Die Entwicklungsgeschichte der Tiere [Reprint 2022 ed.] 9783112688441

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Die Entwicklungsgeschichte der Tiere [Reprint 2022 ed.]
 9783112688441

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitendes
I. Die Ontogenese
1. Allgemeines
2. Die morphologische Sonderung
3. Die gewebliche Sonderung
II. Die Regeneration
Einleitung
1. Isolierte Blastomeren und regenerierende Embryonen
2. Regeneration auf höheren Entwicklungsstufen
3. Die Morphallaxis
4. Die physiologische Regeneration
5. Sie periodische Regeneration und Verwandtes
6. Die regenerative Gewebsbildung
7. Sie Begeneration der Protozoen
III. Die Fortpflanzung
1. Die Teilung
2. Die Knospung
3. Die Keimbildung
IV. Die phyletischen Leistungen, der Ontogenese
Einleitung
1. Die Vererbung
2. Die erblichen Abänderungen
3. Formbildung und Artbildung
Allgemeine Ergebnisse
Literatur.
Register
Berichtigungen

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DIE

ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER TIERE VON

A. G O E T T E

E H E M A L S P R O F E S S O R DER ZOOLOGIE AN D E R U N I V E R S I T Ä T S T R A S S B U R G

BERLIN

UND

LEIPZIG

1921

VEREINIGUNO WISSENSCHAFTLICHER

VERLEGER

W A L T E R DE G R U Y T E R 8t CO. VORMALS G.J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG :: J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG :: GEORG REIMER :: KARL J. TRÜBNER :: VEIT & COMP.

GRUNDRISS DER ZOOLOGIE Eine Einführung in die Lehre vom Bau und von den Lebenserscheinungen der Tiere Für Studierende der Naturwissenschaften und der Medizin Von

OTTO

STECHE

Prof. Dr. med. et phil., Privatdozent an der Universität Frankfurt a. M.

Mit 6 Abbildungen im Text und 40 mehrfarbigen Doppeltafeln Preis geheftet M. 24.—, gebunden M. 36.— Dazu 50°/ 0 Verlegerteuerungszuschlag

S

o vorzüglich unsere Lehrbücher der Zoologie sind, so bieten sie doch gerade dem, der nach einem allgemeinen Überblick über das Gebiet strebt, nicht das, was er sucht. Die allgemeinen Probleme sind zu knapp gehalten, im speziellen Teil wird eine Unsumme von Einzelheiten gebracht, mit denen der Anfänger nichts anzufangen weiß. Fragen der Morphologie sind in den Vordergrund gestellt. Physiologie und Biologie ohne Berechtigung an zweite Stelle gerückt. Der vorliegende Grundriß soll nun die großen Linien der Architektur dieses Wissensgebietes nachziehen und wendet sich vor allem an solche, welche mehr eine klare Vorstellung der Hauptpunkte unserer Wissenschaft suchen als Einzelkenntnisse. Es weht durch das ganze Buch ein jugendlich frischer Zug, der jedem nach Verbesserung seiner Lehrmethode strebenden Zoologen willkommen sein wird." Literarisches Zentralblatt. „Die ganz v o r z ü g l i c h e und f e s s e l n d e F o r m der Darstellung, der glückliche Gedanke, die z a h l r e i c h e n g e s c h i c k t e n und a n s c h a u l i c h e n schematischen Z e i c h n u n g e n auf herausklappbaren Tafeln vor Augen zu halten, sind in diesem Zusammenhang besonders große Verdienste des Verf. Auch der Arzt wird viel Freude und Vertiefung durch die Lektüre des S t e c h eschen Buches erfahren." Therapeutische Monatshefte. „Die Darstellung ist s e h r k l a r und a n s c h a u l i c h geschrieben, die zahlreichen bunten Skizzen, die in der von der Vorlesung her üblichen schematischen Form wiedergegeben sind, vermitteln ein v o l l s t ä n d i g e s V e r s t ä n d n i s aller erörterten Fragen. Naturwissenschaft!. Monatshefte.

Vereinigung

wissenschaftlicher

Verleger

Walter de Gruyter & Co. — vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Berlin W. 10 und Leipzig

DIE ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER TIERE KRITISCH

UNTERSUCHT VON

A. G O E T T E EHEMALS PROFESSOR DER ZOOLOGIE A N DER UNIVERSITÄT STRASSBURQ

MIT 102 T E X T F I G U R E N

BERLIN UND LEIPZIG 1921 VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER WALTER

V C R M A L S G. J. GÖSCHEN'SCHE V E R L A G S H A N D L U N G BUCHHANDLUNG

::

VERLEGER

DE G R U Y T E R 8t CO.

GEORG REIMER

::

:: J. G U T T E N T A G , V E R L A G S -

K A R L J. T R f B N E R

::

V E I T S COMP.

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten.

D r u c k von Metzger & Wittij? in Leipzig.

Vorwort Wie schon der Titel dieses Buchs es deutlich ausspricht, wollen n -y\ O O / (,Q\s>~y~~'Y—TC/\ l / >•( Y , o /

wieder wie bei einer vollkommenen Einstülpung eingebogen wird. Bei den C y k l o s t o m e n und A m p h i b i e n ist beides sogar zeitlich vereinigt (Fig. 26), da das Entoderm dorsal eingestülpt und ventral umwachsen wird ( G o e t t e ^ 1875 und 1890, G l a e s n e r ) . Das die Gastrulation durch Einß stülpung bestimmende Moment, näm^^-^O^TcT^—x lieh der feste epitheliale ZusammenV, hang des ganzen Blastoderms, invol/QK I / V \ viert natürlich die mit der Herstellung rrK 0 1 ' ^ 7\ des Entoderms zusammenfallende Bil1( 0 \ r ) dung der Urdarmhöhle und des Ur— ' ... l'^Xo) mundes. Beides entsteht an der urv -r . j J sprünglichen Sterrogastrula nachträglich, ist aber trotzdem den gleichnamigen Teilen der Einstülpungsgastrula vollkommen homolog. Dies gilt erstens ganz allgemein für die Darmhöhle. Denn ihre Entstehung in einer Sterrogastrula beruht doch lediglich darin, daß die ungeordnete und locker zusammenhängende Entodermmasse sich epithelial zusammenschließt und dadurch den hohlen Innenraum erzeugt, sowie bei der Einstülpung der homologe, aber bereits epithelial geschlossene Fig. 25. Blastodermabschnitt eben deshalb bei Clavellina sp., drei Stufen der Gastrulation, nach S e e l i g e r (1903), der Einbuchtung nicht zusammenfließt, aus K o r s c h e i t u. H e i d e r , Lehrsondern eine Höhlung in seinem Innern buch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte (1893); ee Ectoderm, freiläßt. Damit hängt auch die Bildung en Entoderm, f Blastocöl. des offenen Prostoma und seine Homologie mit dem sich erst später öffnenden Prostomialpol oder Mund, z. B . der Trachylinen zusammen. Man könnte sagen, daß diese nachträgliche Prostomabildung nur eine Fortsetzung der Bildung des Darmepithels bis an die Oberfläche der Gastrula ist. Diese Homologie wird endlich vollends bestätigt durch

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2. D i e morphologische Sonderling.

die genannten Varianten bei A u r e l i a , wo das während der Gastrulation „primär" entstehende und das nachträglich eröffnete „sekundäre" Prostoma in derselben Spezies nebeneinander vorkommen. Das erstere wäre übrigens das früheste Beispiel einer sonst so häufigen Erscheinung, nämlich der z e i t l i c h e n Z u s a m m e n z i e h u n g von u r s p r ü n g l i c h a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n E n t w i c k l u n g s p r o z e s s e n in einen Akt. Der N a h r u n g s d o t t e r . Außer den zuletzt besprochenen Gastrulationsarten sind noch manche anderen Modifikationen der ursprünglichen Entodermbildung bekannt, deren vollständige Aufzählung nicht meine Aufgabe sein kann; ich gehe daher nur noch auf die wichtigste und am weitesten verbreitete Abänderung des ursprünglichenGastrulationsprozesses etwas näher ein, nämlich die jenige, die durch die Ausbildung eines innerhalb des Embryo entstehenden endogenen N a h r u n g s d o t t e r s hervorgerufen wird. Schon im Jahre 1875 habe ich zugleich Fig. 26. mit dem Nachweise der Gastrulation bei Schematischer Durchschnitt den Wirbeltieren auseinandergesetzt, daß der durch die Gastrula von Petround der Amphibien, endogene Nahrungsdotter sowohl dieser wie myzon Oriir., er. Ectoderm, ere Entoauch vieler niederen Tiere (z. B. der W ü r m e r , derm, pr Prostoma. s. G o e t t e , 1882, S. 49) nichts weiter ist als ein außerordentlich verdickter Teil des sich einstülpenden oder überwachsenen Entoderms, mag er nun zellig oder infolge einer Unterdrückung der Eiteilungen in dem entsprechenden Abschnitt des Eis unorganisiert geblieben sein. Später wurden auch andere Entwicklimgsarten des Nahrungsdotters bei den Arthropoden bekannt (s. u.). Diese Verschiedenheit erklärt sich daraus, daß er keine ständige Erscheinung in allen Embryonen ist, sondern nur in einzelnen Gruppen vorkommt, also einen mehrfachen, getrennten Ursprung hat. Nun wird freilich für alle verschiedenen Erscheinungen des endogenen Nahrungsdotters insofern ein gemeinsamer Ursprung angenommen, als sie stets auf dieselbe biologische Ursache, nämlich die Notwendigkeit einer Ernährung des Embryo vor dem Beginn seiner selbsttätigen Nahrungsaufnahme zurückgeführt werden. Dieser identische Ursprung widerspricht jedoch dem vorhin angegebenen Wechsel des morphologischen Ursprungs des'Nahrungsdotters; und eine Lösung dieses Widerspruchs läßt sich nur vermittels einer näheren Untersuchung der Entwicklung jenes Embryonalteils finden. G o e t t e , Entwicklungsgeschichte der Tiere.

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I. Die Ontogenese.

Beginnen wir mit dem N a h r u n g s d o t t e r der W i r b e l t i e r e (Fig. 27). In den Gruppen mit holoblastischen Eiern (Petromyzon, Ganoiden, Dipnoer, Amphibien) entwickelt er sich aus dem Zellenmaterial des Embryo, und zwar aus einem Teil des Entoderms. Nur ist das, was man schlechtweg als Nahrungsdotter bezeichnet, nämlich der massige, schon äußerlich hervortretende Entodermabschnitt keineswegs überall die Anlage des Nahrungsdotters, am wenigsten bei Petromyzon und den Amphibien. In den Embryonen der Neunaugen löst sich die Anlage des Mitteldarms, der jene Anschwellung des Entoderms A

B

C

Der Nahrungsdotter der Wirbeltiere, A von Petromyzon mit primärer (d) und sekundärer Darmlichtunj! (df), B von Ganoiden, C von Selachiern und Amnioten • n Nahrungsdotter, ee Ectoderm, en Entoderm.

enthält, alsbald morphologisch auf: während seiner frühzeitigen Streckung und Verschmächtigung schwindet seine Lichtung imd wird seine gelockerte Zellenmasse, insbesondere die vermeintliche Anlage des Nahrungsdotters, zur Herstellung des einfachen Darmepithels rings um die neu entstehende Darmlichtung verlagert und aufgebraucht ( G o e t t e 1890). Nur einige wenige dieser Zellen mögen im Gewühl der Umlagerung und innerhalb der neuen Lichtung zerstört und aufgelöst werden, worin man die erste ganz zufällige und kaum nennenswerte Anlage einer zur Ernährung dienlichen Substanz erblicken mag. Bei den A m p h i b i e n wiederholt sich im wesentlichen derselbe Befund, nur mit einer erheblichen Vermehrung der sich auflösenden Darmzellen oder der ernährenden Dottersubstanz. Diese Rückbildung der für den Nahrungsdotter bestimmten Entodermzellen steigert sich ferner bei den G a n o i d e n : sie erstreckt sich auf die ganze Verdickung des Entoderms, die sich nunmehr als die kompakte Anlage des Nahrungsdotters darstellt, und ihre Zellen oder Blastomeren offenbaren schon von Anfang an die bevorstehende Rückbildung, indem sie infolge

2. Die morphologische Sonderung.

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einer sehr verlangsamten Teilung relativ groß bleiben nnd dadurch einen Stillstand ihrer weiteren Entwicklung vorbereiten. Damit ist schon der Übergang zu den meroblastischen Eiern der S e l a c h i e r , T e l e o s t i e r und A m n i o t e n erreicht, indem die genannte Rückbildung zu einer vollständigen Unterdrückung der Zellbildung fortschreitet und sich auf den größten Teil des Eis erstreckt. Diese Sonderung des zelligen und des überhaupt nicht organisierten Eiteils oder des Nahrungsdotters beginnt schon mit den ersten Eiteilungen, also v o r jeder eigentlichen Keimschichtung, und könnte daher, für sich allein betrachtet, als eine unmittelbare Folge von letzten oder präformierten Ursachen erscheinen, für deren Entstehung nur der biologische Erfolg der embryonalen Ernährung verantwortlich gemacht werden könnte. Solche Vermutungen und Ansichten, die sich nur auf die letzten phyletischen Entwicklungsstufen des Nahrungsdotters stützen, erweisen sich jedoch bei einer vergleichenden Untersuchung bis zum ersten Ursprung zurück als durchaus irrig. Dieser Ursprung zeigt sich uns, wie ich oben ausführte, in einem morphologischen Moment, einer lokalen Anhäufung des Entoderms, die zunächst gar nicht zur Bildung eines Nahrungsdotters, sondern nur zu einer frühzeitigen Ausbreitung des Darmepithels dient. Erst sekundär knüpft sich daran eine Rückbildung des sich allmählich anhäufenden Überschusses des Entoderms zu einer Nährsubstanz, die außerhalb aller Formbildungen als ein rein embryonales und vergängliches Nebenprodukt der eigentlichen Ontogenese auftritt. I h r e b i o l o g i s c h e L e i s t u n g ist also durchaus eine epigenetische Folge einer e m b r y o n a l e n R ü c k b i l d u n g und n i c h t u m g e k e h r t . Der Nahrungsdotter der A r t h r o p o d e n entwickelt sich nun freilich nicht ebenso wie derjenige der Wirbeltiere, aber in durchaus analoger Weise. In der phyletischen Reihe dieser Erscheinungen lassen sich drei Stufen unterscheiden. 1. Den Anfang bilden die Embryonen niederer Krebse ( B r a n c h i p u s - B r a u e r 1892), von Spinnen ( T h e r i d i u m — M o r i n 1888) und ältesten Insekten ( M a c r o s t o m a — U z e l ) . Die Entwicklung beginnt mit einer typischen Cöloblastula (Fig. 12); sehr bald folgt deren Rückbildung durch Verschmelzung der Blastomeren und den Schwund des Blastocöls, worauf die freigewordenen Kerne an die Peripherie des Embryo wandern und dort die Bildung eines kleinzelligen Blastoderms veranlassen, während das kernlose zentrale Plasma die Anlage des Nahrungsdotters darstellt. 2. Es folgen gewisse Dekapoden ( E u p a g u r u s — M a y e r 1877, D r o m i a — C a n o 1893), deren Eier von Anfang an nur unvollständige 5*

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I. D i e Ontogenese.

Blastomeren erzeugen; diese sondern sich nur in ihren Außenhälften und hängen zentralwärts mit dem unorganisierten Nahrungsdotter zusammen (Fig. 28). 3. Endlich gibt es bei anderen Dekapoden (Astacus— Morin 1886) überhaupt keine Blastomeren mehr, sondern nur freie Kerne zur Herstellung des oberflächlichen Blastoderms (Kg, 29), so daß der zurückbleibende Dotter in keiner Weise mehr als ein unmittelbares Umbildungsprodukt von Blastomeren oder Zellen gelten, sondern bloß durch Vergleiche von solchen abgeleitet werden kann. Die Besonderheit dieser Entwicklung des Nahrungsdotters besteht also darin, daß seine Anlage nicht am fertigen Entoderm, sondern an der Blastula beginnt. Der phyletisch erste Entwickhmgsvorgang ist aber wieder eine Rückbildung, und zwar eine Verschmelzung der Blastomeren, die lediglich Dromia sp., sechs Stufen der Blastodermbildung, nach C a n o (1893), aus K o r s c h e i t u. H e i d e r , Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte (1909); A, B intravitelline Kernvermehrung, C—E Ausbildung durch Dotterpyramiden, F Blastula.

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durchaus keine notwendige Vorstufe für die Entstehung des Nahrungsdotters ist. Diese besteht nur in der Auflösung des überschüssigen zentralen Plasma und ist eine sekundäre Folge jener Rückbildung, wie vor allem die beiden ersten Gruppen beweisen. Noch weiter gehende Abänderungen der ersten embryonalen Entwicklung entstehen gelegentlich durch die Aufnahme eines e x o g e n e »

2. Die morphologische Sonderung.

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N a l i r u n g s d o t t e r s ins Innere des Embryo, wie es u. a. an den Eiern von Mesostomeen geschieht (Bresslau 1904). Solche extremen und isolierten Ausnahmen können hier nicht näher analysiert werden, da uns die Kenntnis ihres Ursprungs fehlt. Immerhin lehren uns solche Erscheinungen eines Nahrungsdotters erst recht, daß sie nicht präformiert sind, mögen sie auch noch so tief in die Ontogenese eingreifen. Auch die merkwürdigen Metamorphosen der Schwämme gehören, wie sich zeigen wird, nicht eigentlich in das Kapitel über die Gastrulation.

Fig. 29. Astaeus fluviatilis, zwei Stufen der Blastodermbildung, nach M o r i a (1886), aus K o r s i c h e l t u. H e i d e r , Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte (1909).

Der U r s p r u n g der G a s t r u l a t i o n . Über dieses Thema ist bereits reichlich diskutiert worden, ohne daß man zu einem befriedigenden Schluß gekommen wäre (vgl. H e i d e r , Lehrbuch d. vergl. Entwickl.-Gesch. 1909, S. 194). Dies rührt offenbar daher, daß man rein spekulativ vorging und bald diese, bald jene G-astrulaform zum Ausgangspunkte nahm. So erklärte H a e c k e l (1868) die eingestülpte Keimblase für die „Archigastrula" schlechtweg, L a n k e s t e r (1885) ging von der Delamination, B ü t s c h l i (1884,1915) von der „Plakula", Metschnikoff (1886) von der Einwanderung der Entodermzellen in eine Cöloblastula aus. Ich stehe jedoch auf dem Standpunkt, daß jede phyletische Untersuchung, wozu ja auch die vorliegende Untersuchung über den Ursprung der Gastrulation gehört, nach Ausgangspunkt und Richtung daran gebunden ist, was die vergleichendontogenetisclien Untersuchungen über denselben Gegenstand ergaben. Die vorausgeschickten Untersuchungen über den Gastrulationsprozeß haben uns gezeigt, daß seine verschiedenen Erscheinungsformen allerdings sämtlich auf eine und dieselbe Hauptursache, nämlich die ungleiche konzentrische Ausdehnung des Blastoderms zurückzuführen

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I. Die Ontogenese. /

sind, aber doch eine Abstufung erkennen lassen, die für den Ausgangspunkt der neuen Untersuchung bezeichnend ist. Diese Abstufung fällt nicht mit einer realen Deszendenz der beteiligten Spezies zusammen; denn unter den Hydropolypen finden sich zwei verschiedene Typen der Einwanderung, unter den Scyphomedusen oft Einwanderung und Einstülpung nebeneinander usf. Jene Abstufung besteht vielmehr darin, daß die verschiedene Ausführung der Gastrulation, sei es bei Strahl- oder Bilaletraltieren eine phyletisch fortschreitende Wandlung offenbart. Nachdem eine echte Delamination als selbständige Gastrulationsart ausgeschieden ist, und auch die Gastrulation durch Umwachsung als eine unwesentliche sekundäre Variante sowohl der Einwanderung wie der Einstülpung außer Betracht bleiben kann, verbleiben zur Vergleichung nur die zwei letzteren Typen, die Sterrogastrula und die Cölogastrula. Li der Sterrogastrula erblicke ich aus den schon angegebenen Gründen zunächst ganz allgemein und unter dem Vorbehalt einer weiteren Differenzierung eine phyletisch ältere Entwicklungsstufe als die Cölogastrula. Denn in jener ist der eigentliche Gastrulationsprozeß fertig abgeschlossen, so daß eine Darmbildung im morphologischen Sinn entweder überhaupt nicht hinzukommt, wie bei den Schwämmen, oder als neuer Prozeß auf die Gastrulation folgt und jedenfalls nicht ohne weiteres zu der letzteren gerechnet werden kann (Hydropolypen, manche Würmer, Arthropoden); wogegen dieselbe Darmhöhlenbildung in der Cölogastrula durch eine zeitliche Zusammenziehung der Entwicklungsfolge in den Gastrulationsprozeß selbst einbezogen wird, indem der sie bedingende epitheliale Zusammenschluß des Entoderms nicht erst nachträglich, sondern schon vor dessen Einstülpung stattfindet. Dadurch kennzeichnet sich die C ö l o g a s t r u l a als eine auf die S t e r r o g a s t r u l a f o l g e n d e , p h y l e t i s c h j ü n g e r e E n t w i c k l u n g s s t u f e d e r E n t o d e r m b i l d u n g ; und deshalb hat die Untersuchung über den Ursprung der Gastrulation an deren ältere Erscheinung in der Sterrogastrula anzuknüpfen und sich auf die Entodermbildung allein zu beschränken. Li dieser Wahl des Ausgangspunktes folge ich also M e t s c h n i k o f f , jedoch nicht seinen weiteren Ausführungen. M e t s c h n i k o f f beschränkte sich nach der zu seiner Zeit üblichen Methode stammesgeschichtlicher Arbeit darauf, eine Verfahren form zu konstruieren, deren Abbild in der Ontogenese der Nachkommen die embryonale Gastrula sein sollte. So wie aber die heutige Entwicklungsgeschichte des Individuums sich nicht mit der deskriptiven Darstellung der aufeinanderfolgenden ontogenetischen Stufen begnügt, sondern in deren Kausalzusammenhang den wirklichen Vorgang aufzudecken sich bemüht, so soll auch die Stammesgeschichte demselben Grundsatz

2. D i e morphologische Sonderung.

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folgen und nicht bloß entsprechende Verfahrenformen konstruieren, sondern die Vorgänge ihrer Wandlungen vergleichend erläutern. Dies vormisse ich aber in M e t s c h n i k o f f s „Parenchymellatheorie". Die P a r e n c h y m e l l a sollte sich aus einem homoplastiden Organismus vom Typus einer Cöloblastula dadurch entwickeln, daß eine Anzahl von Zellen sich zu besonderen m/iim Ernährungszellen differenzierten und infolge dessen in den inneren Hohlraum einwanderten. Daß ihre Ernährungsfunktion dadurch eher gestört als gefördert wurde, hat schon B ü t s c h l i mit Recht hervorgehoben (1884), dem ich mich anschloß (1886); ferner erfährt man nichts darüber, warum jene Auswahl unter den Zellen der cöloblastischen Kugel entstand, und warum die neuen Ernährungszellen, auch wenn sie amöboider Natur waren, ins Innere einwanderten. Und selbst wenn dies befriedigend beantwortet würde, fehlte noch immer die wichtigste mm Erklärung, wie derselbe LebensFig. 30. vorgang in die Embryonalzeit Aplysilla sulfurea, Larve, nach S c h u l z e , aus verlegt werden konnte, wo doch G o e t t e , Lehrbuch (1902). seine angebliche Ursache, die der Ernährung angepaßte gewebliche Differenzierung der künftigen Entodermzellen, innerhalb eines Embryo von vornherein ausgeschlossen war. Die Parenchymellatheorie gibt also keine Auskunft über den phyletischen Ursprung der Gastrulation, sondern im Grunde genommen nur eine Vorstellung davon, wie die Organismen ausgesehen haben mögen, die über die morphologische Stufe einer Sterrogastrula nicht hinausgingen und in diesem Zustande die definitive gewebliche Entwicklung erreichten. Eine solche Vorstellung bieten uns aber ohne jede hypothetische Konstruktion viele Schwammlarven mit einem von außen eingewanderten parenchymatösen Entoderm (vgl. S c h u l z e , Maas 1898. — Fig. 30). Diese Kritik der Parenchymellatheorie zeigt uns aber deutlich die Richtung an, in der sich unsere Untersuchung zu bewegen hat. Wir

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I. Die Ontogenese. /

haben festzustellen 1. wie, d. h. durch welche natürlichen Ursachen die fragliche Einwanderung von Außenzellen ins Innere eines hohlkugeligen Organismus sich erklären lasse, 2. wie dies zu einer richtigen Entodermbildung führte, und endlich 3. wie ein solcher Entwicklungsprozeß sich in eine embryonale Gastrulation verwandelte. Und um nicht bloß hypothetisch zu konstruieren, haben wir nach realen Vorbildern zu suchen, die uns die erläuterte Analogie darbieten.

Fig. 31. Volvox globator, aus L a n g , Lehrbuch (1901); 1 Keimzellen, 2—4 ihre Teilung, 5—7 Embryonen.

Es wäre ja am bequemsten, auf Grund ontogenetischer Befunde die ganze Frage durch die Annahme zu erledigen, daß die Eier der hohlkugeligen Homopiastiden, die doch gleichmäßig organisiert sein mußten, einst nach Art sonstiger angeborener Abänderungen die uns bekannte heteropole Organisation erwarben und vererbten, wodurch die ungleiche konzentrische Ausdehnung des Blastoderms und die daraus folgende Gastrulation für immer festgelegt worden wäre. Dem widersetzt sich aber die Tatsache, daß jene Heteropolie der Eier wohl bei den uns gegenwärtig bekannten Heteroplastiden die Ursache der Gastrulation darstellt, aber deshalb noch nicht unbedingt als Ursache der ersten Gastrulation bei ihren Vorfahren gelten muß. Und der Grund dieses Einspruchs ergibt sich aus der im vorigen Kapitel geschilderten Gastrulation der Hydropolypen.

2. Die morphologische Sonderung.

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Ich zeigte, daß in dem 2. Typus dieses Vorgangs die Heteropolie des Bis die Einwanderung der Entodermzellen gar nicht dirigiert, die vielmehr aus den unregelmäßigen Eiteilungen entspringt, so daß jede Heteropolie erst nach vollendeter Entodermbildung in der späteren heteropolen Orientierung der Larve zur Wirkung kommt. Freilich halte ich diese Unregelmäßigkeit der Eiteilungen für eine sekundäre Abänderung des regelmäßigen Prcffeesses im 1. Typus; immerhin ergibt sich daraus die Möglichkeit, daß dieser geregelten lokalisierten G-astrulation eine nicht lokalisierte allseitige, also von der Heteropolie des Eis unabhängige Einwanderung des Entoderms vorausging. Und diese Möglichkeit wird vollends zur Wahrscheinlichkeit, wenn man sich überlegt, daß erfahrungsgemäß jede bestimmt geregelte Erscheinung im Gebiet der Ontogenese die phyletische Folge von formal weniger fixierten variablen Vorgängen ist. Ich komme also auf die vorhin bezeichneten drei Forderungen unserer Aufgabe zurück. Die Forderung nach einem Vorbilde für eine natürliche Einwanderung von Außenzellen ins Innere eines hohlkugeligen Organismus erledigt sich durch den Hinweis auf V o l v o x g l o b a t o r (Fig. 31), den ich schon früher als das passendste derartige Beispiel bezeichnet habe (G-oette 1886). Die Keimzellen von Volvox globator beginnen sich recht früh zu entwickeln, indem Fi S . 32. einzelne seiner Körperzellen stark wachsen und da- K h o P a l u r a g| a r , l i . durch aus dem allgemeinen Zellenverband in den Binnen- na°(i882), räum der Hohlkugel gedrängt werden, gerade so wie a u s K o r s c h e i t u die teilungsträgeren und relativ größeren Blastulazellen Lehrbuch " e i der der Heteroplastiden dem auf sie ausgeübten Druck nach vergleichenden Entwicklungsinnen ausweichen. Da die Keimbildung überhaupt und geschichte (1890). das starke Wachstum der Keimzellen altererbte Eigenschaften jedes Polyplastids sind (s. u.), so bedarf es keiner weiteren Erklärung, daß ein Volvox-ähnliclier Organismus infolge einer Vermehrung der einwandernden Keimzellen und andererseits einer gewissen Verzögerung ihrer Reifung sich ganz naturgemäß in den Zustand einer Sterrogastrula verwandeln konnte, deren Innenmasse, obgleich sie rein morphologisch einem Entoderm homolog war, nur aus jungen Keimzellen bestand. Und auch dafür findet sich ein zutreffendes Vorbild in den O r t h o n e c t i d e n (Fig. 32), deren Entoderm vollständig zu Keimzellen verbraucht wird, also von Anfang an als eine Keimzellenmasse aufgefaßt werden kann, gerade so wie bei Volvox.

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I. Die Ontogenese.

Gegen den morphologischen Vergleich dieser Keimbildung mit einer Gastrulation läßt sich also nichts einwenden. In zweiter Linie können aber für eine Verwandlung einer solchen Entoderm-ähnlichen Keimmasse in ein echtes mesenchymatöses Entoderm ebenfalls ausreichende Analogien angeführt werden. Es kommt nämlich bei den verschiedensten Tieren oft genug vor, daß in einer

F i g . 33. Cordylophora lacustris