Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde, erörtert anhand der Verwaltungspraxis in Berlin [1 ed.]
 9783428431380, 9783428031382

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ERHARD

SCHÜLER

Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde erörtert anhand der Verwaltungspraxis in Berlin

Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung Herausgegeben von Ernst E. Hirsch und Manfred Rehbinder

Band 32

Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde, erörtert anhand der Verwaltungspraxis i n Berlin

Von

Dr. Erhard Schüler

D U N C K E R

&

H U M B L O T / B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03138 5

Vorwort Der Verfasser ist bereits durch die Herausgabe einer Entscheidungssammlung zum Ausländergesetz (Verlag J. Schweitzer) hervorgetreten, die einem echten Bedürfnis der Praxis entsprach. Auch die vorliegende Arbeit ist von praktischer Bedeutung, hier allerdings für die Rechtspolitik. Denn als Untersuchung der Berliner Praxis 1967/68 (unter weitgehender Berücksichtigung späterer Änderungen) bietet sie, ohne es zu sagen, den i n der Rechtssoziologie viel zu seltenen Fall einer Effektivitätskontrolle der Gesetzgebung. Dabei geht es u m den i n Fachliteratur und Öffentlichkeit seit 1965 herrschenden Streit über die „Ausländerfreundlichkeit" des Ausländergesetzes. Während der von der Bundesregierung seinerzeit vorgelegte Entwurf nach ihren eigenen Worten Ausdruck des Zieles war, eine liberale und weltoffene Fremdenpolitik zu betreiben, welche die Einreise und den Aufenthalt erleichtert, und das dann i m Jahre 1965 verabschiedete Gesetz i n den Referentenkommentaren zum Teil überschwenglich als sehr liberal begrüßt wurde, w i r d i n Juristenkreisen wie bei Kirchen und Gewerkschaften zunehmend K r i t i k laut. Zutreffend geht der Verfasser davon aus, daß sich der gegenwärtige Wert des Gesetzes nur feststellen und die K r i t i k nur beurteilen lassen, wenn man untersucht, i n welcher Weise die Exekutive von dem ihr eingeräumten weiten Ermessen tatsächlich Gebrauch macht. Denn ein großer Teil der Vorschriften des AuslG sind Ermessensvorschriften. Das Ergebnis der umfangreichen Erhebungen des Verfassers ist interessant und i n vielen Details überraschend. Rechtstatsachenforschungen wie diesen w i r d gern die Beschränktheit ihres Untersuchungsgebietes vorgehalten; jedoch zu Unrecht. Sicher wäre eine Parallel- oder Kontrolluntersuchung einer anderen Ausländerbehörde als der Berliner wünschenswert. Eine Einmannstudie kann dies jedoch nicht leisten, sollen der Untersuchungszeitraum oder die Auswahl der Akten nicht allzu beschränkt sein. Sinn von Einmannstudien kann deshalb — worauf ich bereits i n RabelsZ 1970, S. 180 hingewiesen habe — nicht sein, eine rechtssoziologische These i m strengen Sinne zu verifizieren. Aber diese A r t von Studien bietet doch mehr als eine bloße Illustration. I h r Wert liegt i n dem, was ich i m untechnischen Sinne eine Umkehr der Beweislast nenne. Wer immer i n der wissenschaftlichen Diskussion entgegenstehende Rechtstatsachen

6

Vorwort

behauptet, muß diese durch eine mindestens gleich gut empirisch abgestützte Untersuchung belegen. I h m obliegt der Beweis des Gegenteils. Da bisher eine vergleichbare empirische Arbeit über das Ausländergesetz nicht vorliegt, ist die Arbeit des Verfassers für die rechtspolitische Diskussion, die trotz des Anwerbestopps weitergeht, von außerordentlichem Wert. Ohne ihre Berücksichtigung wären Änderungen des Gesetzes, wie sie z.B. 1973 von den Gewerkschaften vorgeschlagen worden sind, nicht zu verantworten, soll Gesetzgebung auf wissenschaftlicher Basis betrieben werden. Zürich, i m Februar 1974 Manfred Rehbinder

Vorbemerkung Das Manuskript wurde am 1. September 1973 abgeschlossen. Die erst während der Drucklegung veröffentlichten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Mai 1973 und des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. J u l i 1973, die begrüßenswerterweise teilweise eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung (vor allem bezüglich der auch von m i r i m Abschnitt 7.1.3.3. kritisierten Folgepflicht der deutschen Ehefrau) bedeuten, konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Berlin, i m Februar 1974 Erhard Schüler

Inhaltsverzeichnis 1. Die Aufgabe

15

1.1. Das Ausländergesetz 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.4.

1965

15

Gegenstand u n d Geltungsbereich Grundgedanken u n d Ziele nach der amtlichen Begründung Allgemeine Stellungnahmen i n der L i t e r a t u r Die Bedeutung des Ausländergesetzes. Der A n t e i l der Ausländer an der Bevölkerung der B R D

1.2. Die Frage nach der Rechtswirklichkeit 1.3. Die Bedeutung

des Ausländergesetzes

der Rechtstatsachenforschung

2. Die Feststellung des tatsächlichen Anwendungsbereiches des Ausländergesetzes 2.1. Untersuchungsgegenstand

und

Arbeitsmethode

2.1.1. Der Untersuchungsgegenstand

15 16 17 19 21 21 24 24 24

2.1.1.1. Die untersuchten Vorschriften

24

2.1.1.2. Die untersuchten Verwaltungsakte

26

2.1.2. Die technische Durchführung der Rechtstatsachenforschung 2.2. Die Arbeit 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4.

der Berliner

Ausländerbehörde

Ihre Aufgaben Organisationsstruktur u n d Aufgabenverteilung Arbeitsmittel u n d K o m m u n i k a t i o n Arbeitsanfall

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 3.1. Allgemeines 3.1.1. Die Bedeutung des § 2 A u s l G 3.1.2. Der Kreis der Ausländer, die einer Aufenthaltserlaubnis bedürfen 3.1.3. Die F o r m der Aufenthaltserlaubnis 3.1.4. Die Rechtsnatur der Aufenthaltserlaubnis u n d der i h r zugrunde liegenden Entscheidung 3.1.5. Die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 3.1.5.1. Gültiger Paß oder Paßersatz 3.1.5.2. Nichtbeeinträchtigung der Belange der B R D 3.1.6. Ermessen der Ausländerbehörden 3.1.7. Der Ermessensbegriff u n d seine Bedeutung i n Rechtsprechung u n d Schrifttum 3.1.7.1. Definition des Ermessens 3.1.7.2. F u n k t i o n des Ermessens 3.1.7.3. Tendenzen der neueren Ermessenslehre

28 31 31 32 33 34 36 36 36 36 38 38 39 39 39 42 43 43 44 45

Inhaltsverzeichnis 3.1.8. Der Umfang des durch § 2 A u s l G eingeräumten Ermessens 3.1.9. Schranken des Ermessens bei der Erteilung der A u f e n t haltserlaubnis 3.1.9.1. 3.1.9.2. 3.1.9.3. 3.1.9.4. 3.1.9.5. 3.1.9.6. 3.1.9.7. 3.1.9.8.

A r t . 16 Abs. 2 Satz 2 GG A r t . 11 Abs. 1 GG A r t . 1 Abs. 1 GG A r t . 2 Abs. 1 GG A r t . 3 Abs. 1 u n d 3 GG A r t . 6 Abs. 1 GG A r t . 14 GG Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit des Mittels u n d des geringstmöglichen Eingriffs 3.1.9.9. A r t . 3 u n d 8 M R K 3.2. Die Praxis

der Berliner

Ausländerbehörde

3.2.1. Die Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG (einschließlich der Fälle, bei denen ein Ausweisungstatbestand v o r liegt) 3.2.1.1. Die Aufenthaltserlaubnis u n d ihre Einschränkungen i m allgemeinen 3.2.1.2. Die räumliche Beschränkung 3.2.1.3. Die Befristung 3.2.1.4. Bedingungen u n d Auflagen. Die verschiedenen A u f enthalt szwecke 3.2.1.4.1. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, insbesondere bei Gewerbeausübung 3.2.1.4.2. Unselbständige Erwerbstätigkeit

46 47 48 48 49 49 49 51 54 54 55 56

56 56 57 57 58 59 60

3.2.1.4.2.1. Statistik 60 3.2.1.4.2.2. Die wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Arbeitskräfte 60 3.2.1.4.2.3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an A r b e i t nehmer u n d ihre Versagung 70 3.2.1.4.3. 3.2.1.4.4. 3.2.1.4.5. 3.2.1.4.6.

Lehre, P r a k t i k u m , Information Studium u n d Fachschulausbildung Besuch Sonstige Zwecke

3.2.2. Die Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach illegaler Einreise 3.2.2.1. Der Kreis der sichtvermerkspflichtigen Ausländer 3.2.2.2. Die rechtliche Bedeutung des Sichtvermerkszwanges 3.2.2.3. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde 3.2.2.3.1. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis trotz illegaler Einreise 3.2.2.3.2. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis wegen illegaler Einreise

74 74 75 80 81 81 82 83 83 86

3.2.2.4. Auseinandersetzung m i t § 5 Abs. 2 AuslG, § 5 Abs. 1 D V A u s l G u n d m i t der Praxis der Berliner Äusländerbehörde 87 3.2.2.4.1. Auseinandersetzung m i t § 5 Abs. 2 AuslG, § 5 Abs. 1 D VA u s l G i m allgemeinen 87 3.2.2.4.2. Auseinandersetzung m i t der Praxis der Berliner Ausländerbehörde i n einzelnen Fallgruppen 90 3.2.2.4.3. Zusammenfassung 100

11

Inhaltsverzeichnis

4. Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis durch Änderung der Nebenbestimmungen 102 4.1. Die Ermessensentscheidungen

102

4.1.1. Die Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereiches 102 4.1.2. Die Verlängerung (ohne die Fälle der Verlängerung bei gleichzeitiger Änderung von Auflagen u n d Bedingungen) 102 4.1.2.1. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, bei Gewerbeausübung 4.1.2.2. Unselbständige Erwerbstätigkeit 4.1.2.3. Lehre, P r a k t i k u m , Information 4.1.2.4. Studium u n d Fachschulausbildung 4.1.2.5. Besuch 4.1.2.6. Sonstige Zwecke

insbesondere

4.1.3. Die Änderung der Auflagen u n d Bedingungen (einschließlich der Fälle gleichzeitiger Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis) 4.1.3.1. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, insbesondere bei Gewerbetreibenden 4.1.3.2. Unselbständige Erwerbstätigkeit 4.1.3.3. Lehre, P r a k t i k u m u n d Information 4.1.3.4. S t u d i u m - und Fachschulausbildung 4.2. Die auf § 5 Abs. 1 DV AuslG gestützten

Entscheidungen

103 103 105 105 106 107

107 107 109 112 112 113

5. Die nachträgliche Einschränkung von Nebenbestimmungen

118

5.1. Die nachträgliche räumliche Beschränkung 5.2. Die nachträgliche zeitliche Beschränkung 5.3. Die nachträgliche Einschränkung durch Änderung lagen und Bedingungen

118 118 von

6. Die Beschränkung des Aufenthalts gemäß § 7 Abs. 5 AuslG

Auf-

120 121

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und über ihre nachträgliche Erweiterung oder Beschränkung 122 7.1. Einzelfragen

in sachlicher

Hinsicht

122

7.1.1. Bevölkerungs- u n d Einwanderungspolitik 122 7.1.2. Nachzug von Familienangehörigen sowie von sonstigen V e r wandten u n d Verschwägerten 127 7.1.3. Deutsche Staatsangehörigkeit des Ehegatten 130 7.1.3.1. 7.1.3.2. 7.1.3.3. 7.1.3.4.

Allgemeines Deutscher Ehemann Deutsche Ehefrau Die Entwicklung zu neuen VerwaltungsVorschriften

130 131 131 135

7.1.4. Deutsche Staatsangehörigkeit der Verlobten 138 7.1.5. Deutsche Staatsangehörigkeit der unehelichen K i n d e r 139 7.1.6. Frühere deutsche Staatsangehörigkeit 140 7.1.7. Deutsch als Muttersprache 141 7.1.8. Längerer Aufenthalt i n der B R D 141 7.1.9. Früherer A u f e n t h a l t i m (jetzigen) Bundesgebiet 143 7.1.10. Nationalsozialistische Verfolgung 144 7.1.11. Einbürgerungsantrag 144 7.1.12. Auswanderungsabsicht 145 7.1.13. Einreise aus Ostberlin, der DDR oder einem sonstigen Ostblockstaat 145

12

Inhaltsverzeichnis 7.1.14. Hinterlegung einer Sicherheit 7.1.15. Entscheidungen ohne A n t r a g 7.1.16. Religion des Ausländers 7.1.17. Einstellung der Bevölkerung

146 147 148 148

7.2. Die Ermessensausübung gegenüber Ausländern ausgewählter Staatsangehörigkeit unter besonderer Berücksichtigung völkerrechtlicher Verträge 149 7.2.1. Angehörige der Mitgliedstaaten der E W G 7.2.1.1. Die Rechtslage i m Untersuchungszeitraum 7.2.1.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

149 149 154

7.2.2. 7.2.3. 7.2.4. 7.2.5. 7.2.6. 7.2.7. 7.2.8.

Ägyptische Staatsangehörige 156 Belgische Staatsangehörige 156 Französische Staatsangehörige 157 Griechische Staatsangehörige 158 Iranische Staatsangehörige 165 Italienische Staatsangehörige 170 Jordanische Staatsangehörige u n d Angehörige anderer arabischer Staaten aus den von Israel besetzten Gebieten 172 7.2.9. Nigerianische Staatsangehörige 172 7.2.10. Saudi-arabische Staatsangehörige 173 7.2.11. Schweizerische Staatsangehörige 173 7.2.12. Spanische Staatsangehörige 174 7.2.13. Thailändische Staatsangehörige 175 7.2.14. Türkische Staatsangehörige 176 7.2.15. Staatsangehörige der USA 178 8. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung 8.1. Die Entscheidung gung

über die Erteilung

181 der

Aufenthaltsberechti-

181

8.1.1. Die Rechtslage nach § 8 AuslG 181 8.1.2. Die Verwaltungsgrundsätze für die Erteilung der A u f e n t haltsberechtigung 182 8.1.3. Die Praxis der Ausländerbehörde 182 8.2. Nachträgliche

Auflagen

184

9. Die Erteilung von Durchreisesicht vermerken

185

10. Die Ausstellung, Verlängerung und Entziehung von Fremdenpässen 186 10.1. Die Ausstellung 186 10.1.1. Die rechtliche Bedeutung des Fremdenpasses 186 10.1.2. Die Voraussetzungen der Ausstellung 186 10.1.3. Die Rechtsnatur der Entscheidung über die Ausstellung des Fremdenpasses 187 10.1.4. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde 188 10.2. Die Verlängerung 10.3. Die Entziehung

192 192

11. Die Einschränkung und die Untersagung politischer Betätigung

193

11.1. Die Rechtslage nach §6 Abs. 2 und 3 AuslG

193

11.1.1. Die verbietbare politische Betätigung 11.1.2. Die verbotene politische Betätigung

193 195

11.2. Die Praxis

der Berliner

Ausländerbehörde

196

Inhaltsverzeichnis

13

12. Die Ausweisung

201

12.1. Allgemeines

201

12.1.1. 12.1.2. 12.1.3. 12.1.4. 12.1.5.

Begriff Zulässigkeit nach dem Völkerrecht Wirkungen Rechtsnatur Abgrenzung von anderen ausländerbehördlichen Verfügungen u n d von der Auslieferung 12.1.6. Voraussetzungen 12.1.7. Ermessen 12.1.8. Materielle Beweislast 12.1.9. Alliiertes Recht i n B e r l i n 12.2. Die einzelnen Ausweisungstatbestände 12.2.1. Staatsgefährdende Tätigkeit (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) 12.2.2. Bestrafung (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG) 12.2.2.1. Die Rechtslage 12.2.2.2. K r i m i n a l i t ä t der Ausländer 12.2.2.3. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde 12.2.2.3.1. Allgemeines 12.2.2.3.2. Einzelne ausgewählte Deliktsarten 12.2.2.3.3. Von der A r t der Straftat unabhängige Einzelfragen 12.2.3. Maßregeln der Sicherung u n d Besserung, Unterbringung, Fürsorgeerziehung i n einem H e i m (§10 Abs. 1 Nr. 3 AuslG) 12.2.4. Verstöße gegen das Steuer- oder das Außenwirtschaftsrecht (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) 12.2.5. Verstöße gegen Vorschriften über die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes oder einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 AuslG) 12.2.6. Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 AuslG) 12.2.7. Unrichtige Angaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 AuslG) 12.2.8. Asoziales Verhalten (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 AuslG) 12.2.9. Gefährdung der öffentlichen Gesundheit oder Sittlichkeit (§10 Abs. 1 Nr. 9 AuslG) 12.2.9.1. Gefährdung der öffentlichen Gesundheit 12.2.9.2. Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit 12.2.10. Inanspruchnahme von Sozialhilfe (§ 10 Abs. 1 Nr. 10 AuslG) 12.2.11. Beeinträchtigung erheblicher Belange der B R D aus anderen Gründen (§ 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG) 12.3. Einzelfragen bei der Entscheidung sachlicher Hinsicht 12.3.1. 12.3.2. 12.3.3. 12.3.4.

über

die Ausweisung

in

Deutsche Staatsangehörigkeit des Ehegatten Deutsche Staatsangehörigkeit des (der) Verlobten Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung (§11 Abs. 1 AuslG) Ausländer, die als politisch Verfolgte Asylrecht genießen, heimatlose Ausländer u n d ausländische Flüchtlinge 12.3.5. D i k t i o n der Ausweisungsverfügungen 12.3.6. Verwarnung 12.3.7. Anfängliche Befristung der Ausweisungswirkungen

201 201 201 202 202 202 204 206 206 206 206 209 209 211 212 212 213 220 224 226 227 229 234 237 239 239 244 245 252 256 256 256 257 257 259 260 261

12.3.7.1. Die Befristung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 A u s l G 261 12.3.7.2. Die Befristung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 262 12.4. Die Ermessensausübung gegenüber Ausländern ausgewählter Staatsangehörigkeit unter besonderer Berücksichtigung völkerrechtlicher Verträge 263

Inhaltsverzeichnis 12.4.1. Angehörige der Mitgliedstaaten der E W G 12.4.2. Angehörige der Vertragsstaaten des Europäischen Niederlassungsabkommens 12.4.3. Angehörige der Vertragsstaaten des Europäischen F ü r sorgeabkommens 12.4.4. Französische Staatsangehörige 12.4.5. Griechische Staatsangehörige 12.4.6. Iranische Staatsangehörige 12.4.7. Italienische Staatsangehörige 12.4.8. Schweizerische Staatsangehörige 12.4.9. Türkische Staatsangehörige 12.4.10. Staatsangehörige der USA 13. Die Bemessung der Ausreisefrist und ihre Verlängerung

263 265 266 267 268 269 270 271 272 272 273

14. Die anfängliche Befristung der Abschiebungswirkungen (§9 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG) 275 15. Die nachträgliche Befristung der Ausweisungs- und der Abschiebungswirkungen (§ 9 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG) 276 16. Die nachträgliche Verlängerung und die nachträgliche Verkürzung der Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung (§ 9 Abs. 2 Satz 3, § 15 Abs. 1 Satz 3 AuslG) 278 17. Die Erteilung der Ausnahmeerlaubnis (§ 15 Abs. 2 AuslG)

279

18. Die Aufenthaltserlaubnis bei Asylanträgen (§ 15 Abs. 3 AuslG)

281

19. Die Duldung

282

19.1. Die Verfügung

der Duldung

19.2. Die nachträglichen

nach §17 Abs. 1 Satz 1 AuslG

Verfügungen

.. 282

nach §17 Abs. 1 Satz 2 AuslG

284

20. Die Untersagung der Ausreise

285

21. Rechtspolitische Forderungen 21.1. Allgemeine ausländerpolitische Forderungen 21.2. Forderungen nach einer Änderung des Ausländergesetzes 21.3. Forderungen nach einer Änderung der AuslGVwv

288 288 288 290

Literaturverzeichnis

291

1. Die Aufgabe 1.1. Das Ausländergesetz 1965 Das Ausländergesetz (AuslG) vom 28. A p r i l 19651 ist am 1. Oktober 1965 i n K r a f t getreten 2 und hat das Gesetz über das Paß-, das Ausländerpolizei- und das Meldewesen sowie über das Ausweiswesen vom 11. Mai 19373, die Ausländerpolizeiverordnung (APVO) vom 22. August 19384 und die Asylverordnung vom 6. Januar 19535 aufgehoben (§ 55 Abs. 2 Satz 1 AuslG). 1.1.1. Gegenstand und Geltungsbereich

Das Ausländergesetz regelt nur Einreise, Aufenthalt und Asyl von Ausländern, also nicht alle rechtlich bedeutsamen Lebensverhältnisse eines Ausländers i m Inland. Deshalb war die i n der Regierungsvorlage vorgesehene Überschrift genauer, wenn auch umständlicher: „Gesetz über den Aufenthalt der Ausländer (Ausländergesetz)" 6 . Damit regelt das Ausländergesetz nur öffentlich-rechtliches Fremdenrecht. Fremdenrechtlich ist jeder Rechtssatz, der die Ausländer- bzw. Inländereigenschaft einer Person als Tatbestandsmerkmal verwendet 7 . Das öffentlichrechtliche Fremdenrecht ist zu unterscheiden von dem privatrechtlichen Fremdenrecht (es ist nicht besonders normiert; Inländer und Ausländer sind insoweit grundsätzlich gleichgestellt) und dem wirtschaftlichen Fremdenrecht, das sich mit Fragen der Berufsausübung, Firmengründung und Zulassung zum Gewerbe beschäftigt 8 ; das Ausländergesetz 1

BGBl. I S. 353/GVBl. S. 834. Einige Bestimmungen gelten bereits seit dem 9. M a i 1965, § 55 Abs. 2 AuslG. 3 RGBl. I, S. 589. 4 RGBl. I, S. 1053. 5 BGBl. I, S. 3. 6 Vgl. BT-Drucks. IV/868. 7 Matthiesen, Reichsverweisung durch Reichsbehörden? Diss. Heidelberg 1931, S. 8; zum Begriff des Fremdenrechts vgl. ferner Dahm, Völkerrecht I, S. 497 ff. ; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts u n d das deutsche Verfassungsrecht, S. 22 ff. ; Friedrichsen, Die Stellung des Fremden i n deutschen Gesetzen u n d völkerrechtlichen Verträgen, S. 12ff.; Isay, Das Fremdenrecht, S. 4 f f . ; K i m m e , Das Fremdenrecht, Diss. Marburg 1927, S. 11 ff. 8 Vgl. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, Einl. I, S. 39. 2

16

1. Die Aufgabe

m i t seiner Regelung des Aufenthalts schafft allerdings die rechtliche Voraussetzung für eine berufliche und wirtschaftliche Betätigung des Ausländers i m Inland. — Auch das öffentlich-rechtliche Fremdenrecht ist i m Ausländergesetz nicht abschließend geregelt. Denn maßgebliche Vorschriften enthalten auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes, transformierte völkerrechtliche Verträge sowie Spezialgesetze (so ζ. B. das Gesetz über die Rechtstellung der heimatlosen Ausländer — H A G —). Das Ausländergesetz gilt grundsätzlich für alle Ausländer, die i n seinem Geltungsbereich (das ist die gesamte Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlins, § 53 AuslG) einreisen und sich darin aufhalten (§ 1 Abs. 1 AuslG). Es ist nicht anzuwenden auf Ausländer, 1. die nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, 2. die als Konsul i m Geltungsbereich dieses Gesetzes tätig sind oder 3. für die i n zwischenstaatlichen Vereinbarungen die Anwendung dieses Gesetzes ausgeschlossen ist (§ 49 Abs. 1 AuslG). Ausländer i n diesem Sinne ist jeder, der nicht Deutscher i m Sinne des Artikels 116 Abs. 1 GG ist (§ 1 Abs. 2 AuslG). Hierzu zählen: 1. deutsche Staatsangehörige und 2. Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit einschließlich ihrer Ehegatten und Abkömmlinge, die i m Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden haben 9 . Demnach umfaßt der vom Ausländergesetz verwandte Begriff des Ausländers sowohl Angehörige eines fremden Staates als auch Staatenlose. Das Gesetz unterscheidet also nicht zwischen „Fremden" und „Ausländern" (hierzu werden Staatenlose oft nicht gezählt) 10 . 1.1.2. Grundgedanken und Ziele nach der amtlichen Begründung

Nach der amtlichen Begründung 1 1 liegen dem Ausländergesetz i n bezug auf die Behandlung der fremden Staatsangehörigen folgende Gedanken zugrunde: Der Staat, seine Einrichtungen und seine Rechtsordnung seien für die eigenen Staatsangehörigen geschaffen; Fremde 9 Hierzu M a r x e n a.a.O. A u s l G § 1 RdNr. 8 ff. u n d die einschlägigen K o m mentare zu A r t . 116 GG u n d zu § 6 BVFG. 10 Doehring, a.a.O., S. 19 ff.; K i m m i n i c h i m Bonner Kommentar A r t . 74 Nr. 4 RdNr. 2. 11 Amtliche Begründung des von der Bundesregierung dem B T a m 28. Dezember 1962 vorgelegten Entwurfs — BT-Drucks. IV/868.

1.1. Das Ausländergesetz 1965

17

stünden zu dem Aufenthaltsstaat nicht i n einem Treue- und Rechtsverhältnis; ihnen gegenüber handele der Staat nach Zweckmäßigkeitserwägungen, die nach politischen Zielen ausgerichtet seien. Als Mitglied der Völkergemeinschaft könne sich jedoch ein Staat, insbesondere i m Zeitalter der internationalen Freizügigkeit und der engen menschlichen Beziehungen, weder diesen gegenüber abschließen noch fremden Staatsangehörigen den Aufenthalt i m Inland grundsätzlich verwehren noch die Ausländer lediglich nach seinem Belieben behandeln; deswegen müsse eine Synthese gefunden werden zwischen den nationalen Interessen des Staates (wozu es auch gehöre, auf der Basis der Gegenseitigkeit i m Ausland eine möglichst günstige Behandlung der eigenen Staatsangehörigen zu erreichen) und den Forderungen der Völkergemeinschaft und des internationalen Verkehrs. Die amtliche Begründung des Entwurfs des Ausländergesetzes gibt auch Aufschluß über die Ziele der Bundesregierung. Danach verfolgt sie eine liberale und weltoffene Fremdenpolitik, welche die Einreise und den Aufenthalt erleichtert. Nach Auffassung der Bundesregierung läßt sich jedoch diese Politik nur dann vertreten, wenn die staatlichen Belange Ausländern gegenüber durchgesetzt werden können; auch dürfe bei der Durchführung dieser Politik nicht übersehen werden, daß die heutige Welt i n zwei entgegengesetzte politische Systeme auseinandergefallen sei. 1.1.3. Allgemeine Stellungnahmen in der Literatur

Auch i n der einschlägigen Literatur w i r d das Ausländergesetz i n den ersten Jahren überwiegend als Ausdruck einer liberalen Fremdenpolitik der BRD angesehen 12 . Heuer meint sogar, i n mancher Beziehung sei es „liberal bis zum Exzeß" 1 3 . Seit einiger Zeit sind jedoch i n zunehmendem Maße kritische Stimmen zu vernehmen. So spricht Heldmann von der „Illiberalität" des neuen Aufenthaltsrechtes 14 . Auch Franz stellt Kloesels und Christs These „vom liberalsten Ausländergesetz der Welt" sehr i n Frage 15 '; er bemängelt, daß der Gesetzgeber nicht an die 12 Vgl. z.B. Kanein, AuslG, § 1 Anm. A 3; K l o e s e l / C h r i s t , Deutsches A u s länderrecht, V o r w o r t zur ersten Lieferung; Weißmann, AuslG, Einf. I V 7 b d d (S. 29) u n d § 1 A n m . 2; neuestens Ruhnau, i n : Die Zeit v o m 5. 2.1971. 13 Heuer, i n : Ausländerrecht — Ausländerstudium, Schriftenreihe des W o r l d University Service (WUS), hrsg. von Bielenstein, Heft 8 (1967), S. 26. 14 Heldmann, i n : Vorgänge 1966, 455; 1968, 248; und i n : Student. P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 9; ähnlich Skriver, i n : Vorgänge 1970, 118 u n d Zuleeg, i n : DÖV 1973, 361. 15 Franz, i n : DVB1. 1966, 450 u n d i n : DVB1. 1972, 290 u n d i n : 76 f. internationales Recht 1971, 319 ff.; w i e Franz auch Heldmann, i n : Vorgänge 1973, 103 (104); vgl. auch Friedrichsen, a.a.O., S. 92.

2 Schüler

18

1. Die Aufgabe

liberalen Traditionen des deutschen Ausländerpolizeirechts angeknüpft und die internationale Freizügigkeitsentwicklung unberücksichtigt gelassen habe 16 . Schieckel schließlich sieht keinen Anlaß, die „Ablösung der Ausländerpolizeiverordnung durch das Ausländergesetz als Großtat des deutschen Gesetzgebers zu preisen"; für ihn liegt die Frage viel näher, „ w a r u m es mehr als 20 Jahre nach der NS-Zeit gedauert hat, ehe das aus dieser prekären Zeit stammende Polizeirecht endlich beseitigt wurde" 1 7 . — 1970 legen Franz, Heldmann, Kasprzyk, Majer und Pätzoldt einen Alternativentwurf zum Ausländergesetz 1965 v o r 1 8 ; sie halten die Reform des Ausländergesetzes für ein Gebot des Rechtsstaates 19 . Die Bischofskonferenz der katholischen Kirche beschließt 1970 die Bildung einer Kommission zum Studium der Probleme der ausländischen „Gastarbeiter" mit dem erklärten Ziel, das Ausländergesetz zu „humanisieren" 2 0 . Auf dem ökumenischen Pfingsttreffen 1971 ermahnt das Plenum des Arbeitskreises 5 (Ausländische Arbeitnehmer) die K i r chenleitungen, „sich bei der Bundesregierung und beim Bundestag für eine Reform des Ausländergesetzes i m Sinne des Alternativentwurfs '70 einzusetzen" 21 . Auf der gleichen Linie liegen die Entschließung der Evangelischen Kirche i n Deutschland i n Frankfurt am Main vom November 1971 und die vom Büro der katholischen Bischöfe i n Bonn kürzlich herausgegebenen Thesen 22 . — Der Deutsche Gewerkschaftsbund legt Anfang 1973 seine Forderungen zur Reform des Ausländerrechtes, soweit es Arbeitnehmer betrifft, vor. — Weitgehende Reformen fordert auch eine vom SPD-Bundesvorstand eingesetzte Kommission i n einem Zwischenbericht 28 . —

16 Franz, i n : DVB1. 1963, 797 und i n : Student. P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 27 (29); ebenso Heldmann, i n : Student. P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 9. 17 Schieckel, i n : ZfSH 1966, 107; vgl. auch Heldmann, i n : Vorgänge 1966, 53; K r i t i k aus marxist. Sicht: Arbeitsgruppe, i n : K r i t . Justiz 1971 Heft 1, S. 30; die A P V O w i r d teilweise als Ausdruck nationalsozialistischen Gedankenguts angesehen; anders jedoch die h. M.: B V e r w G E 3, 58 = Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 6, Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 3 u n d P o t r y kus, i n : J Z 1953, 76. 18 Ausländergesetz '65 — A l t e r n a t i v e n t w u r f '70, i n : Studentische P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 5 ff.; weitere kritische Stellungnahmen zum Ausländergesetz z.B. von der Humanistischen Union, i n : Vorgänge 1972, 46; Rittstieg, i n : DÖV 1972, 353; Majer, i n : Das Standesamt 1971, 38 sowie i n : ZRP 1972, 252 sowie Notter, i n : Recht u n d P o l i t i k 1973, 116. 19 Vgl. Heldmann, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 612. 20 Vgl. F A Z v o m 31. J u l i 1970, S. 4. 21 Vgl. hierzu Franz, i n : Jahrbuch für internationales Recht 1971, 319 f. u n d Majer, i n : ZRP 1972, 252 (253). 22 23

Vgl. Franz, a.a.O. Vgl. hierzu Buschfort, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 583.

1.1. Das Ausländergesetz 1965

19

Herbe K r i t i k erfährt das Ausländergesetz auch i n der Literatur der DDR. So sehen Riege und Tietz 2 4 das Gesetz als Teil der Notstandsgesetzgebung (!) an. Es w i r d ihrer Ansicht nach von drei Aspekten beherrscht: — „Dem Bestreben, die Bürger sozialistischer Länder zu diskriminieren"; — der „Absicht, die vielen faschistischen Emigrantenorganisationen zum festen Bestandteil des Kräftepotentials zu machen, das für die Expansions- und Revanchebestrebungen des westdeutschen Imperialismus aufgeboten w i r d " ; — dem „Bemühen, die für die westdeutsche Wirtschaft geworbenen ausländischen Arbeiter der Militarisierung der Volkswirtschaft unterzuordnen". Das Ausländergesetz trage nicht dazu bei, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern zu fördern und internationale Probleme zu lösen. I n entscheidenden Partien wirke es direkt als Faktor des verdeckten Krieges nach außen, als Moment des Demokratieabbaues nach innen. 1.1.4. Die Bedeutung des Ausländergesetzes Der Anteil der Ausländer an der Bevölkerung der BRD

Die Frage, ob der Gesetzgeber ein liberales Ausländergesetz geschaffen hat oder nicht, und vor allem, wie es die Ausländerbehörden anwenden, ist von großer praktischer Bedeutung. Denn die Zahl der Ausländer i n der Bundesrepublik steigt seit Jahren. Sie betrug (jeweils am 30. September) 25 : 1961

686 160 =

1,2 °/o der Bevölkerung,

1967

1806 700 =

3,0 % der Bevölkerung,

1968

1 924 200 =

3,2% der Bevölkerung,

1969

2 381 100 =

4,0 o/o der Bevölkerung,

1970

2 976 500 =

4,8 % der Bevölkerung,

1972

3 500 000 = über 5,0 °/o der Bevölkerung.

Zur Zahl der Ausländer nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten folgende Übersicht 26 : 24

Riege / Tietz, i n : Staat u n d Recht 1968, 988. Statist. Bundesamt, i n : Fachserie A Heft 7, S. 26 f., i n : Statist. Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1965, 55; 1969, 25 u n d 1973, 34 sowie i n : Wirtschaft u n d Statistik 1969, 360; 1970, 246; 1971, 290 (292) u n d 1973, 350. 26 Statist. Bundesamt, i n : Wirtschaft u n d Statistik 1969, 360. 25

2*

20

1. Die Aufgabe

1967

Staatsangehörigkeit 1000

1968

%

1000

1970 °/o

1000

°/o

Italien

412,8

22,8

454,2

23,6

573,6

19,1

Griechenland

201,0

n,i

211,8

11,0

342,9

11,5

Spanien

177,0

9,8

175,0

9,1

245,5

8,2

Türkei

172,4

9,5

205,4

10,7

469,2

15,8

Jugoslawien

140,6

7,8

169,1

8,8

514,5

17,3

Österreich

115,6

6,4

116,4

6,0

143,1

4,8

Niederlande

97,9

5,4

98,7

5,1

32,2

1,1

Ostblockstaaten (Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ungarn)

97,0

5,4

102,7

5,3

113,8

3,8

Frankreich

37,9

2,1

38,6

2,0

54,4

1,8

Schweiz

25,5

1,4

25,2

1,3

34,3

1,2

Großbritannien

25,3

1,4

27,1

1,4

47,1

1,6

Portugal

24,0

1,3

26,9

1,4

103,9

3,5

Belgien

11,1

0,6

11,2

0,6

26,7

0,9

7,2

0,4

7,2

0,4

12,9

0,4

5,3

0,3

5,5

0,3

7,2

0,2

27,3

1,5

27,2

1,4

14,6

0,5

europäische Staaten insgesamt

1 582,9

87,2

1 702,2

88,4

2 745,7

91,4

afrikanische Staaten

22,6

1,3

25,1

1,3

39,8

1,3

USA

48,1

2,7

50,6

2,6

56,4

1,9

übrige amerikanische Staaten

17,7

1,0

17,4

0,9

21,3

0,7

asiatische Staaten

62,7

3,5

61,3

3,2

74,2

2,6

3,2

0,2

3,2

0,2

4,7

0,2

Ausländer m i t mehrfacher Staatsangehörigkeit

10,0

0,6

5,5

0,3

4,2

0,1

staatenlos

35,2

1,9

32,5

1,7

31,6

1,1

ungeklärt u n d ohne Angabe

29,2

1,6

26,4

1,4

20,5

0,7

Dänemark Schweden übrige europäische Staaten

Australien u n d Ozeanien

1.2. Die Frage nach der Rechts Wirklichkeit des Ausländergesetzes

21

Unter den Ausländern machen die Arbeitnehmer den größten Anteil aus; sie haben i n vielen Fällen ihre Familienangehörigen nachkommen lassen. — Beträchtlich ist auch die Zahl der ausländischen Studierenden. 1.2. Die Frage nach der Rechtswirklichkeit des Ausländergesetzes Wie „liberal" das Ausländergesetz ist und vor allem wie „liberal" es die Ausländerbehörden anwenden, ist i n einer Zeit der Vollbeschäftigung und des wachsenden Bedarfs an ausländischen Arbeitskräften an diesen hohen Ausländerzahlen nicht abzulesen. — Auch die Beschäftigung mit den von Literatur und Rechtsprechung erörterten ausländerrechtlichen Streitfragen vermittelt den erwünschten Aufschluß über die Rechts Wirklichkeit des Ausländergesetzes nicht oder jedenfalls nur unvollkommen. Sie mag zeigen, welche Einzelvorschriften änderungsbedürftig sind, läßt aber nicht erkennen, wie das Ausländergesetz (und andere ausländerrechtliche Vorschriften) i n seiner Gesamtheit angewandt w i r d und ob es den tatsächlichen Gegebenheiten des Rechtslebens gerecht wird. Denn nur ein winziger Bruchteil der Fälle w i r d von den Gerichten überprüft, und überdies unterscheidet sich das streitige Rechtsverhältnis von dem unstreitigen oft ganz erheblich 27 . Es kommt hinzu, daß sehr viele Vorschriften des Ausländergesetzes Ermessensvorschriften sind, welche den Ausländerbehörden einen gewissen — oft sehr weiten — Handlungsspielraum gewähren, der nach Zweckmäßigkeitserwägungen (vor allem auch politischer Art) genutzt w i r d 2 8 . Die Ermessensentscheidungen der Verwaltungsbehörden dürfen von den Gerichten nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten sind. Keinesfalls dürfen die Gerichte ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Ausländerbehörde setzen. W i l l man den gegenwärtigen Wert des Ausländergesetzes richtig einschätzen, so muß man daher vor allem feststellen, i n welcher Weise die Exekutive von dem ihr eingeräumten weiten Ermessen Gebrauch macht 29 . 1.3. Die Bedeutung der Rechtstatsachenforschung Diese Behandlung der Normen des Ausländergesetzes unter ihrem faktischen Aspekt ist für die Dogmatik von großer Bedeutung. Sie ermöglicht es nämlich, das „ l a w i n books", das papierne Recht, vom „ l a w 27 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 400; Limbach, Theorie u n d Wirklichkeit der GmbH, S. 11. 28 BT-Drucks. IV/868, S. 9; vgl. auch Franz, i n : Jahrbuch für internationales Recht 1971, 319 (326) sowie Majer, i n : ZRP 1972, 252 (253). 29 Die „Uferlosigkeit der Ermessenserwägungen" w i r d gelegentlich heftig kritisiert, so ζ. B. von Heldmann, i n : Vorgänge 1966, 455 u n d von Majer, i n : ZRP 1969, 125.

22

1. Die Aufgabe

i n action", vom lebenden Recht, zu trennen 3 0 . Unter lebendem Recht ist geltendes Recht, das wirksam ist, zu verstehen. Die Wirksamkeit einer Norm ergibt sich i n dreifacher Hinsicht: Aus ihrer Funktion innerhalb des Normensystems, i n das sie eingebettet ist; aus ihrer Anwendung durch den Rechtsstab und endlich aus dem entsprechenden Verhalten der Rechtsunterworfenen 31 . Dabei ist i m allgemeinen das Verhalten des Rechtsstabes ausschlaggebend 32 . Deswegen w i r d Wirksamkeit einer Rechtsnorm auch definiert als „ihre Chance, vom Rechtsstab angewandt oder befolgt zu werden" 3 3 oder — etwas eng — als ihre „Gerichtsfähigk e i t " 3 4 . Ähnlich faßt Theodor Geiger 30 lebendes Recht als denjenigen Bereich des Rechtes auf, i n dem Normgefüge und Realordnung identisch sind. A u f die Bedeutung solcher Tatsachen 36 hat vor allem A r t h u r Nußbaum, der Begründer der Rechtstatsachenforschung 37 , immer wieder hingewiesen. Seiner Ansicht nach ist die Rechtstatsachenforschung ein unentbehrlicher Wegweiser für die Dogmatik. Sie ermöglicht es, gegenstandslose Probleme als solche zu erkennen und bedeutet daher „die Freimachung mißbrauchter geistiger Energie zu fruchtbarer A r b e i t " 3 8 . Dadurch w i r d die Dogmatik auch instandgesetzt, fruchtbare und lebensnahe Arbeit zu leisten; denn das kann sie nur, wenn sie sich allein mit dem lebenden Recht beschäftigt 39 . Die Behandlung des Ausländergesetzes unter faktischem Aspekt ist auch von großer Wichtigkeit für die Rechtspolitik 40 , die fragt und ent30 Vgl. Pound, i n : American L a w Review 44 (1910), 12 ff.; zur Bedeutung Pounds vgl. Rehbinder, i n : JZ 1965, 482. Auch Wüstendörfer (in: Z u r Methode soziologischer Rechtsfindung, hrsg. von Manfred Rehbinder, S. 138/181) betonte schon, wie wichtig die Kenntnis des lebenden Rechtes für den Richter ist. 31 Rehbinder, Die Rechtstatsachenforschung i m Schnittpunkt von Rechtssoziologie u n d soziologischer Jurisprudenz, i n : Jahrbuch für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie Band 1 (1970), 331 (352). 32 Rehbinder, a.a.O. 33 Rehbinder, Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, S. 108 - 115, insbes. 112. 34 Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 87 ff. 35 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 157. 36 Z u r Bedeutung der R T F für Rechtswissenschaft u n d Soziologie vgl. Rehbinder, i n : Jahrbuch f ü r Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 1 (1970), S. 331 ff.; vgl. auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 432 ff. 37 Vgl. Rehbinders Einleitung zu A r t h u r Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung. Programmschriften und praktische Beispiele. Ausgewählt und eingeleitet von Manfred Rehbinder, S. 12. 38 Nußbaum, a.a.O., S. 12; ders., i m V o r w o r t zu: Das Nießbrauchsrecht des B G B unter den Gesichtspunkten der Rechtstatsadienforschung; vgl. ferner Rehbinder, S. 35 u n d ζ. B. Krawietz, i n : Recht u n d P o l i t i k 1970, 150 (152). 39 Rehbinder, i n : Jahrbuch f ü r Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie Bd. 1 (1970), 331 (352).

1.3. Die Bedeutung der Rechtstatsachenforschung

23

scheidet, welche sozialen Ziele mit welchen rechtlichen M i t t e l n und auf welchen rechtlichen Wegen erreicht werden sollen 41 . Hier hat die Rechtstatsachenforschung die Aufgabe zu erkunden, was mit Hilfe des Rechtes erreicht werden kann. Die von ihr ermittelten Daten erlauben es dem Gesetzgeber und den Ministerien, den Effektivitätsgrad (die Wirkungschance) der von ihnen zu treffenden Entscheidungen und Anordnungen (Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften) abzuschätzen 42 . Erst bei voller Kenntnis der Rechtstatsachen ist dem Gesetzgeber die politische Entscheidung möglich, „inwieweit er höhere Anforderungen an den Bürger stellen kann und inwieweit er sich um seiner eigenen Wirksamkeit willen dem sozialen Sachverhalt anpassen muß. So kann die Rechtstatsachenforschung den Gesetzgeber davor bewahren, sein Ansehen zu verlieren und das bürgerliche Vertrauen; denn das widerfährt i h m ohne Zweifel, wenn er die Normadressaten erheblich überfordert und sie damit zum Boykott oder zur Umgehung seiner Anordnungen zwingt" 4 3 . Hierbei kann die Rechtstatsachenforschung jedoch nicht mehr, als mehrere konkrete faktische Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Unter ihnen auszuwählen und wertend zu entscheiden — dies obliegt allein dem Politiker 4 4 . Die Faktenforschung ist aber auch noch i n anderer Hinsicht von Bedeutung: Nachdem das lebende Recht festgestellt ist, ist die Frage möglich, weshalb die Rechtswirklichkeit so ist und nicht anders (wie kommt es zu bestimmten Normen des lebenden Rechts? Weshalb hat das Recht bestimmte soziale Auswirkungen?) 4 5 . M i t dieser Fragestellung geht die Faktenforschung i n die Ursachenforschung über. Dies ist das eigentliche Ziel der Rechtssoziologie 46 . Auch mit der vorliegenden Arbeit soll dreierlei versucht werden: Die Rechtswirklichkeit der Ermessensvorschriften des Ausländergesetzes festzustellen, diese Rechtstatsachen zu erklären und gesetzgebungspolitisch zu würdigen und so eine Ursachenforschung zu ermöglichen. 40

Was schon Petrazycki erkannte: vgl. Baum, Leon Petrazycki u n d seine Schüler, S. 58 ff. (insbes. S. 64). 41 Definition von Hirsch, Das Recht i m sozialen Ordnungsgefüge, S. 45. 42 Vgl. Hirsch, Was k ü m m e r t uns die Rechtssoziologie? i n : Juristen-Jahrbuch Band I I I , S. 131 (138) = Das Recht i m sozialen Ordnungsgefüge, S. 45. 43 Limbach, Theorie u n d W i r k l i c h k e i t der GmbH, S. 122; zustimmend Rehbinder, i n : Jahrbuch für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie Bd. 1 (1970), S. 331 (355); vgl. auch, a.a.O., S. 340 u n d S. 350; zur Erfolgskontrolle der Gesetzgebung vgl. Schröder, i n : Jb. für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie Bd. I I I , S. 271. 44 Vgl. Rehbinder, a.a.O., S. 331 (355). 45 Rehbinder, a.a.O., S. 331 (358). 46 Vgl. Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung, S. 67 u n d i n : AcP 154 (1955), 453 (462).

2. Die Feststellung des tatsächlichen Anwendungsbereiches des Ausländergesetzes 2.1. Untersuchungsgegenstand und Arbeitsmethode 2.1.1. Der Untersuchungsgegenstand

2.1.1.1. Die untersuchten Vorschriften Das Ausländergesetz ist i n sieben Abschnitte untergliedert, nämlich in: 1. Einreise und Aufenthalt (§§ 1 bis 19), 2. Verfahren (§§ 20 bis 26), 3. mehrfache Staatsangehörigkeit (§ 27), 4. Asylrecht (§§ 28 bis 46), 5. Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 47, 48), 6. Sonderregelungen (§ 49), 7. Übergangs- und Schlußvorschriften (§§ 50 bis 55). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich i m wesentlichen nur m i t den Vorschriften des ersten Abschnitts. I h m kommt naturgemäß besondere Bedeutung zu. Denn i n i h m sind die wichtigsten (fast) alle Ausländer betreffenden Fragen der Einreise, der Aufenthaltserlaubnis, der Ausweispflicht, der politischen Betätigung, der Ausweisung, der Abschiebung, der Duldung, der Zurückweisung und Zurückschiebung sowie der Ausreise geregelt. Doch werden i n dieser Arbeit nicht alle Bestimmungen des ersten Abschnittes untersucht, sondern nur die Ermessensvorschriften 1 . Es sind dies: — § 2 Abs. 1 Satz 2 (Erteilung der Aufenthaltserlaubnis); — § 4 Abs. 1, 2 (Erteilung und Entziehung des Fremdenpasses); — § 5 Abs. 3 (Erteilung des Durchreisesichtvermerks); — § 6 Abs. 2 (Einschränkung oder Untersagung der politischen Betätigung); — § 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, 2, Abs. 3, 4, 5 Satz 1 (räumliche Beschränkung, Befristung und Hinausschiebung der Befristung, Ein1 § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG, wonach der Bundesminister des I n n e r n i n besonderen Einzelfällen Ausnahmen v o n der Ausweispflicht zulassen kann, w i r d nicht untersucht.

2.1. Untersuchungsgegenstand u n d Arbeitsmethode

25

schränkung durch Bedingungen oder Auflagen — jeweils von A n fang an oder nachträglich); — § 8 (Erteilung der Aufenthaltsberechtigung, Beschränkung — auch nachträglich — durch Auflagen); — § 9 Abs. 2 Satz 2, 3 (Befristung der m i t Ausweisung oder Abschiebung verbundenen Wirkung, daß die Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis entfällt; nachträgliche Verlängerung oder Verkürzung dieser Frist); — §§ 10,11 (Ausweisung); — § 13 Abs. 2 Satz 2 (Bemessung der Ausreisefrist und ihre Verlängerung); — § 15 Abs. 1 Satz 2, 3 (Befristung der Wirkung von Ausweisung und Abschiebung); nachträgliche Verlängerung oder Verkürzung dieser Frist); — § 15 Abs. 2 Satz 1 (Erteilung einer kurzfristigen Ausnahmeerlaubnis zum Betreten des Bundesgebietes trotz Ausweisung oder Abschiebung); — § 15 Abs. 3 (Erteilung der örtlich beschränkten Erlaubnis an Ausländer, welche ausgewiesen sind oder deren Abschiebung angeordnet ist, und welche die Anerkennung als Asylberechtigte beantragt haben); — § 17 Abs. 1 Satz 1, 2 (Duldung); — § 19 Abs. 2 Satz 1 (Ausreiseverbot). Die übrigen Vorschriften des ersten Abschnittes werden nur insoweit untersucht und erörtert, als dies zum Verständnis der Ermessensvorschriften erforderlich erscheint. — Die Beschäftigung vor allem mit den Ermessensvorschriften ist deswegen angebracht, weil hier die Unterschiede zwischen den Absichten des Gesetzgebers und der Behördenpraxis möglicherweise besonders augenfällig hervortreten und weil ihre Untersuchung besser als die der gebundenen Vorschriften A u f schluß über etwaige Tendenzen und Grundlinien der Ausländerbehörden gibt. I m Vordergrund stehen vor allem die Bestimmungen über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und über die Ausweisung. § 18 Abs. 1 u. 2 AuslG bleibt unerörtert, da für die Zurückweisung und Zurückschiebung nach § 20 Abs. 5 und 6 AuslG die m i t der Paßnachschau bzw. die m i t der Sicherung der Grenzen beauftragten Behörden und die (Sicherheits-)Polizei zuständig sind. — Die Verfahrensvorschriften (§§ 20 bis 26) sind nur insoweit berücksichtigt, als dies das Verständnis des ersten Abschnittes fördert. — Die einzige Bestimmung des dritten Abschnittes (§ 27) kann gänzlich außer

26

2. Der tatsächliche Anwendungsbereich des Ausländergesetzes

Betracht bleiben; denn sie betrifft nur die Anzeigepflicht von Deutschen, die zugleich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. — Die asylrechtlichen Bestimmungen (§§ 28 bis 48) bleiben ebenfalls völlig unerörtert. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wenn auch ihre Handhabung geprüft würde; i m übrigen ist für das Anerkennungsverfahren allein das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf zuständig. — A u f den fünften Abschnitt w i r d ebenfalls nur am Rande eingegangen. Denn die Anwendung des § 47 ist Sache des (ordentlichen) Richters, und Ordnungswidrigkeiten (§ 48) werden nicht verfolgt, da hierfür das Personal fehlt 2 . — Die Vorschriften des sechsten und siebenten Abschnitts schließlich sind insoweit berücksichtigt, soweit sie für die Auslegung der Bestimmungen des ersten Abschnittes von Bedeutung sind 3 . 2.1.1.2. Die untersuchten

Verwaltungsakte

Die Anwendung der erwähnten Ermessensvorschriften wurde i n etwa 2500 Fällen geprüft. Es handelt sich dabei ausschließlich u m Entscheidungen, die der Polizeipräsident i n Berlin als Berliner Ausländerbehörde getroffen hat. Verglichen mit den 45 386 polizeilich gemeldeten Ausländern, die am 30. September 1967 i n Berlin (West) lebten (44 086 am 30. September 1968, 82 322 am 30. September 1969)4 oder verglichen mit 1 806 700 Ausländern, die am 30. September 1967 i n der gesamten BRD lebten (ein Jahr später 1 924 2005), ist die Zahl der untersuchten Fälle sehr klein. Man könnte einwenden, dieses offensichtliche Mißverhältnis zwischen der Zahl der untersuchten Fälle und der Zahl der Ausländer, die örtliche Begrenzung auf Berlin (West) und das Fehlen eines repräsentativen Querschnitts machten die Untersuchung wertlos. Dem kann man nicht entgegenhalten, es übersteige die K r a f t eines einzelnen, auf dem Gebiete des Aufenthaltsrechtes wirklich aufschlußreiches Material zu sammeln. Denn diese Erkenntnis hätte es eher nahelegen müssen, die Tatsachenforschung einzustellen 6 . Wenn dies 2 Vgl. den Organisationsbericht des Senators für Inneres von B e r l i n über die Berliner Ausländerbehörde. 3 z.B. § 55 Abs. 3 A u s l G : „Abweichende Bestimmungen i n völkerrechtlichen Verträgen bleiben unberührt." 4 Zahlen nach den Ausländerstatistiken des Polizeipräsidenten i n Berlin. 5 Statistisches Bundesamt, i n : Wirtschaft u n d Statistik 1969, 360. 6 Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung, ausgewählt u n d eingeleitet von Rehbinder, S. 21.

2.1. Untersuchungsgegenstand u n d Arbeitsmethode

27

nicht geschah, so deswegen, weil auch eine nicht vollständige Untersuchung aller Anwendungsfälle des Ausländergesetzes von Interesse ist. Sie vermittelt immerhin einen Überblick über die Praxis einer Ausländerbehörde und die Bedeutung der Ermessensvorschriften i n Berlin. Wenn man sich auch wegen dieses relativ kleinen Ausschnitts der untersuchten Fälle vor unzulässigen, vorschnellen Verallgemeinerungen hüten muß, so lassen sich doch in begrenztem Umfang wichtige Schlüsse ziehen. Deren Aussagekraft steigt, wenn weitere Rechtstatsachenforschungen zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Sie reichen zwar nicht aus, um eine These i m strengen Sinne zu beweisen. Aber sie bewirken, daß diese These mehr Wert ist als eine bloße Spekulation oder als eine Aussage über eine nicht näher greifbare, subjektive Erfahrung. Wer dieser These widerspricht, muß seine Antithese m i t anderslautenden empirischen Befunden belegen, d. h. er trägt die Beweislast (im untechnischen Sinne) 7 . Die untersuchten Fälle stammen aus den Jahren 1967/68, wobei die Entscheidung der Ausländerbehörde maßgeblich war. Fälle aus dem Jahre 1965 oder früher schieden aus, weil das Ausländergesetz erst i m Laufe des Jahres 1965 i n Kraft trat. Um dem möglichen Einwand zu begegnen, die gefundenen Ergebnisse seien zufällig, weil sich die Beamten noch nicht i n das neue Gesetz eingearbeitet hätten (was erfahrungsgemäß längere Zeit dauert), wurden auch Fälle des Jahres 1966 nicht berücksichtigt. Spätere Fälle schließlich hätten nur recht unvollständig geprüft werden können, weil sich die betreffenden Akten zum großen Teil noch i m Geschäftsgang (bei der Aufsichtsbehörde, den Gerichten oder dem Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin) befanden. Die räumliche Begrenzung der Untersuchung auf Berlin scheint den Wert des gefundenen Tatsachenmaterials nicht nachteilig zu beeinflussen. Denn der Charakter Berlins als bedeutende Industriestadt und wichtiger Handelsplatz sowie als kulturelle Metropole gewährleistet eine vielfältige Zusammensetzung der ausländischen Bewohner (Ausländer aus vielen Staaten; Arbeitnehmer und selbständig Tätige; Praktikanten, Fachschüler u n d Studenten). Daß die besondere politische Lage Berlins von größerem Einfluß ist, konnte nicht festgestellt werden; die Äußerung des zuständigen Abteilungsleiters des Polizeipräsidenten in Berlin, daß das Ausländerpolizeirecht i n Berlin nicht grundsätzlich anders als i m übrigen Bundesgebiet gehandhabt werde, scheint zuzutreffen 8 . Richtig ist, daß die Untersuchung — worauf Soziologen m i t Bedenken hinweisen werden — nicht einmal für die Verhältnisse 7 8

Rehbinder, i n : RabelsZ 1970, 180 (181). Weißmann, i n : Die Polizei 1963, 225 (226).

28

2. Der tatsächliche Anwendungsbereich des Ausländergesetzes

i n Berlin i n jeder Hinsicht typisch ist, w e i l kein verkleinertes Modell der Gesamtgruppe der Ausländer i n Berlin gebildet wurde. Von der Bildung eines repräsentativen Querschnittes der Gesamtgruppe der Ausländer i n Berlin (mit Hilfe soziografischer Methoden) sah der Verfasser bewußt ab. Denn es kam i h m i n erster Linie darauf an, die Ausweisungen und daneben die Aufenthaltserlaubnisversagungen der Jahre 1967 und 1968 zu untersuchen, und diese Fälle hat er fast sämtlich geprüft (von wenigen nicht greifbaren Vorgängen abgesehen). A u f diese Weise wurde bei der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes jedes subjektive Moment ausgeschaltet. Es wurden auch die meisten derjenigen Fälle geprüft, i n denen zwar die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausweisung vorlagen, die Ausländerbehörde hiervon aber auf Grund irgendwelcher Ermessenserwägungen absah. Denn dann wurde zumeist die Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert oder sogar nachträglich befristet; diese Fälle aber wurden fast alle untersucht. 2.1.2. Die technische Durchführung der Rechtstatsachenforschung

Für die Feststellung von Rechtstatsachen auf dem Gebiete des Ausländerrechtes bietet sich die Durchsicht der Ausländerakten an, die für jeden Ausländer, der seinen Aufenthalt angezeigt hat, angelegt werden. Denn die Ausländerakten enthalten alle den Ausländer betreffenden wesentlichen Vorgänge, nämlich vor allem 1. den Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis, 2. die Verfügung nebst Vermerk, 3. Stellungnahmen und Mitteilungen anderer Behörden und Organisationen (z.B. der Strafverfolgungsbehörden, des Senators für W i r t schaft, der Sozialämter, der Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen), 4. Widerspruchsbescheide und Urteile. Die Aktendurchsicht war mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil sich die Untersuchung auf Ermessensentscheidungen des Polizeipräsidenten i n Berlin auf Grund des Ausländergesetzes beschränkte und diese A k t e n nicht gesondert aufbewahrt wurden. Es kam hinzu, daß die (Anfang 1969) 170 000 „toten" A k t e n des Archivs i n der Reihenfolge ihres Einganges numeriert und abgelegt wurden — gleich, ob sie lediglich eine Aufenthaltsanzeige enthielten oder ob sie mehrere hundert Blatt umfaßten. Diese A r t der Aufbewahrung mag für die endgültige Aussonderung zweckmäßig sein, für das Heraussuchen einzelner Akten, die i n den Geschäftsstellen 9 oder für wissenschaftliche Zwecke benötigt werden, nicht. Da der Verfasser (und auch mehrere gehobene 9

So der Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 36.

2.1. Untersuchungsgegenstand u n d Arbeitsmethode

29

und höhere Beamte des Ausländerreferates, mit denen er vor Beginn der Erhebung organisatorische Fragen besprach) nicht wußten, daß die Einreisestelle eine Liste derjenigen Ausländer führt, die ausgewiesen worden sind oder denen die Aufenthaltserlaubnis versagt worden ist, und da auch das gezielte Heraussuchen der hier interessierenden A k t e n die umständliche vorherige Feststellung der Register-Nummer der Ausländerakten anhand der riesigen B - K a r t e i erfordert hätte, sah er sich gezwungen, systematisch alle 1967 bis Mitte 1969 i m Archiv abgelegten rund 30 000 A k t e n nach den zu untersuchenden Fällen durchzukämmen. Auch das Heraussuchen der zu prüfenden Fälle aus den 70 000 „lebenden" Akten war m i t großen Schwierigkeiten verbunden, da sie bis 1969 auf den Geschäftsstellen der Gruppe a und bei der Widersprüche bearbeitenden Gruppe b sämtlich nach Wiedervorlageterminen abgelegt wurden. Für jeden Tag des Monats bzw. des Jahres gab es ein Fach. U m eine gesuchte Akte aufzufinden, war es notwendig, den gesamten Stapel Akten (30 bis 40) eines Faches herauszunehmen und durchzusehen. Dazu waren auch die Bediensteten der Ausländerbehörde bei ihrer täglichen Arbeit gezwungen (nach Ziehung der Karteikarte, wo das Wiedervorlagedatum vermerkt war). Erst seit 1969, als schon 2 /s der Untersuchungen durchgeführt waren, werden die „lebenden" A k t e n alphabetisch i n Pendelregistraturen aufbewahrt. Die restlichen Akten konnten nunmehr anhand der erwähnten Namensliste, welche dem Verfasser inzwischen zufällig bekanntgeworden war, herausgesucht werden. Die Schwierigkeiten blieben aber immer noch groß genug, da sich die Zahl der gemeldeten Ausländer 1969 fast verdoppelte und viele „lebende" Akten auf den Senator für Inneres von Berlin, die Verwaltungsgerichte und den Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin verstreut oder — praktisch nicht mehr greifbar — wegen Umzuges an westdeutsche Ausländerbehörden abgegeben waren. — Für jede der untersuchten Ausländerakten wurde, wenn sie aufgefunden war, eine Karteikarte angelegt. A u f ihr wurden alle wichtigen Angaben vermerkt, die für die Entscheidung der Ausländerbehörde und ihre Bewertung von Bedeutung sind. Dazu gehören: 1. der Familienname (da es kein besonderes Aktenzeichen gibt, als äußeres Ordnungsmerkmal wichtig); 2. bei Frauen auch der Geburtsname; 3. die jetzige Staatsangehörigkeit (sie ist wichtig, weil viele völkerrechtliche Verträge sowie etliche Rundschreiben des Bundesministers des Innern und des Senators für Inneres von Berlin nach der Staatsangehörigkeit differenzieren) ;

30

2. Der tatsächliche Anwendungsbereich des Ausländergesetzes

4. die frühere Staatsangehörigkeit (sie ist für die Beurteilung der Assimilationsfähigkeit von Bedeutung, insbesondere bei früherer deutscher Staatsangehörigkeit) ; 5. das Geburtsjahr (es ist z.B. von Interesse i n bezug auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, den Erwerb eines Altersrentenanspruchs oder die Gefahr von Sozialhilfebezug); 6. der Geburtsort, falls er nicht i n demjenigen Lande liegt, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt (er kann von Bedeutung sein für die Beurteilung der Assimilationsfähigkeit); 7. der Familienstand und die Zahl der Kinder (auch unehelicher); 8. gegebenenfalls: die Staatsangehörigkeit der Kinder und der Ehefrau, falls sie von der des Ausländers abweicht, insbesondere wenn es die deutsche ist (ausländische Ehefrauen deutscher Ehemänner hatten nach § 6 RuStAG a. F. einen Anspruch auf Einbürgerung; ausländische Ehegatten deutscher Staatsangehöriger haben einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis 1 0 ); 9. die Religion, falls angegeben (sie kann u. U. für die Frage der Assimilation von Bedeutung sein); 10. der Beruf (für arbeitsmarktpolitische Erwägungen wichtig); 11. Dauer und Zeitpunkt eines früheren Aufenthaltes in Deutschland (diese Angaben können Indizien für eine Niederlassungsabsicht oder bei der Beurteilung der Assimilationsfähigkeit sein); 12. Einreisedatum (diese Angabe läßt erkennen, ob die aufenthaltsund melderechtlichen Vorschriften beachtet sind); 13. gegebenenfalls: die Angabe, ob der Ausländer m i t Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks oder m i t Legitimationskarte eingereist ist; 14. die Angabe, ob Familienangehörige miteinreisen oder nachkommen (als Indiz für eine etwaige Niederlassungsabsicht von Bedeutung); 15. Zweck des Aufenthalts (ζ. B. Besuch, Touristenreise, Studium, A r beitsaufnahme; diese Angabe ist wichtig für die weitere Behandlung des Antrages über die Aufenthaltserlaubnis); 16. beabsichtigte Dauer des Aufenthaltes (läßt u. U. eine Niederlassungsabsicht erkennen) ; 17. beabsichtigte Erwerbstätigkeit (von Interesse für arbeitsmarktpolitische Erwägungen); 10 Früher § 5 Abs. 1 Nr. 3 der Neunten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung u n d Arbeitslosenversicherung (Arbeitserlaubnis f ü r nichtdeutsche Arbeitnehmer) v o m 20. November 1959 (BGBl. S. 689/GVB1. S. 1250), jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 2 der ArbeitserlaubnisVO v o m 2. März 1971 (BGBl. I, S. 152/GVB1., S. 55),

2.2. Die A r b e i t der Berliner Ausländerbehörde

31

18. die Angabe, aus welchen M i t t e l n der Lebensunterhalt bestritten w i r d (Bezug von Sozialhilfe ist Ausweisungsgrund); 19. Vorstrafen (nach höheren Grund der Strafe, Zeitpunkt und Ort des Urteils; Vorstrafen können Ausweisungsgrund sein); 20. Zeitraum, für den die Aufenthaltserlaubnis beantragt w i r d ; 21. Stellungnahme von Behörden und Organisationen (für die Ermessensausübung von Interesse); 22. Zeitpunkt, Inhalt und Begründung der erlassenen Verfügung (dabei wurde insbesondere der der Verfügung vorausgeschickte Vermerk berücksichtigt, weil sich oft nur aus i h m die wahre Begründung ergibt); 23. Zeitpunkt und Inhalt des Widerspruchs; 24. Zeitpunkt, Inhalt und Begründung des Widerspruchbescheides; 25. Zeitpunkt, Inhalt und Begründung von gerichtlichen Urteilen; 26. Zeitpunkt der Ausreise bzw. der Abschiebung und deren Kosten (22. und 26. gibt Aufschluß über die Effektivität der Ausländerbehörde). 2.2. Die Arbeit der Berliner Ausländerbehörde 2.2.1. Ihre Aufgaben

Berliner Ausländerbehörde ist das Referat A der Abteilung I I des Polizeipräsidenten i n Berlin (§ 1 Abs. 4 des Polizeizuständigkeitsgesetzes — PolZG — vom 2. Oktober 195811, § 13 Nr. 12 DVO-PolZG vom 7. Oktober 195812). I h m obliegen folgende Aufgaben: 1. Registrierung der i n das Land Berlin einreisenden Ausländer; 2. Entscheidung über die Befugnis der Ausländer zum Aufenthalt; 3. Überwachung der Ausländer auf Einhaltung der ausländerrechtlichen Vorschriften und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 48 AuslG; 4. die M i t w i r k u n g bei der Entscheidung der deutschen Auslandsvertretungen über Aufenthaltserlaubnis i n der Form von Sichtvermerken, wenn die Ausländer i n das Land Berlin einreisen wollen; 5. die Ausstellung von Fremdenpässen, Kinder aus weisen und Reiseausweisen; 6. Erteilung von Durchreisevisa an Ausländer, die i n der DDR wohnen und über die BRD ins westliche Ausland reisen wollen; 7. Amtshilfe bei der Anerkennung ausländischer Flüchtlinge; 11 12

GVB1., S. 959. GVB1., S. 969.

32

2. Der tatsächliche Anwendungsbereich des Ausländergesetzes

8. Entscheidung über die Anerkennung oder Aberkennung der Rechtsstellung als heimatlose Ausländer. Hiervon wurde die dritte Aufgabe 1967/68 nicht erfüllt, da die erforderlichen Arbeitskräfte fehlten. 2.2.2. Organisationsstruktur und Aufgabenverteilung

Das Ausländerreferat umfaßte 1967/68 zwei Gruppen. Die Gruppe a nahm 1967/68 alle Angelegenheiten nach dem Ausländergesetz bis zur abschließenden Entscheidung wahr. Sie gliederte sich i n fünf Sachgebiete. — Das Sachgebiet 1 umfaßte die Einreisestelle (wo vor allem die Sichtvermerksangelegenheiten bearbeitet wurden), die Paßstelle, die Zentralkartei (der „lebenden" Fälle) und das Archiv (der „toten" Fälle). — I n den übrigen vier Sachgebieten wurde der Publikumsverkehr abgewickelt, d.h. es wurden insbesondere Aufenthaltserlaubnis-Anträge bearbeitet. — Die Versagung von Aufenthaltserlaubnissen war stets dem Gruppenleiter —1967/68 ein jüngerer Volljurist — vorbehalten, die Erteilung jedoch nur i n schwierigen Fällen. Leitungsaufgaben nahm er nicht wahr 1 3 . Der Gruppe b oblag 1967/68 folgendes: — Überprüfung der Entscheidungen der Gruppe a bei Widersprüchen; — Entscheidimg über Ausreisefristverlängerung und Duldung; — Überwachung der Ausreise ausgewiesener Ausländer und Vorbereitung der Abschiebung; — Führung aller Verwaltungsstreitverfahren des Referats. Der Leiter der Gruppe b — 1967/68 ebenfalls ein jüngerer Volljurist — war gewissermaßen der Justitiar des Referats; jedoch standen auch i h m insoweit fast keine Entscheidungsbefugnisse zu 1 4 . Der Referatsleiter — i m Untersuchungszeitraum ein älterer Volljurist — war 1967/68 u. a. zuständig für — grundsätzliche Anordnungen und Einzelweisungen i n wichtigen Fällen, — Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen i n besonderen bzw. i n schwierigen Fällen, — Entscheidung über Ausweisungen, — Entscheidung über die Duldung, — Unterzeichnung von Schriftsätzen i n I. Instanz. 13 14

Verwaltungsstreitverfahren

So der Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 11. Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 20.

2.2. Die Arbeit der Berliner Ausländerbehörde

33

Die Hauptaufgabe, nämlich Leitungsfunktionen auszuüben (planen, organisieren, leiten, koordinieren, kontrollieren) nahm er — wenn überhaupt — nur i n ganz begrenztem Umfang wahr 151 . Der Leiter der Abteilung I I des Polizeipräsidenten i n Berlin, ein 1921 i n Magdeburg als Sohn eines Amtsrates geborener Leitender Regierungsdirektor, der 1955 m i t einer Arbeit über Verfassungsschutz bei dem konservativen Würzburger Staats- und Völkerrechtler Freiherr von der Heydte promoviert und einen Standardkommentar zum Ausländergesetz verfaßt hatte, behielt sich 1967/68 aus dem Bereich des Referats- bzw. der Gruppenleiter ständig u. a. folgende Aufgaben vor: — Entscheidung über Abhilfe i n Widerspruchsangelegenheiten; — Unterzeichnung („mit Tinte und i n angemessener Größe" 16 ) von a) an die Aufsichtsbehörde und andere Senatsverwaltungen, b) Schriftsätzen i n Verwaltungsstreitverfahren I I . Instanz (womit die Wahrnehmung der Prozeßtermine verbunden war). Der Abteilungsleiter w i r k t e 1967/68 darüber hinaus auch häufig bei der Bearbeitung mit. Der Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin sah hierin einen der Gründe, weswegen vieles, was regelungsbedürftig wäre, ungeregelt blieb 1 7 . Er kam 1969 zu dem Ergebnis, daß grundsätzlich alle Entscheidungen u m eine Ebene zu weit nach oben verlagert waren 1 8 . 2.2.3. Arbeitsmittel und Kommunikation

A n Arbeitsmaterial stand den Sachbearbeitern des Ausländerreferates 1967/68 i m wesentlichen nur ein 1965 erschienener Kommentar des Abteilungsleiters zum Ausländergesetz zur Verfügung, der auch die Durchführungsverordnung, die Ausführungsvorschriften, die Verwaltungsvorschriften und die Gebührenverordnung enthält (der Kommentar weist nach Rondholz 19 „gemütvoll-faschistoides Vokabular" auf). Außerdem brachte der Leiter des Sachgebietes 1, der die Grundsatzangelegenheiten des Ausländerrechtes bearbeitet und die Generalienakten des Ausländerreferates führte, den übrigen Sachbearbeitern auch wichtige Anweisungen des Bundesinnenministers bzw. des Senators für Inneres von Berlin zur Kenntnis, meist jedoch nur i m Umlauf verfahren. Die zum Verbleib bei den Sachbearbeitern bestimmten Anweisungen 15

Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 8. So die i m Untersuchungszeitraum noch immer angewandte Geschäftsordnung des Polizeipräsidenten i n Berlin. 17 Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 8. 18 Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 25. 19 Rondholz, i n : Studentische P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 39 (41). 16

3 Schüler

2. Der tatsächliche Anwendungsbereich des Ausländergesetzes

34

wurden nach eigenem Ermessen, meist i n der Reihenfolge des Einganges, abgelegt, weil Ordnungsmerkmale zur Ablage dieser Anweisungen nicht gegeben wurden. Da ständig neue Generalien hinzukamen, aber nicht darauf hingewiesen wurde, wann die alten durch irgendwelche Umstände gegenstandslos wurden, wurden diese Generalien nach einiger Zeit für die laufende Arbeit praktisch wertlos. Deswegen drängt sich dem unbefangenen Betrachter der Eindruck auf, daß das Informationssystem völlig unausgebaut und auch seine Bedeutung zur Regelung und Koordinierung der Arbeit nicht erkannt war 2 0 . 2.2.4. Arbeitsanfall

Die Geschäftsstellen der Gruppe a hatten 1968 rund 70 000 Vorgänge zu bearbeiten. Davon waren etwa 65 % alte Fälle (Verlängerungen der Aufenthaltserlaubnis), ungefähr 35 °/o neue (hiervon betrafen 7 °/o Ausländer m i t Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks, 8 °/o solche mit sonstigen legalen Einreisepapieren, 10 °/o bisher überhaupt nicht erfaßte Ausländer, 5 % bereits i n Westdeutschland erfaßte Ausländer und 5 °/o sonstige Fälle) 2 1 . Die Einreisestelle bearbeitete 1968 6705 Einreiseanträge und 5694 sonstige Eingänge. Sie erlaubte 1686 Besuchseinreisen und erteilte 261 Durchreisesichtvermerke 22 . Die Paßstelle stellte etwa 500 Pässe aus und verlängerte ungefähr 800 23 . Die Gruppe b bearbeitete 1967 395 Widersprüche, 1968 389. Ihre Sachbearbeiter schlugen i n 80 bis 100 Fällen (das sind etwa 20 bis 25 °/o) Abhilfe vor, dem jedoch nur 55 mal gefolgt wurde. — Interessanterweise enthielt die Stellungnahme des Polizeipräsidenten i n Berlin zum angefochtenen Bescheid zwar neben den Formalien eine gedrängte Wiedergabe des Akteninhalts und auch praktisch eine Wiederholung der angefochtenen Verfügung selbst; sie setzte sich jedoch regelmäßig nicht mit den i m Widerspruch neu vorgebrachten Tatsachen und Rechtsansichten auseinander, sondern beschränkte sich auf den stereotypen Satz: „Die Ausführungen i m Widerspruchsschreiben sind nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu treffen." Anscheinend hat die für die Widerspruchsbehörde bestimmte Stellungnahme i n den Augen der Ausländerbehörde nur den Zweck, die angefochtene Verfügung zu rechtfertigen. — 20 21 22 23

Organisationsbericht Organisationsbericht Organisationsbericht Organisationsbericht

des des des des

Senators Senators Senators Senators

für für für für

Inneres Inneres Inneres Inneres

von von von von

Berlin, Berlin, Berlin, Berlin,

S. 33. S. 48. S. 54. S. 88.

2.2. Die A r b e i t der Berliner Ausländerbehörde

35

D e r S e n a t o r f ü r I n n e r e s B e r l i n gab e t w a 27 °/o d e r i h m z u g e l e i t e t e n Widersprüche statt24. — Die Gruppe b der Ausländerbehörde

drohte

1967 68-, 1968 5 4 m a l d i e A b s c h i e b u n g a n u n d o r d n e t e sie auch t e i l w e i s e an. I n 10 bis 15 °/o dieser F ä l l e v e r h ä n g t e das A m t s g e r i c h t Schöneberg i n B e r l i n A b s c h i e b u n g s h a f t . — 1967 w u r d e n 68 D u l d u n g e n e r s t m a l i g ausgesprochen oder v e r l ä n g e r t ; 1968 w a r e n es 4 4 2 5 .

24 Bemerkenswerterweise änderte der Senator für Inneres 1967/68 i n k e i nem Falle die von der Ausländerbehörde getroffene Entscheidung zuungunsten des betroffenen Ausländers ab, obwohl das Bundesverwaltungsgericht neuerdings die reformatio i n peius grundsätzlich für zulässig erachtet (BVerwGE 14, 175/178 ff.; OVG Hamburg, i n : DVB1. 1957, 284; O V G Berlin, i n : AS 6, 171/173; a. A. noch B V e r w G E 8, 45 u n d BVerwG, i n : N J W 1957, 195) u n d dies auch i n einer Reihe von Ausländerfällen rechtmäßig gewesen wäre (Ausweisung anstatt Versagung der Aufenthaltserlaubnis). Diese — auch i n der L i t e r a t u r von mindestens 16 Autoren erörterte — Streitfrage (vgl. Klinger, V w G O , § 73 A n m . Β 4 m i t weiteren Literaturnachweisen) spielte also für das Aufenthaltsrecht i n B e r l i n überhaupt keine Rolle. 25 Organisationsbericht des Senators für Inneres von Berlin, S. 58.

3*

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 3.1. Allgemeines 3.1.1. Die Bedeutung des § 2 AuslG

Die Frage, welcher Ausländer einer Aufenthaltserlaubnis bedarf und unter welchen Voraussetzungen diese Erlaubnis zum Aufenthalt i m Bundesgebiet erteilt werden darf, ist i m § 2 AuslG geregelt. Diese Bestimmung ist das Kernstück des Gesetzes und damit des gesamten Ausländerrechtes 1 . Denn erst die Befugnis zum Aufenthalt ermöglicht es dem Ausländer, an der i m Bundesgebiet geltenden Rechtsordnung i m weiten Umfang zu partizipieren. 3.1.2. Der Kreis der Ausländer die einer Aufenthaltserlaubnis bedürfen

§ 2 Abs. 1 Satz 1 AuslG geht vom Erlaubniszwang aus: Jeder Ausländer, der i n den Geltungsbereich des Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten w i l l , bedarf einer Aufenthaltserlaubnis 2 . Doch ist diese Regel weitgehend durchlöchert, da nach Gesetz, Verordnung und zwischenstaatlichen Vereinbarungen zahlreiche Befreiungen vom Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis bestehen. So bedürfen u. a. keiner Aufenthaltserlaubnis : — Ausländer unter 16 Jahren (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG); — heimatlose Ausländer (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AuslG); — das Geschäftspersonal der konsularischen Vertretungen i m Bundesgebiet, deren und der Konsuln Familienmitglieder sowie deren Bedienstete (vgl. i m einzelnen § 49 Abs. 2 AuslG); — Ausländer, die nach zwischenstaatlichen Vereinbarungen befreit sind (hierzu gehören u. a.:

hiervon

1. Mitglieder diplomatischer Missionen, konsularischer Vertretungen und ausländischer Handelsvertretungen 3 , insbesondere nach 1 Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, AuslG § 2 A n m . 1; vgl. auch de Haan, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 617. 2 Kritisch zur grundsätzlichen Erlaubnispflicht Schultz, i n : M D R 1965, 883 (884). 3 Vgl. hierzu u n d zum folgenden Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 31, § 49 RdNr. 1 ff.

3.1. Allgemeines

37

dem „Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen" vom 18. A p r i l 19614; 2. gewisse dem Nato-Truppenstatut vom 19. Juni 19515 und seinem Zusatzabkommen unterstehende Personen 6 ; 3. Vertreter und Bedienstete der Sonderorganisationen der UNO 7 ); — ausländische Inhaber von Ausweisen für den kleinen Grenzverkehr und den Touristenverkehr (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 D V AuslG); — ausländisches Flug- und Schiffspersonal (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 6 bis 9 D V AuslG); — ausländische Transit-Fluggäste (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 D V AuslG). Keiner Aufenthaltserlaubnis bedürfen vor allem u. a. (vgl. § 1 Abs. 2 DVAuslG) Ausländer, — die sich nicht länger als drei Monate aufhalten und keine Erwerbstätigkeit ausüben wollen oder — die sich unter Beibehaltung ihres gewöhnlichen Aufenthaltes i m Ausland künstlerisch, sportlich oder wissenschaftlich betätigen wollen, sofern die Dauer des Aufenthaltes zwei Monate nicht übersteigt, wenn sie einem derjenigen ungefähr 100 Staaten angehören, die i n der Anlage zur DVAuslG aufgeführt sind. Nicht aufgezählt sind dort vor allem die meisten arabischen und alle kommunistischen Staaten außer Jugoslawien. Doch gilt i n Berlin bezüglich der Staatsangehörigen der Staaten Albanien, Bulgarien, Jugoslawien, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn eine Sonderregelung (BK/0 (67) 7 vom 17. J u l i 19678): ,,... 2. Zusätzlich zu den Kategorien von Personen, die gemäß den Bestimmungen der alliierten oder deutschen Gesetzgebung ohne Aufenthaltserlaubnis i n Berlin wohnen dürfen, und unter Berücksichtigung des Prinzips der Freizügigkeit i n Groß-Berlin, ist ein Staatsange4

BGBl. I I , S. 957. BGBl. I I 1961, S. 1190. β Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 33 u n d 61 ff.; zum Verhältnis der A P V O zum Truppenstatut vgl. O L G Hamburg, i n : N J W 1963, 2315; zum Aufenthaltsrecht der ausländischen Streitkräfte i n der B R D siehe Großmann, A u f e n t haltsrecht u n d Rechtsstellung der ausländischen Streitkräfte i n Deutschland unter besonderer Würdigung der französischen Truppen, Diss. Würzburg 1971. 7 Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 34 u n d 66 ff. 8 GVB1., S. 1028. 5

38

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

höriger dieser Staaten . . . berechtigt, sich i n den Westsektoren von Berlin aufzuhalten, wenn a) sein Aufenthalt i n den Westsektoren wissenschaftlichen, technischen, kulturellen, sportlichen oder touristischen Zwecken dient oder m i t einer bestimmten Veranstaltung zur Förderung des internationalen Handels (einschließlich Handelsmessen und Ausstellungen) zusammenhängt; b) sein Aufenthalt dem Polizeipräsidenten vorher oder innerhalb eines Werktages nach Ankunft i n den Westsektoren von Berlin bekanntgegeben w i r d . . . ; c) sein Aufenthalt i n den Westsektoren von Berlin 31 Tage nicht überschreitet..— I n der gesamten Bundesrepublik Deutschland bedürfen 1967/68 ferner keiner Aufenthaltserlaubnis Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EWG, die i m Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, wenn die Dauer des Aufenthaltes drei Monate nicht übersteigt, und ihre Familienangehörigen (§ 1 Abs. 6 DVAuslG; jetzt § 8 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — AufenthG/EWG — vom 22. J u l i 19699). 3.1.3. Die Form der Aufenthaltserlaubnis

Die Aufenthaltserlaubnis kann vor der Einreise (in der Form des Sichtvermerks oder i n anderer Form) oder nach der Einreise erteilt werden (§ 5 Abs. 1 AuslG). Dies muß immer ausdrücklich i n besonderer Form geschehen; eine stillschweigende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gibt es nicht 1 0 . Der Aufenthalt kann auch nicht deswegen als erlaubt angesehen werden, weil es unterblieben ist, gegen einen Ausländer einzuschreiten, der sich unbefugt i m Bundesgebiet aufhält. 3.1.4. Die Rechtsnatur der Aufenthaltserlaubnis und der ihr zugrundeliegenden Entscheidung

Nach der Systematik des Ausländergesetzes bedeutet die Aufenthaltserlaubnis die Freistellung eines bestimmten Ausländers von dem für Nichtdeutsche geltenden allgemeinen Aufenthaltsverbot 1 1 . Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist ein begünstigender Verwaltungsakt 1 2 , der nach einer Auffassung dem Gnadenakt stark ange9

BGBl. 1969 I, S. 927/GVB1. 1969, S. 1155. Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 6; a. Α.: Franz, i n : DVB1. 1965, 457 (459). 11 V G H Bad.-Württ. E S V G H 18, 232; Heldmann, i n : Studentische P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 9 (10); Schiedermair, a.a.O., Anm. 6. 12 Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 5. 10

3.1. Allgemeines

39

n ä h e r t i s t 1 3 , nach e i n e r a n d e r e n A n s i c h t z u g l e i c h auch d e n C h a r a k t e r eines Regierungsaktes h a b e n s o l l 1 4 . 3.1.5. Die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 3.1.5.1. Gültiger

Paß oder

Paßersatz

D i e A u f e n t h a l t s e r l a u b n i s d a r f n u r A u s l ä n d e r n e r t e i l t w e r d e n , welche e i n e n g ü l t i g e n Paß oder Paßersatz besitzen. D e n n nach § 3 A b s . 1 Satz 1 A u s l G müssen sich a l l e A u s l ä n d e r , die i n das B u n d e s g e b i e t einreisen, sich d a r i n a u f h a l t e n oder aus i h m ausreisen w o l l e n , d u r c h e i n e n Paß ausweisen. A u ß e r d e m erlischt d i e A u f e n t h a l t s e r l a u b n i s , w e n n der A u s l ä n d e r k e i n e n g ü l t i g e n Paß oder Paßersatz m e h r besitzt. A u s diesen B e s t i m m u n g e n f o l g t das m i n d e r e , daß e i n e m solchen A u s l ä n d e r auch k e i n e neue A u f e n t h a l t s e r l a u b n i s e r t e i l t w e r d e n d a r f 1 5 . — Diese A u f fassung p r a k t i z i e r t e auch d i e B e r l i n e r A u s l ä n d e r b e h ö r d e . 3.1.5.2. Nichtbeeinträchtigung

der Belange

der

BRD

Weitere Voraussetzung f ü r die E r t e i l u n g der Aufenthaltserlaubnis i s t es, daß die A n w e s e n h e i t des b e t r e f f e n d e n A u s l ä n d e r s B e l a n g e d e r B R D n i c h t b e e i n t r ä c h t i g t . A l s o erst w e n n festgestellt ist, daß B e l a n g e der B R D n i c h t entgegenstehen, d a r f d i e B e h ö r d e eine p o s i t i v e E n t scheidung t r e f f e n . 13 So Heldmann, a.a.O., S. 10; Kanein, AuslG, § 1 A n m . A 4 b u n d § 2 Anm. A 2 b sowie i n : BBgmstr. 1969, 229 (231); Majer, i n : ZRP 1965, 125 (126); Wittmann, i n : A W D 1968, 392. 14 Schiedermair, a.a.O., A n m . 6. 15 O V G Berlin, Urt. v o m 7. Januar 1970 — I Β 68/69 —. Diese Auffassung praktizierte auch die Berliner Ausländerbehörde: 1967 lehnte sie 36, 1968 32 Aufenthaltserlaubnis-Anträge aus diesen Gründen ab. I n 41 dieser insgesamt 68 Fälle lag allerdings zugleich auch ein anderer Versagungsgrund vor (vor allem Fehlen des erforderlichen Sichtvermerks). I m Untersuchungszeitraum lehnte die Berliner Ausländerbehörde die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch dann ab, wenn der betroffene Ausländer zwar einen Paß besaß, dieser aber nicht für die B R D galt, oder wenn der Paß nicht mehr galt. Doch half sie Widersprüchen ab, w e n n sie einen Fremdenpaß ausstellte oder w e n n der Heimatpaß inzwischen verlängert worden war. — I n zwei weiteren Fällen gab sie dem Widerspruch sogar statt, ohne daß ein gültiger Paß vorlag. Eine solche, unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 A u s l G erteilte Aufenthaltserlaubnis ist nichtig. Die Ausländerbehörde hätte den umständlicheren, aber allein richtigen Weg über den Fremdenpaß beschreiten müssen, wenn sie eine wirksame Aufenthaltserlaubnis erteilen wollte. Bei der Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 3 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 A u s l G spielten Staatsangehörigkeit, Alter, Geschlecht, Beruf, Länge des Aufenthaltes i n Deutschland sowie familiäre oder andere Bindungen an Deutschland (deutsche Verlobte, deutsche uneheliche Kinder) offensichtlich keine Rolle.

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Der Begriff „Belange der Bundesrepublik Deutschland" ist, wie wohl öfter verwandt (vgl. § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 2, § 10 Abs. 1 Nr. 11, § 25 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), gesetzlich nicht näher definiert. Rechtsprechung und Literatur sind sich darüber einig, daß der Begriff weit auszulegen sei und alle Wirkungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer A r t umfasse, wenn sie dem Staat und seiner Bevölkerung zum Nachteil gereichen könnten. Zu den Belangen der BRD — hierher gehören auch die Belange der Länder 1 6 — werden gerechnet: — die verfassungsmäßige Ordnung; — die öffentliche Sicherheit und Ordnung; — die Beachtung der Gesetze (insbesondere solcher, die das Aufenthalts» und Einreiserecht betreffen); — die öffentliche Gesundheit; — die Verhinderung der Anwesenheit zu vieler Ausländer oder der ständigen Niederlassung von Ausländern 1 7 ; — der Aufenthalt erheblich vorbestrafter, asozialer oder sonst unerwünschter Ausländer; — die wilde Ehe, wenn dies bekannt w i r d 1 8 . Die Gefährdung der Belange der BRD w i r d für ausreichend erachtet. Nach AuslGVwv Nr. 4 zu § 2 1 9 liegt eine Beeinträchtigung sogar schon dann vor, „wenn diese Belange bei Anwesenheit des Ausländers gefährdet erscheinen oder ein entsprechender begründeter Verdacht besteht". Nach einhelliger Meinung muß die Aufenthaltserlaubnis schon bei einer objektiven Gefährdung der Belange versagt werden, ohne daß es auf ein Verschulden des Ausländers ankäme. Diese Ausführungen lassen erkennen, daß der Vorwurf, der der „Belange der Bundesrepublik" sei „uferlos" 2 0 , nicht ohne von der Hand zu weisen ist. I n dieser Auslegung absorbiert der sehr viele denkbare sachliche Erwägungen, so daß der Raum für sensentscheidungen stärker eingeschränkt sein kann 2 1 . 16 17

426.

Begriff weiteres Begriff Ermes-

Kanein, a.a.O., § 2 A n m . C 2 a. Bayer. V G H , i n : N J W 1970, 1012; a. A. w o h l V G Bremen, i n : M D R 1971,

18 R a u b a l l / S t r ä t e r , AuslG, § 10 Abs. 1 Nr. 9 A n m . ; Weißmann, AuslG, § 2 Anm. 5 a bis 6. 19 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes (AuslGVwv) v o m 7. J u l i 1967 (GMB1. S. 231). 20 So Franz, i n : DVB1. 1966, 650; nach Auffassung von Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (115) ist das Ermessen sogar auf N u l l verengt. 21 Kritisch auch Zuleeg, i n : D Ö V 1973, 361 (366) u n d Heldmann (in: Die Neue Gesellschaft 1973, 612), der den Begriff f ü r unbestimmbar u n d daher rechts-

3.1. Allgemeines

41

Das gilt u m so mehr dann, wenn man die Belange der BRD stets als beeinträchtigt ansieht, falls die Voraussetzungen der Ausweisung (§10 Abs. 1 AuslG) vorliegen 2 2 . — Diese Auffassung ist indes abzulehnen. Das Ermessen der Ausländerbehörde wäre zu weit eingeschränkt, wenn diese die Aufenthaltserlaubnis stets ablehnen müßte, falls ein Ausweisungsgrund vorliegt. Denn der Katalog der Ausweisungsgründe ist sehr umfangreich: Schon geringfügige Verstöße gegen das Melde-, das Gewerbe- oder das Steuerrecht (ζ. B. um wenige Tage verspätete Anmeldung) können die Ausweisung rechtfertigen. Belange der BRD sind höchstens beeinträchtigt, wenn die Ausländerbehörde nach § 10 AuslG zur Ausweisung berechtigt wäre und die pflicht- und rechtmäßige Ausübung des Ermessens zur Ausweisung führen müßte 2 3 (etwa bei Vorliegen gewichtiger Ausweisungsgründe). Ζ weckmäßiger weise faßt man § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 AuslG lediglich als allgemeine Richtlinie dafür auf, wann die Aufenthaltserlaubnis i m Ermessenswege versagt werden kann 2 4 . I n diese Richtung gehen auch die Verwaltungsvorschriften zu § 2 AuslG. Nach Nr. 4 Satz 2 beeinträchtigt die Anwesenheit eines Ausländers i n der Regel Belange der BRD, „wenn ein Sachverhalt vorliegt, der nach § 10 Abs. 1 AuslG die Ausweisung rechtfertigen würde". Ob dies nur zutrifft, wenn die Ausländerbehörde i m konkreten Einzelfall statt der Aufenthaltserlaubnis-Versagung ebensogut die Ausweisung aussprechen könnte oder immer dann, wenn (abstrakt) einer der i m § 10 Abs. 1 AuslG genannten Tatbestände erfüllt ist, bleibt offen. — AuslGVwv Nr. 5 Satz 1 zu § 2 spricht noch ausdrücklich aus, daß die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig zu versagen ist, wenn ein Ausländer an einer nach § 3 Abs. 1 und 2 BSeuchG meldepflichtigen übertragbaren Krankheit, an einer ansteckungsfähigen Geschlechtskrankheit oder an einer Geisteskrankheit leidet oder wenn er Ausscheider i. S. des § 3 Abs. 4 BSeuchG ist. Nach Satz 2 gilt gleiches für einen Ausländer, bei dem ein Verdacht auf eine dieser Krankheiten oder auf diese Ausscheidung besteht. —

staatswidrig ansieht; ähnlich auch Müller, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 378 (381); vgl. Ossenbühl, i n : DÖV 1968, 618 (622). 22 So Kanein, i n : BBgmstr. 1969, 260 sowie Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 Anm. 3 zu Abs. 1; so anscheinend auch Weißmann, a.a.O., § 2 A n m . 5 c; vgl. auch V G H Bad.-Württ. BaWüVRspr. 12, 998. 23 O V G Berlin, Urt. v o m 27. A p r i l 1966 — I Β 23/65 — ; Weißmann, i n : Die Polizei 1968, 47 (48); vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, i n : AS 3, 380. 24 So zu Recht O V G Berlin, Beschl. v o m 22. Januar 1970 — 1 S 2/70 — (in Anlehnung an § 10 Abs. 1 AuslG); Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 9; vgl. auch O V G Münster, i n : N J W 1968, 1588 u n d BVerwG, i n : DÖV 1969, 467; vgl. ferner Meixner, i n : Hess. StAnz. 1966, 835; V G F r a n k furt, i n : Hess. VGRspr. 1967, 6; V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 19, 162.

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Die Frage der Beeinträchtigung der Belange der BRD spielte 1967/68 i n der Praxis der Berliner Ausländerbehörde augenscheinlich keine Rolle. I n keinem einzigen Falle wurde die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis oder ihre Verlängerung ausdrücklich m i t der Begründung abgelehnt, es seien Belange der BRD beeinträchtigt. Es hat den A n schein, als ob die Ausländerbehörde i n allen Fällen, i n denen die A b lehnung der Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen Beeinträchtigung der Belange der BRD i n Betracht käme (also vor allem beim Vorliegen von Ausweisungsgründen), die Entscheidung i m Wege des Ermessens traf. Sie wich damit anscheinend von einer gerichtlich nachprüfbaren, gebundenen Entscheidung auf die gerichtlich nur beschränkt nachprüfbare Ermessensentscheidung aus. Insoweit stünde die Praxis der Berliner Ausländerbehörde i n Einklang mit AuslGVwv Nr. 7 zu § 2. Danach kann die Behörde die Entscheidung, ob die Anwesenheit eines Ausländers Belange der BRD beeinträchtigt, dahingestellt sein lassen, wenn feststeht, daß die Aufenthaltserlaubnis nach pflichtmäßigem Ermessen aus anderen Gründen zu versagen ist. Ganz eindeutig läßt sich die Praxis der Berliner Ausländerbehörde allerdings nicht einordnen. Denn die Standardformulierung: „Ihrem Antrage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vermag ich nicht zu entsprechen" wurde bei Ermessensentscheidungen ebenso gewählt wie i n Fällen, wo eigentlich eine gebundene Entscheidung wegen Beeinträchtigung der Belange der BRD nähergelegen hätte (ζ. B. i n Fällen, wo zugleich m i t Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis die Ausweisung ausgesprochen wurde). Eine genaue Subsumtion unter die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG fehlte stets. Bei Durchsicht der Verwaltungsvorgänge entstand beim Verfasser der Eindruck, als sei den Sachbearbeitern des Polizeipräsidenten i n Berlin häufig selbst nicht ganz klar gewesen, ob sie nun eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung trafen; Gespräche m i t einigen Beamten bestätigte diesen Eindruck. — Auch die Ansicht des zuständigen Abteilungsleiters Weißmann ist bezüglich eines Teiles dieser Fälle — der Entscheidungen über die Erteilung oder Versagung der Aufenthaltserlaubnis beim Vorliegen von Ausweisungsgründen — nicht klar und eindeutig 2 5 . 3.1.6. Ermessen der Ausländerbehörden

Hat der Ausländer einen gültigen Paß und beeinträchtigt eine A n wesenheit nicht Belange der Bundesrepublik, darf i h m die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie 25

Vgl. Weißmann einerseits i n : AuslG, § 2 Anm. 5 c u n d andererseits, i n : Die Polizei 1968, 47 (48).

3.1. Allgemeines

43

aus Sinn und Zweck des § 2 AuslG folgern Rechtsprechung 26 und Schrifttum 2 7 fast einhellig, daß diese Entscheidung i n das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt ist. Einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis stehe dem Ausländer, von privilegierten Gruppen abgesehen, demgemäß nicht zu — ohne weiteres selbst dann nicht, wenn seine A n wesenheit keine Belange der Bundesrepublik beeinträchtigt 28 . Auch eine Anwartschaft stehe dem Ausländer insofern nicht zu 2 9 .

3.1.7. Der Ermessensbegriff und seine Bedeutung in Rechtsprechung 80 und Schrifttum

3.1.7.1. Definition

des Ermessens

Ermessen ist von jeher als Gegensatz zur rechtsatzmäßigen Bindung der Verwaltung aufgefaßt worden, die Ermessensausübung als Gegenteil zur Subsumtion* 1 . Dieses Wahl- und Selbstentscheidungsrecht kann an sich seinen Platz sowohl i m Normtatbestand als auch i n der Rechtsfolgenanordnung haben. Doch versteht man heute unter Ermessen nur noch das Rechtsfolgeermessen 32 . Dementsprechend w i r d Ermessen definiert als „das rechtlich begründete Vermögen, bei Ausübung hoheitlicher Befugnisse nach eigenem Abwägen wählen zu können" 3 3 , oder „als gesetzesakzessorische und gesetzesgelenkte Wahlfreiheit der Verwaltung bei der Rechtsfolgenbestimmung" 34 . 26

Z u r A P V O : B V e r w G E 3, 235; BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 11; V G H Bad.-Württ., i n : D Ö V 1954, 223 Nr. 70; 1956, 381; O V G Münster, i n : N J W 1954, 1821; OVG Rheinland-Pfalz, i n : AS 3, 380 u n d i n : DÖV 1966, 207; zum AuslG: B V e r w G i n : DÖV 1970, 870; O V G Münster i n : A P Nr. 11 zu § 611 B G B Gastarbeiter u n d i n NJW 1968, 1588; O V G B e r l i n i n : AS 9, 31; Bayer. V G H i n : GewArch. 1968, 45; V G H Bad.-Württ. i n : E S V G H 18, 232. 27 Kanein, a.a.O., § 1 A n m . A 4 b; Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 2 Anm. 3; Marxen, a.a.O., A u s l G § 2 RdNr. 7; Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, A u s l G § 2 A n m . 8; Weißmann, AuslG, § 2 Anm. 3 a. 28 So z.B. Schiedermair, a.a.O., § 2 Anm. 8 u n d w o h l auch BVerwG, i n : DVB1. 1970, 623 u n d 1970, 870 (keine unbedingte Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis); a. Α. ζ. B. Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (115). 29 So aber V G H Stuttgart VerwRspr. 8, 355 u n d Jellinek, i n : Festschrift für Bilfinger, S. 109. 30 Z u m Ermessen i n der Rechtsprechung des BVerfG vgl. Müller, i n : DÖV 1969, 119. 31 So ζ. Β . Ossenbühl, i n : DÖV 1968, 618 (619). 32 h . M . ; vgl. Ossenbühl, i n : D Ö V 1970, 84 (86); a . A . : W.Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung, insbes. S. 149 ff.; kritisch zur Unterscheidung von Tatbestands- u n d Rechtsfolgeseite Ehmke, „Ermessen" und „unbestimmter Rechtsbegriff" i m Verwaltungsrecht, S. 28 sowie Rupp, i n : N J W 1969, 1273 (1275). 33 So z.B. Lerche, i n : Staatslexikon, 3. Bd., Sp. 12; i h m folgend Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, GG, A r t . 20 RdNr. 120.

44

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Wesentlich ist danach das Vermögen, „nach eigenem Abwägen" zu wählen. Eine solche Wahl ist dann sinnvoll, wenn i m konkreten Falle Werte gegeneinander abgewogen werden müssen. Insofern sind Ermessensbegriffe Wertbegriffe, Ermessensbetätigung ist Wertkonkretisierung. Hierbei gibt es nicht nur eine einzige richtige Lösung. Innerhalb des vom Gesetz abgesteckten Rahmens können vielmehr mehrere Behördenentscheidungen rechtmäßig sein. Hierbei kann der Ermessensspielraum je nach seiner Einräumung oder nach dem Gesetzeszweck verschieden weit sein 35 . — Demgegenüber kann bei Vorliegen eines unbestimmten Gesetzesbegriffes 36 nur eine einzige Entscheidung richtig sein. Praktische Bedeutung hat diese Unterscheidung vor allem für die gerichtliche Nachprüfung: Die Anwendung der unbestimmten Gesetzesoder Rechtsbegriffe w i r d von den Gerichten grundsätzlich uneingeschränkt nachgeprüft, die Handhabung des Ermessens jedoch nur darauf, ob ein Ermessensfehler vorliegt 3 7 , d. h. darauf, ob die Behörde — ihr Ermessen überhaupt ausgeübt hat, — von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist (§ 113 VwGO), — die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder — vom Ermessen i n einer Weise Gebrauch gemacht hat, die dem Zweck der Ermächtigung nicht entspricht (§ 114 VwGO). 3.1.7.2. Funktion

des Ermessens

M i t der Einräumung eines Ermessensspielraumes w i r d hauptsächlich der Zweck verfolgt, eine möglichst gerechte und zweckmäßige Anpassung der konkreten Rechtsgestaltung an die besonderen Gegebenheiten von Einzelfällen und an die politischen Entscheidungen der Regierungs- und Verwaltungsorgane zu ermöglichen 38 . Der Gesetzgeber wäre oft überfordert, wenn er mehr als das Ziel seiner Regelung angeben und die Verwaltung stets an bestimmte Verhaltensweisen binden sollte (Aspekt der Regelungspolitik 39 ). Die kasuistische Tatbestandsformulierung stieße auch häufig schon gesetzestechnisch auf unüberwindbare 34 So Ossenbühl, a.a.O., m i t weiteren Literaturnachweisen; Weimar, Psychologische Strukturen richterlicher Entscheidung, S. 148 spricht i m A n schluß an R. K l e i n (in: AöR 82 ((1957)), 75/84) v o m Ermessen als „subjektivem Fürrichtighalten ". 35 H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 31 I I c 3. 36 Z u m Begriff vgl. H. J. Wolff, a.a.O., § 31 I c 3. 37 Vgl. Bayer. VGH, i n : GewArch. 1968, 45 zu § 2 A u s l G ; eine psychologische Klassifizierung der Ermessensfehler bei Stern, Ermessen u n d unzulässige Rechtsausübung, S. 35. 38 So zu Recht Schmidt-Salzer, i n : VerwArch. 1969 (Bd. 60), 261 (273). 39 Schmidt-Salzer, a.a.O., S. 273; Ossenbühl, i n : DÖV 1970, 84 (85).

3.1. Allgemeines

45

Grenzen (Aspekt der Normsetzungstechnik) 40 . Denn der Gesetzgeber müßte, wenn Ermessensermächtigungen unzulässig wären, die Norm m i t einer Fülle von Einschränkungen, Ausnahmen der Einschränkungen, Einschränkungen der Ausnahmen von den Einschränkungen versehen, ohne je zu einer lückenlosen Detailregelung in der Lage zu sein. I m Bereich der Eingriffsverwaltung sind Ermessensermächtigung zudem das rechtstechnische Mittel, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Geltung zu verschaffen. Denn bei Unzulässigkeit der Ermessensermächtigung müßte i n diesem Bereich immer eine Eingriffsverpflichtung bestehen. Die Ermessensermächtigungen dagegen ermöglichen es, den einzelnen vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen und eine den Belangen des Staates und denen des Bürgers gerecht werdende Lösung der vielen unter die Norm fallenden Einzelsachverhalte zu erreichen 41 . 3.1.7.3. Tendenzen der neueren Ermessenslehre I n der neueren Ermessenslehre lassen sich verschiedene Stufen der Ermessensschrumpfung feststellen, weswegen zum Teil befürchtet wird, man werde dem Ermessen i n weiten Bereichen des Verwaltungsrechtes eine Existenzberechtigung völlig absprechen 42 . Nachdem das Ermessen auf die Rechtsfolgeseite abgedrängt worden ist, setzt sich der Ermessensschwund nun auf der Rechtsfolgeseite fort 4 3 . Denn der Gesetzgeber schafft zunehmend Normen mit ganz allgemeinen (unbestimmten Rechts-)Begriffen auf der Tatbestandsseite („öffentliche Belange", „Gemeinwohl"), die schlechthin alle denkbaren sachlichen Erwägungen absorbieren, so daß für das Rechtsfolgeermessen logischerweise kein Platz mehr übrigbleibt 4 4 . Das ist auch von der Rechtsprechung verschiedentlich so gesehen worden 4 5 . Hiervon ausgehend meint Rittstieg 4 6 , auch § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG sei ein solches Beispiel: Die Aufenthaltserlaubnis sei i n jedem Fall zu erteilen, wenn „die Anwesenheit des Ausländers Belange der BRD nicht beeinträchtigt". Demgegenüber hält 40

Zutreffend Schmidt-Salzer, a.a.O., S. 273. Hierauf weist Schmidt-Salzer zu Recht h i n (a.a.O., S. 273). 42 Vgl. Ossenbühl, i n : DÖV 1968, 618 (619). 43 Vgl. Ossenbühl, a.a.O., S. 619. 44 Dies hebt Ossenbühl, a.a.O., S. 622, zutreffend hervor; vgl. auch B V e r w G i n : DVB1. 1964, 527 (528) u n d vor allem Häberle, öffentl. Interesse als jurist. Problem, S. 597, 599, Fußn. 9. 45 So z.B. B V e r w G E 15, 207 (211) zur Namensänderung; B V e r w G E 18, 247 (250 f.) zu § 35 Abs. 2 BBauG (zustimmend Grauvogel, i n : B r ü g e l m a n n / Förster / Grauvogel / Meyer / Pohl / Stahnke, BBauG, § 35 A n m . 4; ablehnend Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 35 RdNr. 68). 46 Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (115). 41

46

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

die Rechtsprechung daran fest, daß die Ausländerbehörde selbst i n diesem Falle „nicht ohne weiteres zur Erlaubniserteilung verpflichtet" ist 4 7 — wohl i m Hinblick auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des Ausländergesetzes. — Darüber hinaus gibt es neuerdings gewichtige Stimmen, wonach die Ermessensausübung i m Grundrechtsbereich verfassungswidrig sei 48 . Diese Ansicht führt letztlich zu der Annahme, daß es i n der sog. Eingriffsverwaltung keine Ermessensausübung geben dürfe. Ossenbühl fordert demgegenüber eine stärkere Betonung der Lehre von der Gewaltentrennung, die Betonung des Charakters des Ermessens als besondere A r t der Rechtsverwirklichung, die Interpretation derjenigen Vorschriften, deren Tatbestand mit Begriffen wie „öffentliche Belange" und „Gemeinwohl" alle denkbaren sachlichen Erwägungen absorbiert, als Ermessensnormen und die Bekämpfung der zunehmenden Restriktion des Beurteilungsspielraums 49 . 3.1.8. Der Umfang des durch § 2 A u s l G eingeräumten Ermessens

Die einhellige Meinung geht von folgendem aus: Das Ermessen des § 2 AuslG sei „seiner Natur nach" w e i t 6 0 — etwa so weit wie bei Einbürgerungen 51 . Diese Rechtslage entspreche der Entstehungsgeschichte des Ausländergesetzes und der Aufgabe der Ausländerbehörden, den Staat von nachteiligen Auswirkungen zu schützen, welche die Anwesenheit von Ausländern m i t sich bringen könne 5 2 . Auch die Vielzahl der Gesichtspunkte bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verlange ein weites Ermessen. Denn unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalles habe die Behörde alle einschlägigen Interessen, die sich aus Umständen — auch außerhalb der Person 5'* — ergeben können, zu berücksichtigen: Belange des Staatsschutzes der öffentlichen Sicherheit 47

So BVerwG, i n : DÖV 1970, 870. Vgl. die Hinweise bei Ossenbühl, a.a.O., S. 622. 49 Ossenbühl, a.a.O., S. 618 (626); vgl. demgegenüber Rupp, i n : N J W 1969, 1273 (hierzu Meder, i n : DVB1. 1970, 857). 50 So BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 11; OVG Berlin, i n : AS 9, 31; OVG Münster, i n : NJW 1968, 1588; Kanein, AuslG, § 2 Anm. C 2 b u n d i n : DVB1. 1966, 617 (618); Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 8; H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 31 I I c 3; Heldmann (in: V o r gänge 1968, 248) spricht kritisch von der „Uferlosigkeit der Ermessenserwägungen" u n d hält § 2 Abs. 1 AuslG für rechtsstaatswidrig (in: Die Neue Gesellschaft 1973, 612/616; ebenso Müller, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 378/380). 51 So Weißmann, AuslG, § 2 Anm. 2 b. 52 So jedenfalls OVG Berlin, i n : AS 9, 31 u n d Bayer. VGH, i n : N J W 1970, 1012 (m. k r i t . A n m . Franz). 53 Α . Α.: Franz, i n : DVB1. 1963, 797 (801). 48

3.1. Allgemeines

47

und Ordnung, der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes sowie rechtliche, soziale und menschliche Belange 54 . Auch private Interessen seien angemessen zu berücksichtigen 55 . — Diese Erwägungen können i n den einzelnen Bundesländern durchaus unterschiedlich sein, obwohl es sich beim Ausländergesetz um ein Bundesgesetz handelt. Denn A r t . 83 GG überträgt den Ländern, die Träger der vollziehenden Gewalt sind, die Ausführung der Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheit 5 6 . — Die Ermessensüberlegungen sind auch nicht jederzeit gleich; sie unterliegen entsprechend der Veränderung der Verhältnisse auch dem Wechsel der politischen Anschauungen 57 . — Allgemein w i r d den öffentlichen Interessen der Vorrang vor den privaten Interessen eingeräumt 5 8 . Dementsprechend genügt „Wohlverhalten" des Ausländers nicht zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, wenn öffentliche Gesichtspunkte entgegenstehen 59 . Zweifel über tatsächliche Umstände hat die Ausländerbehörde von Amts wegen aufzuklären 6 0 . A u f nicht glaubhaft gemachte leere Vermutungen darf die Behörde ihre Entscheidung nicht gründen, wohl aber auf begründeten Verdacht (ζ. B. der Spionage 61 ). Jedoch gehen Zweifel, die sich nicht aufklären lassen, bei § 2 AuslG letztlich zu Lasten des Ausländers, der die materielle Beweislast trägt 6 2 . 3.1.9. Schranken des Ermessens bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Wie jedes Ermessen 63 , so ist auch das ausländerbehördliche Ermessen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG rechtlich gebunden und nicht etwa als Belieben oder W i l l k ü r zu verstehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder entschieden, daß das Ermessen i m Rechtsstaat pflichtgemäß und an übergeordnete Prinzipien gebunden ist. 54 So O V G Berlin, i n : AS 9, 31; Hess. VGH, i n : ESVGH 15, 233 (235); V G Berlin, i n : GewArch. 1965, 143 (144); Kanein, AuslG, § 1 A n m . Β 1, § 2 Anm. A 2 b, C 3; Kloesel, i n : DÖV 1966, 209. 55 O V G Münster, i n : DÖV 1965, 774 (775). 56 So zu Recht V G H Bad.-Württ., i n : GewArch. 1960, 290 u n d Kanein, a.a.O., § 1 A n m . Β 1; kritisch: Majer, i n : ZRP 1969, 125 (127). 57 Zutreffend O V G Münster, i n : OVGE 10, 295 und Weißmann, a.a.O., § 2 Anm. 7 a. 58 So ζ. B. Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 8 und Kanein, a.a.O., § 2 Anm. C 2 b und i n : DVB1. 1966, 617 (618). 59 Dies betont Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 8 völlig zu Recht. 80 Weißmann, a.a.O., § 2 A n m . 7 b: der Ausländer. 61 Zutreffend OVG Berlin, i n : A S 9, 31; kritisch hierzu Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (114). 62 Vgl. BayObLG, i n : D Ö V 1962, 633. 63 BVerfGE 9, 137 (147); 14, 105 (114); 18, 353 (363); hierzu Rittstieg, a.a.O., S. 113.

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Für die Ausländerbehörde ergeben sich Schranken für die Ausübung des Ermessens — wenn man davon absieht, daß eine Aufenthaltserlaubnis nur einem Ausländer erteilt werden darf, der einen gültigen Paß oder Paßersatz hat und dessen Aufenthalt Belange der BRD nicht beeinträchtigt 64 — insbesondere aus den Bestimmungen des Grundgesetzes und der Menschenrechtskonvention. 3.1.9.1. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, der neben A r t . 11 GG zu den Spezialbestimmungen des Grundgesetzes zum Schutze des „ziehenden Menschen" 65 gehört, betrifft nur das Asylrecht der politisch Verfolgten. Bei diesen handelt es sich um eine privilegierte Sondergruppe, weswegen A r t . 16 Abs. 2 Satz 2 GG hier außer Betracht bleiben kann. 3.1.9.2. Art. 11 Abs. 1 GG Nach A r t . 11 Abs. 1 GG genießen alle Deutschen Freizügigkeit i m gesamten Bundesgebiet. Für die Ermessensentscheidung, ob einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis gewährt werden soll, ist diese Bestimmung irrelevant. Denn sie spricht unzweideutig nur von „Deutschen" 66 und kann Ausländern auch nicht ausnahmsweise ein Recht auf Zuzug und Wohnsitzbegründung gewähren 67 . Schon deswegen kann dahingestellt bleiben, ob daraus zu folgern ist, Ausländern stehe kein Recht auf Aufenthalt zu 6 8 , oder ob A r t . 11 GG insoweit weder positiv noch negativ etwas aussagt, weil nur von Freizügigkeit im Bundesgebiet die Rede sei 69 . 64 Ossenbühl, i n : DÖV 1968, 618 (622) spricht i n diesem Zusammenhang von „negativer Ermessensschranke"; vgl. hierzu die Ausführungen oben unter 6.1.5. 85 So Dürig, i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band I I , S. 522. 86 So zutreffend B V e r w G E 3, 235; vgl. aber Tieves, Freizügigkeit nach allgemeinem Völkerrecht als Voraussetzung für die A r b e i t von Ausländern i n der Bundesrepublik Deutschland, Diss. K ö l n 1959, S. 123, für den das Recht auf Freizügigkeit i n seinem K e r n ein allgemeines Menschenrecht darstellt; vgl. auch Jahrreiss, Das Prinzip der Freizügigkeit nach dem G r u n d gesetz, Diss. München 1954. 87 So aber zu Unrecht Dürig, a.a.O., S. 522; noch weiter w o h l Schieckel, i n : Z f S H 1962, 302; ablehnend Borde win, Das Aufenthaltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 34. 88 So BVerwG, i n : DÖV 1956, 379; O V G Münster, i n : R d A 1966, 439. 89 So Bordewin, a.a.O., S. 34 (zur Einreise); a. Α.: B V e r w G E 3, 130 (133): A r t . 11 GG sichere die Freizügigkeit i m Bundesgebiet und gewähre ein Recht auf Einreise.

3.1. Allgemeines

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3.1.9.3. Art. 1 Abs. 1 GG Nach A r t . 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Da hier auch Ausländer geschützt sind, muß sich auch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis i m Rahmen des A r t . 1 Abs. 1 GG halten. Doch gewährt A r t . 1 Abs. 1 GG dem Ausländer nicht schon dann einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis, wenn seine Menschenwürde i n seinem Heimatstaat oder sonstwo verletzt wird. Denn die Bundesrepublik ist nicht i n der Lage, zum Sammelbecken des Elends i n der Welt zu werden. Eine solche Last würde die K r a f t unseres Staates weit übersteigen. Vielmehr verletzt die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nur dann die Menschenwürde, wenn gleichzeitig A r t . 16 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt ist. A r t . 16 Abs. 2 Satz 2 GG stellt gleichsam eine Legaldefinition des Achtungs- und Schutzgebotes des A r t . 1 Abs. 1 GG i m Bereich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis dar 7 0 . 3.1.9.4. Art. 2 Abs. 1 GG A u f A r t . 2 Abs. 1 GG — wonach jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat — kann sich der Ausländer nach der h. M. „angesichts der Regelung des A r t . 1 G G " 7 1 nicht berufen. — Die früher von W o l f f 7 2 vertretene Auffassung, daß — soweit das Gesetz über das Paßwesen vom 4. März 1952 i n seinen §§7 und 9 nicht zwingende Gründe zur Versagung eines Sichtvermerks enthalte — dem Ausländer auf Grund des A r t . 2 Abs. 1 GG ein Anspruch auf die Erteilung des Sichtvermerks und damit auf Einreise i n das Bundesgebiet zustehe, hat sich nicht durchgesetzt. 3.1.9.5. Art. 3 Abs. 1 und 3 GG Der Gleichheitssatz muß bei der Ermessensausübung ebenfalls beachtet werden 7 3 , da er angesichts des klaren Wortlauts — wohl entgegen der Entstehungsgeschichte 74 — auch für Ausländer g i l t 7 5 . 70 So richtig Bordewin, a.a.O., S. 35; i h m folgend Ruppel, Der Grundrechtsschutz der Ausländer i m deutschen Verfassungsrecht, Diss. Würzburg 1969, S. 148 f.; vgl. aber L G Frankfurt, i n : N J W 1969, 385 zu § 47 Abs. 1 Nr. 2 (ablehnende A n m . Wirtz, i n : N J W 1969, 2108). 71 So zu Recht z.B. B V e r w G E 3, 235 u n d Ruppel, a.a.O., S. 37 ff.; vgl. auch Bordewin, a.a.O., S. 37 ff., nach dessen Auffassung die A u f e n t h a l t nahme i m Bundesgebiet nicht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört; ablehnend Heldmann, i n : Studentische P o l i t i k 1970 Heft 1, S. 8 (9 f.). 72 Wolff, Das deutsche Paßrecht, PaßG § 7 Anm. 1; ähnlich neuerdings Heldmann, a.a.O., S. 9 f. u n d Baier, i n : Rote Robe 1971 Heft 3, S. 3 (7). 73 So z.B. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 2 RdNr. 12 u n d von Mangoldt / Klein, GG, A r t . 3 A n m . I I 7.

4 Schüler

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

A r t . 3 Abs. 1 GG besagt jedoch nur, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muß 7 6 , wobei die Betrachtungsweise am Gerechtigkeitsgedanken zu orientieren ist 7 7 . Sachliche Differenzierungen zwischen Inländern und Ausländern sind zulässig 78 , wie es ja auch das Grundgesetz selbst schon erkennen läßt, indem es einige Grundrechte den Deutschen vorbehält 7 9 . Jedenfalls hat der Ausländer trotz des Gleichbehandlungsgrundsatzes keinen Aufenthaltsanspruch 80 . Denn A r t . 3 Abs. 1 GG w i r d insoweit durch A r t . 25 GG „ausgefüllt" 8 1 , und die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechtes kennen kein Recht auf Aufenthalt. Dagegen kann die Ausländerbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung gemäß § 2 AuslG gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn sie i m Einzelfall von ihrer langdauernden Verwaltungsübung abweicht 82 . Als Indizien hierfür gelten die Verwaltungsvorschriften, die kaum anders als eine Kette gleichartiger Verwaltungsakte behandelt werden 8 3 . I n neueren Gerichtsentscheidungen w i r d als Anknüpfungspunkt für die Frage der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht mehr die Verwaltungspraxis, sondern ausschließlich die VerwaltungsVorschrift selbst zugrundegelegt 84 . Das 74 Vgl. Thieme, Die Rechtsstellung des Ausländers nach dem Bonner Grundgesetz, Diss. Göttingen 1951, S. 23 ff. 75 So zu Recht z.B. Bordewin, a.a.O., S. 44 u n d Ipsen, i n : N e u m a n n / N i p perdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band I I , S. 111 (134) sowie Thieme, a.a.O., S. 39. 76 BGH, i n : N J W 1956, 353; BayObLG, i n : NJW 1956, 1488. 77 Zutreffend BVerfGE 9, 201 (206). 78 BVerfGE 30, 409; B V e r w G E 22, 66 (69); BGH, i n : NJW 1956, 1836; OVG Berlin, i n : A S 4, 1; O V G Münster, i n : D Ö V 1964, 498; V G Berlin, i n : GewArch. 1965, 143; Doehring, i n : ZaöRVR 25 (1965), 478 (484); Weißmann, a.a.O., § 2 A n m . 3 a u n d 7 c ; bei der Strafzumessung z.B. darf die Ausländereigenschaft nicht strafschärfend verwertet werden, O L G Celle, i n : N J W 1953, 1603. 79 Vgl. Kreppel, Verfassungsrechtliche Grenzen der Auslieferung und Ausweisung, Diss. Würzburg 1965, S. 123. 80 Zutreffend OVG Rheinland-Pfalz, i n : AS 3, 380 (382); Stern, i n : BayVBl. 1956, 141 (142); Ruppel, a.a.O., S. 49. 81 So Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts u n d das deutsche Verfassungsrecht, S. 180 ff. (193). 82 BVerwG, i n : B B 1957, 52; B V e r w G E 5, 79 (81); 8, 4 (10); 15, 190 (196); BVerwG, i n : DÖV 1959, 706 (707); 1960, 632 (633); 1962, 549; OVG Münster, i n : OVGE 6, 197; V G H Stuttgart, i n : DÖV 1957, 509 (510); OVG RheinlandPfalz, i n : DVB1. 1962, 757. es V G Frankfurt, i n : Hess. VGRspr. 1967, 6 (7); a. Α.: Bordewin, Das A u f enthaltsrecht des Ausländers, Diss. K ö l n 1962, S. 47. 84 B V e r w G E 10, 112 (113); 16, 68 (70); 17, 202 (203); 19, 48 (55); i n : DÖV 1964, 99 (100); DVB1. 1964, 1239 u n d 1967, 661 (662); hierzu Ossenbühl, i n : AöR 92 (1967), 1 (15 ff.); vgl. auch BVerwG, i n : DÖV 1970, 358; vgl. ferner: Wallerath, Die Selbstbindung der V e r w a l t u n g ; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung u n d i n : IuS 1971, 184ff.; zur Bedeutung der A u s l G V w v siehe Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 10.

3.1. Allgemeines

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bedeutet, daß sich die Verwaltung durch einen (bloßen) Willensakt selbst binden kann. Noch darüber hinaus geht ein zunehmender Teil der Literatur, der die Rechtssatzqualität von Verwaltungsvorschriften bejaht 8 5 . Auch A r t . 3 Abs. 3 GG, wonach niemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat oder seiner Herkunft bevorzugt oder benachteiligt werden darf, ist bei der Ermessensausübung nach § 2 AuslG zu berücksichtigen. Denn A r t . 3 Abs. 3 GG ist lex specialis zu den über A r t . 25 GG geltenden allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechtes anzusehen 86 und gilt daher ohne Einschränkung auch für Ausländer. Doch gibt A r t . 3 Abs. 3 GG den Ausländern keinen Aufenthaltsanspruch 87 , da die Begriffe „Heimat" und „Herkunft" nicht identisch mit „fremder Staatsangehörigkeit", sondern H i n weise auf die „örtliche" Herkunft und die „ständisch-soziale Abstamm u n g " 8 8 sind und i n erster Linie Flüchtlinge und Vertriebene schützen sollen 89 . Regelmäßig w i r d der Fremde zwar eine andere „Heimat" als der Deutsche haben, meist eine andere „Sprache" sprechen und oft einer anderen „Rasse" angehören. Doch ist A r t . 3 Abs. 3 GG insoweit erst verletzt, wenn ein „kausaler Zusammenhang" zwischen Merkmal und Benachteiligung vorliegt 9 0 . Beruht die Versagung der Aufenthaltserlaubnis dagegen auf der fremden Staatsangehörigkeit, so ist die Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. 3.1.9.6. Art. 6 Abs. 1 GG Das Ermessen der Ausländerbehörde nach § 2 AuslG ist auch durch Art. 6 Abs. 1 GG eingeschränkt, der nicht nur ein klassisches Grundrecht zum Schutze der spezifischen Privatsphäre von Ehe und Familie sowie eine Institutsgarantie, sondern darüber hinaus auch zugleich eine Grundsatznorm enthält, d. h. eine verbindliche Wertentscheidung 85 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 70ff.; weitere Literaturnachweise bei Ossenbühl, a.a.O., S. 6, Fußn. 19. 86 So Doehring, a.a.O., S. 197; a. Α.: Zuleeg, i n : DÖV 1973, 361 (363); zum Verhältnis von A r t . 3 Abs. 1 zu Abs. 3 vgl. Seißer, Das Verhältnis des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) zu besonderen Gleichheitssätzen, Diss. München 1969, S. 110. 87 So zu Recht Bad. V G H , i n : DVB1. 1953, 242; Doehring, a.a.O., S. 195; H a mann, GG, A r t . 3 A n m . 10; Ipsen, a.a.O., S. 134; von Mangoldt / Klein, GG, A r t . 3 Anm. V 2 a; Bordewin, a.a.O., S. 43; a. A. w o h l Schieckel, i n : ZfSH 1966, 302; vgl. auch Kraus, i n : Gedächtnisschrift für Jellinek, S. 89 (92). 88 BVerfGE 5, 17 (22). 89 So Stern, a.a.O., S. 142. 90 Zutreffend BVerfGE 2, 266 (286); Doehring, a.a.O., S. 197; Kreppel, a.a.O., S. 124; Ruppel, a.a.O., S. 41; Seißer, a.a.O., S. 102 ff. (105); a. A. (Finalität): ζ. B. Fuß, i n : JZ 1959, 329; Ipsen, a.a.O., S. 180, Fußn. 226.

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechtes 91 . Der Satz, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, bedeutet einmal, daß die öffentliche Gewalt die Maßnahmen zu ergreifen hat, welche zur Sicherung der Familie i n ihrem kulturellen und sittlichen Gehalt erforderlich sind 9 2 . Zum anderen muß bei Ermessensentscheidungen geprüft werden, welche Wirkungen sich für die betroffene Ehe und Familie ergeben. Wenn Ehe und Familie i n ihrem Zusammenhalt gefährdet sind, ist das Interesse am Schutze von Ehe und Familie m i t den sonstigen öffentlichen Interessen abzuwägen. Eine dauernde Trennung w i r d regelmäßig jene Gefährdung m i t sich bringen 9 3 . Doch w i r d nach der — mindestens bis Mitte 1973 — vorherrschenden Rechtsprechung 94 i m allgemeinen von einer deutschen Ehefrau erwartet, daß sie ihrem ausländischen Ehemann i n dessen Heimat folgt, es sei denn, daß besondere Tatsachen hinzukommen, die ihr dies auch unter Berücksichtigung ihrer ehelichen Pflichten unzumutbar machen 95 , z.B. Krankheit 9 6 . M i t einer Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland müsse jede Deutsche rechnen, die einen Ausländer heiratet 9 7 . — Nach Weißmann 9 8 soll es auch noch heute deutscher Auffassung entsprechen, daß der Ehemann den ehelichen Wohnsitz aussucht, die Arbeit und die Eheführung bestimmt und daß sich i h m die Ehefrau anpaßt. Ob das dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 GG) entspricht, untersucht er nicht. — Weißmann meint ferner 9 9 , die 91

BVerfGE 6, 55. Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung zum Erlaß eines A u f e n t haltsverbotes nach § 5 A P V O entwickelt; sie können jedoch entsprechend bei den §§ 2, 4 AuslG herangezogen werden; vgl. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 4 RdNr. 13. 93 So zu Recht Bayer. V G H , i n : V G H E 19, 1. 94 So z.B. V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 16, 18 (20); BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 8; Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 7 h ; a . A . : OVG Berlin, Urt. v o m 14. J u l i 1972 — I I Β 33/71 — S. 9: „Die These von der Folgepflicht der deutschen F r a u ist überholt."; Kreppel, Verfassungsrechtliche Grenzen der Auslieferung u n d Ausweisung, Diss. Würzburg 1965, S. 117; Zuleeg, i n : D Ö V 1973, 361 (367). 95 BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 8; OVG Münster, i n : DÖV 1969, 468; Ruppel, Der Grundrechtsschutz der Ausländer i m deutschen V e r fassungsrecht, Diss. Würzburg 1969, S. 152. 98 Sozialer Abstieg bei Heirat m i t einem Ausländer aus einem ärmeren L a n d ist zumutbar, Marxen, a.a.O., § 4 RdNr. 16. 97 B V e r w G i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 8; V G H Bad.-Württ., i n : N J W 1967, 218; O V G Berlin, i n : AS 8, 30; OVG Münster, i n : FamRZ 1966, 204; V G Berlin, i n : JR 1962, 395. 98 Weißmann, a.a.O., § 2 A n m . 7 h. 99 Weißmann, a.a.O., A n m . 7 h unter Berufung auf ein U r t e i l des V G B e r l i n v o m 16. Januar 1964 — I a 31/63 —. 92

3.1. Allgemeines

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Ehefrau müsse sich auch m i t der Notwendigkeit vertraut machen, die Eheschließung i n einer nach dem Heimatrecht des Mannes gültigen Form nachzuholen. Wie dies m i t A r t . 4 Abs. 1 GG i n Einklang zu bringen ist — viele Staaten kennen nur eine religiöse Trauung 1 0 0 — w i r d weder von Weißmann noch von anderen erörtert. Lediglich Kreppel 1 0 1 nimmt hierzu Stellung: Er lehnt die vom V G H Baden-Württemberg i n seinem Beschluß vom 31. August 1964 102 vertretene Auffassung ab, wonach die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes dann unbeachtlich seien, wenn die Ehefrau i n Kenntnis der Folgen von einer Trauung durch einen griechisch-orthodoxen Priester Abstand genommen habe, obwohl eine solche Trauung möglich gewesen sei. Bei der oben erwähnten Abwägung zwischen dem Interesse am Schutze von Ehe und Familie mit den sonstigen öffentlichen Interessen richtet sich die Rechtsprechung 103 nach A r t . 8 MRK. Danach hat jedermann u. a. Anspruch auf Achtung seines Familien- und Privatlebens. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde i n dieses Recht ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die i n einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Dabei gehören die unehelichen Kinder — auch die der Frau des A n tragstellers — m i t zur Familie 1 0 4 . Keine Rolle dürfte spielen, ob die Ehe vor oder nach dem Antrag auf Aufenthaltserlaubnis geschlossen wurde 1 0 5 . — Eine bigamische Ehe w i r d geschützt, solange sie nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt ist (§§ 20, 23 EheG) 1 0 6 . — Dagegen soll A r t . 6 Abs. 1 GG nicht eingreifen, wenn die Eheleute getrennt von einander leben und die deutsche Ehefrau die Scheidungsklage erheben 100 Vgl. z.B. A r t . 1367 des griech. B G B v o m 15. März 1940 u n d BGH, i n : N J W 1965, 1129 (Form der Eheschließung von Griechen) sowie O L G Düsseldorf, i n : N J W 1965, 1140 (Spanier). 101 Kreppel, a.a.O., S. 18. 102 V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 14, 156 (157). 103 So z.B. BVerwG, i n : BayVBl. 1957, 27 (m. zust. Anm. Stich, S. 28) = FamRZ 1957, 19 (m. A n m . Hinrichs, S. 20); Bayer. VGH, i n : BayVBl. 1959, 256; OVG Münster, i n : OVGE 16, 53 (54); V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 14, 156. 104 BVerwG, i n : B a y V B l . 1957, 27; Kreppel, a.a.O., S. 118; vgl. auch Scheffler, i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, 4. Band, 1. Halbband, S. 251 (252) einerseits u n d Warnicke i m Bonner Kommentar A r t . 6 A n m . I I 1 andererseits. 105 Vgl. BVerfGE 19, 394 (397). 108 O V G Münster, i n : OVGE 16, 53 (54).

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

w i l l 1 0 7 . — Auch ein Ausländer, dessen Ehe (mit einer Deutschen) geschieden ist, kann sich nicht auf A r t . 6 Abs. 1 GG berufen; sein Recht auf Verkehr m i t den Kindern muß insbesondere dann überwiegenden öffentlichen Interessen weichen, wenn er seiner Unterhaltspflicht nicht regelmäßig nachkommt 1 0 8 . Nicht geschützt ist auch das Verlöbnis, da es (noch) keine familiäre Beziehung darstellt 1 0 9 . — Demgegenüber kann ''der Aufenthalt der Großeltern i n der BRD zur Betreuung der Enkelkinder nach einem recht weitgehenden Urteil des OVG Münster 1 1 0 dann i n den Schutzbereich des A r t . 6 Abs. 1 GG fallen, wenn er für die durch A r t . 6 Abs. 1 GG geschützte Kleinfamilie förderlich ist. 3.1.9.7. Art. 14 GG Ein Ausländer, dessen Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert worden ist, kann sich regelmäßig nicht auf A r t . 14 GG berufen. Er mag zwar gezwungen sein, sein Eigentum oder seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu veräußern, doch ist diese Beschränkung dem Eigentume immanent, da der Ausländer nicht damit rechnen kann, daß sein Aufenthalt i m Inland für unbegrenzte Dauer gestattet w i r d 1 1 1 . — Dies muß auch gelten, wenn der Gewerbebetrieb wegen des persönlichen Vertrauensverhältnisses nicht zu veräußern oder zu verpachten ist und der betroffene Ausländer auch nicht gerade gewerberechtliche Vorschriften verletzt hat 1 1 2 . Unbillige Entscheidungen lassen sich verhindern, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. 3.1.9.8. Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit des Mittels und des geringstmöglichen Eingriffs Eine allgemeine Schranke des Ermessens bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bilden auch, obwohl das Ermessen weit gespannt ist, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit des Mittels und des geringstmöglichen Eingriffs 1 1 3 , (Übermaßverbot) 114 . (Auch) deshalb sind i n jedem 107 V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 18, 228 (231); ähnlich Kreppel, a.a.O., S. 116 (zur Ausweisung). 108 OVG Münster, i n : GewArch. 1968, 262. 109 v g h Bad.-Württ., i n : E S V G H 16, 18 (19); Kanein, i n : NJW 1967, 1057

(1061). 110

O V G Münster, i n : D Ö V 1973, 428 Nr. 173. So zu Recht B V e r w G JR 1969, 474 u n d Kreppel, a.a.O., S. 120. 112 Zutreffend Kreppel, a.a.O., S. 120 f. 113 Vgl. BVerwG, i n : GewArch. 1959, 70; OVG Münster, i n : VerwRspr. 13, 199; Franz, i n : DVB1. 1965, 466; Ruppel, a.a.O., S. 62; die genannten G r u n d sätze haben Verfassungsrang. 114 BVerfGE 19, 342 (349). 111

3.1. Allgemeines

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Einzelfall die öffentlichen und die privaten Interessen gegeneinander abzuwägen und es ist zu prüfen, ob eine Aufenthaltserlaubnis versagt oder widerrufen werden soll oder ob es ausreicht, eine Frist, eine Bedingung oder Auflage zu verfügen 1 1 5 . 3.1.9.9. Art. 3 und 8 MRK Bei der Ermessensentscheidung nach § 2 AuslG ist auch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) zu berücksichtigen 116 . Sie enthält zwar keine Spezialbestimmungen zum Aufenthaltsrecht i m fremden Staatsgebiet und gewährt dem Ausländer insbesondere keinen Rechtsanspruch auf Aufenthalt 1 1 7 (vor allem nicht auf Niederlassung und wirtschaftliche Betätigung). Trotzdem sind einige Bestimmungen von Bedeutung für das Aufenthaltsrecht. So darf nach A r t . 3 M R K niemand einer unmenschlichen Behandlung unterworfen werden. Doch ist die Versagung der Aufenthaltserlaubnis (wie auch die Ausweisung 1 1 8 und andere fremdenrechtliche Maßnahmen) als solche ebensowenig eine unmenschliche Behandlung wie sie generell nicht gegen die Menschenwürde i. S. von A r t . 1 GG verstößt 1 1 9 . A r t . 8 M R K gebietet den Schutz des Familienlebens. Doch hat die Europäische Menschenrechtskommission i n der Verweigerung der A u f enthaltserlaubnis durch die dänischen Behörden gegenüber einem Deutschen, der mit einer dänischen Ehefrau, m i t der er i n der BRD lebte, nach Dänemark einwandern wollte, nicht für einen Verstoß gegen Art. 8 M R K gehalten und die Beschwerde der dänischen Ehefrau abgewiesen 1 2 0 . Ebenso w i r d nach Auffassung der Kommission durch A r t . 8 M R K ein Niederlassungsrecht i m fremden Land selbst dann nicht begründet, wenn die Eltern und alle Verwandten des (deutschen) Beschwerdeführers i n diesem Land (Dänemark) leben und der Beschwerdeführer selbst bis zu seinem 18. Lebensjahr dort gelebt hat 1 2 1 .

115

Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 11. Zutreffend z.B. V G H Bad.-Württ., i n : GewArch. 1963, 44; zum Standort der M R K i m deutschen Rechtssystem vgl. Menzel, i n : DÖV 1970, 510 (512 ff.). 117 B V e r w G E 3, 235; Bordewin, Das Aufenthaltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 50; Schorn, Die Europäische Menschenrechtskonvention, A r t . 3 A n m . 45. 118 Vgl. zur Ausweisung V G H Bad.-Württ., i n : D Ö V 1954, 223 Nr. 69 und GewArch. 1963, 44; O V G Münster, i n : OVGE 19, 125 (130); V G Berlin, i n : JR 1962, 395. 119 Bordewin, a.a.O., S. 50. 120 Europäische Menschenrechtskommission Jahrbuch I, S. 212 (238/256); Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, A r t . 8 Anm. 10. 121 Europäische Menschenrechtskommission (1855/63), i n : Recueil des Décisions 16, 50 (52). 116

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3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde 3.2.1. Die Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG (einschließlich der Fälle, bei denen ein Ausweisungstatbestand vorliegt 122 )

3.2.1.1. DieAufenthaltserlaubnis und ihre Einschränkungen im allgemeinen Nach der Systematik ist die räumlich nicht beschränkte, unbefristete Aufenthaltserlaubnis ohne Auflagen und Bedingungen die Regel (§ 2 Abs. 1 AuslG). Tatsächlich war eine solche Aufenthaltserlaubnis 1967/68 äußerst selten; sie dürfte i n weniger als 1 % der Fälle vorgekommen sein. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Aufenthaltserlaubnisse ist irgendwie eingeschränkt (§ 7 AuslG). U m eine selbständige Entscheidung handelt es sich bei der Einschränkung der Aufenthaltserlaubnis nur, wenn sie gemäß § 7 Abs. 4 AuslG nachträglich erfolgt. I m übrigen bildet sie eine Einheit m i t der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis selbst. I m einzelnen sind bei den Einschränkungen zu unterscheiden: 1. die räumliche Beschränkung; 2. die Befristung; 3. Bedingungen und Auflagen. A l l e Einschränkungen beruhen auf zwei Grundgedanken: Ausländer haben grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis; u m so weniger können sie eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis verlangen. Ferner ist § 7 AuslG durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt: Soweit Beschränkungen gemäß § 7 AuslG ausreichen, u m die Ziele des Ausländergesetzes durchzusetzen, braucht auf die weitergehende Versagung der Aufenthaltserlaubnis oder auf die Ausweisung nicht zurückgegriffen werden 1 2 3 . — I n der Erteilung einer hinter dem Antrag zurückbleibenden beschränkten Aufenthaltserlaubnis liegt eine Teilablehnung 1 2 4 . Das scheint der Berliner Ausländerbehörde nicht bekannt zu sein. Denn 1967/68 erteilte sie i n zahlreichen Fällen entgegen dem Antrag nur eine auf kurze Zeit befristete Aufenthaltserlaubnis, ohne gleichzeitig — für den abgelehnten Teil — eine Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen.

122 128 124

Vgl. die Ausführungen oben unter 3.1.5.2. Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 1. So zu Recht Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 1.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

3.2.1.2. Die räumliche

57

Beschränkung

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AuslG gilt die Aufenthaltserlaubnis für den Geltungsbereich des Ausländergesetzes; die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist insofern ein überregionaler (überterritorialer) Verwaltungsakt 1 2 6 . Die Aufenthaltserlaubnis kann jedoch räumlich beschränkt werden (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AuslG). Nach Nr. 1 der V w v zu § 7 AuslG soll die Aufenthaltserlaubnis nur dann auf bestimmte Teile des Bundesgebietes beschränkt werden, wenn besondere Gründe es erfordern, die i n der Person oder i m Verhalten des Ausländers oder i n besonderen örtlichen Verhältnissen liegen können (ζ. B. Grenz- oder Notstandsgebiete, übermäßige Ansammlung von Ausländern) 1 2 6 . Diese Voraussetzungen sah die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 anscheinend als nicht erfüllt an: I n keinem der untersuchten Fälle wurde die Aufenthaltserlaubnis räumlich beschränkt. 3.2.2.3. Die Befristung Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 AuslG w i r d die Aufenthaltserlaubnis befristet oder unbefristet erteilt 1 2 7 . Nach Nr. 3 der V w v zu § 7 AuslG ist jedoch die Aufenthaltserlaubnis i n der Regel befristet zu erteilen. — Dem entsprach die Praxis der Berliner Ausländerbehörde i m Untersuchungszeitraum. Nur i n einer verschwindend kleinen Anzahl der Fälle erteilte sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, wobei es sich zumeist u m ausländische Ehegatten von Deutschen bzw. u m seit langen Jahren ansässige Kaufleute handelte. Auch bei der Bemessung der Frist richtete sich die Berliner Ausländerbehörde an den Verwaltungsvorschriften zu § 7 AuslG aus. — Die gewährte Frist überstieg die beantragte Frist regelmäßig nicht. Dies ist rechtlich völlig einwandfrei, da die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ein begünstigender Verwaltungsakt ist, der einen Antrag voraussetzt 1 2 8 . — Zumeist wurde die Aufenthaltserlaubnis nur für solange erteilt, als auch der Paß gültig war. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, wonach die Aufenthaltserlaubnis automatisch erlischt, wenn die Gültigkeitsdauer des Passes abläuft. — I n etlichen 125 126 127 128

Zutreffend Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 2. Vgl. Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 2. Z u r Entstehungsgeschichte vgl. Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 5. Hierzu u n d zum folgenden vgl. Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 8.

58

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Fällen, insbesondere bei Angehörigen der EWG-Staaten 1 2 9 , wurde die Aufenthaltserlaubnis jedoch länger befristet als der Paß galt — in der Erwartung, der Paßinhaber werde rechtzeitig für eine Verlängerung oder Erneuerung des Passes sorgen (AuslGVwv Nr. 3 zu § 7). Benötigte der Ausländer eine Rückkehrberechtigung bzw. einen Rückkehrsichtvermerk, wurde die Frist so bemessen, daß sie vor A b lauf der Rückkehrberechtigung bzw. des Rückkehrsichtvermerks endete. — Dies ist nicht zu beanstanden, da anderenfalls die Rückübernahme gefährdet wäre (vgl. AuslGVwv Nr. 5 zu § 7). — Daneben richtete die Berliner Ausländerbehörde die Frist nach dem Zweck des Aufenthalts aus (ζ. B. Dauer des Studiums oder der sonstigen Ausbildung). Eine solche Befristung w i r d i n der Regel sachgemäß sein. Nach AuslGVwv Nr. 4 zu § 7 ist eine Aufenthaltserlaubnis für einen Arbeitnehmer i n der Regel längstens auf ein Jahr zu befristen — die Berliner Ausländerbehörde befolgte dies. Nach erstmaliger Einreise betrug die Frist i n der Regel sogar nur sechs Monate 1 3 0 , damit sich die Behörde zunächst einen Eindruck von dem Ausländer verschaffen konnte 1 3 1 . — Eine solche Befristung auf sechs statt auf zwölf Monate führt praktisch zur Verdoppelung der Verwaltungsarbeit und ist deswegen nicht unbedenklich. Wenig sinnvoll erscheint dies vor allem dann, wenn die Einhaltung der Fristen (und allgemein der ausländerrechtlichen Bestimmungen) nicht überwacht wird. Dies geschah 1967/68 jedoch i n der Regel nicht, weil Dienstkräfte fehlten. 3.2ΛA. Bedingungen und Auflagen Die verschiedenen Aufenthaltszwecke Bedingungen und Auflagen sind Nebenbestimmungen bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. W i r d die Wirksamkeit einer Aufenthaltserlaubnis von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht, so liegt eine Bedingung vor. M i t E i n t r i t t der Bedingung w i r d die Aufenthaltserlaubnis wirksam (aufschiebende Bedingung) oder unwirksam (auflösende Bedingung) 1 3 2 . W i r d von dem Inhaber der Aufenthaltserlaubnis ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gefordert, so liegt eine Auflage vor. Hierbei w i r d die Aufenthaltserlaubnis nicht von selbst ungültig, wenn die Auflage nicht erfüllt wird. Doch kann eine 129 Die EWG-Staaten sind verpflichtet, ihren Staatsangehörigen einen gültigen Paß oder Personalausweis auszustellen; vgl. hierzu Weißmann, AuslG, § 7 A n m . 3. 130 Seit 1969 beträgt die Frist regelmäßig zwölf Monate. 131 Vgl. Weißmann, a.a.O., § 7 A n m . 3. 132 Vgl. hierzu u n d zum folgenden Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 12.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

59

Aufenthaltserlaubnis rückgängig gemacht oder eine Ausweisung verfügt werden, wenn eine Auflage nicht beachtet wird. Ob und welche Bedingungen bzw. Auflagen mit einer Aufenthaltserlaubnis verbunden werden, liegt ebenso i m Ermessen der Ausländerbehörde wie die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis selbst. Bei ihrer Entscheidung w i r d sich die Ausländerbehörde von den öffentlichen Interessen und dem Zweck des Aufenthaltes bestimmen lassen. 3.2.1.4.1. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis insbesondere bei Gewerbeausübung Eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, die auch zur Ausübung eines Gewerbes berechtigt, erteilte die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 regelmäßig nur den Angehörigen — der EWG-Länder, Österreichs, der Schweiz, der USA und Kanadas und — unabhängig von der Staatsangehörigkeit — — Asylberechtigten und — Flüchtlingen, die i m Ausland anerkannt wurden, jedoch i m Besitz eines deutschen Reiseausweises nach der Genfer Konvention oder dem Londoner Abkommen waren. I m übrigen wurde eine solche Aufenthaltserlaubnis äußerst selten erteilt (gelegentlich ausländischen Ehefrauen deutscher Ehemänner sowie Inhabern von Spezialitätenrestaurants und Importkaufleuten, etwa orientalischen Teppichhändlern). War die Aufnahme einer Gewerbeausübung beabsichtigt, holte die Ausländerbehörde meist die Stellungnahme des Senators für W i r t schaft von Berlin ein, der seinerseits das Bezirksamt, die Industrieund Handelskammer oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Berufsvertretung anhörte. I m Untersuchungszeitraum wurden nur sechs Anträge auf Erteilung einer unbeschränkten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt 133 . I n all diesen Fällen lag einer der i n § 10 Abs. 1 AuslG genannten Aus Weisungstatbestände v o r 1 3 4 . Die Versagung i n diesen Fällen war nicht zu beanstanden, da sie dem Zweck des Ausländergesetzes entsprach. Daß der Polizeipräsident i n Berlin nur wenige Anträge ablehnte, beruhte darauf, daß die Praxis gewissen Staaten gegenüber großzügig war, i m übrigen anscheinend darauf, daß Ausländer, die nicht die 133

Allgemein zur rechtlichen W i r k u n g der Versagung der Aufenthaltserlaubnis vgl. Rose, i n : JR 1971, 228. 134 Die betroffenen Ausländer besaßen bis auf eine Ausnahme die italienische Staatsangehörigkeit.

60

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Staatsangehörigkeit eines der obenerwähnten Staaten besaßen, eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis nur i m Anschluß an einen Aufenthalt zu anderen Zwecken beantragten. 3.2.1.4.2. Unselbständige Erwerbstätigkeit 3.2.1.4.2.1. Statistik Mehr als die Hälfte aller Ausländer sind Arbeitskräfte. Hierzu folgende Übersicht 1 3 5 : Die Zusammensetzung der Ausländer i m gesamten Bundesgebiet unterschied sich 1967/68 von derjenigen i n Berlin: Während i m gesamten Bundesgebiet damals die Italiener die weitaus stärkste Gruppe bildeten, lautete die Reihenfolge i n Berlin zu dieser Zeit: Türken, Außereuropäer, Griechen, Italiener, Jugoslawen. — Seitdem ist insbesondere der Anteil der Jugoslawen gestiegen: Sie sind sowohl in der Bundesrepublik insgesamt als auch i n Berlin zur zweitstärksten Gruppe geworden 1 3 6 , nachdem sie i m gesamten Bundesgebiet zeitweilig die stärkste Gruppe gewesen waren. Die Struktur der Ausländerbeschäftigung i n der BRD mag folgende Übersicht 1 3 7 verdeutlichen: 3.2.1.4.2.2. Die wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Arbeitskräfte Wegen der großen Zahl der ausländischen Arbeitskräfte und wegen der entscheidenden Bedeutung wirtschaftlicher Erwägungen für die Ermessensausübung soll i m folgenden kurz die wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Arbeitskräfte dargestellt werden. I n der Volkswirtschaftslehre werden die wirtschaftlichen Auswirkungen der Beschäftigung sehr vieler ausländischer Arbeitskräfte nicht einheitlich beurteilt. I m Spektrum der Meinungen finden sich sowohl sehr kritische 1 3 8 als auch sehr positive Stimmen 1 3 9 . Überwiegend w i r d jedoch die Auffassung vertreten, daß eine hohe Zahl ausländischer A r 135 Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik 1968, 133; 1969, 130 u n d 1972,129. 136 a.a.O., 1970, 121 u n d 1972, 129 sowie Bundesanstalt f ü r Arbeit, i n : A N B A 1972, 98. 187 Bundesanstalt für Arbeit, i n : A N B A v o m 21. A p r i l 1969, Beilage u n d September 1972 Beil. S. 21; vgl. auch Statistisches Jahrbuch der Bundesrepub l i k 1968, 133 u n d 1969, 130. 138 z.B. Föhl, i n : K y k l o s 1967, 119; Rüstow, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 631 ff. 139 z.B. Hiß, i n : K o n j u n k t u r p o l i t i k 1965, 11, u n d i n : Wirtschaftsdienst 1965, 635; Kruse, i n : Schmollers Jahrbuch 1966, 423 (434).

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

61

Beschäftigte ausländische Arbeitnehmer BRD insges.

a m 30. 6.1971

am 30. 6.1968

am 30. 6.1967 Staatsangehörigkeit

davon B i n (W)

BRD insges.

davon B i n (W)

BRD insges.

davon B i n (W)

Belgien

6 214

85

6185

101

9 854

159

Dänemark

2 704

77

2 662

102

3 653

169

Finnland

2 548

66

2 569

125

4 665

248

23 500

487

24 210

576

43 596

1092

146 817

2113

136 191

2 094

261 592

5 763

8 564

454

9 051

403

16 722

849

Irland

402

16

374

14

681

31

Island

54

1

66

1

173

13

Italien

274 249

1746

287 440

2 025

405 092

3166

97 725

774

99 660

1349

469 173

20 057

Luxemburg

890

14

945

14

1388

39

Niederlande

44 864

390

44 681

454

64 225

639

942

41

900

36

1380

69

Frankreich Griechenland Großbritannien u n d No rdirla nd

Jugoslawien

Norwegen Österreich

56 324

1028

55 718

1147

93 088

1957

Portugal

18 519

66

18 743

84

55 214

259

Schweden

1410

92

1406

109

2141

166

Schweiz

6 698

283

6 655

307

8 291

429

Spanien

129 126

738

111 982

750

183 636

1171

6 073

424 374

30 384

137 001

4 403

139 336

sonstige europäische Länder

10 197

203

10 173

258

25 155

929

außereuropäische Länder

43 868

2 054

44 259

2 367

81 264

5153

Staatenlose, ausländische Flüchtlinge, ungeklärte Staatsangehörigkeit

11051

325

11568

365

13 409

424

1 023 747

15 456

1 014 774

18 754

2 168 766

73 166

295 475

4 824

299 531

6 344

614 892

28 778

Türkei

davon weiblich

62

3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis

Wirtschaftsabteilung Wirtschaftszweig/ -gruppe

Beschäftigte ausländische A r b e i t nehmer am 30. 9.

Ausländerquote i n °/o am 30. 9.

1968

1971

1967

1968

1971

16 290

34 396

3,4

2,7

6,5

12 043

28 025

5,0

3,9

11,3

Eisen- u n d Metallerzeugung u n d -Verarbeitung

373 186

818 177

6,4

7,7

14,8

Übrige verarbeitende Gewerbe (ohne Bau)

311 858

566 639

6,8

7,5

13,7

Bergbau, Energiewirtschaft, darunter Steinkohlenbergbau

darunter Brennstoff-, G u m m i - u n d Asbestverarbeitung

29 317

60 994

10,5

12,9

18,6

Baugewerbe

166 343

398 581

8,3

9,0

22,4

Dienstleistungen, Handel u n d Verkehr

4,2

210 535

401 327

2,3

2,3

darunter Handel

53 895

111 075

2,3

2,4

4,5

Gaststättengewerbe

39 533

76 140

8,6

8,7

19,1

5 685

9 140

1,4

1,3

2,1

31 001

56 490

5,0

5,2

8,3

11661

21 673

3,7

3,5

7,8

1 089 873

2 240 793

4,7

5,2

10,3

Deutsche Bundespost Krankenpflege L a n d - u n d Forstwirtschaft, Tierhaltung, Fischerei A l l e Wirtschaftsabteilungen/-gruppen

b e i t s k r ä f t e k u r z - u n d m i t t e l f r i s t i g v o n V o r t e i l ist, daß jedoch a u f l a n g e Sicht die N a c h t e i l e — insbesondere w e g e n d e r B e l a s t u n g d e r I n f r a s t r u k t u r — eher ü b e r w i e g e n 1 4 0 . Dies s o l l h i e r k u r z v e r d e u t l i c h t w e r d e n . Ausländische Arbeitskräfte und Konjunkturv erlauf : A u f d e m A r b e i t s m a r k t w ä r e ohne d e n Z u s t r o m ausländischer A r b e i t s k r ä f t e eine noch größere Nachfrage e i n g e t r e t e n , als es o h n e h i n schon d e r F a l l w a r . 140 So vor allem der Bericht der (Schweizer.) Studienkommission über das Problem der ausländischen Arbeitskräfte, S. 105; Gnehm, Ausländische A r beitskräfte — V o r - und Nachteile für die Volkswirtschaft, S. 9 u n d S. 96; vgl. ferner: Herbst, i n : Arbeit, Beruf und Arbeitslosenhilfe 1955, 32; Harms, i n : Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- u n d Gesellschaftspolitik 1966, 277; Huber, i n : Der Arbeitgeber 1973, 196; Nydegger, i n : Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1963, 321 u. i n : Wirtschaft u n d Recht 1965, 1; Steinjahn, i n : Beiträge des Deutschen Industrie-Instituts 1966 Heft 3 u n d i n : Der Arbeitgeber 1973, 195; Wittmann, i n : Wirtschaft u n d Recht, 1962, 276; Zöllner, i n : Probleme der ausländischen Arbeitskräfte i n der Bundesrepublik Deutschland, Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k , Heft 13, S. 10 ff.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

63

Ein noch stärkerer Lohndruck wäre die Folge gewesen. Über diese Ansicht, daß die ausländischen Arbeitskräfte die Lohnentwicklung nach oben relativ gedämpft und verzögert haben, besteht weitgehend Einigkeit 1 4 1 , ebenso darüber, daß sie den Preisauftrieb gebremst haben, soweit es sich um Konsumgüter handelt 1 4 2 . Allerdings w i r d ζ. T. einschränkend hinzugefügt, daß die Bemühungen u m eine Dämpfung der Kosten- und Preisauftriebstendenzen nur um den Preis einer ständig wachsenden Zahl ausländischer Arbeitskräfte Erfolg haben könnten 1 4 3 . Die Vermehrung der Arbeitskräfte hat es auch erlaubt, die vorhandenen räumlichen und maschinellen Kapazitäten optimal bis maximal auszunutzen. Die Unternehmer konnten so ihre Gewinne — oft ganz erheblich — erhöhen 144 , da sie der Notwendigkeit enthoben waren, zeitraubende, kapitalintensive Vorbereitungen der Produktionsausweitung zu schaffen, indem sie neue arbeitsparende Produktionsverfahren entwickeln und einführen. Sie konnten sich stattdessen mit Erweiterungsinvestitionen begnügen, die anscheinend profitabler sind als bloße Rationalisierungen 145 '. Zur Aufbringung von Kapital für die Finanzierung von Investitionen tragen die ausländischen Arbeitskräfte kaum bei, da sie Ersparnisse alsbald i n ihre Heimatländer transferieren 146 . Dadurch helfen sie allerdings mit, die Zahlungsbilanz der Bundesrepublik abzugleichen 1 4 7 . 141 Bericht der Studienkommission, S. 94; Gnehm, a.a.O., S. 21; Hiß, i n : Wirtschaftsdienst 1963, 331 (336); Keller, i n : Außenwirtschaft 1963, 341 (344); Tuchtfeldt, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 643 (644); W i t t m a n n , a.a.O., S. 277. 142 Hiß, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 635 (636); Keller, a.a.O., S. 346; Tuchtfeldt, a.a.O., S. 645 (weil der Verbrauch der sparsamen Gastarbeiter gering sei); Huber, Die ausländischen Arbeitskräfte i n der Schweiz, Diss. Bern 1963, S. 46; neuerdings übertreffen allerdings die Ausländer bei den Anschaffungen vieler Haushaltsgeräte die Käufe der westdeutschen Haushalte bei weitem, offenbar wegen großen Nachholbedarfs, vgl. Analysen und Prognosen, 1970 Heft 10, S. 9. 143 Gnehm, a.a.O., S. 52; vgl. auch Föhl, i n : K y k l o s 1967, 119 (122), der folgendes meint: Jene Ansicht gelte nur für die Annahme, daß nicht auch gleichzeitig die Nachfrage nach Arbeitsleistungen i n gleichem Umfang steige. Diese Annahme aber sei nicht berechtigt, da die Heimatstaaten die Devisen der Wanderarbeiter zum I m p o r t verwendeten, wodurch — m i t einem gewissen time lag — der Bedarf u n d damit die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften ansteige. 144 Keller, a.a.O., S. 345; Tuchtfeldt, a.a.O., S. 645; aus marxistischer Sicht vgl. auch Eisner, Fremdarbeiterpolitik i n Westdeutschland, S. 64 ff. u n d Baier, i n : Rote Robe 1970 Heft 3, S. 3 (11): „Extraprofite" sowie Geiselberger, in: Schwarzbuch: Ausländische Arbeiter, S. 25 ff. 145 Keller, a.a.O., S. 345; Tuchtfeldt, a.a.O., S. 645. 148 Keller, a.a.O., S. 346; 1969 schickten 60 %> der 1,7 Mio. Wanderarbeiter einen Großteil ihres Verdienstes von durchschnittlich 800,— D M nach Haus, nämlich r u n d 15 °/o, vgl. Brauchen w i r Gastarbeiter? (erschienen i m K o m a r -

64

. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

Dieser Effekt vermindert sich jedoch sehr stark beim Nachzug von Familienangehörigen, wodurch gleichzeitig die Nachfrage nach Konsumgütern, Wohnungen und Dienstleistungen stark zunimmt. Dies w i r k t sich insbesondere i m Bausektor und Dienstleistungsbereich negat i v aus, da diese zu den Wirtschaftsbereichen mit hohem Arbeitseinsatz und geringer Zunahme der Arbeitsproduktivität gehören 148 . — Von großer Bedeutung ist die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte für die Rentenversicherung. Schon i n den Jahren 1965 und 1966 ζ. B. überstiegen die Beiträge die zu zahlenden Renten u m rund 1 Milliarde D M 1 4 9 . I n Zukunft, vielleicht i n ein bis zwei Jahrzehnten, w i r d aber auch hier m i t einem Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben zu rechnen sein 1 5 0 . — Die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer stellt i n gewissem Umfange einen sog. „Konjunkturpuffer" dar. Die Wanderarbeiter können zwar bei einem Konjunkturrückschlag nicht gänzlich ferngehalten werden. Rechtliche (die von der deutschen Kommission angeworbenen Kräfte können während des ersten Jahres nur aus wichtigem Grund entlassen werden), außenpolitische (die Entlassung von Ausländern könnte zu Spannungen i n den zwischenstaatlichen Beziehungen führen 1 5 1 ) und humanitäre Erwägungen ließen dies nicht zu. Es könnte jedoch der Zustrom neuer Ausländer ohne Schwierigkeiten verhindert werden, was bei der starken Fluktuation der Ausländer schon eine starke Entlastung brächte (und 1967/68 auch gebracht hat) 1 5 2 . I m übrigen t r i f f t eine Degression Ausländer i m Durchschnitt unverhältnisVerlag), S. 7 sowie Analysen u n d Prognosen 1970 Heft 10, S. 9; Der Tagesspiegel (Nr. 7460 v o m 26. 3.1970, S. 15) nennt allerdings f ü r 1966 n u r 3,586 Mrd. u n d für 1968 n u r 3,318 Mrd. D M an Überweisungen bei Einkünften der ausländischen Arbeitskräfte i n Höhe von 14 - 15 Mrd. DM. 1971 wurden 5,3 Mrd. D M überwiesen (Der Tagesspiegel Nr. 8237 v o m 17.10.1972, S. 13); zu den Auswirkungen der Überweisungen auf die Heimatländer vgl. Baier, i n : Rote Robe 1970 Heft 4, S. 11 (13). 147 Presse- u n d Informationsdienst der Bundesregierung, Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- u n d Finanzpolitik 1965, Heft 50; Steinjahn, a.a.O., Heft 3, S. 16. 148 W i t t m a n n , a.a.O., S. 278. 149 Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung, a.a.O., S. 2; vgl. ferner Steinjahn, a.a.O., Heft 3, S. 19. 160 Kruse, a.a.O., S. 423 (431); zur Frage „Wanderarbeit u n d Rentenversicherung" vgl. ferner M ü l l e r - Hagen, i n : Der Arbeitgeber 1961, 718; Post, i n : Die Sozialversicherung 1963, 325; Hoernigk, i n : A r b e i t u n d Sozialpolitik 1965, 215 sowie i n : Der Arbeitgeber 1973, 200 u n d vor allem Bredemeyer, Die wirtschaftlichen A u s w i r k u n g e n der Beschäftigung ausländischer A r beitnehmer i n der Bundesrepublik Deutschland, unter besonderer Berücksichtigung i n einzelnen Zweigen der Sozialen Sicherung, Diss. Darmstadt 1970. 151 Bericht der Studienkommission, S. 99. 162 Vgl. Gnehm, a.a.O., S. 5; Baier, a.a.O., Heft 3, S. 3 (10) u n d Heft 4, S. 11.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

65

mäßig härter als die deutschen Arbeitskräfte 1 5 3 , da sie meist nicht zu den auch i n einer Baisse unentbehrlichen Fachkräften gehören. — A n dieser Stelle sei bemerkt, daß die Beschäftigung von ausländischen Saisonarbeitern i n gewisser Weise für die deutsche Volkswirtschaft besonders vorteilhaft ist. Denn die Hereinnahme der nicht das ganze Jahr über beschäftigten Saisonarbeiter aus dem Ausland bedeutet nichts anderes als die Abwälzung der wirtschaftlichen und sozialen Unzuträglichkeiten der Saisonarbeitslosigkeit auf das Ausland 1 5 4 . Ausländische Arbeitskräfte in Strukturwandel und langfristigem Wachstum: Ein starker A n t e i l ausländischer Arbeitskräfte kann sich auf die Qualität des Faktors Arbeit nachteilig auswirken, da es sich zum überwiegenden Teil u m ungelernte Arbeiter m i t ungenügender Schul- und Berufsausbildung handelt 1 5 5 . Dies gilt allerdings nicht für alle Wirtschaftszweige, so nicht für den Tiefbau, wo schon immer ungelernte Arbeiter verwandt wurden, auch nicht für den Hochbau, wo ausländische Fachkräfte beschäftigt werden 15 *. Gleichwohl kann gesagt werden, daß die Beschäftigung vieler zusätzlicher ausländischer Arbeitskräfte ein schnelleres Wachstum des Bruttosozialprodukts — seit Chruschtschow eine prestigebehaftete Größe — bewirkt hat 1 5 7 . Wichtiger als das Wachstum des Bruttosozialproduktes ist indessen die Arbeitsproduktivität, die sich aus dem realen Netto-Sozialprodukt pro Kopf der Arbeitnehmerschaft ergibt 1 5 8 . Der Einfluß der ausländischen Arbeitskräfte auf die Arbeitsproduktivität w i r d häufig negativ beurteilt 1 5 0 , vor allem, weil die Ausländerbeschäftigung zu einer geringeren Zunahme der Kapitalintensität führe. Hiermit steht auch die Behauptung i n Zusammenhang, die Beschäftigung ausländischer A r 153

Bericht der Studienkommission, S. 98. Keller, i n : Außenwirtschaftsdienst 1963, 341 (348). 155 L a u t Spiegel 1970, Heft 35 v o m 24. 8.1970, S. 93 (94) sollen noch heute 6 0 % aller T ü r k e n Analphabeten sein; allerdings ist die Ausbildung häufig auch sehr gut: 2 9 % der ausländischen Arbeitskräfte haben über die Volksschule hinaus weitere Bildungsstätten besucht (vgl. Baier, i n : Rote Robe 1970 Heft 4, S. 11/15). 158 Hierauf weisen Gnehm, Ausländische Arbeitskräfte — V o r - und Nachteile für die Volkswirtschaft, S. 70 ff. u n d Keller, i n : Außenwirtschaft, 1963, 341 (350) hin. 157 Tuchtfeldt, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 643 (645); vgl. ferner Sturn, i n : Arbeits- u n d Sozialrecht 1971, 50. 158 Bericht der Studienkommission, S. 108; Gnehm, a.a.O., S. 54f.; unter dem realen Nettosozialprodukt versteht man das Netto-Volkseinkommen zuzüglich der indirekten Steuern u n d abzüglich der Subventionen unter Ausschaltung der Geldwertschwankungen. 159 Föhl, i n : K y k l o s 1967, 119 (143); Gnehm, a.a.O., S. 75; Huber, Die ausländischen Arbeitskräfte i n der Schweiz, Diss. Bern 1963, S. 116. 154

5 Schüler

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

beitskräfte hebe den Lebenstandard der einheimischen Bevölkerung k a u m 1 6 0 oder belaste ihn zunächst 161 . Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte führt auch nach ganz überwiegender Ansicht der Lehre dazu, daß sich der Prozeß der Mechanisierung und Rationalisierung (mit Hilfe besserer Kapitalausstattung) verzögere 162 . Denn solange billige Arbeitskräfte vorhanden seien, seien die Unternehmer ökonomisch nicht gezwungen, anstelle der (nicht besonders auf Arbeitsersparnis ausgerichteten) Erweiterungsinvestitionen arbeitsparende Rationalisierungsinvestitionen vorzunehmen (Ersatz des Faktors Arbeit durch Kapital: capital deepening anstelle von capital widening). Eine nachteilige Beeinflussung des technischen Fortschritts und — wie oben erwähnt — der Arbeitsproduktivität seien die Folge. Allerdings kann es manchmal vorübergehend von Vorteil sein, eine Z w i schenstufe der technischen Entwicklung zu überspringen. Unterbleibt der fortlaufende Ersatz von Arbeit durch Kapital, so w i r d dadurch eine ständige Strukturbereinigung verhindert. M i t Hilfe billiger ausländischer Arbeitskräfte können sich vermutlich auch wenig rentable Unternehmen (sog. Grenzbetriebe) halten, die sonst aus Mangel an Kapital oder an Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeschieden wären. Allerdings hätte die Strukturbereinigung nur dann eintreten können, wenn der Staat den betroffenen Unternehmern und Arbeitnehmern, die sicherlich nach Schutz gegen „WettbewerbsVerzerrung" gerufen hätten, nicht mit Subventionen oder einer Handels- und Schutzpolitik zur Hilfe gekommen wäre 1 6 3 . Das Unterbleiben der Strukturbereinigung beeinflußt auch die globale Arbeitsproduktivität negativ. Denn sie erschwert den leistungsfähigeren Unternehmen die Beschaffung der nötigen Arbeitskräfte. Hiervon sind ganz besonders junge dynamische Unternehmen betroffen, die wegen ihrer höheren Produktivität für die Volkswirtschaft außerordentlich wichtig sind 1 6 4 . Allerdings w i r d so auch eine Unter160

Föhl, a.a.O., S. 144. Rüstow, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 631 (632/3); hierzu Keller, i n : Festschrift für Briefs, S. 339 (343) („ein extremer Standpunkt"). 162 Bericht der Studienkommission, S. 101; Gnehm, a.a.O., S. 74; Keller, i n : Außenwirtschaft 1963, 341 (348); Tuchtfeldt, a.a.O., S. 645; W i t t m a n n , i n : W i r t schaft u n d Recht 1962, 276 (279); vgl. auch Rüstow, a.a.O., S. 632 f. u n d Geiselberger, a.a.O., S. 25 ff.; a. Α.: Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung, i n : A k t u e l l e Beiträge zur Wirtschafts- u n d Finanzpolitik 1965, Nr. 50, S. 3; Schmidt, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 639; Steinjahn, i n : Beiträge des Deutschen Industrie-Instituts 1966, Heft 3, S. 13 (außer Β au Wirtschaft). 163 Hiß, i n : Wirtschaftsdienst 1965, 635 (637). 104 Bericht der Studienkommission, S. 103; Gnehm, a.a.O., S. 90; Wittmann, a.a.O., S. 279. 161

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3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

nehmenskonzentration verhindert, die oft nachteilig beurteilt w i r d . Z u d e m i s t es n i c h t ausgeschlossen, daß der Ü b e r g a n g v o m W a c h s t u m s prozeß m i t e x p a n d i e r e n d e m A r b e i t s v o l u m e n a u f e i n e n W a c h s t u m s p r o zeß m i t s t a g n i e r e n d e m oder g a r r ü c k l ä u f i g e m A r b e i t s v o l u m e n m i t S c h w i e r i g k e i t e n v e r l i e f e , z u m a l d i e G e w i n n e der U n t e r n e h m e r sänken165. M i t e i n e m h o h e n A n t e i l der A u s l ä n d e r a n d e r B e s c h ä f t i g t e n z a h l k a n n eine gewisse A b h ä n g i g k e i t v o m A u s l a n d e i n t r e t e n , w a s i m F a l l e k r i e gerischer A u s e i n a n d e r s e t z u n g oder sonstiger N o t s t ä n d e w e i t t r a g e n d e Folgen haben könnte166. Dieses B i l d ä n d e r t sich jedoch u m so s t ä r k e r , j e m e h r n i c h t e r w e r b s t ä t i g e A u s l ä n d e r i n die B u n d e s r e p u b l i k k o m m e n u n d j e m e h r A u s l ä n der sich h i e r s t ä n d i g niederlassen. D a n n e n t s t e h e n h o h e K o s t e n

für

E r z i e h u n g u n d A u s b i l d u n g ( B a u zusätzlicher K i n d e r g ä r t e n u n d Schulen, E i n s t e l l u n g zusätzlicher — auch ausländischer — L e h r k r ä f t e , E i n r i c h t u n g besonderer Förderklassen), W o h n u n g e n (staatliche S u b v e n t i o nen für

Sozialwohnungen u n d für

Arbeitnehmerwohnheime,

Wohn-

geld), K i r c h e n u n d V e r k e h r s w e s e n 1 6 7 . H i n z u k o m m e n K o s t e n f ü r B e r a 165

Hiß, a.a.O., S. 637. Bericht der Studienkommission, S. 99; Schill, Das Recht der ausländischen Arbeitnehmer i n Deutschland, S. 131; Huber, a.a.O., S. 117. 167 Z u m Wohnungsproblem vgl. Hollenberg, Der Wohnungsbedarf ausländischer Arbeitnehmer i n Nordrhein-Westfalen u n d seine Bedeutung für die Landesplanung, Diss. Münster 1967; Geiselberger, Schwarzbuch: Ausländische Arbeiter, S. 122; Happe, i n : Staats- u n d K o m m V e r w . 1972, 170; Heyden, i n : Der Arbeitgeber 1971, 395; Deutscher Bundestag, Stenograph. Berichte, 6. Wahlper. S. 2057 (2058); Mehrländer, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 608; Senat von Berlin: Bericht über die Situation der ausländischen Arbeitnehmer i n Berlin, i n : Mitteilungen des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, V. Wahlper., Nr. 43, S. 8 (14). Z u r Ghettobildung i n B e r l i n vgl. ζ. B. die Schilderung von Kotschenreuther, in: Berliner Leben 1971, Heft 12, S. 24. Z u r vorschulischen Betreuung vgl. Sieburg / Friedrich, i n : B A r b B l . 1971, 473 u n d Troppenz, i n : Der Tagesspiegel Nr. 8291 vom 20. Dezember 1972, S. 8. Z u m Schulproblem vgl. z.B. den Bericht des Senats von Berlin, a.a.O., S. 16f.; Paul, i n : Stirn, Ausländische Arbeiter i m Betrieb, S. 123; Budzinski, i n : K o m m u n a l 1972, Heft 6, S. 44; Diamant, i n : Klee. Gastarbeiter u n d A n a lysen, S. 59 ff. m. w. N.; Domhof, i n : Der Arbeitgeber 1971, 397; Großmann, i n : Geiselberger, a.a.O., S. 133 (136, 144); Happe, i n : Staats- u n d K o m m u n a l verwaltung 1972, 169 (172); Heyden, i n : B A r b B l . 1973, 359; Koch, Gastarbeiterkinder i n deutschen Schulen, Königswinter 1971; Mehrländer, a.a.O., S. 611; Müller, Gutachten zur Schul- u n d Berufsausbildung der Gastarbeiterkinder, Bochum 1971; Steiner, i n : Neue Zürcher Zeitung Nr. 251 v o m 20. Januar 1966. Z u den Problemen der Arbeitssicherheit vgl. Hinze, i n : Die Berufsgenossenschaft 1963, Heft 1. Z u den Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens vgl. ζ. B. Duquesne, i n : Annales de droit international médical 1967, Heft 16, S. 25; Happe, a.a.O., S. 172 u n d Steuer / Scheurlen, i n : Der öffentliche Gesundheitsdienst 1962, 89. 166



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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

t u n g u n d B e t r e u u n g (fürsorgerischere B e t r e u u n g ; S p r a c h k u r s e ; besondere R u n d f u n k s e n d u n g e n ; B e r u f s f ö r d e r u n g s m a ß n a h m e n ) . Diese A u s g a b e n — sie w e r d e n a u f 100 000 b i s 200 000 D M j e Z u w a n d e r e r ges c h ä t z t 1 6 8 — s i n d aus sozialen u n d h u m a n i t ä r e n G r ü n d e n u n u m g ä n g l i c h . E i n e a n t i z y k l i s c h e W i r t s c h a f t s p o l i t i k ist k a u m m e h r m ö g l i c h . D i e B u n d e s r e g i e r u n g t r u g diesen E r k e n n t n i s s e n anscheinend erst a m 6. J u n i 1973 R e c h n u n g : Sie beschloß e i n „ A k t i o n s p r o g r a m m z u r K o n s o l i d i e r u n g der A u s l ä n d e r b e s c h ä f t i g u n g " . U . a. s o l l d i e Z u l a s s u n g ausländischer A r b e i t n e h m e r i n ü b e r l a s t e t e n S i e d l u n g s g e b i e t e n v o n d e r Z u den ausländischen Arbeitskräften aus arbeitsmedizinischer Sicht vgl. Geiselberger, a.a.O., S. 116; Nesswetha, i n : Stirn, Ausländische Arbeiter i m Betrieb, S. 82, u n d zu ihren Entwurzelungsdepressionen u n d H e i m w e h Reaktionen vgl. Poeck, i n : Deutsche Medizinische Wochenschrift 1962, 1419 u n d Zwingmann, i n : Stirn, a.a.O., S. 70 sowie i n : Ausländ. Arbeitskräfte i n Deutschland, hrsg. v o m Hess. I n s t i t u t f ü r Betriebswirtschaft e. V., S. 187. Z u den zusätzlichen Kosten bei der Beschäftigung ausländischer A r b e i t nehmer vgl. Metze, i n : Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1961, 59. Zur Notwendigkeit der Beherrschung des Deutschen u n d zu den Problemen des Deutschunterrichts vgl. Ernst, i n : B A r b B l . 1971, 445; Filla, i n : B A r b B l . 1970, 235; Kranz, i n : Der Arbeitgeber 1972, 648 (651) u n d Geiselberger, a.a.O., S. 146; Schneider, i n : B A r b B l . 1971, 447. Z u den Eingewöhnungsschwierigkeiten u n d den notwendigen Maßnahmen zur betrieblichen u n d gesellschaftlichen Eingliederung vgl. ζ. B. Bingemer u n d Meistermann-Seeger, i n : Bingemer / Meistermann-Seeger /Neubert, L e ben als Gastarbeiter, S. 17; Bräuer, i n : Arbeit, Beruf u n d Arbeitslosenhilfe. Das Arbeitsamt 1960, 206; Danckwortt, Probleme der Anpassung an eine fremde K u l t u r , K ö l n 1959; Delgado, Anpassungsprobleme der spanischen Gastarbeiter i n Deutschland, Diss. K ö l n 1966; Ernst, i n : B A r b B l . 1970, 225 u n d 1971, 445; Feuser, Ausländische Mitarbeiter i m Betrieb, S. 126 ff. und 150ff.; Filla, i n : B A r b B l . 1970, 235 u n d 1971, 454; Haar, i n : Neues Beginnen 1963, 133; Käfferbitz, i n : B A r b B l . 1968, 541; Korff, i n : B B 1961, 102; Marloth, i n : Deutsche Jugend 1959, 543 (545 f., 547); Maturi, Arbeitsplatz: (West-) Deutschland, Mainz 1964 u n d i n : Ausländ. Arbeitskräfte i n Deutschland, hrsg. v o m Hess. I n s t i t u t f ü r Betriebswirtschaft, S. 121; Paul, i n : Ausländ. Arbeiter i m Betrieb, hrsg. von Stirn, S. 123; Paunovic, i n : Soziale Welt 1957, 45; Richter, i n : B A r b B l . 1970, 251; Sander, i n : Ausländ. Arbeitskräfte i n Deutschland, hrsg. v o m Hess. I n s t i t u t f ü r Betriebswirtschaft, S. 97; Schill, Das Recht der ausländischen Arbeitnehmer i n Deutschland, S. 55 ff.; Siebrecht, i n : Frankfurter Hefte 1964, 557 (561, 566) und: Die ausländischen Arbeitnehmer — Situation, Probleme u n d Aufgaben, München 1964; Stauf fer, i n : arbeitswissenschaft 1963, Heft 1, S. 5; Uhlig, i n : Gewerkschaftliche M o natshefte 1968, 9 (12 u n d 14); Wolff, i n : B B 1970, 495. Z u den Aufgaben der karitativen Verbände vgl. De Haan, i n : B A r b B l . 1970, 255 (AWO); Schröder, i n : B A r b B l . 1970, 275 (Jugendsozialwerk); Winzler, i n : B A r b B l . 1970, 270 (Diakonisches Werk). Kritisch Klee, i n : Klee, Gastarbeiter. Analysen u n d Berichte, S. 9. Z u publizistischen Fragen vgl. Delgado, Die Gastarbeiter i n der Presse, Opladen 1972, u n d Kadlubowski, i n : B A r b B l . 1971, 479. Z u den Kosten der bisherigen Eingliederungshilfen vgl. Kottusch, i n : B A r b B l . 1971, 492. Z u den einschlägigen Vorstellungen der v o m SPD-Bundesvorstand eingesetzten Kommission vgl. Buschfort, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 583. 168 von Steinjahn, i n : Der Arbeitgeber 1973, 195.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

69

Aufnahmefähigkeit der sozialen Infrastruktur abhängig gemacht werden 1 6 9 . Damit werden auch Leitlinien für die Anwerbepraxis der Bundesanstalt für Arbeit aufgezeigt, i n der Woschech (DGB) 1 7 0 (bisher) „primär einen Erfüllungsgehilfen der Arbeitgeber" sieht. Interessant sind auch die Folgerungen, welche die Schweizerische Studienkommission für das Problem der ausländischen Arbeitskräfte schon 1964 aus der Erkenntnis zog, daß die Ausländerbeschäftigung kurzfristig eher vorteilhaft, langfristig aber eher nachteilig sei. Sie forderte eine strengere Auswahl der ausländischen Arbeitskräfte (bezüglich der Geeignetheit), Förderung bewährter Ausländer (Unterbringung i n ihren Fähigkeiten entsprechenden Berufszweigen, Aus- und Weiterbildung, Verbesserung der Betreuung, Förderung der Assimilation der Tüchtigen und Seßhaften), unter Umständen Festsetzung einer Höchstzahl bei gleichzeitiger Gewährung der Freizügigkeit der Ausländer auf der einen Seite und systematischere Auswertung der einheimischen Arbeitskraft auf der anderen Seite 1 7 1 . — Als weitere Maßnahme zur Abwendung der volkswirtschaftlichen Gefahren, die aus einer langandauernden Beschäftigung hunderttausender von ausländischen Arbeitskräften erwachsen, kommt auch die Verlagerung von Produktionskapazitäten i n die Herkunftsländer der Ausländer i n Betracht. Die deutschen Unternehmer sind jedoch insoweit sehr zurückhaltend. Für sie ist es — da sie Infrastrukturausgaben nicht zu tragen haben — rentabler, neue Produktionsstätten i m Bundesgebiet oder angrenzenden EWG-Ländern als i n den Anwerbeländern zu errichten, obwohl hier die Löhne wesentlich höher sind als dort 1 7 2 . Hierbei spielen auch andere Erwägungen eine Rolle, wie ζ. B. das größere unternehmerische Risiko wegen der unsicheren politischen Verhältnisse vieler Staaten. — Aus diesen Gründen ist gegenwärtig nur die Lohnfertigung i m Ausländ von größerer Bedeutung, insbesondere die Lohnfertigung i n osteuropäischen Staaten, die über freie Produktionskapazitäten und ausgebildete Arbeitskräfte verfügen 1 7 5 . I m Zusammenhang mit der Erörterung der Bedeutung der ausländischen Arbeitnehmer für die Wirtschaft der BRD sei auch auf deren Bedeutung für die Wirtschaft der Herkunftsländer hingewiesen. Die 1β9 Hierzu Arendt, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 587; die Forderungen Bayerns gehen anscheinend noch hierüber hinaus; vgl. Huber, i n : A r b e i t u n d Sozialpolitik u n d i n : Der Arbeitgeber 1973, 196. Vgl. auch Ernst, i n : A r b e i t u n d Sozialpolitik 1973, 337. 170 Woschech, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 591. 171 Bericht der Studienkommission, S. 117 ff. 172 So ζ. B. Schmidt, a.a.O., S. 639. 173 Der Tagesspiegel Nr. 7673 v o m 8.12.1970, S. 14.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

Wanderung der Arbeitskräfte ist einmal vor allem wegen der i n den Anwerbeländern bestehenden Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sowie wegen der Einnahmen von Devisen (durch Überweisungen) von Bedeutung. Zum anderen bringt sie nach h. M. eine Reihe nicht quantifizierbarer Vorteile mit sich, hauptsächlich — den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, — die Gewöhnung an den industriellen Arbeitsrhythmus und — den Erwerb der Fähigkeit, sich i n einer fremden sozialen und k u l rellen Umwelt zu orientieren 1 7 4 . A n einer gezielten staatlich geförderten Ausbildung der hier tätigen Ausländer — auch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungshilfe — fehlte es allerdings lange Zeit. Erst i m Januar 1971 ist ein Fortbildungsprogramm angelaufen, das türkische Gastarbeiter instandsetzen soll, nach ihrer Rückkehr i n ihre Heimat dort Klein- und Mittelbetriebe zu gründen 1 7 5 . — I m Rahmen einer planmäßigen Entwicklungspolitik ist auch eine gesteuerte Remigration wichtig 1 7 6 , woran es bisher praktisch ebenfalls mangelte. Auch unabhängig hiervon w i r d insbesondere von marxistischen Autoren die Ansicht vertreten, daß die Abgabe von Arbeitskräften für die Herkunftsländer i m Ergebnis nachteilig sei, weil sie letztlich deren Rückständigkeit gegenüber den Aufnahmeländern aufrechterhalte 177 . 3.2.1.4.2.3. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an Arbeitnehmer und ihre Versagung Auf die Praxis der Ausländerbehörden der BRD sind die oben dargestellten kritischen Stimmen i n der Volkswirtschaftslehre zur langfristigen Hereinnahme ausländischer Arbeitnehmer ohne Einfluß geblieben. Die Praxis der Ausländerbehörden (und der Arbeitsämter) trägt vielmehr den Forderungen der Wirtschaft nach sog. „Gastarbeitern" Rechnung. Für die einzelnen Unternehmer aber ist die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte — trotz gewisser Mehrkosten 1 7 8 — von Vorteil; die Erfahrungen m i t den ausländischen Arbeitskräften sind ganz überwiegend günstig 1 7 9 . Für die positive Einstellung der Unternehmer 174

Kade, i n : K o n j u n k t u r p o l i t i k 1966, Beiheft 13, S. 113 (128). Der Tagesspiegel Nr. 7551 v o m 17. 7.1970, S. 14; vgl. auch die A n t w o r t des Bundesministers für die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf eine kleine Anfrage i m Bundestag, i n : BT-Drucks. VI/1253, S. 4128 D. 176 Kade, a.a.O., S. 131; vgl. hierzu ferner Marques, i n : Klee, Gastarbeiter. Analysen u n d Berichte, S. 137 ff. 177 Vgl. Geiselberger (Hrsg.), Schwarzbuch: Ausländische Arbeiter, S. 166 ff.; Nikolanikos, i n : Das Argument 68 (1971), 782. 178 Hierzu Schill, a.a.O., S. 133 f. u n d Grosse, i n : Der Arbeitgeber 1973, 198. 179 Vgl. ζ. B. Schmidt, a.a.O., S. 639; Rosenmöller, i n : B A r b B l . 1970, 231 f. 175

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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spielte die Frage zukünftiger Infrastrukturausgaben naturgemäß keine Rolle, da ihre Betrachtungsweise mikroökonomisch, d. h. am einzelnen Unternehmen ausgerichtet ist. Auch die Auffassung maßgeblicher Regierungskreise war bis 1973 positiv 1 8 0 , wobei anscheinend davon ausgegangen wurde, die Ausländerbeschäftigung sei eine vorübergehende Erscheinung 181 . Diesen positiven Ansichten konnte sich auch die Berliner Ausländerbehörde nicht entziehen. Dies um so mehr, als der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften i n Berlin eher größer ist als i m übrigen Bundesgebiet. Denn infolge der Überalterung der Berliner Bevölkerung scheidet jedes Jahr ein großer Prozentsatz von Erwerbstätigen aus dem Erwerbsleben aus, für den es aus der Berliner Bevölkerung deutscher Staatsangehörigkeit nur teilweise Ersatz g i b t 1 8 2 ' 1 8 3 . Deswegen stieg die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte — i m Gegensatz zum übrigen Bundesgebiet — auch während der Wirtschaftsrezession. So erteilte die Berliner Ausländerbehörde Ausländern i n aller Regel eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie arbeitsfähig, frei von ansteckenden Krankheiten und i n der Lage waren, einen Anspruch auf Altersrente zu erwerben und wenn m i t der Erteilung einer Arbeitserlaubnis zu rechnen war. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gingen voraus: — Prüfung des Passes (Paßersatzes), — Anfrage beim Bundesverwaltungsamt — Ausländerzentralregister —, — Kontrolle i m Fahndungsbuch, — Anforderung eines Strafregisterauszuges, — (unter Umständen) Vorlage eines amtlichen Führungszeugnisses, Leumundszeugnisses oder Auszuges aus der Strafliste des Heimatlandes, — ärztliche Untersuchung, 180

Vgl. ζ. B. Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung, a.a.O. lei v g l . Franz, i n : ZRP 1970, 229 (235).

182 Vgl. hierzu Industrie- u n d Handelskammer zu Berlin, i n : Jahresbericht 1969, 29 ff. u n d 1970, 29 (41). 183 Hierbei ist zu berücksichtigen, daß i n B e r l i n solche Wirtschaftsbereiche und -branchen dominieren, die vergleichsweise arbeitsintensiv, aber k a p i t a l und damit investitionsextensiv sind (vgl. hierzu Studien zur Lage u n d E n t wicklung West-Berlins, Gutachten, erstattet von der Wissenschaftlichen Beratungskommission beim Senat von Berlin, S. 32 und 50). Hieran w i r d sich k a u m etwas ändern lassen. Denn wegen der besonderen politischen Situation Berlins dürfte die Bereitschaft der Berliner Unternehmer, relativ mehr zu investieren als die Unternehmer i n Westdeutschland, auch bei länger andauerndem Mangel an Arbeitskräften — was sonst ein großer Anreiz zur Erhöhung der Kapitalintensität ist, vgl. die Studien S. 50 — eher gering sein.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

— Anfrage bei der Arbeitsbehörde, ob und für welche Dauer m i t einer Arbeitserlaubnis zu rechnen ist. Bei Ausländern, die m i t Legitimationskarten aus Ländern einreisten, mit denen Anwerbeverträge geschlossen worden sind, prüfte die Ausländerbehörde die persönlichen, gesundheits- und arbeitsmäßigen Voraussetzungen jedoch nicht, da diese Prüfung bereits von den Anwerbekommissionen der Bundesanstalt für Arbeit i n den jeweiligen Anwerbeländern vorgenommen wird. Die begünstigten Ausländer stammten ganz überwiegend aus den EWG-Staaten und den Anwerbeländern, ferner aus den USA, der Schweiz, anderen westeuropäischen Staaten sowie aus Jugoslawien (das i m Untersuchungszeitraum noch kein Anwerbeland war). Die Aufenthaltserlaubnis wurde regelmäßig auf ein halbes oder ein Jahr befristet 1 8 4 . Bei Ausländern aus den Anwerbeländern wurde sie außerdem durch die Beendigung eines bestimmten Arbeitsverhältnisses auflösend bedingt erteilt. — Diese Verknüpfung der Aufenthaltserlaubnis m i t dem Arbeitsverhältnis ist grundsätzlich rechtlich unbedenklich 1 8 5 . A n der durch diese Verknüpfung ermöglichten Überwachung des Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsels besteht — zumindest zu Anfang — ein begründetes polizeiliches Interesse. Eine etwaige Beeinträchtigung der Belange der BRD kann so von vornherein festgestellt werden 1 8 6 . Diese Nebenbestimmung verstößt weder gegen A r t . 4 M R K noch gegen A r t . 12 Abs. 2 GG, wonach niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf, außer i m Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht 187 . A r t . 12 Abs. 2 GG verbietet zwar neben dem unmittelbaren Zwang zu einer bestimmten Arbeit auch mittelbare Einwirkungen hoheitlicher Art, welche die Aufnahme oder Beibehaltung einer bestimmten Arbeit über die arbeitsrechtlichen Verpflichtungen hinaus erzwingen 1 8 8 . Aber auch ein solcher mittelbarer Zwang liegt hier nicht vor. Denn der ausländische Arbeitnehmer steht nicht vor der Alternative, entweder das i n der Aufenthaltserlaubnis bezeichnete Arbeitsverhältnis fortzusetzen 184 Kritisch hierzu Kanein, i n : N J W 1973, 729 (732). 185 OVG Rheinland-Pfalz D Ö V 1966, 207 m. zust. A n m . Kloesel; Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 7 RdNr. 12; Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, § 7 A n m . 6; Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, A u s l G § 7 A n m . 8. 186

Kloesel / Christ, a.a.O., § 7 A n m . 6. Kloesel / Christ, a.a.O., § 7 A n m . 6; a . A . : Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (117); Zuleeg, i n : D Ö V 1973, 361 (368); Franz, i n : DVB1. 1972, 289 (290) hält § 7 Abs. 1 u n d 4 A u s l G f ü r zu unbestimmt. 188 Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, GG, A r t . 12 RdNr. 127. 187

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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oder auf sein Arbeitseinkommen zu verzichten und unverzüglich das Bundesgebiet zu verlassen. Er kann nämlich sofort eine neue Aufenthaltserlaubnis beantragen (sein Aufenthalt gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, § 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG) und u m eine (bis 1971: vorläufige) Arbeitserlaubnis nachsuchen 189 . I n solchen Fällen w i r d dann regelmäßig eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt, sofern die (weitere) Anwesenheit des Ausländers nicht Belange der BRD beeinträchtigt. Die oben erwähnte auflösende Bedingung verstößt auch nicht gegen die Verpflichtung zum Schutze der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) 1 9 0 . Denn gegen willkürliche Behandlung durch den Arbeitgeber kann der ausländische Arbeitnehmer den Schutz der Arbeitsgerichte anrufen oder der Arbeit fernbleiben. — I m Untersuchungszeitraum wurde die Aufenthaltserlaubnis (für A r beitszwecke) nur i n insgesamt 63 Fällen versagt (1967: 36,1968: 27). Die Versagungsgründe waren verschiedenartig. I n vier Fällen wurde die Aufenthaltserlaubnis versagt, weil es das Arbeitsamt (aus arbeitsmarktpolitischen Gründen) abgelehnt hatte, eine Arbeitserlaubnis zuzusichern. — Diese Praxis des Polizeipräsidenten i n Berlin ist nicht zu beanstanden. Die Bundesanstalt für Arbeit kann naturgemäß besser als die Ausländerbehörde beurteilen, ob auf dem Arbeitsmarkt ein Bedürfnis für ausländische Arbeitskräfte besteht. Erhalten Ausländer, welche allein mit der Absicht ins Bundesgebiet eingereist sind, u m hier zu arbeiten, eine Aufenthaltserlaubnis, obwohl die Zusicherung der Arbeitserlaubnis abgelehnt worden ist, so besteht zudem die Gefahr, daß sie illegal arbeiten oder straffällig oder sozialhilfebedürftig werden. — I n zwei weiteren Fällen — es handelte sich u m ehemalige Besatzungssoldaten — hatten die jeweiligen Besatzungsmächte Bedenken erhoben. Die daraufhin ausgesprochene Versagung der Aufenthaltserlaubnis trägt nur dem Umstand Rechnung, daß die drei Alliierten i n Berlin (West) die oberste Gewalt ausüben, und ist daher nicht zu bemängeln. — I n einem weiteren Fall wurde die Aufenthaltserlaubnis einem nigerianischen Studenten aus Ostberlin, der während der Semesterferien i n Berlin (West) arbeiten wollte, versagt, weil „kein w i r t schaftliches oder sonstiges öffentliches Interesse ersichtlich ist". A n scheinend waren Sicherheitsbedenken der Hauptgrund. Ob sie zu Recht bestanden, läßt sich von einem Außenstehenden schlecht beurteilen. — Hauptsächlich jedoch (56mal) 191 wurde die Aufenthaltserlaubnis ver189

§ 8 der 9. D V O - A V A V G ; § 5 Abs. 1 Nr. 2 der ArbeitserlaubnisVO. So aber Rittstieg, a.a.O., S. 118. 101 I n einem weiteren F a l l (die geforderte ärztliche Untersuchung w a r i n zwischen nachgeholt worden) wurde dem Widerspruch abgeholfen. 190

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

sagt, weil ein Ausweisungstatbestand (§ 10 Abs. 1 AuslG) vorlag. Bedenken hiergegen sind nicht zu erheben. 3.2.1.4.3. Lehre, Praktikum, Information Erhalten Lehrlinge, Praktikanten oder Informanden ein Entgelt 1 9 2 oder ist dies zu erwarten, so sind sie Arbeitnehmer 1 9 3 . Gleichwohl ist eine besondere Betrachtung angebracht, da bei ihnen der Ausbildungszweck i m Vordergrund steht. — U m ein V o r p r a k t i k u m 1 9 4 handelt es sich, wenn es Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist. U m zu verhindern, daß Praktikanten i n Wirklichkeit einer verdeckten regulären Arbeitstätigkeit nachgehen, erteilte die Berliner Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nur dann, wenn die Ausländer einen auf einem besonderen Formular niedergelegten und von der Industrieund Handelskammer registrierten Praktikantenvertrag vorweisen konnten. So stellte sie sicher, daß es sich u m ein zur Ausbildung geeignetes Unternehmen handelte und daß die Zulassung zum Studium nach Abschluß der praktischen Ausbildung vorgemerkt ist. 1967/68 versagte die Berliner Ausländerbehörde vier (1967: einem; 1968: drei) Praktikanten die entsprechende Aufenthaltserlaubnis (wegen mangelhafter Deutschkenntnisse, Fehlens der finanziellen bzw. Studienvoraussetzungen und wegen einer übertragbaren Krankheit). 3.2.1.4.4. Studium und Fachschulausbildung Ausländischen Studierenden und Fachschülern 195 erlaubte die Berliner Ausländerbehörde den Aufenthalt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt waren: — persönliche Eignung; — fachliche Qualifikation; — Beherrschung der deutschen Sprache; — Zulassung zum Studium bzw. zur Fachschule; — Sicherstellung von Lebensunterhalt sten (ζ. B. Stipendium).

und

Studien-(Fachschul-)Ko-

Die Aufenthaltserlaubnis wurde jeweils auf ein Semester, und zwar unter der Auflage „ n u r zum Studium" erteilt. Eine Arbeitsaufnahme wurde i n der Regel nur während der Semesterferien erlaubt. Studenten 192 193 194 195

Marxen, a.a.O., A u s l G § 2 RdNr. 17. Marxen, a.a.O., A u s l G § 2 RdNr. 17; Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 8 d. Weißmann, a.a.O., § 2 A n m . 8 c, § 7 A n m . 6 f. Weißmann, a.a.O., § 7 A n m . 6.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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aus Entwicklungsländern 1 9 6 , die ihr i n einem Ostblockstaat, der DDR oder Ostberlin begonnenes Studium i n Berlin (West) (oder sonst i n der BRD) fortsetzen wollten, gestattete der Polizeipräsident i n Berlin nur solange den Aufenthalt, als sie das Sozialamt des Deutschen Bundesstudentenringes betreute 1 9 7 . 1967/68 versagte die Berliner Ausländerbehörde 26 Studierenden bzw. Fachschülern (1967: 13; 1968: 13 198 ) die beantragte Aufenthaltserlaubnis. Diese Ausländer stammten fast sämtlich aus Entwicklungsländern. Vier verschiedene Versagungsgründe waren zu unterscheiden: — Ausbleiben der Zulassung oder nicht ordnungsgemäßes Studium bei einem früheren Aufenthalt; — Weigerung der Unterstützung durch den Bundesstudentenring; — Geldnot (sie wurde offenbar, wenn Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis für Arbeitszwecke oder Sozialhilfe beantragten); — Ausweisungsgründe (bis auf eine Ausnahme Bezug von Sozialhilfe). Die Praxis der Ausländerbehörde ist an sich nicht zu beanstanden, auch nicht, soweit sie die Anträge ablehnte, weil den Ausländern die Studienmittel fehlten. Die Ausländerbehörde durfte zu Recht davon ausgehen, daß ein Studium kaum Aussicht auf Erfolg haben würde, wenn der Student von vornherein gezwungen sein würde, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, zumal die anfänglichen Schwierigkeiten bei Ausländern, insbesondere aus Entwicklungsländern, i n der Regel erheblich sind (Sprach- und Eingewöhnungsschwierigkeiten: Klima, Ernährung, Lebensgewohnheiten, Heimweh). Hier helfend einzugreifen ist Sache der Betreuungsbehörden und -Organisationen. Soweit ein Ausweisungstatbestand vorliegt, ist die Versagung der Aufenthaltserlaubnis ebenfalls i n der Regel nicht zu beanstanden. 3.2.1.4.5. Besuch Ausländischen Besuchern (einschließlich Touristen) erteilte die Berliner Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nur sehr zurückhaltend. Die überwiegende Mehrzahl der Ausländer, die einem der i n der Anlage zur DVAuslG genannten Staaten angehören, bedürfen einer Aufenthaltserlaubnis ohnehin nur, wenn sie sich länger als drei Monate i m Bundesgebiet aufhalten (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG). I n der Regel ging die Ausländerbehörde davon aus, daß diese Zeit für einen Besuch (etwa von Verwandten) oder für einen Touristenaufenthalt lang 196 197 198

Hierzu Weißmann, i n : Die Polizei 1963, 176. Vgl. hierzu Weißmann, AuslG, § 2 Anm. 8 b, § 7 Anm. 6 d. H i n z u k a m ein Abhilfefall.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

genug sei. I n einigen Fällen gestattete sie Ausländern aus sog. A n werbeländern, die i n Berlin als Arbeitskräfte tätige Ehegatten, Kinder, Eltern oder Geschwister besuchten, auch einen Aufenthalt von drei bis sechs Monaten, unmündigen Kindern und Ehefrauen auch länger als diese Zeit. I n diesen wie auch i n den übrigen Fällen eines Besuchsaufenthaltes wurde die Aufenthaltserlaubnis jeweils unter den Auflagen erteilt „gültig nur für Besuchszwecke. Erwerbstätigkeit nicht gestattet". Anderen Ausländern wurde ein Besuchsaufenthalt gestattet:

beispielsweise

— wenn der Ehegatte Deutscher war (Ausländern befristet, Ausländerinnen unbefristet) ; — zu Deutschkursen; — zur Erledigung von Rechtsangelegenheiten (häufig bei Wiedergutmachungs- und Erbschaftsangelegenheiten); — zum Besuch des hier studierenden Ehegatten (auf längere Zeit); — zur Ablegung von Aufnahmeprüfungen. Kurzfristige Aufenthaltserlaubnisse (bis zu drei Monaten) wurden fast ausschließlich an Angehörige von Ostblockstaaten (häufig Tschechoslowaken) erteilt. I n der Regel wurde darauf geachtet, daß die Finanzierung des Aufenthalts ohne Erwerbstätigkeit oder ohne Sozialhilfe gewährleistet war. War die Ausländerbehörde bereit, den Besuchsaufenthalt über drei Monate hinaus zu gestatten, vermied sie es i n der Regel peinlichst, eine (endgültige) Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Sie stellte vielmehr befristete Bescheinigungen darüber aus, daß eine Aufenthaltserlaubnis beantragt war (§ 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Von einer positiven endgültigen Entscheidung sah sie regelmäßig auch dann ab, wenn sie zu dieser Entscheidung nach Lage der Akten i n der Lage war: Die Rechtsstellung des Ausländers sollte nicht durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verfestigt werden. — Dies widerspricht dem Sinn des § 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG, der allein verhindern w i l l , daß der Aufenthalt bis zur Behördenentscheidung als unerlaubt anzusehen ist 1 9 9 . Diese Hilfskonstruktion zugunsten des Ausländers münzt die Berliner Ausländerbehörde i n eine Möglichkeit um, von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis absehen zu können. — Die Berliner Ausländerbehörde lehnte i m Untersuchungszeitraum insgesamt 78 (1967: 37; 1968: 41) von Besuchern gestellte Anträge auf 199 y g i die Amtliche Begründung zu § 21 Abs. 3 A u s l G ; ferner Marxen, a.a.O., A u s l G § 21 RdNr. 7.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (in zwölf Fällen wurde die Aufenthaltserlaubnis zugleich gemäß § 5 Abs. 1 DVAuslG versagt). — Ganz überwiegend handelte es sich u m Ausländer, die ihre Ehegatten, Verlobten, Kinder, Eltern, Geschwister oder Schwäger besuchen wollten. Sehr groß war der Anteil der Ausländerinnen (47), zumeist Mütter oder Ehefrauen von i n Berlin tätigen ausländischen Arbeitskräften. Die Begründungen lassen sich i n vier verschiedene Gruppen einteilen: 43 mal hieß es einfach, der „Besuchszweck" sei nach einem A u f enthalt von drei (vier, fünf, sechs, sieben oder acht) Monaten „erfüllt". Diese Formulierung sollte die Auffassung der Ausländerbehörde verbrämen, daß sie den Nachzug von Familienangehörigen nicht wünschte. — I n 15 Fällen wurde die Versagung offen damit begründet, daß am weiteren Aufenthalt von Angehörigen (der Familienzusammenführung) kein öffentliches Interesse bestehe. Die Problematik dieser beiden Fallgruppen soll hier nicht behandelt werden; auf sie w i r d i n Abschnitt 7.1.2. eingegangen werden. — Fünfmal wurde eine „Aufenthaltserlaubnis für Besuchszwecke" wegen des „erklärten Einreisezweckes" versagt: Die Betreffenden hatten eine Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit beantragt. U m illegales Arbeiten zu verhindern, wurde die Aufenthaltserlaubnis zugleich auch für einen Besuchsaufenthalt verweigert. — Die Praxis i n dieser Fallgruppe ist, wenn eine Aufenthaltserlaubnis für Arbeitszwecke nicht i n Betracht kommt, nicht zu beanstanden. Denn es entspricht der Erfahrung, daß i n solchen Fällen stets damit gerechnet werden muß, daß die betroffenen Ausländer hier „schwarz" arbeiten. I n 15 weiteren Fällen wurde die Aufenthaltserlaubnis versagt, weil ein Ausweisungstatbestand vorlag (in einem Drittel der Fälle handelt es sich u m Sozialhilfebezug, i n einem weiteren Drittel u m ansteckende Krankheiten). I n vier Fällen schließlich wurde die Aufenthaltserlaubnis aus sonstigen Gründen versagt (Ablauf der Aufenthaltserlaubnis des begleiteten Ehemannes; Fehlen von Geldmitteln; Heirat eines Deutschen sei kein Grund für einen Aufenthalt). Auch gegen die Praxis i n diesen beiden Fallgruppen ist — wenn man von der Entscheidung i n dem letzten Fall absieht, die auch von der Widerspruchsbehörde nicht bestätigt wurde — nichts einzuwenden. Eine besondere Gruppe bilden hier diejenigen 27 Fälle (1967: sechs, 1968: einundzwanzig), i n denen eine Aufenthaltserlaubnis „für Besuchszwecke" weder abgelehnt noch erteilt, sondern in Aussicht gestellt wurde. Alle Ausländer hatten eine Aufenthaltserlaubnis i m Hinblick auf eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit beantragt, doch war die A u f -

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

enthaltserlaubnis insoweit unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 DVAuslG versagt worden. I m übrigen hieß es regelmäßig: „Ich bin daher lediglich in der Lage, Ihnen eine Aufenthaltserlaubnis ohne Berechtigung zur Ausübung der Erwerbstätigkeit zu erteilen. Sollten Sie daran nicht interessiert sein, müßten Sie das Bundesgebiet bis zum . . . verlassen." Die betroffenen Ausländer hatten regelmäßig Verwandte, Ehefrauen (auch deutsche Ehefrauen) oder Verlobte hier. Häufig stellte die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis für Besuchszwecke nur für den Fall i n Aussicht, daß der Nachweis über den Lebensunterhalt ohne Erwerbstätigkeit und ohne Inanspruchnahme öffentlicher M i t t e l erbracht wurde. Interessant ist hierbei, daß die Ausländerbehörde i n einer Reihe von Fällen einen entsprechenden neuen Antrag forderte. — Dies ist mit der Regelung des Ausländergesetzes nicht i n Einklang zu bringen. Das Ausländergesetz läßt es zwar ausdrücklich zu, daß eine Aufenthaltserlaubnis mit einschränkenden Nebenbestimmungen — Auflagen, Bedingungen, Befristungen — erteilt w i r d (§ 7). Dies ändert jedoch nichts daran, daß es nur eine einheitliche Aufenthaltserlaubnis gibt. Bei Änderung der Auflage ζ. B. bleibt die alte Aufenthaltserlaubnis — wenn auch verändert — bestehen; es liegt keine Aufhebung der alten Aufenthaltserlaubnis, verbunden m i t der Erteilung einer neuen anderen Inhalts, vor. Von der Möglichkeit, nach amerikanischem Vorb i l d durch eine Klassifizierung mehrere Typen von Aufenthaltserlaubnissen zu schaffen, hat der Gesetzgeber 1965 keinen Gebrauch gemacht 2 0 0 . Der Lösung des Ausländergesetzes entspricht eine Stufenordnung der Aufenthaltszwecke. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis gestattet den Aufenthalt zu jedem Zweck. Die Aufenthaltserlaubnis m i t der Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet" läßt den Aufenthalt zu jedem anderen Zweck als der Gewerbeausübung zu; denn die Auflage beschränkt sich darauf, eine bestimmte Tätigkeit auszuschließen, erlaubt also auch einen Studien- oder Besuchsaufenthalt. Nicht viel anders steht es i m Grunde m i t der Aufenthaltserlaubnis, die für eine unselbständige Erwerbstätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber erteilt wird. Eine derart erteilte Aufenthaltserlaubnis ist zwar durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auflösend bedingt. Solange dieses aber andauert, ist ein (Abend-)Studium daneben nicht ausgeschlossen. — Die Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „nur zu Studienzwekken" oder „nur für eine Praktikantentätigkeit" verbietet eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit. Solange das Studium bzw. das Praktikum andauert, kann jedoch mit dem Aufenthalt auch ein Besuch — etwa bei Verwandten — verbunden werden. 200

Vgl. hierzu Weißmann, i n : Die Polizei 1968, 47 (48).

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

79

Demnach läßt sich bei der Ausgestaltung der Aufenthaltserlaubnis folgende Rangordnung aufstellen: 1. Unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis ; 2. Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet" bzw. unter der auflösenden Bedingung „nur für eine Tätigkeit b e i . . . " ; 3. Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „nur zu Studienzwecken" bzw. unter der auflösenden Bedingung „nur für eine Praktikantentätigkeit b e i . . . " ; 4. Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „nur zu Besuchszwecken". Demzufolge steckt beispielsweise i n dem Antrag eines Ausländers, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die eine Erwerbstätigkeit einschließt, notwendigerweise auch das Minus, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die i h m einen Studien- oder Besuchsaufenthalt erlaubt (auch wenn ein Studium für ihn gar nicht i n Betracht kommt). Anders wäre es nur, wenn die Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „nur für Studienzwecke" ein Aliud gegenüber der Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet" darstellte. Folglich muß die Ausländerbehörde, wenn eine Aufenthaltserlaubnis i m Hinblick auf eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit beantragt ist, stets auch prüfen, ob dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis m i t weniger weitgehendem Inhalt — etwa unter der Auflage „nur zu Besuchszwekken" — erteilt werden kann. Demgemäß liegt i n den oben erwähnten Fällen regelmäßig nur eine Teilablehnung des gestellten Antrages vor. I m übrigen blieb der A n trag unentschieden; insoweit hätte die Ausländerbehörde noch ausdrücklich entscheiden müssen — entweder sofort oder, falls der Antrag wegen Fehlens von Unterlagen noch nicht entscheidungsreif war, nach Ablauf einer gewissen Frist. Eines besonderen weiteren Antrages bedurfte es jedenfalls nicht. Ob sich die Berliner Ausländerbehörde dieser Rechtslage bewußt war, ist zweifelhaft. Jedenfalls zeigen die Fälle, i n denen der Ausländer aufgefordert wurde, für den Besuchsaufenthalt einen neuen Antrag zu stellen, daß die Behörde insoweit i n der Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit und für einen Besuchsaufenthalt zwei verschiedene Typen von Aufenthaltserlaubnissen sieht, nicht nur zwei verschiedene Ausprägungen einer einheitlichen Aufenthaltserlaubnis. Die Praxis der Behörde i n diesen Fällen läßt sich allenfalls halten, wenn man der Behörde die Befugnis zugesteht, zu unterstellen, daß der Ausländer den i n dem weitergehenden Antrag steckenden Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis für einen Besuchsaufenthalt zurück-

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

nimmt. Dies ist jedenfalls i n den Fällen fragwürdig, i n denen das Interesse an einem Besuchsaufenthalt offensichtlich ist (z.B. weil die A n tragstellerin m i t einem Deutschen verheiratet ist und i n Berlin ihren Wohnsitz nehmen möchte). 3.2.1.4.6. Sonstige Zwecke Eine besondere Gruppe bilden auch die einhundertundacht Fälle, i n denen die Berliner Ausländerbehörde i n erster Linie die Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit gemäß § 5 Abs. 1 DVAuslG ablehnte, zugleich aber auch die „Aufenthaltserlaubnis für sonstige Zwecke" i m Wege des Ermessens versagte. I n zweiunddreißig (1967: achtzehn; 1968: vierzehn) Fällen (vielfach Studenten aus Entwicklungsländern) lehnte die Behörde die „Aufenthaltserlaubnis für sonstige Zwecke" ab, w e i l die Antragsteller nicht über die zum Lebensunterhalt notwendigen Geldmittel verfügten. I n achtundzwanzig Fällen (1967: drei; 1968: fünfundzwanzig) lehnte es die Berliner Ausländerbehörde m i t Rücksicht auf den vom Antragsteller erklärten Einreisezweck (Arbeitsaufnahme) ab, eine „Aufenthaltserlaubnis für sonstige Zwecke" zu erteilen. I n einem Fall (1967) wurde mangelndes öffentliches Interesse am Familiennachzug als Grund angegeben, i n einem weiteren Falle (1968) hieß es: „Der Aufenthaltszweck ist erfüllt". I n dreizehn Fällen (sämtlich 1968) wurde die Entscheidung, soweit sie nicht auf § 5 Abs. 1 DVAuslG gestützt war, überhaupt nicht begründet. I n dreiunddreißig Fällen (1967: fünfzehn; 1968: achtzehn) schließlich hieß es: „Ihrem Antrage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, insbesondere zu Erwerbszwecken, vermag ich nicht zu entsprechen." I n allen diesen einhundertundacht Entscheidungen ließ sich die Berliner Ausländerbehörde ersichtlich von der Erwägung leiten, eine illegale Erwerbstätigkeit oder den Bezug von Sozialhilfe zu verhindern. Insoweit ist diese Praxis nicht zu beanstanden. I n rechtstechnischer Hinsicht sind jedoch alle einhundertundacht Versagungsbescheide der Berliner Ausländerbehörde zu kritisieren. Denn i n zahlreichen Fällen fehlte jede Begründung für die Versagung der Aufenthaltserlaubnis, soweit es sich um eine Ermessensentscheidung handelte. Zur Begründung aber ist die Ausländerbehörde auch bei Ermessensentscheidungen verpflichtet 2 0 1 . Die Behörde hat ihre 201

BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 12 (zum Aufenthaltsverbot); Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (114).

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

81

Ermessenserwägungen gegenüber den Betroffenen offenzulegen und damit der rechtlichen Kontrolle zugänglich zu machen (vgl. A r t . 19 Abs. 4 GG). — Die Rechtsgrundlage war sogar i n allen einhundertundacht Fällen nicht richtig angegeben. Als Rechtsgrundlage war stets nur § 5 Abs. 1 DVAuslG genannt. Daß diese Vorschrift die ablehnende Entscheidung nur insoweit deckt, als es sich nicht u m eine Ermessensentscheidung handelte, daß insoweit also § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG hätte herangezogen werden müssen, hat i n diesen Fällen die Berliner Ausländerbehörde verkannt. I n fast fünfhundert weiteren Fällen wurde eine für eine Erwerbstätigkeit beantragte Aufenthaltserlaubnis sogar stets nur unter Hinweis auf den fehlenden Sichtvermerk abgelehnt. Ob die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis „für sonstige Zwecke" i n Betracht kam, wurde überhaupt nicht geprüft. Ausführungen hierzu fehlten völlig. — Wenn man dies feststellt, drängt sich einem die Frage auf, ob man von den Ausländern die Kenntnis des Ausländergesetzes erwarten darf, wenn selbst die Ausländerbehörden dieses Gesetz sehr häufig nicht richtig anwenden. 3.2.2. Die Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach illegaler Einreise

3.2.2.1. Der Kreis der sichtv ermerkspflichtig

en Ausländer

Eine besondere Gruppe von Entscheidungen über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bilden diejenigen Fälle, i n denen Ausländer ohne die vorgeschriebene Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks, also illegal, i n das Bundesgebiet eingereist sind. Diese Fallgruppe spielt i n der Praxis eine große Rolle. Denn der Bundesminister des Innern hat von der Ermächtigung des § 5 Abs. 2 A u s l G 2 0 2 sehr weitgehend Gebrauch gemacht. Nach § 5 Abs. 1 D V A u s l G 2 0 3 ist nämlich die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise i n der Form des Sichtvermerks einzuholen von: 1. Ausländern, die i m Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, es sei denn, es handelt sich u m Staatsangehörige der M i t gliedstaaten der EWG bzw. u m Ausländer, die eine Legitimationskarte besitzen, welche von einer i m Ausland tätigen Stelle der Bundesanstalt für Arbeit ausgestellt ist (§ 5 Abs. 3 und 4 DVAuslG); 202 § 5 Abs. 2 A u s l G lautet: „Der Bundesminister des I n n e r n bestimmt, w e n n die Belange der Bundesrepublik Deutschland es erfordern, durch Rechtsverordnung, daß die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise oder vor der Einreise i n der F o r m des Sichtvermerks eingeholt werden muß." 203 BGBl. I, S. 1341/GVB1., S. 1425.

6 Schüler

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

2. Staatsangehörigen eines Staates, der i n der Anlage zur DVAuslG nicht aufgeführt ist; 3. Staatenlosen; 4. Inhabern von Reiseausweisen nach dem Londoner Abkommen vom 15. Oktober 1946 oder der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. J u l i 1951 (unter näher bestimmten Voraussetzungen). Abweichende Regelungen i n internationalen Vereinbarungen gehen jedoch vor (§ 5 Abs. 2 DVAuslG). Trotz dieser Ausnahmen bleiben zahlreiche Fälle übrig, i n denen für die Aufenthaltserlaubnis die Form des Sichtvermerks vorgeschrieben ist. 3.2.2.2. Die rechtliche Bedeutung des Sichtvermerkszwanges Die rechtliche Bedeutung des Sichtvermerkszwanges ist streitig. — Nach einer Mindermeinung binden diese Vorschriften nur den Ausländer uneingeschränkt. Die Ausländerbehörde dagegen habe i n jedem konkreten Falle zu prüfen, ob die Anwesenheit des Ausländers ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks die Belange der BRD beeinträchtige (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG), was nicht stets der Fall sein müsse. Allerdings gelten jene Vorschriften auch nach dieser Ansicht als wichtige Ordnungsbestimmungen; es könne erwartet werden, daß ein Ausländer sich insbesondere dann über die Einreisebestimmungen informiere, wenn er sich länger i m Gastland aufhalten wolle. Deshalb sei es gerechtfertigt, die Aufenthaltserlaubnis unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 DVAuslG in der Regel zu versagen 204 . Nach der überwiegenden Auffassung dagegen ist § 5 Abs. 1 DVAuslG eine zwingende Bestimmung, welche Ausländer und Behörde binde; die Einreise ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks könne i m Inland nicht nachträglich legalisiert werden 2 0 5 . Zur Begründung w i r d folgendes ausgeführt: Die abweichende Auffassung lasse sich schwerlich mit dem Wortlaut jener Bestimmung 204

So z.B. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 2 RdNr. 27 u n d § 5 RdNr. 6; vgl. auch BVerwGE, 7, 231 (233): „Auch wenn ein Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis, also illegal, eingereist ist, k a n n seine A u f e n t haltsnahme u n d Wohnsitzbegründung i m Bundesgebiet nachträglich rechtmäßig werden." Vgl. ferner Hess. VGH, i n : E S V G H 14, 216 (218); Kanein, i n : N J W 1967, 1057 (1058); Meixner, i n : Hess. StAnz. 1966 Nr. 25, S. 835. 205 So z.B. BVerwG, i n : D Ö V 1973, 428 Nr. 172; OVG Münster, Urt. v o m 27. September 1965 — I I Β 544/65 — ; O V G Berlin, Beschl. v o m 10. August 1967 — I M 7/67 — ; Hohn, i n : Beilage 10/65 zum B B 1965, Heft 34; Kanein, i n : BBgmstr. 1969, 260 u n d i n : AuslG, § 1 A n m . A 3 c; Nabel, i n : Betrieb 1966, 501; Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 5 d u n d 6 sowie i n : Die Polizei 1968, 47 (48 f.).

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

83

vereinbaren und umgehe die Zuständigkeit der deutschen Auslandsvertretungen 2 0 6 . Vor allem bestehe ein erhebliches Interesse daran, daß sich die Anwerbung und Einreise ausländischer Arbeitnehmer i n geregelten Bahnen vollziehe. Den deutschen Einreisebestimmungen komme keinesfalls nur formelle Bedeutung zu. Sie dienten der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i m weitesten Sinne. Hierzu gehörten insbesondere der ungestörte Ablauf des öffentlichen Lebens, die Aufrechterhaltung geregelter Zustände i m sozialen und wirtschaftlichen Bereich, die Gewährleistung der herkömmlichen deutschen Maßstäbe bei den Wohnverhältnissen und der Schutz der Volksgesundheit 207 . Dieses Ziel wäre nicht zu erreichen, wenn jeder Ausländer hoffen könnte, trotz illegaler Einreise die erforderliche Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Als Folge davon befürchtet die Rechtsprechung die Einreise von zahlreichen Ausländern, die auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft ständig umherwandern und die für ihre Überwachung verantwortlichen Ausländerbehörden vor eine unlösbare Aufgabe stellen würden 2 0 8 . Nach der überwiegenden Meinung müßte die Aufenthaltserlaubnis auch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG versagt werden, da die Anwesenheit eines Ausländers, der ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerkes eingereist und daraufhin wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Aufenthaltsrechtes ausgewiesen werden könnte (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 AuslG), Belange der BRD beeinträchtige 209 . 3.2.2.3. Die Praxis der Berliner

Ausländerbehörde

3.2.2.3.1. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis trotz illegaler Einreise I m Untersuchungszeitraum 1967/68 konnten folgende Gruppen von Ausländern trotz illegaler Einreise ohne Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks damit rechnen, i n Berlin eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten: — Anerkannte Asylberechtigte; — Inhaber des Vertriebenenausweises A ; 206

So Weißmann, AuslG, § 5 A n m . 6. Hierzu vor allem Kanein, AuslG, § 1 A n m . A 3 c; ferner Weicken, i n : Ausländische Arbeitskräfte i n Deutschland, herausgegeben v o m Hessischen I n s t i t u t für Betriebswirtschaft e. V., S. 9 (12) u n d Weißmann, a.a.O., § 5 Anm. 3 sowie OVG Berlin, i n : JR 1973, 389 (390). 208 OVG Münster, a.a.O.; vgl. auch OVG Münster, i n : DVB1. 1966, 645 sowie OVG Lüneburg, i n : N J W 1970, 1515 m. k r i t . A n m . Majer. 207

209

6*

So Weißmann, a.a.O., § 5 A n m . 6.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

— Ehefrauen und Kinder von i n Berlin tätigen ausländischen Arbeitskräften; — Fachkräfte (aber nicht Angehörige der Anwerbeländer und der kommunistischen Staaten mit Ausnahme der CSSR); — von den Besatzungsmächten beschäftigte Arbeitskräfte (zu Anfang jedenfalls solche, die aus den europäischen und den „weißen" Common wealth-Staaten stammen); — Studenten aus Entwicklungsländern bis zum Beginn ihres Studiums; — Praktikanten; — Ärzte, für die sich der Senator für Arbeit, Gesundheit und Soziales eingesetzt hatte (dies war nur bei Ärzten aus Entwicklungsländern i m Rahmen der Partnerschaftshilfe der Fall); — Lehrlinge unter bestimmten Voraussetzungen (Registrierung des Lehrlingsvertrages bei der Industrie- und Handelskammer oder der Handwerkskammer; Nachweis des Lebensunterhaltes; ausreichende Sprachkenntnisse) ; — Araber aus den von Israel besetzten Gebieten; — Nigerianer aus Biafra; — früher illegal eingereiste Marokkaner unter bestimmten Voraussetzungen; — Tschechoslowaken, die aus politischen Gründen vorübergehend nicht i n die CSSR zurückkehren wollten; — seit Mai 1968: Ausländer, deren alte Aufenthaltserlaubnis nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erloschen war, es sei denn, sie waren länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes; — aus besonderen Gründen ausnahmsweise auch andere Ausländer, vor allem, wenn deutsche Interessen an der Einreise erkennbar waren, besondere humanitäre Gründe gegeben waren und die Versagung der Aufenthaltserlaubnis eine unbillige Härte bedeutet hätte (als sog. Ausnahmesichtvermerke). I n den Kreis dieser Gruppen gehören letztlich auch die Künstler, Sportler und Kaufleute aus osteuropäischen Staaten, wenn sie auch nach der BK/O (67) 7 vom 17. J u l i 1967, die der besonderen politischen Lage des Landes Berlin Rechnung trägt, bei einem Aufenthalt bis zu 31 Tagen überhaupt keine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks bedürfen. Auch sonst wurden i n etlichen Fällen trotz illegaler Einreise weitere Ausnahmen gemacht. So wies ζ. B. der Senator für Inneres von Berlin den Polizeipräsidenten an, eine Aufenthaltserlaubnis folgenden Ausländern zu erteilen:

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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— einem griechischen Fußballspieler (nachdem sich der Trainer von Hertha BSC an Bürgermeister Neubauer gewandt hatte); — einem pakistanischen Hockeytrainer (nach Fürsprache des Berliner Hockey Verbandes) ; — drei wissenschaftlichen Assistenten aus Brasilien, Jugoslawien bzw. Nigerien (nach Fürsprache von Universitätsprofessoren); — zwei israelischen Hilfskrankenschwestern. I n einigen weiteren Fällen erteilte der Polizeipräsident i n Berlin von sich aus trotz illegaler Einreise eine Aufenthaltserlaubnis. Die von der Berliner Ausländerbehörde i n diesen Fällen getroffenen Entscheidungen sind i m Ergebnis i m allgemeinen nicht zu beanstanden. Die Begünstigung der anerkannten Asylberechtigten ist auf Grund der §§ 28 ff. AuslG über das Asylrecht gerechtfertigt. M i t dem Sinn dieser Regelung ist es nicht vereinbar, von den Asylberechtigten zu verlangen, daß sie sich vor der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks verschaffen. Bei den Inhabern des Ausweises A handelt es sich u m Heimatvertriebene (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 BVFG), also u m Vertriebene i m Sinne von § 2 BVFG, die — wenn sie schon nicht deutsche Staatsangehörige sind — doch wenigstens deutsche Volkszugehörige (§ 1 Abs. 2 BVFG) oder Ehegatten von deutschen Volkszugehörigen sind (§ 1 Abs. 3 BVFG). Die Privilegierung dieser Vertriebenen erscheint durchaus berechtigt. Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit an Ehefrauen von i n Berlin tätigen sogenannten Gastarbeitern ist sinnvoll, weil einerseits ein großer Bedarf gerade an weiblichen Arbeitskräften besteht, andererseits die Anwerbung von Frauen (insbesondere der ledigen Frauen aus Mittelmeerländern) schwierig ist 2 1 0 . Für die Bevorzugung von Fachkräften sprechen volkswirtschaftliche Gründe: Es widerspräche den deutschen Interessen, wenn die Hereinnahme qualifizierter Spezialkräfte letztlich daran scheiterte, daß die Aufenthaltserlaubnis nicht vor der Einreise i n der Form des Sichtvermerkes erteilt worden ist. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an illegal eingereiste Ausländer, die von den Alliierten beschäftigt werden sollen, entspricht einem Wunsche der Besatzungsmächte, die notfalls ohnehin besondere Bestimmungen erlassen könnten. Davon abgesehen ist allerdings kein Grund ersichtlich, der diese Ausnahme rechtfertigen würde. 210 So Bifulco, M a t u r i u n d Papavassiliou, i n : Ausländische Arbeitskräfte i n Deutschland, S. 57 (66), 183, 81 (87); Böckling, i n : B A r b B l . 1962, 530ff.; Maturi, i n : Ausländ. Arbeitskräfte i n Deutschland, S. 183.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

Die Begünstigung der oben genannten Studenten, Ärzte, Praktikanten und Lehrlinge ist vertretbar, weil deren Aufenthaltserlaubnis letztlich nur eine Aus- bzw. eine Fortbildung ermöglichen soll. Aus politischen Gründen war es schließlich angebracht, den erwähnten Arabern, Nigerianern und Tschechoslowaken trotz illegaler Einreise eine Aufenthaltserlaubnis für Erwerbszwecke zu erteilen (israelischarabischer Krieg; Bürgerkrieg in Biafra; Besetzung der CSSR durch die Sowjetunion). Gerade dann, wenn die weitere politische Entwicklung i n der Heimat ungewiß ist, ist es häufig nicht zweckmäßig, den Ausländer auf das Asylverfahren zu verweisen, da die förmliche Anerkennung als Asylberechtigter oft zu einem i m Augenblick nicht gewünschten völligen Bruch des Ausländers mit seinem Heimatstaat führt. Auch die Praxis der Ausländerbehörde i n den Fällen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG ist i m Ergebnis begrüßenswert. Dagegen begegnet die Praxis i n den erwähnten Einzelfällen Bedenken. Es ist der Eindruck nicht ganz von der Hand zu weisen, daß die begünstigten Ausländer ihre Aufenthaltserlaubnis nur der Fürsprache prominenter Stellen zu verdanken haben. 3.2.2.3.2. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis wegen illegaler Einreise Trotz dieser zahlreichen Ausnahmen vertrat die Berliner Ausländerbehörde i m Untersuchungszeitraum i n der Regel die Auffassung, daß es ihr aus rechtlichen Gründen verwehrt sei, einem Ausländer die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn dieser es versäumt habe, sich gemäß § 5 DVAuslG eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks vor der Einreise bei einer deutschen Vertretung i m Auslande zu verschaffen. Bei Ausländern aus den sog. Anwerbeländern ließ sich der Polizeipräsident i n Berlin auch noch von folgenden Erwägungen leiten: W i r d illegal eingereisten Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, entfällt die bei der Anwerbung dem Arbeitgeber obliegende Verpflichtung, für eine angemessene Unterkunft ihrer ausländischen Arbeitskräfte zu sorgen 211 . — I m Ergebnis würde auch die Arbeit der Außenstellen der Bundesanstalt für Arbeit illusorisch gemacht, die einen großen Teil der Bewerber abweisen, weil sie i n beruflicher oder gesundheitlicher Hinsicht ungeeignet sind (vgl. z.B. A r t . 10 Abs. 1 der deutsch-spanischen Anwerbevereinbarung) 2 1 2 . — Eine nachträgliche Legalisierung würde diejenigen deutschen Arbeitgeber und ausländischen Arbeitneh211 212

Vgl. Weicken, a.a.O., S. 9 (31). Der Spiegel Nr. 43 v o m 19.10.1970, S. 50 (60): r u n d ein Drittel.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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mer faktisch benachteiligen, die das ordnungsmäßige Anwerbeverfahren veranlaßt bzw. durchlaufen haben (in der Türkei warten mehr als eine M i l l i o n Menschen auf ihre Anwerbung; die Wartezeit beträgt seit langem mehrere Jahre). — Eine Legalisierung der sich hier aufhaltenden illegalen Ausländer würde auch den m i t den betreffenden Staaten geschlossenen Anwerbevereinbarungen zuwiderlaufen, da die Arbeitsbehörden dieser Länder bei der Anwerbung mitwirken, indem sie die Bewerber vorstellen (z. B. Art. 6 und 7 der deutsch-spanischen A n werbevereinbarung) . Aus all diesen Gründen lehnte der Polizeipräsident i n Berlin i m Untersuchungszeitraum i n insgesamt fünfhundertachtundsechzig (1967: zweihundertsiebenundsiebzig; 1968 : zweihunderteinundneunzig) Fällen die entsprechenden Anträge ab. Hierbei lassen sich unter den betroffenen Ausländern gewisse Gruppen bilden: — vierundsiebzig (1967: achtundvierzig; 1968: sechsundzwanzig) Ausländer mit deutscher Muttersprache bzw. mit besonderen Beziehungen zu Deutschland oder zu deutschen Staatsangehörigen (ausländische Kinder, Eltern, Ehegatten oder Verlobte deutscher Staatsangehöriger; frühere deutsche Staatsangehörigkeit des Ausländers oder seines Ehegatten); — einundsiebzig (1967: sechsundzwanzig; 1968: fünfundvierzig) Ausländer m i t Angehörigen i n der BRD; — vierundvierzig (1967: sechsundzwanzig; 1968: achtzehn) Ausländer m i t scheinbar gültiger Aufenthaltserlaubnis (trotz der Eintragung i m Paß war die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erloschen, weil der Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde verlassen hatte); — einhundertdreizehn (1967: sechsundvierzig; 1968: siebenundvierzig) Ausländer, die sich schon früher einmal längere Zeit i m Bundesgebiet aufgehalten hatten; — zweihundertsechsundsechzig (1967: einhunderteinunddreißig; einhundertfünfunddreißig) sonstige Ausländer.

1968:

3.2.2.4. Auseinandersetzung mit § 5 Abs. 2 AuslG, § 5 Abs. 1 DVAuslG und mit der Praxis der Berliner Ausländerbehörde 3.2.2.4.1. Die Auseinandersetzung m i t § 5 Abs. 2 § 5 Abs. 1 DVAuslG i m allgemeinen Gegen die Sichtvermerkspflicht gemäß § 5 Abs. 2 AuslG i. V. m. § 5 Abs. 1 DVAuslG und gegen die Praxis der Berliner Ausländerbehörde,

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

bei Verstoß hiergegen die illegale Einreise nicht durch eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis i m Inlande zu legalisieren, ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Denn an einer gewissen Lenkung des Stromes ausländischer Arbeitskräfte besteht ein erhebliches Interesse, insbesondere an der Lenkung dieses Stromes über die Anwerbekommissionen. Die oben dargestellten Überlegungen sind nicht von der Hand zu weisen. Dem kann ζ. B. nicht entgegengehalten werden, daß i n Istanbul rund 30 % der Bewerber einen bestochenen Dritten für sich zur Röntgenuntersuchung gehen lassen oder daß sich viele Bewerber Urinproben bei Straßenhändlern kaufen. Denn i n der Mehrzahl der Fälle werden durch diese medizinischen Untersuchungen der deutschen Anwerbekommissionen ungeeignete Personen ausgeschlossen. — Die Einhaltung der Sichtvermerksvorschriften ist auch für den Ausländer von Vorteil, weil so i n der Regel sichergestellt ist, daß er von Anfang an eine A r beitsstelle hat (und nicht sozialhilfebedürftig werden muß). — Bei Einschaltung der Anwerbekommission braucht der ausländische Arbeitnehmer auch nicht die Fahrtkosten selbst zu bezahlen. Die Sichtvermerksvorschriften und die Praxis der Berliner (und der übrigen) Ausländerbehörden haben allerdings nicht verhindern können, daß sich i n Berlin (und dem übrigen Bundesgebiet) eine große Zahl illegaler Ausländer aufhält. Sie w i r d auf etwa 10 bis 15 °/o aller ausländischen Arbeitnehmer geschätzt 213 . Eine Volleignung 214 dieser Vorschriften, einen unkontrollierten Strom von Ausländern i n das Bundesgebiet zu unterbinden, liegt also nicht vor. Eine Teile ignung ist indes zu bejahen. Denn zahllose Ausländer beantragen die Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks bzw. eine Legitimationskarte (dies war auch 1967/68 der Fall). Daß der Sichtvermerkszwang i n zahllosen Fällen nicht zum gewünschten Ergebnis führt, verwundert nicht. Denn weder strengste Grenzkontrollen noch perfekte Meldevorschriften noch die Gefahr von Ausweisung, Abschiebung und Strafmaßnahmen werden die illegale Einreise von Ausländern gänzlich unterbinden, solange diese Ausländer i m Bundesgebiet Brot und Arbeit finden können 2 1 5 . Dies gilt u m so mehr, wenn die Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks nicht schlechthin bei jeder Einreise, sondern nur bei der Einreise zu 213 y g l < Diamant, i n : Studentische P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 43 (50); die Z a h l der Illegalen betrug 1970 i n der gesamten B R D mindestens 100 000, davon etwa 40 - 60 000 T ü r k e n (vgl. Der Tagesspiegel Nr. 7740 v o m 27. 2.1971, S. 3), i n B e r l i n ungefähr 10 - 15 000 (Der Tagesspiegel Nr. 7675 v o m 10.12.1970, S. 10 u n d Nr. 7862 v o m 27. 7.1971, S. 8). 214 Z u den Begriffen „Volleignung" u n d „Teileignung des Mittels" vgl. Gentz, i n : N J W 1968, 1600 (1603). 215 Insoweit zutreffend Majer, i n : N J W 1970, 1515 f.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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bestimmten Zwecken vorgeschrieben ist. Dann w i r d es immer eine große Anzahl von Ausländern geben, die erst einmal wie Touristen ohne Sichtvermerk einreisen, u m dann — wenn überhaupt — i m I n land die Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit zu beantragen. Dies ist kaum zu verhindern, da die Erwerbsabsicht als innere Tatsache von Grenzbeamten nur schwer nachgewiesen werden kann. A b hilfe könnte hier nur geschaffen werden, wenn jede Einreise siehtvermerkspflichtig wäre (so ζ. B. die USA). Dies würde aber den internationalen Reiseverkehr so sehr erschweren, daß eine solche Lösung gar nicht näher i n Betracht gezogen werden kann. I n (West-)Berlin kommt noch hinzu, daß von Ostberlin aus eine völlig unkontrollierte Einreise möglich ist. Zuzugegen ist, daß diese illegalen Ausländer zum ganz überwiegenden Teil unter unwürdigen Umständen leben: Sie arbeiten „schwarz" zu Niedrigstlöhnen, ohne Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung, ohne Kindergeld, ohne Urlaub, ohne feste Wohnung. Sie werden i n jeder Hinsicht rücksichtslos ausgenutzt: Erst von Vermittlern (zumeist Landsleuten), die für einen Touristenpaß 1000,— D M verlangen, dann von deutschen Arbeitgebern (zumeist Verleihfirmen i m Baugewerbe) und deutschen Vermietern, welche die ausländischen A r beitskräfte häufig i n Holzverschlägen, ehemaligen Werkshallen und Kasernen sowie sanierungsreifen Mietshäusern unterbringen 2 1 6 . Hieraus läßt sich jedoch nicht die Forderung danach ableiten, den A u f enthalt aller illegalen Ausländer zu legalisieren oder gar die Sichtvermerksvorschriften allgemein zu beseitigen. Die Folge wäre das plötzliche Hereinströmen hunderttausender von Ausländern, insbesondere aus der Türkei. Der Arbeits- und der Wohnungsmarkt würden dadurch äußerst gestört 2 1 7 . Auch dann wären soziale Mißstände, wie sie zum Teil jetzt herrschen, nicht ausgeschlossen, da wegen des zu erwartenden Überangebots an Arbeitskräften viele, die befürchten müßten, unter regulären Bedingungen keine Arbeitsstelle zu finden, gezwungen sein würden, ihre Arbeit zu unwürdigen Bedingungen anzubieten. — Erfolgversprechend und sinnvoll erscheint es dagegen, die Anwesenheit illegaler Ausländer dadurch einzudämmen, daß deren Beschäftigung, 2ie y g l Franz, i n : ZRP 1970, 229 (235); Majer, a.a.O., S. 1516; Der Spiegel Nr. 43 v o m 19.10.1970, S. 50ff.; Berliner Morgenpost vom 18.10.1970, S. 2; Der Tagesspiegel Nr. 7740 v o m 27.2.1971, S. 3; B T — Sten. Ber. 44. Sitzung v o m 17. 4.1970, S. 2235 ff.; Baier, i n : Rote Robe 1970, Heft 4, S. 11. 217 A. A. w o h l Majer, a.a.O., S. 1515, die darauf hinweist, daß i n Schweden u n d i n der Schweiz, die beide keinen Sichtvermerkszwang kennen, die Gefahren einer unregulierten Einreise bisher nicht eingetreten sind. Diese relativ kleinen Länder sind jedoch m i t der wesentlich größeren B R D nicht zu vergleichen. Auch beabsichtigt jetzt Schweden, i n bestimmten Fällen den Sichtvermerkszwang einzuführen.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

vor allem der Leiharbeitnehmer, strenger bestraft w i r d (so wie es jetzt i n A r t . 1 § 15 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geschehen ist 2 1 8 ). 3.2.2.4.2. Auseinandersetzung mit der Praxis der Berliner Ausländerbehörde i n einzelnen Fallgruppen I m vorigen Abschnitt wurde die Auffassung vertreten, daß es i m Grundsatz nicht zu bemängeln sei, wenn eine Aufenthaltserlaubnis im Inland nicht erteilt wird, weil die Einreise ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks erfolgt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Praxis der Berliner Ausländerbehörde insoweit i n jeder Hinsicht gutgeheißen werden soll. I n zahlreichen Fällen ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Ausländer deutscher Muttersprache bzw. mit besonderen persönlichen Beziehungen zu Deutschland oder zu deutschen Staatsangehörigen: Bedenken bestehen insbesondere insoweit, als die Praxis Ausländer betrifft, die Deutsch als Muttersprache sprechen bzw. besondere persönliche Beziehungen zu Deutschland oder zu deutschen Staatsangehörigen haben. I m einzelnen handelte es sich i m Untersuchungszeitraum u m — eine minderjährige Britin, die von ihrem leiblichen deutschen Vater adoptiert worden war und schon vor ihrer Adoption mehrere Jahre lang i n Deutschland gelebt hatte (1967); — drei (1967: eine; 1968: zwei) mit deutschen Staatsangehörigen verheiratete Ausländerinnen; — fünfundzwanzig (1967: achtzehn; 1968: sieben) mit deutschen Ehefrauen verheiratete Ausländer; die Antragsteller — sie hatten zumeist Kinder — stammten überwiegend aus Entwicklungsländern (61 %), aber auch aus sog. Anwerbeländern (26 °/o) und sonstigen europäischen Staaten (14 °/o) 219 . Wie aus den Akten ersichtlich war, hatten sich die Eheleute zumeist kennengelernt, während der Mann i n Deutschland studierte oder arbeitete; — vierzehn (1967: neun; 1968: fünf) Ausländer, deren Verlobte die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen; i n fünf Fällen war die Verlobte schwanger oder hatte von dem Ausländer ein oder mehrere uneheliche Kinder; rund 4 4 % der Ausländer stammten aus West218

V o m 7. August 1972 (BGBl. I, S. 1393/GVB1., S. 1559). I n zwei weiteren Fällen hatte die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis erst versagt, dem Widerspruch jedoch abgeholfen. I n einem F a l l handelte es sich u m einen Syrer, der aus politischen Gründen plötzlich aus Ostberlin hatte fliehen müssen, i n dem anderen u m einen Griechen, bei dem festgestellt wurde, daß der Ausbildungszweck bei seinem Aufenthalt i m Vordergrund stand. 219

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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europa, 6 °/o aus Osteuropa, 19 °/o aus sog. Anwerbeländern und 31 % aus Entwicklungsländern; — vier Ausländer (sämtlich 1967), deren Ehefrau bis zur Eheschließung die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatte (einer der Betroffenen erhielt die Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks nach Ausreise ohne Schwierigkeiten); — vier (1967: eine; 1968: drei) Ausländerinnen, die ihre frühere deutsche Staatsangehörigkeit durch Heirat bzw. auf Grund politischer Umstände oder Auswanderung verloren hatten; — drei (1967: einer; 1968: zwei) Ausländer m i t unehelichen Kindern deutscher Staatsangehörigkeit; — zwanzig (1967: dreizehn; 1968: sieben) Ausländer deutscher Muttersprache (vierzehn, also fast 2 /s von ihnen Österreicher, die übrigen Sudetendeutsche bzw. aus Osteuropa stammende Juden verschiedener Staatsangehörigkeit). Hierzu ist folgendes zu bemerken: Die i m Falle des Adoptivkindes getroffene Entscheidung mag man mit dem Hinweis gutheißen, auch ausländische Adoptivkinder deutscher Staatsangehöriger hätten die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen der BRD einzuhalten. Sinnvoll ist sie jedenfalls nicht: Denn wegen des Grundrechtes des Art. 6 GG könnte einem minderjährigen ausländischen Adoptivkind der Aufenthalt i m Bundesgebiet bei seinem deutschen Adoptivvater letztlich nicht verweigert werden. Eine auf § 5 Abs. 1 DVAuslG gestützte Entscheidung, die einen Ausländer zwingt auszureisen, bloß u m dem Buchstaben dieser Vorschrift Genüge zu tun, obwohl feststeht, daß der Betreffende einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hat, kann kein Verständnis finden. Dies gilt um so mehr, als bei minderjährigen K i n dern deutscher Staatsangehöriger ohnehin nicht zu befürchten ist, daß sie auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft ständig umherwandern und die für ihre Überwachung verantwortlichen Ausländerbehörden vor eine unlösbare Aufgabe stellen. Demzufolge ist die Entscheidung der Widerspruchsbehörde, die den ablehnenden Bescheid des Polizeipräsidenten i n Berlin aufgehoben hat, vollauf zu billigen. Soweit die Aufenthaltserlaubnis 1967/68 ausländischen Ehefrauen deutscher Staatsangehöriger versagt wurde, stoßen diese Entscheidungen auf völliges Unverständnis. Bis zur Staatsangehörigkeitsnovelle vom 8. September 1969 220 hatten m i t Deutschen verheiratete Ausländerinnen einen Anspruch auf Einbürgerung (§ 6 RuStAG). Er umfaßte auch das weniger weitgehende Recht auf Aufenthalt. Auch wenn man 220

BGBl. 1969 I, S. 1581/GVB1. 1969, S. 1892.

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

die Ansicht vertritt, dieses Recht habe die Ausländerinnen nicht von der Pflicht entbunden, die Formvorschriften (über die Einreise und den Sichtvermerk) einzuhalten, sind die Entscheidungen der Berliner Ausländerbehörden wenig sinnvoll gewesen, da sie diesen Ausländerinnen die Aufenthaltserlaubnis letztlich doch nicht verweigern konnten. Die vorübergehende Versagung der Aufenthaltserlaubnis unter Hinweis auf die Sichtvermerksvorschriften hat der betreffenden Ausländerin lediglich die — unnützen — Kosten der Fahrt zur nächsten deutschen Auslandsvertretung aufgebürdet, wo die Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks wegen A r t . 6 Abs. 1 GG i n jedem Falle erteilt werden mußte. Hierbei ist es unerheblich, ob der deutsche Ehemann i n einer nach § 20 EheG nichtigen Doppelehe lebt. Denn auf die Nichtigkeit kann sich niemand berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt ist (§ 23 EheG) — auch die Ausländerbehörde nicht. — I m Gegensatz zur Ausländerbehörde hat die Widerspruchsbehörde, sofern ein gültiger Paß vorhanden war, vernünftigerweise jeweils die Auffassung vertreten, die Aufenthaltserlaubnis sei trotz § 5 Abs. 1 DVAuslG zu erteilen — m. E. völlig zu Recht. — Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde gegenüber Ausländern, deren Ehefrau die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist nicht zu beanstanden, wenn die Eheleute ständig getrennt lebten und m i t einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zu rechnen war. I m übrigen mag die Praxis vom Wortlaut der Einreisebestimmungen gedeckt sein. M i t deren Sinn und Zweck ist sie nicht vereinbar. Denn diese Ausländer reisen nicht nach „Zigeunerart" auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft ständig umher und machen auch ohne Sichtvermerk eine Kontrolle der Ausländerbehörde nicht unmöglich, da sie mit ihren deutschen Ehefrauen einen gemeinsamen festen Wohnsitz haben. Aus gutem Grunde w i r d ihnen die Arbeitserlaubnis unabhängig von der Lage des Arbeitsmarktes und ohne Beschränkung auf einen bestimmten Betrieb oder eine bestimmte Berufsgruppe erteilt 2 2 1 . Von diesen Ausländern zu erwarten, daß sie vom Ausland aus — etwa unter Inkaufnahme jahrelanger Wartezeiten bei den Anwerbekommissionen — die Erteilung ihrer Aufenthaltserlaubnis betreiben, ist lebensfremd; eine solche Praxis überfordert den Normadressaten und zwingt ihn zum Boykott der getroffenen Regelung. 221 1967/68 § 5 Abs. 1 Nr. 3 der Neunten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung u n d Arbeitslosenversicherung ( A r beitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer) v o m 20.11.1959 (BGBl. I, S. 689), jetzt § 2 Abs. 1 der VO über die Arbeitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer (ArbeitserlaubnisVO) v o m 2.3.1971 (BGBl. I, S. 152/ GVB1., S. 552).

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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Wenig verständlich ist auch die Praxis des Senators für Inneres von Berlin als Aufsichtsbehörde, der diese Übung des Polizeipräsidenten i n Berlin (von dem Falle eines Irakis abgesehen, dessen deutsche Frau das K l i m a i m Irak nachweislich nicht vertrug) billigte. — Ganz wohl scheint dem Senator für Inneres (bzw. dem Polizeipräsidenten i n Berlin) bei dieser Übung nicht gewesen zu sein; denn er riet dreimal, die Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks i n Grenznähe zu beantragen. Auch ohne jenen Rat wurde dieser Weg von zwei weiteren Ausländern beschritten; auch sie erhielten anstandslos die beantragte Aufenthaltserlaubnis. Hierbei taucht die Frage auf, wem die Berufung auf § 5 Abs. 1 DVAuslG nützt. Ausländer, deren Ehefrauen bis zur Eheschließung die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatten, und frühere deutsche Staatsangehörige haben zwar keinen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis. Auch bei ihnen ist jedoch i n der Regel nicht zu befürchten, daß sie auf der Suche nach Unterkunft und Arbeit von Ort zu Ort ziehen und sich der ausländerbehördlichen Kontrolle entziehen. Die deutsche Muttersprache des Antragstellers oder seiner Frau und die häufig bestehenden engen tatsächlichen Beziehungen zu Deutschland verhindern regelmäßig jene Schwierigkeiten, welche die Rechtsprechung bei der Einreise ohne den erforderlichen Sichtvermerk befürchtet. Ihre Privilegierung wäre daher gerechtfertigt — zumindest, wenn der Arbeitgeber Wohnraum zur Verfügung stellt. Diese Überlegungen werden häufig auch bei mit Deutschen verlobten Ausländern zutreffen. Da aber das Verlöbnis jederzeit lösbar ist und häufig nicht feststellbar ist, ob tatsächlich eine Eheschließung beabsichtigt ist, wäre deren Privilegierung nicht gerechtfertigt (ausnahmsweise höchstens dann, wenn das Aufgebot nachweislich schon bestellt ist). Eine Privilegierung der Ausländer, deren uneheliche Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, kommen grundsätzlich ebensowenig i n Betracht. — Allerdings ist es so, daß Unterhaltsansprüche fast stets nicht mehr durchzusetzen sind, wenn diesen Ausländern die A u f enthaltserlaubnis versagt w i r d und sie das Bundesgebiet verlassen. Deswegen erscheint es zumindest erwägenswert, ihnen ausnahmsweise eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sie ihren Unterhaltsverpflichtungen nachkommen. So könnte vielfach eine Inanspruchnahme von Sozialhilfe verhindert werden. Auch bei Ausländern, deren Muttersprache Deutsch ist, zumindest aber bei Österreichern und Schweizern, tauchen die von der Rechtsprechung befürchteten Gefahren ebenfalls nicht auf. Denn die deutsche Muttersprache beseitigt zum großen Teil die Wohnungsprobleme, denen sich vielfach fremdsprachige Ausländer wegen ihrer mangelhaf-

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

ten Sprachkenntnisse gegenübersehen, zumal wenn sie fremdländisch aussehen. — Deutschsprachige Ausländer finden auch naturgemäß viel leichter Arbeit. Auch sonst sind Eingewöhnungsschwierigkeiten kleiner als bei sonstigen Ausländern. Daher ist es zu begrüßen, daß i m November 1968 nach dem Vorbild des deutsch-schweizerischen Abkommens ein deutsch-österreichisches Abkommen 2 2 2 geschlossen wurde, das Erwerbspersonen von der Notwendigkeit befreit, vor der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks zu beantragen. — Ausländer mit Angehörigen in der BRD: Einundsiebzig (1967: sechsundzwanzig; 1968: fünfundvierzig) der Ausländer, denen der Polizeipräsident i n Berlin unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 DVAuslG die Aufenthaltserlaubnis versagte, hatten bereits Angehörige hier (fünfzehn Ehefrauen, dreiundzwanzig Ehemänner, zwei Kinder, dreiundzwanzig Väter oder Mütter, fünf Geschwister, drei Verlobte) 2 2 3 . Die Familienangehörigen, die sich bereits hier aufhielten, waren zumeist als sog. Gastarbeiter tätig, weshalb auch der Anteil aus den Anwerbeländern überdurchschnittlich hoch ist (fast 90Ό/ο). — Unter den Antragstellern befanden sich achtzehn Ausländerinnen und neunzehn noch minderjährige Kinder. — Einem der einundsiebzig Ausländer hatte der Senator für Inneres von Berlin geraten, die Aufenthaltserlaubnis — unter Umgehung der an sich vorgesehenen örtlichen Zuständigkeit — bei einer deutschen Auslandsvertretung i n Grenznähe zu beantragen. — Zwei weitere Ausländer reisten alsbald wieder ein (einer mit einer Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks, einer m i t Legitimationskarte). Die von der Rechtsprechung befürchteten Gefahren, daß die betreffenden Ausländer auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft ständig umherziehen, werden i n den meisten Fällen nicht eintreten. Denn wegen des ausgeprägten Familiensinnes der hauptsächlich i n Betracht kommenden südosteuropäischen Ausländergruppen tauchen die sonst denkbaren Schwierigkeiten bei der Suche einer Arbeitsstelle und einer Unterkunft i n der Regel i n wesentlich geringerem Maße auf — wie überhaupt die sich hier schon aufhaltenden Familienangehörigen dazu beitragen, die anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten auf ein M i n i m u m zu beschränken. Die jetzige Praxis ist auch lebensfremd. Sofern keine Aussicht besteht, auf dem „offiziellen" Wege zu einer Aufenthaltserlaubnis zu 222

A r t . 1 Abs. 2 des A b k . zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland u n d der österreichischen Bundesregierung über den Personenverkehr v o m 13.11.1968 (Gesetz v o m 4.8.1969, BGBl. I I , S. 1457; i n K r a f t seit dem 8. 8.1969, BGBl. I I , S. 1584). 223 H i n z u kamen zwei Abhilfefälle (zwei Minderjährige, zwei Ehefrauen).

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

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kommen, werden die Angehörigen immer versuchen, auf „illegalem" Wege zu einer Aufenthaltserlaubnis (für eine Erwerbstätigkeit) zu gelangen. Eine Regelung, die diese engen Familienbande nicht berücksichtigt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. I n Anbetracht dieser Umstände und aus humanitären Gründen erscheint es gerechtfertigt, wenigstens den Ehegatten und den Kindern unter 21 Jahren die Aufenthaltserlaubnis i m Inlande trotz illegaler Einreise zu erteilen, sofern kein sonstiger Versagungsgrund vorliegt. M i t Protesten der Anwerbeländer ist nicht zu rechnen, zumal einige Anwerbevereinbarungen ohnehin eine erleichterte Familienzusammenführung vorsehen (vgl. z. B. A r t . 17 der deutsch-spanischen Vereinbarung). — Sinnvoll wäre es allerdings, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis davon abhängig zu machen, daß der Arbeitgeber für die Unterkunft der Arbeitnehmer sorgt. Dies entspräche auch eher dem Gleichheitsgrundsatz. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb ein Arbeitgeber nur für die Unterkunft von Arbeitnehmern, die von den A n werbestellen geworben sind, zu sorgen hat, nicht aber für die der übrigen ausländischen Arbeitskräfte. Es ist auch gerecht, demjenigen die Investitionen für die Unterkünfte aufzubürden, welcher den größten wirtschaftlichen Nutzen aus der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zieht — dem Unternehmer. Auch der Senator für Inneres von Berlin ist nunmehr (seit 7. November 1968) der Auffassung, daß ein Teil dieser Ausländer — die nachreisenden Ehefrauen und minderjährigen Kinder hier tätiger sogenannter Gastarbeiter — trotz der von der Rechtsprechung an die Wand gemalten Gefahren eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann. Humanitäre Erwägungen und der beharrliche Ruf der Berliner Wirtschaft nach billigen weiblichen ausländischen Arbeitskräften führten zu diesem Ergebnis. — Ausländer mit scheinbar gültiger Nr. 3 AuslG):

Aufenthaltserlaubnis

(§9

Abs. 1

Ein besonderer Anwendungsfall des § 5 Abs. 1 DVAuslG liegt vor, wenn der Ausländer laut Paßeintrag eine noch nicht abgelaufene A u f enthaltserlaubnis (für Arbeitszwecke vor allem) hat, diese aber i n Wirklichkeit erloschen ist, weil der Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde verlassen hatte (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG). Bei ihrer erneuten Wiedereinreise unterliegen solche Ausländer den allgemeinen Bestimmungen. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde verläßt, kommt es nicht allein auf die Zeitdauer der Abwesenheit und nicht darauf an, ob der Ausländer seine Abwesenheit als vorübergehend be-

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. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

zeichnet. Ausschlaggebend sind die Gesamtumstände des Falles 2 2 4 . Entscheidend ist einerseits (objektiv) der Aufenthaltszweck i m Bundesgebiet (Erwerbstätigkeit; Aus- und Fortbildung; Studium); andererseits ist (subjektiv) die verfolgte Absicht mitbestimmend. Beides ist von Fall zu Fall zu beurteilen. Die Aufenthaltserlaubnis ist i n der Regel mit der Ausreise erloschen, wenn bei der Wiedereinreise nicht mehr an den früheren Aufenthaltszweck angeknüpft werden kann. Besuchs-, Ferien- oder Studienreisen führen nicht zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis, wenn beabsichtigt ist, wieder an den Arbeits- oder an den Studienplatz zurückzukehren 225 . Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses i n Deutschland, die Absicht, die Wehrpflicht zu erfüllen, oder sonst i m Ausland den Wohnsitz oder den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu begründen, läßt dagegen die Aufenthaltserlaubnis erlöschen 226 . Nach Ansicht des V G K ö l n 2 2 7 soll bei einem dreimonatigen Auslandsaufenthalt Ausreise wegen eines nicht nur vorübergehenden Grundes anzunehmen sein. Der Polizeipräsident i n Berlin sah sich i m Untersuchungszeitraum in vierundvierzig Fällen (1967: sechsundzwanzig; 1968: achtzehn) genötigt, die für eine Erwerbstätigkeit beantragte Aufenthaltserlaubnis wegen nicht nur vorübergehender Abwesenheit zu versagen. Rund 58 % der betroffenen Ausländer stammten aus Anwerbeländern, etwa weitere 23 °/o aus Österreich oder Jugoslawien. I n drei weiteren Fällen hatte die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis erst abgelehnt, dem jeweils eingelegten Widerspruch jedoch abgeholfen, obwohl die Abwesenheit sechs und mehr Monate gedauert hatte. Die Praxis der Behörde ist also auch hier nicht einheitlich. Die Ausreise jener vierundvierzig Ausländer war u. a. veranlaßt durch — Erkrankung des Antragstellers selbst oder seiner Familienangehörigen; — Familien- und Erbschaftsangelegenheiten; — Unterstützung der Familie bei der Ernte; — vorübergehende Versetzung ins Ausland durch den Arbeitgeber; — berufliche Fortbildung i n der Heimat; — Flucht vor Strafverfolgung i m Bundesgebiet. 224 225 226 227

A u s l G V w v Nr. 2 zu § 9. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 9 RdNr. 5. So zu Recht Marxen, a.a.O., § 9 RdNr. 5. V G Köln, U r t . v o m 5. 5.1967 — 4 Κ 1326/66 —.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

97

Die Abwesenheit dauerte in in in in

vier Fällen weniger als drei Monate; vierzehn Fällen drei bis sechs Monate; fünfundzwanzig Fällen sechs bis zwölf Monate; einem Fall mehr als zwölf Monate.

Vier der abgewiesenen Ausländer erhielten kurze Zeit nach der Ausreise mit Zustimmung der Berliner Ausländerbehörde von einer grenznahen deutschen Auslandsvertretung eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks. § 5 Abs. 1 DVAuslG war also auch i n diesen Fällen m i t dem alleinigen Ergebnis angewandt worden, daß dem Ausländer unnütze Reisekosten entstanden, daß zusätzlich eine deutsche Auslandsvertretung eingeschaltet wurde (unter Abweichung von der örtlichen Zuständigkeit) und daß sich die Berliner Ausländerbehörde ein zweites M a l m i t diesem Ausländer beschäftigen mußte. Da es sich jeweils nicht u m Anwerbungen nach einem der Anwerbeabkommen handelte, brauchte der i n Aussicht genommene deutsche Arbeitgeber auch nicht für Unterkunft zu sorgen und nicht die Gefahr einzugehen, für etwaige Heimschaffungskosten haften zu müssen. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde bezüglich § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG steht jedoch i n Einklang m i t dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 DVAuslG. Denn die Ausländer reisten regelmäßig nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses und der Wohnung und oft sogar erst nach Durchführung des Lohnsteuerjahresausgleiches aus. Trotzdem sollen bei dieser Gelegenheit § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG und die sich aus seiner Anwendung i n der Praxis zwangsläufig ergebenden Probleme untersucht werden. Einmal ist zweifelhaft, ob eine Bestimmung wie § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG überhaupt notwendig ist. Der mit dieser Vorschrift anscheinend verfolgte Zweck, einen Überblick über die i m Bundesgebiet anwesenden Ausländer und ihre Kontrolle zu ermöglichen, dürfte kaum zu erreichen sein. Denn zumeist stellt sich erst bei der erneuten Einreise des Ausländers heraus, ob er bei der Ausreise die Voraussetzung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erfüllt hatte oder nicht. — Für ein vorzeitiges Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis besteht auch bei befristeten A u f enthaltserlaubnissen ohnehin kein anzuerkennender Grund. Wenn man schon den Sinn einer Vorschrift wie § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG anerkennt, so ist doch zu bemängeln, daß diese Bestimmung ohne zwingenden Anlaß einen auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, dessen Anwendung gerade auch den Ausländerbehörden erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Eine gesetzlich genau festgelegte Frist — von etwa sechs oder zwölf Monaten — erfüllte sicherlich dieselbe Funktion, zumal § 7 Abs. 4 AuslG („Die Aufenthaltserlaubnis kann nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie m i t Bedin7 Schüler

98

. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

gungen und Auflagen versehen werden.") für besonders gelagerte Ausnahmefälle ein Korrektiv enthält. Wie unpraktisch und unangemessen die jetzige Regelung ist, erkennt auch der Senator für Inneres von Berlin (ebenso wie die Behörden der übrigen Bundesländer) an: Er geht nunmehr einfach davon aus, daß eine Abwesenheit bis zu sechs Monaten i m Regelfall noch vorübergehender Natur ist (noch i m Dezember 1967 sah er eine Abwesenheit von mehr als drei Monaten als nicht mehr kurzfristig an). Diese Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG führt zu vernünftigen Ergebnissen, dürfte aber kaum m i t dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes i n Einklang stehen, worauf sich die Ausländerbehörden sonst immer berufen. Aber auch bei dieser Auslegung durch die Berliner Ausländerbehörde bleiben noch etliche unbefriedigende Ergebnisse übrig. Dem könnte weitgehend abgeholfen werden, wenn sich die Ausländerbehörde entschlösse, § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (und andere Vorschriften) i n der entsprechenden Sprache auf Merkblättern i n verständlicher Form zu erläutern — so wie es beispielsweise die Evangelische Akademie zu Berlin und der Türkische Arbeiterverein zu Recht fordern. Die weit verbreitete Auffassung, es sei Sache des Ausländers, sich vor der Einreise mit den Vorschriften des deutschen Aufenthalts- und Arbeitsrechtes vertraut zu machen 228 , geht an der Realität vorbei, daß die Masse der Ausländer (insbesondere die meisten Wanderarbeitnehmer Süd- und Südosteuropas) nur eine recht bescheidene Schulbildung besitzen. Noch einfacher wäre es allerdings, wenn sich die Ausländerbehörde kurzerhand entschlösse, den Aufenthalt auch nach längerer Abwesenheit einfach zu legalisieren. Ausländer mit früherem Aufenthalt

in der BRD:

Auch die Praxis gegenüber den einhundertdreizehn Ausländern 2 2 9 , die sich früher schon einmal i n der BRD aufgehalten haben, u m hier zu studieren oder zu arbeiten, führt zu wenig befriedigenden Ergebnissen. — Der frühere Aufenthalt hatte gedauert: — — — — —

in in in in in

zwei Fällen knapp drei Monate, zehn Fällen sechs bis zwölf Monate, einundvierzig Fällen ein bis drei Jahre, siebenundfünfzig Fällen drei bis zehn Jahre, drei Fällen mehr als zehn Jahre.

228 So z.B. OVG Rheinland-Pfalz, i n : DÖV 1966, 207; V G Berlin, Urt. vom 13. A p r i l 1967 — V G X I A 317/66 — ; O V G Münster, i n : DÖV 1964, 498. 229 Hinzu kamen zwei Fälle, i n denen auf Widerspruch h i n die A u f e n t haltserlaubnis erteilt wurde.

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

99

Hund 35 *Vo der Antragsteller entstammten den Anwerbeländern. A u f fällig hoch (29 o/o) war auch der Anteil der Araber. — Dreien der abgewiesenen Antragsteller riet die Widerspruchsbehörde, eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks i n Grenznähe zu beantragen (in einem Fall sogar, obwohl ein Anwerbeabkommen bestand). Auch i n zahlreichen Fällen dieser Gruppe muß bezweifelt werden, ob die Anwendung des § 5 Abs. 1 DVAuslG durch die von der Rechtsprechung vermutete Gefahr gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausländer würden auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft von Ort zu Ort ziehen und sich der behördlichen Kontrolle entziehen. Die regelmäßig wenigstens in gewissem Umfange vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse und die Vertrautheit mit den deutschen Lebensverhältnissen, die eine Folge des früheren Aufenthaltes i n Deutschland sind, werden diese Gefahren häufig nicht entstehen lassen. Bei den aus den Anwerbeländern stammenden Ausländern sprechen allerdings die übrigen i n Abschnitt 3.2.2.3.2. angestellten Erwägungen für die strikte Einhaltung der Sichtvermerksvorschriften, zumal die Zahl dieser Ausländer parallel zur Zahl der ausländischen Arbeitskräfte überhaupt stark ansteigen wird. — Andererseits wäre es sinnvoll, diese Ausländer aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen bei der Anwerbung zu bevorzugen, da Ausländer, die schon einmal längere Zeit i n Deutschland waren, keine Eingewöhnungsschwierigkeiten haben. — Bei den meisten übrigen Ausländern dürfte höchstens das Ergebnis — die Versagung der Aufenthaltserlaubnis — zu begrüßen sein. Bei ihnen kommt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (für eine Erwerbstätigkeit) nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG auch aus anderen Gründen ohnehin nicht i n Betracht — etwa aus Gründen der Entwicklungshilfe nicht. Die übrigen Fälle illegaler Einreise: I n den übrigen zweihundertsechsundsechzig Fällen erscheint die Anwendung der Sichtvermerksvorschriften noch am ehesten gerechtfertigt. Von den betroffenen Ausländern stammte ein knappes Drittel aus den Anwerbeländern (einschließlich Jugoslawien), rund Ve aus Osteuropa und etwa Vs aus den arabischen Staaten 2 3 0 . I n sieben dieser zweihundertsechsundsechzig Fälle hatte die A u f sichtsbehörde den Widerspruch des Ausländers zurückgewiesen, i h m aber gleichzeitig angeraten, unter Verletzung der allgemeinen Zuständigkeit eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks bei 230

I n sechs weiteren Fällen wurde die Aufenthaltserlaubnis erst versagt, auf Widerspruch h i n jedoch erteilt. ·

100

. Die E r t e u n g der Aufenthaltserlaubnis

einer deutschen Auslandsvertretung i n benachbarten Staaten zu beantragen. Bei den Betroffenen handelte es sich u m — eine Brasilianerin (sie übte den Mangelberuf einer Haushälterin aus), — eine Japanerin (von Beruf Krankenschwester — i n Berlin ebenfalls dringend gebraucht); — einen Kongolesen (für dessen Ausbildung zum Industriekaufmann hatte sich die kongolesische Botschaft eingesetzt), — drei Pakistani (ihre Botschaft hatte ihre Praktikantentätigkeit auf das wärmste unterstützt), — einen Tunesier (einen Hilfsarbeiter i m Einzelhandel; die tunesische Botschaft hatte darum gebeten, i h n i n das — noch nicht ausgeschöpfte — Kontingent von 3000 Arbeitern einzubeziehen, die nach einem deutsch-tunesischen Vertrag i m Bundesgebiet beschäftigt werden sollten). Ob der Sinn dieses Verfahrens den mit Reisekosten belasteten Ausländern verständlich gemacht werden kann, muß bezweifelt werden. 3.2.2.4.3. Zusammenfassung Werden die oben angeregten Änderungen durchgeführt, so ist i n einem Teil der Anwendung des § 5 Abs. 1 DVAuslG der Boden entzogen. — I n einem anderen Teil bleiben zwar die erwähnten Vorschriften — jedenfalls dem Wortlaut nach — anwendbar, sie werden aber aus bestimmten sachlichen Gründen nicht angewandt. Dies läuft auf die Auffassung hinaus, daß jene Sichtvermerksvorschriften letztlich nur die Ausländer, nicht aber auch die Verwaltung binden. Die Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis richtet sich also auch i n diesen Fällen nach dem Ermessen der Ausländerbehörde (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG). Diese Auffassung w i r d letztlich auch von der Berliner Ausländerbehörde praktiziert, wenn auch i n weniger starkem Umfang. — W i r d diesen Anregungen gefolgt, w i r d die jedem Außenstehenden unverständliche Praxis des Polizeipräsidenten i n Berlin bzw. des Senators für Inneres von Berlin weitgehend überflüssig gemacht, die Aufenthaltserlaubnis zwar zu versagen, dem Antragsteller aber zu empfehlen, eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks bei einer deutschen Auslandsvertretung i n benachbarten Staaten zu beantragen. — bei Auslandsvertretungen, die an sich nicht zuständig sind. — Dieses Verfahren der Berliner Behörden ist als äußerst formalistisch zu bezeichnen, da materiell die Zustimmung der Ausländerbehörde des ersten Aufenthaltsortes, die von der Auslandsvertretung einzuholen ist, für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sicht-

3.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

101

Vermerks i m Ausland entscheidend ist. Letztlich bürdet diese Prozedur dem Ausländer lediglich unnütze Reisekosten auf. Gegen die vorgeschlagenen Änderungen kann eingewandt werden, daß damit der Wirkungsgrad der gegenwärtigen Sichtvermerksregelung herabgesetzt würde. Dieser Einwand ist theoretisch berechtigt. Denn das m i t § 5 Abs. 2 AuslG i. V. m. § 5 Abs. 1 DVAuslG verfolgte Ziel kann nur bei konsequenter Einhaltung der Sichtvermerksvorschriften erreicht werden, nicht aber, wenn jeder Ausländer hoffen könnte, trotz illegaler Einreise die erforderliche Aufenthaltserlaubnis zu erhalten 2 3 1 . Eine solche Konsequenz aber ist unter gar keinen Umständen zu erreichen. Zwar w i r d es sich verhindern lassen, daß — wie Weißmann 1963 schätzte 232 — die Ausnahmen bis zu 80 °/o der Sichtvermerksfälle ausmachen (so bisher vor allem die kleinen Ausländerbehörden 233 ). I n des w i r d es immer notwendig sein, aus politischen oder humanitären Gründen von den starren Sichtvermerksvorschriften abzuweichen (auch auf die Gefahr hin, daß sich die Tatsache — nicht die Gründe — von Ausnahmefällen unter den Ausländern herumspricht 2 3 4 ). Wenn man dies aber einräumt, kann es nur noch darum gehen, ob die Ausnahmen i m einzelnen gerechtfertigt sind, nicht aber darum, ob überhaupt Ausnahmen gemacht werden sollen.

231 Hierauf weist das O V G Münster i n seinem U r t e i l v o m 27. September 1965 — I I Β 544/65 — an sich zutreffend hin. 232 Weißmann, i n : Die Polizei 1963, 225; vgl. auch Bingemer, i n : B i n g e m e r / Meistermann-Seeger / Neubert, Leben als Gastarbeiter, S. 83. 233

Nach Weißmann, a.a.O., S. 227. Über die Tatsache z.B., daß amerikanische Dienststellen i n B e r l i n Ausländer trotz illegaler Einreise beschäftigen, berichtete am 24. Februar 1970 sogar das türkische Boulevardblatt „ H ü r i y e t " (Auflage: 800 000 Stück); vgl. Die Welt Nr. 51 v o m 2. März 1970. 284

4. Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis durch Änderung der Nebenbestimmungen 4.1. Die Ermessensentscheidungen Eine Aufenthaltserlaubnis w i r d gewöhnlich nicht ohne einschränkende Nebenbestimmungen erteilt. Sie ist vielmehr i n der Regel befristet und mit Auflagen oder Bedingungen versehen. Beabsichtigt der Inhaber einer eingeschränkten Aufenthaltserlaubnis, den Aufenthaltsort zu verändern, den Aufenthalt zu verlängern oder den Aufenthaltszweck zu verändern, w i r d es notwendig, nachträglich die Aufenthaltserlaubnis durch Änderung der Nebenbestimmungen zu erweitern. I m einzelnen sind zu unterscheiden: 1. die nachträgliche Erweiterung des räumlichen Geltungsbereiches, 2. die Verlängerung und 3. die nachträgliche Erweiterung durch Änderung von Auflagen und Bedingungen. Wie die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis selbst, liegen auch diese Entscheidungen, die einen Antrag voraussetzen, i m Ermessen der Ausländerbehörde. 4.1.1. Die Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereiches

I m Untersuchungszeitraum 1967/68 konnte nicht festgestellt werden, daß die Berliner Ausländerbehörde den Geltungsbereich einer räumlich beschränkten Aufenthaltserlaubnis nachträglich erweiterte oder eine solche Entscheidung ablehnte. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß eine Aufenthaltserlaubnis äußerst selten räumlich beschränkt wird. 4.1.2. Die Verlängerung (ohne die Fälle der Verlängerung bei gleichzeitiger Änderung von Auflagen und Bedingungen)

Die Verlängerung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis ist i n § 7 Abs. 2 Satz 2 AuslG ausdrücklich vorgesehen. Sie kommt unter den gleichen Voraussetzungen i n Betracht wie eine Neuerteilung 1 . Die zu1 Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 11; jedoch stellt die Verlängerung rechtlich keine Neuerteilung dar; a. Α.: Weißmann, AuslG, § 2 Anm. 10 a.

4.1. Die Ermessensentscheidungen

103

nächst befristet erteilte Aufenthaltserlaubnis schafft keine „gesicherte" Rechtsstellung. Beeinträchtigt die Anwesenheit des Ausländers Belange der BRD, so ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu versagen. I m übrigen w i r d die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis insbesondere vom Zweck des Aufenthaltes beeinflußt. 4.1.2.1. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis insbesondere bei Gewerbeausübung I m Untersuchungszeitraum wurde den Anträgen auf Verlängerung unbeschränkter Aufenthaltserlaubnisse (vor allem also von Ausländern aus den EWG-Staaten, aus Österreich, der Schweiz und den USA) stets stattgegeben. 4.1.2.2. Unselbständige

Erwerbstätigkeit

Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis mit der Befugnis zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit besaßen, konnten 1967/68 i n der Regel mit einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechnen, falls sie ein Arbeitsverhältnis nachweisen konnten und über sie nichts Nachteiliges bekanntgeworden war. Dies galt teilweise sogar für Nordafrikaner, die seinerzeit ohne den erforderlichen Sichtvermerk zur A r beitsaufnahme eingereist waren. Die Aufenthaltserlaubnis wurde i n der Regel um ein Jahr verlängert, es sei denn, daß eine Verlängerung ausdrücklich oder stillschweigend für eine kürzere Frist beantragt worden war. Bei Nordafrikanern war die Frist oft nur drei oder sechs Monate. Gelegentlich wurde die Dauer der Aufenthaltserlaubnis der Dauer der Aufenthaltserlaubnis des Ehemannes angepaßt. — Die Verlängerung erfolgte zumeist unter der Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet". Bei Arbeitskräften aus Entwicklungsländern wurde die Aufenthaltserlaubnis durch die Beendigung eines bestimmten Arbeitsverhältnisses auflösend bedingt. — Die Berliner Ausländerbehörde lehnte es 1967/68 einhundertdrei (1967: achtundsechzig; 1968: fünfunddreißig) mal ab, eine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, welche die Befugnis zu einer unselbständigen A r beitstätigkeit umfaßte. Hierbei war der Anteil der Nordafrikaner (fast 17 °/o) und der der übrigen Ausländer aus mohammedanischen Staaten überdurchschnittlich hoch. Die Versagungsgründe waren vielfältig. — Die Hauptgruppe bildeten diejenigen Fälle, in denen ein Ausweisungsgrund vorlag. Deswegen wurde insgesamt achtundsiebzig Arbeitnehmern die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt.

104

4. Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

Acht Ausländern (meist Nordafrikanern) wurde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt, weil sie seinerzeit ohne den erforderlichen Sichtvermerk eingereist waren. Diese Praxis befremdet, wenn man bedenkt, daß die Ausländerbehörden diesen Ausländern i n Kenntnis ihrer illegalen Einreise jahrelang Aufenthaltserlaubnisse (für A r beitszwecke) erteilt hatten. Dies gilt u m so mehr, als davon ausgegangen werden kann, daß sich diese Ausländer während ihres langen A u f enthaltes i m Bundesgebiet i n einem gewissen Maße assimiliert haben. Der Betrachter w i r d den Eindruck nicht los, daß hier die Ordnungserwägungen nur vorgeschoben sind. I n zwei weiteren Fällen wurde die Versagung damit begründet, daß der betreffende Ausländer keine Arbeitsstelle finden könne. Eine solche Praxis ist an sich gutzuheißen. Bemerkenswert ist nur, daß die Ausländerbehörde i n einem Fall auf ihrer ablehnenden Entscheidung auch noch dann beharrte, als feststand, daß der Ausländer einen Arbeitsplatz gefunden hatte. Ob hier der Umstand von Bedeutung war, daß es sich u m einen Neger (aus den USA) handelte, ließ sich den Akten nicht entnehmen. Die Aufsichtsbehörde jedenfalls gab dem Widerspruch zu Recht statt. I n zwei anderen Fällen wurde die Aufenthaltserlaubnis zu Recht nicht verlängert, da die betreffenden Ausländer, denen zur Vorbereitung ihres Studiums eine Arbeitstätigkeit gestattet worden war, trotz Beendigung der Vorbereitung keine Anstalten gemacht hatten, ihr Studium aufzunehmen. Sieben aus Entwicklungsländern stammenden Ausländern versagte die Ausländerbehörde die Verlängerung, weil es der Sinn der Entwicklungshilfe erfordere, daß sie nach Abschluß ihrer Aus- bzw. Fortbildung i n ihre Heimat zurückkehrten und dort ihre hier erworbenen Kenntnisse zum Wohle ihres Volkes verwendeten. Diese Praxis ist i m Prinzip zu billigen. Es kann i n der Tat nicht Sinn der Entwicklungshilfe sein, daß die hier Aus- bzw. Fortgebildeten i m Bundesgebiet verbleiben 2 . I n diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die UNO die dringende Bitte an alle Industriestaaten gerichtet hat, Ausländern aus Entwicklungsländern nach Abschluß ihrer Aus- bzw. Fortbildung grundsätzlich nicht den weiteren Aufenthalt zu gewähren. A l lerdings schließt das nicht aus, daß solche Ausländer hier noch eine gewisse Zeit lang praktische Berufserfahrung sammeln. Insoweit verhielt sich die Ausländerbehörde oft allzu engherzig (im Gegensatz zur A u f sichtsbehörde). M. E. sollte geeigneten Ausländern auch die Möglichkeit gegeben werden, hier die Meisterprüfung abzulegen, sich einer Promo2

Kloesel, i n : D Ö V 1971, 702 (703 f.). Diese Überlegung hat auch Eingang i n das neue Staatsangehörigkeitsrecht gefunden (vgl. § 9 n. F.).

4.1. Die Ermessensentscheidungen

105

tion zu unterziehen oder eine Facharztausbildung zu absolvieren, sofern dazu i n ihrem Heimatland keine Möglichkeit besteht. Es kann nicht verantwortet werden, daß Ausländer aus Entwicklungsländern hier nur eine zweitklassige Ausbildung erfahren, so daß insoweit die technische Abhängigkeit dieser Länder bestehen bleibt. Deswegen muß auch eine längere Arbeitszeit (bis zur Meisterprüfung ζ. B.) i n Kauf genommen werden®. I n den übrigen Fällen lagen sonstige Gründe vor (ζ. B. Ermittlungen wegen landesverräterischer Beziehungen; die erwartete Heirat m i t einem Deutschen blieb aus). 4Λ.2.3. Lehre, Praktikum,

Information

Lehrlingen, Praktikanten und Informanden wurde die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis 1967/68 i n keinem einzigen Falle versagt. 4.1.2.4. Studium und Fachschulausbildung Der Polizeipräsident i n Berlin verlängerte Studierenden und Fachschülern die Aufenthaltserlaubnis i n der Regel für ein Semester, wenn die i n Abschnitt 3.2.1.4.4. genannten Voraussetzungen weiterhin vorlagen. Die Verlängerung wurde i n einunddreißig (1967: sechzehn; 1968: fünfzehn) Fällen abgelehnt. Diese betroffenen Ausländer gehörten fast durchweg Entwicklungsländern (insbesondere mohammedanischen Staaten) an. I n acht Fällen fehlten dem betroffenen Ausländer die erforderlichen Geldmittel. Soweit es sich um Studierende i n den Anfangssemestern handelte, ist die Praxis der Berliner Ausländerbehörde vertretbar. Haben die Ausländer jedoch einen großen Teil ihrer Ausbildung schon absolviert, erscheint es nicht angebracht, die Verlängerung schlechthin zu versagen. Es erscheint sinnvoll, ihnen zumindest probeweise zugleich eine Nebentätigkeit zu gestatten, zumal die Anfangsschwierigkeiten meist überwunden sein werden. Viele deutsche Studierende befinden sich i n einer ähnlichen Lage. Auch der Besuch von Abendkursen bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit tagsüber bietet eine Möglichkeit, die finanziellen Schwierigkeiten zu beheben und trotzdem einer Ausbildung nachzugehen (in zwei Fällen wurden entsprechende Aufenthaltserlaubnisanträge jedoch abgelehnt). 8 a. A. die Berliner Ausländerbehörde i n dem Falle eines Syrers: es bestehe kein Interesse an außereuropäischen Arbeitnehmern; vgl. hierzu auch Hummel, i n : Studentische P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 73 (75).

1 0 6 4 .

Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

Soweit die Ausländer ihr Studium noch gar nicht aufgenommen (fünf) oder es abgebrochen (vier) hatten oder die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllten (drei), sind die Versagungen der Ausländerbehörde nicht zu beanstanden. Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis i n diesen Fällen würde lediglich dazu führen, daß die Betroffenen illegal arbeiten. I n mehreren Fällen wurde die Verlängerung auch abgelehnt, weil die Antragsteller — wie wohl noch immatrikuliert — nicht ordnungsgemäß studierten (einer) oder eine Zwischen- oder Abschlußprüfung nicht bestanden hatten (fünf). Hier maßte sich die Ausländerbehörde eine Aufgabe an, die ihr nicht zukommt. Es ist — wie auch der Senator für Inneres von Berlin i m Mai 1969 feststellte — Sache der Hoch- und der Fachschulen zu entscheiden, ob ein Ausländer seine Ausbildung fortsetzen darf oder nicht, zumal sie über die entsprechende Sachkenntnis verfügen. Ähnlich liegen die Fälle, bei denen die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängerte, weil der Ausländer das Studienfach gewechselt hatte. Dies Ausländern zu verwehren, heißt — wie i n der vorigen Fallgruppe — sie ohne rechtlichen Grund schlechter zu behandeln als deutsche Studierende, zumal es Ausländer generell schwieriger haben (Sprach- und Eingewöhnungsschwierigkeiten usw.). — Gerade beim Wechsel von der Hochschule zur Fachschule ist die Versagung nur wegen des Wechsels nicht zu verstehen. Denn es ist wenig sinnvoll, jemanden nach einigen Semestern Studium ohne Abschlußexamen in die Heimat zurückzuschicken. Oft stellt sich auch erst i n Deutschland heraus, daß eine Fachschulausbildung der Begabung und den Fähigkeiten des Ausländers eher entspricht. 4.1.2.5. Besuch Der zurückhaltenden Praxis der Berliner Ausländerbehörde bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an ausländische Besucher entsprach eine restriktive Praxis bei der Verlängerung. M i t einer Verlängerung konnten vor allem ausländische Ehefrauen deutscher Ehemänner sowie Ehefrauen und minderjährige Kinder von ausländischen Arbeitskräften, die schon längere Zeit hier tätig waren und die über eine Wohnung verfügten, rechnen. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde 1967 und 1968 nur je einem Ausländer verwehrt: einem Israeli (mit der Begründung, seine Wiedergutmachungsansprüche könne er auch vom Ausland her verfolgen) und einem Türken (der zum Besuch seiner i n Berlin tätigen Familie eingereist war). Die Widerspruchsbehörde hob jeweils den

4.1. Die Ermessensentscheidungen

107

Bescheid auf und wies die Ausländerbehörde an, die Aufenthaltserlaubnis wie beantragt zu verlängern. 4.1.2.6. Sonstige Zwecke Eine besondere Gruppe bilden auch unter den Verlängerungsentscheidungen diejenigen sechs (1967: einer; 1968: fünf) Fälle, i n denen die Berliner Ausländerbehörde i n erster Linie die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit gemäß § 5 Abs. 1 DVAuslG ablehnte, zugleich aber auch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für sonstige Zwecke i m Wege des Ermessens versagte. I n einem Falle (1968) lehnte die Behörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis „für sonstige Zwecke" ab, weil der Antragsteller ohne Geldmittel war. — I n zwei Fällen (1968) war der vom Antragsteller erklärte Aufenthaltszweck (Arbeitsaufnahme) der Versagungsgrund. — I n einem Fall (1968) hieß es i n der Begründung: „ M i t dem Abbruch des Studiums sei der Aufenthaltszweck erfüllt." — I n den beiden übrigen Fällen schließlich versagte die Behörde die Verlängerung „zu sonstigen Zwecken" wegen des „gesamten Sachverhalts" (1967 und 1968 i n je einem Fall). — Gegen den Tenor dieser Entscheidung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Denn die Behörde hatte sich bei ihren Entscheidungen ersichtlich davon leiten lassen, eine illegale Erwerbstätigkeit oder den Bezug von Sozialhilfe von vornherein zu verhindern. — I n rechtstechnischer Hinsicht waren jedoch alle sechs Bescheide i n gleicher Weise angreifbar wie die i n Abschnitt 3.2.1.4.6. erörterten Fälle (Ablehnung von Erstanträgen). 4.1.3. Die Änderung der Auflagen und Bedingungen (einschließlich der Fälle gleichzeitiger Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis)

Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis durch Änderung der Auflagen und Bedingungen ist — anders als die Einschränkung — i m Ausländergesetz nicht ausdrücklich geregelt. Sie ist gleichwohl ohne weiteres zulässig. 4.1.3.1. Die unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis insbesondere der Gewerbetreibenden Die Umwandlung von durch Auflagen oder Bedingungen beschränkten Aufenthaltserlaubnissen i n unbeschränkte Aufenthaltserlaubnisse, um den Ausländern eine Gewerbeausübung zu ermöglichen, erfolgte grundsätzlich i n denselben Fallgruppen wie die Erteilung der unbeschränkten Aufenthaltserlaubnis. I n der Regel wurde einfach die die

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4. Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

Gewerbeausübung ausschließende Auflage ersatzlos gestrichen. I n einem Falle wurde an die Stelle der Auflage „nur für Studienzwecke" die Bedingung „nur gültig zur Gewerbeausübung als Teilhaber der Firma „Enterprise GmbH" gesetzt. I n fünfzehn Fällen (1967: dreizehn; 1968: zwei) 4 wurde die Umwandlung der Aufenthaltserlaubnis i n eine solche, die auch die Gewerbeausübung umfaßt, versagt. Die Antragsteller hatten zumeist die Absicht, ein Handels- oder ein Dienstleistungsgewerbe zu betreiben. I m einzelnen handelte es sich um folgende Gewerbe: — Gaststätten (sechs), — Herstellung von Keramikschmuck, — Fleischerei, — Flickschneiderei, — Schreib- und Übersetzungsbüro, — Handel m i t Elektrogeräten bzw. m i t Teppichen, — Handelsvertretung i n Elektrogeräten und — Gebäudereinigung und Fußbodenverlegerei. Die Versagung wurde stets auf öffentliche Interessen gestützt. I n zwei Fällen lag ein Ausweisungsgrund vor. I n einigen Fällen (vier) wurde die Entscheidung damit begründet, es fehle ein öffentliches Interesse an der Gewerbeausübung, zumeist jedoch (sieben Fälle) wurde darauf hingewiesen, daß es i m deutschen Interesse liege, wenn die ausländischen Arbeitskräfte entsprechend dem Zweck ihrer Einreise und der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnis als Arbeitnehmer i n die deutsche Wirtschaft eingegliedert blieben 5 . — Diese Praxis ist nicht zu beanstanden, soweit sich die Berliner Ausländerbehörde auf eine Stellungnahme des Senators für Wirtschaft von Berlin berufen konnte. Denn diese oberste Landesbehörde kann weit besser als eine Polizeibehörde beurteilen, was i m Interesse der Berliner oder deutschen W i r t schaft liegt. Teilweise lehnte es der Polizeipräsident i n Berlin auch ab, dem Ausländer eine Gewerbeausübung zu ermöglichen, ohne daß er überhaupt die Wirtschaftsbehörde einschaltete bzw. obwohl diese eine Gewerbeausübung befürwortet hatte. Dahinter standen, wie sich aus einem allgemeinen Vermerk vom 28. J u n i 1968 ergab, folgende Überlegungen: Die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland; die A u f nahme eines selbständigen Gewerbes führe zum Nachzug eines weite4 I n zwei weiteren Fällen gab die Ausländerbehörde Widerspruch statt. 5 Kritisch hierzu Zuleeg, i n : D Ö V 1973, 361 (368).

dem eingelegten

4.1. Die Ermessensentscheidungen

109

ren Ausländers, der den Arbeitsplatz des Gewerbetreibenden einnehme. Abgesehen davon seien Verstöße gegen wirtschaftliche und hygienische Vorschriften häufiger als bei Deutschen. Auch seien Gaststätten von Ausländern oft Ausgangspunkt für kommunistische oder sonstige Wühlarbeit. — Dem ist entgegenzuhalten, daß die Zahl der Ausländer nicht dadurch erheblich ansteigt, daß innerhalb von zwei Jahren noch weitere fünfzehn Ausländer eine Gewerbetätigkeit aufnehmen; ferner, daß bei Verstößen gegen die oben genannten Vorschriften die nachträgliche Einschränkung der Aufenthaltserlaubnis und die Ausweisung ausreichende Steuerung ermöglichen; dies gilt auch i n Fällen der — bisher kaum praktisch gewordenen — kommunistischen oder sonstigen Wühltätigkeit von Gewerbetreibenden. Soweit bei den Versagungen der Auflagenänderung der Schutz der deutschen Gewerbetreibenden vor Konkurrenz und die Befürchtung eine Rolle spielten, ausländische Gewerbetreibende könne man i m Falle einer Wirtschaftskrise kaum „loswerden" (so ebenfalls der oben genannte Vermerk), maßte sich die Ausländerbehörde Aufgaben der Wirtschaftslenkung an, die ihr nur i m Zusammenwirken m i t dem Senator für Wirtschaft von Berlin zukommt. Nicht zu beanstanden ist dagegen i n der Regel die Praxis der Berliner Ausländerbehörde, Ausländern aus Entwicklungsländern, die gerade ihre Ausbildung i n Deutschland abgeschlossen hatten, die Auflagenänderung m i t der Begründung zu versagen, daß das Interesse ihres Heimatlandes und der Sinn der Entwicklungshilfe eine Rückkehr verlangten. I m übrigen ist festzustellen, daß bei den untersuchten Entscheidungen der Ausländerbehörde die Länge des Aufenthaltes 6 , die A r t der Vorbildung und der Umstand, daß die Ausländer mit deutschen Ehefrauen (vier Fälle) verheiratet waren, in den untersuchten Fällen nicht entscheidend zugunsten der Antragsteller ins Gewicht fielen. 4.1.3.2. Unselbständige

Erwerbstätigkeit

Der Umwandlung einer Aufenthaltserlaubnis, die eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet, i n eine solche, die dem Ausländer auch eine unselbständige Erwerbstätigkeit gestattet, stand die Berliner Ausländerbehörde i m Untersuchungszeitraum 1967/68 äußerst zurückhaltend gegenüber. M i t einer entsprechenden Umwandlung konnten lediglich rechnen: — Ausländer aus Entwicklungsländern für eine praktische Tätigkeit von nicht länger als zwei Jahren i m Anschluß an ihr Studium, falls 6 A l l e Antragsteller hatten sich mindestens anderthalb Jahre i m Bundesgebiet aufgehalten, über 50°/o länger als fünf, über 2 0 % sogar länger als zehn Jahre.

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4. Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

ihr Heimatland einverstanden war (diese Tätigkeit w i r d als Bestandteil der Ausbildung angesehen, vor allem bei gleichzeitiger Promotion); — Ehefrauen und unmündige Kinder von Gastarbeitern. Die Änderung der Aufenthaltserlaubnis wurde insgesamt siebenundsechzig (1967: dreißig; 1968: siebenunddreißig) mal versagt. Auch hier war der A n t e i l der Ausländer aus mohammedanischen Staaten sehr groß (mehr als 50 €/o). Die betreffenden Ausländer hatten regelmäßig schon eine längere Zeit i n der BRD verweilt; die meisten von ihnen (siebenundfünfzig) hatten beabsichtigt, nach Beendigung ihrer Ausbildung hier einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen (einer i m Anschluß an die Lehre, sechzehn i m Anschluß an ein Praktikum, vierzig i m Anschluß an ein Studium oder eine Fachschulausbildung; die Hälfte von diesen vierzig hatten die Ausbildung wegen schlechter Leistungen oder aus Geldmangel abgebrochen). Die Ausländerbehörde begründete ihre ablehnende Entscheidung bei erfolgreichem 7 Studium regelmäßig damit, daß der Sinn der Ausbildung (und der Sinn der Entwicklungshilfe) es erfordere, daß die Ausländer nunmehr ihre Kenntnisse i n ihrer Heimat verwerteten 8 . Hiergegen ist nichts einzuwenden, wenn i n dem betreffenden Land ein echter Nachholbedarf an Arbeitskräften des erlernten Berufes besteht. Gerade dies ist aber häufig nicht der Fall. Es gibt nämlich eine Reihe von Staaten m i t zahlreichen Absolventen von Hoch- und Fachschulen, die nicht ihrer Ausbildung gemäß eingesetzt werden können, weil die entsprechenden Industriezweige fehlen. I n Indien ζ. B. haben von 3,4 Millionen registrierten Arbeitslosen 215 000 eine abgeschlossene Hochschulausbildung. Von den 300 000 indischen Ingenieuren sind fast 65 000 ohne Arbeitsplatz (meist HtL.-Ingenieure). Selbst von den Absolventen des angesehenen, mit Hilfe der BRD errichteten und geführten Instituts für Technologie i n Madras findet kaum mehr als die Hälfte eine Anstellung 9 . — Sogar i n Ländern wie Griechenland arbeiten Aka7 Verschiedentlich führte der Polizeipräsident i n B e r l i n dies auch bei erfolglosem Abbruch der Ausbildung an. Gelegentlich meinte er auch, der Bedarf an Arbeitskräften sei m i t Vorrang aus den EWG-Staaten zu decken. 8 Vgl. B V e r w G , i n : D Ö V 1973, 427, Nr. 171; V G Bremen, i n : M D R 1971, 426 u n d Kloesel, a.a.O., S. 603 f.; Weißmann, AuslG, § 7 Anm. 6 g. 9 Vgl. den Spiegel v o m 4. Januar 1971, S. 73 (74); Hilfsmaßnahmen für arbeitslose Ingenieure, die das indische (Unions-)Ministerium für Arbeit, Wohnungsbau u n d Städteplanung i m Dezember 1970 angekündigt hat, w e r den n u r langsam Abhilfe bringen; vgl. The H i n d u (Madras) v o m 18. Dezember 1970, S. 12 u n d Hartmann, i n : Entwicklung u n d Zusammenarbeit 1971, Heft 2, S. 16.

4.1. Die Ermessensentscheidungen

111

demiker als Bäcker oder Straßenbahnschaffner. — Ein anderes Beispiel: Für Diplom-Volkswirte gibt es i n den meisten Ländern der d r i t ten Welt keine angemessene Beschäftigungsmöglichkeit. — Die von Arbeitslosigkeit i n ihrem Heimatland bedrohten Ausländer müssen es als Verhöhnung empfinden, wenn ihnen eine Erwerbstätigkeit unter Hinweis auf den m i t der Entwicklungshilfe verfolgten Zweck versagt wird. — Auch der vom OVG Berlin empfohlene Weg, vorübergehend i n anderen Ländern der dritten Welt zu arbeiten, ist oft nicht gangbar. Denn zahlreiche Staaten behalten die Arbeitsplätze eigenen Staatsangehörigen vor (vgl. z.B. die Ausweisung von Indern aus ostafrikanischen Staaten oder aus Ceylon; die „Ugandisierung" i n Uganda). Angesichts dieser tatsächlichen Verhältnisse ist von der Ausländerbehörde für Staaten und Berufe jeweils gesondert festzustellen 10 , ob ein Bedarf an Arbeitskräften besteht. Regelmäßig w i r d es sich empfehlen, Kontakt mit der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung i n Frankfurt, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder mit den diplomatischen Vertretungen der betreffenden Heimatstaaten aufzunehmen, auch wenn Verzögerungen und Gefälligkeitsbescheinigungen nicht auszuschließen sein werden. Eine Ausländerbehörde, die — wie der Polizeipräsident i n Berlin — jegliche Tatsachenfeststellung i n dieser Richtung unterläßt, sondern sich allenfalls auf vage Vermutungen stützt, übt ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß aus 11 . Sie setzt sich zudem dem starken Verdacht aus, daß sie mit ihrem Hinweis auf den Sinn der Entwicklungshilfe nur ihre wahren Versagungsgründe verschleiern w i l l . Die übrigen sieben Ausländer hatten sich bislang als Besucher i n der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten (unter ihnen auch vier Jugoslawen bzw. Türken, deren Ehegatten bzw. Eltern hier als sog. Gastarbeiter tätig waren). I n der Begründung hieß es meist nichtssagend, der „Aufenthaltszweck ist erfüllt" — so, als ob es unvorstellbar sei, daß ein Ausländer den Zweck seines Aufenthaltes i n Deutschland verändere. Vermutlich sollte diese Begründung die Absicht der Ausländerbehörde verhüllen, die Arbeitsaufnahme von Ausländern aus osteuropäischen bzw. Entwicklungsländern sowie von Verwandten hier tätiger sog. Gastarbeiter zu verhindern. — I n einigen wenigen Fällen (drei) wurde der Antrag abgelehnt, weil ein Ausweisungsgrund vorlag.

10 Vgl. Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (116); dies schlägt auch der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit vor. 11 So zu Recht Rittstieg, a.a.O., S. 116; kritisch auch Zuleeg, i n : DÖV 1973, 361 (367).

112

4. Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

4.2.3.3. Lehre, Praktikum

und Information

1967/68 wurde es zweimal abgelehnt, Ausländern, die eine Aufenthaltserlaubnis als Praktikant bzw. als Tourist besaßen, durch Änderung der Nebenbestimmungen die Absolvierung einer Lehre zu ermöglichen. Es handelte sich i n beiden Fällen u m Ausländer aus Entwicklungsländern. — I n dem einen Fall war die Entscheidung der Ausländerbehörde nicht zu beanstanden: Die Höhe des Lehrgeldes von 500,— D M ließ darauf schließen, daß ein verschleiertes Arbeitsverhältnis vorlag. — I n dem anderen Fall wünschte eine junge Frau aus Ghana, nachdem sie ein von ihrem Staat finanziertes Praktikum als Näherin absolviert hatte, das Schneiderhandwerk zu erlernen. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, die betreffende Ausländerin hätte hierfür keine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks erhalten, hätte sie eine solche Aufenthaltserlaubnis vor ihrer Einreise beantragt. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, daß die Berliner Ausländerbehörde unter Hinweis auf Ordnungsbestimmungen Anträge restriktiv behandelt, ohne i n der Sache auf den Antrag einzugehen. — Die Änderung der Nebenbestimmungen der Aufenthaltserlaubnis derart, daß eine Praktikantentätigkeit erlaubt wäre, wurde einmal (1967) abgelehnt — ebenfalls mit der nichtssagenden Begründung, der Antragsteller sei ursprünglich ohne Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks eingereist. 4.1.3.4. Studium und Fachschulausbildung 1967/68 lehnte es der Polizeipräsident siebenmal (1967: sechsmal; 1968: einmal) ab, Ausländern, die eine Aufenthaltserlaubnis für einen Aufenthalt als Praktikant, Besucher oder Tourist besaßen, durch Änderung der Nebenbestimmungen den Besuch einer Hoch- oder einer Fachschule zu ermöglichen. Es handelte sich i n allen Fällen u m Ausländer aus Entwicklungsländern. Drei Versagungsgründe waren zu unterscheiden: — Fehlen der Voraussetzungen der Zulassung zur Hoch- bzw. zur Fachschule (dies prüfte die Behörde selbst) (drei Fälle); — Mangel an Geld (zwei Fälle); — Erfüllung des Besuchszwecks; — Vorliegen eines Ausweisungsgrundes. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Die Lehrformel „Der Besuchszweck ist erfüllt" wurde anscheinend auch hier benutzt, weil stichhaltige Versagungsgründe fehlten. Warum ein Ausländer daran gehindert werden soll, den Zweck seines Aufenthaltes zu ändern, ist nicht recht einzu-

4.2. Die auf § 5 Abs. 1 D V A u s l G gestützten Entscheidungen

113

sehen. — Inwieweit die Ausländerbehörde ihre Entscheidungen i n der Befürchtung traf, die Antragsteller würden während ihres Besuchsaufenthaltes „schwarz" arbeiten, ließ sich den Akten nicht entnehmen. — Die Entscheidungen i n den übrigen Fällen sind hingegen m. E. nicht zu beanstanden. 4.2. Die auf § 5 Abs. 1 DVAuslG gestützten Entscheidungen Die Anwendung des § 5 Abs. 1 DVAuslG setzt voraus, daß einer der dort genannten Tatbestände bereits i m Zeitpunkt der Einreise gegeben ist. T r i t t ein solcher Tatbestand erst nach der Einreise ein, so braucht die erforderliche Aufenthaltserlaubnis erst nach der Einreise eingeholt zu werden 1 2 . M i t anderen Worten: Besitzt ein i m Bundesgebiet weilender Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, die ihm den Aufenthalt als Student, Besucher oder Tourist gestattet, so kann die Aufenthaltserlaubnis i m Inland (durch Änderung der Auflagen oder Bedingungen) derart verändert werden, daß der Ausländer auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen darf — es sei denn, er hatte schon bei der Einreise die Absicht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine andere Auslegung wäre widersinnig und m i t dem Sinn und Zweck der Vorschriften über den Sichtvermerk nicht zu vereinbaren. Die Frage, ob die Erwerbsabsicht schon bei der Einreise vorlag oder nicht, hat die Ausländerbehörde von sich aus aufzuklären. Denn das Verwaltungsrecht ist vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht. Nur wenn sich jene Tatsache nicht aufklären läßt, greift der allgemeine Grundsatz ein, daß die Folgen der Unaufklärbarkeit denjenigen treffen, der sich auf das Vorliegen einer i h m günstigen Tatsache beruft, d. h. hier den Ausländer als Antragsteller. Insoweit ist AuslGVwv Nr. 3 zu § 5 nicht unbedenklich. Danach ist nämlich, wenn ein Ausländer i m Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben will, bis zum Beweise des Gegenteils anzunehmen, daß eine solche Absicht bereits i m Zeitpunkt der Einreise bestanden hat. Von der Verpflichtung der Ausländerbehörde, dies von sich aus aufzuklären, ist dagegen nicht die Rede. Bezüglich der Beweislast ist der Ausländer ohnehin oft i n einer mißlichen Lage, da er mit dem Beweis einer negativen inneren Tatsache — des Nichtvorhandenseins der Erwerbsabsicht bei der Einreise — belastet ist. Negative Tatsachen sind sehr häufig schwieriger zu beweisen als positive. Bendix 1 3 spricht daher nicht ganz zu Unrecht von einer „probatio diabolica". Deshalb hat es auch das BGB weitgehend vermie12 13

A u s l G V w v Nr. 3 zu § 5. Bendix, Zur Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters, S. 100.

8 Schüler

1 1 4 4 .

Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

den, die Entstehung eines Rechtes von einem Nichtgeschehen abhängig zu machen 14 . — I m Ausländerrecht werden sich unangemessene Ergebnisse nur vermeiden lassen, wenn die Anforderungen an den Beweis jener Tatsachen nicht allzu hoch geschraubt werden. — Die Berliner Ausländerbehörde lehnte es i m Untersuchungszeitraum i n zweiundachtzig 15 Fällen (1967: einundfünfzig; 1968: einunddreißig) unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 DVAuslG ab, die Aufenthaltserlaubnis von legal eingereisten Ausländern durch Beseitigung einschränkender Auflagen und Bedingungen derart zu verändern, daß den betreffenden Ausländern (Studenten, Touristen oder sonstigen Besuchern) künftig auch eine Erwerbstätigkeit erlaubt wäre (in dreiundvierzig Fällen wurde die Entscheidung allerdings zugleich auch auf Ermessenserwägungen gestützt). Auffällig ist auch hier, daß knapp 3 A der betroffenen Ausländer aus Entwicklungsländern stammte, wobei der Anteil der Staatsangehörigen aus islamischen Ländern fast 2/s betrug. Nur etwa 2 °/o der Ausländer stammte aus westeuropäischen, rund 5 °/o aus osteuropäischen und ungefähr 12 °/o aus sog. Anwerbeländern. Der Zeitraum, der zwischen der Einreise und dem Antrag des Ausländers lag, war oft beträchtlich. Er betrug — i n sieben Fällen weniger als drei Monate; — i n vier Fällen drei bis sechs Monate; — i n elf Fällen sechs bis zwölf Monate; — i n sechzig Fällen mehr als ein Jahr (davon in zwei Fällen sechs Jahre, i n einem Fall sogar zehn Jahre!). Die Länge dieses Zeitraums ist ein wichtiges Indiz für die Beurteilung der Frage, ob der Ausländer schon bei der Einreise die Absicht hatte, i m Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Beträgt dieser Zeitraum nur wenige Tage oder Wochen, so kann i n aller Regel davon ausgegangen werden, daß die Erwerbsabsicht schon vor der Einreise bestand. Solche Fälle kommen ab und zu vor: Unter dem Vorwand, i n der BRD Verwandte zu besuchen, sich einer ärztlichen Behandlung unterziehen zu wollen oder Tourist zu sein, reisen manche Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis oder m i t Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks, eingeschränkt durch die Auflage „nur 14 Hierzu u n d zum Beweis von Negativen i m allgemeinen vgl. Rosenberg, Die Beweislast, § 25 (S. 330 ff., insb. S. 333). 15 I n vier weiteren Fällen hatte die Ausländerbehörde den A n t r a g erst abgelehnt, dem eingelegten Widerspruch jedoch jeweils abgeholfen. Hierbei w a r i n drei Fällen die Überlegung maßgebend, den betreffenden ausländischen Studenten ein V o r p r a k t i k u m bzw. die Finanzierung ihres Studiums bzw. ihrer Dissertation zu ermöglichen; i n dem vierten F a l l hatte die F ü r sprache des Arbeitgebers den Ausschlag gegeben.

4.2. Die auf § 5 Abs. 1 D V A u s l G gestützten E n t s c h e i d u n g e n 1 1 5

zum Besuch", ein, u m alsbald nach dem Grenzübertritt die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit zu beantragen. I n diese Kategorie von Ausländern, welche die deutschen Einreisebestimmungen umgehen wollen, waren i m Untersuchungszeitraum nach dem ersten Anschein zehn einzuordnen. Genaueres ließe sich allerdings nur sagen, wenn sich die Ausländerbehörde an den Amtsermittlungsgrundsatz gehalten und den Sachverhalt näher aufgeklärt hätte. — Dies hätte auch i m Falle von acht weiteren ausländischen Besuchern nahegelegen, da bei ihnen besondere Umstände vorlagen. Bei ihnen handelte es sich u m — einen libanesischen Facharbeiter, der wegen falscher Auskunft einer deutschen Auslandsvertretung nur mit einer auf Besuchszwecke beschränkten Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks eingereist war; — einen Armenier ägyptischer Staatsangehörigkeit, der nach einem Besuchsaufenthalt von IV4 Jahren, — einen mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateten indischen Chemiker und Braumeister, der nach einem Besuchsaufenthalt von acht Monaten um die Erlaubnis für eine Erwerbstätigkeit nachsuchte (die Ausländerbehörde riet ihm, eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks i n Grenznähe zu beantragen, was er dann auch i n London tat); — fünf Ausländerinnen, deren Ehemänner i n Berlin arbeiteten oder studierten, während sie sich mehrere Monate lang als Hausfrauen i n Berlin aufgehalten hatten (seit Mitte 1968 allerdings können Ehefrauen von i n Berlin tätigen Gastarbeitern damit rechnen, daß ihnen eine unselbständige Erwerbstätigkeit ermöglicht w i r d : Da die Berliner Wirtschaft vor allem ungelernte weibliche Arbeitskräfte benötigt, w i r d bei solchen Ehefrauen unterstellt, daß sie die Absicht der Erwerbstätigkeit erst nach ihrer Einreise gefaßt haben. Dies ist ein Beispiel für das „ H i n und Her zwischen Tatsachen und Rechtssätzen", von dem Bendix 1 6 spricht: Gewollte Ergebnisse werden einmal so, einmal so begründet.). Unter den übrigen Ausländern sind folgende Gruppen zu unterscheiden: — neunundzwanzig Ausländer, die ihr Studium (zweiundzwanzig), ihren Deutschkursus (drei), ihr Volontärverhältnis (einer) oder ihre Fortbildung (drei) abgebrochen hatten und nunmehr eine reguläre Arbeitstätigkeit aufzunehmen wünschten; 16



Bendix, Z u r Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters, S. 144.

1 1 6 4 .

Die nachträgliche Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis

— zwanzig ausländische Studierende, die wegen Verschlechterung ihrer finanziellen Lage (Heirat bzw. Nachwuchs, Wegfall der elterlichen Unterstützung wegen Todes der Eltern, Zerwürfnisses oder Bürgerkrieges i n der Heimat; Studium länger und teurer als erwartet) neben ihrem Studium arbeiten wollten; — zwei Ausländer, die sich nach Abbruch ihres Studiums die Heimreisekosten verdienen wollten; — ein Ausländer, der vor Beginn seines Studiums noch ein Praktikum zu absolvieren hatte; — ein Student, der nach Studienwechsel bis zur Fortsetzung seiner Ausbildung vorübergehend arbeiten wollte; — ein Lehrling, der seine Lehre unterbrochen hatte, um erst seine Deutschkenntnisse zu verbessern; eine unselbständige Erwerbstätigkeit sollte i h m das finanziell ermöglichen; — ein Handwerker, der nach seiner Gesellenprüfung noch bis zur Meisterprüfung i m Bundesgebiet arbeiten wollte; — ein Ausländer, der trotz Einreise ohne den erforderlichen Sichtvermerk ausnahmsweise eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit dem Hinweis erhalten hatte, sie werde nicht verlängert werden; — acht Ausländer (zumeist Araber), die vor längerer Zeit als Tourist ohne den erforderlichen Sichtvermerk eingereist waren, aber trotzdem jahrelang eine Aufenthaltserlaubnis mit der Befugnis zu arbeiten erhalten hatten. I n einem Achtel der untersuchten Fälle führte der Antrag der Ausländer, ihnen i m Wege der Auflagenänderung eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, zu einem unerwarteten Ergebnis: Unter Ablehnung des Antrages verkürzte die Ausländerbehörde gemäß § 7 Abs. 4 AuslG die Geltungsdauer der vorhandenen Aufenthaltserlaubnis. Die Befristung — sie betrug regelmäßig nur zwei bis drei Wochen — wurde mit dem Mangel an finanziellen M i t t e l n begründet, worauf die Ausländer regelmäßig i n ihren Anträgen hingewiesen hatten. Den untersuchten Verwaltungsentscheidungen ist zu entnehmen, daß die Berliner Ausländerbehörde die Sichtvermerksvorschriften 1967/68 i n zahlreichen Fällen auch bei Anträgen auf Änderung von Auflagen und Bedingungen der Aufenthaltserlaubnis extensiv anwandte. I n keinem einzelnen Falle versuchte sie aufzuklären, ob der Ausländer die Erwerbsabsicht erst nach der Einreise gefaßt hatte, obwohl dies bei Ausländern, die sich schon längere Zeit i m Bundesgebiet aufgehalten hatten, stets nahelag. Deswegen entstand beim Verfasser vielfach der Eindruck, daß die Ausländerbehörde § 5 Abs. 1 DVAuslG vielfach aus rechtlichen Gründen anwandte, d. h. der Auffassung war, daß § 5

4.2. Die auf § 5 Abs. 1 D V A u s l G gestützten Entscheidungen

117

Abs. 1 DVAuslG bei Anträgen auf eine Aufenthaltserlaubnis für Erwerbszwecke stets anzuwenden sei, gleich, wann die Erwerbsabsicht gefaßt wurde. Hierfür spricht auch der Wortlaut der Verfügung: I n keinem einzigen Falle wurde i n der Begründung des Bescheides ausgeführt, daß die Erwerbsabsicht schon bei der Einreise vorhanden gewesen sei. Weswegen die Ausländerbehörde § 5 Abs. 1 DVAuslG generell auch bei der Änderung von Nebenbestimmungen der Aufenthaltserlaubnisse anwandte, ist schwer festzustellen. Vermutlich spielten mehrere Überlegungen eine Rolle: 1. Die Furcht vor Arbeitsüberlastung 17 (Eine Ablehnung nach § 5 Abs. 1 DVAuslG kann formularmäßig erfolgen; schwierige, u. U. angreifbare Ermessenserwägungen können gänzlich entfallen. — Manchmal allerdings reisten die betreffenden Ausländer aus und stellten vom Ausland aus einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks, dem nur dann stattgegeben werden darf, wenn die Behörde, in dessen Bereich sich der Ausländer aufhalten w i l l , zustimmt. I n diesen Fällen kommt die Ausländerbehörde u m Ermessenserwägungen also i n keinem Falle herum (1967 ein Fall)). 2. Die Anwendung von § 5 Abs. 1 DVAuslG führt zu dem gewünschten Ergebnis, daß Ausländern — insbesondere Außereuropäern — eine Erwerbstätigkeit verwehrt wird. 3. Dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit kann man leicht m i t dem Hinweis begegnen, das Gesetz lasse keine andere Entscheidung zu.

17

Vgl. Bendix, a.a.O., S. 102 i n Bezug auf Rechtsmittelgerichte.

5. Die nachträgliche Einschränkung von Nebenbestimmungen Nach § 7 Abs. 4 AuslG 1 kann die Aufenthaltserlaubnis nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie mit Bedingungen und Auflagen versehen werden. Diese nachträglichen Verfügungen können unter den gleichen Voraussetzungen getroffen werden wie die bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verfügten Einschränkungen. Dabei ist unerheblich, ob der Grund für die einschränkende Nebenbestimmung von Anfang an bestanden hat oder nachträglich eingetreten ist 2 . — Allgemeine Voraussetzung für die nachträgliche Einschränkung ist, daß diese zur Wahrung öffentlicher Interessen geboten erscheint (AuslGVwv Nr. 21 zu § 7). 5.1. Die nachträgliche räumliche Beschränkung I m Untersuchungszeitraum 1967/68 schränkte der Polizeipräsident i n Berlin i n keinem einzigen Falle eine für das gesamte Bundesgebiet geltende Aufenthaltserlaubnis nachträglich räumlich ein. § 7 Abs. 4 AuslG stand also insofern lediglich auf dem Papier. 5.2. Die nachträgliche zeitliche Beschränkung I n zeitlicher Hinsicht beschränkte die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 vierzehn Aufenthaltserlaubnisse nachträglich. I n der Hauptsache sah sich die Ausländerbehörde wegen des Vorliegens von Ausweisungsgründen zu diesem Verhalten veranlaßt (sechs Fälle). I m einzelnen handelte es sich um: — die Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG); — ansteckende Krankheit (Tbc, § 10 Abs. 1 Nr. 9 AuslG; zwei Fälle) und — um Sozialhilfe (§ 10 Abs. 1 Nr. 10 AuslG, drei Fälle). 1 I m Gegensatz zur h. M. hält Zuleeg (in: DÖV 1973, 361/367 f.) § 7 Abs. 4 AuslG für verfassungswidrig; vgl. hierzu Rose, i n : JR 1973, 221 (222). 2 So zutreffend Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, AuslG, § 7 Anm. 7; Marxen, Deutsches Ausländerrecht, AuslG, § 7 RdNr. 18; Baier (in: Rote Robe 1970, Heft 3, S. 3/8) hält § 7 A u s l G zu Unrecht wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip u n d gegen das Zusatzprotokoll I V zur M e n schenrechtskonvention für rechtswidrig.

5.2. Die nachträgliche zeitliche Beschränkung

119

Hier ist festzustellen, daß die Ausländerbehörde beim Vorliegen leichterer Ausweisungsgründe oft von der Ausweisung absah und auf rechtlich weniger einschneidende Maßnahmen zurückgriff, d. h. auf die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis. Für den Ausländer besteht indessen zwischen nachträglicher zeitlicher Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis und der Ausweisung kaum ein Unterschied. Zwar t r i t t die strenge rechtliche Folge, daß i h m keine A u f enthaltserlaubnis erteilt werden kann (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AuslG), nur i m zweiten Falle ein. Er ist aber i n beiden Fällen genötigt, den relativ gut bezahlten Arbeitsplatz aufzugeben und auszureisen, ohne damit rechnen zu können, bei erneuter Einreise eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Von Interesse ist der Fall eines (selbständigen) spanischen Fotohändlers, der 1961 als Arbeitnehmer i n das Bundesgebiet gekommen war. Die i h m i m Januar 1966 bis September 1968 erteilte Aufenthaltserlaubnis wurde i m Februar 1967 nachträglich zeitlich beschränkt, weil er einem Autohändler für die Benutzung seines Kraftfahrzeuges 8340,— D M schuldete und den Offenbarungseid geleistet hatte. Der Bescheid wurde zwar außerdem auf eine i m November 1965 wegen eines Verkehrsvergehens verhängte Geldstrafe in Höhe von 150,— D M gestützt, doch ließ sich dem Bescheid entnehmen, daß diesem Ausweisungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nur untergeordnete Bedeutung beigemessen worden war. — Diese Entscheidung kann nicht gutgeheißen werden. Zu Unrecht w i r d ein zivilprozessuales Verfahren herangezogen, um eine ausländerrechtliche Maßnahme zu begründen. Diese w i derspricht auch dem (wirtschaftlichen) Interesse des (deutschen) Gläubigers. Denn mit der Ausreise seines ausländischen Schuldners verliert ein deutscher Gläubiger sehr oft die Möglichkeit, seine Forderung zu realisieren. — I n sieben weiteren Fällen wurde die Aufenthaltserlaubnis nachträglich zeitlich beschränkt wegen ungenügender Arbeitsleistungen und häufigen Arbeitsplatzwechsels, wegen Geldknappheit (die betreffenden Studenten hatten daher beantragt, ihnen eine Erwerbstätigkeit zu erlauben), wegen Abbruchs des Studiums bzw., weil dem Ehemann, den die Ausländerin begleitet hatte, die Aufenthaltserlaubnis versagt worden war. Besonders bemerkenswert ist der Fall des deutsch-amerikanischen Schriftstellers Lettau. Seine Aufenthaltserlaubnis wurde nachträglich zeitlich beschränkt, weil er auf einer Veranstaltung des ASTA der F U Berlin und publizistisch Studenten zum Widerstand gegen die Berliner Polizei aufgerufen hatte. Der Bescheid wurde allerdings nach Protesten verschiedener prominenter Schriftsteller und etlicher Studenten- und

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5. Die nachträgliche Einschränkung von Nebenbestimmungen

Jugendverbände von der Aufsichtsbehörde wieder aufgehoben. — Die weniger weitgehende Möglichkeit, diesem Ausländer gemäß § 6 Abs. 2 AuslG die politische Betätigung zu verbieten, war von der Ausländerbehörde nicht erwogen worden. — Welchen Einfluß die Länge des bisherigen Aufenthalts auf die Entscheidung der Ausländerbehörde hatte, konnte nicht festgestellt werden. Denn Ausführungen hierzu fehlten i n den Akten völlig. Jedenfalls hatten sich die betreffenden Ausländer zwischen zehn Monaten und elf Jahren i m Bundesgebiet aufgehalten, bevor ihr Aufenthalt zeitlich beschränkt wurde. I n den untersuchten Fällen liefen die Aufenthaltserlaubnisse i n einer Frist von zwei bis fünf Wochen ab, vom Tage der Verfügung an gerechnet. Irgendwelche Regelmäßigkeiten für die kürzere oder längere Befristung ließen sich nicht feststellen. 5.3. Die nachträgliche Einschränkung durch Änderung von Auflagen und Bedingungen Es konnte kein einziger Fall festgestellt werden, i n dem der Polizeipräsident i n Berlin eine gültige Aufenthaltserlaubnis nachträglich mit (zusätzlichen) Auflagen und Bedingungen (etwa durch Umwandlung der Auflage „nicht für GeWerbezwecke" i n „nur für Besuchszwecke") einschränkte.

6. Die Beschränkung des Aufenthalts gemäß § 7 Abs. 5 AuslG Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 AuslG kann der Aufenthalt eines Ausländers, der keiner Aufenthaltserlaubnis bedarf (§ 2 Abs. 2 und 3, § 49 Abs. 2), nach den Absätzen 1, 3 und 4 beschränkt werden. Diese Vorschrift ermöglicht es, auch bei erlaubnisfreiem Aufenthalt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen: Die Ausländerbehörde hat nicht nur die Alternative, entweder den Aufenthalt des Ausländers weiterhin zu dulden oder ihn auszuweisen, sondern sie kann auch weniger einschneidende Maßnahmen verfügen 1 . Die Berliner Ausländerbehörde hat § 7 Abs. 5 i m Untersuchungszeitraum i n keinem einzigen Falle angewandt, obwohl dies i n etlichen Fällen denkbar gewesen wäre. Die Vorschrift stand also i n Berlin 1967/68 nur auf dem Papier — wohl, weil sie dem betreffenden Beamten gar nicht bekannt oder gegenwärtig war.

1

Vgl. Marxen, a.a.O., § 7 RdNr. 19.

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und über ihre nachträgliche Erweiterung oder Beschränkung I m folgenden soll die Praxis der Berliner Ausländerbehörde bei der Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und über ihre nachträgliche Erweiterung oder Beschränkung unter besonderen einzelnen Aspekten untersucht werden. 7.1. Einzelfragen in sachlicher Hinsicht 7.1.1. Bevölkerungs- und Einwanderungspolitik

Die Struktur der (West-)Berliner Bevölkerung ist äußerst ungünstig. Nur 15,1 °/o der Gesamtbevölkerung waren 1969 unter 15 Jahren alt (im Bundesdurchschnitt 23,9 °/o). Demgegenüber standen 21,7 °/o der Bevölkerung i m Rentenalter (über 65 Jahre alt waren i m übrigen Bundesgebiet dagegen nur 12,5%). — Aber nicht nur die (West-)Berliner Bevölkerung i n ihrer Gesamtheit, auch die Erwerbsbevölkerung ist überaltert. 26 °/o der Erwerbstätigen waren zwischen 55 und 65 Jahre alt, aber nur 17 °/o zwischen 15 und 25 Jahre. — Ungünstig w i r k t e sich auch aus, daß bei der Gruppe der 25- bis 30jährigen ein Männerüberschuß (1165 Männer auf 1000 Frauen) 1 bestand. — Der Satz „Der WestBerliner Lebensbaum steht auf schwachen Füßen" 2 ist daher nur allzu berechtigt. Wegen dieser Bevölkerungsstruktur politik zu Recht als lebensnotwendig fähigkeit und Wachstum der Berliner dendem Maße vom Erfolg einer solchen

ist eine aktive Bevölkerungsbezeichnet worden 3 . LeistungsWirtschaft werden i n entscheiBevölkerungspolitik abhängen.

1 Der Tagesspiegel Nr. 7723 v o m 7. Februar 1971, S. 14; vgl. auch Kranz, i n : Der Arbeitgeber 1972, 648. 2 Der Tagesspiegel, a.a.O.; vgl. auch den Bericht des Senats von B e r l i n über Bevölkerungswanderungen v o n u n d nach B e r l i n ; hierzu der Tagesspiegel Nr. 7988 v o m 22. Dezember 1971, S. 10; vgl. auch den 9. Bericht des Senats von B e r l i n über die Lage der Berliner Wirtschaft u n d die Maßnahmen zu ihrer Weiterentwicklung, Abgeordnetenhaus-Drucksache 6/67 v o m 21. M a i 1971, Nr. 58 ff. auf S. 14 ff. u n d DIW-Wochenbericht 28/1973. 3 Industrie- u n d Handelskammer zu Berlin, i n : Jahresbericht 1969, S. 29 (38); ähnlich Fritz u n d Nawrocki, i n : Deutschlandarchiv 1972, 238 (241) u n d 242 (243 f.); vgl. auch Kanein, i n : N J W 1973, 729 (730).

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

123

Bisher ist eine Verbesserung der Bevölkerungsstruktur trotz aller Bemühungen nicht erreicht worden. Da die Bestrebungen, deutsche Zuwanderer aus dem übrigen Bundesgebiet zu gewinnen, vermutlich auch i n Zukunft nur geringen Erfolg haben werden, kommt nur eine gezielte Hereinnahme von Ausländern i n Betracht. U m so erstaunlicher ist es, daß bevölkerungspolitische Überlegungen 1967/68 i n der Zulassungspraxis der Berliner Ausländerbehörde nach den getroffenen Feststellungen keine irgendwie geartete Rolle gespielt haben (wie überhaupt eine festumrissene Ausländerpolitik allem A n schein nach gefehlt hat 4 ). Bis Ende 1971 erfolgte kaum mehr, als daß der Senator für Inneres von Berlin gelegentlich feststellte, Berlin könne die ständige Niederlassung von einigen tausend Griechinnen gut gebrauchen. — Erst Ende 1971 begann ein vom Senat von Berlin eingesetztes Planungsteam an dem sog. Modell der „bedarfsorientierten Integration" der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien zu arbeiten. Aber auch dessen überarbeiteter, am 3. J u l i 1973 vom Senat von Berlin gebilligter Abschlußbericht „Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien" sieht das Ziel der Integration nur darin, daß den ausländischen Arbeitnehmern (dessen Zahl ungeachtet der Bemühungen u m Erschließung von Reserven deutscher Arbeitskräfte auf 105 000 1975/76 steigen wird) und ihrer Familien i m sozialen Bereich die gleichen Chancen wie der einheimischen Bevölkerung geboten werden. Hierzu hatte der Senator für Arbeit und Soziales von Berlin erklärt, die erklärte Feststellung der Bundesregierung bleibe gültig, daß die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland sei 5 ; dementsprechend ist von einer vollen Integration (die auch den staatsbürgerlichen Bereich einschließen würde) nicht die Rede. — M i t ihrer Praxis stand die Berliner Ausländerbehörde i m Einklang mit den übrigen Ausländerbehörden der BRD. Zwar ist auch i n deren Gebiet die Bevölkerungsstruktur teilweise recht ungünstig. Für 1978/79 und für 2000 ist m i t Rentenbergen zu rechnen. Auch waren Ende 1968 von 1 924 229 registrierten Ausländern fast X U (23,8 °/o) der eingetragenen ausländischen Arbeitnehmer fünf Jahre oder länger i m Bundesgebiet 6 . 4 Auch Becker (in: B A r b B l . 1971, 485/487) meint, daß eine geschlossene Konzeption der Ausländerbeschäftigung dem Staat zu fehlen scheine; ähnlich Rose, i n : JR 1973, 221 (223 ff.); noch schärfer Rittstieg, i n : N J W 1972, 2153; selbst der bayerische Staatsminister des Innern, Merk, scheint davon auszugehen, daß eine ausgewogene Gesamtkonzeption zur Ausländerpolitik fehlt, vgl. dessen Schreiben an den Bundesminister des I n n e r n v o m 27. Dezember 1972 — Nr. I A 2 — 2084 — 2/78 — auf S. 3. 5 Liehr, i n : Berliner Stimme Nr. 49/22 v o m 2. Dezember 1972, S. 8; vgl. auch den „Tagesspiegel" Nr. 8273 v o m 29. November 1972, S. 8 u n d Kranz, i n : Der Arbeitgeber 1972, 648 (651); vgl. auch Rose, a.a.O.; u n d Kanein, a.a.O., S. 631; kritisch zur Frage der Integration Papalekas, i n : Der Arbeitgeber 1971, 389.

124

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

D i e Bereitschaft, m i t i h r e n F a m i l i e n l a n g f r i s t i g , u n t e r U m s t ä n d e n sogar f ü r i m m e r i n der B R D z u b l e i b e n , b e s t a n d sogar b e i fast 40 °/o d e r A u s länder 7. Gleichwohl w u r d e v o n den Ausländerbehörden u n d den Ger i c h t e n i m m e r w i e d e r b e t o n t , daß d i e B R D k e i n E i n w a n d e r u n g s l a n d sei 8 . D e r Bayerische V e r w a l t u n g s g e r i c h t s h o f g e h t sogar s o w e i t z u sagen, daß d i e s t ä n d i g e N i e d e r l a s s u n g v o n A u s l ä n d e r n i n d e r Regel staatliche B e l a n g e b e e i n t r ä c h t i g e 9 . H i e r h i n t e r steht anscheinend d i e F u r c h t v o r Überfremdung, die allerd i n g s n u r selten ausgesprochen w i r d 1 0 . E i n e n ä h e r e E r l ä u t e r u n g des B e g r i f f s w i r d n i c h t gegeben, eine A u s e i n a n d e r s e t z u n g e t w a m i t der U m s c h r e i b u n g des B e g r i f f s d u r c h d i e schweizerische S t u d i e n k o m m i s s i o n ü b e r das P r o b l e m der ausländischen A r b e i t s k r ä f t e ( „ E i n f l u ß v o n n i c h t oder u n g e n ü g e n d a s s i m i l i e r t e n A n g e h ö r i g e n f r e m d e r K u l t u r e n , d e r so s t a r k ist, daß d i e w e s e n t l i c h e n u n d t r a g e n d e n V o r s t e l l u n g e n , d i e d e r eigenen K u l t u r z u g r u n d e liegen, d u r c h f r e m d e V o r s t e l l u n g e n ü b e r deckt w i r d u n d die B e v ö l k e r u n g i h r e L e b e n s v e r h ä l t n i s s e n i c h t m e h r a u f G r u n d e i g e n s t ä n d i g e r K u l t u r g e s t a l t e t " 1 1 ) e r f o l g t n i c h t . Es scheint 6 Nach Franz, i n : N J W 1970, 1012; vgl. hierzu auch Papalekas, a.a.O. und Kottusch, i n : B A r b B l . 1971, 492 (493); Becker, a.a.O., meint sogar, über 2 0 % blieben länger als 7 Jahre; vgl. a u d i Süddeutsche Zeitung v o m 17. Oktober 1972 betreffend eine Verlautbarung des Bundesministers des Innern. 7 Nach Untersuchungen des Instituts für empirische Soziologie i n Saarbrücken; vgl. Zusatzfrage des M d B Slotta, Deutscher Bundestag, 6. Wahlper., 118. Sitzung am 5. M a i 1971, Stenograph. Berichte, S. 6891. 8 So der Parlamentarische Staatssekretär D o h m , i n : Deutscher Bundestag, 6. Wahlper., 42. Sitzung a m 15. A p r i l 1970, Stenograph. Berichte, S. 2125 D ; Liehr, a.a.O., u n d der „Tagesspiegel" Nr. 8273, a.a.O.; Grundsätze der Länder f ü r die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung 3.2 (abgedruckt bei Kloesel/ Christ nach der Kommentierung des § 8 AuslG); Happe, i n : Staats- u n d K o m munalverwaltung 1972, 169; Huber, i n : Der Arbeitgeber 1973, 196 (197); Kanein, AuslG, § 1 Anm. A 3 b; Marxen, a.a.O., § 8 RdNr. 8, § 4 RdNr. 13; Sabaß, Familieneinheit i m Ausländerrecht der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Bonn 1969, S. 46; Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 1 (vgl. aber denselben, i n : Diplomatisches B u l l e t i n 1971, Nr. 22, S. 1/2); Wirtz, i n : N J W 1970, 1717; i h m folgend: Leitenberger, i n : Verwaltungspraxis 1971, 126; Bayer. V G H , i n : N J W 1970, 1012; OVG Berlin, i n : S c h ü l e r / W i r t z , AuslG, § 7 Nr. 5; Hess. V G H , i n : Schüler / Wirtz, APVO, § 5 Nr. 44; kritisch zu jener These Becker, a.a.O., 486; Rittstieg, i n : N J W 1972, 2153 (2155) u n d Rose, i n : JZ 1971, 721 (723); Franz, i n : Klee, Gastarbeiter. Analysen u n d Berichte, S. 36 (48) m. w. N.; vgl. auch Schiffer, i n : A r b e i t u n d Sozialpolitik 1973, 189; Siewert, i n : Der Bürger i m Staat 1973, 111 sowie Hoffmann-Nowotny (in: Soziologie des Fremdarbeiterproblems, S. 37), der v o m „Einwanderungsland Schweiz" spricht. 9 Bayer. V G H , a.a.O., m i t abl. Anm. Franz ebenda; vgl. demgegenüber § 2 des Alternativentwurfs 1970 zum Ausländergesetz 1965, i n : Student. P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 5 = Vorgänge 1970, 130. 10 Vgl. Kanein, AuslG, § 1 A n m . A 3; Weißmann, i n : Die Polizei 1965, 304. 11 Bericht der Studienkommission, S. 136; zur Überfremdung aus schweizerischer Sicht vgl. Frisch, i n : Weltwoche v o m 9. September 1966, S. 25; Guggenbühl, i n : Schweizer Spiegel 1961, Nr. 8; i n : Jahrbuch der Neuen Helveti-

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

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jedoch, daß man nur die Zahl der Ausländer, die demographische Überfremdung, nicht aber die geistige oder wirtschaftliche Überfremdung i m Auge hat. Daß die i n letzten Jahren eingeströmten Ausländer unsere Eigenart bisher kaum bedroht haben, w i r d nicht berücksichtigt. Die Ansicht Virots 1 2 , die Schweizer seien zu ängstlich und zu wenig selbstsicher, t r i f f t wohl auch auf die Deutschen i n der BRD zu. Wenn hier kritisch festgestellt wurde, daß bei der Ermessensausübung der Ausländerbehörde keinerlei bevölkerungspolitische Überlegungen angestellt wurden, so heißt dies selbstverständlich nicht, daß einer wahllosen Hereinnahme von Ausländern das Wort geredet werden soll. Nur eine vernünftige, wohlüberlegte Bevölkerungspolitik kann i n Betracht kommen. So sollten nur Ausländer bestimmter Jahrgänge einwandern dürfen (von Geschlecht zu Geschlecht verschieden, je nachdem, ob ein Männer- oder Frauenüberschuß besteht). — Vor allem aber erscheint es angebracht, nur assimilationsfähige Ausländer auszuwählen. Hierbei könnte Assimilation verstanden werden als „allmähliche Annäherung der Träger einer fremden K u l t u r an die K u l t u r der ansässigen Bevölkerung eines Landes", also als „ein sozialer Prozeß, bei dem Individuen und Gruppen einer K u l t u r , die Zuzüger, Beziehungen mit Individuen und Gruppen einer anderen K u l t u r , den Ansässigen, i m Heimatland der letzteren aufnehmen" 1 3 . Nach dem Vorbild Virots 1 4 könnten als assimilationsfördernde Umstände angesehen werden: — Gebrauch der deutschen Sprache i n der Familie, — Ehe mit einer Deutschen15', — Einschulung der Kinder i n deutsche Schulen, — komfortable Wohnung, — Besitz eines Hauses i m Bundesgebiet, — Absicht, i n Deutschland zu bleiben, sehen Gesellschaft 1962, 143 (146) u n d i n : Die Schweizer sind anders, S. 181; Holzer, i n : Gewerbliche Rundschau 1963, 121; Virot, V o m Anderssein zur Assimilation, S. 9 ff.; Winterberger, i n : Wirtschaftspolitische Mitteilungen 1961, Heft 7/8 und i n : Schweizer Monatshefte 1961, Heft 41, S. 120; vgl. auch Diamant, i n : Student. P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 43 (45). 12 Virot, a.a.O., S. 10, 49. 13 Bericht der Studienkommission, S. 142; zum Problem der Assimilation vgl. Dürrenmatt, i n : Industrielle Organisation 1961, 259 (262); Fischer, i n : Industrielle Organisation 1961, 273 (274); Hagemann, Les travailleurs étrangers, S. 133; Villa, Les problèmes d'hygiène mentale du travailleur en Suisse, S. 11; Virot, a.a.O., S. 22 ff. 14 Virot, a.a.O., S. 34 f. 15 Sie sieht auch Werner, Die Eingliederung von ausländischen Arbeitnehmern u n d i h r sozialer Aufstieg, dargestellt an der slowenischen Volksgruppe i m Ruhrgebiet, Diss. Münster 1958, S. 111 als starken Assimilationsfaktor an.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

— Zufriedenheit mit seiner Lebensgestaltung, — Kontakt mit Deutschen (Kollegen, Bekannten, Nachbarn), — Hören bzw. Sehen deutscher Sender, — Lesen deutscher Zeitungen, — Mitgliedschaft i n deutschen Vereinen, — Mitgliedschaft i n Gewerkschaften, — Verbringung der Ferien i n Deutschland, — Besuch von Fortbildungsveranstaltungen, — Sorge für die Berufsausbildung der Kinder, — guter Lohn, — Leistung qualifizierter Arbeit, — Seltenheit des Arbeitsplatzwechsels, — Versicherung durch deutsche Gesellschaften, — Anlegung der Ersparnisse i n Deutschland, — politisches Interesse an Gemeindeangelegenheiten. Der Assimilationswille müßte dagegen wohl verneint werden bei folgenden Umständen 1 6 : — Einschulung der Kinder i n ausländische Schulen, — provisorische Unterkunft, — Herkunft aus einem wesensfremden Kulturbereich, — Verwendung der Muttersprache i n der Familie, — Zurücklassen der Familie i n der Heimat, — Unzufriedenheit, — Verbringen der Festtage und des Urlaubs i n der Heimat, — Übersendung der Ersparnisse i n die Heimat, — Rückkehrabsicht, — Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen i n der Heimat, — Bevorzugung heimatlicher Waren, — Hören ausländischer Sender, — reger Kontakt mit Landsleuten und dem Konsulat, — Mitgliedschaft i n ausländischen Vereinen, — Lektüre ausländischer Zeitungen, — Bevorzugung heimatlicher Filme, — heimatliche Ernährungsweise, — Grundbesitz i m Ausland, 16

Virot, a.a.O., S. 35; zur U n t e r k u n f t vgl. Werner, a.a.O., S. 101.

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

127

— der Wunsch, i n heimatlichen Krankenhäusern gepflegt und i n der Heimat begraben zu werden, — Hilfsarbeit, — Fremdrassigkeit 17 , — geringes Bildungsniveau 1 8 , — kurzer Aufenthalt i m Bundesgebiet 19 . Eine nähere Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen kann i m Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen. Diese Ausführungen sollen lediglich als Hinweis darauf verstanden werden, daß die Ausländerbehörde i n Zusammenarbeit mit der Einbürgerungsbehörde und den politischen Instanzen bei ihren Ermessenserwägungen auch bevölkerungspolitische Überlegungen anstellen sollte, wobei auf gewisse schweizerische Vorarbeiten zurückgegriffen werden könnte. Daß diese Überlegungen zukünftig angestellt werden, besteht Hoffnung, nachdem die Teilnehmer einer von Professor Hans Harmsen geleiteten Konferenz der Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft unter dem Eindruck der neuerdings auffallend rückläufigen Geburtenzahlen der BRD übereinstimmend zu der Auffassung gelangt sind, daß sich die Bundesrepublik konsequent als Einwanderungsland verstehen sollte 20 . 7.1.2. Nachzug von Familienangehörigen sowie von sonstigen Verwandten und Verschwägerten

Für den Nachzug von Familienangehörigen — er kommt zumeist bei Arbeitnehmern i n Betracht — sprechen vor allem humanitäre Gründe 2 1 . Insbesondere Ausländern, die sich schon längere Zeit i m Bundesgebiet aufhalten, ist es nicht zuzumuten, weiterhin ohne ihre Familie i n engerem Sinne, d. h. ohne ihren Ehegatten und ihre noch nicht 21 Jahre alten Kinder 2 2 , zu leben. Zu Recht weist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof 23 darauf hin, daß eine dauernde Trennung der Ehegatten regelmäßig eine Gefährdung der Ehe m i t sich bringt (vgl. hierzu A b schnitt 3.1.9.6.). — 17 Virot, a.a.O., S. 45; der Umstand, daß hier viele Vorurteile mitspielen, ändert hieran nichts; vgl. auch Hepple, Race, Jobs and the L a w i n Britain. 18 Virot, a.a.O., S. 107. 19 Virot, a.a.O., S. 107. 20 Vgl. „Die W e l t " v o m 19. A p r i l 1971; „Der Tagesspiegel" Nr. 7781 v o m 25. A p r i l 1971, S. 12; Müller, i n : „Die W e l t " v o m 20. A p r i l 1971, S. 4. 21 Vgl. hierzu Berding, Die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer i n der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Graz 1964, S. 113; Schill, Das Recht der ausländischen Arbeitnehmer i n Deutschland, S. 113. 22 Z u m Begriff der Familienangehörigen vgl. Bayer. V G H , i n : Schüler/ Wirtz, AuslG, § 2 Nr. 3 u n d OVG Münster, i n : D Ö V 1973, 428, Nr. 173. 23 Bayer. V G H , i n : V G H E 19,1.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Eine Familienzusammenführung ist aber auch für den Arbeitgeber des Ausländers von Vorteil: I n vielen Fällen mindert sie die betriebliche Fluktuation. Außerdem fallen negative Beeinflussungsmöglichkeiten weg, die häufig mit der ohne sie üblichen Unterbringung i n Sammelunterkünften verbunden sind. Auch müssen Ausländer, deren Familien sich ebenfalls hier aufhalten, weniger intensiv betreut werden 24 . Auf der anderen Seite führt der Nachzug von Familienangehörigen zu starken Belastungen der öffentlichen Hand, insbesondere der Gemeinden 2 5 : Hohe Aufwendungen für Wohnungen und Erziehungswesen werden notwendig. Aus diesen Überlegungen heraus haben die Innenminister und «Senatoren auf ihrer Sitzung am 3./4. Juni 1965 beschlossen, daß bei der Entscheidung über Anträge auf Aufenthaltserlaubnis für Familienangehörige folgende Maßstäbe zugrundezulegen sind 2 6 : Der ausländische Arbeitnehmer muß sich mindestens drei Jahre rechtmäßig i m Bundesgebiet aufgehalten haben und es muß die Aussicht bestehen, daß er noch längere Zeit i m Bundesgebiet beschäftigt werden wird. Er muß über eine Wohnung verfügen, die den normalen Anforderungen vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer an eine angemessene Wohnung entspricht. — Für den Nachzug kommen nur der Ehegatte des ausländischen Arbeitnehmers und seine unter 21 Jahre alten Kinder i n Betracht. — Von einer Mindestfrist von drei Jahren können Ausnahmen zugelassen werden, sofern eine ausreichende Wohnung nachgewiesen wird. — Motiv dieses Beschlusses war vor allem die Auffassung, daß die BRD kein Einwanderungsland sei. — Diesen Beschluß bezeichnete der Parlamentarische Staatssekretär Dorn 2 7 ζ. B. noch i m A p r i l 1970 bezüglich der Nicht-EWG-Ausländer als maßgeblich. I n diesem Zusammenhang w i r d darauf hingewiesen, daß der Familiennachzug nur dann zuzulassen ist, wenn i n der Vergangenheit ein Wohlverhalten des sich bereits hier aufhaltenden Ausländers festzustellen sei und wenn er sich schon so sehr eingewöhnt habe, daß er die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse i m Bundesgebiet ausreichend übersehen und danach entscheiden könne, ob die Übersiedlung seiner Familie für längere Zeit und damit die weitgehende Lösung von den Bindungen i n der Heimat dem Interesse der 24

Hierauf weist Schill, a.a.O., S. 83, zu Recht hin. Hierzu Kanein, AuslG, § 1 Anm. A 3 b; Berding, a.a.O., S. 113 f.; V G H Bad.-Württ., i n : DÖV 1972, 322. 28 Hierzu Hohn, i n : B B Beilage 10/1965, S. 5. 27 I n seiner A n t w o r t auf die Anfrage des Abgeordneten Dr. Apel, Deutscher Bundestag, 6. Wahlper., 42. Sitzung am 15. A p r i l 1970, Stenograph. Berichte, S. 2125 D. 25

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

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Angehörigen entspreche 28 . — Diese Frist erscheint allzu lang 2 9 . Daß Europäer zur Eingewöhnung drei Jahre benötigen, kann kaum angenommen werden. — Die Berliner Ausländerbehörde berücksichtigte diesen Beschluß der Innenminister i m Untersuchungszeitraum weitgehend. Seit J u l i 1968 erteilte sie jedoch auf Weisung des Senators für Inneres von Berlin Aufenthaltserlaubnisse an Ehefrauen und minderjährige Kinder von ausländischen Arbeitnehmern, die sich ordnungsgemäß geführt hatten, bereits nach kurzer Zeit. — Familienangehörigen von Ausländern aus Ostblockstaaten erteilte die Berliner Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis gar nicht, aus außereuropäischen Ländern nur i n besonders begründeten Ausnahmefällen. — Familienangehörigen von Ausländern aus den EWG-Staaten erteilte sie seit dem Inkrafttreten des AufenthG/EWG i m Jahre 1969 gemäß dessen § 1 Abs. 2 die Aufenthaltserlaubnis. — Familienangehörige von Ausländern aus westeuropäischen Staaten, den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Israel wurden verschiedentlich schon 1967/68 i n ähnlicher Weise privilegiert. Der erstmalig gestellte Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis, welche die Familienzusammenführung (ohne Erwerbstätigkeit) ermöglichen sollte, wurde i m Untersuchungszeitraum i n insgesamt 30 Fällen abgelehnt (einundzwanzigmal handelte es sich um den Ehegatten, neunmal um ein minderjähriges Kind). I n fünf Fällen wurde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (die unter der Auflage „nur für Besuchszwecke" erteilt worden war) versagt (bis auf eine Ausnahme handelte es sich jeweils um den Ehegatten). — Als Begründung wurde verschiedentlich angegeben, an dem Nachzug schon jetzt bestehe kein öffentliches Interesse. Zumeist hieß es jedoch — weniger offen —: „Der Besuchszweck ist erfüllt" (die betreffenden Ausländer hatten sich schon einige Monate, teils mit einer Bescheinigung über die ausländerbehördliche Erfassung nach § 21 AuslG, i m Bundesgebiet aufgehalten). Die oben dargestellten Vor- und Nachteile des Nachzuges der engeren Familienangehörigen bestehen i m wesentlichen auch dann, wenn es sich u m den Nachzug von Großeltern, Geschwistern oder sonstigen Verwandten sowie von Verschwägerten handelt. Dieser Nachzug wäre jedoch ein Weg, den i n Berlin vorhandenen Mangel gerade an weiblichen Arbeitskräften (die nur schwer anzuwerben sind 30 ) zu verringern. 28

Vgl. Hohn, a.a.O., S. 5; zust. V G Frankfurt, i n : Hess. VGRspr. 1967, 6 (7). So zu Recht Sabaß, a.a.O., S. 47. 30 Vgl. hierzu Böckling, i n : B A r b B l . 1962, 530 (531) und Maturi, i n : Ausländische Arbeitskräfte i n Deutschland, herausgegeben v o m Hess. I n s t i t u t für Betriebswirtschaft e. V., S. 183 ff.; ferner Papavassiliou, a.a.O., S. 81 (87) u n d Bifulco, a.a.O., S. 57 ff. (66). 29

9 Schüler

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Würde ζ. B. die nachziehende Großmutter ihren hier tätigen Kindern den Haushalt führen und etwaige Enkel betreuen, würde die Mutter instandgesetzt, ebenfalls eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Es bestünde auch nicht die Notwendigkeit, einen der allzu knappen Kindertagesstättenplätze i n Anspruch zu nehmen (diese Überlegung wurde auch in einem Widerspruchsbescheid der Aufsichtsbehörde angestellt); die Eltern hätten zudem die Gewißheit, daß sich ihre Kinder i n guten Händen befinden 31 . Die Ermessensausübung der Berliner Ausländerbehörde war jedoch i m Untersuchungszeitraum insoweit eher restriktiv. Insgesamt wurden 45 Erst- und 20 Verlängerungsanträge abgelehnt. Ganz überwiegend (51 Ausländer) handelte es sich u m den — regelmäßig verwitweten — Elternteil von aus den sogenannten Anwerbeländern stammenden, hier berufstätigen Arbeitnehmern (meist Großmütter, die hier ihre Enkelkinder betreuen wollten; die Berliner Ausländerbehörde vertrat insoweit also nicht den Standpunkt des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes 32 , wonach die Pflege eines Kleinkindes Vertrauenssache sei und es den Eltern nicht zugemutet werden könne, das K i n d während ihrer Arbeitszeit i n ein öffentliches oder privates Heim zu geben oder von fremden Personen betreuen zu lassen, wenn es von einer Großmutter oder einer anderen Vertrauensperson aus der engeren Verwandtschaft gepflegt werden könne). — Sieben Entscheidungen betrafen Geschwister, daneben Neffen und Nichten, Großneffen, sonstige Verwandte, Schwiegermutter und Schwäger. Auch diese Fälle wurden zumeist damit begründet, daß der Besuchszweck nunmehr „erfüllt" sei; 22mal hieß es auch (ζ. T. zusätzlich), es bestehe „kein öffentliches Interesse am Familiennachzug", „an einem weiteren Aufenthalt" bzw. „an einem weiteren Besuch". Dahinter stand — wie es i n einem Bescheid auch ausdrücklich ausgeführt wurde — die Furcht vor einer ständigen Niederlassung. Bei älteren Antragstellern kam wohl auch die (abstrakte) Furcht vor einer Inanspruchnahme von Sozialhilfe hinzu. 7.1.3. Deutsche Staatsangehörigkeit des Ehegatten

7.1.3.1. Allgemeines Das Grundrecht des A r t . 6 Abs. 1 GG ist von besonderer Bedeutung i n denjenigen Fällen, i n denen der ausländische Antragsteller mit einem deutschen Ehegatten verheiratet ist. Es verpflichtet die Auslän31 Vgl. Bayer. V G H , i n : Schüler / Wirtz, AuslG, § 2 Nr. 3 und OVG Münster, i n : DÖV 1973, 428, Nr. 173. 82 Bayer. V G H , a.a.O.

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

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derbehörde, bei der Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis oder ihre Verlängerung zu prüfen, welche Wirkungen sich für die betroffene Ehe und Familie ergeben. Wenn Ehe und Familie i n ihrem Zusammenhalt gefährdet sind, ist das Interesse am Schutze von Ehe und Familie m i t den sonstigen öffentlichen Interessen abzuwägen (vgl. Abschnitt 3.1.9.6.). 7.1.3.2. Deutscher Ehemann Ausländerinnen, die mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind, wurde i m Untersuchungszeitraum i n aller Regel die Aufenthaltserlaubnis erteilt bzw. verlängert — zumeist sogar ohne einschränkende Auflagen und Bedingungen, manchmal selbst unbefristet. Diese Praxis war sinnvoll; denn solange § 6 RuStAG a. F. galt, hatte die ausländische Ehefrau einen Anspruch auf jederzeitige Einbürgerung. Die Ausländerbehörde würde auf völliges Unverständnis stoßen, würde sie solchen Ausländerinnen die Aufenthaltserlaubnis verweigern. — Diese Überlegung war jedoch anscheinend nicht der ausschlaggebende Grund für die Praxis der Berliner Ausländerbehörde in diesen Fällen. Denn diese Praxis wurde auch nach der Staatsangehörigkeitsnovelle vom 8. September 1969 beibehalten, obwohl der ausländischen Ehefrau eines deutschen Staatsangehörigen nunmehr kein unbedingter A n spruch auf Einbürgerung mehr zusteht (§ 9 RuStAG n. F.). Ausschlaggebend war wohl vielmehr die Ansicht, daß die Ehefrau dem Ehemann zu folgen habe 33 , was sich hier zugunsten der Ausländerin auswirkte. — A u f Grund einer Ermessensentscheidung wurde die erstmalig beantragte Aufenthaltserlaubnis i n keinem Falle versagt. Die Verlängerung wurde nur i n dem Falle einer nigerianischen Tänzerin versagt, doch hob die Widerspruchsbehörde diese Entscheidung zu Recht auf. 7.1.3.3. Deutsche Ehefrau 1967/68 wurde nur ein einziger erstmals gestellter Antrag eines m i t einer deutschen Ehefrau verheirateten Ausländers, i h m eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, abgelehnt. Es handelte sich um einen Franzosen, der bis Ende 1967 i n Berlin Soldat gewesen war und gegen dessen weitere Anwesenheit die französischen Behörden Bedenken erhoben hatten (vgl. zu diesen Fällen Abschnitt 3.2.1.4.2.3.). Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde zehnmal versagt 34 , wobei i n sieben Fällen zugleich die Änderung der Auflagen bzw. der 33 So Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 7 h ; hierzu kritisch Stange, i n : ZRP 1971, 172; Skriver, in: Vorgänge 1972, 355; OVG Berlin, i n : N J W 1972, 2240. 34 Einem weiteren Ausländer, bei dem ein Ausweisungsgrund vorlag, ermöglichte die Ausländerbehörde nicht die Aufnahme einer unselbständi-

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Bedingungen beantragt worden war. Es handelte sich i n allen Fällen um Ausländer aus Entwicklungsländern. Bis auf zwei Besucher handelte es sich durchweg u m Studenten, Fachschüler oder Praktikanten. Die beantragte Änderung der Auflagen bzw. der Bedingungen sollte jeweils die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung ermöglichen. Diese Entscheidungen liegen innerhalb der von der Rechtsprechung bislang gesetzten Grenzen 35 ; i n diesen Fällen lag — soweit es bei der dürftigen Sachaufklärung der Ausländerbehörde aus den Akten zu ersehen war — kein konkreter Grund vor, dessentwegen der Ehefrau nicht zugemutet werden konnte, dem Ehemann i n dessen Heimatland zu folgen 36 . Allerdings ist diese Rechtsprechung — von Ausnahmen abgesehen — als zu eng anzusehen: Sie berücksichtigt nicht, daß generell eine Ehe einer Deutschen mit einem nicht dem abendländischen Kulturkreis entstammenden Ausländer, wenn sie i n dessen Heimatland geführt wird, wesentlich stärker gefährdet ist, als wenn sie i n Deutschland geführt w i r d 3 7 . Denn in der Regel gelingt der deutschen Ehefrau die A n passung an andere (tropische und subtropische) Klimata, rückständige rechtliche (insbesondere Fehlen der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau), politische, kulturelle, soziale und hygienische Verhältnisse und an einen niedrigen Lebensstandard nur unvollkommen 3 8 ; umgegen Erwerbstätigkeit; i n 2 weiteren Fällen half die Behörde dem eingelegten Widerspruch ab. 35 BVerwG, i n : Schüler / Wirtz, APVO, § 5 Nr. 11 (m. Anm. Heinrichs, i n : FamRZ 1957, 20 u n d Anm. Stich, i n : BayVBl. 1957, 28); BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 8; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / Wirtz, APVO, § 5 Nr. 33, i n : N P A 802 Ausländerrecht Bl. 24 (m. zust. A n m . Kloesel) u n d i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 3, 10; Bayer. VGH, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 16, A u s l G § 15 Nr. 1; OVG Berlin, i n : AS 8, 30 (31), Schüler/ W i r t z AuslG § 2 Nr. 7; V G Frankfurt, i n : Schüler / W i r t z AuslG § 2 Nr. 2; Hess. VGH, i n : S c h ü l e r / W i r t z A u s l G § 11 Nr. 1; O V G Münster, i n : Schüler/ W i r t z A P V O § 5 Nr. 20 u n d 38, AuslG § 10 Nr. 11; vgl. auch V G Hannover, i n : DVB1. 1972, 519 m. A n m . Rittstieg, i n : DVB1. 1972, 520. 36 Z u r Folgepflicht BVerwG, i n : Buchholz 402.20 § 5 A P V O Nr. 8; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 33, A u s l G § 10 Nr. 3 u n d 10; O V G Berlin, a.a.O.; OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 38, AuslG § 15 Nr. 3; vgl. ferner Kloesel, i n : DÖV 1971, 702 (704); Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 A n m . 3; Marxen, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 4 RdNr. 16; Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 7 h ; Sabaß, Familieneinheit i m Ausländerrecht der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Bonn 1969, S. 72 ff. 37

Exakte Scheidungsstatistiken fehlen leider. Kreppel, Verfassungsrechtliche Grenzen der Auslieferung u n d A u s w e i sung, Diss. Würzburg 1965, S. 117; vgl. zu diesem Fragenkreis ferner W. Becker, Ehen m i t Ausländern; u n d Volandt, Ausländer zum Heiraten gesucht; über Ehen m i t Ausländern aus Mittelmeerländern vgl. Lüderitz, i n : FamRZ 1966, 285; OVG Münster, Urt. v. 28. 4.1970 — I V A 708/69 —. 38

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

133

kehrt sind diese Schwierigkeiten i n der Regel für den ausländischen Ehemann wesentlich geringer, da der Aufenthalt i n der BRD für ihn gewöhnlich einen Fortschritt bedeutet und von i h m auch so empfunden wird. — Jene Rechtsprechung geht auch zu Unrecht von einer generellen Folgepflicht der deutschen Ehefrau aus, macht sie also zu einem „Anhänsel des Ehemannes" 39 . Sie läßt außer acht, daß die deutsche Ehefrau auf Grund des A r t . 11 GG über die Freizügigkeit einen unentziehbaren A n spruch auf Aufenthalt i n der Bundesrepublik hat und daß es gemeinsame Angelegenheit der Ehegatten ist, den Wohnsitz zu bestimmen 40 . Eine generelle Folgepflicht der Frau wurde schon unter Geltung des alten Rechtes (§§ 10, 1354 Abs. 1 BGB a. F.) verneint, als noch der Ehemann den Wohnsitz allein bestimmte 41 . Man w i r d daher die Zulässigkeit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis bzw. ihrer Verlängerung nicht nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu verneinen haben, sondern vielmehr das Vorliegen besonderer Umstände für die Zulässigkeit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis verlangen müssen 42 . Soweit die Rechtsprechung nach dem 15. Oktober 1968 mit deutschen Staatsangehörigen verheirateten Ausländern einen Aufenthaltsanspruch versagt hat, ist sie auch noch aus folgendem abzulehnen: Nach den A r t i k e l n 10 und 11 der E WG-(Freizügigkeits-) Ver Ordnung Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 196843 dürfen der Ehegatte und die Kinder bis zum 21. Lebensjahr sowie unterhaltsberechtigte Verwandte beider Ehegatten i n aufsteigender Linie ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt und i m Hoheitsgebiet eines anderen Staates beschäftigt ist, Wohnung und Aufenthalt nehmen und i n dem Land arbeiten. Dementsprechend verbürgt auch das deutsche Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) vom 22. J u l i 196944 diesen Personen „ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit" die Freizügigkeit (§ 1 Abs. 2). Was aber 39

So kritisch Rittstieg, i n : J Z 1971, 113 (117) u n d i n : NJW 1972, 993 f. Stange, i n : ZRP 1971, 172; ähnlich Franz, i n : DVB1. 1972, 290; ablehnend auch O V G Berlin, i n : DVB1. 1972, 872. 41 O L G Karlsruhe, i n : Recht 1907, Sp. 1261, Nr. 3105; O V G Berlin, i n : N J W 1972, 2240. 42 So zu Recht Kreppel, a.a.O., S. 118, f ü r die Ausweisung; auch Sabaß, a.a.O., S. 78 ff. w i l l die Folgepflicht nur verneinen, wenn das politische Ordnungssystem des Heimatstaates des ausländischen Ehegatten den G r u n d sätzen der A r t . 1, 2 u n d 20 GG entspricht u n d wenn dort die Würde der deutschen Ehefrau u n d ihre allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet ist; eine wirtschaftliche Betrachtungsweise lehnt er ab. 43 A B l . Nr. L 257 (berichtigt Nr. L 295). 44 BGBl. I, S. 927/GVB1., S. 1155. 40

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

für die Angehörigen eines Ausländers aus den EWG-Ländern gilt, muß erst recht für die Angehörigen eines Deutschen gelten (e maiore ad minus) 4 5 . Die gegenteilige Auffassung des OVG Berlin 4 6 , das diesen Schluß für unzulässig hält, weil keine Lücke und kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliege, ist abzulehnen. — I n diesem Zusammenhang ist außerdem darauf hinzuweisen, daß auch § 94 B V F G das Gebot der Familienzusammenführung (Pflicht zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis) nicht auf deutsche Staatsangehörige beschränkt. Wenn sich die Berliner Ausländerbehörde bei den i n Rede stehenden Fällen auch auf die Rechtsprechung des OVG Berlin und des Bundesverwaltungsgerichtes stützen kann, so ist doch zu bemerken, daß sie insoweit von ihrem Ermessen i n restriktiver Weise Gebrauch gemacht hat. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, die Zahl der ablehnenden Entscheidungen sei sehr gering. Denn den meisten m i t einer Deutschen verheirateten Ausländern w i r d die Aufenthaltserlaubnis schon ohne Rücksicht auf die deutsche Ehefrau erteilt bzw. verlängert, weil sie Angehörige eines privilegierten Staates, gesuchte Arbeitskräfte oder öffentlich geförderte Studierende sind. Die praktische Bedeutung des A r t . 6 Abs. 1 GG läßt sich nur ablesen, wo diese Voraussetzungen fehlen. Ein großzügigerer Standpunkt hätte auch unabhängig von der Frage, ob der betreffende Ausländer einen Aufenthaltsanspruch hat oder nicht, nahegelegen, zumal dann, wenn die deutsche Ehefrau jeweils ein kleines (gemeinsames) K i n d zu versorgen hatte und i n solchen Fällen eine Übersiedlung i n ein völlig andersartiges Land besonders beschwerlich ist. — Ist der Ausländer m i t einer Deutschen verheiratet, sollten vor allem auch bevölkerungspolitische Gesichtspunkte eine positive Ermessensausübung nahelegen (solche Ausländer assimilieren sich erfahrungsgemäß sehr schnell 47 ). — Wenn ausländische Ehemänner deutscher Staatsangehöriger grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, ist wohl auch nicht mit einer Welle von solchen Eheschließungen und m i t „Überfremdung" zu rechnen. Die Zahl der Eheschließungen zwischen einem Ausländer und einer deutschen Frau hat sich nämlich 1969 gegenüber 1960 nicht wesentlich verändert, obwohl sich die Zahl der sich i n der Bundesrepublik aufhaltenden ausländischen Männer i n dieser Zeit stark erhöht hat. 1969 wie 1960 heirateten etwa 15 000 deutsche Frauen einen Ausländer 4 8 45 So zu Recht V G München, i n : DVB1. 1971, 364; Stange, a.a.O., S. 173; Rose (in: JZ 1971, 721/724) weist i n diesem Zusammenhang auf A r t . 3 GG hin. 46 O V G Berlin, U r t . v o m 12. M a i 1971 — I Β 56/70 — ; ablehnend auch Rose, a.a.O. 47 So zu Recht Virot, V o m Anderssein zur Assimilation, S. 34 f. u n d W e r ner, Die Eingliederung von ausländischen Arbeitnehmern u n d i h r sozialer Aufstieg, Diss. Münster 1958, S. 111.

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

135

(nachdem diese Zahl zwischendurch — 1964 — auf 19 647 angestiegen war); von diesen 15 000 Ausländern waren rund 3000 Angehörige der in der BRD stationierten fremden Streitkräfte. Anträge auf Änderung einschränkender Auflagen bzw. Bedingungen wurden 1967/68 sechs mit einer Deutschen verheirateten Ausländern abgelehnt 49 . Auch hier handelte es sich, von einem Griechen abgesehen, jeweils um Angehörige von Entwicklungsländern. Diese Praxis ist i m Hinblick auf das Grundrecht des A r t . 6 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, soweit es sich um Ausländer handelte, die anstatt einer durch die Aufenthaltserlaubnis gestatteten unselbständigen nunmehr einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen wünschten (vier Fälle). Denn diese Verwaltungsentscheidungen können nicht zur Folge haben, daß der Ausländer und seine Ehefrau getrennt leben müssen. Die einschränkende Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet" beeinträchtigt auch nicht die Befugnis des Ausländers zu Aufenthalt und Erwerbstätigkeit i m Bundesgebiet 50 . Dafür, daß die Ehen der ausländischen Antragsteller gefährdet wären, wenn sie weiterhin Arbeitnehmer sind und kein Gewerbe betreiben dürfen, fand sich i n den A k ten kein Anhalt. — Man w i r d wohl auch nicht allgemein sagen können, daß den Ausländern dadurch „der soziale Aufstieg zu selbständigen Gewerbetreibenden" verwehrt würde, wenn sie „ n u r " als Arbeitnehmer tätig sein dürfen 5 1 . — Die beiden übrigen Entscheidungen jedoch sind abzulehnen, insbesondere weil die deutsche Ehefrau in beiden Fällen ein Kleinkind zu versorgen hatte bzw. kurz vor der Niederkunft stand. Da sie deswegen nicht durch eine Erwerbstätigkeit zum Unterhalt der Familie beitragen konnte, stand die Familie vor der Alternative, entweder den Wohnsitz i n das Heimatland des Mannes zu verlegen oder i n der BRD zu bleiben und Sozialhilfe i n Anspruch zu nehmen. — I m übrigen sei auf die obigen Ausführungen verwiesen. 7.1.3.4. Die Entwicklung

zu neuen Verwaltungsvorschriften

Die restriktive Praxis der deutschen Ausländerbehörden auch gegenüber Ausländern, die m i t einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind, wurde i m Laufe der Zeit in der interessierten Öffentlichkeit und i n der Fachliteratur 5 2 zunehmend kritisiert. So forderte ζ. B. der 48 Vgl. Statist. Bundesamt, i n : BAnz. v o m 16. Februar 1971, Nr. 31 auf S. 4 u n d v o m 13. J u l i 1973, Nr. 128, S. 3 bezüglich der 1971 geschlossenen Ehen. 49 I n einem weiteren F a l l wurde dem eingelegten Widerspruch abgeholfen. 50 So zu Recht BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 7. 51 BVerwG, a.a.O., unter ausdrücklicher Ablehnung von Franz, i n : DVB1. 1970, 625.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

frühere stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und ihr früherer Rechtsexperte, Hirsch 53 , i n der Presse, dem mit einem deutschen Staatsangehörigen verheirateten Ausländer selbst dann einen Anspruch auf eine unbeschränkte und unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, wenn er aus einem Entwicklungsland stammt. — Auch die Rechtsprechung ging teilweise neue Wege, indem sie die Folgepflicht der deutschen Ehefrau eingeschränkt 54 oder sogar generell dem ausländischen Ehegatten einen Aufenthaltsanspruch zugebilligt hat 5 5 . — Außer i n den Parlamenten der Bundesländer wurden auch i m Bundestag wiederholt kritische Einzelfälle erörtert 5 6 . Darüber hinaus beschloß der Bundestag i n seiner Sitzung vom 9. Dezember 197057 nach Vortrag des Berichterstatters des Petitionsausschusses einstimmig, eine einschlägige Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, und brachte zum Ausdruck, daß diese Ausländergruppe künftig „unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Erteilung einer unbeschränkten und unbefristeten Aufenthalts- und A r beitserlaubnis" haben soll. A u f Grund dessen änderte der Bundesminister des Innern am 10. Mai 1972 m i t Zustimmung des Bundesrates die AuslGVwv 5 8 . Dort heißt es jetzt i n Nr. 4 a zu § 2: „ B e i Ausländern, die m i t Deutschen verheiratet sind, haben Belange der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Anwesenheit dieser Ausländer beeinträchtigt werden, insbesondere auch Belange der Entwicklungshilfepolitik, gegenüber dem staatlichen Belang, Ehe u n d Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten. Dies gilt nicht, w e n n ein Sachverhalt vorliegt, der nach § 10 Abs. 1 A u s l G die Ausweisung rechtfertigen würde, u n d die Gründe für die Ausweisung i m Einzelfall besonders schwer wiegen;" u n d i n N r . 7 a z u § 2: „ I n den Fällen der N u m m e r 4 a Satz 1 hat die Behörde die Aufenthaltserlaubnis i. d. R. zu erteilen."

Den Innenministern und -Senatoren der Länder wurde diese Änderung durch den Hinweis schmackhaft gemacht, daß m i t einer Änderung 52 Franz i n seinen unveröffentlichten „Thesen zum Aufenthaltsrecht der Fremden i n der B R D " , S. 5; Kreppel, a.a.O., S. 116 ff.; Rittstieg, i n : JZ 1971, 113 (117); Rose, i n : JZ 1971, 721; Stange, a.a.O., S. 172. 53 Hirsch, i n : Vorwärts v o m 25. Februar 1971. 64 So O V G Münster i n seinem U r t e i l v o m 28. A p r i l 1970 — I V A 708/69 — ; demgegenüber hält Schickedanz (in: N J W 1973, 1533/1534) die Folgepflicht i m Ausländerrecht für irrelevant. 55 So zu Recht V G München, a.a.O. 56 Vgl. die Anfrage der Abgeordneten Renger, i n : Deutscher Bundestag, 6. Wahlper., 61. Sitzung am 19. J u n i 1970, Stenograph. Berichte, S. 3405 ff. 57 Stenograph. Berichte des BT, 6. Wahlper., 84. Sitzung, S. 4702 (4703). 58 GMB1.1967, S. 231; kritisch hierzu Schickedanz, i n : N J W 1973, 1533 (1534).

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

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des AuslG selbst gerechnet werden müsse, falls die Änderung der A l l gemeinen Verwaltungsvorschrift abgelehnt würde 5 9 . U m einen Fehlschlag der „personellen Entwicklungshilfe", d.h. den ständigen Aufenthalt i n der BRD infolge der Heirat einer Deutschen zu verhindern, wurde der Plan gefaßt, — die Ausbildung stärker als bisher an Ausbildungsstätten durchzuführen, die mit deutscher Hilfe i m Ausland errichtet oder unterhalten werden und — Stipendien für eine Aus- und Fortbildung i n der BRD hauptsächlich verheirateten Staatsangehörigen der Entwicklungsländer zu gewähren. I m übrigen wurde erwogen, — den Aufenthalt i m Bundesgebiet durch geeignete Maßnahmen zu verkürzen (Erwerb der erforderlichen Deutsch- und Fachgrundkenntnisse i m Ausland; Beschränkung auf besondere Aufbaustudien; Wegfall der Bewilligung zusätzlicher praktischer Fortbildung nach Studienabschluß) und — sog. freie Bewerber weitgehend nicht zuzulassen. — Daß das leidige Problem der sog. „ausländischen Mischehen" endlich einer befriedigenden Lösung zugeführt worden ist, ist zu begrüßen. Hierbei ist es als sinnvoll anzusehen, daß die Änderung der AuslGVwv über eine bloße „Kodifizierung" der Rechtsprechung hinausgeht und generell alle mit deutschen Staatsangehörigen verheiratete Ausländer begünstigt und nicht etwa darauf abstellt, ob es der deutschen Ehefrau zuzumuten ist, ihrem ausländischen Ehemann i n sein Heimatland zu folgen. — Es wäre allerdings zweckmäßig gewesen, i n der AuslGVwv für mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratete Ausländer ausdrücklich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vorzusehen. So w i r d regelmäßig nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, und das Fortbestehen der Ehe ist zusammen mit der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis routinemäßig von Amts wegen zu überprüfen. Dies erfordert unnötigen Verwaltungsaufwand. Das erforderliche Korrektiv bei Scheidung oder Trennung der Eheleute ist i n der Möglichkeit der nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 4 AuslG gegeben. Es ist jedoch zu bemängeln, daß die Besserstellung der m i t deutschen Staatsangehörigen verheirateten Ausländer nur durch eine Änderung der AuslGVwv erfolgt ist. Zwar erhält der betreffende Ausländer auch 59 Schreiben des Bundesministers des Innern v o m 3. M a i 1971 — V I I 6 — 125 331/7 —.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

so spätestens m i t Entstehen einer entsprechenden Verwaltungsübung grundsätzlich einen Aufenthaltsanspruch. Es wäre jedoch diesem fundamentalen Problem angemessen, wenn eine solche Regelung wenigstens dem Grunde nach i n einem Gesetz erfolgen würde. Insoweit ist auch keine Notwendigkeit zu erkennen, daß der „flexiblere" Weg über eine Änderung der Verwaltungsvorschrift gewählt wurde. — Die Änderungen i m Bereich der personellen Entwicklungshilfe werden wohl i m Grundsatz hingenommen werden müssen, wenn die Ausbildung von Angehörigen der Länder der dritten Welt tatsächlich zu deren Entwicklung beitragen soll 6 0 . — I m Vorgriff auf die erwartete Regelung wies der Senator für Inneres von Berlin den Polizeipräsidenten i n Berlin bereits i m Mai 1971 an, mit deutschen Staatsangehörigen verheirateten Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet" auf zunächst ein Jahr zu erteilen (auch nach Abschluß oder nach Abbruch der Ausbildung). 7.1.4. Deutsche Staatsangehörigkeit der Verlobten

I m Untersuchungszeitraum lehnte es die Berliner Ausländerbehörde insgesamt elfmal 6 1 ab, einem mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (zwei Fälle) oder zu verlängern (neun Fälle). Es handelte sich — bis auf eine Ausnahme — durchweg u m Studierende aus mohammedanischen Entwicklungsländern (neun) oder u m Arbeitnehmer aus den sog. Anwerbeländern (zwei). Diese Praxis steht ganz i m Einklang m i t der Rechtsprechung, wonach das Verlöbnis mit einer Deutschen keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis begründe 62 bzw. das Verlöbnis keine familiäre Beziehung (etwa i. S. des A r t . 6 Abs. 1 GG) sei 63 und wonach von einer Verlobten — ebenso wie von einem Ehegatten — i n der Regel erwartet werden könne, daß sie dem Bräutigam ins Ausland folge 64 . Dafür, das Verlöbnis i m Gegensatz zu § 52 Abs. 2 StGB und § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO nicht als familiäre Beziehung zu werten, spricht einerseits, daß es i m Ausländerrecht u m den Erlaß von Verwaltungs60

Vgl. zu dieser Problematik Kloesel, i n : DÖV 1971, 702 (704). I n zwei weiteren Fällen half die Behörde dem Widerspruch ab. 62 So zu Recht OVG Berlin, i n : DÖV 1971, 213, Nr. 69. 63 BVerwG, i n : DÖV 1972, 797, Nr. 313; V G H Bad.-Württ. i n : Schüler/ W i r t z AuslG § 10 Nr. 2; Kanein, i n : N J W 1967, 1057 (1061); vgl. auch OVG Berlin, i n : JR 1973, 389 (390). 64 So O V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 4 Nr. 3. 61

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

139

akten m i t Dauerwirkung geht, andererseits, daß das Verlöbnis jederzeit lösbar 1st; häufig ist auch nicht festzustellen, ob tatsächlich eine Eheschließung beabsichtigt ist. — Die völlige Nichtberücksichtigung eines Verlöbnisses 65 erscheint jedoch bedenklich, wo die Verlobten schon das Aufgebot bestellt haben, die Ernsthaftigkeit der Beziehung also nachzuweisen ist (1968 ein Fall). Das Verlöbnis auch dann noch als reine private Angelegenheit der Brautleute zu betrachten, würde der großen faktischen Bedeutung einer solchen Verbindung nicht gerecht werden. Von der Ausländerbehörde ist i n solchen Fällen zu erwarten, daß sie ihre negative Entscheidung eine gewisse Zeit (solange die sechswöchige Aufgebotsfrist noch läuft) zurückstellt, es sei denn, daß sie auch bei einer Eheschließung den gestellten Antrag ablehnen würde. Zumindest aber ist ein solches Verlöbnis bei der erforderlichen Ermessensabwägung mit zu berücksichtigen, auch wenn sich der Ausländer nicht auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen kann. I n dem oben erwähnten Berliner Fall geschah dies nicht (im Gegensatz zu dem Fall einer Österreicherin): die Entscheidung war deshalb ermessensfehlerhaft. Das Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen ist ferner dann bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, wenn jene ein K i n d von ihrem Verlobten erwartet. Der Ausländer ist hier i n einer mißlichen Lage: Der von i h m Geschwängerten ist er zur materiellen, aber auch zur seelischen Hilfe (ζ. B. durch Zuspruch) verpflichtet, § 170 c StGB 6 6 . Dieser Pflicht kann er nicht nachkommen, weil er mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis, spätestens aber nach Ablauf von drei Monaten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG) das Bundesgebiet verlassen muß. Eine materielle Hilfe w i r d dann oft an dem geringen Verdienst des Erzeugers oder an Devisenvorschriften scheitern. Eine Belastung der öffentlichen Hand w i r d oft die Folge sein. — Solche Erwägungen hat auch die Ausländerbehörde anzustellen (was der Polizeipräsident i n Berlin i n den einschlägigen drei Fällen jedoch nicht getan hat). 7.1.5. Deutsche Staatsangehörigkeit der unehelichen Kinder

Trotz des Umstandes, daß der ausländische Antragsteller ein oder mehrere uneheliche Kinder deutscher Staatsangehörigkeit hatte, w u r den 1967/68 — abgesehen von zwei Fällen, i n denen ein Ausweisungsgrund vorlag — mindestens sieben Aufenthaltserlaubnisse nicht erteilt bzw. nicht verlängert 6 7 . Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde war 65

H i e r f ü r auch BVerwG, i n : Buchholz 402.24 § 10 A u s l G Nr. 5. Schönke / Schröder, StGB, § 170 c RdNr. 4; BGHSt. 18, 102; O L G B r a u n schweig, i n : FamRZ 1960, 414; O L G Düsseldorf, i n : FamRZ 1962, 311; a. Α.: Kohlrausch / Lange, StGB, § 170 c A n m . I ; Maurach, BT, § 49 I I 6 auf S. 420: Nichtverheirateter n u r zu materieller Hilfe verpflichtet. 66

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

noch ganz von § 1589 Abs. 2 a. F. BGB geprägt 68 , wonach ein uneheliches K i n d und dessen Vater als nicht verwandt galten, obwohl die Reform des Unehelichenrechtes i m Hinblick auf A r t . 6 Abs. 5 GG lebhaft diskutiert wurde. Auch bei diesen „Erzeugern" handelte es sich fast gänzlich um Studierende, die zumeist aus Entwicklungsländern stammten. I n rechtlicher Hinsicht ist diese Berliner Praxis nicht zu beanstanden. Sie ist jedoch insoweit als sehr restriktiv zu bezeichnen, als es sich um Ausländer handelte, die ihren Unterhaltspflichten regelmäßig nachkamen 6 9 . Hier hätte eine positive Ermessensausübung erwogen werden sollen, um die öffentliche Hand zu entlasten, insbesondere i n den vier Fällen, i n denen der Ausländer mit der werdenden deutschen Mutter verlobt war. 7.1.6. Frühere deutsche Staatsangehörigkeit

Daß die frühere deutsche Staatsangehörigkeit bei der Ermessensausübung berücksichtigt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Sechs solcher Ausländer erhielten zwar eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis. Dies war jedoch allein dem Umstand zuzuschreiben, daß die Antragsteller die Staatsangehörigkeit eines EWG-Landes bzw. der USA besaßen, also so behandelt wurden, wie grundsätzlich alle Angehörigen dieser Staaten. Andererseits wurde drei Ausländern früherer deutscher Staatsangehörigkeit (sämtlich aus Australien 7 0 zurückgekehrten Ausländern) die Aufenthaltserlaubnis versagt, ohne daß i m Bescheid selbst oder dem i h m vorangestellten verwaltungsinternen Vermerk auf diesen Umstand eingegangen wurde. Dies ist ermessensfehlerhaft. Denn solche Ausländer stellen — insbesondere, wenn sie Deutsch als Muttersprache sprechen und erst wenige Jahre zuvor als Erwachsene ausgewandert waren — kaum einen „Fremdkörper" dar und haben nur geringe Eingewöhnungsschwierigkeiten. Daher muß die Ausländerbehörde die frühere deutsche Staatsangehörigkeit des A n tragstellers erkennbar m i t den anderen Umständen abwägen 71 . 67 I n einem weiteren F a l l wurde dem Widerspruch abgeholfen. 1965 hatten i n B e r l i n 10,6 °/o, 1970 14,9 °/o aller unehelich geborenen K i n d e r einen ausländischen Vaiar, vor allem aus den USA, dann aus der T ü r k e i u n d aus Vorderasien, vgl. Berliner Morgenpost v o m 19. November 1971. 88 Aufgehoben m i t W i r k u n g v o m 1. J u l i 1970 durch das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen K i n d e r v o m 19. August 1969 (BGB1. I, S. 1243/GVBl., S. 1526). 89 Nach den bisherigen Beobachtungen erfüllen die ausländischen Väter ihre Unterhaltspflichten besser als die deutschen Väter, vgl. Berliner M o r genpost, a.a.O. 70 R u n d V7 aller deutschen Auswanderer nach Australien verläßt dieses L a n d wieder, vgl. Stewart, i n : Der Tagesspiegel Nr. 7971 v o m 2. Dezember 1971, S. 3. 71 Vgl. hierzu O V G Berlin, i n : JZ 1971, 650 (651) — auch aus bevölkerungspolitischer Sicht ist die Behördenpraxis k a u m verständlich.

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

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7.1.7. Deutsch als Muttersprache

Ausländer, die Deutsch als Muttersprache sprechen, tragen — insbesondere, wenn sie aus einem Nachbarstaat stammen — i n der Regel viel weniger als andere Ausländer zu der von einigen Autoren befürchteten „Überfremdungsgefahr" bei (vgl. Abschnitte 3.2.2.4.2. und 7.1.1.). Insbesondere fehlt bei ihnen jegliche Neigung zur Ghettobildung. Deswegen wäre es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Ausländerbehörde diesen Umstand bei ihrer Ermessensausübung zugunsten des betreffenden Ausländers berücksichtigte (treten andere Anhaltspunkte einer engeren Bindung an Deutschland wie frühere deutsche Staatsangehörigkeit und längerer Aufenthalt i n Deutschland hinzu, ist dies zugunsten des Ausländers mit zu berücksichtigen) 72 . Daß die deutsche Muttersprache mit i n die Ermessenserwägungen einbezogen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Mehreren Ausländern deutscher Muttersprache wurde zwar die Aufenthaltserlaubnis antragsgemäß erteilt oder verlängert, doch wäre dies auch ohne diesen Umstand geschehen (es handelte sich zumeist um Staatsangehörige der Schweiz, der USA oder eines EWG-Landes, gelegentlich auch u m Österreicher). Umgekehrt wurde sechs Ausländern (fünf Österreichern, einem Polen) die Aufenthaltserlaubnis versagt, einem (einem Israeli) nicht verlängert. Jedoch lag i n all diesen Fällen ein Ausweisungsgrund von erheblichem Gewicht vor. 7.1.8. Längerer Aufenthalt in der BRD

Die BRD ist zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, Ausländern den Aufenthalt i m Bundesgebiet zu gestatten. Hat sie dies aber einmal getan, so hat der Ausländer nach allgemeinem Völkerrecht einen Status erlangt, der nicht ohne weiteres wieder beseitigt werden darf 7 3 . Dies gilt insbesondere von Ausländern, die sich schon lange Zeit hier aufhalten. Denn diese t r i f f t die Untersagung des weiteren Aufenthaltes grundsätzlich besonders hart; hinzu kommt, daß sie i n der Regel auch weniger zu jener „Überfremdungsgefahr" beitragen (vgl. Abschnitte 3.2.2.4.2. und 7.1.1.). Dementsprechend t r i t t bei längerem Aufenthalt i m Inland eine gewisse Ermessensbindung ein 7 4 . Dies ist allgemein anerkannt 7 5 . Allerdings w i r d man auch auf den Aufenthaltszweck abstellen müssen 76 . Strittig ist jedoch, bei welcher 72

Vgl. OVG Berlin, i n : JZ 1971, 650 (651). O V G Münster, i n : OVGE 16, 300 = Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 23. 74 Bayer. VGH, i n : Schüler / W i r t z AuslG § 2 Nr. 6, S. 196. Vgl. auch BVerwG, i n : DÖV 1973, 414. 73

142

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Aufenthaltsdauer eine gewisse Ermessensbindung eintritt. Nach Auffassung des OVG Münster 7 7 kann bei einer Zeit von zwei Jahren von einem langjährigen Aufenthalt nicht die Rede sein; i n einer anderen Entscheidung weist es auf die Zehnjahresfrist des A r t . 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens hin. — Der Bayerische V G H 7 8 w i l l jene Ermessensbindung nach fünf Jahren eintreten lassen, weil diese Frist auch Voraussetzung für die Aufenthaltsberechtigung (§ 8 AuslG) und die Erschwerung der Ausweisung nach mehreren völkerrechtlichen Verträgen der BRD sei 79 . Dem w i r d man folgen können, wobei es sich jedoch immer nur u m einen groben Richtwert handeln kann. I n Einzelfällen w i r d auch schon ein etwa dreijähriger Aufenthalt zugunsten eines Ausländers ausschlagen können. Die Berliner Ausländerbehörde verkürzte i m Untersuchungszeitraum drei Ausländern, die sich schon mehr als fünf Jahre i m Bundesgebiet aufgehalten hatten, die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis. Von schon so lange hier weilenden Ausländern gestellte Anträge auf Verlängerung oder sonstige Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis lehnte sie i n insgesamt 46 Fällen ab (in 42 Fällen bei Ausländern, die sich zwischen drei und fünf Jahren hier aufgehalten hatten). I m einzelnen handelte es sich u m (in Klammern die Zahlen bei drei- bis fünfjährigem Aufenthalt): — fünf (zwei) Anträge auf Aufhebung einer die selbständige Erwerbstätigkeit ausschließenden Auflage (die Ablehnung wurde stets damit begründet, daß die deutsche Wirtschaft nur Arbeitskräfte benötige); — 23 (16) Anträge 8 0 auf Verlängerung einer unter der Auflage „selbständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet" erteilten Aufenthaltserlaubnis (in 19 Fällen lag ein Ausweisungsgrund, i n einem Arbeitslosigkeit vor; zweimal hieß es, der Sinn der Entwicklungshilfe erfordere die Rückkehr i n die Heimat); — 20 (zwölf) Anträge auf Ersetzung der eine Arbeit ausschließenden Nebenbestimmung durch die Auflage „Gewerbeausübung nicht gestattet" (teilweise bei gleichzeitiger Verlängerung); dabei wurde die Ablehnung 14mal mit dem Sinn der Entwicklungshilfe begründet, 75 Bayer. V G H , a.a.O., zur Aufenthaltserlaubnis u n d OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 23 sowie V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 4 zur Ausweisung; vgl. auch V G H Bad.-Württ., i n : Schüler/ W i r t z A P V O § 5 Nr. 17. 76 Weißmann, AuslG, § 2 Anm. 10 b. 77 OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 23 u. 30. 78 Bayer. V G H , a.a.O. 79 So z. B. A r t . 2 Abs. 2 des deutsch-italienischen Freundschaft-, Handelsu n d Schiffahrtsvertrages. 80 I n drei weiteren Fällen wurde dem Widerspruch abgeholfen.

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

143

dreimal damit, daß an einer Arbeitstätigkeit von Ausländern, die ihr Studium abgebrochen hätten, kein Interesse bestünde; — sieben (elf) Anträge auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis unter der Auflage „nur für Studienzwecke" (abgelehnt wegen A b bruchs des Studiums, schlechter Studienleistungen, Studienwechsels oder Fehlens der Zulassungsvoraussetzungen bzw. der finanziellen Mittel) und — zwei (ein) Anträge 8 1 auf Verlängerung einer nur zum Besuch erteilten Aufenthaltserlaubnis (zur Erledigung von Rechtsstreitigkeiten). Die Ausländer stammten fast durchweg aus Entwicklungsländern. Nur bei der zweiten Fallgruppe gehörte ein größerer Teil (acht) den sog. Anwerbeländern an; bei ihnen lag — von einer Ausnahme abgesehen — stets ein Ausweisungsgrund vor. I n der Begründung wurde auf den langjährigen Aufenthalt in keinem Falle ausdrücklich eingegangen. Aus dieser Übersicht ist folgendes zu entnehmen: 1. Gegenüber Angehörigen der mittel-, nord- und westeuropäischen Staaten, der USA und der übrigen „weißen" überseeischen Staaten wurden nach langjährigem Aufenthalt negative Ermessensentscheidungen nicht getroffen (wenn man von den Ausweisungen absieht, die unten behandelt werden). — 2. Bei Arbeitnehmern — vor allem aus sog. Anwerbeländern — wurde langjähriger Aufenthalt positiv berücksichtigt, es sei denn, daß ein Ausweisungstatbestand vorlag. — 3. Bei Studenten aus Entwicklungsländern (aber zum Teil auch aus den Mittelmeerländern) spielte langjähriger Aufenthalt für die Frage, ob die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden und/oder eine unselbständige Erwerbstätigkeit erlaubt werden soll, grundsätzlich keine Rolle. 7.1.9. Früherer Aufenthalt im (jetzigen) Bundesgebiet

Ausländer, die sich früher schon einmal längere Zeit i m Deutschen Reich bzw. i n der BRD aufgehalten haben, werden i n der Regel ebenfalls weniger als andere Ausländer zu jener „Überfremdungsgefahr" beitragen (vgl. Abschnitte 3.2.2.4.2. und 7.1.1.). Deswegen wäre es nicht ermessensfehlerhaft, auch diesen Umstand zugunsten des Ausländers mit zu berücksichtigen. — I n der Praxis der Berliner Ausländerbehörde spielte dieser Umstand jedoch keine Rolle. Sie lehnte 1967/68 insgesamt dreizehn Anträge auf Erteilung (acht), Verlängerung (vier) oder Erweiterung (einen) der A u f 81

E i n weiterer Abhilfefall.

144

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

enthaltserlaubnis ab, die Ausländer gestellt hatten, welche sich hier früher länger als fünf Jahre aufgehalten hatten. Daß diese Tatsache mit den anderen Umständen, die gegen den Ausländer sprachen — i n neun Fällen handelte es sich um einen Ausweisungsgrund — abgewogen wurde, war keiner der Verwaltungsakten zu entnehmen. 7.1.10. Nationalsozialistische Verfolgung

Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde gegenüber Ausländern, die i n der NS-Zeit verfolgt worden waren, war i m Untersuchungszeitraum nicht einhellig. Teilweise wurde ihnen für mehrere Monate eine Aufenthaltserlaubnis wenigstens „für Besuchszwecke" erteilt (bzw. diese verlängert), wenn es sich u m israelische Staatsbürger oder um Ausländer handelte, über deren geltend gemachte Entschädigungsansprüche noch nicht rechtskräftig entschieden worden war (in dem umgekehrten Fall eines Polen wurde der Antrag abgelehnt, weil noch kein Entschädigungsverfahren anhängig war). Teilweise jedoch wurde die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bzw. ihre Verlängerung auch gegenüber israelischen Staatsbürgern versagt, wenn über ihre Entschädigungsansprüche bereits entschieden worden war (zwei Fälle; i n einem Fall war die Entscheidung noch nicht rechtskräftig); i n einem weiteren Fall wurde die Ablehnung mit dem Hinweis begründet, Entschädigungsverfahren könnten auch vom Ausland her m i t Hilfe von Prozeßvertretern betrieben werden. — Aus einem verwaltungsinternen Vermerk bei einem der hier erwähnten ablehnenden Bescheide ging hervor, daß die Ausländerbehörde befürchtete, der Antragsteller wolle endgültig i m Bundesgebiet verbleiben. Die Aufsichtsbehörde half allen Widersprüchen ab, die i n jenen Fällen eingelegt worden waren (in zwei Fällen, weil das Entschädigungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, i n dem Fall des polnischen Staatsangehörigen, weil er 1923 bis 1932 i n Berlin gelebt hatte und i n der NS-Zeit verfolgt worden war; i n dem Fall des Israelis, dessen Wiedergutmachungsansprüche rechtskräftig festgestellt worden waren, wies sie die Ausländerbehörde an, eine Aufenthaltserlaubnis unter der auflösenden Bedingung des Sozialhilfebezuges zu erteilen). 7.1.11. Einbürgerungsantrag

Nach Ansicht des V G Bremen 8 2 w i r d das Ermessen bei der Entscheidung über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis fehlerhaft ausgeübt, wenn nicht berücksichtigt wird, daß der Ausländer nicht ohne Aussicht auf Erfolg seine Einbürgerung beantragt hat: Es verstoße 82

OVG Bremen, i n : M D R 1971, 426.

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

145

gegen Treu und Glauben, einem solchen Ausländer durch die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (womit die Ausreisepflicht verbunden ist) die Niederlassung zu verbieten und i h m so eine Voraussetzung seiner Einbürgerung zu nehmen. Der Polizeipräsident in Berlin war anderer Auffassung: Einem chinesischen Staatsbürger, der — von einer Unterbrechung 1958 bis 1960 abgesehen — seit 1924 i n Deutschland lebte, m i t einer (1945 umgekommenen) Deutschen verheiratet war und hier eine Tochter und drei Enkel hatte, wurde die A u f enthaltserlaubnis trotz Einbürgerungsantrages versagt, weil er — jetzt arbeitsunfähig — Sozialhilfe bezog. — Die Aufsichtsbehörde hob die Versagung mit Recht auf und ordnete die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis an. 7.1.12. Auswanderungsabsicht

Die Absicht von Ausländern, i n einen anderen Staat auszuwandern und die entsprechende Registrierung als Einwandereranwärter, veranlaßte die Berliner Ausländerbehörde anscheinend nicht, solchen Ausländern bis zur Auswanderung den Aufenthalt i m Bundesgebiet zu gestatten, falls nicht sonstige Gründe hierfür sprachen 83 . Dementsprechend gab sie dem Antrag eines Staatenlosen, ihm die Aufenthaltserlaubnis u m vier bis fünf Monate bis zur Auswanderung nach Kanada zu verlängern, nicht statt. I n einem weiteren Fall verlängerte sie jedoch — nach Vorlage eines Einwanderervisums der USA — die Ausreisefrist u m einen Monat. 7.1.13. Einreise aus Ostberlin, der DDR oder einem sonstigen Ostblockstaat

Nach der Verordnung über den Aufenthalt von Ausländern i m Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik 8 4 w i r d der Aufenthalt i n der DDR und i n Ostberlin i n erster Linie Ausländern erlaubt, die i m Auslande kommunistische Ideen verfochten haben. Erst i n zweiter Linie kann der Aufenthalt Ausländern auch „aus anderen Gründen" gestattet werden. Zur Einhaltung der Verfassung der DDR und der sozialistischen Gesetzlichkeit sind alle Ausländer verpflichtet (§ 3 der Verordnung). Deswegen und wegen der Beeinflussung durch die kommunistische Propaganda während des Aufenthaltes in der DDR wäre es denkbar, daß die Berliner Ausländerbehörde dazu neigte, Aufenthaltserlaubnisanträge von aus der DDR eingereisten Ausländern grundsätzlich, d. h. auch ohne besonderen Grund, abzulehnen. 83 Z u r Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bei beabsichtigter A u s w a n derung i n ein weiteres Land, wenn die zuerst beabsichtigte Auswanderung gescheitert ist, vgl. Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 7 f. 84 V o m 14. Dezember 1956 (GBl. 1957 I, S. 1).

10 Schüler

146

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Dies ließ sich jedoch für den Untersuchungszeitraum nicht feststellen. Soweit es sich u m Studenten handelte, richtete sich der Polizeipräsident i n Berlin nach dem i n Abschnitt 3.2.1.4.4. dargestellten Verfahren. A n dere Ausländer als Studenten suchten sehr selten u m eine Aufenthaltserlaubnis nach. Sofern die Entscheidung nicht auf § 5 Abs. 1 DVAuslG oder § 3 Abs. 3 Abs. 1 AuslG (Fehlen einer Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks bzw. eines Passes) gestützt war, war die Entscheidung m i t dem Vorliegen von Ausweisungstatbeständen begründet (vier Fälle), i n einem weiteren Fall auch m i t dem Fehlen eines w i r t schaftlichen oder sonstigen öffentlichen Interesses. Diese Entscheidungspraxis unterschied sich nicht von derjenigen gegenüber Ausländern, die aus einem westlichen oder einem blockfreien Staat i n das Bundesgebiet eingereist waren. Das gleiche t r i f f t auch auf Ausländer zu, die — ohne Angehörige eines sonstigen Ostblockstaates zu sein — aus diesem Gebiet i n die BRD gekommen waren (1967/68 sechs Ausländer) 85 . 7.1.14. Hinterlegung einer Sicherheit

Nach AuslGVwv Nr. 16 zu § 7 kann Gegenstand einer Bedingung oder Auflage der Aufenthaltserlaubnis auch die Leistung einer Sicherheit sein, namentlich für die Kosten der Rückreise oder einer etwa erforderlich werdenden Abschiebung. Weißmann 8 6 ζ. B. hält sie — vor allem bei Staatenlosen — für angebracht, wenn der Verdacht bestehe, daß der Ausländer nicht zu dem angegebenen Zweck einreise oder sich entgegen seinen Angaben hier ständig niederlassen werde; die Höhe solle so bestimmt werden, daß der Verfall für den Ausländer einen empfindlichen Verlust darstelle, mindestens aber so, daß die Kosten der Rückreise bzw. der Abschiebung gedeckt seien. Dem w i r d man grundsätzlich zustimmen können: Richtig angewandt, dient eine solche Nebenbestimmung dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Erforderlichkeit, weil sie es ermöglicht, von einer Ablehnung eines Antrages abzusehen, ohne dabei öffentliche Interessen außer acht zu lassen. Diese Überlegungen spielten jedoch, soweit es sich anhand der untersuchten Vorgänge feststellen ließ, i n Berlin 1967/68 keine Rolle. Es hat den Anschein, daß die Ausländerbehörde i n den i n Betracht kommenden Fällen (ζ. B. bei ausländischen Touristen, bei Besuchern von Familienangehörigen und bei Einreisen zur Arbeit und gleichzeitig zu anderen Zwecken ohne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis in 85

E i n weiterer Abhilfefall. Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 7 i ; M a r x e n (Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 7 RdNr. 13) hält die Hinterlegung einer Sicherheit als aufschiebende Bedingung bei weiter Entfernung des Heimatstaates für angebracht. 88

7.1. Einzelfragen i n sachlicher Hinsicht

147

der Form des Sichtvermerks) jeweils, insbesondere bei weiter Entfernung des Heimatstaates, die gestellten Anträge einfach ablehnte 87 . Hierbei mag eine Rolle gespielt haben, daß eine Ablehnung weniger Umstände bereitet (die Hinterlegung der Sicherheit müßte geprüft, der weitere Aufenthalt überwacht werden). — 7.1.15. Entscheidungen ohne Antrag

Nach § 7 Abs. 4 AuslG kann die Aufenthaltserlaubnis nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie m i t Bedingungen und Auflagen versehen werden. I n gleichem Umfang kann der Aufenthalt eines Ausländers, der keiner Aufenthaltserlaubnis bedarf (§ 2 Abs. 2 und 3, § 49 Abs. 2 AuslG), beschränkt werden (§ 7 Abs. 5 Satz 1 AuslG). Dagegen kennt das Ausländergesetz nicht die Möglichkeit, einem Ausländer den Aufenthalt zu untersagen, der keine Aufenthaltserlaubnis besitzt und auch nicht zu den i n § 7 Abs. 5 Satz 1 AuslG genannten Personen gehört. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann die Ausländerbehörde hier nur entweder den unerlaubten Aufenthalt stillschweigend dulden oder die Ausweisung aussprechen. Demgegenüber untersagte die Berliner Ausländerbehörde 1967 i n vier Fällen den Aufenthalt: I n zweien war die Aufenthaltserlaubnis durch Eintritt einer auflösenden Bedingung ungültig geworden, i n den beiden übrigen hatte nur eine Aufenthaltsanzeige gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG bzw. eine Mitteilung des Sozialamtes über Sozialhilfe vorgelegen. Die Ausländerbehörde hatte sich anscheinend von der Erwägung leiten lassen, daß zwar einerseits die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Lage der Dinge nicht i n Betracht komme, andererseits die Ausweisung zu weit gehe. — Eine Rechtsgrundlage war nicht genannt. Jedoch handelte es sich, wie aus dem Wortlaut des an den Antragsteller gerichteten Bescheides und aus der Rechtsbehelfsbelehrung hervorgeht, jeweils um einen Verwaltungsakt. Diese vier Entscheidungen sind rechtlich fehlerhaft. Eine Analogie zu dem i n § 7 Abs. 5 Satz 1 AuslG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken ist nicht denkbar: Jemandem, der sich schon unberechtigt i m Bundesgebiet aufhält und der zur Ausreise verpflichtet ist (§12 Abs. 1 Satz 1 AuslG), kann der weitere Aufenthalt nicht (konstitutiv) untersagt werden, wenn damit weitergehende Rechtsfolgen nicht verbunden sind. Die Ausländerbehörde hätte die betreffenden Ausländer allenfalls zur Ausreise auffordern, sie also (deklaratorisch) auf ihre Ausreise87 Die Aufsichtsbehörde hat den Polizeipräsidenten i n B e r l i n jedoch v e r einzelt angewiesen, eine Aufenthaltserlaubnis unter der auflösenden Bedingung zu erteilen, daß nicht monatlich eine bestimmte Summe hinterlegt wird.

10*

148

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

pflicht hinweisen können. Dies wäre kein Verwaltungsakt gewesen; eine Rechtsbehelfsbelehrung hätte also unterbleiben müssen 88 . 7.1.16.

Religion des Ausländers

Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Religion des Ausländers irgendeinen Einfluß auf die Entscheidungen der Ausländerbehörde ausgeübt hat. Dies galt sowohl i n bezug auf die Bekenntnislosigkeit und das Bekenntnis zu einer nichtchristlichen Religion als auch umgekehrt (etwa bei Asiaten) i n bezug auf das Bekenntnis zum Christentum. 7.1.17. Einstellung der Bevölkerung

Nach Auffassung von Weißmann 89 , dem Leiter der Berliner Ausländerbehörde, ist die zurückhaltende Einstellung der deutschen Bevölkerung zu den i m Bundesgebiet weilenden Ausländern einer von den vier hauptsächlichsten Gesichtspunkten, welche die Ermessensüberlegungen beeinflussen. Diese Ansicht ist nicht unproblematisch. Denn einmal ist die Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber den Ausländern i n der BRD, insbesondere den Arbeitskräften, schwer festzustellen, da es kaum systematische wissenschaftliche Untersuchungen hierüber gibt. Die meisten Veröffentlichungen auf diesem Sektor haben keinen wissenschaftlichen Charakter und beschränken sich häufig darauf, mehr oder weniger zahlreiche Einzelfälle zusammenzustellen 90 . Außerdem 88

Vgl. Marxen, a.a.O., § 12 RdNr. 4. Weißmann i n einem Vermerk v o m 6. J u n i 1967 — Az.: I I A a 1 20.00 — 6 — auf S. 3 f.; ähnlich Kanein, AuslG, § 1 Anm. A 3 a: „Das wachsende U n behagen weiter Bevölkerungsteile, die sich . . . bedroht fühlen, ist jedenfalls i n Betracht zu ziehen". 90 Vgl. ζ. B. Lenz, i n : Der Tagesspiegel Nr. 7571 v o m 16. August 1970 auf S. 38; Der Spiegel Nr. 43 v o m 19. Oktober 1970, S. 70ff.; Klee, Die Nigger Europas. A u f G r u n d der relativ wenigen wissenschaftlichen Publikationen scheint jedoch festzustehen, daß zumindest die Anwesenheit der sog. Gastarbeiter von den Deutschen nicht begrüßt w i r d . Entscheidend hierfür ist w o h l nicht die Furcht vor Überfremdung; die Abneigung gegen fremdartiges Aussehen u n d andere Lebensgewohnheiten der sog. Gastarbeiter, denen man i m a l l gemeinen Fleiß, Sparsamkeit u n d Sorge für ihre Familie zugesteht, scheint eher i n den Hintergrund zu treten. Ausschlaggebend ist w o h l mehr die Furcht, daß sich eines Tages aus der Beschäftigung ausländischer A r b e i t nehmer Schwierigkeiten für die deutsche Wirtschaft ergeben können, wobei vermutlich die Angst u m den eigenen Arbeitsplatz von großer Bedeutung ist, insbesondere bei A r b e i t e r n (Institut für angewandte Sozialwissenschaft, i n : Politogramm 1966 „Deutsche und Gastarbeiter"). — Nach Bingemer und Meistermann-Seeger (in: Bingemer / Meistermann-Seeger / Neubert, Leben als Gastarbeiter, S. 17/23) ist der primäre Zweck der ausländischen Arbeitskräfte: Sich benutzen zu lassen, ohne zu stören. — Z u diesen mehr w i r t schaftlichen Erwägungen scheint bei einigen Bevölkerungsgruppen eine 89

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

149

d ü r f t e die E i n s t e l l u n g d e r B e v ö l k e r u n g u n t e r d e m E i n f l u ß d e r Massenkommunikationsmittel

wandelbar

sein. —

Z u m a n d e r e n ist es sehr

f r a g w ü r d i g , b e i d e r Ermessensausübung (auch) a u f d i e E i n s t e l l u n g d e r B e v ö l k e r u n g abzustellen, w e n n diese w e i t g e h e n d v o n u n g e r e c h t f e r t i g t e n V o r u r t e i l e n u n d V e r a l l g e m e i n e r u n g e n 9 1 g e p r ä g t ist. D o c h m u ß d i e Frage, w e l c h e n E i n f l u ß d i e E i n s t e l l u n g d e r B e v ö l k e r u n g a u f d i e Ermessensentscheidungen der B e r l i n e r A u s l ä n d e r b e h ö r d e ausgeübt h a t , d a h i n g e s t e l l t b l e i b e n . D e n n d e n V e r w a l t u n g s a k t e n ließ sich i n dieser H i n s i c h t nichts e n t n e h m e n . Es w ü r d e d e n R a h m e n dieser A r b e i t sprengen, w e n n m a n a n h a n d a n d e r e r K r i t e r i e n feststellen w o l l t e , ob u n d i n w i e w e i t solche Ü b e r l e g u n g e n eine R o l l e gespielt haben. 7.2. D i e Ermessensausübung gegenüber Ausländern ausgewählter Staatsangehörigkeit unter besonderer Berücksichtigung völkerrechtlicher Verträge 7.2.1. Angehörige der Mitgliedstaaten der E W G 7.2.1.1. Die Rechtslage

im

Untersuchungszeitraum

D i e R e c h t s s t e l l u n g d e r A n g e h ö r i g e n d e r M i t g l i e d s t a a t e n der E W G w i r d auch schon i m U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m d u r c h das E W G - R e c h t b e einflußt 92. prinzipielle Fremdenfeindlichkeit hinzutreten (Institut für angewandte Sozialwissenschaft, a.a.O.). Jedenfalls klagen viele ausländische Arbeitnehmer, auch wenn nach einer Umfrage r u n d 7 0 % der Befragten ihre eigene Situation als gut oder sehr gut bezeichnen (vgl. i n : Der Tagesspiegel Nr. 7498 v o m 14. M a i 1970 auf S. 20; vgl. auch Weber, i n : Der Arbeitgeber, 1971, 387), über eine gewisse Diskriminierung. (Nach Delgado, Anpassungsschwierigkeiten der spanischen Gastarbeiter i n Deutschland, Diss. K ö l n 1966, S. 64 ff., v e r ursacht die Diskriminierung den Spaniern nach den mangelhaften Sprachkenntnissen u n d den schlechten Unterkünften die meisten Anpassungsschwierigkeiten.) Vgl. hierzu auch Samson, i n : Stirn, Ausländ. Arbeiter i m Betrieb, S. 116f.: „ D i s k r i m i n i e r u n g des Andersartigen ist unbedingt ein Zeichen für mangelnde menschliche Bildung." Z u r Einstellung der Gewerkschaften vgl. Anagnostidis, i n : Klee, Gastarbeiter. Analysen u n d Berichte, S. 104 ff. m. w. N. Zur H a l t u n g der schweizerischen Bevölkerung gegenüber ausländischen Arbeitskräften vgl. den Bericht der Studienkommission, S. 145. 91 Der Verfasser vermag nicht zu entscheiden, ob dies auch bei Weißmann, zu dessen Abteilung auch das Berliner Ausländerreferat gehört, so ist, wenn er i n einem ausländerrechtlichen u n d -politischen Aufsatz (in: Die Polizei 1963, 225) bei der Frage, ob es i m öffentlichen Interesse liege, jeden Ausländer aufzunehmen, schreibt: „Wer Zimmer aufgesucht hat, die Ausländer aus bestimmten Ländern gemietet haben, ist erschrocken, daß sie ihren Lebensstil beibehalten u n d sich nicht angepaßt haben. Der Schmutz liegt knöchelhoch, der A b f a l l w i r d i m Z i m m e r oder i n der Küche umhergeworfen, das Fenster muß schon wochenlang nicht geöffnet sein u n d trotzdem fühlen sich die Bewohner i n dieser Umgebung wohl."

150

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Auszugehen ist vom Vertrag zur Gründung der Europäischen W i r t schaftsgemeinschaft vom 25. März 195793. Hiernach gilt u. a. folgendes: Die Tätigkeit der Gemeinschaft umfaßt nach Maßgabe dieses Vertrages und der darin vorgesehenen Zeitfolge auch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 3 Buchst, c EWGV). Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist i n seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten (Art. 7 EWGV) 9 4 . — Spätestens bis zum Ende der Übergangszeit w i r d innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit hergestellt. Sie gibt den Arbeitnehmern — vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit 95 gerechtfertigten Beschränkungen — das Recht, — sich u m tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, — sich zu diesem Zweck frei zu bewegen, — sich aufzuhalten, u m eine Beschäftigung auszuüben und — nach Beendigung der Beschäftigung unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission i n Durchführungsverordnungen festlegt (Art. 48 EWGV, der jedoch kein unmittelbar anwendbares Recht darstellt). Unmittelbar nach Inkrafttreten dieses Vertrages t r i f f t der Rat durch Richtlinien oder Verordnungen alle erforderlichen Maßnahmen, u m die Freizügigkeit der Arbeitnehmer i m Sinne des A r t . 48 EWGV fortschreitend herzustellen (Art. 49 EWGV). — Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates und die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft werden während der Übergangszeit schrittweise aufgehoben (Art. 52 ff. bzw. A r t . 59 ff. EWGV) 9 6 . Einzelheiten sind während des Untersuchungszeitraums vor allem i n der Verordnung Nr. 38/64 des Rats der EWG über die Freizügigkeit 92 Allgemein zum Verhältnis des EWG-Rechtes zum nationalen Recht vgl. z.B. EuGH, i n : N J W 1964, 2371 u n d Ipsen, i n : Aktuelle Fragen des europäischen Gemeinschaftsrechts, 29. Beiheft zur ZHR, S. 1 u n d Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 255 ff. m. w. N. Speziell zum Verhältnis der europäischen Verordnungen zum deutschen Recht vgl. Carstens, i n : Festschrift für Otto Riese, 1964, S. 65 u n d von Meibom, i n : N J W 1965, 466. 93 BGBl. I I , S. 766. 94 Vgl. hierzu Bode, Die Diskriminierungsverbote i m EWG-Vertrag. 95 Vgl. hierzu L G Göttingen, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 7 Nr. 5; V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 16, 18 = Schüler / W i r t z AuslG § 10 Nr. 2; Schober, i n : GewArch. 1971, 6; Selmer, i n : D Ö V 1967, 328. 96 Z u Fragen der Freizügigkeit u n d des Arbeitsmarktes bzw. der Niederlassung u n d des Dienstleistungsverkehrs vgl. statt aller Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 637 ff. bzw. S. 641 ff. m. w. N.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

151

der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 25. März 196407 geregelt. I n diesem Zusammenhang erläßt der Rat der EWG folgende Richtlinien: — Nr. 64/220/EWG vom 25. Februar 1964 zur Aufhebung der Reiseund Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiete der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs 08 ; — Nr. 64/221/EWG vom 2. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind"; — Nr. 64/240/EWG vom 25. März 1964 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft 100 . Die Richtlinien sind lediglich für den Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich der zu erreichenden Ziele verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der M i t t e l (Art. 189 Abs. 3 EWGV). Sie gelten nicht unmittelbar und bedürfen — i m Gegensatz zur Verordnung (Art. 189 Abs. 2 EWGV) — der Umsetzung i n innerdeutsches Recht 101 . Dies ist bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes nur teilweise geschehen (vgl. § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 1 Nr. 4 und § 5 Abs. 3 DVAuslG a. F.) 1 0 2 . 97 ABl., S. 965; vgl. hierzu Nicolaysen, i n : NJW 1965, 2338 (2339) und Franz, i n : DVB1. 1965, 457 (463); zur durch diese V O abgelöste V O Nr. 15/61 E W G v o m 16. August 1961 (BGBl. I I , S. 1610) Köhrer, i n : Deutsche Versicherungszeitschrift 1960, 283 u n d Knolle, i n : B A r b B l . 1961, 674. 98 ABl., S. 845; hierzu Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, Β 4, 5; u n d Nicolaysen, i n : N J W 1964, 965 (966). 99 ABl., S. 850; hierzu O V G Hamburg, i n : VerwRspr. 18, 737 (745); Le Tallec, i n : A W D 1964, 274 (276 ff.); Kloesel / Christ, a.a.O., Β 4.3; Schober, i n : N J W 1965, 2240; Selmer, i n : D Ö V 1967, 328 (332). 100 ABl., S. 981; hierzu Nicolaysen, i n : N J W 1965, 2338 (2340). 101 O V G Hamburg, a.a.O., S. 744; Fuß, i n : DVB1. 1965, 378; Meier, i n : N J W 1970, 969 (973); allgemein zu den Richtlinien vgl. z.B. Furier, i n : N J W 1965, 1401 (1403); André, i n : EuR 1969, 191; von G r o e b e n / v o n Boeckh, EWGV, A r t . 189 Vorbem., S. 14 ff., 32 a ff. u n d A n m . 7 bis 14; Everling, i n : N J W 1967, 465 (467); Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 455 (457); Kreplin, i n : N J W 1965, 467; Nicolaysen, i n : N J W 1964, 965 (966); Oldekop, Die Richtlinien der EWG, 1968; Zuleeg, Das Recht der europäischen Gemeinschaften i m innerdeutschen Bereich, Köln, Berlin, Bonn u n d München 1969; zum Rechtsschutz gegen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinien vgl. Fuß, i n : NJW 1966, 1783 (1785). 102 Menger / Erichsen, i n : VerwArch. 1966, 64 (78); allgemein zur Rechtsstellung des einzelnen i m EWG-Recht vgl. z.B. Constantinesco, Die u n m i t telbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsnormen u n d der Rechtsschutz von Einzelpersonen i m Recht der EWG, Baden-Baden 1969; Daig, i n : EuR 1970, 1; Platz, EWG-Niederlassungsrecht u n d individuelle Rechtspositionen,

152

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Nach den oben erwähnten Bestimmungen (einschließlich der 1967/68 nur teilweise umgesetzten Richtlinien) gilt folgendes: Die Mitgliedstaaten gewähren den Angehörigen der übrigen EWG-Staaten, die sich i n ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen haben, um dort eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, ein Recht auf unbefristeten Aufenthalt, wenn die Beschränkungen für die betreffende Tätigkeit auf Grund des EWG-Vertrages aufgehoben worden sind. Die Aufenthaltserlaubnis ist mindestens fünf Jahre gültig und w i r d ohne weiteres verlängert (Art. 1 Abs. 1 Buchst, a, 3 Abs. 1 Ri Nr. 64/220/EWG 103 ). Vorzulegen sind nur ein Ausweis oder Reisepaß und ein Nachweis über die Niederlassung (Art. 2, 5 Ri Nr. 64/220/EWG). — I m gleichen Umfang w i r d auch Ehegatten und noch nicht 21 Jahre alten Kindern, sofern sie die Staatsangehörigkeit eines anderen EWG-Staates besitzen, eine Aufenthaltserlaubnis gewährt, ebenso Verwandten i n aufsteigender und absteigender Linie, denen voller Unterhalt gewährt w i r d (Art. 1 Abs. 1 Buchst, c und d, A r t . 2 Abs. 2, A r t . 3 Abs. 3 Ri Nr. 64/220/EWG). — Angehörige eines anderen EWG-Staates, die als selbständige Erwerbstätige i n einem anderen Mitgliedstaat der EWG einen Beruf ausüben wollen, für den die Beschränkungen noch nicht aufgehoben worden sind, haben ein Aufenthaltsrecht nur dann, wenn die Ausübung dieser Tätigkeit auf Grund berufs- oder gewerberechtlicher Vorschriften gestattet ist 1 0 4 . Für Erbringer und Empfänger von Dienstleistungen entspricht das Aufenthaltsrecht der Dauer der Leistung (Art. 1 Abs. 1 Buchst, a und d, A r t . 3 Abs. 2, A r t . 5 R i Nr. 64/220/EWG). Für Familienangehörige gilt das oben Gesagte (Art. 1 Abs. 1 Buchst, c und d, A r t . 2 Abs. 2, A r t . 3 Abs. 3 Ri Nr. 64/220/EWG). Arbeitnehmern, auf welche die Verordnung Nr. 38/64/EWG Anwendung findet, gewähren die Mitgliedstaaten ebenfalls ein Aufenthaltsrecht i n ihrem Hoheitsgebiet. — Ist eine Dauerarbeitserlaubnis erteilt worden, so hat die Aufenthaltserlaubnis die Dauer von fünf Jahren; sie w i r d ohne weiteres verlängert (Art. 1 Abs. 1, A r t . 3, 4 Abs. 1, A r t . 5 Abs. 1 und 3 Ri Nr. 64/240/EWG). — Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis darf nur die Vorlage des Ausweises und eine mit dem Vermerk der zuständigen Arbeitsverwaltung versehene Bescheinigung verlangt werden, aus der hervorgeht, daß der Antragsteller innerhalb des Hoheitsgebietes i n einem ordnungsmäßigen Beschäftigungsverhältnis K ö l n u n d B e r l i n 1966; Werbke, i n : N J W 1970, 2137; Zuleeg, a.a.O., S. 170 ff. u n d 294 ff. 103 Eine Übersicht über die selbständigen Erwerbstätigkeiten, für die A n fang 1967 die Aufenthaltsbeschränkungen aufgehoben waren, bei Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 51. 104 So zu Recht Marxen, a.a.O., RdNr. 51.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

153

steht (Art. 4 Abs. 2 R i Nr. 64/240/EWG). — Die Familienangehörigen besitzen das gleiche Aufenthaltsrecht wie der Arbeitnehmer, von dem sie die Rechte herleiten, wenn dieser für seine Familie über eine Wohnung verfügt, die i n dem Gebiet, i n dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht (Art. 1 Abs. 2 Ri Nr. 64/240/EWG i. V. m. A r t . 17 Abs. 3 VO Nr. 38/68/EWG, A r t . 4 Abs. 1 R i Nr. 64/240/EWG). Für alle drei oben erwähnte Gruppen von Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der EWG gilt folgendes: — Eine Aufenthaltserlaubnis ist nicht nötig, wenn die Aufenthaltsdauer drei Monate nicht übersteigt (Art. 3 Abs. 2 Ri Nr. 64/240/EWG; § 1 Abs. 4 DVAuslG a. F.); — das Aufenthaltsrecht erstreckt sich auf das gesamte Hoheitsgebiet. Räumliche und zeitliche Beschränkungen sowie Bedingungen und Auflagen sind nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig (Art. 4, 8 Ri Nr. 64/220/EWG, A r t . 5 Abs. 1 Buchst, a, A r t . 8 R i Nr. 64/240/EWG, A r t . 1 und 2 R i Nr. 64/221/EWG; vgl. A r t . 48 Abs. 3 und 56 Abs. 1 EWGV); — die Einreise, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sowie ihre Verlängerung dürfen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigert werden (Art. 4 und 8 R i Nr. 64/220/EWG; A r t . 8 Ri Nr. 64/240/EWG; A r t . 2 Ri Nr. 64/221/ EWG). Krankheiten rechtfertigen die Verweigerung der Einreise oder der Aufenthaltserlaubnis nur, soweit sie i m Anhang der Ri Nr. 64/221/EWG aufgeführt sind. Treten sie erst nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis auf, so darf deswegen nicht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert werden (Art. 4 Ri Nr. 64/221/EWG). — I n Fortentwicklung dieser für den ganz überwiegenden Teil des Untersuchungszeitraumes geltenden Bestimmungen werden folgende Vorschriften erlassen: — Die Verordnimg Nr. 38/64/EWG w i r d durch die Verordnung Nr. 1612/68/EWG des Rats der EWG über die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft vom 15. Oktober 1968 105 ersetzt; — zu ihrer Ausführung ergeht am selben Tage die Richtlinie Nr. 68/360/EWG zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrän105 A B l . E G Nr. L 257, S. 2; hierzu Kloesel / Christ, a.a.O., Β 4.2; Ipsen, Europ. Gemeinschaftsrecht, S. 640; Heynig, i n : A W D 1968, 337; Lyon-Caen, i n : Juris Classeur Périodique 43 (1969), 222; Müller, i n : B A r b B l . 1968, 590; Pabon, i n : Social Maandblad A r b e i d 1968, 754; Schill, i n : Arbeits- u n d Sozialrecht 1967, 173 u n d 1969, 46.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

kungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft 106 ; — zur Umsetzung der Richtlinien i n innerstaatliches Recht (vgl. Nr. 6 der amtlichen Begründung) erläßt der Bundesgesetzgeber am 22. J u l i 1969 das Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/ EWG) 1 0 7 ; — das sog. Verbleiberecht (vgl. A r t . 48 Abs. 3 Buchst, c EWGV) w i r d durch die Verordnung Nr. 1251/70/EWG der Kommission der EWG über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung i m Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verbleiben, vom 29. Juni 1970 108 geregelt. 7.2.1.2. Die Praxis der Berliner

Ausländerbehörde

Die Berliner Ausländerbehörde entschied i m Untersuchungszeitraum über Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich gemäß den oben dargestellten Bestimmungen. Sie richtete sich i m wesentlichen auch nach den noch nicht umgesetzten Richtlinien, obwohl diese nach wohl überwiegender Auffassung 1 0 9 — trotz Ablaufs der Sechsmonatsfrist (Art. 10 Ri Nr. 64/220/EWG, A r t . 10 Ri Nr. 64/221/ EWG, A r t . 11 R i Nr. 64/240/EWG) — nicht bindend waren. Auch Verwaltungsvorschriften über die Berücksichtigung der Richtlinien, die zu einer Ermessensbindung der Berliner Ausländerbehörde geführt hätten 1 1 0 , bestanden nicht 1 1 1 . — Den Antragstellern — ganz überwiegend Arbeitnehmern — wurde jeweils eine ungeschränkte Aufenthaltserlaubnis erteilt, und zwar auch bei leichteren Verstößen gegen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit 108

A B l . E G Nr. L 257, S. 13; hierzu Kloesel / Christ, a.a.O., Β 4.4. BGBl. I, S. 927/GVB1., S. 1155; i n K r a f t seit dem 27. J u l i 1969, § 17; allgemein hierzu Kloesel / Christ, a.a.O., Β 4.6. 108 A B l . E G Nr. L 142, S. 24; hierzu Kloesel / Christ, a.a.O., Β 4.7. 109 OVG Hamburg, a.a.O., S. 745; so w o h l auch Nicolaysen, i n : N J W 1964, 2338 (2340); vgl. auch Fuß, i n : DVB1. 1965, 378 (382); a. Α.: Möhring, i n : N J W 1965, 1633 (1639) u n d w o h l auch V G H Bad.-Württ. i n : DVB1. 1965, 405; Menger / Erichsen (in: VerwArch. Bd. 57, S. 64/79) werfen i n diesem Zusammenhang die Frage auf, ob eine Pflicht zum gemeinschaftsfreundlichen Verhalten gebietet, die i n R i Nr. 64/221/EWG enthaltenen Anordnungen bei der Auslegung des innerstaatlichen Rechtes zu beachten. 107

110 So ist w o h l auch Marxen, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 2 RdNr. 46 zu verstehen. 111 Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur A P V O u n d zur V O Nr. 15 des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die ersten Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft v o m 17. J u l i 1962 (GMB1., S. 263) galt zwar noch, enthielt aber insoweit keine Regelungen.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

155

(z.B. verspätete Anmeldung, nicht rechtzeitige Antragstellung; leichtere Vorstrafen; insoweit wurde A r t . 3 Abs. 2 R i Nr. 64/221/EWG beachtet, wonach strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit rechtfertigen können). — Eine Aufenthaltserlaubnis ohne einschränkende Auflagen und Bedingungen wurde teilweise auch solchen Staatsangehörigen anderer EWG-Länder erteilt, die zum Studium eingereist waren (in anderen Fällen allerdings mit der Auflage „nur für Studienzwecke"). Insgesamt wurden neun (1967: fünf; 1968: vier) Anträge abgelehnt. Die Versagungsgründe lassen sich i n folgende Gruppen einteilen (in einigen Fällen lagen mehrere Gründe vor) : — Straftaten (zweimal); — Nichterscheinen vor der Ausländerbehörde trotz Vorladung und Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht (dreimal); — alliierte Bedenken bei ehemals i n Berlin stationierten Soldaten (einmal); — Nichtvorlage einer ärztlichen Bescheinigung (zweimal); — Nichtvorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses (dreimal) und — (im Falle eines Rentners) Inanspruchnahme von Sozialhilfe (einmal) 1 1 2 . Diese Praxis entsprach den Richtlinien lediglich insoweit nicht, als die Ausländerbehörde von den Antragstellern die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses verlangte. Nach A r t . 5 Abs. 2 R i Nr. 64/221/ EWG kann zwar das Aufnahmeland, wenn es dies für unerläßlich hält, die Herkunfts-Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die anderen M i t gliedstaaten u m Auskünfte über das Vorleben des Antragstellers i n strafrechtlicher Hinsicht ersuchen. Es darf also nur ein Strafregisterauszug oder ein sonstiger amtlicher Nachweis über eventuelle Bestrafungen erbeten werden, nicht aber ein Leumundszeugnis 113 , wozu auch das polizeiliche Führungszeugnis zu zählen ist. — Außerdem hatten die Anfragen einen systematischen Charakter, wurden also auch gestellt, wenn Anhaltspunkte für eine Bestrafung des Ausländers oder aus sonstigen Gründen ein besonderes Interesse an der fraglichen Feststellung fehlten 1 1 4 (was nach A r t . 5 Abs. 2 Satz 2 Ri Nr. 64/221/EWG nicht zulässig ist). Die Aufenthaltserlaubnis wurde auch i n der Regel antragsgemäß verlängert (auch hier trotz leichterer Verstöße gegen die öffentliche 112 Sonst handelte es sich durchweg u m Arbeitnehmer; i n einem weiteren Falle wurde dem Widerspruch abgeholfen. 113 So zu Recht Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, Β 4.3 A r t . 5 Anm. 114 So zutreffend Kloesel / Christ, a.a.O.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Sicherheit oder Ordnung). — Nur i n einem einzigen Falle wurde — 1967 — die Verlängerung abgelehnt, weil über die Antragstellerin, eine minderjährige Französin, wegen Diebstahls drei Freizeitarreste verhängt worden waren. Diese Entscheidung wurde von der Aufsichtsbehörde mit dem Hinweis auf weitere Gründe, die sie festgestellt hatte, aufrechterhalten. I n einem einzigen Falle wurde — 1967 — eine Aufenthaltserlaubnis nachträglich in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt, weil das unterhaltsberechtigte K i n d der betroffenen Ausländerin Sozialhilfe bezog. Doch gab der Polizeipräsident i n Berlin dem Widerspruch statt, weil die Sozialhilfe i m Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung nicht mehr i n Anspruch genommen wurde und ein Teil der Sozialhilfe zurückgezahlt worden war. 7.2.2. Ägyptische Staatsangehörige

Sowohl A r t . I V des Handeslabkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Königlichen Ägyptischen Regierung vom 21. A p r i l 1951 115 als auch A r t . 3 Abs. 1 des Abkommens über den Warenverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Ägypten vom 18. Februar 1956 116 bestimmen, daß die beiden Regierungen i m Rahmen ihrer Vorschriften und Gesetze bemüht sein werden, die Geschäftsverbindungen ihrer Staatsangehörigen zu fördern und deren Reisen und Aufenthalte sowie die Errichtung von Firmenvertretungen i n ihren Gebieten zu erleichtern. — Hierin liegt eine sogenannte Wohlwollensklausel. Sie begründet keinen Rechtsanspruch auf Einreise und Aufenthalt und engt das Ermessen des Ausländergesetzes, das uneingeschränkt gilt, i n keiner Weise ein 1 1 7 . — Außerdem wurden diese Abkommen 1967/68 nicht angewandt, da keine diplomatischen Beziehungen bestanden 118 . 7.2.3. Belgische Staatsangehörige

Für belgische Staatsangehörige i n der BRD hat das Europäische Niederlassungsabkommen vom 13. Dezember 1955 119 , das i m Untersu115 BGBl. 1952 I I , S. 526; hierzu Gesetz v o m 24. A p r i l 1952 (BGBl. I I , S. 525), i n K r a f t seit dem 31. M a i 1952 (Bek. v o m 12. Januar 1954, BGBl. I I , S. 137). 116 BAnz. 1956, Nr. 110, S. 1; i n K r a f t seit dem 1. J u l i 1956. 117 So zutreffend O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 30; Bordewin, Das Aufenthaltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 167, Fußn. 4. 118 Vgl. Baum, i n : GewArch. 1967, 245 (248); Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 79. 119 Gesetz v o m 30. September 1959 (BGBl. I I , S. 997); allgemein zum A b kommen Meyer-Marsilius, i n : Recht der internationalen Wirtschaft 1956, 111.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

157

chungszeitraum für Belgien, Dänemark, Griechenland, Italien, Norwegen 1 2 0 u n d die B R D 1 2 1 i n Kraft war, keine Bedeutung gehabt. Hierfür waren vor allem zwei Gründe ursächlich. Einmal schränkt das Abkommen das nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG bestehende Ermessen nicht ein 1 2 2 . Denn das Abkommen enthält i n bezug auf Einreise und Aufenthalt lediglich Wohlwollensklauseln: Staatsangehörigen der anderen Vertragstaaten w i r d die Einreise zu vorübergehendem Aufenthalt erleichtert und ihnen Freizügigkeit gewährt, sofern nicht Gründe der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit, der Volksgesundheit oder der Sittlichkeit entgegenstehen (Art. 1 ENA). Unter diesen Voraussetzungen w i r d jeder Vertragsstaat i n dem Umfang, i n dem es seine w i r t schaftlichen und sozialen Verhältnisse gestatten, einen längeren oder dauernden Aufenthalt i n seinem Gebiet erleichtern (Art. 2 ENA). — Zum anderen enthalten die EWG-Bestimmungen günstigere Regelungen 1 2 3 . 7.2.4. Französische Staatsangehörige

Das Aufenthaltsrecht w i r d auch durch den deutsch-französischen Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag vom 27. Oktober 1956 124 tangiert. — Nach dessen A r t . 1 dürfen die Staatsangehörigen einer Vertragspartei das Gebiet der anderen Vertragspartei nach Maßgabe der geltenden Gesetze und Verordnungen betreten, darin reisen und es jederzeit verlassen; die Einreise kann verweigert werden, wenn die öffentliche Ordnung, Sicherheit, die Volksgesundheit oder die Sittlichkeit gefährdet würde. A r t . 2 bestimmt, daß jede Vertragspartei nach Maßgabe des A r t . 1 i n dem Umfang, i n dem es ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse irgend gestatten, den Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei die Möglichkeit eines längeren oder dauernden Aufenthaltes i n ihrem Gebiet eröffnen. Irgendeine Bedeutung für die sich i n Berlin aufhaltenden französischen Staatsangehörigen hat dieser Vertrag nicht gehabt. Auch hier war maßgebend, daß der Vertrag das Ermessen der Ausländerbehörde nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG nicht einengt 1 2 5 und daß das EWG-Recht 120

Vgl. Marxen, a.a.O., RdNr. 77. Bek. v o m 30. J u l i 1965 (BGBl. I I , S. 1089). 122 So zu Recht Dahm, Völkerrecht I, § 90 I I I 1 (S. 499); Bordewin, a.a.O., S. 187; Marxen, a.a.O., RdNr. 77; insoweit zu w e i t Franz, i n : DVB1. 1965, 457 (460). 123 Vgl. Marxen, a.a.O., RdNr. 77. 124 Gesetz v o m 29. Oktober 1957 (BGBl. I I , S. 1661); Bek. über das I n k r a f t treten v o m 28. J u l i 1959 (BGBl. I I , S. 929). 125 Zutreffend Bordewin, a.a.O., S. 169 und Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (346 f.). 121

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

insgesamt günstiger ist 1 2 6 . Dementsprechend hat sich die Berliner Ausländerbehörde bei keiner einzigen Entscheidung m i t den Bestimmungen dieses Vertrages auseinandergesetzt. 7.2.5. Griechische Staatsangehörige

Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis: Bei der Entscheidung über Anträge griechischer Staatsangehöriger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen kommt vor allem die Anwendung der deutsch-griechischen Vereinbarung über die Anwerbung von griechischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik vom 30. März I960 1 2 7 i n Betracht. Bei griechischen Arbeitnehmern, die auf Grund dieser Vereinbarungen angeworben sind, erleichtert sich die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis: Die i n Griechenland tätige Stelle der Bundesanstalt für Arbeit stellt ihnen eine Legitimationskarte aus, die sie von der Einholung einer Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks befreit (§ 5 Abs. 4 DVAuslG) 1 2 8 . Inhaber von Legitimationskarten können i n aller Regel m i t der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechnen; zudem ist das Prüfungsverfahren wesentlich vereinfacht. Außerdem ersetzt die Legitimationskarte die Arbeitserlaubnis 1 2 9 . — Darüber hinaus können griechische Arbeitnehmer, die ihre Familienangehörigen i n die BRD nachkommen lassen wollen, für diese bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag auf Gewährung der Aufenthaltserlaubnis stellen, wenn sie eine amtliche Bescheinigung darüber beibringen, daß für die Familienangehörigen ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht. Die Ausländerbehörde w i r d den A n trag wohlwollend prüfen und sobald wie möglich darüber entscheiden (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Anwerbevereinbarung). Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Familienangehörigen ist damit nicht verbunden 1 3 0 . — Die Berliner Ausländerbehörde trug diesen Bestimmungen i m Untersuchungszeitraum voll Rechnung. M i t Legitimationskarte eingereiste Arbeitnehmer erhielten durchweg eine Aufenthaltserlaubnis. Familienangehörige wurden i n dem i n Abschnitt 7.1.2. dargestellten Umfang zu126

Marxen, a.a.O., RdNr. 82; Schütterle, a.a.O., S. 346, Fußn. 8. I n K r a f t am 30. März 1960 (Bek. v o m 6. Januar 1961, BAnz. Nr. 25 v o m 4. Februar 1961), geändert durch Vereinbarung v o m 3. April/22. M a i 1962 (in K r a f t am 22. M a i 1962, Bek. am 4. September 1962, BAnz. Nr. 180 v o m 21. September 1962). 128 Z u r A n w e r b u n g i m allgemeinen vgl. Marxen, a.a.O., § 2 RdNr. 100 f. 129 1967/68: § 11 Nr. 2 der Neunten D V O - A V A V G (jetzt § 10 der V O über die Arbeitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer — ArbeitserlaubnisVO — v o m 2. März 1971, BGBl. I, S. 152/GVB1., S. 522). 130 So v ö l l i g zu Recht, Marxen, a.a.O., RdNr. 101 i. V. m. RdNr. 13. 127

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

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gelassen. — Eine Bevorzugung von Griechen etwa gegenüber Türken — i n der deutsch-türkischen Anwerbevereinbarung fehlt eine Wohlwollensklausel i n bezug auf die Familienzusammenführung — war nicht festzustellen. Bei der Entscheidung über Aufenthaltserlaubnisanträge hat die Ausländerbehörde daneben — vom Europäischen Niederlassungsabkommen abgesehen — vor allem auch den Niederlassungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland (NAK) vom 18. März 1960 nebst Protokoll 1 3 , 1 zu berücksichtigen. Dessen A r t . 1 Abs. 1 begründet die Pflicht, Einreise und Aufenthalt zu erleichtern. Nach A r t . 1 Abs. 2 werden den Staatsangehörigen eines Vertragstaates nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen die Einreise, der vorübergehende und der längere oder dauernde Aufenthalt i n dem Gebiete des anderen Vertragstaates gestattet, sofern nicht Gründe der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit oder der Sittlichkeit entgegenstehen. Hierbei sind vor allem die schillernden Begriffe der öffentlichen Sicherheit und der Ordnung von Bedeutung. Z u ihrer Auslegung ist nach wohl überwiegender Meinung das — auch für Griechenland und die BRD gültige — Europäische Niederlassungsabkommen heranzuziehen 132 . Nach Abschnitt I Buchst, a Nr. 1 des Protokolls (es ist ebenso verbindlich wie der Vertrag selbst, A r t . 32 ENA) ist u. a. auch dieser Begriff nach innerstaatlichen Grundsätzen zu beurteilen. Nach Abschnitt I I I Buchst, a ist der Begriff „öffentliche Ordnung" i n dem weiten Sinne auszulegen, i n dem er i m allgemeinen i n den kontinentalen Ländern verstanden wird. I n diesem Zusammenhang weist das Bundesverwaltungsgericht 133 auf folgendes hin: „Gründe der öffentlichen Ordnung" i. S. des A r t . 1 Abs. 2 N A K können der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht nur bei einem Sachverhalt entgegenstehen, der nach der gemeindeutschen polizeilichen Generalklausel eine Gefahr für die öffentliche Ordnung wäre und den Erlaß einer Einzelmaßnahme der Polizei- oder Ordnungsbehörde rechtfertigte. Eine abstrakte Störung oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung reiche aus 1 3 4 . Hierzu gehöre auch die wirtschaftliche Ordnung; sie sei ζ. B. gestört, wenn i m Falle einer Wirtschaftskrise ausländischen Arbeitskräften i n gleichem Um131 Gesetz v o m 22. Oktober 1962 (BGBl. I I , S. 1505), i n K r a f t getreten am 23. M a i 1963 (Bek. v o m 12. J u n i 1963, BGBl. I I , S. 912). 132 So BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 6 auf S. 259; V G H Bad.Württ., i n : DÖV 1972, 322; Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.8. A r t . 1 A n m . 3; m i t Bedenken auch Schütterle, a.a.O., S. 348. 133 BVerwG, a.a.O.; V G H Bad.-Württ., a.a.O.; ebenso K l o e s e l / C h r i s t , a.a.O., Β 6.1 A r t . 1 A n m . 2 (anders aber Β 6.2.3. A r t . 1 A n m . 4 a); vgl. auch Meyer-Marsilius, i n : Recht der internationalen Wirtschaft 1956, 111 (112 f). 134

Α. Α.: Schütterle, a.a.O., S. 349, Fußn. 60.

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

fang eine Aufenthaltserlaubnis erteilt würde wie i n Zeiten des Arbeitskräftemangels. — Wohl etwas enger sieht Schütterle 1 3 5 allein i n den Ausweisungstatbeständen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 11 AuslG Gründe der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung i. S. des A r t . 1 Abs. 2 N A K . Die Berücksichtigung von wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Umständen hält er nur (im Rahmen von § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG) insoweit für zulässig, als die innerstaatliche Wirtschaftsordnung i n ihrer Gesamtheit oder i n einem Teilgebiet gefährdet oder diese Gefährdung i n eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung selbst umschlagen würde 1 3 6 . Hinzuweisen ist noch auf Abschnitt I I I Buchst, b des Protokolls zum ENA, worin sich die Vertragstaaten verpflichten, bei Ausübung der ihnen zustehenden Rechte auf familiäre Bindungen Rücksicht zu nehmen. Z u A r t . 1 N A K bestimmt Nr. 1 des Protokolls (das nach seiner Präambel einen integrierenden Bestandteil des Vertrages bilden soll), daß den Grundsätzen des A r t . 1 N A K entsprechend Anträge wohlwollend geprüft werden. — I n der amtlichen Begründung 1 3 7 heißt es, A r t . 1 Abs. 2 gebe den jeweiligen Staatsangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt, jedoch seien entsprechend der allgemeinen Übung Einschränkungen aus den genannten Gründen vorbehalten. — Aus dem Aufbau des A r t . 1 Abs. 2 N A K i. V. m. der amtlichen Begründung folgert Schütterle 13,8 , daß die Wendung „nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen" nicht den Zweck verfolge, die innerstaatlichen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen i n vollem Umfang vorzubehalten. Er meint, A r t . 1 Abs. 2 könne sinnvollerweise nur so ausgelegt werden, daß zwar die Vorschriften über die formellen Voraussetzungen der Gestattung von Einreise und Aufenthalt unberührt blieben, daß aber die materiellen Versagungs- und Einschränkungsgründe auf die besonders genannten beschränkt seien 139 . Er w i r f t die Frage auf, ob nicht bei Nichtvorliegen dieser — allerdings sehr weitgefaßten — Gründe ein unmittelbarer Rechtsanspruch auf die Aufenthaltserlaubnis bestehe (was er wohl bejahen möchte) 140 . — Dagegen meinen Kloesel/Christ 1 4 1 135 Schütterle, a.a.O., S. 349; so auch Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.3. A r t . 1 A n m . 4. 136 Α. A. w o h l Baum, i n : GewArch. 1967, 245 (247). 137 Bundestags-Drucksache IV/174, S. 20. 138 Schütterle, a.a.O., S. 348 u n d i n : GewArch. 1971, 196 (197). 139 Auch der Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z AuslG § 7 Nr. 2 u n d das OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 34 sowie Baum, i n : GewArch. 1967, 245 (246) bejahen eine Ermessensbindung. 140 Schütterle, a.a.O., S. 348, Fußn. 48; w o h l auch der Bayer. V G H , a.a.O. 141 Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.8. A r t . 1 A n m . 1 bis 3.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

161

folgendes: Aus der Formulierung „nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen" i n A r t . 1 Abs. 2 i. V. m. Nr. 1 des Protokolls ergebe sich, daß A r t . 1 nur eine allgemeine Zielrichtung angebe und das Ermessen der Ausländerbehörde nicht eingeschränkt sei 1 4 2 ; die am Schluß von A r t . 1 Abs. 2 aufgezählten Versagungsgründe seien nicht abschließend. Der Ermessensspielraum werde durch die i n Nr. 1 des Protokolls enthaltene Wohlwollensklausel lediglich derart beeinflußt, daß i n Zweifelsfällen zugunsten des Antragstellers zu entscheiden sei 1 4 3 . — Für diese Auffassung spricht der Auslegungsgrundsatz, daß ein Niederlassungsvertrag vorsichtig auszulegen 144 und ein Verzicht auf Hoheitsrechte nicht zu vermuten sei 1 4 5 ; ferner auch die häufig vertretene A n sicht, völkerrechtliche Verträge erzeugten gewöhnlich keine Individualrechte 146 . — Wenn diese Auslegung des A r t . 1 des deutsch-griechischen Vertrages richtig ist, fragt es sich, welchen Wert solche Bestimmungen überhaupt haben. Die skeptische Äußerung Lépoulles 1 4 7 „Le juriste . . . se demande pourquoi faire tant de déclarations de principe qui ne changent rien au droit existant" hätte auch hier ihre Berechtigung. Solche Bestimmungen können dann lediglich bedeuten, daß sie den Vertragstaaten die ohnehin kraft Völkerrechts begründete, gelegentlich aber bestrittene Pflicht auferlegen, ihr Gebiet den Angehörigen des anderen Staates nicht grundsätzlich zu verschließen, soweit nicht ihre eigenen Interessen gefährdet werden 1 4 8 . Einen praktischen Sinn haben sie allenfalls i m politischen Bereich als Ausdruck guter oder gar freundschaftlicher Beziehungen zwischen zwei Staaten 1 4 9 . 142 So auch Voscherau, i n : DÖV 1970, 814 (815, Fußn. 15); Weißmann, AuslG, § 2 A n m . 15 b; unentschieden BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 6 auf S. 258. 143 Kloesel / Christ, a.a.O., A n m . 3. 144 Dahm, Völkerrecht I, § 90 I I I 1 auf S. 499; ähnlich Harz, Die G r u n d rechte u n d Grundpflichten der Ausländer nach der Weimarer Reichsverfassung, Diss. Breslau 1930, S. 58. 145 Boehmer, Der völkerrechtliche Vertrag i m deutschen Recht, S. 88; Dahm, a.a.O.; vgl. auch Guggenheim, Völkerrecht I, S. 319. 146 So ζ. B. Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen F r e m denrechts u n d das deutsche Verfassungsrecht, S. 54; Fuld, Die Stellung der Fremden nach Völkerrecht, Diss. Würzburg, 1932, S. 21 m. w. N.; a. Α.: Müller, Das Niederlassungsrecht der Ausländer i n der Schweiz, Diss. Zürich 1925, S. 16 f., sofern eine staatsrechtliche Regelung vorliegt (ζ. B. Publikation i n der Gesetzessammlung). 147 Lépoulle, i n : Revue critique de droit international privé 1961, 291 (zitiert nach Doehring, a.a.O., S. 98, Fußn. 344) zum franko-amerikanischen Niederlassungsvertrag. 148 So Harz, a.a.O., S. 59. 149 Hierauf weist Bordewin, Das Aufenthaltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 172 zu Recht hin.

11 Schüler

162

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Die Prüfung, ob und i n welcher Weise die Berliner Ausländerbehörde die Bestimmungen des Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrages berücksichtigte, ergab folgendes: Nur durch Ermessensentscheidung wurde der Antrag eines einzigen griechischen Arbeitnehmers abgelehnt (in zwei Fällen wurde die Entscheidung außer auf § 5 Abs. 1 DVAuslG auch auf Sozialhilfebezug gestützt bzw. der Antragsteller auf die A n werbemöglichkeit verwiesen). — Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis für einen Studien- oder Besuchsaufenthalt wurden insgesamt 25mal abgelehnt 1 5 0 . Hierbei lag i n sieben Fällen ein Ausweisungsgrund vor (illegale Erwerbstätigkeit, unerlaubter Aufenthalt, Bezug von Sozialhilfe). I n den übrigen 18 Fällen — stets handelte es sich u m Besucher — wurde die Entscheidung überwiegend damit begründet, der Besuchszweck sei (nach drei, vier oder sechs Monaten) erfüllt. Lediglich i n einem Bescheid hieß es, der deutsch-griechische Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag (und das Europäische Niederlassungsabkommen) stünden der Ablehnung nicht entgegen. A l l e m Anschein nach war die Berliner Ausländerbehörde i n diesem Falle derselben restriktiven Auffassung wie Kloesel / Christ, d. h. sie sah wohl ihr Ermessen i n keiner Weise als eingeschränkt an (nähere Ausführungen zum Begriff der öffentlichen Ordnung fehlten jedenfalls). — I n allen anderen Bescheiden fehlte jeglicher Hinweis auf diese Verträge. Deswegen und wegen des völlig unausgebauten Informationssystems (vgl. Abschnitt 2.2.3.) erscheint der Schluß berechtigt, daß die Berliner Ausländerbehörde jenen Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag i n der Regel bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigte. Zur gleichen Auffassung gelangte auch der Vorsitzende der für Ausländersachen zuständigen Kammer des Berliner Verwaltungsgerichtes, der i n einem Schreiben an den Polizeipräsidenten i n Berlin die unzureichende Berücksichtigung völkerrechtlicher Verträge rügte. — Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis: Bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist danach zu unterscheiden, ob die griechischen Antragsteller seit mehr als fünf Jahren ihren ordnungsmäßigen Aufenthalt i m Bundesgebiet haben oder nicht. Hierbei gilt der Aufenthalt als ordnungsgemäß, wenn den Vorschriften über die Einreise, den Aufenthalt und die Freizügigkeit der Ausländer sowie die Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Ausländer entsprochen ist (Nr. 2 des Protokolls). — Hat der Aufenthalt noch nicht so lange gedauert, so darf die Verlängerung (nur) versagt werden, wenn die betreffenden Griechen die Sicherheit des Staates gefährden oder gegen die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit verstoßen (Art. 2 Abs. 1 und 2 NAK). Nach unbe150

Es k o m m t ein Abhilfefall hinzu.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

163

strittener Ansicht ist hierdurch der Ermessensspielraum, den das Ausländergesetz den Ausländerbehörden einräumt, eingeengt 151 . — Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von noch nicht fünf Jahre hier weilenden Griechen lehnte die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 insgesamt 18mal ab (darunter siebenmal wegen eines Ausweisungstatbestandes). Der Hinweis, daß der deutsch-griechische Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag nicht entgegenstehe, fand sich nur i n einem der VerwaltungsVorgänge. I m übrigen war bei diesen 18 Entscheidungen eine Berücksichtigung des Vertrages nicht ersichtlich. I n einem Falle wies die Behörde allerdings darauf hin, daß A r t . 17 der deutsch-griechischen Anwerbevereinbarung nur minderjährige Kinder betreffe. Außerdem wurde einem Griechen die Aufenthaltserlaubnis verlängert, obwohl er wegen Diebstahls zu 70,— D M Geldstrafe verurteilt worden war; i n einem internen Vermerk wurde ausgeführt, daß diese Verurteilung bei Griechen nicht zur „Einleitung ausländerpolizeilicher Maßnahmen" ausreiche. — I m übrigen kann auf die Ausführungen zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hingewiesen werden. Hat sich ein griechischer Staatsangehöriger seit mehr als fünf Jahren ordnungsgemäß i m Bundesgebiet aufgehalten, so darf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder wenn die übrigen i n A r t . 2 Abs. 1 N A K aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend sind, versagt werden. A r t . 2 Abs. 3 N A K regelt zwar seinem Wortlaut nach nur die Ausweisung. Doch gilt diese Vorschrift sinngemäß auch für die NichtVerlängerung 152 , denn diese hat wegen der Ausreisepflicht weitgehend die gleichen W i r k u n gen wie die Ausweisung selbst. — Auch A r t . 2 Abs. 3 N A K enthält, wie sich aus Nr. 2 des Protokolls ergibt, nicht nur einen Grundsatz über êine Wohlwollensklausel, sondern soll dem betroffenen Griechen eine effektive Vergünstigung bringen. Für die Auslegung des Begriffes „besonders schwerwiegend" verweisen Kloesel / Christ 1 5 3 zu Recht auf die AuslGVwv zu § 11 (z.B. mehrfache Bestrafung nach Vorschriften zum Schutze der öffentlichen Sittlichkeit 1 5 4 ). Die Berliner Ausländerbehörde lehnte 1967/68 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis i n drei einschlägigen Fällen ab. Als Gründe gab sie an:

151

Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, Β 6.2.8. A r t . 2 A n m . 3. Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 7. 153 Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 6. 154 V G H Bad.-Württ., Beschl. v o m 5. September 1968 — I 370/68 — ; vgl. auch O V G Münster, i n : OVGE 20, 216 = Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 34 und BVerwG, i n : DÖV 1973, 428, Nr. 175. 152

11*

164

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

— Studienabbruch; — schlechte Studienleistungen pflichtverletzung ;

und Bestrafung

wegen

Unterhalts-

— Sozialhilfebezug eines unterhaltsberechtigten Kindes (seit anderthalb Jahren über 300,— D M Kosten monatlich). Eine Prüfung, ob ein besonders schwerwiegender Grund i. S. von A r t . 2 Abs. 3 N A K vorliege, erfolgte i n keinem dieser Fälle. Diese Voraussetzung hätte wohl auch allenfalls i n dem letzten der drei Fälle bejaht werden können. Drei weitere Entscheidungen gegenüber Griechen, die seit mehr als fünf Jahren hier weilten, waren i m Ergebnis nicht zu beanstanden, weil der Aufenthalt wegen vorübergehender Ungültigkeit des Passes nicht ordnungsgemäß gewesen war (in einem dieser Bescheide wurde sogar darauf hingewiesen, daß der Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag nicht entgegenstehe). Die Änderung von Auflagen der Aufenthaltserlaubnis: I n Rechtsprechung und Literatur sind wiederholt die Fälle erörtert worden, i n denen ein sich rechtmäßig hier aufhaltender griechischer Arbeitnehmer die Streichung einschränkender Auflagen begehrt, u m ein selbständiges Gewerbe betreiben zu können. — Das V G Ansbach 1 5 5 und i h m folgend B a u m 1 5 6 und Voscherau 157 meinen, daß solchen Anträgen stattgegeben werden müßte. Sie leiten dies aus A r t . 7 Abs. 1 N A K ab, der den Staatsangehörigen des Vertragspartners Inländergleichbehandlung 1 5 8 hinsichtlich der Zulassung zu wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeiten jeder A r t und der Ausübung solcher Tätigkeiten gewährt. — Der Bayerische V G H 1 5 9 , das OVG Rheinland-Pfalz 1 6 0 , das B V e r w G 1 6 1 und Kloesel / Christ 1 6 2 lehnen diese Auffassung ab: Aus dem Aufbau des Vertrages ergebe sich eine deutliche Trennung derjenigen Vorschriften, die sich m i t der Einreise, dem Aufenthalt und der Ausweisung von Angehörigen des Vertragstaates (Art. 1 und 2 N A K ) befassen, von den Bestimmungen über ihre Rechtsstellung, wenn sie sich i m Inland ordnungsgemäß aufhalten (z. B. A r t . 7 und 8). Eine Aufent155 y

G Ansbach, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 1. Baum, i n : GewArch. 1968, 245. 157 Voscherau, i n : DÖV 1970, 814. 158 Z u diesem Begriff vgl. allgemein Dahm, Völkerrecht I, § 91 I I 1 auf S. 503; Wengler, Völkerrecht I I , M 4 b (1) auf S. 1115. 159 Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 2. 160 O V G Rheinland-Pfalz, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 4. iei BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 6. 156

162

Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 7 A n m . 3 u n d A r t . 25 Anm. 2; Kloesel, i n : D Ö V 1970, 316; i m Grundsatz ebenso Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (349) u n d i n : GewArch. 1971, 196 (197).

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

165

haltserlaubnis sei auch dann eine rein aufenthaltsrechtliche Maßnahme, wenn sie m i t einer Auflage versehen sei, wonach der Erlaubnisinhaber eine bestimmte A r t der Erwerbstätigkeit zu unterlassen habe. Inländerbehandlung gemäß A r t . 7 Abs. 1 N A K könne nur denjenigen fremden Staatsangehörigen gewährt werden, die aufenthaltsrechtlich den I n ländern gleichgestellt seien. Dadurch werde das Niederlassungsrecht auch nicht praktisch ausgehöhlt und wertlos 1 6 3 . — Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde stimmte i m Untersuchungszeitraum i m Ergebnis m i t der zweiten, restriktiven Ansicht überein. Sie lehnte drei entsprechende Anträge zum Betriebe einer Schankwirtschaft, einer Fleischerei und einer Flickschneiderei jeweils m i t dem Hinweis ab, die deutsche Wirtschaft benötige Arbeitskräfte. Ob dies mit dem Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag vereinbar sei, wurde nicht geprüft. Die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis: Auch hier ist danach zu unterscheiden, ob sich der betroffene griechische Staatsangehörige seit fünf Jahren ordnungsgemäß i m Bundesgebiet aufhält oder nicht. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, so verbleibt es bei der Anwendung von A r t . 2 Abs. 1 N A K 1 6 4 . T r i f f t dagegen diese Voraussetzung zu, so ist die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 4 AuslG ebenfalls nur aus Gründen der Sicherheit der BRD oder wenn die übrigen i n A r t . 2 Abs. 1 N A K erwähnten Gründe besonders schwerwiegend sind, zulässig. A r t . 2 Abs. 3 N A K gilt auch hier sinngemäß. — Die Berliner Ausländerbehörde schränkte 1967/68 die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nachträglich ein, die einem von A r t . 2 Abs. 3 N A K erfaßten Griechen gehörte. Der Betroffene — ein 34jähriger Arbeiter, der sich seit elf Jahren ordnungsmäßig i m Bundesgebiet aufhielt — war wegen Hausfriedensbruches und Sachbeschädigung zu 150,— D M Geldstrafe verurteilt worden und war der Schizophrenie verdächtig. Ein solcher Ausländer verstößt nicht gegen die Sicherheit des Staates oder i n besonders schwerer Weise gegen die öffentliche Ordnung. Die Entscheidung war daher rechtswidrig. Charakteristisch war auch i n diesem Fall, daß der deutsch-griechische Niederlassungsund Schiffahrtsvertrag völlig negiert worden war. 7.2.6. Iranische Staatsangehörige

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen gegenüber iranischen Staatsangehörigen kommt neben dem Ausländergesetz vor allem das 163 O V G Rheinland-Pfalz, a.a.O., (auf S. 253); so aber Baum, a.a.O., S. 246. 1968 ein Abhilfefall.

164

166

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 nebst Schlußprotokoll 1 6 5 in Betracht. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis: A r t . 1 Abs. 1 dieses Vertrages (NAK) gibt die allgemeine Zielrichtung an und unterstreicht den freundschaftlichen Geist der deutsch-persischen Beziehungen: Die Angehörigen des einen vertragschließenden Staates werden i m Gebiete des anderen Staates hinsichtlich ihrer Person und ihrer Güter nach den Grundsätzen und der Übung des allgemeinen Völkerrechtes aufgenommen und behandelt (Satz 1). Sie genießen dort den ständigen Schutz der Landesgesetze und -behörden für ihre Person und für ihre Güter, Rechte und Interessen (Satz 2) 1 β β . Sie können unter der Bedingung, daß, und solange als sie die auf diesem Gebiet geltenden Gesetze und Verordnungen beobachten, das Gebiet des anderen vertragschließenden Staates betreten und verlassen, dort reisen, sich dort aufhalten und niederlassen (Satz 3). Der Vorbehalt, daß die geltenden Gesetze und Verordnungen zu beobachten sind, w i r d weit ausgelegt. Neben allen sonstigen ausländerrechtlichen Vorschriften w i r d vor allem das Ausländergesetz hierzu gezählt, so daß den iranischen Staatsangehörigen die Aufenthaltserlaubnis versagt, räumlich und zeitlich beschränkt sowie mit Bedingungen und Auflagen versehen werden können 1 6 7 . A r t . 1 Abs. 2 N A K enthält eine Meistbegünstigungsklausel 168 für die i n Abs. 2 genannten Angelegenheiten. Diese Klausel bewirkt zwar nicht, daß iranische Staatsangehörige wie Angehörige der EWG-Staat e n 1 6 9 oder die Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte 1 7 0 zu behandeln sind. Iranische Staatsangehörige sind jedoch entsprechend dem meistbegünstigenden zweiseitigen Niederlassungsvertrag, welchen die BRD geschlossen hat, zu behandeln. Deshalb darf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an sich nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit, der Volksgesundheit oder der Sittlichkeit i m Sinne von A r t . 1 Abs. 2 des deutsch-griechischen Niederlassungs- und 165 Gesetz v o m 26. J u l i 1930 (RGBl. I I , S. 1004, 1006); zwischen der B R D u n d dem I r a n i n K r a f t , vgl. Bek. v o m 15. August 1955 (BGBl. I I , S. 829). 186 Satz 1 u n d 2 w i r k e n sich f ü r Iraner nicht konkret aus, da die genannten Zusicherungen i m Bundesgebiet ohnehin für alle Ausländer gelten; so zu Recht Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.3. A r t . 1 A n m . 1. 187 Zutreffend OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 55 Nr. 2 (kein Aufenthaltsanspruch); O V G Lüneburg, i n : N J W 1970, 1515 (1517); Kloesel/ Christ, a.a.O., Β 6.2.3. A r t . 1 A n m . 2. 168 Hierzu allgemein Wengler, Völkerrecht I I , M 4 b (1). 189 BVerwG, i n : N J W 1971, 2141 (2143) (hierzu kritisch M a j e r / F r a n z , i n : Vorgänge 1971, 378); O V G Münster, a.a.O., (auf S. 373); Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 1 A n m . 4; Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (347, Fußn. 44). 170 Vgl. Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 1 A n m . 4.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

167

Schiffahrtsvertrages versagt werden, wenn man der Auffassung Schütteries (vgl. den vorigen Abschnitt) folgt 1 7 1 . Allerdings bestimmt A r t . 1 Abs. 3 des deutsch-persischen Niederlassungsabkommens, daß die Absätze 1 und 2 dieser Vorschrift (also auch die Meistbegünstigungsklausel) keinen der vertragschließenden Staaten hindern, jederzeit Bestimmungen zu treffen, u m die Einwanderung i n sein Gebiet zu regeln oder zu verbieten, sofern diese Bestimmungen nicht eine Maßnahme unterschiedlicher Behandlung darstellen, die besonders gegen alle Angehörigen des anderen vertragschließenden Staates gerichtet ist. Hierbei kann eine Einwanderung schon dann vorliegen, wenn eine Niederlassung für längere Zeit erfolgen soll; es w i r d nicht vorausgesetzt, daß keine Hoffnung oder Absicht besteht, irgendwann i n die Heimat zurückzukehren (zeitliche Einwanderung) 1 7 2 . Die Einwanderung i n diesem Sinne w i r d auch durch das Ausländergesetz geregelt; die Nichterteilung und NichtVerlängerung der Aufenthaltserlaubnis — etwa aus Gründen der Entwicklungshilfe 1 7 3 — oder die Anordnung einer Auflage können die Einwanderung verhindern, beenden oder auf andere Weise regeln 1 7 4 . Für die Auslegung des A r t . 1 ist schließlich noch Abschnitt I des Schlußprotokolls heranzuziehen, das nach seiner Präambel einen wesentlichen Teil des Abkommens selbst bildet. Danach läßt A r t . 1 die paßrechtlichen sowie die allgemeinen Vorschriften unberührt, die von den vertragschließenden Staaten über die Voraussetzungen erlassen sind oder künftig erlassen werden, unter denen die ausländischen Arbeiter zur Berufsausübung auf ihrem Gebiet zugelassen werden können. Zu den allgemeinen Vorschriften i n diesem Sinne werden nach bestrittener Ansicht auf Grund des französischen Wortlauts (dispositions d'ordre général), der i m Zweifel maßgeblich ist (Art. 10 Abs. 1 NAK), auch Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Erlasse gerechnet, ζ. B. über die Nichtbeschäftigung von Außereuropäern 175 .

171 So Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (347); a . A . : Bordewin, Das A u f e n t haltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 171 f. (vor Abschluß des deutschgriechischen Vertrages). 172 B V e r w G E 36, 45 (51) = Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 7; BVerwG, i n : N J W 1971, 2141 (2142) u n d i n : D Ö V 1973, 427, Nr. 171; Mattern, i n : S t r u p p / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, Sp. 124; M a u n z / D ü r i g / Herzog, GG, A r t . 73 RdNr. 59; Soder, i n : Schätzel / Veiter, Handbuch des internationalen Flüchtlingsrechts, S. 1 (3 ff.); a. Α.: Majer / Franz, a.a.O. na OVG Berlin, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 2 Nr. 5; Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 1 A n m . 4 u n d 5. 174

BVerwG, a.a.O.; Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 1 Anm. 5. BVerwG, i n : N J W 1971, 2141 (2142); O V G Lüneburg, i n : Schüler/ W i r t z AuslG § 55 Nr. 3 = N J W 1970, 1515 m. Anm. Majer ebenda; a. Α.: OVG M ü n ster, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 55 Nr. 2. 175

168

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Erst dann, wenn einem iranischen Staatsangehörigen unter Berücksichtigung dieser Vorschriften eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, welche eine Erwerbstätigkeit nicht ausschließt oder einschränkt, hat er gemäß A r t . 3 Abs. 1 N A K das Recht, i n gleicher Weise wie ein Inländer jede A r t von Gewerbe und Handel zu betreiben und jedes Handwerk und jeden Beruf auszuüben 176 . — Insgesamt wurden sieben Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Als Versagungsgründe waren angegeben: soweit die Aufenthaltserlaubnis beantragt war — für eine unselbständige Erwerbstätigkeit (ein Fall): Vorliegen eines Ausweisungsgrundes ; — für ein Studium (ein Fall): Geldmangel; — für einen Besuchsaufenthalt (zwei Fälle): Erfüllung des Aufenthaltszweckes; — für einen Aufenthalt „aus sonstigen Gründen" (drei Fälle): „wegen des erklärten Einreisezwecks" (der Antragsteller hat i n erster Linie die Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit beantragt; insoweit wurde die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG versagt) 177 . Die Bestimmungen des deutsch-persischen Niederlassungsabkommens wurden i n keinem Falle angewandt. Doch widersprach diese Praxis gleichwohl i m Ergebnis nicht diesem Abkommen, w e i l jeweils eine Störung der öffentlichen Ordnung bestand oder zu befürchten war. Dies traf lediglich i n dem Fall einer Besucherin, einer älteren Iranerin, die i n Berlin ihre drei Enkel beaufsichtigen sollte, nicht zu, da ihre i n Berlin weilenden Kinder für ihren Unterhalt sorgten. Ob eine Einwanderungsabsicht bestand, hatte die Behörde nicht geprüft 1 7 8 . Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis: Bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist das Ermessen der Ausländerbehörde ebenfalls gemäß A r t . 1 Abs. 2 des deutsch-persischen N A K i. V. m. A r t . 2 Abs. 1 des deutsch-griechischen N A K eingeschränkt 1 7 9 . Doch gelten die Regelungen über die Einwanderung und die Zulassung von Arbeitnehmern auch hier (Art. 1 Abs. 3 des deutschpersischen N A K und Protokoll zu A r t . 1). Nach fünfjährigem Aufenthalt ist die NichtVerlängerung an sich nur noch aus Gründen der Si176

Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 3 A n m . 2. I n einem neunten Falle wurde dem Widerspruch abgeholfen; i n drei weiteren Fällen wurde eine Aufenthaltserlaubnis für einen Besuchsaufenth a l t beim Nachweis eines gesicherten Unterhalts i n Aussicht gestellt. 178 Die Aufsichtsbehörde gab dem Widerspruch statt. 179 Nach Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 1 A n m . 4 a sogar nur bei Ausweisungsgründen; vgl. aber, a.a.O., Β 6.2.8. A r t . 2 Anm. 3. 177

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

169

cherheit der BRD oder aus sonstigen, besonders schwerwiegenden Gründen zulässig (Art. 1 Abs. 2 des deutsch-persischen N A K i. V. m. Art. 2 Abs. 2 des deutsch-griechischen N A K ) 1 8 0 . Unabhängig hiervon darf jedoch iranischen Staatsangehörigen der Aufenthalt infolge gerichtlicher Verfügung oder aus Gründen der inneren oder äußeren Sicherheit des Staates oder aus Gründen der Armen-, Gesundheits- und Sittenpolizei versagt werden (Art. 2 Abs. 1 des deutsch-persischen N A K ) 1 8 1 . Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts w i r d nicht A r t . 2 des Abkommens durch A r t . 1 Abs. 2 über die Meistbegünstigungsklausel modifiziert, vielmehr w i r d der Anwendungsbereich des A r t . 1 Abs. 1 durch A r t . 2 des Abkommens eingeschränkt. — Die Verlängerung wurde insgesamt 14mal abgelehnt. Auch hierbei wurde niemals erörtert, daß das deutsch-persische N A K nicht entgegenstehe. I m einzelnen ist noch folgendes zu bemerken: Aufenthaltserlaubnisse mit der Befugnis zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit wurden viermal nicht verlängert, und zwar teils, weil ein Ausweisungsgrund vorlag, teils i m Hinblick auf den Sinn der Entwicklungshilfe. Rechtlich sind diese Entscheidungen i m Ergebnis nicht zu beanstanden, weil sie entweder zur Abwehr einer Störung der öffentlichen Ordnung oder zur Verhinderung der Einwanderung ergingen. Aufenthaltserlaubnisse unter der Auflage „nur für Studienzwecke" wurden sechsmal nicht verlängert. Soweit den Betroffenen finanzielle M i t t e l fehlten 1 8 2 oder sie ihr beabsichtigtes Studium nicht aufgenommen hatten, kann eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung noch bejaht werden, nicht aber, soweit die Iraner eine Prüfung nicht bestanden hatten. Dreimal wurden Aufenthaltserlaubnisse unter der Auflage „nur für Besuchszwecke", einmal eine solche „für sonstige Zwecke" nicht verlängert. Die Verfügungen, welche die ständige Niederlassung verhindern sollten, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Dagegen ist es m i t dem deutsch-persischen Vertrag nicht vereinbar, die Aufenthaltserlaubnis nur deswegen nicht zu verlängern, weil der begleitete Ehemann keine Aufenthaltserlaubnis mehr hat. 180

So zu Recht Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.3. A r t . 1 Anm. 4 b. So BVerwG, i n : VerwRspr. 20, 847 (851); i h m folgend: Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 1 u n d w o h l auch Schütterle, i n : GewArch 1971, 196 (198). 182 I n zwei weiteren Fällen wurde dem Widerspruch abgeholfen, nachdem der Unterhalt nachgewiesen worden w a r ; i n einem d r i t t e n F a l l wurde die Verlängerung bei Nachweis finanzieller M i t t e l i n Aussicht gestellt. 181

170

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

Die Änderung der Auflagen und Bedingungen (einschließlich der gleichzeitigen Verlängerung): Die Entscheidung über Anträge auf Erweiterung der Aufenthaltserlaubnis durch Änderung der Auflagen und Bedingungen unterliegt ebenfalls den oben dargestellten Einschränkungen 1 8 3 . — Solche Anträge lehnte die Berliner Ausländerbehörde insgesamt 19mal ab 1 8 4 — auch hier, ohne sich ein einziges M a l m i t den Bestimmungen des deutsch-persischen N A K auseinanderzusetzen. I m Ergebnis allerdings verstießen die meisten dieser Entscheidungen nicht gegen diesen Vertrag. Die Behörde durfte die Aufnahme eines selbständigen Gewerbes, einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bzw. eines Studiums verhindern, weil hiermit meist eine wenigstens zeitlich begrenzte Einwanderung i m Sinne der Rechtsprechung des BVerwG, teilweise auch eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung verbunden war. Falsch war indessen die Ablehnung eines Antrages, anstatt einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das Gewerbe eines Handelsvertreters zu erlauben, weil es i m Interesse der deutschen Wirtschaft liege, wenn Arbeitnehmer weiterhin als solche tätig blieben. Da sich der Antragsteller mehr als fünf Jahre ordnungsgemäß i m Bundesgebiet aufgehalten hatte, durfte die Behörde, wenn sie gegen eine zeitliche Einwanderung ohnehin nichts einzuwenden hatte, den Antrag nur aus besonders schwerwiegenden Gründen entsprechend A r t . 2 Abs. 2 des deutschgriechischen N A K ablehnen (Art. 1 Abs. 3 des deutsch-persischen NAK), nicht aber allein aus wirtschaftspolitischen Erwägungen. Die nachträgliche zeitliche Beschränkung: Die nachträgliche zeitliche Beschränkung von Aufenthaltserlaubnissen ist unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie die NichtVerlängerung. Die insoweit 1967/68 von der Berliner Ausländerbehörde getroffenen drei Entscheidungen waren zwar nicht auf das deutsch-persische N A K gestützt, widersprachen i h m aber nicht. Sie waren nach A r t . 2 des deutsch-persischen N A K aus Gründen der Armenpolizei bzw. nach A b schnitt I des Schlußprotokolls zu A r t . 1 über die Zulassung von „Arbeitern" gerechtfertigt. 7.2.7. Italienische Staatsangehörige

Bei den Entscheidungen gegenüber italienischen Staatsangehörigen kommt — von dem Ausländergesetz, den EWG-Vorschriften, der deutsch-italienischen Anwerbevereinbarung und dem Europäischen Niederlassungsabkommen abgesehen — vor allem die Anwendung des 183 184

Vgl. hierzu Schütterle, a.a.O., S. 199. Es kamen zwei Abhilfefälle hinzu.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

171

Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik vom 21. November 1957 185 i n Betracht. Die einleitende Bestimmung des A r t . 1 betont die engen und freundschaftlichen Beziehungen der Vertragsstaaten, enthält jedoch keine konkreten ausländerrechtlichen Rechte und Pflichten 1 8 6 . — Nach A r t . 2 Abs. 1 Satz 1 können die Angehörigen des einen Vertragsstaates i n das Gebiet des anderen Vertragsstaates einreisen, sich darin aufhalten, sich niederlassen, darin reisen und das Gebiet durchreisen, es sei denn, daß dem i m Einzelfall Gründe der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der Volksgesundheit entgegenstehen. I n entsprechender Anwendung des A r t . 2 Abs. 2 des Vertrages über die Ausweisung darf Staatsangehörigen, die sich ordnungsgemäß aufhalten, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nur versagt werden, wenn Gründe der Sicherheit des Staates, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 1 8 7 oder der Sittlichkeit es erforderlich machen 188 . Nach einem ordnungsmäßigen Aufenthalt von mehr als fünf Jahren ist die Nichtverlängerung nur noch aus Gründen der Sicherheit des Staates oder dann zulässig, wenn die übrigen oben genannten Gründe besonders schwer wiegen. Der Begriff „besonders schwerwiegend" i n dieser Vorschrift entspricht etwa dem i n § 11 AuslG 1 8 9 . — Das i n § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslG eingeräumte Ermessen ist durch A r t . 2 des deutsch-italienischen Vertrages eingeschränkt 190 . Gegenüber den EWG-Bestimmungen enthält jedoch A r t . 2 Abs. 1 keine Erleichterungen 1 9 1 , so daß die Praxis der Berliner Ausländerbehörde unter diesem Blickwinkel nicht geprüft zu werden braucht. — A r t . 2 Abs. 2 dieses Vertrages indes geht zwar über die allgemeinen EWG-Vergünstigungen 185 Gesetz v o m 19. August 1959 (BGBl. I I , S. 949), i n K r a f t seit dem 19. November 1961 (Bek. v o m 6. November 1961, BGBl. I I , S. 1662). 188 Zutreffend Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, Β 6.2.7. A r t . 1 Anm. 187 Hierbei w i r d eine konkrete oder allgemeine Gefahr i. S. des Polizeioder Ordnungsrechtes nicht vorausgesetzt; i m übrigen w i r d der Begriff wie i m Europ. Niederlassungsabkommen ausgelegt, vgl. O V G Münster, i n : OVGE 19, 76 = Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 28; ähnlich O V G Hamburg, i n : VerwRspr. 18, 737 sowie V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 16, 18 = Schüler/ W i r t z A u s l G § 10 Nr. 2 u n d E S V G H 18, 104 = Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 4. 188

So zu Recht Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 10. Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 8; vgl. auch O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 5. 190 So zu Recht Bordewin, a.a.O., S. 168; Franz, i n : DVB1. 1965, 457 (460) u n d Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (348). 191 Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 3; vgl. auch Kanein, AuslG, § 7 Anm. Β 5 b. 189

172

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

hinaus 1 9 2 . Jedoch hat sich auch diese Bestimmung i n bezug auf die Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen 1967/68 i n Berlin nicht ausgew i r k t , da i n entsprechenden Fällen, i n denen die Berücksichtigung dieser Vorschrift i n Betracht gekommen wäre, die Verlängerung schon i m Hinblick auf die oben dargestellten EWG-Vorschriften ausgesprochen wurde. 7.2.8. Jordanische Staatsangehörige und Angehörige anderer arbischer Staaten aus den von Israel besetzten Gebieten

Auf Anweisung des Senators für Inneres von Berlin verlängerte der Polizeipräsident seit M a i 1968 jordanischen Staatsangehörigen und anderen Angehörigen arabischer Staaten aus den von Israel besetzten Gebieten, die vor dem Sechstagekrieg i m Juni 1967 eingereist waren, die Aufenthaltserlaubnis auch dann, wenn dies nach allgemeiner Übung sonst (z.B. wegen Beendigung der Ausbildung) nicht i n Betracht gekommen wäre. Eine unselbständige Erwerbstätigkeit wurde auch zugelassen, wenn der Antragsteller ohne Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks eingereist war. 7.2.9. Nigerianische Staatsangehörige

Wegen des i m J u l i 1967 i n Biafra ausgebrochenen Bürgerkrieges empfahl der Bundesminister des Innern am 4. A p r i l 1968, nigerianischen Staatsangehörigen die Aufenthaltserlaubnis für begrenzte Zeit zu verlängern, wenn diese Gründe für die Furcht vor Verfolgung bei Rückkehr nach Nigeria glaubhaft machen konnten, d. h. vor allem Ibos. Eine Verweisung dieser Personen auf das Asylverfahren hielt er nicht für ratsam, w e i l es die Rückkehr i m Falle der Stabilisierung der Verhältnisse erschwere und dann dem Sinn der Entwicklungshilfe zuwiderlaufe 1 9 3 . Die Berliner Ausländerbehörde trug dieser Empfehlung auch beim Vorliegen von Ausweisungsgründen meist Rechnung. Geschah dies nicht, gab die Aufsichtsbehörde dem eingelegten Widerspruch statt 1 9 4 . — Auf deren Anweisung erteilte der Polizeipräsident i n Berlin ab März 1969 denjenigen Ibos, die über Ost-Berlin ohne den erforderlichen Sichtvermerk eingereist waren, eine Aufenthaltserlaubnis 1 9 5 . 102

Vgl. Kloesel / Christ, a.a.O., A r t . 2 A n m . 9. Außerdem regte der Bundesminister des I n n e r n den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit u n d den Bundesminister für A r b e i t an, für Ausbildungsförderungsmittel u n d für Arbeitserlaubnisse zu sorgen. 194 1968 zwei Fälle; es kamen drei Abhilfefälle hinzu. 195 Insgesamt wurden 1968 noch zwei entsprechende Anträge abgelehnt, jedoch hob der Senator für Inneres von B e r l i n beide Bescheide auf. 193

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

173

7.2.10. Saudi-arabische Staatsangehörige

Nach A r t . 3 des Freundschaftsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich des Hedjas, Nejd und der dazugehörigen Gebiete (jetzt Saudi-Arabien) vom 26. A p r i l 1929 196 genießen die Angehörigen jedes Vertragsstaates „hinsichtlich ihrer Person und ihrer Güter die gleiche Behandlung wie die Angehörigen der meistbegünstigten Nation". Dieser Vertrag wurde jedoch nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen nicht mehr angewandt 1 9 7 . 7.2.11. Schweizerische Staatsangehörige

Bei Ermessensentscheidungen gegenüber schweizerischen Staatsangehörigen kommt — vom Ausländergesetz abgesehen — vor allem die Anwendung des deutsch-schweizerischen Niederlassungsvertrages vom 13. November 1909 198 i n Betracht. Dieser Vertrag sieht vor, daß sich die Angehörigen jedes vertragschließenden Teiles i m Gebiet des anderen Teiles ständig niederlassen oder dauernd oder zeitweilig aufhalten dürfen, soweit sie die dortigen Gesetze und Polizeiverordnungen befolgen. — Diese Bestimmungen, die ein Ausdruck der weitgehenden Freizügigkeit sind, wurden schon i m I. Weltkrieg nicht mehr angewandt. I n der „Deutsch-schweizerischen Vereinbarung über Niederlassungsfragen" vom 19. Dezember 1953 199 ist — vor allem auch wegen der Gefahr der Überfremdung, welche die Schweiz für bedrohlich erachtet hat — eine restriktive Handhabung jenes Niederlassungs V e r t r a g e s vorgesehen: Schweizerbürger und ihre Familienangehörigen haben erst nach einem ordnungsmäßigen Aufenthalt von zehn Jahren i n der BRD Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten und unbeschränkten A u f enthaltserlaubnis sowie auf Inländergleichbehandlung bezüglich der Ausübung einer Erwerbstätigkeit 2 0 0 . Angehörige des einen Staates, die sich nur aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde, ζ. B. zum Studium oder zur Heilkur, i n das Gebiet des anderen Staates 196 RGBl. I I , S. 1064; Bek. über die Wiederanwendung v o m 31. J u l i 1952 (BGBl. I I , S. 724). 197 Vgl. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 94 u n d Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.11. A n m . 198 RGBl. 1911, S. 887; von Bedeutung ist daneben der Vertrag betreffend Regelung von Rechtsverhältnissen beiderseitiger Staatsangehöriger i m Gebiet des anderen vertragschließenden Teils v o m 31. Oktober 1910 (RGBL. 1911, S. 892). 199 I n K r a f t getreten a m 1. August 1958, veröffentlicht m i t Rundschreiben des Bundesministers des I n n e r n v o m 6. Januar 1959 (GMB1., S. 22); ähnliche Vereinbarungen waren schon am 13. A p r i l 1927 u n d am 4. M a i 1933 getroffen worden. 200 Abschnitt I 1 u n d 3 der Anlage zur Niederschrift des Ergebnisses der deutsch-schweizerischen Besprechungen über Niederlassungsfragen am 19. Dezember 1953.

174

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

begeben, können diese Vergünstigungen nicht beanspruchen 201 . — Bei der fremdenpolizeilichen Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen soll jedoch dafür Sorge getragen werden, daß die V e r w i r k lichung der die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen bestimmenden gemeinsamen Grundsätze nicht beeinträchtigt werden 2 0 2 (ζ. B. Montageund Reparaturpersonal, Großhandelsreisende, Fachleute). — Nach einem ununterbrochenen, ordnungsmäßigen Aufenthalt von mindestens fünf Jahren soll die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, es sei denn, „daß das persönliche Verhalten des Gesuchstellers ein solches Entgegenkommen nicht rechtfertigt oder daß schwerwiegende Gründe des Arbeitsmarktes entgegenstehen" 203 . — I m Vergleich zu anderen Ausländern war die Ermessensausübung der Berliner Ausländerbehörde gegenüber schweizerischen Staatsangehörigen auffallend großzügig. I m Ergebnis stimmte sie nicht nur mit der Vereinbarung über Niederlassungsfragen überein, sondern ging weit darüber hinaus. Aufenthaltserlaubnisse wurden meist von Anfang an ohne einschränkende Auflagen und Bedingungen — allerdings befristet — erteilt, auch wenn sie erkennbar nur für einen begrenzten Zweck (etwa für ein Praktikum) beantragt worden waren. Ähnlich entgegenkommend war die Praxis bei der Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen 204 . — Leichtere Ausweisungsgründe wie geringfügige Verstöße gegen das Melde- oder gegen das Ausländerrecht (ζ. B. verspätete Antragstellung) standen der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und ihrer Verlängerung nicht entgegen (in einem Falle auch nicht der Umstand, daß ein Ermittlungsverfahren wegen landesverräterischer Beziehungen nur mangels Beweises eingestellt worden war). — Nur ein Antrag auf Erteilung und einer auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wurden abgelehnt, jeweils wegen erheblicher Vorstrafen. — Charakteristisch bei allen Ermessensentscheidungen war auch hier, daß die Bestimmungen des Niederlassungsvertrages und der Vereinbarung über Niederlassungsfragen i n keinem einzigen Falle angewandt wurden. 7.2.12. Spanische Staatsangehörige

Bei ausländerbehördlichen Entscheidungen ist außer dem Ausländergesetz die deutsch-spanische Anwerbevereinbarung 2 0 5 anzuwenden. 201

Abschnitt I 6, a.a.O. Abschnitt I I , a.a.O. 203 Abschnitt I I I , a.a.O. 204 I n ähnlicher Weise w u r d e n seit A p r i l 1967 auch die Aufenthaltserlaubnisse österreichischer Staatsangehöriger (Arbeitnehmer) meist ohne Beibehaltung einschränkender Bedingungen u n d Auflagen verlängert. 202

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

175

Diese gleicht der deutsch-griechischen Anwerbevereinbarung fast völlig. Sie enthält vor allem ebenfalls eine Wohlwollensklausel bezüglich der Familienzusammenführung (Art. 17) 206 . Größere Bedeutung hat die Anwerbevereinbarung für Berlin nicht gehabt, da 1967/68 keine spanischen Arbeitskräfte hierher vermittelt wurden. — Bei ihrer Ermessensausübung hielt sich die Ausländerbehörde innerhalb der durch das Ausländergesetz und die Anwerbevereinbarung abgesteckten Grenzen. Zumeist konnte sie i n ihren ablehnenden Bescheiden darauf hinweisen, daß ein Ausweisungstatbestand erfüllt war oder daß es das Arbeitsamt abgelehnt hatte, eine Arbeitserlaubnis zuzusichern 207 . Zweifelhaft erscheint die Praxis nur insoweit, als nachziehenden Familienangehörigen von hier tätigen Arbeitnehmern die Aufenthaltserlaubnis für Besuchszwecke mit der Begründung versagt wurde, der Besuchszweck sei nach einem (erlaubnisfreien) Aufenthalt von einigen Wochen erfüllt. 7.2.13. Thailändische Staatsangehörige

Bei ausländerrechtlichen Entscheidungen gegenüber thailändischen Staatsangehörigen war außer dem Ausländergesetz der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Siam vom 30. Dezember 1937 208 zu beachten. Dessen A r t . 1 Abs. 2 bestimmt: „Die Staatsangehörigen des einen vertragsschließenden Teiles können, vorausgesetzt, daß sie die Landesgesetze beobachten, das Gebiet des anderen Teiles frei betreten, darin reisen u n d sich aufhalten u n d niederlassen sowie dieses Gebiet jederzeit frei verlassen. Sie sind dabei keinen anderen allgemeinen oder örtlichen Beschränkungen oder Auflagen irgendwelcher A r t 205 Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland u n d der Regierung des Spanischen Staates über die Wanderung, A n w e r b u n g u n d V e r m i t t l u n g von spanischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland, veröffentlicht durch Bek. des B M A u s w . v o m 23. Januar 1961 (BAnz. Nr. 219 v o m 14. November 1961). Das Handelsabkommen zwischen dem Deutschen Reich u n d dem K ö n i g reich Spanien w a r bereits am 30. September 1961 gekündigt worden; der Niederlassungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d dem Spanischen Staat v o m 23. A p r i l 1972 (Gesetz v o m 7. September 1972, BGBl. I I , S. 1041) galt i m Untersuchungszeitraum noch nicht. 206 Vgl. hierzu den Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 2 Nr. 3 u n d OVG Münster, i n : D Ö V 1973, 428, Nr. 173. 207 Insgesamt lehnte es der Polizeipräsident i n B e r l i n elfmal ab, eine A u f enthaltserlaubnis zu erteilen (drei für eine unselbständige Erwerbstätigkeit, vier f ü r einen Besuch, vier für sonstige Zwecke); i n einem weiteren F a l l wurde eine Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Voraussetzungen i n Aussicht gestellt. Z w e i m a l wurde eine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert (in einem d r i t t e n F a l l erst auf Widerspruch hin). 208 RGB1. 1938 I I , S. 51; Notenwechsel über die Fortgeltung v o m 18. Dezember 1953, BAnz. Nr. 227 v o m 22. November 1956; der Vertrag wurde i n z w i schen von Thailand gekündigt.

176

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

unterworfen als solchen, die den Angehörigen des meistbegünstigten Landes auferlegt sind oder k ü n f t i g auferlegt werden."

Auch hier hat die Meistbegünstigungsklausel zur Folge, daß thailändische Staatsangehörige nicht schlechter gestellt werden dürfen als griechische Staatsangehörige 209 . — Die Praxis gegenüber thailändischen Staatsangehörigen sah so aus: Insgesamt wurden vier Verlängerungsanträge (zweimal war hiermit der Antrag auf Aufhebung einschränkender Auflagen und Bedingungen verbunden) abgelehnt, meist m i t der Begründung, es bestünde an einem weiteren Aufenthalt (nur zum Besuch eines Abendkurses oder zu einer Erwerbstätigkeit) kein öffentliches Interesse. — Eine Aufenthaltserlaubnis wurde nachträglich zeitlich begrenzt, weil der weitere Lebensunterhalt nicht gesichert erschien. — Diese Praxis unterschied sich also i n keiner Weise von derjenigen gegenüber Staatsangehörigen aus anderen Entwicklungsländern. Charakteristisch war auch hier, daß jede Erörterung des deutsch-siamesischen Vertrages fehlte. M i t seinen Bestimmungen standen nicht alle Bescheide i n Einklang; ζ. B. stellt der Aufenthalt eines Studenten, der lediglich einen Abendkurs besucht, für sich allein noch keine Störung der öffentlichen Ordnung dar. 7.2.14. Türkische Staatsangehörige

Bei ausländerpolizeilichen Entscheidungen gegenüber türkischen Staatsangehörigen sind neben dem Ausländergesetz vor allem — die deutsch-türkische Anwerbevereinbarung vom 30. Oktober 1961 210 und — das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Juni 1927 nebst Zeichnungsprotokoll211 heranzuziehen. — Die deutsch-türkische Anwerbevereinbarung ähnelt weitgehend den übrigen Anwerbevereinbarungen. Sie weist insofern Besonderheiten auf, als sie die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis über die Gesamtaufenthaltsdauer von zwei Jahren hinaus nicht vorsieht (Nr. 9) 2 1 2 und eine Wohlwollensklausel hinsichtlich des Nachzuges 209 So zu Recht Schütterle, i n : GewArch. 1971, 196 (197, Fußn. 10, 198) und i n : DVB1. 1971, 345 (348); a. Α.: w o h l Bordewin, Das Aufenthaltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 169 (171). 210 GMB1. 1962, 10; 1964, 507 u n d BAnz. 1968, Nr. 22. 211 Gesetz v o m 15. März 1927 (RGBl. I I , S. 53); zwischen der B R D u n d der T ü r k e i i n K r a f t gemäß Bek. des B M A u s w . v o m 29. M a i 1952 (BGBl. I I , S. 608). 212 Vgl. hierzu BVerwG, i n : Schüler / W i r t z AuslG § 10 Nr. 25.

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

177

von Familienangehörigen fehlt. — Die Berliner Ausländerbehörde trug den Bestimmungen der deutsch-türkischen Anwerbevereinbarung vollauf Rechnung. Sie ging i n zweierlei Hinsicht darüber hinaus: Aufenthaltserlaubnisse von Arbeitnehmern wurden i n der Regel auch über zwei Jahre hinaus verlängert, wenn dem keine besonderen Gründe (z.B. arbeitsmarktpolitische oder Ausweisungsgründe) entgegenstanden. Familienangehörige wurden i n dem i m Abschnitt 7.1.2. dargestellten Umfang zugelassen. Eine generelle Benachteiligung gegenüber griechischen oder spanischen Staatsangehörigen — die betreffenden A n werbevereinbarungen enthalten Wohlwollensklauseln bezüglich des Familiennachzuges — war nicht festzustellen. — Das Niederlassungsabkommen spricht i n A r t . 1 das Prinzip der Gegenseitigkeit aus. Nach seinem A r t . 2 sollen die Staatsangehörigen des einen vertragschließenden Teils auf dem Gebiete des anderen Teils hinsichtlich ihrer Person und ihres Eigentums gemäß dem allgemeinen Völkerrecht aufgenommen und behandelt werden (Satz 1). Vorbehaltlich der Einwanderungsbestimmungen sollen sie völlige Freiheit zur Einreise und zur Niederlassung haben; sie werden das Gebiet des anderen vertragschließenden Teils betreten, verlassen, sich dort aufhalten können, sofern sie die i n diesem Lande geltenden Gesetze und Verordnungen beobachten. — A r t . 2 N A K w i r d i m Zeichnungsprotokoll — es bildet einen integrierenden Bestandteil des Abkommens — dahin erläutert, daß seine Bestimmungen die Gesetze und Verordnungen über das Paßwesen nicht berühren (Nr. 1 zu A r t . 2). Damit bleiben jedoch nur die Vorschriften des Ausländergesetzes über die Einreise unberührt, nicht etwa alle Vorschriften 2 1 3 . — A r t . 4 über die Erwerbstätigkeit greift erst ein, sofern die Angehörigen des anderen Teiles eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis besitzen 214 . — Die insgesamt 94 2 1 5 negativen Entscheidungen, welche der Polizeipräsident i n Berlin 1967/68 gegenüber türkischen Staatsangehörigen traf, waren ganz überwiegend mit dem deutsch-türkischen Niederlas213 So zu Recht B V e r w G E 36, 45 = Schüler / W i r t z A u s l G § 7 Nr. 7 auf S. 264 f.; Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (347); a . A . : Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.1. A r t . 2 A n m . 2. 214 Kloesel / Christ, a.a.O., Β 6.2.1. A r t . 4 Anm. 2. 215 59mal lehnte es die Behörde ab, eine Erlaubnis für einen Aufenthalt als Arbeitnehmer (neun), P r a k t i k a n t (einen), Besucher (39) oder für sonstige Zwecke zu erteilen (zehn). I n 18 Fällen handelte es sich u m die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis von Arbeitnehmern (15) u n d Studenten (drei). Vier Bescheide betrafen einen Antrag, die einschränkende Auflage „ g i l t nicht für eine Erwerbstätigkeit" zu streichen, ebenfalls vier die nachträgliche zeitliche Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis. Es kamen mehrere Abhilfefälle hinzu. I n sieben weiteren Fällen stellte die Behörde eine Aufenthaltserlaubnis unter bestimmten Voraussetzungen i n Aussicht.

12 Schüler

178

7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

sungsabkommen vereinbar (allerdings wurde dieses Abkommen keinem der untersuchten Fälle erörtert). —

in

Eine Reihe von Entscheidungen war nach A r t . 7 des Niederlassungsabkommens gerechtfertigt (vor allem Anträge auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von Arbeitnehmern, Praktikanten, Studenten). Diese Bestimmung betrifft zwar dem Wortlaut nach auch das Recht, einen Angehörigen des anderen vertragschließenden Staates „gemäß den Gesetzen oder den sitten-, gesundheits- und armenpolizeilichen Verordnungen oder aus Gründen der inneren oder äußeren Sicherheit des Staates" auszuweisen. Doch schließt dieses Ausweisungsrecht das weniger weitgehende Recht m i t ein, jemandem aus diesen Gründen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis oder ihre Verlängerung zu versagen bzw. sie i h m nachträglich zeitlich zu beschränken. — Fast alle übrigen Entscheidungen lassen sich m i t dem Hinweis halten, sie verhinderten eine Einwanderung. Denn nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts 216 wandert nicht nur derjenige aus, der sich hier niedergelassen hat ohne Hoffnung oder Absicht, später i n die Heimat zurückzukehren. Eine Niederlassung für längere Zeit, die schon als zeitliche Einwanderung gilt, ist praktisch von allen Arbeitskräften und nachziehenden Familienangehörigen beabsichtigt. Da das Niederlassungsabkommen der BRD jedwede Einwanderungsregelung vorbehalten hat, ist es auch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn türkischen Studenten, die i h r Studium abgebrochen oder trotz jahrelangen A u f enthalts noch nicht aufgenommen haben, die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird. Ebensowenig ist es rechtlich zu bemängeln, wenn Arbeitnehmern die Aufenthaltserlaubnis nachträglich wegen häufigen Arbeitsplatzwechsels und schlechter Arbeitsleistungen oder wegen erheblicher Verstöße gegen die Krankenhausordnung zeitlich beschränkt wird. 7.2.15. Staatsangehörige der USA

Bei ausländerbehördlichen Ermessensentscheidungen gegenüber den Staatsangehörigen der USA, die grundsätzlich keiner Aufenthaltserlaubnis i n der Form des Sichtvermerks bedürfen 2 1 7 , kommt außer dem Ausländergesetz die Anwendung des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und

216 BVerwG, a.a.O.; bestätigt von BVerwG, i n : N J W 1971, 2141 (2142) u n d i n : DÖV 1973, 414; a. A . Schütterle, i n : DVB1. 1971, 345 (347). 217 Abschnitt I I des deutsch-amerikanischen Abkommens zur Aufhebung des Sichtvermerkszwanges; nach Abschnitt I V a m 1. Februar 1953 i n K r a f t getreten (GMB1., S. 575).

7.2. Einzelfragen i n Bezug auf die Staatsangehörigkeit

179

den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober 1954 218 i n Betracht. Die maßgebliche aufenthaltsrechtliche Bestimmung dieses Vertrages ist A r t . 1. Nach dessen Absatz 1 dürfen die Staatsangehörigen eines Vertragsteiles nach Maßgabe der Gesetze über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern das Gebiet des anderen Vertragsteiles betreten, frei reisen und an Orten ihrer Wahl wohnen, vor allem, u m sich gewerblich zu betätigen. Das nach dem Ausländergesetz bestehende Ermessen w i r d hierdurch i n keiner Weise eingeschränkt 219 . Dies folgt auch aus der Wohlwollensklausel hinsichtlich des Reiseverkehrs für Touristen und andere Besucher (Absatz 2), ζ. B. aus dem Vorbehalt des Absatzes 5, wonach die Bestimmungen dieses Artikels nicht das Recht beider Vertragsteile berühren, Maßnahmen zu treffen, die zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und zum Schutz der guten Sitten und der öffentlichen Gesundheit notwendig sind 2 2 0 . I n Anbetracht dessen, daß dieser Vertrag keinerlei Aufenthaltsansprüche eingeräumt hat, erstaunt es u m so mehr, daß die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 ihr Ermessen gegenüber Staatsangehörigen der USA außerordentlich großzügig ausgeübt hat; diese Praxis findet eine Parallele nur i n der Ermessensausübung gegenüber Staatsangehörigen der EWG-Länder und der Schweiz. Der Polizeipräsident i n Berlin erteilt die Aufenthaltserlaubnisse zwar befristet, aber fast immer ohne einschränkende Auflagen und Bedingungen, auch wenn der erkennbare Zweck des Aufenthaltes keine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis erforderte (dies nicht etwa nur bei einigen privilegierten Personengruppen, wie ζ. B. bei Lehrern der deutsch-amerikanischen Gemeinschaftsschule und Flugpersonal der alliierten Fluggesellschaften). Ähnlich entgegenkommend war die Praxis bei der Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen. — Die Berliner Ausländerbehörde traf 1967/68 gegenüber Staatsangehörigen der USA nur drei negative Ermessensentscheidungen: Einem ehemaligen Besatzungssoldaten erteilte sie die beantragte Aufenthaltserlaubnis nicht, weil die amerikanische Besatzungsmacht Bedenken geäußert hatte. — Einem Sänger, der als Farbiger keine Arbeitsstelle gefunden hatte, wurde die Verlängerung versagt, weil er, „wie sich 218 Gesetz v o m 7. M a i 1956 (BGBl. I I , S. 487), i n K r a f t getreten am 14. J u l i 1956 (BGBl. I I , S. 763); allgemein zum Vertrag vgl. Schwenk, i n : JZ 1957, 197. 219 Amtliche Begründung, Bundestags-Drucks. U/1843, S. 22; Bordewin, a.a.O., S. 172; mißverständlich Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 2 RdNr. 99. 220 So zu Recht Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, Β 6.2. A r t . I Anm. 1.

1*

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7. Einzelfragen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis

erwiesen hat, für die deutsche Wirtschaft uninteressant ist". Dem bereits i n Abschnitt 5.2. erwähnten deutsch-amerikanischen Schriftsteller Lettau wurde die Aufenthaltserlaubnis wegen unliebsamer politischer Betätigung nachträglich zeitlich beschränkt.

8. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung 8.1. Die Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung 8.1.1. Die Rechtslage nach § 8 AuslG

Nach dem Vorbild der schweizerischen Niederlassungsbewilligung 1 hat der Gesetzgeber 1965 für Ausländer, die auf Grund eines langdauernden Aufenthaltes m i t der BRD i n besonderer Weise verbunden sind 2 , die Aufenthaltsberechtigung geschaffen. Sie ist eine besondere A r t der Aufenthaltserlaubnis, eine höhere Stufe davon 3 . Ihre Besonderheit liegt darin, daß sie räumlich und zeitlich unbeschränkt ist und nicht m i t Bedingungen (wohl aber mit Auflagen) versehen werden kann (§ 8 Abs. 2 AuslG); außerdem dürfen ihre Inhaber nur aus schwerwiegenden Gründen ausgewiesen werden (§11 Abs. 1 AuslG). Die Aufenthaltsberechtigung w i r d auf Grund eines Antrages 4 nach pflichtgemäßem Ermessen der Ausländerbehörde 5 erteilt. Voraussetzung ist jedoch einmal, daß sich der betreffende Ausländer seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig i m Geltungsbereich des Ausländergesetzes aufgehalten hat (§ 8 Abs. 1 AuslG). Ein nur gemäß § 17 Abs. 1 AuslG geduldeter Aufenthalt ζ. B. ist nicht rechtmäßig 6 . Auch w i r d die Frist durch einen seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden A u f enthalt i m Ausland unterbrochen (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG) 7 . Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung ist außerdem, daß sich der Antragsteller i n das wirtschaftliche und soziale Leben der BRD eingefügt hat (§ 8 Abs. 1 AuslG). Zum ersten gehört, daß die wirtschaftliche Existenz gesichert ist (ausreichende Einkünfte 1 A u f G r u n d des schweizerischen Bundesgesetzes über Aufenthalt u n d Niederlassung der Ausländer (ANAG) v o m 26. März 1931 (BS 1, 121). 2 Vgl. Amtliche Begründung zu § 8 Abs. 1 A u s l G u n d Schiedermair, H a n d buch des Ausländerrechts, A u s l G § 8 Anm. 1 auf S. 138. 3 Dies geht schon aus dem Wortlaut des § 8 A u s l G hervor (vgl. aber Überschrift von § 9 AuslG); vgl. Schiedermair, a.a.O., A n m . 14 auf S. 142; Weißmann, AuslG, § 8 A n m . 2; Marxen, a.a.O., § 8 RdNr. 2. 4 A u s l G V w v zu § 8 Nr. 3. 5 Einhellige Meinung; vgl. z.B. A u s l G V w v zu § 8 Nr. 3; Kanein, AuslG, § 8 A n m . Β 3; Schiedermair, a.a.O., § 8 Anm. 13 auf S. 142. 8 Marxen, a.a.O., § 8 RdNr. 4; Schiedermair, a.a.O., § 8 Anm. 6 auf S. 140. 7 Marxen, a.a.O., § 8 RdNr. 4; Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 8 Anm. 1.

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8. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung

aus selbständiger oder unselbständiger Arbeit von gewisser Beständigkeit 8 ). Das zweite bedingt, daß der Ausländer die geltende Rechtsordnung (insbesondere die Strafgesetze) einhält, i n der BRD einen örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen hat (angemessener Wohnraum), sich genügend sprachlich verständigen kann 9 und m i t den hiesigen Lebensverhältnissen vertraut ist 1 0 . 8.1.2. Die Verwaltungsgrundsätze für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung

Über diese schon recht strengen Voraussetzungen hinaus haben die Länder 1969 — davon ausgehend, daß die BRD kein Einwanderungsland darstellt und daß die Aufenthaltsberechtigung die ständige Niederlassung einleitet, § 8 AuslG also „nicht ganz ungefährlich" i s t 1 1 — Grundsätze für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung aufgestellt 12 . Hier sind besonders zu erwähnen: Die Aufenthaltsberechtigung soll nur erteilt werden, wenn die dauernde Niederlassung des Ausländers entweder zur Förderung deutscher öffentlicher Interessen (wissenschaftliche und technische Fachkräfte, mittleres Management, Nr. 3.4.) angezeigt erscheint oder zumindest deutsche öffentliche Interessen nicht entgegenstehen (Nr. 3.1.). Die ständige Niederlassung erscheint nur i n eng begrenztem Umfang vertretbar. Bei der Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen soll daher Zurückhaltung geübt werden (Nr. 3.2.). — Grundsätzlich soll die Aufenthaltsberechtigung erst nach einem Aufenthalt von acht Jahren i n Betracht kommen (Nr. 3.3.). — Sie soll nicht erteilt werden, wenn Belange der deutschen Entwicklungspolitik oder zwischenstaatlicher Beziehungen der BRD dem dauernden Verbleib des Ausländers entgegenstehen (Nr. 3.7.). — M i t den Mindestvoraussetzungen soll es nur bei Asylberechtigten, ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger und bei ehemaligen deutschen Staatsangehörigen sein Bewenden haben. — 8.1.3. Die Praxis der Ausländerbehörde

Auch schon vor dem Erlaß dieser Grundsätze war eine Aufenthaltsberechtigung äußerst selten. Nach Franz 1 3 besaßen Ende September 8 Marxen, a.a.O., § 8 RdNr. 7; Schiedermair, a.a.O., § 8 A n m . 8 auf S. 141; Weißmann, AuslG, § 8 A n m . 4 u n d 5. 9 Marxen, a.a.O., § 8 RdNr. 8; Kanein, AuslG, § 8 A n m . Β 2; Kloesel / Christ, a.a.O., § 8 A n m . 2; Schiedermair, a.a.O., § 8 A n m . 8 auf S. 141. 10 Schiedermair, a.a.O., § 8 A n m . 8 auf S. 141; Weißmann, AuslG, § 8 A n m . 4. 11 So Weißmann, i n : Die Polizei 1965, 304 (307). 12 Abgedruckt bei Kloesel / Christ, a.a.O., nach § 8 AuslG.

8.1. Die Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung

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1968 von 1 924 229 registrierten Ausländern i n der BRD nur 5187 die Aufenthaltsberechtigung, obwohl von den Arbeitnehmern (sie bildeten die Mehrzahl) 23,8 °/o länger als fünf Jahre hier geweilt hatten. — Nicht anders war die Lage i n Berlin. Nach Auskunft der Berliner Ausländerbehörde besaßen Ende 1968 nur fünf Ausländer eine Aufenthaltsberechtigung. Der Polizeipräsident i n Berlin lehnte es i m Untersuchungszeitraum insgesamt drei (1967: einem; 1968: zwei) Ausländern (einem iranischen, zwei griechischen Staatsangehörigen) ab, ihnen eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Hierbei fehlte es i n zwei Fällen an dem ununterbrochenen fünfjährigen Aufenthalt. Die Frist war jeweils durch einen ausgedehnten Urlaub von mehreren Monaten unterbrochen worden, wie er bei Ausländern aus weiter entfernten Staaten häufig ist. — Bei dem dritten Antragsteller handelte es sich u m einen 38jährigen ledigen Griechen, der von 1958 -1964 i m Bundesgebiet Volkswirtschaft, Soziologie, Kriminologie und Ethnologie studiert, ab 1962 bei den US-Streitkräften und nach Abschluß seines Studiums beim NDR gearbeitet hatte. Die 1968 beantragte Aufenthaltsberechtigung wurde i h m m i t der Begründung verweigert, er sei noch nicht ausreichend i n das wirtschaftliche und soziale Leben der Bundesrepublik eingegliedert, zumal er noch keinen Rentenanspruch erworben habe. — Die Aufsichtsbehörde wies den Widerspruch zurück; sie sah den Antragsteller nicht für eingegliedert an, weil er ständig zur Untermiete gewohnt und seit 1958 siebenmal sein Zimmer gewechselt hatte. — Diese Entscheidung begegnet rechtlichen Bedenken, weil i n ihr von einem zu strengen Begriff der Eingliederung ausgegangen wird. Ein Rentenanspruch ist nicht Voraussetzung für die wirtschaftliche Eingliederung. Das liefe darauf hinaus, daß der Bewerber sich nicht nur fünf Jahre hier aufhalten und sich jetzt i n das wirtschaftliche Leben der BRD eingegliedert haben muß, sondern daß die wirtschaftliche Eingliederung schon fünf Jahre gedauert haben muß. Diese Auffassung findet i m Gesetz keine Stütze. Auch wegen des Umstandes allein, daß der Antragsteller nur zur Untermiete gewohnt und häufig sein Zimmer gewechselt hat, kann hier nicht auf fehlende soziale Eingliederung geschlossen werden. Von Ausländern können nur Wohnverhältnisse gefordert werden, die denen von Deutschen i n vergleichbarer Situation entsprechen. Dies aber war hier der Fall. Wohnungswechsel und Untermiete sind auch bei jüngeren ledigen deutschen Akademikern anzutreffen. Die Aufenthaltsberechtigung hätte also nur i m Wege des Ermessens versagt werden dürfen. — 13 Franz, i n : N J W 1970, 1012; von den männlichen Arbeitskräften bleiben sogar 2 6 % länger als 7 Jahre i n der B R D ; vgl. „Der Tagesspiegel" Nr. 8018 v o m 28. Januar 1972 auf S. 10. Kritisch zur bisherigen Praxis Kanein, i n : N J W 1973, 729 (732).

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8. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung

Die äußerst geringe Zahl der Aufenthaltsberechtigungen ist sicher nicht nur auf restriktive Auslegung und Anwendung des § 8 AuslG zurückzuführen. Sie beruht vielmehr augenscheinlich auch vor allem darauf, daß Ausländer i n Unkenntnis des Ausländergesetzes 14 sehr selten eine Aufenthaltsberechtigung beantragen. Auch von der Berliner Ausländerbehörde sind sie auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen worden. 8.2. Nachträgliche Auflagen Von der Möglichkeit, Aufenthaltsberechtigungen nachträglich mit Auflagen zu versehen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AuslG) hat der Polizeipräsident i n Berlin 1967/68 keinen Gebrauch gemacht.

14 A u f die nicht ausreichende Information spanischer Arbeitskräfte über Lebens- u n d Arbeitsbedingungen i n der B R D weist ζ. B. Delgado (Anpassungsprobleme der spanischen Gastarbeiter i n Deutschland, Diss. K ö l n 1966, S. 10 u n d 35 ff.) hin.

9. Die Erteilung von Durchreisesichtvermerken Der Durchreisesichtvermerk ist die zeitlich eng begrenzte Erlaubnis zum Überschreiten der Bundesgrenze und zum Durchfahren des Bundesgebietes i n der Form des Sichtvermerks. Er kann gemäß § 5 Abs. 3 AuslG erteilt werden, auch wenn die Voraussetzungen für einen A u f enthalt nicht vorliegen, sofern die fristgerechte Ausreise gesichert ist und die Durchreise Belange der BRD nicht beeinträchtigt. Hierbei handelt es sich um eine Unterart der Aufenthaltserlaubnis 1 ; dies ergibt sich aus der Gesamtkonzeption des Ausländergesetzes, das die Zweigleisigkeit von Aufenthaltserlaubnis und Sichtvermerk beseitigt hat, und aus der Stellung des Absatzes über den Durchreisesichtvermerk innerhalb der Bestimmung des § 5 über die Aufenthaltserlaubnis; daher sind die allgemeinen Vorschriften (z. B. § 5 Abs. 4, §§ 6, 7 AuslG) grundsätzlich anwendbar 2 . Für die Erteilung von Durchreisesichtvermerken ist nach der AuslG V w v Nr. 14 i. V. m. Nr. 12 zu § 20 die Berliner Ausländerbehörde insoweit zuständig, als es sich u m Ausländer handelt, die i n der DDR oder i n Ostberlin ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. — Den Anträgen auf Erteilung eines Durchreisesichtvermerkes gab die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 i n aller Regel statt. Gewöhnlich waren die Durchreisesichtvermerke auf 24 Stunden, vom Tage des Grenzübertritts an gerechnet, befristet. Eine bestimmte Reiseroute wurde nicht vorgeschrieben.

1 Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 5 Anm. 3 a; Marxen, a.a.O., AuslG § 5 RdNr. 7; a. A. Weißmann, AuslG, § 5 A n m . 9. 2 Kloesel / Christ, a.a.O. ; Marxen, a.a.O.

10. Die Ausstellung, Verlängerung und Entziehung von Fremdenpässen 10.1. Die Ausstellung Nach § 4 Abs. 1 AuslG kann Ausländern, die sich nicht durch einen Paß oder Paßersatz ausweisen können, ein Fremdenpaß ausgestellt werden. — 10.1.1. Die rechtliche Bedeutung des Fremdenpasses

Der Fremdenpaß ist eine besondere A r t der Ausweispapiere. Er t r i t t an die Stelle eines an sich erforderlichen Passes des Heimatstaates. Als Rechtsinstitut ist er eine Folge der Ausweispflicht der Ausländer 1 . 10.1.2. Die Voraussetzungen der Ausstellung

Die Ausstellung des Fremdenpasses — sie stellt einen begünstigenden Verwaltungsakt 2 dar — setzt neben einem Antrag grundsätzlich folgendes voraus: — Der Ausländer kann sich nicht m i t einem Paß oder Paßersatz ausweisen (etwa, w e i l i h m sein Heimatstaat aus politischen Gründen einen Paß verweigert oder er diesen verloren hat). Ausweisen kann sich auch derjenige nicht, dessen Paß ungültig geworden ist oder nicht für die BRD gilt a . — Der Ausländer hat vergeblich versucht, seiner Ausweispflicht dadurch nachzukommen, daß er sich einen Heimatpaß beschafft, den abgelaufenen Paß verlängern oder sonstige Mängel beheben läßt. Dies muß der Ausländer grundsätzlich nachweisen (regelmäßig dadurch, daß er einen ablehnenden Bescheid der diplomatischen Vertretung oder einer sonst zuständigen Behörde seines Staates vorlegt) 4 . 1 So zu Recht Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 3; Schiedermair, a.a.O., A u s l G § 4 A n m . 1. 2 So die Amtliche Begründung zu § 4 u n d Kanein, AuslG, § 4 A n m . A 2. 3 Marxen, a.a.O., § 4 RdNr. 9; Weißmann, AuslG, § 4 A n m . 2. 4 Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 9; A u s l G V w v zu § 4 Nr. 4; O V G Münster, i n : DÖV 1970, 347 w i l l dies i m Rahmen der Ermessensausübung geprüft wissen.

10.1. Die Ausstellung

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— Nach wohl überwiegender Meinung müssen die Ausstellung des Fremdenpasses (und damit auch der weitere Aufenthalt des Ausländers i m Bundesgebiet) i m deutschen Interesse liegen 5 . Dabei muß es sich regelmäßig u m deutsche „staatliche" Interessen handeln 6 . Doch umfaßt dieser Begriff nicht nur Staatsinteressen i m engeren Sinne, sondern alle Belange des Staates, der Allgemeinheit und des einzelnen einschließlich humanitärer Überlegungen, die nach allgemeiner Auffassung als berechtigt gelten 7 . Wirtschaftliche Interessen des Ausländers oder eines deutschen Arbeitgebers an sog. „Gastarbeitern" reichen jedoch regelmäßig nicht (vgl. auch AuslG V w v Nr. 2 Satz 3 zu § 4). Überhaupt muß die Ausstellung des Fremdenpasses eine Ausnahme darstellen, da sie einen Eingriff i n die — nach dem Völkerrecht zu achtende — Personalhoheit des Heimatstaates darstellt, wozu auch die Paßausstellung gehört 8 . Dadurch können die diplomatischen Beziehungen zum Heimatstaat gestört werden. Diese Ausführungen lassen erkennen, daß der Begriff „deutsche I n teressen" — vergleichbar mit dem Begriff „Belange der BRD" i n § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG — viele denkbare sachliche Erwägungen absorbiert, so daß der Raum für Ermessenserwägungen auch hier stärker eingeschränkt sein kann (vgl. Abschnitt 3.1.5.2. und 3.1.7.3.). 10.1.3. Die Rechtsnatur der Entscheidung über die Ausstellung des Fremdenpasses

Einen Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Fremdenpasses hat grundsätzlich nur, wer nach § 28 Nr. 2 AuslG als Asylberechtigter anerkannt ist (§ 44 Abs. 3 AuslG) 9 . I m übrigen liegen Ausstellung und Versagung des Fremdenpasses i m pflichtmäßigen Ermessen der Ausländerbehörden 10 .

5 Amtliche Begründung zu § 4 A u s l G ; O V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z AuslG § 4 Nr. 1 (trotz Streichung der Worte „ w e n n dies i m deutschen I n t e r esse liegt" i n der Regierungsvorlage); Kanein, AuslG, § 4 A n m . A 2 u n d Β 1; K l o e s e l / C h r i s t , a.a.O., § 4 A n m . 2; vgl. auch den Hess. V G H , i n : Schüler/ W i r t z A P V O § 5 Nr. 44; u n k l a r Weißmann, AuslG, § 4 A n m . 4 a u n d b. 6 So O V G Berlin, a.a.O., u n d Bayer. V G H , i n : V G H E 24, 123. 7 O V G Berlin, a.a.O.; Kanein, AuslG, § 4 Anm. A 2. 8 Bayer. VGH, i n : D Ö V 1967, 827; V G H Bad.-Württ. i n D Ö V 1973, 416; V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 1 Nr. 4 u n d 5; Kanein, AuslG, § 4 Anm. A 2; Β 2; Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 13; Weißmann, AuslG, § 4 Anm. 4 a; vgl. auch OVG Münster, i n : D Ö V 1972, 788. 9 Hierzu Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 11 u n d § 44 RdNr. 13; V G H Bad.-Württ., i n : DÖV 1973, 416; Weißmann, AuslG, § 4 Anm. 3. 10 So z.B. O V G Berlin, i n : S c h ü l e r / W i r t z A u s l G § 4 Nr. 1; V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 1 Nr. 4; O V G Münster, i n : DÖV 1970, 347; Kanein, AuslG, § 4 A n m . A 2 u n d Β 1; Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 11.

188 10. Die Ausstellung, Verlängerung und Entziehung von Fremdenpässen

Bei der Ermessensausübung sind die öffentlichen Belange der BRD, die privaten Interessen des Ausländers und die seines Heimatstaates gegeneinander abzuwägen 11 . Ein berechtigtes Interesse des Heimatstaates an der baldigen Rückkehr kann ζ. B. deshalb bestehen, — weil der Ausländer seine Wehrpflicht erfüllen soll; dies kann bei Angehörigen von NATO-Staaten auch i m deutschen Interesse liegen 1 2 ; — weil der Ausländer i m Heimatstaat seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen soll 1 3 ; — weil er als ausgebildete Fachkraft i n sein Entwicklungsland zurückkehren soll 1 4 . Nach allgemeiner Auffassung ist jedenfalls stets ein strenger Maßstab anzulegen 15 . 10.1.4. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

I m Untersuchungszeitraum konnten vor allem folgende Ausländer damit rechnen, daß ihnen der Polizeipräsident i n Berlin i m Rahmen seines Ermessens einen Fremdenpaß ausstellte: — Ausländer während des Asylverfahrens; — nach § 17 Abs. 1 AuslG geduldete Ausländer; — zur Ausreise nach § 12 Abs. 1 AuslG verpflichtete Ausländer; — politisch gefährdete griechische und aus Biafra stammende nigerianische Staatsangehörige. I m einzelnen ist hierzu folgendes zu bemerken: Ausländern, die ihre Anerkennung als Asylberechtigte beantragt hatten, wurde i n der Regel bis zur unanfechtbaren Entscheidung über diesen Antrag ein Fremdenpaß ausgestellt. — Die nach §17 Abs. 1 AuslG geduldeten Ausländer machten den größten Teil derjenigen aus, die einen Fremdenpaß erhielten. Die Berliner Ausländerbehörde vertrat zwar die Auffassung, daß AuslGVwv Nr. 3 Satz 2 zu § 4, wonach geduldeten Ausländern ein Fremdenpaß zu erteilen sei, keinen Rechtsanspruch des Ausländers begründe, sondern sich nur an die Ausländerbehörde wende 1 6 . I n der Praxis jedoch trug sie 11

OVG Berlin, a.a.O. Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 13; V G H Bad.-Württ., i n : DÖV 1973, 416; Weißmann, AuslG, § 4 A n m . 4 c. 13 OVG Berlin, a.a.O. 14 Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 4 A n m . 4. 15 Marxen, a.a.O., AuslG § 4 RdNr. 12. 12

10.1. Die Ausstellung

189

dieser Verwaltungsvorschrift Rechnung. — Bei den begünstigten Ausländern handelte es sich ganz überwiegend um Angehörige der kommunistischen Staaten Osteuropas oder um Staatenlose (die meist ebenfalls aus Osteuropa stammten). Ihnen Fremdenpässe zu erteilen, ist angebracht, da sie das Bundesgebiet i n der Regel von selbst nicht verlassen, sie andererseits entweder nicht abgeschoben werden können (Staatenlose) oder aus politischen Gründen nicht abgeschoben werden sollen (Angehörige kommunistischer Staaten). — Auch die zur Ausreise nach §12 Abs. 1 AuslG verpflichteten Ausländer müssen sich bei der Ausreise durch einen Paß oder einen Paßersatz ausweisen können (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG). Verzögert die Heimatbehörde des Ausländers die Ausstellung oder Verlängerung eines Nationalpasses über Gebühr, so ist die Ausstellung eines Fremdenpasses für kurze Zeit zweckmäßig 17 . Der Ausländer kann dann unverzüglich ausreisen oder abgeschoben werden. — Griechische Staatsangehörige, die dargetan hatten, daß ihnen die Heimatbehörde aus politischen Gründen den Nationalpaß nicht verlängert hatte, wurden auf Anweisung des Senators für Inneres seit Februar 1967 nicht mehr auf das förmliche Asylverfahren verwiesen (bei einem seinerzeit für möglich gehaltenen Wechsel der politischen Verhältnisse i n Griechenland müßte gemäß § 37 AuslG i n zahlreichen Fällen geprüft werden, ob die Anerkennung als Asylberechtigter widerrufen werden soll). Vielmehr erhielten sie einen Fremdenpaß. Hiervon wurde nur abgesehen, wenn eine politische Verfolgung als offensichtlich ausgeschlossen erschien. — Aus ähnlichen Gründen stellte die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 auch denjenigen nigerianischen Staatsangehörigen aus Biafra einen Fremdenpaß aus, denen die nigerianischen Behörden während des Bürgerkrieges den Nationalpaß nicht verlängert hatten, weil sie kein Treuebekenntnis zum nigerianischen Staat abgelegt hatten. — I n den weitaus meisten dieser Fälle wurden die Fremdenpässe 1967/68 auf sechs Monate ausgestellt. Die Berliner Ausländerbehörde blieb damit regelmäßig weit unter der i n der AuslGVwv Nr. 6 zu § 4 vorgesehenen Höchstdauer von zwei Jahren. Die Berliner Ausländerbehörde lehnte es 1967/68 17mal ab, einen Fremdenpaß auszustellen. I n fünf Fällen (1967: drei; 1968: zwei) erfolgte die Ablehnung, weil sich die Antragsteller nicht um die Verlängerung ihres Heimatpasses bzw. ihres Reiseausweises bemüht hatten (es er16 So auch Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, A u s l G § 4 A n m . 6; hierzu ist zu sagen, daß die geduldeten Ausländer zumindest auf G r u n d der Verwaltungsübung gemäß A r t . 3 Abs. 1 GG einen Anspruch erwerben (vgl. Abschnitt 3.1.9.5.). 17 Vgl. Weißmann, AuslG, § 4 Anm. 4 b.

190 10. Die Ausstellung, Verlängerung u n d Entziehung von Fremdenpässen

schien ihnen zu umständlich, sich zwecks Verlängerung ihrer Papiere i n das Land ihres ständigen Aufenthaltes zu begeben). I n allen Fällen verneinte die Ausländerbehörde deswegen das erforderliche deutsche Interesse, vermischte also zwei verschiedene Entscheidungserfordernisse miteinander. — Bei den Entscheidungen handelte es sich wohl u m gebundene, nicht u m Ermessensentscheidungen (eine eindeutige Stellungnahme hierzu fand sich nur i n den Widerspruchsbescheiden der Aufsichtsbehörde). — I n einer Reihe von anderen Fällen lehnte es die Ausländerbehörde ab, solchen Ausländern einen Fremdenpaß auszustellen, deren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt worden w a r 1 8 . Hierbei wurde jeweils ein deutsches Interesse am Fremdenpaß verneint, ohne daß der Verwaltungsakte zu entnehmen war, ob es sich um Ermessensentscheidung handelte oder nicht. — Die Aufsichtsbehörde gab den eingelegten Widersprüchen jeweils nicht statt, zweimal jedoch m i t einer anderen Begründung als der Polizeipräsident i n Berlin. Es handelte sich hierbei u m zwei Tschechen, die zwar Pässe besaßen, die aber nicht für die BRD gültig waren. Die Fremdenpässe wurden abgelehnt m i t der Begründimg, die Inhaber könnten sich m i t einem Nationalpaß ausweisen, die gleichzeitig beantragten Aufenthaltserlaubnisse dagegen m i t der Begründung, die Pässe seien keine ausreichenden Ausweise i. S. von § 3 Abs. 1 AuslG. M. a. W.: Der Senator für Inneres von Berlin verwertete jenes Merkmal einmal so, einmal so, u m sowohl die Aufenthaltserlaubnisse als auch die Fremdenpässe ablehnen zu können — je nachdem, wie es gerade gebraucht wurde 1 9 . Bei sechs (1967 und 1968 je drei) Ausländern, denen die Berliner Ausländerbehörde i m Untersuchungszeitraum den Fremdenpaß versagte, handelte es sich um solche, denen die griechische bzw. türkische Heimatbehörde die Verlängerung des Heimatpasses abgelehnt hatte, u m sie zur Rückkehr und zur Ableistung des Wehrdienstes zu zwingen. Der Polizeipräsident i n Berlin hatte jeweils ein deutsches Interesse an der Ausstellung eines Fremdenpasses verneint, vielmehr gemeint, es liege i m deutschen Interesse, wenn Angehörige von verbündeten NATOStaaten ihrer Wehrpflicht nachkämen 20 . Wehrdienstverweigerer erhiel18 1967: drei; 1968: drei. — Dem Widerspruch zweier polnischer Staatsangehöriger mosaischen Glaubens, die vergeblich ihre Anerkennung als Heimatvertriebene beantragt hatten, wurde abgeholfen. 19 Der B a y V G H (VGHE 24, 123/125) allerdings hält dies für unbedenklich. 20 Vgl. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 4 RdNr. 13 u n d 15; Weißmann, AuslG, § 4 A n m . 4 c. Aus diesem Grunde gab die Berliner Ausländerbehörde 1968 einem Widerspruch statt.

10.1. Die Ausstellung

191

ten einen Fremdenpaß nur, wenn der Heimatpaß nach der nicht widerlegten Behauptung des Antragstellers i n Wirklichkeit aus politischen Gründen nicht verlängert worden war. — Die Berliner Aufsichtsbehörde verweigerte den beantragten Fremdenpaß also i n allen Fällen, weil ein deutsches Interesse hieran fehlte. Sieht man dessen Vorliegen als Voraussetzung für eine positive Ermessensausübung an, so ist festzustellen, daß alle Ablehnungen gebundene Entscheidungen waren. Ossenbühls und Rittstiegs Befürchtung (vgl. Abschnitt 3.1.7.3.), daß die neuerdings geschaffenen Ermessensnormen mit allgemeinen (imbestimmten Rechts-)Begriffen auf der Tatbestandsseite das Rechtsfolgeermessen verdrängen, stellt sich hier als berechtigt heraus. — Ergänzend ist noch folgendes zu bemerken: Die Eheschließung als solche m i t einer deutschen Staatsangehörigen wurde gewöhnlich nicht als ausreichender Grund für die Ausstellung eines Fremdenpasses angesehen; eine vorübergehende Trennung — infolge des Wehrdienstes — sei zumutbar 2 1 . Erst recht maß die Berliner Ausländerbehörde der Verlobung mit einer deutschen Staatsangehörigen keine Bedeutung zu, selbst wenn diese von dem ausländischen Bräutigam Kinder hatte, oder der Bräutigam Deutscher war und die ausländische Verlobte, Adoptivk i n d einer Deutschen, die Einbürgerung beantragt hatte 2 2 . Der Umstand, daß der Antragsteller, ein Grieche, seit dem Bürgerkrieg (1948) i n Deutschland (DDR) lebte, wurde ebenfalls nicht zu seinen Gunsten verwertet. Auch die Tatsache, daß ein Tschechoslowake als Sohn einer Deutschen i n Berlin geboren wurde und bis 1949 24 Jahre lang i n seiner Geburtsstadt gelebt hatte, bewog die Berliner Ausländerbehörde nicht, einen Fremdenpaß auszustellen — ebensowenig die Tatsache, daß eine i n Berlin geborene Frau ihre deutsche Staatsangehörigkeit lediglich durch ihre Eheschließung m i t dem soeben erwähnten tschechoslowakischen Staatsbürger verloren hatte. Doch scheint diese Praxis nicht einheitlich zu sein. I m Falle eines i n den USA bzw. i n Leipzig geborenen Ehepaares ungeklärter Staatsangehörigkeit, deren Sohn Deutscher ist, wurde jedenfalls anders entschieden. Auch i m Falle eines Ehepaares mosaischen Glaubens, das i m K Z gewesen war und dessen nächste Verwandte die österreichische bzw. deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, stellte die Ausländerbehörde Fremdenpässe aus. 21 Grundsätzlich gleicher Auffassung Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 17 u n d V G H Bad.-Württ., i n : DÖV 1973, 416. 22 Vgl. auch Weißmann, AuslG, § 4 A n m . 3 d.

192 10. Die Ausstellung, Verlängerung u n d Entziehung von Fremdenpässen

10.2. Die Verlängerung Bestehen die Voraussetzungen für die Ausstellung des Fremdenpasses fort, so kann er verlängert werden. Dies ist zwar i m Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, w i r d gleichwohl aber allgemein als zulässig angesehen 23 . — Nach der AuslGVwv Nr. 6 zu § 4 kann die Gültigkeitsdauer des Fremdenpasses jeweils u m höchstens zwei Jahre bis zu einer Gesamtgültigkeitsdauer von zehn Jahren, gerechnet vom Tage der Ausstellung an, verlängert werden; die Verlängerung soll i n der Regel nicht früher als drei Monate vor Ablauf der Gültigkeitsdauer vorgenommen werden. — Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde bei der Entscheidung über die Verlängerung der Fremdenpässe glich der bei der Entscheidung über die Ausstellung: Die Ausländerbehörde verlängerte die Pässe i n den erwähnten Fallgruppen jeweils u m sechs Monate (in einigen Fällen sogar, obwohl die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt worden war). — Sie lehnte insgesamt drei Verlängerungsanträge (1967) ab, und zwar, weil die Beschaffung eines Heimatpasses bzw. eines Fremdenpasses des Geburtslandes möglich war. 10.3. Die Entziehung Nach § 4 Abs. 2 AuslG kann der Fremdenpaß seinem Inhaber entzogen werden, wenn die Voraussetzungen, die zu der Ausstellung geführt haben, weggefallen sind. — Diese Vorschrift entspricht dem Grundgedanken des Fremdenpaßrechtes, daß der Ausländer keinen Rechtsanspruch auf die Ausstellung oder das Behalten des Fremdenpasses hat 2 4 . — Angewandt wurde § 4 Abs. 2 AuslG 1967/68 von der Berliner Ausländerbehörde nicht. Hierfür bestand auch keine Notwendigkeit: Da der Fremdenpaß i n der Regel nur a u i sechs Monate ausgestellt oder verlängert wurde, konnte sich die Ausländerbehörde mit einer Nichtverlängerung begnügen, wenn es i h r nicht angezeigt erschien, daß der Fremdenpaß dem Ausländer verblieb.

23 24

Marxen, a.a.O., A u s l G § 4 RdNr. 7. Marxen, a.a.O., AuslG § 4 RdNr. 18.

11· Die Einschränkung und die Untersagung politischer Betätigung 11.1. D i e Rechtslage nach § 6 Abs. 2 und 3 A u s l G 11.1.1. Die verbietbare politische Betätigung Nach dem allgemein f ü r w i r k s a m gehaltenen § 6 Abs. 2 A u s l G 1 k a n n d i e p o l i t i s c h e B e t ä t i g u n g v o n A u s l ä n d e r n e i n g e s c h r ä n k t oder u n t e r s a g t werden, w e n n die A b w e h r v o n Störungen der öffentlichen Sicherheit oder O r d n u n g oder v o n B e e i n t r ä c h t i g u n g e n d e r p o l i t i s c h e n W i l l e n s b i l d u n g i n d e r B R D oder sonstige e r h e b l i c h e B e l a n g e d e r B R D es e r f o r dern. — U n t e r „politischer T ä t i g k e i t " , einem unbestimmten Rechtsbegriff 2, i s t nach d e m O V G M ü n s t e r 3 „ i m w e i t e s t e n S i n n e j e d e H a n d l u n g " z u verstehen, „welche die Schaffung oder Erhaltung bestimmter gesellschaftlicher E i n richtungen u n d Daseinsformen bezweckt. Sie reicht dem Gegenstand nach von der M i t w i r k u n g an der Gestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen bis zur Wahrnehmung innerstaatlicher Gruppeninteressen u n d bewegt sich hierbei nicht n u r i m Bereich der Staatspolitik, sondern umfaßt ebenso jedes auf die Änderung oder Bewahrung wirtschaftlicher, sozialer oder k u l t u r e l l e r Verhältnisse gerichtete Verhalten. Der F o r m nach k a n n sie sich ebenso i n der Teilnahme an einem gewaltsamen Staatsstreich w i e i n dem Bemühen äußern, i m Zwiegespräch den Partner f ü r irgendwelche gesellschaftspolitischen Ziele zu gewinnen. Der Zielrichtung nach reicht schließlich die politische Tätigkeit von der Bekämpfung bis zur Unterstützung der v o n den jeweiligen p o l i t i schen Machtträgern betriebenen Staats- u n d Gesellschaftspolitik." I n dieser w e i t e n A u s l e g u n g u m f a ß t d e r B e g r i f f „ p o l i t i s c h e B e t ä t i g u n g " auch d i e M e i n u n g s ä u ß e r u n g i m S i n n e v o n A r t . 5 A b s . 1 Satz 1 G G , w i e ζ. B . k r i t i s c h e p o l i t i s c h e Ä u ß e r u n g e n u n d S t e l l u n g n a h m e n i n

1 Zweifelnd Grabitz, Europäisches Bürgerrecht zwischen M a r k t b ü r g e r schaft u n d Staatsbürgerschaft, S. 51; a. Α.: Heldmann, i n : Vorgänge 1966, 53 (54) u n d i n : Studentische P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 9 (14); Müller, i n : Die Neue Gesellschaft 1973, 378 (382); Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 126, Fußn. 10; Schieckel, i n : Z f S H 1966, 107 (108) u n d z . T . K l i n k h a r d t , i n : DÖV 1965, 467 (470). 2 Schiedermair, a.a.O., A u s l G § 6 A n m . 6. 8 O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 3 Nr. 3 u n d A u s l G § 6 Nr. 2 auf S. 230 f.; i h m folgend Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 6; vgl. auch K a nein, i n : DVB1. 1966, 617 (619) u n d Erbel, i n : lus 1971, 34 (35).

13 Schüler

194

11. Die Einschränkung u n d die Untersagung politischer Betätigung

W o r t , B i l d , S c h r i f t , Presse, R u n d f u n k u n d F e r n s e h e n a n r e c h t s w i d r i gen Zuständen i m I n - u n d Ausland 4. Diese A u f f a s s u n g v e r d i e n t Z u s t i m m u n g ; d i e A u s ü b u n g d e r M e i n u n g s f r e i h e i t i s t eine U n t e r a r t d e r p o l i t i s c h e n B e t ä t i g u n g 5 . D e m g e g e n ü b e r v e r t r i t t e i n T e i l d e r L i t e r a t u r d i e A n s i c h t , politische B e t ä t i g u n g i m S i n n e v o n § 6 A b s . 2 A u s l G sei n u r das ü b e r d i e Ä u ß e r u n g u n d V e r b r e i t u n g v o n M e i n u n g e n u n d ü b e r d i e U n t e r r i c h t u n g aus a l l g e m e i n z u g ä n g l i c h e n Q u e l l e n h i n a u s g e h e n d e V e r h a l t e n 6 . Diese A u f f a s s u n g ist abzulehnen, w e i l sie d e n B e g r i f f „ p o l i t i s c h e B e t ä t i g u n g " z u U n r e c h t m i t d e r v e r b i e t b a r e n p o l i t i s c h e n B e t ä t i g u n g gleichsetzt 7 . D e r B e g r i f f „ S t ö r u n g d e r ö f f e n t l i c h e n S i c h e r h e i t oder O r d n u n g " b e s t i m m t sich nach d e m a l l g e m e i n e n P o l i z e i r e c h t . A l s solche S t ö r u n g e n k o m m e n i n B e t r a c h t : s t r a f b a r e H a n d l u n g e n nach d e n §§ 80 f f . S t G B , D e m o n s t r a t i o n e n , Protestmärsche, S i t z - u n d H u n g e r s t r e i k s , A g i t a t i o n i n B e t r i e b e n , V e r teilung v o n F l u g b l ä t t e r n 8 . — Die politische W i l l e n s b i l d u n g i n der B R D k a n n v o r a l l e m d a d u r c h b e e i n t r ä c h t i g t w e r d e n , daß a u f R e g i e r u n g , Gesetzgebungsorgane u n d p o l i t i s c h e P a r t e i e n m i t unangemessenen M i t -

4

So zu Recht Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 8; Kanein, AuslG, § 6 A n m . Β 3 u n d K l i n k h a r d t , a.a.O., S. 469. 5 So zu Recht Dolde, i n : lus 1971, 314; Hans, i n : Internationale Wirtschaftsbriefe 4 Gruppe 11, S. 52 (56) RdNr. 18; Heuer, Politische Betätigung von Ausländern u n d ihre Grenzen, S. 12 f. u n d S. 27; Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, AuslG § 6 A n m . 3; Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 8 f.; Tomuschat, Z u r politischen Betätigung des Ausländers i n der Bundesrepub l i k Deutschland, S. 52; w o h l auch Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, GG A r t . 16 RdNr. 31 u n d die A u s l G V w v zu § 6 Nr. 2; Marxen, a.a.O., meint, die verbietbare politische Betätigung gehe über den Rahmen des A r t . 5 Abs. 1 G G hinaus. Bayer,in: D Ö V 1968, 709; Heuer, a.a.O., S. 27 ff. (30); K l i n k h a r d t , a.a.O., S. 470; Christ, i n : Z f S H 1966, 300 (301); Kloesel / Christ, a.a.O., u n d Menges, i n : B a W ü V B l . 1969, 32, sehen hierbei i n § 6 A u s l G ein allgemeines Gesetz i. S. v o m A r t . 5 Abs. 2 GG; insoweit a. Α.: Guradze, M R K , A r t . 16 A n m . 5 I ; Dolde, Die politischen Rechte der Ausländer i n der Bundesrepub l i k , B e r l i n 1972, S. 186 ff. (198); Kanein, AuslG, § 6 A n m . Β 1; Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 9; Tomuschat, a.a.O., S. 53 ff.; Weißmann, AuslG, § 6 A n m . 2; zweifelnd Angerer, i n : BayVBl. 1965, 325 (328); vgl. hierzu auch Thomsen, Die politische Betätigung von Ausländern nach deutschem V e r fassungs- u n d Verwaltungsrecht, Diss. Bonn 1968, S. 67 ff.; offen gelassen v o m OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 6 Nr. 2 auf S. 236. 6 So Erbel, i n : lus 1971, 34 (35); auch nach Schiedermair, a.a.O., A u s l G § 6 A n m . 6 u n d Weißmann, AuslG, § 6 A n m . 2 (dieser unter Hinweis auf A r t . 11 u n d 16 M R K ; vgl. insoweit auch Partsch, i n : Bettermann / Nipper dey / Scheuner, Die Grundrechte, 1. Band, 1. Halbband, S. 235 ff./312) geht die politische Betätigung weiter als die Meinungsäußerung u n d -Verbreitung, w e i l diese kein werbendes Element enthalte. 7 Diesen Unterschied arbeitet Dolde, i n : lus 1971, 314 u n d i n seiner Monographie, S. 186 ff. (198) k l a r heraus. 8 So Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 10; Kanein, AuslG, § 6 A n m . Β 3; Schiedermair, a.a.O., A u s l G § 6 A n m . 7.

11.1. Die Rechtslage nach § 6 Abs. 2 u n d 3 A u s l G

195

teln eingewirkt w i r d 9 . — Unter die „sonstigen erheblichen Belange" fallen insbesondere die Beziehungen zu auswärtigen Staaten 10 . — Die Entscheidungen nach § 6 Abs. 2 AuslG sind Ermessensentscheidungen: Die Ausländerbehörde kann wählen, ob sie überhaupt einschreiten w i l l , ferner, ob sie die politische Betätigung nur einschränken oder gänzlich untersagen w i l l . Hierbei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des geringstmöglichen Eingriffs zu beachten 11 . — Bei der Ermessensausübung ist das staatliche Interesse an der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung m i t dem Interesse des einzelnen Ausländers am Schutz vor Eingriffen i n seinen persönlichen Freiheitsbereich abzuwägen 12 . Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch Ausländern zusteht 13 . — Die Auffassung Weißmanns 14 , daß ein Ausländer, der sich i n unzulässiger Weise i m Sinne von § 6 Abs. 2 und 3 AuslG betätigt, grundsätzlich (gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG) auszuweisen sein wird, trägt diesen Grundgedanken nicht genügend Rechnung. — Die Verfügungen ergehen selbständig, nicht i n Form von Bedingungen oder Auflagen zur Aufenthaltserlaubnis; soweit der Tatbestand des § 6 Abs. 2 erfüllt ist, ist § 7 Abs. 4 AuslG unanwendbar 1 5 . — I n der Verfügung sind Einschränkung und Versagung möglichst konkret anzugehen 16 . 11.1.2. Die verbotene politische Betätigung

Nach § 6 Abs. 3 AuslG ist die politische Betätigung von Ausländern unerlaubt, wenn sie 9

Vgl. A u s l G V w v zu § 6 Nr. 3; Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 11; Schiedermair, a.a.O., AuslG § 6 Anm. 5; Weißmann, AuslG, § 6 A n m . 5; Dolde (in seiner Monographie, S. 181) hält diese Tatbestandsalternative für überflüssig. 10 V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z AuslG § 6 Nr. 1 (dahingestellt, ob schon zur öffentl. Sicherheit gehörig); Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 12; Tomuschat, a.a.O., S. 49; A u s l G V w v zu § 6 Nr. 4; Dolde (in: seiner Monographie, S. 183): n u r die gewichtigen außenpolitischen Interessen der BRD. 11 OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 3 Nr. 3 u n d A u s l G § 6 Nr. 2 (S. 238); V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / Wirtz A u s l G § 6 Nr. 1; Dolde i n seiner Monographie, S. 203; Kanein, i n : DVB1. 1966, 317 (319) u n d AuslG, § 6 Anm. Β 5; Marxen, a.a.O., AuslG § 6 RdNr. 18; ein Verbot jeglicher p o l i t i scher Betätigung wäre i. d. R. rechtswidrig, O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z AuslG § 6 Nr. 2 (S. 231). 12 O V G Münster, a.a.O., (S. 239). 13 Vgl. Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 6 RdNr. 8 u n d Zuleeg, i n : DÖV 1973, 361 (369) u n d Dolde, i n : DÖV 1973, 370 (372). 14 Weißmann, AuslG, § 6 A n m . 6. 15 So zu Recht V G H Bad.-Württ., a.a.O.; O V G Münster, a.a.O., S. 230; Weißmann, AuslG, § 6 A n m . 6; a. Α.: Kanein, i n : DVB1. 1966, 617 (619). 16 O V G Münster, a.a.O. 13·

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11. Die Einschränkung u n d die Untersagung politischer Betätigung

— m i t dem Völkerrecht nicht vereinbar ist (Nr. 1; z.B. völkerrechtswidrige Propaganda 17 ), — die freiheitliche demokratische Grundordnung der BRD gefährdet (Nr. 2 18 ) oder — bestimmt ist, Parteien, andere Vereinigungen, Einrichtungen oder Bestrebungen außerhalb des Bundesgebietes zu fördern, die mit Verfassungsgrundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind (Nr. 3 19 ). Diese Arten der politischen Betätigung sind verboten, ohne daß es einer Verfügung nach § 6 Abs. 2 AuslG bedarf. Es w i r d aber für angebracht gehalten, auch i n den Fällen des Absatzes 3 eine Verfügung nach Absatz 2 zu treffen: Dadurch werde der Ausländer auf die Rechtswidrigkeit seiner Tätigkeit hingewiesen; außerdem sei nur ein Verstoß gegen Absatz 2, nicht auch gegen Absatz 3 straf- und bußgeldbewehrt 20 . Kanein 2 1 hält die Ausländerbehörde sogar für verpflichtet, Verbote für die i n Absatz 3 aufgestellten Tatbestände zu verhängen. 11.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde Nach Hesse 22 stellt § 6 ein Kernstück des Ausländergesetzes dar. Die große Zahl von Veröffentlichungen, i n denen die politische Betätigung von Ausländern erörtert wird, scheint diese Behauptung zu untermauern: Abgesehen von den fünf wichtigsten Kommentaren zum Ausländergesetz und etlichen allgemeinen ausländerrechtlichen Abhandlungen, die § 6 AuslG neben anderen Vorschriften behandeln 23 , sind bisher 17 Vgl. hierzu Armbruster, i n : Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des V ö l kerrechts, Band I I , Sp. 807 (808); Dambmann, Propaganda i m Friedensvölkerrecht, F r a n k f u r t 1954; Oppenheim / Lauterpacht, International L a w , S. 292; Thomsen, a.a.O., S. 16 ff.; Tomuschat, a.a.O., S. 27 ff.; Wengler, Völkerrecht I I , L 3 b (S. 1005); Zellweger, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staates für die Presse unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Praxis, S. 85. 18 Vgl. hierzu Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 16 u n d Tomuschat, a.a.O., S. 47 ff. 19 Vgl. hierzu Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 17; Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, A u s l G § 6 A n m . 11; Tomuschat, a.a.O., S. 47. 20 So Marxen, a.a.O., A u s l G § 6 RdNr. 20. 21 Kanein, AuslG, § 6 A n m . Β 5. 22 Hesse, Ausländerrecht, Einführung 7 auf S. 17. 28 u.a. Angerer, i n : B a y V B l . 1965, 325 (327 f.); Christ, i n : Z f S H 1966, 300 (301); Doehring, i n : ZaöVR 25 (1965), 478 (488); Gollwitzer, i n : Die neue Polizei 1965, 170 u n d 1967, 222 (228); Grabitz, Europäisches Bürgerrecht z w i schen Marktbürgerschaft u n d Staatsbürgerschaft, S. 51; Hans, i n : Internationale Wirtschaftsbriefe 4 Gruppe 11 RdNr. 18; Heldmann, i n : Vorgänge 1966, 53; 1966, 455; 1967, 81; 1967, 403; 1969, 62; Hesse, a.a.O.; Hummel, i n : Student. P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 73 (75); Kanein, i n : DVB1. 1966, 617 (619); Menges, i n :

11.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

197

vier Monographien 24 und mindestens zwölf Aufsätze 25 speziell zur politischen Betätigung der Ausländer erschienen. Kaum eine Vorschrift des Ausländergesetzes ist gründlicher behandelt worden! I n der Praxis der Ausländerbehörden dagegen spielt § 6 AuslG eine völlig untergeordnete oder gar keine Rolle. Die Feststellung Heuers2®, daß die Ausländerbehörden die politische Betätigung nur „sehr sparsam, ja zurückhaltend" untersagen oder einschränken, gilt auch für Berlin: 1967/68 hat der Polizeipräsident i n Berlin keine einzige Verfügung gemäß § 6 Abs. 2 AuslG erlassen! Dies verwundert auf den ersten Blick. Denn einzelne Ausländergruppen haben sich sehr aktiv politisch betätigt 2 7 . Hier sind vor allem Studenten, Hochschulpraktikanten und Assistenten aus Griechenland und Entwicklungsländern, wie z.B. Palästina und dem Iran, sowie Arbeiter aus autoritär regierten Staaten wie Griechenland und Spanien 28 zu nennen. Daneben sind i n Berlin auch einzelne politische Aktivitäten von Emigrantengruppen bekannt geworden. — I n mehreren dieser Fälle wäre nach den i n der Literatur vertretenen Auffassungen eine Verfügung gemäß § 6 Abs. 2 AuslG gerechtfertigt gewesen, vor allem während des Schahbesuches 1967. — Eine Reihe dieser Ausländer war Mitglied eines der über fünfzig Ausländervereine, die es i m Untersuchungszeitraum gab 2 9 (u. a. Club der Freunde der EDA i n West-Berlin; Verein der griechischen Arbeitnehmer i n Berlin e. V.; Komitee für die Demokratie i n Griechenland Berlin-West-; Zentrumsunion Griechenland; Demokratische Jugend LamBaWüVBl. 1969, 32; Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 125; Schieckel, i n : Z f S H 1966, 107 (108); Riege / Tietz, i n : Staat u n d Recht 1968, 988 (990). 24 Dolde, Die politischen Rechte der Ausländer i n der Bundesrepublik, B e r l i n 1972; Heuer, Politische Betätigung von Ausländern u n d ihre Grenzen, Köln, Berlin, Bonn u n d München 1970; Thomsen, a.a.O.; Tomuschat, Z u r politischen Betätigung des Ausländers i n der Bundesrepublik Deutschland, Bad Homburg v. d. H., B e r l i n u n d Zürich 1968. 25 Bayer, i n : D Ö V 1968, 709; Dolde, i n : lus 1971, 314 u n d i n : D Ö V 1973, 370; Erbel, i n : lus 1971, 34; Horchern, i n : Der Arbeitgeber 1971, 400; Jörg, i n : DVB1. 1965, 471; Kanein, i n : Deutsche Universitätszeitung 1968, Heft V I I I / X , S. 23; Kasprzyk, i n : Correo de Estudientes 1967, Heft 9, S. 8; K l i n k h a r d t , i n : DVB1. 1965, 469; Poschinger, i n : Correo de Estudientes 1967, Heft 9, S. 6. Z u r i n Aussicht genommenen Reform des § 6 AuslG vgl. Heldmann, i n : Vorgänge 1972, 127 u n d 133 u n d Skriver, i n : Vorgänge 1972, 62 u n d 63. 26 Heuer, a.a.O., S. 21 u n d 24. 27 Z u den einzelnen Gruppierungen vgl. Kanein, AuslG, § 6 A n m . Β 2. 28 Ζ. Β . die italienischen Arbeiter i n der K P I u n d seit etwa 1970 auch die türkischen i n verschiedenen radikalen Vereinigungen; vgl. hierzu Horchern, a.a.O. ' 2 9 Nach einer M i t t e i l u n g des Schleswig-holsteinischen Innenministers n i m m t die Z a h l der Extremistengruppen i n der B R D laufend zu. So gab es 1970 101 derartige Organisationen m i t 624 regionalen Zweiggruppen, 1971 219 Organisationen m i t 1021 Zweiggruppen u n d schätzungsweise 65 000 M i t gliedern, vgl. den „Tagesspiegel" Nr. 8281 v o m 8. Dezember 1972, S. 8.

198

11. Die Einschränkung u n d die Untersagung politischer Betätigung

brakis ; Antiimperialistische, antifaschistische neo-demokratische Kampffront der Auslandsgriechen; Türkische Sozialistengemeinschaft e.V.; Arabische Studentenvereinigung i n Berlin e.V.; General Union Palästinensischer Studenten — Komitee Berlin —; US Campaign) 30 . — Die Reaktion der Berliner Ausländerbehörde i n einigen Fällen politischer Betätigung von Ausländern soll i m folgenden dargestellt werden: — Ein seit 1963 i n der BRD studierender Nigerianer versuchte 1967 gemeinsam m i t anderen die Aufführung des Filmes „Africa Addio" i n einem Kino am Kurfürstendamm zu verhindern; er zerriß den Bühnenvorhang und verließ den Kinosaal trotz Aufforderung nicht. Eine Verfügung gemäß § 6 Abs. 2 AuslG unterblieb. Der Aufenthalt wurde auch noch dann gestattet, nachdem er wegen versuchter Nötigung und wegen gemeinschaftlichen Hausfriedensbruches zu 10,— D M Geldstrafe verurteilt worden war. — — Ein seit fünf Jahren i n der BRD weilender griechischer Zimmermann störte eine von staatlichen griechischen Stellen durchgeführte kulturelle Veranstaltung und leistete der Polizei, die ihn gewaltsam entfernen wollte, nachdem er der Aufforderung, den Saal zu verlassen, nicht gefolgt war, Widerstand. Der Leiter der politischen A b teilung des Polizeipräsidenten i n Berlin regte daraufhin bei der Ausländerbehörde eine Verfügung nach § 6 Abs. 2 AuslG an. Diese setzte sich hiermit nicht auseinander. Vielmehr sprach sie eine sofort vollziehbare Ausweisungsverfügung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 11 AuslG aus, die jedoch von der Aufsichtsbehörde aufgehoben wurde. — Bei der Störung jener kulturellen Veranstaltung war ein seit fast zehn Jahren i m Bundesgebiet weilender griechischer Student einer der Hauptanführer. Er nahm danach unter anderem an einer Protestveranstaltung gegen die bevorstehende Verabschiedung der Notstandsgesetze teil und verbreitete die Ansicht, daß der Putsch i n Griechenland mit ähnlichen M i t t e l n und Methoden durchgeführt worden sei. Eine Untersagung oder Beschränkung der politischen Betätigung wurde deswegen nicht erwogen. Stattdessen verlängerte die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis nicht, u. a. auch wegen der Teilnahme an jener öffentlichen Protestveranstaltung. Der Senator für Inneres von Berlin gab dem eingelegten Widerspruch jedoch statt. 30

Z u m Verhältnis des § 6 A u s l G zum VersammlungsG vgl. O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 6 Nr. 2 auf S. 233 ff. u n d Marxen, a.a.O., AuslG § 6 RdNr. 25 ff..

11.2. Die Praxis der Berliner Ausländerbehörde

199

— Eine griechische Montiererin, Mitglied eines griechischen Vereins, randalierte aus politischen Motiven gemeinsam m i t Landsleuten auf einer großen, i m Freien stattfindenden Maikundgebung. Den Akten war nicht zu entnehmen, daß ausländerrechtliche Maßnahmen nach § 6 Abs. 2 AuslG erwogen worden waren. Auch die Aufenthaltserlaubnis wurde stets verlängert. — Der Fall des deutsch-amerikanischen Schriftstellers Lettau 3 1 (vgl. Abschnitt 5.2.). — Die geringe Zahl dieser Fälle läßt zwar keine endgültigen Schlüsse zu, jedoch läßt sich bereits erkennen, daß die Berliner Ausländerbehörde 1967/68 bei völliger Nichtanwendung des § 6 Abs. 2 AuslG dazu neigte, — bei leichteren Fällen verbietbarer politischer Betätigung ausländerrechtliche Maßnahmen gänzlich zu unterlassen 32 , — bei schwereren Fällen verbietbarer politischer Betätigung die A u f enthaltserlaubnis nicht zu verlängern oder zeitlich zu beschränken oder eine Ausweisung auszusprechen. I n der Praxis ging die Berliner Ausländerbehörde also nicht so weit wie Weißmann 33 , dem Leiter derjenigen Abteilung, der auch das Ausländerreferat eingegliedert war, der meint, bei verbotener oder verbietbarer politischer Betätigung seien Ausländer i m allgemeinen auszuweisen, und § 6 AuslG sei praktisch auf Ausländer mit anerkannter Asylberechtigung beschränkt (sie haben ein Recht zum Aufenthalt i n der BRD, § 43 AuslG). Gleichwohl trägt die Berliner Praxis i n der zweiten Gruppe den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit nicht Rechnung, wenn sie die Anwendung des § 6 AuslG umgeht 3 4 . Diese Praxis beruht auf verschiedenen Gründen. — Einmal ist der Sachverhalt oft nur schwer festzustellen 35 . Denn die politische Betätigung von Ausländern vollzieht sich häufig i n nicht-öffentlichen Bereichen, i n die staatliche Stellen nur schwer Einblick nehmen können, oder i n Gruppierungen, die überwiegend aus Deutschen bestehen, so daß die Rolle einzelner Ausländer bei der Planung und Durchführung 31

Vgl. zu diesem F a l l Heldmann, i n : Vorgänge 1968, 248. Dies erscheint vor allem gegenüber Studenten aus Entwicklungsländern angebracht, die so die Möglichkeit erhalten, sich für ihre späteren politischen Führungsaufgaben i n ihrer Heimat zu üben; vgl. hierzu Poschinger u n d Kasprzyk, a.a.O.; allgemein zur politischen Betätigung i m Hochschulbereich Jörg, a.a.O., u n d Thomsen, a.a.O. 33 Weißmann, AuslG, § 6 A n m . 6; a. A. zu Recht Heuer, a.a.O., S. 76 und Dolde i n seiner Monographie, S. 216. 34 Ähnlich Dolde, i n : DÖV 1973, 370 (375). 35 Hierauf weist Heuer, a.a.O., S. 22, zu Recht hin. 32

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11. Die Einschränkung u n d die Untersagung politischer Betätigung

politischer Aktionen leicht übersehen werden kann. — Zum anderen w i r f t die Anwendung des § 6 AuslG erhebliche rechtliche Schwierigkeiten auf 3 6 . Denn diese Vorschrift enthält verschiedene unbestimmte Rechtsbegriffe; die Bedeutung des A r t . 5 GG und des Völkerrechts sind i m Einzelfall schwer zu bestimmen. Nicht zu Unrecht schreibt Kanein 3 7 deswegen: „ M i t Maßnahmen nach § 6 AuslG w i r d die Ausländerbehörde, zumindest eine solche mit geringer Erfahrung, oft überfordert sein." Außerdem ist es oft nicht vorherzusehen, wie die Verwaltungsgerichte diese Vorschrift auslegen, zumal sich die Situation i m Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung oft beruhigt haben w i r d und Anlaß sowie Notwendigkeit der behördlichen Maßnahmen nun häufig i n einem anderen Licht erscheinen werden. — Zum dritten dürfte der Einfluß der öffentlichen Meinung erheblich sein 3 8 : Sie räumt den Interessen des einzelnen Ausländers oft den Vorrang gegenüber den staatlichen deutschen Interessen (etwa an der Aufrechterhaltung freundschaftlicher diplomatischer Beziehungen) ein, insbesondere, wenn sich die politische Betätigung gegen ein diktatorisches Regime i m Heimatstaat richtet.

86 87 38

Vgl. Heuer, a.a.O., S. 25. Kanein, AuslG, § 6 A n m . Β 5. Heuer, a.a.O., S. 23 f.

12. Die Ausweisung 12.1. Allgemeines 12.1.1. Begriff

Ausweisung ist die Anordnung des Staates, m i t der Ausländer aufgefordert werden, das Staatsgebiet innerhalb kurzer Zeit zu verlassen, widrigenfalls die Entfernung zwangsweise durchgeführt w i r d 1 . 12.1.2. Zulässigkeit nach dem Völkerrecht

Die Ausweisung ist völkerrechtlich zulässig. Sie ist Ausdruck staatlicher Souveränität und folgt aus dem Grundsatz, daß kein Ausländer ein Recht auf Einreise und Aufenthalt hat 2 . Die Ausweisung als solche ist auch nicht als unmenschliche Behandlung i m Sinne von A r t . 3 M R K verboten 3 . 12.1.3. Wirkungen

Die Ausweisung bringt eine erteilte Aufenthaltserlaubnis oder A u f enthaltsberechtigung zum Erlöschen (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) und verpflichtet den Betroffenen, das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG), widrigenfalls sich der Ausländer gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG strafbar macht. Ferner ermöglicht sie die Abschiebung (vgl. §§ 13, 16 AuslG). Außerdem enthält die Ausweisung das Verbot, wieder einzureisen; dies ergibt sich aus § 9 Abs. 2 (Beendigung von der Befreiung der Aufenthaltserlaubnis), § 15 Abs. 1 (Verbot der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) und § 18 Abs. 1 Satz 1 AuslG (Verpflichtung zur Zurückweisung) 4 . 1

Doehring, i n : Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band I, Sp. 129; Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 10 A n m . 1; Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 3; BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 15. 2 Kanein, AuslG, § 10 A n m . A 1; Schiedermair, a.a.O., A u s l G § 10 A n m . 1 (auf S. 149); Leitenberger, i n : V e r w P r a x i s 1971, 97 (98); Berber, Völkerrecht I, S. 384 f. 3 B V e r w G E 3, 58 = Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 6; V G H Stuttgart, i n : S c h ü l e r / W i r t z A P V O § 5 Nr. 2; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 7, 24; OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 5; V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 26. 4 Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 10 A n m . 2; Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 10 RdNr. 5; Jellinek, i n : Festschrift für Bilfinger, S. 109 ff.

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12. Die Ausweisung 12.1.4. Rechtsnatur

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Ausweisung keine Strafe, sondern ein polizeilicher belastender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist 5 . Sie w i r k t ständig gegen den Betroffenen fort und w i r d nicht dadurch verbraucht, daß der Ausländer die BRD freiwillig verläßt oder abgeschoben wird 6 . 12.1.5. Abgrenzung von anderen ausländerbehördlichen Verfügungen und von der Auslieferung

I m Gegensatz zur Ausweisung, die stets die Ausreisepflicht begründet, verpflichtet die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nur dann zur Ausreise, wenn zum weiteren Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erforderlich wäre. — Die zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis und die übrigen Verfügungen nach § 7 AuslG lassen den Aufenthalt i n der Regel wenigstens vorübergehend noch zu, schränken den Aufenthalt also nur ein 7 . U m eine Auslieferung handelt es sich demgegenüber dann, wenn eine Person zur Strafverfolgung oder -Vollstreckung amtlicherweise aus der Strafgewalt eines Staates i n die eines anderen überführt w i r d 8 . 12.1.6. Voraussetzungen

Die Ausweisung darf nur verfügt werden, wenn einer der i n § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 11 AuslG genannten Gründe vorliegt 9 . Diese Aufzählung ist abschließend, nicht nur beispielhaft (so aber noch § 5 Abs. 1

5 H . M . , vgl. z.B. BVerwG, i n : S c h ü l e r / W i r t z A P V O § 5 Nr. 13, AuslG § 10 Nr. 17, 18 u n d 27; O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 31 ( = OVGE 20, 96), 34 ( = OVGE 20, 216) u n d 46; O V G Hamburg, i n : VerwRspr. 18, 737; BayObLG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 16 Nr. 6; O V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 9;VG Berlin, i n : Schüler / Wirtz A u s l G § 10 Nr. 23; V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 18, 104 = Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 4; Hess. V G H , i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 44; Bordewin, Das A u f enthaltsrecht der Ausländer, Diss. K ö l n 1962, S. 82; Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 6. 6 Kloesel / Christ, a.a.O., § 10 AuslG A n m . 4; Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 3. Z u m maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- u n d Rechtslage vgl. Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 21 m. w. N. 7 Vgl. hierzu Marxen, a.a.O., AuslG § 10 RdNr. 6. 8 Vgl. Grützner, i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band I I , S. 84; Marxen, a.a.O., AuslG § 10 RdNr. 8 u n d v o r allem Buschbeck, Verschleierte Auslieferung durch Ausweisung. 9 Allgemein hierzu Häberle, öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 155, Fußn. 265.

12.1. Allgemeines

203

Buchst, a bis i APVO 1 0 ). Der Umstand allein, daß sich der Ausländer der gewährten Gastfreundschaft nicht würdig erweist, genügt nicht 1 1 . Erforderlich ist ferner, daß einer der Ausweisungstatbestände i n der Person des Ausgewiesenen selbst vorliegt. Es reicht nicht, daß dies nur bei einem Familienangehörigen der Fall ist (so aber § 5 Abs. 2 APVO) 1 2 . Ist einer der Tatbestände des § 10 Abs. 1 AuslG erfüllt, so bedarf es nach der i n Rechtsprechung und Schrifttum häufig vertretenen, wenn auch bestrittenen 1 3 Ansicht i n der Regel nicht der Feststellung, daß der weitere Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch künftig gefährden w i r d 1 4 , etwa zu erneuten Straftaten führt 1 5 . Weißmann meint i n diesem Zusammenhang, die Ausweisung werde nicht nur vom Interesse der Gefahrenabwehr getragen 16 . Die Ausweisung kann grundsätzlich auch dann verfügt werden, wenn die Ausreise bzw. die Abschiebung — etwa bei Staatenlosen — unmöglich sind. Für solche Fälle sieht das Ausländergesetz (§ 17) die Duldung vor 1 7 . Die Ausweisung hängt ferner nicht davon ab, daß der Ausländer die Ausweisungstatbestände — von § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG abgesehen — schuldhaft verwirklicht hat 1 8 . Der Ausländer kann sich nach h. M. insbesondere nicht darauf berufen, daß er diejenigen deutschen Vorschriften nicht kennt, deren Verletzung i h m vorgeworfen w i r d ; es sei 10 V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 17, 24; Hess. V G H , i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 25; a. A. O V G Berlin, i n : Schüler / Wirtz A P V O § 5 Nr. 8. 11 So z.B. A u s l G V w v zu § 10 Nr. 1 u n d Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 1. 12 So zu Recht ζ. B. A u s l G V w v zu § 10 Nr. 17 u n d Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 1. 13 So BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 12; eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei allerdings nicht erforderlich. 14 So allgemein Kloesel / Christ, a.a.O., AuslG § 10 A n m . 3; V G H Bad.Württ., i n : E S V G H 16, 18 = Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 2 u n d OVG M ü n ster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 38; f ü r § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG: BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 21 u n d 25; Beschl. des V G H Bad.-Württ. v o m 5. August 1970 — I 515/70 —, ζ. T. wörtlich abgedruckt bei Leitenberger, i n : V e r w P r a x i s 1971, 97 (102); vgl. auch V G Berlin, i n : Schüler/ W i r t z A u s l G § 10 Nr. 23 u n d den Hess. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 22. 15 So BVerwG, i n : D Ö V 1972, 105 Nr. 58. 1β So Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 7 d; a. A . zur A P V O : O V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 8. 17 So BVerwG, i n : D Ö V 1972, 96 u n d Weißmann, AuslG, § 10 Anm. 7 a; a. A. während der Geltung der A P V O V G B e r l i n i n seinem U r t e i l v o m 23. August 1957 — I A 55/57 —, zitiert nach Weißmann, a.a.O. 18 So zu Recht V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 14; BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 14; Hess. VGH, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 44; Kanein, AuslG, § 10 A n m . A 3; A u s l G V w v zu § 10 Nr. 4.

204

12. Die Ausweisung

Aufgabe des Ausländers, sich mit den Vorschriften des Gastlandes vertraut zu machen 19 . 12.1.7. Ermessen

Liegt einer der i n § 10 Abs. 1 AuslG genannten Ausweisungstatbestände vor, so hat die Ausländerbehörde nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, ob eine Ausweisung geboten ist 2 0 . Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift („kann ausgewiesen werden") und aus der Entstehungsgeschichte: Bei der Beratung des Ausländergesetzes war anfangs bei einigen Ausweisungstatbeständen (Nr. 1, 2, 6 und 7) erwogen worden, der Verwaltung eine Ausweisung zwingend vorzuschreiben (Bundestags-Drucksache IV/868; Bundesrat 249. Sitzung am 26. Oktober 1962, S. 203). Hiervon nahm man jedoch später bewußt A b stand 21 , damit die Entscheidungsfreiheit der Ausländerbehörden nicht eingeengt wird, sondern der Vielfalt staatlicher und privater Interessen Rechnung getragen werden kann. Demgegenüber vertritt Schiedermair 22 folgende Auffassung: § 10 AuslG räume kein echtes Ermessen ein. Aus der Verpflichtung der Ausländerbehörde, die Belange der BRD zu wahren, ergebe sich, falls einer der Ausweisungsgründe vorliege, i n aller Regel die Pflicht, von der Befugnis des § 10 AuslG Gebrauch zu machen. Der Schwerpunkt des Wortes „kann" liege darin, der Behörde eine Befugnis einzuräumen, nicht einen Spielraum. Selbst wenn dieser Auslegung nicht gefolgt werde, sei nicht an der Tatsache vorbeizukommen, daß das Ermessen jedenfalls i n aller Regel stark verdichtet sei, so daß der Ausländerbehörde bei gesetzesgerechter Handhabung des § 10 AuslG gar keine andere Möglichkeit als die Ausweisung bleiben werde. — Eine recht ähnliche Ansicht v e r t r i t t Kanein 2 3 , wenn er ausführt, daß zwar § 10 19 So z.B. O V G Rheinland-Pfalz, i n : S c h ü l e r / W i r t z A P V O § 5 Nr. 37 m. zust. A n m . Kloesel, i n : D Ö V 1966, 209; Kloesel / Christ, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 10 A n m . 4 h unter Hinweis auf das U r t e i l des V G H Bad.-Württ. v o m 31. März 1969 — I 47/69 — ; Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 11. 20 V ö l l i g h . M . ; vgl. z.B. BVerfGE 19, 394 = S c h ü l e r / W i r t z A P V O § Γ Nr. 42; BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 13 u n d AuslG § 10 Nr. 8, 18 u n d 27 sowie i n : DÖV 1973, 414 (415); V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / Wirtz A P V O § 5 Nr. 14, 17 u n d A u s l G § 10 Nr. 7 u n d 10; Bayer. V G H , i n : V G H E n . F . 19, 1 = Schüler / W i r t z AuslG § 15 Nr. 1; Kloesel / Christ, a.a.O., AuslG § 10 A n m . 4. 21 Vgl. hierzu BVerwG, i n : Schüler / W i r t z AuslG § 10 Nr. 27; Kanein, AuslG, § 10 A n m . A 2; Marxen, a.a.O., AuslG § 10 RdNr. 11; Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 1 a. 22 Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, A u s l G § 10 A n m . 1 auf S. 149. 23 Kanein, AuslG, § 10 A n m . 4; ähnlich auch Weißmann, i n : Die Polizei 1968, 86 (89).

12.1. Allgemeines

205

AuslG die Ausweisung nicht zwingend vorschreibe, der Ausländer jedoch gleichwohl bei Vorliegen eines der Ausweisungstatbestände grundsätzlich auszuweisen sei. Beide Meinungen erscheinen verfehlt. Sie sind mit der traditionellen Bedeutung des Wortes „kann", das der Gesetzgeber bewußt gewählt hat, überhaupt nicht i n Einklang zu bringen. Sie führten auch zu völlig unangemessenen Ergebnissen: Jede Verurteilung wegen leichterer Vergehen (ζ. B. Beleidigung), jeder Verstoß gegen das Zollrecht (ζ. B. Schmuggeln kleiner Zigarettenmengen) oder das Aufenthaltsrecht (ζ. B. u m einen Tag verspätete Anmeldung oder Stellung eines Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis) müßten dann i n der Regel dazu führen, daß das Bundesgebiet — ohne Rücksicht auf familiäre oder sonstige Bindungen — verlassen werden müßte und nicht wieder betreten werden dürfte 2 4 . — Nach Rechtsprechung und Schrifttum ist der Umfang des i n § 10 AuslG eingeräumten Ermessens „der Natur nach w e i t " 2 5 . Bei seiner Ausübung seien schutzwürdige (z.B. wirtschaftliche oder familiäre) Interessen des Ausländers am Verbleiben i n der BRD m i t dem staatlichen Interesse an der Entfernung eines „lästigen" Ausländers gegeneinander abzuwägen 26 . Doch stehe das staatliche Interesse i m Vordergrund 2 7 . Auch dürfe sich die Ausländerbehörde von dem Gedanken der Abschreckung anderer Ausländer leiten lassen 28 . Das — pflichtgemäß auszuübende — Ermessen ist jedoch i n verschiedener Hinsicht eingeschränkt. Vor allem darf die Ausweisung nicht gegen die Verpflichtung zum Schutze von Ehe und Familie (Art. 6 GG i. V. m. A r t . 8 M R K ) 2 e und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und 24 Vgl. Abschnitt 3.1.5.2.; vgl. auch § 2 Nr. 5 u n d 8 des Reichsverweisungsgesetzes von 1934. 25 O V G Rheinland-Pfalz, i n : Schüler / Wirtz A P V O § 5 Nr. 37 m. zust. Anm. Kloesel, i n : D Ö V 1966, 209; Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 11. 26 BVerfG, a.a.O.; O V G Münster, i n : Schüler/ W i r t z A P V O § 5 Nr. 41; V G H Bad.-Württ., i n : E S V G H 18, 228 = Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 10; BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 11 m. zust. A n m . Stich, i n : BayVBl. 1957, 28 u n d zust. A n m . Hinrichs, i n : FamRZ 1957, 20. 27 Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 10; Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 7 a. 28 St. Rspr.; vgl. z.B. BVerwG, i n : S c h ü l e r / W i r t z A P V O § 5 Nr. 21 und 25; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 1, 2; O V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 8, 9; OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 28, 38, 41 u n d 46; Hess. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 20. 29 Vgl. hierzu BVerfG, a.a.O.; BVerwG, i n : S c h ü l e r / W i r t z A P V O § 5 Nr. 6, 11 u n d AuslG § 10 Nr. 22, 26; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler/ W i r t z A P V O § 5 Nr. 33 ( = E S V G H 14, 156), 42 ( = E S V G H 18, 228), AuslG § 10 Nr. 2 ( = E S V G H 16,18), 3, 4 ( = E S V G H 18,104); Bayer. VGH, i n : S c h ü l e r / W i r t z A P V O § 5 Nr. 16, A u s l G § 10 Nr. 4, 24, § 15 Nr. 1 ( = V G H E n. F. 19, 1); Hess. V G H , i n : S c h ü l e r / W i r t z A u s l G § 11 Nr. 1; O V G Münster, i n : Schüler/

206

12. Die Ausweisung

der Erforderlichkeit (Art. 20 GG)20 sowie das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) 3 1 verstoßen. Insoweit gelten die Ausführungen zum Ermessen bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. 12.1.8. Materielle Beweislast

Die Ausländerbehörde hat von Amts wegen festzustellen, ob die Voraussetzungen der Ausweisung (ζ. B. die Ausländereigenschaft) vorliegen. I m Verwaltungsstreitverfahren obliegt diese Aufgabe dem Gericht; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Ist streitig, ob die Voraussetzungen der Ausweisung erfüllt sind, muß das, was nicht aufklärbar ist, zu Lasten der Behörde gehen 32 , da sie die materielle Beweislast trägt. 12.1.9. Alliiertes Redit in Berlin

I m Land Berlin ist neben der deutschen Ausländerbehörde noch die Alliierte Kommandantur Berlin berechtigt, Ausländer aus Berlin auszuweisen. Die gleiche Befugnis steht jedem Kommandanten für das Gebiet seines Sektors zu. Außerdem prüft die Alliierte Kommandantur auch die vom Polizeipräsidenten i n Berlin verfügten Ausweisungen und weist i h n vereinzelt an, bestimmte Ausländer auszuweisen (vgl. i m einzelnen das Gesetz Nr. 8 der Alliierten Kommandantur vom 28. A p r i l 195033). 12.2. Die einzelnen Ausweisungstatbestände 12.2.1. Staatsgefährende Tätigkeit (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 AuslG)

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 AuslG kann ausgewiesen werden, wer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der BRD gefährdet. W i r t z A P V O § 5 Nr. 20 ( = OVGE 16, 53), 38, 46, A u s l G § 10 Nr. 11; V G H Stuttgart, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 2; Leitenberger, i n : VerwPraxis 1971, 126 (127); Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 6. 30 BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 13, 18, 25, 27; O V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 8; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 2 ( = E S V G H 16, 18), 10 ( = E S V G H 18, 228); Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 24; V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 23; Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 10 Anm. 4; Marxen, Deutsches Ausländerrecht, A u s l G § 10 RdNr. 12; A u s l G V w v zu § 10 Nr. 1. 31 Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 12. 32 So zu Recht BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 15 Nr. 2; u n k l a r Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 7 a. 33 VOB1. 1950, S. 165; vgl. hierzu Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 4; zu dem — inzwischen außer K r a f t getretenen — vergleichbaren Gesetz Nr. 10 der A l l i i e r t e n Hohen Kommission v o m 27. Oktober 1949 (ABl., S. 30) vgl. Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 3 u n d Hess. V G H , i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 4 ( = E S V G H 4, 199.)

12.2. Die einzelnen Ausweisungstatbestände

207

Die freiheitliche demokratische Grundordnwag definiert das Bundesverfassungsgericht als eine „Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt" 3 4 . Ein Verhalten, das hiergegen gerichtet ist, gefährdet diese Grundordnung, vor allem, wenn es sich u m Hochverrat, Staatsgefährdung oder Landesverrat (§§ 80 ff. StGB) handelt 3 5 . Die — innere oder äußere — Sicherheit der BRD kann durch A n griffe gegen das Wohl, den Bestand oder die innere Sicherheit der gesamten BRD oder eines Bundeslandes sowie durch Angriffe gegen die äußere Machtstellung der BRD i m Verhältnis zu dritten Staaten gerichtet sein 86 (z.B. durch mehrfache rein kriminelle Delikte oder gemeingefährliche Delikte). Insoweit folgt das Ausweisungsrecht aus dem völkerrechtlichen Grundsatz der Selbsterhaltung des Staates. Die Ausweisung nach Nr. 1 setzt weder nach der ersten noch nach der zweiten Alternative voraus, daß ein Straftatbestand erfüllt ist 3 7 . — Die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 AuslG spielte 1967/68 i n Berlin eine völlig untergeordnete Rolle: Nur insgesamt drei Ausländer (alle 1967) wurden hiernach ausgewiesen, wobei darauf hinzuweisen ist, daß jeweils noch ein weiterer Ausweisungstatbestand erfüllt war. Diesen Ausweisungen wegen staatsgefährdender Tätigkeit lagen folgende Sachverhalte zugrunde: — I n dem einen Fall handelte es sich um einen 1905 i n der Ukraine geborenen Russen. Er hatte 1918/20 bei der weißrussischen Armee des Generals Wrangel gedient, war dann — nach einer Internierung i n einem französischen Lager — nach Griechenland ausgewandert. A b 1925 hatte er an einer deutschen technischen Hochschule i n Prag Chemie studiert, das Studium aber 1928 wegen Geldmangels abgebrochen. 1939 war er auf Grund einer Dienstverpflichtung nach Berl i n gekommen. 1941 -1944 hatte er i n halbmilitärischen Organisationen gedient, ab Ende 1944 i n der Wlassow-Armee. 1945 war er i n Gefangenschaft geraten. Er war dann mehrere Jahre lang i n UNRALagern gewesen. 1949 war er — seine Familie war während des 34 BVerfGE 2, 1 (12); vgl. auch BVerfGE 5, 85 (139); 6, 32; 10, 118 (123); Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 22 i. V. m. § 6 RdNr. 16. 35 Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 22. 36 Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 22 u n d Weißmann, AuslG, § 10 Anm. 13 a. 37 Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 22 u n d Weißmann, AuslG, § 10 Anm. 13 a; vgl. auch A u s l G V w v zu § 10 Nr. 8.

208

12. Die Ausweisung

Krieges umgekommen — nach Australien ausgewandert. Dort hatte er 1960 die australische Staatsbürgerschaft erworben. Da er dort nicht hatte Fuß fassen können, verließ er Australien, u m seinen Lebensabend i n seiner ukrainischen Heimat zu verbringen. Sofort nach dem Betreten Ostberlins wurde er i n ein Auffanglager gebracht. „ Z u r Bewährung" wurde i h m die Aufgabe gestellt, seine als Emigranten i n München lebenden ehemaligen Kriegskameraden dafür zu gewinnen, amerikanische Dienststellen zu bespitzeln. Daraufhin schob man i h n i n den Westen ab, wo er sofort gefaßt wurde. Das Kammergericht verhängte gegen ihn wegen landesverräterischer Beziehungen eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten unter Anrechnung der Untersuchungshaft; die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. — Deswegen wurde er, zumal er „keine begehrte Arbeitskraft" darstelle, nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG ausgewiesen, obwohl er inzwischen eine Deutsche geheiratet hatte. Vor der Abschiebung nach Australien bewahrte i h n nur eine schwere Krankheit. — Bei dem zweiten Ausländer handelte es sich u m einen jungen Österreicher. Er wurde nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG ausgewiesen, nachdem er — ebenfalls wegen landesverräterischer Beziehungen — zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden war. — Bei dem dritten Ausländer handelte es sich u m einen seit etwa fünf Jahren i m Bundesgebiet weilenden Griechen. Er wurde gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 11 AuslG ausgewiesen, weil er eine von griechischen Stellen durchgeführte kulturelle Veranstaltung gestört und sich dann des Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig gemacht hatte (vgl. Abschnitt 11.2.). — I n keiner dieser drei Ausweisungsverfügungen führte die Ausländerbehörde aus, ob sie die erste oder die zweite Alternative der Nr. 1 als erfüllt ansah; es kann angenommen werden, daß sie i n den beiden ersten Fällen die erste, i m dritten Fall die zweite Alternative als gegeben betrachtete. — Die geringe Zahl der einschlägigen Fälle läßt genaue Schlußfolgerungen nicht zu. Jedoch kann gesagt werden, daß die Ausländerbehörde 1967/68 die Tendenz erkennen ließ, i n allen Fällen einer Verurteilung wegen einer Straftat nach den §§ 80 ff. StGB eine Ausweisung zu verfügen, selbst wenn die verhängte gerichtliche Strafe auffallend niedrig war (insoweit lag kein F a l l vor, i n dem sich die Behörde m i t der nachträglichen Befristung oder der NichtVerlängerung der Aufenthaltserlaubnis begnügte). — Andererseits wurde die Anwendung der Nr. 1 Alternative 2 bei keinem derjenigen Ausländer erwogen, die mehrfach kriminelle Delikte begangen hatten.

12.2. Die einzelnen Ausweisungstatbestände

209

12.2.2. Bestrafung (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG)

12.2.2.1. Die Rechtslage Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens oder wegen einer Tat verurteilt worden ist, die i m Geltungsbereich des Ausländergesetzes ein Verbrechen oder Vergehen wäre. Die Begriffe „Verbrechen" und „Vergehen" sind i n § 1 StGB definiert. Es kommt also nur darauf an, mit welcher Strafe eine Tat bedroht ist (abstrakte Betrachtungsweise), nicht darauf, welche Strafe tatsächlich verhängt wird® 8 . Nach dem Wortlaut und dem Sinn dieser Vorschrift ist es ferner nicht entscheidend, ob die Tat i m Inland oder i m Ausland begangen bzw. abgeurteilt wurde (vgl. § 4 StGB) 3 9 . I m Gegensatz zum früheren Rechtszustand, insbesondere zur APVO, setzt das Ausländergesetz bei der Ausweisung wegen einer Verurteilung nicht mehr voraus, daß diese rechtskräftig ist 4 0 . Dies ergibt sich eindeutig, wenn man dem Wortlaut dieser Bestimmung den des § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG gegenüberstellt. Eine Verurteilung i m Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist auch der Strafbef ehi, jedenfalls wenn er rechtskräftig geworden ist. Denn nach § 410 StPO erlangt ein Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils 4 1 . U m eine Verurteilung i m Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG handelt es sich auch bei der Ahndung der Straftat eines Jugendlichen mit einem Zuchtmittel i m Sinne des JGG 4 2 . — Nach herrschender Meinung kommt es nicht auf die der Verurteilung zugrunde liegende Tat, sondern nur darauf an, ob der betroffene Aus38 H . M . ; vgl. z.B. V G H Bad.-Württ., i n : S c h ü l e r / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 10 ( = E S V G H 18, 228); OVG Berlin, i n : Schüler/ W i r t z A P V O § 5 Nr. 8; Hess. VGH, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 9; Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 23; Schiedermair, a.a.O., A u s l G § 10 Anm. 10. 39 Vgl. hierzu OVG Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 31 ( = OVGE 20, 96); Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 23; A u s l G V w v zu § 10 Nr. 6. 40 H . M . , vgl. BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 18; V G H Bad.Württ., i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 10; Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 10 A n m . 6; Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 24; A u s l G V w v zu § 10 Nr. 9; kritisch zu dieser Verschärfung des Ausweisungsrechtes Heldmann, i n : Student. P o l i t i k 1970, Heft 1, S. 9 (14); vgl. auch A l t e r n a t i v e n t w u r f '70 § 6, i n : Student. Politik, a.a.O., S. 6. 41 So zu Recht O V G Münster, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 46; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 1 ( = E S V G H 16, 180) u n d Nr. 7. 42 So zu Recht O V G Münster, i n : D Ö V 1972, 789.

1 Schüler

210

12. Die Ausweisung

länder bestraft worden ist. Insoweit ist die Bestrafung auch i m Ausweisungsverfahren verbindlich (Tatbestandswirkung) 43 . Die Frage, ob die Bestrafung zu Recht erfolgt ist oder nicht, braucht i m Verwaltungsverfahren nicht nachgeprüft zu werden 4 4 . Es reicht allerdings nicht aus, nur die Tatsache der Bestrafung festzustellen 45 . Vielmehr hat die Ausländerbehörde auf Grund der A r t und der Höhe der Strafe bzw. des Delikts, etwaiger Vorstrafen und anderer für die Ausweisung erheblicher Umstände die Erforderlichkeit der Maßnahme abzuwägen 46 . Die Beiziehung der Strafakten ist nicht unbedingt erforderlich. Sie kann es aber sein, wenn die Behörde auf Grund der Strafnachricht allein ihr Ermessen nicht sachgerecht ausüben kann 4 7 . Teilweise w i r d auch i m Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG die Ansicht vertreten, die Ausweisung müsse zur Verhütung einer erneuten Beeinträchtigung erheblicher Belange der BRD erforderlich sein 48 (vgl. Abschnitt 12.1.6.). Überwiegend w i r d jedoch die folgende Meinung vertreten: Die Ausweisung sei nicht nur bei Wiederholungsgefahr zulässig, sondern auch dann, wenn kein ausreichender Anhaltspunkt dafür vorliege, daß sich der Ausländer erneut strafbar machen werde. M i t dem Zweck des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG sei es nicht zu vereinbaren, wenn i n den Fällen, i n denen eine Wiederholungsgefahr nicht offen zutage liege, ein Ausländer erst ausgewiesen werden dürfe, nachdem ein kriminologischer Gutachter seine Gefährlichkeit für die Rechtsordnung der BRD bestätigt habe 49 . Nach der h. M. i n Rechtsprechung und Literatur darf die Ausweisung von straffälligen Ausländern i m Hinblick auf die große Zahl der sich i m Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer auch verfügt werden, u m

43 BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 6 ( = B V e r w G E 3, 58) u n d A u s l G § 10 Nr. 27; V G H Bad.-Württ., i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 1, 7 u n d 10 u n d bei Leitenberger, i n : VerwPraxis 1971, 97 (102); BayObLG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 7 Nr. 3, S. 153; Nr. 4, S. 59; L G Göttingen, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 7 Nr. 5; Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts, A u s l G § 10 A n m . 9; Weißmann, AuslG, § 10 A n m . 13 b. 44 BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A P V O § 5 Nr. 6 u n d 13. 45 BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 8 u n d 27. 46 Bayer. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 15 Nr. 1; vgl. auch Marxen, a.a.O., A u s l G § 10 RdNr. 24. 47 BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 8. 48 So BVerwG, i n : Schüler / Wirtz A u s l G § 10 Nr. 12; vgl. auch V G Berlin, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 23 u n d Hess. V G H , i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 20, die jeweils eine Ausweisung für rechtmäßig halten, u m eine weitere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung bzw. u m weitere Straftaten zu verhindern. 49 So BVerwG, i n : Schüler / W i r t z A u s l G § 10 Nr. 21, 25 und 27 u n d i n : DÖV 1972, 105 Nr. 58; i h m folgend Kloesel / Christ, a.a.O., A u s l G § 10 A n m . 6.

12.2. Die einzelnen Ausweisungstatbestände

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Ausländer vor der Begehung von Straftaten zu warnen und sie zur Einhaltung der deutschen Gesetze anzuhalten (Abschreckung) 50 . 12.2.2.2. Kriminalität

der Ausländer

Umfassende Untersuchungen über die Kriminalität der hier weilenden Ausländer liegen anscheinend nicht vor. Sogar genauere K r i m i n a l statistiken fehlen. Die herkömmlichen Statistiken unterscheiden z.B. nicht zwischen ausländischen Arbeitnehmern und sonstigen Ausländern bzw. oft nicht zwischen legalen und illegalen Ausländern 5 1 . Immerhin lassen örtlich und zeitlich begrenzte Untersuchungen einige vorsichtige Schlüsse zu: Von örtlichen Besonderheiten abgesehen 52 ist die Kriminalität der Ausländer insgesamt etwas höher als die der deutschen Bevölkerung 5 3 . Dies ist jedoch darauf zurückzuführen, daß es sich bei den Ausländern überwiegend u m Männer i m Alter von 18 bis 50 Jahren handelt, bei denen die Kriminalität allgemein wesentlich höher ist als bei anderen Bevölkerungsgruppen wie Kindern, Frauen und Alten 5 4 . — Ein großer Teil der Straftaten, die auf Ausländer entfallen, w i r d von illegalen Arbeitnehmern oder von sonstigen Ausländern verübt (ausländischen Flüchtlingen, Besatzungssoldaten) 55 . Ein von Z i m mermann 5 6 angestellter Vergleich ergab, daß 1965 die 18 bis 50 Jahre alten italienischen „Gastarbeiter" i m Durchschnitt nur 50 °/o, die griechischen nur 72 °/o, die spanischen nur 34 °/o und die türkischen nur 88