingt. Die Wonne, welche sie da empfinden, ist, wie das Zeugniß des Geistes im Herzen, ein Kennzeichen, daß sie Gottes Eigenthum sind, und trägt die Gewißheit der göttlichen Kindschaft in sich. Wir bedenken meistens nicht genug, wie großen Schaden wir uns selbst thun, wenn wir Lob und Dank so wenig in unsre Gebete aufnehmen,

309 während so viele Bekenntnisse und Bitten darin vorkom­ men. Leser, denke daran, laß Lob und Dank mehr ein­ fließen in deine Gebete; denke an alles, was zu Lob und

Dank dich entzünden kann, eben so wohl, als an das, was du bekennen und dir erbitten willst. Darum stell dir die Herrlichkeit und die Liebe des Herrn eben so oft vor Augen, als deine Noth und Unwürdigkeit; denke eben so

viel an die Gnade, die du empfangen hast und die dir noch verheißen ist, als an die Sünden, die du begangen hast. „Ich danke Gott, so oft ich euer gedenke," fangen die meisten Briefe Pauli an, und er vergaß darüber

nicht, zu erwähnen, was

Gott

und

ihn

betrübt

hatte.

,,Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten, die Frommen sollen ihn schön preisen." „Wer Dank opfert, der preiset mich, und das ist der Weg, daß ich ihm zeige das Heil

Gottes."

„Lobet den Herrn, denn er ist freundlich; lob-

singet seinem Namen, denn er ist lieblich." „Lasset uns durch Christum opfern das Lobopfer Gott alle Zeit; das ist, die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen." Hatte nicht David einen recht himmlischen Geist? Und wer weilte so oft in diesem seligen Geschäft? Fühlt sich

unser Herz nicht oft hinaufgezogen, wenn wir nur Lied Mosis oder die Psalmen lesen? Wie muß es nun erheben und erquicken, wenn wir selbst bekannt mit diesem seligen Geschäft und oft darin weilen! O thöricht ist die Jugend, welche die größte Kraft uud Ps. 33, 1. - Ps. 50, 23. — Ps. 135, 3. — Hebr. 13, 15.

das uns sind wie Be-

310 Möglichkeit des Geistes auf eitle Freuden und Fleischeslüste wendet, und da sie am stärksten empfinden, am frischesten sich regen kann, doch so ganz untüchtig ist für das edelste Werk des Menschen! O, und wie sündlich ist die Thorheit so mancher Gläubigen, die ihre Herzen in beständige Trauer hüllen, und ihre Tage in Klagen und Seufzen zubringen, und so, körperlich und geistig, sich zu diesem süßen, himm» fischen Geschäfte untüchtig machen! Statt mit Gottes Kindern zu Seinem Preise sich zu verbinden, sitzen sie und zweifeln an ihrer Kindschaft, und vergraben sich in ihr Elend, rauben dem Heiland die Ehre und sich den göttlichen Trost!

S. Sieh zu, daß deine Seele immer erfüllt sey mit gläubigen Gedanken an die unendliche Liebe Gottes. Liebe ist der Magnet der Liebe; es gibt, wenige so nichtswürdige Menschen, die nicht diejenigen, welche sie lieben, wieder lieben. So tödtet denn nichts so sehr unser Leben im Himmel, als wenn wir Gott uns als einen harten Herrn denken, der uns lieber verdammen, als selig machen möchte; da macht man in der That Gott dem Satan ähnlich. Erst stellt unsre Unwissenheit und unser Unglaube ein verzerrtes Bild von Gott uns vor die Seele, und dann beklagen wir uns darüber, daß wir Ihn nicht lieben und an Ihm uns nicht freuen können. So geht es vielen, vielen Christen. Ach, warum lästern wir Gott so und machen selbst unsre Freude und Seligkeit zu nichte? Die heilige Schrift sagt uns, daß Gott die Liebe

311 ist, daß er nicht Gefallen hat an dem Tode des Gottlosen,

sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wege, und lebe. Ja, und noch wie viel stärker hat er seinen

Auserwählten seine Liebe bezeugt, und seinen festen Willen, sie vollkommen zu erlösen! O dächten wir daher doch immer an Gott, wie an einen Freund, der uns zärtlich liebt, der uns mehr liebt, als wir uns selbst lieben, besten ganzes Herz darauf gerichtet ist, uns Liebe zu erweisen und der eben darum für alle Ewigkeit uns in Seinem Hause die. Stätte bereitet hat — es würde uns wahrlich nicht so schwer werden, immer mit dem Herzen bei Ihm zu seyn! Lieben wir jemand von Herzen, so ist es eine Seligkeit, an ihn zu denken, und ganz von selbst richten die Gedanken sich auf ihn. Aber ich fürchte, die meisten Christen denken viel höher von der Liebe eines irdischen Freundes, als von Gottes Liebe; was Wunder denn, daß sie auch ihre Freunde mehr lieben als Gott, mehr Ver­ trauen in sie setzen, und ihre Gemeinschaft der Gemein­ schaft Gottes vorziehen? 9. Beobachte treulich jede Bewegung des

Geistes Gottes in deinem Herzen! Wenn je deine Seele sich über diese Erde erhebt, und mit diesem Wandel im Himmel sich vertraut macht, so muß der Geist Gottes dein Feuerwagen seyn, der dich, wie Elias, hinaufträgt, ja die Seele deiner Seele, die dich hinauf treibt, trägt und bewegt. O betrübe denn doch nicht diesen, deinen 1.

Joh. 4, 16. — E;. 33, 11.

312 himmlischen Führer, dämpfe nicht das Leben deiner Seele, stoß nicht ab die Räder'von deinem Wagen! Du bedenkst nicht, wie sehr das Leben aller deiner Gnadengaben, die Seligkeit deiner Seele von dem willigen, herzlichen Gehor­ sam gegen den Geist abhängt. Treibt er dich zu stillem Gebet, hält er dir innerlich eine Sünde vor und zieht dich davon ab, oder zeigt er dir den Weg, den du wan­ deln sollst, und du willst darauf nicht achten, so ist es kein Wunder, wenn der Wandel im Himmel dir ftemb bleibt. Willst du dem Geiste nicht folgen, wenn er dich zu Christo zieht, und in Seine Nachfolge, wie könnte er dich gen Himmel heben und bis vor Gottes Angesicht?

Wie gewöhnt das Herz sich in jenem steten, stillen Gehor­ sam an die Hülfe von Oben, wie frei und leicht wird ihm der Zutritt zu dem Allmächtigen! Aber in diesem beständigen Betrüben des Geistes, dem bewußten Ueber» hören seiner warnenden Stimme, wie muß da das Gebet so kalt und verlegen, so zerstreut und schlaff werden! Christlicher Leser, hörst oft in deinem Herzen die Stimme des Geistes, die dich abzieht von der Welt und in Gottes Gemeinschaft ruft: o sey nicht ungehorsam, ergreife schnell die dargebotene Hand, spanne deine Segel aus, so lange dieser günstige Wind weht. Je mehr und je länger wir den Geist betrüben und ihm widerstehen, desto tiefer wird die Wunde; je mehr wir ihm gehorchen, desto gründlicher kann Gott sie ausheilen. 10. Als auf ein Hülfsmittel verweise ich dich endlich

313 auch noch darauf, daß du auf die rechte Weise für deinen Leib sorgest. Dein Leib ist dir nützlich zum Dienst, wenn du ihm gibst, was ihm zukommt, und nicht mehr, als was ihm zukommt; er ist aber ein grausamer Tyrann, wenn du ihm seine unvernünftigen Wünsche ge­ währst; und er ist wie ein stumpfes Messer, wenn du ihm versagst, was er bedarf. Bedenken wir, wie oft die Men­ schen nach beiden Seiten hin fehlen, wie wenige mit ihrem Leibe auf die rechte Weise umgehen, so können wir uns nicht wundern, wenn ihr Wandel im Himmel dadurch sehr gestört wird. Sehr viele sind Knechte ihrer Fleisches­ lust, können dem Fleische nicht leicht etwas versagen, und statt daß sie sich zu Gott und in den Himmel erheben sollten, lasten sie sich zu eiteln Vergnügungen, zu schlechten Gesellschaften, zum Trachten nach Gewinn verleiten. Aber so lieb dir deine Seele ist, „sorge also für den Leib, daß er nicht geil werde-/' denke daran, „daß fleischlich gesinnet seyn der Tod ist; denn fleischlich gesinnet seyn ist eine Feindschaft wider Gott, sintemal es dem Ge­ setze Gottes nicht Unterthan ist, denn es vermag es auch nicht. Darum können, die fleischlich gesinnet sind, Gott nicht gefallen. So sind wir nun, liebe Brüder, Schuld­ ner, nicht dem Fleische, daß wir nach dem Fleische leben; denn wenn ihr nach dem Fleische lebet, werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist des Fleisches Ge­ schäfte tödtet, so werdet ihr leben." Und so gibt es denn auch einige Menschen, welche ihre himmlische Freude daRöm. 13, 14. — Rom. 8, 6. ff.

314 durch stören, daß sie dem Fleische ihre Nothdurft verwei­ gern und es zum Dienste untüchtig machen. Schadeten diese allein dem Fleische, so läge nicht viel daran; aber sie schaden auch ihrer Seele; so wie der, welcher ein Haus beraubt, besten Bewohner antastet. Ist der Leib krank, so fehlt uns so manche Hülfe zur Erhebung des Geistes, und wie Schade', wenn durch unsre Schuld wir so trag uns in himmlischen Gedanken und Gefühlen bewegen!

315

Dreizehnter Äbschnitt.

Wie die Betrachtung himmlischer Dinge beschaffe» seyn müsse; zugleich von der rechten Zeit, dem rechten Orte, und der rechten Stimmung dazu. Noch einmal bitte ich dich, lieber Leser, wenn dir eine Aufforderung Gottes in Seinem geoffenbarten Worte wichtig ist, wenn du nicht wiffentlich dem Geiste wider­ stehen magst, wenn du die Seligkeit eines Heiligen Gottes und die entzückenden Freuden der Betrachtung der himm­ lischen Dinge zu schätzen weißt, erwäge ernstlich und beobachte schleunig und treulich die folgenden Anleitungen. Findest du, daß du dadurch nicht in der Gnade wächsest, nicht tüchtiger wirst zum Dienste des Herrn, nicht in innigere Gemeinschaft mit Gott trittst, dein Herz und Leben nicht reicher an Trost wird: dann wirf diese An­ leitungen weg, und behandle mich für immer als einen Verführer. Das, wozu ich so ernstlich jetzt dich auffordere,

316 und zu dessen Beobachtung ich dir eine Anleitung geben möchte, ist „eine ausdrückliche, feierliche Thätig­

keit aller Kräfte deiner Seele in der Betrach­ tung deiner ewigen Ruhe." Um die Beschaffenheit derselben zu zeigen, will ich zuerst diese Beschreibung

einer solchen Betrachtung etwas näher durchgehen, und dem rechten Ort und der

dann von der rechten Zeit,

rechten Stimmung dazu sprechen. 1. Zuerst also wird es gut seyn, die von dieser Be­ trachtung himmlischer Dinge gegebene Beschreibung

etwas näher durchzugehen. Die meisten Menschen be­ kennen in Worten, daß es eine solche Pflicht gebe, leugnen es aber durch die That. Manche sind treu in andern Pflichten, vernachläffigen aber diese; machen sich ein Gewiffen daraus, eine Predigt oder ein Gebet im Stillen oder in Gemeinschaft Andrer zu versäumen, fühlen aber darüber keine Unruhe, wenn sie ihr ganzes Leben lang bis auf diesen Tag die Betrachtung himmlischer Dinge ver­ säumt haben; obwohl diese alle andre Pflichttreue belebt,

und alle Wahrheiten zur Nahrung und Erquickung des Herzens in Saft und Blut verwandelt haben würde. Gott gebot dem Josua: „Laß das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, auf daß du haltest und thust allerdings nach dem, das darin geschrieben steht." Was die Verdauung mit der gesunden Speise, das macht die Betrachtung mit

Jos. 1, 8.

317 der göttlichen Wahrheit; sie verwandelt sie in warme Em­ pfindung, festen Entschluß und heiligen Wandel. Diese Betrachtung ist eine Thätigkeit aller Seelen­ kräfte, sie ist das Werk eines Lebendigen, nicht eines Todten; sie ist das geistlichste und erhabenste Werk, daher nicht mit einem fleischlich und irdisch gesinnten Herzen zu vollbringen. Bekanntschaft mit dem Himmel muß voraus­ gehen, ehe vertrauliche Gemeinschaft damit eintreten kann. Wenn ich dich daher zu der Seligkeit der Betrachtung der himmlischen Ruhe auffordere, so setze ich voraus, daß du schon das Anrecht darauf empfangen habest; indem ich also voraussetze, daß du ein Christ bist, ermahne ich dich, ein lebendiger, thätiger Christ zu seyn. Und darum halte ich dir ein Feld der Thätigkeit für deine Seele vor, denn Thätigkeit und Uebung des Leibes hilft hier wenig. Und zu dieser Thätigkeit sind alle Seelenkräfte erforderlich; dadurch unterscheidet sie sich von der Meditation der Ge­ lehrten; denn der Verstand ist nicht der ganze Mensch, und kann daher allein dieses große Werk nicht vollbringen. Christus und der Himmel haben mancherlei Herrlichkeiten, und darum hat Gott der Seele mannigfaltige Kräfte ge­ schenkt, um sie sich anzueignen. Was hülfen uns duftende Blumen, wenn wir keinen Geruch hätten? Was hätten wir von der Musik ohne Gehör? Was würden uns die Himmelsfreuden genützt, welche Seligkeit würden wir selbst aus Gottes Eigenschaften haben schöpfen können, wären wir nicht der Empfindungen der Liebe und der Freund­ schaft fähig? Und welche Kraft oder welche Seligkeit

318 kannst du aus der Betrachtung der Ewigkeit schöpfen, wenn du die Empfindungen deiner Seele nicht weckest, durch welche du allein jene Seligkeit und jene Kraft in dich auf­ nehmen kannst? Betrachtung hinmilischer Dinge ist nicht bloß ein Verstandes- oder Gedächtnißwerk, das könnte jeder Schulknabe, das könnten selbst Menschen, die der

Sache feind wären, vollbringen.

Auf bloßes Gedenken

oder Sich-Erinnern dessen, was man vom Himmel ge­ hört hat, kommt es daher hier nicht an; wie es Arbeiten gibt, bei denen sich nicht bloß Hand oder Fuß, sondern

der ganze Leib in Bewegung setzen muß, so verlangt dies Werk die Thätigkeit der ganzen Seele. Die Empfindungen

und Neigungen der Sünder sind eben so wohl auf die Welt und ihre Götzen gerichtet, als ihr Verstand; sie müssen daher eben so wohl, als der Verstand, eine andre Richtung erhalten; wie ihre ganze Seele früher von der Sünde erfüllt war, -so muß nun ihre ganze Seele von Gott erfüllt werden. So beschreibt David die Seligkeit eines Gläubigen: „Er hat Lust zum Gesetz des Herrn,

und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht." Diese Betrachtung muß eine ausdrücklich auf diesen Gegenstand gerichtete, eine feierliche Thätigkeit der ganzen Seele seyn. Wie es feierliche festgesetzte Gebets­ zeiten gibt, wo wir uns ganz und gar und ausdrücklich mit dem Gebet beschäftigen, und wie es auch wieder Stoßgebete gibt, wenn wir mitten unter andern Geschäften einen Seufer,

Ps. i, 2.

eine Bitte

oder einen Dank

zu

Gott

319 so muß es auch eine solche ausdrückliche, feierliche Betrachtung geben, wo kein ander Ding uns stört; wenn gleich bei wahrhaft himmlisch gesinnten Herzen auch mitten unter andern Arbeiten die Gedanken oft bei hinaufschicken:

Gott und im Himmel sind. Und wie es wieder unter den feierlichen Gebeten solche gibt, die zu bestimmten fest­ gesetzten Zeiten immer wiederkehren, und solche, in denen wir uns bei besondern Veranlassungen, oder außer der gewöhnlichen Zeit an Gott wenden: so ist es auch mit dieser Betrachtung. Indem ich daher zu der Betrachtung

ermahnen möchte, die mitten in andrer Beschäftigung oder bei bestimmten Veranlassungen oder außer aller Regel

geschieht, so möchte ich auch dringend ermahnen, aus dieser Betrachtung eben so sehr, wie aus dem Gebet, dem Pre­ digthören, dem Bibellesen, eine regelmäßige, immer wieder­ kehrende Pflicht zu machen, in welcher wir uns eben so wenig, als bei jenen andern, durch Einmischung fremd­ artiger Dinge dürfen stören lasten. Diese Betrachtung hat zum Gegenstand deine ewige Ruhe. Ich niöchte nicht rathen, andere Betrachtungen durch diese zu verdrängen; aber wie der Himmel in der

Erhabenheit und Herrlichkeit, so muß er auch in der Be­

trachtung den Vorrang haben. Was uns am meisten selig macht, wenn wir in seinen Besitz eintreten, das muß uns auch am meisten froh machen, wenn wir hier unsre Be­ trachtung darauf richten Es gibt andre Gegenstände der Betrachtung, so zahlreich, als es Zeilen in der Schrift, als es Geschöpfe im Weltall, als es Fügungen der gött-

320 lichen Vorsehung

gibt.

Aber dieser Weg führt auf den

Berg Zion; von den Reichen dieser Welt zu dem Reiche

der Heiligen; von der Erde zum Himmel; wir wandeln über Sonne, Mond und Sterne int Paradiese unsers

Gottes. Es scheint ein weiter Weg; aber Geister sind schnell; ob in oder ob außer dem Leibe, bewegen sie sich rasch. Du brauchst nicht, gleich den Weltmenschen, zu besorgen, daß diese Betrachtung dich verrückt machen könnte; nach dem Himmel, nicht nach der Hölle, sollst du ja wan­ dern; Freude, nicht Schmerz, soll dich erfüllen; du sollst keine grauenhaften, verzerrten Bilder sehen, sondern die ent­ zückende, unvergleichliche Herrlichkeit der Heiligen, die un­

aussprechliche Schönheit des Herrn der Herrlichkeit, und die Strahlen, die nach allen Seiten hin von Seinem leuchtenden Angesicht ausströmen. Sollte wohl ein Mensch dadurch verwirrt werden, daß er an seine Seligkeit denkt? Sollte ein Verbrecher dadurch verwirrt werden, daß er an seine Begnadigung, ein Gefangner, daß er an seine Befreiung, ein Armer, daß er an Ehre und Reichthum denkt, mit denen er angethan werden soll? Ich dächte, darüber könnte ein Mensch eher verwirrt werden, wenn er an sein Leben in einer Welt voll Kummer und Weh, an seine Armuth und Siechheit, an die gottlosen Menschen denkt, die ihn umgeben. Aber die Erkenntniß und Weisheit wird von niemand gelästert, als den Unwissen­ den; die Betrachtung des Himmels ist niemandem zuwider, als dem, der nichts davon weiß und erfahren hat. Darum fürchte ich mehr die Trägheit und Nachlässigkeit derer, die

321

sie billigen und anerkennen, als den Widerstand oder gar

die Vernunstgründe derer, die dagegen sind. II. Was die rechte Zeit für die Betrachtung himm­ lischer Dinge betrifft, so möchte ich bloß den Rath geben, daß es eine bestimmte, eine oft wiederkehrende und eine passende Zeit sey. 1. Eine bestimmte Zeit. Benutzest du die Zeit bloß zur Förderung der Sache, ohne daß du auf sie selbst ein besonderes Gewicht legest, so brauchst du dich vor Aber­ glauben nicht zu fürchten. Bestimmte Zeiten bilden ein Gehege um unsre treue Haltung der Gebote Gottes, wel­ ches sie vor manchen Anfechtungen zur Unterlasiung schützt. Manchen steht ihre Zeit nicht so zu Gebote, daß sie be­ stimmte Stunden festsetzen können; andre sind so arm, daß ihre und ihrer Familie Noth es unmöglich macht; solche Leute sollten immer recht wachsam seyn, die Zeit, so viel sie können, auszukaufen, jede offene Gelegenheit, die sich darbietet, annehmen, und besonders Betrachtung und Gebet so viel als möglich mit ihren Berufsgeschäften verbinden. Allen aber, die von ihren weltlichen Geschäften oder Bedürfniffen sich Zeit absparen können, und Herren ihrer Zeit sind, gebe ich ernstlich den Rath, eine bestimmte Zeit festzusetzen. Ueberhaupt, wenn jedes Geschäft am Tage seine bestimmte Zeit hat, werden wir immer bester lernen die Zeit auskaufen und Gottes Gebote halten. 2. Laß diese Zeit oft wiederkehren. Wie oft, läßt sich nicht bestimmen bei der Verschiedenheit der Men­ schen und ihrer Bedürfnisse. Wenn aber die heilige Schrift Baxter, Ruhe der Heiligen.

21

322 davon

spricht,

daß

der

Fromme von dem

Gesetz des

Herrn Tag und Nacht rede, es Tag und Nacht betrachte, so weiset sie darauf hin, daß die Zeit der Betrachtung oft Dies häufige Verweilen ist besonders wichtig, um der Fremdigkeit zwischen Gott und dem mensch­ lichen Herzen vorzubeugen. Häufiges Beisammenseyn weckt

wiederkehren solle.

und nährt Vertraulichkeit, und Vertraulichkeit mehrt die Liebe und Freude im Umgänge, und macht uns immer freudiger und kühner. trachtung himmlischer Gemeinschaft mit Gott so fremder, je seltener

Da nun das Hauptziel dieser Be­ Dinge ist, daß wir Umgang und haben, so bleiben wir ihm ja um wir uns dazu anschicken. Fühlt

ein Mensch seine Noth und muß damit an Gott sich wen­ den, ist es dann nicht eine große Ermuthigung, wenn wir den Gott kennen, an den wir uns wenden wollen? Ein himmlisch gesinnter Christ sagt dann: „O, ich weiß wohl, wohin und zu wem ich gehe; es ist derselbe Gott, mit dem ich täglich Umgang gehabt habe, und diesen Weg habe ich alle Tage betreten. Gott kennt mich wohl, und auch ich kenne Ihn ein wenig." Auf der andern Seite, wie sehr kann es ost eine Seele beunruhigen und ängstigen, wenn sie plötzlich sich zu Gott richten soll; wenn sie sagen muß: „Ach! ich weiß nicht, wohin ich mich wende; ich bin diesen Weg noch nie gegangen; im Himmel bin ich nicht bekannt; meine Seele kennt den Gott nicht, zu dem

ich reden will, und ich fürchte, auch Er wird mich nicht für den ©einigen erkennen." Ganz besonders aber, wenn es Ms Sterben geht, und wir unmittelbar vor Gott er-

323 scheinen und eintreten sollen in Seine ewige Ruhe, dann wird der Unterschied deutlich sich zeigen; was wird das dann für eine Freuden seyn, wenn einer denken kann: „Ich gehe nach einem Orte, wohin Gebet und Betrachtung mich täglich getragen haben; nach einem Orte, von wo ich so oft die süßesten Freuden empfing; zu dem Gott, zu dem meine Gedanken so oft mich trugen, der durch Seinen Geist mich so vielfach besucht hat. Mein Herz ist schon längst zuvor im Himmel gewesen und hat seine Seligkeit gekostet; und wurden meine Augen so hell und so froh, da ich doch nur einen Vorschmack hatte, wie wird dann mir seyn, wenn ich Freude die Fülle ohne Ende genießen werde?" Aber wie wird auf der andern Seite uns das schmerzlich und schrecklich seyn, wenn wir denken, müssen: „Ich sterbe, und gehe, ich weiß nicht wohin; ich verlasie einen Ort, mit dem ich wohl bekannt bin, und ziehe nach einem Orte, mit dem ich unbekannt bin, mit dem ich keine Gemeinschaft hatte." Es ist fürchterlich für einen Sterbenden, wenn Gott und der Himmel ihm bis dahin fremd gewesen sind; ich bin fest überzeugt, daß auch für Gläubige der Tod darum oft etwas so Schweres und. Peinliches hat. O, darum bitte ich dich: sei treu in der Pflicht, zu der ich dich ermahne! — Wie ihre Vernach­ lässigung eine Fremdigkeit zwischen Gott und uns erzeugt, so auch ein Ungeschick zu der Sache selbst. Wie linkisch benehmen sich Menschen oft bei einem Werke, was sie nicht oft gethan haben! Aber die Uebung macht dies, wie. alle andern, dem Herzen leicht und angenehm. Bist du 21*

324

das Bergsteigen nicht gewohnt, so stöhnst und ermattest du beim ersten Hinaufklimmen, wo nachher es dir ganz leicht wird. — Auch geht nicht so viel Feuer und Leben dir verloren, was du schon empfangen hattest. Wer nur einmal alle zwei bis drei Tage essen wollte, würde seine

Kräfte alsbald wieder

hätte.

wenn er sich gestärkt Betrachtung mit Christo

verlieren,

Trittst du durch heilige

in Umgang, und erwärmst dein Herz an dem Feuer seiner Liebe, kommst aber nachher nur selten zu ihm, so wird deine alte Kälte und Erstarrung bald wieder da seyn; vor­ züglich, da dies Werk ein so geistliches, deiner verderbten Natur widerstrebendes ist. 3. Wähle dir die passendste Zeit. Alles Ding ist gut und schön zu seiner Zeit; bedenkst du das nicht, so kannst du viele Frucht deiner Arbeit verlieren, viel Hin­

dernisse finden, und was eine Pflicht war, in eine Sünde verwandeln. Gesinde und Taglöhner oder andre Lohn­ arbeiter müssen die Zeit auswählen, die zu ihrem Geschäft am besten paßt; müssen sich, so viel es angeht, bei der Arbeit an die Betrachtung gewöhnen, oder wenn sie dazu

gehen, oder wenn sie des Nachts aufwachen. Diejenigen, welche Freiheit haben, sich, eine Tageszeit auszuwählen,

müssen eine solche dazu nehmen, wo ihr Geist am leb­ haftesten bewegt und am geschicktesten zur Betrachtung ist. Ich habe für mich selbst immer die Zeit der Abenddäm­ merung als die beste gefunden; ich führe dies aber nur an, weil ein besserer Mann, als ich, dieselbe Erfahrung gemacht hatte; denn von Isaak wird erzählt, daß er um

325 den Abend aufs Feld hinausging nachzudenken.*) Der Tag des Herrn ist ganz vorzüglich zu einer solchen Be­ trachtung geschickt. Wann könnten wir wohl besser an

unsre ewige Ruhe denken, als an dem Tage, der ein Vorbild davon ist! Da es ein Tag ist, der zu christlichen Werken vorzugsweise bestimmt ist, sollten so besonders christliche und geistliche Werk mir scheint, diese Beschäftigung ist recht Hauptwerk des christlichen Sabbaths, und

wir nie dieses Unterlasten; ja, eigentlich das entspricht dem

Zwecke am meisten, um dessentwillen er eingesetzt ist. Was kann es wohl für eine angemeffenere Zeit für den Um­

gang mit dem Herrn geben, als den Tag des Herrn? Was für einen passenderen Tag, um gen Himmel uns hinaufzuschwingen und nach dem, was droben ist, zu trachten, als der Tag, wo er von den Todten auferstand,

und vollkommen über Tod

und Hölle

siegte!

An

des

Herrn Tage ziemt es sich für Christen „bn Geiste zu seyn,"

wie Johannes war. Was kann uns sonst zu dieser Freude im heiligen Geiste erheben, als der geistliche Anblick der uns aufbehaltenen himmlischen Herrlichkeit? Denket daran, ihr, die ihr an des Herrn Tage bloß mit dem öffentlichen Gottesdienste euch begnüget; daß ihr diesen Tag nicht auch ganz besonders

für eure Seelen und zu

geistlicher Betrachtung anwendet, thut euch vielen Schaden.

Ihr, die ihr am Tage des Herrn Zeit habt zum Müßig­ gehen und zu leeren Unterhaltungen, kenntet ihr nur die *) 1 Mos. 24, 63. nach der englischen, hier genaueren Uebersetzung.

- Oss. 1, 10.

326 Seligkeit der Betrachtung, ihr würdet nach keinem andern Zeitvertreib euch umsehen; der längste Tag würde euch ziemlich kurz dünken, und ihr würdet bedauern, daß die Nacht so bald eurer Freude ein Ende machte. Ihr Chri­ sten gönnet dem Himmel einen größeren Antheil an euren Sabbathen, und lasset sie euch Hinweisen auf euren ewigen Sabbath, den ihr dort feiern werdet. Betrachtet eure Sabbathe als Stufen zu eurer Verklärung, bis ihr sie alle erklommen habt und angelangt seyd. Ihr Armen besonders, die ihr in der Woche nicht viel Zeit erübrigen könnet, sehet zu, daß ihr diesen Tag wohl benutzet; wie euer Leib da ruhet von der Arbeit, so lasset euren Geist auch nach der Ruhe in Gott trachten. Aber außer dem Tage des Herrn und bestimmten Stunden an andern Tagen, gibt es noch andre Zeiten, die vorzüglich sich zu geistlicher Betrachtung der himm­ lischen Dinge eignen. Dahin gehört, wenn Gott deinen Geist einmal recht überschwänglich mit seinem himmlischen Feuer erwärmt hat. Da kannst du freier und kühner die Schwingen bewegen; da ist es für dich ein Geringes, dein Herz mit allen seinen Kräften dorthin zu richten. Beobachte sorgfältig, wenn du das Sausen des Windes, der bläset, wo er will, spürest; dann spanne frisch und kühn deine Segel auf. Ohne Christenthum können wir nichts thun; darum lasset uns die Zeit wahrnehmen, wo er etwas an uns thut und schafft, da lasset uns zu Hause seyn und wachen und nüchtern seyn. Findet der heilige Geist ein Herz, wie der Engel den Petrus, in Ketten

327 und Banden, und er schlägt dich an die Seite und weckt dich auf und spricht: „Stehe eilends auf, gürte dich, thue deine Schuhe an, wirf deinen Mantel um, und folge mir!"— dann höre auf das Wort, steh sogleich auf, und folge, du wirst finden, daß die Ketten dir von deinen Händen fallen, die eisernen Thüren sich dir von selbst aufthun, und du im Himmel bist, ehe du es gewahr wirst. — Eine andre besonders passende Zeit ist, wenn du in Leiden, Trübsal oder Anfechtung dich befindest. Welche Zeit könnte besser sein, uns ganz und gar gen Himmel zu wenden, als wenn auf Erden wir kein Fleck­ chen finden, wo wir Ruhe haben! Wann sollten unsre Gedanken mehr dort oben seyn, als wenn wir hienieden

nichts als Kummer haben! Wohin anders, als nach der

Arche, soll Noahs Taube sich wenden, wenn die ganze Erde mit Wasser bedeckt ist, und sie nicht findet, da ihr Fuß ruhen kann? Woran anders, als an unsres Vaters Haus und die Heimath sollten wir denken, wenn die Welt uns auch nicht einmal die Trüber mehr geben will, welche die Säue fressen? Ja gewiß, grade dazu sendet Gott uns Trübsal. Selig bist du Armer, wenn deine Armuth dir dazu dient; selig du Kranker, wenn deine Krankheit diesen Segen dir bringt! Es ist Zeit, in das

gelobte Land zu ziehen, wenn unsre Lasten in Egppten immer schwerer, oder die Wüste, durch die.wir ziehen, immer schauerlicher wird. Leser, wüßtest du, welche Herz­ stärkung in deinen Betrübnissen diese Blicke in die HerrApg. 12, 7. 8. 9.

328 lichkeit sind, du würdest das Leiden, was dir nichts scha­ det, nicht also fürchten, und würdest diese stärkende, be­ lebende Arznei häufiger gebrauchen. „Ich hatte viel Be­ kümmerniß in meinem Herzen," sagt David, „aber deine Tröstungen ergötzten meine Seele." Und „ich halte da­ für," spricht Paulus, „daß dieser Zeit Leiden der Herr­ lichkeit nicht werth sind, die an uns soll offenbart werden." „Darum werden wir nicht müde, sondern ob auch unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche von Tage zu Tage erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare; denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, und was unsichtbar ist, das ist ewig." — Eine andre besonders paffende Zeit ist, wenn Gottes Boten uns ankündigen, daß wir sterben sollen. Wann sollten wir wohl mehr unsre Gedanken durchsüßen mit dem Hinblick auf das jenseitige Leben, als wenn das diesseitige nun bald zu Ende ist? Niemand bedarf mehr der herzstärkenden Freude, als Sterbende; und woher könnten sie wohl Freude haben, als von der ewigen Seligkeit? Himmelsfreuden sind dann schon hier die süßesten, wenn so wenig als möglich Irdisches sich hin­ einmischt; so ist auch die Wonne sterbender Christen ost die süßeste, welche sie je empfanden. Wie erhaben sind die prophetischen Segnungen, welche Isaak und Jakob über ihre Söhne aussprachen! Mit welchem himmlischen Ps. 94,' 19. — Röm. 8, 18.— 2 Tor. 4, 16—18.

329 Gesang und göttlichen Segen endete Moses sein Leben! Wie unvergleichlich lieblich, tröstend, ermahnend, wie himmlisch sind die Abschiedsreden unsres Heilandes und sein letztes Gebet? Als Paulus seinem Tode ins An­ gesicht sah, wie ermahnte er da die Aeltesten zu Milet, die Philipper und den Timotheus! Wie wurde Johan­ nes, als er in Patmos war, um des Wortes Gottes

und des Zeugnisses Jesu Christi willen bis in den Himmel entzückt! Leser, wenn die Zeit deines Sterbens heranrückt, wo sollte dein Herz lieber weilen, als bei Christo? Es sollte dir zu Muthe seyn, als stünde er neben dir, daß du mit ihm sprächest, wie mit deinem Arzt, deinem Freunde, deinem Bräutigam. Thue die Augen auf, und du wirst die Engel an deinem Bette stehen sehen, daß sie den letzten Dienst an dir ver­ richten, die Engel, die sich nicht schämten, Lazarus' Seele

in Abrahams Schooß zu tragen, und auch bereit stehen, dich mit hinaufzunehmen. Wenn du auf deine Krankheit und Leiden blickst, laß dir zu Muth seyn, wie dem Ja­ kob: „Da er sah die Wagen, die ihm Joseph gesandt hatte, ihn zu führen, ward der Geist Jakobs wieder leben­ dig, und er sprach: „„Ich habe genug, daß Joseph lebt; ich will hin und ihn sehen;"" denn Christus hat gesagt: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben." Bedarfst du einer

Herzstärkung in deiner Schwäche und Ohnmacht? Hier ist eine, die köstlicher ist, als die ganze Welt sie dir bieten kann;-Christus selbst hat in den Verheißungen des EvanOff. 1, 9. — 1 Mos. 45, 27. — Joh. 14, 19.

330 geliums dir das Recept verschrieben; er hat im Himmel

den Stoff bereitet, strecke die Glaubenshand aus und ge­ nieße sie, so hast du Leben, Freude und Frieden. Der Herr spricht zu dir, wie zu dem Elia: ,,Steh auf und iß,

denn du hast einen großen Weg vor dir."

Und in der Stärke dieser Speise kannst du dann hingehen und den Berg Gottes ersteigen, und, gleich Moses, sterben auf dem Berge, auf den du steigst; und, wie Simeon sagen: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Glaubens-Augen haben deinen Heiland gesehen." III. Was den passendsten Ort zur Betrachtung himmlischer Dinge betrifft, so mag es genug seyn zu sagen, daß ein solcher, wo wir recht still und zurückgezogen seyn können, der angemessenste ist. Unser schwacher Geist be­ darf Hülfen aller Art, und muß sich so viel als möglich jedes Hindernisses entledigen. Da Christus uns räth, in unser Kämmerlein zu gehen, wenn wir beten wollen, und

die Thüre zuzuschließen, und unsern Vater im Verborgenen anzurufen, so sollten wir es bei dieser Betrachtung eben so machen. Wie oft zog Christus sich auf einen Berg, in die Wüste, an einen andern einsamen Ort zurück! Den­ selben Rath möchte ich auch besonders für die feierliche, zu bestimmter Zeit vorgenommene Betrachtung geben. Zieh dich daher von aller Gesellschaft, auch der Gesellschaft von Gläubigen, zurück, um eine Zeit lang keine andre Gesell­

schaft zu haben, als den Herrn allein.

Kann ein Gelehr­

ter, der doch bloß seinen Scharfsinn und sein Gedächtniß 1 Kön. 19, 7. — 5 Mos. 34. — Luc. 2, 29. 30.

331 braucht, nicht unter einem großen Menschenhaufen studiren, so kannst du auch bei diesem Werke, was alle Kräfte deiner Seele in Anspruch nimmt, und weit über die Natur geht, nicht gut unter Menschen seyn. Während in der alten Kirche die Gläubigen zu sehr, und zum Theil auf aber­ gläubische Weise, sich in die Einsamkeit zurückzogen, sind wir auf der andern Seite zu weit gegangen, und wissen so wenig von der Einsamkeit zu geistlicher Betrachtung. Selten ist Gott oder ein Engel einem Propheten oder Heiligen unter einem Haufen Menschen erschienen; aber

sehr oft, wenn sie allein waren. — Aber prüfe dich selbst, welcher Ort für dich der beste ist, ob im Zimmer oder draußen. Isaaks Beispiel, der aufs Feld ging, um zu

sinnen, wird den meisten wohl am besten zusagen. Unser Herr liebte so sehr den stillen Garten, daß Judas, als er

ihn verrathen wollte, dort ihn sicher zu finden wußte; und obwohl er seine Jünger dorthin mitgenommen hatte, zog er sich doch auch von diesen zu noch stillerer Andacht und schwererm Seelenkampf zurück; dort, dachte er erst nach über sein bitteres Leiden, daß seine Seelen betrübt ward bis in den Tod, und dann goß er seinen Schmerz im Gebet aus. Hatte also Christus solche Zeiten und Orte, wo er in der Einsamkeit betrachtete und betete, so bedürfen wir ihrer gewiß; riß Er sich zuweilen auch von

seinen vertrautesten Jüngern deshalb los, so müssen wir es auch so machen. Nur in dem Gegenstände der Betrach­ tung ist ein großer Unterschied: Christus dachte an die Joh. 18, 1. 2. — Luc. 22, 41.

332 Strafen, die unsre Sünden verdient hatten, so daß seines Vaters Zorn durch seine ganze Seele drang; wir aber denken an das Erbe, das Er uns mit seinem Blute er­ kauft hat, damit die Liebe unsres himmlischen Vaters und die Freude in dem heiligen Geiste in unsre Seele dringe, und alle unsre Gefühle erwecke und unsre Herzen mit Wonne überströme. IV.. Nun möchte ich dir noch einigen Rath geben über die rechte Fassung der Seele für diese Betrach­ tung. Viel hängt davon ab. Als des Menschen Herz noch gar nichts in sich hatte, was den heiligen Geist be­ trübte, da war es die wonnevolle Behausung des Schö­ pfers selbst; und Gott verließ dies sein Haus nicht eher, als bis der Mensch ihn durch seine frechen Beleidigungen hinausgetrieben hatte. Da war keine Fremdigkeit, kein kaltes, zurückhaltendes Wesen im Menschen, bis sein HeiH sündig wurde und ein zu scheußlicher Kerker, als daß Gott Wohlgefallen daran haben konnte. Wo aber die ursprüng­ liche Unschuld in der Seele erneuert wird, da kehrt Gott zu seiner alten Wohnung wieder zurück; Christus offen­ bart sich dem, der ihn liebt und sein Wort hält, und sein Vater liebt ihn, und sie kommen und machen Wohnung in einem solchen Menschen. So weit das Herz gereinigt ist, so weit ist es in der Regel auch fähig, Gott in sich aufzunehmen. Darum „behüte das Herz mit allem Fleiß, denn daraus gehet das Leben." Namentlich: 1. Halte dein Herz so frei von der Welt, als du Joh. 14, 23. — Spr. 4, 23.

333 nur vermagst. Gehst du an diese Betrachtung, so denke nicht an deine Geschäfte, deine Unruhen, deine Vergnü­ gungen, und alles, was sonst noch Platz wegnehmen könnte in deiner Seele. Leere dich aus, so viel du vermagst,

daß du ganz Gottes voll werden könnest. - Magst du auch

eine äußere Pflicht so verrichten können, daß du nur mit einem Theile deines Herzens dabei bist, so geht das doch hierbei schlechterdings nicht an. Wenn du auf den Berg der Betrachtung steigst, geht es dir wie dem Geizhals bei dem Goldhaufen, der, als er nehmen konnte, so viel er wollte, bedauerte, daß er nicht mehr fortbringen könnte; so wirst du dort auch von Gott und der himmlischen Herrlichkeit so viel finden, als dein enges Herz nur fassen mag, und nichts, als deine Unfähigkeit, steht dir im Wege, daß du so viel nehmest, als du willst. Da wirst

du dann oft denken: „O, könnte doch mein Geist, könnte meine Sehnsucht mehr davon fassen! Mehr, als an allem andern, liegt es an meiner Untüchtigkeit, daß die Erde mir nicht beinahe schon der Himmel ist.

Gott ist wahrlich

an diesem Orte, und ich wußte es nicht; feurige Wagen stehen um diesen Berg her, aber meine Augen wer­ den gehalten, daß ich sie nicht sehen kann. O welche Liebesworte hat der Heiland gesprochen, welche Liebes­ thaten hat er gethan, aber noch kann mein Herz sie nicht völlig tragen. Der Himmel steht mir offen, aber mein Herz steht nicht offen für den Himmel!" Darum, lieber Leser, weil du denn siehest, daß der Genuß der Gemein­ schaft Gottes in dieser Betrachtung so sehr von der Fähig-

334

feit und Fassung unseres Herzens abhangt, so suche ihn hier, wenn irgendwo mit deinem ganzen Herren. Laß Christum nicht im Stall und in der Krippe liegen, weil sonst kein Raum in deiner Herberge ist. Sprich zu all' deinen weltlichen Sorgen und Gedanken, wie Christus zu seinen Jüngern: „Bleibet hier, bis ich dort hingehe und bete;" oder wie Abraham zu seinen Knechten, da er den Isaak opfern wollte: „Bleibet ihr hier, ich will dort hingehen und anbeten und wieder zu euch kommen." Wie die Priester den König Usia aus dem Tempel stießen, da er räuchern wollte, weil sie den Aussatz an seiner Stirn hervorbrechen sahen: so stoße auch du aus deinem Herzenstempel alle Gedanken, welche das Siegel des gött­ lichen Verbots an ihrer Stirn tragen. 2. Mit dem größten Ernste des Herzens und des Geistes wende dich zu diesem Werke. Mit heiligen Dingen läßt sich nicht spielen. „Gott wird geheiligt an denen, die zu ihm nahen." Diese köstlichen, herzerhebenden geist­ lichen Uebungen sind sehr heilsam, wenn sie auf die rechte Weise angestellt werden; wo aber nicht, können sie höchst gefährlich werden. Darum siehe zu, daß das tiefste Ge­ fühl von Gottes Nähe, und von Seiner unvergleichlichen Majestät und Herrlichkeit dich beseele. Wenn die Königin Esther sich nicht nahen durfte, bis der König ihr seinen Scepter reichte, mit welcher Ehrfurcht mußt du Dem dich nahen, der mit dem Worte seines Mundes die Welten Matth. 26, 36. — 1 Mos. 22, 5.-2 Chron. 26, 20. — 3 Mos. 10, 3.

335 erschaffen hat, der die Erde hält, wie in seiner flachen Hand, der Sonne, Mond und Sternen ihre Bahnen ge­ zeichnet, und zu dem Meere spricht : Bis hieher, und nicht weiter! Du nahest dich Dem, vor dem die Erde erbeben wird und die Teufel zittern, vor dessen Richter­ stuhl du mit allen Menschen bald wirst dargestellt werden, und dein Endurtheil empfangen. O denke darum immer: „Welch ein tiefes Gefühl Seiner Majestät wird mich dann ergreifen! Mein träger Geist muß dann erwachen, mein unehrerbietiges^ Wesen weichen; warum sollte denn nicht jetzt schon ein Gefühl Seiner Erhabenheit durch meine ganze Seele gehen und der Schauer Seiner Majestät mich durchdringen? — Sieh ferner zuj daß du von der Größe des Werkes, das du unternimmst, recht erfüllt seyst, und seine Wichtigkeit und Herrlichkeit erkennest. Käme es darauf an, dein Leben, das man dir absprechen will, vor einem irdischen Richterstuhle zu vertheidigen , so würdest du doch wohl ernsthaft seyn; und doch ist das eine Kleinigkeit gegen das Werk, wovon hier die Rede ist. Stünde dir ein Kampf bevor, wie dem David gegen Goliath, von welchem das Bestehen eines Reiches abhinge; so wäre es, in sich selbst betrachtet, nichts gegen dies. Solltest du zu einem Kampfe gehen wie Jakob mit dem Engel, oder zu einem Anblick, wie die Jünger ihn hatten auf dem Berge der Verklärung, wie ernsthaft, mit welcher Ehrerbietung würdest du dich nahen und schauen! Käme ein Engel vom Himmel zu dir an den Ort deiner stillen Betrachtung: mit welchem Schauer würde dich das er-

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füllen! So bedenke denn, in welcher Fassung der Seele du dem Herrn selbst entgegenkommen, mit welcher heiligen Scheu du täglich feinen Umgang suchen solltest! — Be­ denke, welche herrlichen Folgen dies Werk hat, wenn der Herr es segnet; du trittst dadurch ein in Gottes Gegen­ wart, deine himmlische Verklärung beginnt damit schon auf Erden; du näherst dich dem Leben der Engel, und lernest selig leben und sterben. Da denn das Kleinod so köstlich ist, so sollte deine Zubereitung ihm angemessen seyn. Niemand lebt auf Erden solch ein Leben der Freude und der Seligkeit, als der mit dem Wandel im Himmel ver­ traut ist. Die Freuden aller andern Menschen sind nur Kinderspiel, das Lachen eines Narren, her Gesundheits­ traum eines Kranken. Wer für den Himmel alles ver­ kauft, gewinnt allein, alle andern verlieren. O wie ernst­ haft, wie ehrerbietig sollte daher die Fassung unsrer Seele bei diesem Werke seyn!

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Vierzehnter Abschnitt.

Wodurch die Betrachtung der himmlischen Dinge in uns geweckt, genährt und gefördert werde. Nun habe ich dein Herz gestimmt, lieber Leser, laß denn die Musik selbst beginnen. Bist du hungrig und durstig geworden, komm nun heran zu dem festlichen Mahle und labe deine Seele. Komm, denn es ist alles bereit! Der Himmel und Christus und die über alle Maaßen wichtige Herrlichkeit liegen vor dir. Verachte diese Einladung nicht, fange nicht an, Entschuldigungen zu machen; wer du auch seyst, ein Armer und Kranker in einem Hospital, an Landstraßen und Zäunen, ich habe den Auftrag, dich zu nöthigen, daß du hereinkommest; und selig ist, der das Brod isset im Reiche Gottes! Sieh, wie das Manna um dein Zelt herumliegt; geh nur hinaus, sammle es auf, nimm es mit nach Hause und iß davon. Darum möchte ich dir nur noch einige Anleitun­ gen geben, wie durch Nachdenken, durch Empfindung, Baxter, Nutze der Heiligen.

22

338 durch Selbstgespräch und durch Gebet die Betrachtung der himmlischen Ruhe in dir geweckt, genährt und ge­ stärkt werde.

I. Nachdenken ist »ein mächtiges Werkzeug zur Förderung dieses himmlischen Werkes. Dies muß frei­ willig, nicht gezwungen geschehen. Viele Menschen denken wider Willen nach; so wird Gott die Gottlosen nöthigen, ihre Sünden zu bedenken, wenn er „sie ihnen vor die Augen stellt;" so müssen die Verdammten an die Herr­ lichkeit Christi denken, den sie einst verschmähten, und an die ewigen Freuden, die sie thörichter Weise verscherzt haben. Groß ist die Macht des Nachdenkens, indem es die Empfindungen in Bewegung setzt, und die Dinge tief dem Herzen einprägt. Denn 1. das Nachdenken thut gleichsam die Thür auf zwischen Kopf und Herzen. Nachdem unser Vorstellungs­ vermögen die Eindrücke empfangen und das Gedächtniß sie aufbewahrt, theilt das Nachdenken sie den Empfin­ dungen mit. Wie viel herrlicher würden Kenntnisie und Gelehrsamkeit für den Menschen seyn, wenn der Weg zwischen Kopf und Herzen gebahnt wäre und die Empfin­ dung immer mit der Erkenntniß Hand in Hand ginge! Das ist der beste Gelehrte, der schnell, klar und tief auf­ faßt, und das ist der beste Christ, dem sich alles, was er aufgefaßt hat, tief einprägt, und der am lebendigsten da­ für empfindet; bei dem der Durchzug, nicht sowohl" vom

Ps. 50, 21. 22.

339 Ohr ins Gehirn, als vom Kopf zum Herzen der leich­ teste und ungehindertste ist. 2. Das Nachdenken übergibt der Empfindung die wichtigsten Wahrheiten. Der lieblichste Anblick rührt den nicht, der ihn nicht sieht, die froheste Botschaft den nicht, der sie nicht hört; aber das Nachdenken bietet sie dem Seelenauge und dem Seelenohr dar, als ob sie gegen­ wärtig wären. Ist Christus und die ewige Herrlichkeit nicht ein ergreifender Anblick? Müßten sie nicht Wunder wirken in dem Herzen, wenn es nur deutlich sie erblickte, wenn wir sie nur in ihrem vollen Werthe auffaßten? Das Nachdenken reicht sie uns dar; es ist das Fernglas, wodurch der Mensch von der Erde bis in den Himmel blickt. 3. Das Nachdenken stellt die wichtigsten Dinge uns auf die erschütterndste Weise dar; es eignet sie unserm Herzen an. Wenn ein gläubiger Christ durch Betrachtung sein Herz gen Himmel erheben will, welche ergreifende, herzerschütternde Gedanken von Gott und Christo, von allen göttlichen Eigenschaften, von unserm früheren und unserm gegenwärtigen Zustande, von den Verheißungen, von den irdischen Leiden und Freuden, von dem Himmel und der Hölle stellen sich ihm da vor die Seele! Die Gegenstände treten da vor uns hin, die unsre Freude wecken, nähren und fördern können, und das Nachdenken ist die Hand, welche sie ergreift; es reihet einen mächtigen Beweggrund an den andern, wie eben so viele Stufen, die aufwärts steigen; bis ;all' dein Zagen und Trauern

340 geendet hat, und du siehst, daß du keinen Grund zum Schmerz, viel, sehr, viel aber zur Freude hast. Wirken andrer Leute Gründe mächtig auf uns ein, wiewohl wir nicht gewiß sind, ob sie uns belehren oder betrügen wollen, wie stark müssen nicht unsre eignen Gründe auf uns wir­ ken, da wir doch unsrer eignen Absichten dabei so gewiß sind! Ja, wie müssen nicht Gottes Gründe auf uns wirken, von dem wir wissen, daß er nie lügen oder be­ logen werden kann! Das Nachdenken besteht aber in nichts Anderm, als daß wir Gottes Gründe gleichsam überlesen und sie unserm Herzen vorhalten. Wie der ver­ lorne Sohn viele und mächtige Gründe > sich vorhalten konnte, die ihn in seines Vaters Haus zurücktrieben, so haben auch wir so viele mächtige Gründe unsern Neigungen und Begierden vorzuhalten, die nach der ewigen Heimat h unsers himmlischen Vaters uns ziehen. 4. Durch das geheiligte Nachdenken gibt der heilige Geist unserm Geiste wieder seine ihm gebührende Herr­ schaft; er wird frei von den Banden des Fleisches und der Sinne, und setzt sich auf seinen Herrscherthron im Herzen. Schweigt der Geist, so ist er meist noch ein Knecht; schläft er, so führen die Sinne das Regiment. Aber das Nachdenken weckt ihn auf, bis er, wie Sim son, die sieben Seile von frischem Bast zerreißt, wie eine flächsne Schnur zerreißt, die man ans Feuer hält. Was kann ein Löwe für Kraft beweisen, wenn er schläft? Ein entthronter König, was vermag er mehr, als jeder andere? Aber die Vernunft, welche der heilige Geist

341

erneuert, wenn das Nachdenken über die göttlichen Wahr­ heiten, nicht die Phantasie oder das fleischliche Gefühl sie bewegt, vermag die Himmelsfreuden zu erkennen und sie allem Andern vorzuziehen. Das heilige Nachdenken zeigt alle Dinge des Glaubens uns als unbeschreiblich groß und herrlich; und alle sichtbaren Dinge als unbeschreiblich klein

und niedrig. Menschen, die am wenigsten nachdenken, sind auch die fleischlichsten und sinnlichsten Menschen-

Gegen bessere Erkenntniß zu sündigen, ist sehr leicht und häufig; aber gegen ein vom heiligen Geiste gewirktes nüch­ ternes, tief eingehendes, anhaltendes Nachdenken sündigen die Menschen selten.

5. Das Nachdenken macht den Geist thätig und kräftig. Vorher war er wie ein stehendes Wasser; nun aber wie ein Strom, der alles mit sich fortreißt. Vor­ her war er wie ein Kieselstein, der im Bache lag; nun ist er wie einer von ihnen, den der Glaubensheld David auf seine Schleuder legt, und der dem ungläubigen," lä­ sternden Riesen Goliath die Stirn zerschmettert. Wie Gottlose in ihrer Gottlosigkeit beharren, weil sie ihr Nach­ denken nie in Thätigkeit setzen: so bleiben auch so viele

Gläubige in einem unseligen, trostlosen Zustande, weil sie ihr gläubiges Nachdenken einschlummern lassen, und sich wecken durch die geistliche Betrachtung. Welche Furcht, welchen Schmerz, welche Freude erregen in uns die leersten Traumbilder! Sollte nicht ernstliches, tiefes, geheiligtes Nachdenken noch viel mächtiger wirken? 6. Das Nachdenken muß aber beharren in diesem

nicht

342 heilsamen Werk. Durch ernstliche, beharrliche Erwägung wird das Feuer angeblasen, bis es völlig brennt. Ein paar Schritte gehen macht uns noch nicht warm: aber eine Stunde herumlaufen thut es. Ein plötzlicher, durch unsere Seele hinfahrender Gedanke an den Himmel feuert unsre Herzen noch nicht recht zu geistlicher Wärme an; aber das Nachdenken, wenn es beharrlich ist, kann es. II. Nun lasset uns sehen, wie durch heilige Er­ weckung der Empfindungen dies himmlische Werk in uns gefördert wird. Nicht bloß unsre Urtheilskraft sollen wir in Thätigkeit setzen, sondern unsern Glauben an die himmlischen Verheißungen, die gewisse Ueberzeugung von unserm Antheil daran sollen wir wecken. Glaubten wir wirklich lebendig, daß eine solche Herrlichkeit vorhanden ist, und wir in wenigen Tagen sie sehen sollen, welche Bewegung würde das in uns erregen! Wie gespannt würde unsre Erwartung auf das zukünftige Leben seyn! Welche Liebe, welch Verlangen würde in uns erwachen! Welche Freude würde uns bei der Versicherung unsers Antheils an dieser Herrlichkeit erfüllen! Aber erwarte nie, daß Liebe und Freude sich regen werden, so lange der Glaube kalt und todt da liegt; er muß in allem voran­ gehen. Darum wecke täglich deinen Glauben, stelle dir vor Augen die freie Gnade der göttlichen Verheißungen, Gottes dringende Einladung sie anzunehmen, Christi gnädige, freundliche, herablaffende Gesinnung gegen uns, alle Beweise Seiner unendlichen Liebe und Gnade, Seine Treue und Wahrhaftigkeit, und was du selbst schon von

343 dem Allen erfahren hast; alles dies stelle zusammen, und frage dich, ob sich darin nicht der gnädige Wille des Herrn, uns selig zu machen, offenbart, ob er nicht unsern Un­ glauben aufs tiefste beschämt? Hat der Glaube dann so die Verheißung sich zugeeignet, dann möge unsre Betrach­ tung auch unsre Empfindung wecken, und zwar nament­ lich: Liebe, Sehnsucht, Hoffnung, Zuversicht und Freude. 1. Liebe ist die erste Empfindung, welche die Be­ trachtung der himmlischen Dinge in uns anregt. Hier, christlicher Leser, beginnt das Herzerweckende, Geister­ quickende dieses Werkes der heiligen Betrachtung. Laß den Glauben der Liebe die Herrlichkeiten der ewigen Ruhe vorhalten, und es wird dir zu Muthe seyn, als würdest du auf einmal in eine andre Welt versetzt. Sprich es nur aus, die Liebe kann schon hören; zeichne es nur hin, die Liebe kann sehen. Die fleischliche Liebe dieser Welt ist blind; aber die göttliche Liebe hat ein ungemein helles, scharfes Auge. Laß den Glauben dein Herz ergreifen und es hinführen zu dem Bau deiner ewigen Ruhestatt, den herrlichen Wohnungen in deines Vaters Hause, die Chri­ stus dir bereitet hat, den Zierden und Ehren Seines Reiches; laß den Glauben dein Herz so nahe, als du kannst, vor Gottes Thron hinstellen, und ihn sprechen: „Sieh, das ist der Alte der Tage, der Herr der Heerschaaren, deß Name ist: „Ich werde seyn, der ich seyn werde;" das ist Der, welcher alle Welten durch das Wort 2 Mos. 3, 14.

344 Seines Mundes erschaffen hat, der die Erde in Seiner Hand hält, der die Völker regiert, ohne deffen Willen kein Haar von unserm Haupte fällt; das ist Der, welcher dich je und je geliebt, dich nach Seinem Ebenbilde erschaffen und über die ganze irdische Schöpfung erhoben hat! O sieh, hier ist ein liebenswürdiger Anblick! Hier schütte dein Herz aus in Liebe! Hier kannst du nie zu viel lieben! Das ist der Herr, der dich mit Seinen Gütern gesegnet, der dir einen Tisch bereitet hat im Angesicht deiner Feinde, der dir voll einschenkt! Das ist Er, dem die Engel und Heiligen lobsingen!" So ergieße dein Herz in Lobpreis, weide dich an Gottes Herrlichkeit, bis das heilige Feuer der Liebe in deiner Brust anfängt zu glühen. Und dann führe es weiter zu dem Sohne des lebendigen Gottes, deß Name ist Wunderbar, Rath, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst; zeig ihm den König der Hei­ ligen auf dem Thron der Herrlichkeit, den Ersten und den Letzten, der da ist, der da war und der da kommt; den Lebendigen, der todt war, und siehe, er lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit; der dich mit Gott versöhnt hat durch das Blut seines Kreuzes, der eine Wohnung des Friedens dir bereitet hat in Seinem Friedensreiche, in welchem des Friedens kein Ende ist bis in alle Ewigkeit. Tritt heran, und blicke ihn an! Hörest du Seine Stimme nicht? Er, der den Thomas hieß seine Finger in Seine Wundenmale legen, ruft dir zu: „Tritt her, und sieh deinen Heiland, und sey nicht ungläubig, sondern gläubig! Joh. 20, 27.

345 Friede sey mit dir, fürchte dich nicht. Ich bin es!" Sieh ihn dir recht an; kennst du ihn nicht? Er ist es ja, der dich aus- dem Höllenpfuhl erlöset, der vom Verdammungs­ urtheil dich befreit, der deinen Fluch getragen, und den Segen, um den du dich gebracht hattest, dir wiedergeschenkt und ein ewiges Erbe dir im Himmel erkauft hat. Kennst du ihn noch nicht? Sieh, da sind seine durchgrabenen Hände und Füße, da ist sein von Dornen zerrissenes Haupt, da ist seine durchstochene Seite, an diesen Malen solltest du ihn ewig kennen. Denkst du nicht mehr daran, wie dir zu Muthe war, als er dich in deinem Blute liegend fand, und sich deiner erbarmte, und deine Wun­ den verband, und dich heimtrug und sprach: Du sollst leben! Hast du vergessen, daß er sich hat verwunden lassen, um deine Wunden zu heilen? Und kennst du ihn nicht an dem Haupt, an der Stimme, an den Händen und Füßen, so kannst du ihn an Seinem Herzen erkennen. Sieh, dies unvergleichlich erbarmungsvolle Herz ist deines Heilandes Herz; es kann nur Sein Herz seyn; Liebe und Barmherzigkeit sind seine sichersten Kennzeichen. Da ist Er, der Sein Leben für deines hingab, der noch bei Sei­ nem Vater für dich bittet und dich unablässig vertritt. Hätte Er nicht gelitten, was würdest du haben leiden müssen! Nur Einen Schritt warst du von der Hölle entfernt, da trat Er dazwischen, und fing den Streich auf, der dich hinabgestürzt hätte. Wie, ist hier nicht Zunder für deine Liebe? Kann dein klopfendes Herz hier ruhig bleiben? Suchst du nicht, wie Joseph, einen Ort,

346 um ausweinen zu können? Benetzen deine Thränen nicht dies Buch, was du jetzt liesest? O komm, geh umher, blick um dich, das Feld der Liebe ist weit; es wird dein ewiges Geschäft seyn, zu sehen, zu erstaunen und zu lieben; wie solltest du in der Zeit zu fürchten haben, daß es dem Liebesfeuer in deiner Betrachtung an Nahrung fehlen könnte! Wie oft hat der Herr dich, wie die Ha­ gar, in deinen Thränen gefunden, indem du an deinem Leben, an deinem Seelenheil verzagtest, und hat einen Brunnen des Trostes dir geöffnet, und hat auch deine Augen aufgethan, daß du ihn sähest! Wie oft hat er dich wie Elia klagen hören: „Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele!" — und hat durch seinen Engel unerwartet einen Tisch der Erquickung dir bereitet, und ermuntert und gestärkt auf einen weiten Berufsweg dich gesandt! Wie oft hast du mit Elisa's Diener bei dem Anblick der feindlichen Macht mit ihren Rossen und Wagen gerufen: „O weh, wie wollen wir nun thun?" — und der Herr hat dir die Glaubensaugen aufgethan, und du sähest feurige Rosie und Wagen um dich her, und hörtest das Wort: „Fürchte dich nicht, denn derer sind mehr, die bei dir sind, denn die bei ihnen sind!" Wie oft, wenn du, gleich dem Jona, verzagt, lebensüberdrüssig und mit Seiner Vorsehung unzufrieden da saßest, hat er mild und freundlich zu dir gesprochen: „Meinest du, daß du billig zürnest?" Wie oft hat er dich zum Wachen und Beten ermahnt, Buße und Glauben in dir erweckt, und verließ 1 Mos. 16. — 1 Kön.19. — 2 Kön. 6. — Jon. 4, 4. 9.

347 er dich dann einen Augenblick, und fand dich wieder ein­ geschlafen, hat er dennoch deine große Untreue mit dem Mantel Seiner Liebe bedeckt und freundlich für dich ge­ sprochen: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!" Kann dein Herz kalt bleiben, wenn du daran denkst? Kann es dich halten, wenn du dich an diese endlosen Er­ barmungen erinnerst? So, lieber Leser, stell dir die Liebe Christi vor Augen; so laß diese Strahlen spielen auf dem Eise deines Herzens, bis es schmilzt. Und will es nicht gleich schmelzen, o folge unablässig der ganzen Reihe Sei­ ner Gnadenerweisungen, Seiner freundlichen Fügungen, die aus deinem eignen Leben dir bekannt sind. Mach es mit deinem Herzen, wie Christus es mit Petrus machte, da er dreimal hinter einander ihn fragte: „Hast du mich lieb?" — bis er traurig ward und sagte: „Herr, du weißt alle Dinge; du weißt, daß ich dich lieb habe!" So beschäme, so betrübe dein Herz, bis es erwacht aus sei­ nem Stumpfsinn, bis du in Wahrheit sagen kannst: „Ja ich weiß es, und mein Heiland weiß es auch, daß ich Ihn lieb habe." 2. Die nächste Empfindung, welche die Betrachtung himmlischer Dinge in uns erwecken soll, ist Sehnsucht. Denn was wir betrachten, ist unendliche Liebe und Güte, ist göttliche Erhabenheit und Herrlichkeit; aber wie auf der einen Seite das Wort Gottes und der Glaube uns das Ferne nahe und das Zukünftige gegenwärtig machen, so ist es doch auch noch abwesend, ist noch fern, ist doch nicht ganz unser. Brennt aber die Liebe, dann kann auch

348 die Sehnsucht nicht kalt bleiben. Denke bei dir selbst: „Was habe ich erblickt! Welche unaussprechliche Herrlich­ keit! Welche überirdische Schönheit! O ihr seligen Seelen, die ihr sie schon vollkommen genießet! die ihr tausendmal heller schaut, was ich aus der Ferne und durch dunkle Wolken erblickt habe! Welch ein Abstand ist doch noch zwischen euch und mir! Ich seufze, und ihr singet Loblie­ der; ich beleidige Gott und ihr seyd Seine Freunde; ich bin ein Jammeranblick, wie Hiob, wie Lazarus; ihr aber seyd vollendet und ohne Flecken. Ich bin in der Liebe zur Welt noch verstrickt und verflochten; ihr aber seyd ganz aufgegangen in Gottes Liebe. Ihr kennet nichts von meiner Angst und Sorge; ihr weinet nicht im stillen Kämmerlein, ihr seufzet nicht in verzehrenden, brennenden Schmerzen, denn alle Thränen sind längst abgewischt von euren Augen. O selige, unendlich selige Herzen! Ach, daß ich noch in meinem sündigen Fleische wohnen muß, während meine Freunde und Geschwister schon bei bent Herrn sind! Wie lebe ich doch hier so weit entfernt von dem, was sie sehen und dem, was sie genießen! Welche arme, schwache Gedanken habe ich von Gott! Wie kalt ist meine Liebe zu ihm! Wie wenig habe ich von dem Leben, der Liebe und Freude, die ihr ewiges Element sind! Wie bald entweicht mir auch das Wenige noch, und läßt mich in dickerer Finsterniß! Hie und da fällt ein Funke in mein Herz, und während ich nur darauf blicke, erstirbt er schon, oder mein kaltes Herz erstickt ihn; aber sie sehen in Seinem Lichte das Licht, sie trinken unablässig aus Sei-

349 ner lebendigen Quelle. Hier plagen wir uns einander mit Zank und Streit und Zwietracht; dort ist alles Ein Herz und ein Mund, und täglich singen sie in der schön­ sten Harmonie die Hallelujagesänge des Himmels. O welch ein Festmahl hat da mein Glaube erblickt, und welch einen Hunger empfinde ich danach! O ihr seligen Seelen, ich kann, ich darf euch eure Seligkeit nicht be­ neiden; ich freue mich, daß es meinen Brudern so wohl geht, und sehne mich nach dem Tage, wo ich in eure Gemeinschaft eintreten werde; ich möchte euch nicht ent­ rücken aus eurer Seligkeit, aber gern möchte ich das Glück haben, bei euch zu seyn. O warum muß ich hier noch weilen und weinen und harren! Mein Herr ist schon voran, er hat die Erde verlassen und ist zu seiner Herr­ lichkeit eingegangen; meine Geschwister und Freunde sind in großer Anzahl schon voraü: meine H'eimath, meine Hoffnung, mein alles ist da droben. Da ich noch so weit entfernt bin von meinem Gott, wundre dich nicht, daß es mich quält und ich in Klagen ausbrechen muß; konnte der unwissende Micha so bekümmert seyn und so schreien, weil man ihm seine Götzen genommen hatte; und meine Seele sollte nicht ebenso thun um des lebendigen Gottes willen? Hätte ich keine Hoffnung, in Gottes Ruhe einzu­ gehen, so wollte ich in die Wüste fliehen und in der Wildniß heulen und in fruchtlosen Wünschen mein Leben zubringen; aber da das mir verheißene Land der Ruhe mein ist, da ich dorthin erhoben werden soll, da meine Richt. 18, 23.

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Seele darauf zugeht und es schon fast erreicht hat, so will ich auch lieben und danach verlangen, will immer hinausblicken und mich sehnen, will seufzen: Ach Herr, wie so lange lässest du deine Seele hier weinen, und thust dem, der so lange harret, und bei dir seyn möchte, die Thür nicht aufl" — So, christlicher Leser, laß deine Ge­ danken hinaufsteigen, bis deine Seele mit Sehnsucht er­ füllt ist, bis du mit David rufest: „Gott, du bist mein Gott, frühe wache ich zu dir, es dürstet meine Seele nach dir, mein Fleisch verlanget nach dir in einem trock­ nen und dürren Lande, da kein Wasser ist; denn deine Güte ist besser als Leben." Und wie die Mutter und die Brüder Christi, da sie vor der Menge des Volks nicht zu ihm konnten, eine Botschaft an ihn sandten, und ihm sagen ließen: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wünschen dich zu sehen; so sende auch du eine solche Botschaft an ihn, und er wird dich nicht zu­ rückweisen, sdenn er hat gesagt: „Die Gottes Wort hören und thun, die sind meine Mutter und meine Brüder." 3. Eine andere Empfindung, welche die Betrachtung der himmlischen Dinge sweckt, ist die Hoffnung. Diese hält die Seele aufrecht unter ihren Leiden, haucht ihr Muth ein unter den schwersten Kämpfen, gibt ihr Kraft in den erschütterndsten Prüfungen, belebt ihre Treue, und ist der Bach des Lebens, der alle Räder in Bewegung und Thätigkeit setzt. Wer möchte glauben und nach dem Himmel ringen, Hätte er nicht die Hoffnung, ihn zu erPs. 63, 1. 4. — Lncz 8, 21.

351 ringen? Wer möchte beten, hätte er nicht die Hoffnung, Gott zu überwinden? Erstirbt deine Hoffnung, dann er­ stirbt auch deine Treue, dein Eifer, deine Freude, die Seele deines Lebens. Und ist deine Hoffnung nicht lebendig, schlummert sie, dann ist sie nahe am Ersterben. Darum, christlicher Leser, weckest du durch heilige Betrachtung deine Empfindungen, vergiß die Hoffnung nicht! Sprich zu dei­ nem Herzen: „Warum sollte ich denn nicht eine zuver­ sichtliche und tröstliche Hoffnung haben, da meine Seele in den Händen eines so barmherzigen Heilandes ruht? Und da das Himmelreich von einem so gütigen Gott be­ herrscht wird? Ist er im Geringsten müde, oder ist es ihm leid geworden, mir Gutes zu thun? Hat er je Ge­ fallen gehabt an meinem Tode und Verderben? Hat Er nicht geschworen: „So wahr ich lebe, ich habe kein Ge­ fallen an dem Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre und lebe?" Haben nicht alle seine Führungen mir ein Zeugniß davon abgelegt, wie treu er diesen seinen Eid hält? Erinnerte Er mich nicht an meine Gefahr, als ich noch ganz sorglos war, weil er wollte, ich sollte nicht darin umkommen? 'Stellte Er nicht die ewige Seligkeit mir vor die Augen, als ich noch nicht daran dachte, weil er wollte, ich sollte ihrer dereinst genießen? Wie oft hat er mich zu sich und Seinem Sohne gezogen, und ich bin umgekehrt! Wie hat Sein Geist unablässig mein Herz be­ wegt! Und hätte er wohl Alles dies gethan, wenn es Sein Wille gewesen wäre, ich solle verloren gehen? Hoffe ich denn nicht mit Recht auf etwas, das ein zuverlässiger

352 Mann mir versprochen hat, in 'dessen Gewalt es ganz steht, mir es zu geben? Und sollte ich es nicht hoffen, da ich Gottes Eid dafür habe? Zwar ist es wahr, die Herr­ lichkeit ist unsichtbar, wir haben noch keinen Blick in die Wohnungen der Heiligen gethan; aber ist Gottes Ver­ heißung nicht zuverlässiger, als unser Auge? „Wir sind selig, doch in der Hoffnung; die Hoffnung aber, die man siehet, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man hoffen, das man siehet? So wir aber deß hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld." Mit meiner Hoffnung auf das Fleisch und einen Arm von Fleisch bin ich zu Schanden geworden; aber die Hoffnung auf Gottes Verheißung läßt nicht zu Schanden werden. In meinem größten Leiden will ich sprechen: „Der Herr ist mein Theil, darum will ich auf Ihn hoffen; denn der Herr ist. freundlich dem, der auf ihn harret, und der Seele, die nach ihm fraget. Es ist ein köstlich Ding, geduldig seyn und auf die Hülfe des Herrn hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewiglich, sondern er betrübet wohl, und er­ barmet sich wieder nach seiner großen Güte." Obwohl ich schon mit dem Tode kämpfe, will ich doch noch hoffen, denn „der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost." Freilich, müßte ich selbst der göttlichen Gerechtigkeit genug thun, so würde ich keine Hoffnung haben; aber Christus hat eingeführt eine bessere Hoffnung, durch welche wir zu Gott nahen." Oder hätte ich mit einem schwachen Ge­ schöpfe zu thun, so würde wenig Hoffnung da seyn; denn Röm. 8, 24. 25. — Klagt. 3, 24.ff. -Spr. 14, 32. —Hebr. 7 ,19.

353 wer könnte dann meinen Leib aus dem Grabe wieder auf­ erwecken und mich in das himmlische Leben versetzen? Aber sollte das der Allmacht zu viel seyn, die Himmel und Erde aus Nichts geschaffen hat? Kann dieselbe Macht, die Christum von den Todten auferweckt hat, nicht auch mich auferwecken? die das Haupt verherrlicht hat, nicht auch dessen Glieder verherrlichen? Ja, „durch das Blut seines Bundes kann Gott seine Gefangenen aus der Grube lassen, da kein Wasser darin ist; so kehret euch nun zur Vestung, ihr, die ihr auf Hoffnung gefangen lieget." 4. Zuversicht ist eine andere Empfindung, welche die Betrachtung unsrer ewigen Ruhe in uns erweckt; und Zuversicht führt zum Entschluß, und der Entschluß zur That. Hast du deine Liebe, deine Sehnsucht, deine Hoff­ nung entflammt, dann geh weiter, und sprich zu dir selbst: „Will also Gott wirklich wohnen bei den Menschen­ kindern; darf ich wirklich eine solche Herrlichkeit hoffen? nun so will ich kühn zugreisen! Warum gürte ich nicht die Lenden meines Gemüths? Warum bekämpfe ich nicht meine Feinde auf allen Seiten, und breche durch al­ len Widerstand hindurch? Was sollte mich aufhalten, was mich einschüchtern? Ist Gott für mich, wer könnte wider mich seyn in diesem Werke? Zu dem Werke der Sünde stehen beinahe alle Dinge uns bei, nur Gott und seine Diener sind wider uns; und doch, wie übel gedeiht das Werk in unsern Händen; aber bei meinem Laufe zum Himmelreiche ist beinahe alles gegen mich, aber Gott ist Zach. 9, 11. 12. Baxter, Nutze der Heiligen.

23

354 für mich; und wie herrlich gedeihet dies WerkI Fang» ich es denn an in meiner Kraft, oder in der Kraft des Herrn? Vermag ich nicht Alles durch den, der mich mächtig macht, Christum? Hat ihn je ein Feind überwun­ den? Angelaufen sind viele wider ihn, aber hat Ihn einer bezwungen? Warum malt mir denn also mein Fleisch die Schwierigkeiten der Sache beständig vor? Ist für die Allmgcht irgend etwas zu schwer? Kann Petrus nicht zuversichtlich auf dem Meere wandeln, wenn Christus es ihn thun heißt? Und fängt er an zu sinken, ist es, weil Christus zu schwach ist, oder weil Petrus aus Kleinglau­ ben zweifelt? Verdiene ich nicht in die Hölle geworfen zu werden, wenn menschliche Drohungen Mch dahin scheu­ chen? Verdiene ich nicht vom Himmel ausgeschlossen zu werden, wenn Zungenwaffen mich davon zurücktreiben? Ja wäre es auch Vater oder Mutter oder Mann oder Weib oder mein nächster Freund in der Welt (wenn man Freunde die nennen kann, die unser Verderben suchen), sollte ich nicht alle verlaffen, die mich von Christo scheiden wol­ len? Kann ihre Freundschaft mir Gottes Feindschaft auf­ wiegen? oder meiner Seele in der Qual eine Linderung gewähren? Sollte ich der Menschen Wünschen mich fügen, und sollte mich gegen des Herm Willen verhärten? Mö­ gen sie auch auf den Knieen mich bitten, ich will mich nicht aufhalten, um sie auch nur anzusehen; ich will meine Ohren zuhalten gegen ihren Ruf. Mögen sie schmeicheln oder zürnen, mögen sie ihre Zungen oder ihre Schwerter Phil. 4, 13.

355 gegen mich kehren, ich bin entschlossen, in der Kraft Christi hindurchznbrechen und sie rote Staub und Asche zu ver­ achten; wollen sie mich locken mit ihren Ehren, wäre es auch mit Königreichen, so will ich nicht mehr sie ansehen, als Schmutzhaufen. O du selige Ruhe! du stille Herrlich­ keit! Dich sollte ich für Träume und Schattenbilder ver­ kaufen? Von dir sollte ich mich hinroeglocken oder hinroegschrecken laffen? Ich sollte nicht streiten und kämpfen, nicht wachen und beten, und das bis zum letzten Athem­ zuge, um dich zu erlangen? O dann mußte ich dich nicht kennen und deine Seligkeit!" 5. Und Liebe, Sehnsucht, Hoffnung, Zuversicht, alle wirken zusammen, um unsre Freude zu entzünden. Nach Freude sehnt sich jeder Mensch von Natur, sie ist uns zu unserm Wohlseyn so nothwendig, daß es wohl nicht vieler Ueberredung bedarf, um jemand zu bewegen, ein Freudenleben zu führen. Indem ich schon voraussetze, daß dir die Fleischesfreuden, wie sie es denn sind, als thierisch und vergänglich erscheinen, und du weißt, daß alle deine ewige Freude vom Himmel kommen muß, möchte ich, statt der Ermahnung, dir nur eine Anleitung geben. Leser, bist du bisher auf die rechte Art gefolgt, so erblickest du schon die ewige Ruhe, du glaubest, daß sie dir aufbehalten sey, du bist entzückt von ihrer Herrlichkeit, du sehnst dich nach ihr, du hoffest auf sie, und du bist zuversichtlich entschloffen, alles daran zu setzen, um dies Kleinod zu erlangen. Aber wie? Ist sie denn schon ein Gegenstand der Freude? Wir können uns doch nur 23*

356 über etwas freuen, was wir schon haben, was vor uns liegt; und du wirst sagen: Ach, ich bin noch weit davon ent­ fernt! Aber denke ein wenig tiefer nach. Ist es etwa nichts, ein schriftliches Versprechen von Gott selbst zu haben? Sind unfehlbare untrügliche Verheißungen kein Gegenstand der Freude? Ist es etwa nichts, täglich schon in der freudigen Erwartung zu stehen, daß das Himmel­ reich sich uns austhut? Ist nicht die Gewißheit, nach diesem Leben in die Herrlichkeit einzugehen, ein Grund zu un­ aussprechlicher Freude? Ist es nicht Freude für einen Thronerben, an das zu denken, was er bald besitzen wird, wenn auch jetzt noch zwischen ihm und einem Unterthan wenig Unterschied ist? Haben wir nicht Gebot und Vor­ bild in der heiligen Schrift, daß wir uns freuen sollen in der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit!? — Nun hier, Leser, nimm dein Herz noch einmal, und führe es auf den Gipfel des höchsten Berges; zeige ihm Christi Reich und dessen Herrlichkeit, und sprich zu ihm: „Alles dies will der Herr dir geben, denn du bist vor Ihm niederge­ fallen, hast Ihn angebetet und an Ihn geglaubt. Es ist der Wille deines Vaters, dir dies Reich zu geben. Trach­ test du nach dieser bewundernswürdigen Herrlichkeit über dir? Siehe, sie ist dein Erbtheil. Diese Krone ist dein, diese Freuden sind dein, diese selige Gemeinschaft, dies Friedensreich, alles, alles ist dein; denn du bist Christi, und Christus ist dein; als du dich mit ihm verbandest, da erhieltest du dies alles mit Ihm." So nimm dein Herz mit ins Land der Verheißung; zeig ihm deffen lieb-

357 liche Berge und blühende Thäler; zeig ihm die Reben mit den Weintrauben, die du abgeschnitten hast, und beweise ihm, daß es ein reiches, fruchtbares Land ist, das von Milch und Honig fließt; tritt in die Thore der heiligen Stadt, geh durch die Straßen des neuen Jerusalem, steig auf den Berg Zion und siehe dich um; zähle ihre Thürme, betrachte ihre Wälle, bewundre ihre Paläste, damit du deiner Seele davon wieder erzählen könnest. Wohnt nicht die Herrlichkeit Gottes darin, und ist ihr Picht nicht gleich dem alleredelsten Stein, einem hellen Jaspis, ja heller, als Krystall? Sieh hier die zwölf Grundsteine ihrer Mauern, und darauf geschrieben die Namen der zwölf Apostel des Lammes. Und der Bau ihrer Mauern ist von Jaspis, und die Stadt von lauterm Golde, gleich dem reinen Glase; und die Gründe der Mauern und der Stadt sind geschmückt mit allerlei Edelgesteinen; und die zwölf Thore sind zwölf Perlen, ein jegliches Thor von einer Perle, und die Straßen der Stadt sind lauter Gold, als ein durchscheinend Glas. Und es ist kein Tem­ pel darin, denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, und das Lamm. Und die Stadt bedarf keiner Sonne, noch des Mondes, daß sie ihr scheinen: denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm; und die Heiden, die da selig werden, wandeln in demselben Licht. Diese Worte sind gewiß und wahrhaf­ tig, und Gott, der Herr der Propheten, hat seine En­ gel, ja, er hat seinen eignen Sohn uns gesandt, um

Off. 21, 11. ff.

358 seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muß. Und nun sprich nach diesem allen: „Das ist deine Ruhe, meine Seele! Das ist der Ort deiner ewigen Wohnung. Lastet alle Söhne Zions jauchzen, alle Töchter Jerusalem früh» lich seyn; denn groß ist der Herr und hochberühmt in der Stadt unsres Gottes, auf seinem heiligen Berge- Der Berg Zion ist wie ein schön Zweiglein, deß sich die ganze Erde tröstet; Gott ist in ihren Palästen bekannt, daß Er der Schutz sey." — Doch geh noch weiter. Ein liebendes Herz steigt oft hinauf in das himmlische Jerusalem, und geht durch die Straßen, und besuchet dort die Patriarchen und Propheten, und begrüßet die heiligen Apostel, und staunet über die Heere der Märtyrer; so führe dein Herz von einer Straße zur andern; führe es in den Palast des großen Königs, und darin wie von einem Zimmer ins andre. Sprich zu ihm: „Hier soll ich einmal woh­ nen, hier werde ich leben; hier werde ich lobsingen; hier werde ich ewig lieben und geliebt werden. In diesem himmlischen Chore werde ich bald stehen, und hellere, vol­ lere, harmonischere Töne anstimmen können, als auf Er­ den. In diese selige Gemeinschaft werde auch ich bald aus­ genommen werden; dann wird auch mein Lied in das all­ gemeine Lobgetöne einstimmen. Dann werden meine Thränen abgetrocknet, meine Klagen in Reigen verwan­ delt, mein Lehmhüttlein in diesen Palast verklärt; dann wird mein schmutziger Fleischesrock mir ausgezogen, und ich werde angethan seyn mit solch einem sonnenhellen geist-

Ps. 48, 1 4.

359 . lichen Leibe; denn das Alte wird dann vergangen seyn und alles neu geworden. Herrliche Dinge werden von dir verkündigt, du Stadt Gottes! Stehe ich auf diesem Berge der Herrlichkeit, welch ein Kerkerloch, welch ein Misthaufen scheint mir dann diese Welt! Welch ein Ab­ stand zwischen dem ohnmächtigen, leidenden, seufzenden, sterbenden, im Grabe verwesenden Menschen und einem dieser leuchtenden, triumphirenden Heiligen! Hier werde ich trunken von den reichen Gütern Deines Hauses, und Du tränkest mich mit Wollust, wie mit einem Strom. Sollte Israel unter dem Gesetz schon „dem Herrn dienen mit Freude und Lust seines Herzens, weil es allerlei ge­ nug hatte;" und ich sollte dem Herrn nicht mit Frohlocken dienen, da er mir Zwiefältiges schenkt für alle meine Sünde? Haben die verfolgten Heiligen „den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet:" und ich sollte nicht mit Freuden eine so reiche Erstattung alles besten, was ich je verloren habe, in Empfang nehmen? Sollten die Juden „Tage des 'Wohllebens und der Freude feiern" zum An­ denken an die Zeit, „wo sie zur Ruhe gekommen waren von ihren Feinden, wo ihre Schmerzen in Freude, und ihr Leid in gute Tage verkehret war:" welch ein Tag wird dieser für mich seyn, wo die Veränderung so viel größer, die Ruhe so viel herrlicher ist! Als die Weisen aus dem Morgenlande den Stern sahen, der sie zu dem neugebornen König der Juden führte, wurden sie „hoch Ps. 36, 9.-5 Mos. 28, 47. — Jes. 40, 2. — Hebr. 10, 34. — Esch. 9, 22. — Match. 2, 9. 10.

360 erfreut"; ich aber soll bald Den sehen, der selbst der Helle Morgenstern ist! Wenn die Jünger von Christi Grabe mit großer Freude zurückkehrten, da sie doch bloß gehört hatten, daß ihr Herr von den Todten auferstanden sey: wie groß wird meine Freude seyn, wenn ich Ihn auf dem Throne seiner Herrlichkeit erblicke, und mich selbst zu seliger Gemeinschaft mit Ihm erhoben? Da werde ich wahrlich „Schmuck für Asche, und Freudenöl für Traurig­ keit und schöne Kleider für einen betrübten Geist haben," und „Zion wird zur Pracht ewiglich gemacht seyn und zur Freude für und für." Warum erhebe ich mich denn nicht aus dem Staube und höre auf zu klagen? Warum trete ich nicht unter meine Füße die eiteln Freuden, und labe mich an der Wonne der zukünftigen Herrlichkeit? Warum ist mein Leben nicht eine unablässige Freude, war­ um athme ich nicht unaufhörlich Himmelsluft ein? III. Nun möchte ich noch hinzufügen, wie durch Selbstgespräch und Gebet die Betrachtung der ewi­ gen Ruhe der Heiligen gefördert werden möge. Die Be­ trachtung gleicht einer Predigt, in der selten die bloße Auseinandersetzung der Wahrheiten und der göttlichen Ge­ bote einen solchen Eindruck macht, als die lebendige Ein­ schärfung und Aneignung, derselben, besonders wenn man ernstlich bei diesem Einschärfen um den Beistand des hei­ ligen Geistes bittet. 1. Durch Selbstgespräch, indem du ernstlich die Gegenstände deinem Herzen vorhältst, mußt du dein Herz Off. 22, 16. — Jes. 61, 3. 60, 15.

361 in der Betrachtung erwecken und ermuntern. Beginne einen rüstigen Kampf mit demselben; red' es an mit der beweglichsten, rührendsten Sprache, halt ihm die mächtig­ sten, gewichtigsten Gründe vor. Das haben die Heiligen aller Zeiten so gemacht. So sprach David: „Was be­ trübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde Ihm noch danken, daß Er meines Angesichts Hülfe und mein Gott ist." Und eben so: „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, Seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat: der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen." Solch ein Selbstgespräch ist eine Art Pre­ digt, die man sich selbst hält, und muß den jedesmaligen Empfindungen und Bedürfnissen angepaßt werden. Wie ein guter Hausvater auch ein guter Prediger ist für die Seinigen, so ist jeder gute Christ ein guter Pre­ diger für sich selbst. Alles, was daher ein guter Prediger zu beobachten hat, wenn er Andern prediget, das hat ein Christ zu beobachten, wenn er mit sich selbst redet. Da­ her merke auf, was der Prediger sagt, der am meisten dir zum Segen ist, und auf die Art, wie er es sagt; stell ihn dir als Muster vor Augen, wie er es mit den Her­ zen seiner Zuhörer macht, so mach du es mit deinem Herzen. Leg' dir also selbst die Wahrheiten auseinander, die du betrachten willst; befestige deinen Glauben an sie aus der Schrift, und wende sie dann nach ihrem innern Gewicht und deinem Bedürfniß auf dein Herz an. Deine

362 Unfähigkeit dazu mußt du nicht dagegen anführen. Hat Gott dir nicht geboten, daß du „deinen Kindern Seine Worte einschärfen sollst, und davon reden, wenn du in dei­ nem Hause sitzest oder auf dem Wege gehest, wenn du dich niederlegest oder aufstehest?" Und bist du nicht unfähig, deine Kinder zu unterweisen; so kannst du auch nicht un­ fähig seyn, dich selbst zu unterweisen; solltest du mit Andern von göttlichen Dingen reden können, und mit dir selbst nicht? 2. Ganz vorzüglich wird die Betrachtung unsrer ewi­ gen Ruhe gefördert, indem wir mit Gott reden im Ge­ bet. Von selbst wird manches Stoßgebet schon in unser Selbstgespräch und unsre Betrachtung sich einmischen. Wie oft finden wir, daß David in demselben Psalm erst seine Seele, dann Gott anredet! Nur durch Gebet tritt die Nähe Gottes bei der Betrachtung recht lebendig vor die Seele, und das Gefühl dieser Nähe wirkt aufs stärkste, uns zu beleben und zu erheben. Wie Gott das Höchste ist, was wir denken können, so erhebt Sein Anblick, das Gespräch mit ihm die Seele, wenn wir Seine eignen Worte ihm vorhalten, und entzündet ihre heilige Begierde mehr als irgend etwas in der geistlichen Betrachtung. Wenn Vorhaltungen, die wir an unsere eignen Herzen machen, uns vielleicht ungerührt lassen, so wird gleich die Seele mit ehrfurchtsvollem Schauer erfüllt, wenn wir zu Gott uns wenden; die Heiligkeit und Majestät und die unendliche Herablaffung und Liebenswürdigkeit dessen, 5 Mos. 6, 7.

363 mit dem wir reden, drückt alle Sachen und Worte uns viel tiefer ein. Wir lesen und erwähnten schon früher, daß

Isaak aufs Feld ging, zu sinnen, nachzudenken; das hebräische Worte kann aber auch beten übersetzt werden. So sollen wir immer in unsrer Betrachtung Selbstge­ spräch und Gebet vereinigen. Bald mit uns, bald mit

Gott reden, das ist die höchste Stufe, die wir in diesem himmlischen Werke erreichen können. Das Gebet allein ist nicht so gut, als diese Vereinigung; beides hat seine Zeit, beides bedürfen wir, und schaden uns durch die Unter­ lassung. Wenn wir nur beten, so verlieren wir uns leicht in unbestimmte Gefühle, kommen ab von dem rech­ ten Pfade des göttlichen Wortes, oder reden mit Gott im Gebete ohne die heilige Scheu und Ehrfurcht, die auch bei der innigsten Liebe zu Ihm hienieden uns immer noch er­

füllen soll; wir reden den Worten nach zwar mit Ihm, aber die Gedanken halten sich doch mehr bei den Sachen auf, die wir vor Ihm hersagen. Unterlassen wir aber das Gebet bei der Betrachtung, so wird leicht der nahe Gott uns fern, die natürliche Entfremdung unsres Her­ zens von Ihm gewinnt in uns die Oberhand und statt zu Ihm zu kommen, bleiben wir in unserm eignen Elend stecken. Darum lerne aus dem großen Selbstgesprächs­ und Gebetbuche der Heiligen, dem Psalter, wie du nicht scheiden sollst, was Gott zu deinem eignen Heil aufs in­ nigste verbunden hat.

364

Fünfzehnter Abschnitt.

Wie auch äußere Dinge die Betrachtung der ewigen Rtche anregen sollen, und wie man sich vor der Arglist des Herzens dabei bewahren möge.

Das Schwierigste bei der Betrachtung unsrer ewigen Ruhe ist, wie wir den lebendigen Eindruck der himmlischen Dinge auf unser Herz unterhalten und befördern. Es ist leichter, einen ganzen Tag lang an den Himmel zu den­ ken, als mit lebendiger Herzensempfindung eine Viertel­ stunde lang dabei zu verweilen. Unser Glaube ist noch schwach und unvollkommen; er geht gegen eine Welt von Widerstand an; und da er eine übernatürliche Gabe ist, so ermattet und erlischt er, wenn er nicht immer wieder von oben her geweckt wird. Alle Empfindungen durch die Sinne sind stark, weil das Fleisch uns hienieden das nächste ist; und da sie aus der Natur Herkommen, so dauern sie fort, so lange unsre Natur fortdauert. Was der Glaube erblickt und ergreift, ist uns fern von Natur;

365 was die Sinne sehen und fassen, nahe. Bis zum Him­ mel müssen wir auffteigen, um wahre, ewige Freude zu

Sich freuen über etwas, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört, auf das bloße Wort der Verhei­ ßung hin, ist nicht so leicht, als sich über etwas zu freuen,

schöpfen.

was wir sehen und hören und haben. Es ist daher geist­ liche Klugheit, auch die Sinne sich dienstbar zu machen zur Förderung des Glaubens. Wie schön ist es, wenn wir uns aus diesen Feinden Knechte oder Freunde ma­ chen, wenn wir sie als Werkzeuge brauchen können, die zu Gott uns erheben, während sie ost uns von Ihm ab­

ziehen. Wozu hätte Gott uns unsre Sinne und das Gebiet, was ihnen offen steht, gegeben, wenn nicht auch sie zu seiner Verherrlichung dienen könnten? Warum beschreibt der heilige Geist die Herrlichkeit des neuen Jerusalem in Ausdrücken, die selbst dem Fleische wohlgefallen? Sollten

wir uns wirklich denken, die Stadt bestehe aus Golde, oder ihre Thore aus Perlen? Sollen wir uns vorstellen, daß die Heiligen und Engel dort effen und trinken? Nein, sondern wir sollen Vorstellungen von dem Jenseits uns ma­ chen, die für unsre Fassungskraft angemessen sind, wir sollen diese Dinge auf solche Art „in einem Spiegel, im dunkeln Wort" dargestellt sehen, bis wir sie unmittelbar und vollkommen erblicken. Dieser Abschnitt soll daher zei­ gen, wie auch sinnliche Gegenstände die Betrachtung unsrer ewigen Ruhe fördern können, zugleich aber auch, wie wir uns dabei vor der Arglist unsres Herzens bewahren mögen.

366 I. Um das erste zu zeigen, will ich eine Anleitung dazu geben, wie wir theils aus den sinnlichen Dingen Bilder entnehmen, theils die Gegenstände der Sinne mit den Gegenständen des Glaubens vergleichen sollen. 1. Um deine Empfindungen der geistlichen Betrach­ tung zu beleben, entnimm so lebhafte Bilder als möglich aus den sinnlichen Dingen. Stell eben so kühn dir die jenseitigen Freuden vor, als die heilige Schrift sich dar­ über ausdrückt. Wollen wir von Gott und der Herr­ lichkeit ohne die Schrift uns Vorstellungen machen, so sind wir verloren, und haben nichts Bestimmtes, woran wir unsre Gedanken anknüpfen könnens sie treten uns so fern, daß unsre Gedanken sie nicht mehr erreichen, und wir sprechen: Was über uns ist, ist nicht für uns (quae supra nos nihil ad nos). Wenn wir immer bloß uns sagen, Gott und seine Herrlichkeit übersteige weit unsre Vorstellungen, so wird das unsre Liebe wenig entzün­ den; oder wenn wir uns sagen, sie seyen zu erhaben für unsre Liebe, so wird das unsre Freude noch weniger entzünden. Rücke dir daher Christum nicht ferner aus den Augen, als er sich selbst hingestellt hat, sonst wird Gott uns wieder der unnahbare, der unbekannte, der sich doch in Christo uns nah und bekannt hat machen wollen. Wenn du dir Christum vorstellst, so denke ihn dir in der verklärten Menschen-Natur; wenn du die verklärten Heiligen dir vorstellst, denke sie dir als vollendete Menschen. Stell dich neben Johannes, als er das neue Jerusalem über1 Cor. 13, 12.

367 schaute, und sieh mit ihm die Thronen und die Majestät und die himmlischen Heerschaaren und den leuchtenden Glanz. Denke dir, du hättest mit ihm in das himmlische Königreich dich hinaufgeschwungen, und dort alle Heiligen in weißen Kleidern und mit Palmen in den Händen er­ blickt, und das Lied Mosis und des Lammes gehört. Hät­ test du alles dies wirklich gesehen und gehört, in welch Entzücken würde es dich versetzt haben! Je mehr du aber dich hineinversetzest, desto mehr wird dein Herz sich hin­ aufschwingen. Male dir nach der biblischen Beschreibung das lebendigste Bild vor die Seele, bis du sagen kannst: „Mir ist, als sähe ich einen Strahl jener Herrlichkeit! Mir ist, als hörte ich die Jubel- und Loblieder, als stände ich neben Abraham und David, Petrus und Pau­ lus, und den andern triumphirenden Heiligen! Mir ist, als sähe ich den Sohn Gottes auf den Wolken erscheinen und alle Völker versammelt vor seinen Nichterstuhl, um ihr Urtheil von Ihm zu empfangen; als hörte ich sagen: „„Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters,"" als sähe ich sie frohlockend in die Freude ihres Herrn einge­ hen. Oft haben ähnliche Träume mich stark bewegt, wie sollten nicht diese Bilder aus dem Worte Gottes mich noch stärker bewegen? Wie dann, wenn ich mit Paulus jene unaussprechlichen Dinge gehört hätte? Wenn ich mit Stephanus hätte den Himmel offen und Jesum zur Rechten Gottes stehen sehen? Solch ein Gesicht wog doch wohl einen Steinhagel auf! Wie, wenn ich mit Micha 2 Cor. 12, 4. - Matth. 25, 34. — Apg. 7, 55.

368 den Herrn hätte auf seinem Stuhl sitzen sehen und alles stehen zu seiner Rechten und Linken? jene heiligen Männer Gottes; und ich werde bald viel mehr sehen, als sie je auf Erden sahen, bis sie von ihrem Fleische entkleidet wurden, wie ich auch davon werde entkleidet werden." So können wir unsre Empfindung beleben, wenn wir Bilder entnehmen von den sinnlichen Dingen, wie der heilige Geist in seiner sich zu uns herablassenden Sprache sie daraus entnommen hat.

himmlische Heer

Solches sahen

2. Und so sollen wir auch die Gegenstände der Sinne mit den Gegenständen des Glaubens zusammen­

halten. Zum Beispiel: du kannst starke Schlüffe ziehen aus der sündlichen Freude fleischlich gesinnter Menschen auf die himmlischen Freuden. „Ist es solch eine Freude für einen Sünder, ohne Gott zu leben, und sollte es keine Freude seyn, in Seiner Gemeinschaft zu stehen? Hat der Trunkenbold eine solche Freude an seinen berauschenden Getränken, daß keine Furcht vor der Verdammniß im Stande ist, ihn von seinem Laster abzuziehen; hat der Hurer an seiner Unkeuschheit eine solche Freude, daß er lieber Gesundheit, Ehre und das ewige Leben daran gibt, als seinen viehischen Lüsten zu entsagen; ist der Weg zur

Hölle so reizend, o

wie unendlich reizender müssen die Freuden der Heiligen im Himmel seyn? Hat der Hab­ süchtige eine solche Freude an seinem Gut und Gelde, und der Ehrgeizige an seinen Aemtern und Titeln, welche Freude werden erst die Heiligen an ihren Himmelsschätzen 1 Kön. 22, 19.

369 und Himmelsehrenstellen haben, wo sie über alle Fürstenthümer und Obrigkeiten werden erhöhet und als verklärte Braut ewig mit Christo verbunden werden? Wie können die Genußsüchtigen doch ihren Vergnügungen vom Morgen bis Abend nachjagen, und oft Tag und Nacht bei Kartenund Würfelspiel sitzen! Was wird das aber erst für ein Genuß seyn, wenn wir das Angesicht des lebendigen Got­ tes schauen, und Ihm und dem Lamme Loblieder singen werden in alle Ewigkeit!" — Aber vergleiche auch die jenseitigen Freuden mit dem rechtmäßigen, geordneten Sinnengenuß. Denke bei dir selbst: „Wie süß schmeckt mir die Speise, wenn ich hungrig bin; o wie süß wird mir mein Heiland seyn, das lebendige Brod; wie köstlich wird es seyn, wenn ich mit Ihm in Seinem Reiche zu Tische sitzen werde! Schien dem Es au in seinem Hunger ein Linsengericht etwas so Köstliches, daß er seine Erstge­ burt dafür hingab, wie unbeschreiblich theuer wird mir die Himmelsspeise seyn! Welche Labung für einen Müden und Durstigen ein Trunk ist, läßt sich gar nicht beschrei­ ben, Simson's Kraft wachte dadurch wieder auf: — o wie wird es meiner Seele thun, wenn ich von dem le­ bendigen Waffer trinke, das allen Durst auf ewig stillt! Ist hienieden schon eine Musik dem Ohr ein herrlicher Ge­ nuß: welche Wonne wird es seyn, die Lobgesänge der himmlischen Heerschaaren zu hören." — Halte ferner die jenseitigen Freuden gegen das Vergnügen, was wir an der natürlichen Erkenntniß und Wiffenschast finden. Diese schon gewährt viel höhere Freuden als die Sinnenlust, um Barter, Nuhe der Heiligen.

24

370 wie viel höher werden nun erst die Himmelsfreuden seyn! Konnte Archimedes sich so vertiefen in eine mathema­ tische Forschung, daß selbst der ihm drohende Tod ihn nicht davon abbringen konnte, und sollten die Himmelsfreuden mich nicht noch weit mehr hinnehmen? Sollte ich nicht am liebsten sterben, wenn sie frisch mir vor der Seele stehen, zumal ich durch den Tod ihrer nicht beraubt werde, wie Archimedes, sondern in ihren vollen Genuß erst ein» trete! Welch ein Vergnügen ist es, den verborgenen Na­ turgesetzen nachzuforschen, und die Geheimnisse der Künste und Wiffenschaften zu entdecken; aber welche Freude wird es seyn, Gott selbst und Christum von Angesicht zu schauen, und täglich mehr von den Vollkommenheiten des herrlich­ sten Wesens zu lernen! Ist die menschliche Weisheit so herrlich, daß die fleischlichen Wollüste dagegen abscheulich und viehisch erscheinen; wie herrlich muß nun erst das Schauen in die verborgenen Tiefen der Gottheit seyn! Wenn wir auf ein vorzügliches Buch treffen, lesen wir nicht oft Tag und Nacht darin, und vergessen gern Effen, Trinken und Schlafen darüber? Was für Freude wird nun erst zur Rechten Gottes seyn, wo wir in einem Au­ genblick mehr lernen, als unser ganzes irdisches Leben uns bieten kann! — Vergleiche ferner die Herrlichkeiten des Himmels mit den schönen Werken der irdischen Schöpfung, die dich umgeben. Welche Weisheit, Macht und Güte offenbaren sich darin? Wie leuchtet die Majestät des Schöpfers aus diesem Weltgebäude hervor! Groß sind die Werke des Herrn; wer sie betrachtet, hat eitel Lust daran.

371 Welche Kunst offenbart sich in dem Bau des Leibes der

Menschen und der Thiere! Welche Schönheit in jeder Blume und Pflanze! Welche Mannichfaltigkeit, welcher Reichthum in Früchten, Gräsern, Moosen, Steinen! Mit welchen Wundern ist die Erde angefüllt! Wenn denn diese Dinge, die doch bloß zum Dienste des sündigen Menschen bestimmt sind, solche geheimnißvolle Kostbarkeiten enthalten,

was wird da erst seyn, wo Gott selbst wohnt, und wo

alles für die vollendeten Gerechten von Ihm bereitet ist! Welch eine Herrlichkeit hat auch der kleinste der Sterne und der Mond! Welchen unaussprechlichen Glanz die Sonne! Alles dies ist aber nichts gegen die himmlische Herrlichkeit. Da werden wir unsrer irdischen Sonne leicht entbehren, sie ist Finsterniß gegen das Licht im Hause unsres Vaters; da werden wir selbst leuchten wie die Sonne. Diese ganze Erde ist nur Gottes Fußschemel; unser Donner ist nichts gegen Seine furchtbare Stimme; unser Wind ist nichts gegen den Hauch Seines Mundes. Wenn der Regen, den er Bösen und Guten sendet, und

die Sonne, die er scheinen läßt über Gerechte und Unge­ rechte, so wohlthun, um wie viel wunderbarer und herr­ licher wird die Sonne seyn, die für niemanden scheint, als für Heilige und Engel! — Halte ferner die Freuden dort oben zusammen mit den Wundern der göttlichen Vor­

sehung in der Welt und der Kirche des Herrn. Muß das nicht ein mächtiger Anblick gewesen seyn, als der Engel des Herrn, der vor dem Heere der Israeliten zog, sich

2 Mos. 14.

372 hinter sie stellte, und nun ein Ostwind ins Meer blies, und die Wasser sich von einander thaten, und die Fluchen wie Mauern standen zur rechten und zur linken Hand, und Israel trocken hindurchzog; und nun der Wind wie­ der blies, und Pharao mit seinen Wagen und seiner Macht ins Meer sank? Oder als Moses mit dem Stabe an den Fels schlug, und Wasser daraus hervorging? Oder als das Manna und die Wachteln vom Himmel ka­ men? Oder als Korah, Dathan und Abiram von der Erde verschlungen wurden? Aber wir werden viel größere Dinge sehen, als diese; nicht allein wunderbarere, sondern weit seligere Dinge werden wir erblicken. In die Wun­ der, die wir sehen werden, wird kein Blutvergießen, kein Zorngericht sich mischen; wir werden nicht rufen mit den Männern von Bethsemes: „Wer kann stehen vor dem Herrn, solchem heiligen Gott!" — Wie wunderbar war es, die Sonne am Mittage still stehen, den Schatten am Sonnenzeiger - des Ahas zehn Linien zurückgehen zu sehen! Aber dort werden wir sehen ohne Sonne, der Herr wird selbst unser ewiges Licht seyn. Was würde das seyn, wenn auf unser Gebet es regnete oder dürr bliebe; wenn wir Feuer könnten vom Himmel fallen lassen auf die Feinde des Herrn, wie Elia that, oder Todte auferwe­ cken, wie Elisa; oder wunderbar alle Kranken heilen, und mit andern Zungen reden, wie die Apostel! Und doch, alles dies ist nichts gegen die Wunderkräfte, die wir bei '

2 Mos. 17, 6.-2 Mos. 16. — 1 Sam. 6, 20. — Jos. 10,13 — Jes. 38, 8. — Jes. 60, 19.

373 Gott sehen und haben werden; und alle, alle diese Wunder werden Wunder der segnenden Liebe seyn; ja an uns selbst werden die allergrößten Liebeswunder geschehen. Jona ward nych drei Tagen aus des Fisches Bauch errettet, wir aber werden nach langjähriger Verwesung aus dem Staube auferweckt, und dieser Staub wird verklärt werden, daß er leuchtet wie 'die Sonne, und diese Herrlichkeit wird dauern durch alle Ewigkeit. Gewißlich, beobachten wir nur den gewöhnlichen Gang der Vorsehung, den Lauf der Sonne und der-Gestirne, die Ebbe und Fluth des Meeres, den Umschwung der Erde, ihre Bewässerung durch den Regen, die Bewahrung der Ordnung in einer Welt voll Verwirrung, mit so vielem Andern, so ist alles bewun­ dernswürdig. Was ist doch dies aber gegen das verklärte Zion unsres Gottes, gegen den Anblick der göttlichen Maje­ stät und der himmlischen Heerschaaren! — Und dann, denke auch an die besonderen Wunder der göttlichen Vor­ sehung , die du in deinem Leben erfahren hast, und ver­ gleiche sie mit dem, was du droben empfangen wirst. Ueberblicke die Gnadenerweisungen Gottes in deiner Kindheit, deiner Jugend und deinen reiferen Jahren, in deinen Freuden und Leiden, deinem Umgang und deinen Ver­ hältnissen: sind sie nicht höchst erhaben und unendlich mannichfaltig, sind sie nicht unzählig und unbeschreiblich an­ ziehend? Was war dir das für eine süße Freude, als Gott dir deine Zweifel auflös'te; als er deine Furcht dir benahm; als er dem Unglück zuvorkam, in welches deine eignen Anschläge dich gestürzt haben würden; als er deine

374 Leiden linderte, deine Wunden heilte und dich oft, wie aus dem Tode und Grabe, wieder aufrichtete! So denke denn: „Ach, wie süß und köstlich war das alles, wie wäre doch ohne das mein Leben eine Kette von Elend, gewesen Hat nun Seine Vorsehung so freundlich auf Erden für mich gesorgt und Seine Freundlichkeit mich so erhoben und gestärkt: wie süß wird mir Seine volle Gegenwart, Seine unmittelbare Nähe seyn! Wie hoch werde ich durch die Gemeinschaft mit Seiner Majestät erhoben werden! Wenn auf meiner Pilgrimschaft und während meiner Ritterschaft mir solche Gnade zufließt, was werde ich in meiner Heimath finden, und wenn meine Ritterschaft ein Ende hat und der Sieg gewonnen ist! Wenn Gott sich zu solcher Gemeinschaft mit mir herabläßt, da ich noch ein Sünder bin, wie wird er sich gegen mich stellen, wenn ich ein vollendeter Heiliger seyn werde? Hatte ich in weiter Ferne so viel von Ihm, was werde ich in Seiner unmittelbaren Nähe haben, wenn ich vor Seinem Throne stehen werde? Vergleiche ferner die Freuden des Himmels mit de­ nen, welche du aus Gottes Gnadenanstalten auf Erden empfangen hast. Ist die Bibel dir nicht oft wie ein offe­ ner Brunnquell gewesen, der dich Tag und Nacht mit Trost überströmte? Was für Verheißungen traten daraus vor deine Seele, daß du mit David sagen konntest: „Das ist mein Trost in meinem Elende: Dein Wort er­ quicket mich!" So denke denn: „War Sein Wort für mich hier" schon so trostreich, welch überströmender Freu­ ds. 119, 50.

375 denquell wird dort Gott selbst mir seyn! Sind Seine Briefe und Boten mir schon so erfreulich, welche Herr­ lichkeit werde ich an Ihm selbst erblicken! Ist die Verhei­ ßung so süß, wie wird es nun erst die Erfüllung seyn! Ist das Testament unsres Herrn, ist der Freibrief für die Unterthanen seines Reiches etwas so Herrliches, was wird der Besitz des Reiches selbst sein!" — „Wie habe ich mich so oft gestärkt und erbaut, wenn ich Gottes Wort ver­ kündigen hörte! Wie hat mich oft das Wort eines leben­ digen, feurigen, ernsten Predigers durchbohrt uud er­ quickt! Mich dünkte, ich sey schon im Himmel. Wie oft bin ich traurig in die Kirche gegangen, und froh wieder heimgekehrt! Wie oft begab ich mich in Zweifeln hin, und kam überzeugt von der Liebe und Gnade Gottes in Christo zurück! Was habe ich da für Kraft gefunden gegen die Sünde! Leuchtete Mosis Antlitz schon so gewaltig, wie leuchtend muß Gottes Antlitz erst seyn! Sind die Füße der Boten, die da Friede verkiindigen und Gutes predi­ gen, so lieblich: wie lieblich sind dann die Füße des Frie­ densfürsten selbst! Ist dieser Schatz in irdischen Gefäßen schon so kostbar, welch ein Schatz wird uns erst im Him­ mel aufbehalten seyn! Selig sind die Augen, die sehen, was dort zu sehen ist, und hören, was dort vernommen wird! Dort werde ich Elia, Jesaia, Jeremia, Jo­ hannes, Petrus und Paulus hören; ich werde sie nicht Widersprechern und Lästerern predigen hören, nicht unter Verfolgung, Schmach und Hohn, sondern froh­ lockend im Danke gegen Den, der sie zu Ruhm und Ehre

376 erhoben hat." — „Welch eine Wonne ist es, Zutritt zu Gott zu haben im Gebet, daß ich so mit allem, was mich drückt, zu Ihm gehen, alles Ihm vorlegen, mein Herz Ihm ausschütten kann, wie meinem treusten Freunde! Aber noch höher wird die Wonne seyn, wenn ich ohne zu bitten mit Segen überschüttet und aus allem Elend erlöst seyn werde, und Gott selbst mein Theil und Erbe ist." — „Welch eine Gnade ist es, an dem heil. Abendmahl Theil zu nehmen! Aber das Leben und der Trost, den ich dabei empfange, ist nur das Unterpfand des Trostes, den ich jenseits empfangen soll. Was ist für ein Unterschied zwischen Christi letztem Abendmahl auf Erden und dem Hochzeitmahle des Lammes an jenem Tage! Da wird unser Speisesaal der Himmel', die Gäste werden die Engel und die Heiligen seyn, und kein Judas unter ihnen, und mit ihnen sitzen auch die Geringsten unter den Gläubigen zu Tische, und ihr Festmahl ist lauter Liebe und Freude." — „Welche Freude ist in der Gemeinschaft mit erfahrenen, himmlisch gesinnten Christen! David sagt, er habe „all sein Gefallen an ihnen." O was werde ich nun aber für eine selige Gemeinschaft im Himmel haben! Hätte ich Hiob nur auf dem Aschenhausen gesehen, diesen Spiegel der Geduld! Was wird es aber seyn, wenn ich ihn in der Vollendung sehe! Hätte ich Paulus und Silas im Gefängniß, mit den Füßen im Stock, singen hören! Aber noch schöner werden ihre Lobgesänge im Himmel tönen. Wie erfreue ich mich hier an Davids PsalPs. 16, 3. - Hiob 2, 8. — Apg. 16, 24. 25.

377

men! Aber noch weit herrlicher wird dieser liebliche Sän­ ger jenseits singen. Hätte ich nur Eine Stunde mit Pau­ lus reden können, da er eben in den dritten Himmel entzückt gewesen war! Aber was er damals sah, werde ich selbst bald schauen und haben. Wäre ich doch bei den Hirten damals gewesen, welche die himmlischen Heerschaaren fingen hörten: „Ehre sey Gott in der Höhe, und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!" Aber bald werde ich noch herrlichere Dinge sehen und hören. Wenn „die Morgensterne Gott lobten, und mit einander jauchzten alle Kinder- Gottes, da Er die Erde gründete;" welch ein Wonnegesang wird erschallen, wenn der neue Himmel und die neue Erde nicht bloß gegründet, sondern auch verklärt sind, wenn „das neue Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabfährt, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne!" Vergleiche ferner die Freude im Himmel mit der Freude, welche die Heiligen auf dem Wege dorthin hatten in dem Vorschmack des Himmels. Wann offenbarte Gott je? das Geringste von sich, ohne daß Freude in den Her­ zen derer entstand, welchen Er sich kund gab? In wel­ cher Entzückung war Petrus auf dem Berge der Ver­ klärung! „Meister," sagte er, „hier ist gut seyn, laß uns drei Hütten machen, dir eine, und Most eine, und Eliä eine." Als wollte er sagen: „O laß uns nicht wieder 2 Cor. 12, 1. ff. - Luc. 2,14. — Hiob 38, 7. — Off. 21, 1. 2. — Matth. 17, 4.

378 hinabsteigen zu dem

blinden, verstockten Volk, laß uns

nicht in die Niedrigkeit und das Leiden hinuntersinken; ist es denn hier nicht schöner? Ist hier nicht bessere Gesell­ schaft und süßere Freude?" Wie fühlte Paulus sich er­ hoben durch das, was er erblickt hatte! Wie glänzte Mosis Angesicht, da er mit Gott geredet hatte! Alles dies war ein Vorschmack, aber gering gegen den vollen, be­ seligenden Anblick. Wie oft haben wir von sterbenden Gläubigen gehört und gelesen, die so voll Freude waren, als ihre Herzen nur fassen konnten; und wenn ihre Leiber

herbe Schmerzen und Pein empfanden, erhob sich ihr Geist in den Himmel, und überhob weit allen Erdenjam­

mer! Ist nun ein Funke jener Flamme schon so hellleuchtend, wie wird jenes ewige Licht es selbst seyn! Welche Freude haben die Märtyrer in den Flammen empfunden! Sie waren Fleisch und Blut wie wir; es muß daher et­

was sehr Hohes und Köstliches gewesen seyn, was ihre Herzen so mit Wonne erfüllte, während ihre Leiber ver­ brannten. Das muß doch ein wunderbarer Vorschmack der zukünftigen Herrlichkeit seyn, welcher selbst die Flam­ men kühl, selbst den König der Schrecken lieblich machen kann. Wie wird nun aber die Herrlichkeit selbst seyn? Welche selige Ruhe, wenn der Gedanke daran den Pau­ lus wünschen machte, abzuscheiden und bei Christo zu

seyn, und den Heiligen auf Erden nicht wohl werden läßt, bis sie todt sind! — War Christus, da er für die Sünder litt und starb, schon so herrlich, wie wird erst Christus zur Rechten des Vaters seyn! Wenn die Gemeine

379 Gottes, noch mit Sünde befleckt und unter ihren Feinden, eine solche Schönheit hat, wie wird sie aussehen am Tage der Hochzeit des Lammes! Welche wunderbare Herrlichkeit hatte der Sohn Gottes in Knechtsgestalt! Als er geboren ward, mußte ein Stern erscheinen, und Weise aus dem Morgenlande leiten, daß sie ihn anbeteten; die himm­ lischen Heerschaaren mußten mit ihren Lobliedern seine Geburt besingen; als Kind schon wunderten sich die Lehrer im Tempel seines Verstandes und seiner Antworten; als er sein Lehramt angetreten hatte, verwandelte er Wasser in Wein, speiste Tausende mit wenig Broden und Fi­ schen, reinigte die Aussätzigen, machte die Kranken ge­ sund, heilte die Lahmen, gab den Blinden das Gesicht und weckte die Todten auf; wie wundervoll wird nun aber erst seine himmlische Herrlichkeit seyn! Wenn sie Zweige von den Bäumen hieben, und die Kleider auf dem Wege ausbreiteten und Hosianna riefen einem, der zu Jerusalem auf einem Esel seinen Einzug hielt; wie wird cs erst seyn, wenn er mit seinen heiligen Engeln in sei­ ner Herrlichkeit kommt! Wenn die, welche ihn das Evan­ gelium von dem Reiche Gottes predigen hörten, gestan­ den: „Es hat nie ein Mensch geredet, wie dieser Mensch!" — so werden gewiß die, welche ihn in seiner Herrlichkeit erblicken, sagen: Es hat nie eine Herrlichkeit gege­ ben, wie Seine Herrlichkeit! Wenn seine Feinde, da sie kamen ihn zu greifen, auf sein bloßes Wort: „Ich bin's!" zurückwichen und zu Boden fielen; wenn bei seiJoh. 18, 5.

380 nem Tode die Erde bebte und der Vorhang im Tempel in zwei Stücke zerriß, und die Leiber der Heiligen auf­ standen aus der Erde, und die dabei standen, ausriefen: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!" — o was wird das für ein Tag seyn, wenn alle Todten auferstehen und vor Ihn sich stellen müssen, wenn Er noch einmal kommt, nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel zu erschüttern, wenn die Sonne an unserm Himmel, überstrahlt von Seiner Glorie, in Finsterniß verkehrt wird, wenn alle Zungen bekennen, daß Er König und Herr ist! Mußten bei Seiner Auferstehung der Tod und das Grab ihre Beute fahren lassen; kam ein Engel herab und wälzte den Stein von des Grabes Thür, und warf die Wächter zu Boden, daß sie hinfielen als wären sie Todte; und erhob Er sich dann vor ihren Augen gen Himmel, — welche Macht und Herrlichkeit muß Er jetzt erst haben, und werden wir dereinst bei Ihm haben! Wenn nach Seiner Himmelfahrt einige arme Fischer und Zeltmacher die Kranken, Lahmen und Blinden heilen, die Thüren ihrer Gefängnisse aufthun, die Todten erwecken und ihre Widersacher beschämen: was wird das für eine Welt seyn, wo ein Jeder größere Werke thun kann, als diese! Wenn ihre Predigt von solchen Wundern begleitet war, daß das Verborgne der Herzen sich aufthat, die stolzen Sünder gedemüthigt und die Verstockten erweicht wurden; wenn sie Menschen bewegen konnten, ihre Bü­ cher zu verbrennen, ihre Aecker und Güter zu verkaufen, Matth. 27, 54. — Apg. 19, 19. 4, 34

381 und das Geld dafür zu der Prediger Füßen zu legen; wenn sie Tausende bekehren, und die ganze Welt rundum wenden konnten; wenn die Worte in dem Munde dieser Angeklagten die Richter beben machten; wenn Christus und Seine Gläubigen eine solche Herrlichkeit haben in den Tagen ihrer Niedrigkeit, in der Zeit ihrer Schmach und ihres Leidens: welche Herrlichkeit werden sie haben, wenn sie herrschen und zur höchsten Ehre in dem Reiche Gottes erhoben sind! Vergleiche die 'große Veränderung, welche bei deiner Verklärung mit dir vorgehen wird, mit der Umwandlung, die der heilige Geist schon hier an deinem Herzen gewirkt hat. Auch die kleinste Gnadenerfahrung in deinem Herzen können die Schätze von Indien nicht aufwiegen; jedes Herzensverlangen, jeder Seufzer nach Christo ist mehr werth, als die Reichthümer der ganzen Welt. Ein er­ neuertes Herz ist Gottes Ebenbild, Christus wohnt darin, und es ist der Tempel des heiligen Geistes; es ist ein Strahl von Gottes Angesicht selbst. Ist nun dies Sa­ menkörnlein so köstlich, wie herrlich wird nun erst der Baum des Lebens im Paradiese seyn! Ist dieser Lebens­ funke, der gegen unser inwohnendes Verderben kämpft, und ein wenig Verlangen und Seufzen emporsprüht, von so hohem Werthe: wie herrlich wird erst das Licht und Leben selbst seyn! Ist die Sehnsucht nach dem Himmel so köstlich, wie herrlich wird erst der Himmel selbst seyn! Wie selig fühlt sich ein Christ, wenn sein Herz anfängt zu schmelzen, wenn es von seinen ungläubigen und lieb-

382 losen Gedanken losgekettet wird! Wie hat da selbst die göttliche Traurigkeit schon Freude in sich! O wie wird aber dann erst uns seyn, wenn wir erkennen, lieben, lo­ ben und preisen werden ohne Unterlaß, ohne Störung! Was war das für eine Veränderung, als ich aus dem Zustande, in welchem ich geboren war, in welchem der eitle Wandel nach väterlicher Weise mich noch mehr be­ festigt hatte, in welchem lausend Sünden mich drückten und verfolgten, in welchem ich ewig verloren gegangen wäre, durch Gottes Gnade befreit wurde! Welche erstaun­ liche Umwandlung, die Rechtfertigung von allen diesen Sünden zu erlangen, befreit zu werden von allen diesen Plagen und zu einem Himmelserben erhoben zu werden! Wie oft schon, wenn ich an meine Wiedergeburt dachte, habe ich ausgerufen: O du seliger Tag! Gepriesen sey der Herr, daß ich ihn erblickt habe! Wie werde ich aber nun erst im Himmel ausrufen: O du selige Ewigkeit! Geprie­ sen sey der Herr, der mich dahin gebracht hat! Die Gnade in dem Herzen ist hier wie ein Funke, der unter der Asche glüht, den das Fleisch verdeckt vor den Augen der Welt, den mein Verderben oft selbst vor meinen eig­ nen Augen verbirgt; aber vor meiner ewigen Herrlichkeit werden nicht solche Wolken gelagert seyn, da wird mein Licht nicht unter dem Scheffel, sondern auf dem Leuchter stehn, wird leuchten auf Zion, dem Berge Gottes. Hat sich Gott nicht oft auf außerordentliche Weise meiner Seele offenbart, und ein Fünkchen seiner Klarheit ist in mein Herz gefallen? Sprach ich dann nicht ost: O wäre es

383 doch immer so! Riefest du nie mit jenem Märtyrer nach langem, traurigem Harren: „Er ist dal Er ist dal" Fühl­ test du nicht oft während einer lebendigen Predigt, die vom Himmel zu dir redete, oder in deiner einsamen Be­ trachtung über die Seligkeit, deinen ermatteten Geist wie neu belebt, dein zu Boden sinkendes He^ wieder sein Haupt erheben, und die Himmelssonne wieder in deinem Herzen aufgehen? Da denke dann: „Was ist dies Angeld gegen den vollen Schatz der Erbschaft! All dieser Glanz, der mich blendet und entzückt, ist nur ein Fünkchen Him­ melslicht, um mich durch die finstre Welt dorthin zu lei­ ten. Wenn einige Gläubige hienieden so von Freude übernommen wurden, daß sie ausriefen: Halt ein, Herr, laß ab, mehr kann ich nicht tragen: wie werden erst die Himmelsfreuden seyn, die meine Seele dann völlig tra­ gen kann, weil sie fähig wird Gott zu schauen und zu genießen, weil sie das Licht, und wäre es zehntausendmal heller als die Sonne, ewig anschauen kann!" Oder hast du von einem solchen süßen Vorschmack noch nichts erfahren idenn es ist wahr, alle Gläubigen erfahren ihn nicht), so denke an alle Freuden, die Gott dir geschenkt hat, damit du danach auf die Herrlichkeit schließen mögest, welche du künftig kennen lernen wirst. II. Nun will ich ferner noch zeigen, wie wir uns in der Betrachtung bewahren mögen vor der Arglist unsres Herzen. Das Wichtigste ist hier für uns, die Gefahr deutlich zu sehen, das wird uns dann auch mit der besten Hülfe dawider bekannt machen. Unser

384 Herz wird das größte Hinderniß dabei seyn, entweder durch den Widerwillen dagegen, oder durch ein Zuleicht-nehmen der

Sache,

oder durch häufiges

Ab­

schweifen auf andere Gegenstände, oder durch schnelles Abbrechen, ehe wir recht angefangen haben. So lieb dir nun der Trost und die Kraft ist, welche du aus die­ sem Werke schöpfest, desto treuer mußt du diese Gefahren

zu meiden suchen. 1. Du wirst mehr Widerwillen gegen dies Werk in deinem Herzen finden, als gegen irgend eine Beschäf­ tigung in der ganzen Welt. O was wird es für Ent­ schuldigungen vorzubringen wissen, was für Aufschub, und Verzögerung in den Weg legen, wenn es zuletzt ent­ schlossen scheint! Zuerst wird es die Pflicht selbst in Zwei­ fel ziehen; oder wenn es dieselbe auch für andre aner­

nicht. Es wird dir sagen: „Das ist die Sache der Prediger, die nichts andres zu thun haben, als mit der Bibel sich zu beschäftigen; oder solcher Leute, die mehr Muße haben, als du." Bist du aber selbst ein Prediger, so wird es dir sagen: „Das ist die Sache der Laien, es ist genug, daß du darüber nach­ denkst, wie du sie erbauen mögest; laß sie dann weiter nachdenken über das, was sie gehört haben." Als ob du bloß das Essen ihnen zu bereiten und aufzutragen hättest, kennt, doch grade für dich

sie allein aber dürfen es genießen und davon leben! Will

alles dies nicht ausreichen, so wird dein Herz dir andre Geschäfte hervorholen, auf irgend eine andre Pflichterfüllung dich Hinweisen; denn jede andre ist ihm lieber

385 als diese. Es wird dir sagen: „Dies und das geht vor; da du nun nicht zwei Dinge zugleich thun kannst, so mußt du jenes lassen und dies jetzt vornehmen. Meine Amtsgeschäfte sind wichtiger; (z. B. bei einem Prediger) für die Predigt, sich vorbereiten und durch das verkündigte Wort Seelen erretten, muß solchen Privatsachen vor­ gehen." Als ob du keine Zeit hättest, für dein eignes Seelenheil zu sorgen, weil du zu viel um Andre dich be­ kümmern mußt! AIs ob deine Liebesthätigkeit für das Wohl Andrer so dringend zu sorgen hätte, daß du dar­ über dein ewiges Wohl versäumen müßtest! Als ob es einen bessern Weg gäbe, uns Andern nützlich zu machen, als wenn wir mit unsrer Lehre an uns selbst die Probe machten! Gewiß, der Himmel hat das beste Feuer, an welchem wir unser Licht anzünden können; er ist das beste Buch, das ein Prediger studiren mag; wären alle dahin zu bringen, daß sie das mehr studirten, dann würde die Kirche mehr Himmelslicht haben; je himmlischer unsre Studien, desto himmlischer würden unsre Herzen, desto himmlischer unsre Predigten seyn. Und wenn dein Herz auch gegen die Sache keine weiteren Einwendungen zu machen hat, wird es die Zeit in eitlem Aufschub hinbrin­ gen, und immer von einer Stunde oder von einem Tage, einer Woche auf die andere es aussetzen. Oder es wird sich dir gradezu widersetzen, und gradezu seinen bösen Entschluß allen Gründen entgegenstellen. Alles dies sage ich von dem Herzen, sofern es noch fleischlich ist, denn ich weiß wohl, daß, insofern es erneuert und geistlich geBarter, Ruhe der Heiligen.

25

386 sinnt ist, dies Geschäft ihm das süßeste in der Welt ist. — Was ist nun zu thun? Willst du es aber auch thun,

wenn ich es dir sage? — Würdest du in einem ähnlichen Falle nicht denken: „Was soll ich mit einem Knechte an­ sangen, der nicht arbeiten will? mit einem Pferde, das nicht ziehen will? Soll ich sie behalten und pflegen?"

Darum gehe denn gerade und aufrichtig mit deinem Her­ zen um ; rede ihm zu, strafe es für seine Widerspenstig­ keit, thue ihm Gewalt an. Wie? hast du keine Herr­ schaft über deine eignen Gedanken? Kannst du denn nicht den Gegenstand dir wählen, über den du nachdenken willst? Ja, Gott hat dir mit Seinem Geiste auch die Herrschaft über deine Gedanken wiedergegeben. Bist du denn noch ein Knecht deines Fleisches? Brauche doch die Gewalt, die Gott dir verliehen hat; rufe Christi Geist zu Hülfe, der dich bei einem so heilsamen Werke nie im Stich lassen wird. Sprich zu Ihm: „Herr, du gabst durch deine große Gnade mir die Herrschaft wieder über meine Gedanken und Begierden; die Macht über sie hatte ich ursprünglich von dir empfangen, und da ich sie durch die Sünde verloren hatte, hast du sie mir wieder verliehen. Nun siehe, sie weigern sich, dieser deiner Gewalt zu ge­ horchen. Du gebotest mir, nach dem, was droben ist, zu

trachten und darüber nachzudenken, sie aber widerstreben diesem Gebot, und kündigen mir den Gehorsam auf. Willst du denn der Gewalt nicht beistehen, die du selbst mir verliehen hast? O komm herab in mein Herz, daß

ich deine Gebote

ihm einschärfen und es deinem Willen

387 unterthänig machen kann!" So wirst du sehen, daß dein Herz sich unterwirft, sein Widerstand überwunden, und

seine Abneigung in herzliche Mitwirkung verwandelt wer­ den wird.

2. Dein Herz wird ferner geneigt seyn, es sehr leicht damit zu nehmen, wenn du auch wirklich an

die Betrachtung gehst.

Hast du einmal eine Stunde dazu,

so wird die Zeit hin seyn, ehe du noch recht ernst ge­ stimmt bist. Diese Beschäftigung mit göttlichen Dingen, als beschäftigten wir uns nicht damit, schadet eben so sehr, als die gänzliche Unterlassung. Da laß dein Auge denn immer auf dein Herz gerichtet stehen. Sieh nicht immer so sehr auf die Zeit, die dabei vergeht, als auf das, was darin geschieht. An seiner Arbeit kannst du sehen, ob dein Knecht dir getreu gewesen ist. Frag dich daher: „Ist mein Herz in dieser Zeit auch wirklich recht bei der Sache

gewesen? Bin ich dem Himmel näher gekommen?" — Denke nicht etwa: Mein Herz nimmt es jetzt zu leicht, darum will ich es lieber ganz seyn lassen; denn so wirst du sicherlich bald allen geistlichen Gehorsam aufgeben; auch das beste Herz ist nur zum Theil erst geheiligt, und wi­ dersteht, sofern es fleischlich gesinnt ist. Sondern bedenke vielmehr, wie verderbt deine Natur ist, und daß ihre sündliche Abneigung dich des Gehorsams gegen Gottes Gebote nicht überhebt; daß man nicht eine Sünde mit

der andern entschuldigen kann, und daß Gott uns Gna­ denmittel darbietet, um unser Herz zu Ihm zu erheben. Die ernstliche Vorhaltung des göttlichen Gebotes und Sei25*

388 ner Verheißung, das ernstliche Nachdenken über uns selbst

in dieser Betrachtung unsrer ewigen Ruhe ist grade das herrlichste Mittel, um die Liebe zu entzünden und zu näh­

ren. Darum laß dich durchdringet, als bis du dich Werk, bis deine dich das Weitere

nicht nach, bis du fühlst, daß die Liebe wie du vom Feuer nicht eher weggehest, erwärmt fühlst; sondern bleib bei dem Liebe hervorbricht, und dann wird sie schon lehren.

3. Dein Herz wird ferner von der Betrachtung himmlischer Dinge gern abschweifen auf andere Ge­ genstände. Wie ein nachlässiger Knecht wird es von der Arbeit sich abkehren, und auf alles sich richten, was vor­ übergeht. Sollte anfangs auch wirklich kein andrer Ge­ danke in dir seyn, als an den Himmel, so wird es bald seine eignen Empfindungen betrachten, dann die Dinge, die dich umgeben, und zuletzt jeden Baum und jeden Vo­ gel, den du siehest. Hierher gehört dasselbe Heilmittel:

Sey wachsam und thue deinem Herzen Gewalt an. Sprich zu ihm: „Wie? habe ich jetzt mich hieher begeben, um über meine weltlichen Angelegenheiten, über die neuesten Ereignisse meines Lebens, über eiteln Tand nachzudenken? Kannst du denn nicht Eine Stunde mit Christo wachen? Wolltest du wirklich die Welt verlasien, um in Ewigkeit bei Christo zu seyn, hier aber magst du nicht Eine Stunde mit Ihm in der Betrachtung zubringen? Ist das eine aufrichtige Liebe gegen deinen Freund? Liebst du Chri­

stum und deine ewige Ruhe nicht mehr?" Wenn die gie­ rigen Vögel der umherschweifenden Gedanken die heiligen

389 Samenkörner himmlischer Betrachtung gleich rauben, so

verzehren sie das Leben und die Freude deines Herzens; darum treib sie weg von deinem Acker, und halte dein Herz zu der Arbeit. 4. Schnelles Abbrechen, wenn du die Betrachtung

schon angefangen hast, ist eine andre Weise der Verfüh­ rung des argen Herzens. Das kannst du leicht schon bei

andern Gott wohlgefälligen Werken wahrnehmen. Bei dem stillen Gebet im Kämmerlein, treibt dein Herz dich da nicht oft, es kurz zu machen, dringt es nicht oft in dich, zu schließen? So wird auch bei der Betrachtung der ewigen Ruhe dein Herz bald der Sache überdrüssig werden, und deinen Schritt von dort ablenken, ehe du

dich noch recht an deni himmlischen Feuer erwärmt hast. Aber im Namen Gottes gebiete ihm, da zu bleiben, und nicht

ein so großes Werk halb fertig stehen zu lassen.

Sprich zu ihm: „Du thörichtes Herz! Wenn du nur ein wenig bettelst, und fortgehest, ehe du ein Almosen hast, ist nicht dann all' dein Betteln vergebens gewesen? Bleibst du liegen, ehe deine Reise vollendet ist, was hilft dir dann alle bisherige Mühe? Du kamst hieher, um einen Blick in die ewige Ruhe zu bekommen, die du ererben sollst; und du willst ablassen, noch ehe du auf dem Gipfel des Berges angekommen bist, und umkehren, ehe

du dich hast umsehen können? Du kamst hieher, Gott zu reden, und willst weggehen, ehe er sich offenbaren können? Du kamst hieher, um in dem des göttlichen Trostes dich zu baden; schon hast

um mit

dir hat Strome du dich

390 entkleidet von deinen irdischen Gedanken, und willst dich nun damit begnügen, daß du am Ufer gestanden hast, und wieder umkehren? Du kamst, um das gelobte Land auszukundschaften; o geh nicht weg, bevor du eine Traube dir abgeschnitten hast, die du deinen Brüdern zu ihrer Stärkung zeigen könnest! Zeig ihnen an der Himmels­

freude in deinem Innern, daß du wirklich von dem Him­ melswein gekostet hast; zeig ihnen an deinem frischen, glänzenden Angesicht, daß du mit Freudenöl gesalbt wor­ den bist; zeig ihnen in der stillen, sanften, demüthigen Faffung deiner Seele, und der süßen Liebe deines Wan­ dels, daß du Milch und Honig genossen hast in dem Lande, das von Milch und Honig fließt." So würde das himmlische Feuer dein erstarrtes Herz schmelzen, beleben

und vergeistlichen; aber es muß Zeit haben, dich zu durch­ glühen. Darum setze das Werk fort, bis du etwas von dem Herrn empfangen hast, bis seine Gnadengaben in dir wie aufgewacht sind, bis deine Empfindung belebt und deine Seele erfrischt worden ist durch die Himmelsfreu­

den; oder kannst du dies alles nicht auf einmal erreichen, so behalte es, aber redlich und treu, einer andern Zeit

vor. Selig ist der Knecht, wenn der Herr kommt, findet ihn also thun.

und

391

Sechszehnter Abschnitt.

Beispiel einer Betrachtung der himmlischm Dinge, und Schluß des Werkes. „Die ewige Ruhe der HeiligenI" Was ist das für ein süßer Ton! Es ist Musik für mein Ohr! Es ist ein Labetrunk für mein durstiges Herz! Ein Lebensgeist geht aus diesem Wort, der durch alle Pulse meiner Seele dringt! Ewige Ruhe — nicht wie der Stein auf der Erde ruht, nicht wie dies.Fleisch einst im Grabe ruht, nicht wie die sinnliche Behaglichkeit, welche die Welt sich wünscht. O selige Ruhe, wo wir Tag und Nacht keine Ruhe haben, und singen: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige. Wo wir von der Sünde ruhen, aber nicht von der Anbetung; wo wir von Leid und Schmerz ruhen, aber nicht von Freude! O seliger Tag, wo ich eingehen werde in Gottes Ruhe, wo ich an der Brust meines Heilandes ruhen, wo ich ruhen werde in Seiner Erkenntniß, Liebe, Freude und Lobgesang; wo

392 meine verklärte Menschennatur nach Leib und Seele voll­ kommen den vollkommenen Gott genießen wird; wo Gott, der die Liebe selbst ist, ruhen wird in Seiner Liebe zu mir, wie ich ruhen werde in der Liebe zu Ihm, wo Er über mich in vollkommner Freude frohlocken wird, und ich in vollkommner Freude Ihm lobsingen werde in Ewigkeit! Wie nah ist doch dieser selige, freudenreiche Tag! Er kommt Schritt für Schritt, und unaufhaltsam. Ueber eine kleine Weile wird kommen, der da kommen soll, und nicht verziehen Obwohl mein Heiland Seine Wieder­ kunft zu verziehen scheint, so ist es doch nur über ein Kleines, und er wird wieder da seyn. Wie kurze Zeit dünken uns selbst hundert Jahre, wenn sie vorüber sind! Wie gewißlich wird dann Sein Zeichen am Himmel er­ scheinen! Wie plötzlich wird Seine Wiederkunft die sichere Welt ergreifen, wie ein Blitz kommt vom Aufgang und scheinet bis zum Niedergang! Er wird wiederkommen, wie er gen Himmel gefahren ist. Mir ist, als hörte ich schon Seine Posaune erschallen! als sähe ich ihn-kommen in den Wolken des Himmels, umringt von Seinen heiligen En­ geln, Majestät und Herrlichkeit! O ihr sicheren Sünder, was wollt ihr nun an­ fangen? Wohin wollt ihr euch verbergen? Berge und Hügel sind dahin; die Erde und der Himmel, die früher da waren, sind vergangen; das verzehrende Feuer hat alles vernichtet, außer euch selbst, die ihr nun ewig bren­ nen müsset. O ihr möchtet wohl auch so schnell verzehrt

393 werden, als die Erde; so zerschmelzen, wie der Himmel; aber diese Wünsche sind vergebens. Das Lamm Gottes wollte euer Freund und euer Schutz seyn; es bot euch Seine Liebe und Sein sanftes Joch an, und hätte nun euch erlöst; ihr aber wolltet nicht, und nun ist es zu spät! Rufet nun nicht: Herr, Herr! Es ist zu spät, Mensch, zu spät! Wonach siehest du dich um? Meinest du, daß dich jemand erlösen könnte? Wonach rennest und läufst du? Meinest du, daß dich etwas verbergen könnte? O du Unglücklicher, in dies Elend hast du dich selbst gestürzt! Aber selig ihr Heiligen, die ihr geglaubt und ge­ horcht habt! Hier habt ihr das Ende des Glaubens und der Geduld; hier habt ihr, warum ihr betetet, worauf ihr harretet. Bereuet ihr jetzt eure Leiden und Trübsale, eure Selbstverleugnung und euren Gehorsam? Sind euch die Thränen der Reue jetzt bitter oder süß? Sehet, wie der Richter der Welt lächelnd euch anblickt! Da ist lauter Liebe in seinen Mienen! Die Namen Heiland, Freund, Bräutigam stehen auf Seinem lieblichen, leuchtenden Antlitz geschrieben. Hört, Er ruft euch! Er heißt euch zu Seiner rechten Hand hintreten! Fürchtet euch nicht, sehet, dort stellt Er ja schon Seine Schafe. Und nun höret, was Er spricht: „Kommt her, ihr Gesegneten mei­ nes Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!" Jetzt ergreift er euch bei der Hand; die Thür thut sich auf; das Reich ist Sein, und darum ist es auch euer; dort ist euer Platz, vor Seinem Thron; Matth. 25, 34.

394 sehet, da empfängt euch der Vater als Seines Sohnes Braut; sehet, da heißt er euch willkommen in der Herr­ lichkeit! Möget ihr noch so unwürdig seyn, ihr müsset nun gekrönet werden; so wollte es die freie, erbarmende Gnade, das war der Rathschluß der ewigen Liebe. Ge­ segnet seyst du mir, ewige Liebe! O wie flammt meine Liebe und Freude empor, ihr entgegen — doch meine Sprache versagt, ich kann es nicht fassen! Dies ist die Freude, die uns durch Schmerz, dies die Krone, die durch das Kreuz uns erworben wurde. Mein Heiland weinte, damit er hier die Thränen aus meinen Augen abtrocknen könnte; mein Heiland blutete, damit diese Freude und Wonne mich überströmte; mein Heiland war verlassen, damit ich nie verlassen seyn möchte, mein Hei­ land starb, damit ich nun ewig lebe. O freie Gnade und Barmherzigkeit, die einen so elenden Wurm so hoch er­ heben kann! Frei gegen mich, doch theuer von Christo er­ worben ! Freie Gnade, die mich erwählte, während Tau­ sende verloren gingen! Die mit mir in Einem Hause wohnten, an Einem Geschäfte arbeiteten, wurden ver­ lassen, und ich elender Sünder angenommen! Hier lebe ich nun mit allen Heiligen. Willkommen ihr alle meine Brüder und Schwestern in Christo, willkommen ihr, mit denen ich betete, mit denen ich weinte und litt, mit denen ich oft von diesem seligen Ort, von der ewigen Ruhe der Heiligen sprach! Ja, ich sehe, das Grab hat euch nicht halten können; dieselbe Liebe, die mich erlöste, hat auch euch gefunden, erlöst und selig gemacht.

395 Hier ist es nicht, wie in unsern früheren Erdhütt­ chen, unsern Gefängnisien auf der Erde. Diese Freuden­ töne klingen nicht, wie unsre alten Klagen und Seufzer; diese melodischen Lobgesänge nicht, wie der Spott und Schimpf, die Lästerungen und Flüche, die wir auf Erden hörten. Dieser Leib sieht unserm irdischen, diese Seele unsrer früheren, dieses Leben -em Leben auf der alten Welt nicht ähnlich. Ort und Stand, Kleid und Herz, Blick und Wort und Umgebung, alles ist anders. Da­ mals waren die Gläubigen schwach und sündig und ver­ achtet; so trotzig und so verzagt, daß wir kaum der Gnade in ihnen gewahr werden konnten; aber wie herr­ lich sind sie nun als vollendete Heiligel Wo ist nun der Leib der Sünde, der ihnen und allen, die sie umgaben, eine Last war? Wo sind nun ihre Streitigkeiten über Meinungen, ihre gehässigen Beinamen, ihre zertheilten Gemüther, ihre heftigen Leidenschaften, ihre fremden Ge­ sichter und lieblosen Urtheile gegen einander? Nun sind wir alle Einer Meinung, nun haben wir alle Einen Na­ men, Ein Herz, Ein Haus, Eine Herrlichkeit. O du süße Aussöhnung! O du selige Einigkeit! Nun schänden wir das Evangelium nicht mehr durch unsre Verkehrtheit; nun jammern wir nicht mehr über die Zerstörung und Zerstreuung der Gemeine Gottes, nun weinen wir nicht mehr über die Leiden unsrer Freunde, oder an ihrem Todbette, an ihrem Grabe. Nun werden wir nicht mehr vom Satan, von der Welt und vom Fleische versucht. Nun sind alle deine Uebel und Krankheiten geheilt; nun

396 wird dein Leib nicht mehr schwach und müde; dein Kopf sticht, dein jgerg. brennt dich nicht mehr; kein Hunger und kein Durst, keine Mühe und kein Schlaf stört dich. Welche mächtige Verwandlung! Welche wunderbare Er­ höhung vom Misthaufen auf den Thron; von verfolgen­ den Feinden unter die Lobgesänge der Heiligen; von ei­ nem siechen Körper zu einem geistlichen Leibe, der leuchtet wie die Sonne; von dem drückenden Gefühl des göttlichen Mißfallens zu Seiner vollkommnen Gemeinschaft tin der Liebe; von allen ängstigenden Zweifeln zu diesem Besitz, der uns aus allen Zweifeln reißt; von aller Furcht vor der Hölle zu diesem Freudenleben! O selige Verwandlung! So fahr denn auf ewig hin, Sünde und Leiden! Fahr hin, du steinernes, stolzes, ungläubiges Herz ; fahr hin, du fleischliches, weltlich gesinntes Herz; willkommen du neue, geistliche, heilige Natur! Fahr hin, Buße, Glaube und Hoffnung; willkommen Liebe, Freude und Lobgesang! Nun werde ich ernten, ohne Pflügen und Säen; nun werde ich mich freuen, ohne Predigt und Verheißung; alles, alles strömt mir zu von Gottes Angesicht. Wie mannichfaltig und reich auch die Elemente dieses Stro­ mes sind, doch ist nichts darin, als lautere Seligkeit. Hier wird mein Gesicht nicht zusammenschrumpfen, hier wird mein Haar nicht grau werden; denn dies Verwes­ liche wird anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterb­ liche die Unsterblichkeit, und der Tod wird in den Sieg verschlungen seyn. O Tod, wo ist nun dein Stachel? O Hölle, wo ist nun dein Sieg? Die Zeit meiner Be-

397

leihung läuft nun nicht mehr zu Ende, kein Gedanke an Tod oder Verlust verkümmert meine Freude. Wenn Millionen von Jahren abgelaufen sind, dann fängt meine Seligkeit rote von Neuem an; und roenn abermals Mil­ lionen dahin sind, ist sie ihrem Ende nicht näher gekom­ men. Jeder Tag ist ganz Mittag, jeder Monat ein Ern­ temond, jedes Jahr ein Jubeljahr, jedes Alter trägt Blüthen und reife Früchte. O selige Ewigkeit, Freude meiner Freuden, Vollendung meiner Vollendung! Du träges, irdisch gesinntes Herz, rote kaltsinnig denkst du an diesen Tag der Erlösung! Möchtest du denn immer in deinem Staub und Kothe sitzen, statt in Got­ tes Palast zu wohnen? Denkst du so gern an deine ir­ dischen Geschäfte, an deine Vergnügungen, deine Lüste und Begierden, deine lustigen Gesellschafter? Ist es hier denn wirklich bester als bei Gott? Bist du in beflerer Ge­ meinschaft? Hast du schönere Freuden? Komm fort; ent­ schuldige dich nicht, säume nicht, Gott gebietet es dir, und ich gebiete es dir; gürte deine Lenden, steig auf den Berg, blicke um dich mit Glauben und Verlangen. Sieh nicht zurück nach der Wüste, es sey denn, um diese Ein­ öde, da es heulet, mit dem Reiche der Herrlichkeit zu ver­ gleichen, um den Unterschied desto besser zu empfinden. Dort ist die Herrlichkeit deines Vaters, dorthin, meine Seele, mußt du ziehen, wenn du diesen Leib verlässest; und hat ihn die Macht des Herrn wieder auferweckt, und mit dir vereinigt, dann sollst du dort ewig bei Gott leben. Dort ist das neue Jerusalem, dort sind die Per-

398 lenthore, dort sind die Straßen von lauterem, durchschei­ nendem Golde. Dort bedarfft du dieser Sonne nicht mehr, du selbst wirst leuchten, wie diese Sonne, und Gott selbst wird deine Sonne, Christus dein ewiges Licht seyn, und in Seinem Lichte wirst du das Licht sehen. O meine Seele, bist du etwa in Gefahr, die Ver­ heißung zu versäumen durch Unglauben? Fast will es mir so scheinen. Glaubtest du wirklich daran, du würdest le­ bendiger davon ergriffen seyn? Ist sie dir nicht von Got­ tes Hand, mit Seinem Siegel und Eide, überliefert? Kann Gott lügen? Kann die Wahrheit selbst täuschen? Wozu brauchte Gott dir zu schmeicheln? Wozu mehr dir zu versprechen, als er erfüllen will? O lästere den all­ mächtigen, treuen Gott nicht so. Wie viele Seiner Ver­ heißungen hat er schon an dir erfüllt bei deiner Bekeh­ rung! Sollte Gott ein täuschendes Wort mit einem so mächtigen Zeugniß des Geistes begleiten? O du arges ungläubiges Herz! Hat Gott dir eine Verheißung, einzu­ gehen in Seine Ruhe, gegeben, und du willst dahinten bleiben? Deine Augen, deine Ohren und alle deine Sinne können dich viel eher betrügen, als Gottes Verheißung. Was in Seinem Worte geschrieben steht, deffen kannst du gereifter seyn, als sähest du es mit deinen Augen, oder als griffest du es mit deinen Händen. Bist du gewiß, daß du lebst, und dies die Erde ist, auf der du stehest, oder dies die Sonne, welche deine Augen sehen? So ge­ wiß ist auch diese Herrlichkeit den Heiligen aufbewahrt, so gewiß wirst du über jene Sterne erhoben werden, und

399 ewig leben in der heiligen Stadt, und ewig Loblieder sin­

gen deinem Heilande; wenn dich nicht ausschließt eben dies arge, ungläubige Herz, das da abtritt von dem le­ bendigen Gott. Und ist diese Ruhe so süß und so gewiß: was denkt sich denn die sichere Welt? Weiß sie denn wohl, was sie versäumt? Hörte sie je davon, oder schläft sie, oder ist sie todt? Weiß sie gewiß, daß Gott am Ziele die Krone ihnen bestimmt hat, und sitzt da und treibt Kinderpossen? Un­ möglich können diese Menschen recht bei sich selbst seyn, da sie an alles denken, was neben dem Wege liegt, und dabei der Ewigkeit zueilen, wo ihre Seligkeit auf dem Spiele steht. Hätten sie noch einen Funken von Ver­ nunft, sie würden doch ihr "Geld nicht hinzählen, wo kein

Brod ist, und ihre Arbeit für etwas, da sie nicht satt von werden können; sie würden den Himmel nicht für nichtiges Spielwerk hingeben. Ihr armen Menschen, fühl­

tet ihr doch, was ihr so aufs Spiel setzet, wie verächtlich würde euch diese jämmerliche Lockspeise vorkommen! Ge­ priesen in Ewigkeit sey die Liebe, die aus solcher schauer­ lichen, bezaubernden Finsterniß mich errettet hat. Doch komm noch näher heran, meine Seele,

mit deiner feurigsten Liebe. Hier ist ein Gegenstand für sie, hier ist etwas wahrhaft Liebenswürdiges! Sieh, welch eine Schönheit hier vor dir steht! Vereinigt sich hier nicht alles, was die Welt schön nennt? Ist nicht jedes andre Schöne dagegen häßlich? Braucht man hier dich noch zur Liebe zu ermahnen? Hier ist ein Festmahl für deine Au-

•400 gen und alle deine Seelenkräste;

bedarf es vieler Ein­

ladungen, daß du dich dazu hinsetzest und genießest? Kannst du dich in ein wenig glänzende Erde, in einen wandelnden Erdenkloß verlieben, und diesen Gott, diesen

Heiland, diese Herrlichkeit nicht lieben, die so wahrhaft, so unermeßlich - liebenswürdig sind? Kannst du deine Freunde lieben, weil sie dich lieben, und Christum nicht, der dich doch unendlich mehr liebt? Wenn sie für dich weinen

und bluten, so werden dadurch deine Thränen und dein Blut nicht gestillt; aber die Thränen und das Blut mei­ nes Heilandes können jeden Schaden heilen. O meine Seele, wenn Liebe Liebe entzündet, welch eine unbe­ greifliche Liebe steht hier vor,dir I Ströme alle Gegenliebe aus, deren du fähig bist, und alles wird viel zu gering seyn. O daß es mehr, viel tausendmal mehr wäre! Er muß deinen ersten Dienst haben, der zuerst kam, um dir zu dienen. Er muß die Erstlinge haben, und die Kraft und Blüthe deines Lebens, der Kraft und Leben aus Liebe für dich dahin gegeben hat! — O meine Seele, zieht die Vollkommenheit dich an? Sieh, dort ist das Land des Lichts, hier ist Finsterniß. Die blinkenden Sterne dort oben, der scheinende Mond, die strahlende Sonne sind alles nur Lämpchen, die an der äußern Mauer deines Vaterhauses hangen, um dir durch die finstre Welt zu leuchten; ach, miß nach ihnen nicht die Herrlichkeit drin­ nen!.— O meine Seele, zieht es dich nach einer Stil­ lung deiner Bedürfnisse? Wer könnte sie besser stillen, wer könnte besser sich zu dir schicken, als der

401 Heiland! Seine Gottheit und seine Menschheit, seine unendliche Größe und tiefe Herablassung, seine unermeß­ liche Fülle und seine immer bereitstehende, mittheilende Erbarmung, seine Willigkeit und seine Beständigkeit, alles das zeigt dir, daß es keinen Andern gibt, der so sehr deine Bedürfnisse stillen kann. Was schickt sich besser zum Elend, als die Barmherzigkeit? Was besser zu deiner Sünde und Befleckung, als die alles vertilgende und erneuernde Gnade? Was besser zu deinem rastlosen Ver­ langen, als der Himmel? Kann diese Welt es stillen? Hast du sie nicht schon aus Erfahrung kennen gelernt? — Oder suchst du einen innig vertrauten Herzensfreund? Deine Augen haben zwar den Heiland nicht gesehen; aber du hast Seine Stimme gehört, die Unterpfänder Seiner Liebe empfangen, und an Seiner Brust gelegen; Er lehrte dich dein eignes Herz und Sich selbst erkennen; Er that dir dies erste Fenster auf, durch das du in den Himmel blicktest. Hast du es vergessen, wie dein Herz so sicher schlief, und Er es aufweckte?, wie es so hart war, und Er es so weich machte? wie es so widerspenstig war und Er es sich unterwarf? wie es falschem Frieden sich hingab, und Er ihn störte? wie Er es brach und wieder heilte? Hast du vergessen, wie oft et" dich in Thränen fand, wenn er deine verborgnen Seufer und Klagen ge­ hört hatte, und nun. alles verließ, um zu dir zu kommen und dich zu trösten? wenn er dich gleichsam in Seine Arme nahm, und sprach: „Armes Herz, was quält dich so? Warum weinest du, da ich doch so sehr für dich geBarter, Ruhe der Heiligen.

26

402 weint habe?

Sey

guten

Muthes,

deine Wunden

sind

Rettungswunden und nicht tödtlich, ich habe sie zu deiner

Gesundheit, nicht zu deinem Verderben, dir geschlagen; wenn ich das Blut deiner Adern fließen ließ, wollte ich doch nicht das Leben dir nehmen." Ja, ich erinnere mich noch wohl Seiner süßen Stimme! Wie freundlich richtete er mich auf! Wie sorgsam verband er meine Wunden! Mir ist, als hörte ich Ihn noch sagen: „Du armer Sün­

der, du bist wohl unfreundlich gegen mich gewesen und hast mich von dir gestoßen, ich will es dir aber nicht mit Gleichem vergelten. Du hast zwar mich und meine Gnade

verachtet, aber sie und alles, was ich habe, soll dennoch dein seyn; was möchtest du wohl haben, das ich dir ge­ ben kann? Was könntest du wohl bedürfen, das ich nicht hätte? Macht dir von dem, was ich habe, etwas Freude, so sollst du es haben. Willst du Vergebung deiner

Sünden haben? Ich erlasse dir umsonst alle deine Schul­ den. Willst du Gnade und Friede haben? Beides will ich dir schenken. Willst du mich selber haben? Siehe, ich bin dein, dein Freund, dein Bruder, dein Herr, dein Haupt, dein Bräutigam. Willst du Gott zum Vater haben? Ich will dich zu Ihm bringen, und Er soll in

mir und durch mich dein Vater seyn." Solche herzer­ quickende Worte hat der Heiland zu mir gesprochen. Als

ich nun nach diesem Allen dennoch zweifelhaft wurde an Seiner Liebe, da erinnere ich mich noch wohl dieser Sei­ ner überwältigenden Worte: „So viel habe ich für dich gethan,

du Sünder, um dir meine Liebe zu bezeugen,

403 und dennoch zweifelst du? Mich selbst und meine ganze Liebe habe ich so lange schon dir angeboten, und dennoch willst du nicht glauben, daß ich wirklich dein seyn will? Durch welche noch kräftigere Beweise soll ich dir denn meine Liebe zu erkennen geben? Willst du denn nicht glauben, daß ich aus Liebe zu dir in mein bitteres Leiden ging? Hab' ich mich nicht im Evangelium als ein Löwe gegen deine Feinde, und als ein Säumt gegen dich hinge­ stellt, und doch willst du noch meinen »Lammessinn ver­ kennen? Hätte ich Wohlgefallen an deinem 'Verderben, warum hätte ich dann so viel zu thun und zu leiden, warum zu sterben brauchen? warum dir nachzugehen mit so vieler Geduld und mit so unermüdlicher Zudringlich­ keit? Wozu wendest du deine Armuth vor? habe ich nicht für mich und dich genug? oder deine Unwürdigkeit — hättest du in dir selbst Würdigkeit, wozu brauchtest du mein Verdienste? Habe ich denn jemals die Gesunden oder die Gerechten zu mir eingeladen? Oder gibt es denn solche auf Erden? Hast du gar nichts, bist du verloren, elend, hülflos, jäinmerlich; glaubst du aber, daß ich ein allmächtiger, allgenugsamer Heiland bin, und möchtest gern mich haben: sieh, ich bin dein, da nimm mich hin; wenn du willst, will ich auch, und weder Sünde noch Satan sollen den Bund wieder trennen." Dies, ja dies, waren die seligen, süßen Worte, die Sein Geist aus Sei­ nem Evangelium mir ins Herz sprach, bis Er mir zu stark ward, und ich mich zu Seinen Füßen niederwarf und ausrief: „Mein Heiland, mein Herr und mein Gott, 26 *

404 du hast mein Herz gebrochen und hast es geheilt, du hast es überwunden und gewonnen, nimm es hin, macht es dir keine Freude, dann mache du es, wozu du es haben willst." So, meine Seele, kannst du noch wohl dich er­ innern des süßen, vertraulichen Umgangs, den du mit Christo gehabt hast. Ja, er hat an deinem Krankenbette gestanden, er hat deine Schmerzen gelindert, er hat in deiner Müdigkeit dich erquickt, er hat deine Furcht ver­ scheucht. Er hat immer bereit gestanden , wenn du ihn gesucht hast; er hat insgeheim und wenn du mit Ande­ ren wärest, in der Kirche und zu Hause, auf dem Felde und im Kämmerlein, bei Tage und in schlafloser Nacht, in deinem Glück und in deinen größten Gefahren dich be­ sucht. — Wenn Güte und Erbarmen die Liebe ent­ zünden, wie unermeßlich bin ich dann nicht verbunden, Ihn zu lieben? Alle Gnadenerweisungen, von denen mein Leben voll ist, alle Orte, wo ich wohnte, alle Verbin­ dungen, in denen ich lebte, alle Menschen, mit denen ich umging, alle Wechsel, die ich durchmachte, alle, alle sagen mir, daß die Quelle, aus der dies alles floß, über­ strömendes Erbarmen sey. Herr, welch eine Summe von Liebe bin ich dir schuldig! und wie wächst meine Schuld unablässig an! Wie soll ich solch eine Liebe erwidern? Kann mein Scherflein dir deine Centner Goldes zurück­ zahlen? meine kalte, oft unterbrochene Sehnsucht deine ununterbrochenen Liebeserweise, meine Armuth, die nicht einmal mein ist, deine unendlichen Güter, die dir allein gehören? Sollte ich in der Liebe es mit dir aufnehmen

405 wollen, sollte ich mein erborgtes Fünklein Liebe gegen die Sonne der Liebe setzen? Kann ich so in die Höhe und die Tiefe, so in die Breite und die Länge lieben, als die Liebe selbst? so lieben, wie der, welcher mich erschaffen, und zu lieben mich erschaffen, und die schwache Liebe, die ich habe, in mir geschaffen hat? So wenig ich es mit dir aufnehmen kann in den Werken deiner Allmacht, noch je­ mals, wie du, die Welt erschaffen, erhalten und regieren werde, so wenig kann ich es mit dir aufnehmen in der Liebe. Nein, Herr, ich weiche, du hast mich überwunden. O seliger Sieg! Ja, schreite als Sieger vorwärts, über­ winde noch weiter, und triumphire in deiner Liebe! Dein Liebesgefangner wird deinen Siegerruhm verkündigen, wenn du mich in deinem Triumphzuge von der Erde gen Himmel, jvom Tode zum Leben, vom Gericht zum Kö­ nigsthron erhebst; ich und alle, die es sehen, werden laut bekennen: Ja, du hast überwunden! Sehet, wie Er lieben konnte! Doch erlaube mir, daß in tiefer Unterthänigkeit unter deine Liebe ich dich wieder lieben darf;'als dein befreiter Gefangner, nicht als deines Gleichen. Oder sollte ich gar nicht lieben darum, weil ich Dein Maaß, die Unermeßlichkeit, nicht erreichen kann? O könnte ich mit innigem Herzensgefühl sagen -. Ich liebe dich, wie ich meinen innigsten Freund liebe, ja wie mich selbst! Ob ich auch noch nicht deinem Apostel nachsprechen kann: Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe; doch, Herr, kann ich durch deine Gnade sagen: Du weißt, daß ich dich lieb haben möchte! Ich zürne meinem Herzen, daß es dich

406 nicht lieb hat; ich schelte es, aber es will noch nicht bester werden; ich halte ihm alles vor, und habe ich es auch einmal überredet, ach, es bleibt doch so todt; ich reibe und treibe es durch alle deine Gnadenmittel, aber es will immer noch nicht warm werden. O du unwürdige Seele! Ruht denn dein Auge nicht jetzt auf dem einzig Liebens­ würdigen? Erblickst du nicht die entzückende Herrlichkeit der Heiligen? und doch liebst du sticht? Bist du denn nicht eine vernünftige Seele, und sollte denn deine Ver­ nunft dir nicht sagen, daß die Erde ein Kerkerloch ist im Vergleich mit der himmlischen Herrlichkeit? Bist du denn nicht ein Geist, und solltest Gott nicht lieben, der ein Geist ist, und der Vater der Geister? Du liebst den ver­ gänglichen Staub so sehr, und liebst nicht mehr die un­ vergängliche Herrlichkeit? Wirst du auch dann etwa nicht lieben, wenn du dorthin kommst, wenn der Herr deinen Leichnam aus dem Grabe auferweckt, und dich leuchten macht wie die Sonne, immer und ewiglich? Wirst du dann lieben, oder nicht? Ist denn jene Welt nicht der Versammlungsort der Liebenden? Ist das Leben dort nicht ein Leben der Liebe? Ist es nicht der Hochzeittag des Lammes? Wohlan denn, meine Seele, fang hier schon an! Werde hier krank vor Liebe, bis die Liebe dort dich gesund macht. Bewahre dich jetzt in Gottes Liebe, und laß weder Leben dich scheiden; so Freude ewiglich der Liebe erbaut,

noch Tod, noch irgend etwas von ihr wirst du in der Fülle der Liebe und leben. Denn der Herr hat eine Stadt einen Ort, wo er unablässig Seine Liebe

407 Semen Auserwählten offenbart; und die Seinen Namen lieb haben, werden darin wohnen.

Erwache denn, du träges Herz! An dem Tage der Gnade zu schlafen, ist thöricht, noch viel mehr aber, wenn der Tag der Herrlichkeit sich nahet. Komm heraus, mein erstarrtes, frostiges Herz, dein Herr ruft dir zu: Freue dich! und übermal ruft er: Freue dich! Lange genug hast du in deinem Fleischesgefängniß gelegen; dein Kerkermei­ ster war der Satan. Sorgen waren deine Ketten, Furcht deine Geißel, Brod und Waffer der Trübsal deine Speise; deine Sünden und deine Feinde machten dir das Bett, und der Unglaube war das verriegelte Thor, was den Ausgang versperrte. Nun aber komm heraus, der Engel des Bundes ruft dir, er schlägt dich an die Seite, er heißt dich aufftehen und ihm folgen. Auf, meine Seele: gehorche willig; sieh, wie die Thüren aufspringen! Folge dem Lamme, wohin es geht. Solltest du solch einem An­ führer dich fürchten zu folgen? Kann die Sonne dich in die Nacht führen? Kann der Lebensfürst dich in den Tod geleiten, da er gestorben ist, um dich vom Tode zu er­ retten? Folge Ihm, er thut dir Gottes Paradies auf, er öffnet dir die Aussicht auf das neue Jerusalem, er gibt dir zu essen vom Baume des Lebens. Komm heraus, du ermattetes Herz; leg ab dies Winterkleid, thu Freuden­ kleider an, denn der Frühling ist da; und wie jetzt dein Trost hervorgrünt, so wirst du ihn bald weiß und reif zur Ernte sehen, und dann sollst du ernten und in die

408 Scheune sammeln und fröhlich genießen. Oder sollte ich etwa bis dahin meine Freude aufschieben? Kommen die Freuden des Frühlings nicht vor den Erntefreuden? Ist der Erbe eines großen Hauses nicht besser als ein Knecht? Ja, mein Herr und Heiland heißt mich frohlocken in der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Er lehrt mich, auch durch Ketten und Banden und Kerkerwände hindurch sie sehen; „sei fröhlich und ge­ trost," sagte er mir, „es wird dir im Himmel wohl be­ lohnet werden." Ich weiß, er will, daß meine Freude über allen meinen Kummer gehen soll; und wie hoch er sich auch freut an einem gedemüthigten und zerknirschten Herzen, so freut er sich doch noch mehr an einer Seele, die an Ihm ihre Freude hat. Mein Heiland hat mir ei­ nen Tisch bereitet in der Wüste, und ihn mit den Ver­ heißungen der ewigen Herrlichkeit besetzt und Engelskost mir hingestellt; er ladet mich so oft und so dringend ein, mich hinzusetzen, zu effen und mich nicht zu scheuen; er hat dazu mir eine vernünftige! Seele, Glauben und ein der Freude fähiges Herz geschenkt; und er sollte doch nicht wollen, daß ich mich freuete? Ist es nicht Sein Gebot: „Freuet euch in dem Herrn?" Ist es nicht Seine Ver­ heißung: „Sie werden über Seinen Namen täglich fröh­ lich seyn?" Wie sollte ich denn mich abschrecken lassen? Mein Gott will, wenn ich nur wollte; Er freut sich über meine Freude. Nach Seinem Willen sollte ich im­

mer in der Fassung, sollte es mein tägliches Geschäft seyn,

Phil. 3, i.

409 in gläubiger Betrachtung mich zu Ihm zu wenden, und in den süßesten Gedanken von Seiner Liebe zu leben. O du seliges Geschäft, einzig würdig für Kinder Gottes! Aber was soll ich an deinem Mahle, Herr, wenn ich nicht hungrig bin? Du hast deine himmlischen Kleinodien vor mir ausgebreitet, aber ach, ich bin blind, und kann sie nicht sehen; ich .bin krank, und kann ihrer nicht ge­ nießen; ich bin so gelähmt, daß ich die Hand nicht aus­ strecken kann, sie mir zu nehmen. Darum bitte ich dich demüthig um die Gnade, daß, wie du mir den Himmel aufgethan hast in deinem Worte, so du auch meine Augen aufthun wollest, ihn zu isehen, und mein Herz, sich seiner zu freuen; sonst ist auch der Himmel kein Himmel für mich. O Du Geist des Lebens, hauche deine Gnaden­ gaben mir ein, ergreif mich bei der Hand, heb mich auf von der Erde, daß ich die Herrlichkeit sehen möge, die du bereitet hast denen, die dich lieben! Hinweg denn ihr herzzernagenden Sorgen, ihr quä­ lenden Schmerzen, stillet euch wenigstens für eine Weile; bleibet hier unten liegen, während ich hinaufgehe, und in meine ewige Ruhe blicke. Der Weg ist mir unbekannt, aber Christo nicht. Dort wohnte er in Ewigkeit seiner Gottheit nach, und dahin hat er auch seine verklärte Menschheit erhoben. Sein Werk war es, diese Herrlichkeit uns zu erkaufen, Sein Werk, mir dort die Stätte, und mich für jene Stätte zu bereiten, und mich hinzubringen. Der ewige Gott der Wahrheit hat mir Seine Verheißung gegeben, Sein Siegel und Seinen Eid, daß ich, wenn

410

ich an Christum glaubte, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben Haben sollte. Dorthin soll bald meine Seele ziehen, dorthin bald mein Leib ihr folgen. Und kann meine Zunge es aussprechen, daß ich gewißlich bald bei Gott seyn werde, und mein Herz will nicht springen vor Freude? Kann ich es im Glauben sagen, ohne mich zu freuen? O wie sehe ich hier, daß mein Glaube noch so schwach ist! Aber verfinstert auch der Unglaube mein Licht und dämpft mein Leben und lähmt meine Freude, doch soll er mich nicht überwinden und tobten; beneidet er mir auch allen Trost, doch werde ich ihm zum Trotz nicht ganz ungetröstet bleiben; o, und stünde er nicht im Wege, welchen reichen Ueberfluß an Trost würde ich ha­ ben ! Das Licht des Himmels würde in mein Herz ffcheinen; ich würde dort fast eben so sehr, als auf Erden zu Hause seyn. So komm denn fort, meine Seele; verstopfe deine Ohren gegen die unwissenden Reden des Unglau­ bens; du kannst auf alle seine Schlüffe ihm antworten; oder kannst du es auch nicht, tritt doch alle unter deine Füße. Komm fort; sieh nicht immer das Grab dort an, wühle nicht immer in den Gebeinen herum, lies nicht immer in dem Staube der Erde, was du lernen willst, das wird bald ausgelöscht. Sondern heb dein Haupt empor, blick gen Himmel, sieh dort deinen Namen mit goldnen Buchstaben stehen, vor Grundlegung der Welt angeschrieben, eingetragen in das Lebensbuch des Lammes, das erwürgt ward. Wie, wenn ein Engel dir sagte: daß eine Wohnung im Himmel dir bereitet sey, daß sie ge-

411 mißlich bald für alle Ewigkeit dein seyn werde: würde eine solche Botschaft dich nicht mit Freude erfüllen? Und verachtest du das unfehlbare Wort der Verheißung, das der Sohn und der Geist Gottes selbst ausgesprochen und geschrieben haben? Denke dir, du hättest einen Feuerwa­ gen für dich herabkommen sehen, der dich aufnahm, wie den Elia, und gen Himmel trug; würde das dich nicht mit Freude erfüllen? Und verachtest du das Wort des Herrn, welches dir sagt, daß die Engel kamen, und tru­ gen die Seele des Lazarus in Abrahams Schooß? Wie? Ein Trunkenbold sollte bei seinem Glase, ein Schlemmer bei seinem Leckermahle sich freuen, und du solltest dich nicht freuen, bald im Himmel zu seyn? Essen und Trinken erquickt den Hungrigen und Durstigen; ein lieblicher Garten, ein angenehmes Haus ergötzt mich; ir­ dische Schönheit erfreut mein Gesicht, Rosenduft meinen Geruch, eine Melodie mein Ohr, und der Gedanke an die himmlische Herrlichkeit sollte mein Herz nicht erfreuen? Kam die Königin des Mittags von den äußersten Enden der Erde, um Salomos Weisheit zu hören: siehe, hier ist mehr, als Salomo! Hätte Gott mich zum Gebieter der Welt gemacht, könnte ich Berge versetzen, Krankheiten mit der Berührung der Hand heilen, Teufel durch ein Wort austreiben: sollte ich mich doch nicht viel mehr darüber freuen, daß mein Name im Himmel angeschrieben ist? Mit meinen Eltern, meinen nächsten und liebsten Freunden kann ich hier nicht umgehen, ohne ein Gefühl der Freude; besonders wenn ich meiner Liebe so recht

412 freie Bahn machen konnte, wie süß war diese Bewegung des Herzens! O, und wie wird es nun erst seyn, wenn wir ewig in Gottes Liebe leben! Wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen! Eine in Liebe verbundne Familie, Mann und Weib, Eltern, Kin­ der und Gesinde, die alles aus Liebe für einander thun, welch ein Anblick! Eine ganze Stadt, in der die Liebe herrschte, ohne Neid, Zank und Streit, ohne Prozesse, Parteien oder Spaltungen, wo jeder seinen Nächstem liebte, wie sich selbst, wo keiner glaubte, zu viel für den andern thun zu können, wo einer den andern immer in der Liebe zu übertreffen suchte, welch ein herrlicher An­ blick müßte das seyn! O, wie wird es nun erst mit den Gemeinschaft der Heiligen, der großen Himmelsfamilie, den friedlichen Bewohnern des neuen Jerusalem seyn, wo es keine trennende Meinungen, keine Entfremdung, keine trügerische Freundschaft, keine lieblosen Reden, keine zor­ nigen Blicke oder Gedanken mehr gibt; wo alle eins finb in Christo, wie Er eins ist mit dem Vater, wo alle le­ ben in der Liebe zu dem, der die Liebe selbst ist! Die Seele ist eben so sehr da, wo sie liebt, als wo sie lebt; wie nahe vereinigt wird also dann die Seele mit Gott seyn, wenn ich so herzlich, so inbrünstig, so unablässig Ihn lieben werde! O du elendes und ungläubiges Herz, kannst du mit so matter, ohnmächtiger Freude an einen Tag, an ein ewiges Geschäft wie dies denken! Dort, ja dort werde ich mich lebendiger freuen und ewig frohlocken! Welche Wonne ist es für mich, die weit geringeren

413 Werke der Schöpfung zu betrachten und kennen zu lernen! In welch ein schönes Haus hat Gott uns auf Erden ge­ setzt! Einen Teppich von Blumen und Kräutern hat er über sie hingebreitet, und ein weites, wunderbar verziertes Dach darüber ausgespannt. Welche Wunder hat er in Sonne, Mond und Sternen, in den Meeren und Winden geoffenbart! Hat nun Gott für das vergängliche Fleisch solch ein Haus bereitet, für eine in einem sterblichen Leibe gefangene Seele so gesorgt; thut er so viel selbst für seine Feinde: welch eine Wohnung wird das seyn, die er für seine geliebten Kinder errichten wird! Wie wird die Herr­ lichkeit des neuen Jerusalem alle andre erschaffene Herrlich­ keit doch so weit überstrahlen! So schwinge dich denn auf, meine Seele, in der Betrachtung; erhebe dich weit über alle irdische Herrlichkeit, wenn du an jene selige Ruhe denkst. Fürchte dich nicht, aus diesem Leibe und aus dieser Welt zu wandern, da du eine so selige Veränderung er­ fahren wirst, sondern denke: Ich bin froh, ja ich springe vor Freuden, daß die Zeit gekommen ist, wo der mächtige Jehovah, liessen Majestät ich hier in seiner niederen Schöpfung bewundert, und dessen Güte ich angebetet habe, den ich im Glauben erblickt, nach dem ich mich gesehnt habe, sich mir offenbaren wird von Angesicht zu Angesicht! Wie wunderbar sind die Werke der göttlichen Vor­ sehung! Wie lieblich ist es, zu sehen, daß der große Gott Antheil nimmt an dem Wohlergehen und Gedeihen einiger geringer, verachteter, betender Menschen! Ja, wie oft hat er auch meine Gebete erhört, meine Thränen gezählt.

414 meine unruhige Seele gestillt! Wie oft hieß er mich guten Muthes seyn! Welch ein Trost sind diese Erfahrungen, diese klaren Zeugnisse der Liebe meines Vaters für mein ängstliches, ungläubiges Herz! Was wird aber das nun erst für ein seliger Tag seyn, wenn ich Seine Gnade, ja den Herrn aller Gnade selbst vollkommen genießen werde; wenn ich am Ufer stehen und zurückschauen werde auf die tobende See, durch welche ich eben wohlbehalten geschifft bin; wenn ich noch einen Blick werfe auf meine Leiden und Schmerzen, meine Angst und Noth, meine Seufzer und Thränen, und die Herrlichkeit ererbt habe, wozu sie den Weg mir bahnten! O wäre doch Ein Senfkörnlein lebendigen Glaubens in dieser Betrachtung, wie würde mein Herz sich gen Himmel schwingen; — ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben! Wie lieblich, o meine Seele, sind Gottes heilige Gnadenmittel und Anstalten dir hier gewesen! Was genoffest du für Seligkeit in der Bitte und Danksagung vor dem Herrn, während einer lebendigen, evangelischen Pre­ digt, in der Gemeinschaft der Heiligen; und wenn der Herr hinzuthat, die da selig wurden, zu der Gemeine! Wie kann mein Herz denn nun die Freude fassen, die ich im Himmel haben werde, wenn ich die Gemeine vollendet sehe, wenn die Thüren des himmlischen Tempels sich mir aufthun, und ich ewig mit den himmlischen Heerschaaren den Herrn vreisen werde! War Gottes Wort dem David süßer als Honig und Honigseim, war. es Freude und Wonne für Jeremia's Herz, was wird das für ein

415 Tag seyn, wo wir den Herrn selbst ganz haben werden, der dies Wort gegeben hat, und nicht mehr bedürfen dieser ausgeschriebenen Verheißungen und Gebote, und kein an­ deres Buch lesen werden, als des Herrn Angesicht! Wenn die, welche Christum auf Erden hörten, sich wunderten der holdseligen Worte, die aus Seinem Munde gingen, welch eine Empfindung wird es seyn, wenn ich Ihn in Seiner Majestät erblicke! Kann der Blick in jene Herrlichkeit andern das Kreuz lieblich machen, so daß sie „keine Erlösung annehmen" mögen: und dich sollte er nicht mit Freude erfüllen unter viel geringeren Leiden! Kann er den Märtyrern Kühlung bringen in den Flammen, und dir sollte er nicht Linderung in der Krankheit und in dem natürlichen Tode gewähren? Ist es nicht derselbe Himmel, der sie und dich aufnimmt? Ist ihr Gott nicht mein Gott, ihr Christus nicht mein Christus, ihre Krone nicht meine Krone? Und ich sollte mit so trübem Blick, mit so mattem Herzen, mit so ver­ stellter Gebärde darauf Hinblicken? Einen Vorschmack habe ich schon gekostet, er ging weit über alle Erdenfreude; o was wird nun erst der volle Genuß seyn! Wie selig fühle ich mich hier schon in den Gnaden­ wirkungen des heiligen Geistes! Und doch, wie schwach und gering sind diese im Vergleich mit denen, welche ich in der Herrlichkeit erfahren werde! Wech ein seliges Leben würde ich führen, könnte ich nur Gott lieben, so sehr als ich möchte; könnte ich lauter Liebe seyn, und immerdar lieben! O meine Seele, was möchtest du geben für solch

416 ein Leben? Hätte ich solche Erkenntniß "des Wortes Gottes, solch ein Gefühl Seiner Allgegenwart, als ich mir wünschte; könnte ich in all' meiner Noth so gänzlich auf Ihn trauen, ginge meine Sehnsucht und mein Verlangen immerdar auf Ihn, dann wollte ich der Welt ihre Schätze und Güter nicht beneiden. In welch' einem seligen Zustande wirst du dich denn bald befinden, meine Seele, wenn du von allem diesen viel mehr haben wirst, als du jetzt dir wün­ schen kannst, und in Gottes unmittelbarem Anschauen, nicht in der dunklen Ferne, wie jetzt, alle Kräfte deiner Seele von Ihm allein beherrscht werden! Und ist die mit Sünden befleckte, gedrückte, verfolgte Gemeine des Herrn so viel herrlicher, als eine einzelne begnadigte Seele, wie herrlich wird sie erst seyn, wenn alle Auserwählte Gottes von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zu dem andern in sie gesammelt sind! Wenn sie aus dem Thränenthal emporgestiegen ist aus den Berg Zion; wenn sie nicht mehr leiden und nicht mehr sündigen wird, dann wird alle Herrlichkeit des alten Jerusalems nur Mißgestalt und Finsterniß seyn gegen die Herrlichkeit des neuen. Was für ein Frohlocken wird das seyn, wenn wir nun sehen, wie prächtig der himmlische Tempel ist, und an die Armuth der Gemeine auf Erden zurückdenken. Doch ach, wie elend fühle ich mich mitten in dieser Betrachtung! Mit Schmerzen sehe ich, daß mein Herz ihr nicht gefolgt ist. Was helfen leere Worte ohne Herzensempfindung? Weder Gott noch ich mag sie leiden.

417 Wo bist du herumgeflattert, du sündiges Herz, während ich dir die Aussicht auf die ewigen Schätze aufthat? Schämst du dich nicht, immerfort zu klagen über ein un­ behagliches Leben, und über Leiden, die Gott dir sendet, da Er doch in der That Engelfreuden dir vorhält? Wärest du mir jetzt nur treulich gefolgt, du würdest wie neuge­ boren seyn, du würdest frohlockt und allen deinen Kummer vergessen haben. — Herr, du hast mir die vollkommenen Freuden im Himmel aufbehalten; o stehe mir bei, daß mich danach verlange, bis ich sie besitze, und laß mich wenigstens danach mich sehnen, wenn ich mich noch nicht darüber freuen kann, wie ich möchte! O meine Seele, du weißt zu deinem Kummer, daß du noch nicht in deiner Ruhe bist. Wann werde ich anlangen in jenem sichern, ruhigen Hafen, wo mir nichts mehr droht von diesen Stürmen, diesen Wogen und Gefahren; wo ich keinen mühseligen Tag, keine schlaflose Nacht mehr haben werde? Da wird es nicht mehr hin und her schwanken in meinem Herzen, zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Freude und Leid; da wird Fleisch und Geist nicht mehr wider einander streiten; da wird nicht Glaube und Unglaube, Demuth und Hoffahrt immerdar wie hier in mir käm­ pfen. O mann werde ich diese herzzerreißende Sorge, Angst und Bekümmerniß für immer los seyn? Wann werde ich entkleidet seyn von diesem wider die Seele strei­ tenden, bestrickenden, betrügerischen Fleisch? von diesem vergänglichen Leibe, dieser eiteln, in meinem Laufe mich hindernden Welt? Ach, daß ich hier immer die Gemeine Barter, Ruhe der Heiligen. 27

418 und die Sache des Herrn dem Streit und der Selbst­ sucht oder der Täuschung preisgegeben sehen muß! Nichts von solcher wilden Unordnung findet sich im himmlischen Jerusalem, dort ist ein volltönender, lieblicher Zusammenklang aller vollendeten Geister in dem Gehorsam und dem Lobpreise ihres ewigen Königs. O wie viel besser ist es, dort Thürhüter, als hier Herr in dieser unruhigen, wildbewegten Welt zu seyn! O warum bin ich dieser Mühe nicht mehr müde? Warum vergesse ich meine ewige Ruhe? Auf, meine Seele, in deiner feurigsten Inbrunst! Warte nicht, bis das Fleisch mit dir verlangt, bis auch die Sinne von deinem Ziele etwas erblickt haben, und dich lehren wollen, wann und was du begehren sollst. Offenbart dir nicht die Mattigkeit deiner Sehnsucht nach jener Ruhe, wie thöricht undankbar du bist? Mußte der Heiland dir diese Ruhe so theuer erkaufen, und du willst sie nicht höher schätzen? Mußte er vorangehen, um dir Elenden die Stätte dort zu bereiten, und dich ekelt fast davor, hinzugehen und sie in Besitz zu nehmen? Der Herr der Herrlichkeit sehnt sich nach deiner Gemeinschaft, und du dich nicht nach der ©einigen ? Muß denn die Erde erst zur Hölle für dich werden, ehe du gern und willig zu Gott gehst? Sieh dir das lieblichste Geschöpf, die angenehmste Lage recht genau an. Und sage mir, ob du nicht von da weg und bei Gott seyn möchtest? Ar­ muth drückt zu Boden; Reichthum bestrickt das Herz; Krankheit quält; Gesundheit ist leicht zerstört; die Welt, wenn sie zürnt, sticht dir in die Ferse, wenn sie schmei-

419 chelt, ins Herz; je mehr man sie lieb hat und Gefallen

an ihr findet, desto größere Gefahr ist in ihr: hat man sie aber nicht lieb, warum sollte man gern auf ihr blei­ ben? Findest du Beifall: welche verpestende Luft! Wirst du aber verachtet und schlecht behandelt, hast du da etwa

Ursach, einen solchen Zustand dir für immer zu wünschen? Ist deine Wirksamkeit oder die christliche Gemeinschaft, in der du lebst, dir lieber, als das Leben bei Gott, dann ist es Zeit, daß Gott dich herausreißt. Haben deine Ar­ beiten dir immer Freude, haben sie dir nicht auch bittern

Kummer gemacht? Und sind es auch die edelsten Beschäf­ tigungen, die ein Mensch hier treiben kann, was sind sie

gegen das

ewige Anschauen des Gottes der Wahrheit?

Du fühltest dich hier froh in christlicher Gemeinschaft — aber hast du nicht auch herbe Schmerzen darin empfun­ den? Deine Freunde sind begnadigte Menschen — sind sie

nicht aber auch Sünder? Sie haben dich lieb — ist diese Liebe

aber nicht wandelbar?

Sie sind demüthig — sind

sie nicht auch hoffährtig? Gottes Gnadenwirkungen an ihren Herzen sind liebliche Gaben, heilsam für dich —

Sünden unlieblich, und ihre Mängel oft dir verderblich? Und es ist dir doch eine so

aber sind nicht auch ihre

schwere Sache, sie zu verlassen und zu Gott zu gehen? O meine Seele, erhebe dich über diese Welt der Schmerzen! Hast du so lange schon die Ruthe der Trüb­

sal gefühlt, und nicht bester gelernt, was sie dir sagen

wollte? Will nicht jeder ihrer Schläge dich von hier weg­ treiben? Vergissest du des Wortes des Herrn: „In mir 27*

420 habt ihr Frieden, in der Welt habt ihr Angst?" O mein

geliebter Heiland, ich verstehe, was du meinest: es ist in mein Fleisch und Bein eingegraben. Du zielest auf mein

Herz; Deine Ruthe treibt, Deine seidne Liebesschnur zieht, und beides nur zu Dir hin. Ach Herr, kann ein solches Herz Deiner würdig seyn? Mache es würdig, dann ist es Dein; mache es zu Deinem Eigenthum, und dann nimm mich zu dir hin. Dieser Erdenkloß kann durch sich selbst nicht aufstehen. Wie das ohnmächtige Kind auf die lie­

bende Mutter blickt, so sieht Mein Herz

nach Dir und

streckt seine Arme aus, und möchte gern, daß Du es auf­

nähmest. Kann ich auch noch nicht völlig sagen: „Mein Herz verlangt nach dir!" so kann ich doch sagen, mich verlangt nach solch einem verlangenden Herzen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Mein Geist ruft: „Dein Reich komme!" oder: „Nimm mich auf in Dein Reich!" Aber dem Fleische ist bange, daß Du mein Gebet erhören und mich beim Wort nehmen möchtest. O Preis deiner Gnade, die mit meinen Begierden selbst meine Begierden tödtet; denn ich fürchte meine Furcht, mich schmerzt mein Schmerz, und mich verlangt nach in­ brünstigerem Verlangen; die Schmerzen, die ich in deni Trachten nach meinem Ziele empfinde, vermehren meinen Druck, und ich seufze unter ihm immer stärker nach mei­ ner Ruhe." „Ja, Herr, ich bin verlegen und weiß nicht, was ich erwählen soll; aber Du weißt, was Du mir zu geben hast. Abzuscheiden und bei Dir zu seyn, wäre viele besser; aber

421 es scheint noch nothwendig, daß ich im Fleische bleibe. Du weißt es, Herr, der Arbeit, die Du mir aufgetragen hast, bin ich nicht müde, sondern der Sünde und des Leidens; willst Du mich noch brauchen, so bleibe ich gern, und thue, was du mir befiehlst. Aber ich bitte Dich: wenn es geschehen ist, dann warte nicht länger! So lange ich hier bin, heilige mich immer mehr, hebe mich immer höher hinauf; ich bin nicht so ungeduldig, daß !ich Dich bitte, meine Zeit abzukürzen, und mich auch unbereitet von hier wegzunehmen; doch aber möchte ich nicht länger hier bleiben, wenn mein Tagewerk vollendet ist, und in der Sünde fortfahren, während meine Brüder schon als Sieger gekrönt sind. Deine Füße treten noch auf mich Wurm, während jene Sterne schon am Himmel der Herrlichkeit leuchten; doch bin ich so gut, als sie, Gottes Kind, und Du, mein Heiland, bist mein Haupt so gut, als das ihre; warum ist der Abstand so groß? Doch, ich bekenne, daß alle Deine Wege heilig sind; wir alle sind Kinder, ich aber bin der verlorene Sohn, der so eben erst aufgehört hat von den Träbern zu essen; darum schi­ cken sie sich besser dazu; immer bei Dir zu seyn, und, was Dein ist, alles zu haben. Einst waren auch sie, was ich bin, und bald werde ich seyn, was sie sind; auch sie standen 'auf der 'untersten Stufe, ehe sie die höchste er­ reichten; auch sie litten, ehe sie herrschten; auch sie kamen aus großer ? Trübsal vor Deinen Thron; und ich sollte mich nicht darein finden, daß ich die Krone erlange, wie sie? daß ich ihren Kelch trinke, ehe ich mit ihnen in das

422 Reich komme? Herr, ich bin willig, auf Deine Stunde zu harren und Deinen Weg zu gehen, Du wirst mich er­ höhen zu Deiner Zeit, und reif in Deine Scheune brin­ gen. Dazwischen will ich mich sehnen, ohne Ungeduld; glauben und hoffen, ohne sündliche Begierde, willig auf Dich harren, aber nie gern einen Augenblick Dich missen; und siehst Du mich zu sehr mit der Entfernung von Dir zufrieden, dann belebe meine ermattende Sehnsucht, blas an den Liebesfunken, und laß nicht ab, bis ich von Her­ zen rufe: „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir; meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott; wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue? Mein Wandel ist im Himmel, von dannen ich auch erwarte meinen Heiland Jesum Christum; ich trachte nach dem, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes; mein Leben ist mit Ihm in Gott verborgen, ich wandle im Glauben und nicht im Schauen, und möchte lieber außer dem Leibe wallen, und daheim seyn bei dem Herrn." Was hat denn diese leere Welt an mir, was ist in ihr so lieblich, daß es mein Verlangen von Gott abziehen, oder mir das Scheiden schwer machen könnte? Je naher ich sie ansehe, je mehr erscheint sie mir als eine wilde Wüstenei, und viele ihrer Bewohner als reißende Thiere; in all' ihrer Schönheit entdecke ich Wurmfraß; alle ihre Freuden kann ich in wenigen Bußthränen ertränken io der in einem Seufzer weghauchen. O laß mein Fleisch nicht nieirt Herz verführen, daß es dieses mühselige Leben der

423 Seligkeit vor Deinem Throne vorzieht! Stäubt sich die Natur selbst gegen den Tod, o laß Deine Gnade mich so sehnsüchtig machen nach der Herrlichkeit, daß der König der Schrecken mir ein Freudenbote wird! Laß meine Seele nicht mit Gewalt aus ihrem Hause geworfen wer­ den, sondern ziehe sie innerlich durch Deine verborgne Liebesmacht, wie der Frühlingssonnenschein Deine Ge­ schöpfe aus ihren Wintergemächern hervorlockt; komm ihr auf halbem Wege entgegen, ziehe sie an Dich, wie der Magnet das Eisen, wie ein großes, mächtiges Feuer eine kleine Flamnie! Zerstreue den Nebel, der Deine Liebes­ sonne mir verbirgt; nimm weg die Schuppen von mei­ nen Augen; denn nur die Strahlen, die von Deinem An­ gesicht ausgehen, nur der Vorschmack Deiner ewigen Erlö­ sung, und nichts Andres, kann einem Herzen die Worte in den Mund legen: „Nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren!" Doch weil das Werk so groß ist, darum bedarf es auch mächtiger Hülfe von Dir. O verwandle diese Furcht in flammende Sehnsucht, diesen Widerwillen vor dem Sterben in inbrünstiges Verlangen nach Dir! So lange ich noch fern bin von Dir, laß meine Seele nach Dir seufzen, wie mein Leib seufzt unter der Last der Krankheit! Soll ich noch länger auf Erden leben, so laß mich in Dir leben, als ob es keine Welt gäbe, wie ich ja früher in der Welt gelebt habe, als ob Du nicht da wärest! So lange ich noch ei­ nen Gedanken habe, laß mich Deiner nicht vergesien; so lange meine Zunge sich noch regt, laß sie Dein Lob mit Luc. 2, 29.

424 Freuden erzählen; so lange ich athme, laß mich nach Dir und für Dich athmen; so lange meine Kniee sich beugen können, laß sie täglich vor Dir in den Staub sinken; und streckst Du mich durch Krankheit nieder dann bereite Du mir mein Lager, zähle meine Schmerzen, und fasse alle meine Thränen in Deinen Sack!" „Wie mein Fleisch begehrt, was mein Geist ver­ schmäht, so laß meinen Geist verlangen nach dem Tage, vor dem mein Fleisch zurückschaudert; daß ich mit mehr Freude, als meine Freunde mit Schmerz, meinem Ab­ scheiden entgegen sehe. Dann laß mich sterben den Tod der Gerechten, und mein Ende seyn, wie das ihre, einen Aufschwung zu jener unverwelklichen Herrlichkeit! Dann laß Engel meine scheidende Seele zu den vollendeten Gei­ stern der Gerechten tragen, und meinen lieben Freunden und Brüdern in Christo mich nachfolgen, die vor mir in dem Herrn entschlafen sind, und während meine Lieben an meinen Grabe weinen, laß meinen Geist bei Dir Ruhe finden; während mein Leichnam im Staube verwes't, laß meine Seele in dem Erbe der Heiligen im Lichte wohnen! O Du, der Du die Haare meines Haup­ tes alle zählest, zähle auch die Tage, die mein Leib im Staube ruhen soll; und wie du alle die Deinigen in Dein Buch schreibst, so sieh auch auf meine zerstreuten Gebeine! O mein Heiland, beschleunige den Tag Deiner Wieder­ kunft: sende Deine Engel aus, und laß die schauerlich wonnige Posaune erschallen! Säume nicht, damit die Hoffnung der Lebenden nicht ermatte; säume nicht, damit

425 die Erde der Hölle nicht immer ähnlicher, und Deine Gemeine durch Verfolgung in den Staub gelegt werde; säume nicht, damit Deine Feinde nicht Deiner Heerde mächtig werden, damit nicht Hoffahrt, Heuchelei, Fleischeslust, Unglaube Deine wenigen Auserwählten bezwingen, und Du, wenn Du kommst, keinen Glauben findest auf Erden; säume nicht, damit das Grab sich nicht seines Sieges rühme, und indem es Empörung lernt von seinen Bewohnern, seine Beute Dir herauszugeben sich weigere! O beschleu­ nige die Ankunft des großen Auferstehungstages, wenn Dein Befehl ausgeht, und niemand ihm widerstrebt; wenn Meer und Land ihre Todten herausgeben, und die in den Gräbern schlafen. Deine Stimme hören, und die in Dir Gestorbenen zuerst auferstehen; wenn der verwes­ lich ausgestreute Same unverweslich aufkeimt, und aus der Erde, die ihn zum Verfaulen aufnahm, lauter Sterne und Sonnen hervorgehen! Darum lege ich meinen Leich­ nam nieder, und übergebe ihn, nicht dem Staube, son­ dern Dir; dämm soll mein Fleisch auf Hoffnung ruhen, bis Du es zur ewigen Ruhe lauferweckest. O komm wie­ der, Herr! Ach, wie so lange! O laß Dein Reich kom­ men! Deine verlassene Braut spricht: Komm! Denn Dein Geist in ihr spricht: Komm! und lehret sie beten mit un­ aussprechlichem Seufzen! Ja, die ganze Schöpfung spricht: Komm! und sehnet sich frei zu werden von dem Dienste des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Du selbst hast gesagt: Ja, ich komme bald! Amen. Ja, komm, Herr Jesu!"

426 So, lieber Leser, habe ich mein Herz in der Betrach­ tung vor dir aufgethan, um wo möglich deiner Schwach­ heit zu Hülfe zu kommen. Wollen die Gedanken auch nicht in solcher Ordnung und Fülle dir zufließen, so gehe nur ernstlich und häufig ans Werk. Mache dich ver­ traut mit dieser himmlischen Beschäftigung, und du wirst dadurch immer mehr mit Gott vertraut werden. Deine Freude wird immer geistlicher, siegreicher und bleibender werden, wie es der Gegenstand ist, an dem du dich wei­ dest; du wirst Trost haben im Leben und im Sterben; wirst Trost haben, auch wenn Reichthum, Gesundheit und Weltlust dich verlassen; auch wenn du von Freunden, von Dienern Gottes, von allen Gnadenmitteln verlassen bist. Die Gnadenwirkungen des heiligen Geistes in dei­ nem Herzen werden mächtig, lebendig und siegreich, und die tägliche Freude am Herrn, die du vom Himmel em­ pfängst, wird deine Stärke seyn. Es wird dir zu Muthe seyn wie einem, der auf dem Gipfel eines sehr hohen Berges steht; der sieht auf die Welt herab, als läge sie tief unter ihm; Wälder und Gefilde und Seen und Städte und Dörfer ziehen sich zu kleinen Pünktchen zu­ sammen, so wirst du mit Verachtung auf alle irdischen Dinge herabsehen. Die größten Fürsten werden dir wie Heuschrecken vorkommen, und die geschäftige, rastlose, gie­ rige Welt wie ein Ameisenhaufe. Drohungen von Men­ schen werden dich nicht schrecken, Ehren dieser Welt nicht reizen, Versuchungen unkräftig werden, Trübsale ihren Stachel verlieren, und jede Gnade wirst du besser ver-

427 stehen, besser genießen. Jetzt stellt es Gott in deine Macht, ob du dies selige Leben führen willst, oder nicht; ob alle Mühe, die ich mir gegeben, es dir vor die Au­ gen zu stellen, verloren seyn soll, oder nicht. Ist sie durch die Schuld deiner Trägheit verloren, dann büßest du am meisten ein. O Mensch, woran anders hast du zu denken, als an Gott und den Himmel? Bist du nicht schon mit einem Fuß aus diesem Leben heraus? Kannst du nicht täglich darauf gefaßt seyn, daß eine oder die andre Krankheit deine Seele von dem Leibe trennen wird? Steht das Grab nicht fertig da, um deine Wohnung zu werden, und warten Würmer nicht darauf, dich zu ver­ zehren? Wie, wenn dein Puls nur wenige Schläge noch zu thun hätte? Wenn nach wenigen Athemzügen der letzte käme? Wenn nach einigen Nächten Schlaf du dich zum letzten Schlaf in der Erde niederlegtest? Ach, wie wird dies Leben dir so wenig seyn, wenn es vorüber ist! Und ist es denn nicht schon beinah vorüber? In kurzer Zeit ist dein Glas abgelaufen, und du selbst rufest: „ Nun ist es mit mir aus! Meine Zeit ist hin! Ich kann sie nicht wieder zurückrufen; nun steht nichts als Himmel und Hölle vor mir!" Wo anders sollte denn also dein Herz jetzt seyn, als im Himmel? Wenn du wüßtest, welche furchtbare Sache es ist, wenn ein Mensch in der Todes­ stunde an dem Himmel verzweifelt, das würde dich jetzt aufwecken. Und was anders, als verzweifeln, kann ein Mensch dann, wenn er nie zuvor ernstlich an den Him­ mel gedacht hat?

428 Es gibt einige Leute, die sagen: f„Es lohnt sich nicht

der Mühe, so viel an die Herrlichkeit

der himmlischen

Freuden zu denken. Um uns gewiß zu machen, daß sie uns aufbehalten sind, reicht es hin, zu wissen, daß sie

groß und cherrlich jsind "

Aber solche Menschen gehorchen

Gottes Geboten nicht, der da will, daß ihr Wandel im Himmel sey, daß sie trachten §nach dem, was droben ist;

und so machen sie auch ihr Leben selbst sich elend, indem sie die Freude verschmähen, die Gott ihnen vorhält. Aber noch mehr, diese Vernachlässigung dämpft, ja erstickt fast ihre Liebe zu Gott; macht es ihnen unerfreulich, an Gott zu denken, von Ihm zu reden oder in Seinem Dienste hätig zu sein; verkehrt ihre Ansichten von Gottes Wegen und Heilsanstalten, macht sie sinnlich und fleischlich, gibt sie der Macht der Trübsale und Anfechtungen hin, und ist der Keim eines gänzlichen Abfalls. Sie macht den Tod ihnen so schwer; denn wer wird wohl gern zu einem Gott und an einen Ort gehen, an dem er keine Freude hat? Wer wird seine irdischen Freuden fahren lassen, wenn er auf keine bessern zueilt? Wollte ich dich

in lauter Schwermuth, Furcht und Kummer versenken, so möchtest du mit Recht jene Einwendungen machen. Aber entweder mußt du Himmelsfreuden, oder lauter vergäng­ liche Freuden haben, j Gott wünscht, daß du täglich vor Ihm wandelst und Trost aus der ewigen Quelle schöpfest; magst du es nicht, nun, so sieh zu, wie du deinen Ver­ lust tragen willst; wenn du zum Sterben kommst, suche dann Trost, ob du ihn finden kannst; sieh zu, was von

429

Weltlust dir dann noch bleibt; dann wird dein Gewissen, auch wider deinen Willen, dich lehren, daß dir früher ein Weg zu viel herrlicheren Freuden gezeigt wurde, die Freu­ den, die dir durch den Tod gefolgt und in Ewigkeit dir geblieben wären. Die Herzen aber, die Gott von der Erdenkost schon entwöhnt hat, werden hoffentlich den Werth eines himm­ lischen Lebens erkennen, und täglich einen Gang hinauf ins neue Jerusalem machen. Gott ist eure Liebe und euer Verlangen; ihr möchtet den Heiland gern immer besser erkennen; es betrübt euch, daß eure Herzen Ihm nicht näher stehen, daß sie Mcht mehr an Ihm ihre Freude finden. O beginnet ein solches Leben täglicher Betrachtung eurer himmlischen Ruhe! Hier ist der Berg, auf welchem die schwankende Arche eurer Seelen festen Grund findet. Lasset die Welt an eurem himmlischen Leben sehen, daß das Christenthum mehr ist, als eine besondere Meinung, oder eine Beobachtung äußerlicher Pflichten. Soll ein Christ mit sich selbst und seinem Bekenntniß übereinstim­ men, so muß er in dieser Betrachtung fleben. Wie Moses vor seinem Tode auf den Berg Nebo stieg, um ins Land Canaan zu blicken, so besteigt jder Christ den Berg der Betrachtung, und blickt in seine ewige Muhe. Er schaut in jene herrlichen Wohnungen und spricht: „Ja, Jerusalem ist geschaffen zur Wonne und ihr Volk zur Freude!" Er hört die Musik der himmlischen Gesänge, und spricht: „Vor dir ist Freude die Fülle, und liebliches Wesen zu deiner Rechten ewiglich!" Er blickt auf die ver-

430 klärten Einwohner Zions, und spricht: „Wohl dir, Israel wer ist dir gleich? O Volk, das du durch den Herrn selig bist, der deiner Hülfe Schild und das Schwert deines Sieges ist!" Er blickt auf Gott den Herrn selbst, und fällt nieder mit den Seligen, und betet an den, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und spricht: „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war, der da ist und der da kommt! Du bist würdig, Herr, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft!" Er blickt auf den verklärten Heiland, und spricht das Amen zu dem neuen Liede: „Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit dem, der da sitzet auf dem Stuhle, und dem Lamme; denn du bist erwürgt und haft uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen, und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht." Er blickt zurück auf die Wüste der Welt, und freut sich über die gläubigen, geduldigen, ver­ höhnten Heiligen, beklagt die unwissende, elende, verstockte Welt; und indem er sich wieder umwendet, sagt er mit Petrus: „Hier ist gut seyn!" oder mit Assaph: „Wenn ich dich nur habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde; denn siehe, alle, die von dir weichen, müssen um­ kommen." So that Daniel in seiner Gefangenschaft, wenn er beten wollte, täglich seine Fenster gen Jerusalem auf, obwohl es in weiter Ferne lag; und so soll beim Gebet auch die gläubige Seele in dem Gefängniß ihres Fleisches täglich die Fenster aufthun nach dem himmlischen Jerusalem. Was Paulus von den Colossern, das kann auch der

431 Christ von den Himmelsbewohnern sagen: „Ob ich wohl dem Fleische nach nicht da bin, so bin ich doch im Geiste bei euch, und freue mich und sehe eure himmlische Ein­ tracht." Wie die Lerche so lieblich singt, wenn sie auf­ steigt, aber plötzlich stille schweigt, wenn sie herabfällt au die Erde: so ist die Fassung der Seele die edelste und göttlichste, wenn sie in heiliger Betrachtung Gott anschaut;

ach, auch unser Aufschwung dauert meist nicht lange, wir sinken wieder herab und unser Lied verstummt I Aber'Du, barmherziger Vater, Du Magnet der Liebe,

Du Meer der Freude, zieh diese verderbten Herzen zu Dir und behalte sie bei Dir, bis Du sie geistlich und heilig gemacht hast; steh den schwachen Bemühungen Deines Dieners bei, und beweg' innerlich diejenigen, welche dies lesen, zu steter Uebung dieses seligen, himmlischen Werkes! O laß der Seele Deines unwürdigen Knechtes selbst die Freuden nicht fremd bleiben, die er Andern beschreibt; sondern fache täglich, so lange ich auf Erden walle, meine Sehnsucht nach Dir an, zu gläubigem, liebendem Umgang

mit Dir! Und wenn Du kommst, o dann finde mich also thun; nicht im Dienste des Fleisches, nicht schlafend

ohne Oel auf der Lampe, sondern harrend und sehnsüchtig nach der Ankunft des Bräutigams! Möchten doch alle, welche diese Anleitung lesen, nicht bloß zusammenstudirte Gedanken, möchten sie das Athmen meiner lebendigen Hoff­

nung und Liebe in diesem Buche finden; daß, wenn mein Herz sich ihnen aufthäte, sie dasselbe darin mit Strahlen­ schrift von dem Antlitz des Sohnes Gottes eingeschrieben

432 läsen; und nicht Eitelkeit, Fleischeslust und Hoffahrt darin fänden, während Lebensworte von mir ausgingen, und so dies Buch zum Zeugniß wider mich würde. Möchte es vielmehr, lebendig aus meinem Herzen strömend, durch Deine Gnade mächtig werden in den Herzen der Leser, und so uns beiden werden ein Geruch des Lebens zum Leben! Ehre sey Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

Verlag der I. K. Kinrichs'lchen Buchhandlung in Leipzig.

Die Heilige Schrift «ach Dr. Martin Luthers Uebersetznng

mit Einleitungen und erklärenden Anmerkungen herausgegebcn durch

Otto von Gerlach, weil. Dr. u. Professor der Theologie, Consistorial-Rath und Hofprediger in Berlin.

In drei Ausgaben: 1) Neue wohlfeile Ausgabe in gr. Royal 8. Neuer Abdruck. 7 Theile in 3 Bänden. Subscripttonspreis 5 Thlr. 25 Gr. Das Neue Testament- 8. Allst, in 1 Bande, 1 Thlr. 20 Gr. Das 2Utc Testament- 5. Anst, in 2 Bänden, 4 Thlr. 5 Gr.

2- Diefelbe auf feinem Velinpapier mit dem Bildnisse des Verfassers 7 Theile, broch. Subscriptionspreis 7 Thlr. Das Neue Testament- 2 Theile, 2 Thlr. Das Alte Testament- 5 Theile, 5 Thlr. 3) Bisherige Ausgabe in gr. 8. mit größerem Druck. Ladenpreis 8% Tblr. Das Neue Testament- 2 Theile, 2 Thlr. 10 Gr. Das Alte Testament- 5 Theile, 6 Thlr. 5 Gr. Jeder Theil ohne Preiserhöhung auch einzeln. „Je mehr man das Gerlach'sche Bibelwerk gebraucht, desto mehr wird man feine Trefflichkeit inne. Es ist doch das beste der Art, was christliche Hausväter — doch was sage ich? gewiß ebensowohl auch Haus­ mütter und junge Leute — in die Hand und zur Hand nehmen können. Und so zeigt sich das Bedürfniß auch in immer neuen Abdrücken. Das Alte Testament hat es bis zur ö. Auflage, das neue Testament bis zur 8 Auflage gebracht." Volksblatt für Stadt und Land. 1863. Nr. 79. Dies Bibelwerk ist s Z. vom Königl. Preußischen Ministe­ rium der geistlichen, Unterrichts- re. Angelegenheiten den sämmtlichen Königl. Regierungen und Provinzial-Schul-Collegien zur Anschaffung für Seminaristen und Lehrer als ein Werk, „in dem auch der Elementarlehrer für sein eigenes Bibelstudium eine vortreffliche Anleitung findet, -wie sie z. Z. in keinem ähn­ lichen Werke geboten wird^, angelegentlich empfohlen worden.

Druck von Hundertstund & Pries in Leipzig.