Vor dem Hintergrund der europäischen Expansion sowie eines veränderten Wissenschaftsverständnisses entwickelten im 18. J
223 53 2MB
German Pages 345 [350] Year 2017
Table of contents :
VORWORT
INHALT
1. EINLEITUNG
1.1 METHODE
1.2 QUELLENLAGE
1.3 FORSCHUNGSSTAND
1.4 TERMINOLOGIE
2. HINTERGRUND
2.1 EUROPÄISCHE EXPANSION
2.2. AUFGEKLÄRTES WELTBILD
2.3 NATURWISSENSCHAFT UND EMPIRIE
2.4 REISELITERATUR ALS WISSENSVERMITTLER
2.5 FRÜHE ANTHROPOLOGISCHE DEBATTEN
Diskussion über die Herkunft der Menschheit
Suche nach dem ‚missing link‘
Milieutheorie
Von ‚edlen‘ und ‚unedlen Wilden‘
2.6 KOMMUNIKATIONSRÄUME
Aufstieg der Akademien – Institutionalisierung des Wissens und Entstehung wissenschaftlicher Netzwerke
Entstehung neuer Publikationsformen – die wissenschaftliche Zeitschrift
Gelehrtenkorrespondenz
3. RASSENDISKURS IM 18. JAHRHUNDERT
3.1 DIE VORLÄUFER – PETTY UND BERNIER
3.2 DER WUNSCH NACH SYSTEMATISCHER KLASSIFIKATION – LINNÉ
3.3 DER ALBINISMUS ALS BEWEIS FÜR DIE URSPRÜNGLICHE FARBE DER MENSCHHEIT – MAUPERTUIS
3.4 NATURGESCHICHTE UND DIE FRAGE NACH DER STELLUNG DES MENSCHEN – BUFFON
Versuch einer Synthese – Goldsmith
Naturgeschichte und Geographie – Zimmermann
3.5 DER URSPRUNG DER MENSCHHEIT – POLYGENETISCHE BETRACHTUNGSWEISEN
Popularisierer, Verteidiger der Sklaverei und Inspirator – Long
3.6 RASSISCHE VORURTEILE UND ÄSTHETIK
Schnittstelle zwischen Ästhetik und Kraniologie – Camper
3.7 DIE VERWISSENSCHAFTLICHUNG DES RASSENBEGRIFFS – KANT
Erfahrung als Voraussetzung – Forster
Gehirngrösse als zusätzliches Unterscheidungskriterium – Metzger
Versuch der Konstruktion einer Genese – Girtanner
3.8 VON SCHÄDELN UND KNOCHEN – BLUMENBACH UND DIE ENTSTEHUNG DER KRANIOLOGIE
Der anatomische Unterschied – Soemmerring
Die Suche nach Fakten – Hunter
Knochen als wissenschaftlicher Beweis der Ungleichheit – White
3.9 DER RASSENDISKURS ERREICHT AMERIKA – SMITH
3.10 GESCHICHTE DER MENSCHHEIT
Plädoyer für den Humanismus – Herder
Akkumulation der Vorurteile – Meiners
4. AUSBLICK
5. FAZIT
6. BIBLIOGRAPHIE
6.1 QUELLEN
6.2 SEKUNDÄRLITERATUR
6.3. INTERNETSEITEN
7. ANHANG
7.1 CHRONOLOGIE
7.2 ABBILDUNGEN
Sarah Reimann
Die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus im 18. Jahrhundert Geschichte Franz Steiner Verlag
Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte – 104
Sarah Reimann Die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus im 18. Jahrhundert
beiträge zur europäischen überseegeschichte vormals: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte
Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte begründet von Rudolf von Albertini, fortgeführt von Eberhard Schmitt, herausgegeben von Markus A. Denzel, Mark Häberlein und Hermann Joseph Hiery Band 104
Sarah Reimann
Die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus im 18. Jahrhundert
Franz Steiner Verlag
Coverabbildung: Aus: Peter Camper, Über den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge in Menschen verschiedener Gegenden und verschiedenen Alters. Nach des Verfassers Tode herausgegeben von seinem Sohne Adrian Gilles Camper. Übersetzt von S. Th. Sömmerring, Berlin 1792. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2014 auf Antrag von Herrn Prof. Dr. Jörg Fisch (hauptverantwortliche Betreuungsperson) und Herrn Prof. Dr. Christian Koller als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11756-2 (Print) ISBN 978-3-515-11757-9 (E-Book)
VORWORT Ein Dissertationsprojekt entsteht nie im stillen Kämmerlein, sondern ist in vielerlei Hinsicht ein Gemeinschaftsprojekt – das Ergebnis einer Vielzahl an angeregten Gesprächen und hitzigen Diskussionen. Umso wichtiger ist es mir, mich an dieser Stelle bei allen zu bedanken, welche mich in meinem Weg bestärkt und mich stets unterstützt haben. Dies gilt insbesondere für meinen Doktorvater Prof. Dr. Jörg Fisch, welcher mich ermutigt hat, das Dissertationsprojekt in Angriff zu nehmen und mich während des Arbeitsprozesses kontinuierlich begleitet hat. In ihm fand ich einen ausserordentlich wertvollen Gesprächspartner, dessen analytische und kritische Denkweise mich immer wieder von neuem zu beeindrucken vermag. Gerne möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen am Historischen Seminar der Universität Zürich bedanken, insbesondere bei Dr. Heinrich Christ, der mir bei der redaktionellen Überarbeitung half, sowie Beat Brügger, Gabrielle Walker, Dr. Stephan Sander-Faes und den Teilnehmern des Fortgeschrittenen Kolloquiums. Mein besonderer Dank gilt PD Dr. Annerose Menninger. Sie war es, welche mich noch während meiner Studienzeit auf die Rassentheorien der Aufklärungszeit aufmerksam machte. Umso dankbarer bin ich für die vielen anregenden Gespräche, ihre wertvollen Einwände und ihre stetige Unterstützung. Bedanken möchte ich mich auf bei Prof. Dr. Christian Koller, welcher als Zweitgutachter wertvolle fachliche Hinweise lieferte, sowie bei Prof. Dr. Moshe Zuckermann. Ein besonderer Dank gilt Dr. Snait Gissis, welche mir nicht nur behilflich war und wertvolle Denkanstösse lieferte, sondern mich mit ihrem ausserordentlichen Wesen und ihrem Engagement nachhaltig zu beeindrucken vermochte. Dank gebührt auch Prof. Dr. Hermann Hiery und dem Franz Steiner Verlag, welche die Studie in die Reihe „Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte“ aufgenommen haben, sowie Gabi Krampf, die den Text erfasst und die Satzarbeiten übernommen hat. Zu erwähnen ist auch der Forschungskredit der Universität Zürich, der das Dissertationsprojekt mit einem grosszügigen Beitrag unterstützt hat und damit wesentlich dazu beitrug, dass ich mich auf das Schreiben meiner Doktorarbeit konzentrieren konnte. Mein letzter Dank gilt meinen Eltern, die mich immer bedingungslos unterstützt haben und stets für mich da waren. Ohne sie gäbe es diese Studie nicht, ihnen sei das Buch gewidmet. Zürich, im August 2016
Sarah Reimann
INHALT Vorwort 5 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.
Einleitung Methode Quellenlage Forschungsstand Terminologie
2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
9 10 19 21 24
Hintergrund Europäische Expansion Aufgeklärtes Weltbild Naturwissenschaft und Empirie Reiseliteratur als Wissensvermittler Frühe anthropologische Debatten Diskussion über die Herkunft der Menschheit Suche nach dem ‚missing link‘ Milieutheorie Von ‚edlen‘ und ‚unedlen Wilden‘ 2.6. Kommunikationsräume Aufstieg der Akademien – Institutionalisierung des Wissens und Entstehung wissenschaftlicher Netzwerke Entstehung neuer Publikationsformen – die wissenschaftliche Zeitschrift Gelehrtenkorrespondenz
31 31 34 40 49 53 54 59 62 68 73
3. 3.1. 3.2. 3.3.
87 87 94
3.4.
3.5. 3.6. 3.7.
Rassendiskurs im 18. Jahrhundert Die Vorläufer – Petty und Bernier Der Wunsch nach systematischer Klassifikation – Linné Der Albinismus als Beweis für die ursprüngliche Farbe der Menschheit – Maupertuis Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon Versuch einer Synthese – Goldsmith Naturgeschichte und Geographie – Zimmermann Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen Popularisierer, Verteidiger der Sklaverei und Inspirator – Long Rassische Vorurteile und Ästhetik Schnittstelle zwischen Ästhetik und Kraniologie – Camper Die Verwissenschaftlichung des Rassenbegriffs – Kant
74 81 85
100 105 122 125 130 138 144 159 168
8
Inhalt
Erfahrung als Voraussetzung – Forster Gehirngrösse als zusätzliches Unterscheidungskriterium – Metzger Versuch der Konstruktion einer Genese – Girtanner 3.8. Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie Der anatomische Unterschied – Soemmerring Die Suche nach Fakten – Hunter Knochen als wissenschaftlicher Beweis der Ungleichheit – White 3.9. Der Rassendiskurs erreicht Amerika – Smith 3.10. Geschichte der Menschheit Plädoyer für den Humanismus – Herder Akkumulation der Vorurteile – Meiners
182 192 195
4.
Ausblick
281
5.
Fazit
291
6. 6.1. 6.2. 6.3.
Bibliographie Quellen Sekundärliteratur Internetseiten
315 315 325 340
7. Anhang 7.1. Chronologie 7.2. Abbildungen
201 221 229 233 241 250 251 263
341 341 343
1. EINLEITUNG „Wir Europäer scheinen beinahe in allen Welttheilen schon von langen Zeiten her ein nie öffentlich anerkanntes, desto mehr aber fast bis zur unerträglichsten Kränkung der Menschheit in der Anwendung ausgedehntes Vorrecht über die Neger uns anzumassen. Es ist daher nur zu bekannt, wie wenig brüderlich wir diese Unglücklichen behandeln, und das mit einer Kälte und Gewissensruhe, die eben wegen ihrer ziemlichen Allgemeinheit stillschweigend zu verrathen scheinet, als hielten wir die Neger für weniger vollkommen, für weniger der ersten Stelle in der thierischen Schöpfung unseres Planeten würdig, mit einem Worte, für geringer als uns Weisse.“1
In diesen 1784 von dem renommierten deutschen Anatomen Samuel Thomas Soemmerring verfassten Zeilen steckt eine scharfsinnige Beobachtung der zeitgenössischen politischen Verhältnisse, welche geprägt waren durch die weltumspannende Dominanz der Europäer über die aussereuropäischen Völker. Sie zeugen, so lässt die Wortwahl vermuten, von einer Sensibilisierung für das als inhuman empfundene, durch den Glauben an die eigene Superiorität geprägte Verhalten der Weissen gegenüber den Schwarzen. Doch was auf den ersten Blick als Anprangerung der ungerechtfertigten Behandlung und Herabsetzung der Schwarzen durch die Weissen anmutet und die Frage nach deren Legitimation aufwirft, war in Realität weder eine Kritik noch eine Reflexion über die Rechtmässigkeit der bestehenden Verhältnisse. Vielmehr bot die gemachte Beobachtung der Dominanz der Weissen über die aussereuropäischen Völker Soemmerring Anlass, nach deren wissenschaftlichen Legitimierung zu forschen, denn: „Wie wärs, wenn sich anatomisch darthun liesse, dass die Mohren weit näher als wir Europäer ans Affen-Geschlecht gränzen und dass es nicht eingebildeter Stolz ist, der uns oft zu weit über die Mohren erhebet, sondern dass dasjenige, worin wir Europäer unter einander selbst uns nachstehen, und warum wie Einigen aus uns Vorzüge willig einräumen, ich meyne, die auszeichnenden Organe des Verstandes, die unsern Abstand von den Thieren verursachen, den Mohren etwas hinter uns zurücklassen.“2
Was in der Retrospektive wie ein Gedankenexperiment anmutet, schien im ausgehenden 18. Jahrhundert – dem Zeitalter der Aufklärung – vielen Gelehrten als eine wissenschaftliche Tatsache. 1784 erbrachte Soemmerring den scheinbar empirischen Beweis, dass sich der Schwarze tatsächlich anatomisch vom Weissen unterschied. Damit lieferte er nicht nur die scheinbar wissenschaftliche Bestätigung jahrhundertealter populärer Vorurteile, sondern unterstrich zugleich die Bedeutung des jungen, aufstrebenden Fachs der vergleichenden Anatomie bei der Bestimmung menschlicher Phänotypen. Zwar erachtete er die körperliche Verschiedenheit nicht 1 2
Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 3, vgl. auch: Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. vii. Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 5; vgl. auch Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. xiv.
10
1. Einleitung
als derart frappant, dass dem Schwarzen das Menschsein abgesprochen werden müsse, doch immerhin belegten die anatomischen Unterschiede, dass der Schwarze „näher ans Affengeschlecht“3 grenze als der Weisse. Soemmerring war beileibe nicht der einzige Gelehrte, welcher sich in der Aufklärungszeit mit den Unterschieden zwischen den menschlichen Phänotypen beschäftigte. Vielmehr reihte er sich in einen Diskurs ein, dessen Vorläufer bereits im 17. Jahrhundert zu suchen sind. Den Beginn des eigentlichen Rassendiskurses markiert jedoch Carl von Linnés „Systema naturae“ im Jahre 1735, als der Mensch erstmals gemäss seiner geographischen Herkunft und seiner Hautfarbe in vier Varietäten – in weisse Europäer, gelbe Asiaten, schwarze Afrikaner und rote Amerikaner – eingeteilt wurde. Zahlreiche weitere namhafte Wissenschaftler in ganz Europa folgten dem Beispiel; systematisch versuchten sie, den Menschen in ‚Rassen‘4 zu klassifizieren. In einem Klima, das scheinbar frei von religiösen Schranken und geistigen Zwängen war, strebten die Gelehrten, bestärkt durch die Erfolge und Fortschritte auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und die Verfeinerung von Beobachtungsund Messtechniken, die Natur mittels naturwissenschaftlicher Methoden zu erforschen und deren Gesetzmässigkeiten zu entschlüsseln. Der Wunsch, die Stellung des Menschen innerhalb der Natur zu definieren, sowie die zunehmende Schwierigkeit, einer wachsenden Anzahl an Forschungsobjekten und einer kontinuierlichen Akkumulation von neuem Wissen Herr zu werden, verlangte nach einem grundlegenden Ordnungs- und Klassifikationsprinzip und führte zur Etablierung der Naturgeschichte, der Vorläuferdisziplin der Anthropologie, zu welcher auch die ersten Rassentheorien gehörten. Die Unterscheidung zwischen dem ‚wir‘ und den ‚anderen‘ lässt sich faktisch bei jedem Volk und zu jeder Zeit beobachten. Neu war, dass die Unterscheidung mit dem Anspruch auf Objektivität betrieben wurde. Die Mehrzahl der Gelehrten verband ihr Vorgehen mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und bemühte sich, ihre Studien empirisch zu belegen und ein Werturteil zu vermeiden. Indem sie neben somatischen auch zunehmend moralische und kulturelle Klassifikationsmerkmale einführten und den Europäer zum Massstab erklärten, war aber eine Wertung faktisch unvermeidbar. Die Etablierung der rassentheoretischen Konzepte widersprach damit zutiefst den aufklärerischen Prinzipien der Gleichheit aller Menschen, widerspiegelte aber auch deren Wunsch, die Welt rational erklären und wissenschaftlich zu begründen. 1.1 METHODE Im Zentrum des Interessens der vorliegenden Untersuchung steht die Entstehung eines Rassendiskurses im 18. Jahrhundert. Der Widerspruch zwischen der von der 3 4
Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 32; Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. 78. In der Folge werden die aus heutiger Sicht problematischen Begriffe in Anführungszeichen gesetzt. Entsprechen sie dem Wortgebrauch des jeweiligen Autors, werden sie kursiv geschrieben.
1.1 Methode
11
Aufklärung propagierten Gleichheit aller Menschen und den ersten, im 18. Jahrhundert formulierten Rassentheorien, welche diesem Ideal diametral zu widersprechen scheinen, deutet bereits die Brisanz des Themas an.5 Dieses Spannungsfeld will die Studie ausloten und untersuchen, weshalb ausgerechnet im Zeitalter der Aufklärung die Anfänge des wissenschaftlichen Rassismus zu suchen sind und aus welchen Gründen und mittels welcher Argumentation renommierte Gelehrte die Menschen in Phänotypen einteilten. Folgende drei Fragenkomplexe stehen dabei im Fokus: 1) In welchem geistigen und politischen Klima entstanden die frühen rassentheoretischen Schriften und inwiefern war dieses prägend, wenn nicht sogar essentiell für die Entstehung eines Rassendiskurses? Wurden frühere anthropologische Debatten, wie die Diskussion um den Ursprung der Menschheit oder der Mythos vom ‚edlen‘ beziehungsweise ‚unedlen Wilden‘ in den rassentheoretischen Debatten aufgenommen und weitergeführt? 2) Wer zeigt sich für die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus verantwortlich? Welcher Methoden bedienten sich die Gelehrten und veränderte sich ihr methodischer Ansatz? Inwiefern bauten die Theorien aufeinander auf und inwieweit werden methodische und inhaltliche Parallelen sichtbar? Welche Dynamik ist innerhalb dieses Diskurses festzustellen? 3) Nach welchen somatischen, kulturellen oder gar moralischen Kriterien wurden die Menschen in ‚Rassen‘ eingeteilt? Insbesondere interessiert dabei, wie die rassentheoretischen Schriften aufgebaut sind, wie argumentiert wurde und ob sich eine – wenn auch nur implizite – Wertung feststellen lässt. Daraus ergibt sich die Frage nach einer allfälligen Hierarchie und deren Begründung. Diese Fragen sollen durch eine systematische, komparatistisch und – sofern möglich – chronologisch angelegte Analyse rassentheoretischer Schriften beantwortet werden. Der gewählte methodische Ansatz ermöglicht es, die Entstehung einer Idee – diejenige der menschlichen ‚Rassen‘ – nachzuzeichnen und zu analysieren. Zugleich erlaubt die gewählte komparatistische Methode einen etwaigen Wandel des Diskurses bis hin zu einer eventuellen Radikalisierung aufzuzeigen und Brüche oder eben Kontinuitäten auszumachen. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist ein chronologisches Vorgehen sinnvoll. Danach spaltete sich der einst relativ linear verlaufende Rassendiskurs zusehends auf, mehrere Diskussionen verliefen parallel, wobei weiterhin Verknüpfungen zwischen den einzelnen rassentheoretischen Ansätzen zu beobachten sind. Insbesondere im letzten Viertel ist dabei eine Radikalisierung des Diskurses zu konstatieren: ‚Rassen‘ wurden unter erweiterten Gesichtspunkten systematisch analysiert und klassifiziert, wobei neue Disziplinen wie die Kraniometrie zu einer Ausweitung der Klassifikationsmerkmale beitrugen. Aus diesem Grund lässt sich spätestens ab den 1770er Jahren ein chronologisches Vorgehen nicht mehr rechtfertigen, weshalb die einzelnen Stränge thematisch aufgegliedert werden. Mit dieser leicht veränderten Vorgehensweise wird versucht, der zunehmenden Vielfalt von Diskursen Rechnung zu tragen, ohne 5
Vgl. dazu Dumonts vielzitierte These, dass Rassismus ideengeschichtlich das Gegenstück zur Aufklärung bilde. Dumont, Essais.
12
1. Einleitung
jedoch die Rezeptionsbeziehung zwischen den einzelnen Akteuren zu vernachlässigen. Die drei skizzierten Fragenkomplexe deuten bereits an, dass die Analyse eines Wissensdiskurses im Vordergrund der Studie steht. Dies bedingt, dass sich die Untersuchung auf die theoretische Auseinandersetzung mit der Entstehung der Idee menschlicher ‚Rassen‘ konzentriert. Es gilt deshalb, zwischen rassistischen Haltungen, die explizit nicht Gegenstand der vorliegenden Studie sind, und der Ausformulierung von Rassentheorien zu unterscheiden. Aus der Analyse letzteren schöpft die vorliegende Studie ihre Daseinsberechtigung. Diese Fokussierung bedingt, dass die Frage nach den Auswirkungen der theoretischen Diskussion auf die Praxis nicht im Zentrum des Interesses steht. Die vorliegende Arbeit befasst sich somit ausdrücklich nicht mit dem Rassismus als Alltagsphänomen der damaligen Zeit, sondern mit dessen ideologischer Determinierung. Inwiefern der wissenschaftliche Diskurs Auswirkungen auf die Nichtgelehrtenwelt hatte und beispielsweise von Akteuren wie Staatsmännern, vom Adel, Sklavenhalter oder Bildungsbürgertum aufgegriffen und rezipiert wurde, stellt nicht Untersuchungsgegenstand dar. Ausnahme bilden diejenigen wenigen Fälle, in welchen sich Personen, die sich ausserhalb der Gelehrtenwelt bewegten, aktiv in den Diskurs einbrachten und eigene Rassenkonzepte lieferten, die wiederum in den Gelehrtenkreisen auf Resonanz stiessen. Dazu gehört, dass eine eventuelle Rezeption der Theorien durch die Subjekte der Rassentheorie, die kolonialisierten Völker, ebenfalls nicht Gegenstand der Untersuchung ist.6 Der Untersuchungsraum beschränkt sich primär auf Europa,7 da die Idee der Existenz menschlicher ‚Rassen‘ und deren wissenschaftliche Legitimierung ein europäisches Denksystem waren. Bei den frühen Rassentheorien handelte es sich dabei um ein gesamteuropäisches Phänomen. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich eine räumliche Ausweitung des Diskurses nach Amerika beobachten, das im 19. Jahrhundert neben Europa zum Hauptschauplatz rassentheoretischer Überlegungen wurde. Der Untersuchungszeitraum beginnt 1735, als der schwedische Naturforscher Carl von Linné erstmals die Menschheit aufgrund somatischer Eigenschaften in vier Varietäten einteilte, wobei die Hautfarbe als Hauptklassifikationsmerkmal diente, und endet mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Linnés mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit betriebene frühe Rasseneinteilung markierte den Beginn eines Diskurses, der sich durch das ganze restliche 18. Jahrhundert zog und dessen Analyse Hauptgegenstand der vorliegenden Studie ist. Dabei ist es unausweichlich, wegbereitende Akteure des 17. Jahrhunderts, nämlich Bernier und Petty, mit in die Analyse einzubeziehen. Der Untersuchungszeitraum endet mit den 6
7
Es gibt mehrere Beispiele von in Kolonien lebenden Europäern, welche die rassentheoretischen Schriften teilweise kritisch rezipierten. Zu nennen wären beispielsweise Jeffersons Kritik an Buffon oder jene des Arztes Winterbottom an Soemmerrings Behauptung der Affenähnlichkeit der Schwarzen. Letzterer erachtete Soemmerring als Beispiel für einen auf Abwegen geratenen Naturforscher. Jefferson, Notes, S. 185ff, 190f; Winterbottom, Nachrichten, S. 263ff. Europa wird hier als geographischen Raum verstanden, wobei in beschränktem Masse eine Rezeption des Rassenkonzepts in den angloamerikanischen Kolonien stattfand, wie das Beispiel Jefferson zeigt.
1.1 Methode
13
rassentheoretischen Studien der Spätaufklärung, während das 19. Jahrhundert, in welchem zunehmend völkisches Denken dominierte, bewusst ausgeklammert wird. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, wobei der Schwerpunkt auf den letzten gelegt wird. In einem ersten, einführenden Teil wird ein Überblick über den geistesgeschichtlichen, politischen und institutionellen Hintergrund des Untersuchungszeitraums gegeben. Der Rassendiskurs der Aufklärungszeit kann als Ergebnis eines Zusammentreffens mehrerer Faktoren verstanden werden, die alle zu seiner Entstehung beitrugen und ihn nachhaltig prägten. Das eingangs wiedergegebene Zitat von Soemmerring nährt die These, dass die Gelehrten oftmals in der politischen Realität Inspiration für ihre rassentheoretischen Überlegungen fanden und die Dominanz der Europäer wissenschaftlich zu begründen versuchten. Die europäische Expansion in Übersee führte zu einer Erweiterung des politischen wie auch kulturellen Einflussbereichs der Europäer und schuf zugleich ein neues geistiges Klima, welches nicht zuletzt geprägt war vom Glauben an die eigene Superiorität. Zugleich liess die maritime Expansion den Aussereuropäer in das Bewusstsein der Europäer treten, wobei für die Mehrzahl an Gelehrten die Reiseliteratur als Hauptquelle des Wissens über die fremden Völker diente. Sie zeugt dabei nicht nur von der Wahrnehmung des Anderen und der Auseinandersetzung mit dem Fremden, sondern schuf aufgrund ihres subjektiven Charakters zugleich neue Wahrheiten. Das aufgeklärte Weltbild wiederum veränderte das Denken der Menschen nachhaltig und wirkte prägend auf das neue, vom Wunsch nach dem empirischen Beweis geprägte Wissenschaftsverständnis. Der Aufstieg neuer wissenschaftlicher Disziplinen, die Entwicklung neuer Methoden sowie der Glaube an die Entschlüsselbarkeit der Natur trugen wesentlich dazu bei, dass nicht nur die Natur, sondern auch der Mensch scheinbar klassifizierbar wurde. Die Auseinandersetzung mit dem Menschen war dabei an sich nicht neu, sondern lässt sich bereits seit der Antike beobachten. Zahlreiche frühere anthropologische Debatten wie die Diskussion um die Herkunft der Menschheit, die Suche nach dem ‚missing link‘ wie auch der Versuch, die Diversität der Menschheit anhand der Milieutheorie zu erklären, wurden vom Rassendiskurs der Aufklärungszeit aufgegriffen und absorbiert. Doch erst veränderte institutionelle Rahmenbedingungen führten dazu, dass der frühe Rassendiskurs als länderübergreifender Diskurs überhaupt entstehen konnte. Der Fokus wird dabei auf die neuen Kommunikationsräume gelegt, welche den Akteuren den Austausch ermöglichten und in deren Rahmen auch die Frage nach den menschlichen Varietäten diskutiert wurde. Im ausgehenden 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts sahen sich die Gelehrten einem grundlegenden Wandel ausgesetzt: Der Aufstieg der international ausgerichteten Akademien ermöglichte die Zusammenarbeit und den Austausch jenseits territorialer Grenzen und trug damit wesentlich zur Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts bei.8 Die Gründung von Gelehrtengesellschaften als Raum für Innovationen und Fortschritt legte nicht zuletzt den Grundstein für eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Forschungsreisenden und Schreibtischgelehrten, was zur Generierung neuen Wissens beitrug. Vom Wandel nicht ausge8
Zur generellen Bedeutung der Akademien vgl. insbesondere Dülmen, Gesellschaft; Möller, Akademiegedanke; Oberhummer, Akademien, S. 700–708.
14
1. Einleitung
schlossen blieben auch die Publikationsorgane; neue Publikationsformen wie die wissenschaftliche Zeitschrift führten zu einer länder- und territorienübergreifenden Belebung des wissenschaftlichen Austausches. Neue Erkenntnisse fanden ein grösseres Publikum und wurden schneller verbreitet – eine Entwicklung, welche durch eine ausgeprägte Briefkultur verstärkt wurde.9 Die Darstellung des geistesgeschichtlichen, politischen und institutionellen Ausgangszustands soll bei der Klärung der Frage helfen, weshalb der Rassendiskurs ausgerechnet im Zeitalter der Aufklärung, welches die Gleichheit aller Menschen propagierte, entstand und welche Faktoren gegeben sein mussten, damit sich die Idee der ‚Rasse‘ zu einem europaweiten Phänomen entwickeln konnte. Aufbauend auf den erarbeiteten Erkenntnissen liefert der zweite Teil eine systematische, komparatistisch angelegte Analyse des Rassendiskurses. Zu Beginn bietet sich dabei ein chronologisches Vorgehen an, welches bis in die 1770er Jahre aufrechterhalten werden kann. Diese Vorgehensweise kann im letzten Viertel, wie bereits erläutert, nicht weiter verfolgt werden, da sich der Rassendiskurs aufsplitterte und mehrere Diskussionen parallel abliefen. Anstelle der chronologischen Darstellung tritt für die letzte Phase neu eine thematische. Diese bietet dabei Hand, sowohl Kontinuitäten, Brüche als auch eine eventuelle Radikalisierung des Rassendiskurses aufzeigen zu können. Der Aufbau der Unterkapitel zu den einzelnen Theorien ist dabei identisch. Vorangestellt ist jeweils ein kurzer Abriss zur Biographie und Relevanz des jeweiligen Rassentheoretikers. In einem ersten Schritt wird das methodische Vorgehen des jeweiligen Autors analysiert, welches zugleich Auskunft über die Basis des rassentheoretischen Wissens des jeweiligen Akteurs gibt. Aufbauend auf den erarbeiteten Erkenntnissen folgt eine systematische Untersuchung der Schriften, anhand welcher die Genese der rassentheoretischen Position des jeweiligen Gelehrten sowie allfällige Kontinuitäten und Veränderungen sichtbar gemacht werden. Die Analyse der Rassentheorie des einzelnen Akteurs gilt es dabei in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, um etwaige Parallelen sowie Unterschiede zu früheren Rassentheoretikern herauszuarbeiten. In einem nächsten Schritt wird die Stellung des jeweiligen Akteurs innerhalb des Rassendiskurses der Aufklärungszeit erörtert. Dies geschieht einerseits durch die Analyse persönlicher Netzwerke, andererseits durch die Untersuchung von Rezeptionsbeziehungen. Das Hervorheben von Beziehungsnetzen verweist auf die Vitalität des Diskurses. Das hilft nicht nur dabei, die Position des jeweiligen Akteurs in einen grösseren Zusammenhang zustellen, sondern trägt auch zum besseren Verständnis etwaiger Dispute sowie Unterstützungsbekundungen bei. Abgerundet werden die Kapitel jeweils durch einen Einblick in die aktuelle Forschungsdiskussion sowie einer kurzen Einordnung der jeweiligen Rassentheorie, welche die Bedeutung der entsprechenden rassentheoretischen Überlegungen für den weiteren Verlauf herausarbeitet. Ziel ist es, den einzelnen rassentheoretischen Beitrag in einen grösseren Zusammenhang zustellen und dessen Relevanz zu betonen.
9
Zur Genese der neuen Medienkultur vgl. insbesondere Böning, Aufklärung, S. 151–163; Faulstich, Mediengesellschaft; Habel, Gelehrte Journale; Wilke, Grundzüge; Würgler, Medien.
1.1 Methode
15
Abschliessend findet ein Ausblick auf den Rassendiskurs des 19. und 20. Jahrhunderts statt. Es ist ein zentrales Anliegen der Arbeit, darzulegen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts unabdinglich ist für das Verständnis des ‚modernen‘ Rassismus. Zumindest ansatzweise möchte sie deshalb aufzeigen, inwiefern die frühen Rassentheorien des 18. Jahrhunderts prägend für dessen Genese waren. Eine profunde Auseinandersetzung mit der Wirkungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert bleibt jedoch einer separaten Studie vorbehalten. Das Forschungsprojekt ist interdisziplinär angelegt und lässt sich methodisch an der Schnittstelle zwischen Wissenschafts-, Ideen- und Kulturgeschichte sowie der Historischen Anthropologie verorten. Sowohl die Wissenschaftsgeschichte als auch die Historische Anthropologie bilden ein Themenfeld der (Neuen) Kulturgeschichte,10 wobei Kultur im Sinne von Geertz als allumfassend zu verstehen ist.11 Der frühe Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts, der mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit betrieben wurde, beschränkte sich über weite Teile auf die Gelehrtenwelt; eine Popularisierung rassischen Denkens lässt sich im Gegensatz zum 19. und 20. Jahrhundert erst ansatzweise beobachten.12 Auch wenn ‚Rasse‘ heute als Konstrukt erachtet wird,13 stellte die Rassenkunde, als deren Vorläufer die rassentheoretischen Diskussionen der Aufklärungszeit betrachtet werden müssen, bis weit ins 20. Jahrhundert eine eigene wissenschaftliche Disziplin dar. Die Auseinandersetzung mit ihr muss folglich als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte14 gewertet werden, zumal der Aufstieg neuer Disziplinen, wie die der vergleichenden Anatomie, der Kraniologie sowie insbesondere der Anthropologie eng verbunden mit dem entstehenden Rassendiskurs der Aufklärungszeit war. Insbesondere erstere entstand im Kontext des Interesses an fernen Ländern und deren andersartigen, zunächst als Kuriositäten empfundenen Bewohnern. In ihr äusserte sich der Wunsch, die Frage nach dem Ursprung der Menschheit und der Begründung der Diversität innerhalb des Menschengeschlechts zu erforschen und die menschliche Natur und ihre Geschichte in ihrem Ganzen zu verstehen.15 Der frühe Rassendiskurs markiert einen traditionellen Themenbereich der Historischen Anthropologie.16 Tanner unterscheidet dabei zwischen drei grundlegen10 11 12
13 14 15 16
Daniel, Kompendium, S. 298–313; 361–379. Zur Kulturgeschichte vgl. insbesondere Lutter/ Szöllösi-Janze/Uhl (Hrsg.), Kulturgeschichte; Reckwitz, Transformation; Tschopp/Weber, Grundfragen; Burke, Kulturgeschichte. Geertz, Description, S. 5. So hielten beispielsweise, wie Kirchberger zeigt, britische und amerikanische Geistliche bis weit ins 19. Jahrhundert an ihrem monogenetischen, christlichen Weltbild fest. Die angebliche Inferiorität der Indianer wurde anhand bekannter Stereotypen wie Heidentum, Zurückgebliebenheit bezüglich zivilisatorischen Errungenschaften sowie der Wirtschafts- und Lebensform der Indianer begründet. Rassentheoretische Argumente hingegen flossen nur sehr zögerlich in das Denken der Missionare ein. Kirchberger, Konversion, insb. S. 277f, 283–286. Vgl. Kapitel 1.4. zur Terminologie. Zu den aktuellen Tendenzen der Wissenschaftsgeschichte siehe insbesondere: Biagioli, Reader; Hagner (Hg.), Ansichten. Vgl. Mühlmann, Anthropologie, S. 13. Die Vielfältigkeit, was unter dem Begriff der Historischen Anthropologie zu verstehen ist, ver-
16
1. Einleitung
den Fragestellungen, welche die Historische Anthropologie auszeichnen. Erstens jene nach dem Wandel von Menschenbilder, zweitens die Frage nach sozialen Praktiken und Formen, die das menschliche Zusammenleben prägen und regulieren sowie drittens jene nach der Geschichtlichkeit der menschlichen Natur. Von Belangen für die vorliegende Studie ist insbesondere erstere. In der Offenlegung der eigenen Wahrnehmung manifestieren sich nicht nur Kontinuitäten, sondern auch Umbrüche.17 Tanner betont, dass „das Wissen über den anthropos (...) immer auch ein Nachdenken über die Grenzziehungen und Übergänge zwischen Nichtmenschlichem, Menschlichem und Numinosem“ sei.18 Der Rassendiskurs der Aufklärungszeit beinhaltete grundlegende Überlegungen zum Menschsein. Er versuchte in einem ersten Schritt den Menschen in Abgrenzung zum Tierreich zu definieren, um die Menschheit anschliessend anhand spezifischer Charakteristika in ‚Rassen‘ einzuteilen. Zugleich gibt eine Analyse des rassentheoretischen Diskurses Auskunft über das Selbstbild europäischer Gelehrter sowie die Wahrnehmung fremder Völker. Durch die Konstruktion der Idee menschlicher ‚Rassen‘ wurden Grenzen zwischen den Menschen konstruiert, wobei der Differenzierung trotz ihrem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit stets subjektive Kriterien zugrunde lagen. Eine Geschichte der Entstehung der Idee menschlicher ‚Rasse‘ gibt somit auch Auskunft über die Entwicklung eines spezifischen Menschenbildes. Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zur Ideengeschichte,19 die, Carlo Ginzburg folgend, als Spurensuche nach den so verstandenen Gedanken in Zeit und Raum begriffen werden kann.20 Der deutsche Historiker und eigentliche Begründer der Ideengeschichte Friedrich Meinecke beschrieb diese im Jahre 1924 als Abbildung dessen, was „der denkende Mensch aus dem, was er geschichtlich erlebte, gemacht hat, wie er es geistesgeschichtlich bewältigt, welche ideellen Konsequenzen er daraus gezogen hat“.21 Die Ideengeschichte geht davon aus, dass Ideen nicht beliebig entstehen, sondern eine Reaktion auf Schwierigkeiten oder Probleme der jeweiligen Zeit darstellen. Dabei ist es die Aufgabe des Historikers, zu zeigen, weshalb bestimmte Ideen zu einer gewissen Zeit entstanden und nicht, ob sie wahr sind oder plausibel erscheinen. Ideengeschichte kann zugleich auch als Problemgeschichte aufgefasst werden. Es gilt zu bedenken, dass Ideen zwar Probleme lösen, zugleich aber auch neue schaffen können.22 Bereits das skizzierte methodische Vorgehen sowie die Systematik der Arbeit zeigen, dass sich die vorlie-
17 18 19 20 21 22
unmöglicht faktisch eine klare, abschliessende Definition. Die Schwierigkeit, die Disziplin klar zu definieren, zeigt sich auch bei Winterling, der auf eine Klärung verzichtet und damit die Vielfältigkeit der Disziplin zusätzlich hervorhebt. Winterling, Einleitung, S. 9–30. Reinhard meint dazu lapidar, dass Historische Anthropologie das sei, „was diejenigen Leute, die behaupten, Historische (Kultur-)Anthropologie zu treiben, gerade machen“, um zugleich zu betonen, dass es sich um die „wissenschaftlich kreativste Situation“ handle. Reinhard, Lebensformen, S. 9. Vgl. ausserdem: Tanner, Anthropologie, S. 9–12. Tanner, Anthropologie, S. 21–27. Tanner, Anthropologie, S. 22. Vgl. insbesondere auch Lovejoy, Kette. Ginzburg, Käse, S. 9–22. Meinecke, Idee, 25f. Dorschel, Ideengeschichte, S. 90–101.
1.1 Methode
17
gende Untersuchung an diesem Verständnis von Ideengeschichte orientiert. Die Studie ist so konzipiert, dass die Frage, weshalb die Europäer zu Rassentheoretikern wurden, im Fokus steht. In Kapitel zwei werden die Ausgangsbedingungen erläutert, welche den Diskurs überhaupt erst ermöglichten und somit zur Entstehung der Idee massgeblich beitrugen. Dabei wird die These vertreten, dass die Idee der Existenz menschlicher ‚Rassen‘ einen Erklärungsversuch für die weltweite, realpolitische Dominanz der Europäer bildete und zugleich als Folge eines sich im Zuge der Aufklärung im Wandel begriffenen Weltbildes verstanden werden muss, was sich insbesondere in dem veränderten naturwissenschaftlichen Verständnis widerspiegelte. Da Ideen nicht beliebig entstehen, wird zudem auf frühe anthropologische Debatten eingegangen, um Kontinuitäten sichtbar aufzuzeigen. Das Hauptkapitel wiederum zeichnet die Genese der Idee nach und analysiert diese. Gerade die These, dass Ideengeschichte auch als Problemgeschichte aufgefasst werden muss, scheint im Kontext des Themas fruchtbar. Einerseits trug die Idee menschlicher ‚Rassen‘ dazu bei, dass die Mannigfaltigkeit der Menschheit erfasst und erklärt werden konnte. Andererseits schaffte sie aber auch ein neues Problem: dasjenige des wissenschaftlich begründeten Rassismus. Die europäische Expansion in Übersee liess den Aussereuropäer in das Bewusstsein der Europäer treten. Der frühe Rassendiskurs bildete nicht zuletzt eine Reaktion auf diesen Eintritt; einen Versuch, die Dominanz Europas über weite Teile der Welt wissenschaftlich zu begründen und einen scheinbar empirischen begründeten, anthropologisch Beweis für die politischen Gegebenheiten zu finden. Insofern greift die Untersuchung auch Aspekte der traditionellen Expansions-23 sowie der Verflechtungsgeschichte auf. Die von Randeria skizzierte Vorstellung einer „Geschichte als entanglement“24 nimmt die zahlreichen Interdependenzen und Verflechtungen zwischen den verschiedenen Weltregionen zum eigentlichen Ausgangspunkt der Geschichtsschreibung und stellt dabei die Vorstellung einer „geteilten“ Geschichte in Frage. Das Konzept der entangled history betont dabei nicht nur die Gemeinsamkeiten und Austauschbeziehungen, welche die Geschichte massgeblich prägten, sondern auch die aus der Zirkulation von Gütern, Menschen und Ideen hervorgehende Abgrenzung und Partikularitäten. Territoriale Grenzen rücken in den Hintergrund, stattdessen wird der Austausch von Ideen, Praktiken und Institutionen fokussiert, wobei die Interaktionen nicht nur zur Entstehung von Gemeinsamkeiten, sondern auch zur Entwicklung von Differenzen führten.25 Dieses Konzept kann auch auf die Rassentheorien angewandt werden. Die Expansion der Europäer in Übersee, die koloniale Realität und die auf ihr basierende Erfahrung bildeten den Ausgangspunkt für rassentheoretische Überlegungen. Erst der Kulturkontakt mit aussereuropäischen Völkern, welcher eine Sensibilisierung bezüglich des Fremden mit sich brachte, liess den Wunsch entstehen, das ‚Andere‘ zu ergründen und führten schliesslich zum Verlangen nach einer allgemein gültigen Klassifi23 24 25
Hier sei insbesondere auf folgende Werke verwiesen: Bitterli, Grundzüge; Gründer, Expansion; Fisch, Völkerrecht; Reinhard, Expansion. Allgemeiner zur Geschichte des Kolonialismus: Eckert, Kolonialismus; Osterhammel, Kolonialismus. Conrad/Randeria, Einleitung, S. 17. Condrad/Randeria, Einleitung, S. 17–22. Vgl. auch: Randeria, Geteilte Geschichte, S. 87–96.
18
1. Einleitung
kation der Menschen. Die frühen Rassentheorien stellten dabei einen Versuch dar, die politische Realität, die geprägt war durch die europäische Dominanz über weite Teile der Welt, wissenschaftlich zu ergründen. Insofern können die rassentheoretischen Konzept als ein gesamteuropäisches Produkt der kolonialen Expansion verstanden werden. Ihre Wirkungskraft beschränkte sich nicht ausschliesslich auf Europa. Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden die Theorien in den mittlerweile unabhängigen Vereinigten Staaten zunehmend aufgegriffen und modifiziert. Zugleich übten sie einen direkten Einfluss auf die kolonialisierten Subjekte aus und beeinflussten deren Wahrnehmung durch die Kolonialisten massgeblich – was jedoch nicht Untersuchungsgegenstand der folgenden Arbeit sein soll. Die „Dialektik von Homogenisierung und Abgrenzung“,26 welche Conrad und Randeria beschreiben, kann auch hier nachgewiesen werden. Einerseits wirkte das Konzept der ‚Rassen‘ insofern homogenisierend, als dass es alle Menschen miteinbezog und ihr Menschsein als verbindende Komponente fungierte. Andererseits wurde innerhalb des Konzepts bewusst eine Abgrenzung in Bezug auf Aussehen, Fähigkeiten und Moral geschaffen. Die systematische, analytisch angelegte Auseinandersetzung mit dem rassentheoretischen Diskurs der Aufklärungszeit bietet die Möglichkeit, einen systematischen Einblick in die Frühgeschichte des Rassismus zu erlangen. Zugleich befasst sich die Studie mit einem frühen Versuch, mittels wissenschaftlichen Kategorien das ‚Fremde‘ zu erfassen und einzuordnen und sich von dem ‚Anderen‘ abzugrenzen und Differenzen zu konstruieren. Erst eine umfassende Darstellung des Beginns des wissenschaftlichen Rassismus im 18. Jahrhundert kann die Mechanismen der Abgrenzung vollumfänglich untersuchen und aufzeigen, weshalb es den Gelehrten vonnöten erschien, menschliche Phänotypen zu konstruieren und inwiefern der kulturgeschichtliche und politische Hintergrund diese Klassifikation beeinflussten. Die Untersuchung greift somit einen Themenkomplex auf, welcher kaum an Aktualität verloren hat, zumal der Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts ohne die Rassentheorien der Aufklärungszeit nicht zu verstehen wäre. Ziel der vorliegenden Arbeit soll es jedoch nicht sein, die Behauptungen der frühen Rassentheoretiker einzeln zu widerlegen, die Unsinnigkeit ihrer Theorien zu problematisieren oder ihr Vorgehen anhand der heutigen wissenschaftlichen Standards zu bewerten. Vielmehr soll im Fokus der Studie die Genese einer Idee – jene der menschlichen ‚Rasse‘ – stehen und der sich aus ihr ergebenden Dynamiken. Dabei gilt es bewusst zu machen, dass eine Arbeit über Rassismus – wie auch über Antisemitismus – stets Gefahr läuft, alte, vergessene Stereotypen und Vorurteile zu erneuern und damit das rassistische Narrativ fortzusetzen. Die Forschung zu Rassentheorien stellt stets eine Gratwanderung dar; einerseits darf es nicht Ziel der Studie sein, anhand heutigen moralischen Kriterien und dem Wissen, dass menschliche ‚Rassen‘ ein Konstrukt sind,27 das Vorgehen der Rassentheoretiker im 18. Jahrhundert zu verurteilen. Andererseits gilt es zu vermeiden, Ideen unkritisch nachzuzeichnen, welche in der Retroperspektive katastrophale Auswirkungen bis hin zur planmässigen Vernich26 27
Conrad/Randaria, Einleitung, S. 20. Vgl. Kapitel 1.4.
1.2 Quellenlage
19
tung der als minderwertig geltenden ‚Rassen‘ gehabt und an ihrer Gefährlichkeit – der Postulierung einer natürlichen Ungleichheit – nichts eingebüsst haben. 1.2 QUELLENLAGE Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, einen Wissensdiskurs komparatistisch zu analysieren. Für eine Systematisierung der Quellen bieten sich zweierlei Unterscheidungskriterien an: Zum einen gilt es, zwischen Schrift- und Bildquellen zu unterscheiden. Erstere sind zentral für die vorliegende Arbeit, während letztere eine untergeordnete Rolle spielen, da erstaunlicherweise viele, selbst in der vergleichenden Anatomie angesiedelte Studien auf Bildzeugnisse verzichteten. Zum anderen muss zwischen Quellen rein privaten Charakters und jenen, die publiziert wurden und für die Öffentlichkeit bestimmt waren, differenziert werden. Um einen Wissensdiskurs analysieren zu können, muss die Voraussetzung gegeben sein, dass die zu untersuchenden Quellen auch einer gewissen Öffentlichkeit – in diesem Fall der Gelehrtenwelt – zur Verfügung standen. Dies hat zur Folge, dass unveröffentlichte rassentheoretische Untersuchungen, welche auf keinerlei Resonanz stiessen und deren Verfasser sich nicht am internationalen Diskurs beteiligten, in der vorliegenden Untersuchung nicht berücksichtigt werden können. Hauptquellenkorpus der Untersuchung bilden stattdessen publizierte Quellen. Dazu gehören die rassentheoretischen Studien der gelehrten Akteure der Aufklärungszeit, welche als Monographien oder Zeitschriftenbeiträge veröffentlicht wurden und deren Umfang sich massiv unterschied. Während die einen Rassentheorien skizzenhaft blieben und lediglich aus ein paar wenigen Seiten bestanden, handelte es sich bei anderen um detaillierte, mehrere hundert Seiten umfassende Studien. Zu berücksichtigen ist ausserdem die sich seit dem 17. Jahrhundert einer zunehmenden Beliebtheit erfreuende Gattung der Rezensionen. Diese wurden meist in anonymer Form verfasst und stellten dementsprechend ein beliebtes Medium zur gegenseitigen Kritik dar. Die oben genannten publizierten Quellen sind vergleichsweise gut erschlossen. Ein Teil der frühen rassentheoretischen Schriften fand bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eine relativ grosse Verbreitung, viele der verwendeten Quellen lassen sich deshalb im Altbestand von Staats- und Universitätsbibliotheken finden. Im Zuge der Bemühungen Wissen einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, haben in den letzten Jahren viele Universitäten, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Google, ihre Bestände digitalisiert.28 Darunter befinden sich auch zahlreiche Publikationen aus dem 18. Jahrhundert, die auf diesem Weg zugänglich sind. Insbesondere in Bezug auf die verschiedenen, teilweise divergierenden Auflagen ist dies von nicht zu unterschätzendem Nutzen für die vorliegende Studie. Mehrere Schriften wurden in den letzten Jahrzehnten als Faksimilie nachgedruckt. Erwähnenswert ist vor allem die 2001 von Robert Bernasconi unter dem 28
Prominentes Beispiel ist etwa die Universität Göttingen.
20
1. Einleitung
Titel „Concepts of Race in the Eighteenth Century“ veröffentlichte achtbändige Sammlung der – aus seiner Perspektive – wichtigsten rassentheoretischen Untersuchungen des 18. Jahrhunderts.29 Die Reihe stellt lediglich eine Auswahl dar und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, weshalb wichtige frühe Rassentheoretiker bedauerlicherweise keine Berücksichtigung finden.30 Zudem enthalten die einzelnen Bände jeweils nur die Hauptschrift des jeweiligen Gelehrten. Weniger bedeutende Schriften, deren Berücksichtigung für die Analyse des Diskurses jedoch unerlässlich ist, wurden nicht in die Reihe aufgenommen. Ebenfalls keine Berüchsichtigung in Bernasconis Edition finden Zeitschriftenartikel und Neuauflagen, obwohl sie die Lebendigkeit des Rassendiskurses beweisen. Oftmals regten sie zu wissenschaftlichen Disputen an; so lassen sich beispielsweise Aufsätze als Reaktion auf früher publizierte Studien finden, welche eine erneute Reaktion in Form einer weiteren Studie provozierte. In einzelnen Fällen wurde gar in einer zweiten Auflage auf die Kritik eingegangen, um diese zu widerlegen.31 Neben den publizierten Schriften wird in begrenztem Masse auch auf Quellen rein privaten Charakters zurückgegriffen. Ergänzend zu den einschlägigen rassentheoretischen Schriften wird – soweit möglich – die Korrespondenz der einzelnen Akteure untersucht. Nur die wenigsten frühen Rassentheoretiker wurden mit einer Werkausgabe bedacht.32 Viele Briefwechsel gelten als verschollen, teilweise wurden die Briefe wohl auch bewusst vernichtet.33 Erschwerend kommt hinzu, dass die Briefe oftmals in verschiedensten, über ganz Europa zerstreuten, kleinen Archiven aufbewahrt werden. Da die gegenseitigen Rezeptionsbeziehungen nur in begrenztem Masse Thema der Studie sind und der Aufwand den Rahmen der Arbeit ge29
30 31 32
33
Die Sammlung beinhaltet einen Nachdruck folgender, teilweise nur in Auszügen publizierter Werke: Bernier, François: Nouvelle division de la terre, par les differentes especes ou races d‘hommes que l‘habitent (1684); Linné, Carl von: Anthropomorpha (1760); Maupertuis, Pierre Louis Moreau de: Vénus physique (61751); Buffon, Georges-Louis Leclerc de: Histoire naturelle, générale et particulière 3 (1749); Kant, Immanuel: Von den verschiedenen Racen der Menschen (1775); Kant, Immanuel: Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace (1785); Forster, Georg: Noch etwas über die Menschenrassen (1786); Blumenbach, Johann Friedrich: De generis humani varietate nativa (11775), (21781), (31795); Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte (1798); Smith, Samuel Stanhope: An Essay on the Causes of the Variety of Complexion and Figure in the Human Species (1788); Girtanner, Christoph: Über das Kantische Prinzip für die Naturgeschichte (1796); White, Charles: An account of the regular gradation in man (1799); Soemmerring, Samuel Thomas: Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer (1785). Dazu zählen beispielsweise die Schriften von Petty, Camper, Herder, Voltaire, Homes, Lord Kames, Long, Metzger, Goldsmith und Meiners, die ebenfalls in die vorliegende Studie aufgenommen wurden. Als Beispiel kann neben Soemmerring auch Smith genannt werden. Eine eigene Werkausgabe gibt es beispielweise für Voltaire, Immanuel Kant, Georg Forster und Johann Gottfried Herder. Ein edierter Briefwechsel liegt ausserdem für Blumenbach (bis 1800, Stand Juli 2014), Soemmerring und Buffon vor, während Linnés Korrespondenz digitalisiert wurde. Beispielhaft ist dafür der Briefwechsel zwischen Soemmerring und Forster. Während die Briefe von Letzterem überliefert sind, sind die Antworten Soemmerrings über weite Teile unauffindbar. Vgl. Kapitel 3.7.1. und 3.8.1.
1.3 Forschungsstand
21
sprengt hätte, musste in einigen Fällen auf die Sekundärliteratur zurückgegriffen werden. 1.3 FORSCHUNGSSTAND Die Herausforderung des Forschungsprojekts liegt darin, dass es sich nur marginal auf Sekundärliteratur stützen kann, denn detaillierte Studien zu den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts gibt es kaum. Zwar existieren etliche Werke, welche die Geschichte des Rassismus von der Antike bis zur Neuzeit thematisieren und die Rassensysteme der Aufklärungszeit durchaus erwähnen, eine tiefgründige Auseinandersetzung findet hingegen nicht statt. Allen diesen Studien ist gemein, dass sie die Bedeutung des 18. Jahrhunderts für die Genese des modernen Rassismus betonen, sich jedoch nicht detailliert mit der Aufklärungszeit beschäftigen. Dies liegt primär an ihrer Konzeption, da sie den Rassismus als Phänomen in seiner ganzen Breite untersuchen. Bedauerlicherweise fehlen zudem vergleichende Untersuchungen, welche sich mit einer eventuellen Rezeptionsbeziehung zwischen den einzelnen Rassentheoretikern sowie ihrer Methodik befassen. Das Standardwerk zur Geschichte des Rassismus stammt von Immanuel Geiss, der seine Untersuchung bei der Bibel und der Antike ansetzt. Kurz widmet er sich auch den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts. Geiss tönt deren Bedeutung für die Geschichte des Rassismus durchaus an, indem er zwischen Rassismus und ProtoRassismus unterscheidet, wobei er die Zäsur im Jahre 1775 ansetzt, eine profunde Analyse bleibt aber aufgrund der zeitlichen Breite aus.34 Robert Miles und Malcolm Brown’s Werk „Racism“ bestätigt unabhängig von Geiss dessen Erkenntnisse und liefert eine Bestätigung für einen einheitlichen Wissensdiskurs, der zunehmend auch Aussereuropa ergriff.35 Gleiches gilt für die Darstellung des Franzosen Delacampagne. Auch sein Werk vermag kaum neues Wissen zu generieren, kritisch zu erwähnen sind die mangelnden Belege.36 Eine weitere Studie zum Thema Rassismus stammt von Poliakov, Delacampagne und Girard. Auch sie räumt den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts einen gewissen Platz ein, eine umfassend Auseinandersetzung findet hingegen nicht statt.37 In jüngster Zeit haben ausserdem Christian Koller38 sowie Christian Geulen39 eine Einführung veröffentlicht, in welchen sie ebenfalls den Rassismus der Aufklärungszeit erwähnen. George Mosse wiederum sieht im europäischen Rassismus ein eigenes Denksystem, dessen Wurzeln in der Aufklärung zu suchen sind. Dies mag durchaus stimmen. Doch der Ansatz, eine Geschichte des Rassismus nachzuzeichnen, die in Auschwitz ihren traurigen Höhepunkt erreichte und deren ganze Vorgeschichte als Argumentationslinie für die Judenvernichtung während des Zweiten Weltkrieges 34 35 36 37 38 39
Geiss, Rassismus. Miles/Brown, Racism. Delacampagne, Rassismus. Poliakov/Delacampagne/Girard, Rassismus. Koller, Rassismus. Geulen, Rassismus.
22
1. Einleitung
dient, ist heute aus mehreren Gründen kaum mehr haltbar. Einerseits ist der teleologische Ansatz kritisch zu hinterfragen. Andererseits setzt Mosse über weite Teile Rassismus mit Antisemitismus gleich und blendet dabei die europäische Expansion aus. Im 18. Jahrhundert spielten die Juden in den Rassentheorien jedoch eine marginale Rolle, während der koloniale Kontext für die Entstehung rassischer Denkweise von Mosse faktisch ignoriert wurde. 40 Mosses Arbeit wies jedoch insofern Pioniercharakter auf, als dass er erstmals den bis dahin fast völlig ignorierten Zusammenhang zwischen den Schönheitsidealen der Aufklärung und der Entstehung von Rassentheorien aufzeigte.41 Den Einfluss von ästhetischen Idealvorstellungen auf die frühen Rassentheorien thematisiert auch der Kunsthistoriker David Bindman, der die Verknüpfung von physischer Anthropologie und Ästhetik im Kontext des sich entwickelnden Rassendiskurs nachzeichnet. Zwar beschränkt sich Bindman auf den Aspekt der Ästhetik, seine äusserst lesenswerte Studie hebt sich aber insofern von anderen Darstellungen ab, als dass es deutlich die Entwicklung der physischen Anthropologie bis hin zur Entstehung der Kraniologie nachzuzeichnen vermag.42 Neben den oben erwähnten Untersuchungen zum Phänomen des Rassismus, denen gemein ist, dass sie das 18. Jahrhundert lediglich kursorisch behandeln, gibt es zahlreiche Einzelstudien zu den jeweiligen Rassentheoretikern. In der Mehrzahl in Aufsatzform verfasst und in Zeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht, greifen sie Einzelaspekte heraus, wobei die Anzahl Untersuchungen je nach Rassentheoretiker massiv variiert. Gemeinsam ist ihnen, dass der Fokus jeweils eng gesteckt ist und eine systematische und kontextuelle Einordnung ausbleibt. Beispielhaft für die Fokussierung auf eine Person sind die mehrere Bände umfassenden „Soemmerring-Forschungen“, die den Hauptschwerpunkt auf Soemmerring und dessen Austausch mit anderen Wissenschaftlern seiner Zeit legt und zahlreiche spannende Aufsätze vereint.43 Andere Studien wiederum orientieren sich primär räumlich und versammeln eine Fülle an Aufsätzen zu verschiedenen, thematischen Aspekten. Exemplarisch ist der Sammelband von Bödeker, Büttgen und Espagne, welcher sich mit der Etablierung der ‚Wissenschaft vom Menschen‘ in Göttingen auseinandersetzt.44 Einige wenige Studien setzen sich mit einem bestimmten Rassentheoretiker auseinander und analysieren nicht nur sein Werk, sondern versuchen es zeitgeschichtlich und wissenschaftsgeschichtlich einzuordnen. Als besonders gelungenes Beispiel ist die Studie von Meijer über Petrus Camper zu erwähnen, der es gelingt, die wissenschaftliche Arbeit Campers zu kontextualisieren und so deren Relevanz herauszustreichen.45 Zu erwähnen ist ausserdem eine von Vetter verfasste
40 41 42 43 44 45
Mosse, Rassismus. Mosse, Rassismus. Bindman, Ape. Insbesondere: Mann/Dumont (Hrsg.), Goethezeit; Mann/Dumont (Hrsg.), Gehirn; Mann/Benedum/Kümmel (Hrsg.), Natur. Bödeker/Büttgen/Espagne (Hrsg.), Wissenschaft. Meijer, Race.
1.3 Forschungsstand
23
Studie, welche sich mit Meiners befasst und unter anderem auf einem Aufsatz von Lotter46 aufbaut.47 In dem Aufsatz „Wie die Chinesen gelb wurden“ von Walter Demel wiederum wird ein Ansatz verfolgt, welcher die Hautfarbe – respektive ihre Perzeption – als Ausgangspunkt wählt. Der Autor zeigt darin auf, dass zwischen der Beschreibung der Hautfarbe und der Wahrnehmung des Kulturstandes eines Volkes eine enge Verbindung bestand. Bis weit ins 18. Jahrhundert wurde der Chinese in den meisten Reiseberichten als ‚weiss‘ beschrieben; erst nachdem er als kulturell nicht mehr gleichrangig galt, wurde seine ‚gelbe‘ Hautfarbe betont. Dunkle Hautfarbe, so Demel, war Zeichen einer kulturellen und charakterlichen Inferiorität; wer den Zivilisierungsstandards der Europäer nicht gerecht wurde, konnte folglich auch nicht ‚weiss‘ sein.48 Während die meisten Studien zum Thema Rassismus chronologisch angelegt sind, beschäftigt sich Stephen Jay Gould primär mit der Methode der Kraniologie. Zwar konzentriert er sich zeitlich primär auf das 19. Jahrhundert und vorwiegend auf den amerikanischen Raum. Seine Untersuchung ist aber insofern von Bedeutung für die vorliegende Studie, als dass er die rechnerischen Messfehler, welche den kraniologischen Untersuchungen zu Grunde liegen, aufzeigt, die wiederum der wissenschaftlichen Untermauerung bereits bestehender Vorurteile dienten.49 Thomas Nutz wiederum zeichnet in seiner Studie verschiedene Diskurs über den Menschen – wie jenen der Naturgeschichte und der „Wissenschaft vom Menschen“ in der zweiten Häfte des 18. Jahrhunderts nach und setzt diese zueinander in Beziehung.50 Auch wenn in den Standardwerken zur Geschichte der Anthropologie das 18. Jahrhundert stets als eigentliche Geburtsstunde der Disziplin bezeichnet wird, bleibt eine intensive Auseinandersetzung sowohl bei Mühlmann,51 Krauss52 als auch Moravia53 aus. Daneben beschränken sich viele Werke, welche sich mit der Entstehung der Anthropologie und deren Ursprünge befassen, auf einen bestimmten Sprachraum, ohne die Disziplin jenseits von räumlichen Grenzen als Ganzes zu erfassen und eventuelle Interaktionen sowie Interdependenzen genauer zu analysieren. Beispielhaft ist dafür die Studie von Michèle Duchet, die in der französischen Aufklärungsphilosophie eine der Hauptquellen für die Entstehung der Anthropologie erachtet, sich jedoch ausschliesslich auf den französischsprachigen Raum be-
46 47 48
49 50 51 52 53
Lotter, Meiners, S. 30–75. Vetter, Reduktionismus. Demel, Chinesen, S. 625–666; insbesondere S. 658–662. Zu einem ähnlichen Befund kommt auch Vaughan, der sich mit der wandelnden Perzeption der Hautfarbe der Indianer beschäftigt, sich allerdings auf den englischsprachigen Raum Amerikas beschränkt. Vaughan, White Man, S. 917–953. Zu dem sich wandelnden Indianerbild der Missionsgesellschaften in Grossbritannien und Amerika siehe Kirchberger, Konversion, S. 130–250. Gould, Mensch. Nutz, Varietäten. Mühlmann, Anthropologie. Krauss, Anthropologie. Moravia, Vernunft.
24
1. Einleitung
schränkt.54 Gleiches lässt sich auch in der englischsprachigen Forschung beobachten, welche die Ursprünge der Anthropologie bei den schottischen Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts sieht.55 Die wohl wichtigste Untersuchung zum Thema Kulturkontakt zwischen Europäern und aussereuropäischen Völkern stammt von Urs Bitterli. In der umfassenden Darstellung „Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung“ unterscheidet er ausführlich die verschiedenen Arten des Kulturkontakts. Darin befasst er sich auch mit den wichtigsten Reiseberichten jener Zeit und bezieht sich kurz auf die einzelnen Rassentheoretiker des 18. Jahrhunderts. Eine eingehende Analyse der Rassentheorien bleibt zwar – nicht zuletzt wegen des gross angesetzten Zeitraums von vier Jahrhunderten – aus, was den Wert der Untersuchung aber nicht mindert.56 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rassentheorien des 18. Jahrhunderts in sämtlichen Studien, welche sich sowohl mit der Geschichte des Rassismus als auch mit dem Kulturkontakt zwischen Europäern und aussereuropäischen Völkern beschäftigen, erwähnt werden. Ihre Wichtigkeit wird zwar betont, aber sie spielen stets eine untergeordnete Rolle und eine profunde Analyse bleibt bedauerlicherweise aus. 1.4 TERMINOLOGIE Die vorliegende Arbeit operiert mit Begriffen wie ‚Rassen‘ und ‚Rassismus‘, welche – insbesondere im Deutschen – historisch vorbelastet sind. Aus diesem Grund ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Rassen- und Rassismusterminologie unausweichlich, um die beiden Begriffe für die Arbeit nutzbar zu machen. Eine Annäherung an den Rasse-Begriff gestaltet sich als äusserst schwierig, da sich seit der erstmaligen Verwendung des Terminus trotz unzähligen Bemühungen keine einheitliche Begriffsverwendung durchsetzten konnte. Diese Vielfalt an Begriffserklärungen besteht bis heute und lässt sich auch in der Sekundärliteratur nachweisen.57 Der Begriff der Menschenrasse, der die Menschen anhand ihrer geografischen Herkunft und Hautfarbe in Gruppen einteilt, gilt aus heutiger Sicht als veraltet. Die Enzyklopädie „Brockhaus“ aus dem Jahre 2006 lehnt ihn mit der Begründung ab, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Varietäten willkürlich gezogen seien und somit allgemein verbindliche Kriterien fehlten. Da es im Laufe der Zeit zu Vermischungen gekommen sei und noch immer komme, müsse eine reinerbige ‚Menschenrasse‘ Menschenrasse‘ als inexistent bezeichnet werden. Nach heutigem Wissensstand – so der Brockhaus – handle es sich daher nicht um eine biologische Kategorie, sondern um ein sozialpsychologisches Konstrukt.58
54 55 56 57 58
Duchet, Anthropologie. Norman, Moral Philosophers. Bitterli, Grundzüge. Geiss, Rassismus, S. 38. Brockhaus, Menschenrassen, S. 256.
1.4 Terminologie
25
Zwar ist der biologische Begriff ‚Rasse‘ aus wissenschaftlicher Sicht in seiner Grundbedeutung wertfrei, doch durch die planmässige Vernichtung ‚minderwertiger Rassen‘ während den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts im nationalsozialistischen Deutschland ist er ideologisch derart aufgeladen, dass eine Verwendung heute kaum mehr möglich erscheint. Conze bringt diese Problematik prägnant auf den Punkt, wenn er schreibt: „Soweit das Wort dazu dient, Menschentypen nach somatischen Merkmalen zu klassifizieren, wurde und blieb ‚Rasse‘ ein zunächst naturgeschichtlicher, dann naturwissenschaftlich-anthropologischer Begriff deskriptiver Art. Doch da dem Begriff von vornherein durch das ihm zugehörige Kriterium der Abstammungsgemeinschaft ein politischer Wertgehalt innewohnte, drangen Wort und Begriff ‚Rasse‘ in die politisch-soziale Sprache ein und machten darin eine Begriffsgeschichte durch, die bis zu ‚Rassismus‘ führte.“59
Die Etymologie des Begriffs ist umstritten, erste Belege im 13. Jahrhundert lassen sich im romanischen Sprachraum finden, wo ‚razza‘ (italienisch), ‚raza‘ (spanisch), ‚raça‘ (portugiesisch) und ‚race‘ (französisch) gelegentlich verwendet wurden. Im 16. Jahrhundert setzte sich ‚race‘ auch im englischen Sprachraum durch und fand ebenfalls in deutschen Texten Gebrauch – die deutsche Schreibweise ‚Rasse‘ setzte sich jedoch erst im 19. Jahrhundert durch. Bis weit ins 17. Jahrhundert bezog sich der Terminus lediglich auf die familiäre und ständische Zugehörigkeit, wobei die Abgrenzung der noblen, aristokratischen Schicht gegenüber dem gemeinen Volk im Vordergrund stand.60 Ausnahme bildete das frühneuzeitliche Spanien, wo der Begriff bereits während der Reconquista zur Unterscheidung von Menschengruppen aufgrund ihrer Kultur, Herkunft und Religion verwendet wurde.61 Erstmalige wissenschaftliche Verwendung fand der Terminus in einem 1684 veröffentlichten Essay des französischen Arztes und Forschungsreisenden François Bernier (1620–1688). Er brauchte race als Synonym von espèce und somit erstmals im modernen Sinn als Bezeichnung einer Menschengruppe, ohne ihn jedoch als naturgeschichtlichen Ordnungsbegriff zu verwenden.62 Im 18. Jahrhundert – dem Untersuchungszeitraum der Studie – diente der Rassenbegriff primär dem wissenschaftlichen Bedürfnis, das natürliche System der verschiedenen Arten der Pflanzen- und Tierwelt sowie des Menschen ordnend zu begreifen.63 Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich von Anfang an um ein Konstrukt oder, wie der britische Soziologe Miles schreibt, stets um eine gesellschaftliche Fiktion und nie um ein biologisches Faktum handelte. Denn die Tatsache, dass bereits von Beginn an nur bestimmten physischen Merkmalen wie der Hautfarbe eine Bedeutung zugeschrieben wurden, während andere völlig ausser Acht gelassen wurden,64 wertet Miles als klares Indiz dafür, dass es nie um eine wirklich naturgegebene Unter59 60 61 62 63 64
Conze/Sommer, Rasse, S. 135. Conze/Sommer, Rasse, S. 137ff.; Geiss, Rassismus, S. 16ff. Geulen, Rassismus, S. 7f. Vgl. Kapitel 3.1. Conze/Sommer, Rasse, S. 136. Miles und Brown verwenden hier als Beispiel einer Klassifikationsmöglichkeit grosse und kleine Ohren, was eine Einteilung von Menschen unabhängig ihrer geographischen Herkunft und Hautfarbe ermöglichen würde. Miles/Brown, Racism, S. 95f
26
1. Einleitung
teilung der Menschheit ging. Er betont, dass die Selektion gewisser biologischer und somatischer Eigenschaften primär als Mittel zur Klassifikation und Kategorisierung diente, wobei genau jene Eigenschaften in den Fokus rückten, welche den Unterschied zwischen den einzelnen ‚Rassen‘ augenscheinlich machten.65 Der deutsche Soziologe Hund plädiert für ein Zweiphasensystem, welches der Rassenbegriff durchlaufen habe. In einer ersten Phase sei der Begriff zur Abgrenzung des Adels gegenüber den restlichen Gesellschaftsgruppen verwendet worden, wobei Besitz und Macht als naturgegeben und erblich bedingt erachtet wurden. In Folge der europäischen Expansion und der daraus resultierenden Unterwerfung weiter Teile der Welt habe in einem zweiten Schritt eine Anthropologisierung des Begriffs stattgefunden. Die europäische Dominanz sei durch den Rassenbegriff als logische Folgerung einer natürlichen Ungleichheit der aussereuropäischen Völker erklärt worden. Die Anthropologisierung des Rassenbegriffs durchlief dabei gemäss Hund drei Phasen. In einer ersten seien die Menschen im Zeitalter der Aufklärung aufgrund ihrer Hautfarbe in unterschiedlich zu Fortschritt begabte ‚Rassen‘ eingeteilt worden. Der Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts und die von ihm herausgearbeiteten Entwicklungsunterschiede in Schädel und Knochen bildet bei Hund eine zweite Phase, ehe im 20. Jahrhundert die Rassenunterschiede als genetisch bedingt erklärt wurden.66 Poliakov wiederum unterscheidet zwischen einer biologischen und einer soziologischen Bedeutung des Rassenbegriffs. Die biologische Deutung des Begriffs umfasst den Versuch, Menschen in Gruppen aufzuteilen, zu isolieren und sie anhand ihrer Erbanlage zu unterscheiden.67 Die soziologische Bedeutung hingegen zielt auf eine Gruppe von Menschen ab, die sich geistige und körperliche Eigenschaften sowie einen gemeinsamen Ursprung zuschreibt, „ein Glaube, der häufig eine Haltung der Feindseligkeit oder Verachtung in Bezug auf eine andere Gruppe mit sich bringt – und eben das ist Rassismus.“68 Er macht zu Recht geltend, dass sich das Konstrukt der ‚Rasse‘ nicht nur auf äussere Merkmale beschränkt, sondern auch geistige, mithin kulturelle Zusammengehörigkeit beinhaltet. Dieser Aspekt ist von enormer Bedeutung, da sich die Hierarchisierung stets auch auf eine kulturelle Überlegenheit der einen ‚Rasse‘ über die andere stützte. Eine Klassifizierung in ‚überlegene‘ und ‚unterlegene Rassen‘ gehört zu den zentralen Eigenschaften des Begriffs.69 Die Einteilung der Menschen in ‚Rassen‘, wie es im 18. Jahrhundert geschah, wird von der Forschung nicht als primär problematisch erachtet, sondern erst die daraus resultierenden Konsequenzen der Klassifizierung und Hierarchisierung.70 Dass somatische und genetische Unterschiede zwischen Menschen existieren, gilt als unbestritten. Da eine ‚Rasse‘ jedoch keine naturgegebene Bevölkerungsgruppe sei, so Miles und Brown, müssten die Gründe und Bedingungen, welche 65 66 67 68 69 70
Ebd. Hund, Rassismus, S. 13f. Poliakov, Anatomie, S. 11ff. Poliakov, Anatomie, S. 13. Geiss, Rassismus, S. 15. Ebd., S. 39; Poliakov, Anatomie, S. 20f.
1.4 Terminologie
27
hinter diesem gesellschaftlichen Prozess der Benennung, Konstituierung und Ausgrenzung von sozialen Gruppen stehen, analysiert werden.71 Damit folgen sie Taguieff, der betont, dass Rassenunterschiede niemals zur Erklärung von Tatsachen dienen können, sondern vielmehr „einen sozial produzierten Effekt“ darstellen und somit soziologisch zu erklären seien.72 Beide weisen darauf hin, dass sich der Rassenbegriff nicht alleine auf sichtbare äussere Merkmale beschränkt, sondern dass immer ein gesellschaftlicher Prozess dahinter steckt, den es zu analysieren gilt. Diesen Standpunkt vertritt auch Malik, welcher ‚Rasse‘ als statistische Angabe, nicht als objektiven Fakt erachtet. Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen ‚Rassen‘ ist dementsprechend nicht von Natur aus gegeben, sondern sozial definiert, was die Reduktion auf einige wenige Klassifikationskriterien sowie die stetige Wandlung des Begriffs erklärt. Rassentheorien sagen somit primär etwas über die Gesellschaft, die sie verwendet, weshalb sie erst durch die Analyse der Beziehung zwischen Gesellschaft, Menschheit und Natur in ihrem sozialen und historischen Kontext verstanden werden können.73 Dieser Punkt ist auch für die vorliegende Studie von Bedeutung, da die sozialen und politischen Verhältnisse und Veränderungen, welche den Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts erst ermöglichten, ebenfalls zu berücksichtigen sind. Insbesondere gilt es, zu analysieren, ob bereits in der Aufklärungszeit eine Klassifizierung und Hierarchisierung von Menschen aufgrund ihrer ‚rassischen‘ Zugehörigkeit zu beobachten und ob somit der Rassenbegriff bereits – der einschlägigen Forschung folgend74 – als problematisch zu bewerten ist. Eng verwandt und abhängig vom Rassenterminus ist der Begriff des Rassismus. Im Kontext der Arbeit stellt sich zwangsläufig die Frage nach einer Bewertung der Rassentheorien des 18. Jahrhunderts, das heisst, ob sie bereits als rassistisch zu erachten sind oder lediglich eine ethnozentrische Sichtweise widerspiegeln. Erschwert wird die Suche nach einer schlüssigen Antwort dadurch, als dass der Begriff Rassismus selbst aus dem 20. Jahrhundert stammt und dessen Verwendung zur Bezeichnung früherer Diskriminierungen nicht unumstritten ist.75 Doch obwohl es sich um einen relativ neuen Begriff handelt, ist die Unterscheidung zwischen dem ‚wir‘ und ‚den Anderen‘ sowie die damit verbundene Ausgrenzung kein Phänomen der Moderne. Vielmehr lässt sich diese Unterscheidung bis in die Antike zurückverfolgen.76 Hund vertritt deshalb die These, dass es Rassismus bereits vor der Ent71 72 73 74 75 76
Miles/Brown, Racism, S. 98. Taguieff, Macht, S. 97. Malik, Meaning, S. 4ff. Geiss, Rassismus, S. 39; Poliakov, Anatomie, S. 20f. Vgl. Terkessidis, Psychologie, S. 67. Der Begriff ‚Rassismus‘, welcher sich von jenem der ‚Rasse‘ ableitet, wurde in den 1930er Jahren wesentlich von Magnus Hirschfeld geprägt, setzte sich aber erst 1945 im alltäglichen Sprachgebrauch durch. Geulen, Rassismus, S. 47. Hund, Rassismus im Kontext, S. 17–26; vgl. dazu auch: Fredrickson, Racism, S. 9. Fredrickson verweist auf die unüberbrückbare und permanente Unterscheidung zwischen „denen“ und „uns“, da der Rassismus eine Koexistenz verneine, während ein Individuum die ethnische Zugehörigkeit selbst durch einen Identitätswechsel nicht ablegen könne. Die Frage, ob bereits in der Antike von einer Form von Rassismus gesprochen werden könne, beschäftigt auch die Forschung. Vgl. hierzu insbesondere Sassi, Science. Sassi gesteht zwar ein, dass der Ethnozen-
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1. Einleitung
wicklung des Rassenbegriffs gegeben habe, wenn er argumentiert, dass jede Unterscheidung von Geschlechtern, Klassen, Nationen oder Kulturen rassistischen Ursprungs sei.77 Damit widerspricht er Geiss, der die heutige ideologische Aufladung des Rassenbegriffs, welcher unweigerlich mit dem Genozid an den Juden in Verbindung gebracht wird, einzudämmen versucht, indem er eine Unterscheidung zwischen Rassismus und Proto-Rassismus vorschlägt. Geiss datiert dabei das Geburtsjahr des modernen Rassismus auf 1775, als erstmals ‚Rassen‘ mit der Zuordnung von positiven bzw. negativen geistigen und moralischen Werten in Verbindung gebracht wurden. Geiss begründet die Datierung mit der Publikation zweier Werke, der „History of Jamaica“ von Edward Long im Jahre 1774 und der Dissertation Johann Friedrich Blumenbachs im Folgejahr.78 Diese Auffassung betont die Wichtigkeit der Aufklärungszeit für die Genese des modernen Rassismus und argumentiert mittels des naturwissenschaftlichen Kriteriums der Klassifikation. Historiker wie Walter Demel und Paul Münch haben diese Unterscheidung übernommen, den Begriff aber insofern verändert, als dass sie von Prärassismus79 respektive einer prärassistischen80 Periode sprechen. Demel präzisiert dabei den Begriff noch zusätzlich, indem er den Übergang vom Prärassismus zum Rassismus mit dem Beginn der wissenschaftlichen Begründung der Unterschiede zwischen den Menschen angibt.81 Die Unterscheidung zwischen modernem Rassismus und Prärassismus ist nicht unbestritten. Terkessidis lehnt die Trennung strikt ab, wobei er den Beginn des Rassismus auf 1492 in Spanien datiert. Als Begründung nennt er neben der Reconquista und der Entdeckung Amerikas das Prinzip der Blutsreinheit (limpieza de sangre). Diese legte für die Bekleidung von öffentlichen Ämtern den Nachweis der Blutreinheit über drei Generationen fest – und diskriminierte damit willentlich Konvertiten. Die graduelle Abstufung in soziale Schichten fand auch in der Neuen Welt ihre Anwendung und führte zu einer Hierarchisierung der Gesellschaft allerdings anhand des Kriteriums der Hautfarbe.82 Terkessidis wiederum unterscheidet zwischen einem universellen und einem superioren Rassismus: „Das ‚Apriori‘ der wissenschaftlichen Betrachtung bis etwa 1800 war die sogenannte ‚Naturgeschichte‘. Der Forscher repräsentierte die universelle Ordnung der von Gott geschaffenen Welt, indem er eine als kontinuierlich verstandene Natur klassifizierte. Daher blieb die Vorstellung der Kontinuität, also einer grundsätzlichen Ähnlichkeit zwischen dem Eigenen und dem Anderen bis zum beginnenden 19. Jahrhundert intakt.“83
77 78 79 80 81 82 83
trismus der antiken Griechen durchaus aggressive Züge aufwies. Sie macht aber darauf aufmerksam, dass somatische Merkmale wie die Hautfarbe nicht biologisch, sondern klimatisch begründet und somit nicht als absolut erachtet wurden. Sassi, Science, S. 24. Vgl. ausserdem: Snowden, Blacks; Thompson, Romans. Fredrickson, Racism, S. 24. Geiss, Rassismus, S. 17–19, 151ff. Demel, Chinesen, S. 637. Münch, Menschen, S. 89. Demel, Chinesen, S. 637. Terkessidis, Psychologie, S. 84ff. Ebd., S. 89.
1.4 Terminologie
29
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hingegen – so Terkessidis – rückte diese grundsätzliche Ähnlichkeit zunehmend in den Hintergrund, bis sie schlussendlich ganz zum Verschwinden kam. Der monogenetische84 Ursprung aller Menschen wurde in Frage gestellt und verneint, während die Angst vor einer Degeneration der ‚weissen‘, ‚kulturschöpferischen Rasse‘ zunahm.85 Die binäre Sichtweise der Rassismusanalyse, welche sich entweder auf den Mechanismus der Ein- und Ausgrenzung oder auf das anthropologische Konzept der ‚Rasse‘ konzentriert, wird von Hering Torres kritisiert. Stattdessen plädiert er dafür, die historische Vorstellung der ‚Rasse‘ als „chamäleonhafte Variable“86 zu verstehen. Er erachtet die Festlegung eines Beginns des Rassismus als wenig ergiebig. Vielmehr solle die Frage in den Fokus rücken, wie im Laufe der Geschichte biologische Vererbbarkeit und Andersartigkeit zur Etablierung von Machtverhältnissen und Hierarchien verwendet wurden.87 Der französische Soziologe Taguieff wiederum unterscheidet zwischen drei Ebenen heterophober Vorurteile – einem Primär-, Sekundär- und Teritärrassismus. Während er das Gefühl des Misstrauens gegenüber dem Fremden, das zur Flucht führen oder in Aggressionen ausarten könne, als Primärrassismus bezeichnet, sieht er Ethnozentrismus als Sekundärrassismus, wobei dieser nicht zwangsläufig zu Aggression, Verfolgung, Exklusion oder Krieg führen müsse. Der Tertiärrassismus setze die beiden ersten Ebenen voraus. Charakteristisch für ihn ist das Eindringen eines biologischen Vokabulars, wobei er erst durch die wissenschaftliche Legitimierung ermöglicht werde.88 Ob nun von einer Unterscheidung zwischen Proto- respektive Prärassismus und Rassismus, von verschiedenen Stufen des Rassismus oder einem universellen und superioren Rassismus gesprochen wird, zu beachten gilt, dass letzterer auf ersterem aufbaut und lediglich eine Verschärfung oder Radikalisierung darstellt. Rassenhass oder die Angst vor einer Vermischung mit ‚minderwertigen Rassen‘ mag – mit Ausnahme von Meiners89 und in beschränktem Masse auch Kant90 – den Theoretikern des 18. Jahrhunderts noch unbekannt gewesen sein. Eine eurozentrische Sichtweise sowie ein Überlegenheitsgefühl gegenüber sämtlichen nicht-weissen ‚Rassen‘ weisen alle Theorien aber, wie es noch zu zeigen gilt, bereits auf. Die Rassentheorien der Aufklärungszeit bilden das Fundament der modernen rassistischen Schriften des 19. und 20. Jahrhunderts, was eine detaillierte Auseinandersetzung mit ihnen unausweichlich erscheinen lässt. Im Kontext der Arbeit stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es sich bei den frühen Rassentheoretikern um Rassisten handelte. Die Frage ist zwar durchaus be84 85 86 87 88 89 90
Die Begriffe der Monogenese sowie Polygenese stammt aus dem 19. Jahrhundert. Gemäss Sebastiani wurden sie erstmalig 1857 in einem Schreiben der Anthropological School of Philadelphia verwendet. Sebastiani, Scottish Enlightenment, S. 9. Ebd., S. 92f. Hering Torres, Rassismus, S. 250. Ebd., S. 200f, 250, 261. Taguieff, Macht, S. 79–85. Siehe Kapitel 3.10.2. Siehe Kapitel 3.7.
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1. Einleitung
rechtigt, sie ist jedoch nicht nur anachronistisch, sondern auch deterministisch. An diesem Punkt soll deshalb auf die von Todorov entwickelte Unterscheidung zwischen ‚racisme‘ and ‚racialisme‘ hingewiesen werden, die für die Fragestellung der vorliegenden Studie fruchtbar erscheint. Während Todorov unter dem Begriff ‚racisme‘ ein Verhalten versteht, das sich in Hass oder Ablehnung gegenüber einem anderen Individuum äussert, das ein divergierendes physisches Charakteristium aufweist, definiert er ‚racialisme‘ als Ideologie respektive Doktrin menschlicher Rassen. Dabei macht er geltend, dass zwischen ‚racisme‘ und ‚racialism‘ nicht notgedrungen eine Beziehung bestehen muss. Ein gewöhnlicher Rassist wiederum ist nicht zwangsläufig ein Theoretiker, der sein Verhalten mittels wissenschaftlichen Argumenten rechtfertigt, während der Rassentheoretiker nicht automatisch mit einem Rassisten gleichzusetzen ist. Seine theoretische Sichtweise muss nicht zwangsläufig sein Verhalten bestimmen, noch impliziert die Theorie automatisch die Postulierung der Superiorität der einen ‚Rasse‘ über die andere. Während sich ‚racisme‘ – hier als eine Spielart des Ethnozentrismus verstanden – überall finden lässt, widerspiegelt ‚racialisme‘ eine Idee, welche in der westlichen Welt ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstand. Diese beinhaltet fünf Voraussetzungen: Erstens setzt sie den Glauben an die Existenz von ‚Rassen‘ (l’existence des races) voraus. Zweitens pocht sie auf die Verbindung zwischen dem physischen Erscheinungsbild und dem Charakter (la continuité entre physique et moral). Der Racialist ist überzeugt, dass physische und moralische Charakteristika voneinander abhängen, weshalb die physische Verschiedenheit immer auch eine kulturelle Differenz beinhaltet. Drittens geht die Doktrin davon aus, dass das Verhalten des Einzelnen von der Gruppe abhängt, zu welcher er gehört (l’action du groupe sur l’individu). Viertens setzt der Racialist eine Hierarchie der Werte (hiérarchie unique des valeurs) voraus. Er ist somit nicht nur von der Existenz rassischer Unterschied überzeugt, er glaubt vielmehr, dass es superiore ‚Rassen‘ – zumeist diejenige, zu welcher er sich selbst zugehörig zählt – gebe. Während es auf der physischen Ebene zumeist zu einer Wertung auf der Basis von ästhetischen Idealen kommt, wird zugleich eine intellektuelle und moralische Überlegenheit betont. Diese vier Punkte führen zu einer Weltsicht, die auf angeblich empirisch nachprüfbaren Beobachtungen fusst und die in einem letzten Schritt zu einer auf Wissen basierenden Politik (politique fondée sur le savoir) führt. Die Theorie wird in die Praxis umgesetzt, wobei die Verbindung der beiden Konzepte – ‚racisme‘ and ‚racialisme‘ – katastrophale Auswirkungen, wie die Vernichtung ganzer Völker, haben kann.91 Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich somit, um auf Toderov zurückzugreifen, weniger mit ‚racisme‘ als mit dem Konzept des ‚racialisme‘, wobei sie sich auf die Punkte eins bis vier beschränkt. Der fünfte Punkt wird bewusst nicht berücksichtigt, da nicht die praktische Umsetzung des Konzepts im Fokus steht, sondern die Entstehung und Entwicklung des rassentheoretischen Denkens.
91
Todorov, Nous et les autres, S. 113–119.
2. HINTERGRUND Wird Ideengeschichte, wie von Ginzburg propagiert, als Spurensuche nach Gedanken in Zeit und Raum verstanden,1 scheint es unerlässlich, nicht nur die Idee an sich zu analysieren, sondern auch das zeitliche Umfeld, welches zu ihrer Genese massgeblich beitrug. Ideen entstehen dabei, wie Dorschel ausführt, nicht aus dem Nichts, sondern bilden eine Reaktion auf bestehende Schwierigkeiten.2 Sie zeigen auf, wie der Mensch die Realität, mit welcher er sich konfrontiert sah, zu verarbeiten versuchte.3 Wenn Ideen ein Produkt ihrer Zeit sind, so muss der Rassendiskurs der Aufklärungszeit als Ergebnis einer spezifischen Konstellation mehrerer Faktoren verstanden werden, welche zu seiner Entstehung beitrugen und ihn nachhaltig prägten. Die Idee der menschlichen ‚Rasse‘ entstand diesem Verständnis folgend nicht zufällig während der Aufklärung, sondern bildete eine Konsequenz daraus.4 Die verschiedenen Faktoren, welche zur Genese der Idee menschlicher ‚Rassen‘ beitrugen, gilt es im Folgenden herauszuarbeiten und zu analysieren, wobei die Skizzierung des geistesgeschichtlichen und politischen Ausgangszustandes bei der Klärung der Frage helfen soll, weshalb der Rassendiskurs ausgerechnet im 18. Jahrhundert entstand und inwiefern er auf früheren Diskursen aufbaute. 2.1 EUROPÄISCHE EXPANSION Die im 15. Jahrhundert einsetzende Expansion der Europäer in Übersee veränderte die Welt nachhaltig. Die Entdeckung Amerikas 14925 und des Seewegs nach Indien sechs Jahre später stellten den Beginn eines neuen, von der europäischen Expansion geprägten Zeitalters dar. Während die Voraussetzung für ihr Gelingen im Mittelalter zu suchen ist – in den neuen technischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Navigation und dem Schiffbau, welche erst die Hochseeschifffahrt und damit die Kolonialisierung der aussereuropäischen Welt ermöglichten –, markierten die Entdeckungsfahrten zugleich das endgültige Ende der mittelalterlichen Weltvorstellung sowie der damit verbundenen Mythen.6 Die Entdeckungsreisen bildeten den Beginn eines beispiellosen Eroberungszugs, welcher in der Kolonialisierung weiter Teile der aussereuropäischen Welt sowie der damit verbundenen Un1 2 3 4 5 6
Ginzburg, Käse, S. 9–22. Siehe auch die Ausführungen weiter oben. Dorschel, Ideengeschichte, S. 90. Meineke, Idee, S. 25f. Vgl. hier auch Adorno/Horkheimer, Dialektik. Auf eine exakte Wiedergabe der europäischen Expansion in der Neuen Welt und der damit verbundenen Kolonialisierung wird verzichtet und stattdessen auf die einschlägigen Werke verwiesen. Vgl. u. a. Bitterli, Grundzüge; Gründer, Expansion; Reinhard, Expansion. Gründer, Expansion, S. 21–26; Gründer, Welteroberung, S. 11.
32
2. Hintergrund
terwerfung von deren Bewohnern resultierte. Sie begründeten die politische, wie auch wirtschaftliche Dominanz der Europäer, welche rund vier Jahrhunderte andauern sollte.7 Im Gegensatz zum 15., 16. und 19. Jahrhundert, die sich durch die weitläufige räumliche Ausbreitung der Europäer in Amerika, Asien und Afrika charakterisierten, fiel die Entdeckung und Eroberung neuer Gebiete im Zeitalter der Aufklärung vergleichsweise bescheiden aus. Nennenswerte Ausnahmen bildeten die Weltumseglungen von James Cook, Louis Antoine de Bougainville und Jean-François de La Pérouse zwischen 1768 und 1775, die zur Entdeckung der Südsee führten, die Kamtschatka-Expeditionen Vitius Berings sowie Entdeckungsreisen von Missionaren und französischen Kolonialoffizieren ins Innere Nordamerikas.8 Stattdessen wurde das Zeitalter der Aufklärung geprägt durch Umbrüche, welche die kulturellen und politischen Beziehungen zwischen Europa und Übersee massgeblich prägten. Zwei Ereignisse gilt es besonders hervorzuheben: Durch die Amerikanische Revolution von 1776–1781 verloren die Europäer erstmals in der Geschichte kolonialen Besitz. Zugleich inspirierte der Unabhängigkeitskrieg der Amerikaner zahlreiche antikolonialistische Bewegungen und sollte zum Vorbild für die späteren Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika werden. Die Haitianische Revolution von 1791 – ein Sklavenaufstand – mündete 1804 in den ersten von ehemaligen Sklaven geführten Staat und sollte ebenfalls zum Vorbild für spätere Unabhängigkeitsbewegungen werden.9 Mit der Kolonialisierung nahm ein komplexer Prozess seinen Lauf, der zur Europäisierung weiter Teile der Welt führte und sich längst nicht nur auf die Etablierung politischer Herrschaft und die ökonomische Ausbeutung der kolonialisierten Gebiete beschränkte.10 Die Auswirkungen der europäischen Expansion waren mannigfaltig und sollten sowohl das Leben der Menschen in den Kolonien, als auch jenes der Menschen in Europa nachhaltig prägen. Die Besiedlung mancher eroberten Gebiete durch europäische Einwanderer – wie beispielsweise in Nordamerika –, führte oftmals zur Bildung europäisch geprägter Kolonien, welche zumeist gleichbedeutend mit der Verdrängung der indigenen Bevölkerung bis hin zu deren physischen Vernichtung aufgrund militärischer Konflikte, Versklavung oder dem Mikrobenschock führte.11 Zugleich brachte die Expansion die Verbreitung religiöser und kultureller Vorstellungen mit sich, die alle Lebensbereiche der Kolonien umfassten und welche zur Durchsetzung der christlich-abendländischen Wertvorstellung führten. Exemplarisch dafür stehen die Christianisierungs- und Zivilisierungsbemühun7 8 9 10
11
Gründer, Welteroberung, S. 11. Lüsebrink, Wissen, S. 630. Lüsebrink, Faszination, S. 9f. Osterhammel skizziert fünf verschiedene Typen der Eroberung, auf welche hier nicht weiter eingegangen werden soll: 1) Entdeckung und unverzügliche Eroberung (Süd- und Mittelamerika), 2) Entdeckung ohne Eroberung im Kontakt mit ‚Wilden‘ (Südsee), 3) Entdeckung ohne Eroberung im Kontakt mit ‚Zivilisierten‘ (Japan und China), 4) Eroberung ohne zeitlich präzisierbare Entdeckung (Indien), 5) weder Eroberung noch Entdeckung (islamischer Raum). Osterhammel, Entdeckung, S. 183–202. Ebd., S. 13f.
2.1 Europäische Expansion
33
gen der Europäer in gewissen Kolonien,12 wobei dem Christentum eine Doppelrolle zufiel. Erstens war es von eminenter Bedeutung für die Unterordnung der Eroberten als Subjekte eines religiös verstandenen Königs, was zur Entwicklung eines Staatswesens nach europäischen Vorstellungen beitrug. Zweitens lieferte die Bekehrung der Heiden und die damit verbundene Postulierung ihrer Unmündigkeit eine willkommene Legitimierung der Kolonialisierung.13 Doch die europäische Expansion hatte nicht nur Folgen für die indigene Bevölkerung in den Kolonien, sondern beeinflusste auch die Geisteshaltung der Menschen in Europa. Die sich in ihr manifestierende wirtschaftliche und militärische Überlegenheit der Europäer, welche sich insbesondere in der Eroberung Amerikas sowie dem äusserst profitablen Dreieckshandel mit Afrika zeigte, führte zu einem neuen Selbstverständnis in Europa. Die scheinbar allumfassende Superiorität prägte die Sichtweise der Europäer auf das Fremde.14 Eine Möglichkeit, die politischen Verhältnisse wissenschaftlich zu erklären, stellte die Klassifikation der Menschen in Phänotypen – die Erfindung der Idee der Existenz menschlicher ‚Rassen‘ – dar. Inwieweit die Entstehung der Rassentheorien in der Aufklärungszeit ein direktes Resultat der realpolitischen Gegebenheiten darstellt, ist umstritten. Geiss betont die Parallelität, mit welcher die Expansion in Übersee und die Entwicklung des modernen Rassismus in seiner theoretischen wie auch praktischen Ausprägung einhergingen. Während sich in einer ersten Phase erst zögerlich Frühformen rassistischen Gedankenguts erkennen liessen, lieferte die Neue Welt schon rasch die wirtschaftlichen Bedingungen, wie den transatlantischen Sklavenhandel, für deren Entwicklung. Die in den Kolonien gemachten Erfahrungen wiederum wurden in der Alten Welt theoretisch verarbeitet. Die theoretische Deutung realpolitischer Gegebenheiten sowie deren scheinbar auf wissenschaftlichen Methoden basierende Begründung wiederum schlugen sich, gemäss Geiss, in der Realität nieder und bestärkten die Europäer in ihrem Superioritätsglauben.15 Die Bestätigung für seine These, inwiefern sich die europäische Expansion direkt im Rassendiskurs und Denken der Gelehrten niederschlug, sieht er insbesondere in der Theorie der Polygenese. Diese stellte, so Geiss, eine Reaktion auf die Entdeckung und Eroberung neuer Gebiete in Übersee dar, indem sie versuchte, eine Erklärung für die Existenz unbekannter Völker zu liefern, welche sich sowohl räumlich als auch heilsgeschichtlich dem Einfluss der Europäer bis anhin entzogen hatten.16 Dezidierter zeigt sich Adas, welcher die Sichtweise vertritt, dass die Rassentheorien des 18. Jahrhunderts zwar die Grundlage für den biologischen Rassismus des 19. Jahrhunderts bildeten, ein Grossteil des ethnologischen Denkens der 12 13 14 15
16
Vgl. Reinhard, Expansion 2, S. 60. Gründer, Welteroberung, S. 12–15. Vgl. Geiss, Rassismus, S. 109. Ebd. Für den Durchbruch des „euroamerikanischen Rassismus“ macht Geiss neben der zweiten Phase der europäischen Expansion den Durchbruch der industriellen Revolution, die Gründung der USA, die Teilung Polens, die Konstituierung der USA, den Abolitionismus, die Sklavenemanzipation, die Französische Revolution, die Judenemanzipation, den Nationalismus und den Imperialismus verantwortlich. Ebd., S. 151f. Geiss, Rassismus, S. 37.
34
2. Hintergrund
Aufklärung aber keine praktischen Konsequenzen hatte. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hätten die Europäer die Expansion in Übersee nicht als Folge einer angeborenen, biologisch begründeten Superiorität betrachtet, sondern auf eine kulturelle und technologische Überlegenheit zurückgeführt.17 Damit stimmt er mit Bitterli überein, welcher ebenfalls in der Beurteilung der Aussereuropäer die Existenz gängiger Stereotypen beobachtet, diese aber nicht auf einen rassisch-biologischen Superioritätsglauben zurückführt, sondern darin eher den Glauben des Zivilisierten an die eigene zivilisatorische Überlegenheit zu erkennen glaubt.18 Festzuhalten gilt es, dass der europäischen Expansion eine eigentliche Doppelrolle zukam: Erstens hatte die Eroberung weiter Teile der Welt und die damit verbundene Unterwerfung einen direkten Einfluss auf den frühen Rassendiskurs,19 was sich – wie es noch zu zeigen gilt – beispielsweise in der Beschreibung und Bewertung der einzelnen Varietäten manifestierte. Die Idee der Existenz menschlicher ‚Rassen‘ widerspiegelte somit auch die Suche nach einer Begründung sowie Rechtfertigung der religiösen, wirtschaftlichen und kolonialen Expansion der Europäer in Übersee.20 Zweitens wurde der frühe Rassendiskurs erst durch die Entdeckung aussereuropäischer Gebiete ermöglicht. Die Expansion brachte eine Fülle an neuem Wissen mit sich, welches prägend für den Wissensdiskurs der Aufklärungszeit sein sollte und nicht nur in der Klassifikation der organischen und aorganischen Welt resultierte, sondern auch Fragen über die Stellung des Menschen sowie die Unterteilung der Menschheit aufwarf.21 2.2. AUFGEKLÄRTES WELTBILD Der Terminus der ‚Aufklärung‘ steht nicht nur als Bezeichnung für eine historische Epoche,22 als Sammelbegriff für Kultur, Bildung und Zivilisation,23 sondern auch für eine „Transformierung des Denkens“.24 Sie war eine Folge umfassender gesellschaftlicher Neuerungen, die sich aus dem Zerfall der Feudalgesellschaft und dem Aufstieg des Bürgertums sowie der Ablösung des christlichen Weltbildes durch den modernen wissenschaftlichen Rationalismus ergaben.25 Die von der Aufklärung propagierte Denkweise symbolisierte eine endgültige Abwendung von dem mittelalterlichen Weltbild, welches sich durch die Prämisse einer statischen Natur charakterisierte. Unterschiede und Ungleichheiten waren als integraler Bestandteil 17 18 19 20 21 22
23 24 25
Adas, Machines S. 291f.; Fredrickson, Racism, S. 63f. Bitterli, Grundzüge, S. 322f. Bindman, Ape, S. 151. Davis, Constructing, S. 8. Koller, Racisms, S. 12. In der modernen Forschung beginnt die Epoche der Aufklärung meist um 1680 und endet mit der Französischen Revolution oder spätestens 1794. Schneiders, Einleitung, S. 9, 16f. Zur Herausbildung des Epochenbegriffs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Stuke, Aufklärung, S. 244ff. Müller, Aufklärung, S. 2. Vierhaus, Einleitung, S. 10. Schneiders, Einleitung, S. 12.
2.2. Aufgeklärtes Weltbild
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der Gesellschaft und Ausdruck göttlichen Willens verstanden worden, die Welt war der von Gott gegebenen Ordnung unterworfen, die Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen vorgegeben, die Erfahrungen limitiert. Die Gemeinschaften waren ethnisch homogen, geographisch isoliert, konservativ geprägt; Vorurteile und Aberglaube bildeten einen zentralen Bestandteil der Vorstellungswelt.26 Von diesem Weltbild grenzte sich die Aufklärung bewusst ab. Sie strebte nach Erkenntnis und Wahrheit: Vorurteile, Aberglauben, Fanatismus und Schwärmerei sollten empirischem, kritischem und rationalem Denken weichen.27 Trotzdem stellte die Aufklärung niemals einen linearen Prozess dar, noch war sie vollumfänglich. Vielmehr existierten jederzeit auch andere Strömungen, welche teilweise gegenaufklärerische Züge aufwiesen.28 Aufgeklärtes Denken stellte einen vom Fortschrittsoptimismus geprägten Prozess dar,29 der die Menschen von geistigen Zwängen und Vorurteilen befreien sollte, um sie zu selbstständigen und eigenständig denkenden Individuen zu machen. Traditionen waren kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls aufzugeben.30 Erstarrte und überkommene Strukturen galt es aufzulösen, den Blick nach vorne zu richten.31 Die neue Art des Denkens und der damit verbundene Fortschrittsglaube manifestierten sich insbesondere in den Wissenschaften, wobei Aufklärung und Wissenschaft eine fruchtbare Symbiose eingingen. Die von der Wissenschaft betriebene Auseinandersetzung mit dem bestehenden Natur- und Weltbild sowie der kritischen Reflexion von Traditionen trug massgeblich zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins bei. Die religiös geprägte Vorstellung der Welt wurde durch die wissenschaftliche Kritik in Frage gestellt, was wiederum Wissen generierte und zu neuen Erkenntnissen führte. Der auf dem Gebiet der Wissenschaft erzielte Fortschritt beeinflusste und veränderte das Weltbild der Menschen nachhaltig, weshalb sich die Aufklärung auch von den Erfolgen auf dem Gebiet der Wissenschaft nährte. Deren Ausübung sowie die von ihr erzielten Fortschritte wurden jedoch erst durch die Aufklärung ermöglicht. Erst die Loslösung von alten Dogmen und hemmenden Hindernissen ermöglichten ein neues Wissenschaftsverständnis. Der Wunsch nach Wahrheit, die Suche nach auf Beobachtung basierender Erkenntnis sowie der Glaube an den Fortschritt fungierten dabei als verbindende Elemente.32 Die Aufklärung beschränkte sich nicht allein auf intellektuelle Erkenntnis, sondern strebte eine Reform der Gesellschaft an. Sie zeichnete sich durch die Suche nach einer neuen Ordnung des gesellschaftlichen und politischen Lebens aus, welche Fragen von der individuellen Moral bis hin zum Verhältnis zwischen zwei Staaten mit sich brachte.33 Aberglauben und überholte Traditionen, Fremdbestimmung 26 27 28 29 30 31 32 33
Malik betont, dass heute als rassistisch verstandene Vorurteile wie die Diffamierung der Afrikaner als Teufel, Affen oder Monster weit verbreitet waren. Malik, Meaning, S. 43. Demel, Geschichte, S. 134; Dülmen, Kultur, S. 212; Schneiders, Einleitung, S. 10. Schneiders, Zeitalter, S. 20. Müller, Aufklärung, S. 4. Demel, Geschichte, S. 134. Im Hof, Europa, S. 16f. Dülmen, Kultur, S. 216f.; Schneiders, Einleitung. S. 13. Im Hof, Europa, S. 148.
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2. Hintergrund
und Rechtlosigkeit galt es zu beseitigen, ohne jedoch den absolutistischen Staat oder die Ständegesellschaft abschaffen zu wollen.34 Der Glaube wurde abgelöst durch jenen an die Tugend; die wahre Religion glaubte man nicht mehr in den kirchlichen Dogmen zu finden, sondern in den weltlichen Moralvorstellungen. Vernunft, Freiheit, Tugend, Moral, Humanität und Kritik wurden zu zentralen Forderungen der Aufklärung.35 Nicht mehr die göttliche Offenbarung fungierte als letzte Instanz, sondern die menschliche Vernunft, welche eine „eigenständige Quelle normativer Urteile“ bildete.36 Diese wurde für den Menschen „zum Einheitspunkt (...): zum Ausdruck all dessen, was von ihm ersehnt und erstrebt, gewollt und geleistet wird.“37 Damit einher ging ein Machtverlust bis anhin anerkannter Autoritäten, welche es mittel philosophischen Massstäben gemäss ihrer Nützlichkeit, Moral, Klarheit und Natürlichkeit zu überprüfen galt.38 Obwohl sich die Aufklärung von der christlichen Religion zu distanzieren versuchte und sich stattdessen auf das Prinzip der Rationalität berief, nahm der Glaube an ein göttliches Wirkungsprinzip noch immer eine zentrale Rolle im aufgeklärten Denken ein. Gott offenbarte sich sowohl in der Ordnung der Natur als auch im Verhalten des Menschen, er nahm einen festen Platz innerhalb des natürlichen Systems ein, was sich in der Rückbesinnung auf die Idee der ‚grossen Kette des Seins‘39 manifestierte.40 Gemäss der auf Platon und Aristoteles zurückgehenden Vorstellung bildeten alle Wesen vom Mineralreich bis hin zu Gott gemäss ihrem Grad an Vollkommenheit eine stufenförmige Anordnung, welche in der ‚Kette des Seins‘ ihren Ausdruck fand. Die Idee zeichnete sich durch einen hierarchischen Aufbau der Natur, die Konstanz der Arten sowie das Prinzip der Kontinuität und der Fülle – der grösstmöglichen Artenvielfalt – aus. Jede Kreatur, von Gott als Schöpfer auf der höchsten Stufe, über den Menschen bis hin zu den Tieren und den Mineralien nahm einen festen Platz ein. Ihre Existenz begründete nicht nur das System, sondern garantierte auch dessen Vollständigkeit. Die Natur wurde als Ganzes betrachtet, als Resultat eines einmaligen, abgeschlossenen Schöpfungsakts, ein Entwicklungsprozess war von vorherein ausgeschlossen. War ein Wesen einmal von Gott erschaffen, blieb es unveränderbar und nahm seinen festen Platz innerhalb des hierarchisch aufgebauten Natursystems ein, eine Weiterentwicklung war nicht vorgesehen, da die einzelnen Entwicklungsstufen gegeben waren.41 Eine Möglichkeit, die Idee der „Kette des Seins“ überschaubar zu machen, bot die Entwicklung von taxonomischen und klassifikatorischen Ordnungssystemen. Diese teilten alle Wesen in Klassen, Gattungen und Arten ein und enthielt somit ein Ordnungsprinzip, welches eine eindeutige Zuweisung zuliess und damit implizit eine Rangordnung 34 35 36 37 38 39 40 41
Dülmen, Kultur, S. 212. Schneiders, Zeitalter, S. 7f. Friedeburg, Europa, S. 355. Cassirer, Philosophie, S. 5. Im Hof, Europa, S. 148. Die wohl bis heute profundeste Studie zur Idee der ‚Kette des Seins‘ stammt von Lovejoy, Kette. Mosse, Rassismus, S. 30. Bitterli, Grundzüge, S. 217.
2.2. Aufgeklärtes Weltbild
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voraussetzte.42 Obwohl die ‚Kette des Seins‘ letzlich eine reine Spekulation darstellte und einer empirischer Beweisführung nicht standhielt, erfreute sie sich grosser Beliebtheit in der Naturgeschichte.43 Dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die Vorstellung die Möglichkeit zu einer Visualisierung des natürlichen Systems bot. Im 17. Jahrhundert erfuhr das System durch Leibniz seine konsequenteste Verwirklichung. Die von ihm durchgeführte Modifizierung beinhaltete neu neben einer Verzeitlichung der ‚Kette des Seins‘, die Suche nach Zwischengliedern und prägte damit die Vorstellung nachhaltig.44 Dem von Leibniz ausgearbeitete Lex continui lag die aristotelische Idee einer alle Wesen umfassenden, kontinuierlichen Anordnung zugrunde. Leibniz verband diese mit dem Gedanken an die Lückenlosigkeit sowie dem christlichen Dogma der Artenkonstanz und Gott als Schöpfer und oberstes Glied.45 Da die Natur keine Sprünge machte, bildete die Existenz von Mittelwesen, welche den Mensch mit dem Tierreich verbanden, eine logische Folge des Kontinuitätsprinzips.46 Das Mineralreich ging über in das Pflanzenreich und dieses wiederum in das Tierreich, Zwischenformen fungierten als verbindende Elemente. Kein Glied in der endlosen ‚Kette des Seins‘ lebte für sich isoliert, vielmehr war das Universum so kreiert, dass die Existenz des Tiefergestellten jene des Höhergestellten sicherstellte.47 Die Suche nach bisher unbekannten Zwischengliedern spielte eine massgebliche Rolle bei der Entstehung der wissenschaftlichen Anthropologie. Die Versuchung, eine Nähe zwischen Mensch und Affe anhand von Mittelwesen zu konstruieren, war gross, wobei das Interesse primär denjenigen Wesen galt, welche an der unteren Grenze der menschlichen Spezies anzusiedeln waren.48 Als ‚missing link‘ mussten nicht nur Fantasiewesen herhalten, sondern auch aussereuropäische Völker.49 Zugleich bewirkte der Glaube an das Kontinuitätsprinzip, wie er bis ins 19. Jahrhundert anhielt, dass zwischen dem ‚Wir‘ und den ‚Anderen‘ immer eine grundsätzliche Verbindung – eine nicht zu negierende Ähnlichkeit – bestand, was eine endgültige Enthumanisierung des Nichteuropäers verhinderte.50 Die einflussreichste Weiterentwicklung der Idee der Stufenleiter stammte im 18. Jahrhundert von dem Schweizer Naturwissenschaftler und Philosophen Charles Bonnet.51 Bei ihm widerspiegelte sich die hierarchische und statische Ordnung der Natur in einer aufsteigenden, sich durch Kontinuität charakterisierenden Kette der Lebewesen. Die Natur bildete eine Einheit; die von Gott erschaffene Welt charakterisierte sich durch ihre Vollkommenheit. Lücken zwischen den einzelnen Gliedern existierten keine, sondern waren lediglich Trugbilder, da der Mensch unfähig war, 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
Diekmann, Klassifikation, S. 53f Lovejoy, Kette, S. 279f. Bäumer, Biologie, S. 205, 208. Leibniz, Kontinuitätsprinzip, S. 327–330. Vgl. auch Cassirer, Philosophie, S. 39. Martin, Teufel, S. 203f. Lovejoy, Kette, S. 224f.; Lepenies, Naturgeschichte, S. 41, vgl. auch: Lindroth, Faces, insbesondere S. 16f. Lovejoy, Kette, S. 281f. Vgl. Kapitel 2.5.2. Terkessidis, Psychologie, S. 89. Bäumer, Biologie, S. 209.
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2. Hintergrund
die feinsten Nuancen zu erkennen.52 Als Bindeglied zwischen Mensch und Tier fungierte der Affe, wobei sich innerhalb der menschlichen Spezies ebenfalls Unterschiede erkennen liessen:53 „Au Nain de Laponie faites succéder le Géeant de Madagascar. Que l’Afriquain au visage plat, au teint noir & aux cheveux de laine, fasse place à l’Européen dont les traits réguliers sont encore relevés par la blancheur de son teint, & par la beauté de la chevelure. A la malpropreté du Hottentot opposez la propreté du Hollandois. Du cruel Anthropophage passez rapidement au François humain.“54
Die Idee der ‚Kette des Seins‘ diente Bonnet als Beweis für die Ungleichheit der Menschheit. An der Spitze der Hierarchie stand der Europäer, während die untersten Glieder eigentliche Fabelwesen darstellten. Die Vorstellung eines hierarchischen Aufbaus der Natur mit Gott in höchster Instanz war zweischneidig. Einerseits zeigte sie dem Menschen seine Unvollkommenheit und relative Bedeutungslosigkeit auf, da er nur einen kleinen Teil innerhalb des Systems darstellte. Andererseits rechtfertigte sie die Position des Menschen gegenüber den anderen Lebewesen an der Spitze – oder wie bei Charles Bonnet die Überlegenheit des weissen Europäers gegenüber aussereuropäischen Völkern – und belegte dessen Superiorität.55 Die Idee der ‚Kette des Seins‘ erfreute sich in der Aufklärungszeit grosser Beliebtheit: Haller, Buffon, Goldsmith, Kant, Blumenbach, Herder, Diderot sowie Camper gehörten zu ihren prominenten Vertretern.56 Die Popularität der Idee basierte nicht zuletzt auf ihrer vielfältigen Anwendbarkeit: Für die Naturalisten stellte sie eine Möglichkeit dar, sich der Natur anzunähern und ihre Organisation zu erfassen. Konservative wiederum nutzten sie zur Verteidigung der Aristokratie und des Status quo. Der Klerus bediente sich ihrer, um die göttliche Vorsehung in Erinnerung zu rufen, den Materialisten diente sie zur Bestätigung, dass Menschen ebenfalls Tiere seien, Mineralien ebenfalls fühlen würden und die organische Welt gemäss dem Prinzip der Kontinuität und nicht aufgrund göttlicher Vorsehung basierte.57 Als vehementester Kritiker trat Voltaire auf. Er gab zu bedenken, dass ausgestorbene Tiere und Pflanzen Lücken hinterliessen und betonte die Existenz von Brüchen innerhalb der Kette – wie beispielsweise zwischen dem Mensch und den Affen. Den Glauben an eine Hierarchie mit Gott an der Spitze sowie deren Übertragung auf die Kirche empfand er als naiv, ebenso die Annahme, dass es Wesen gebe, welche zwischen den Menschen und Gott vermitteln könnten.58 Mit seiner Kritik stand Voltaire nicht alleine, gegen Ende des 18. Jahrhunderts geriet das Konzept der ‚Kette des Seins‘ zunehmend in Kritik, ehe es zu Beginn des 19. Jahrhunderts endgültig aufgegeben wurde. Die Idee der ‚Kette des Seins‘ schloss jeglichen Fortschritt von vornherein aus, da jede Kreatur ihren festen Platz im System einnahm, was der Philosophie der Aufklärung als ein stetiger Prozess fundamental wider52 53 54 55 56 57 58
Bonnet, Contemplation, S. 1–16. Ebd., S. 81ff. Ebd., S. 82. Lovejoy, Kette, S. 225ff, 240f. Hentges, Schattenseiten, S. 167; Lovejoy, Kette, S. 221. Loveland, Rhetoric, S. 77. Hentges, Schattenseiten, S. 169–172; Lepenies, Naturgeschichte, S. 47.
2.2. Aufgeklärtes Weltbild
39
sprach. Zwar wurde dem Fortschrittsgedanken insofern Rechnung getragen, als dass zunehmend von der Skala, einer unendlichen Stufenfolge gesprochen wurde, doch die Idee stiess nur bedingt auf Zustimmung – sowohl Kant wie auch Blumenbach lehnten sie beispielsweise ab. Erschwerend kam hinzu, dass das Konzept einer Überprüfung nicht standhielt, da empirische Befunde – insbesondere auf dem Gebiet der Paläontologie – der These der Unveränderlichkeit zuwiderliefen.59 Die Entstehung der Rassentheorien im 18. Jahrhundert – die Klassifikation von Menschen anhand somatischer, kultureller und moralischer Kriterien – war den aufklärerischen Idealen von Freiheit und Gleichheit diametral entgegengesetzt. Koryphäen der Aufklärung entwickelten Theorien, welche die Ungleichwertigkeit der Menschen gemäss ihrer rassischen Zugehörigkeit wissenschaftlich beweisen sollten – ein Widerspruch, der sich kaum lösen lässt. Einen möglichen Ansatz, mit dieser Schwierigkeit umzugehen, hat Ginzburg geliefert. In seiner Auseinandersetzung mit Voltaire hat er auf dessen Widersprüchlichkeit hingewiesen. Einerseits war Voltaire ein Verteidiger der universalen Toleranz, andererseits galt er als Vertreter der Idee eines hierarchischen Aufbaus der Menschheit. Ginzburg erachtet die Frage, ob es sich bei Voltaire um einen Rassisten gehandelt habe, als grundsätzlich legitim und verweist auf dessen exemplarischen Charakter.60 Voltaire weise mehrere Gemeinsamkeiten mit seinen Zeitgenossen auf, insbesondere was seine Haltung gegenüber der Frage nach menschlichen ‚Rassen‘ betraf, welche Ungleichheit eher förderte als sie verneinte. Von einem Scheitern der Aufklärung – eine Überzeugung, die Auerbauch und später auch Adorno und Horkheimer61 vertraten – zu sprechen, sei aber verfehlt, auch wenn Voltaire als männlicher, weisser Europäer als deren typischer Vertreter behandelt werden müsse. Fruchtbarer sei hingegen der Ansatz, seine intellektuelle Biographie als beispielhaft zu erachten, da sie die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Aufklärung aufzeige.62 Prägend für die aufklärerische Philosophie – und insbesondere auch die Entstehung des Rassendiskurses – war das Konzept der Universalität, das ohne die Be59 60
61
62
Bäumer, Biologie, S. 206; Lepenies, Naturgeschichte, S. 16ff, 41–45. Ginzburg begegnet diesem Problem im Kontext seiner Lektüre von Auerbach, der eine ähnlich kritische Sichtweise gegenüber der Aufklärung vertrat wie später Adorno und Horkheimer. Ginzburg unterscheidet dabei zwei Formen von Rassismus. Während der Rassismus in seinem weiteren Sinne davon ausgeht, dass menschliche ‚Rassen‘ existieren würden, geht die engere Form von Rassismus davon aus, dass die Menschheit hierarchisch in ‚Rassen‘ gegliedert sei, wobei eine Modifikation weder durch Kultur noch Erziehung erlangt werden kann. In Bezug auf Voltaire kommt Ginzburg zum Schluss, dass es sich bei Voltaire unzweifelhaft um einen Rassisten im weiteren Sinne gehandelt habe, welcher der zweiten Form sehr nah kam. Ginzburg, Tolerance, S. 103. Hier sei insbesondere auf Adorno und Horkheimer verwiesen, welche im Rahmen einer negativen Geschichtsphilosophie, die geprägt war durch die Erfahrung des deutschen Faschismus, die Aufklärung weniger mit Freiheit und Emanzipation, als mit Herrschaft verbinden. Das Programm der Aufklärung, so Adorno und Horkheimer, war die „Entzauberung der Welt“ (vgl. Weber, Wissenschaft, S. 9.). Die Aufklärung setzte sich zum Ziel, „Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stützen“ zu wollen. Adorno/Horkheimer, Dialektik, S. 19. Der Preis für die Entzauberung war dabei eine Verarmung des Denkens sowie der Erfahrung, was zu einer Entfremdung des Menschen von sich selbst führte. Vgl. Adorno/Horkheimer, Dialektik. Ginzburg, Tolerance, S. 106.
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2. Hintergrund
schreibungen und Zeichnungen von Reisenden, gemäss Osterhammel, kaum denkbar gewesen wäre.63 Der Anspruch auf Universalität trug neben dem Wunsch, die Stellung des Menschen in der Natur zu ergründen, sowie der Begeisterung für die Klassifikation wesentlich zur Etablierung der ersten Rassentheorien bei, wie Mosse betonte. In der Neigung der Aufklärung, alle Menschen nach demselben Prinzip zu betrachten sowie in der Überzeugung, dass die „moralische Ordnung ein Teil der natürlichen Ordnung war und deshalb für immer und überall Bestand hatte“, sieht er einen der Gründe für die Entstehung des Rassendiskurses.64 Eine ähnliche Sichtweise vertritt Malik, welcher das Konzept der Universalität als Voraussetzung für die Entstehung der Idee der ‚Rasse‘ erachtet, welche von einer natürlichen Verschiedenheit der Menschen ausging. Die Vorstellung verschiedener menschlicher Rassen, so Malik, wäre ohne das moderne Konzept von Menschheit und Gleichheit nicht denkbar gewesen, denn rassische Differenz und Ungleichheit konnte nur in einer Welt entstehen, in welcher die Möglichkeit von sozialer Gleichheit und Universalität akzeptiert war.65 2.3 NATURWISSENSCHAFT UND EMPIRIE Zentraler Bestandteil der Aufklärung war die Hinwendung zu einem durch Vernunft geleiteten Weltbild. An die Stelle von Religion, Tradition und Aberglauben trat die Wissenschaft, welche nicht nur zu einem rational begründeten Weltverständnis beitragen, sondern auch zu rationalem Handeln gemäss dem Grundsatz der Nützlichkeit und der vernünftigen Moral befähigen sollte.66 Neben dem Wegfall religiöser Schranken trugen insbesondere die zahlreichen Errungenschaften auf dem Gebiet der Naturwissenschaften zu der veränderten Denkart bei. Eine stetige Verbesserung der Beobachtungs- und Messtechniken, die daraus resultierenden Fortschritte auf dem Gebiet der Naturwissenschaft sowie die gesellschaftliche Aufgeschlossenheit und Akzeptanz gegenüber der naturwissenschaftlichen Forschung ermutigten den aufgeklärten Menschen in seinem Glauben, die Natur erforschen und ihre Gesetzmässigkeiten entschlüsseln zu können.67 Fortschritt bildete dabei ein wesentliches Merkmal des aufgeklärten Wissenschaftsverständnisses. Wissenschaftliche Forschung sollte Lösungen zu praktischen Problemen liefern, aus der Entschlüsselung der Naturgesetze erhoffte man sich, wichtige Impulse für Technik und Handwerk zu gewinnen. Zugleich fand ein eigentlicher Emanzipationsprozess der Wissenschaften statt, bei welchem die Grenzen scholastischer und humanistischer Gelehrsamkeit zurückgelassen wurden. Ziel der Wissenschaft war es, die Welt rational zu verstehen und zugleich die Menschen zu nützlichem und vernünftigem Handeln zu
63 64 65 66 67
Osterhammel, Distanzerfahrung, S. 13f. Mosse, Rassismus, S. 9. Malik, Meaning, S. 42 Friedeburg, Europa, S. 355; Vierhaus, Einleitung, S. 10. Bitterli, Grundzüge, S. 211f; Müller, Aufklärung, S. 37.
2.3 Naturwissenschaft und Empirie
41
befähigen.68 Wissenschaft stand somit im Dienste der Aufklärung und verhalf dieser erst zu ihrer Verwirklichung.69 Charakteristisch für die Wissenschaft des 18. Jahrhunderts war weniger die Etablierung neuer Fachgebiete, als die Differenzierung und Neuorganisation bereits bestehender Wissenschaftsgebiete, verbunden mit einem rasanten Anstieg an neuen Forschungsobjekten.70 Der Glaube an die absolute Wahrheit der Wissenschaft nahm zu und fand seine Bestätigung im technischen Fortschritt.71 Bestimmend für das Wissenschaftsverständnis der Aufklärungszeit war der Aufstieg der modernen Wissenschaft im 17. Jahrhundert. Die veränderten Rahmenbedingungen, die Entstehung des Rationalismus, der Siegeszug der Mathematik sowie der Glaube an die Gesetzmässigkeit der Natur spielten ein gewichtige Rolle bei deren Entstehung. Doch erst das Zusammenspiel mathematischer Vernunft und technisch-experimenteller Erfahrung72 ermöglichten schliesslich ihren Siegeszug.73 Die erkenntnistheoretischen Grundlagen aus dem 17. Jahrhundert prägten dabei das Wissenschaftsverständnis der Aufklärungszeit. Empirismus und Rationalismus führten dazu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auf Vernunft und Erfahrung basierten, wobei letztere, als auf Beobachtung beruhende, methodisch gesicherte Erkenntnis an Bedeutung gewann und das wissenschaftliche Vorgehen nachhaltig prägte.74 Wissen sollte neu auf messbaren Erfahrungen basieren. Zugleich wuchsen die Kenntnisse aufgrund der gemachter Beobachtungen und deren Sammlung stetig an. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wandten sich die Gelehrten zunehmend der experimentellen und angewandten Wissenschaft zu, was wesentlich zum wissenschaftlichen Fortschritt beitrug.75 Teil dieser Entwicklung bildete die Naturphilosophie Bacons.76 Sie markierte die Suche nach einer Methode, die bestrebt war, alles Beschreibbare zu sammeln und in ein System zu bringen, was eine Neubestimmung der Wissenschaft mit sich führte. Zwar waren Bacons Erkenntnisziele noch primär metaphysischer Art, da die Erarbeitung von Wissen noch immer im Dienste Gottes stand und zur Vollendung des menschlichen Wesens führen sollte. Doch sein Postulat, dass Wissenschaft dem Menschen dienen und zweckgebunden sein sollte und die Überzeugung, dass mit Hilfe der Wissenschaft die Natur beherrscht sowie die Anwendung der durch sie erlangten Erkenntnis dem Fortschritt dienten, markierte eine Abkehr vom traditionellen Wissenschaftsbild.77 Einen weiteren wichtigen Schritt hin zur modernen 68 69 70 71 72
73 74 75 76 77
Kleinert, Wissenschaft, S. 422f. Vgl. dazu Kant, Beantwortung der Frage, S. 33–42. Vierhaus, Einleitung, S. 11. Poliakov, Mythos, S. 168. Vgl. dazu Steinke, Irritating Experiments, insbesondere S. 139–164. Anhand von Hallers Irritabilität- und Sensibilitätstheorie zeigt Steinke auf dass sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts europaweit eine grosse Anzahl an Tierversuchen beobachten lässt, die Lösung eines Problems mittels experimentellen Untersuchungen aber noch immer eine Ausnahme bildete. Vetter, Reduktionismus, S. 29. Kleinert, Wissenschaft, S. 442; Schneiders, Einleitung, S. 13. Vetter, Reduktionismus, S. 32. Vgl. Bacon, Novum organum. Vetter, Reduktionismus, S. 35ff.
42
2. Hintergrund
Wissenschaft bildete der Rationalismus Descartes’.78 Auch er postulierte eine Hinwendung zu einer praktischen Wissenschaft. Der Dualismus von Körper (res extensa) und Geist (res cogitans) führte nicht nur zur Trennung von Wissen und Glauben, sondern ermöglichte auch eine neue Herangehensweise an den Menschen. Während die res extensa die physikalische und objektive Aussenwelt markierte, in welcher alle materiellen Wesen als Maschine galten und denselben mechanischen Gesetzen unterstellt waren, bildete die res cogitans das subjektive Bewusstsein, die geistige Welt. Der menschliche Körper, so Descartes, werde wie jede Materie von den gleichen, unveränderlichen Gesetzen bestimmt. Damit folgte er klaren naturwissenschaftlichen Gesetzmässigkeiten, welche die Grundlage kausalanalytischen Denkens in der Biologie und Physiologie bildete.79 Zwar baute das 18. Jahrhundert auf den Erkenntnissen Bacons und Descartes‘ auf, doch prägender für die Wissenschaft sollte Newton sein. Er verabschiedete sich von der Suche nach den Gründen des Seins, lediglich die empirische Erfassung von Naturphänomenen und ihre Beschreibung erschien ihm möglich. Die Analyse der metaphysischen Gründe der Existenz lag ausserhalb der Möglichkeiten der Naturwissenschaft. Deren Aufgabenbereich sich auf die Suche nach der Ordnung und Gesetzen der gegeben Phänomenen beschränkte. Die Wissenschaft bot keinen Raum mehr für Spekulationen, stattdessen sollte sie Erkenntnissicherheit gewährleisten – eine Beschränkung, die zugleich eine Erkenntnisreduktion bedeutete.80 Damit verbunden war eine veränderte Methodologie. Neben der Mathematisierung der Natur veränderte insbesondere die Hinwendung zu Erfahrung und Experimenten die Wissenschaft nachhaltig und führte zu einem neuen Selbstverständnis, welches sich in der Entwicklung realistischer Theorien und in der Abwendung vom Nominalismus und Fiktionalismus äusserte.81 Die deduktive Vorgehensweise, welche die Theorie als Ausgangspunkt nahm und der Beobachtung eine sekundäre Rolle zugestand, wurde durch die Induktion, die von der Empirie ausgehend grundlegende Prinzipien abzuleiten versuchte, abgelöst.82 Die auf Newton zurückgehende Prämisse83 verlangte von dem Gelehrten als Voraussetzung für die Ausformulierung einer Hypothese eine vorurteilslose Herangehensweise an sein Studienobjekt. Die These galt es anschliessend anhand von Beobachtungen und Experimenten zu überprüfen,84 wobei der Anspruch oftmals an der Realität scheiterte, da die zur Verfügung stehenden Untersuchungsobjekte – insbesondere die anatomischen Präparate sowie menschliche Schädel – begrenzt waren.85 78 79 80 81 82 83 84 85
Descartes, Discours. Vetter, Reduktionismus, S. 38f. Vetter, Reduktionismus, S. 41. Fischer, Ordnung, S. 158. Müller, Aufklärung, S. 37. Vgl. Newton, Philosophiæ, S. 387f. Müller, Aufklärung, S. 36f. Hund hat herausgearbeitet, dass anatomische Präparate nicht nur dem Erkenntnisinteresse der Wissenschaftler dienten, sondern auch als eine Art Trophäe fungierten, wenn er schreibt, dass sie „der schon vorhandenen Rassenideologie eingepasst [wurden] und besorgten deren Verwissenschaftlichung und Legitimation. Vorrangig dienten sie zur Konstruktion typischer Rassenkörper. Diese sollten Devianz gegenüber der weissen Norm demonstrieren. Ihre öffentliche
2.3 Naturwissenschaft und Empirie
43
Die Reduktion auf den empirischen Beweis – Lepenies spricht von einem durch den „Erfahrungsdruck“ ausgelösten „Empiriezwang“86 –, welchen es zu erbringen galt, führte zu einem neuen Wahrheitsbegriff: Gottes Offenbarung als letzte Instanz der Wahrheit wurde ersetzt durch die Forschungsergebnisse des Wissenschaftlers, der mittels der richtigen Methode die Natur, das Werk Gottes, zu erforschen und die Gesetze des Universums zu entschlüsseln wusste.87 Eine wichtige Rolle kam der Beobachtung88 zu, welche um 1750 zu einer eigenständigen epistemischen Kategorie geworden war. Die Beobachtung war nicht nur Objekt von Reflexionen und fand Zugang in philosophische Lexika und methodologische Abhandlungen, sondern bildete eine fundamentale Form von Wissen. Ihre Aufstieg war das Ergebnis zahlreicher Innovationen: Erst die Entstehung neuer Technologie wie das Teleskop und Mikroskop, die Entwicklung neuer Methoden zur Koordination und zum Vergleich von Informationen sowie Überlegungen über die Beziehung zwischen Beobachtung, Erfahrung und Theorie begründeten ihren Siegeszug.89 Beobachtungen stellten nicht mehr eine über Generationen hin entstandene Ansammlung anonymer Beschreibungen dar, sondern erfuhren in der frühen Neuzeit eine radikale Veränderung: Sie waren autorisiert, wurden systematisiert, aufgezeichnet, in Briefen ausgetauscht, in Büchern publiziert und von einzelnen Gelehrten, wissenschaftlichen Sozietäten, merkantilen Kooperationen bis hin zu Regierungen zusammengetragen.90 Die Zunahme an Beobachtungen führte zugleich zu neuen Herausforderungen: Sie mussten nicht nur koordiniert werden, Instrumente galt es zu standardisieren, die Resultate zueinander in Beziehung zu setzen.91 Empirische Beobachtungen sollten rational begreifbar gemacht werden; ein Unterfangen, welches Gould als Bestandteil des ‚biologischen Determinismus‘ bezeichnet. Aus dem Verlangen heraus, komplexe Inhalte und Fragen des menschlichen Lebens fassbar zu machen und Erklärungen zu finden, kam es zu einer starken Vereinfachung, zur Reduktion auf einen Begriff – beispielsweise auf die Intelligenz. Diesen galt es anschliessend zu ‚verdinglichen‘; abstrakte Grössen wurden messbar gemacht und bei Bedarf einer Hierarchie unterworfen.92
86 87 88
89 90 91 92
Zurschaustellung visualisierte und popularisierte die Rassentheorien und erlaubte den Betrachtern die Akkumulation rassistischen symbolischen Kapitals.“ Hund, Vorwort, S. 11. An anderer Stelle führt er aus, dass anatomische Präparate der Durchsetzung und Aufrechterhaltung der weissen Superiorität dienten und den „ökonomischen, politischen, kulturellen und ästhetischen Geltungsanspruch“ der Europäer legitimierten. Hund, Körper, S. 20. Lepenies, Naturgeschichte, S. 17f. Vetter, Reduktionsimus, S. 42. Für Daston/Lunbeck stellt Beobachtung die weit verbreiteste und grundlegendste Praxis aller modernen Wissenschaften dar und ist zugleich eine der raffiniertesten und vielfältigsten Methoden. Sie muss als Instrument betrachtet werden wie beispielsweise das Mikroskop oder ein Fragebogen. Ziel ist es, das Unsichtbare sichtbar zu machen, das Vergängliche permanent und das Abstrakte konkret. Daston/Lunbeck, Introduction, S. 1. Daston, Empire, S. 81f. Ebd., S. 87. Ebd., S. 88, vgl. auch: Lepenies, Naturgeschichte, S. 16ff, 22. Gould, Mensch, S. 18f. Das Konzept lässt sich auf die Arbeit übertragen, wobei der komplexe Inhalt nicht die Intelligenz – die erst im 19. Jahrhundert eine überragende Bedeutung in den Rassentheorien spielte –, sondern die somatische Differenzierung der Menschen darstellt.
44
2. Hintergrund
Um die eigene Erfahrung und Fähigkeit sowie eine adäquate Vorgehensweise unter Beweis zu stellen, wurden Experimente93 oftmals öffentlich durchgeführt oder in Publikationen detailliert beschrieben. Die Offenlegung des methodischen Vorgehens sowie des Untersuchungsgegenstandes war dabei ein Ausdruck von Transparenz. Die gewählte Methode wurde nicht nur beschrieben, sondern deren Angemessenheit auch diskutiert,94 wobei es auch darum ging, die gewählte Methode gegenüber möglichen Kritikern zu verteidigen.95 Eine Möglichkeit, die Beobachtungen zu verarbeiten und für die Wissenschaft brauchbar zu machen, bot die Naturgeschichte, zu deren Hauptaufgabe die Beschreibung und später vor allem die systematische Ordnung der verschiedenen Lebensformen zählte. Sie bildete eine Reaktion auf die Akkumulation an Wissen, welche in einer zunehmenden Anzahl an Forschungsobjekten ihren Ausdruck fand, und die sich kaum mehr in einer Disziplin bewältigen liess und nach grundlegenden Ordnungs- und Klassifizierungsprinzipien verlangte.96 Hier setzte die Naturgeschichte an, welche die Erforschung der Natur zum Ziel hatte, die gemäss aristotelischem Verständnis als Teil der physikalischen Welt fernab jeglicher Beeinflussung durch den Menschen verstanden wurde. Diese Definition von Natur führte dazu, dass die Naturgeschichte eine unglaubliche Fülle an Beobachtungsmaterial vom Stein bis hin zum Menschen umfasste. Dabei bediente sie sich einer rein deskriptiven Methode, angestrebt wurde die Beschreibung und Klassifizierung aller Formen der Natur und nicht deren Begründung.97 Die Natur folgte gemäss aufgeklärtem Weltbild den Gesetzmässigkeiten der Vernunft, deren Klarheit, Autorität und Universalität kaum in Frage gestellt wurden.98 Ziel des Naturforschers war es, dieses ‚natürliche‘ System zu finden, welches die Klassifikation aller Lebewesen ermöglichte, wobei Naturgeschichte nicht zwangsläufig losgekoppelt von einem religiösen Weltbild sein musste. Gerade im christlichen Kontext galt das ‚natürliche‘ System als Ausdruck des göttlichen Plans und die harmonische Anordnung aller Lebewesen als göttliche Bestimmung.99 Zwar bildete die Naturgeschichte lediglich eine
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Diese wurde anhand einiger wenigen Kriterien wie der Hautfarbe, der geographischen Herkunft, dem äusseren Erscheinungsbild und dem zivilisatorischen Stand ‚verdinglicht‘ und anschliessend mit einer Wertung verbunden, wobei der Europäer und somit die weisse Hautfarbe und europäische Kultur zuoberst auf der Skala angesiedelt wurden. Je stärker ein Volk von diesem Ideal abwich, umso tiefer war seine Stellung in der Hierarchie. Oftmals wurden die Experimente vor einem grösseren Publikum bestehend aus anderen Gelehrten, Chirurgen und Studenten durchgeführt, deren Anwesenheit teileweise auch in den veröffentlichten Berichten Erwähnung fand. Steinke, Irritating, S. 149. Am Beispiel von Haller zeigt Steinke auf, dass die Frage nach der Vorgehensweise – die Wahl einer adäquaten Methode und die allfällige Entscheidung für die Durchführung von Experimenten und deren Interpretation – eines der Hauptprobleme für Haller und seine Zeitgenossen darstellte. Der technischen Aspekt von Experimenten wurde – im Falle von Haller – lange Zeit ausgeklammert, erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Diskussion um eine gewisse Standardisierung geführt und sorgte für Kontroversen. Steinke, Irritating, S. 141, 148. Steinke, Irritating, S. 149. Diekmann, Klassifikation, S. 3; Pickstone, Knowledges, S. 499. Hankins, Science, S. 113f. Bitterli, Grundzüge, S. 212. Hankins, Science, S. 145.
2.3 Naturwissenschaft und Empirie
45
kleine Teildisziplin innerhalb der Naturwissenschaften, aufgrund ihrer enzyklopädischen Ambitionen, das vorhandene Wissen zu sammeln und zu systematisieren, integrierte sie aber auch die auf anderen naturwissenschaftlichen Gebieten gewonnen Erkenntnisse, was ihre Bedeutung für das wissenschaftliche Denken im 18. Jahrhundert erklärt.100 Bereits im 16. Jahrhundert kam es zu ersten Versuchen, die Natur als Ganzes sowie die bekannten Lebewesen zu klassifizieren. Diese scheiterten nicht zuletzt an der Vielfalt und dem Fehlen eines eigentlichen Ordnungsschemas. Die Bemühungen, die einzelnen Lebensformen zu beschreiben und ihre systematische Ordnung festzuhalten, wurden im 17. Jahrhundert fortgesetzt.101 Doch die unglaubliche Fülle an Lebensformen stellte die Gelehrten weiterhin vor die fast unüberwindbare Schwierigkeit, allgemein gültige Ordnungsprinzipien zu finden. Das mechanistische Weltbild Descartes prägte die Wissenschaft, während der Naturgeschichte lediglich eine untergeordnete Bedeutung beigemessen wurde.102 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts – als die mechanische Philosophie ihren Höhepunkt erreichte – fand eine zunehmende Hinwendung zur Naturgeschichte statt. Diese Entwicklung hatte mehrerlei Gründe: Die Mechanische Philosophie anerkannte zwar die Existenz Gottes, gestand ihm aber keine Rolle im alltäglichen Lauf des Universums zu. Gott zeigte sich zwar in der Natur, fand Ausdruck in der unglaublichen Komplexität und Harmonie des Natursystems, ohne jedoch in die einzelnen Abläufe involviert zu sein. Die Naturgeschichte setzte genau hier an, indem sie die Komplexität zu beschreiben versuchte. Ein weiterer Grund für die zunehmende Beliebtheit der Naturgeschichte lag in der Abgrenzung von einem von animistischen Prinzipien geprägten Wissenschaftsverständnis. Naturgeschichte liess aufgrund der Klassifikation, welche sie beinhaltete, wenig Raum für Übersinnliches, zumal das Interesse an einer empirischen Wissenschaft zunahm. Die Welt sollte durch genaue Beobachtung und das Studium der Naturphänomene erkannt werden.103 Doch trotz der zunehmenden Popularität der Naturgeschichte verhalf ihr erst Linné im Jahre 1735 mit der Entwicklung eines eigenen Natursystems, das sich durch einen neuen methodischen Ansatz auszeichnete, endgültig zum Durchbruch.104 Neu wurden Naturphänomene nicht mehr durch ihre Symbolik erfasst, sondern auf der Basis systematischer, taxonomischer Erforschung.105 Die Hinwendung zur Taxonomie als Möglichkeit, die Natur fassbar und verständlich zu machen, war nicht unproblematisch, da jegliche Form der Klassifikation niemals ein realitätsgetreues Abbild der Natur sein kann, sondern lediglich eine Nomenklatur – die Erschaffung eines künstlichen Systems – darstellt.106 Zwar diente die Naturgeschichte als Mittel, die Natur fassbarer zu machen, doch sie stellte aufgrund ihrer Tendenz zur Klassifikation immer auch eine Vereinfachung dar. Sie bildete eine, wie Foucault herausgearbeitet hat, 100 101 102 103 104 105 106
Niekerk, Man and Orangutan, S. 478; Lepenies, Naturgeschichte, S. 36. Vgl. dazu: Bäumer, Biologie, S. 73–98. Querner, Weltbild, S. 26. Hankins, Science, S. 115–119. Querner, Weltbild, S. 26. Irving, Natural Science, S. 16. Vgl. insbesondere Cassirer, Philosophie, S. 104.
46
2. Hintergrund
Benennung des Sichtbaren, eine Wissenschaft, die zwar auf der Empirie beruhte, deren Beobachtungsspektrum jedoch bewusst begrenzt wurde. Ausgehend von einigen somatischen Merkmalen wurde ein System entworfen, welches anhand der Herausarbeitung von Unterschieden erlaubte, alle Wesen zu bezeichnen und einzureihen, weshalb die Naturgeschichte oftmals auch die Idee der ‚Kette des Seins‘ enthielt.107 Der amerikanische Historiker Mosse sieht in der Klassifikation Ausdruck des für die Aufklärung charakteristischen Verlangens, alle Menschen nach demselben Schema zu betrachten. Bestätigung findet er in der Idealisierung des klassischen Schönheitsbegriffs, der Annahme, dass alle Menschen die gleichen Ziele verfolgen würden sowie Moral universell wäre und dementsprechend überall dieselben moralischen Prinzipien gelten würden.108 Dabei können die Klassifikationsversuche auch als Antwort auf die gesellschaftlichen Probleme, die sich spätestens seit dem Ende des 30-jährigen Krieges herauszubilden begannen, verstanden werden, wie Martin herausgearbeitet hat. Erst der Autoritätsverlust der christlichen Kirche sowie der Aufstieg des Bürgertums führten zur Etablierung von Klassifikationssystemen, welche die Menschen nicht gemäss dem Faktor der Spiritualität, sondern der Physis einzuteilen vermochten. Sie standen im Widerspruch zur Kirche, so Martin, und waren Ausdruck einer neuen skeptischen Haltung gegenüber den biblischen Autoritäten. Philosophie wurde zum Medium für die bürgerliche Neuordnung der Welt, welche einher ging mit einer zunehmenden Individualisierung. Neue Denksysteme, wie sie von Descartes, Hobbes und Spinoza vertreten wurden, betonten die Rolle des Individuums, die Verantwortung des Einzelnen bei der Diesseitsbewältigung und die grosse Bedeutung der Naturwissenschaft, und nahmen zugleich Elemente der neuplatonischen und aristotelischen Philosophie auf. Von Platon übernahmen sie den Glauben an eine hierarchische Struktur des Kosmos sowie die Überzeugung, dass der Mensch Veränderungen herbeiführen könne, indem er in der Natur bestimmte Veränderungen bewirkte. Der Glauben, dass alle natürlichen Wesen als Glieder einer kontinuierlich aufsteigenden Formenkette aufzufassen seien, ging wiederum auf Aristoteles zurück.109 Entscheidend für den Siegeszug der Naturgeschichte im 18. Jahrhundert war die Entwicklung des Mikroskops sowie die Verbreitung der Lupe, welche eine neue Herangehensweise an die Natur ermöglichten. Durch sie gelang es, den Aufbau der verschiedenen Lebewesen zu untersuchen, was wiederum Fragen über deren Zeugung und Entwicklung hervorrief:110 1) Wie sollte die Vielfalt der Natur beschrieben werden und wie war sie zu erklären? 2) Wie konnte diese Diversität klassifiziert werden? 3) Welche Organisationsformen waren vorherrschend? 4) Handelte es sich bei der Klassifikation um eine adäquate Methode, die Vielfalt der Natur abzubilden? 5) Wie sollten Prozesse visuell abgebildet und erklärt werden? Diese Fragen beschäftigten die Naturforscher, wobei zur Klärung der Fragen angenommen wurde, dass die Diversität der Natur einer gewissen Ordnung folgte. Ausdruck die107 108 109 110
Foucault, Ordnung, S. 181ff; Lepenies, Naturgeschichte, S. 16ff, 41–45. Mosse, Rassismus, S. 9. Martin, Teufel, S. 196ff. Gissis, Visualzing, S. 45; Querner, Weltbild, S. 26.
2.3 Naturwissenschaft und Empirie
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ses Wunsches, die Ordnung der Natur visuell darzustellen, bildeten die Sammlungen, Kabinette, Bücher sowie botanischen Gärten.111 Die Naturgeschichte machte im Laufe des 18. Jahrhunderts eine grundlegende Veränderung durch. Beschränkte sie sich einst primär auf Mediziner, bedeutete die Beteiligung von Nichtmedizinern eine Ausweitung der Disziplin.112 Von grösserem Belange waren die inhaltlichen Verschiebungen: Der dynamische Charakter des Kollektivs wie auch des Individuums wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte hervorgehoben und die Suche nach einer universalen Definition der Menschheit sowie ihrer Grenzen rückte in den Fokus. Ausdruck dieser Entwicklung war die Beschäftigung der Gelehrten mit Fragen wie jener nach dem Unterschied zwischen Mensch und Tier. Rationalität, Sprache, individuelles Interesse sowie die verschiedenen Gesellschaftsformen gewannen an Bedeutung.113 Die Expeditionen und Weltumseglungen in den 70-er Jahren,114 die Entdeckung der Südseebewohner und die neu entfachte Diskussion um einen monogenetischen Ursprung der Menschheit trugen zu einer Zunahme an Veröffentlichungen zur Naturgeschichte des Menschen bei.115 Die Beiträge wandten sich dabei explizit gegen die Vertreter des Polygenismus und stellten oftmals eine Anstrengung zur Bündelung pro-monogenetischer Argumente dar. Die Hinwendung zur Naturgeschichte hielt dabei das ganze 18. Jahrhundert an. Erst im Übergang zum 19. Jahrhundert wurden Klassifikationssysteme zunehmend als künstlich erachtet, da sie einem empirischen Beweis nicht standhielten.116 Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts rückte der Mensch zunehmend in den Fokus der klassifizierenden Naturgeschichte, wobei nicht der menschliche Körper und dessen Anatomie Gegenstand des Interesses war, sondern die Verschiedenartigkeit der menschlichen Phänotypen.117 Die ‚Naturgeschichte des Menschen‘,118 die sich innerhalb der Naturgeschichte zu einem eigenständigen Wissensgebiet entwickelte,119 beschäftigte sich mit der Gattung des Menschen und stellte eine Alternative zur traditionellen biblischen sowie naturrechtlichen Deutung dar. Sie war – wie auch die Natur-, Menschheits- und Universalgeschichte – Ausdruck einer Hinwendung der Wissenschaft zum Menschen, was sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts insbesondere in einem Publikationsanstieg widerspiegelte.120 Die Beschäftigung mit der menschlichen Spezies stand dabei in einem grösseren Zusammenhang, in dem „die Herauslösung des Menschen aus seinen metaphysischen Bezügen und die selbstbestimmte wissenschaftliche Auslotung der eigenen Spezies“ 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120
Gissis, Visualizing, S. 52. Hankins, Science, S. 114. Gissis, Visualizing, S. 70. Zu den wohl bedeutendsten Weltumseglungen und Expeditionen zählen jene von Bougainville (1776–1769), Pallas (1768–1774) sowie Cook (1768–1771, 1772–75, 1776–80). Nutz, Varietäten, S. 59f. Ebd., S. 60f. Lepenies, Naturgeschichte, S. 31. Dietz/Nutz, Naturgeschichte, S. 45f. Zur „Naturgeschichte der Menschen“ vgl. insbesondere Dietz/Nutz, Naturgeschichte; Meyer, Wahrheit; Nutz, Varietäten. Dietz/Nutz, Naturgeschichte, S. 45f, 61. Meyer, Wahrheit, S. 8.
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2. Hintergrund
eine der „Charakteristika des Beginns der Moderne“ ausmachte.121 Die ‚Naturgeschichte des Menschen‘ gilt als eigentlicher Vorläufer der sich im 19. Jahrhundert etablierenden Disziplin der physischen Anthropologie.122 Bereits die antiken Gelehrten hatten sich mit dem Menschen beschäftigt, doch erst während dem Zeitalter der Aufklärung kam es zu seiner systematischen Analyse, wobei die Erkenntnisse nicht auf Spekulationen, sondern auf einer empirisch-induktiven Vorgehensweise beruhten.123 Von besonderer Bedeutung für die Entstehung der Disziplin war die Expansion der Europäer in Übersee. Die Anthropologie bildete eine Reaktion auf den Eintritt fremder Völker in den europäischen Erfahrungshorizont und warf Fragen nach dem Ursprung des Menschengeschlechts, den Anfängen der menschlichen Kultur, Sprache, Gesellschaft und Religion auf. Sie beschäftigte sich nicht nur mit der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, sondern auch zwischen Individuum und Gesellschaft sowie den verschiedenen Formen der Kultur.124 Dabei wird zwischen drei verschiedenen Richtungen unterschieden: Während die physische Anthropologie sich mit den Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier auseinandersetzte, thematisierte die philosophische Anthropologie die Stellung des Menschen in der Hierarchie der Lebewesen und den Zusammenhang zwischen Leib und Seele. Als letzte der drei Teildisziplinen entstand die ethnographische und ethnologische Anthropologie, die sich mit den verschiedenen Spielarten des Menschengeschlechts beschäftigt und eine Rassentypologie zu erarbeiten versucht.125 Die ‚Wissenschaft vom Menschen‘ bildete ein „Strukturmerkmal der europäischen Aufklärung“126 und vereinigte alle Lehren des 18. Jahrhunderts, welche den Menschen empirisch untersuchten. Das Fremde wurde beschrieben und kommentiert, wobei man sich nicht mehr auf Europa beschränkte.127 Voraussetzung für die Entstehung der ‚Wissenschaft vom Menschen‘ war die Enttheologisierung, Naturalisierung und Historisierung des Menschen. Dieser wurde neu als Naturphänomen verstanden, das es wie jedes andere Lebewesen zu erforschen galt. Auf eine Ab121 Ebd., S. 5. 122 Zwar geht der Terminus der Anthropologie auf Aristoteles zurück, doch erst mit Blumenbach, Kant und Herder erreichte die Disziplin ihren eigentlichen Durchbruch. Krauss, Anthropologie, S. 23f. Die alleinige Fokussierung auf die Naturwissenschaft fand erst im 19. Jahrhundert statt, als Anthropologie gleichbedeutend mit der Biologie des Menschen wurde, welche sich primär mit seinem Körperbau und den menschlichen ‚Rassen‘ beschäftigte, wobei es bezüglich letzteren zu einer Überschneidung mit der Völkerkunde kam. Reinhard, Lebensformen, S. 13. 123 Moravia, Vernunft, S. 40f. 124 Mühlmann, Anthropologie, S. 13. 125 Bödeker, Anthropologie, S. 38f. Eine ähnliche wissenschaftssystematische Einteilung des Anthropologiebegriffs lässt sich auch bei van Hoorn finden. Sie unterscheidet ebenfalls zwischen drei Bereichen: 1) die philosophische Anthropologie, welche den Zusammenhang von Leib und Seele thematisierte, 2) Kulturanthropologie, welche den Menschen als kulturschaffendes Wesen begreift und nach Unterschieden, Entwicklungstendenzen sowie Klassifikationsmöglichkeiten sucht sowie 3) die physische (oder auch physiologische / biologische Anthropologie, welche den Menschen in Vergleich zum Tier setzt und auch Vergleiche zwischen den verschiedenen Phänotypen anstellt. Hoorn, Leibe, S. 1. 126 Bödeker, Wissenschaft, S. 12. 127 Osterhammel schreibt von der „Wissenschaft vom Menschen“, welche „über Europa hinausdrängte“. Osterhammel, Entzauberung, S. 11.
2.4 Reiseliteratur als Wissensvermittler
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grenzung zwischen Mensch und Natur wurde verzichtet, der Mensch war Teil der Naturgeschichte.128 Die Klassifikation der Menschen in ‚Rassen‘ kann somit auch als Teil einer „naturhistorischen Systembildung“ betrachtet werden.129 2.4 REISELITERATUR ALS WISSENSVERMITTLER Empirismus und Rationalismus prägten das Wissenschaftsverständnis der Aufklärungszeit nachhaltig und führten dazu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auf Vernunft und Erfahrungen basierten. Insbesondere letztere, die auf Beobachtung beruhende, methodisch gesicherte Erkenntnis gewann zunehmend an Bedeutung und prägte das wissenschaftliche Vorgehen nachhaltig.130 Während in den Naturwissenschaften Wissen mittels experimentellen Methoden verifiziert oder falsifiziert werden konnte, basierten die Kenntnisse über aussereuropäische Völker primär auf Beschreibungen von Augenzeugen – von Reisenden, Missionaren (insbesondere Jesuiten), Kolonisten und Handelsleuten. Ihre Schilderungen bildeten oftmals die alleinige Wissensgrundlage der Gelehrten über Flora und Fauna, Land und Beschaffenheit, Aussehen und Sitten der Bewohner Aussereuropas. Sie versprachen in einem gewissen Rahmen Authentizität, stellten vermeintliches Wissen in Frage und führten damit gegebenenfalls zur Revision des altbekannten Weltbildes.131 Ihre Beschreibungen beförderten das bereits vorhandene Interesse an fremden Völkern, sie regten zu Reflexionen über die menschliche Natur an und stellten damit einen zentralen Pfeiler des universalistischen Diskurses der Aufklärung dar. Dementsprechend durften die Reiseberichte in keiner Gelehrtenbibliothek fehlen, zugleich erreichten sie ein neues, grösseres Publikum und trugen wesentlich zur Vermehrung der Kenntnisse über die aussereuropäische Welt bei.132 Der Zuwachs an Wissen über Aussereuropa war verbunden mit neuen Formen der Wissensvermittlung, markiert durch umfassende Geschichtswerke über die Kolonialisierung in Übersee, Reiseberichtsammlungen sowie Enzyklopädien.133 Sie alle widerspiegelten den für die Aufklärung charakteristischen Wunsch, sämtliches Wissen der Zeit zu sammeln, 128 129 130 131
Bödeker, Wissenschaft, S. 12f. Dietz/Nutz, Naturgeschichte, S. 45f. Kleinert, Wissenschaft, S. 442; Schneiders, Einleitung, S. 13. Meyer, Wahrheit, S. 180f. Bezeichnend für diese Entwicklung ist beispielsweise auch die von Brenner beschriebene Tendenz einer „Quantifizierung der Wirklichkeitswahrnehmung“, welche sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Reiseberichten beobachten lässt. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass Zahlen und Tabellen Eingang in die Reiseliteratur finden. Gleichzeitig lässt sich aber, so Brenner, in dem „ästhetischen Blick“, dh. in der Fokussierung auf das Schöne und damit rein Subjektive, eine Gegentendenz feststellen. Brenner, Erfahrung, S. 34f. 132 Gissis, Visualizing, S. 44; Osterhammel, Distanzerfahrung, S. 12f. 133 Beispielhaft für eine umfassende Geschichtsschreibung ist Guillaum-Thomas Raynals Histoire des deux Indes, für die Reiseberichtsammlung Thomas Astley und für die Enzyklopädien Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert. Lüsebrink, Faszination, S. 12; Lüsebrink, Wissen, S. 630. Vgl. Astley, Collection; Diderot/d’Alembert, Encyclopédie; Raynal, Histoire. Zum Aufstieg und der Bedeutung der Enzyklopädien vgl. u. a. Schneider/Zedelmaier, Wissensapparate, S. 349–363; Schneider, Systematisierung, S. 69–82.
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2. Hintergrund
zu systematisieren und einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und trugen damit wesentlich zu dessen Erneuerung, Systematisierung und Popularisierung bei.134 Die Reiseliteratur war im 18. Jahrhundert in mehrerlei Hinsicht einem Wandel unterzogen. So stieg nicht nur die Anzahl an Publikationen massiv an,135 insbesondere ihre Nutzung und den damit verbundenen Anspruch an sie änderte sich grundlegend. Bis weit ins 17. Jahrhundert bildeten Reisebeschreibungen primär ein literarisches Genre, erst gegen Ende des Jahrhunderts gewannen sie zusehends an Bedeutung für die Wissenschaft. Diese Entwicklung war eng verbunden mit einem generellen Bedeutungszuwachs des Reisens. Einst dem Adel vorbehalten, gewannen Reisen an gesellschaftlicher Relevanz für das aufstrebende Bildungsbürgertum und wurden als wichtiger Bestandteil der Bildung aufgefasst; Kenntnisse über fremde Länder und Kulturen wurden unerlässlich für den Status und das soziale Prestige. Wer sich Reisen aus finanziellen, gesundheitlichen oder zeitlichen Gründen nicht leisten konnte, musste auf die Reiseliteratur zurückgreifen.136 Ihre Verwendung war dementsprechend vielfältig: Sie bildeten nicht nur eine Quelle für gelehrte Abhandlungen, Museumskataloge sowie Romane, sondern gaben auch Anlass zum Verfassen von kulturkritischen Studien.137 Allerdings genügte lediglich ein kleiner Bestandteil der Reiseliteratur den wissenschaftlichen Anforderungen (wobei sie oftmals gar nicht den Anspruch erhoben, diese zu erfüllen). Dieses Defizit war selbst einigen Zeitgenossen bewusst, insbesondere der Authentizitätsgehalt war nicht unumstritten. Der englische Philosoph Shaftesbury stellte die Glaubwürdigkeit der Reiseberichte offen in Frage und kritisierte nicht nur die fehlende Eignung vieler Verfasser sowie deren Fokussierung auf gewisse Bereiche, sondern warf ihnen Befangenheit vor.138 Rousseau wiederum bemängelte den Gehalt der Berichte, die aufgrund der sozialen Herkunft der Verfasser – oftmals handelte es sich um Kaufleute, Soldaten, Missionare oder Seeleute – zumeist nur Altbekanntes enthalten würden.139 Ein Teil der Reiseberichte muss dementsprechend auch dem Unterhaltungsgenre zugerechnet werden. Daneben eignete sich fiktionale Reiseliteratur hervorragend, um eine utopische oder politische Nachricht zu vermitteln und das eigene System zu kritisieren, ohne der Zensur zum Opfer zu fallen. Zu den berühmtesten Beispielen zählen Montesquieus „Lettres persanes“ (1721) oder Voltaires „Lettres philosophiques“ (1734).140 Denjenigen Werken hingegen, welche den wissenschaftlichen Ansprüchen genügten und dem eigentlichen Kanon der Reiseliteratur angehörten, war gemeinsam, dass sie auf Augenzeugenschaft beruhten. Bei Verfassern wie Lafitau, Charlevoix und Pallas – um nur einige zu nennen – handelte es sich ausnahmslos um gebildete und gelehrte Reisende. Ihre Werke beinhal134 Lüsebrink, Wissen, S. 635. 135 Gemäss Nutz belief sich ihre Anzahl im 16. Jahrhundert auf 456, im 17. Jahrhundert wurden bereits 1566 Werke publiziert, im 18. Jahrhundert gar 3540. Nutz, Varietäten, S. 7. 136 Robel, Reise, S. 11, 16. 137 Mühlmann, Anthropologie, S. 40f. 138 Shaftesbury, Characteristics, S. 345. Vgl. Meyer, Wahrheit, S. 182f. 139 Rousseau, Discours, S. 340ff. Vgl. ausserdem Meyer, Wahrheit, S. 183. 140 Vgl. Meyer, Wahrheit, S. 182.
2.4 Reiseliteratur als Wissensvermittler
51
teten eine Fülle an Informationen und liessen sich dementsprechend vielseitig verwenden und in den jeweiligen Diskurs miteinbeziehen.141 Ausdruck des Bedürfnisses nach wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen aus Übersee stellten insbesondere die im 18. Jahrhundert aufkommenden Reisesammlungen dar. Die Idee der Veröffentlichung von Kollektionen war nicht neu, bereits im 16. Jahrhundert existierten solche Publikationen.142 Ein Novum war hingegen, dass die Auswahl an Berichten gemäss wissenschaftlichen Kriterien erfolgte. Nicht nur die Authentizität der Schilderungen sollte gewährleistet werden, auch ein bestimmter Gebrauch wurde durch die thematische Systematisierung der Berichte nach Regionen wesentlich vereinfacht, was einen komparatistischen Zugang erleichterte.143 Neben neuen Methoden auf dem Gebiet der Wissensordnung und -sammlung144 führten insbesondere die grossen Forschungsreisen – die Weltumsegelungen von James Cook, Jean-François de La Pérouse, Louis Antoine de Bougainville sowie die Reisen von Charles Marie de La Condamine und Antonio de Ulloa – zu einem Erkenntnisgewinn.145 Im Gegensatz zu manchen früheren Entdeckungs- und Eroberungsreisen war der militärische, politische und ökonomische Nutzen der Forschungsreisen des 18. Jahrhundert vergleichsweise gering, während ihre Bedeutung für die Wissenschaft stieg. Die enge Verzahnung zeigte sich auch in einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Forschungsreisenden und Gelehrten. Einerseits stellten die Berichte ersterer eine bedeutende Quelle des Gelehrtenwissens über die überseeischen Gebiete und deren Bewohner dar. Andererseits stützten sich die Forschungsreisen nicht nur auf die von der (Natur-)Wissenschaft bereitgestellten Methoden, sondern auch auf deren Systematisierungen und Klassifikationen, welche wiederum oftmals auf der Basis von Reiseberichten zustande gekommen waren.146 So ist beispielsweise bekannt, dass der Weltreisende Johann Reinhold Forster auf seine Entdeckungsfahrt eine kleine Bibliothek mitnahm. Darunter befanden sich neben Linnés „Systema naturae“ auch Iselins „Geschichte der Menschheit“. Diese diente ihm nicht nur als Nachschlagemöglichkeit, sondern auch als Hilfe zur Klassifikation des Neuen und Unbekannten.147 Ausserdem führte er nicht nur die neuesten Messinstrumente mit sich, sondern wurde auch von Zeichnern begleitet, welche die aussereuropäische Welt möglichst naturgetreu abbilden soll141 Osterhammel, Distanzerfahrung, S. 24f. 142 Mühlmann, Anthropologie, S. 36. 143 Vgl. dazu beispielsweise Astley, Collection of Voyages and Travels. Astley gelang es allerdings nicht, die Sammlung zu vollenden, Reiseberichte aus Europa und Amerika fehlten gänzlich. 144 Zur Entstehung neuer Analyse- und Beschreibungsmethoden gehörte neben der Entwicklung der Statistik, Verbesserungen auf den Gebieten der Kartographie, Astronomie sowie des Vermessungswesens. Diese Fortschritte auf dem Gebiet der Naturwissenschaften wirkten sich wiederum auf den anthropologischen Diskurs und somit auf die Darstellung der Aussereuropäer aus. Neben der Entstehung der Naturgeschichte und Pflanzenphysiologie ermöglichten die systematische Auswertung empirischer Daten sowie insbesondere die sich herausbildende komparatistische Ansätze in der Anthropologie, der politischen Philosophie, Kulturgeschichte und Naturgeschichte Vergleiche zwischen den einzelnen Kulturen. Lüsebrink, Wissen, S. 635, 641f. 145 Lüsebrink, Wissen, S. 635, 641f. 146 Vgl. dazu: Lüsebrink, Faszination, S. 11. 147 Nutz, Varietäten, S. 143.
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2. Hintergrund
ten.148 Damit unterschied er sich massiv von früheren Reisenden. Zwar waren auch in früheren Reiseberichten oftmals Stiche integriert, die Repräsentanten fremder Völker abbildeten. Da jedoch die meisten Reisenden des Zeichnens nicht mächtig waren und höchstens einige Skizzen angefertigt hatten, war zuvor die Mehrzahl der Abbildungen erst nachträglich in Europa entstanden. Dies war problematisch, da es bedeutete, dass der involvierte Künstler einen Aussereuropäer zumeist nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Im besten Fall orientierte er sich an den Schilderungen des Reisenden, im schlechtesten Fall liess er seiner Fantasie freien Lauf. Dementsprechend oft sagen die Bilder mehr über die künstlerische Tradition, in welcher der Maler stand, als über die aussereuropäischen Völker aus.149 Die verzerrte Wahrnehmung der Maler beeinflusste wiederum den Rassendiskurs, wie es noch detailliert auszuführen gilt. So motivierten die europäischen Gesichtszüge der schwarzen Afrikaner in den Gemälden Peter Camper zur Entwicklung des Gesichtswinkels, der ursprünglich einen rein ästhetischen Zweck verfolgte, aber schon bald zu einem wichtigen Messinstrument wurde. Nicht nur die Anzahl an Publikationen sowie die Verwendung der Reiseliteratur waren einem Wandel unterworfen, sondern auch die Darstellung des Fremden wandelte sich mit der Zeit. Zu Beginn der europäischen Expansion in Übersee lässt sich zumeist eine Einbettung der aus europäischer Sicht archaischen Völker in die christliche Heilsgeschichte beobachten. Der direkte Bezug zur Genesis oder zu den verlorenen Stämmen Israels liess dabei ihre Beschreibung deutlich humaner werden. Die heilsgeschichtliche Perspektive wurde durch die Konfrontation mit den fremden Völkern und der sich daraus ergebenden Fragen nach ihrer Kultur und Sitten im 18. Jahrhundert durch eine anthropozentrische Sichtweise ersetzt.150 Dabei rückte der aussereuropäische Mensch zunehmend in den Fokus, die europäische Kultur blieb aber als Norm bestehen. Gemäss dem Verständnis der Europäer befanden sich die aussereuropäischen Völker oftmals in einem Urzustand, was sich entweder in einer verherrlichenden, mitleidvollen oder abschätzigen Darstellung manifestierte.151 Erstere zeigte sich in der für das 18. Jahrhundert charakteristischen „Wortergreifung der Anderen“, welche Ausdruck des Wunsches war, die „Stimmen der Besiegten“ zu hören und ihre Weltsicht zu erfahren.152 Dies geschah einerseits in fiktiven Texten, in welchen Aussereuropäer ihre Sichtweise präsentierten und zumeist eine zivilisationskritische Haltung einnahmen. Andererseits kam es im letzten Fünftel des 18. Jahrhunderts erstmalig zur Veröffentlichung autobiographischer, politischer und literarischer Schriften von ehemaligen afrikanischen Sklaven, welche von Vertretern der Abolitionsbewegung wie Abbé Henri Grégoire als Beweis für die Gleichwertigkeit aller Menschen und die intellektuelle Ebenbürtigkeit der Schwarzen gewertet wurden.153 Die Berichte aus Aussereuropa, die Schilderung von fremden Menschen konnten somit zu einer Infragestellung der europäi148 149 150 151 152 153
Lüsebrink, Wissen, S. 641. Theye, Trophäen, S. 20f. Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 25; Mühlmann, Anthropologie, S. 34f. Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 35. Lüsebrink, Wissen, S. 634. Lüsebrink, Wissen, S. 634, 649ff.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
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schen Kultur, der Gesellschaftsform und Staatsorganisation führen. Dies war nicht zuletzt auf einen neuen Lektürezugang zurückzuführen: Das Fremde, Kuriose diente weniger der Unterhaltung, vielmehr führte der Vergleich des Unbekannten mit dem Eigenen oftmals zur Relativierung des Bekannten und zur Erkenntnis, dass die europäische Lebensform längst nicht die Einzige war.154 Berichte aus Übersee dienten nicht alleine der Befriedigung der Neugier und des Wissensdurstes, sie gaben nicht nur Auskunft über Sitten und Gesellschaft fremder Völker und lieferten damit der Wissenschaft neue Erkenntnisse, vielmehr beinhalteten sie zumeist auch ein politisches oder zivilisatorisches Statement. Die Darstellung des Fremden zeugte oftmals von einem Superioritätsbewusstsein der Europäer, verbunden mit dem Glauben an einen europäischen Zivilisierungsauftrag, welcher wiederum die koloniale Expansion legitimierte und die Superiorität der europäischen Kultur- und Rechtsform sowie deren Lebensweise rechtfertigte.155 Charakteristisch für die Reisenden und ihre Berichterstattung war, dass sie stets dem Wertehorizont ihrer Zivilisation, Zeit und sozialen Stellung verpflichtet blieben. Die eigene Wahrnehmung garantierte zwar Authentizität, wies aber immer auch eine Tendenz zur Personalisierung auf. Das Fremde wurde durch die Herstellung von Analogien und Vergleichen fassbar gemacht und setzte sich schlussendlich aus einem Konglomerat von Übereinstimmung, Ähnlichkeit und Differenz zusammen. Die Berichte beschrieben somit nicht nur Tatsachen, sondern schufen – aufgrund des Erfahrungshorizonts des Reisenden – zugleich neue Realitäten.156 Die Vermischung von Tatsachen und Phantasien, welche sowohl auf Voreingenommenheit, Missverständnissen als auch der Unredlichkeit der Reisenden fussten, stellte die Wissenschaft vor die Herausforderung, die Authentizität der jeweiligen Angaben zu überprüfen. Widersprüche und Ungereimtheiten galt es zu erkennen und gegebenenfalls zu korrigieren. Dies konnte einerseits durch Vergleiche von Reiseberichten geschehen, andererseits durch die Planung neuer Forschungsreisen sowie die Entwicklung neuer wissenschaftlichen Zweigen.157 2.5 FRÜHE ANTHROPOLOGISCHE DEBATTEN Bereits in der Antike beschäftigten sich namhafte Gelehrte mit den menschlichen Phänotypen und versuchten die Diversität zu erklären. Zu Beginn der Neuzeit im Zuge der europäischen Expansion und der Entdeckung Amerikas durch die Europäer rückte die Diskussion erneut in den Fokus. Gewisse Diskursmuster sowie Erklärungsversuche wurden dabei von den Rassentheoretikern der Aufklärungszeit erneut aufgegriffen. Sie gilt es im folgenden herauszuarbeiten, um allfällige Kontinuitäten sowie Veränderungen sichtbar zu machen.
154 Bitterli, Grundzüge, S. 209. 155 Lüsebrink, Faszination, S. 16. 156 Kiening, Subjekt, S. 28–31, 50; Osterhammel, Distanzerfahrung, S. 29ff, vgl. auch Brenner, Erfahrung, S. 15. 157 Robel, Reisen, S. 17.
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2. Hintergrund
Diskussion über die Herkunft der Menschheit Die Entdeckung Amerikas und der Eintritt der Bewohner der Neuen Welt in das europäische Bewusstsein stellte die Gelehrten vor die Schwierigkeit, wie die Existenz einer bis anhin unbekannten Menschengruppe, zu welcher scheinbar keinerlei Verbindung bestand, zu erklären und in die biblische Überlieferung einzugliedern sei. Europas frühstes Verständnis der Neuen Welt stellte in vielfacher Hinsicht eine Projektion bekannter imaginärer Vorstellungen dar; das Unbekannte wurde anhand bewährter kultureller Chiffren und Erklärungsmuster fassbar und verständlich gemacht, was dazu führte, dass ‚Amerika‘ eine Erfindung Europas war.158 Teil dieses Prozesses, die Neue Welt anhand bekannter Vorstellungen zu erklären und zugleich in das alte Weltbild zu integrieren, stellte die Auseinandersetzung mit dem Ursprung der indigenen Bevölkerung Amerikas und deren Integration in die Heilsgeschichte dar.159 Eine Möglichkeit auf die Entdeckung Amerikas zu reagieren und gleichzeitig an der christlichen Überlieferung festzuhalten, bot die Modifizierung der Chronologie zur Entstehung der Menschheit. Eine andere, radikalere Option stellte die Abkehr dar.160 Die These der Polygenese – die separate Entstehung der Menschheit an verschiedenen Orten – entwickelte sich in Folge der europäischen Expansion in Übersee161 und bildete einen Versuch, die Existenz unbekannter Völker zu erklären, welche sich der biblischen Schöpfungslehre gänzlich entzogen.162 Bereits im 16. Jahrhundert geisterte die Idee eines möglichen polygenen Ursprungs der Menschheit in den Köpfen einiger Gelehrten umher. Paracelsus mutmasste, dass die Amerikaner von einem anderen Adam abstammen könnten und war überzeugt, dass auch die afrikanischen Pygmäen einen anderen Ursprung aufwiesen. Giordano Bruno wiederum spekulierte, dass es drei Ahnherren gebe: Adam, der Stammvater der Juden, Henoch, von welchem die Weissen abstammen würden, und Leviathan, Urahn der Schwarzen.163 Der Einfluss der frühen Polygenisten blieb aber gering; die Mehrzahl der Gelehrten, welche sich mit der Herkunft der Indigenen Amerikas auseinandersetzte, nahm ihre Abstammung von Adam als gegeben an und versuchte stattdessen einen gemeinsamen Ursprung zwischen antiken Völkern und den Bewohnern der Neuen Welt über die Konstruktion einer gemeinsamen Sprache, des Verhaltens oder der Religion ausfindig zu machen.164 158 Livingstone, Adam’s Ancestors, S. 16. 159 Die Erörterung der Möglichkeit einer polygenen Abstammung war an sich nicht neu; bereits der Talmud und die rabbinische Literatur bieten Anlass zu Spekulationen, wie Tombal ausführt. So beginnt beispielsweise die Tora mit Beth ()ב, dem zweiten, und nicht mit Aleph ()א, dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets. Tombal, Polygénisme, S. 850. 160 Geiss, Rassismus, S. 37; Livingstone, Preadamite Theory, S. 1–4. 161 Eine Ausnahme bildete der spanische Mönch Thomas Scotius, der bereits im 14. Jahrhundert von der Existenz von Menschen vor Adam überzeugt war. Martin, Teufel, S. 281. 162 Geiss, Rassismus, S. 37. 163 Poliakov, Mythos, S. 154; Martin, Teufel, S. 281. vgl. auch: Brace, Race, S. 38f. 164 Huddleston, Origins, S. 48. Auslöser der Debatte bildete die These Francisco López de Gomáras, dass die versunkene Stadt Atlantis die Heimat der Indios bilde. Daneben vermochte vor allem die auf Gonzalo Fernández de Oviedo zurückgehende Theorie der karthagischen
2.5 Frühe anthropologische Debatten
55
Bestimmend für den Diskurs sollte die Theorie des spanischen Jesuiten José de Acostas sein, der 1590 die These formulierte, dass die Amerikaner über das Festland oder auf dem Meerweg nach Amerika eingewandert sein mussten. Die Möglichkeit einer maritimen Migration verwarf er aufgrund mangelnder technischer Hilfsmittel, während er eine Migration über den Landweg als plausibel erachtete. Er mutmasste, dass es zu früherer Zeit eine natürliche Verbindung zwischen Asien und Nordamerika gegeben haben musste. Die Immigration nach Amerika habe zufällig stattgefunden, während die einen sich niedergelassen hätten, seien die anderen weiter nach Süden gezogen, was nicht nur die Einheit der Amerikaner, sondern auch deren Diversifikation bezüglich der verschiedenen Nationen, Menschen und Sprachen erklärt.165 Acostas Theorie prägte nicht nur die Diskussion über den Ursprung der Bewohner der Neuen Welt, sondern trug aufgrund der zahlreichen Übersetzungen des Werks in verschiedenste europäische Sprachen auch zu deren Ausweitung bei. Zugleich illustriert die Auseinandersetzung um die Herkunft der Amerikaner den Einfluss der kolonialen Bestrebungen auf die Gelehrtenwelt. Hatte es sich im 16. Jahrhundert fast ausschliesslich um eine rein innerspanische Debatte gehandelt, partizipierten nun – parallel zu den Kolonisierungsbestrebungen der einzelnen Länder – zunehmend englische, französische und niederländische Intellektuelle. Im Gegensatz zur Theorie der verlorenen Stämme stiess jene Acostas auf breite Zustimmung; eine mögliche Verwandtschaft mit den Tartaren erschien insofern plausibel, als dass diese gemäss europäischem Verständnis ebenfalls als unzivilisiert galten und sich durch die Abwesenheit von schriftlichen Zeugnissen und jeglicher Kunst charakterisierten.166 Kennzeichnend für die Mehrzahl der im 16. Jahrhundert angestellten Überlegungen über den Ursprung der indigenen Bevölkerung, ihre Natur und Rechte war, dass sie im Einklang mit der biblischen Überlieferungsgeschichte standen, deren Wahrheit kaum jemand zu bezweifeln wagte. Sie boten Anlass zu weitergehenden Abstammung die Gelehrten zu überzeugen. Bereits 1535 hatte Oviedo sich mit dem möglichen Ursprung der Indios befasst, war aber lange Zeit auf keinerlei Resonanz gestossen. Die These einer Abkunft des zwölften spanischen Königs Hesperos und die Vermutung, dass es sich bei den westindischen Inseln um die berühmten, seit der Antike bekannten Hesperiden handle, stiess kaum auf Widerhall, obwohl sie eine Legitimation der spanischen Besitznahme Amerikas bot, da Gott selbst die Indios als Nachfahren spanischer Untertanen zurück zur Krone geführt hätte. Einer grösseren Popularität erfreute sich hingegen Oviedos Theorie eine Nachkommenschaft der Karthager. Dabei berief sich der Spanier explizit auf Aristoteles, der einst die Auswanderung der Karthager auf eine grosse Insel im Westen geschildert hatte. Daneben existierten zahlreiche weitere, lediglich auf begrenzten Zuspruch stossende Theorien. Eine der bekanntesten war die Abkunft der Indios von einem der zehn verlorenen Stämme, deren theologische Hintergrund das vierte Buch Esra bildete, das die Gefangennahme und die Wegführung der zehn Stämme in ein Land, in welchem noch nie zuvor Menschen gelebt hatten, schilderte (Esra 4,29–45). Juan Suárez de Peralta äusserte ausserdem die Vermutung, dass es sich bei den Indios um die Nachkommen des durch Noah verfluchten Ham handle (Gen 9,21–27). Huddleston, Origins, S. 4, 15, 24–27, 34–38. Zur frühen Diskussion um den Ursprung der Amerikaner vgl. insbesondere Milhou, Neue Welt, S. 274–296. 165 Acosta, Historia, S. 56–59, 68–72. 166 Huddlestone, Origins, S. 77–84, 110–117.
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2. Hintergrund
Betrachtungen über die Geschichte der Menschheit, Anthropologie und Völkerrecht und bereiteten damit den Boden für die späteren aufklärerischen Diskurse über die Natur des Menschen.167 Die Vereinbarkeit der Herkunft der Amerikaner mit der christlichen Heilsgeschichte sowie der Bezug zur Bibel sollte im 17. Jahrhundert zunehmend in den Hintergrund rücken. Ein gutes halbes Jahrhundert nach Acostas Theorie sorgte 1641 Hugo Grotius mit der Veröffentlichung seiner „Dissertatio de Origine Gentium Americanarum“, welche zu einer Polemik mit Johannes de Laet führte, für Aufruhr und belebte damit die Diskussion um die Herkunft der Amerikaner neu.168 Grotius bezog sich in seiner Schrift auf Acostas und wies dessen Theorie vehement zurück. Eine Besiedelung von Asien aus erschien ihm wenig plausibel, da sie die Abstammung von den Skythen, einem Reitervolk, implizierte, das Nichtvorhandensein von Pferden vor der Ankunft der Spanier diese These jedoch widerlegte. Zugleich widersprach er der gängigen Annahme einer gemeinsamen Abstammung aller Amerikaner. Während er den Völkern nördlich von Panama aufgrund gewisser sprachlichen und kulturellen Ähnlichkeiten eine Abstammung von den Norwegern zuschrieb, mutmasste er, dass die Völker Südamerikas ihren Ursprung in Äthiopien hätten. Grund zu dieser Annahme lieferte ihm die angeblichen Ähnlichkeit der Taufrituale. Den Peruanern wiederum wies er eine chinesische Abkunft zu, was sich in deren Regierungstalent manifestiere.169 Grotius Schrift provozierte De Laet, Geograph und Direktor der Niederländischen Westindien Kompanie, zu einer Gegenreaktion. In einer über zweihundertseitigen, in der Tradition Acostas stehenden Abhandlung widerlegte De Laet die Argumentation. Er kritisierte ihn nicht nur bezüglich seiner Konklusionen sowie seinen mangelnden geographischen und sprachlichen Kenntnissen, welche sich insbesondere in der Behauptung einer norwegischen Herkunft manifestierte, sondern auch für seine Methode. De Laet beschränkte sich nicht auf die Rückweisung der Argumente Grotius, vielmehr bildete die Schrift zugleich den Versuch einer Systematisierung der Forschung zu den einzelnen Völker Amerikas.170 Grotius sah sich daraufhin zur Veröffentlichung einer Replik gezwungen, in welcher er die norwegische Abkunft von Teilen der amerikanischen Völker verteidigte. Zugleich machte er geltend, dass eine Zurückweisung seiner Thesen polygenen Theorien, wie sie in Frankreich angestellt würden, Auftrieb verleihen würde.171 Damit spielte Grotius auf die präadamitische Theorie La Peyrères an,172 welche die Gelehrtenwelt ein gutes Jahrzehnt später erschüttern sollte. Bereits 1641 war La Peyrères Manuskript, das später in einer überarbeiteten Fassung in drei Teilen erscheinen sollte, in Paris zirkuliert und in Grotius Hände geraten, der sich nicht zuletzt aufgrund der brisanten Thesen zur 167 Milhou, Neue Welt, S. 279. 168 Zur Polemik zwischen Grotius und De Laet vgl. insbesondere Gelderen, Hugo Grotius, S. 61– 72; Rubiés, Grotius’s Dissertation, S. 221–244. 169 Grotius, Dissertatio; Grotius, Origin, S. 8–14, 17–20. 170 Laet, Notae; vgl. Gelderen, Hugo Grotius, S. 70f. 171 „(...), aut aliquos anta Adamum fuisse conditos homines, ut nuper aliquis in Gallia somniavit.“ Grotius, Dissertatio, S. 13f, zit. nach Gelderen, Hugo Grotius, S. 72. 172 Zu La Peyrère vgl. insbesondere: Popkin, Isaac La Peyrère. Ausserdem: Grafton, Defenders, S. 204–213; Kidd, Forging, S. 62–65.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
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Veröffentlichung seiner Studie und der Verteidigung der Monogenese veranlasst sah.173 Isaac de la Peyrère war 1655 der erste, welcher die Richtigkeit der Genesis offen bestritt und eine polygene Abstammung der Menschheit behauptete. Als Argumentationsbasis diente ihm die paulinische Theologie, welche von der Annahme ausging, dass es bereits vor dem Gesetz Sünde gegeben habe.174 La Peyrère folgerte daraus, dass das Bestehen von Sünde vor der Entstehung des Gesetzes die Existenz von Sündern bedinge: „For that law was either to be understood of the Law given to Moses or of the law given to Adam (...) if that law were understood of the law given to Adam, it must be held that sin was in the world before Adam and until Adam but that sin was not imputed before Adam; Therefore other men were to be allowed before Adam who had indeed sinn’d, but without imputation; because before the law sins wer [!] not imputed.“175
La Peyrère argumentierte, dass wenn unter dem Gesetz dasjenige verstanden werde, welches Adam (und nicht Moses) gegeben wurde, es Sünde vor Adam und somit auch Menschen, sogenannte Präadamiten, gegeben haben müsse.176 Damit kreierte er eine Art Naturzustand vor der Einführung des göttlichen Gesetzes. La Peyrère erachtete seine Interpretation des Römerbriefes durchaus als konform zur Genesis, da die Existenz weiterer Menschenstämme zur Klärung gewisser Ungereimtheiten innerhalb der biblischen Überlieferungsgeschichte wie der Frage, weshalb Kain nach dem Brudermord keine Angst vor der Vertreibung gehabt hatte und woher seine Frau stammte, beitrage.177 La Peyrères Argumentation hatte weitreichende Konsequenzen, da er nicht nur die Genesis an sich in Frage stellte, sondern zugleich den gemeinsamen Ursprung aller Menschen verneinte. Er vertrat die These, dass die Präadamiten zusammen mit den Tieren am fünften Schöpfungstag erschaffen worden waren und die Vorfahren aller dunklen Völker bilden würden. Aufgrund des verwehrten Zugangs zum Paradies wären sie Heiden geblieben und unfähig, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.178 La Peyrères präadamitische Theorie verstiess gegen die religiösen Dogmen ihrer Zeit; sie widersprach offen der biblischen Überlieferung und negierte die gängige Bibelinterpretation. Die Publikation der Schrift wurde in Holland unverzüglich verboten, La Peyrères verhaftet, die Protestanten und der Prinz, in dessen Diensten er gestanden hatte, wandten sich von ihm ab. Unter Druck sah sich La 173 Gelderen, Hugo Grotius, S. 66. Gelderen betont, dass La Peyrère nach der Veröffentlichung von Grotius Dissertation nicht nur seine polygene Theorie weiter ausarbeitete, sondern auch versuchte, dessen Einordnung der Amerikaner in die Geschichte der Menschheit und somit das monogene Weltbild zu widerlegen. Gelderen, Hugo Grotius S. 73f; vgl. La Peyrère, Relation. 174 Vgl. „Deshalb, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod auf alle Menschen übergegangen ist, weil sie alle gesündigt haben – denn bis das Gesetz kam, war [zwar schon] Sünde in der Welt; Sünde wird aber nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz da ist; (...)“ Röm 5,12–13. 175 La Peyrère, Men before Adam, S. 19. Für das Original in Latein vgl. La Peyrère: Prae-Adamitae, S. 15. 176 Ebd., S. 10, 20–28. 177 Ebd., S. 20ff; vgl. Livingstone, Adam’s Ancestor, S. 34. 178 Bitterli, Grundzüge, S. 329.
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2. Hintergrund
Peyrère zum Widerruf seiner Theorie gezwungen.179 Trotz der Zurücknahme blieb La Peyrères Theorie der Präadamiten, die „monumental heresy to which he gave voice“,180 wie Livingstone ausführt, von fundamentaler Bedeutung. Sie zeigte neue Möglichkeiten bezüglich der Zeitrechnung, dem Ursprung der Menschheit sowie der Entstehung der menschlichen Sprache auf und stellte die Wahrheit der biblischen Überlieferung in Frage. La Peyrères Theorie hinterfragte nicht nur die von der biblischen Lehre veranschlagten 4000 Jahre zwischen Adam und der Geburt Jesus, sie bot erstmals die Möglichkeit, einen grösseren Zeitraum anzusetzen, ohne diesen genau zu bestimmen und liess damit Raum, das Alter der Erde zu erhöhen. Zugleich verwies sie auf die Problematik, die Bibel als einzige Autorität zur Geschichte des menschlichen Ursprungs zu betrachten. La Peyrère nährte Zweifel an der Richtigkeit der Mosaischen Tradition, was dazu ermunterte, sich der biblischen Überlieferung kritisch zu nähern. Seine Theorie trug dazu bei, dass fundamentale Fragen der Bibelauslegung neu gestellt wurden und nährte Spekulationen über die Herkunft und Entwicklung der Sprachen.181 Zugleich zeigte sich bei La Peyrère eine Argumentationsweise, welche von den Polygenisten des 18. Jahrhunderts teilweise adaptiert werden sollte, indem er Zweifel an der Richtigkeit der Monogenese säte, so dass die Polygenese zumindest theoretisch eine Alternative bildete.182 Zwar fand die Theorie nur eine kleine Anzahl an Anhängern, die mehrmalige Wiederlegung der Theorie führte jedoch dazu, dass sie nicht in Vergessenheit geriet. Ihre Spuren lassen sich bis ins 18. Jahrhundert nachweisen, so bezog sich Voltaire, wie Popkin gezeigt hat, auf die Theorie der Präadamiten.183 La Peyrère unterschied sich aber insofern von späteren Polygenisten, als dass seine Theorie frei von rassischen Vorurteilen war und alle Menschen zu integrieren versuchte. Damit zeigte er zugleich auf, dass polygenetische Theorien nicht zwangsläufig eine rassistische Ideologie beinhalten mussten.184 1666 teilte der Deutsche Georgius Hornius die Menschen in die Nachkommenschaft Noahs ein und verband die Klassifikation mit der Hautfarbe. Die Weissen wurden zu Nachkommen Japhets, die Schwarzen stammten von Ham ab und die Gelben von Sem. Die Hautfarbe wurde damit zum ersten Mal zu einem Klassifikationskriterium. Zugleich kam es zu einer Mythologisierung der biblischen Lehre und einer damit verbundenen Historisierung.185 Das 17. Jahrhundert wartete somit nicht nur mit der Erfindung eines präadamistischen Konzeptes auf, sondern verband erstmals auch die Frage nach dem Ursprung der Menschheit mit dem Konzept der Hautfarbe.
179 180 181 182 183 184 185
Grünwaldt, La Peyrère, Sp. 1146f. Livingstone, Adam’s Ancestor, S. 46. Livingstone, Adam’s Ancestor, S. 46–50. Gelderen, Hugo Grotius, S. 74. Livingstone, Preadamite Theory, S. 9. Livingstone, Adam’s Ancestor, S. 50. Hornius, Arca Noae; vgl. Poliakov, Mythos, S. 166.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
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Suche nach dem ‚missing link‘ Von Bedeutung für die Entstehung der Rassentheorien im 18. Jahrhundert war neben der Diskussion um den Ursprung der Menschheit insbesondere die Suche nach dem ‚missing link‘ – dem fehlenden Bindeglied zwischen dem Menschen und den Tieren.186 Voraussetzung für die Existenz von Zwischenwesen bildete der Glaube an die Idee der ‚grossen Kette des Seins‘. Diese war geprägt durch den für die Aufklärungszeit charakteristischen Wunsch nach Ordnung und Systematik. Jede Kreatur – vom Mineralstein bis hin zu Gott als oberstes Glied der Hierarchie – nahm einen festen, ihr zugewiesenen Platz innerhalb des natürlichen Systems ein und stand in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den anderen Gliedern, wobei Veränderungen innerhalb des Systems ausgeschlossen waren.187 Die ‚grosse Kette des Seins‘ liess nicht nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Gliedern ersichtlich werden, sondern zeigte zugleich Kontinuitäten sowie Divergenzen auf.188 Eine Mehrzahl der Gelehrten der Aufklärungszeit bekannten sich zu der Idee – die bekannteste Ausnahme bildete Voltaire. Die Existenz von Mittelwesen war kaum umstritten und sorgte im Gegensatz zur Frage, bei welchem Geschöpf es sich um das fehlende Glied handle, kaum für Kontroversen.189 Die ‚Kette des Seins‘ markierte ein Konzept, das die Existenz von Fabel- und Mischwesen zuliess. Dies führte dazu, dass die Diskussion um den ‚missing link‘ oftmals jeglicher empirischer Grundlage entbehrte. Riesen und Zwerge konnten die Stellung des fehlenden Gliedes genauso einnehmen, wie stark behaarte, wilde Menschen, die einen Schwanz aufwiesen.190 Gestützt wurde der Glaube an die Existenz von Zwischenwesen durch zahlreiche Reiseberichte aus Afrika und Ostasien, welche detailliert über Affenmenschen berichteten. Insbesondere die Entdeckung schwanzloser Affen, Gorillas, Schimpansen und Orang-Utans beflügelte die Phantasie der Reisenden zusätzlich. Ausführlich berichteten sie über die Paarung von Affen mit einheimischen Frauen. Der Phantasie schien dabei keine Grenze gesetzt: Von geraubten Frauen war genauso die Rede, wie von jenen, welche sich den Affen freiwillig ergaben und zusammen mit dem gemeinsamen Nachwuchs in scheinbarer Harmonie lebten. Das aus dieser Paarung hervorgehende Wesen, halb Mensch, halb Affe, bestärkte den Glauben an die Existenz von Zwischenwesen zusätzlich.191 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts rückte der Menschenaffe zunehmend in den Fokus der Diskussion um den ‚missing link‘. Eine mögliche Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier hatte die Gelehrtenwelt bereits früher beschäftigt, die Übertragung anatomischer und physiologischer Erkenntnisse von vierfüssigen Tieren auf den Menschen erschien lange Zeit unproblematisch.192 Die Eigenschaften des 186 187 188 189 190 191 192
Hentges, Schattenseiten, S. 168. Bitterli, Grundzüge, S. 333f; Niekerk, Man and Orangutan, S. 479. Münch, Menschen, S. 523. Bitterli, Grundzüge, S. 334. Ebd.; Münch, Menschen, S. 533. Münch, Menschen, S. 541f. Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der Franzose Pierre Belon ein Vogelskelett mit demjenigen eines Menschen verglichen und dabei zahlreiche Ähnlichkeiten entdeckt. Vgl. Be-
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2. Hintergrund
einen wurden zu jenen des anderen, Unterschiede waren nicht mehr grundsätzlicher, sondern lediglich gradueller Natur. Dies hatte weitgehende Konsequenzen; wenn der Mensch als integraler Bestandteil der Tierwelt erachtet wurde, musste er mit demselben Blick und den gleichen Methoden wie das Tier studiert werden.193 Den bedeutendsten wissenschaftlichen Beitrag zur Diskussion leistete der englische Arzt und überzeugte Vertreter der Idee der ‚grossen Kette des Seins‘ Edward Tyson. In der 1699 erschienen Abhandlung „Orang-Utang sive homo sylvestris“ schilderte er detailliert die erstmalige Zergliederung eines aus Angola stammenden Schimpansen (de facto handelte es sich um einen Orang-Utan). Die streng empirisch gehaltene Studie stellte einen Meilenstein in der Geschichte der vergleichenden Anatomie dar: Erstmals wurde ein Menschenaffe gemäss wissenschaftlichen Standards vermessen und seziert, um anschliessend seinen anatomischen Aufbau in einer systematischen, komparatistisch angelegten Untersuchung mit jenem des Menschen zu vergleichen.194 Insgesamt entdeckte Tyson 48 Ähnlichkeiten zwischen Schimpanse und Mensch und lediglich 34 anatomische Merkmale, welche der Schimpanse gemeinsam mit anderen Affenarten aufwies. Daraus folgerte er, dass der sezierte Schimpanse näher mit dem Menschen als mit dem Affen verwandt sein müsse. Die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies schloss er wegen der divergierenden Verhaltensweise jedoch aus. Aufgrund der anatomischen Übereinstimmung schlussfolgerte Tyson, dass es sich bei dem Schimpansen um den ‚missing link‘ zwischen Mensch und Tier handeln musste und er den wissenschaftlichen Beweis für die Existenz der unendlichen ‚Kette des Seins‘ geliefert hatte.195 Damit rückte Tyson erstmals die Beziehung zwischen dem Menschen und dem Affen sowie deren Verwandtschaft in den Fokus, was die Idee von Abstammung grundsätzlich revolutionierte.196 Die Vorstellung einer evolutionären Entwicklung, wie sie Darwin im 19. Jahrhundert ausformulieren sollte, war Tyson, welcher der Idee der ‚scala naturae‘ verpflichtet blieb, aber noch fern.197 Tysons Studie sowie sein methodisches Vorgehen prägten die anthropologische Diskussion des 18. Jahrhunderts. Die vermeintliche Identifikation des Schimpansen als ‚missing link‘ führte dazu, dass Fabelwesen zunehmend eine untergeordnete
193 194 195 196 197
lon, L’histoire. Wenige Jahrzehnte später hatte der Niederländer Volcher Coiter das Skelett eines Menschen mit demjenigen eines Affen verglichen und auf die teilweise dem aus der Antike tradierten Wissen widersprechenden empirischen Befunde hingewiesen. Vgl. Coiter, Externarum. Mitte des 17. Jahrhunderts war der Arzt Jakob Bontius zum Befund gelangt, dass der einzige Unterschied zwischen dem Menschen und Orang-Utan dessen fehlendes Sprachvermögen sei, womit der gesuchte ‚missing link‘ endlich gefunden zu sein schien. Vgl. Bontius, Historia; Münch, Menschen, S. 541. Martin, Teufel, S. 215. Meijer, Race, S. 42; Poliakov, Mythos, S. 181f. Tyson, Orang-Outang; vgl. insbesondere Münch, Menschen, S. 543f. Vgl. ausserdem: Nash, Tyson‘s Pygmie, S. 51–62. Poliakov, Mythos, S. 181f. Vgl. dazu auch Niekerk, der sich dagegen wehrt, in Tyson einen Vorläufer Darwins zu sehen, da Tyson nicht versucht hatte, eine evolutionäre Beziehung zwischen Affe und Mensch herzustellen, auch wenn einige seiner Werke durchaus den Eindruck entstehen lassen könnten. Niekerk, Man and Orangutan, S. 483.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
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Rolle im wissenschaftlichen Diskurs spielten.198 Seine anatomische Untersuchung wurde breit rezipiert und diente oftmals als Fundament für weitere Überlegungen: Camper übernahm Tysons Methode199 und verglich die Ergebnisse seiner Zergliederung eines Affen mit jenen von Tyson,200 Girtanner201 erwähnte seine Studie ebenso wie Herder202 und Long.203 White bezog sich explizit auf seine Daten und bildete sogar einen in Tysons Studie veröffentlichen Pygmäenschädel ab.204 Die Suche nach dem ‚missing link‘ und die damit verbundene Frage nach dem Verbindungsglied zwischen dem Affen und dem Menschen blieb im 18. Jahrhundert virulent. Zentralen Bestandteil der Diskussion bildete die Frage nach der Bestimmung des Menschseins. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts sollte zunehmend Konsens darüber herrschen, dass sich der Mensch primär durch seinen aufrechten Gang, die Sprache im Zusammenhang mit dem Vernunftgebrauch sowie durch die Verwendung beider Hände von den Tieren und insbesondere vom Affen abhob. Einen wesentlichen Anteil zur Klärung dieser Frage trug neben der systematischen Auswertung von Reisebeschreibungen der anatomische Vergleich von Mensch und Affe, wie ihn Tyson initiiert hatte.205 Parallel zur zunehmend klaren Abgrenzung des Menschen vom Tier kamen Zweifel an der Richtigkeit der Theorie sowie einer etwaigen Verwandtschaft zwischen Mensch und Affe auf. An die Stelle von Menschenaffen als Zwischenglied traten ganze Völker. Pygmäen, Eskimos oder Hottentotten fanden sich unverhofft als Zwischenglied zwischen Mensch und Tieren wieder, was die Idee der ‚grossen Kette des Seins‘ zwar rettete, jedoch dazu führte, dass ihre Inferiorität und Animalität scheinbar wissenschaftlich bewiesen und begründet waren.206 Zwar warnten namhafte Gelehrte davor, in den indigenen Völkern den ‚missing link‘ zu sehen, doch die Suche hielt das ganze 18. Jahrhundert an, wovon der Rassendiskurs der Aufklärungszeit lebhaft zeugt. Setzte sich die Diskussion um eine gemeinschaftliche Abstammung der Menschheit mit der Frage auseinander, ob die somatischen Differenzen angeboren oder milieubedingt – und somit permanent oder veränderbar – waren, wiederspiegelte die Suche um den ‚missing link‘ auch die Bemühung, die phänotypischen Unterschiede messbar zu machen. Indem versucht wurde, den Abstand zum Tierreich anhand des physischen Erscheinungsbildes zu bemessen und fassbar zu machen, fand eine klare Wertung statt. Zusammen mit der Diskussion um den Ursprung der Menschheit sollte die Suche nach dem ‚missing link‘ Eingang in den Sklavereidiskurs des 18. Jahrhunderts finden und der Legitimierung der Versklavung von Afrikanern dienen – ein Beweis für die Adaption der Theorie in die Praxis.207 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207
Bitterli, Grundzüge, S. 336f. Meijer, Race, S. 42. Camper, Rede, S. 33f. Girtanner, Kantische Prinzip, S. 275ff. Herder, Ideen, hier: Herder, Ideen I, 4, I, S. 116, 118. Long, History of Jamaica, S. 359. White, Account, S. 24, 45. Oehler-Klein, „Mohr“, S. 119f. Hentges, Schattenseiten, S. 168, vgl. auch Lovejoy, Kette, S. 281f. Vgl. auch Oehler-Klein, „Mohr“, S. 128f.
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2. Hintergrund
Milieutheorie Eine Möglichkeit, die Differenzierung der Menschheit zu erklären, bot der Rückgriff auf die Milieutheorie (auch Klimatheorie genannt), deren Ursprung in der Antike liegt und die in der frühen Neuzeit dank dem französischen Staatstheoretiker Jean Bodin eine eigentliche Renaissance erlebte.208 Bis weit in die Aufklärungszeit erfreute sich die Milieutheorie grosser Beliebtheit, wobei neben Bodin und Montesquieu insbesondere antike Autoritäten wie Hippokrates und Aristoteles prägend waren.209 Sie sollte bis zur Jahrhundertmitte die wohl anerkannteste Theorie zur Erklärung der menschlichen Verschiedenheit sein und somit einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung des frühen Rassendiskurses leisten.210 Die um 430 vor Christus entstandene und Hippokrates zugeschriebene Schrift „Über die Umwelt“ bediente sich „einer Verabsolutierung des Klimas“,211 um physische und psychische Unterschiede zwischen den verschiedenen Völkern primär klimatisch zu begründen. Zugleich lässt sich die Konstruktion Asiens als Gegenpol zu Europa feststellen und damit der Beginn einer Stereotypenbildung.212 Hippokrates beschrieb Asien aufgrund der geographischen Lage und der grösseren Distanz zu den kalten Zonen, als „viel schöner und grösser“, das Land sei kultivierter, die Sitten der Menschen „sanfter und besser geartet.“213 Analog zu den besten Früchten und Bäumen seien auch die Menschen besonders wohlgeraten und schön. Während sich das gemässigte Klima positiv auf das Aussehen der Bewohner auswirke, führe es zugleich zu einer als negativ konnotierten Mässigung, weshalb Tapferkeit, Abhärtung, Arbeitswille und Mut in diesen Zonen nicht entstehen könnten.214 Die „Schlaffheit und Feigheit der Asiaten“ und der im Vergleich zu den Europäern unkriegerische und sanfte Charakter sei im Klima begründet,215 welches eine „Erschütterung des Geistes“ verhindere. Nur der ständige Wechsel zwischen warm und kalt führe zu aufgeweckten Menschen.216 Die Kraft- und Mutlosigkeit der Bewohner widerspiegle sich in der herrschenden politischen Organisation – der Königsherrschaft –, allerdings verzichtete Hippokrates darauf, die Herrschaftsform direkt auf die klimatischen Bedingungen zurückzuführen.217 Den Gegenpol zu den Asiaten markierten die Europäer, welche aufgrund des Klimas grössere Unterschiede in Gestalt und Charakter aufweisen würden: „Wildheit, Unzugänglichkeit, Mut und Zorn zeigt sich in derartigen Naturen, denn häufige Erschütterungen flössen dem Geist Wildheit ein und bringen Zahmheit und Milde zum verschwinden.“218 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218
Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 26f. Vgl. Blanckaert, Buffon, S. 13–50, S. 36. Blanckaert erwähnt Aristoteles jedoch nicht. Vgl. Bindman, Ape, S. 59. Müller, Montesquieu, S. 20. Ebd. Hippokrates, Über die Umwelt, 12.3. Ebd., 12.5, 12.8, 12.9. Ebd., 16.1. Ebd., 16.2. Ebd., 16.3. Ebd., 23.5.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
63
Das führe dazu, dass die Europäer kriegerischer seien.219 Kleinasien wiederum stelle aufgrund des gemässigten Klimas einen Schmelzpunkt beider Extreme dar, was dazu führe, dass sich die Unterschiede zwischen Griechen und Nichtgriechen anglichen.220 Der Antagonismus zwischen Europa und Asien fand im 4. Jahrhundert vor Christus bei Aristoteles eine Verschärfung. Er beschrieb die Völker in den kalten Regionen und in Europa zwar als mutig, sie würden aber wenig geistige und künstlerische Fähigkeiten aufweisen und seien deshalb „zur Bildung staatlicher Verbände untüchtig und ihre Nachbarn zu beherrschen unfähig.“221 Die asiatischen Völker charakterisierte er als intelligent und kunstbegabt, zugleich als furchtsam, weshalb sie unter dem Joch der Sklaverei leben würden. Die Griechen hingegen, welche sich geographisch zwischen Europa und Asien befänden, würden ausschliesslich die Vorzüge beider Extreme in sich vereinen. Sie seien mutig und intelligent sowie „immerfort im Besitz der Freiheit und der besten staatlichen Einrichtungen“, was sie zur Herrschaft über alle anderen Nationen befähigen würde.222 Aristoteles‘ Milieutheorie wies nicht nur einen klar ethnozentrischen Charakter auf, vielmehr zeigte er sich versucht, den griechischen Herrschaftsanspruch klimatisch zu begründen. Seine Ausführungen enthielten eine klare Wertung, wenn er die Bewohner von Regionen extremer Kälte oder Hitze als „bestialisch in Sitten und Aussehen“ beschrieb, und dies mit dem extremen Milieu begründete, das Körper und Geist entstelle.223 Das Milieu fungierte als determinierenden Faktor, es lieferte die Erklärung für die Minderwertigkeit gewisser Völker und diente als Rechtfertigung bestehender Herrschaftsverhältnisse. Damit begründete Aristoteles die „quasi-wissenschaftliche Grundlage für eine Version der Hellenen-Barbaren-Antithese.“224 Die politische Interpretation der Milieutheorie lieferte eine Möglichkeit, bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erklären. Je nach Zeit (und Machtverhältnissen) fand dabei eine Modifikation der Theorie statt. So verlegte beispielsweise der Hellene Poseidonios die gemässigte Zone von Griechenland nach Rom und lieferte die klimatische Begründung für den politischen und kulturellen Herrschaftsanspruch der Römer.225 In der Frühen Neuzeit verhalf der Franzose Jean Bodin der Theorie zu einer Renaissance, wobei er sich auf antike Autoritäten stützte.226 Bodin teilte die Menschen in Anlehnung an Aristoteles‘ Klimatheorie in drei Gruppen ein und schrieb ihnen spezifische Charakteristika zu. Den nordischen Menschen schilderte er als wild und brutal, keusch und wenig gesprächig. Der Südländer zeichne sich durch seine Vorliebe für Philosophie, Mathematik und die geheimen Wissenschaften aus, 219 220 221 222 223
Ebd., 23.7. Ebd., 16.5 Aristoteles, Politik VII, 1327b. Aristoteles, Politik VII, 1327b. Aristoteles, Problemata Physica, XIV, 908b; Aristoteles spricht von einer „Mischung, von der die Gesinnung abhängig ist.“ 224 Müller, Montesquieu, S. 21. 225 Ebd. 226 Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 28.
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2. Hintergrund
sei aber lüstern, rachsüchtig und verschlagen.227 Die Bewohner der gemässigten Zonen wiederum schilderte er im Vergleich zu den Nordländern zwar als konstitutionell schwächer, ihre Stärke liege aber in der Jurisprudenz, Rhetorik und Politik. Sie würden geleitet durch Vernunft und Gerechtigkeit, was sich wiederum in der Regierungsform niederschlage.228 Indem er eine Verbindung zwischen den Gesetzen und dem Klima, der Zeit und der Diversität der verschiedenen Völker herstellte, nahm er einiges vorweg, was später Montesquieu im 18. Jahrhundert zum Kern seiner Theorie machen sollte.229 An der Einteilung der Welt in eine kalte, eine gemässigte und eine heisse Zone hielt auch der französische Philosoph und Theologe Pierre Charron in seinem 1601 veröffentlichten dreibändigen Werk „Traité de la sagesse“ fest. Charron vertrat die These, dass neben Klima, Geographie auch die Astrologie einen direkten Einfluss auf die Physis, Intelligenz, den Charakter, die Gemütsstimmung, Hautfarbe sowie die Sitten der Bewohner habe und entwickelte damit die einflussreichste Umwelttheorie des 17. Jahrhunderts.230 Gemeinsam war den französischen Milieutheorien der Frühen Neuzeit, dass sie weniger darauf abzielten, die Andersartigkeit der aussereuropäischen Völker zu erklären, als die eigene Superiorität als klimatisch bedingt zu zementieren. Dieses Anliegen widerspiegelte sich in der alleinigen Fokussierung auf Europa; der Versuch, insbesondere die Nordländer herabzusetzten, führte dazu, dass die Milieutheorien in Deutschland und England vorderhand auf Ablehnung stiessen.231 Im 18. Jahrhundert lässt sich erstmals einen Einbezug aussereuropäischer Völker in die Milieutheorien beobachten – eine Fokusverschiebung, welche nicht zuletzt mit der verspäteten Rezeption der Reiseliteratur zu erklären ist. Damit ging der Versuch einher, nicht nur die Diversität der Menschheit, sondern auch die europäische Expansion in Übersee klimatisch zu rechtfertigen.232 Diese Entwicklung nahm mit dem 1743 von Abbé François Ignace d’Espiard de la Borde verfassten „Essais sur le génie et le caractère des nations“ ihren Anfang – eine Abhandlung die jedoch auf keinerlei Resonanz stiess.233 Erst Montesquieu verhalf mit der 1748 veröffentlichten Schrift „De l’esprit des lois“ einer universal ausgerichteten Milieutheorie zum Durchbruch, Buffon sollte ihm wenig später folgen und die erste Rassentheorie basierend auf der Klimatheorie entwickeln. Milieutheorien und Reiseberichte 227 Fink betont, dass sich Bodin beim Südländer auf das Klischee des mittelalterlichen Moslems berief. Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 28. 228 Bodin, Six livres, S. 461–488. 229 Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 28f. 230 Lewis, William Petty‘s Anthropology, S. 280; Charron, Traité. 231 Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 30. 232 Ebd., S. 34–38. 233 1752 folgte eine Neuauflage mit dem Titel „L’esprit des nations“, welche aufgrund des Titels in der Kritik stand, eine Kopie der Klimatheorie Montesquieus zu sein. Hauptursache für den „génie des nations“, welcher durch physische und moralische Ursachen bestimmt wurde, war gemäss François Ignace d’Espiard das Klima, wobei er die Erde in 24 Klimazonen aufteilte. Die Menschen teilte er in vier „branches essentielles“ ein, in „les Nègres, les Américains, les Chinois & les Europeéns, distingués par la langue, la couleur, les usages, la figure, les goûts, la Religion & séparés de puis un si grand nombre de siécles“. Espiard de la Borde, L’esprit des Nations, S. 3f. Vgl. auch Gisi, Einbildungskraft, S. 87ff.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
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sowie die Berichte antiker Geographen bildeten eine Symbiose. Die Reiseliteratur lieferten das geographische und anthropologische Wissen, auf welches sich die Milieutheorien stützten. Ihre Auseinandersetzung mit den Verschiedenheiten der Menschen bezüglich ihres Aussehens, ihrer Sitten und ihres Benehmens war jedoch primär deskriptiver Natur. Die Milieutheorien nahmen sich den von den Reisenden aufgeworfenen Fragen und Probleme an und erbrachten eine scheinbar profunde Erklärung für die Diversität des Menschengeschlechts.234 Mit „De l’esprit des lois“ publizierte Montesquieu die wohl bedeutendste Klimatheorie der Aufklärungszeit, welche einen massgeblichen Einfluss auf die frühen Rassentheorien hatte.235 Seine Klimatheorie, welche die Gesamtheit der physischen Umweltbedingungen berücksichtigte, die sich auf den Menschen auswirkten, ging weit über eine rein philosophische Betrachtungsweise hinaus. Vielmehr stellte sie einen Versuch dar, die Welt und insbesondere die Natur sowie deren Gesetzmässigkeiten mittels naturwissenschaftlichem Denken zu analysieren: Indem Montesquieu in den „Gesetzen notwendige Beziehungen (rapports nécessaires) sieht, die sich aus der Natur der Dinge (la nature des choses) ergeben“, wurden die „Gesetze der einzelnen Völker in Analogie zu den Gesetzmässigkeiten der Natur“ gebracht.236 Ausgangspunkt bildete die Annahme, dass sich die Völker grundsätzlich voneinander unterscheiden würden. Der bedeutendste äussere Faktor, der auf den jeweiligen Volkscharakter einwirkte, war für Montesquieu das Klima.237 Um dessen Einfluss zu beweisen, ging er von der physikalischen Beobachtung aus, dass sich das Gewebe in der Kälte zusammenziehe, während die Glieder an der Wärme erschlaffen würden.238 Damit griff er eine Überlegung auf, welche John Arbuthnot ein Jahrzehnt zuvor ausformuliert hatte. Arbuthnot hatte drei Elemente herausgearbeitet, welche auf den menschlichen Körper und die Mentalität der Völker wirkten: die Dichte, Temperatur und Feuchtigkeit der Luft.239 Montesquieu folgerte, dass für geistige und sittliche Eigenschaften die gleichen Gesetze gelten würden wie für den Körper. Konkret müsse in den kälteren Klimazonen die Spannkraft des Körpers grösser sein, was zu stärkeren, mutigen und selbstbewussten Menschen führe, die weniger hinterlistig und misstrauisch und sich dafür ihrer Überlegenheit bewusst seien. Die Schlaffheit der Glieder hingegen führe zu einer Schwächung des Menschen, was ihn ängstlich und kraftlos und somit unterwürfiger machen würde. Die Auswirkung der Hitze könne sich auch im Geist bemerkbar machen und äussere sich durch die Absenz von Neugier und Unternehmungslust, an deren Stelle Passivität trete, weshalb Knechtschaft nicht als unerträglich empfunden werde.240 Montesquieus Klimatheorie stellte ein Konglomerat traditioneller Ideen, die in der Antike fussten, und neuer Thesen dar, wobei die Relevanz gesellschaftlicher
234 235 236 237 238 239 240
Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 39. Mühlmann, Anthropologie, S. 48f. Müller, Montesquieu, S. 23. Vgl. auch Clostermeyer, Gesichter, S. 139. Montesquieu, Esprit, S. 1–634; hier: Montesquieu, Esprit, Livre XIV, Chapitre II. Arbuthnot, Essay. Montesquieu, Esprit, Livre XIV, Chapitre II.
66
2. Hintergrund
Faktoren zunahm.241 Das Klima wirkte gemäss Montesquieu zwar bestimmend für die Sitten, die Eigenart und die Gesetze eines Volkes.242 Der Mensch war dem Milieu jedoch nicht gänzlich ausgeliefert, sondern durchaus fähig, autonom zu agieren.243 Schlechte Gesetzgeber verstärkten beispielsweise negative klimatische Einflüsse, während gute diesen entgegenwirken würden.244 Zugleich spielten mehrere, von Menschen geschaffene Faktoren wie die Religion, Gesetze, Staatsmaxime, Geschichte, Sitten und Lebensstil eine Rolle. Diese bildeten den esprit des lois, wobei je nach Nation ein Faktor über die anderen dominieren und diese zurückdrängen konnte. Als Beispiel erwähnte Montesquieu die vom Lebensstil regierten Chinesen, die von den Gesetzen tyrannisierten Japaner, genauso wie das historische Sparta, in welchem einst die Sitten dominiert hätten sowie das von Sitten und Staatsmaxime getragene Rom.245 Damit gliederte Montesquieu die antike Klimatheorie in ein grösseres Konzept ein, historisierte sie, um deren universelle Gültigkeit zu beweisen, und schuf ein Modell, welches an gesellschaftlicher Relevanz gewann. Montesquieus Klimatheorie hob sich insofern von den antiken Vorgängern ab, als dass er eine Abhängigkeit der Regierungsform von dem Klima herstellte. Damit einhergehend fand die Konstruktion Asiens als Gegenpol Europas und die Marginalisierung der asiatischen Völker zugunsten der Bewohner der gemässigten Zonen Europas statt. Seine Ausführungen offenbaren einen tiefen Widerspruch zwischen den Idealen der Aufklärung, welche die Freiheit und Gleichheit aller postulierte, und einem geographisch begründeten Determinismus, welcher schlussendlich zur Legitimierung der Sklaverei Hand bot. So erachtete Montesquieu die Despotie als einzig mögliche Staatsform in Asien.246 Diese basiere auf der freiwilligen Entscheidung eines Menschen (un homme), sich zu seinem eigenen Nutzen einem Herrn (maître) zu unterwerfen, wobei diese sanfte Form der politischen Sklaverei gleichbedeutend mit einem Ende der wirtschaftlichen Freiheit sei.247 In Asien, so Montesquieu, sei die Despotie naturgegeben, womit er eine Verbindung zur Klimatheorie schuf. Nur eine extreme Sklaverei (servitude extrême) könne eine Spaltung der asiatischen Reiche verhindern. Dies im Gegensatz zu Europa, dessen geographische Vielfalt zur Entwicklung von Staaten mittlerer Grösse geführt habe. Diese würden durch Gesetze regiert, was ihrer natürlichen Vorsehung entspreche.248 Das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gängige Stereotyps des orientalischen Despoten lässt sich somit bereits bei Montesquieu finden.249 Montesquieu war der erste Philosoph der Aufklärungszeit, welcher sich mit dem Thema der Sklaverei auseinandersetzte.250 Seine Ausführungen zur Sklaverei 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250
Vgl. Müller, Montesquieu, S. 25f. Montesquieu, Esprit, Libre XIX, Chapitre XIV. Clostermeyer, Gesichter, S. 133; Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 41. Montesquieu, Esprit, Livre XIV, Chapitre V, S, 311f. Montesquieu, Esprit, Libre XIX, Chapitre IV, S. 412. Montesquieu, Esprit, Livre XVII, Chapitre VI. Montesquieu, Esprit, Livre XV, Chapitre VI. Montesquieu, Esprit, Livre XVII, Chapitre VI. Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 50. Bernasconi, Unfamiliar source, S. 150.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
67
zeugen von einer grossen Widersprüchlichkeit und von der Schwierigkeit, die Klimatheorie mit den aufklärerischen Idealen der Freiheit und Gleichheit in Einklang zu bringen. Er konstatierte, dass in manchen Ländern die Menschen aufgrund der grossen Hitze nur unter Furcht vor Strafe arbeiten würden.251 Da die grosse Hitze die Entstehung von Mut und Stärke verhindere, würde die Feigheit die Menschen in den heissen Zonen zu Sklaven machen, während der Mut der Völker der kalten Zone die Freiheit sicherstelle.252 In diesem Kontext muss auch Montesquieus Ablehnung der Sklaverei in Europa verstanden werden, welche aufgrund der klimatischen Bedingungen für eine Mehrheit nicht durchsetzbar wäre,253 während sie in Asien wiederum klimatisch und geographisch begründet war. „Mais, comme tous les hommes naissent égaux, il faut dire que l›esclavage est contre la nature, quoique dans certains pays il soit fondé sur une raison naturelle; et il faut bien distinguer ces pays d›avec ceux où les raisons naturelles mêmes le rejettent, comme les pays d›Europe où il a été si heureusement aboli.“254
Der Widerspruch zwischen einer aufgrund der Gleichheit als widernatürlich deklarierten Sklaverei (contre la nature) und ihrer natürlichen Ursache (une raison naturelle) in gewissen Ländern, lässt sich kaum lösen. Montesquieu versuchte dies mittels des Rückgriffs auf die Klimatheorie, was jedoch zu einer Relativierung der Gleichheit aller Menschen führte. Widersprüche offenbaren sich nicht nur in Montesquieus Auseinandersetzung mit der Sklaverei, sondern auch in dem Spannungsverhältnis zwischen Kultur und Natur. Dies widerspiegelt sich insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit den Germanen, deren Bild sich massiv von jenem in den antiken Klimatheorien unterschied. Wurden die Germanen – wie die Nordländer im Allgemeinen – in den antiken Klimatheorien primär mit Wildheit und Rohheit in Verbindung gebracht und stellten den Prototypen des Barbarentums dar, erfuhren sie bei Montesquieu eine deutliche Aufwertung. Die Germanen wurden neu als freiheitsliebendes, mit der Natur in Einklang lebendes Volk beschrieben, wobei Montesquieu sich primär auf Tacitus als Quelle stützte.255 Dass sie fast gänzlich ohne Gesetze lebten, keine Erziehung und Kunst kannten – alles Aspekte, welche er eigentlich als negativ erachtete –, wurde zwar nicht ausgeblendet, insofern aber abgeschwächt, als dass ihre Lebensweise aufgrund eines klimatisch bedingten „bon sens“ doch als positiv beschrieben wurde.256 Während Zivilisation eigentlich als positiv erachtet wurde, da der determinierende Faktor des Klimas bei nichtzivilisierten Völkern wesentlich grösser war, galt im Falle der Germanen gerade das Nichtvorhandensein von Kultur als Ideal.257 Seine Sichtweise des Verhältnisses zwischen Natur/Umwelt und Gesellschaft gehören denn auch „zu den umstrittensten Teilen seiner philosophischen
251 252 253 254 255 256 257
Montesquieu, Esprit, Libre XV, Chapitre VII, S. 332. Montesquieu, Esprit, Livre XVII, Chapitre II, S. 368f. Montesquieu, Esprit, Livre XV, Chapitre IX, S. 335. Montesquieu, Esprit, Libre XV, Chapitre VII, S. 332. Montesquieu, Esprit, Livre XVIII, Chapitre XVII, XXIII, XXV, XXVII, XXX. Montesquieu, Esprit, Livre XVIII, Chapitre XXII. Clostermeyer, Gesichter, S. 143; vgl. auch: Müller, Montesquieu, S. 25.
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2. Hintergrund
und speziell gesellschaftstheoretischen Konzeption“.258 Mehrere Faktoren führten zu einer veränderten Sichtweise der Germanen. Einerseits ging die positivere Betrachtungsweise mit einer Ablösung des Ideals der humanistischen Bildung durch dasjenige der politischen Freiheit einher. Andererseits fiel bei Montesquieu die Gleichsetzung der nordischen Völker mit den Barbaren weg; der Norden war erstmals nicht negativ konnotiert.259 Dies mag auch mit dem Zeitaspekt und dem Einbezug aussereuropäischer Völker zusammenhängen; die Klimatheorie lebte nicht mehr vom Gegensatz Nord-Süd, ihr Fokus beschränkte sich nicht mehr nur auf die Alte Welt, an die Stelle der wilden Germanen waren aussereuropäische Völker getreten. Montesquieus Klimatheorie hatte einen grossen Einfluss auf die frühen Rassentheorien. Buffon ist das prominenteste Beispiel, doch die Wirkung ging weit über den französischen Sprachraum hinaus.260 Die Milieutheorie, deren Ursprung in der Antike lag, stellte einen Versuch dar, die Diversität der Menschen klimatisch zu erklären. Von Beginn an war sie ideologisch geprägt, da sie den Menschen der gemässigten Erdstriche – oftmals auf Kosten der Bewohner extremer klimatischer Zonen – positive Attribute zuschrieb.261 Die Milieutheorien der Aufklärungszeit unterschieden sich insofern von ihren Vorgängern, als dass sie neu auch die aussereuropäische Welt miteinschlossen. Insofern stellten sie eine direkte Folge der Zunahme anthropologischen und geographischen Wissens dar, welches primär durch die Reiseliteratur vermittelt wurde. Indem sie Sitte, Gesetz, Religion und Regierungsform miteinander verbanden, zeigten sie die Diversität der Menschheit auf und lieferten zugleich eine gewisse Vereinfachung. Als dominierender Faktor zur Erklärung der menschlichen Vielfalt fungierte das Klima, wobei – wie es zu zeigen gilt – das Prinzip der ‚Rasse‘ zunehmend an Bedeutung gewann.262 Während in einigen Fällen rassentheoretische Überlegungen auf der Klimatheorie basierten und diese ergänzten, führten sie in anderen Fällen zu deren Verdrängung. Von ‚edlen‘ und ‚unedlen Wilden‘ Die Vorstellung von Wildheit – sowohl in ihrer beschönigenden, als auch dämonisierenden Form – wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Auseinandersetzung der Europäer mit der aussereuropäischen Welt. Wildheit galt als Indikator für den Grad an Kultur,263 sie diente der Abgrenzung der Europäer gegenüber dem Frem258 259 260 261 262 263
Müller, Montesquieu, S. 19. Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 50. Müller, Montesquieu, S. 19, 28ff. Vgl. Müller, Montesquieu, S. 31. Fink, Klima- und Kulturtheorien, S. 53. Zum Kultur- und Zivilisationsbegriff vgl. insbesondere Fisch, Zivilisation, S. 679–774. Der moderne, umfassende Kulturbegriff entstand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und bezog sich auf die Gesamtheit des menschlichen Wirkens. Dabei gehört er zur Gruppe der modernen Bewegungsbegriffe und war eng verknüpft mit ‚Geschichte‘ und ‚Fortschritt‘. Kultur und Zivilisation, beides positiv besetzte Wertbegriffe, standen zunehmend sinnbildlich für
2.5 Frühe anthropologische Debatten
69
den, wobei die Beschäftigung mit ihr nicht nur auf dem Gebiet der Anthropologie und Theologie, sondern auch im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich stattfand.264 Die Entwicklung des Mythos des ‚edlen‘ sowie seines Konterparts, des ‚unedlen Wilden‘ stand in Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas, in deren Zuge die Europäer mit einer fremdartigen, archaischen Kultur in Kontakt kamen, die scheinbar keinerlei Gemeinsamkeiten mit der eigenen aufwies. Sie bildete eine Reaktion auf die Schwierigkeit der Europäer, das Neue und Unbekannte zu verarbeiten – eine Möglichkeit, das Fremde zu deuten und fassbar zu machen. Während der Mythos des ‚unedlen Wilden‘, der die Eingeborenen auf das Animalische und Brutale reduzierte, einen Versuch darstellte, die gewalttätigen Exzesse, die Unterdrückung und Ausbeutung der Indigenen zu legitimieren, entstand das Bild des ‚edlen Wilden‘ oftmals aus einem schlechten Gewissen heraus und zeugte von einem Unrechtsbewusstsein gegenüber der indigenen Bevölkerung.265 Der ‚Wilde‘ in seiner dämonisierten Form galt als disziplinlos und gewalttätig, er repräsentierte Infantilität und Unreife. Er war unfähig zur Zivilisation und stand in Opposition zur europäischen Lebensweise.266 Der ‚edle Wilde‘ hingegen stellte eine Wunschvorstellung der Europäer dar und bildete das Ideal des guten, zur Zivilisierung bereiten, religiösen Untertans. Im Gegensatz zum durch gesellschaftliche und moralische Zwänge gehemmten Europäers war er frei. Er symbolisierte eine entschwundene Welt, deren Zugang dem ‚Zivilisierten‘ unwiderruflich verweigert blieb.267 Der ‚Wilde‘, gleichgültig ob in seiner idealisierten oder in seiner dämonisierten Form, war zugleich eine Versprechen wie auch eine Gefahr. In beiden Fällen wurde dem Aussereuropäer jeglicher Grad an Zivilisation abgesprochen, er befand sich in einem Zustand, welchen der Europäer vor langer Zeit verlassen hatte.268 Dabei zeichnete er sich insbesondere durch Geschichtslosigkeit aus. Diese manifestierte sich in der Abwesenheit von Inschriften, Büchern sowie Ruinen, was erklärt, warum der Mythos kaum eine Anwendung in Asien fand.269 Der Mythos bildete eine Verschmelzung antiker Stoffe mit neuzeitlichen Reisebeschreibungen. Obwohl sich die Mehrzahl der Reisenden bemüht zeigte, möglichst deskriptiv vorzugehen, blieben die Berichte geprägt durch eine dem eigenen Erfahrungshorizont zugrunde liegende Subjektivität. Bereits Kolumbus‘ Bordbuch, das den Mythos des ‚edlen Wilden‘ begründete, zeugte von der widersprüchlichen Darstellung archaischer Völker, wobei gut und böse untrennbar miteinander verbunden waren.270 Sein Augenzeugenbericht erinnern teilweise stark an das von Ovid beschriebe ‚Goldene Zeitalter‘, welches einen Idealzustand zu Beginn der
264 265 266 267 268 269 270
einen Prozess. Diese Dynamik entfaltete sich vollends im 19. Jahrhundert als ‚Kultur‘ und ‚Zivilisation‘ zum Sinnbild des europäischen Selbstbewusstseins wurden und dabei primär ein gemeineuropäisches Selbstbewusstsein und Überlegenheitsgefühl zum Ausdruck brachten. Fisch, Kultur, S. 679–682. Kiening, Subjekt, S. 37. Ellingson, Myth, S. 1–4; Fink-Eitel, Philosophie, S. 9. Sheehan, Savagism, S. 1–8. Ellingson, Myth, S. 11. Kiening, Subjekt, S. 52. Osterhammel, Entzauberung, S. 385. Fink-Eitel, Philosophie, S. 100.
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2. Hintergrund
Geschichte und vor der Bildung der Gesellschaft skizziert.271 Wie bei Ovid waren die Bewohner der Neuen Welt nackt, schienen kein Rechtssystem zu kennen und keinen Ackerbau zu betreiben, da die Erde ihre Bedürfnisse befriedigte.272 Daneben skizzierte Kolumbus mit dem Volk der Karaiben ein Gegenbild, welches diese als Anthropophagen darstellte und ihre Animalität betonte. Beide Motive hatten ihren Ursprung in der Antike, wobei sie von einer grundsätzlich verschiedenen Menschheitsentwicklung ausgingen. Vertreter der Degenerationstheorie gingen davon aus, dass bei der Entstehung der Menschheit ein Idealzustand vorherrschend gewesen sei, der durch eine kontinuierliche Verschlechterung schliesslich zu dem Ist-Zustand geführt habe. Die zweite Theorie hingegen postulierte eine gegenteilige Entwicklung, in welcher der Mensch den sich durch Primitivität und Animalität charakterisierenden Urzustand schrittweise verliess und schliesslich zur höchsten Kulturstufe gelangte.273 Die Rückbesinnung auf die Antike stellte nicht nur eine Möglichkeit dar, das Fremde fassbar zu machen, sondern auch die Geschehnisse in der Neuen Welt in den europäischen Wert- und Erfahrungshorizont zu integrieren.274 Der Mythos des ‚Wilden‘ entsprang fixen europäischen Vorstellungen und gab einen Einblick in das eigenes Selbstverständnis. Der Mythos beinhaltete dabei stets auch eine politische Komponente. Aufbegehrende Indigene, die sich der Kolonialisierung widersetzten, wurden primär als primitiv, viehisch und kannibalisch beschrieben. Die Betonung ihrer ‚Wildheit‘ diente der Legitimation ihrer Unterwerfung und Versklavung, was die politische Nutzbarkeit des Konzepts aufzeigt.275 Die Stereotypisierung war dabei nicht fix, sondern konnte sich im Laufe der Zeit wandeln: Lehnten sich die ‚edlen Wilden‘ gegen die Kolonialmacht auf, konnte es schnell zu einer Umkehrung des Mythos kommen.276 Der Mythos wiederum war ein willkommenes Mittel, um die Politik anderer Kolonialmächte anzugreifen. Indem die Tugenden der Indigenen herausgestrichen wurden, wirkten die Exzesse der Europäer und das daraus resultierende Unrecht noch gravierender.277 Im 16. Jahrhundert278 verwendete Montaigne erstmals den Mythos als Mittel zur Selbstkritik. Die egalitäre indianische Gemeinschaft, die sich durch den Ein271 272 273 274 275 276
Vgl. Ovid, Metamorphosen. Sheehan, Savagism, S. 20ff. Küchler Williams, Entstehung, S. 82f. Ellingson, Myth, S. 11f. Fink-Eitel, Philosophie, S. 97–103. Vgl. Sheehan, Savagism, S. 36, Welck, Indianer, S. 180ff. Sheehan konzentriert sich dabei auf das veränderte Indianerbild in Nordamerika. Als es um 1700 zu vermehrten Zusammenstössen zwischen weissen Siedlern und Indianern kam, änderte sich nicht nur die Bewertung durch die Amerikaner selbst. Im 19. Jahrhundert sollte das Bild der glücklichen und bescheiden lebendenden ‚edlen Wilden‘ zunehmend auch in Europa in Misskredit geraten und durch ein deutlich negativeres abgelöst werden. Sheehan, Savagism, S. 36. 277 Dies lässt sich insbesondere für 18. Jahrhundert nachweisen, als die Abneigung der europäischen Kolonialmächte gegenüber Spanien zunahm – eine Tendenz, die sich auch in der Reiseliteratur nachweisen lässt. Duviols, Iberoamerika, S. 814; vgl. auch Krauss, Anthropologie, S. 32. 278 Neben Montaigne bemühten im 16. Jahrhundert insbesondere Bartolomé de Las Casas und Marc Lescarbot das Bild des ‚edlen Wilden‘.
2.5 Frühe anthropologische Debatten
71
klang von Geist, Seele und Körper auszeichnete, stand bei ihm in direkter Opposition zu der zivilisierten, hierarchisch aufgebauten europäischen Gesellschaft. Mit dem Ziel, die eigene verdorbene Kultur zu kritisierten, kam es zur Idealisierung der Indianer und ihrer scheinbar unverfälschten Kultur: Kulturrelativismus versus Naturgesetz, die verstümmelte und gehemmte Sexualität stand im Gegensatz zu dem freien und natürlichen Umgang mit ihr, die Brutalität der waffentechnisch überlegenen, sich feige hinter Kriegsmaschinen versteckenden Europäer wurde mit den unterlegen aber tapfer kämpfenden Indianer verglichen.279 Nicht der ‚Wilde‘ galt als barbarisch, sondern der Europäer280 – eine These, die im 18. Jahrhundert wieder aufgegriffen werden sollte. Im Zuge der fortschreitenden Kolonialisierung und der damit verbundenen Zunahme an Konflikten fand im 17. Jahrhundert nicht nur eine stärkere Betonung der Gefährlich- und Verwerflichkeit des Handelns des ‚bösen Wilden‘ statt,281 sondern auch eine Ausweitung des Mythos des ‚edlen Wilden‘ auf die Bewohner anderer Kontinente. Insbesondere der nordamerikanische Indianer rückte vermehrt in den Fokus, wobei der Mythos einen grundsätzlichen Wandel vollzog. Waren die Bewohner der Karibik zumeist als in einem Zustand der Unschuld lebend beschrieben worden, bewunderte man neu den nordamerikanischen Indianer für seinen Edelmut, das kämpferische Geschick, die Schlauheit und den Mut. Seine Grossherzigkeit und Hochachtung gegenüber den Gegnern sowie die Würde, mit welcher er sein Schicksal zu meistern schien, wurden zusätzlich hervorgehoben.282 Die Tendenz einer Ausweitung des Mythos des ‚edlen Wilden‘ auf weitere Völker sollte im 18. Jahrhundert durch die Entdeckungsfahrten in die Südsee noch weiter verstärkt werden. Zugleich lässt sich in der Aufklärungszeit die zunehmende Verbreitung des Mythos beobachten, der sich nicht nur bei Literaten, sondern auch auf dem Gebiet der Anthropologie, Geographie und Philosophie grosser Beliebtheit erfreute. Als Hauptquelle diente die – zumeist selektive Lektüre – der Reiseliteratur, welche primär der Bestätigung und Ergänzung des eigenen Phantasiebildes diente. Die sentimental und phantastisch anmutende Verklärung aussereuropäischer Menschen hatte dementsprechend wenig mit der oftmals tristen Realität der kolonialisierten Völker gemein, sondern widerspiegelte vielmehr die Sehnsüchte vieler Gelehrter.283 Neben der Popularisierung des Mythos lässt sich eine zunehmende Differenzierung beobachten. Neu wurde dezidiert unterschieden zwischen unterworfenen, als zivilisiert geltenden Indianer, sowie den ‚Wilden‘, deren Freiheitsliebe auf Bewunderung stiess und die es nicht zu unterwerfen galt.284 Zugleich etablierte sich der ‚edle Wilde‘ endgültig als beliebte literarische Figur. Durch die fiktive Wortergreifung, die insbesondere in der Spätaufklärung zu einem beliebten Stilmittel mutierte, wurde den Aussereuropäern scheinbar eine Stimme gegeben. Sie vermittelte dem Leser eine zivilisationskritische Sichtweise und bot ihm einen Einblick in eine an279 280 281 282 283 284
Fink-Eitel, Philosophie, S. 125–136. Montaigne, Des Cannibales, S. 183. Duviols, Iberoamerika, S. 813. Bitterli, Grundzüge, S. 275f. Bitterli, ‚Edle Wilde‘, S. 272. Duviols, Iberoamerika, S. 814.
72
2. Hintergrund
dere Lebensweise mit divergierenden Wertvorstellungen.285 Eng damit verbunden war die bereits bei Montesquieu sichtbare Tendenz der Kulturrelativierung und Selbstkritik. Der ‚edle Wilde‘ wurde zur Traumfigur, in welche die eigenen Träume und Vorstellungen hineinprojiziert werden konnten. In ihm spiegelten sich verlorene Illusionen, er bot Anlass zur kritischen Reflexion der eigenen Kultur, zeigte deren zivilisatorische Abgründe in Verbindung mit der Skizzierung eines anderen Weges auf.286 Beispielhaft war das als autobiographisch deklarierte, 1703 veröffentlichte Werk „Voyage du Baron de La Hontan dans l’Amérique septentrionale“. Dieses handelte von der Begegnung des Autors mit dem Huronen Adario, der vollumfänglich dem Klischee des ‚edlen Wilden‘ entsprach. Er wohnte in einem Zelt, jagte, war von grösster Bescheidenheit, voller Respekt und Liebe zur Natur und Inbegriff eines moralisch handelnden Wesens. Er hob sich insofern ab, als dass er Frankreich und damit die Zivilisation aufgrund eigener Erfahrung kannte. Dieses Wissen ermöglichte ihm, seinem Gesprächspartner aufzuzeigen, wie sehr sich die Franzosen von der Natur entfernt hatten und damit gegen das Naturgesetz verstiessen.287 Höhepunkt des Mythos markierte die Veröffentlichung des von Rousseau verfassten „Discours sur l’inégalité“ im Jahre 1754. Rousseau kreierte einen Naturzustand, den selbst die archaischen Völker längst verlassen hatten. Dieser war gleichzusetzen mit einem Zustand gänzlicher Unschuld, ohne ihn jedoch mit dem Paradies gleichzusetzen.288 Die Rückkehr zur Natur, die eine Abwendung von der Kultur markierte, war nicht nur ausgeschlossen, sondern auch nicht erstrebenswert.289 Stattdessen bot die Betrachtung der Lebensweise der archaischen Völker den Zivilisierten einen Einblick in die eigene Geschichte und lieferte eine Gelegenheit zur Neubesinnung. Der direkte Kontakt mit dem Indigenen bot dem Europäer die Möglichkeit, sich selbst zu finden. Rousseaus Darstellung des Naturzustandes wurde breit rezipiert und vor allem von der Literatur aufgenommen und weiterverarbeitet. Sein Verdienst lag weder in der Erfindung des ‚edlen Wilden‘, noch in seiner positiven Deutung. Vielmehr trug er wesentlich dazu bei, den Kulturkontakt zwischen archaischen und zivilisierten Kulturen einem breiteren Publikum vertraut zu machen und dieses für die daraus entstehenden politischen und moralischen Konsequenzen zu sensibilisieren.290 Die Fähigkeit zur Mimikry, wie sie bereits bei Lahontan gezeigt wurde, zeichnete auch den Protagonisten von Voltaires 1767 veröffentlichtem fiktivem Werk „L’ingénu“ aus, in welchem sich der Franzose in gewohnt ironischer Manier über den äusserst populären Mythos lustig machte. Ausgestattet mit sämtlichen Stereotypen wie schön, tapfer, kriegerisch und redlich, erschien der ‚Wilde‘ als Zivilisierter, was daran lag, dass er zwar bei den Huronen aufgewachsen, jedoch französi-
285 286 287 288 289 290
Lüsebrink, Wissen, S. 649. Fink-Eitel, Philosophie, S. 151. Pagden, Amerika, S. 181f; Fink-Eitel, Philosophie, S. 151f.; vgl. Lahontan, Voyages. Rousseau, Discours, S. 134. Vgl. Ebd, S. 76–170. Bitterli,‚Edle Wilde‘, S. 284f.; Bitterli, Grundzüge, S. 237f, 287f.
2.6 Kommunikationsräume
73
scher Abstammung war.291 Seine Wildheit und die damit verbundenen Tugenden symbolisierten gerade wegen seiner Herkunft einen Idealzustand der europäischen Kultur und hielten ihr zugleich einen Spiegel vor.292 Ironie und Überzeichnung dienten als Mittel zur Kritik des von Voltaire abgelehnten Mythos. Stattdessen betonte er lieber die Grausamkeit der Traditionen archaischer Völker, ihre Hässlichkeit sowie die Inexistenz jeglicher Rationalität.293 Damit entsprach er einer Tendenz, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend durchzusetzten vermochte. Die Faszination des Exotischen – wie sie sich insbesondere in der Beschreibung der Südseeinsulaner manifestierte – wich zusehends einem kritischeren Bild, welches das Primitive hervorhob. Stattdessen wurde die europäische Überlegenheit betont und damit verbunden die eigene Vormachtstellung eingefordert. Die ‚Wildheit‘ der aussereuropäischen Völker wurde als Zeichen ihrer Inferiorität gewertet, als Relikt aus einer früheren Zeit und Beweis für ihre Zugehörigkeit zu einer niederen Stufe auf der ‚scala naturae‘.294 Die zunehmend negative Perzeption war einerseits Ausdruck einer wachsenden Frustration über den anhaltenden Ablehnung der ‚Wilden‘ gegenüber der europäischen Zivilisation sowie der während den Kolonialkriegen erfahrenen Feindseligkeiten und Grausamkeiten.295 Andererseits war die Abneigung gegenüber dem ‚Wilden‘ nicht zuletzt durch die Ideale der Aufklärung bedingt: Das Primitive wurde als Widerpart zur Vernunft betrachtet, welches den aufklärerischen Idealen wie Mässigung und Ordnung zuwiderlief.296 2.6 KOMMUNIKATIONSRÄUME Ein zentraler Faktor für die Verbreitung aufklärerischer Ideen und Ideale, so die These des Kultur- und Sozialhistorikers Richard van Dülmen, sei die Organisation ihrer Vertreter jenseits der traditionellen Kommunikationskanäle und Machtzentren. Dabei seien drei Medien und Institutionen von besonderer Bedeutung: Erstens gründeten die Gelehrten eigene Gesellschaften, um ihre Ideen unter Gleichgesinnten diskutieren und weiterverbreiten zu können. Zweitens entstanden informelle Gruppen, die in engem Briefkontakt zueinander standen und drittens entwickelte sich ein Zeitschriftenwesen, welches sich der Zensur weitgehend entziehen konnte und zum kulturellen Machtfaktor wurde.297 Diese drei Elemente waren nicht nur für die Aufklärung, sondern auch für die Entstehung des Rassendiskurses von eminenter Bedeutung.298 Die Akademien, das informelle Netzwerk, welches sich insbesondere in der Briefkommunikation zeigte, und die Zeitschriften lieferten die struktu-
291 292 293 294 295 296 297 298
Voltaire, L’ingénu. Fink-Eitel, Philosophie, S. 152–157. Bitterli, ‚Edle Wilde‘, S. 278f.; Bitterli, Grundzüge, S. 270–280. Mosse, Rassismus, S. 34ff. Kirchberger, Konversion, S. 130–133. Mosse, Rassismus, S. 34ff. Dülmen, Kultur, S. 226. Vgl. dazu Kapitel 3.
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2. Hintergrund
rellen und organisatorischen Voraussetzungen, welche die Entwicklung des Rassendiskurses in allen seinen Facetten erst ermöglichen sollten. Aufstieg der Akademien – Institutionalisierung des Wissens und Entstehung wissenschaftlicher Netzwerke Im ausgehenden 17. Jahrhundert lässt sich die zunehmende Institutionalisierung unabhängiger Forschung beobachten. Diese Entwicklung war eng verbunden mit dem Aufstieg der Akademien, eine Vereinigung von Gelehrten, die sich zum Ziel setzte, wissenschaftliche Erkenntnis aktiv zu fördern und die Wissenschaft sowohl ideell als auch finanziell unabhängiger von den Universitäten zu gestalten. Ihre Mitglieder, zu denen ein Grossteil der Aufklärer gehörte, beteiligten sich an den wichtigsten Diskursen der Aufklärungszeit, stellten ihre Forschung zur Diskussion, publizierten sie in den entsprechenden Zeitschriften und leisteten somit einen wichtigen Beitrag zu deren Verbreitung. Indem sich die Akademien – oftmals als Träger eines eigenen Publikationsorgans – aktiv mittels Preisfragen in die Diskussion einschalteten, grössere Projekte initiierten und ihren Mitgliedern eine Plattform zur Vernetzung boten, machten sie das neue Wissen einer grösseren Schicht von Gelehrten zugänglich. Damit legten sie den Nährboden für ein angeregtes geistiges Klima und trugen wesentlich zu einem neuen Wissenschaftsverständnis bei.299 Voraussetzung für den Aufstieg der Akademien war das Vorhandensein eines Gruppenbewusstseins auf Seiten der Gelehrten und der damit verbundene Wunsch nach Gesprächen, Freundschaft und Vernetzung. Bereits im Mittelalter lässt sich die Entstehung eines Gemeinschaftsgefühls beobachten, doch erst zur Zeit des Humanismus setzte sich die Überzeugung, eine besondere Gesellschaftsschicht zu sein, durch. Diese Gemeinschaft, die Gelehrtenrepublik – Erasmus von Rotterdam hatte einst von der ‚res publica litteraria‘ gesprochen –, charakterisierte sich durch ein ganz Europa umfassendes Netz an Korrespondenten, welche brieflich miteinander in Kontakt standen. Ziel der Gelehrtenrepublik war von Anbeginn eine freie Form des wissenschaftlichen Austausches,300 ein Wunsch, der sich im 17. und 18. Jahrhundert in der Gründung von Akademien und Sozietäten äusserte. Vorläufer des Akademiegedankens lassen sich bereits in der Zeit des Humanismus und der Renaissance in Italien finden. 1582 gründeten zwei Patrizier in Florenz mit der ‚Accademia della Crusca‘ die erste Akademie in der Geschichte, welche als Vorbild für weitere Neugründungen dienen sollte. Die Strahlkraft dieser frühen Akademien blieb beschränkt, ihre Aktivitäten beschränkten sich auf das Abhalten von regelmässigen Treffen einiger wenigen Gelehrten, die sich der Dicht- und Redekunst sowie der Altertumskunde und der Geschichte widmeten.301 Damit unterschieden sie sich nicht nur punkto Relevanz und Grösse massiv von den späteren Akademien der Aufklärungszeit, auch der thematische Fokus sollte sich zugunsten 299 Duchhardt, Europa, S. 170; Dülmen, Gesellschaft, S. 34f; Meyer, Wahrheit, S. 52f; Möller, Akademiegedanke, S. 9; Oberhummer, Akademien, S. 700. 300 Gestrich, Absolutismus, S. 100. 301 Pedersen, Tradition, S. 386.
2.6 Kommunikationsräume
75
der neusten wissenschaftlichen Errungenschaften auf dem Gebiet der Naturwissenschaften verschieben.302 1662 wurde mit der förmlichen Erlaubnis von König Karl II. die Royal Society in London als erste Akademie der Aufklärungszeit gegründet. Vier Jahre später folgte in Paris die Académie des Sciences. Die beiden wohl berühmtesten Akademien Europas machten das moderne Denken, dessen Methoden und Theorien zum Programm.303 Sie wiesen gleichermassen einen Modellcharakter auf – wobei sie sich strukturell fundamental voneinander unterschieden – und sollten den ihnen nachfolgenden Gesellschaften304 als Vorbild dienen. Während sich die Royal Society durch einen hohen Grad an Unabhängigkeit auszeichnete, war ihr französisches Pendant eng mit dem Königshof verbunden, was sich in deren Organisation widerspiegelte. Ziel der Royal Society, deren Mitglieder sich nach Möglichkeit einmal pro Woche zu treffen pflegten, war gemäss Statut die Förderung der Kenntnis von „natural things, and all useful Arts, Manufactures, Mechanick practises, Engines and Inventions by Experiments“.305 Wissenschaftliche Theorien galt es durch Experimente kritisch und vorurteilsfrei zu prüfen, was den aufklärerischen Anspruch der Akademie unterstrich.306 Im Vordergrund stand die Förderung praxisorientierter Forschung, die mit der Ablehnung einer strikten Dogmen folgenden Wissenschaft einherging. Aus diesem Grund akzeptierte die Society auch Mitglieder, welche keinen akademischen Hintergrund aufwiesen, ausserdem war die Mitgliedschaft unabhängig von Nationalität und Konfession.307 Ab 1665 war die Society in Besitz eines eigenen Publikationsorgans, der Zeitschrift „Philosophical Transactions of the Royal Society“, was der Verbreitung neuer Erkenntnisse dienlich war. Der Royal Society gelang es, weitgehend autonom zu agieren und den Einfluss des Staates auf die eigenen Tätigkeiten möglichst gering zu halten. Sie erhielt keinerlei staatliche Mittel und finanzierte sich stattdessen durch einen jährlich erhobenen Mitgliedsbeitrag, der primär der Finanzierung von Forschungsexperimenten sowie den durch die Sozietät initiierten Expeditionen diente. Die eigenständige Finanzierung bewirkte, dass die Royal Society eine vergleichsweise hohe Anzahl an Mitgliedern und einen äusserst heterogenen Charakter aufwies. Die Mitglieder konnten ihren 302 Hammermayer, Geschichte, S. 2. 303 Vetter, Reduktionismus, S. 45. 304 Zu den weiteren Neugründungen im 18. Jahrhundert gehörten unter anderem die 1700 gegründete Brandenburgische Societät der Wissenschaften zu Berlin (ab 1701 Königlich Preussische Sozietät der Wissenschaften), welche jedoch bis zu ihrer Umstrukturierung im Jahre 1742 unbedeutend blieb, dann die 1725 von Peter dem Grossen gegründete Russische Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (1751), ausserdem jene von Bologna (1714), Turin (1757) und München (1758). Vgl. Hankins, Science, S. 170f; Möller, Akademiegedanke, S. 1. 305 Zit. nach Pedersen, Tradition, S. 386. Die Fokussierung auf die Naturwissenschaften stiess nicht nur auf Zustimmung. So lehnte Leibniz die Beschränkung der Royal Society auf die Naturwissenschaften explizit ab, widersprach sie doch dem Prinzip der Universalität, welche seines Erachtens auch die Geisteswissenschaften beinhaltete. Hammermayer, Geschichte, S. 3. 306 Vgl. Pedersen, Tradition, S. 386. 307 Meyer, Wahrheit, S. 53.
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2. Hintergrund
eigenen wissenschaftlichen Interessen nachgehen, ohne irgendwelche Verpflichtungen eingehen zu müssen, zumal die Royal Society kaum Aufgaben für den Staat zu erledigen hatte. Trotz weitgehendster Autonomie kam die Gesellschaft in den Genuss gewisser königlicher Privilegien. Insbesondere die Erlaubnis, auf den diplomatischen Postverkehr zurückzugreifen, war für die Aufrechterhaltung von Kontakten mit ausländischen Gelehrten sowie Expeditionsteilnehmern von fundamentaler Bedeutung.308 Die weitgehende politische Unabhängigkeit der Royal Society war nicht selbstverständlich. Oftmals erkannten Staatsmänner und Herrscher die potenzielle Bedeutung der Akademien sowie das damit verbundene Prestige und bemühten sich aktiv um die Bildung einer Gelehrtenvereinigung. Beispielhaft dafür ist die 1666 durch Kardinal Richelieu in Paris gegründete Académie des Sciences, welche auf einen Plan von Jean-Baptiste Colbert zurückging.309 Die Mitglieder der Pariser Akademie, deren Anzahl sich zu Beginn auf gerade mal sechs Personen belief (bis zu ihrer Reorganisation durch die Regierung im Jahre 1699 sollte die Zahl auf 70 steigen), wurden direkt vom Staat bezahlt, wobei das Jahresgehalt äusserst gering ausfiel. Die Mitgliedschaft blieb Staatsangestellten vorbehalten, die vom Staat finanzierte Pariser Akademie hatte diesem dementsprechend zu dienen, weshalb ein Grossteil der Projekte praktisch ausgerichtet war.310 Die Aufgaben, welche die Akademien übernahmen, waren vielfältig. Dazu gehörten die Veröffentlichung von Editionen, die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, die Förderung interdisziplinärer Projekte, genauso wie die finanzielle Förderung von wissenschaftlichen Expeditionen. Mit dem Ziel, mehr über die Geographie, das Klima sowie die Bevölkerung in fremden Ländern und Kolonien zu erfahren, wurden Territorien vermessen und topographische und statistische Erhebungen durchgeführt.311 Daneben unterstützten sowohl die Royal Society als auch die Pariser Akademie aktiv anthropologische und ethnologische Studien. Exemplarisch sind die von London finanziell unterstützte Studie Edward Tysons über die Anatomie des Wals312 oder die im Auftrag von Ludwig XVI. durchgeführte Pazifik-Expedition von La Pérouse.313 Die Akademien bildeten – insbesondere in England und Frankreich – einen Gegenpol zu den vormodernen Universitäten. Waren die Akademien Zentren der Macht und des weltlichen Wissens, bildeten die Universitäten bis ins späte 18. Jahrhundert eine relativ starre Institution, die den Entwicklungen der sich ausbildenden modernen Wissenschaft kaum gerecht wurde und deren Impulse nur bedingt aufzunehmen vermochte. Viele Professoren sahen sich gezwungen, zusätzlich zu ihrer Lehrtätigkeit zu arbeiten und hatten öffentliche Aufgaben zu erledigen, weshalb kaum Zeit für Forschung blieb, zumal Universitäten nicht als Forschungsstätten verstanden wurden, sondern vielmehr als Dienstleistungsinstitute, welche der Kir308 309 310 311 312 313
Atkinson, Scientific Discours, S. 16–21; Pedersen, Tradition, S. 386f; Rossi, Geburt, S. 303ff. Oberhummer, Akademien, S. 701. Hankins, Science, S. 170f; Pedersen, Tradition, S. 386f; Rossi, Geburt, S. 301ff. Möller, Akademiegedanken, S. 4f. Vgl. Tyson, Phocaena. Tyson war ab 1679 Mitglied der Royal Society. Vetter, Reduktionismus, S. 45–52.
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che und dem Staat zu dienen hatten. Während sie für den Aufbau des frühmodernen Staatswesens durchaus von Bedeutung waren, spielten sie bei der Wissenschaftsentwicklung nur eine marginale Rolle. Nicht Innovation und Fortschritt stand im Vordergrund, sondern die Wissens- und Traditionswahrung. Gelehrt wurde in Latein, Orientierung boten die bewährten Autoritäten. Daran sollte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wenig ändern; die wissenschaftliche Bedeutung der Universitäten blieb mit einigen Ausnahmen marginal.314 Auch wenn die Universität im heutigen Sinne, die Lehre und Forschung vereint, sich erst im 19. Jahrhundert durchsetzen sollte, lässt sich bereits zuvor ein Wandel beobachten. Die Vorrangstellung der theologischen Fakultät wurde zugunsten der philosophischen und juristischen beseitigt; insbesondere die historisch-philosophischen Wissenschaften gewannen an Bedeutung. Professoren spezialisierten sich, der Fächerkanon wurde vielfältiger und Ziel war nicht mehr nur die Ausbildung loyaler Beamten oder Theologen, sondern die Erziehung mündiger und kritischer Bürger. Latein als Bildungssprache wurde zunehmend durch die jeweilige Nationalsprache abgelöst – eine Entwicklung, welche die Akademien bereits zuvor vollzogen hatten.315 Die modernen Naturwissenschaften wurden nicht mehr nur rezipiert, vielmehr bildete die naturwissenschaftliche Forschung einen festen Bestandteil des universitären Curriculums. Dazu gehörte die Einsicht, dass Wissen nicht alleine durch Rezeption anerkannter Autoritäten – durch Wissenstradierung –, sondern vielmehr aktiv durch Beobachtung und Messung erlangt werden musste.316 Eine Vorreiterrolle im deutschsprachigen Raum nahmen die Reformuniversitäten Halle und Göttingen ein. Insbesondere in letzterer gingen Akademie und Universität eine enge Symbiose ein, was sich positiv auf die Forschung auswirkte.317 Im Gegensatz zu Halle beteiligten sich mit Blumenbach und Meiners sowie dem früheren Studenten Soemmerring mehrere Exponenten der Universität Göttingen am Rassendiskurs der Aufklärungszeit. Bereits früh öffnete sich Halle gegenüber den praktischen Wissenschaften und säkularisierte die Jurisprudenz. Die 1737 gegründete Universität Göttingen wiederum war die erste reine Staatsuniversität, welche den Professoren Lehrfreiheit garantierte318 und sich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zu einem eigentlichen Zentrum der Völkerkunde etablierte. Die Faktoren, welche zu diesem Prozess führten, waren sowohl geographischer und politischer als auch personeller Natur. Bereits die geographische Lage zwischen den beiden Grossmächten Russland und England sowie dem aufstrebenden Preussen er314 Dülmen, Kultur, S. 189ff; Möller, Akademiegedanke, S. 2. 315 Zu Ende des 17. Jahrhunderts kam es zunehmend zu einer Verdrängung des Lateins als Wissenschaftssprache auf Kosten der jeweiligen Nationalsprachen. Diese Entwicklung hatte in den 1670er Jahre begonnen, als deutlich mehr Gelehrte in Frankreich und England anfingen in ihrer eigenen Sprache zu publizieren, und setzte sich in Italien zu Beginn des 18. Jahrhunderts fort. Etwas verspätet gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich auch in Deutschland der Trend zur Publikation in der eigenen Nationalsprache durch. Die Ablösung des Lateins durch die jeweiligen Nationalsprachen bedeutete zugleich eine Nationalisierung der Wissenschaft. Roger, Life Science, S. 144f. 316 Dülmen, Kultur, S. 194–197; vgl. auch Gierl, Christoph Meiners, S. 422. 317 Möller, Akademiegedanke, S. 3. 318 Dülmen, Kultur, S. 194.
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2. Hintergrund
wies sich als klarer Vorteil. Eine wichtige Voraussetzung bildete die 1714 entstandene Personalunion zwischen Hannover und der Kolonialmacht England, welche den Göttinger Gelehrten den Zugang zur aussereuropäischen Welt ebnete. Durch die enge Verbindung zu Grossbritannien war Göttingen vernetzter und kosmopolitischer ausgerichtet als andere Universitäten.319 Dies manifestierte sich insbesondere in der breiten Rezeption der schottischen Aufklärung.320 Die enge Zusammenarbeit mit englischen Forschungsexpeditionen und insbesondere mit der Royal Society als deren Förderer war von grosser Bedeutung. Sie ermöglichte den Forschern, ethnologische Kuriositäten sowie Ausstellungsstücke aus der Tier-, Pflanzen- und Mineralwelt für ihre Sammlungen zu erwerben und bot die Möglichkeit, eigene Schüler an den Expeditionen zu beteiligen. Zugleich kam Göttingen durch die Nähe zu England in Kontakt mit der englischen Adelsschicht, welche sich als Gönner betätigte. Über Halle war Göttingen zudem eng mit Russland verbunden, wovon auch die Gelehrten profitierten. Ein weiterer wichtiger Faktor war die thematische Neuausrichtung der jungen Universität, in welcher sich das damalige Göttinger Wissenschaftsverständnis widerspiegelte, welches vom Geist eines aufgeklärten Absolutismus geprägt war. Wissenschaft sollte nicht nur der Monarchie alleine, sondern auch dem Volk dienen, was eine Erweiterung des Fächerkanons mit sich brachte. Traditionelle Fächer wie Philosophie und Theologie verloren ihre Vormachtstellung. Durch die Aufnahme neuer, experimenteller Fächer erhoffte man sich ein besseres Verständnis der Entwicklung des Menschen und der Natur sowie des gesellschaftlichen Fortschritts.321 Während Jena und Königsberg in der Philosophie führend blieben, wurde Göttingen die wichtigste deutschsprachige Universität auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und Anthropologie. Ihren Ruhm, der weit über die deutsche Sprachgrenze hinausging, verdankte die Universität neben dem 1773 von Christian Gottlob Heyne und Johann Friedrich Blumenbach gegründeten, europaweit für seine ethnographische Sammlung bekannten „Academischen Museum“ insbesondere ihrer Bibliothek.322 Diese stand im starken Kontrast zu den gewöhnlichen Universitätsbibliotheken, deren Bestände oftmals arg zu wünschen übrig liessen, und sollte europaweit zum Vorbild werden für Bibliotheken wie jene des British Museums in London. Die Göttinger Bibliothek bestach nicht nur durch ihr Katalogsystem, sondern insbesondere durch ihre aktuellen Bücherbestände. Die Bibliothek arbeitete eng mit dem Buchdrucker Vandenhoeck zusammen und Göttingen konnte sich rasch als wichtiger Verlagsort etablieren, was insbesondere mit der Herausgabe der „Göttingischen gelehrten Anzeigen“ zusammenhing, der ersten 319 Zum internationalen Charakter Göttingens vgl. auch Marino, der betont, dass neben dem Einfluss der englischen Kultur die Beziehungen Göttingens zur russischen Welt beachtenswert waren und auch zu Amerika und Italien wissenschaftliche Kontakte bestanden. Diese Verbindungen blieben jedoch im Gegensatz zu den Kontakten mit Frankreich zweitrangig. Marino, Praeceptores, S. 15–20. 320 Waszek, Schottische Aufklärung, S. 125. 321 Gascoigne, Blumenbach, S. 86f, 90, 97; Krüger, Ueberflusse, S. 202f; Vermeulen, Göttingen, S. 200–206; Wellenreuther, Personalunion, S. 38f. Zur Geschichte der Universität Göttingen siehe Saada, Universität Göttingen, S. 23–46. 322 Marino, Praeceptores, S. 5–9.
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deutschsprachigen Rezensionszeitschrift.323 Als deren Redaktor waltete Albrecht von Haller, der 1751 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ernannt wurde, was die enge Verzahnung zwischen Universität, Akademie, Bibliothek und Verlag nochmals zu unterstreichen vermag.324 Trotz den beiden Reformuniversitäten Halle und Göttingen wäre es jedoch falsch, primär die Universitäten als Zentren des Fortschritts, der Innovation und Aufklärung zu sehen. Es waren die Akademien, die den experimentellen Forschern die Plattform boten, sich ausserhalb der Universität zu treffen, auszutauschen und gemeinsam zu forschen und Wissen zu verbreiten.325 Die Trennung zwischen Akademien und Universitäten, zwischen Forschung und Lehre, wie sie in England und Frankreich bestand, führte dazu, dass zwischen Forschenden und Studierenden kaum eine Verbindung bestand, was Innovationen von Seiten der Studenten hinderlich war, zumal neue Erkenntnisse und Theorien erst nach längerer Zeit in die Lehre einflossen. Hinzu kam, dass die Universitäten in Frankreich und Enland weniger reformorientiert waren als in Deutschland.326 Akademien waren Orte jenseits territorialer Grenzen. Ihre Ausrichtung war international; Gelehrte jeglicher Nationalität korrespondierten miteinander, tauschten sich aus und arbeiteten zusammen. Beispielhaft für die Zusammenarbeit über territorialer Grenzen hinweg ist die Königlich Preussische Akademie der Wissenschaften, welche 1700 gemäss den Plänen Leibniz’327 als Societas Regia Scientiarum unter dem Schutz des Kurfürsten und späteren König Friedrich III. (I.) gegründet wurde. Leibniz, der als zentrale Figur der Sozietätenbewegung zur Jahrhundertwende gilt, setzte sich zum Ziel, eine Gesellschaft zu gründen, welche den Forderungen der neuen Wissenschaften nach gemeinsamer, praxis-relevanter Forschung und den Erwartungen des Staates an die praktischen Wissenschaften gerecht wurde. 1700 kam es zu einem kurfürstlichen Befehl zur Gründung einer Akademie, deren Präsident Leibniz auf Lebzeiten sein sollte. Es dauerte allerdings rund zehn Jahre, bis sie offiziell als Akademie anerkannt wurde. In dieser Zeit versuchte Leibniz ein wissenschaftliches Netzwerk in den verschiedensten Ländern aufzubauen, wobei er insbesondere den Kontakt zu den Herrscher in Wien und Petersburg suchte.328 Die internationale Ausrichtung blieb auch nach Leibniz Ableben bestehen: 1711 als Akademie anerkannt und zur Königlichen Preussischen Akademie umbenannt, 323 Alleine in Göttingen wurden von 1781 bis 1790 rund 25 Zeitschriften veröffentlicht, was die Bedeutung Göttingens als Zentrum des geistigen Lebens zusätzlich unterstreicht. Marino, Praeceptores, S. 40. 324 Würgler, Medien, S. 62. 325 Dülmen, Kultur, S. 206. 326 Pedersen, Tradition, S. 389. 327 Leibniz Vorstellung einer Akademie wandte sich gegen die Universitäten, die er als veraltet und weltfremd wahrnahm. Er orientierte sich an der französischen Académie, lehnte aber die staatliche Oberaufsicht ab, da er Autonomie als zentral für eine Gelehrtengesellschaft erachtete. Leibniz erhoffte sich durch die Akademiegründung neben einer Stärkung der deutschen Sprache und Nation auch die Expansion von Handel und Gewerbe sowie die Verbreitung des Christentums. Rossi, Geburt, S. 305f. 328 Dülmen, Gesellschaft, S. 30f.
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wurde auf Anraten Voltaires der Franzose Maupertuis 1746 zum Präsidenten gewählt und in der Folge Französisch zur offiziellen Sprache der Akademie.329 Auch die Royal Society wies eine internationale Ausrichtung auf. Bereits bei der Gründung hatten deutsche Gelehrte eine wichtige Rolle gespielt.330 Später profitierte die Vereinigung von der internationalen Vernetzung ihres Präsidenten Joseph Banks, welcher der Gesellschaft von 1778 bis zu seinem Tod 1820 vorstand. Banks stellte eine Schnittstelle zwischen Forschungsreisen, Wissenschaft und Politik dar. Er unterhielt enge Beziehungen zu König George III., was der Royal Society wiederum zugute kam:331 Wissenschaft wurde in den Dienst des Empires gestellt, zugleich konnte diese aber von dessen Ressourcen profitieren.332 Banks selbst hatte zusammen mit Daniel Solander, einem der Lieblingsschüler Linnés, von 1768 bis 1771 an der ersten Expedition Cooks in die Südsee teilgenommen und war in Besitz einer bedeutenden Sammlung anthropologischer und ethnographischer Materialien, welche von Gelehrten aus zahlreichen Ländern benutzt wurde.333 Er pflegte ein Netzwerk, dem sowohl Entdecker als auch Naturgeschichtsschreiber angehörten und welches Banks und der Royal Society einen bedeutenden Einfluss auf die Wissenschaft sicherte.334 Ein Blick auf die Korrespondenz Banks zeugt eindrucksvoll von seiner Vernetzung, so stand er brieflich in Kontakt mit den wichtigsten Gelehrten seiner Zeit, darunter auch zahlreichen frühen Rassentheoretikern wie Linné, Hunter, Camper, Blumenbach und Forster.335 Insbesondere mit Blumenbach pflegte er, wie es noch auszuführen gilt, einen engen Kontakt, der sich nicht nur auf die Beschaffung und den Austausch von Objekten beschränkte. Während Blumenbach von Banks‘ Kontakten zu Forschungsreisenden profitierte und dieser ihm diverse anatomische Präparate und Schädel zukommen liess, erhielt die Royal Society im Gegenzug Zugang zu Expertisen und Personal der Universität Göttingen, auf welche sie aufgrund der in England dezentralisierten, nicht an Universitäten ausgeübten Naturgeschichte dringend angewiesen war.336 In den 1790er Jahren ging die Zusammenarbeit zwischen Blumenbach und Banks gar so weit, dass man gemeinsam mit der Organisation von Expeditionen ins innere Afrikas und Arabiens begann. Göttinger Studenten wurden minutiös auf die Forschungsreise vorbereitet und auf Kosten der African Association in London ausgerüstet und mit Informationen ausgestattet. Anschliessend wurden sie mit der Royal Navy nach Afrika oder Arabien transportiert, von wo sie zu mehrjährigen Forschungsreisen aufbrachen. Neben anthropologischen und ethnologischen Artefakten, welche für Gelehrte wie Blumenbach eine unabdingbare Quelle für ihre Studien darstellten, sandten die Expeditionsteilnehmer über den britischen Konsul Berichte von ihren Reisen nach London, wo sie veröffentlicht wurden, und wiederum als Grundlage für weitere 329 330 331 332 333 334 335 336
Rossi, Geburt, S. 306. Biskup, Sammeln, S. 607f. Chambers, Introduction, S. ixxf, xxiff. Biskup, Sammeln, S. 609. Marino, Praeceptores, S. 130ff. Chambers, Introduction, S. ixxf, xxiff. Chambers (Hg.), Correspondence of Sir Joseph Banks I. Biskup, Sammeln, S. 608ff, 612f.
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zivile und militärische Expeditionen dienten.337 Spätestens hier wird die Verzahnung von Politik, Akademie, Gelehrten und Forschungsreisenden und deren Bedeutung für den frühen Rassendiskurs augenscheinlich. Der Aufstieg wissenschaftlicher Akademien ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts widerspiegelte das Bedürfnis der Gelehrten, sich ausserhalb der Universität austauschen zu können. Während die Universitäten mit den technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Neuerungen oftmals kaum Schritt halten konnten, boten die Akademien Raum, neue Methoden zu diskutieren und aktuelle Problemstellungen zu erörtern. Sie boten den Gelehrten eine Plattform für den Austausch über alle territorialen Grenzen hinweg, was zu einer Belebung des geistigen Lebens führte.338 Die Akademien stellten somit eine „zentrale Institution aufgeklärter Gelehrsamkeit und Meinungsbildung, einen Ort auch sozialer Mobilität“ dar,339 sie trugen wesentlich zur Verbreitung aufklärerischer Gedanken bei und sind dementsprechend als „wichtigster Anreger des geistigen Lebens im 18. Jahrhundert“ zu werten.340 Entstehung neuer Publikationsformen – die wissenschaftliche Zeitschrift Um 1700 lässt sich die Herausbildung einer „bürgerlichen Mediengesellschaft“ beobachten, die sich durch eine neue Art der Medienkultur charakterisierte.341 Die Zeitschrift342 setzte sich als neues Medium durch, bereits etablierte Publikationsorgane wie Zeitungen gewannen an gesellschaftlicher Bedeutung, wobei zugleich deren aufrührerisches Potential abnahm, während Briefe einem Gestaltungs- und Funktionswandel unterlagen.343 Damit setzte sich eine Entwicklung fort, deren Anfänge im frühen 17. Jahrhundert zu suchen sind, als die Zeitung rasch an Verbreitung gewann und es zu einer Institutionalisierung der Massenkommunikation kam.344 Mit der Herausbildung neuer Publikationsorgane – den Zeitschriften und Zeitungen – im 17. Jahrhundert hatte sich die Medienlandschaft nachhaltig verändert.345 Das 18. Jahrhundert hingegen konnte nur wenige neue Medien vorweisen: Ausnahmen bildeten die Erfindung des Intelligenzblattes, in welchem anfänglich primär Anzeigen und Verlautbarungen der Obrigkeiten publiziert wurden und erst später ein redaktioneller Teil hinzukam, die Lithographie und das Zeitungslexikon. Das Innovationspotential lag stattdessen in der Weiterentwicklung bereits vorhan337 338 339 340 341 342
Biskup, Sammeln, S. 611f. Pedersen, Tradition, S. 388. Möller, Akademiegedanke, S. 8. Pedersen, Tradition, S. 389. Faulstich, Mediengesellschaft, S. 26. Der Terminus ‚Zeitschrift‘ ist wesentlich jünger als das Medium selbst und trat gemäss heutiger Erkenntnis erstmals 1751 im deutschsprachigen Raum auf. Zuvor waren andere Termini wie Journale, Acta, Ephemeride, Wochenschrift und Monatsschrift gebräuchlich. Wilke, Grundzüge, S. 71. 343 Faulstich, Mediengesellschafs, S. 26. 344 Wilke, Grundzüge, S. 71. 345 Böning, Aufklärung, S. 151f.
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dener Medien und Techniken. Sowohl qualitativ als auch quantitativ kam es zu einer Steigerung, was wiederum auch auf eine stetig wachsende Leserschaft zurückzuführen war. Die Medien des 18. Jahrhunderts charakterisierten sich durch eine zunehmende Spezialisierung und Differenzierung und arbeiteten enger in den neu entstehenden Verbunden zusammen. Informationen wurden schneller und regelmässiger verbreitet und waren zugleich einem grösseren Publikum zugänglich. Diese Veränderungen führten zu einer Revolutionierung des Informations- und Kommunikationssystems und bildeten schlussendlich den Nährboden für die Aufklärung und die Entstehung einer politischen Öffentlichkeit.346 1665 erschien mit dem „Journal des Sçavans“ in Paris die erste wissenschaftliche Zeitschrift der Geschichte. Das anfänglich wöchentlich und ab 1724 monatlich erscheinende Journal umfasste zwischen acht und sechzehn Seiten und besass aufgrund des königlichen Druckprivilegs eine Monopolstellung in Frankreich. Inhaltlich war es breit gefächert und beinhaltete neben Buchbesprechungen französischer und ausländischer Bücher, Berichte über Erfindungen, Experimente, Reisen und Gerichtsurteile, Nachrufe, Repliken in Leserbriefen sowie später auch von Korrespondenten verfasste Kurznachrichten aus fernen Ländern. Ziel war es, verschiedenste Wissenschaftsbereiche abzudecken und damit die Gelehrtenkommunikation zu vereinfachen. Drei Monate nach der Erstveröffentlichung folgte mit der von der Royal Society herausgegebenen „Philosophical Transactions“ das erste wissenschaftliche Journal Englands. Sowohl was den Aufbau, die Form als auch den Inhalt betraf, orientierte sich die Zeitschrift an ihrem französischen Pendant. Von der Royal Society – einer privaten Gesellschaft – vertrieben, war das Journal finanziell weniger gut gestellt, weshalb auch Zusammenfassungen aus dem „Journal des Sçavans“ Einlass fanden, was wiederum die Entstehung eines länderübergreifenden, wissenschaftlichen Diskurses begünstigte. Doch nicht nur den Engländern diente das „Journal des Sçavans“ als Vorbild, noch im gleichen Jahrzehnt erschien mit dem „Giornale de‘ Letterati“ die erste italienischsprachige wissenschaftliche Zeitschrift. 1682 folgte im deutschsprachigem Raum die „Acta Eruditorum“, deren bedeutendster Mitarbeiter Leibniz war. Es handelte sich um ein in Latein verfasstes Gelehrtenjournal, welches neben Rezensionen auch Aufsätze enthielt.347 Die Periodika stellten einen neuen Typus literarischer und wissenschaftlicher Kommunikation dar. Sie zeichneten sich durch ihr periodisches Erscheinen aus und hoben sich von den Zeitungen insofern ab, als dass sie seltener erschienen und von geringerer Aktualität waren, dafür aber ausführliche Hintergrundinformationen und deren Einordnung lieferten.348 Dabei sahen sich die Zeitschriften im 18. Jahrhundert einem grundsätzlichen Wandel unterworfen, der sich insbesondere in deren Expansion und Diversifikation widerspiegelte. Wies das Medium anfänglich noch einen enzyklopädischen und universal ausgerichteten Charakter auf, kam es zunehmend zu einer fachspezifischen Ausrichtung. Neu entstanden zahlreiche Zeitschriften, welche sich ausschliesslich einer Fachrichtung wie beispielsweise der Medizin, 346 Böning, Aufklärung, S. 155; Würgler, Medien, S. 43. 347 Roger, Life Science, S. 145; Würgler, Medien, S. 44f. 348 Bösch, Mediengeschichte, S. 74; Faulstich, Mediengesellschaft, S. 225f; Wilke, Grundzüge, S. 73f.
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Philosophie, Geschichte, Jurisprudenz, Theologie oder den Naturwissenschaften widmeten.349 Allerdings musste der Vertrieb oftmals bereits nach wenigen Ausgaben eingestellt werden. Die Gründe dafür waren vielfältig: Der Markt war gesättigt, ausserdem bestand die Schwierigkeit, regelmässig neue Autoren und Themen zu finden.350 Die wissenschaftlichen, auf eine Fachrichtung spezialisierten Zeitschriften richteten sich zudem nur an eine kleine Gruppe von Gelehrten, zumal die Zahl potentieller Leser abnahm, je höher das Niveau der jeweiligen Zeitschrift war. Ihre Auflagestärke war zumeist eingeschränkt und reichte von 200 bis 2000 Exemplaren pro Heft, wobei der Durchschnitt bei rund 500 bis 700 Stück lag. Es wird angenommen, dass ein Exemplar einer Zeitschrift rund zehn Leser fand, bei den Gelehrten Zeitschriften dieser Wert aber zu hoch gegriffen ist, was deren begrenzte Reichweite nochmals unterstreicht.351 Der Anstieg an Zeitschriftentiteln war eine Folge der rasanten Zunahme an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Zeitschriften boten den Gelehrten Orientierung über die zusehends unüberschaubare Anzahl wissenschaftlicher Werke, indem sie die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen anhand von Zusammenfassungen und Rezensionen einem interessierten Publikum präsentierten.352 Die Rezensionsorgane spielten insbesondere bei der Verbreitung ausländischer Werke eine prägende Rolle. Neuerscheinungen aus dem Ausland, welche nicht leicht zugänglich waren, wurden in den Zeitschriften angekündigt oder besprochen. Den international ausgerichteten Gelehrten dienten diese als wichtige Informationsquelle, zumal die Rezension oftmals eine Empfehlung zur Übersetzung beinhaltete; eine Anregung, der häufig Folge geleistet wurde. Mit der Übersetzung trat zugleich eine Popularisierung innerhalb einer Sprachregion ein, da das Werk einem deutlich grösseren, der Fremdsprache nicht mächtigen Publikum zugänglich wurde. Dies lässt sich beispielsweise anhand in deutschsprachigen Zeitschriften veröffentlichter Rezensionen nachweisen: Während sich die Buchbesprechungen über die Originalausgabe primär an Gelehrte wandten, richteten sich die Rezensionen der Übersetzungen an ein grösseres Publikum und hoben deren Nützlichkeit für den Leser hervor.353 Die Zeitschrift hatte mehrere Vorteile. Sie wies inhaltlich Parallelen zum Briefwechsel auf, welcher ebenfalls vom Austausch von Erfahrungen, Erkenntnissen und Meinungen lebte. Allerdings begrenzte sich die briefliche Korrespondenz pri349 Wilke, Grundzüge, S. 95; Würgler, Medien, S. 46f. 350 Wilke, Grundzüge, S. 97f. 351 Gestrich, Absolutismus, S. 185; Faulstich, Mediengesellschaft, S. 227; Marino, Praeceptores, S. 45. Vgl. auch: Gestrich, Absolutismus, S. 188. Die moderne Forschung geht davon aus, dass um 1770 in Deutschland etwa 15 % der Bevölkerung lesen konnte und der Prozentsatz bis 1800 auf 25 % stieg. Gemäss Schätzungen belief sich die Anzahl an Gelehrten im deutschen Raum auf 80’000 bis 85‘000 Personen, was einen Prozentsatz von 0,4 % gemessen an der Gesamtbevölkerung ausmachte. Vgl. Habel, Gelehrte Journale, S. 110–113. 352 Faulstich, Mediengesellschaft, S. 228; Habel, Gelehrte Journale, S. 48. In diesem Kontext muss auch der wachsende Einfluss von Zeitungslexika sowie die Enzyklopädien gesehen werden. Beide Medien bezweckten ebenfalls, das neu angesammelte Wissen zu systematisieren, erklären und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Würgler, Medien, S. 43ff. 353 Waszek, Schottische Aufklärung, S. 134f.
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mär auf zwei Personen, während die Zeitschriften ein deutlich grösseres Publikum avisierte. Gegenüber dem traditionellen Buch bestach die Zeitschrift durch ihr rasantes Tempo der Wissensproduktion. Die Texte wurden kürzer, ihre Entstehungszeit nahm ab, die neuesten Erkenntnisse konnten wesentlich schneller publiziert werden, wobei auch erste Teilergebnisse Eingang in das neue Medium fanden. Erst die Entstehung der Zeitschrift ermöglichte den für die Aufklärungszeit typischen Gelehrtendiskurs, der sich durch seine Lebhaftigkeit und die in der Öffentlichkeit ausgetragenen Dispute und Kontroversen auszeichnete und eine Beschleunigung des Wissenstransfers und damit verbunden der öffentlichen Diskussion ermöglichte.354 Die wissenschaftlichen Journale waren nicht nur ein wichtiges Medium zur Wissensvermittlung, vielmehr dienten sie der Kritik und Diskussion.355 Indem sie der Kritik eine Plattform boten, trugen sie wesentlich zu deren Organisation und Institutionalisierung bei. Die Zeitschrift war nicht nur ein Produkt der Aufklärung und der sich entwickelnden Öffentlichkeit, sondern sie war auch deren wesentlicher Träger.356 Fanden wissenschaftliche Kontroversen und Diskussionen bis anhin entweder öffentlich in Büchern oder im privaten Rahmen fernab jeder Öffentlichkeit in Briefform statt, stellten die Zeitschriften ein neues Medium des wissenschaftlichen Austausches dar.357 Ihr Aufstieg bedeutete eine Bereicherung der wissenschaftlichen Kommunikation; sie dokumentierten und förderten zugleich die Entstehung neuer wissenschaftlicher Disziplinen und Strömungen.358 Aufgrund ihres periodischen Erscheinens konnten die wissenschaftlichen Journale zudem wesentlich schneller auf Veränderungen reagieren, als dies bis anhin möglich gewesen war, was die Beschleunigung des wissenschaftlichen Diskurses zusätzlich förderte. Der Erfolg der Zeitschrift als neues Medium basierte auf mehreren Faktoren. Erstens suchten die regional zersplitterten, aber äusserst homogenen Gelehrtenkreise nach wissenschaftlichem Austausch, woraus sich zweitens das Bedürfnis nach einer Plattform nährte, um an diesem – sei es nun aktiv als Autor oder passiv als Leser – teilnehmen zu können. Drittens nahm der Leser – und hier musste es sich nicht zwangsläufig um einen Gelehrten handeln – eine neue Rolle als bürgerlicher Kritiker innerhalb des Systems ein. Viertens war der Aufschwung der Zeitschriften auch logistisch begründet, da aufgrund des Ausbaus des Druckwesens wesentlich mehr Kapazität zur Verfügung stand. Und fünftens musste eine Zeitschrift die Zensur wesentlich weniger fürchten als die Zeitung, da ihr Inhalt weniger aktuell und politisch sowie ihre Verbreitung aufgrund der relativ geringen Auflagezahl beschränkter war. Im Gegensatz zum traditionellen Buch wurden die Journale, in welchen viele Artikel anonym erschienen, zudem als weniger bedeutend erachtet.359 Die Anonymität sicherte dem Verfasser Meinungsfreiheit, sie diente ihm als Schutz vor staatlichen Massnahmen, Kontroversen und persönlichen Attacken. Anonym verfasste Texte waren, gemäss damaligem Verständnis, Beweis für 354 355 356 357 358 359
Habel, Gelehrte Journale, S. 48f, 52. Ebd., S. 78; Wilke, Grundzüge, S 71f. Bösch, Mediengeschichte, S. 74. Würgler, Medien, S. 43. Vgl. Ebd., Medien, S. 46f, 50. Faulstich, Mediengesellschaft, S. 227.
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die Objektivität und Distanz des Verfassers, da dieser – insbesondere in den Rezensionen – nur der Sache verpflichtet war und nicht dem Autor.360 In den Zeitschriften fanden sich mit der Streitschrift und der Gelehrtenkorrespondenz zwei Medien- und Kommunikationsformen wieder. Der Disput und somit die gelehrte Streitkultur wurden zu einem wesentlichen Bestandteil einer jeden Zeitschrift. Zugleich waren die Periodika ein Gemeinschaftsprodukt und Ausdruck der Idee, schriftlich Bericht darüber abzugeben, was in der Gruppe diskutiert wurde, weshalb auch viele Akademien als deren Herausgeber fungierten. Auch wenn in der Realität die einzelnen Periodika nicht das Ergebnis einer Diskussion waren, sondern vielmehr aus Beiträgen von Herausgebern und weiteren Gelehrten bestanden, stellten sie eine Institutionalisierung der Gelehrtenkorrespondenz dar. Dies zeigte sich insbesondere in der Briefform, der beliebtesten literarischen Gattung, in welcher viele Artikel verfasst wurden.361 Gelehrtenkorrespondenz Der rasante Aufschwung der Zeitschriften, welche aus dem wissenschaftlichen Briefwechsel hervorgingen und die bis anhin private Gelehrtenkommunikation in die Öffentlichkeit trugen und somit entscheidend zur Ausbreitung der neuzeitlichen Wissenschaft beitrugen, war nicht gleichbedeutend mit einer Marginalisierung des traditionellen Briefes.362 Vielmehr gilt das 18. Jahrhundert gemeinhin als das „klassische Jahrhundert des Briefes“.363 Die schriftliche Korrespondenz war von immenser Bedeutung für die Verbreitung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die Besprechung von Neuerscheinungen und damit ein integraler Bestandteil der Wissenschaftskultur der Aufklärungszeit.364 Der Brief des 18. Jahrhunderts unterschied sich sowohl in der Gestaltung als auch in der Funktion deutlich von seinen Vorgängern. Neu fand die Kommunikation nicht mehr ausschliesslich auf Latein – oder wie im 17. Jahrhundert auf Französisch – statt, sondern wenn möglich in der eigenen Landessprache. Der Schreibende bediente sich einer natürlichen Sprache, welche frei war von devoten Floskeln. Die Themen wurden vielfältiger, die Korrespondenz wie auch die Anzahl der Personen, mit welchen man brieflich in Kontakt stand, nahm zu. Standesgrenzen wurden überwunden, zumal man nicht mehr ausschliesslich mit dem eigenen Geschlecht korrespondierte.365 Der teilweise exzessive Austausch zwischen den Gelehrten war auch auf die Verbesserung des Verkehrs- und Postwesens zurückzuführen; wurden zur Jahrhundertwende Briefe noch zweimal pro Woche befördert, hatte sich 1790 die tägliche Postlieferung an den meisten Orten durchgesetzt.366 360 361 362 363 364 365 366
Habel, Gelehrte Journale, S. 128. Gierl, Korrespondenzen, S. 432f. Wilke, Grundzüge, S. 74 Faulstich, Mediengesellschaft, S. 81. Müller, Aufklärung, S. 27. Dülmen, Kultur, S. 236f. Faulstich, Mediengesellschaft, S. 81, 94; Dülmen, Kultur, S. 240.
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Die im 18. Jahrhundert gepflegte Briefkultur intensivierte den Kontakt zwischen den einzelnen Gelehrten und war Ausdruck eines Wissenschaftsverständnisses, in welchem Wissen nicht wie bis anhin lehrmässig tradiert, sondern im gemeinsamen Austausch erarbeitet wurde. In ihr widerspiegelte sich das Selbstverständnis der Aufklärer, zur Erreichung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Hilfe von anderen Gelehrten zurückgreifen zu wollen. In der gelehrten Korrespondent manifestierte sich aber auch ein Gruppenbewusstsein: Ausserhalb der traditionellen Stände- und Hofgesellschaft stehend, suchten die Gelehrten den Kontakt zu Ihresgleichen und bildeten damit ein neues Kollektiv.367 Die Korrespondenz war Bestandteil der Gelehrtenrepublik, wobei sie sowohl organisatorisch als auch institutionell mit den Disputationen und Gelehrtenzeitschriften zusammenhing.368 In ihr manifestierte sich nicht zuletzt die kosmopolitische intellektuelle Ausrichtung der Aufklärungszeit: Die Bedeutung nationaler Grenzen nahm ab, Aufklärung wurde als universales Unternehmen verstanden, die einzelnen Aufklärer verband ein eigentliches Kommunikationsnetz, welches in einem regelmässigen Briefverkehr sowie in Besuchen seinen Ausdruck fand.369 Die Akademien boten den Gelehrten eine Plattform zur Vernetzung370 und trugen als Träger einer Zeitschrift zur Verbreitung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse bei. Die darin publizierten Arbeiten wiederum wurden rege in den Briefen kommentiert und diskutiert – wobei die schriftliche Korrespondenz oftmals erst mit Hilfe der Akademien zustande gekommen war – und boten Anlass zu einer Disputation oder Replik, welche wiederum in den Zeitschriften abgedruckt wurde. Die Akademien als Institution, die Zeitschriften als deren Publikationsorgan und die informelle Gelehrtenkorrespondenz dürfen somit nicht isoliert betrachtet werden, sondern waren vielmehr fundamentaler Bestandteile des Gelehrtenlebens und bildeten – wie es noch zu zeigen gilt – eine wichtige Säule des frühen Rassendiskurses.
367 368 369 370
Dülmen, Kultur, S. 236, 238. Gierl, Korrespondenzen, S. 417. Osterhammel, Entzauberung, S. 20. Auch ausserhalb der Wissenschaft nahm die Bedeutung von Netzwerken zu, wie das Beispiel der britischen Missionsgesellschaften im 18. Jahrhundert zeigt. Diese waren Teil eines engmaschiges, aus protestantischen Organisationen bestehenden Netzwerkes, das nicht nur Europa erfasste, sondern sich über die atlantische Welt erstreckte, und welches führenden europäischen und nordamerikanischen Protestantenvertretern einen engen Austausch ermöglichte. Kirchberger, Konversion, insb. S. 78–83.
3. RASSENDISKURS IM 18. JAHRHUNDERT Beeinflusst durch die europäische Expansion, ein verändertes – aufgeklärtes – Weltbild sowie ein divergierendes Wissenschaftsverhältnis entwickelte sich im 18. Jahrhundert der mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit verbundene Rassendiskurs. Die Genese neuer Kommunikationsräume – in Form von Akademien, neuer Publikationsformen wie der wissenschaftlichen Zeitschrift sowie einer ausgedehnten Gelehrtenkorrespondenz – trugen wesentlich zu seiner Verbreitung jenseits territorialer Grenzen bei. Im Folgenden soll seine Entstehung einer systematischen, vergleichenden Analyse unterzogen werden. 3.1 DIE VORLÄUFER – PETTY UND BERNIER Im ausgehenden 17. Jahrhundert beschäftigten sich erstmals einige Gelehrte mit den menschlichen Phänotypen. Noch beschränkte sich die Auseinandersetzung auf wenige Protagonisten, die Diskussion blieb punktuell, von der Lancierung eines eigentlichen Diskurses im engeren Sinn kann deshalb nur begrenzt gesprochen werden. Den Anfang markierte der englische Ökonom, Philosoph, Naturwissenschaftler und Gründungsmitglied der Royal Society William Petty. In einer zwischen 1676 und 1678 entstandenen unveröffentlichten Abhandlung – das exakte Entstehungsjahr lässt sich nicht mehr eruieren1 – hob er als Erster die physischen Unterschiede zwischen den Menschen hervor.2 Ausgangspunkt zu seinem Exkurs über die verschiedenen menschlichen Spezies bildeten Pettys Überlegungen zur ‚grossen Kette des Seins‘,3 deren Nutzen er primär in der Relativierung der Bedeutung des Menschen sah. Für ihn stellte die scala naturae ein heuristisches und nützliches Instrument dar, mit welchem religiöse Bescheidenheit vermittelt werden könne, da die wahre Ordnung des Universums den menschlichen Verstand überfordere.4 Während der Mensch stets glaube, dass er das wichtigste und Gott am nächsten stehende Wesen sei, widerlege die scala naturae diesen Irrglauben, indem sie aufzeige, dass unterhalb von Gott Millionen von Geschöpfen existierten, welche dem Menschen überlegen seien.5 Allerdings war sich Petty unschlüssig, welches Tier direkt unter dem Menschen auf der Stufenleiter anzusiedeln sei. In Anbetracht des Körpers und seiner Handlungen entschied er sich für den Drill, einen Primaten. Der 1 2 3 4 5
Lewis, William Petty‘s Anthropology, S. 262. Jordan, White, S. 224f.; vgl. auch: Hodgen, Earyl Anthropology, S. 422. Vgl. Lovejoy, Kette, S. 430; Lovejoy ist der Ansicht, dass Petty sich irrt, wenn er behaupte, dass er selbst auf die Idee der Scale of Creatures gekommen sei. Allerdings belegt Lovejoy seine Behauptung nicht weiter. Lewis, Petty‘s Anthropology, S. 287. Petty, Scale of Creatures, S. 24; Petty, Scale of Animals, S. 32.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Elefant wiederum sei aufgrund seines Sprachenverständnisses, seiner Langlebigkeit und Geschicklichkeit direkt dem Menschen unterzuordnen, der Papagei dank seiner Sprechfähigkeit und die Biene6 aufgrund ihrer handwerklichen Besonnenheit und Strategie.7 Petty zweifelte nicht an der Einheit des Menschengeschlechts, war aber überzeugt, dass es innerhalb der menschlichen Gattung mehrere Spezies gebe.8 Die Schwarzen und die Europäer stellten für ihn, der zeitlebens niemals nach Afrika gereist war und sein Wissen über die Schwarzen aus der Lektüre von Reiseliteratur und aus dem spärlichen Kontakt mit afrikanischen Bediensteten in London speiste,9 Repräsentanten der extremen Diversität dar. Allerdings unterschied Petty zwischen Guiny Negros und den Bewohnern des Kaps der Guten Hoffnung, wobei sich letztere gemäss Reiseberichten von allen Menschen am meisten den Tieren annähern würden.10 Für ihn unterschieden sich Europäer und Afrikaner nicht nur bezüglich der Hautfarbe, sondern auch aufgrund ihrer Haarstruktur, Nasenform, Lippen, Wangenknochen, Gesichts- und Schädelform.11 Damit beinhaltete Pettys Klassifikation bereits sämtliche Elemente der Rassentheorien der darauffolgenden Jahrhunderte, wobei insbesondere die Schädelform zu dem ausschlaggebenden Kriterium bei der Klassifikation werden sollte. Doch Petty beschränkte sich nicht auf physische Unterscheidungskriterien, vielmehr wies er darauf hin, dass sich Weisse und Schwarze auch bezüglich ihrer natürlichen Sitten und „Qualities of their Minds“ unterscheiden würden.12 Pettys knappe Ausführungen zu den einzelnen Spezies blieben unvollständig und fragmentarisch. Neben den Schwarzen und Weissen erwähnte er lediglich die Bewohner des Nordens. Ähnlich wie bereits bei den Bewohnern des Kap der Guten Hoffnung lassen sich auch hier gängige Stereotypen nachweisen. Die Bewohner des Nordens würden die anderen Menschen nur beim Fischen, Schwimmen und Tauchen überragen. Zudem sei es hinlänglich bekannt, dass im Norden eine „very mean Sort of Men“ lebe.13 Pettys Verunglimpfung der nordischen Völker reihte sich in eine lange Tradition ein, welche sich bis zurück in die Antike beobachten lässt und auch von Humanisten weitergeführt wurde.14 Seine skizzenhaften Ausführungen zur menschlichen Diversität stellte noch keine eigentliche Rassentheorie dar. Ein systematischer Aufbau fehlte gänzlich, die Propagierung einer Hierarchie aufgrund der Hautfarbe oder anderen physischen Charakteristika war Petty noch fremd. Da er sowohl den Terminus Races wie auch 6
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Möglicherweise diente Aristoteles Petty als Referenz. Dieser hatte die Ansicht vertreten, dass die Biene intelligenter sei als andere Tiere. Aristoteles, De generatione animalium, 721a. Diese These würde auch Lovejoys Argument, Petty sei nicht alleine auf die Idee der ‚grossen Kette des Seins‘ gekommen, stützen. Lovejoy, Kette, S. 430. Petty, Scale of Animals, S. 32. Ebd., S. 30. Lewis, Petty’s Anthropology, S. 274. Petty, Scale of Animals, S. 31. Ebd. Ebd. Ebd. Lewis, Petty’s Anthropology, S. 275.
3.1 Die Vorläufer – Petty und Bernier
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severall species zur Unterteilung der Menschheit benutzte,15 lässt sich auch noch keine einheitliche Terminologie nachweisen. Zwar bezeichnete er die Europäer und Afrikaner bereits als weiss und schwarz, ansonsten ging er aber – mit Ausnahme der Lappländer – auf keine weiteren Bewohner der Erde ein. Eine detailliertere Unterteilung der Menschheit anhand der Hautfarbe in Weisse, Schwarze, Rote und Gelbe, wie sie im 18. Jahrhundert üblich wurde, fehlte. Obwohl Pettys Essay fragmentarisch blieb und nur einer auserwählten Gruppe von Lesern bekannt war,16 wird er von der (englischsprachigen) Forschung gerne als eigentlicher Gründungsvater des modernen Rassismus betrachtet.17 Diese von Jordan und Hodgen vertretene Ansicht ist nicht unumstritten. So macht Lewis geltend, dass die Abhandlung erst 1927 publiziert und somit einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich wurde. Petty als Rassisten zu betiteln, ist gemäss Lewis aus zweierlei Hinsicht falsch. So habe er sich erstens stets zum Monogenismus bekannt und zweitens lediglich allgemeines Wissen und weitverbreitete Vorurteile über die verschiedenen Phänotypen wiedergegeben, wie sie in der zeitgenössischen Literatur und den Reiseberichten zu finden waren.18 Dieser Einwand ist durchaus gerechtfertigt und insbesondere die geringe Verbreitung der Abhandlung relativiert den Verdacht, Petty habe den Rassendiskurs lanciert. Trotzdem sind Pettys Ausführungen insofern von Bedeutung, als dass eine Verbindung zwischen den einzelnen menschlichen Spezies und dem somatischen Erscheinungsbild – basierend auf physiognomischen Charakteristika – aufgezeigt werden kann. Bereits bei ihm lassen sich prägende Elemente der späteren Rassentheorien finden.19 Im Jahre 1684 wurde im renommierten „Journal des Sçavans“ anonym der Essay „Nouvelle division de la terre par les differentes especes ou races d’hommes qui l’habitent“ veröffentlicht. Urheber war der französische Mediziner und Reisende François Bernier (1625–1688), dessen Ruhm primär auf seiner Tätigkeit als Reiseberichterstatter basierte. Bernier lebte 1656/57 für ein Jahr in Kairo, um anschliessend nach Indien zu segeln, wo er die nächsten zwölf Jahre als Arzt am Hof des Grossmoguls verbrachte. Zurück in Frankreich publizierte er seine Reiseberichte, die in zahlreiche Sprachen – unter anderem ins Deutsche, Englische, Dänische und Italienische – übersetzt wurden und grosse Popularität erlangten. Seine Aufzeichnungen über das Mogulreich gelten als äusserst einflussreich und bildeten eine der Hauptquelle für die Theorie des orientalischen Despoten im 18. Jahrhundert.20 Quelle des im Essay widergegebenen Wissens bildeten gemäss Selbstaussage die 15 16
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Petty, Scale of Animals, S. 30f. Gemäss Lewis handelte es sich neben dem Empfänger, dem englisch-irischen Diplomaten und späteren Präsidenten der Royal Society Sir Robert Southwell, um Samuel Pepys, Abraham Hill und Nehemiah Grew, welche alles Vertraute Pettys waren. Lewis, Petty’s Anthropology, S. 263, 268–272. Vgl. Jordan, White, S. 224f. Vgl. auch: Hodgen, Earyl Anthropology, S. 422; Lewis, Petty’s Anthropology, S. 261ff. Lewis, Petty’s Anthropology, S. 261ff; 273. Vgl. Hund, Körper, S. 26f. Stuurman, Bernier, S. 1; vgl. auch Fisch, Orient, S. 258f. Fisch macht darauf aufmerksam, dass sich bei Berniers Beschreibungen Asiens ein generelles Überlegenheitsbewusstsein erkennen lässt, welches aber weder geschichtsphilosophisch noch moralisch abgesichert war. Eine aus-
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
auf den zahlreichen Reisen gemachten Beobachtungen. So war es ihm möglich, während eines Aufenthalts in Danzig zwei Lappen zu studieren, die ihm als Basis seines Wissens über die Bewohner des Nordens dienten.21 Auf dem Sklavenmarkt in Mekka wiederum hatte er ausführlich Gelegenheit, afrikanische Sklaven zu beobachten.22 Inwiefern er sich in seinem Essay „Nouvelle division de la Terre“ auch auf Berichte anderer Reisender stützte, lässt sich nicht eruieren, da Bernier keinerlei Belege anführte. Aufgrund seiner auf zahlreichen Reisen gemachten Beobachtungen erschien Bernier die auf geographischen Kriterien basierende Einteilung der Menschheit wenig adäquat. Stattdessen schlug er eine Klassifikation der Menschheit in „quatre ou cinq Especes ou Races d’hommes“ vor, wobei er sich primär auf somatische Unterscheidungsmerkmale stützte.23 Zur premier espece zählte er die Bewohner Europas, des Moskowiterreichs, Nordafrikas, Arabiens, Persiens sowie Indiens und Südostasiens. Als gemeinsames Merkmal der Bewohner nannte er die helle Hautfarbe, betonte aber, dass die Ägypter und Inder zwar schwarz (forts noirs) oder gebräunter (bazanez) seien, die dunkle Hautfarbe allerdings von der starken Sonnenbestrahlung hervorgerufen werde. Zwar lässt sich eine feine Unterscheidung zwischen dem ‚Wir‘ und ‚den Anderen‘ erkennen, doch diese war nicht gross genug, als dass sie die Zugehörigkeit zu einer anderen espece rechtfertigt hätte: „Il est vray que la plûpart des Indiens ont quelque chose d’assez different de nous dans le tour du visage & dans la couleur qui tire souvent sur le jaune, mais cela ne semble pas suffisant pour en faire une espece particuliere...“24
Die gleiche Beobachtung lässt sich auch bei den Amerikanern machen: Pour ce qui est des Americains, ils sont à la verité la plûpart olivastres, & ont le visage tourné d’une autre maniere que nous. Neanmoins je n’y trouve point une assez grande difference pour en faire une espece patriculiere & differente de la nôtre.“25
Anhand der zitierten Passagen lässt sich zeigen, dass für Bernier die Zugehörigkeit zu einer espece nicht gleichbedeutend mit jener zu einer bestimmten Gruppe war. Die Amerikaner und Inder rechnete er zwar zur ersten espece, kreierte aber insofern eine Distanz, als dass er auf die für den (europäischen und weissen) Leser vertraute Form des „nous“ und „nôtre“ zurückgriff und sie damit explizit von der exklusiven Gruppe der Europäer ausschloss. Zur zweiten espece zählte Bernier die Bevölkerung Afrikas mit Ausnahme der Bewohner des Kaps der Guten Hoffnung, welche er als klein, mager, dürr und Aas essend beschrieb und die scheinbar zu einer anderen espece gehörten.26 Die Zugehörigkeit der Afrikaner zu einer anderen – zweiten – espece begründete er mittels
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führliche Auseinandersetzung zur Theorie des orientalischen Despoten lässt sich finden bei: Osterhammel, Entzauberung, S. 271–309. Bernier, Nouvelle division, S. 151. Ebd., S. 152. Ebd., S. 148. Ebd., S. 149. Ebd., S. 150. Ebd., S. 151f.
3.1 Die Vorläufer – Petty und Bernier
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somatischen Kriterien wie deren dicke Lippen, platte Nase, wolliges Haar, eine ölige, glatte Haut, weisse Zähne und die essentielle Schwärze der Haut. Diese werde nicht durch die Sonne hervorgerufen. Vielmehr lasse sich beobachten, dass selbst wenn ein Schwarzer in einem kalten Land lebe, seine Kinder ebenfalls schwarz bleiben würden, es sei denn, er vermische sich mit einer weissen Frau. Folglich müsse der Grund für die Schwärze im Blut oder im Samen liegen.27 Implizit verwarf Bernier damit klimatheoretische Überlegungen zur Begründung der Differenzierung und ging stattdessen von der Vererbung somatischer Eigenschaften aus – eine Beobachtung, welche später von Kant erneut aufgegriffen und theoretisch untermauert wurde. In seinem Exkurs über die Schönheit der Frauen, welcher oftmals als unseriöse Frivolität gewertet wird,28 verwarf Bernier erneut die Klimatheorie als alleinige Ursache für die Schönheit und stellte wiederum rassentheoretischen Überlegungen an. Für die Schönheit der Frauen, so Bernier, seien nicht nur Wasser, Essen, Land und Luft verantwortlich sondern auch das Sperma.29 Berniers Beharren, dass die Vererbung über Umwelt oder Kultur dominiere, lässt ihn moderner als beispielsweise Buffon erscheinen, der noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Differenzierung der Menschheit alleine mittels der Klimatheorie zu begründen versuchte. Zur dritten espece zählte Bernier die asiatischen Völker Südostasiens, Japans, Chinas, Teile der Tartarei, Usbekistans und Turkemenistans bis hin zu den Turkomanen entlang des Euphrats. Als typische somatische Eigenschaften nannte er ihre weisse Hautfarbe, ihr plattes Gesicht, die kleine eingedrückte Nase, ihre kleinen „Schweineaugen“ (petits yeux de porc) und die wenigen Barthaare.30 Als vierte espece machte er die Lappen aus, die er als kleine, gedrungene Menschen mit dicken Beinen, breiten Schultern, kurzem Hals und einem in die Länge gezogenen, stark eckelhaften und einem Bär gleichenden Gesicht bezeichnete. Wie bereits bei der dritten espece scheute er auch bei den Lappen den Vergleich mit den Tieren nicht, wenn er sie als „vilains animaux“, als hässliche Tiere, bezeichnete.31 Und wie bereits zuvor bei den Afrikanern griff Bernier auch bei den Lappen populäre Vorurteile auf, wobei die deutlich negative Beurteilung derjenigen seiner Zeitgenossen entsprach, welche die nördlichen Völker als ‚Wilde‘ bezeichneten.32 Berniers Wahrnehmung der einzelnen especes war charakterisiert durch seine eurozentrisch geprägte ästhetische Idealvorstellung. Seine Rasseneinteilung basierte ausschliesslich auf physischen Eigenschaften, während moralische Charakteristika noch keine Rolle spielten. Diese Verbindung zwischen rassentheoretischen Überlegungen und ästhetischem Werturteil lässt sich insbesondere bei Berniers abschliessenden Ausführungen zur Schönheit der Frauen aufzeigen, welche geprägt waren durch eine starke Anlehnung an das europäische Schönheitsideal. So beschrieb er Ägypterinnen, deren Schönheit ihn an Kleopatra erinnerten, und sah sich 27 28 29 30 31 32
Ebd., S. 149f. Stuurman, Bernier, S. 5. Bernier, Nouvelle division, S. 153. Ebd., S. 150f. Ebd., S. 150. Stuurman, Bernier, S. 15.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
beim Anblick einiger afrikanischen Sklavinnen in Mekka gar an die Venus im Palazzo Farnese in Rom erinnert.33 Somit lässt sich bereits bei Bernier ein starker Einfluss ästhetischer Werturteile nachweisen, wobei der Europäer dem Idealtypus entsprach. Berniers Rassenbegriff wird in der modernen Forschung kontrovers diskutiert. Während Geiss ihn als wertfreies Instrument der Klassifikation bezeichnet,34 widerspricht Delacampagne dieser Auffassung, indem er darauf hinweist, dass der Begriff bereits bei Bernier die wichtigsten Bestandteile des modernen Rassismus enthalte. Zur Untermauerung seiner Argumentation weist er darauf hin, dass der französische Gelehrte die Asiaten mit Schweinen verglich und die Lappen als vilains animaux bezeichnete.35 Bernier deswegen als modernen Rassisten zu bezeichnen, wäre aber, wie Stuurman betont, anachronistisch, zumal er keine vollständige Rassentheorie entwickelt habe. Allerdings könne sein Essay als Beginn des modernen Rassendiskurses betrachtet werden.36 Dem widerspricht Boulle teilweise, wenn er die Wurzeln des (französischen) Rassismus weniger bei Bernier als bei Henri de Boulainvilliers37 oder bei Buffon zu finden glaubt, wobei er sich bei seiner Untersuchung auf Frankreich beschränkt.38 Berniers Essay stellte ein zweifaches Novum dar. Zum einen markierte es den Übergang von der Heils- zur Naturgeschichte. So lässt sich bei ihm ein gänzliches Desinteresse an der biblischen Tradition erkennen; weder die Theorie der Präadamiten, noch biblische Erklärungsversuche fanden Erwähnung. Zum anderen wurde die Menschheit erstmals nicht mehr in eine Vielzahl von Stämmen und Völkern eingeteilt, stattdessen fand eine Klassifikation in eine limitierte Anzahl von ‚especes ou races‘ statt.39 Auch wenn Bernier keine rassische Hierarchie im eigentlichen Sinne propagierte, lässt sich bereits eine hierarchische Abstufung vom ‚wir Europäer‘ an der Spitze hin zum Lappen als unterstes Glied feststellen.40 Zwar handelte es sich bei der Einteilung noch um keine ausgereifte Rassentheorie, revolutionär war Berniers Idee aber insofern, dass er die Menschen erstmals aufgrund rein somatischer Merkmale in Gruppen einteilte.41 Er öffnete den Weg für eine detailliertere Klassifikation im 18. Jahrhundert.42 Ohne die einzelnen ‚Spezies‘ genauer zu benennen, teilte er sie gemäss ihrer geographischen Verbreitung in Gruppen – Europa, Asien und Afrika – ein; Ausnahme bildeten die Lappen als vierte espèce. Damit erfasste er bereits die drei Grossgruppen – Europide, Negroide und Mongolide –, die den Rassendiskurs der folgenden Jahrhunderte prägen sollte. Auch wenn Bernier noch 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Bernier, Nouvelle division, S. 152. Geiss, Rassismus, S. 18. Delacampagne, Rassismus, S. 133. Stuurman, Bernier, S. 2. Der französische Aristokrat Henri de Boulainvillier unterteilte die Franzosen in zwei Gruppen, in die „noblesse germanique“ und die „bourgeoisie celte“. Boulainvillier, Histoire. Boulle, Bernier, S. 11. Vgl. Stuurman, Bernier, S. 15. Vgl. dazu Boulle, Bernier, S. 16. Conze/Sommer, Rasse, S. 142. Vgl. Stuurman, Bernier, S. 2, Jordan, White, S. 217f.
3.1 Die Vorläufer – Petty und Bernier
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wenig differenziert von especes ou races sprach und die Termini noch nicht als naturgeschichtlichen Ordnungsbegriff verwendete, wiesen sie bereits ein klassifikatorisches Momentum auf.43 Neben Bernier findet in der Forschung oftmals auch Leibniz als Begründer einer eigenen frühen Einteilung der Menschen Erwähnung.44 Gestützt wird die Aussage auf einen undatierten Brief Leibniz‘ auf Französisch an Johan Gabriel Sparvenfeld sowie einen ebenfalls undatierten, auf Latein verfassten Text, welche beide in der Schrift „Otium Hanoveranum“ posthum veröffentlicht wurden.45 Die Nennung Leibniz‘ als Begründer einer frühen Rassentheorie ist nicht nur irreführend, sondern schlichtweg falsch und geht auf ein Missverständnis zurück, welches allem Anschein nach auf Johann Friedrich Blumenbach zurückgeht.46 In seinem Brief an Sparvenfeld erwähnte Leibniz den Bericht eines gewissen Reisenden, der „avoit partagé les hommes en certains tribus, races, ou classes“47, konnte sich aber weder an den Autor noch die Publikation erinnern. Seine Beschreibung der Einteilung entsprach exakt jener Berniers, was die These nährt, dass es sich bei dem Text, an welchen sich Leibniz zu erinnern glaubte, um den anonym erschienen Essay Berniers aus dem Jahre 1684 handelte. Diese Hypothese wird gestützt durch den zweiten Text, der ein auf Latein verfasstes Exzerpt enthält. Darin rezipierte Leibniz die Einteilung der Menschheit durch einen grossen Reisenden (magnus peregrinator), dessen Werk „Nova terre divisio per diversas hominum species vel generationes“ in einer Pariser Zeitschrift im Jahre 1684 erschienen war.48 Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich dabei um Berniers anonym erschienenen Essay „Nouvelle division de la Terre, par les differentes Especes ou Races d’hommes qui l’habitent“ im „Journal des Sçavans“ handeln musste, zumal Leibniz dessen Einteilung korrekt wiedergab. In beiden Fällen kann folglich nicht von einer eigenständigen Klassifikation Leibniz‘ gesprochen werden, da es sich lediglich um die Rezeption einer Einteilung handelte. Trotzdem sind die erwähnten Passagen von Interesse, da Leibniz die Klassifikation nicht unkommentiert liess. Er betonte, dass die Einteilung nicht widerlege, dass alle Menschen „d’une même race“ entsprungen seien, was 43 44
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Vgl. Conze/Sommer, Rasse, S. 142. So bei Hudson, Nation, S. 252f, der von einer ähnlichen Einteilung wie Bernier spricht. Ausserdem: Popkin, Basis, S. 246; Vetter, Reduktionismus, S. 61. Gossett wiederum bezieht sich nur auf den Brief Leibniz‘ an Sparvenfeld, datiert diesen aber fälschlicherweise auf 1737. Gossett, Race, S. 34. Strack indessen geht davon aus, dass Leibniz Berniers zögernd akzeptierte: Strack, Philosophical Anthropology, S. 293. Vetter schreibt gar, dass Leibniz Einteilung „später von dem Göttinger Anthropologen Blumenbach übernommen“ wurde. Vetter, Reduktionismus, S. 61. Leibniz, Otium Hanoveranum. Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 208–212. Blumenbach bezog sich explizit auf die die Schrift „Otium Hanoveranum“, erkannte jedoch nicht, dass Leibniz lediglich die Einteilung eines grossen Reisenden (magnus peregrinator), sprich Bernier, rezipiert hatte. Auch Smith erwähnt die angebliche Einteilung durch Leibniz – allerdings erst in der zweiten Ausgabe von 1810, welche nachweislich nach seiner Blumenbach-Lektüre entstand. Smith, Essay 1810, S. 240. Leibniz, Lettre, S. 37. Leibniz, Pars al tera, S. 158.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
einem klaren Bekenntnis zum Monogenismus gleichkam.49 Vielmehr sei die Differenzierung dem Klima zuzuschreiben, das zu einer Verbesserung oder Degeneration führen könne, was sich auch bei den Tieren und Pflanzen beobachten lasse.50 Berniers Einteilung, sowie die von ihm gemachte Beobachtung, dass sich die Kalmücken wie auch die „Mugalles“ und die chinesischen Tartaren zwar rein äusserlich stark von einander unterscheiden würden, alle jedoch dem „gran Lama en matiere de religion“51 folgen würden, liessen ihn zur Überzeugung kommen, dass eine Klassifikation nicht aufgrund physischer Merkmale sondern anhand der Sprache stattfinden sollte.52 Ausserdem darf Leibniz Auseinandersetzung mit der Einteilung Berniers als weiterer Beleg für die Rezeption des Essays gelten. 3.2 DER WUNSCH NACH SYSTEMATISCHER KLASSIFIKATION – LINNÉ Im Jahre 1735 veröffentlichte der Schwede Carl von Linné (1707–1778) seine elfseitige, in Latein abgefasste Schrift „Systema naturae“, welche in der Gelehrtenkreisen für Aufsehen sorgte. Darin schlug er ein biologisches Ordnungssystem vor, das die systematische Einteilung der bekannten Lebewesen erleichtern sollte, indem er sie dem Mineral-, Pflanzen- oder Tierreich zuordnete.53 Zugleich begründete er damit seinen Ruf als Schöpfer der binominalen Nomenklatur, welche die Grundlage der modernen botanischen und zoologischen Taxonomie darstellt. Linné,54 1707 als Sohn eines Pastors im schwedischen Råshult geboren, hatte in Lund und Uppsala Medizin studiert und dort ab 1741 den Lehrstuhl für theoretische und praktische Medizin inne, wo er unter anderem Botanik, Semiotik und allgemeine Naturgeschichte lehrte, sich jedoch nicht in experimentellen Wissenschaften wie Anatomie, Physiologie und Chemie betätigte. Er stand in Kontakt mit den bekanntesten Botanikern und Sammlern seiner Zeit und wurde 1762 aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste in den Adelsstand erhoben.55 Während sich seine eigenen Reisen auf die schwedischen Provinzen und auf Holland, Frankreich und England beschränkten – Reisemöglichkeiten ans Kap, nach Pennsylvania und Surinam hatte er abgelehnt –,56 tat er sich als Förderer aussereuropäischer For49 50 51 52
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Leibniz, Lettre, S. 38. Ebd. Ebd., S. 37. Ebd., S. 37f; Leibniz, Pars al tera, S. 160. Dieser Ansatz wurde später von August Ludwig Schlözer aufgegriffen, welcher in seiner „Allgemeinen Nordischen Geschichte“ ein „Systema Populorum, in Classes & Ordines, Genera & Species“ entwickelte, anhand welchem er die europäischen und asiatischen Völker des Nordens anhand ihrer Sprache einzuordnen versuchte. Der implizite Bezug zu Linnés „Systema naturae“ ist kaum von der Hand zu weisen. Schlözer, Nordische Geschichte, S. 288. Vgl. auch: Schlözer, Annalen, S. 72, wo die Anlehnung an Linné und Leibniz expliziter ist. Linnaeus, Systema naturae 1735. Eine detaillierte Biographie lässt sich u. a. finden bei: Goerke, Carl von Linné; Koerner, Nature; Greene, Carolus Linnaeus. Goerke, Carl von Linné, S. 11–16; Koerner, Nature, S. 14f. Koerner, Nature, S. 113.
3.2 Der Wunsch nach systematischer Klassifikation – Linné
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schungsreisen hervor. Auf seine Anregung hin kam es zu einem Abkommen mit der Schwedischen Ostindien-Kompanie, die sich verpflichtete, jährlich einen seiner Schüler nach China mitzunehmen.57 Mehrere seiner Studenten kamen in der Folge in den Genuss solcher Forschungsreisen.58 Deren neu gewonnenen Erkenntnisse sowie die von ihnen mitgebrachten Pflanzen halfen Linné wiederum, sein Wissen zu vermehren und seine botanischen Sammlung zu vergrössern.59 Mit der 1735 veröffentlichten Schrift „Systema naturae“ entwickelte Carl von Linné erstmals in der Geschichte ein natürliches Ordnungssystem, welches sich auf alle Lebewesen anwenden liess. Das Natursystem sollte die Klassifikation und Benennung aller Kreaturen ermöglichen. Dazu teilte Linné die Lebewesen in drei Reiche auf; jene die wuchsen, ordnete er dem Mineralreich zu, jene die wuchsen und lebten dem Pflanzenreich, und zum Tierreich zählte er diejenigen, welche wuchsen, lebten und fühlten. Sämtliche irdische Kreaturen ordnete Linné dabei in einer Stufenpyramide an, wobei er Gott zuoberst ansiedelte. Er symbolisierte den Schöpfer aller Lebewesen und stand als unantastbare, zentrale Autorität an oberster Stelle,60 womit Linnés Natursystem eine deutlich religiös geprägte Komponente erhielt. In dem hierarchischen Aufbau des Systems widerspiegelte eine starre Konstruktion der Schöpfung, in welcher jedes Lebewesen seinen festen Platz in der natürlichen Hierarchie einnahm. Die Natur erschien als abgeschlossener Akt, eine Weiterentwicklung des einzelnen Lebewesens galt als ausgeschlossen. Dieser Glaube an ein fixes System, in welchem jede Spezies ihren angestammten Platz einnimmt, lässt sich – wie Larson zu Recht feststellt – nicht alleine empirisch begründen. Vielmehr spiegelt sich darin Linnés religiöse Sichtweise. Vor Gottes Ermächtigung gab es keine Lebewesen und seit dem Tag der Schöpfung wurden keine neuen erschaffen. Die Weiterentwicklung einer bestehenden oder Schaffung einer neuen Art war somit ausgeschlossen.61 Die Vorstellung eines abgeschlossenen Natursystems beschränkte sich indessen nicht nur auf Linné, sondern traf in bestimmten Masse auf alle Gelehrten des 18. Jahrhunderts zu, auch wenn sich im Laufe der Zeit – wie sich noch zeigen wird – die starre Konstruktion Linnés aufweichen sollte. Zwar war man sich durchaus bewusst, dass soziale und klimatische Einflüsse eine Veränderung herbeiführen konnten. Allerdings zeigte man sich der festen Überzeugung, dass es sich dabei um Variationen innerhalb einer bestimmten Stufe handle.62 Der hierarchische Aufbau der Natur in Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät war für Linnés Naturverständnis von zentraler Bedeutung. Bereits die drei Reiche folgten einer klaren Stufenfolge, an deren Spitze das Tierreich stand.63 Dieses unterteilte er aufgrund mehrerer Charakteristika wie Zähne, Fortbewegungsart,
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Goerke, Carl von Linné, S. 11–16. Koerner, Nature, S. 113–116. Goerke, Carl von Linné, S. 11–16. Linnaeus, Systema naturae 1735, S. 18–20. Larson, Concept of Linnaeus, S. 291. Bitterli, Grundzüge, S. 217. Da sowohl das Pflanzen- als auch das Mineralreich das Thema der Arbeit nicht tangieren, wird auf eine detaillierte Schilderung bewusst verzichtet.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Art des Blutes und Lebensraum64 in die Klassen der Vierbeiner (Quadrupedia), Vögel (Aves) und Amphibien (Amphibia). Die Klasse der Quadrupedia gliederte er wiederum in verschiedene Ordnungen – in affenähnliche Wesen (Anthropomorpha), Säugetiere (Ferae), Nager (Glires), Tiere mit Pferdegebiss (Jumenta) und Wiederkäuer (Pecora). Die Anthropomorpha unterteilte Linné wiederum in drei Gattungen, in Menschen (Homo), Affen (Simia) und Faultiere (Bradypus). Innerhalb der Gattung des Menschen glaubte er vier Varietäten zu erkennen: den weissen Europäer (Europaeus albus), welchen er zuoberst ansiedelte, gefolgt vom roten Amerikaner (Americanus rufus), blassgelbem Asiaten (Asiaticus luridus) und dem schwarzen Afrikaner (Africanus niger).65 Damit ordnete Linné den Menschen erstmals seit Aristoteles dem Tierreich zu und unterteilte ihn aufgrund eines somatischen Kriteriums in Gruppen.66 Linnés Einteilung des Menschen muss in seinem persönlichen Umfeld auf Kritik gestossen sein. So reagierte er in einem Brief aus dem Jahre 1747 an seinen engsten Freund J. G. Gmelin auf dessen Kritik, den Menschen zu den affenähnlichen Wesen gezählt zu haben67 und bekannte: „Removeamus vocabula, mihi perinde erit, quo nomine utamur; sed quaero a Te et Toto orbe differentiam genericam inter hominem et Simiam (...). Ego certissime nullam novi (...). Si vocassem hominem simiam vel vice versa omnes in me conjecissem theologos. Debuissem forte ex lege artis.“68 Die Aussage ist in zweierlei Hinsicht von Interesse. Erstens zeigte sich Linné damit – wenn auch in privatem Rahmen – als äusserst moderner Denker, der seiner Zeit voraus war. Bereits ein Jahrhundert vor der Entwicklung der Evolutionstheorie durch Darwin war Linné von der Verwandtschaft von Mensch und Affe überzeugt. Zweitens war er sich der Sprengkraft seiner Theorie bewusst. Die Furcht vor einem kirchlichen Bann hielt ihn denn auch davon ab, seine These öffentlich zu machen.69 Obwohl die erste Ausgabe der „Systema naturae“ nur elf Seiten umfasste und weder alle bekannten Lebewesen auflistete, noch eine detaillierte Auseinandersetzung mit den typischen Eigenschaften eines jeden Lebewesens bot, war Linnés Unterfangen revolutionär. Das Natursystem erleichterte die systematische Klassifikation aller Kreaturen, ordnete den Menschen erstmals seit der Antike dem Tierreich zu und teilte ihn aufgrund zoologischer Kriterien in vier Varietäten ein.70 Zwar schrieb Linné den einzelnen Varietäten – zumindest in der ersten Auflage – noch keine geistig-kulturellen Eigenschaften zu; die Hautfarbe bildete neben dem 64 65 66 67 68
69 70
Vgl. Koerner, Carl Linnaeus, S. 146f. Linnaeus, Systema naturae 1735. Moravia, Vernunft, S. 21. Greene, Linneaus, S. 25f. Zit. nach Greene, Linnaeus, S. 26. Übersetzung SR: „Ändern wir das Vokabular, es macht mir wenig aus, welchen Namen wir benutzen; aber ich frage dich und die ganze Welt, mir einen allgemeinen Unterschied zwischen Mensch und Affe zu zeigen (...). Ich meinerseits weiss von keinem (...). Hätte ich aber den Menschen einen Affen genannt, so wäre ich unter den Bann der Geistlichen geraten. Als Naturalist hätte ich dies tun müssen.“ Bezeichnenderweise wurde der auf Latein verfasste Brief erst 1861, zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins „On the Origin of Species“ publiziert. Vgl. Moravia, Vernunft, S. 21.
3.2 Der Wunsch nach systematischer Klassifikation – Linné
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geographischen Kriterium unzweifelhaft das bestimmende Merkmal. Zugleich schuf Linné, wie Demel herausstreicht, neue Fakten, wenn er den Amerikaner als rot und nicht mehr wie in den meisten Reiseberichten als braun bezeichnete.71 In der zehnten, definitiven und wesentlich umfangreicheren Ausgabe von 1758/59 behielt Linné die Unterteilung in Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät bei. Neu ordnete er den Menschen der ersten Klasse der Säugetiere (Mammalia) zu, wobei er sie zur ersten Ordnung der Herrentiere (Primates) zählte, welche neben dem Homo sapiens die Affen (Simia), Gespenster (Lemur) und Fledermäuse (Verspertilio) umfasste. Der Gattung des Homo sapiens ordnete er zwei Subspezies unter, den Tagmenschen (Homo diurnus) und den Nachtmenschen (Homo nocturnus).72 Erstere wiederum unterteilte er neu in fünf – statt wie bis anhin in vier – Varietäten: in den Amerikaner (Americanus), Europäer (Europaeus), Asiaten (Asiaticus), Afrikaner (Africanus) und neu in Monster (Monstrosus).73 Noch immer wirkte Linnés Klassifikationsschema skizzenhaft und wenig detailliert, was daran liegen mag, dass er sich weiterhin auf Stichworte beschränkte. Neu war aber, dass er neben somatischen Kriterien den jeweiligen Varietäten auch geistig-kulturelle Eigenschaften zuschrieb. Damit erhielt die Einteilung eine deutliche Wertung.74 Linnés Klassifikationsmerkmale beinhalteten neu die Körpergestalt, den Charakter, Geist und Sitte, wobei die typischen Eigenschaften einer jeden Varietät zusätzlich mit der Humoralpathologie in Verbindung gebracht wurden. Den Europäer beschrieb er als weiss, muskulös, mit gelblich wallendem Körperhaar und bläulichen Augen. Er sei schlau und erfinderisch, von sanguinischem Temperament, würde Kleider tragen und durch Gesetze regiert.75 Den Amerikaner hingegen schilderte Linné als rot, mit schwarzem geradem Körperhaar, von gerader Postur und dicken, weiten Nasenlöchern. Er sei von cholerischem Charakter, starrsinnig, zufrieden und frei – gut möglich, dass Linné hier sowohl das Bild des ‚edlen‘ als auch ‚unedlen Wilden‘ vor Auge hatte. Des Weiteren sei er wohlgenährt, bemale seinen Körper auf kunstvolle Weise mit roter Farbe und werde von Gewohnheit geleitet.76 Zu beachten gilt, dass Linné durchaus von der Tradition, den Körper zu bemalen, wusste und den Amerikaner trotz diesem Wissen als rot beschrieb. Auch den Asiaten und den Afrikaner schilderte Linné im Vergleich zum Europäer deutlich negativer. Der blassgelbe Asiat mit seinem schwarzen Haar und den dunklen Augen war gemäss Linné von melancholischem Temperament, hochmütig, ernst und gierig. Er werde durch Meinungen regiert.77 Typisch für den schwarzen Afrikaner seien seine schwarzen Haare, die breite Nase, die dicken Lip71 72
73 74 75 76 77
Demel, Chinesen, S. 645. Die Begriffe homo sylvestris und homo nocturnus gehen nicht direkt auf Linné zurück. Bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert hatte der schwedische Reisende Nils Matson Kjöping für die Albinos auf den Molukken diesen Terminus verwendet. Vgl. Curran, Rethinking, S. 154. Die Verwendung eines älteren Terminus mag ein weiterer Hinweis darauf sein, dass Linné Reiseliteratur rezipierte und in seine Arbeit einfliessen liess. Linné, Systema naturae 1767, S. 26–33. Vgl. auch Conze/Sommer, Rasse, S. 145. Linné, Systema naturae 1767, S. 29. Ebd. Ebd.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
pen und hängenden Brüste der Frauen. Charakteristisch für den Afrikaner sei sein phlegmatisches Temperament, des Weiteren bezeichnete er ihn als boshaft, faul und nachlässig, wobei er durch Willkür regiert werde.78 Zu der fünften Varietät der Monster – eine Vermischung klassischer Fabelwesen und auf Reiseberichten basierende Mythen aussereuropäischer Völker – zählte Linné unter anderem den riesenhaften Patagonier, den Hottentotten und den Lappländer.79 Anhand der zehnten Auflage von „Systema naturae“ lässt sich deutlich illustrieren, dass Linné den Europäer sowohl auf somatischer als auch auf geistig-kultureller Ebene mit Abstand am positivsten darstellte. Nur er liess sich durch Gesetze regieren, während sich die anderen Varietäten von Gewohnheit, Meinungen oder Willkür beherrschen liessen. Adjektive wie starrsinnig (Amerikaner), boshaft und faul (Afrikaner), gierig und hochmütig (Asiat) weisen unzweifelhaft eine Wertung auf und müssen ergo als negativ gewertet werden. Bei den Afrikanern kamen ausserdem noch vermehrt somatische Eigenschaften wie die dicken Lippen und breiten Nasen hinzu, welche nicht dem europäischen Schönheitsideal entsprachen, sowie die Hängebrüsten der Frauen. Dass er die Hottentotten und Lappländer zur fünften Varietät der Monster zählte, kommt einer extremen Verunglimpfung dieser Völker gleich. Problematisch ist die Behandlung der Subspezies des Homo nocturnus, zu welchen er den Homo Sylvestris (Waldmenschen), Orang Outang und Kakurlacko zählte und für den er auf den antiken Begriff der Troglodyten, eines primitiven Höhlenmenschen, zurückgriff.80 Augrund des aufrechten Gang, des Verstandes sowie der Zahnstellung und der Gabe zu Sprechen gehörte er zwar zur Gattung des Menschen, die Länge der Arme und die Bindehaut81 unterscheide sich aber, so Linné, vom Menschen.82 Kutzer macht in seinem Aufsatz über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Albinismus83 in der Aufklärungszeit darauf aufmerksam, dass der Homo nocturnus aufgrund seines weissen Körpers und Haaren, sowie den hellen Pupillen gleichbedeutend mit einem Albino war.84 Folgt man der durchaus stringenten Argumentation Kutzers, so stellte der Albino für Linné ein menschenähnliches Wesen dar, das sich nicht direkt zur Gattung des Homo sapiens zugehörig zeigte. Die Annahme der Existenz solcher Zwischenformen, welche zwischen dem Homo sapiens und dem Primaten angesiedelt waren, widerspiegelte Linnés Weltbild. Wenn die Welt hierarchisch aufgebaut war, musste es zwangsläufig Lebewesen geben, die weder dem Menschen noch den Affen zugehörig waren. Dabei zeigt sich, dass weniger die empirische Beobachtung Linnés Ausgangspunkt bildete, als vielmehr die Theorie – in diesem Fall die Idee der ‚Kette des Seins‘.85 Zugleich muss die Aufnahme von Fantasiewesen in das Klassifikationssystem als 78 79 80 81 82 83 84 85
Ebd. Ebd. Vgl. dazu auch Linné, Anthropomorpha, S. 72–75. Linné spielt hier auf die angebliche Lichtunverträglichkeit des Homo nocturnus an. Linné, Systema naturae 1767, S. 33. Es sei darauf hingewiesen, dass der Begriff des Albinos erst später entstanden ist. Kutzer, Kakerlaken, S. 197f; Linné, Systema naturae 1767, S. 33. Vgl. Gould, Flamingo’s smile, S. 205f.
3.2 Der Wunsch nach systematischer Klassifikation – Linné
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Ausdruck einer gewissen Unsicherheit über die Rolle des Menschen im Natursystem gewertet werden, was sich beispielsweise auch in der Beschreibung eines Backgammon spielenden Affen manifestierte.86 Linnés Natursystem zeichnete sich durch seinen Praxisbezug, seine Einfachheit und die Vermeidung von rhetorisch komplexen Ausführungen aus. Bewusst verzichtete er auf Ausschweifungen; Sprache erachtete er beim Vergleich und der Herstellung einer Analogie als ineffizient und verwirrend.87 Seine klassifizierende Methode erfreute sich sowohl bei aufgeklärten Naturbetrachtern als auch bei Laien grosser Beliebtheit, wobei das Ordnungsprinzip oftmals nicht als Hilfsmittel sondern als Endzweck diente.88 Linnés Naturbeobachtungen provozierten gesteigertes Interesse an Sammlertätigkeiten und Reisen, das neue Wissen wurde enzyklopädisch festgehalten und dadurch nicht nur universal abrufbar, sondern zugleich auch popularisiert.89 Doch trotz breiter Zustimmung stiess Linnés klassifikatorisches Vorgehen nicht nur auf Anklang. Kritiker wie Buffon bemängelten sein Natursystem als künstlich, seine Sichtweise der Natur als reaktionär und stark vereinfachend.90 Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Linné kaum als typischer Aufklärer bezeichnet werden kann. Zu religiös geprägt war seine Sichtweise der Natur, welche der Forderung der Aufklärung nach einer rationalen Wissenschaft komplett zuwiderlief. Für Linné stellte das Universum eine gewaltige Sammlung dar, die Gott ihm zur Beschreibung und Einteilung in einzelne Systeme gegeben hatte. Sich selbst schrieb er einen göttlichen Auftrag zu,91 ein Aspekt, der bei keinem der nachfolgenden Rassentheoretiker auftrat. Im Vergleich zu späteren Rassentheoretikern der Aufklärungszeit mangelte es der Arbeit Linnés an Transparenz. Über den methodischen Ansatz, auf welchem seine Klassifikation der Menschen fusste, kann lediglich spekuliert werden. In seiner zehnten Ausgabe verband Linné die somatischen Merkmale einzelner Varietäten mit wertenden Charaktereigenschaften, was zumindest die These, er habe auf die einschlägige Reiseliteratur zurückgegriffen, nährt. Gestützt wird diese Vermutung durch die Sekundärliteratur, in welcher Einigkeit darüber herrscht, dass Linné Reiseberichte rezipierte. Als Beweis werden die von Linné initiierten Forschungsreisen seiner Studenten genannt, deren Beobachtungen er in seine Schriften einfliessen liess.92 Über die Gründe für die mangelnde methodische Transparenz Linnés kann nur gemutmasst werden. Im Fokus seines Interessens stand kaum die Etablierung einer Rassentheorie – in der endgültigen, zehnten Fassung befasste sich Linné nur gerade auf sechs von 1384 Seiten mit dem Menschen –, sondern die Einordnung sämtlicher Lebewesen in ein natürliches Ordnungssystem. Erschwerend kam hinzu, dass er nur auf ungesichertes Material zurückgreifen konnte, was zugleich die Grundprob86 87 88 89 90 91 92
Koerner, Carl Linnaeus, S. 157. Koerner, Nature, S. 25f. Bitterli, Grundzüge. S. 214; Koerner, Carl Linnaeus, S. 145. Bitterli, Grundzüge, S. 217–226. Vgl. dazu Buffons Kritik an Linné, Buffon, Histoire naturelle I, S. 37–41. Lindroth, Faces, S. 18. Mühlmann, Anthropologie, S. 47.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
lematik der Klassifikation offen legte. Der zu klassifizierende Gegenstand war nur annähernd bekannt, eine gewisse Willkür und Subjektivität bei den Beurteilungskriterien waren somit unvermeidlich. In der modernen Forschung herrscht weitgehender Konsens über die Rolle Linnés bei der Entwicklung des modernen Rassismus. So gilt er gemeinhin als erster der frühen Rassentheoretiker des 18. Jahrhunderts. Eine Auswertung seiner Korrespondenz93 legt nahe, dass Linné nicht in Kontakt mit anderen Rassentheoretikern seiner Zeit stand. Trotz mangelnder Interaktion ist Linnés Rolle als Vorreiter rassentheoretischer Ideen für den weiteren Verlauf des Diskurses von grosser Bedeutung. Bei ihm zeigte sich erstmals ein Denksystem, welches eine Klassifikation anhand des Kriteriums der Hautfarbe konstruierte und diese mit geistigen, moralischen und kulturellen Eigenschaften verband. Sein Natursystem propagierte bereits eine deutliche Hierarchie, an deren Spitze der weisse Europäer stand und dessen Überlegenheit erstmals anhand ‚wissenschaftlicher‘ Beweise begründet wurde. Die Bedeutung seines Schaffens lag primär in der Entwicklung der Idee eines systematischen Klassifikationssystems und – wie es noch zu zeigen gilt – in deren Rezeption. Zu seinen Bewunderer gehörten Lichtenberg, Girtanner und Blumenbach.94 Seine Klassifikation wurde von zahlreichen Gelehrten wie letzterem, Camper, Meiners und Soemmerring aufgenommen, erweitert und differenziert, wobei das vermeintliche Wissen über rassische Unterschiede beträchtlich zunahm.95 3.3 DER ALBINISMUS ALS BEWEIS FÜR DIE URSPRÜNGLICHE FARBE DER MENSCHHEIT – MAUPERTUIS Mit dem Besuch eines vierjährigen, aus Lateinamerika stammenden Albinojungen in Paris im Jahre 1744 trat der Albinismus in die wissenschaftliche Debatte der Aufklärungszeit. Zwar war das Phänomen in Europa nicht völlig unbekannt, mehrere Reiseberichte – man denke nur an Wafers berühmte Schilderung der ‚Darienser‘96 – hatten bereits zuvor von der Existenz weisser Menschen unter aussereuropäischen Völkern berichtet.97 Der Besuch des ‚nègre blanc‘ galt in Europa dennoch als Sensation, war es doch zum ersten Mal überhaupt möglich, sich mit eigenen Augen von dessen Existenz zu versichern. Einer der Gelehrten, welche Gelegenheit hatten, den Albinojungen zu studieren,98 war Pierre Louis Moreau Maupertuis 93
94 95 96 97 98
Linnés vollständige Korrespondenz, darunter fallen auch Manuskripte, wurde unter der Schirmherrschaft von der Swedish Linnean Society, der Royal Swedish Academy of Science, der Universität Uppsala, der Linnean Society of London unter Mithilfe des Centre international d’étude du XVIIIe siècle digitalisiert und ist online abrufbar unter http://linnaeus.c18.net [Stand 12. Oktober 2011]. Marino, Praeceptores, S. 77. Bitterli, Grundzüge, S. 189. Wafer, Voyage. Einen kurzen, aber lesenswerten Überblick über das Eintreten des Albinos in den europäischen Erfahrungshorizont liefern Kutzer, Kakerlaken, S. 190–194, sowie Curran, Rethinking, S. 153– 156. Neben Maupertuis hatten auch Buffon und Voltaire Gelegenheit, den Jungen zu studieren.
3.3 Der Albinismus als Beweis für die ursprüngliche Farbe der Menschheit – Maupertuis 101
(1698–1759). Der Franzose hatte in Paris Philosophie, Musik und Mathematik studiert und leitete in den Jahren 1736/37 im Auftrag des französischen Königs die Lappland-Expedition, um den Abstand zweier Breitengrade zu vermessen.99 Maupertuis war Mitglied in den wichtigsten Akademien seiner Zeit, stand der Académie des Sciences zeitweise vor, und wurde 1741 aufgrund einer Empfehlung von Voltaire beauftragt, die Preussische Akademie der Wissenschaft, als deren Direktor er ab 1743 waltete, zu erneuern. Maupertuis galt als einer der herausragenden Gelehrten seiner Zeit. Er verfasste nicht nur bedeutende Beiträge zur Physik, Biologie und Kosmologie, sondern beschäftigte sich auch intensiv mit der menschlichen Vererbung, wobei er auf letzterem Gebiet seiner Zeit weit voraus war.100 Aufgrund der Begegnung mit dem Albinojungen in Paris sah sich Maupertuis zur Niederschrift einer Abhandlung inspiriert, die im Folgejahr unter dem Titel „Vénus physique“ anonym veröffentlicht wurde.101 Während er im ersten Teil in die Konzeption einer embryonalen Theorie einführte und anlässlich seiner Untersuchung auch eine Zusammenfassung und Kritik anderer zeitgenössischen Theorien lieferte, ist der zweite Teil für die vorliegende Studie von besonderem Interesse. Unter dem Titel „Varietés dans l’espece humaine“ beschrieb Maupertuis die verschiedenen Menschenvarietäten schemenhaft aufgrund äusserer Merkmale, ohne jedoch eine eigentliche Rassentheorie zu entwickeln, um dann eine eigene Theorie über den Ursprung der Menschheit zu konzipieren. Bei der Beschreibung der verschiedenen Menschenvarietäten orientierte sich Maupertuis an den einzelnen Kontinenten. Den Anfang bildete dabei Afrika:
Voltaire hielt in der Schrift „Touchant un maure blanc, amené d’Afrique à Paris en 1744“ sein Treffen mit dem „petit animal blanc“, wie er den Jungen zu nennen pflegte, fest. Detailliert beschrieb er dessen Aussehen, seinen grossen Mund wie jener der Lappen (un mufle taillé comme celui des Lapons), die Wolle auf dem Kopf (la laine frisée sur la tête), wie sie die Schwarzen hätten, aber von feinerer Struktur und die rote Iris. Obwohl Voltaire den Albinojungen als Tier bezeichnete, negierte er sein Menschsein nicht völlig, wenn er schrieb: „Cet animal s’appelle un homme, parce qu’il a le don de la parole, de la mémoire, un peu de ce qu’on appelle raison, & une espèce de visage.“ Voltaire Beschreibungen heben sich insofern von jenen Maupertuis ab, als dass er kontinuierlich einen Bezug zum Tierreich herstellte. Zudem stellte der maure blanc für ihn eine eigenständige race dar, welche die Spanier Albinos nannten und die primär im Königreich Loango anzusiedeln sei. Diese espèce werde von den nègres verachtet, da sie nicht zu ihnen zugehörig sei, und als inferior betrachtet. Voltaire, Touchant, S. 389–393. Zu Voltaires Polygenismus und seiner Rolle im Rassendiskurs vgl. Kapitel 3.5. 99 Die Expedition fand zeitgleich mit der Peru-Expedition unter Charles Marie de la Condamine statt, welche den Meridianbogen vermass. Ziel war es, aufgrund des Unterschiedes des Krümmungsradius die Grösse der Erde zu ermitteln. 100 Reichenberg, Maupertuis, S. 431f. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Leben und Wirken Maupertuis‘ lässt sich finden bei Beeson, Maupertuis; Terrall, Maupertuis. Maupertuis Theorie der menschlichen Vererbung basierte auf biologischen Untersuchungen. In seinem Werk „Système de la nature“ von 1754 befasste er sich unter anderem mit der Polydaktylie – eine Studie, welche für grosses Aufsehen sorgte. Maupertuis, Système. 101 Curran, Rethinking, S. 156f. Maupertuis veröffentlichte seine kontroversen Studien generell anonym. Erst wenn diese breit rezipiert und diskutiert wurden, gab er seine Autorenschaft preis. Terral, Maupertuis, S. 199.
102
3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert „Depuis le Tropique du Cancer jusque’au Tropique du Capricorne l’Afrique n’a que des habitans noirs. Non – seulement leur couleur les distingue, mais ils different des autres homme par tous les traits de leur visage: des nez larges & plats, de grosses levres, & de la laine au lieu de cheveux, paroissent constituer une nouvelle espece d’hommes. Si l’on s’éloigne de l’Equateur vers le Pole Antarctique, le Noir s’éclaircit, mais la laideut demeure : on trouve ce vilain peuple [les Hottentôts] qui habite la pointe méridionale de l’Afrique. Qu’on remonte vers l’Orient: on verra des peubles dont les traits radoucissent, & deviennent plus réguliers, mais dont la couleur est aussi noire que celle qu’on trouve en Afrique.“102
Die Ausführungen zu den Afrikanern sind in dreierlei Hinsicht von Belange. Erstens beschränkte sich Maupertuis bei deren Beschreibung auf physische Merkmale, nahm aber bereits typische rassische Klassifikationsmerkmale wie das wollige Haar, die platte Nase und die grossen Lippen auf. Beispielhaft für den wertenden Charakter seiner Schilderungen sind die Ausführungen zu den Hottentotten, die er explizit als hässlich bezeichnete. Zweitens stellte er fest, dass die Bewohner mit zunehmender Distanz zum Äquator eine hellere Hautfarbe aufwiesen – eine Beobachtung, auf welche er später nochmals zurückkommen sollte, bildete sie doch die Basis für seine Theorie über den Ursprung. Drittens machte er geltend, dass die Afrikaner aufgrund ihres sich von den Weissen unterscheidenden Aussehens als eine „nouvelle espece d’hommes“ zu erachten seien. Die Annahme, dass Zugehörigkeit zu einer Spezies in Abhängigkeit zur Hautfarbe stand, wird durch den Vergleich mit der Beschreibung der Lappen genährt: „Avant que de sortir de notre continent, nous aurions pû parler d’une autre espece d’hommes bien différens de ceux-ci. Les habitans de l’extrémité Septentrionale de l’Europe sont les plus petits des tous ceux que nous sont connus: les Lapons du côté du Nord, les Patagons du côte du Midi paroissent les termes extrèmes de la race des hommes.“103
Die Lappen erschienen Maupertuis als Extremum. Sie bezeichnete er zwar als nicht der gleichen Spezies wie die Weissen zugehörig, stellten aber keine neue Varietät dar. Die Amerikaner hingegen erachtete er, wie bereits zuvor die Afrikaner, als neue Varietät: „... on trouve, comme on peut croire, bien de nouvelles variétés. Il n’y a point d’hommes blancs: cette terre peuplée de nations rougeâtres & basannées de mille nuances...“104
Augenfällig ist erneut die Konstruktion einer Verbindung zwischen einer neue Varietät und der Hautfarbe. Die gänzliche Abwesenheit weisser Bewohner und die rötliche, zahlreiche Schattierungen aufweisende Hautfarbe der Bewohner konnten den Beobachter zur Überzeugung kommen lassen, dass es sich bei den Amerikanern ebenfalls um eine neue Varietät handle. Dies implizierte, dass die weisse Varietät die ursprüngliche darstellte, womit Maupertuis bereits seine These zum menschlichen Ursprung antizipierte. Die Beschreibung der Asiaten fiel äusserst knapp aus; Maupertuis betonte lediglich, dass jedes Volk auf den zahlreichen Inseln des Indischen Ozeans eine ei-
102 Maupertuis, Vénus physique, S. 154f. 103 Ebd., S. 157. 104 Ebd.
3.3 Der Albinismus als Beweis für die ursprüngliche Farbe der Menschheit – Maupertuis 103
gene Gestalt und Sprache aufweise.105 Allerdings gäbe es Bewohner auf gewissen Inseln, deren Habitus uns – Maupertuis verwendete hier, wohl um den europäischen Leser anzusprechen, explizit die nous-Form – noch merkwürdiger erscheinen würde als die schwarze Hautfarbe. So handle es sich zwar gemäss Aussage von Reisenden bei den Bewohnern der Wälder Borneos um Menschen, diese hätten aber einen Affenschwanz.106 Bedauerlicherweise verzichtete Maupertuis darauf, seine Quelle explizit zu nennen, den Hinweis auf die Berichte von Reisenden lässt aber keinen Zweifel daran, dass er sich primär auf Reiseliteratur stützte. – Eine Referenz, welche er im Übrigen mehrmals erwähnte.107 Wie bereits Bernier im 17. Jahrhundert beschränkten sich Maupertuis bei den Europäern primär auf die Schönheit der Frauen und offenbarten dabei ein stark eurozentrisch geprägtes ästhetisches Idealbild. So würden die Däninnen den Reisenden durch ihre blonden Haare und ihre Blässe in Erstaunen versetzen, noch weiter im Norden finde man sogar Teints, welche einer Rose oder Lilie gleichen würden. Insbesondere an einem schönen Sommertag offenbare sich in den Gärten des Louvre alle von der Welt hervorgebrachten Schönheit.108 – Bei soviel Lob für die Schönheit der europäischen Frauen liess Maupertuis keinen Zweifel offen, welchen Frauentyp er bevorzugte und welchem Schönheitsideal er sich verpflichtet sah. Die grobe Skizzierung der Bewohner der verschiedenen Kontinente blieb schemenhaft und umfasste lediglich einige wenige Seiten. Eine klare Strukturierung oder gar Klassifikation blieb Maupertuis dem Leser schuldig, weshalb auch nicht von der Entwicklung einer eigentlichen Rassentheorie gesprochen werden darf. Die skizzenhaften Ausführungen dienten Maupertuis vielmehr dazu, eine Theorie der Entstehung der Hautfarbe zu entwickeln, die wiederum die Basis einer Theorie über den menschlichen Ursprungs bildete. Dabei ging er von folgender Beobachtung aus: „Le phénomene le plus remarquable, & la loi la plus constante, sur la couleur des habitants de la terre, c’est que toute cette large bande qui ceint le globe d’Orient en Occident, qu’on appelle la Zone torride, n’est habitée que par des peubles noirs, ou fort basannés.“109
An diesem Punkt kam nun der Albino ins Spiel, denn die Beobachtung, dass durchaus auch weisse Schwarze in Amerika und Afrika existierten, konvergierte mit der Schlussfolgerung, dass eine zunehmende Äquatornähe und ein Anstieg der Temperatur zu einer dunkleren Hautfarbe führen müssten. Bereits zuvor war Maupertuis ausführlich auf Wafers Beschreibung der ‚Darienser‘ eingegangen, ohne zu erkennen, dass es sich auch bei ihnen um Albinos handelte.110 Da die ‚Darienser‘, im heutigen Panama beheimatet, seine These widerlegten, konstruierte er sie als eine Art von Nachtmenschen, vergleichbar mit den Eulen und Fledermäusen bei den Vögeln,111 und beschrieb sie als die weissesten bekannten Menschen, deren Augen 105 106 107 108 109 110 111
Ebd., S. 157f. Ebd., S. 158f. Vgl. Ebd., S. 156f, 164. Ebd., S. 164ff. Ebd., S. 162f. Vgl. Ebd., S. 159–162. Vgl. „Ils sont dans le genre des hommes ce que sont parmi les oiseaux, les chauve-souris & les
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
das Licht nicht ertragen würden, weshalb sie diese nur in der Nacht öffnen würden.112 Ausgangspunkt seiner Überlegung, wie das Phänomen des Albinismus zu erklären sei, bildete die Annahme, dass alle Menschen „d’une même mere“ seien,113 diese aber verschiedenfarbige Eier in sich getragen habe. Damit bekannte sich Maupertuis zum Monogenismus. Der Albino diente ihm nun als Beweis, dass diese eigentliche Urmutter aller Menschen weiss gewesen sein musste.114 An diesem Punkt kam Maupertuis auf den Albinojungen aus Surinam zu sprechen, dessen Anblick ihn zur Abhandlung erst inspiriert hatte: „C’est un enfant de 4. ou 5. ans qui a tous les traits des Negres, & dont une peau très – blanche & blafarde ne fait qu’augmenter la laideur. Sa tête est couverte d’une laine blanche tirant sur le roux. Ses yeux d’un bleu clair paroissent blessés de l’éclat du jour. Ses mains grosses & mal faites ressemblent plûtôt aux pattes d’un animal qu’aux mains d’un homme.“115
Da er sich selbst davon überzeugt hatte, dass sowohl die Mutter als auch der Vater des Jungen schwarz waren, ging Maupertuis davon aus, dass es sich um eine zufällige Vererbung handle, deren Anlage aber bereits seit Generationen bestanden hatte.116 Um das Phänomen des Albinismus zu erklären, argumentierte er nun mittels einer Theorie der Vererbung.117 Dabei ging er von der Prämisse aus, dass sich im Samen der Eltern immer auch Anlagen früherer Generationen befinden würden, die zufällig wieder auftreten könnten.118 Da sich keine Fälle schwarzer Kinder von weissen Eltern finden liessen, während das gegenteilige Phänomen vergleichsweise oft vorkam, glaubte Maupertuis daraus folgern zu können, dass die ursprüngliche Farbe der Menschen weiss gewesen sein müsse. Schwarz stellte dementsprechend eine erblich gewordene Veränderung dar, welche die Anlage der ursprünglich weissen Hautfarbe jedoch nie hatte endgültig verdrängen können. Bei einem Albino kam diese ursprüngliche Erbanlage nun wieder zum Vorschein.119 Er lieferte damit den scheinbaren Beweis einer ursprünglich weisshäutigen Abstammung aller Menschen, die ihm zugleich als Beleg für die enge Verwandtschaft zwischen Schwarz und Weiss diente.120 hiboux.“ Ebd., S. 160. Ebd., S. 159–162. Ebd., S. 169. Ebd., S. 169–172. Ebd., S. 183f. Ebd., S. 184–187, 190. Maupertuis kehrt somit zur Theorie der Epigenese zurück, die von einer allmählichen, sukzessiven Entwicklung des Embryons aus einer undifferenzierten Masse ausgeht. Vgl. Maupertuis, Vénus physique, S. 85ff. Die unendliche Zahl der heutigen Lebewesen erklärt er sich aus den Abweichungen; Fehlern beim Aufbau des neues Lebewesens führten zu Monstren oder zu verschiedene Varianten. Vgl. Maupertuis, Système, S. 164. Somit waren auch in Zukunft Veränderungen möglich, womit Maupertuis den Transformismus, eine frühe Evolutionstheorie, entwarf. 118 Maupertuis, Vénus physique, S. 193ff. 119 Maupertuis, Vénus physique, S. 198–204. 120 Maupertuis Interesse an der Frage nach der ursprünglichen Hautfarbe der Menschheit muss in einem grösseren Kontext gesehen werden; so lässt sich ab den 1730er Jahre eine Zunahme an 112 113 114 115 116 117
3.4 Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon
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Maupertuis Theorie des menschlichen Ursprungs findet in der modernen Rassismusforschung mit Ausnahme von Studien zur Geschichte des Albinismus kaum Beachtung. Das mangelnde Interesse an seiner Studie zum Albinismus ist insofern schwer verständlich, da es Maupertuis war, der die Vererbung als wesentliches Kriterium zur Erklärung der Hautfarbe einführte. Während seine Zeitgenossen die unterschiedliche Hautschattierungen primär auf das Klima und seltener auf die Ernährung zurückführten, erklärte sie Maupertuis ein gutes Jahrhundert vor Mendel und Darwin bereits rein genetisch. Krauss streicht den Wert seiner Vererbungs- und Mutationstheorie heraus und bezeichnete ihn zugleich als Begründer der vergleichenden Anatomie.121 Bitterli wiederum betont, dass insbesondere die Bedeutung, welche er dem Faktor Zeit bei der Herausbildung rassischer Unterschiede zuspreche, bemerkenswert sei. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen zeigte sich Maupertuis überzeugt, dass die Basis der rassischen Differenz bereits im frühen Stadium der Menschheit – also bei den Eiern – gelegt wurde, während andere Gelehrte davon ausgingen, dass sich diese innerhalb von wenigen Generationen herausbilden würden.122 Obwohl seine Theorie nur auf wenig unmittelbare Resonanz stiess und mitunter in Vergessenheit geriet, um – wie wir noch sehen werden – knapp dreissig Jahre später von Kant erneut aufgegriffen und ausgearbeitet zu werden,123 inspirierte er eine neue Generation von Gelehrten. Der bekannteste war wohl Buffon, der sich, ohne auf die Vererbungslehre weiter einzugehen, in seiner „Histoire naturelle“ explizit auf Maupertuis berief.124 3.4 NATURGESCHICHTE UND DIE FRAGE NACH DER STELLUNG DES MENSCHEN – BUFFON 1749 wurden die ersten drei Bände eines Werks veröffentlicht, deren Verfasser als Begründer der modernen Anthropologie in die Annalen eingehen sollte.125 Autor
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Untersuchungen zur Hautfarbe der Schwarzen konstatieren. Das gestiegene Interesse an etwaigen Studien muss in Zusammenhang mit der sich herausbildenden physischen Anthropologie in Verbindung gebracht werden. Des Weiteren spielten Faktoren wie ein gesteigertes Interesse am afrikanischen Kontinenten, die europäische Expansion, die Ideologie des edlen Wilden, die Entstehung der ersten Abolitionsbewegungen sowie die Entstehung schwarzenfreundlicher Literatur mit ein. Ein detaillierter historischer Abriss zu den verschiedenen anatomischen Untersuchungen der schwarzen Hautfarbe im 18. Jahrhundert lässt sich finden bei: Mazzolini, Untersuchungen, S. 167–187, insbesondere S. 169f. Krauss, Anthropologie, S. 120. Bitterli, Grundzüge, S. 353. Vgl. Bitterli, Grundzüge, S. 346. Vgl. Curran, Rethinking. S. 151, 162f. Diese Formulierung geht auf Blanckaert („Buffon did ‚found‘ anthropology.“) zurück, der dies sowohl philosophisch, programmatisch als auch methodisch begründet. Philosophisch insofern, als dass sich Buffon in seinen Studien mit dem Menschen wie auch den Tieren beschäftigt habe, wobei er den Menschen programmatisch als Kollektiv oder Spezies studierte. Indem er den mythologischen Hintergrund eliminierte und eine Synthese von Ideen über die Beziehung zwischen Mensch und Natur entwarf, habe Buffon auch methodisch eine neue Disziplin be-
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war Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon,126 geboren 1707 als Sohn einer einflussreichen, gut situierten, adligen Familie in Montbard, Frankreich. Nach dem Besuch des jesuitischen Gymnasiums studierte er Rechtswissenschaft, um sich anschliessend der Medizin, Botanik und Mathematik zu widmen. 1730 folgte eine zweijährige Bildungsreise nach Südfrankreich und Italien ehe er nach Paris zurückkehrte, wo er rasch in Kontakt mit der Politik und wissenschaftlichen Kreisen trat und in die „Académie Royale des Sciences“ aufgenommen wurde. In den folgenden Jahren beschäftigte sich Buffon intensiv mit der Botanik und der Mathematik, um, beeinflusst durch die Erkenntnisse Newtons, zu promovieren.127 1739 initiierte er die Gründung des „Jardin du Roy“ in Paris, als dessen Direktor er 1749 die ersten drei Bände seines Opus magnum „Histoire Naturelle, Générale et Particulière“ veröffentlichte.128 Die Publikation war ein grosser Erfolg; binnen weniger Wochen war die Erstauflage vergriffen, noch im selben Jahr folgten zwei weitere. Buffon gelangte in Europa und Amerika zu Ruhm, was ihm die Mitgliedschaft in den bedeutendsten Akademien sicherte sowie zum Adelstitel eines „Comte“ verhalf. Bis 1860 stieg die Auflagezahl kontinuierlich an, ehe sie als Folge der Veröffentlichung von Darwins „Origin of species“ sank – Buffons Naturgeschichte musste der Evolutionstheorie weichen.129 Der erste, 1749 veröffentlichte Band beinhaltet eine Darstellung der Geschichte der Erde, in welcher sich Buffon mit ihrer Entstehung, der Geographie, diversen Naturphänomenen wie Erdbeben und Vulkane sowie den Planeten befasste. Bereits der erste Band der „Histoire naturelle“ markierte eine Abkehr von religiösen Dogmen; an die Stelle von Schöpfungstagen traten Epochen und Perioden, das Alter der Erde datierte Buffon auf 74’800 Jahre, während die biblische Schöpfungslehre von lediglich 6’000 Jahren ausging.130 Die Genesis wurde implizit durch die physische Geschichte der Erde abgelöst, welche lediglich auf beobachtbaren Fakten und allgemeinen Grundprinzipien der theoretischen Naturerkenntnis basierte.131 Im zweiten Band setzte sich Buffon mit der Geschichte der Tiere auseinander, indem er diese mit den Pflanzen und Mineralien verglich, ehe er eine Theorie der Reproduktion entwarf, um dann die Entwicklung und Ernährung der Tiere sowie ihre Anatomie zu thematisieren. Die Theorie der Reproduktion war insofern wegweisend, als dass die Artzugehörigkeit durch die Fortpflanzungsfähigkeit und nicht mehr durch die Form bestimmt war. Nur wer fortpflanzungsfähigen Nachwuchs produzierte, konnte zur gleichen Art gerechnet werden. Nachfolgend wandte sich Buffon der Gattung des Menschen zu, welche er wie zuvor Linné dem Tierreich zuordnete.
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gründet. Blanckaert, Buffon, S. 14f.; vgl. auch Moravia, der Buffons Forschungen als „MeilenMeilenstein“ der modernen anthropologischen Wissenschaft bezeichnet: Moravia, Vernunft, S. 31. Eine ausführliche Biografie lässt sich finden bei Roger, Life in Natural History. Roger, Buffon, S. 576 Bernasconi, Editor’s note, in: Buffon, Histoire naturelle 3, S. vii. Die Erstausgabe der „Histoire naturelle“ von 1749 umfasste drei Volumen, welche in den folgenden Jahrzehnten sukzessive erweitert wurden. Von den ursprünglich fünfzig geplanten Bänden konnten bis zum Tod Buffons 1788 sechsunddreissig realisiert werden, acht weitere sollten bis 1804 folgen. Lepenies, Naturgeschichte, S. 139f; Roger, Buffon, S. 576f. Buffon, Histoire naturelle I. Cassirer, Philosophie, S. 62ff.
3.4 Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon
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Dabei zeichnete er die verschiedenen Lebensstationen von der Empfängnis bis hin zum Tod nach,132 um sich im dritten Band mit dem menschlichen Verstand, der Funktion und Entwicklung der Organe sowie der menschlichen Anatomie zu beschäftigten. Aufgrund dieser Beobachtungen entwarf er eine Theorie der verschiedenen menschlichen Varietäten133 und legte damit die Basis zu einer Naturgeschichte des Menschen.134 Ausgangspunkt der „Histoire naturelle“ bildeten Buffons Darlegungen zur Naturgeschichte, deren Gegenstand „tous les objects que nous présente l’Universe“135 beinhaltete. Die Fülle an möglichen Untersuchungsgegenständen, so Buffon, verlange vom Gelehrten eine umfassende Sichtweise, setze zugleich aber auch die Hinwendung zum Detail voraus.136 Diese doppelte Anforderung an den Naturwissenschaftler sah Buffon oftmals nicht erfüllt. Er kritisierte die Tendenz der Naturgeschichte, nach einem gewissen Muster zu verfahren und ein abschliessendes Urteil aufgrund von einigen wenigen gemeinsamen Klassifikationsmerkmalen zu fällen. Diese Vorgehensweise widersprach der von ihm geforderten ganzheitlichen Sichtweise der Natur, welche nicht selektiv sondern umfassend sein müsse und den Vergleich aller Eigenarten beinhalte, um sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede eruieren zu können.137 Der Versuch, alle Lebewesen aufgrund fixer Kriterien in ein vorgefertigtes System drängen zu wollen, stellte neben dem Vorwurf einer fehlenden Methode die Hauptkritik Buffons an der bisherigen Naturgeschichte dar.138 Stattdessen forderte Buffon, dass eine genaue Beschreibung frei von Vorurteilen sein müsse und ohne einen systematischen Begriff auszukommen habe.139 Die radikale Ablehnung jeglicher Klassifikation sorgte bei Zeitgenossen für Erstaunen, da Buffon, gemäss Doughertys, „durch seine Kritik jenes wissenschaftliche Fundament entziehen zu wollen schien, das seinen Zeitgenossen gerade als die Möglichkeit galt, die Naturgeschichte zur Wissenschaft zu erheben und damit ihren Rückstand gegenüber der im 17. Jahrhundert systematisch begründeten Physik und Astronomie aufzuholen.“140 Ziel seiner Kritik war die Herausbildung eines neuen Wissenschaftsverständnisses, in welchem die Schöpfungsmetaphysik endgültig der Vergangenheit angehörte. Gemäss dieser neuen Auffassung der Naturgeschichte fiel dem Menschen eine doppelte Rolle zu: Einerseits war er betrachtendes Subjekt, anderseits ein zu studierendes Objekt.141 Buffons Kritik betraf nicht eine spezifische Form der Klassifikation, sondern stellte eine generelle philosophische Kritik an der Taxonomie dar.142 Scharf kriti132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142
Buffon, Histoire naturelle II. Buffon, Histoire naturelle III. Vgl. Dougherty, Buffons Bedeutung, S. 221ff. Buffon, Histoire naturelle I, S. 3. Ebd., S. 4ff. Ebd., S. 23–23; vgl. Barsanti, Linné et Buffon, S. 106. Buffon, Histoire naturelle I, S. 22f. Ebd., S. 25. Dougherty, Buffons Bedeutung, S. 225f. Vgl. Ebd., S. 225f. Sloan, Controversy, S. 358f.
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sierte er deren Hauptvertreter Linné,143 dessen Klassifikationsmethode er als willkürlich und unvollständig zurückwies. Linné warf er vor, ein künstliches System zu vertreten, basierend auf Annahmen, welche in der Praxis wenig Nutzen brachten, während er selbst eine natürliche Ordnung vorschlage, die auf einer vollumfänglichen Beschreibung aller Arten basierte.144 Seine Kritik richtete sich dabei nicht nur gegen Linnés Taxonomie, vielmehr stellte er dessen Renommee als Wissenschaftler in Frage: „Il faut bien avoir la manie de faire des classes pour mettre ensemble des êtres aussi différens que l’homme & le paresseux, ou le singe & le lézard écailleux.“145 Linné reagierte scharf, indem er Buffon als Methodenhasser bezeichnete und ihm vorwarf, alle ausser sich selbst zu kritisieren, obwohl er selbst die meisten Fehler begehen würde.146 Buffons massive Kritik an Linné stiess auf breite Rezeption in den französischen Salons der Aufklärungszeit und schlug sich auch in der „Encyclopédie“ von Diderot nieder.147 Trotzdem wurde der praktische Nutzen der Linnéschen Taxonomie bereits zu Lebzeiten Buffons weitgehend anerkannt und selbst Buffon sah sich in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts gezwungen, seine These zumindest teilweise zu revidieren, als er die Vierfüssler und Vögel in Genera und Familien einteilte. Damit distanzierte er sich von seinem zentralen Kritikpunkt, dass die Naturgeschichte weder Gruppierungen noch Spezies kenne.148 Trotz diesen scheinbar unüberbrückbaren Differenzen lassen sich bei Buffon und Linné Gemeinsamkeiten erkennen.149 Beide rechneten den Menschen dem Tierreich zugehörig, wobei er eine Sonderstellung in ihrem anthropozentrischen Naturbild einnahm. Hatte Linné die Überlegenheit des Menschen gegenüber den Tieren noch theologisch begründet, argumentierte Buffon nun, dass der „homme morale“ eine divergierende Natur aufweise, weshalb selbst der niedrigste Mensch dem höchsten aller Tiere noch überlegen sei.150 Der Glaube an die Überlegenheit des Menschen war nicht frei von Widersprüchen. Einerseits lehnte Buffon kategorisch eine systematische Einteilung der Natur ab, andererseits war er von ihrem konstanten, hierarchischen Aufbau überzeugt.151 Indem er den Menschen als superior verstand, konnte er das Prinzip der Kontinuität der Natur nicht mehr aufrechterhalten. Der Kern dieses Widerspruchs liegt, wie Lepenies zu Recht betont, im Fehlen eines Entwicklungsgedankens, der zwar bei Linné wie auch Buffon angedeutet, aber nicht akzeptiert wurde. Die Überlegenheit der Menschen gegenüber den Tieren, welche deren Sonderstellung bedingte, war ohne die Möglichkeit einer Weiterentwicklung nur schwer in Einklang mit dem Prinzip der Kontinuität zu brin143 Eine detaillierte Schilderung der Kontroverse zwischen Linné und Buffon lässt sich u. a. finden bei Barsanti, Linné et Buffon, S. 83–107; Sloan, Controversy, S. 356–375. 144 Buffon, Histoire naturelle I, S. 37–41; vgl. Kohl, Entzauberter Blick, S. 13f. 145 Buffon, Histoire naturelle I, S. 39. 146 Linné, Rop ur grafwen (1776), nach: Koerner, Nature, S. 28. 147 Diderots Artikel „Humaine, espèce“ lehnte sich nicht nur bezüglich der Struktur an Buffon an, auch Argumentation und zahlreiche Formulierungen glichen sich an. Diderot, Humaine espèce, S. 344–348; Vgl. Dietz/ Nutz, Naturgeschichte, S. 68f. 148 Sloan, Controversy, S. 357. 149 Vgl. Sommer/Conze, Rasse, S. 146f. 150 Vgl. Lepenies, Naturgeschichte, S. 24. 151 Loveland, Rhetoric, S. 77.
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gen.152 Während Linné, um das Prinzip der Kontinuität zu wahren, auf Monstrositäten als Zwischenform zurückgriff, führte Buffon, wie noch zu erläutern, das Degenerationsprinzip153 ein, um Unterschiede in der Entwicklung des Menschen begründen zu können.154 Buffon verstand seine Ausführungen zu den menschlichen Varietäten als histoire de l’espèce, als Gattungsgeschichte. Er ging von der Einheit des Menschengeschlechts (genre humain) aus, welches aus nur einer Art (espèce) bestand, aber in verschiedene Rassen (race), Varietäten (variété), Völker (peuple) oder Nationen (nation) – die einzelnen Termini verwendete er willkürlich und wenig durchdacht – unterteilt werden konnte.155 Diese Einteilung stellte ein klares Bekenntnis zum Monogenismus dar, manifestierte aber zugleich den Glauben an die Vielfalt der menschlichen Phänotypen. Die verschiedenen Varietäten unterschieden sich gemäss Buffon aufgrund dreier Kriterien: Den ersten und bemerkenswertesten Unterschied sah er in der Hautfarbe, den zweiten in der Form und Grösse und den dritten in den natürlichen Eigenschaften des jeweiligen Volkes.156 Die menschlichen Phänotypen grenzten sich folglich nicht nur durch ihr äusseres Erscheinungsbild voneinander ab, sondern wiesen gemäss Buffon eine völlig unterschiedliche Wesensart auf. Diese Überzeugung spiegelte sich auch in den Beschreibungen, welche im Vergleich zu früheren Rassentheoretikern wesentlich detaillierter ausfielen, da neben somatischen auch moralische und kulturelle Charakteristika berücksichtigt wurden. Die Reihenfolge der Beschreibung wurde bei Buffon durch klimatische und geographische Kriterien bestimmt. Einerseits orientierte er sich an den Kontinenten – vom äussersten Norden der Alten Welt nach Asien, von wo er anschliessend über Europa nach Afrika gelangte, ehe er sich dem amerikanischen Kontinent zuwandte. Andererseits bestimmte das Klima die Abfolge: Den Beginn markierten die Bewohner der kalten Zone, von wo aus Buffon kontinuierlich zu jenen der heissen Klimazonen vordrang, wobei Amerika eine Sonderrolle einnahm. Das Klima bildete das zentrale Element der Buffonschen Rassentheorie, da es nicht nur als Orientierungspunkt bei der Beschreibung der einzelnen Varietäten fungierte, sondern auch die Erklärung für die Diversität der menschlichen Phänotypen lieferte. So erachtete Buffon das Klima als bestimmend für die Hautfarbe, die Leibesgestalt und die Ge152 Lepenies, Naturgeschichte, S. 37, vgl. auch Moravia, Vernunft, S. 34. Moravia macht darauf aufmerksam, dass Buffon mit der Zweiteilung des Menschen in den „homme physique“ und den „homme morale“ weitgehend zum traditionellen Leib-Seele-Dualismus zurückkehrte. Diese Unterscheidung wurde später von Rousseau übernommen, um den Menschen vom Tier abzuheben. Garrett, Human Nature, S. 177. 153 Wie Osterhammel ausführt, kam bereits bei englischen Autoren der Renaissance der Degenerationsgedanke auf. Diese setzten Wildheit nicht mit einem Urzustand gleich, sondern erachteten diese als Resultat eines Kulturzerfalls / -niedergangs. Osterhammel, Entzauberung, S. 389. 154 Vgl. Lepenies, Ende der Naturgeschichte, S. 65f. 155 In Theorie hatte sich Buffon mit den verschiedenen Termini auseinandergesetzt. Wer zur gleichen Gattung gehörte, wies gemäss seiner Definition eine vollkommene Ähnlichkeit oder nur unmerkliche Unterschiede auf. Buffon, Histoire naturelle I, S. 21f. In der Realität liess er aber einen systematischen Gebrauch der einzelnen Begriffe vermissen. So sprach er abwechselnd von race, variété, peuble und nation, ohne dass ein eigentliches Konzept ersichtlich wird. 156 Buffon, Histoire naturelle III, S. 371.
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sichtszüge eines Volkes. Weitere Faktoren, welche das äussere Erscheinungsbild beeinflussten, bildeten die Nahrung, die Sitten und Lebensart, wobei diese wiederum vom Klima beeinflusst wurden.157 Den Beginn der Buffonschen Ausführungen markierten die Völker des Nordens,158 wo eine „race d’hommes de petit stature, d’une figure bizarre, dont la physiognomie est aussi sauvage que les mœurs“159 wohnhaft sei. Bereits dieses Zitat zeugt von einer Verunglimpfung der nordischen Völker, welche als wild und scheinbar degeneriert („que paroissent avoit dégénéré de l’espèce humaine“160) beschrieben wurden. Die Zuschreibung negativer Attribute war, wie bereits bei Bernier und Maupertuis gezeigt wurde, nicht neu. Der direkte Bezug zwischen äusserem Erscheinungsbild und Sitten liess sich aber im Vergleich zu früheren Rassenkonzepten nie derart eindeutig belegen. Erstmals nahm die Physiognomie die Rolle eines Spiegels ein, welche die Wildheit der Menschen vorwegnahm und für jeden sichtbar machte. Die nordischen Völker glichen sich nicht nur in Bezug auf ihr Aussehen, auch in den Sitten manifestiere sich, so Buffon, deren Zugehörigkeit zur gleichen Rasse: „Non seulement ces peubles se ressemblent par la laideur, la petitesse de la taille, la couleur des cheveux & des yeux, mais ils ont aussi tous à peu près les mêmes inclinations & les mêmes moeurs, ils sont tous également grossiers, superstitieux, flupides.“161
Während Buffon bei der Beschreibung somatischer Charakteristika noch verschiedene Nuancen unterschied – die Borianer schilderte er beispielsweise als kleiner und von dunklerer Hautfarbe als die Lappen –,162 bildeten die Völker des Nordens in Bezug auf die Sitten und Moral eine Einheit. So stellte er fest, dass sie keine Religion hätten und bezeichnete sie als feige (sans courage), derber als Wilde (plus grossiers que sauvages), mehrheitlich götzendienerisch (plûpart idôlatres) und ohne Scham (sans pudeur), um nur einige Beispiele zu nennen.163 Anschliessend widmete sich Buffon den asiatischen Völkern. Bei den Chinesen, die er als dick, von runder und breiter Gesichtsform, kleinen Augen und kleiner eingedrückter Nase beschrieb, zeigte er sich unsicher, ob es sich tatsächlich um eine andere Rasse als um jene der Tartaren handle. Lediglich die unterschiedlichen Sitten und Gewohnheiten liessen dies vermuten. Beschrieb Buffon die Tartaren noch als kriegerisch (belliqueux), derb (grossieurs) und grob (durs), so würden sich die Chinesen durch Trägheit (indolens), Friedfertigkeit (pacifiques) und Abhängigkeit bis zur Versklavung (dépendans jusqu’à l’esclavage) auszeichnen.164 Die Japaner rechnete er trotz ihrer gelben Hautfarbe zur gleichen Rasse. Bei beiden dieser seit langem zivilisierten Völker betonte er, dass sie sich mehr durch die Sitten, welche 157 Vgl. Ebd., S. 371. 158 Zu diesen zählte er die Lappen, Zemblaner, Borandier, Samojeden, Tartaren, Ostiaken und Eskimos. Ebd., S. 371–374. 159 Ebd., S. 371. 160 Ebd., S. 372. 161 Ebd., S. 374. 162 Ebd., S. 372f. 163 Ebd., S. 375f. 164 Ebd., S. 384f.
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durch das Klima hervorgebracht worden waren, als das Aussehen von den Tartaren unterscheiden würden.165 Die Bewohner der asiatischen Inseln wiederum zeichneten sich durch eine grosse Diversität aus, welche Buffon primär mit der Vermischung mit anderen (teilweise auch europäischen) Völkern begründete.166 Zugleich zeigte sich hier erstmals, dass Buffon – trotz gegenteiliger Beteuerung – vor Stereotypen nicht gefeit war, wenn er der Bevölkerung der philippinischen Inseln, einen Schwanz von vier bis fünf Zoll zuschrieb.167 Den Bewohnern Papua-Neuguineas und Neuhollands widerfuhr eine ähnlich drastische Diffamierung, wie sie bereits bei den nordischen Völkern zu beobachten war. Auch hier vermischten sich Tiervergleiche und ästhetisches Urteil zu einem unheilvollen Konglomerat. Die Einwohner Papa Neuguineas schilderte Buffon als sehr schwarz (fort noirs), wild (sauvages) und viehisch (brutaux), wobei er sich explizit auf den Reisebericht von Le Maire bezog. Besonderes Augenmerk galt den Frauen, welche aufgrund ihrer bis zum Nabel hängenden Brüsten, dem dicken Bauch und der Physiognomie eines Affen (singe) beim Betrachter grosse Abscheu erregen würden.168 Noch drastischer beschrieb Buffon die Bewohner Neuhollands; sie seien jene Menschen (humains), welche sich wahrscheinlich am meisten den wilden Tieren (brutes) annäherten.169 Der Tiervergleich stellte in beiden Fällen eine klare Herabwürdigung dar, da er zur Illustrierung der Wildheit oder Hässlichkeit diente. Aber die Annäherung an das Tierreich war, wie das Beispiel der Neuholländer illustriert, niemals gleichbedeutend mit der Negierung des Menschseins. Selbst wenn ein Volk in den Augen Buffons als wild galt und somatische Ähnlichkeiten mit Tieren aufwies, hütete er sich davor, in ihm eine Zwischenform zu sehen. Anschliessend widmete sich Buffon den Völkern des indischen Subkontinents bis hin zu jenen Nordafrikas, welche sich voneinander nicht gross unterscheiden würden.170 Insbesondere die Inder würden in Bezug auf ihre Grösse und ihre Gesichtszüge viele Ähnlichkeiten mit den Europäern aufweisen.171 Buffons Charakterisierung fiel denn auch vergleichsweise positiv aus; betont wurde primär die wohlgebildete Gestalt und ihre trotz (!) der dunkleren, olivenfarbigen Hautfarbe als schön zu erachtenden Gesichtszüge.172 Beschränkte er sich bei den Völkern des indischen Subkontinents primär auf deren äusseres Erscheinungsbild, standen bei den arabischen Völkern173 nun deren Sitten im Zentrum. Das Urteil Buffons fiel vernichtend aus: Die Araber würden die Gesetze verachten, führten wie die Tartaren (!) ein Leben ohne Ordnung und Polizei und erachteten Laster als ehrenvoll.174 Zugleich bediente er sich eines sexuellen Stereotyps, wenn er schilderte, dass es in Ägypten Mädchen gebe, welche zum Vergnügen der Reisenden bestimmt seien, 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174
Ebd., S. 389ff. Ebd., S. 391–411. Ebd., S. 401. Ebd., S. 406f. Ebd., S. 408. Ebd., S. 432. Ebd., S. 411. Vgl. Ebd., S. 411–418. Perser, Araber und Ägypter erachtete Buffon als eine Nation. Vgl. Ebd., S. 423. Ebd.
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ohne dafür ein Entgelt zu verlangen.175 Im Süden Ägyptens an der Grenze zu Nubien hingegen lebten fast schwarze Menschen, die sich durch Faulheit (oisiveté) und Feigheit (poltronnerie) auszeichnen würden, unwissend (fort ignorans) und voller lächerlicher Eitelkeit (pleins d’une vanité ridicule) seien.176 Einzig bei den Mauren wurde sein Urteil wieder milder, wenn er betonte, dass die Mehrzahl der Frauen auch in Europa als schön gelten würden.177 Auffällig ist, dass Buffon kulturelle Faktoren stets negativ beurteilte und lediglich bei somatischen Kriterien ein positives Urteil fällte. Allerdings erachtete er ein Volk nur dann als schön, wenn sich ein Bezug zu den Europäern herstellen liess, was von einem ausgesprochen eurozentrischen Schönheitsideal zeugt. Ähnliches lässt sich auch bei den Zirkasiern, Mingreliern, Georgiern und Türken beobachten, welche er zusammen mit den Europäern zu den in den gemässigten Zonen lebenden Völkern zählte. Zwar lobte er ausgiebig deren Schönheit, ihre weisse Haut und ihren ebenmässigen Körperbau, sobald er jedoch über ihre Sitten berichtete, wurde dem Leser ein negatives Bild vermittelt. Die Georgier seien zwar zu Wissenschaft und Kunst fähig (capable des sciences & des arts), allerdings mache sie ihre schlechte Erziehung unwissend (très-ignorans) und lasterhaft (très-vicieux). Es gebe kein Land, in welchem Trunksucht und Ausschweifung derart verbreitet sei.178 Die Mingrelier wiederum seien so schön wie die Georgier, doch die Frauen seien treulos, die Männer Diebe, ausserdem betrieben sie Inzest.179 Erneut zeigte sich, dass wenn eine Abgrenzung gegenüber einem aussereuropäischen Volk über das Aussehen ausgeschlossen war, eine Abwertung auf der kulturellen Ebene stattfand. Die Ausführungen zu den Bewohnern Europas hingegen beschränkten sich auf wenige Seiten. Buffon thematisierte lediglich einige somatische Unterschiede wie die leicht dunklere Hautfarbe der Südeuropäer oder das Alter der Schweden, welche aufgrund des gesunden Klimas länger lebten und fruchtbarer sei.180 Für Buffon stellten die Bewohner der gemässigten Zone den Prototypen der menschlichen Varietät dar. Deren Superiorität begründete er mit dem gemässigten Klima, in welchem sie leben würden:181 „Si nous examions maintenant ceux qui habitent tous en climat plus tempéré, nous trouverons que les habitans des provinces septentrionales du Mogol & de la Perse, les Arméniens, les Turcs, les Géorgiens, les Mingréliens, les Circassiens, les Grecs & tous les peubles de l’Europe, sont les hommes les plus beaux, les plus blancs & les mieux faits de toute la terre...“182
Der Rückgriff auf das Klima diente Buffon einerseits dazu, die Diversität innerhalb der menschlichen Gattung zu erklären, andererseits propagierte er mittels der Klimatheorie eine Hierarchie der verschiedenen Rassen. Die offensichtliche Wertung, 175 176 177 178 179 180 181 182
Ebd., S. 427. Ebd., S. 429. Ebd., S. 431. Ebd., S. 434. Ebd., S. 436f. Ebd., S. 440–445. Ebd., S. 501–503. Ebd., S. 433.
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welche diese Aussage beinhaltete, widersprach der von Buffon in seinem Exkurs zur Naturgeschichte geforderten genauen und vorurteilsfreien Beschreibung massiv.183 Die Stilisierung des Europäers zum Idealtypus implizierte ausserdem, dass in den kältesten und in den wärmsten Zonen der Erde die beiden Extremum der menschlichen Varietät zu verorten waren. Diese fand Buffon zum einen in den Völkern des Nordens und zum anderen – wie anschliessend erläutert – in den Hottentotten, welche er beide als degeneriert beschrieb. Als nächstes beschäftigte sich Buffon mit dem afrikanischen Kontinent. Die braunen Äthiopier, mutmasste er, würden ihr Aussehen wahrscheinlich den Arabern verdanken. Sie erachtete er als halbgesittetes (demi-policé) Volk.184 Bewusst grenzte er sie von den Schwarzen (les noirs) ab, welche er wiederum in zwei Rassen teilte: in Schwarze (Nègres)185 und Kaffern (Caffres).186 Diese unterschieden sich zwar kaum in der Hautfarbe; die Haare, die Haut, der Körpergeruch, ihre Sitten und ihre Natur seien aber different.187 Wie sehr sich Buffon dem europäischen Schönheitsideal verbunden fühlte, bestätigte sich bei den in Senegal wohnhaften Wolofs (Jalofes). Er schilderte sie als gut proportioniert und sehr schwarz, wobei sie nicht so grobe Züge wie die anderen Schwarzen hätten und die Frauen, abgesehen von ihrer Hautfarbe, auch in jedem anderen Land der Welt als ausserordentlich schön gelten würden.188 Die Beschreibungen der afrikanischen Völker zeugen von der Rezeption gängiger Klischees, Vorurteile und Volksweisheiten. So begründete Buffon mit Verweis auf die Reiseliteratur die breite Nase und das Hohlkreuz der Schwarzen damit, dass die Frauen die Kinder bei der Arbeit auf dem Rücken tragen würden. Durch das schnelle Bücken und Aufrichten stiesse das Kind mit der Nase an den Rücken der Mutter und um diesem Stoss auszuweichen, würde es den Kopf nach hinten und den Bauch nach vorne biegen.189 Dieser altbekannte Erklärungsansatz relativierte die Bedeutung der physischen Unterscheidungsmerkmale zwischen den einzelnen Varietäten. Die Gesichtszüge, so zeigte sich Buffon überzeugt, seien im Gegensatz zu der Hautfarbe nicht klimabedingt, sondern von den jeweiligen Sitten eines Volkes abhängig.190 Auffällig ist die Charakterisierung der Schwarzen als besonders wollüstig – ein altbekanntes Vorurteil. Detailliert schilderte Buffon den lasziven Tanz, die starke sexuelle Neigung der Frauen, ihre grosse Fruchtbarkeit und die Leichtigkeit, mit welcher sie gebären würden. Die Männer hingegen beschrieb er als faul,
183 Buffon, Histoire naturelle I, S. 25. 184 Buffon, Histoire naturelle III, S. 449f. 185 Zu den Nègres zählte er die Nubier, Senegalesen, die Bewohner der Kapverden, Gambias, Sierra Leones, der Elfenbeinküste, Goldküste, der Küste von Juda, Benins, Gabuns, Lowangos, des Kongos, Angolas, Benguelas bis zu den Bewohnern des Cap-nègre. 186 Als Cafres bezeichnete er die Bewohner jenseits des Cap-nègre bis zur Spitze Afrikas sowie jene Ostafrikas, Natals, Sofalas, Monomotapa, Mozambiques und Melindes sowie die Bewohner verschiedener Inseln. 187 Buffon, Histoire naturelle III, S. 449, 453. 188 Ebd., S. 457. 189 Ebd., S. 458f. 190 Ebd., S. 480–484.
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ihre einzige Begierde stelle das weibliche Geschlecht dar.191 Den Schwarzen Guineas warf er gar vor, bereits als Kind von Wollust getrieben zu sein; ein Mädchen, welches sich an den Status der Jungfräulichkeit erinnere, sei sehr selten.192 Die Beschäftigung mit dem afrikanischen Kontinent offenbarte ein von Vorurteilen geprägtes Bild der Afrikaner: „Quoique les Nègres aient peu d’esprit, ils ne laissent pas d’avoir beaucoup de sentiment, (...), lorsqu’on les nourrit bien & qu’on ne les maltraite pas, ils sont contens, joyeux, prêts à tout faire, & la satisfaction de leur ame est peinte sur leur visage; mais quand on les traite mal, ils prennent le chagrin fort à cœur & périssent quelquefois de mélancolie...“193
Die Darstellung des Schwarzen erinnert hier stark an jene eines Kindes, das, unfähig selbst zu denken und von Emotionen geleitet, zu seinem eigenen Wohl gelenkt werden muss. Zwar prangerte er die unmenschliche Behandlung der Sklaven durch gewisse Sklavenhalter an und betonte, dass der Schwarze bei guter Behandlung bereit sei, alles für seinen Herrn (maître) zu tun. Das Herr-Knecht-Verhältnis aber hätte er niemals in Abrede gestellt, da es eine logische Konsequenz der natürlichen Inferiorität der Schwarzen darstellte.194 Gewöhnten sich die Schwarzen (Nègres) aufgrund ihrer Reinlichkeit und Sesshaftigkeit schnell an die Sklaverei, waren die zu den Kaffern (Cafres) zählenden Hottentotten (Hottentots) in den Augen Buffons als Sklaven ungeeignet, da sie abscheulich unsauber (affreuse mal-propreté), streunend (errans) und ihre Unabhängigkeit liebend (indépendans & très-jaloux de leur liberté) seien. Erneut lässt sich beobachten, wie Buffon in einer Mischung aus Faszination, Voyeurismus und Abneigung ihre Sexualität thematisiert. Ausführlich schilderte er den Brauch der Hodenentfernung bei den Knaben und das riesenhafte Schambein der Frauen, welches sie jedem Besucher zeigen würden. Buffons Darstellung der Hottentotten war durchgehend negativ. Die Hottentotten, welche eine vergleichsweise helle Hautfarbe aufwiesen, waren für Buffon schwarze Menschen, welche sich der weissen Rasse annäherten, und sich in einem Zustand der Degeneration befanden.195 Sie stellten einen Extremtypus – ähnlich wie die Völker des Nordens auf der anderen Seite der Skala – dar. Hatte die Alte Welt für Buffon den scheinbaren Beweis für die eminente Rolle des Klimas bei der Ausbildung der menschlichen Phänotypen erbracht, widerlegte der amerikanische Kontinent nun die These.196 Trotz unterschiedlicher Klimazonen war das Aussehen der Bewohner197 identisch: Wider Erwarten lebten keine Schwar191 192 193 194 195 196 197
Ebd., S. 457–460, 462. Ebd., S. 463. Ebd., S. 468f. Ebd., S. 468f. Ebd., S. 470–477. Ebd., S. 484f. Insgesamt zählte Buffon siebzehn verschiedene amerikanische Völker: Lappen, die Wilden am Hudson, die Wilden Neulands, die kanadischen Wilden, die Assiniboine, die Wilden Floridas, Apalachiten, die Bewohner der Isles Lucaies (welche bereits ausgestorben waren und zu welchen er deshalb nichts sagen konnte), die Karaiben, Arawak, die Bewohner Mexikos, die peruanischen Indianer, die Amazonen (bei welchen er ebenfalls schwieg und auf die einschlägige
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zen in den heissen Zonen und auch die These, dass die Distanz zu den Polen die Ursache für die unterschiedlichen Hautfarbentypen war, fand auf dem amerikanischen Kontinent keine Bestätigung. Vielmehr musste Buffon feststellen, dass alle Bewohner unabhängig von der jeweiligen Klimazone, in welcher sie lebten, mehr oder weniger rot (plus ou moins rouges), braungebrannt (plus ou moins basanez) oder kupferfarbig (couleur de cuivre) waren. Trotzdem erachtete Buffon die Klimatheorie nicht als gescheitert, weshalb er einen beachtlichen Teil der Ausführungen zum Amerikaner ihrer Verteidigung widmete. Das starre Festhalten an der Klimatheorie zeigt den Schwachpunkt des Werks auf, an dem auch andere frühe Rassentheorien krankten; die Theorie – in diesem Fall die Klimatheorie – orientierte sich letztendlich nicht an den verschiedenen Völkern, sondern deren Beschreibungen mussten so arrangiert werden, dass sie diese verifizierten. Das ähnliche Aussehen der Bevölkerung Amerikas erklärte Buffon damit, dass es sich bei den Amerikanern um ein neues Volk handle, dessen Ursprung zwar unklar sei, die aber gleicher Abstammung (souche) seien. Als Begründung führte er an, dass die Indianer ihren ursprünglichen Charakter beibehalten hätten; sie alle seien wild (sauvage) geblieben, würden auf die gleiche Weise leben und das Klima Amerikas sei bei weitem nicht derart unterschiedlich wie in der Alten Welt, was eine Differenzierung erschwere.198 Die Amerikaner verkörperten für Buffon einen Frühzustand der Gattungsgeschichte, was zugleich ihr ähnliches Aussehen erklärte,199 da die Ursachen, welche eine Differenzierung bewirken würden, noch nicht genügend Zeit gehabt hätten, sichtbare Veränderungen hervorzurufen. Hier kommt nun der Aspekt der Zeit zum Tragen. Der Zustand der jeweiligen Varietät war nicht unveränderlich, eine Entwicklung oder im umgekehrten Fall eine Degeneration war – wenn auch in beschränktem Masse – denkbar. Der Frühzustand, in welchem sich die Amerikaner gemäss Buffon befanden, manifestierte sich auch in deren Sitten, die sich noch nicht hätten entwickeln können und an welchen sich die Inferiorität der Amerikaner offenbarte: „... les Américains sont des peuples nouveaux, il me semble qu’on n’en peut pas douter lorsqu’on fait attention à leur petit nombre, à leur ignorance, & au peu de progrès que les plus civilisez d’entre eux avoient fait dans les arts...“200
Daraus ergab sich, dass für Buffon alle ursprünglichen Amerikaner Wilde (sauvage) oder zumindest Halbwilde (presque sauvage) waren,201 was wiederum eine Erklärung für das ausgesprochen negative Bild der Indianer bot. Denn obwohl sie gewisse Sitten und Gebräuche gekannt und sich einige grausamer, andere mutiger gezeigt hätten, beschrieb er sie doch als „également stupides, égalment ignorantes, également dénuées d’arts & d’industrie“.202
198 199 200 201 202
Literatur verwies), die Arrasen, die Einwohner Paraguays, die Indianer Chiles und die patagonischen Riesen, deren Existenz er anzweifelte. Buffon, Histoire naturelle III, S. 510f. Vgl. Kohl, Entzauberter Blick, S. 148. Buffon, Histoire naturelle III, S. 511. Ebd., S. 510. Ebd., S. 490.
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Wiederholt bemühte sich Buffon, eine Verbindung zwischen den amerikanischen Völkern mit bekannten Volksgruppen aus Europa und Asien zu konstruieren. In den Wilden Kanadas (Sauvage du Canada) glaubte Buffon eine Ähnlichkeit mit den orientalischen Tartaren hinsichtlich der Hautfarbe, dem äusseren Erscheinungsbild und den Sitten auszumachen, um dies anschliessend als Beweis für die Richtigkeit der Migrationstheorie anzuführen.203 Damit nahm er Bezug auf die Wanderungstheorie des spanischen Jesuiten José de Acosta aus dem 16. Jahrhundert, die davon ausging, dass die Bevölkerung Amerikas einst über Asien eingewandert war, was im 18. Jahrhundert noch nicht als gesichert galt.204 Da Buffon die Amerikaner stets mit ‚wilden‘ europäischen und asiatischen Völkern verglich, fiel ihre Beschreibung durchwegs negativ aus. Augenfällig ist die ständige Wertung, welche Buffon in seine Naturgeschichte einfliessen liess. Die Beschreibung der afrikanischen Völker hatte bereits impliziert, dass der Eignungsgrad eines jeweiligen Volkes als Sklave durchaus einen Einfluss auf deren Darstellung hatte. Diese Tendenz lässt sich bei den Bewohnern Amerikas noch deutlicher beobachten. So schrieb Buffon über die Karaiben (Caraïbes), ein in der Karibik heimisches Volk: „Comme ils sont extrêmement paresseux & accoûtumez à la plus grande indépendance, ils détestent la servitude, & on n’a jamais pû s’en servir comme on se sert des Nègres; il n’y a rien qu’ils ne soient capables de faire pour se remettre en liberté, & lorsqu’ils voient que cela leur est impossible, ils aiment mieux se laisser mourir de faim & de mélancolie que de vivre pour travailler...“205
Die Karaiben galten als faul und freiheitsliebend und waren deshalb aus Sicht der Sklavenhalter nicht als Sklaven geeignet, während die für die Bewirtschaftung der Felder zu gebrauchenden Sklaven Brasiliens (esclaves Brésiliens) vergleichsweise gut abschnitten, waren sie doch „de tous les sauvages ceux qui paroissent être les moins stupides, les moins mélancoliques & les moins parresseux.“206 Die Völker, die zur Sklaverei taugten, beurteilte Buffon somit wesentlich milder, liess sich ein Volk hingegen nur schwer ausbeuten und versklaven, so wurde es als wild, dumm und faul deklariert. Die Möglichkeit der Versklavung scheint folglich einen Einfluss auf die Beschreibung und Bewertung eines Volkes auszuüben. Dies würde auch erklären, weshalb Buffon den Afrikaner wesentlich positiver als den Amerikaner beschrieb, da die ursprüngliche Bevölkerung Amerikas sich bereits zu Beginn des ersten Kolonialzeitalters aufgrund ihrer hohen Mortalitätsrate als ungeeignet für die Sklavenarbeit gezeigt hatte und folglich kaum ökonomischen Nutzen lieferte. Buffons Darstellung der amerikanischen Völker reduzierte sich primär auf den Faktor der ‚Wildheit‘. Der Antagonismus zwischen ‚wild‘ und ‚zivilisiert‘, und die damit verbundenen Stigmatisierung der ‚wilden‘ Völker als hässlich und minderwertig, prägte auch seine Rassentheorie. ‚Wildheit‘ war per se negativ. Einzige positive Ausnahme bildeten die Bedas, die Bewohner des Norden Ceylons, die „... 203 204 205 206
Ebd., S. 486f. Vgl. Roger, Life in Natural History, S. 179f. Buffon, Histoire naturelle III, S. 497. Ebd., S. 497.
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continuent à mener la vie de Sauvages, que peut-être a ses douceurs lorsqu’on y est accoûtumé.“207 Nur bei ihnen wurde der Naturzustand nicht rein negativ, sondern idealisiert dargestellt. Allerdings erachtete Buffon die Bedas auch nicht als wildes Volk, vielmehr vermutete er, dass es sich bei ihnen um Abkömmlinge von schiffsbrüchigen Europäern handle.208 Ausschlaggebend für die jeweilige Bewertung eines Volkes war weniger das Kriterium der Hautfarbe oder des äusseren Erscheinungsbildes als der Zivilisationsgrad. Buffon entwickelte somit eine Rassentheorie, welche die Menschen aufgrund ihrer Kulturstufe hierarchisch einordnete.209 Der Grad an Zivilisation wiederum war abhängig vom Klima, welches wiederum den Charakter und das Aussehen einer Rasse beeinflusste. Ein gesittetes Volk (un peuple policé), welches einen gewissen Wohlstand erreicht hatte, von einer weisen Regierung geführt wurde und keinen Mangel erlitt, brachte schönere, gebildetere und stärkere Menschen hervor als ein wildes Volk (une nation sauvage).210 Würden hingegen ein gesittetes Volk und ein wildes in der gleichen Klimazone leben, so gälte, dass „la nation sauvage seroient [sic] plus basanez, plus laids, plus petits, plus ridez que ceux de la nation policée.“211 Der Grad an Zivilisation liess sich somit anhand des Aussehens und der Hautfarbe ablesen.212 Diese Aussage zeigt erneut den Einfluss des europäischen Schönheitsideals auf Buffon, wobei zugleich ersichtlich wird, dass die Hautfarbe von grösserer Bedeutung für seine Naturgeschichte war, als er vordergründig zuzugeben bereit war. Implizit fungierte sie als Indikator der Kulturstufe eines jeweiligen Volkes. Die dunkle Hautfarbe war ein Indiz für Entartung und niedere Zivilisationsstufe.213 Trotzdem: Buffons Kulturstufentheorie war kein fixes, unabänderliches System. Der Aspekt der Vermischung, die Abhängigkeit vom Klima und der Faktor der Zeit beeinflussten sie, genauso wie die Möglichkeit der Degeneration, einem „seiner Zeit vorauseilenden Interesse.“214 Die Gefahr der Degeneration ging bei Buffon nicht von der Vermischung mit anderen Völkern aus, sondern vielmehr vom Einfluss des Klimas, wie das Beispiel der als degeneriert bezeichneten Völker des Nordens beweist.215 Besonders gefährdet waren die Europäer ausserhalb ihrer ursprünglichen Heimat, wo ihnen die Gefahr der klimabedingten Degeneration drohe.216 Die Vermischung hingegen erachtete er – im Gegensatz zu späteren Rassen207 208 209 210 211 212 213 214 215
Ebd., S. 416. Ebd., S. 415f. Vgl. Küchler, Entstehung, S. 86. Buffon, Histoire naturelle III, S. 446f. Ebd., S. 447. Ebd., S. 446f. Vgl. Demel, Chinesen. S. 647. Moravia, Vernunft, S. 32. Buffon, Histoire naturelle III, S. 372. Trotzdem: Die These Rehrmanns, dass Degeneration für Buffon nicht gleichbedeutend mit Verkümmerung gewesen sei, sondern lediglich eine klimabedingte Anpassung dargestellt habe, ist insofern fragwürdig, als dass Buffon die „degenerierten“ Völker stets am negativsten bewertete. Rehrmann, Antiamerikanismus, S. 350. 216 Buffon führte als Beispiel den letzten Krieg in Amerika an, bei welchem in Amerika geborene Europäer die Strapazen des Krieges und die Klimawechsel wesentlich schlechter vertragen hätten als ihre in Europa aufgewachsenen Kampfgefährten. Die Degeneration beträfe ausser-
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theoretikern wie Meiners – nicht als degenerativ, vielmehr konnte sie zu einer Aufwertung eines Volkes führen. So hätten die „Tartares Nogais“ einen Teil ihrer Hässlichkeit verloren, da sie sich mit Zirkassier, Moldawiern und anderen Nachbarsvölkern vermischt hätten.217 Ähnliches lässt sich bei der Charakterisierung der Perser beobachten, wenn Buffon die Hässlichkeit und Ungeschicklichkeit der Gauren damit begründete, dass diese nur untereinander heiraten würden, während die anderen Bewohner persischen Königreichs schön seien, weil sie sich mit den Georgiern und den Zirkassier vermischt hätten. Die Schönheit würden die Perser dem Klima und der Mässigung verdanken, wäre es allerdings zu keiner Vermischung gekommen, so wären sie die hässlichsten Menschen von allen, da sie von den Tartaren abstammen würden.218 – Der Einfluss des Klimas wurde in diesem Fall insofern relativiert, als dass es zwar zur Schönheit beitrug, die Abstammung aber nicht aufheben konnte, womit der Faktor der Vererbung bereits eine Rolle spielte.219 Buffon, der gemäss eigener Aussage 50 Jahre seines Lebens im Arbeitszimmer verbracht hatte,220 schöpfte sein Wissen über die einzelnen Völker primär aus der systematischen Auswertung der Reiseliteratur. Sein Vorgehen war über weite Teile identisch: Er exzerpierte die – teilweise mehrere hundert Jahre alten – Reiseberichte, wobei er seine Quellen zumeist mittels Fussnoten transparent machte, wertete sie aus und versuchte, sich durch den direkten Vergleich einzelner Schilderungen ein eigenes Bild zu machen. Dabei begegnete er den jeweiligen Berichten durchaus kritisch, zeigte sich bestrebt, deren Wahrheitsgehalt abzuwägen und machte auf sich widersprechende Aussagen aufmerksam.221 Er zögerte nicht, gewisse Berichte zu kritisieren und bemängelte, dass die Reisenden oftmals keine neuen Erkenntnisse lieferten und stattdessen vielmehr einander abschreiben würden.222 Stets bemühte er sich, mögliche Widersprüche und Unsicherheiten bezüglich der Quellen zu thematisieren und auch seine eigene Rolle versuchte er kritisch zu reflektieren. So scheute er sich nicht davor, einzugestehen, dass er nicht genügend Kenntnisse habe, um eine gewisse Beschreibung in einem Reisebericht bestätigen oder widerlegen zu können.223 Dem Versuch, die physischen Unterschiede zwischen den einzelnen Varietäten anhand neuer Methoden wie der Untersuchung von Blut, Haut, Gallenfarbe oder anatomischen Besonderheiten zu begründen, stand Buffon hingegen skeptisch gegenüber. Zwar hatte er durchaus Kenntnisse über einzelne anatomische Studien, eigene Untersuchungen hatte er gemäss Selbstaussage aber nie angestellt.224 Auffällig ist, dass er anatomische Studien dann rezipierte, wenn sie sich mit der Klimatheorie vereinbaren liessen. Bestes Beispiel da-
217 218 219 220 221 222 223 224
dem auch die europäischen Frauen, welche in Amerika bereits im Alter von dreissig Jahren unfruchtbar seien. Vgl. Buffon, Histoire naturelle III, S. 531. Ebd., S. 382.; vgl. Ebd., S. 394. Ebd., S. 420ff. Vgl. Demel, Chinesen, S. 647. Loveland, Rhetoric, S. 8–13. Beispielhaft für dieses Vorgehen: Buffon, Histoire naturelle III, S. 381, 385–388, 391–398. Ebd., S. 526f. Vgl. Roger, Life in Natural History, S. 174. Roger, Life in Natural History, S. 526f. Buffon, Histoire naturelle III, S. 523f.
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für war die Studie von Littre aus dem Jahr 1702,225 der einen Schwarzen zergliedert und bei dessen Geschlechtsteil festgestellt hatte, dass die von Haut bedeckten Stellen weiss waren. Dies wertete er als Beweis, dass die Luft unentbehrlich für die Hervorbringung der schwarzen Hautfarbe sei. Buffon griff diesen Aspekt auf, relativierte ihn insofern, als dass er den Aspekt der Vererbung ins Spiel brachte, wenn er anfügte, dass der Grundstoff durch die Eltern auf die Kinder übertragen werde, um zugleich die Vermutung anzustellen, dass die Schwärze über Generationen hinweg in kalten Zonen abnehme.226 Anatomischen Untersuchungen räumte Buffon denn auch nur begrenzt Raum ein, da sie ihm nicht als geeignetes Mittel erschienen, um die Differenzierung innerhalb des Menschengeschlechts zu erklären.227 Mehrere Stellen in der „Histoire naturelle“ weisen darauf hin, dass Buffon mit den Studien anderer früher Rassentheoretikern vertraut war. Zwar lässt sich nicht belegen, dass ihm Berniers Essay „Nouvelle division de la Terre“ bekannt war, dokumentiert ist hingegen, dass er dessen Reiseberichte studiert hat. So griff er bei den Ausführungen zu den Kashmiri auf dessen Schilderungen zurück und gab das undifferenzierte Bild der Tartaren wortgetreu wieder, wenn er schrieb, dass die Kashmiri „ne tiennent en rien du visage Tartare, ils n’ont point ce nez écaché & ces petits yeux de cochon qu’on trouve chez leurs voisins...“228 Dieselbe Formulierung lässt sich nicht nur in Berniers Reisebericht wiederfinden, sondern auch in seinem 1684 publizierten rassentheoretischen Essay.229 Wie bereits ausgeführt war Buffon ein vehementer Kritiker der Linnéschen Taxonomie. Dies bedingte, dass er Linnés „Systema naturae“ ausführlich studiert haben musste. Belegt ist ausserdem, dass ihm Linnés „Fauna Suecica“ zur Unterstreichung der Richtigkeit der Klimatheorie diente. So übernahm Buffon daraus, dass der Hase in Schweden im Sommer grau und im Winter weiss sei, was die Auswirkungen des Milieus auf die äussere Erscheinung belege.230 Dieser etwas konstruiert erscheinende Rückgriff auf den Hasen als Beweis für die Richtigkeit der Klimatheorie mag ein weiteres Indiz für den selektiven Umgang Buffons mit seinen Quellen sein. Als beträchtlich darf der Einfluss Maupertuis auf Buffons Wirken bezeichnet werden. Erwiesen ist, dass die beiden privat miteinander verkehrten231 und bereits 1744 eine Diskussion zur Abstammung des Menschen geführt hatten.232 Mehrere Stellen in der „Histoire naturelle“ dokumentieren, dass sich Buffon intensiv mit Maupertuis „Vénus physique“ auseinandergesetzt hatte und dessen Grundthese in sein Werk einfliessen liess. Im zweiten Band rühmte er das anonym erschienene Werk und den Autor, dessen Theorie ihm durchdachter erschien, als jede zuvor publizierte. Mit dem Hinweis, dass der Inhalt hinlänglich bekannt sei, verzichtete er 225 226 227 228 229 230 231 232
Littré, Observations, insbesondere S. 30ff. Buffon, Histoire naturelle III, S. 522ff. Vgl. Dougherty, Buffons Bedeutung, S. 228. Buffon, Histoire naturelle III, S. 430. Vgl. Bernier, Nouvelle diversion, S. 150f; Bernier, Voyages, S. 281. Buffon, Histoire naturelle III, S. 483f. Terrall, Maupertuis, S. 311; vgl. auch: Hanks, Buffon, S. 38f, 66. Roger, Life Science, S. 459.
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auf eine genaue Analyse, um anzufügen, dass die Überlegungen zur Zeugung mit den seinigen übereinstimmen würden.233 Wie bereits vor ihm Maupertuis beschäftigte sich auch Buffon mit den im heutigen Panama lebenden Albinos, wobei er sich auf dieselbe Quelle – auf den Reisebericht Wafners – stützte. Da sich das Phänomen des Albinismus – gemäss damaliger Kenntnis – nur bei schwarzen Menschen finden liess und in umgekehrter Weise nicht existierte, kam auch er zum Schluss, dass die ursprüngliche Hautfarbe der Menschheit weiss gewesen sein musste, womit er die These Maupertuis‘ bestätigte.234 Gemeinsam war ihnen ausserdem die Überzeugung, dass die Menschheit eine gemeinsame Abstammung aufweise – welche sie durch die Existenz des Albinos bestätigt sahen –, aber eine Serie von Degenerationen oder Mutationen zur Ausbildung von spezifischen Typen geführt habe.235 Die Bedeutung der „Histoire naturelle“ für die Wissenschaftsgeschichte und die im Entstehen begriffene Anthropologie wird von der zeitgenössischen Forschung kaum bestritten. Der Wissenschaftshistoriker Jacques Roger bezeichnet die Veröffentlichung gar als eines der wichtigsten Ereignisse des 18. Jahrhunderts. Nie zuvor sei ein Buch derart zeitgemäss gewesen. Die neue wissenschaftliche Philosophie, welche noch in ihren Anfängen steckte, habe in dem Werk einen klaren und durchdachten Terminus gefunden. Roger geht gar so weit, dass er Buffon die Entwicklung einer neuen Form von Wissenschaft zugesteht, da er eine neue systematisch durchdachte Konzeption der Beziehung zwischen Mensch und Natur erarbeitete habe.236 Bitterli attestiert Buffon, dass er insofern über Linné hinausging, als dass er sich von einer rein starren, taxonomischen Klassifikation distanzierte. Erst die Hinwendung zum einzelnen Individuum und dessen Bezüge zur Umwelt hätten eine Sichtweise der verschiedenen Arten in ihren unzähligen Variationen, deren Modifizierung und ihre gegenseitige Abhängigkeit erst ermöglicht.237 Eine ähnliche Sichtweise vertritt auch Kohl, wenn er geltend macht, dass Buffon im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen sich der relativen Willkürlichkeit eines Klassifikationssystems bewusst gewesen sei. Er sei aber insofern über diese hinausgegangen, als dass er, indem er nach den Gründen für die Unterschiede forschte, „seinem Klassifikationssystem ein Realfundament“ zu geben versucht habe – ein Punkt, den es zu beachten gilt.238 Duchet wiederum betont, dass Buffon mittels der Naturgeschichte zwei Konzepte vereinte, welche sich diametral gegenüberstanden. So betonte er einerseits die Einheit des Menschengeschlechts, um zugleich deren Verschiedenheit zu
233 Buffon, Histoire naturelle II, S. 163f. 234 Buffon, Histoire naturelle III, S. 500–503; zur Theorie Maupertuis vgl. Kapitel 3.3. Die Entdekkung der Existenz von weissen Albinos stellte Buffon in der Folge vor Probleme. Eine klimabedingte oder rassenspezifische Erklärung war von vornherein ausgeschlossen, weshalb er den Albino, von Buffon als blafard bezeichnet, in dem 1777 erschienen Supplement als degenerierter Mensch behandelte. Vgl. Buffon, Supplement 5, , S. 555–578. Eine detailliertere Darstellung zur Auseinandersetzung Buffons mit dem blafard lässt sich finden bei Curran, Rethinking, S. 162–171. 235 Vgl. dazu auch Curran, Rethinking, S. 162–171. 236 Roger, Life Science, S. 426. 237 Bitterli, Grundzüge, S. 227. 238 Kohl, Entzauberter Blick, S. 143.
3.4 Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon
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dokumentieren.239 Auch innerhalb der Rassismusforschung wird die eminente Rolle Buffons für den entstehenden Rassendiskurs kaum in Frage gestellt. Conze und Sommer erachten insbesondere die Rolle der weissen ‚Rasse‘ als „bemerkenswert“, welche Buffon explizit als die schönste und beste bezeichnete.240 Boulle geht gar soweit, die Wurzeln des Rassismus weniger bei Bernier als bei Buffon zu suchen.241 Buffons Naturgeschichte und insbesondere seine Theorie der menschlichen Varietäten stellten einen Meilenstein der modernen Anthropologie dar; erstmals rückte die Frage nach den gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen des Menschen in den Fokus.242 Besonders seine Theorie der Reproduktion, in welcher er Tiere, die untereinander zeugungsfähige Nachkommen zu produzieren vermochten, jeweils der gleichen Gattung zuordnete, wurde von zahlreichen Gelehrten übernommen und auf den Menschen angewandt, um dessen Einheit zu belegen.243 Doch obwohl Buffon ein überzeugter Monogenist war, zementierte er zugleich die Ungleichheit der Menschheit, indem er den weissen, ‚zivilisierten‘ Europäer zum Proto- und Idealtypen postulierte. Viele der frühen Rassentheoretiker folgten ihm in seiner Argumentation, wie es noch zu zeigen gilt, darunter auch Blumenbach, Camper, Hunter und Zimmermann.244 Trotzdem war er nicht unumstritten; Georg Forster war einer der ersten, welcher ihn offen kritisierte. Thomas Jefferson folgte ihm und kritisierte Buffons Inferioritätstheorie massiv.245 Vehement widersprach er dessen Behauptung, der Weisse befinde sich in Amerika in einem Zustand der Degeneration und listete stattdessen eine Reihe von Genies – darunter Washington und Franklin – zum Gegenbeweis auf.246 Auch die These Buffons, dass sich der Indigene Amerikas in einem Frühstadium der Menschheit befinde und im Vergleich zum Weissen inferior wäre, stiess bei Jefferson auf harsche Kritik, denn „his vivacity and activity of mind is equal to ours in the same situation.“247 Die Feststellung, dass die Eingeborenen Amerikas weniger Kinder hätten als die europäischen Immigranten, führte er im Gegensatz zu Buffon nicht auf deren mangelnde Fruchtbarkeit und einer grundsätzlichen Differenz in der Natur beider Völker zurück, sondern auf die verschiedenen Lebensverhältnissen.248 Die ausführliche Rezeption Buffons durch Jefferson ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Einerseits liefert sie einen 239 240 241 242 243 244 245
Duchet, Anthropologie, S. 7. Conze/Sommer, Rasse, S. 146f. Boulle, François Bernier, S. 11. Moravia, Vernunft, S. 228. Buffon, Histoire naturelle II, S. 18–40; vgl. Conze/Sommer, Rasse, S. 146. Vgl. Blanckaert, Buffon, S. 38. De Pauw sollte die Idee Buffons einer klimabedingten Degeneration Amerikas aufnehmen und auf Pflanzen und Tiere ausweiten. Er übernahm das negative Bild der Amerikaner, kritisierte aber zugleich die Zerstörung der Neuen Welt, auch wenn er der Meinung war, dass deren Bewohner kaum über das Niveau von Vierbeiner hinausgehen würden. Amerikaner waren für ihn primär verdorbene, sich ihrer Lasterhaftigkeit nicht bewusste Wesen. Vgl. Garrett, Human nature, S. 189; Pauw, Recherches, S. 121, 126. 246 Jefferson, Notes, S. 190f. 247 Ebd., S. 185. 248 Ebd., S. 186f.
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weiteren Beweis, dass Buffons Wertung bereits von Zeitgenossen bemerkt und hinterfragt wurde. Anderseits belegt die Kritik Jefferson aber auch die immense Verbreitung, welche Buffons Schrift wiederfuhr und die weit über Europa hinausreichte. Jahrzehnte bevor der Rassendiskurs nach Amerika schwappte und dort weiterentwickelt wurde, fanden rassentheoretische Schriften Beachtung und wurden rezipiert. Der Verbreitungsgrad der frühen Rassentheorien beschränkte sich folglich nicht auf Europa. Versuch einer Synthese – Goldsmith Der englische Schriftsteller Oliver Goldsmith (1728(?)-1774) nahm nach seinem Studium der Theologie und Rechtswissenschaft in Dublin ein Medizinstudium in Edinburgh und Leiden auf, wo er unter anderem bei dem berühmten Anatomen Albinus Kurse besuchte. Eine Reise zu Fuss durch Flandern, Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Italien führte zu einer literarischen Verarbeitung; zahlreiche weitere Werke folgten, wobei er sich aufgrund permanenten Geldmangels als äusserst produktiv zeigte.249 Erst gegen Ende seines Lebens wandte er sich der Naturgeschichte zu: 1774, kurz vor seinem Tod, wurde das Werk „A history of the earth, and animated nature“ veröffentlicht, welches sich grosser Popularität erfreute und bis weit ins 19. Jahrhundert mehr als 20 Editionen durchlief.250 Goldsmiths Studie orientierte sich stark an Buffons Naturgeschichte, deren Einfluss sich bereits im Aufbau manifestierte: Nach einem kurzen Überblick über den Kosmos und die Astronomie setzte sich Goldsmith mit dem Aufbau der Erde auseinander, um anschliessend die belebte Natur zu thematisieren. Nachdem er die Unterschiede zwischen Tier und Mensch herausgearbeitet hatte, widmete er sich den Abstufungen zwischen den einzelnen Menschen. Seine Einteilung anhand geographischer Kriterien stellte dabei erklärtermassen einen Versuch dar, die Naturgeschichte Buffons mit der Klassifikation Linnés zu vereinbaren und fusste primär auf geographischen Kriterien. Mit Ausnahme von einigen Bezügen zu Linné und Buffon anhand von Fussnoten schwieg sich Goldsmith denn auch über seine Quellen aus. Er teilte die Menschheit in „six distinct varieties“ ein: vier – die „southern Asiatics“, die „Negroes of Africa“, die „inhabitants of America“ sowie die „Europeans“ – hatte er, wie er anmerkte, von Linné übernommen, die „men (...) round the polar regions“ („Laplanders“) sowie die „Tartar race“ wiederum von Buffon.251 Doch obwohl die geographische Herkunft bestimmend für die Zugehörigkeit zu einer Varietät war, blieb die Hautfarbe das wichtigste Unterscheidungsmerkmal.252 Die Anlehnung an Buffon zeigte sich sowohl im Gebrauch des Terminus der Varietät, in deren Beschreibungen, als auch in der Untergliederung in einzelne Nationen, wobei Goldsmith stets ihre Verschiedenheit betonte. Wie auch der Franzose beschränkte er sich nicht auf eine Einteilung anhand rein somatischer Kriterien, 249 250 251 252
Dussinger, Goldsmith. Gissis, Visualising, S. 96f. Goldsmith, History I, S. 332–341. Ebd., S. 332.
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sondern berücksichtigte ebenfalls kulturelle und moralische Kriterien, wobei die Besonderheiten der einzelnen Varietäten dem Klima zugeschrieben wurden. Als erste race of men bezeichnete er die Menschen der Polarregion, welche sich bezüglich „their statures, their complexion, their customs, and their ignorance“ glichen.253 Sie wären aufgrund der Kälte von kleiner Statur, ihr Gesicht sei lang und breit, die Nase flach und klein, die Wangenknochen extrem hoch, der Mund gross, die Lippen dick, die Stimme dünn und quietschend, ihre Haare schwarz und gerade. Die Frauen beschrieb er als überaus männlich, so dass man beide Geschlechter nicht voneinander unterscheiden könne und er kam zum vernichtenden Urteil, dass die Bewohner der polaren Zonen „all equally rude, superstitious, and stupid“ wären.254 Ähnlich tendenziös fiel die Beschreibung der zweiten great variety, der Tartar race, aus. Auch hier folgte eine detaillierte Beschreibung der Gesichtszüge und ihres Körperbaus, gefolgt von einer Bewertung. So hätte das Erscheinungsbild der Kalmücken, die er als die Hässlichsten von allen beschrieb, etwas entsetzliches (frightful).255 Als verbindendes Element fungierte das Aussehen, wobei Goldsmith nicht immer konsequent war. So rechnete er die Japaner und Chinesen zu den Tartaren, obwohl sich ihr äusseres Erscheinungsbild von den anderen tartarischen Nationen unterscheiden würde.256 Zur dritten Varietät gehörten die southern Asiatics, zu welchen er neben den Indern, Perser und Araber auch die Bewohner des Indischen Ozeans zählte. Diese würden bezüglich ihrer Statur und ihrer Gesichtszüge den Europäern gleichen, wiesen aber aufgrund der olivenfarbigen bis schwarzen Haut eine andere Farbe auf.257 Die vierte Varietät bildeten die Negroes of Africa. Neben den typischen phänotypischen Merkmalen wie der schwarzen Haut, der flachen und kurzen Nase sowie den dicken Lippen, glaubte Goldsmith, feststellen zu können, dass das Klima die mentalen und körperlichen Kräfte einschränken würde, was das „stupid, indolent, and mischievous“ Wesen der Afrikaner erkläre.258 Die Gefahr der Degeneration in Afrika bestand auch für Weisse. Zu deren Beweis bemühte er das beliebte Beispiel der seit 200 Jahren in Afrika ansässigen Portugiesen, die fast so schwarz wie die ursprünglichen Bewohner seien und ein noch barbarischeres Wesen aufweisen würden.259 Als fünfte race nannte er die inhabitants of America, welche von roter oder kupferner Hautfarbe seien. Die savages würden sich durch ihre Gleichförmigkeit auszeichnen, durch ihre Feigheit und das ernsthafte Aussehen, welches im Widerspruch zu ihrer mangelnden Denkkraft stehe.260 Als sechste und letzte Varietät zählte er den Europäer auf. Zugehörig zu dieser Gruppe waren auch die Georgier, Zirkassier, Bewohner Nordafrikas und des Kaspischen Meeres, die sich nicht nur bezüglich der Hautfarbe, sondern auch aufgrund
253 254 255 256 257 258 259 260
Ebd. Ebd., S. 333. Ebd., S. 336. Ebd. Ebd., S. 338. Goldsmith, History I, S. 340. Ebd. Ebd., S. 341.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
der Schönheit ihrer Gesichtszüge glichen.261 Insbesondere die Ausführungen zu der Hautfarbe und damit verbunden, die Anwendung eines ästhetischen Wertemassstabs erinnert stark an Winkelmann und Lavaters Physiognomie – ein Bezug, welcher sich aber aufgrund der mangelnden Belege nicht beweisen lässt. „Of all the colours by which mankind diversified, it is easy to perceive, that ours is not only the most beautiful to the eye, but the most advantageous. The fair complexion seems, if I may so express it, a transparent covering to the soul; all the variations of the passions, every expression of joy or sorrow, flows to the cheek, and, without language, marks the mind.“262
Auffällig ist die klare Abgrenzung zwischen dem ‚wir‘ und den ‚anderen‘, zwischen den weissen und den farbigen Menschen, welche gekoppelt war an ein ästhetisches Urteil zu Ungunsten der letzteren. Die weisse Hautfarbe wurde dabei in Verbindung zur Seele gestellt, sie galt nicht nur als schöner, sie fungierte als Spiegel des Innenlebens. Goldsmiths Charakterisierung der einzelnen Varietäten widerspiegelten gängige (somatische wie auch kulturelle) Stereotypen. Seine rassentheoretische Einteilung war insgesamt wenig innovativ, zu klar ersichtlich waren die Bezüge zu Buffon, welcher wohl seine Hauptquelle darstellte, wobei Goldsmith deutlich weniger transparent arbeitete und seine Referenzen nicht immer ersichtlich waren. Goldsmith war überzeugter Monogenist, der den gemeinsamen Ursprung aller Menschen mit dem Argument verteidigte, dass es keinerlei Anzeichen bezüglich Gestalt und Fähigkeiten gäbe, welche auf eine polygenetische Abstammung deuten würden. Stattdessen erklärte er sich die Vielfalt mit dem Klima, der Ernährung und den verschiedenen Sitten.263 Die eine Varietät definierenden Charakteristika waren dabei nicht deterministisch festgelegt, denn: „Custom, accident, or fashion, may produce considerable alterations in neighbouring nations; their being derived from ancestors of a different climate, or complexion, may contribute to make accidental distinctions, which every day grow less; and it may be said, that two neighbouring nation, how unlike soever at first, will assimilate by degrees; and, by long continuance, the difference between them will at last become almost imperceptible.“264
Das Klima, die Sonne, der Wind, extreme Kälte, harte Arbeit wie auch Ernährung waren verantwortlich für die jeweilige Hautfarbe. Diese war jedoch nicht konstant, ein besseres Klima, zivilisiertere Sitten sowie der Faktor der Zeit konnten möglicherweise zu einer Veränderung und zu einem Verschwinden der für die Afrikaner, Asiaten und Amerikaner typischen Charakteristika, ihrer „accidental deformities“, beitragen.265 Doch nicht nur inhaltlich war der Einfluss Buffons enorm, auch auf visueller Ebene machte er sich bemerkbar, wie Gissis aufzeigt. So übernahm Goldsmith das Bild eines Hottentotten aus Buffons Arbeit und liess es ebenfalls abdrucken.266 Ebenfalls lässt sich eine Abbildung von fünf verschiedenen Phänotypen in 261 262 263 264 265 266
Ebd. Ebd, S. 342. Ebd., S. 332. Ebd., S. 331. Ebd., S. 347f. Gissis, Visualizing, S. 93.
3.4 Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon
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traditioneller Kleidung finden, die mit „Laplander“, „Hottentot“, „Negro“, „American“ und „Chinese“ untertitelt waren.267 Goldsmiths Rasseneinteilung stiess auf wenig Resonanz bei den frühen Rassentheoretikern. Lediglich Girtanner und Soemmerring erwähnen ihn beiläufig, ohne dass seine Klassifikation jedoch irgendwelche richtungsweisende Impulse hätte geben können.268 Dementsprechend auf geringe Beachtung stösst Goldsmith in der neueren Forschung. Dies mag auch daran liegen, dass seine Thesen als „slavishly, if simplistically Buffonian“269 wahrgenommen werden. Goldsmiths Rassentheorie war bestrebt, die scheinbar nicht miteinander zu vereinbarende Taxonomie Linnés und die Naturgeschichte Buffons zusammenzuführen. Sie muss denn auch primär als Versuch eines Laien gewertet werden, dessen Naturgeschichte zwar simplifizierend war, jedoch – was sich in der Auflagenstärke nachweisen lässt – auf grosse Resonanz ausserhalb der Gelehrtenwelt stiess und damit zur Popularisierung des Diskurses beitrug. Naturgeschichte und Geographie – Zimmermann Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts erlebte die „Naturgeschichte des Menschen“ einen Höhepunkt. Insbesondere die Arbeiten des deutschen Naturforschers und Geographen Eberhard August Wilhelm Zimmermann (1743–1815)270 führten, so Nutz, zu einer Erweiterung des Gebietes „in paradigmatischer Weise“.271 Zimmermann verfolgte – beeinflusst von den im Zuge der Entdeckungsreisen von Cooks und der Expedition Pallas durch Sibirien gemachten Beobachtungen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen – einen neuen Ansatz, indem er die klimatischen und erdgeschichtlichen Bedingungen sowie die Ausbreitung der Tiere miteinander in Einklang zu bringen versuchte.272 1778 veröffentlichte er den ersten von drei Bänden seines Werks „Geographische Geschichte des Menschen und der allgemein verbreiteten vierfüssigen Thiere“, dessen erster Teil sich mit dem Menschen beschäftigte und seine Verschiedenheit geographisch zu erklären versuchte.273
267 268 269 270
Siehe Abbildung 1 im Anhang; Goldsmith, History I, s.p. Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. 78; Girtanner, Kantische Prinzip, S. 30–33. Douglas, Climate, S. 37. Zimmermann hatte nach einem abgebrochenen Medizinstudium in Leiden, Halle, Berlin und Göttingen Naturlehre und Mathematik studiert und arbeitete danach als Dozent in Braunschweig. Nach dreijähriger Tätigkeit unternahm er eine von der Regierung finanziell unterstützte Reise durch Livland, Russland, Schweden und Dänemark, welche der Materialsammlung für seine geographischen, statistischen und handelspolitischen Arbeiten diente. 1786 erhielt Zimmermann den Titel eines Hofrats, welcher nicht nur mit Prestige, sondern auch mit finanzieller Zuwendung verbunden war, die ihm eine zweijährige Forschungsreise durch England, Frankreich, Deutschland, die Schweiz und Italien ermöglichte. Zimmermann, Zimmermann, S. 256–258. 271 Nutz, Varietäten, S. 57. 272 Vgl. Nutz, Varietäten, S. 57f. 273 Zimmermann, Geschichte, 3. Bde.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Zimmermann verfolgte in seiner Studie zweierlei, miteinander verknüpfte Ziele: Erstens sollte die Richtigkeit der Klimatheorie bewiesen werden und zweitens beabsichtigte er anhand dieser eine allfällige polygenetische Abstammung der Menschheit zu widerlegen. Dabei verzichtete er bewusst auf eine detaillierte Beschreibung der verschiedensten menschlichen Gesichtsbildungen, da dies nicht nur zu weitläufig, sondern auch überflüssig sei und verwies stattdessen auf Buffons Naturgeschichte. Zugleich warnte er vor einer Überbewertung etwaiger Unterschiede bezüglich der Gesichtsbildung der verschiedenen Völker, da sich Abweichungen in jeder Familie nachweisen lassen würden und es aufgrund des Klimas und der Nahrung zu Ausartungen kommen könne.274 Als wichtigste Unterscheidungsmerkmale zwischen den einzelnen Völkern erachtete er einerseits die Grösse und anderseits die Hautfarbe. Beide Merkmale führte er auf das Klima zurück, wobei er stets naturwissenschaftlich argumentierte. Die geringe Körpergrösse gewisser nördlicher Völker erklärte er beispielsweise mit der Kälte, welche die Körperfasern zusammenziehen lasse – eine gängige Argumentationsweise der Vertreter der Milieutheorie.275 Die Hautfarbe machte er ebenfalls vom Klima abhängig. Er verwies auf die Beobachtung, dass die Bewohner einer Region desto dunkler seien, je heisser das Klima sei, wobei die Übergänge zwischen den einzelnen Schattierungen nicht abrupt, sondern fliessend seien.276 Um die Klimatheorie (und damit verbunden den Monogenismus) zu beweisen, ging er ausführlich auf die drei stärksten Argumente ihrer Gegner ein: erstens die angebliche Einförmigkeit der Amerikaner, zweitens das Ausbleiben einer Aufhellung der schwarzen Haut bei einer Migration in kältere Regionen sowie drittens die typischen somatischen Charakteristika der Schwarzen. Ersteren Einwand konterte er damit, dass die Bewohner der neuen Welt durchaus nicht alle die gleiche Farbe aufweisen würden, sondern sich regional unterschieden.277 Dem zweiten Einwand wiederum begegnete er mit einem Verweis auf zahlreiche anatomische Studien wie jene von Meckel und Le Cat, welche eine grundsätzliche anatomische Verschiedenheit ausfindig gemacht zu haben glaubten.278 Le Cat’s Theorie verwarf er, indem er erneut die untergeordnete Bedeutung äusserer Charakteristika betonte.279 Mit der Widerlegung der gängigsten Argumente der Polygenisten und der Gegner der Klimatheorie, wie sie insbesondere bei Lord Kames zu finden waren, glaubte er, nicht nur die Klimatheorie, sondern auch den monogenetischen Ursprung der Menschheit bewiesen zu haben.280 Das Vorgehen – die Verteidigung des monogenetischen Ursprungs der Menschheit, welchen er anhand der Klimatheorie zu beweisen versuchte – war charakteristisch für Zimmermanns Auseinandersetzung mit den menschlichen Phänotypen und setzte profunde Kenntnisse über den zeitgenössischen Rassendiskurs voraus.281 274 275 276 277 278 279 280 281
Zimmermann, Geschichte I, S. 59. Ebd., S. 66f. Ebd., S. 77, 106. Ebd., S. 85f. Ebd., S. 92–99. Ebd., S. 99. Ebd., S. 101. Vgl. Ebd., S. 106–114, –114, 114, wo er einen Überblick über die Klassifikation Klassifikation Linnés, Buffons, Blumen-
3.4 Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon
127
Zimmermann beschränkte sich nicht auf die Wiedergabe bekannter Theorien, sondern prüfte diese, um sie entweder gutzuheissen, partielle zu widerlegen oder gänzlich zu verwerfen. Diese Vorgehensweise bildete die Voraussetzung für Zimmermanns eigene Theorie zur Erklärung der Verschiedenheit des Menschengeschlechts, wobei er sich des hypothetischen Charakters seines „Einfall[s], denn für nichts weiter gebe ich dies aus“282 bewusst war. Er mutmasste, dass die ältesten Menschen aus Asien stammten. Seine Vermutung begründete er sowohl geographisch als auch naturwissenschaftlich, da es bei den grössten Gebirgsketten Asiens sich nicht nur um das Ursprungsgebiet der grössten Flüsse des Kontinents handle, sondern auch Barometeruntersuchungen Hinweise auf einen asiatischen Ursprung der Menschheit geliefert hätten. Von hier aus hätten sich die Menschen verbreitet und seien dem Klima nach ausgeartet. Seine zuvor angestellte Beweisführung eines monogenetischen Ursprungs sowie die von ihm behauptete Richtigkeit der Klimatheorie diente ihm nun als Basis seiner eigenen These. Dabei ging er von mehreren Hauptzügen aus, welche das Ursprungsgebiet der Menschheit verlassen hätten. So sei einer nach Europa, einer nach Amerika sowie ein dritter nach Arabien, Indien und die vorgelagerten Inseln gewandert und von dort aus nach Afrika, wobei er sich unsicher zeigte, da eine ‚Ausartung‘ nach Afrika auch über Europa hätte geschehen können. Eine weitere Kolonie brachte die Chinesen, Koreaner und weitere asiatische Völker hervor.283 Die Einteilung der Menschen aufgrund ihrer geographischen Herkunft war nicht neu, genauso wenig wie der Rückgriff auf das Klima. Neu war hingegen der Ansatz, die Verteilung der Arten auf der Welt nicht nur mit dem Milieu sondern mittels Wanderungsbewegungen zu erklären. Damit führte Zimmermann in den Worten Nutz „das Ordnungsmodell der Karte“284 zur Erklärung der Entstehung der menschlichen Vielfalt ein. Er verzichtete auf eine Benennung der einzelnen Hauptzüge in ‚Rassen‘ sowie auf jegliche somatische, kulturelle wie auch moralische Charakterisierungen, was nicht gleichbedeutend mit der Überzeugung einer absoluten Gleichheit aller Menschen und der Abwesenheit eines Werturteils war. Die These eines afrikanischen Ursprungs der Menschheit lehnte er rigoros ab. Dies begründete er nicht nur mit dem gängigen Argument, dass es länger dauere, bis der Schwarze weiss werde als umgekehrt, sondern auch mit der klimatisch bedingten Superiorität der Weissen, denn: „Endlich so ist auch der weisse Mensch verhältnismässig wirklich klüger und thätiger, als der Schwarze; eine Folge des Klima...“285 Zimmermann war somit von einer klimatisch bedingten Inferiorität der Schwarzen gegenüber den Weissen überzeugt, was zugleich die These nährt, dass es sich seines Erachtens bei den Abartungen, die aufgrund der Anpassung an das jeweilige Klima vonstatten gingen, um Degenerationen handelte, womit sich der Kreis zu Buffon wieder schliessen würde. Quelle des Wissens über fremde Völker bildete die Reiseliteratur sowie die zeitgenössischen rassentheoretischen Studien. Diese zitierte und paraphrasierte er 282 283 284 285
bachs sowie Kants lieferte. Ebd., S. 115. Zimmermann, Geschichte I, S. 114f. Nutz, Varietäten, S. 138f. Zimmermann, Geschichte I, S. 116.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
ausführlich. Zimmermann arbeitete äusserst penibel und gab stets detailliert an, auf wen er sich bezog. Seine Argumentationsweise wies dabei einen kritischen Charakter auf: Er stellte die Beschreibungen und Konklusionen der Reisenden und Rassentheoretiker einander gegenüber, arbeitete allfällige Widersprüche heraus, wobei oftmals auf ein Argument eine Entgegnung folgte, um anschliessend sorgfältig abzuwägen, welche Aussage nun glaubhafter sei, und schlussendlich selbst zu einer Konklusion zu kommen.286 Zusätzlich arbeitete Zimmermann mit Tabellen, was den naturwissenschaftlichen und geographischen Anspruch seiner Arbeit unterstrich.287 Dieses methodische Vorgehen bedingte, dass Zimmermann nicht nur als Geograph und Naturwissenschaftler auftrat, sondern sich auch als profunder Kenner des frühen Rassendiskurses präsentierte.288 Linnés Klassifikationssystem erachtete er zwar nicht als „das System der Natur selbst, aber als Leitfaden“ und somit immerhin brauchbarer als Buffons Naturgeschichte.289 Er negierte nicht, dass die Natur einer gewissen Ordnung folge, nur glaubte er nicht daran, dass der Mensch fähig war, diese zu durchschauen. Zwar war auch er von der Gültigkeit der Idee einer scala naturae überzeugt, warnte aber davor, jedes Glied aufzusuchen und jedes einzelne Tier künstlich in Bezug zum Menschen zu setzen.290 Blumenbachs Dissertation empfahl er dem Leser zur Lektüre.291 Kant beurteilte er kritisch. Zwar stützte er sich auf dessen Beschreibung der Grönländer und Eskimos, relativierte aber deren Nutzen, denn „Hätte dieser schäzbare Philosoph nur hier nicht einige Dinge übertrieben“.292 Auf gänzliche Ablehnung stiessen die polygenetischen Ansichten von Lord Kames, Voltaire „und anderen, angesehenen Gegner“.293 Lord Kames Negierung der Klimatheorie stiess bei Zimmermann auf blankes Unverständnis, da sich dieser, „dem es übrigens gewiss nicht an Scharfsicht fehlet“294 selbst widerspreche. Zimmermann beliess es nicht bei einer einfachen Wiederlegung der polygenetischen Theorien, sondern er versuchte die sich dahinter verbergende Motivation zu verstehen. So müsse Voltaire einen gemeinsamen Ursprung 286 Beispielhaft ist dafür Zimmermanns Auseinandersetzung mit der angeblichen Bartlosigkeit der Amerikaner. Erst bezog er sich auf Cornelius de Pauw und Lord Kames, welche die Bartlosigkeit als gegeben erachteten und diese mit der schwächeren Natur der Amerikaner begründeten. Dann gab Zimmermann zu bedenken, dass David Cranz bezeugt habe, dass die Grönländer einen Bart hätten, eine Aussage, die von Pierre François Xavier de Charlevoix bezüglich der Eskimos, von Christian Georg Andreas Oldendorp über die Karaiben sowie von Lionel Wafner gestützt werde. Des Weiteren habe Louis Antoine de Bougainville bei den Patagoniern einen Bart vorgefunden, weshalb Zimmermann zum Schluss kam, dass der Amerikaner nicht bartlos sei – entgegen der Aussage von Lord Kames und Kant. Letzterer habe die angebliche Bartlosigkeit bewusst genutzt und mit der Kälte begründet, um den Kalmucken einen nördlichen Ursprung zuzuweisen, weshalb er die Grönländer und Eskimos als hässlicher beschreibe als die Kalmücken. Zimmermann, Geschichte I, S. 70f. 287 Ebd., S. 91. 288 Zimmermann, Geschichte I, Vorrede. 289 Ebd., S. 4. 290 Ebd., S. 4f. 291 Ebd., S. 66. 292 Ebd., S. 70. 293 Ebd., S. 54. 294 Ebd., S. 68.
3.4 Naturgeschichte und die Frage nach der Stellung des Menschen – Buffon
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der Schwarzen und Weissen zwangsläufig negieren, „weil er, um einen Ausfall auf die Religion zu thun, gern mehrere Stammväter des menschlichen Geschlechts annimmt...“295 Voltaire, so Zimmermann, leugne Tatsachen, da er zudem die „jedem vernünftigen Kopfe auffallende Kette der Wesen“ abstreite, sei eine weitere Auseinandersetzung mit seinen Thesen nicht angebracht.296 Zimmermanns Werk stiess bei den Rassentheoretikern der Aufklärungszeit auf reges Interesse. Soemmerring bezog sich in seiner 1785 publizierten Schrift mehrmals auf ihn. So diente ihm Zimmermanns Schrift neben Hume und Long als Referenz für die intellektuelle Inferiorität der Schwarzen.297 Des Weiteren war Soemmerring auch persönlich mit Zimmermann bekannt, dessen Empfehlungsschreiben ihm einst den persönlichen Kontakt mit Camper ermöglicht hatte.298 Blumenbach wiederum war Zimmermanns Klassifikation bekannt.299 Ansonsten wurde Zimmermann oftmals als Referenz genannt, wenn es um den Einfluss des Klimas auf die Ausbildung verschiedener menschlicher Phänotypen ging. Neben Herder300 und Metzger301 bezog sich insbesondere Girtanner ausführlich auf ihn, wobei er ihn nicht nur als Referenz bezüglich der Milieutheorie erachtete, sondern ihm in Bezug auf den geographischen Ursprung der Menschheit explizit zustimmte.302 Zimmermann findet in der modernen Forschung wenig Beachtung, was daran liegen mag, dass er auf die Entwicklung einer typischen Klassifikation der Menschheit in ‚Rassen‘ verzichtete und stattdessen die Vielfalt der Menschheit mittels dem Milieu sowie Wanderungsbewegungen zu erklären versuchte, ohne die einzelnen Hauptzüge explizit zu benennen. Der Ansatz, die Diversität mittels Wanderungsbewegungen zu erklären, war ausgesprochen modern, wurde von den Zeitgenossen jedoch kaum übernommen. Zimmermanns Studie ist insbesondere von Interesse, weil sie direkt auf dem Rassendiskurs der Aufklärungszeit aufbaute, verschiedene Theorien absorbierte und von deren kritischen Rezeption und ihrer Gegenüberstellung lebte. Sie darf deshalb als Beispiel für die zunehmende Vernetzung erachtet werden. Wer sich im ausgehenden 18. Jahrhundert mit der Vielfalt der Menschheit und den Gründen dafür befasste, musste sich zwangsläufig in den laufenden Diskurs einarbeiten und in diesen eingliedern. Somit kann Zimmermanns Theorie als weiterer Beleg dafür gewertet werden, dass sich der Rassendiskurs inzwischen zu einem Phänomen entwickelt hatte, welches weder vor Sprach- noch Ländergrenzen Halt machte.
295 296 297 298 299 300 301 302
Ebd., S. 81. Ebd., S. 81f. Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. xii; vgl. auch S. 78 Luyendijo-Elshout, Beaux esprits, S. 61. Blumenbach, Natürlichen Verschiedenheiten, S. 211. Herder, Kritischen Wälder, S. 41 Metzger, Menschenracen, S. 43. Girtanner, Kantische Prinzip, S. 184, siehe auch S. 282–285.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
3.5 DER URSPRUNG DER MENSCHHEIT – POLYGENETISCHE BETRACHTUNGSWEISEN Obwohl sich die Mehrzahl der frühen Rassentheoretiker zur Monogenese bekannte, darf der Einfluss der Polygenisten nicht unterschätzt werden. Dies mag einerseits daran liegen, dass sich unter ihnen bedeutende Vertreter der Aufklärung wie Voltaire und Hume befanden, andererseits stiessen ihre Theorien aufgrund ihrer Brisanz oftmals auf grosse Resonanz und wurden wie jene von Lord Kames oder Edward Long breit rezipiert. Einer der frühsten Polygenisten des 18. Jahrhunderts war John Atkins, ein für die Royal Navy tätiger englischer Chirurg. In seinem Reisebericht zeigte er sich überzeugt, dass „the black and white Race have, ab origine, sprung from differentcoloured first Parents.“303 Die Randnotiz stiess auf wenig Nachhall, zeigt aber die für die Aufklärung typische Tendenz der Entflechtung der Theorie der Polygenese von der christlichen Heilsgeschichte. Die Diskussion um einen polygenen Ursprung büsste ihren theologisch begründeten Charakter ein und wurde neu primär als wissenschaftliche Doktrin erachtet und dementsprechend behandelt.304 Von einer bereits vorhandenen Radikalität305 zeugen Voltaires (1694–1778) Ausführungen, wobei sein Werk immer im Kontext seiner Aversion gegen die traditionellen religiösen und weltlichen Autoritäten verstanden werden muss.306 Voltaire teilte die Menschen zuerst in zwei Spezies (espèces) ein, in Gelbe mit (Ross)-Haar (la jaune avec des crins) und Schwarze mit Wolle (la noire avec la laine).307 Diese Einteilung verwarf er sogleich und plädierte deshalb für eine detailliertere Klassifikation, die er mittels einer Analogiebildung mit der Theorie der Polygenese verband: „Il me semble alors que je suis assez bien fondé à croire qu›il en est des hommes commes des arbres; quo les poiriers, les sapins, les chênes, et les abricotiers ne viennent point d’un même arbre, et que les blancs barbus, les nègres portant laine, les jaunes portant crins, et les hommes sans barbe, ne viennent pas du même homme.“308
Hautfarbe und Haarqualität bildeten die bestimmenden Klassifikationsmerkmale, wobei die bärtigen Weissen, die wolligen Schwarzen, die Gelben sowie die bartlosen Menschen, sprich die Amerikaner, nicht den gleichen Ursprung aufwiesen. Die Einteilung verband Voltaire mit einer klaren Hierarchie, beschränkte sich dann aber auf den Antagonismus schwarz-weiss: „Enfin je vois des hommes qui me paraissent supérieurs à ces nègres, comme ces nègres le sont aux singes, et comme les singes 303 Atkins, Voyage, S. 39. 304 Poliakov, Mythos, S. 155. 305 Fredrickson vertritt die Ansicht, dass Voltaire aufgrund seiner Radikalität problemlos als erster konsequenter Rassisten bezeichnet werden könne. Fredrickson, Racism, S. 64. 306 Beispielhaft dafür sind die antijüdischen Passagen in seinem Werk. Die Juden waren für ihn aufgrund ihrer Religion Vertreter der Vergangenheit, religiöse Fanatiker und Sinnbild für Intoleranz. Seine scharfen und sarkastischen Attacken stellten zugleich einen Angriff auf das Judentum als Wurzel des für ihn korrumpierten Christentums dar und zielten damit auf letzteres ab. Garrett, Human Nature, S. 187; Livingstone, Adam’s Ancestors, S. 42. 307 Voltaire, Traité, S. 304. 308 Ebd., S. 304.
3.5 Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen
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le sont au huîtres et aux autres animaux de cette espèce.“309 Damit postulierte er nicht nur eine generelle Überlegenheit der Weissen gegenüber den Schwarzen, sondern wies letzteren zugleich einen Platz an der Grenze zum Tierreich zu. Zwar hielt er an einer Verbindung zwischen den einzelnen Varietäten fest, gab aber die Idee einer Einheit des Menschengeschlechts auf. Seine polygenetische Überzeugung verband er mit einer auf somatischen Charakteristika basierenden Einteilung der Menschheit – eine Kombination, die später von den Rassentheoretikern des 19. Jahrhunderts übernommen wurde.310 Gut zwei Jahrzehnte später sollte er in seinem Werk „Essai sur les mœurs“ die Einteilung präzisieren. Die Schrift hatte Voltaire mit der Absicht verfasste, gegen die Tendenz der Europäer anzuschreiben, die eigene Kultur zum Massstab zu erheben. Teil dieser Argumentation bildete das Hervorheben der Vorzüge anderer Kulturen wie beispielsweise der chinesischen, welche Voltaire der abendländischen teilweise überlegen erachtete. Dabei unterschied er zwischen den Völkern, die er als zivilisiert erachtete – und die entsprechend auf sein Wollwollen stiessen – und den in seinen Augen archaischen Völkern. Ihre Beschreibung beinhaltete zahlreiche Stereotype, was im Widerspruch zur ursprünglich verfolgten Absicht stand. Unabhängig vom jeweiligen Entwicklungszustand und der Zugehörigkeit zu einer Rasse, einte alle Menschen ihre Leidenschaften, ihr Wille zur Vergesellschaftung sowie das Streben nach Vervollkommnung. Zwar wurde der Mensch durch die charakteristischen Eigenschaften seiner Rasse sowie den Geist seiner Nation determiniert, er war jedoch immer auch Teil eines Entwicklungsprozesses.311 Voltaire vertrat die Ansicht, dass der Mensch nicht abhängig von der göttlichen Fügung sei, sondern über genügend Vernunft verfüge, um die eigenen Geschicke zu leiten. Vernunft war bei allen Menschen potentiell vorhanden, so dass alle prinzipiell die Möglichkeit besassen, auf der Grundlage der Moral eine Zivilisation zu errichten, wobei der Mensch als Verantwortlicher für den Verlauf der Geschichte auftrat, was zu deren Säkularisierung führte. Kultur wurde somit universal verstanden und beschränkte sich nicht alleine auf die Europäer. Alle Völker entwickelten sich aus einem Zustand der Wildheit – ohne Gesetz, König und Glaube –, der Gang der Geschichte war unabänderlich, wie auch die sich daraus ergebende Hierarchie der Völker.312 Diesen Prozess der Kulturentwicklung, welcher weder linear noch zielgerichtet erfolgte, zeichnete Voltaire in seinem „Essai“ nach.313 Die Anlage zur Vernunft und die Fähigkeit zur Zivilisation stand dabei für Voltaire nicht im Widerspruch zum polygenetischen Ursprung der Menschheit, denn „Il n’est permis qu’à un aveugle de douter que les Blancs, les Nègres, les Albinos, les Hottentots, les Lapons, les 309 Ebd., S. 309. Zwar war Voltaire von der Inferiorität der Schwarzen gegenüber den Weissen überzeugt. Trotzdem sprach er sich gegen die Sklaverei aus, weshalb Girard ihn auch als Beispiel für die „Zweischneidigkeit der Aufklärung“ aufführt. Girard, Rassentheorien, S. 76f. Voltaires Votum gegen die Sklaverei basierte dabei alleine auf der Vernunft und trug dazu bei, dass sich die Abolitionsbewegung nicht einer heilsgeschichtlichen Argumentationsweise bediente. Fredrickson, Racism, S. 65. 310 Todorov, Human Diversity, S. 101. 311 Bitterli, Grundzüge, S. 271–275. 312 Vetter, Reduktionismus, S. 54f. 313 Voltaire, Essai I.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Chinois, les Américains, soient des races entièrement différentes.“314 Die Frage nach dem Ursprung der Menschheit war frei von jeglichen religiösen Bezügen, stattdessen appellierte Voltaire an die Vernunft; die polygenetische Abstammung war offenkundig und untrüglich, sie bildete die logische Konsequenz aus der Beobachtung der verschiedenen Phänotypen. Nur ein Blinder konnte an dem polygenetischen Ursprung zweifeln, da er nicht im Stande sei, die offensichtliche Divergenz zu sehen. Voltaires Hauptargument für die Polygenese bildete damit die Diversität des Menschengeschlechts, welche zu gross war, als dass alle Menschen von einem Elternpaar abstammen könnten. Voltaires Theorie war nicht unumstritten; seine Ideen stiessen bei vielen Zeitgenossen auf Kritik. Blumenbach sprach spöttisch von „dem witzigen Gelehrten, aber schlechten Physiologen“,315 da dieser die äthiopische Varietät als eine besondere Gattung des Menschengeschlechts bezeichnet hatte. Zugleich widerspiegelte sein Werk die Ambivalenz der Aufklärung wie kaum ein anderes. Voltaire profilierte sich als schonungsloser Kritiker des Kolonialismus316 und wandte sich radikal gegen jegliche auf Aberglauben und Vorurteile beruhende hierarchische Sicht der Welt. Gleichzeitig ersetzte er die alten Stereotypen durch neue, auf Vernunft, Wissenschaft und Geschichte basierende.317 Voltaire war nicht der einzige bekennende Polygenist der Aufklärungszeit. Zeitgleich mit Montesquieus Klimatheorie erschien 1748 Humes Essay „Of National Characters“, in welchem er der Milieutheorie eine radikale Absage erteilte. Hume ging davon aus, dass jede Nation spezifische Eigenschaften – einen sogenannten Nationalcharakter (national character) – aufweise. Dieser wurde definiert durch moral causes – Umstände, welche den Geist beeinflussten wie Regierungsform, Reichtum respektive Armut als auch die Situation einer Nation in Bezug zu ihren Nachbarn – sowie physical causes. Unter letzterem verstand er Luft und Klima; Faktoren, welche sich auf das Gemüt und die Beschaffenheit des Körpers auswirkten, die aber den Charakter einer Nation letztendlich nicht nachhaltig zu prägen vermochten, was eine Abkehr von der Milieutheorie markierte.318 Den menschlichen Verstand erachtete Hume als von imitierender Natur; die Neigung zur Vergesellschaftung stellte auch bei ihm – wie bei Voltaire – eine natürliche Veranlagung dar. Die eigentümlichen Sitten bildeten sich durch den gesellschaftlichen Austausch, welcher zur Herausbildung einer öffentlichen Meinung führte und sich in der Staatsform, dem Nationalcharakter oder dem Geschmack eines jeden Volkes manifestierte.319 Bestätigung seiner Theorie fand er in der Geschichte sowie in der Beobachtung der Welt – dem Prinzip der Induktion folgend –, die er anhand mehre314 Ebd., S. 7. 315 Blumenbach, Natürlichen Verschiedenheiten, S. 217. 316 Vgl. dazu insbesondere die Kapitel zur Eroberung Mexicos und Perus, wobei er sich zu Teilen auf Las Casas stützte, sowie das Kapitel zu Prècis du siècle de Louis XV, in welchem er die europäischen Kolonialisten beschuldigte, in Indien den Krieg eingeführt und sich bereichert zu haben. Voltaire, Essai I, S. 47–51. 317 Fredrickson, Racism, S. 65. 318 Hume, National Characters, S. 28–43. 319 Ebd., S. 229f.
3.5 Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen
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rer Beispiele illustrierte. Hume glaubte zu beobachten, dass es parallel zur Etablierung eines ausgedehnten Reiches zur Entstehung eines Nationalcharakters komme, während sich kleine Verwaltungen durch die Ausprägung eines eigenen national characters auszeichnen würden. Käme es hingegen zu einer engen Zusammenarbeit, so fände eine Angleichung an die andere Nation statt. Nationen, welche wie die Juden verstreut lebten, würden hingegen ihren Charakter beibehalten, das gleiche gelte auch für die Kolonialisten.320 Hume erteilte damit der bis in die Antike zurückgehenden Klimatheorie eine Absage. An ihre Stelle traten stattdessen die moral causes – Faktoren, welche sich heute unter den Begriffen Kultur und soziales Umfeld zusammenfassen lassen. Für Hume war, wie Hudson ausführt, Nation keine biologische Subkategorie von ‚Rasse‘ wie für Buffon oder Blumenbach. Seine Sichtweise sollte Gelehrte wie Voltaire, Jefferson oder auch Herder nachhaltig prägen. Jefferson unterschied in Anlehnung an Hume zwischen racial und cultural influences, welche auf schwarze Sklaven und Indianer wirken würden; Herder lehnten die Existenz von biologischen ‚Rassen‘ gänzlich ab. Mochte ihre Motivation noch so verschieden sein, gemeinsam war ihnen die Forderung nach einer Trennung von ‚Rasse‘ und ‚Nation‘. Erstere stand für eine biologische Einteilung, beeinflusst durch die Umwelt und teilweise als göttliche Fügung erachtet, letztere war das Ergebnis gesellschaftlicher Bräuche und Überzeugungen.321 Zugleich ging Hume – in einer Fussnote – von einer angeborenen Ungleichheit aller Menschen aus, welche er mit der Überzeugung eines polygenetischen Ursprungs verknüpfte: „I am apt to suspect the negroes and in general all other species of men (for there are four or five different kinds) to be naturally inferior to the whites. There never was a civilized nation of any other complexion than white, nor even any individual eminent either in action or speculation.“322
Die Formulierung „all other species of men“ implizierte die Existenz einer polygenen Herkunft der Menschheit, wobei Hume von vier oder fünf verschiedenen menschlichen Spezies ausging, die er weder genauer beschrieb, noch (mit Ausnahme der Schwarzen und Weissen) benannte. Die weisse Hautfarbe fungierte als Kennzeichen einer angeborenen und permanenten Superiorität, wobei Hume diese zugleich mit dem Faktor der Kultur/Zivilisation verband. Indem er nicht-weissen Gesellschaften sowie Individuen jegliche zivilisatorischen Fähigkeiten sowie die Existenz von Kunst und Wissenschaft absprach, stellte er als erster einen Kausalzusammenhang zwischen Rasse und Kultur her.323 Humes Position einer nicht-theologisch basierten Form der Polygenese, die er an eine natürliche Ungleichheit der Menschen koppelte, die sich in den intellektuellen Fähigkeiten sowie kulturellen Möglichkeiten manifestierte, war selbst für diese Zeit extrem und dementsprechend
320 321 322 323
Ebd., S. 231–235. Hudson, Nation, S. 256f. Hume, National Characters, S. 236. Vgl. Bindman, Ape, S. 48f.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
umstritten.324 Die erwähnte Fussnote wurde bereits zu Humes Lebzeiten kontrovers diskutiert: Palter hat – aufbauend auf den Forschungen von Jordan, Popkin und Gates – nachgewiesen, dass mindestens elf Gelehrte die Fussnote zitierten. Sechs davon (Beattie (1770), Ramsay (1784), Crawford (1784), McHenry (1791), Webster (1793), Grégoire (1808) kritisierten ihn, fünf (Kant (1764), Eastwick (1772), Anon (1773), Nisbet (1773) und Long (1774)) unterstützten seine Position.325 Trotz der teilweise massiven Kritik, hatte Hume seine Aussage nie modifiziert; erst im posthum veröffentlichten Werk fand – erneut in einer Fussnote – eine Revision statt:326 „I am apt to suspect the negroes to be naturally inferior to the whites. There scarcely ever was a civilized nation of that complexion, nor even any individual eminent either in action or speculation.“327
Neu beschränkte sich Hume auf den Antagonismus weiss – schwarz; weitere Menschen nichtweisser Hautfarbe fanden keine Erwähnung mehr. Die Fähigkeit der schwarzen Nationen und Individuen Kultur anzunehmen, schloss er nicht mehr per se aus, bezeichnete er aber als wenig plausibel. Beweise für seine These fand er in den freigelassenen Sklaven in Europa sowie in Jamaika, welche keinerlei Begabung aufweisen würden. An der Grundaussage änderte sich somit wenig: Noch immer implizierte Hume einen polygenetischen Ursprung der Menschheit, wenn er ausführte, dass „Such a uniform and constant difference could not happen in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction betwixt these breeds of men.“328 Wie Voltaire argumentierte Hume auf der Basis scheinbar empirisch feststellbarer Unterschiede zwischen den Menschen und frei von jeglichen religiösen Dogmen; die polygene Abstammung des Menschen war die logische Konsequenz ihrer Beobachtungen. Popkin betont, dass Hume bezüglich seiner Aussage zu den Haut324 Popkin, Hume’s Racism, S. 65. 325 Palter, Hume, S. 10. 326 Die Fussnote sowie deren Modifikation haben zu einer hitzigen Debatte innerhalb der Forschung geführt. So hat Immerwahr die These geäussert, dass Hume Beatties „Essay on the Nature and Immutability of Truth“ gelesen habe, in welchem dieser ihn kritisierte und die Existenz von mehreren Hochkulturen in Amerika hervorhob. Immerwahr erachtet die posthum veröffentlichte Revision der Fussnote als direkte Reaktion auf Beatties Kritik und folgert, dass Humes Rassismus wohlüberlegt war. Immerwahr, Revised Racism, S. 484f. Zu Beatties Kritik vgl. Beattie, Essay; Immerwahr, Revised Racism, S. 480ff. Damit verfolgt Immerwahr einen ähnlichen Ansatz wie Popkin, der in seinem Aufsatz der Frage nachgegangen ist, ob es sich bereits gemäss damaligem Verständnis bei Hume um einen Rassisten handelte. Popkin, Hume’s Racism, S. 64–75. Garrett wiederum erachtet Immerwahrs Aufsatz als einen der interessantesten kürzlich erschienen Beiträge zur Diskussion über Hume und seinen Rassismus, hält dessen These aber für fehlerhaft. Garrett interessiert sich weniger für die Frage, ob Hume ein Rassist gewesen sei, als für Gründe, die zu einer Modifikation führten. Er kommt zum Schluss, dass Beattie Hume zu einer Änderung veranlasst haben könnte, sondern die Studien Adam Smiths, Robertsons unveröffentlichte Studie zu Amerika oder Voltairs Chinastudie. Garrett, Revised Racism, insbesondere S. 171, 173ff. 327 Hume, National Characters, S. 236. 328 Ebd.
3.5 Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen
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farben sowie Voltaire im Kontext seiner antijüdischen Polemik die Basis für einen säkularen Rassismus legten. Während Hume die Ansicht vertrat, dass die Schwarzen von einer angeborenen Inferiorität waren, welche ihre Teilnahme an der europäischen Kultur von vornherein ausschloss, propagierte Voltaire ein Bild der Juden, das sie endgültig zu Aussenseitern machte, die unter den europäischen Nationen keinen Platz hatten. Damit rechtfertigten sie – beide Koryphäen der Aufklärung – den gesellschaftlichen Ausschluss den Nichtweissen, respektive Juden und trugen zu ihrer Marginalisierung bei. Ihre Schriften wurden, wie Popkin weiter ausführt, bereits zu Lebzeiten – wie im Falle Humes – zur Verteidigung der Sklaverei verwendet, ohne dass die beiden Gelehrten Einspruch erhoben.329 Handelte es sich beim Streit um den Ursprung der Menschheit lange Zeit um eine Auseinandersetzung, welche sich kaum wissenschaftlicher Methoden bediente und deren Argumentation primär auf gängigen Vorurteilen basierte, änderte sich dies im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts.330 1774 veröffentlichte der schottische Anwalt und Philosoph Lord Kames (1696–1782) – ein Cousin David Humes – auf dem Höhepunkt der Schottischen Aufklärung die Abhandlung „Sketches of the History of Men“, in welcher er eine dezidiert polygene Position vertrat. Von seinen Vorgängern hob er sich insofern ab, als dass er sich erstens mittels eines komparativen Ansatzes sowie Analogien seinem Untersuchungsgegenstand – den verschiedenen Menschenrassen – näherte und zweitens seine Theorie der Polygenese in den bereits bestehenden Rassendiskurs zu integrieren wusste. Die Untersuchung stellte gemäss eigenen Aussagen das Produkt eines dreissigjährigen Studiums der Naturgeschichte des Menschen dar,331 was sich in der rein historisch-ethnographischen Argumentationsweise zur Verteidigung des Polygenismus widerspiegelte, während auf eine Begründung des getrennten Ursprunges aufgrund allfälliger anatomischer Unterschiede verzichtet wurde.332 Ausgangspunkt der Untersuchung bildete die Kritik an Buffons Definition einer Spezies,333 welche Kames als „very artificial“334 erachtete. Kames warf dem Franzosen vor, nicht genau beobachtet zu haben, da ihm hätte auffallen müssen, dass es durchaus Tiere gebe, die nicht zur gleichen Spezies gehörten (wie Kamele und Dromedare, Ziegen und Schafe) und trotzdem zeugungsfähigen Nachwuchs produzierten. Diese Feststellung übertrug er mittels einer Analogie auf den Menschen, so dass ein getrennter Ursprung nicht mehr ausgeschlossen werden konnte.335 Auch die von Buffon vertretene Klimatheorie und die darin enthaltene These, dass das Milieu verantwortlich für die Herausbildung der verschiedenen menschlichen Varietäten war, lehnte er ab. Kames gab zu Bedenken, dass wenn das Klima 329 330 331 332 333
Popkin, Hume’s Racism, S. 69, 74. Vgl. Moravia, Vernunft, S. 41. Kames, Sketches I, S. viif. Garrett, Human Nature, S. 199. Kames kritisierte nicht nur Buffon, auch Linnés „Systema naturae“ empfand er als unbefriedigend, sie diene höchstens als „a sort of dictionary; but no other purpose.“ Kames, Sketches I, S. 11. 334 Ebd., S. 6. 335 Ebd., S. 6–11, 12ff.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
einen derart deterministischen Einfluss auf den Menschen ausübe, wie Buffon proklamiert hatte, sich die Frage stelle, weshalb verschiedene Phänotypen in der gleichen Klimazone leben würden, während sich in Amerika trotz unterschiedlichem Klima keinerlei rassische Unterschiede feststellen liessen. Damit wies er auf den Schwachpunkt der Klimatheorie, an welchem sowohl Montesquieus Milieutheorie als auch Buffons „Histoire naturelle“ krankten: die Unvereinbarkeit mit dem amerikanischen Kontinent, dessen Bewohner sich aufgrund ihrer scheinbaren Gleichförmigkeit jeglichen Erklärungsversuchen entzogen. Da weder die Klima- , noch die Migrationstheorie eine befriedigende Erklärung zur rassischen Diversität lieferten, blieb für Kames lediglich der Rückgriff auf die Polygenese.336 Für Kames war es augenscheinlich, dass nicht alle Menschen für das gleiche Klima geschaffen waren, was er unter Bezug auf die Reiseliteratur – seine Quellen erwähnte er lediglich gelegentlich – und anhand konkreter Beispiele wie den degenerierten Portugiesen im Kongo, die ihr menschliches Wesen verloren hätten, zu beweisen versuchte. Dies führte ihn zur Überlegung, dass es nicht nur „different climates on earth“ gebe, sondern auch „different species of men fitted for these different climates“.337 Nicht das Klima forme die Menschen, sondern diese seien für das jeweilige Milieu geschaffen worden. Dies erklärte nicht nur die fehlende Adaption an das neue Klima, sondern auch die mögliche Degeneration fern der Heimat. Die Existenz verschiedener Menschenspezies war jedoch nicht gleichbedeutend mit der natürlichen Inferiorität der einen gegenüber den anderen; vielmehr äusserte Kames die Vermutung, dass eine eventuelle Unterlegenheit aufgrund der äusseren Bedingungen zustande komme. So sei beispielsweise nicht bestimmbar, ob die Afrikaner tatsächlich intellektuell inferior seien, da sie in Afrika wenig Gelegenheit hätten, den Verstand zu gebrauchen und ausserhalb ihrer Heimat das Dasein als Sklaven fristeten.338 Kames Theorie widersprach in doppelter Hinsicht der biblischen Schöpfungslehre, da er nicht nur von einem polygenen Ursprung, sondern auch von der natürlichen Wildheit aller Menschen im Urzustand überzeugt war.339 Der Sprengkraft seiner These bewusst, versuchte er, diese mit der biblischen Überlieferung in Einklang zu bringen. Wenn die Menschen nicht zur Zeit der Schaffung der Erde in verschiedene Spezies geteilt worden waren, so musste dies zu einem späteren Zeitpunkt geschehen sein. Diese Separierung geschah, so mutmasste Kames, zur Zeit des Turmbaus zu Babel – womit er die Polygenese mit der Begründung der Sprachpluralität verknüpfte. Gott habe durch die Adaption der Menschen an die verschiedenen Milieus deren Zerstreuung bewirkt.340 Ob Kames tatsächlich von der Vereinbarkeit seiner polygenen These mit der Genesis überzeugt war oder ob er auf die Theorie eines präadamitischen Ursprungs der Menschheit weniger aus Überzeugung, als aufgrund ihrer Brisanz und der daraus erfolgenden gesellschaftlichen
336 337 338 339 340
Livingstone, Preadamite Theory, S. 14. Kames, Sketches I, S. 11. Ebd., S. 36; vgl. auch Garrett, Revised Racism, S. 175; Garrett, Human Nature, S. 200. Vgl. Meyer, Wahrheit, S. 160. Kames, Sketches I, S. 44–47.
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Ächtung verzichtete, bleibt fraglich. Passagen in seinem Werk lassen jedoch eher auf letztere Option schliessen: „Upon summing up the whole particulars mentioned above, would one hesistate a moment to adopt the following opinion, were there no counterbalancing evidence, viz „That God created many pairs of the human race, differing from each other both externally and internally; that he fitted these pairs for different climates, and placed each pair in its proper climate (...)?“ But this opinion, however plausible, we are not permitted to adopt; being taught a different lesson by relevation, viz. That God created but a single pair of the human species.“341
Während er den Glauben an die Existenz von Präadamiten als plausibel erachtete, schloss er die Nachkommenschaft aller Menschen von Adam und Eva kategorisch aus, denn: „Adam and Eve might have been the first parents of mankind of all who at that time existed, without being the first parents of the Americans“.342 Die Richtigkeit der Genesis schloss er zwar nicht aus, der Konjunktiv liess immerhin Raum zu Spekulationen. Die Amerikaner hingegen gehörten für ihn aufgrund der konstitutionellen Unterschiede (die sich insbesondere in der aufgrund mangelnder sexueller Triebe begründeten Bevölkerungsstagnation zeige) einer jüngeren menschlichen Spezies an. Einen gemeinsamen Ursprung bezeichnete er als ausgeschlossen.343 Um die postadamitische Abstammung der Amerikaner zu beweisen, bezog er sich auf den bekennenden Monogenisten Buffon und bediente sich einer Analogie. Buffon hatte in seiner „Histoire naturelle“ einst darauf hingewiesen, dass die Tiere in Amerika keinerlei Ähnlichkeiten mit jenen der Alten Welt aufweisen würden. Kames kam deshalb zur Konklusion, dass von einer „local creation“ ausgegangen werden müsse. Dies gelte jedoch nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Menschen.344 Kames Polygenismus, so Meyer, erweiterte „die Diskussion der ‚Nationalcharaktere‘ um eine rassisch bedingte physiologisch-moralische Differenz“.345 Seine Theorie unterschied sich insofern von La Peyrère, als dass er mehr wissenschaftlich denn theologisch argumentierte.346 Dies zeigte sich insbesondere in der Rezeption Buffons, welchen er einerseits attackierte, indem er dessen Definition einer Spezies sowie dessen Rückgriff auf die Klimatheorie zur Erklärung der menschlichen Vielfalt zurückwies. Andererseits zögerte er nicht, auf Buffons Beschreibung von Amerikas Tierwelt zurückzugreifen, um mittels einer Analogie die angebliche Abstammung der Amerikaner von einem anderen Elternpaar zu beweisen. Von Voltaire und Hume hingegen grenzte er sich insofern ab, als dass er versuchte, die Theorie der Polygenese wieder mit der christlichen Überlieferungslehre zu vereinbaren. Die Theorie der Polygenese fand im 18. Jahrhundert insbesondere in England, Westindien und in den Südstaaten zahlreiche Befürworter. Sie stellte eine Reaktion auf die an Bedeutung gewinnenden abolitionistischen Bewegungen dar und bot zugleich Hand zur Legitimierung der Sklaverei: Die Idee eines getrennten Ursprungs 341 342 343 344 345 346
Ebd., S. 43f. Kames, Sketches III, S. 146. Ebd., S. 146. Ebd. Meyer, Wahrheit, S. 162. Vgl. Livingstone, Preadamite Theory, S. 15.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
diente den in den Sklavenhandel involvierten Kreisen als Argument zur Postulierung einer angeborenen, natürlichen Ungleichheit der Schwarzen.347 Aufgrund des unterschiedlichen Ursprungs und der damit verbundenen Inferiorität der Schwarzen sei die naturrechtliche Argumentationsweise der Abolitionisten nicht zutreffend. Gleiche Rechte würden nur ebenbürtigen Menschen zustehen, die Schwarzen hingegen seien aufgrund ihres unterschiedlichen Ursprungs den Weissen unterlegen und damit zum Sklavendasein prädestiniert, weshalb ihnen auch nicht die gleichen Rechte wie den Weissen zustehen würden.348 Diese Argumentationsweise stiess bei den Abolitionisten, angeführt durch Abbé Grégoire,349 auf Widerstand. Sie warfen den Polygenisten vor, mit der polygenen Weltsicht nicht nur gegen die Wahrheit der christlichen Heilsgeschichte zu verstossen, sondern sich auf diese zu stützen, um die Schwarzen rücksichtslos ausbeuten zu können.350 Popularisierer, Verteidiger der Sklaverei und Inspirator – Long Einer der bekanntesten Polygenisten und Verteidiger der Sklaverei war der in England geborene, spätere jamaikanische Pflanzer und britische Kolonialbeamte Edward Long (1734–1813). Er unterschied sich in vielerlei Hinsicht von anderen zeitgenössischen Rassentheoretikern. Erstens handelte es sich bei ihm nicht um einen im traditionellen Sinn verstandenen, an der Universität tätigen Gelehrten, als vielmehr um einen, in den Worten Bindmans, belesenen Amateur.351 Zweitens waren die rassentheoretischen Ausführungen Reflektionen seines eigenen Erfahrungsraumes.352 Die von ihm gemachten Beobachtungen sowie die Bemühungen, die eige347 Lilienthal, Soemmerring, S. 34f. 348 Bitterli, Einheit, S. 48. 349 Abbé Grégoire, ein französischer Priester, Revolutionär und Abolitionist, trat gegen Vorurteile gegenüber Juden, Schwarzen und anderen unterdrückten Gruppen auf. Bekanntheit erreichte er 1785, als er öffentlich die französischen Juden verteidigte, indem er sie als Brüder, vom gleichen Vater abstammend, bezeichnete. Als Mitglied der Nationalversammlung machte er sich einen Namen als einer der ersten und stärksten Befürworter des Bürgerrechts für Juden. Bereits 1789 setzte er sich für ein Ende des Sklavenhandels als ersten Schritt in Richtung Abschaffung der Sklaverei ein. In dem 1808 veröffentlichten Werk „De la littérature des nègres“ zeigte er nicht nur auf, dass Menschen afrikanischer Herkunft zu den gleichen intellektuellen Leistungen fähig waren und dieselben moralischen Tugenden besitzen, wenn sie denn gefördert würden, sondern sprach sich auch gegen die Polygenese aus. Goldstein, Eliminating, S. 28–41. –41. 41. Zu Grégoires Position gegenüber den Juden vgl. Grégoire, Essai, S. 67, 117, 67, 177. Zu seiner Kritik an der Polygenese: Grégoire, De la littérature, S. 14, 35, 44f. Abbés Einsatz für die Juden und die Schwarzen war nicht zuletzt religiös begründet: Durch die Bemühungen eines verbesserten Status der Juden erhoffte er sich, sie zur Konversion zu bewegen (Vgl. Grégoire, Essai, S. 62, 134, 138, 148), den Schwarzen wiederum hoffte er, die europäische Kultur und das Christentum näher zu bringen (Vgl. Grégoire, Essai, S. 65, 75, 77f.). Aus diesem Grund sprach er sich auch für eine Vermischung aus, welche seines Erachtens die kulturelle Assimilation und Konversion vereinfachte. (Vgl. Grégoire, Essai, S. 74, 157). 350 Bitterli, Einheit, S. 48f. 351 Bindman, Ape, S. 153. 352 Fredrickson, White Supremacy, S. 142.
3.5 Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen
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nen Erfahrungen theoretisch und wissenschaftlich zu verarbeiten, stellten ein wichtiges Charakteristikum seiner Theorie dar. Drittens lässt sich bei Long erstmals eine offenkundige Verbindung zwischen dem Rassen- und dem Sklavendiskurs nachweisen. Im Zuge der europäischen Expansion in der Südsee hatte seit dem Beginn der 70er Jahre die Debatte um die Rechtmässigkeit der Sklaverei an Dynamik gewonnen und beeinflusste vermehrt den religiösen, wissenschaftlichen und politischen Diskurs; die Stimmen der Abolitionisten gewannen an Einfluss. Long schaltete sich in die laufende Debatte ein und argumentierte aktiv zugunsten der Sklaverei, wobei deren Legitimierung auf seinen rassentheoretischen Ausführungen basierte.353 Fünf Jahre nach seiner Rückkehr nach England im Jahre 1774 veröffentlichte Edward Long anonym die drei Bände umfassende „History of Jamaica“ mit der Absicht, sich an die britische Öffentlichkeit zu wenden, um diese für Jamaica und dessen Probleme und Möglichkeiten zu sensibilisieren.354 Neben einem Überblick über die politische, soziale und ökonomische Geschichte der Insel, enthielt es eine skizzenhafte Einteilung der Menschheit in drei Rassen (races) und die daraus resultierende Legitimierung der Sklaverei. Longs Klassifikation in Weisse (Whites), Schwarze (Negroes) und Orang-Utans (oran-outang race) war von bestechender Einfachheit, schloss aber einen Grossteil der Menschheit aus, da Asiaten und Amerikaner ignoriert wurden. Die Einteilung in drei Gruppen implizierte bereits die Akzentuierung der Schwarzen als Mittelwesen, zumal ihre angebliche tierische Natur und grundsätzliche Verschiedenheit im Fokus der Ausführungen standen. In einem ersten Teil beschäftigte sich Long mit den Schwarzen (Negroes), welche er in zwei Klassen untergliederte – in natives oder schwarzen Kreolen sowie die aus Afrika importierten Schwarzen. Gemäss ihm unterschieden sie sich in fünf Punkten von den Weissen: Erstens weise ihr Körper eine dunkle Membran auf, welche für die schwarze Hautfarbe verantwortlich sei, die selbst bei einem Klimawechsel unabänderlich bleibe und sich höchstens durch Krankheit verändern könne. Zweitens durch ihr wollenes Haar, welches mehr tierisches Fell als eigentliches Haar sei. Als charakteristisch bezeichnete er drittens die runden Augen, die Ohrenform, geschwollenen Nasenlöcher, flachen Nasen, unveränderlich dicken Lippen und die langen Brustwarzen bei den Frauen. Viertens machte er geltend, dass sie von schwarzen Läusen befallen seien, was er bei Weissen nie entdeckt hätte und als fünftes Unterscheidungsmerkmal nannte er ihren tierischen und stinkenden Körpergeruch.355 Die Unterschiede beschränkten sich aber nicht nur auf somatische Charakteristika, vielmehr behauptete Long, dass sich die Schwarzen auch bezüglich ihrer Verstandeskraft und ihrer Moral von den Weissen differenzierten, wobei sie teilweise gar den Tieren unterlegen waren: „Under this head we are to observe, that they remain at this time in the same rude situation in which they were found two thousand years ago. In general, they are void of genius, and seem almost incapable of making any progress in civility or science. They have no plan or system of morality among them. Their barbarity to their children debases their nature even below that of 353 Bindman, Ape, S. 151ff. 354 Metcalf, Introduction; Greene, American Debate, S. 387. 355 Long, History, S. 352.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert brutes. (...) They are represented by all authors as the vilest of the human kind, to which they have little more pretension of resemblance than what arises from their exterior form.“356
Long konstruierte ein Bild der Schwarzen, welches stets die Nähe zum Tierischen und Barbarischen suchte. Dabei wurden die Schwarzen nicht nur – wie bereits zuvor bei anderen Rassentheoretikern – mit den Tieren gleichgesetzt, vielmehr suggerierte Long ihre Inferiorität gegenüber dem Tierreich. Eine Weiterentwicklung blieb mit Verweis auf die Geschichte ausgeschlossen, zumal die Schwarzen unfähig seien, zivilisatorischen und wissenschaftlichen Fortschritt zu erlangen. Selbst der jahrhundertelange Umgang mit den Weissen hätte zu keiner Weiterentwicklung geführt.357 Indem er auf andere Autoren verwies, welche seine Aussage stützten, behauptete er zugleich die Allgemeingültigkeit seiner Aussagen. Die Charakterisierung war geprägt durch eine simplifizierende Verallgemeinerung, da Long nicht zwischen einzelnen afrikanischen Völkern unterschied, sondern konstatierte, dass sie sich durch Einförmigkeit auszeichnen, obwohl das unterschiedliche Klima das Gegenteil hätte vermuten lassen.358 Die Negroe race hob sich von dem Rest der Menschheit deutlich ab, denn: „it being a common known proverb, that all people on the globe have some good as well as ill qualities, except the Africans. Whatever great personage this country might anciently have produced, and concerning whom we have no information, they are now every where degenerated into a brutish, ignorant, idle, crafty, treacherous, bloody, thievish, mistrustful, and superstitious people...“359 Damit sprach Long den Schwarzen jegliche positive Eigenschaften ab. Da sie zu keinerlei Fortschritt fähig waren und einer irreversiblen Degeneration unterlagen, war ihre Inferiorität unwiderruflich. Daraus schloss er, dass aufgrund „the nature of these men, and their dissimilarity to the rest of mankind“ es sich um „a different species of the same genus“ handelte.360 Dieses Bekenntnis zum Polygenismus verknüpfte er mit dem Glauben an einen graduellen und hierarchischen Aufbau der Natur.361 Nachdem er sich in einem ersten Teil mit den Schwarzen beschäftigt hatte, folgte in einem zweiten die Auseinandersetzung mit der oran-outang race. Auffällig ist der permanente Vergleich der oran-outang race mit den Hottentotten, die er als „very stupid, and very brutal. In many respects they are more like beasts than man (...) one of the meanest nations on the face of the earth“ bezeichnete.362 Erneut lässt sich eine Systematik erkennen, denn die angebliche Nähe der Hottentotten zu den Affen, welche gemäss Long sowohl von somatischer als auch moralischer Natur war, diente als Beweis dafür, dass der Orang-Utan „and some races of black men (...) very allied“ seien.363 Systematisch erwähnte er die Merkmale, welche charakteristisch für den Menschen waren, und verglich diese anschliessend mit je356 357 358 359 360 361 362 363
Ebd., S. 353. Ebd., S. 354f. Ebd., S. 353. Ebd., S. 353f. Ebd., S. 356. Ebd. Ebd., S. 364f. Ebd., S. 356.
3.5 Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen
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nen des Orang-Utans, den er als inferior erachtete. Zwar verwies Long auf Buffon, der die Sprache und den Instinkt als Hauptunterschied eruiert hatte, widersprach ihm aber insofern, als dass er zu bedenken gab, dass es keine gesicherten Erkenntnisse bezüglich der Verstandeskraft gebe. Stattdessen scheine es, dass sie ähnlich inferiore intellektuelle Fähigkeiten besitzen würden wie die Negroe race, zumal es zwischen beiden häufig zu amourösen Verbindungen komme.364 Long schlussfolgerte, dass „...an orang-utang, in this case, is a human being, quoad his form and organs; but of an inferior species, quoad his inellect; he has in form a much nearer resemblance to the Negroe race, than the latter bear to white men;“365 Gemäss dem hierarchischen Aufbau der Natur sei der Schwarze deshalb zwischen dem Weissen und dem Orang-Utan anzusiedeln.366 Longs Klassifikation in drei Rassen – in Weisse, Schwarze und Orang-Utans –, die polygenetische Betrachtungsweise, die den Afrikaner einer anderen Spezies zuordnete, sowie dessen systematische Degradierung bis hin zur Enthumanisierung erfolgte nicht ohne Intention, sondern muss vielmehr im Kontext der Debatte um die Rechtmässigkeit der Sklaverei betrachtet werden. Nachdem Long seine rassentheoretischen Überlegungen ausformuliert hatte, folgte ein Exkurs zur Sklaverei, welcher einen – scheinbar objektiven – Überblick über den historischen Hintergrund lieferte und in ihrer Legitimierung gipfelte. Long konstruierte dabei geschickt ein Bild, welches einerseits den afrikanischen Sklavenhandel als natürliche Gegebenheit und afrikanische Tradition konstruierte und andererseits die Teilnahme der Europäer als humanitären Akt schilderte. Die Sklaverei habe bereits vor der Ankunft der ersten Europäer in Afrika existiert und zu keiner Zeit zu einer Entvölkerung geführt. In drastischer Weise schilderte er, wie afrikanische Könige beliebig über ihre Untertanen verfügten und sie gar töteten, weshalb vor der Ankunft der Europäer Sklaven als Menschenopfer betrachtet worden seien, welche bei lebendigem Leibe verbrannt oder geschlachtet werden konnten. Als die Portugiesen als erste Europäer Afrika erreichten, trafen sie auf eine bereits vollausgeprägte Sklavengesellschaft und es sei nicht unwahrscheinlich, dass sie sich in einem lobenswerten Akt am Sklavenhandel beteiligt hätten, um „many human victims from suffering death and torture, under such idolatrous and savage customs“367 zu retten. Ähnliches widerfuhr später den Engländern, denen ebenfalls Sklaven im Austausch für Güter angeboten wurden. Nicht Europa, sondern vielmehr Afrika profitierte gemäss Long vom Sklavenhandel.368 Zu dessen Legitimierung nahm Long die Argumente der Abolitionisten wie ihre Kritik an der Unmenschlichkeit der Sklaverei auf und widerlegte sie scheinbar. Er machte geltend, dass afrikanische Staaten das Recht hätten, Sklaven zu verkaufen, denn die Sklaverei hätte in Afrika Tradition. Es seien die schwarzen Sklavenhändler, welche herumreisten und Sklaven fingen, die sie auf den regulären Sklavenmärkten als Ware feilboten. Wenn die Europäer die von Afrikanern gefangenen Sklaven kaufen würden, sei dies primär ein humaner 364 365 366 367 368
Ebd., S. 365–371. Ebd., S. 371. Ebd. Ebd., S. 387. Ebd., S. 385–389.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Akt, der sie vor dem Tod retten würde.369 Nach einigen allgemeinen Ausführungen wechselte Long auf die persönliche Ebene und berichtete von Einzelschicksalen, um seinen Aussagen Nachdruck zu verleihen und die Bestialität der Afrikaner zu illustrieren. Er schilderte, sich auf die Reiseliteratur beziehend, den Kannibalismus in Afrika, welcher das Leben der Sklaven bedrohte,370 sowie persönliche Gespräche mit Sklaven, die keinen Wunsch verspürten, zurück nach Afrika zu gehen. Dies begründete Long damit, dass sie besser als mach armer Arbeiter in England leben würden.371 Die Sklaverei wurde so zu einem humanitären Akt. Geschickt nahm Long Argument der Abolitionisten auf, um sie in seinem Sinne zu widerlegen. Das Dasein als Sklave in den Kolonien stellte gemäss seinen Darlegungen eine Chance für die Schwarzen dar, der Grausamkeit ihrer Heimat zu entkommen. Eine Angleichung an den Entwicklungsstandard der Weissen war jedoch aufgrund seiner polygenetischen Auffassung von vornherein ausgeschlossen. Der schwarze Sklave, so Longs mehr oder weniger explizite Konklusion, musste froh sein, dem Weissen dienen zu dürfen. Long bildet eine Schnittstelle zwischen Praxis und Theorie. Seine Ausführungen basierten sowohl auf eigenen Beobachtungen als auf der Lektüre anderer Gelehrten. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Rassentheoretikern mangelte es ihm nicht an Kontakt mit seinen Studienobjekten, konnte er doch auf einen reichen Erfahrungsfundus als Pflanzer in Jamaica zurückgreifen. Diese Erlebnisse machte er sich zunutze, wenn er Aussagen belegen wollte und deren Richtigkeit unterstrich.372 Er hob sich aber insofern von Reiseberichten ab, als dass er sich eben nicht nur auf seine eigenen Erfahrungen stützte, sondern auch andere rassentheoretischen Untersuchungen zu rezipieren wusste. Obwohl nicht an einer Universität tätig, muss er als belesen bezeichnet werden. Die breite Rezeption von Reiseliteratur zur Bestätigung seiner Aussagen sowie den expliziten Bezug zu andere Rassentheoretikern belegen, dass er sich intensiv mit dem Rassendiskurs beschäftigt hatte, wobei er Linné, Buffon und den Polygenisten Hume mehrmals namentlich erwähnte. Deren Aussagen analysierte und kommentierte er und deutete sie in seinem Sinne. Beispielhaft für sein Vorgehen ist die Stelle, an welcher er eine Verbindung zwischen dem Menschen und den Affen herstellte, ehe er deren Ähnlichkeit mit den Hottentotten zu belegen versuchte. Zuerst sprach er von einer spürbaren Verbindung zwischen Menschen und Quadrupeden, um dann mit Hinweis auf Buffon auf den Orang-Utan und seine Ähnlichkeiten mit dem Menschen zu sprechen zu kommen. Zur Illustrierung dessen zitierte er aus Buffons „Histoire naturelle“, wobei er insbesondere die flache Nase hervorhob. In einem nächsten Schritt verwies er auf Reiseberichte, die von Affen auf Java und den Molukken berichteten, welche stark an die Hottentotten erinnern würden, um dann anzumerken, dass bekannt sei, dass die Affen manchmal schwarze Frauen entführen würden und es zu sexuellen Kontakten käme.373 Hier zeigt sich einserseits, wie Long Textpassagen Dritter, welche 369 370 371 372 373
Ebd., S. 390ff. Ebd., S. 397f. Ebd., S. 399–402. Siehe beispielsweise Long, History I, S. 399f. Ebd., S. 358–361.
3.5 Der Ursprung der Menschheit – polygenetische Betrachtungsweisen
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seine These stützte, für sich zu gebrauchen wusste. Andererseits offenbart sich eine Vermischung von empirisch nachprüfbar geltenden wissenschaftlichen Fakten sowie populären Topoi. Longs „History of Jamaica“ wurde von den Naturalisten und frühen Anthropologen breit rezipiert. Er galt als Autorität, da seine Erkenntnisse auf der Praxis beruhten und dementsprechend empirisch nachprüfbar waren.374 Zu seinen Rezipienten gehörten unter anderem auch Soemmerring und White. Insbesondere letzterer zitierte breit aus Longs Abhandlung. Long fand seine Leserschaft nicht nur in Europa sondern auch in Übersee. Seine Verbreitung in Amerika verdankte er nicht zuletzt dem Columbian Magazine, welches 1788 zwei Ausschnitte, darunter das Kapitel „Negroes“, in welchem er behauptete, dass die Schwarzen zu einer anderen Spezies gehörten, abdruckte.375 Longs Ausführungen stiessen nicht nur auf Zustimmung. Insbesondere Vertreter der Abolitionsbewegung wussten Longs Ausführungen geschickt als Beweis für die Gefühlskälte, Unmoral und als Zeichen für die Gottlosigkeit der Befürworter der Sklaverei zu nutzen.376 Longs evidenter Rassismus wird von der Forschung kaum bestritten. Hunt bezeichnet ihn als „the archrasist of the late eighteenth century“,377 während Drescher Longs Abhandlung als die am meisten auf rassischen Argumenten basierende Abhandlung zur Verteidigung der Sklaverei vor der Zeit des Abolitionismus erachtet.378 Eine ähnliche Sichtweise vertritt Osterhammel, der darauf aufmerksam macht, dass Longs Werk eine „erste, ausführliche, auf die Anthropologie der Epoche zurückgreifende Apologie der Sklaverei in rassistischer Sprache“ darstellte. Er unterstreicht aber, dass Rassismus nicht die Ursache der Sklaverei war, sondern lediglich zunehmend deren Rechtfertigung diente.379 Fredrickson wiederum betont Longs Rolle für den Rassendiskurs und bezeichnet ihn als „the true father of biological racism“, da Long die Schwarzen auf einer niedrigeren Stufe der Menschheit platzierte und davon ausging, dass es sich um eine andere Spezies des gleichen Geschlechts handelte. Diese These nutzte er anschliessend als adäquate Rechtfertigung der Slaverei, womit er erstmals die angeblich erwiesene biologische Ungleichheit zur Rechtfertigung der Unterdrückung brauchte.380 Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass Longs rassische Einteilung eine klare Vereinfachung darstellte, die weit über jene seiner Vorgänger hinausging. Die Klassifikation in Weisse, Schwarze und Orang-Utans schloss sowohl die Bewohner Asiens als auch diejenigen Amerikas per se aus. Diese Reduktion auf drei races mag daran gelegen haben, dass Long kein Gelehrter war. Vielmehr basierte seine Einteilung auf seinen anthropologischen Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Alltag, wobei er ein konkretes Ziel – die Rechtfertigung der Sklaverei – verfolgte. Long hob sich von den anderen Rassentheoretikern seiner Zeit insofern ab, als dass 374 375 376 377 378 379 380
Drescher, Ending, S. 422f. Greene, American Debate, S. 387. Bitterli, Einheit, S. 49; Fredrickson, Racism, S. 63. Hunt, Racism, S. 333–357. Drescher, Ending, S. 422. Osterhammel, Verwandlung, S. 1217. Fredrickson, White Supremacy, S. 142.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
er eine offene polygenetische Weltsicht vertrat. Er mag zwar eine Ausnahme darstellen, trotzdem muss er als Beweis dafür angesehen werden, dass der Rassendiskurs sich nicht mehr alleine auf die Gelehrtenwelt beschränkte sondern auch von (belesenen) Laien verfolgt und rezipiert wurde. Insofern ist er nicht nur Sinnbild für eine Radikalisierung, sondern auch für eine Ausweitung des Diskurses, auch wenn er in seiner Radikalität eine Ausnahmeerscheinung darstellte. 3.6 RASSISCHE VORURTEILE UND ÄSTHETIK In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt sich die Herausbildung eines ästhetischen Diskurses beobachten, dessen Einfluss sich in den rassentheoretischen Schriften zunehmend bemerkbar machte.381 Zentrale Anliegen der Aufklärung wie das Streben nach Einheit und Harmonie bündelten sich mit dem antiken Ideal der Ordnung und Mässigung zu einem Konglomerat und führten zu einer Wiederbelebung der Klassik, was sich in der Rückbesinnung auf das antike Schönheitsideal manifestierte. Ästhetische Idealvorstellungen und Wissenschaft beeinflussten sich zunehmend gegenseitig. Die auf Beobachtungen, Messungen und Vergleiche basierenden Erkenntnisse der Wissenschaft verbanden sich mit einem ästhetischen Werturteil, dessen Ursprung in der Antike zu finden war. Dabei entwickelte sich das ästhetische Urteil zu einem festen Bestandteil der Klassifikation.382 Dies sollte für den weiteren Verlauf des Rassendiskurses und der Bewertung aussereuropäischer Völker nicht ohne Folgen bleiben. Der Deutsche Johann Joachim Winckelmann war der erste, der eine Rückbesinnung auf das antike Schönheitsideal propagierte.383 Winckelmann gilt als Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und Kunstgeschichte, einer Disziplin, deren Entstehung symptomatisch für eine Zeit stand, in welcher die Beobachtung immer eminenter für den Erkenntnisprozess wurde. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, die sich primär auf die Beschreibungen Dritter verliessen, stütze sich Winckelmann auf die eigene Beobachtungsgabe. Nur was er mit eigenen Augen beobachtet hatte, fand Einlass in sein Werk.384 Winckelmanns Œuvre bildete „einen der grossen Ordnungsentwürfe des 18. Jahrhunderts“,385 wobei er sich – zumindest anfänglich – der Klassifikation bediente, was zugleich zu einer Verwissenschaftlichung der Materie führte. Relativ schnell rückte die systematische Einordnung der Kunstwerke jedoch in den Hintergrund und stattdessen konzentrierte sich Winckelmann auf die eigene Beobachtungsgabe.386 381 Eine detaillierte Untersuchung zur Frage, inwiefern der ästhetische Diskurs des 18. Jahrhunderts rassistische Motive aufwies, lässt sich finden bei: Bindman, Ape. 382 Vgl. Mosse, Rassismus, S. 29–37; Mosse sieht in diesem „ständige(n) Überwechseln von der Wissenschaft zur Ästhetik“ gar „eine der Haupteigenschaften des modernen Rassismus.“ Mosse, Rassismus, S. 29. 383 Zur Rezeption des imaginierten Griechenlandbildes von Winckelmann siehe Hess, Winckelmann, S. 647–654. 384 Lepenies, Autoren, S. 106. 385 Ebd., S. 97. 386 Ebd., S. 98f.
3.6 Rassische Vorurteile und Ästhetik
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In der ersten Auflage seiner 1764 veröffentlichten „Geschichte der Kunst des Alterthums“387 ging Winckelmann, sich auf Polybius berufend, von der Prämisse aus, dass das Klima prägend für die Sitten, Gesichtsbildung, Gestalt und Farbe eines jeweiligen Volkes sei. Weitere Einflüsse auf das Wesen und Erscheinungsbild eines jeden Volkes gestand er, beeinflusst durch die Klimatheorie Montesquieus,388 der Erziehung, Verfassung und Regierung zu.389 Er schlussfolgerte, dass die Natur in den gemässigten Klimazonen die regelmässigsten Gesichtszüge und Körper geformt und somit die erhabensten Menschen erschaffen habe.390 „(...), denn wenn unter zwo Linien die eine von der andern ohne Grund abweichet, thut es dem Auge wehe. Also sind dergleichen Augen, wo sie sich unter uns finden, und an Sinesen und Japonesen seyn sollen, (...), eine Abweichung. Die gepletschte Nase der Calmucken, der Sinesen und anderer entlegenen Völker, ist ebenfalls eine Abweichung: denn sie unterbricht die Einheit der Formen, nach welcher der übrige Bau des Körpers gebildet worden… (...) Der aufgeworfene schwülstige Mund, welchen die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, ist ein überflüssiges Gewächs und ein Schwulst, welchen die Hitze ihres Clima verursachet... (...) Die kleinen Augen der entlegenen Nordlichen und Ostlichen Länder sind in der Unvollkommenheit ihres Gewächses mit begriffen, welches kurz und klein ist. (...) Regelmässiger aber bildet die Natur, (...), unter einem gemässigten Himmel, (...). Folglich sind unsere und der Griechen Begriffe von der Schönheit, welche von der regelmässigsten Bildung genommen sind, richtiger, als welche Völker bilden können, die, (...), von dem Ebenbilde ihres Schöpfers halb verstellet sind.“391
Winckelmann, das zeigt sich anhand des Zitats, hatte eine klare Vorstellung von Ästhetik. Diese wiederum setzte er in direkte Korrelation zum Klima; Schönheit wurde somit abhängig von äusseren Faktoren. Das Aussehen der aussereuropäischen Völker, welche dem klassischen Schönheitsideal in keiner Weise gerecht werden konnten, stellte für ihn eine „Abweichung“392 von der (eurozentrisch geprägten) Norm dar. Potenzielle Einwände, dass das Schönheitsideal je nach Volk variiere, schmetterte er mit dem Argument ab, dass Aussereuropäer unfähig seien, das Schöne zu erfassen, da sie von Natur aus halb entstellt seien und somit das Schöne nicht kennen würden. Es ist die Suche nach dem Schönen, dem „höchste[n] Entzweck“ und zugleich „Mittelpunct der Kunst“,393 welche die Arbeit Winckelmanns durchzieht, die aber schlussendlich unerfüllt bleibt. Dies lag an Winckelmann selbst, welcher zwar eine Idealvorstellung hatte, einer allgemeingültigen Definition des Schönen jedoch bewusst eine Absage erteilte: „(...) Schönheit ist eines von den grossen Geheimnissen der Natur, deren Wirkung wir sehen, und alle empfinden, von deren Wesen aber ein 387 Wenn in der Folge nicht anders vermerkt wird, so wird aus der ersten Auflage von 1764 zit. nach Winckelmann, Geschichte. 388 Zu Winckelmanns Rezeption der Klimatheorie Montesquieu vgl. Lepenies, Autoren, S. 102ff. 389 Winckelmann, Geschichte, S. 25ff. 390 Ebd., S. 140–148, 180. 391 Winckelmann, Geschichte, S. 146f. Ein gutes Jahrzehnt später sollte Lavater im vierten Band seiner Physiognomischen Fragmente dieselbe Passage zitierte. Vgl. Lavater, Fragmente IV, S. 277ff. 392 Winckelmann, Geschichte, S. 146f. 393 Ebd., S. 142.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
allgemeiner deutlicher Begriff unter die erfundenen Wahrheiten gehört.“394 Winckelmanns Konzept von Schönheit – undefinierbar einerseits und andererseits für alle wahrnehmbar, was insofern ein Widerspruch war, als dass er zuvor den aussereuropäischen Völkern genau diese Empfindung abgesprochen hatte – bot Raum zur freien Interpretation.395 Fridrich macht darauf aufmerksam, dass bei Winckelmann ästhetische Grundbegriffe wie Schönheit „weitgehend undeterminierte Konzepte [sind], eigentliche Leerstellen, die durch den Leser selbst mit Bedeutung angefüllt werden müssen“.396 Winckelmanns Schönheitsideal war gänzlich eurozentrisch geprägt. In den antiken griechischen Statuen glaubte er das ästhetische Ideal zu erkennen; Apollo wurde zum Inbegriff idealer männlicher Jugend; Harmonie, Einheit und Einfalt zu den zentralen Elementen der Schönheit. Zugleich dienten ihm die Griechen, welche sich durch natürliche Schönheit und das kulturelle Streben danach auszeichneten,397 als Bestätigung der Klimatheorie,398 denn bei ihnen liesse sich „gar keine gepletschte Nasen (...) finden, welches die grösste Verunstaltung des Gesichts“399 seien. Die Konstruktion einer Abhängigkeit der Schönheit von der Schattierung der Hautfarbe ergab sich dabei praktisch von selbst, denn die Farbe, so Winckelmann, trage zur Schönheit bei, ohne gleichbedeutend mit ihr zu sein.400 „Da nun die weisse Farbe diejenige, welche die mehresten Lichstrahlen zurückschicket, folglich sich empfindlicher macht, so wird auch ein schöner Körper desto schöner seyn, je weisser er ist.“401
Die weisse Hautfarbe erachtete er als deutlich schöner als die dunkle,402 da nur sie die Lichtstrahlen reflektiere. Das bedeutete, dass selbst ein Schwarzer mit harmonischen, dem antiken Schönheitsideal entsprechenden Gesichtszügen in den Augen Winckelmanns niemals schön, sondern lediglich gefällig sein konnte.403 Das klassische Ideal beschränkte sich folglich nicht auf einzelne Aspekte – wie die Gesichtszüge –, vielmehr musste der Körper als Ganzes jenem entsprechen, weshalb aussereuropäische Völker per se ausgeschlossen blieben. In der zweiten Auflage 394 395 396 397 398 399 400 401 402
Ebd., S. 142. Vgl. Franke, Ideale Natur, S. 23. Fridrich, Sehnsucht, S. 18. Vgl. Fridrich, Sehnsucht, S. 20. Winckelmann, Geschichte, S. 21ff. Ebd., S. 24. Ebd., S. 147. Ebd., S. 147f. Die negative Perzeption der schwarzen Hautfarbe wies eine lange Tradition auf. Bereits in der Bibel lassen sich zahlreiche Hinweise für die Gleichsetzung von schwarz und Dunkelheit mit Sünde und Unwissenheit finden. (Vgl. bspw. Num 12:1; Ps 68:31,32; Mt 12:42; Eph 4:18; Eph 5:8; Apg 26:18; Jes 42:16; nach Goldenberg, Racism, S. 95f.) Die antiken Griechen und Römer erachteten ein dunkles Gesicht ebenfalls nicht als schön. (Zur Perzeption der Schwarzen in der Antike vgl. Snowden, Blacks; Thompson, Romans.) Aus diesem Grund plädiert Goldenberg dafür, die Wurzeln des Rassismus gegenüber den Schwarzen, deren Andersartigkeit für jeden sichtbar war, in der farblichen Symbolik zu suchen. Goldenberg, Racism, S. 88–108, –108, 108, hier insbesondere S. 90–96, 104f. 403 Winckelmann, Geschichte, S. 147f.
3.6 Rassische Vorurteile und Ästhetik
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von 1776 verstärkte sich dies noch zusätzlich, wenn Winckelmann schrieb, dass die bräunliche Farbe schöner Knaben bei den Griechen ein Zeichen der Tapferkeit sei, während die von weisser Hautfarbe als Kinder der Götter erachtet würden.404 Winckelmanns Ideal der Schönheit wies eine exklusive und wertende Tendenz auf. Dies zeigte sich nicht nur in Bezug auf die Hautfarbe. Gerade die Ambivalenz zwischen Kultur und Wildheit, zwischen Harmonie und Disharmonie beeinflusste seine Vorstellung von Schönheit: „...man wird aber auch zugeben müssen, dass, je stärker diese Ähnlichkeit [der Formen des Gesichtes entlegener Völker mit den Tieren] an einigen Teilen ist, desto mehr weicht die Form von den Eigenschaften unsers Geschlechts ab, und es wird dieselbe teils ausschweifend, teils übertrieben, wodurch die Harmonie unterbrochen und die Einheit und Einfalt gestört wird, als worin die Schönheit besteht...“405
Hier kollidiert die, wie Mosse sie nennt, „Vorstellung des Primitivismus (...) mit dem aufklärerischen Ideal der Mässigung und Ordnung.“406 Durch die Analogie zum Tierreich wurden die Aussereuropäer mit dem Primitiven und Animalischen per se in Verbindung gebracht, was gänzlich dem klassischen Ideal widersprach, welches die Beherrschung der Leidenschaften, Mässigung, Ruhe, Harmonie und Gleichmass forderte. Die Sekundärliteratur zu Winckelmann ist reich, doch die Frage nach der Wirkung Winckelmanns auf den Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts bleibt für die Forschung von sekundärer Bedeutung, weshalb er in den einschlägigen Standartwerken zum Rassismus kaum Erwähnung findet. Eine der wenigen Ausnahmen neben Mosse, welcher Winckelmann am Rande erwähnt,407 bildet Bindman, der sich in seiner Studie intensiv mit der Rolle der Ästhetik in den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts beschäftigt. Bindman wertet Winckelmanns „Geschichte des Alterthums“ zusammen mit Kants „Beobachtungen“ als eine der ersten ästhetischen Theorien, welche anthropologische Überlegungen beinhalteten. Zugleich betont er die enge Anlehnung Winckelmanns an Buffon und Montesquieu, sowie den starken Einfluss Shaftesburys auf Winckelmanns Schönheitsideal.408 Die Rezeption Buffons bildet auch einen der Kernpunkte in Frankes Studie. Minutiös stellt er dar, inwieweit sich Winckelmann der „Histoire naturelle“ bediente. Er kommt zum Schluss, dass Winckelmanns Ausführungen über die Vererbung des Ideals nichts anderes als eine Anwendung der Buffonschen Vererbungslehre und Rassenanthropologie darstellte.409 Ewen’s wiederum machen geltend, dass Winckelmanns gesamtes Werk durchzogen sei von einer Huldigung an das Weisseins, wobei er die göttliche Harmonie in direkte Opposition zu den aussereuropäischen Völkern stelle. Schönheit sei bei Winckelmann zu einer exklusiven Eigenschaft weisser, männli-
404 405 406 407 408 409
Winckelmann, Geschichte 1776, S. 258. Ebd., S. 146. Mosse, Rassismus, S. 36. Ebd., S. 36. Bindman, Ape, S. 81ff, 87. Franke, Ideale Natur, S. 41–50, insbesondere 106.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
cher Europäern geworden, weshalb sein Werk nicht losgelöst von der geopolitischen Lage Europas betrachtet werden dürfe.410 Ebenfalls im Jahre 1764 publizierte Immanuel Kant411 die von David Hume beeinflusste Abhandlung „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“.412 Darin skizzierte Kant weniger ein eigentliches Programm der Ästhetik als eine grosse Palette an ästhetischen Beobachtungen. Dementsprechend vielfältig waren die Themen: Kant schrieb sowohl über die unterschiedlichen menschlichen Temperamente, wie auch über das Geschlechterverhältnis und die verschiedenen Nationalcharaktere. In seinen Erläuterungen zur Moral setzte Kant diese mit dem „Gefühl von der Schönheit und Würde der menschlichen Natur“ gleich.413 Die Gleichsetzung von Moral und Ästhetik war gerade im Kontext der Nationalcharaktere nicht unproblematisch. Insbesondere die Frage, welche Nationen sich durch das Gefühl des Schönen oder Erhabenen auszeichnen würden, stand dabei im Fokus. Ähnlich wie auch Winckelmann zeigte sich Kant überzeugt, dass die alten Griechen und Römer „deutliche Merkmale eines ächten Gefühls für das Schöne sowohl als das Erhabene“ aufgewiesen hätten.414 Bei den Europäern nahm er eine Zweiteilung vor. Während er den Franzosen und Italiener ein Gefühl für das Schöne zugestand, zeichneten sich nur die Deutschen, Engländer und Spanier durch ein Gefühl für das Erhabene aus.415 Die Auseinandersetzung mit den aussereuropäischen Völkern hingegen widerspiegelte gängige, zeitgenössische Vorurteile, wenn er folgerte, dass „alle diese Wilden (...) wenig Gefühl für das Schöne im moralischen Verstande“416 hätten. Durch die faktische Gleichsetzung von Moral und Ästhetik sprach Kant den aussereuropäischen Völkern nicht nur ein Gefühl für das Schöne, sondern implizit auch jegliche Moral ab.417 Die stark diffamierenden Schilderungen aussereuropäischer Völkern veranlassen Marino von „schwerwiegenden rassischen – ja, rassistischen – Charakterisierungen“ zu sprechen, während Bindman die „Beobachtungen“ als erste ästhetische Schrift wertet, welche die Idee der menschlichen Varietäten beinhaltete. 1772 veröffentlichte der reformierte Schweizer Pfarrer Johann Caspar Lavater seine Schrift „Über die Physiognomik“. Drei Jahre später folgte der erste von insgesamt vier Bänden der „Physiognomische[n] Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“.418 Mit seiner Hinwendung zur Physiogno410 Ewen/Ewen, Typen, S. 141f. 411 Auf Kants Bedeutung für den Rassendiskurs im 18. Jahrhundert wird detailliert in Kapitel 3.7. eingegangen. Aus diesem Grund wird im Folgenden die Schrift nur unter dem Blickwinkel der Ästhetik analysiert. 412 Vgl. Kant, Beobachtungen, S. 253: Kant übernahm David Humes Meinung zu den Afrikanern. 413 Kant, Beobachtungen, S. 217. 414 Ebd., S. 255. 415 Ebd., S. 243. 416 Ebd., S. 254. 417 Marino, Praeceotores, S. 98; Bindman, Ape, S. 78. 418 Die Intention und Argumentation der Schriften „Von der Physiognomik“ und jene der „Phyiognomische(n) Fragmente“ unterschieden sich grundsätzlich. Erstere war ursprünglich ein Vortrag, welchen Lavater 1772 vor der „Naturforschenden Gesellschaft“ gehalten hatte und in welchem er versuchte, den aufklärerischen Forderungen an die Wissenschaft gerecht zu
3.6 Rassische Vorurteile und Ästhetik
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mik reihte er sich in eine Tradition ein, deren Wurzeln sich bis in die Antike zurückverfolgen lassen.419 Zwar blieb die Materie – mit Ausnahme der Pathognomik (Mimik), die Lavater gänzlich ausblendete, – dieselbe, das Selbstverständnis der physiognomischen Disziplin hingegen änderte sich fundamental. Für Lavater folgte die Physiognomie den Gesetzen der Natur, weshalb sie frei von jeglicher Willkür sei und als eine ernstzunehmende Wissenschaft gelte. Dabei ging er von der Prämisse aus, dass in der Welt nichts ohne Grund geschehe, sondern vielmehr jede Wirkung in der Natur eine mechanische Ursache habe.420 Er folgerte: „Physiognomik ist die Wissenschaft, den Charakter (...) des Menschen im weitläufigsten Verstande aus seinem Aeusserlichen zu erkennen.“421 Dieser Anspruch, dass es sich bei der Physiognomie um eine Wissenschaft handle, welche klare Regeln befolgt, ist problematisch. Die Physiognomie, so Brittnacher, stigmatisiert den Menschen, da sie auf angebliche Defizite hinweist und diese sichtbar macht. Wird die Physiognomie mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit betrieben, wird sie Teil eines anerkannten Diskurses. Sie kennzeichnet nicht nur, sondern vermag den Menschen zu denunzieren, da sie zu wissen glaubt, wer der Betroffene sei und ergo aufzuzeigen vermag, was ihm fehlt und wo seine Defizite liegen.422 Doch der Anspruch der Wissenschaftlichkeit, wie ihn Lavater
419
420 421 422
werden. Die Publikation erfolgte ohne Autorisierung durch Lavater, weshalb er sich veranlasst sah, den empirischen Nachweis der von ihm postulierten Wissenschaftlichkeit der Physiognomie in den Fragmenten zu erbringen. Vgl. Brittnacher, Blick, S. 130f. Zur Geschichte der Physiognomik vergleiche u. a. Schmölers, Vorurteil (mit Vorsicht zu geniessen, da gewisse Namensangaben wie Charles (statt Georges) Buffon falsch sind); Schmölers Blick. Beim darin enthaltenen Aufsatz von Blankenburg ist ebenfalls Vorsicht geboten. Der Autor kontaktiert kaum Quellen und mehrere Namensangaben sind fehlerhaft. So spricht er beispielsweise von Christian anstatt Christoph Meiners und Jean-Joseph statt Julien-Joseph Virey. Vgl. Blankenburg, Physiognomik, S. 133–162. –162. 162. Zum ersten Mal erwähnt wurde die Physiognomie im Textcorpus der hippokratischen Medizin, wobei deren ganzheitliche Beschreibung von Krankheiten einen Einbezug der physiognomischen Betrachtungsweise nahelegte. Im pseudoaristotelischen Fragment „Physiognomonica“ aus dem 4. Jahrhundert wiederum lässt sich erstmals der Ansatz einer Völkerphysionomie erkennen; Körpermerkmale wie starke Behaarung, Festigkeit des Fleisches sollten Aufschluss über Charaktereigenschaften eines Volkes geben. Vgl. Anonym, ‚Physiognomonica‘, S. 49. Bereits in der Antike lässt sich dabei die Bildung von Analogien beobachten, wobei der Vergleich zwischen Mensch und Tier sowie zwischen den verschiedenen Volksstämmen von zentraler Bedeutung ist. Vgl. Larink, Bilder, S. 382f. Zum Bestandteil des Wissenschaftsdiskurses wurde die Physiognomie in der Renaissance. Die bedeutendste Schrift stellte die 1586 erschienene „Humana Physiognomonia“ von Giovambattista Della Porta dar, welche eine Zusammenfassung von antikem und mittelalterlichem Material darstellte. Das Werk beinhaltet einen umfangreichen Katalog an möglichen physiognomischen Deutungen. Die reichhaltige Illustration solcher physiognomischer Charakteristika stellte – neben der Materialfülle – ein Novum dar und sollte in der Folge prägend für spätere Veröffentlichungen physiognomischer Texte sein. Im Gegensatz zu Lavaters Fragmenten fehlte Della Portas Physiognomonia aber noch ein einheitlicher methodischer Ansatz. Della Porta, Physiognomonia. Vgl. Degkwitz, „Physiognomonica“, S. 23–44; Schmölers, Vorurteil, S. 20–41. Lavater, Physiognomik, S. 12f, 21. Ebd., S. 7. Brittnacher, Blick, S. 129.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
erhob, war unter zeitgenössischen Gelehrten nicht unumstritten. Bestes Beispiel dafür war Kant, der sich insbesondere in seiner Schrift „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ kritisch äusserte. So sprach er zwar von der Physiognomie als „Kunst, aus der sichtbaren Gestalt eines Menschen, folglich aus dem Äussern das Innere desselben zu beurtheilen.“423 Es sei nicht zu verneinen, „dass es eine physiognomische Charakteristik gebe, die aber nie eine Wissenschaft werden kann.“424 Entgegen allen Einwänden blieb Lavater bei der Überzeugung, dass es – zukünftig – möglich sein werde, mittels Berechnungen einen Mensch physiognomisch zu erfassen und zu klassifizieren. Um dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit gerecht zu werden, entwickelte er das „Stirnmaass“. Dieses Instrument ermöglichte ihm, die Stirnwölbung zu messen und sie anschliessend kurvenförmig abzubilden. Die Hoffnung, welche er in sein Spezialinstrument setzte, war gross: „Es wird in den physiognomischen Linien, (...), demonstriert werden, dass und wie aus den blossen Umrissen eines Schädels, der Grad seiner Verstandeskräfte, wenigstens das Verhältnis seiner Kapazität und Talente zu anderen Köpfen, mathematisch bestimmt werden kann.“425 Damit entwickelte Lavater den Prototyp eines Instruments, welches die Illusion verkaufte, objektive Messdaten zur Schädelvermessung liefern zu können. Zugleich setzte er die Intelligenz erstmals in direkte Korrelation zur Schädel- respektive Stirnform.426 Die Verstandeskraft wurde dadurch mathematisch messbar und – für den weiteren Verlauf des Rassendiskurses noch wichtiger – vergleichbar. Die modifizierte Fassung des Stirnmessers wurde im 19. Jahrhundert zu einem der Hauptinstrumente der Anthropometrie, Kriminalanthropologie und Rassenkunde und wohl zu Lavaters grösstem Vermächtnis. Selbst Lavaters stärkster zeitgenössischer Kritiker, der Göttinger Physiker Lichtenberg fand für die Erfindung des Instruments nur lobende Worte: „Der Stirnmesser... (...), überhaupt der Gedanke die Dimensionen der Stirne mit den Dimensionen der Fähigkeiten des Geistes genauer zu vergleichen als es das blosse Auge kann, (...) [ist] gewiss einer der besten Gedanken des Herrn Lavaters.“427 Trotzdem blieb das „Stirnmaass“ für die physiognomische Bestimmung bei Lavater von untergeordneter Rolle. Hauptquelle des Lavaterschen Wissens bildeten stattdessen Bildnisse wie Zeichnungen, Stiche, Risse, Miniaturen und Gemälde aus der mehr als 20›000 Bilder umfassenden Sammlung; das Frontalbildnis und den Profilriss stellten die bevorzugte Abbildung dar.428 In begrenztem Masse interessierte er sich auch für den Knochenbau und die Kopfform, verzichtete aber auf eigene anatomische Studien.429 Der Schädel bildete für Lavater das Fundament der 423 424 425 426
Kant, Anthropologie, S. 295 Ebd., S. 296. Lavater, Fragmente IV, S. 23. Martin weist darauf hin, dass bereits früher ein Zusammenhang zwischen Hirnvolumen, Kopfform und sittlich-intellektuellem Vermögen diskutiert wurde. Der Spanier Juan Huarte (1529– 1588) stellte 1575 erstmals in seinem Werk „Examen de ingenios para las ciencias“ diese Verbindung her, Lessing sollte das Werk 1752 unter dem Titel „Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften“ ins Deutsche übersetzen. Martin, Teufel, S. 270; Huarte, Examen. 427 Lichtenberg, Sudelbuch F 1063. Vgl. Arburg, Lavaters Physiognomik, S. 52ff. 428 Boehm, Porträtkunst, S. 21f. 429 Vgl. Lavater, Fragmente II, S. 137–163.
3.6 Rassische Vorurteile und Ästhetik
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Physiognomie, wobei er ein vermehrtes Studium zur Beförderung physiognomischer Kenntnisse begrüsste. Auch wenn der anatomische Exkurs – verfasst durch den zeitweiligen Mitarbeiter Johannes Wolfgang von Goethe – nur wenige Seiten umfasste, ist die Auseinandersetzung trotzdem von Bedeutung. Lavater nutzte die Beschäftigung mit der auf Blumenbach zurückgehenden Kraniologie430 als methodische Absicherung und begründete anhand der Schädelstudien, weshalb er sich auf die festen Teile des menschlichen Körpers konzentrierte.431 Ausserdem hoffte er, dass aufgrund seiner Ausführungen weitere kraniologische Studien angestellt würden.432 Im Rahmen des Exkurses beschrieb er auch drei Schädel von Ausseneuropäern – einem Holländer,433 Calmucken und Mohren (Äthiopier) – wobei er sich auf die Studie eines „Herrn von Fischer“434 stützte und diese auch kurz kommentierte. Dabei ging Lavater von dem Faktum aus, dass sich die Schädel unterschieden. Bemerkenswerterweise beschränkten sich seine Ausführungen hier auf äussere Merkmale, einen Rückschluss auf den Charakter oder eine Wertung fand nicht statt.435 Lavaters christlich geprägtes Weltbild spiegelte sich in seiner physiognomischen Betrachtungsweise wider. Ausgangspunkt bildete der Glaube, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen habe, wobei Jesus sein lebendigstes und vollkommenstes Abbild sei.436 Da Gott zwangsläufig schön war, war Schönheit ein sicheres Indiz für Gottesnähe. Daraus ergab sich ein Schönheitsideal, welches sich einerseits stark an den Jesusdarstellungen orientierte, da Jesus das vollkommenste Abbild Gottes war. Andererseits widerspiegelte sich in Lavaters Vorstellung des Schönen das antike Ideal, wie es Winckelmann aufgestellt hatte. Problematisch war dabei die Verbindung von moralischer und äusserer Schönheit, welche Lavater konstruierte: „Er [der Mensch] besteht aus Oberfläche und Inhalt. Etwas an ihm ist äusserlich, und etwas innerlich. Diess Auesserliche und Innere stehen offenbar in einem genauen unmittelbaren Zusammenhange. Das Aeusserliche ist nichts, als die Endung, die Gränzen des Innern – und das Innre eine unmittelbare Fortsetzung des Aeussern.“437
Das Gesicht wurde zum Spiegel der Seele, machte das Verborgene für jeden erkennbar.438 Schönheit war nicht mehr nur eine Eigenschaft, sondern das sichtbare Kennzeichen eines guten Charakters.439 Aus diesem Denken ergab sich die Konse430 431 432 433 434
435 436 437 438 439
Zur Kranilogie, vgl. Kapitel 3.8. Vgl. Arburg, Lavaters Physiognomik, S. 52f. Lavater, Fragmente II, S. 161. Hier handelte es sich um einen Bewohner Neuhollands. Es muss sich dabei um die Studie „Dissertatio osteologica de modo quo ossa vicinis se accomodant partibius“ von Johann Benjamin von Fischer (1720–1760) aus dem Jahre 1743 handeln. Diese wird von Sömmerring in der Übersetzung der Camperschen Studie ebenfalls aufgrund ihrer „herrlichen Abbildungen“ gerühmt. Vgl. Fischer, Dissertatio; Camper, Gesichtszüge, S. XIV, Anmerkung. Lavater, Fragmente II, S. 158–161. Vgl. Lavater, Aussichten, 16. Brief, S. 183. Lavater, Fragmente I, S. 33. Ebd., S. 44, 46. Weihe, Gesicht, S. 44.
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quenz, dass die Moral, der Charakter und die Intelligenz eines jeden Menschen anhand seiner Physiognomie abgelesen werden konnte. Je schöner das Antlitz, desto höher der moralische Stand. Unmoral und Hässlichkeit wiederum waren unausweichlich aneinander gekoppelt. Dies hatte für aussereuropäische Völker zur Konsequenz, dass sie nicht nur wie zuvor als äusserlich hässlich klassifiziert wurden, da sie nicht dem antiken Schönheitsideal entsprachen, sondern dass sich ihre moralische und geistige Minderwertigkeit anhand ihres äusseren Erscheinungsbildes begründen liess: „Es empöret sich in der That der menschliche Verstand gegen einen Menschen, der behaupten könnte, dass Leibnitz oder Newton in dem Körper eines Stupiden, eines Menschen aus dem Tollhause, der grosse Metaphysiker oder Mathematiker hätte seyn können, dass der eine von ihnen im Schädel eines Lappen die Theodicee erdacht, und der andere im Kopfe eines Mohren, dessen Nase aufgedrückt, dessen Augen zum Kopfe heraus ragen, dessen Lippen so aufgeworfen sind, kaum die Zähne bedecken der allenthalben fleischicht und rund ist, die Planeten gewogen, und den Lichtstrahl gespalten hätte.“440
Die stark deterministischen Züge der Lavaterschen Physiognomie offenbaren sich anhand des Zitats. Es war für Lavater alleine aufgrund der Physiognomie undenkbar, dass Schwarze die gleichen geistigen Leistungen erbringen konnten wie Weisse. Nicht mehr das Individuum stand im Fokus des Interessens. Vielmehr wurde der Einzelne zum Repräsentanten, zum exemplarischen Stellvertreter für ganze Völker und die Möglichkeit anhand somatischer Merkmale ein allgemeines Urteil über diese fällen zu können, wurde zu einem wesentlichen Kriterium der Unterscheidung zwischen Aussereuropäern und Europäern, ‚Wilden‘ und ‚Zivilisierten‘.441 Eine Entwicklung oder Veränderung war a priori ausgeschlossen, denn das Gesicht verriet den wahren und unveränderlichen Charakter eines jeden. Trotzdem muss Lavaters Rolle bei der Entwicklung eines rassistisch-ästhetischen Ideals insofern relativiert werden, als dass er die Frage nach einem Nationalcharakter weder systematisch behandelte, noch versuchte, anhand der Physiognomie einen hierarchischen Aufbau der einzelnen Völker zu propagieren. Faktisch nahmen Beschreibungen aussereuropäischer Völker eine untergeordnete Rolle in seinem Werk ein. Selbst im vierten Band seiner Fragmente, in welchem er sich mit einigen Nationalcharakteren beschäftigt, beschränken sich die skizzenhaften Ausführungen zu den Aussereuropäern auf wenige Seiten. So glaubte Lavater im Bild eines indischen Philosophen „Beschaulichkeit und Abergläubigkeit“442 zu erkennen. Eine Indianerin beschrieb er als „voll phlegmatischer Sinnlichkeit“,443 einen Schwarzen wiede440 Lavater, Physiognomie, S. 12f; 1775 sollte er seine Aussage noch einmal wiederholen. „Der gesunde Menschenverstand empört sich in der That gegen einen Menschen, der behaupten kann: dass Newton und Leibnitz allenfalls ausgesehen haben könnten, wie ein Mensch im Tollhause, der keinen festen Tritt, keinen beobachtenden Blick thun kann; und nicht vermögend ist, den gemeinsten abstrakten Satz zu begreifen, oder mit Verstand auszusprechen; dass der eine von ihnen im Schädel eines Lappen die Theodicee erdacht, und der andere im Kopfe eines Labradoriers, der weiter nicht, als auf sechse zählen kann, und was drüber geht, unzählbar nennt, die Planeten gewogen und den Lichstral gespalten hätte?“ Lavater, Fragmente I, S. 46. 441 Bindman, Ape, S. 12. 442 Lavater, Fragmente IV, S. 306. 443 Ebd., S. 308.
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rum charakterisierte er als von „scharfer Sinnlichket ohne Nachdenken, (...), Beschränktheit, Behaglichkeit“.444 Erneut offenbarte sich die starke Abneigung Lavaters gegenüber den Schwarzen, welche er folgendermassen typisierte: „Ein Mohr – (...); die Zerdrücktheit der Nase; besonders aber die so stark aufgeworfenen, vorhängenden, zähen Lippen; entfernt von aller Feinheit und Grazie – bezeichnen das Mohrische.“445 Ihm gegenüber stellte er einen Indianer aus Virginia: „Wie viel edler, gutherziger, empfindsamer, fein wollüstiger, als der Mohr!“.446 Die Anlehnung an das verklärende Bild des ‚edlen Wilden‘ ist deutlich zu erkennen. Das Profilbild eines Asiaten, „eines jungen Calmucken“, kommentierte er folgendermassen: „Die missproportionierte Breite des oberen Schädels, (...) und das beynah ungeheuer grosse Ohr sind alles charakterliche Züge einer Nation. Sonst ist dieser Junge von Bonhomie, Fertigkeit, Lebhaftigkeit und trug- und bosheitsloser Wildheit.“447 Insbesondere letzteres Beispiel zeigt, dass Lavater kaum Zweifel an einer Nationalphysiognomie hegte, die Auseinandersetzung mit ihr aber stets zweitrangig war und nie im Fokus seines Interessens stand. Während rassentheoretische Überlegungen und die Auseinandersetzung mit Nationalcharakteren eine sekundäre Rolle spielten, lassen sich bei Lavater erstmals an mehreren Stellen antijüdische Tendenzen belegen. Bereits im ersten Band der Fragmente hatte Lavater ein Judas- und ein Jesusbild von Holbein abgebildet, welches gemäss Weihe „die unterschwellige propagandistische anti-jüdische Tendenz“448 entlarvte. Während das Judas-Bild sowohl optisch, als auch in seiner Beschreibung antijüdischen Stereotypen entsprach, stellte Jesus seinen Antityp dar. Lavater erkannte in Judas‘ Physiognomie eine „abgehärtete, verjährte Bosheit“, er glaubte den „Ausdruck der Falschheit, und schmeichelden Schlauigkeit“ zu beobachten. Er sah einen Mann, der „auf die Tritte der wohltätigen Unschuld“ lauerte, der „mit schlauer Unruhe das Vorhaben seines Meisters“ ausforschte und von Geiz gezeichnet sei.449 Damit übertrug er jahrhundertealte Vorurteile gegenüber Juden auf Judas, während bei Jesus jegliche Verbindung zum Judentum verdrängt wurde.450 Für Lavater bestand kaum ein Zweifel, dass es ein typisch jüdisches – in seinen Augen negativ konnotiertes – Erscheinungsbild gebe. Umso schwerer fiel es Lavater, zu akzeptieren, dass Moses Mendelssohn, dessen Silhouette ihm „gar zu lieb“ erschien, jüdischen Glaubens war und zeitlebens die Konversion verweigerte.451 444 Ebd., S. 309. 445 Ebd., S. 311. Dieses generalisierende Zitat stellt die Aussage Salzwedels, dass für Lavater die „natürliche Vielfalt der Individuen, deren Einzigartigkeit“ bedeutender „als grobe Gruppenmerkmale“ gewesen sei, zumindest teilweise in Frage. Vgl. Salzwedel, Gesicht, S. 99. 446 Lavater, Fragmente IV, S. 311. 447 Ebd. 448 Weihe, Gesicht, S. 46. 449 Lavater, Fragmente I, S. 81. 450 Vgl. Weihe, Gesicht, S. 46. 451 Lavater, Fragmente I, S. 243f. 1769 forderte Lavater den jüdischen Philosophen und Aufklärer in der Widmung der von ihm übersetzten Apologie des Christentums von Charles Bonnet „Philosophische Untersuchung der Beweise für das Christentum“ öffentlich auf, Bonnets Beweisführung und somit die christliche Lehre entweder zu widerlegen oder zum Christentum zu
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Lavater war mit dem Rassendiskurs seiner Zeit bestens vertraut. Er zitierte aus Kants „sehr lesenswürdige(n)“452 Abhandlung „Von den verschiedenen Menschenrassen“, in welcher sich der Königsberger Philosoph mit den Auswirkungen des Klimas auf den Organismus und die Gesichtsbildung beschäftigt hatte.453 Des Weiteren veröffentlichte er einen Ausschnitt aus Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Alterthums“454 und aus Blumenbachs erster Auflage von „De generis humani varietate nativa“.455 Daneben veröffentlichte er ein Antwortschreiben von Camper456 an Lavater, den er zuvor gebeten hatte, die Grundlagen seiner (zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten) Studie über den Gesichtswinkel zu erläutern.457 Neben dem Abdruck einiger Ausschnitte aus ausgewählten Werken wandte sich Lavater auch mittels Lektüreempfehlungen direkt an seine Leser. Neben Buffons „Histoire naturelle“ empfahl er insbesondere Kants „Beobachtungen“.458 Die genannten Beispiele zeigen, dass Lavater sich aktiv um den Austausch mit frühen Rassentheoretikern bemühte. Zugleich trug er zu einer Popularisierung des Diskurses bei, indem er sich einerseits direkt mittels Lektüreempfehlung an seine zahlreichen Lesern wandte und andererseits Ausschnitte aus rassentheoretischen Schriften publizierte. Einer der wenigen Zeitgenossen, der erahnte, welche Konsequenzen sich aus der Lehre Lavaters ergaben und wie verhängnisvoll die Bewertung fremder Völker anhand eines christlich-abendländischen Wertemassstabes sein konnte, war der Göttinger Physiker Georg Christoph Lichtenberg.459 Bereits 1777 hatte er sich in einem privaten Brief, der ohne sein Wissen unter dem Titel „Fragment von Schwänzen“ publiziert wurde, über Lavaters Physiognomik lustig gemacht. In der satirischen Parodie, deren Aufmachung stark an die „Physiognomischen Fragmente“ erinnerte, lehnte er sich eng an das Vokabular Lavaters an, imitierte dessen schwärmerischen und belehrenden Ton. Indem er anhand von mehreren Schwänzen – unter anderem demjenigen eines Schweines, des Leibhundes von Heinrich VIII. und als Höhepunkt von Perückenträgern – Schlüsse auf deren Charaktere zog, gab er die Physiognomie Lavaters und insbesondere dessen Methodik der Lächerlichkeit
452 453 454 455 456 457 458 459
konvertieren. Damit brachte er Mendelssohn in eine äusserst schwierige Lage, da er entweder konvertieren oder die christliche Lehre öffentlich als falsch widerlegen musste. Lavaters Konversionsversuch wurde von vielen Aufklärern kritisiert. Der aus der Aufforderung resultierende Lavater-Mendelssohn-Streit von 1769/1770 ist u. a. detailliert nachzulesen in: Rawidowicz, Einleitung, S. XI-CV. Lavater, Fragmente IV, S. 275; zu Kant vgl. Kapitel 3.7. Lavater, Fragmente IV, S. 275ff. Ebd., S. 277ff. An einer anderen Stelle rühmte er Winckelmanns Studie als „vortrefflich“. Lavater Fragmente III, S. 49. Lavater, Fragmente IV, S. 279. Zu Camper vgl. Kapitel 3.6.1. Lavater, Fragmente IV, S. 281f. Ebd., S. 469. Zum Disput zwischen Lichtenberg und Lavater siehe auch: Schöne, Streit, S. 88–111; –111; 111; Lichtenberg war nicht der einzige, welcher der Physiognomie kritisch gegenüberstand. Seine Kritik wurde von vielen Aufklärern wie Buffon, Diderot und Hegel geteilt, keiner äusserte sich öffentlich aber derart kritisch wie er. Schmölers, Vorurteil, S. 30.
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preis.460 Ein Jahr später folgte die Veröffentlichung der Streitschrift „Über Physiognomie; Wieder die Physiognomen. Zur Beförderung der Menschenliebe und Menschenkenntnis.“ Bereits der Titel liess die enge Anlehnung an die Physiognomische Fragmente augenscheinlich werden und auch der Inhalt offenbarte die intensive Beschäftigung des Physikers mit Lavaters Lehre. Lichtenbergs Hauptkritik richtete sich weniger gegen die Physiognomie an sich, als gegen den Anspruch Lavaters, anhand des äusseren Erscheinungsbildes auf den Charakter eines Menschen schliessen zu können. In seinen Augen widersprach die Determiniertheit der Lavaterschen Physiognomik zutiefst den aufklärerischen Idealen der Freiheit und Autonomie eines jeden Bürgers.461 Er wehrte sich dagegen, dass „man Charaktere so berechnen [könne], wie Mortalität“462 und warnte davor, dass – wenn die Lehre Lavaters befolgt würde – „man die Kinder aufhängen [würde] ehe sie die Taten getan haben, die den Galgen verdienen“.463 Für Lichtenberg war das äusserliche Erscheinungsbild nicht ein Spiegel der Seele, sondern vielmehr ein Abbild des Lebens, geprägt durch das Schicksal, Klima, Krankheit und Nahrung.464 Dementsprechend energisch widersprach er der Gleichsetzung äusserer mit innerer Schönheit, denn es zeuge von „Unerfahrenheit, und antiquarische[r] Pedanterie, zu glauben, diese Schönheit sei das, was Winckelmann Schönheit nennt.“465 Diese harsche Kritik an dem klassischen antiken Schönheitsideal, wie es Winckelmann propagierte, widerspiegelte sich auch in der Auseinandersetzung mit der Physiognomie aussereuropäischer Völkern. Es entging Lichtenberg nicht, dass insbesondere der Schwarze, „dessen Profil man recht zum Ideal von Dummheit und Hartnäckigkeit“466 erkoren hatte, dem abendländisch-christlichen Idealbild niemals entsprechen konnte, was sich wiederum in einer negativen physiognomischen Beurteilung niederschlug. „Allein, ruft der Physiognome, Was? Newtons Seele sollte in dem Kopf eines Negers sitzen können? Eine Engels-Seele in einem scheusslichen Körper? (...) das ist unmöglich.“467 Getreu seiner eigenen Argumentation, dass das Leben ein Gesicht präge, argumentierte er, dass nicht die Hautfarbe und die Gesichtszüge entscheidend seien, sondern die Erziehung und das soziale Umfeld, denn „wenn sie [die Schwarzen] jung in gute Hände kommen, wo sie geachtet werden, wie Menschen, so werden sie auch Menschen.“468 Damit widersprach er der These von einer grundsätzlichen Verschiedenheit der Völker und zugleich denjenigen Stimmen, welche den Schwarzen das Menschsein an sich absprachen. Dialektisch geschickt und sich auf die Argumentation Lavaters stützend zeigte er zugleich auf, zu welchen Trugschlüssen dessen physiognomische Lehre zwangsläufig führen musste. Denn, wenn
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Lichtenberg, Fragment, S. 303–311. Lichtenberg, Über Physiognomik, S. 257f; vgl. auch Gray, Aufklärung, S. 173. Lichtenberg, Über Physiognomik, S. 268. Lichtenberg, Sudelbuch F 521. Lichtenberg, Über Physiognomik, S. 266. Ebd., S. 270. Ebd., S. 273. Ebd., S. 272. Lichtenberg, Über Physiognomik, S. 273.
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„der Mohr dumm und tückisch ist, so ist es der Deutsche ebenfalls, dessen Nase und Lippe sich der Lippe und Nase des Schwarzen nähern“.469 Lavater liess die Kritik Lichtenbergs nicht auf sich sitzen und setzte sich im vierten Band intensiv mit dessen Einwänden auseinander.470 Auffallend ist, mit welchem Geschick sich Lavater der Kritik seines „redlichen Gegners“471 bediente und sie schlussendlich für sich nutzbar machte. Dazu bildete er einen Schattenriss von einem Schwarzen ab und kommentierte ihn – in Anspielung auf Lichtenberg – mit den Worten: „Und wenn endlich dies Mohrenprofil, alle mögliche Bildung voraus gesetzt, je im Stande ist eine so feine und witzreiche Abhandlung über, für oder wider die Physiognomik zu schreiben, wie die, die wir vor uns haben, weg mit aller Physiognomik – wenigstens mit meiner –“472 Lavater war nicht der Einzige, welcher sich im ausgehenden 18. Jahrhundert mit der Physiognomie beschäftigte. 1776 publizierte der Benediktiner Anton Joseph Pernety sein dreibändiges Werk „De la Connaissance de l’homme moral par celle de l’homme physique“.473 Darin fasst er unter anderem die wichtigsten Kenntnisse über fremde Völker zusammen. Schmölers wertet seine Arbeit als Beweis dafür, dass die Physiognomie zum wichtigsten Bestandteil der Anthropologie geworden war,474 indem sie das Verhältnis zwischen körperlichem Ausdruck und seelischem Innern thematisierte.475 Während in den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts die Juden lange Zeit eine marginale Rolle spielten, lässt sich in der Physiognomie nicht nur bei Lavater ein Interesse an der „charakteristische[n] Physiognomik der Juden“476 beobachten. 1791 veröffentlichte der deutsche Philosoph Johann Christian August Grohmann mit seinem Buch „Ideen zu einer physiognomischen Anthropologie“ einen Versuch, die Anthropologie mittels physiognomischer Erkenntnisse zu erweitern. Während aussereuropäische Völker keine Erwähnung fanden, äusserte sich Grohmann auch zur typischen jüdischen Physiognomie. Ausgangspunkt seiner Ausführungen bildete der angebliche Fakt, dass die Juden von sanguinisch-phlegmatischem Temperament seien, was zu „gewölbten, geschweiften Nasen“ geführt habe.477 Neben den angeblich charakteristischen jüdischen Gesichtszügen glaubte Grohmann insbesondere im Ausdruck des Gesichts etwas typisch Jüdisches feststellen zu können: „Es 469 Lichtenberg, Über Physiognomik, S. 274; Lichtenbergr war nicht der einzige, welcher sich über das einseitige Bild des Schwarzen empörte. So stellte Friedrich Nicolai – der Lavater bereits im Streit mit Mendelssohn kritisiert hatte – in einem Brief an Johann Georg Zimmermann Lavaters eurozentrisches Schönheitsideal grundsätzlich in Frage und fügte an: „Herr L. wird doch nicht im Ernste glauben wollen, alle Neger wären furchtsame Schurken, weil Sie platte Nasen haben?“. Brief vom 15.4.1775 an Johann Georg Zimmermann von Friedrich Nicolai, zit. nach: Habersaat, Verteidigung, S. 87. 470 Vgl. dazu: Gray, Aufklärung, S. 174. 471 Lavater, Fragmente IV, S. 21. 472 Ebd., S. 21. 473 Pernety, Connaissance. 474 Schmölers, Vorurteil, S. 30. 475 Küuser, Physiognomik, S. 138. 476 Grohmann, Ideen, S. 157. 477 Ebd., S. 160.
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ist etwas weinerliches, melancholisches, klagendes, etwas herbes, wie es sich bey dem Geschmack saurer, unreifer Früchte auf dem Gesichte abmalt...“ Diese „eigene Tinktur von Charakteristik“ lasse sich, so Grohmann in Anspielung auf Mendelssohn, selbst an den Männern „die die Zierde unseres philosophischen Jahrhunderts waren“, beobachten.478 Im Blick der Juden wiederum glaubte er „nebst Mattigkeit zugleich Mistrauen, Furcht, Hinterlist“479 zu erkennen, auf ihren Lippen zeichne sich „eine süsse Weichheit und wollüstige Schlafheit“480 ab. Wie bereits bei Lavater lassen sich bei Grohmann bekannte antijüdische Topoi wie die angebliche Hinterlist und die Wollust der Juden feststellen, welche er als physiognomische Begebenheiten darstellte. Grohmanns Ausführungen sind im Kontext der vorliegenden Studie in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung. So zitierte er aus einem Brief von Camper, in welchem dieser gestand: „Fast zu meiner Schande muss ich Ihnen sagen, dass ich noch kein Judengesicht zeichnen konnte, ob sich gleich dessen Züge sehr auszeichnen.“481 Dieses Zitat stammte aus dem Brief von Camper an Lavater, welcher dieser im vierten Band seiner „Physiognomischen Fragmente“ abgedruckt hatte. Grohmann war somit sowohl mit dem Werk von Camper als auch mit demjenigen von Lavater vertraut. Des Weiteren stützte er sich bei seiner Behauptung, dass das angeblich typisch jüdische Erscheinungsbild von den Säften und den Temperamenten abhing, auf Blumenbachs Studie „De generis humani varietate nativa.“482 Dies belegt, dass Grohmann nicht nur die Entwicklungen auf dem Gebiet der Physiognomie aufmerksam verfolgt, sondern sich auch mit den zeitgenössischen rassentheoretischen Schriften auseinandergesetzt hatte. Die Ausführungen Grohmanns zu der angeblich charakteristischen jüdischen Physiognomie dürfen hingegen nur bedingt als Beweis für seine antijüdische Haltung gewertet werden. Trotzdem ist die Beobachtung, dass dieser wie selbstverständlich von einer typisch jüdischen Physiognomie ausging, interessant. Damit nimmt die Physiognomie, wie sie in der Aufklärungszeit praktiziert wurde, etwas vorweg, was sich sonst erst in den Rassentheorien des 19. Jahrhunderts feststellen lässt: Die Behandlung der Juden als eigenständiges Volk respektive später als ‚Rasse‘, mit typischen, angeblich objektiv feststellbaren Eigenschaften. Um 1800, als sich methodische Standards in der Wissenschaft durchzusetzen begannen, wurde die Physiognomie endgültig nicht mehr als wissenschaftliche Disziplin anerkannt. Doch auch wenn sich Lavaters Forderung der Wissenschaftlichkeit nicht verwirklichen liess, ging seine Lehre nicht in Vergessenheit. Insbesondere in der Literatur483 und in der bildenden Kunst schlug sich der Einfluss Lavaters nieder. Die Physiognomie wurde, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Übersetzungen und Auflagen seiner Schriften, popularisiert und zum Gemeingut der ame478 479 480 481 482
Ebd., S. 163f. Ebd., S. 164. Ebd. Ebd., S. 166, Vgl. Lavater, Fragmente IV, S. 283. Grohmann, Ideen, S. 165. Allerdings muss ihm hier ein Fehler unterlaufen sein, da er Blumenbachs Werk als „de gen. humani varietate nation.“ betitelte. 483 Das wohl bekannteste Beispiel ist Schillers „Die Räuber“. Schiller, Räuber.
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rikanischen und europäischen Kultur. Seine Beschreibungen inspirierten zahlreiche Dramatiker und Literaten bei der Darstellung ihrer Protagonisten. Am wichtigsten war jedoch der Fortbestand der Physiognomie Lavaters in wissenschaftlichen Kreisen. Die Verknüpfung rassischer und visueller Typologien mit der Kraniologie wurde zum Eckpfeiler des wissenschaftlichen Rassismus. Insbesondere in der Phrenologie Franz Joseph Galls,484 welche die Physiognomie endgültig als ‚wissenschaftliche Disziplin‘ ablöste, lässt sich der Einfluss Lavaters nachweisen. Lavaters „Stirnmaass“ in Verbindung mit der Kraniologie und der Phrenologie sollte bis weit ins 20. Jahrhundert den Glauben an die Messbarkeit rassischer Unterschiede beflügeln.485 Gerade in der Retroperspektive erscheint, so Weihe, Lavaters Stirnmaas „als Urgerät, von dem eine unheilvolle Entwicklung ausgehen sollte, wonach Schädelmessungen als objektive Daten für folgenschwere pseudowissenschaftliche Schlussfolgerungen herhalten müssen.“486 Aus dieser Perspektive war Lavater, dessen Gottesfurcht und religiöser Hintergrund nur schwer zur Aufklärungszeit passte, seiner Zeit – im negativen Sinne – weit voraus. Trotzdem ist Lavaters Bedeutung für die Entstehung des modernen Rassismus in der modernen Forschung nicht unumstritten. Ewen’s betonen, dass Lavaters Weltbild und somit auch seine Physiognomie geprägt war von der europäischen Kolonialpolitik und sich typische Vorurteile und Stereotypen wiederfinden lassen.487 Dem widerspricht Salzwedel insofern, als dass sich bei Lavater keinerlei „Hintergedanken“ feststellen lassen würden, da er weder den moralischen Wert eines jeden Volkes mass, noch Regeln für das Verhalten gegenüber Aussereuropäern formuliert hätte. Stattdessen lasse sich bei ihm lediglich die Widergabe von gängigen Klischees feststellen.488 Brittnacher hingegen sieht die Rolle Lavaters wesentlich kritischer. Er betont, dass Lavater nicht nur das Vorurteil der angeblichen Hässlichkeit des Schwarzen mittels seiner Physiognomie weiter zementierte, sondern zusätzlich auf weitere, bereits bestehende xenophobe Stereotypen zurückgriff.489 Der sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelnde ästhetische Diskurs übte einen massgeblichen Einfluss auf die Rassentheorien aus. So bildete Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Alterthums“ gemeinsam mit Kants „Beobachtungen“ einen der ersten Versuche, eine ästhetische Theorie auf der Basis von anthropologischen Überlegungen zu begründen.490 Insbesondere Winckelmanns Rolle bei der Rückbesinnung auf das antike Ideal ist hervorzuheben. Schönheit, welche er als undefinierbar begriff, wurde bei ihm zur zu einer ästhetischen Kategorie. Nicht zuletzt die Überzeugung, dass nur die Europäer fähig waren, das Schöne zu erkennen, führte zu einem deutlich eurozentrisch geprägten Schönheitsideal, das die aussereuropäischen Völkern, die dem Ideal von Harmonie und Gleich484 Schädellehre nach dem Wiener Mediziner Franz Joseph Gall; vgl. u. a. Küuser, Physiognomik, S. 131. 485 Bindman, Ape, S. 120–123; Arbug, Lavaters Physiognomik, S. 42, 55f. 486 Weihe, Gesicht und Maske, S. 40 487 Ewen/Ewen, Typen, S. 122. 488 Salzwedel, Gesicht, S. 98. 489 Brittnacher, Blick, S. 136. 490 Bindman, Ape, S. 81ff.
3.6 Rassische Vorurteile und Ästhetik
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mass – sei dies aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Gesichtszüge – nicht entsprachen, ausschloss. Der Trend zum Ausschluss der Aussereuropäer verstärkte sich in der Physiognomie nach Lavater. Die Absicht der Physiognomie, eine gemeinsame Identität herzustellen, verstärkte das Bewusstsein der Differenz zusätzlich. Gesteigert wurde die Ausgrenzung der Aussereuropäer durch die von Lavater postulierte Einheit von Körper und Geist, welche auf die Aufklärung zurückgeht. Die Übertragung ästhetisch-moralischer Kriterien und die Bewertung fremder Völker anhand eines christlich-abendländischen Moralverständnisses hatten fatale Folgen.491 Denn selbst wenn man sich in der Aufklärungszeit nicht auf ein gemeinsames, allgemein gültiges Schönheitsideal einigen konnte, entsprach der Europäer doch unbestreitbar dem Idealtypus. Der Afrikaner, der am stärksten von diesem Schönheitsideal abwich und dessen Physiognomie durchwegs als negativ befunden wurde, hatte am meisten unter dieser Entwicklung zu leiden. Schnittstelle zwischen Ästhetik und Kraniologie – Camper In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte der niederländische Anatom und Mediziner Petrus Camper (1722–1789) den Camperschen Gesichtswinkel, welcher Ästhetik und Kraniologie miteinander verband und zugleich den Glauben an die Messbarkeit rassischer Merkmale revolutionieren sollte. Basis seiner Arbeit bildeten die in seinem Medizinstudium an der Universität Leiden angeeigneten Fähigkeiten. Die medizinische Fakultät Leidens galt zu jener Zeit als eine der besten Europas und war herausragend in den sich rasch entwickelnden experimentellen Wissenschaften. Unter der Leitung des renommierten Anatomen Bernhard Siegfried Albinus lernte Camper, empirisch vorzugehen, wobei sich sein Interesse nicht ausschliesslich auf die Medizin beschränkte; schon früh setzte er sich intensiv mit der Kunst auseinander. 1744 beendete er sein Universitätsstudium mit einer doppelten Promotion in Philosophie und Medizin. Nach einer mehrmonatigen Reise nach England und Frankreich, wo er 1749 Buffon persönlich kennenlernte,492 übernahm er an der Universität Franeker den Lehrstuhl für Anatomie und Medizin. 1755 wechselte er an die Universität von Amsterdam; von 1763 bis zu seinem Rückzug aus dem universitären Leben im Jahre 1773 lehrte er an der Universität von Groningen theoretische Medizin, Anatomie und Botanik. Nach dem Tod seiner Frau 1776 begann Camper erneut, Europa zu bereisen. Auf diesen Reisen durch England, Frankreich und Deutschland traf sich Camper mit den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. In der Folge korrespondierte er mit zahlreichen jungen Wissenschaftlern wie Blumenbach, Georg Forster und dem späteren Übersetzer seiner Schriften Soemmerring und sein Renommee wuchs; Camper zeigte sich als äusserst gut ver491 Vgl. dazu Bitterli, Grundzüge, S. 356ff. 492 Die Verbindung zu Buffon sollte von Bestand sein. So planten Buffon und Camper auf Initiative von ersterem eine gemeinsame Studie über die Anatomie des Elefanten. Aufgrund des zunehmend schlechteren Gesundheitszustands Buffons kam es jedoch nie zu deren Realisierung und erst 1802 veröffentlichte Campers Sohn die Studie über den Elefanten postum. Meijer, Race, S. 16f.
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netzt, war Mitglied der wichtigsten wissenschaftlichen Gesellschaften und wurde als herausragender Wissenschaftler geschätzt.493 Campers Rolle in dem sich entwickelnden Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts ist zwiespältig. Dabei muss zwischen den von ihm verfassten Studien und deren Rezeption – zwischen Intention und Wirkung – differenziert werden muss. 1764 hielt er an der Universität von Groningen die Vorlesung „Redevoering over de oorsprong en de kleur der zwarten“ (Rede über den Ursprung und die Farbe der Schwarzen), welche vom erstaunlich modernen, vorurteilsfreien und humanistisch geprägten Weltbild Campers zeugt.494 Der Vortrag gleicht über weite Strecke einem eigentlichen Aufklärungstraktat, in welchem Camper versuchte, bestehende Vorurteile gegenüber aussereuropäischen Völkern, deren Ursprünge teilweise bis in die Antike reichten, zu widerlegen. Ausgangspunkt bildete sein Bekenntnis zum Monogenismus, zur gemeinsamen Abstammung aller Menschen von Adam, unabhängig von ihrer Hautfarbe.495 Die Weissen, so Camper seien „weisse Mohren, (...) Menschen in allem den Schwarzen ähnlich“, lediglich ihre Membran unterscheide sich von jener der Schwarzen.496 In einem zweiten Schritt rezipierte und kritisierte er zahlreiche Gelehrte, welche versucht hatten, bewusst eine Unterscheidung zwischen dem den Weissen und den aussereuropäischen Völkern – und insbesondere den Schwarzen – zu konstruieren. Antiken Autoritäten wie Herodot warf er vor „niederträchtig genug gewesen [zu sein], (...), zu sagen: „Alle Inder, (...), begehen den Beyschlaf öffentlich, wie das Vieh.““497 Um hinzuzufügen: „Wer siehet nicht, dass Herodot, durch Vorurtheile seiner Zeit verleitet, solche abscheuliche und zugleich falsche Gedanken gehegt habe.“498 Doch Campers Kritik galt nicht nur antiken Autoren, sondern auch zeitgenössischen anatomischen Studien, welche den Unterschied zwischen den Schwarzen und den Weissen ‚wissenschaftlich‘ belegen sollten.499 Dabei berief sich Camper auf seine eigenen Erfahrungen, namentlich auf die öffentliche Zergliederung eines schwarzen Jungen aus Angola im Jahr 1758. Bewusst verglich er die Ergebnisse der Obduktion mit der Studie Edward Tysons, um zu überprüfen, ob es, wie vielfach behauptet, tatsächlich eine Übereinstimmung zwischen dem Orang-Utan und dem Schwarzen gäbe. Genau diese Behauptung sah er widerlegt: „Ich muss bekennen nichts gefunden zu haben, welches mehrere Uebereinstimmungen mit diesem Thiere gehabt hätte, als mit einem weissen Menschen; im Gegentheil, war alles gleich.“500 Somit widersprach Camper öffentlich und in aller Deutlichkeit jenen Zeitgenossen, welche im Schwarzen den ‚missing link‘, ein Bindeglied zwischen dem Menschen und dem Affen, sahen. Camper besticht in der Rede durch seine Belesenheit. Sich auf Buffons „Histoire naturelle“ und Maupertuis „Vénus physique“ berufend – beide Studien stiessen 493 494 495 496 497 498 499 500
Bindman, Ape, S. 202; Visser, Zoological Work, S. 3–16. Camper, Ursprung, S. 24–49. Ebd., S. 26. Ebd., S. 46. Ebd., S. 27f. Ebd., S. 29. Ebd., S. 31f. Ebd., S. 33.
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auf seine Zustimmung – sprach auch er sich für die Klimatheorie aus.501 Doch im Gegensatz zu Buffon erachtete er die Hautfarbe nur noch als sekundäres Unterscheidungsmerkmal. Adam musste deshalb für Camper nicht mehr zwangsläufig weiss sein: „Lasst Adam schwarz, lasst ihn braun, schwarzbraun oder weiss erschaffen seyn, seine Nachkommen müssen nothwendig, so bald sie sich über den weiten Erdboden verbreiteten, je nachdem der Boden, die besondere Nahrung und die Krankheit verschieden waren, ihre Farbe und Bildung nach und nach verändert haben.“502 So weit wie Camper war bis anhin kein Kontinentaleuropäer gegangen. Lediglich der Engländer John Hunter, den Camper in seiner Rede ebenfalls erwähnte,503 und später James Cowles Prichard hatten die Möglichkeit der schwarzen Hautfarbe Adams in Betracht gezogen.504 Damit hatte Camper quasi nebenbei die Hautfarbe als bestimmendes Klassifikationsmerkmal zur Unterscheidung der verschiedenen menschlichen Phänotypen abgeschafft. An deren Stelle trat nun die anatomische Gesichtsbildung als dominierendes Unterscheidungsmerkmal. Hatte Buffon noch geglaubt, dass die breite Nase der Afrikaner durch deren Plattdrücken im Kindesalter verursacht wurde, sah Camper darin ein natürliches Merkmal eines jeden Schwarzen. Begründet sah er dies in der Gesichtsbildung der Schwarzen, in den hervorragenden Kinnbacken, welche die Nase von selbst stumpf und klein, die Lippen dafür dick erscheinen lasse, um den Mund bedecken zu können.505 Jahre später sollte er die Idee des Gesichtswinkels präzisieren und damit endgültig ein neues Klassifikationsmerkmal einführen, welches sich im 19. Jahrhundert zu einem unentbehrlichen Element der qualitativen Rassenhierarchie entwickelte.506 Es war nicht die Rede über den Ursprung der schwarzen Hautfarbe, welche Camper wissenschaftlichen Ruhm bescherte, sondern vielmehr seine Studie zu dem Gesichtswinkel, weshalb Camper auch weniger als Gegner rassischer Unterschiede, denn vielmehr als deren Verfechter in die Geschichtsbücher ging. Seit 1760 arbeitete Camper an der Entwicklung einer Methode, welche ihm die möglichst naturgetreue Abbildung von Menschen – und insbesondere Dunkelhäutigen – gestattete. Bereits in seiner Jugend hatte er feststellen müssen, dass der Schwarze in Gemälden nur unbefriedigend dargestellt wurde, da zwar die Hautfarbe der Realität entsprach, die Gesichtszüge hingegen diejenigen eines Europäers waren.507 Schnell wurde ihm bewusst, dass seine Studie, welche er 1770 erstmals anlässlich eines Vortrags an der Amsterdamer Zeichenakademie einer grösseren Öffentlichkeit präsentierte, weniger der Kunst diente, als für die Naturgeschichte von Bedeutung sein würde. Während die künstlerische Anwendung zunehmend in den Hintergrund rückte, betonte er stattdessen den wissenschaftlichen Nutzen seiner 501 Ebd., S. 38f, wie zuvor Buffon erwähnte er Linnés Beispiel der Hasen aus der „Fauna Suecia“, welche im Winter schneeweiss und im Sommer grau waren. Vgl. Ebd., S. 39. 502 Ebd., S. 48. 503 Ebd., S. 45. 504 Meijer, Race, S. 85. 505 Camper, Ursprung, S. 41, vgl. auch Camper, Unterschied, S. 8f, wo er explizit auf Buffon und Haller verwies, welche die eingedrückte Nase fälschlicherweise als selbstgemacht erachtet hatten. 506 Visser, Rezeption, S. 328f, 333. 507 Camper, Unterschied, S. VIIf.
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Schädelstudie.508 Grundlage seiner Untersuchung bildete eine, von Camper als mustergültig bezeichnete, kleine Sammlung von Schädeln, zu welcher Exemplare von Europäern, Afrikanern, Chinesen und Mongolen gehörten, während derjenige eines Amerikaners fehlte.509 Campers Schädelsammlung war die erste ihrer Art und stellte den Beginn eines neuen methodischen Zugangs zur Naturgeschichte dar.510 Mit Hilfe mathematisch feststellbarerer Unterschiede der Schädelform, die zugleich die Wissenschaftlichkeit der Untersuchung belegen sollte, konnte gemäss Camper zwischen den einzelnen ‚Menschenrassen‘ unterschieden werden. Damit grenzte er sich bewusst von früheren Rassentheorien ab, welche „die Völker (...) gerade so, wie die grossen festen Länder des Erdbodens, abgetheilt“ hatten.511 Stattdessen berechnete er unter anderem das Verhältnis der Grösse und Länge des Schädels, beachtete aber auch die Proportionen der Kopfgrösse zum Rest des Körpers sowie die Mundgrösse. Als ausschlaggebendes Kriterium zur Bestimmung erachtete er den Gesichtswinkel, der sich aus den Linien ergab, die horizontal vom Gehörgang hin zum unteren Teil der Nase und vertikal von der Stirn hin zum Oberkiefer gezogen wurden. Durch den direkten Vergleich der verschiedenen Schädel512 kam er zu folgender Beobachtung: „Man erkennt hieraus die zwei äussersten Gränzen der Gesichtslinie von 70 bis zu 100 Graden: vom Neger bis zur erhabensten Griechischen Antike! Man verkleinere den Winkel von 70 Graden, so erhält man einen Orang Utang, einen Affen; geht man noch weiter, einen Hund; endlich einen Vogel, eine Schnepfe, deren Gesichtslinie sich der Horizontallinie hinlänglich nähert.“513
Auch wenn Camper nicht explizit eine Hierarchie postulierte, so lässt die Formulierung „vom Neger bis zur erhabensten Griechischen Antike“ durchaus diese Interpretation zu, da der Schwarze als Gegenpol des griechischen Idealbilds verstanden werden konnte. Damit entwarf Camper – wahrscheinlich unbeabsichtigt – eine Werteskala der Schönheit, an deren beiden Extrempunkten sich die antike Statue des Apollo und der Schwarzafrikaner gegenüberstanden. Den Gesichtswinkel des Europäers legte er auf 80 Grad fest, womit dieser dem antiken Schönheitsideal deutlich näher kam als der Afrikaner, der einen Gesichtswinkel von 70 Grad aufwies und sich folglich dem Affen annäherte, da jeder Winkel, der sich weniger als 70 Grad neigte, von Camper als dem Primaten ähnlich bezeichnet wurde.514 Dass Camper aufgrund seines Gesichtswinkels lange Zeit als derjenige wahrgenommen wurde, welcher den Schwarzen als Bindeglied zwischen Mensch und Affe verortete, vermag wenig zu erstaunen. Genährt wird diese Auffassung noch zusätzlich dadurch, dass Camper auch beim „Kalmukken“ einen Gesichtswinkel von 70 Grad ausmachte.515 Auf allen Zeichnungen platzierte er den Schwarzen und nicht 508 Visser; Rezeption, S. 325–336; Camper, Unterschied, S. XIVf, 7. 509 Insgesamt besass Camper Schädel aus acht verschiedenen Ländern. Camper, Unterschied, S. XIIIf, 7. 510 Dietz/Nutz, Naturgeschichte, S. 55. 511 Camper, Unterschied, S. 2. 512 Siehe Abbildungen 2 und 3 im Anhang. 513 Ebd., S. 22. 514 Ebd., S. 21. 515 Ebd., S. 18–21.
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den Asiaten neben dem Affen. Ob er damit – im Sinne seiner Interpreten – eine Verwandtschaft zwischen Schwarzen und Affen andeuten wollte, kann nicht mehr eruiert werden. Hinzu kam, dass Camper ein fundamentaler Fehler unterlaufen war. Bei der Frontalansicht des Apollos von Belvedere hatte Camper nicht nur dessen Schädel, sondern zusätzlich die aufgetürmten Haare miteinberechnet. Dies führte dazu, dass er ihm einen unnatürlichen Winkel von 100 Grad zuschrieb, was den Unterschied zum Schwarzen noch frappanter erscheinen liess.516 Während der Gesichtswinkel als neue Messmethode auf eine breite Rezeption stiess und die rassischen Unterschiede mathematisch belegbar machen sollte, wurden Campers relativierenden Aussagen, welche sich selbst in jener Studie finden lassen, weitgehend ignoriert.517 So war sich Camper durchaus bewusst, dass Schönheit rein subjektiv war, denn „alles, was die so genannte Schönheit der Form betrifft, hängt lediglich von Convention, Gewohnheit und Autorität ab.“518 Camper selbst hatte sich 1774 dagegen verwahrt, anhand der verschiedenen Gesichtszügen Rückschlüsse auf die Schönheit zu ziehen: „Aus dieser Verschiedenheit [der Gesichtszüge von verschiedenen Völkern] erhellt, dass es in den Menschen keine durch Regeln bestimmbare Schönheit der Form, keine Schönheit giebt, die aus einer beständigen Proportion der Theile abgeleitet werden kann; sondern, dass die Schönheit erstlich von der Gewohnheit abhängt, die von den ersten Kinderjahren ihren Anfang genommen hat, und mit der Zeit unvertilgbar eingewurzelt ist. Zweitens, von der Autorität derer, die man, weil man ihnen grössere Kenntnisse zutrauet, auch für die gültigsten Richter der Schönheit hält. Drittens endlich, von der Sitte und Mode jedes Landes.“519
Mit Bezug auf Winckelmanns betonte Camper, dass das antike Schönheitsideal „nicht in der Natur, sondern idealisch“520 sei, womit er sich bewusst abgrenzte. Camper vorzuwerfen, dass er mit dem Gesichtswinkel bewusst eine Skala zur Messbarkeit der Schönheit konstruiert hat, ist deshalb nur bedingt haltbar. Ähnliches gilt für den Vorwurf, er hätte den Schwarzen bewusst als ‚missing link‘ zwischen Mensch und Affe positioniert. Nachweisbar ist, dass Camper zeitlebens überzeugter Monogenist war, denn „niemand, der ohne Vorurtheile das ganze über den Erdboden verbreitete Menschengeschlecht betrachtet, zweifelt, dass es aus einem einzigen vom göttlichen Schöpfer Himmels und der Erde unmittelbar gebildeten Menschenpaar“ abstamme.521 Für ihn war die Hautfarbe, welche Veränderungen unterworfen war, kein Argument für einen polygenen Ursprung der Menschheit.522 Aus diesem Grund sprach er sich auch gegen die Theorie aus, dass es sich bei den Afrikanern um eine Mischung aus Mensch und Menschenaffe handle. Selbst wenn 516 Vgl. Becker, Gene, S. 167; Hund, Körper, S. 19. 517 Meijer macht darauf aufmerksam, dass selbst in der modernen Forschung Camper lange Zeit auf die Entwicklung seiner Messmethode reduziert wurde und er als derjenige galt, welcher den Schwarzen zum Bindeglied zwischen Mensch und Affe gemacht hatte. Damit, so Meijer, hätten die Wissenschaftler unbewusst die Rezeption aus dem 19. Jahrhundert übernommen. Meijer, Race, S. 2f. 518 Camper, Schönheit, S. 86. 519 Ebd., S. 77f. 520 Ebd., S. 63. 521 Camper, Unterschied, S. 3. 522 Ebd., S. 3f.
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er den Afrikaner im Vergleich zum Europäer als weniger schön empfand und auf seine Ähnlichkeit mit dem Affen hinwies, diente ihm dies nicht als Beweis für seine Inferiorität.523 Wie bereits in dem sich entwickelnden ästhetischen Diskurs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt sich auch bei Camper ein Interesse an einer von ihm als gegeben erachteten typisch jüdischen Physiognomik beobachten. In dem bereits zitierten Brief an Lavater, zeigte er sich von der Existenz typisch jüdischer Gesichtszüge überzeugt.524 In seinem Vortrag über den Gesichtswinkel bestärkte er diese Ansicht nochmals, denn es gäbe „keine Nation, welche sich so sehr unterscheidet, wie die Juden: Männer, Frauen, Kinder, selbst wenn sie eben geboren sind, haben das Kennzeichen ihrer Abkunft.“525 In dreierlei Hinsicht ist diese Aussage bemerkenswert. Erstens stützt sie die These, dass die Juden im ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmend als eigenständige Gruppe erachtet wurden, während sie in den früheren Rassentheorien noch als den weissen Europäern zugehörig bezeichnet wurden. Zweitens sprach Camper bereits von einer Nation, mit einem Terminus, welcher gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend aufkam.526 Drittens ging auch Camper – vergleichbar mit Lavater – wie selbstverständlich davon aus, dass es ein typisch jüdisches Aussehen gäbe, dass sich Juden von anderen Menschen und insbesondere von Europäern somatisch unterscheiden würden. Somit lässt sich hier ein schleichender Prozess der Exklusion beobachten; die Juden wurden zunehmend nicht mehr zu den ‚Weissen‘ gezählt. Camper war nicht der erste Gelehrte, welcher sich mit Gesichtswinkeln befasste.527 Von seinen Vorgängern hob er sich aber insofern ab, als dass er erstmals die Verhältnisse detailliert studierte und die rassischen Unterschiede auf einen be523 524 525 526 527
Visser, Rezeption, S. 326, vgl. Camper, Ursprung. Lavater, Fragmente IV, S. 283. Camper, Unterschied, S. 7. Zur Genese des Nationenbegriffs vgl. insbesondere Koselleck, Volk, S. 141–431. Bereits in der Antike hatte Herodot bemerkt, dass es Schädel ohne Strukturen gebe und dass die persischen Schädel schmaler seien als die ägyptischen. Galenus hatte eine auf der Sezierung von Tieren basierende Theorie über anormale Schädelformen entworfen. Vgl. Meijer, Race, S. 101, Galenus, De usu partium IX, Cap. 9. In der Renaissance befassten sich mehrere Gelehrte mit verschiedenen Schädelformen. Vesalius glaubte festzustellen, dass die Form je nach Volk variiere. Vgl. Meijer, Race, S. 101, Vesalius, De humani. Daneben befassten sich auch der Engländer Thomas Browne und der deutsche Physiker Johann Sigismund Elsholtz mit Schädeln. Vgl. Meijer, Race, S. 102, Browne, Thomas: Hydriotaphia; Elsholtz, Anthropometria. Im Gegensatz zu Albrecht Dürer erwähnte Camper die genannten Gelehrten nicht, weshalb unklar ist, ob sie Camper überhaupt bekannt waren. Dürer war der erste Künstler der Renaissance, welcher sich für die Schäder verschiedener Völker interessierte. Er sprach ebenfalls vom Gesichtswinkel, zog diesen aber vom Vorderkopf hin zur Nase. Von besonderem Interesse ist dabei das Profil eines Schwarzen, welcher ‚typische‘ rassische Merkmale wie eine schwulstige Lippe vorweist. Vgl. Dürer, Proportionen, s.p.; Meijer, Race, S. 102ff. Der Franzose Daubenton Louis Jean Marie, der bereits zu Buffons „Histoire naturelle“ anatomische Beiträge geliefert hatte, präsentierte 1764 eine Studie, in welcher er die Position des Hinterkopfes und des Neigungswinkels diskutierte. Camper sollte ihn später dafür kritisieren, dass er lediglich den Schädel eines Kindes als Repräsentanten für den Menschen verwendet hat. Vgl. Meijer, Race, S. 49; Daubenton, Mémoire, S. 568–579.
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stimmten Winkel reduzierte.528 Der Campersche Gesichtswinkel stiess auf ein breites Interesse unter den frühen Anthropologen, bot er doch erstmals die Gelegenheit, mittels scheinbar objektiv messbaren Kriterien die rassischen Unterschiede nachzuweisen. Bereits vor der postumen Veröffentlichung der Studie im Jahr 1792 waren deren Ergebnisse in den wissenschaftlichen Kreisen bekannt und wurden breit rezipiert. So erwähnte Lavater den Camperschen Gesichtswinkel bereits 1778, Soemmerring ging 1784 in seiner Studie eingehend auf die Gesichtslinie ein, wobei er bedauerte, dass die Studie nur in gekürzter Form erhältlich sei.529 Auch Charles White nutzte den Gesichtswinkel, um den Übergang vom Affen hin zum Afrikaner über den Amerikaner und Asiaten bis zum Europäer aufzuzeichnen.530 Der Gesichtswinkel entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem unentbehrlichen Element der qualitativen Rassenhierarchie.531 Einer der wenigen Kritiker des Camperschen Gesichtswinkels war der Göttinger Naturwissenschaftler und Anatom Blumenbach. Er bemängelte insbesondere die Fokussierung auf den Gesichtswinkel als alleiniges Merkmal der Rassenunterscheidung und zeigte auf, dass längst nicht alle Varietäten einen differierenden Gesichtswinkel aufweisen würden, während es innerhalb einer Varietät durchaus Unterschiede gäbe.532 Doch genauso wie Soemmerring und auch White liess auch er sich von Campers Methodik des direkten Vergleichs der Schädel beeinflussen, wobei er die Kriterien zur rassischen Bestimmung erweiterte. Camper beeinflusste nicht nur nachfolgende Generationen von Gelehrten, welche sich methodisch an ihn anlehnten und denen seine vergleichend angelegte Gesichtswinkelstudie als Inspiration für eigene Untersuchungen diente. Vielmehr rezipierte er auch frühere rassentheoretische Studien und zeigte, dass er sich in diesem Diskurs bestens auskannte. Seine Studie über den Ursprung der Hautfarbe stellte einen eigentlichen Forschungsabriss dar. Er zitierte sowohl antike Gelehrte als auch zeitgenössische Anatomen, welche sich mit der Hautfarbe des Schwarzen befasst hatten. Darunter befanden sich Koryphäen wie Edward Tyson, der als erster die Anatomie des Affen mit derjenigen des Menschen verglichen hatte.533 Die Studie belegt ausserdem, dass sich Camper sowohl mit Maupertuis, dessen „Vénus physique“ er als „witzig“ bezeichnete, wie auch mit der „Histoire naturelle“ des „berühmte(n) und scharfsinnige(n) Buffon, dem grössten Naturkundige(n) unseres Jahrhunderts“ auseinandergesetzt hatte.534 Auch Buffons Klimatheorie diente ihm
528 Meijer, Race, S. 104. 529 Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 7f. Soemmerring bezog sich auf die bereits 1782 in einer gekürzten Fassung publizierte Studie. 530 Vgl. Lavater, Fragmente IV, S. 281ff; White, Account. 531 Visser, Rezeption, S. 328f, 333. 532 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 145ff; zu Blumenbach siehe Kapitel 3.8. Meijer macht geltend, dass obwohl Blumenbach den Camperschen Gesichtswinkel ablehnte, er sich doch von diesem beeinflusst zeigte. Dies lasse sich anhand des Fakts belegen, dass Blumenbach ebenfalls vergleichende Studien zur Schädelformen anstellte, was methodisch auf den Camperschen Gesichtswinkel zurückgehe. Meijer, Race, S. 171. 533 Camper, Ursprung, S. 34. 534 Ebd., S. 37.
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zur Begründung der Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Varietäten,535 weshalb es kaum verwundern mag, dass er ihn neben Bernhard Siegfried Albinus, Alexis Littre, Maupertuis und Claude-Nicolas Le Cat seinen Lesern explizit zur Lektüre empfahl.536 Doch die Beziehungen zu anderen Wissenschaftlern waren nicht nur freundschaftlich und wohlwollend.537 Teilweise herrschte ein regelrechter Konkurrenzkampf. So befürchtete Camper, dass der englische Chirurg John Hunter die Entdeckung des Gesichtswinkels für sich beanspruchen würde.538 Ebenfalls bestens vertraut war er mit dem Werk Winckelmanns, welchen er zur Bestätigung seiner Ergebnisse heranzog, aber auch kritisierte.539 Lavaters „Über die Physiognomie“ hingegen konnte er wenig abgewinnen, auch wenn er ein Exemplar des Werks besass.540 In seinem Tagebuch vermerkte er nach einem Treffen mit De Pauw, dass dieser mit ihm übereinstimme und das Werk als „unreadable“ empfinde, was zumindest belegt, dass über Lavaters Physiognomie auch ausserhalb des deutschen Sprachraums diskutiert wurde.541 Bei Camper lässt sich erstmals die Entstehung eines wissenschaftlichen Netzwerks beobachten.542 Auf seinen Reisen durch Europa lernte er zahlreiche Gelehrte kennen, mit welchen er anschliessend korrespondierte. Bereits erwähnt wurde der Austausch mit Buffon, den er 1749 in Paris kennenlernte und mit dem er bis zu dessen Tod in Kontakt stand.543 Anlässlich eines Vortrags über die Analogien der Gesichtslinien zwischen Menschen, Vierfüsslern, Vögeln und Fischen an der Universität Göttingen im Jahre 1779 lernte Camper ausserdem Blumenbach, Soemmerring und Lichtenberg persönlich kennen.544 Aus diesem Treffen ging ein Briefverkehr mit Blumenbach und Soemmerring hervor,545 mit welchen er genauso in schriftlichem Kontakt stand wie mit Diderot, dem Präsidenten der Royal Society Joseph Banks, Georg Forster und dem Aufklärer Friedrich Nicolai,546 welcher seinerzeit in dem Lavater-Mendelsohn-Streit Position für Mendelsohn bezogen hatte.
535 Ebd., S. 38; Camper, Unterschied, S. 15. 536 Camper, Ursprung, S. 48f. 537 Gemäss einem Brief von Georg Forster, welcher den Niederländer zu diesem Zeitpunkt noch nicht persönlich kannte, genoss Camper den Ruf eines ausgezeichneten Rhetorikers und unvergleichlichen Zeichners und war bekannt für seine Verdienste auf dem Gebiet der Anatomie. Persönlich galt er jedoch als schwierig, Forster erwähnte insbesondere seinen Hochmut und seinen Stolz sowie die Anfälligkeit gegenüber schmeichlerischen Komplimenten. Forster, Brief 74 an Virginia Viktoria Forster, 13. November 1778, in: Forster, AA 13. 538 Camper, Reisejournalen, Cahier 12, S. 181, nach: Meijer, Race, S. 115. 539 Bspw. Camper, Unterschied, S. 63; Camper, Ausdruck, S. 57f; Camper, Schönheit, S. 63. 540 Meijer, Race, S. 121. 541 Camper, Reisjournalen, Cahier 6, S. 18, zit. nach Meijer, Race, S. 121. 542 Aufgrund mangelhafter Kenntnisse des Niederländischen wird an dieser Stelle primär auf die Sekundärliteratur Bezug genommen. 543 Meijer, Race, S. 16f. 544 Vgl. From Pieter Camper’s travel diary. Göttingen 12–16 –16 16 October 1779, in: Blumenbach, Correspondence I, S. 179–186. 545 Vgl. Dietz/Nutz, Naturgeschichte, S. 57f; Bindman, Ape, S. 202. 546 Meijer, Race, S. 21.
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Campers Rolle im sich entwickelnden Rassendiskurs wird von der Forschung kontrovers diskutiert. Gerade die ältere Forschung hat lange Zeit betont, dass es Camper gewesen sei, welcher eine neue Messmethode eingeführt und den Schwarzen als ‚missing link‘ positioniert habe.547 Schmölers geht gar so weit, dass sie Camper dafür verantwortlich macht, die „anatomische Obsession der Schädelkundler“ eingeleitet zu haben.548 In letzter Zeit wurde jedoch versucht, dieses äusserst negative Bild Campers zu korrigieren. Insbesondere Meijer macht darauf aufmerksam, dass die Forschung die Rezeption des 19. Jahrhunderts kritiklos übernommen habe. Für Meijer war Camper kein Rassist, sondern ein Befürworter rassischer Gleichheit, den Gesichtswinkel erachtet sie primär als erklärendes Instrument physischer Unterschiede.549 Becker versucht, einen Mittelweg zwischen den beiden divergierenden Forschungsmeinungen zu finden und betont, dass es Camper war, der als erster die Schwarzen mit schwarzen Gesichtszügen wiedergab. Im Gegensatz zu Winkelmann sei es Camper nicht mehr darum gegangen, den perfekten Menschen, das Idealbild, zu zeichnen. Vielmehr habe er versucht, individuelle Unterschiede darzustellen. Zwar fehle bei Camper ein rassistisches Element im eigentlichen Sinne, doch – und hier differenziert Becker – weise sein Studie zum Gesichtswinkel unterschwellig klar diskriminierende Züge auf, da jeder humanistisch gebildete Beobachter genau gewusst hätte, wie Apollo, der Gott der Weisheit, einzuordnen sei.550 Auch die Ewens heben hervor, dass sich Camper „en passant“ vom „unscharfen Kriterium der Hautfarbe“ verabschiedet habe. Indem er diese durch den angeblich messbaren Gesichtswinkel ersetzte, habe er massgeblich dazu beigetragen, dass Unterschiede zwischen den menschlichen Varietäten numerisch und präzise ermittelbar wurden.551 Damit vertreten sie eine ähnliche Sichtweise wie Bindman. Auch er betont, dass Camper den Überlegenheitsanspruch der Weissen negierte, rechnet ihm aber eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus zu.552 Campers Schaffen ist durchzogen von Widersprüchen. Insbesondere in der Schrift „Redevoering over de oorsprong en de kleur der zwarten“ zeigte er sich als äusserst modern denkender aufgeklärter Wissenschaftler, welcher seiner Zeit weit voraus war. Wie er die angebliche Differenz zwischen Schwarzen und Weissen widerlegte und ihre Gleichheit offen postulierte, vermag bis heute zu überzeugen. Insbesondere der Fakt, dass er die Anatomie des Schwarzen mit dem Affen verglich und keine grössere Übereinstimmung mit diesem gefunden hatte als jene, welche auch die Weissen untereinander aufwiesen, widerlegt den Vorwurf, Camper habe bewusst den Schwarzen in die Nähe des Affen gestellt. Die Schrift ist ein kompro547 548 549 550
Ebd., S. 2f. Schmölers, Vorurteil, S. 29. Meijer, Race, S. 2f, 179, 182. Becker, Mann, S. 24, 45ff. Dies ist insofern eine Relativierung, als dass Becker vier Jahr zuvor in einem Aufsatz noch vom Gesichtswinkel als „versteckte(n) Rahmen einer Rassendiskriminierung durch Intelligenzvermessung“ gesprochen hat, welcher die Pole von Natur und Kultur, Schwarz und Weiss festlegte. Becker, Gene, S. 166f. 551 Ewen/Ewen, Typen, S. 151. 552 Bindman, Ape, S. 201f.
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missloses Traktat gegen die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe. Trotzdem kann die Rolle Campers im sich entwickelnden Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts nicht marginalisiert werden, beruht sein Ruhm doch primär auf der Erfindung des Gesichtswinkels. Zwar lassen sich selbst in seiner wohl berühmtesten Schrift über die Unterschiede zwischen den Gesichtswinkeln zahlreiche Belege finden, welche den Vorwurf abschwächen, dass Camper den Schwarzen als ‚missing link‘ zwischen Affen und Weissen erachtet und zugleich eine rassische Hierarchie postuliert habe. Doch es war Camper, welcher sich von der Hautfarbe als Unterscheidungskriterium verabschiedete und stattdessen den Gesichtswinkel als Klassifikationsmittel einführte. Er war der erste, welcher scheinbar sichere Kriterien bei der Quantifizierung des Gesichtswinkels bereitstellte und damit nachhaltig zu einer als wissenschaftlich erachteten Mathematisierung rassischer Unterschiede beitrug. Damit sollte er zahlreiche ihm folgende Rassentheoretiker nachhaltig beeinflussen. Die eigentliche Problematik liegt vielleicht weniger bei Camper als in seiner Rezeption. In der alleinigen Konzentration auf den Gesichtswinkel, der damit verbundenen Missachtung der humanistischen Elemente seiner Schriften und der Ignoranz seiner mässigenden und relativierenden Aussagen liegt die Tragik Campers. 3.7 DIE VERWISSENSCHAFTLICHUNG DES RASSENBEGRIFFS – KANT In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte der Rassendiskurs den deutschen Sprachraum. Diese Entwicklung war eng mit Göttingen, das zu einem Zentrum der Völkerkunde avancierte, sowie der Person Immanuel Kants (1724–1804) verbunden, der dem Rassenterminus zur wissenschaftlichen Brauchbarkeit verhalf. Der Königsberger Philosoph, dessen Schaffen von fundamentaler Bedeutung für die Philosophie und das moderne Denken war, wuchs in einfachen Verhältnissen in einer pietistisch geprägten Umgebung auf. Sein Elternhaus prägte ihn massgeblich und trotz aller Kritik am Pietismus553 fühlte er sich ihm zeitlebens verbunden. 1740 trat er in die Universität Königsberg ein, um sich primär der Mathematik, Philosophie und den lateinischen Klassikern zu widmen. Nach seiner Habilitation im Jahre 1755 war er als Privatdozent an der Universität tätig, wo er Vorlesungen zur Logik, Metaphysik, Ethik, Mathematik, theoretischer Physik, physische Geographie und später auch Naturrecht, philosophische Enzyklopädie, Anthropologie und Pädagogik gab.554 Trotz seiner wissenschaftlichen Leistungen und der grossen Beliebtheit, welcher er sich von Seiten der Studenten erfreute, wurde er erst 1770 zum Professor für Logik und Metaphysik an der Universität Königsberg ernannt.555 Kant war der Prototyp eines Stubengelehrten; lediglich einmal verliess er seine Heimatstadt Königsberg, um eine kurze Seereise ins benachbarte Pillau anzutreten.556 Angesichts mangelnder empirischer Erfahrung bildeten die Berichte von 553 Mosse erachtet den Pietismus und dessen Moralvorstellungen neben der Aufklärung als prägend für die Entwicklung des Rassismus im 18. Jahrhundert. Vgl. Mosse, Rassismus, S. 28f. 554 Hinske, Kant, S. 110–113. 555 Ebd., S. 115f. 556 Lepenies, Autoren, S. 142f.
3.7 Die Verwissenschaftlichung des Rassenbegriffs – Kant
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Forschungsreisenden, Missionaren, Siedlern und Kaufleuten aus Übersee sowie die Schriften anderer frühen Rassentheoretiker die Hauptquelle des rassentheoretischen Wissens Kants. Dabei zeigte er sich nicht zuletzt wegen seinen zwischen 1756 und 1796 jährlich gehaltenen Vorlesungen zur physischen Geographie sowie zur Anthropologie als profunder Kenner der Reiseliteratur, mit welcher er sich gemäss eigener Aussage intensiv auseinandersetzte und die er systematisch auswertete.557 Kant bemängelte insbesondere die fehlende historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Reiseliteratur. Die Unmenge an Reiseberichten und Völkerbeschreibungen würde dazu führen, dass faktisch jede These mittels Rückgriff auf die entsprechenden Werke verifiziert werden könne, anstatt dass die Berichte sorgfältig abgewogen und einander gegenübergestellt würden.558 Zwar zeigte er sich durchaus kritisch gegenüber den Berichten und hinterfragte diese auch gelegentlich, da sie jedoch die alleinige Basis seines Wissens bildeten, lassen sich oftmals bekannte Stereotypen in seinen Schriften wiederfinden.559 Kants Interesse zeigte sich erstmals in dem 1764 veröffentlichten Essay „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“, welche als erste ästhetische Schrift überhaupt Ideen der menschlichen Varietäten berücksichtigte.560 In der ab 1765 jährlich gehaltenen Vorlesung über die „Physische Geographie“, in der er sich erstmals systematisch mit den Bewohnern der einzelnen Kontinente auseinandersetzte, lässt sich ansatzweise die Skizzierung einer noch sehr schemenhaften, wenig durchdachten Rassentheorie erkennen. Bei den Beschreibungen der einzelnen Völker ging Kant – ähnlich wie Buffon knapp zwei Jahrzehnte zuvor – geographisch vor. Erster Orientierungspunkt boten die einzelnen Kontinente, um dann regional oder länderspezifisch Sitten und Charakter, die Esskultur, die Religion sowie spezifische Eigenschaften der jeweiligen Bewohner zu nennen. Allerdings waren die Ausführungen nicht rein deskriptiver Natur, sondern beinhalteten oftmals ein klares Werturteil. Beispielhaft ist die Beschreibung der Georgier, welche Kant beschuldigte, „schlechte Christen, unkeusch, diebisch, dem Trunke ergeben“561 zu sein. Unübersehbar war der Einfluss der Reiseliteratur, auf welche Kant gelegentlich explizit verwies und was sich insbesondere in der Wiedergabe bekannter Stereotypen manifestierte. Während Kant nicht an die Existenz des patagonischen Riesen glaubte, war er überzeugt, dass die Hottentotten ein natürliches Leder am Schambein aufweisen würden.562 Auch ihr angeblicher Kannibalismus wurde von Kant bestätigt, wenn er beispielsweise die „Wilden“ Paraguays als „gefährliche Menschenfresser“ titulierte.563 Kant beschränkte sich nicht auf eine subjektive, sich auf die Reiseliteratur stützende Beschreibung der einzelnen Völker. Vielmehr verband er seine klar ethno-
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Kant, Entwurf, S. 4; Kant, Anthropologie, S. 120. Kant, Ideen, S. 154. McCarthy, Philosophie, S. 631f. Bindman, Ape, S. 78. Kant, Geographie, S. 406. Ebd., S. 315–318, 428. Ebd., S. 431.
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zentrische Sichtweise mit einer wenig impliziten Hierarchie der Racen – ein Begriff, den Kant erstmals verwendete: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.“564
Die Klassifikation in „Weisse“, „gelbe Indianer“, „Neger“ und „amerikanische Völkerschaften“ war noch wenig durchdacht und stringent, das Kriterium der geographischen Herkunft vermischte sich mit demjenigen der Hautfarbe. Unübersehbar ist hingegen die klare Hierarchie, welche der Einteilung zugrunde lag und an deren Spitze der Weisse stand. Über die Kriterien, welche zu dieser Wertung führten, kann lediglich spekuliert werden, da Kant (noch) nicht präzisierte, was er unter dem Begriff „geringeres Talent“ verstand. Obwohl sich Kant bei den Beschreibungen an der Geographie orientierte, zeigte er sich gegenüber der Klimatheorie skeptisch. Er bestätigte zwar, dass die Hautfarbe der Menschen desto dunkler werde, je südlicher sie leben würden und bestritt nicht, dass die Hitze dafür ausschlaggebend war, fügte aber an, dass es mehrere Generationen bräuchte, bis eine Veränderung der Hautfarbe erblich würde.565 Ansatzweise lässt sich bereits eine Abwendung von der Klimatheorie hin zur Vererbung als dominierendes Kriterium bei der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer Varietät beobachten. Knapp zehn Jahre später sollte er den Faktor der Vererbung wieder aufgreifen und sich gänzlich von der Klimatheorie verabschieden. Während die Sitten und das Aussehen der aussereuropäischen Völker relativ ausführlich beschrieben wurden, widmete sich Kant im Abschnitt über Europa lediglich den Lappen und beschränkte ansonsten seine Ausführungen auf die Beschreibung von Land und Kulturgütern.566 Damit widerspiegelte die Vorlesung die von Kant propagierte Trennung von Geographie und Anthropologie, gemäss welcher sich die Geographie mit dem ‚unzivilisierten‘ und die Anthropologie mit dem ‚zivilisierten‘ Menschen beschäftigte. Während sich erstere mit den äusseren Aspekten des Menschen, wie der Verschiedenheit der Völker aufgrund externen Faktoren oder ihrem unterschiedlichen Erscheinungsbild, beschäftigte, konzentrierte sich letztere auf die inneren, moralischen und psychologischen Aspekte des Menschen sowie dessen Kultur.567 Im Jahre 1775 setzte sich Kant in seinem Essay „Von den verschiedenen Racen der Menschen“ – eine Ankündigung für seine Vorlesung über die physische Geographie – erstmals mit dem Rassenbegriff auseinander. Die Abhandlung, eine Antwort auf die vom Kant-Schüler Johann Gottfried Herder verfasste Schrift „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“ aus dem Jahre 1774, widerspiegelte Kants gesteigertes, durch Rousseau beeinflusstes Interesse an Moral und Anthropologie.568 Zugleich reagierte Kant auf die europaweit zunehmende 564 565 566 567 568
Ebd., S. 316. Ebd., S. 314. Ebd., S. 421–427. Smidt, Afrika, S. 14f. Vgl. Kant, Anthropologie; Kant, Geographie. Bindman, Ape, S. 155f.
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Ausbreitung polygenetischer Ideen, wie sie etwa von Voltaire und Hume vertreten wurden. Die Diskussion um den Ursprung der Menschheit hatte durch die 1774 von Lord Kames veröffentlichte Schrift „Sketches of the History of Man“ an Aktualität gewonnen. Die Publikation wurde innert kürzester Zeit in zahlreiche Sprachen – auch ins Deutsche – übersetzt und breit diskutiert. Ob Kant sie bereits 1775 kannte und die Ankündigung eine direkte Antwort auf Lord Kames Theorie der Polygenese war, ist umstritten. Direkte Bezüge auf Kames lassen sich nicht finden, das klare Bekenntnis zum Monogenismus zu Beginn der Ankündigung zeugt aber von Kants Wissen um die laufende Debatte.569 Kant verzichtete in der Ankündigung weitgehend auf die detaillierte Angabe seiner Quellen; der Einfluss der Lektüre Linnés, Buffons sowie zahlreicher Reiseliteratur ist jedoch kaum zu übersehen.570 Insbesondere Buffon beeinflusste Kants Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff massgeblich. Indem er dessen Terminologie aufnahm und wichtige Begriffe wie espèce (Naturgattung), variétés (Varietäten) und race (Race) ins Deutsche übertrug, bemühte er sich, die Begriffe philosophisch und wissenschaftlich brauchbar zu machen.571 Ausgangspunkt der Ausführungen Kants bildete die Buffonsche Regel, dass Tiere, die miteinander fruchtbaren Nachwuchs zeugten, zur selben physischen Gattung gehören. Indem er dieses Prinzip auf die Menschen übertrug, postulierte er die gemeinschaftliche Abstammung aller Menschen und bekannte sich damit zum Monogenismus. „Neger und Weisse“ gehörten zur gleichen Art, seien aber zwei verschiedene Racen, weil sie „halbschlächtige Kinder oder Blendlinge (Mulatten)“ zeugen würden, während es sich bei Blonden und Brünetten lediglich um „Spielarten der Weissen“ handle.572 Als Race verstand Kant somit diejenige Abartung, bei der trotz Verpflanzung in eine andere Klimazone die bestimmenden Klassifikationsmerkmale über Generationen beständig waren und die mit anderen Abartungen halbschlächtige Junge, sprich Mischlinge, zeugten. Als Spielart wiederum definierte er diejenigen Abartungen, bei welchen die Charakteristika nicht notwendig erblich waren, während sich Varietäten bei Verpflanzungen verändern konnten. Damit führte Kant erstmals seit Maupertuis, auf den er sich teilweise bezog, das Prinzip der Vererbung ein und bestimmte insgesamt vier Racen: die der Weissen mit dem vornehmsten Sitz in Europa, zu welcher auch die Mauren, Araber, türkisch-tartarischen Völker sowie die Perser gehörten, die Negerrace, die hunnische (mungalische oder kalmukische) Race sowie die hinduische oder hindistanische Race,573 zu denen er auch die Amerikaner als „noch nicht völlig eingeartete hunnische Race“ zählte.574 Von diesen vier Racen leitete er alle „übrige erbliche Völkercharaktere“ ab, die entweder durch Vermischung oder durch eine langsame Adaption an das Klima entstanden
569 Kant, Racen, S. 429; Zammito, Policing, S. 39–43. Larrimore geht trotz mangelnden Belegen davon aus, dass die Schrift eine Reaktion auf Kames war. Larrimore, Anatomies, S. 346. 570 Bindman, Ape, S. 155f. 571 Conze/Sommer, Rasse, S. 147. 572 Kant, Racen, S. 430. 573 Ebd., S. 432. 574 Ebd., S. 432f.
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waren.575 Dem Milieu gestand er nur eine sekundäre Rolle zu: Zwar könne Luft, Sonne und Nahrung den Körper und das äussere Erscheinungsbild beeinflussen, allerdings habe es keinen Einfluss auf die Zeugungskraft, welche letztendlich bestimmend für die Zugehörigkeit zu einer Race sei. Da der Mensch für alle Klimata geschaffen sei, müsse er „Keime und natürliche Anlagen“ in sich tragen, aus welchen die erblichen Rassenmerkmale entsprungen seien. Diese hätten sich an das jeweilige Milieu angepasst und seien bestimmend für die Zugehörigkeit zu einer Race.576 Indem er sich auf einen ursprünglichen Stamm berief, der alle Anlagen (Keime) der verschiedenen Rassen in sich trug, lieferte Kant zugleich eine Möglichkeit, das Problem eines gemeinsamen Ursprungs und der Vererbung von Rassenunterschieden zu lösen.577 Kant war überzeugt, dass die ursprüngliche, unveränderte menschliche Gestalt im Gegensatz zu den vier Stammgattung nicht mehr existiere.578 Die Stammgattungen wurden durch die Hautfarbe sowie ihre geographische Herkunft und die aus der Humoralpathologie abgeleiteten Temperamente charakterisiert. Als erste Race bestimmte Kant die hochblonde der nördlichen Europäer, welche von feuchter Kälte wären. Als zweite fungierten die kupferroten Amerikaner. Sie seien von trockener Kälte, während die dritte, diejenige der Schwarzen aus Senegambia, von feuchter Hitze sei. Als vierte bestimmte er die olivengelben Indianer, die sich durch die trockene Hitze auszeichnen würden. Aus dieser ursprünglichen Stammbildung wären die vier Racen ausgeartet.579 Noch waren Kants rassentheoretische Beschreibungen, so Conze und Sommer, „spekulativ und abstrus“, ihre Rezeption war marginal.580 Das Interesse Kants an den menschlichen Phänotypen blieb jedoch von Bestand, bereits 1781/82 sollte er in der Vorlesung „Menschenkunde“ die Menschen erneut in vier Racen einteilen.581 Die Klassifikation unterschied sich nicht nur bezüglich der Namen von ihrem Vorläufer, sondern beinhaltete neu ein moralisches Werturteil. Dem Volk der Amerikaner unterstellte er, unfähig zu sein, Bildung anzunehmen und antriebslos zu sein; es fehle ihm an Affekt und Leidenschaft, was sich in der mangelnden Fruchtbarkeit zeige. Er bezeichnete die Amerikaner als schweigsam und faul, zumal sie sich hässlich schminken würden. Die Race der Neger sei das genaue Gegenteil. Sie sei voller Affekte und Leidenschaft, „sehr lebhaft, schwatzhaft und eitel“.582 Sie sei insofern zu Bildung fähig, als dass sie dienen könnten, „d.h. sie lassen sich abrichten“. 583 Zumindest implizit kann diese Passage, in welcher Kant den Schwarzen einen natürlichen Hang zur Knechtschaft zuschrieb, zur Legitimierung der Ver575 Ebd., S. 432. 576 Ebd., S. 434ff; Lovejoy macht auf den Einfluss Bonnets bei Kants Entwicklung der Idee der Keime aufmerksam. Vgl. Lovejoy, Kant, S. 201ff.; Bonnet, Contemplation, S. 225–235. 577 Vgl. Schmied-Kowarzik, Streit, S. 125. 578 Kant, Racen, S. 440. 579 Ebd., S. 441f. 580 Conze/Sommer, Rassen, S. 147. 581 Die in der gedruckten Version enthalteten Charakterisierungen stimmen praktisch identisch mit jenen in den handschriftlichen Notizen überein. Vgl. Kant, Reflexionen, S. 877f. 582 Kant, Menschenkunde, S. 1187. 583 Ebd., S. 1187.
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sklavung der Schwarzen interpretiert werden. Die Hindus wiederum würden zwar Triebfedern aufweisen, seien aber gelassen und zugleich „zum Zorne und zur Liebe sehr geneigt“.584 Sie wären fähig, Bildung anzunehmen, allerdings „nur zu Künsten und nicht zu Wissenschaften“.585 Lediglich die „Race der Weissen enthält alle Triebfedern und Talente“.586 Auffällig ist der unübersehbare hierarchische Aufbau der einzelnen Racen vom Amerikaner über den Schwarzen bis hin zum Weissen,587 welchen er bereits in der Vorlesung über die „Physische Geographie“ skizziert hatte und nun konkretisierte. Bestimmend für den jeweiligen Platz in der Stufenleiter war die Bereitschaft, Bildung anzunehmen. Die Ausführungen zu den einzelnen Racen verband er implizit mit einer groben Zivilisationstheorie: „Ehe der Mensch erzogen (d.i. disciplinirt), also noch in dem ersten Zustande war, war er wild; ehe er sich entwickelte. d. i. seine Talente cultivierte, war er roh, bevor er versittigt wurde, und in eine menschliche Gesellschaft trat, war er grob, und ehe er sittlich gut (moralisirt) wurde, d.h. ehe seine Handlungen aus moralischen Triebfedern entstehen, ist er böse.“588
Der Urzustand war für Kant negativ konnotiert; erst Bildung und Erziehung versetzten den Menschen in einen besseren Zustand und liessen ihn eine eigentliche Entwicklung durchmachen. Der von Kant als negativ erachtete Zustand der ‚Wildheit‘ unterschied sich dabei deutlich von Rousseaus idealisierendem Bild des ‚edlen Wilden‘. Dies mag auch erklären, weshalb Kant den Amerikaner unterhalb des Schwarzen ansiedelte, da dieser gemäss seiner Überzeugung unfähig zu jeglicher Bildung sei und sich somit de facto in dem von ihm beschriebenen Urzustand befand. 1785, zehn Jahre nach der ersten Auseinandersetzung mit dem Rassenterminus, griff Kant das Thema erneut auf. Die Schrift „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ war wahrscheinlich eine Reaktion auf Herders „Ideen“ aus dem Jahre 1784. Sie provozierte eine Replik Forsters, was wiederum Kant zur Veröffentlichung der Schrift „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788) veranlasste.589 Rassentheoretische Überlegungen waren spätestens hier Teil eines lebendigen Gelehrtendiskurses, dessen Dispute in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Anlass zur wiederholten Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff war die im Zuge der Entdeckung neuer Gebiete in der Südsee erneut aufgekommene Diskussion um die Einheit des Menschengeschlechts,590 in deren Kontext auch die Veröffentlichung der Studie Kants über den mutmasslichen Beginn der Menschheit entstand.591 Die Schrift „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ stellte 584 585 586 587 588 589 590 591
Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Hund, Rassismus im Kontext, S. 31. Kant, Menschenkunde, S. 1197. Bindman, Ape, S. 163; Larrimore, Anatomies, S. 352. Kant, Bestimmung, S. 91. Vgl. auch Kant, Muthmasslicher Anfang, S. 109–123. Ausgangspunkt der Schrift bildete die Annahme, dass alle Menschen von einem einzigen Elternpaar abstammen würden, wobei sich Kant bei seiner Argumentation auf die Bibel stützte. Vgl. Kant, Muthmasslicher Anfang, S.
174
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eine Bestätigung und zugleich Weiterentwicklung der Begriffsdefinition aus dem Jahre 1775 dar. Hatte sich Kant zuvor noch weitgehend an Buffon orientiert, gelang es ihm nun, sich von ihm zu emanzipieren und über dessen Erkenntnis hinauszugehen.592 Als Basis diente die Herausarbeitung von sechs aufeinander aufbauender Prinzipien, die gemäss Kant bestimmend für den Rassenbegriff waren. Ausgangspunkt bildete die Beobachtung, dass Klassenunterschiede in einer Tiergattung durch Vererbung bestimmt seien. Zweitens sei beim Menschen primär die Hautfarbe erblich, womit sie zum dominierenden Faktor bei der Bestimmung der Race wurde. Kant folgerte, dass es insgesamt vier Klassenunterschiede beim Menschen gebe, welche sich in der weissen, gelben, schwarzen und kupferroten Hautfarbe manifestierten und die sich sowohl physiologisch als auch geographisch belegen liessen. Der Einfluss des Klimas beschränkte sich auf die Bildung der Racen; hatten sich diese entwickelt, konnte keine Veränderung mehr bewirkt werden. Als dritten Grundsatz formulierte er, dass die Hautfarbe die einzig notwendig erbliche Charaktereigenschaft sei, weshalb der Rassenbegriff weder moralische noch charakterliche Eigenschaften beinhalte. Viertens würde bei einer Vermischung der Klassencharakter, also die Hautfarbe vererbt, was Kant im fünften Prinzip unter der halbschlächtigen Zeugung präzisierte. Folglich könne es nur eine menschliche Gattung gegeben haben. Durch die Beeinflussung verschiedener Anlagen, welche die Anpassung des Menschen erfordert hatten, um seine Selbsterhaltung zu garantieren, hätten sich vier verschiedene Klassen entwickelt. Auf der Basis dieser fünf Regeln erstellte Kant eine Definition der Race, „welche erstlich den Begriff eines gemeinschaftlichen Stammes, zweitens notwendig erbliche Charaktere des klassischen Unterschiedes der Abkömmlinge desselben von einander“ voraussetze.593 Daraus folgerte Kant, dass zwar alle Menschen der gleichen Gattung angehörten, jedoch verschiedenen Racen zugerechnet werden müssten.594 Kants Rassenbegriff beinhaltete eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Racen, Arten und Varietäten. Zwar orientierte er sich an Buffon, ging jedoch wesentlich mehr in die Tiefe. Noch immer hielt er an dessen Prinzip fest, dass Menschen unterschiedlicher rassischer Zugehörigkeit zum gleichen Stamm gehörten, wenn sie zusammen fruchtbaren Nachwuchs zeugen konnten.595 Bei Kant basierte die rassische Zugehörigkeit jedoch auf dem Prinzip der Abstammung: Die einzelnen Racen unterschieden sich in ihrer Struktur, die Abspaltung war folglich permanent und unwiderruflich. Die Entwicklung der Anlagen richtete sich nach dem Ort, an welchem die Menschen ursprünglich zu Hause waren, sie waren vererbbar und permanent; die durch Migration bedingte Anpassung an ein anderes Klima führte zu keiner Veränderung.596
592 593 594 595 596
110. Lange erachtet die Schrift als die ideologisch widersprüchlichste geschichtsphilosophische Abhandlung Kants, da er sich einerseits auf die Bibel stützte und die Frühgeschichte der Menschheit mit dieser in den Einklang zu bringen versuchte, zugleich aber zahlreiche humanistische Ideen äusserte. Lange, Kontroverse, S. 966. Vgl. Conze/Sommer, Rasse, S. 148. Kant, Bestimmung, S. 98. Ebd., S. 91–101. Vgl. Bernasconi, Concept of Race, S. 22; Douglas, Climate, S. 39. Mit den natürlichen Anlagen erklärte Kant den scheinbaren Mangel an Triebkraft der Afrikaner in Amerika und England, welche nicht fähig seien, Geschäfte zu treiben, da sie dies in ihrer
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Anders bei Buffon, bei welchem die Degeneration rein theoretisch reversibel war.597 Der Rassenbegriff Kants war somit wesentlich deterministischer angelegt als derjenige Buffons und führte die Vererbung als wesentliches Kriterium ein. Er zeichnete sich durch die Faktoren der Konstanz und Unveränderbarkeit aus, die Hautfarbe fungierte als alleiniges Unterscheidungskriterium. Die Einführung von kulturellen und moralischen Aspekten als Differenzierungsmerkmal wurde dadurch – zumindest vordergründig – hinfällig.598 ‚Rasse‘ wurde scheinbar zu einem objektiven Mittel der Klassifikation, unabhängig von jeglichem Superioritätsgedanken.599 Die Bemühung um Objektivität lässt sich auch in Kants rassentheoretischen Schriften aus der zweiten Hälfte der 1780er Jahre nachzeichnen, in welchen er es vermied, auch nur implizit ein ästhetisches Urteil vorzunehmen oder eine Verbindung zwischen Moral und ‚Rasse‘ zu konstruieren.600 Vielmehr erarbeitete er einen Rassenbegriff, welcher sich auf rein somatische Charakteristika beschränkte und charakterliche sowie kulturelle Eigenschaften nicht berücksichtigte.601 Die Abwesenheit eines Werturteils trifft allerdings nur auf die drei Aufsätze, in welchen er sich direkt mit der Rassenterminologie beschäftigte, zu und war somit nicht gleichbedeutend mit der Überzeugung Kants, dass sich die einzelnen Racen lediglich äusserlich unterscheiden würden. Sowohl in früheren Texten, in den Entwürfen aus den 80er Jahren als auch in den Vorlesungen zur Menschenkunde und Anthropologie lässt sich durchaus ein Werturteil nachweisen.602 Hier vertrat er eine klar eurozentrisch geprägte Weltsicht und die Überzeugung einer vollumfänglichen Superiorität der Weissen. Nur sie waren fähig zu Aufklärung, Kultur und Zivilisation – die Garanten für den Fortschritt.603 Bestätigung für seine These fand er in der Geschichte: „Der Einwohner des gemäßigten Erdstriches, vornehmlich des mittleren Theiles desselben ist schöner an Körper, arbeitsamer, scherzhafter, gemäßigter in seinen Leidenschaften, verständiger als irgend eine andere Gattung der Menschen in der Welt. Daher haben diese Völker zu allen Zeiten die anderen belehrt und durch die Waffen bezwungen.“604
Insbesondere McCarthy hat auf die Problematik dieser Argumentation aufmerksam gemacht, die er als „voll ausgereifte theoretische Rechtfertigung der Überlegenheit der weissen Rasse, die in der Biologie wurzelt und erbliche Unterschiede angeborener Fähigkeiten anführt“ erachtet.605 Bestätigung für diese einseitige und prob-
597 598 599 600 601 602 603 604 605
alten Heimat auch nicht bedurft hätten. Larrimore betont, dass Kant hier eines der Standardargumente von Lord Kames übernahm, der geltend gemacht hatte, dass gewisse ‚Rassen‘ von Natur aus inferior seien. Larrimore, Anatomies, S. 356f. Vgl. Douglas, Climate, S. 39; Larrimore, Anatomies, S. 344. Vgl. Sutter, Kant, S. 247. Larrimore, Anatomies, S. 355. Gemäss Karl Philipp Moritz distanzierte sich Kant 1790 endgültig von der empirischen Ästhetik. Bindman, Ape, S. 183f. Bitterli, Grundzüge, S. 346. Vgl. Kant, Reflexionen, S. 877ff; Kant, Anthropologie. Kant, Menschenkunde, S. 1198. Kant, Geographie, S. 317. McCarthy, Politische Philosophie, S. 632.
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lematische eurozentrische Sichtweise lässt sich in den handschriftlichen Notizen finden, wenn Kant schrieb: „Sie [die Weissen] sind die einzigen, welche immer in Vollkommenheit fortschreiten.“606 Die Konsequenzen, welche er – zumindest in seiner Studierstube – zog, waren von fataler Radikalität: „Alle Racen werden ausgerottet werden (Amerikaner und Neger können sich nicht selbst regiren. Dienen also nur zu Sklaven), nur nicht die der Weissen. (...) Es ist nicht gut, dass sie sich vermischen.“607
Kant führte die Geschichtlichkeit als zusätzlichen Faktor an. Die drei anderen Racen befanden sich auf einer Vorstufe der Geschichte, lediglich die Weissen waren fähig, zur Vollkommenheit fortzuschreiten, was sich historisch in der Unterwerfung der anderen Racen manifestierte. Der Untergang der anderen ‚Rassen‘ war faktisch besiegelt, da lediglich die Weissen zu Fortschritt fähig waren. Den aussereuropäischen Völkern, so Sutter, war somit ein aussergeschichtliches Dasein beschieden, weshalb die Gattungsgeschichte letztendlich nur von der Race der Weissen handelte. Der Aussereuropäer war höchstens Objekt zivilisatorischer Bemühungen.608 Zugleich führte Kant die Vermischung als mögliche Gefahr für die weisse Race ein. Dies stand im Gegensatz zu früheren Rassentheoretikern, welche die Vermischung nicht thematisierten, oder sie wie Buffon als positiv erachtete, da sie eine Veredelung mit sich bringe.609 Den Charakter einer Nation erachtete Kant als angeboren und unabhängig von äusseren Ursachen, da er „in der Blutmischung der Menschen“ liege.610 Neu ist die Argumentation, dass das Blut bestimmend für die Zugehörigkeit zu einer Nation sei. Mit dem Rückgriff auf das Blut nahm Kant den Rassentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts einiges vorweg, welche das Blut als dominierenden Faktor für die Zugehörigkeit zu einer ‚Rasse‘ erachteten.611 Die Ablehnung jeglicher Vermischung war die logische Konsequenz, da sie zum Verlust des „angeborenen, natürlichen Charakter(s)“ führen musste und „nach und nach die Charaktere auslöscht, dem Menschengeschlecht, alles vorgeblichen Philanthropismus (Lehre der Erziehung zur Vernunft) ungeachtet, nicht zuträglich ist.“612 Entsprechend den Kollegheften eines Studenten, welcher die Vorlesung zur Anthropologie im Wintersemester 1791/92 besucht hatte,613 fürchtete Kant insbesondere die Folgen für die Weissen: 606 607 608 609 610 611
Kant, Reflexionen, S. 878. Ebd., S. 880. Suter, Kant, S. 248. Vgl. Buffon, Histoire naturelle III, S. 382, 394. Kant, Anthropologie, S. 670. Blut als dominierenden Faktor zur Bestimmung der Zugehörigkeit wurde erstmals im frühneuzeitlichen Spanien eingeführt, wobei sich das Prinzip der ‚limpieza de sangre‘ gegen die jüdischen Conversos richtete und später in Lateinamerika eine Weiterentwicklung durchmachte. Vgl. Geiss, Rassismus, S. 121f, 126f; Hering Torres, Rassismus. In den frühen Rassentheorien spielte Blut mit Ausnahme von Bernier, der sehr vage von einer Veranlagung im Körper, im Samen oder im Blut gesprochen hatte, noch keine Rolle. Bernier, Nouvelle division, S. 149. 612 Kant, Anthropologie, S. 671. 613 Als Verfasser der Kolleghefte gilt Heinricht Graf zu Dohna-Wundlacken, welcher im ersten Semester 1791/92 bei Kant die Anthropologie-Vorlesung besuchte. Kowalewski, Hauptvorle-
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„Was soll man sagen, werden die Rassen zusammenschmelzen oder nicht? Sie werden nicht zusammenschmelzen, und es ist auch nicht zu wünschen. Die Weissen würden degradiert werden. Denn jene Rassen nehmen nicht die Sittn und Gebräuche der Europäer an.“614
Gemäss den Vorlesungsnotizen fürchtete Kant eine Degeneration der Weissen, da er den anderen Racen die Adaption an die europäische Lebensweise und somit – in Anbetracht anderer Schriften – an die Zivilisation absprach; allerdings lässt sich dieses Zitat nicht mittels der gedruckten Version der Vorlesung verifizieren. Während Kant eindeutig Stellung gegen eine Vermischung bezog, war seine Position gegenüber der Sklaverei uneindeutig.615 Zwar lassen sich, wie bereits ausgeführt, mehrere Passagen finden, welche von dem Glauben einer natürlichen Inferiorität der Schwarzen zeugen, allerdings stellte er nie einen direkten Bezug zur Sklaverei her. Kant unterliess es, explizit Stellung gegen die Sklaverei zu beziehen, auch wenn er sich ihrer Problematik durchaus bewusst war.616 Einerseits wandte er sich gegen die auf der Bibel basierenden Idee, dass die Schwarzen von Ham abstammen würden und ihre Farbe Zeichen der Strafe Gottes sei.617 An einer anderen Stelle in der Schrift „Zum Ewigen Frieden“ schilderte er die Behandlung der Sklaven auf den Zuckerinseln, dem „Sitz der allergrausamsten und ausgedachtesten Sklaverei“,618 ohne sich jedoch mit der Frage zu beschäftigen, wie diese abgeschafft werden könnte.619 Andererseits konterte er in einer Fussnote in seinem Aufsatz „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien“ den Wunsch nach der Befreiung der schwarzen Sklaven mit dem Verweis auf Matthias Christian Sprengel. In dem Pro-Sklaverei Pamphlet,620 fand er die scheinbare Bestätigung, dass sich unter den befreiten Sklaven in Amerika und England kein Beispiel finden lasse, in welchem die Freigelassenen selbstständig einem Geschäft nachgehen würden. Daraus schloss Kant, dass ihnen ein natürlicher Trieb fehle, um zu arbeiten. Da es diese Anlage in ihrer ursprünglichen Heimat nicht bedurfte, sei sie auch nicht vorhanden.621 Die Fussnote ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Erstens zitierte Kant aus einer Quelle, welche die Sklaverei gut hiess, um der Forderung der Abolitionisten zu widersprechen. Zweitens widersprach Kant nicht nur der Klimatheorie, sondern vertrat vielmehr die These der Vererbung von Moral und Tugenden. Shell wertet diese Passage als vorsichtige Konklusion Kants, dass Nichtweisse inferior waren und betont zugleich Kants Bemühungen, der Frage, ob diese Minderwertigkeit selbst verschuldet sei, aus dem Weg zu gehen.622 In seiner Vorlesung
614 615 616 617 618 619 620 621 622
sungen, S. 11ff. Die moderne Forschung berücksichtigt die Kolleghefte mit Ausnahme von Bernasconi, der sie als authentisch erachtet, nicht. Bernasconi, Unfamiliar source, S. 156–159. Kowalewski, Hauptvorlesungen, S. 364. Diese Passage lässt sich in der gedruckten AkademieAusgabe der Anthropologie-Vorlesung nicht finden. Vgl. Kant, Anthropologie. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Kants Standpunkt in der Sklavereidebatte lässt sich finden bei Bernasconi, Unfamiliar source, S. 145–166. Ebd. Kant, Geographie, S. 313. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 359. Bernasconi, Unfamiliar source, S. 150f. Ebd., S. 148f. Kant, Über den Gebrauch, S. 174. Shell, Kant‘s Conception, S. 66f.
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über die „Physische Geographie“ war er einst noch einen Schritt weiter gegangen, als er sich mit der Frage nach der körperlichen Züchtigung von Mohren beschäftigt hatte und riet, sie aufgrund der dicken Haut „nicht mit Ruthen, sondern gespaltenen Rühren“ zu peitschen, damit „das Blut einen Ausgang finde und nicht unter der dicken Haut eitere.“623 Eine Verurteilung der körperlichen Züchtigung unterliess er hingegen. Wie vielfältig und teilweise auch widersprüchlich Kants Werk ist, offenbart seine späte Schrift „Zum ewigen Frieden“. Die darin geäusserten Ansichten, welche sich teilweise massiv von seinen früheren rassentheoretischen Beschreibungen unterschieden, haben dazu geführt, dass in der Forschung oftmals von einer Relativierung der teils drastischen Position Kants und einer Wende innerhalb seines Œuvres gesprochen wird. In der Schrift zeigte sich Kant äusserst kritisch gegenüber jeglicher Form des Kolonialismus und plädierte für dessen rechtliche Ächtung – eine Forderung, die selbst von radikalen Zeitgenossen kaum geteilt wurde.624 Er verurteilte „das inhospitale Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Weltteils“ und die „Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (...) beweisen“.625 Den europäischen Mächten warf er vor, dass sie „Unrecht wie Wasser trinken, sich in der Rechtgläubigkeit für Auserwählte gehalten wissen wollen“ und er prangerte die „Unterdrückung der Eingeborenen, Aufwiegelung, (...), Hungersnoth, Aufruhr, Treuelosigkeit“ der Kolonialisten an.626 In der Schrift vertrat Kant, mit den Worten Osterhammels, einen „selbst- und kolonialismuskritischen Kosmopolitismus, der das Fremde ernst nimmt, um es gönnerhaft zu exotisieren.“627 Kants Korrespondenz mit anderen frühen Rassentheoretikern fiel vergleichsweise bescheiden aus. Nur wenig lässt darauf schliessen, dass Kant an einem Austausch interessiert war. Direkte Bezüge zum Rassendiskurs finden sich in den Briefen keine. Sie zeugen lediglich davon, dass Kant mit anderen Rassentheoretikern bekannt war. In sporadischem Kontakt stand er in frühen Jahren mit seinem Schüler Herder628 sowie mit dem ebenfalls in Königsberg lehrenden Metzger.629 Lavater wiederum bat ihn um ein Schattenbild; ob er dieses jemals bekommen hat, bleibt unklar.630 Einzig mit Soemmerring stand Kant über längere Zeit in Kontakt, eine Diskussion über menschliche Varietäten fand jedoch zu keiner Zeit statt.631 623 624 625 626 627 628
Kant, Anthropologie, S. 313. Osterhammel, Entzauberung, S. 61. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 358. Ebd., S. 359. Osterhammel, Entzauberung, S. 68. Brief 40 an Johann Gottfried Herder, 9. Mai 1768, in: Kant, AA X; Brief 41 von Johann Gottfried Herder, Nov. 1768, in: Kant, AA X. 629 Brief 188 an Johann Daniel Metzger, 31.13.1782 in: Kant, AA X. 630 Brief 81 von Johann Caspar Lavater, 8.2.1774, in: Kant, AA X; Brief 81a an Johann Caspar Lavater, zw. 8.2. und 8.4.1774, in: Kant, AA X; Brief 99 an Johann Caspar Lavater, 28.4.1775, in: Kant, AA X; Brief 108 von Johann Caspar Lavater, 6.3.1775, in: Kant, AA X. 631 Brief 671 an Samuel Thomas Soemmerring, 10.8.1795, in: Kant, AA XII; Brief 677 von Samuel Thomas Soemmerring, 22.8.1795, in: Kant, AA XII; Kant: Brief 679 an Soemmerring, 17.9.1795, in: Kant, AA XII; Brief 694 von Samuel Thomas Soemmerring, 7.2.1795, in: Kant,
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Zumindest auf theoretischer Ebene fand aber die Auseinandersetzung mit dem Rassendiskurs statt. Ob Kant bereits 1775 Blumenbachs Dissertation kannte, ist unklar.632 Nachweisbar ist, dass Kant Blumenbachs Werk zumindest teilweise geläufig war. Insgesamt drei direkte Verweise in Kants Werk sowie eine Erwähnung in seiner Korrespondenz lassen darauf schliessen.633 In seiner Schrift „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien“ verwies Kant auf Blumenbachs „Handbuch der Naturgeschichte“, welches es verdient habe, gelesen zu werden.634 In der „Kritik der Urteilskraft“ wiederum rühmte er Blumenbach für seine Pionierleistung auf dem Gebiet der Epigenese und in einem Brief an Blumenbach aus dem Jahre 1790 bedankte er sich bei ihm für die Zusendung seines trefflichen Werks „Über den Bildungstrieb“, welches ihn „vielfältig belehrt“ habe.635 In der „Anthropologie“Vorlesung verwies er gar ausdrücklich auf die von „Camper und vorzüglich von Blumenbach“ beschriebenen Schädel.636 Zwar verzichtete er selbst auf den Einbezug der Kraniologie und der vergleichenden Anatomie zur Bestimmung der menschlichen Varietäten, er war aber über die aktuelle Forschung durchaus im Bilde. Die Kraniologie lehnte er dementsprechend nicht gänzlich ab, er erachtete sie für die Anthropologie aber als weniger geeignet als die physische Geographie.637 Kants rassentheoretische Schriften stiessen auf breites Interesse. Blumenbach zitierte in seiner Schrift „De generis humani varietate nativa“ aus dem Jahre 1795 Kants Terminologie ausführlich und empfahl seine Aufsätze zur Lektüre.638 Girtanner wiederum publizierte ein Werk, in welchem er das Kantische Prinzip auf die Naturgeschichte anwandte und mit den Ideen Blumenbachs zu verbinden versuchte.639 Während Kants Terminologie mit Ausnahme von Forster und Herder kaum kritisiert wurde, stiess seine Theorie der natürlichen Anlagen (Keime) insbesondere bei Blumenbach, Herder, Forster und Metzger auf Kritik. Doch während Forster und Metzger offen gegen ihn polemisierten und Herder die Keime als „leeres und der Menschenbildung widersprechendes Wort“ zurückwies,640 hielt sich Blumenbach zurück.641
632 633 634 635 636 637 638 639 640 641
AA XII; Brief 860a von Samuel Thomas Soemmerring (verschollen) 5.6.1800, in: Kant, AA XII; Brief 871 an Samuel Thomas Soemmerring, 4.8.1800, in: Kant, AA XII. Zammito, Birth of Anthropology, S. 304. Lenoir spricht von zwei direkten Verweisen und ignoriert dabei den Hinweis auf Blumenbachs Kraniologie in der „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“. Vgl. Lenoir, Vital Materialism, S. 78. Kant, Über den Gebrauch, S. 180. Brief 438 an Johann Friedrich Blumenbach, 5.8.1790, in: Kant, AA XI. Kant, Anthropologie, S. 299. Ebd. Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 91f., 259–261. Girtanner, Über das Kantische Prinzip. Herder, Briefe zur Beförderung, 116. Brief, S. 699. Blumenbach: Bildungstrieb, S. 68f, 85–89. Obwohl Blumenbach ihn kritisierte, lobte Kant das Werk in der 1789 erschienenen „Kritik der Urteilskraft“ und in „Ueber den Gebrauch“. Dieser Widerspruch vermag zu erstaunen. Bernasconi sieht darin den Beweis für die wissenschaftliche Unfähigkeit Kants, der nicht erkannt habe, welchen Schaden ihm das Buch zugefügt habe. Bernasconi, Kant and Blumenbach‘s Polyps, S. 74.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Im Kontext der modernen Forschung muss zwischen zweierlei Untersuchungsgegenständen unterschieden werden. Die einen Interpreten beschäftigen sich primär mit Kant und untersuchen den Einfluss der Rassentheorien auf sein Werk im Allgemeinen. Andere versuchen seine rassentheoretischen Schriften in einen grösseren Zusammenhang zu stellen und ihren Einfluss auf den Diskurs zu eruieren. Lange Zeit wurden Kants anthropologische Schriften von Philosophen ignoriert oder deren Bedeutung innerhalb seines Werkes marginalisiert. Dies gilt insbesondere für seine rassentheoretischen Schriften, wobei mehrmals der Versuch unternommen wurde, sie mit seiner Theorie der reinen Vernunft zu vereinbaren.642 Kants nicht unproblematische rassentheoretische Ausführungen werden von der neueren Forschung nicht mehr ignoriert, für Kontroversen sorgt insbesondere die Frage, ob Kants rassisches Denken einen Einfluss auf sein philosophisches Werk und Denken hatte. Während die einen die Position vertreten, dass Kants rassische Ansichten nicht ausgeblendet werden dürfen, da sie Teil seines philosophischen Denkens seien, sind die anderen davon überzeugt, dass Kants rassische Sichtweise keinerlei Einfluss auf sein philosophisches Denken gehabt hätte. Zur ersteren Gruppe zählt unter anderem Mills, der darauf aufmerksam macht, dass Kants Definition von „allen Menschen“ und „Menschheit“ ein exklusives Moment beinhaltete und nur für die Weissen galt. Dies wiederum habe insbesondere Auswirkungen auf Kants Postulierung der Gleichheit aller Menschen, welche folglich die Nicht-Weissen per definitionem ausschliesst.643 Mills bezieht sich insbesondere auf Bernasconi und Eze.644 Die gegenteilige Auffassung vertritt Kleingeld. Zwar erachtet auch sie Kants Rassenhierarchie als unvereinbar mit dem Prinzip der Gleichheit, betont aber zugleich, dass Kants Theorie sich lediglich auf das äussere Erscheinungsbild bezog und keinerlei Rückschlüsse auf die Intelligenz zuliess. Sie betont, dass Kants Denken einem fundamentalen Wandel unterlegen sei und verweist auf Kants 1795 veröffentlichte Schrift „Zum ewigen Frieden“, in welcher er die Sklaverei als Rechtsverletzung und einen Ausrottungskrieg als unerlaubt verurteilte.645 Diese These wird – wie Kleingeld selbst eingesteht – durch mehrere Stellen in der 1796/97 verfassten „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ abgeschwächt. Dass Kant die Idee eines hierarchischen Aufbaus der Racen nicht mehr äusserte, sieht sie jedoch als Beleg für ihre These.646 Nicht beachtet werden von ihr hingegen die Stellen, in welchen sich Kant kritisch gegenüber einer , in seinen Augen „nicht zuträglich[en]“ Vermischung zeigte.647 Dass für Kant die aussereuropäischen Völker in den Bereich der Natur und somit zur Physischen Geographie und nicht zur Anthropologie gehörten, berücksichtigt Kleingeld ebenfalls nicht. Kleingelds Sichtweise wird auch von Malter vertreten, der jedoch noch einen Schritt weiter geht und Kants Rassentheorie als „ernsthafteste(n), energischste(n) Einspruch“ gegen den Rassis642 643 644 645 646 647
Bindman, Ape, S. 182. Mills, Kant’s Untermenschen, S. 169–193. Bernasconi, Concept, S. 11–36; Eze, Colour, S. 200–241. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 346f, 359f. Vgl. Kleingeld, Thoughts, S. 573–592; insbesondere 574f, 583f, 586f, 589f. Kant, Anthropologie, S. 671.
3.7 Die Verwissenschaftlichung des Rassenbegriffs – Kant
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mus wertet.648 Allerdings beschränkt er sich auf die Lektüre der drei theoretischen Abhandlungen zum Rassenbegriff sowie der Vorlesung „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, was die Aussagekraft seines Fazits einschränkt. Nur selten wird versucht, Kants rassentheoretische Texte in einen grösseren Zusammenhang zu stellen und deren Bedeutung für die Entwicklung des Rassendiskurses zu eruieren. Eine der wenigen Ausnahmen bildet Bernasconi. Während er Buffon als ersten Anthropologen der Geschichte bezeichnet, war Kant für ihn der erste, welcher eine Rassentheorie begründete, die diesen Namen auch wirklich verdiente.649 Young wiederum sieht in Kant gar einen Vorläufer Gobineaus.650 Larrimore bezeichnet ihn als „inventor of race“,651 betont aber zugleich, dass Kant nicht allein für die Ausbreitung der Rassenideologie verantwortlich gemacht werden kann. Seine Arbeit habe aber wesentlich dazu beigetragen, den Rassenbegriff wissenschaftlich und philosophisch brauchbar zu machen. Zugleich streicht er heraus, dass Kants Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff einem Wandel unterlag und diese immer ehrgeiziger und ideologischer wurde.652 Die Fokussierung auf die Frage nach der Stellung Kants innerhalb der Geschichte des Rassismus wird von Hund kritisiert, da diese stark vereinfachend sei und der Komplexität und dem Umfang der rassistischen Argumentation Kant›s nicht gerecht werde. Er plädiert dafür, stattdessen die rassischen, antisemitischen, antiziganistischen und gegen Orientale gerichtete Gedanken Kants sowie die verschiedenen diskriminierenden Argumentationstypen zu untersuchen, da diese einen fortgeschrittenen kulturellen Rassismus aufzeigten, der in einen Überlegenheitsglauben der weissen ‹Rasse› gipfle.653 Shell wiederum richtet in ihrem Aufsatz den Fokus auf die Ambiguität Kants.654 Damit vertritt sie ein ähnliches Anliegen wie Mills. Beide betonen die problematische Rolle Kants, der einerseits der wichtigste Philosoph der Moderne sei und andererseits ein problematisches rassisches Denken an den Tag legte.655 Mariano macht auf die Entwicklung Kants aufmerksam, welcher die „schwerwiegenden, rassischen – ja, rassistischen – Charakterisierungen“ wie sie 1764 in den Beobachtungen zu finden waren, im Laufe der Zeit fallen liess, sich jedoch nie für die Gleichheit aller ‚Rassen‘ aussprach wie andere seiner Zeitgenossen.656 Er sieht in den vereinfachten Kategorisierungen denn auch „Vorwegnahmen, wenn man so will, der Rassenkunde des 19. Jahrhunderts“, macht aber zugleich geltend, dass es sich nicht um einen „fruchtlosen philosophischen Dilettantismus“ handelte, da Kant ernsthaft darum bemüht war, eine wissenschaftliche Systematik einzuführen.657 648 649 650 651 652 653 654 655 656 657
Malter, Rassenbegriff, S. 122. Bernasconi, Concept, S. 15 Young, Gobineau, S. 108. Larrimore, Anatomies, S. 341. Ebd., S. 361f. Hund, Europe, S. 69–98. Shell, Conception, S. 55–72. Mills, Untermenschen, S. 169–193. Mariano, Praeceptores, S. 98f. Ebd., S. 99.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Festzuhalten ist, dass für Kant die Auseinandersetzung mit der menschlichen Diversität primär ein theoretisches Problem darstellte.658 Kants Arbeit hat wesentlich dazu beigetragen, den bis anhin wenig systematisch durchdachten Rassenbegriff philosophisch und wissenschaftlich brauchbar zu machen. Er führte – in der Tradition von Maupertuis – die Vererbung als wesentliches Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Race ein; die Hautfarbe wurde gleichzeitig zum alleinigen Unterscheidungskriterium. Dies führte dazu, dass kulturelle und moralische Kriterien als Differenzierungsmerkmal hinfällig wurden. In den drei Aufsätzen, welche sich mit der Rassenterminologie befassten, verzichtete Kant auf ein Werturteil. Im krassen Gegensatz dazu stehen seine Beschreibungen der einzelnen Racen, die von einem äusserst eurozentrischen und hierarchisch gegliederten, deterministischen Weltbild Kants zeugen. Kants Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff ist geprägt von einer grossen Ambivalenz. Zum einen zeigten sie einen Philosophen, der die Einheit des Menschengeschlechts postulierte, diese wissenschaftlich zu beweisen versuchte und den Kolonialismus in seiner späten Schrift offen kritisierte. Zum anderen offenbarten sie einen Kant, welcher eine klare Hierarchie der Racen propagierte, eine Vermischung aus Angst vor einer Degeneration der Weissen ablehnte, diverse Klischees der Reiseliteratur unkritisch übernahm und diese wissenschaftlich zu belegen versuchte. Erfahrung als Voraussetzung – Forster Während es sich bei den frühen Rassentheoretikern praktisch ausschliesslich um Schreibtischgelehrte handelte, die ihre Kenntnisse über die aussereuropäischen Völker aus der Lektüre von Reiseberichten schöpften, stellte Georg Forster (1754– 1794) als Gelehrter und Reisender einen Sonderfall dar. Forster war der Inbegriff eines Kosmopoliten: Bereits als Kind war er zusammen mit seinem Vater, dem Naturforscher Johann Reinhold Forster, nach Russland gereist, später lebte er in London, mit 17 Jahren nahm er als Zeichner an Cooks Weltumseglung teil, anschliessend zog er nach Paris. Erst mit 24 Jahren zog der gebürtige Deutsche in seine Heimat und lehrte zuerst in Kassel und später in Wilna Naturgeschichte. Dementsprechend umfangreich war sein persönliches Netzwerk; Buffon und Benjamin Franklin traf er in Paris persönlich. In London, wo er seinen zweibändigen Reisebericht „Voyage around the World“ publizierte, lernte er Soemmerring und Joseph Banks kennen, später in Deutschland machte er unter anderem Bekanntschaft mit Camper und Herder.659 Forsters Beteiligung am Rassendiskurs fand in einer Zeit statt, in welcher Deutschland zunehmend eine Führungsrolle auf dem Gebiet der Anthropologie einnahm.660 Zahlreiche Gelehrte wie Blumenbach, Soemmerring, Kant und Herder hatten bereits zum Thema publiziert und der Diskurs war geprägt durch die gegen658 Vgl. Larrimore, Anatomies, S. 348f. 659 Lepenies, Autoren, S. 123. 660 Strack, Philosophical Anthropology, S. 289.
3.7 Die Verwissenschaftlichung des Rassenbegriffs – Kant
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seitige Rezeption, welche oftmals eine scharfe Kritik gegenüber dem Vorgehen eines anderen Gelehrten und den aus der Untersuchung gezogenen Schlüssen beinhaltete. In diesem geistigen Klima schaltete sich 1786 Forster in die Diskussion ein. Sein in Briefform verfasster Aufsatz „Noch etwas über die Menschenrassen“, in welchem er sowohl naturphilosophische, methodologische wie auch moralischethische Fragen aufgriff,661 war eine Replik auf Kants 1785 und 1786 publizierte Abhandlungen „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ und „Muthmasslicher Beginn der Menschheit“, welche wiederum eine Reaktion auf Herders „Ideen“ waren.662 Während Kant in der ersten Abhandlung mit dem Rassenterminus einen auf dem Prinzip der Vererbung basierenden Ordnungsbegriff eingeführt hatte und damit zu einer „entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise, die der empirischen Naturwissenschaft seiner Zeit hypothetisch weit vorausgreift“663 gelangt war, hatte er in der zweiten einen auf Hypothesen basierenden Anfang der Menschengeschichte skizziert. Darin hatte er einen auf Fortschritt gründenden Aufstieg der Menschheit mit der biblischen Lehre vereinbar gemacht.664 Forster sah sich zu einer Reaktion genötigt,665 da Kant sich „in Dinge gemischt hatte, die er nicht verstand“,666 wobei die Kritik sowohl auf sachlicher als auch persönlicher Ebene stattfand. Kants Ausführungen über den Beginn der Menschheit und den Einbezug der Mosaischen Schriften erschienen ihm veraltet. Auf Unbehagen stiess bei ihm insbesondere, dass Kant Mutmassungen als Fakten präsentierte, welche empirisch nicht nachweisbar waren, weshalb die Kontroverse in erster Linie einen wissenschaftlichen Methodenstreit darstellte. Zugleich bot sich die Gelegenheit Kant, der zuvor eine vernichtende Rezension zu Herders „Ideen“ verfasst hatte,667 eins auszuwischen.668 Mit Kant und Forster prallten zwei Gelehrtentypen aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Auf der einen Seite Kant, der typische Stubengelehrte, der die aussereuropäische Welt lediglich aus Reiseberichten kannte, und auf der anderen Seite der Weltreisende Forster, welcher auf seinen zahlreichen Reisen die verschiedensten Völker selbst hatte studieren können.669 Zusammen mit seinem Vater stellte er eine neue Form des Reisenden dar, welcher seine Erfah661 Lange, Kontroverse, S. 968. 662 Vgl. Küchler, Entstehung, S. 89. Die Kontroverse wurde in der Forschung breit thematisiert, vgl. dazu insbesondere: Lange, Kontroverse, S. 965–980; Schmied-Kowarzik, Streit, S. 115– 132; Weingarten, Menschenarten, S. 117–148. 663 Scheibe, Einführung, S. 398. 664 Kant, Bestimmung; Kant, Muthmasslicher Beginn; vgl. Scheibe, Einführung, S. 398. 665 Brief 170 an Johann Gottfried Herder, 21.7.1786; in: Forster, AA XIV. 666 Brief 174 an Friederich Ludwig Wilhelm Meyer, 10.8.1786, in: Forster, AA XIV. 667 Brief 214 an Johann Gottfried Herder, 21.1.1787, in: Forster, AA XIV. Vgl. Lepenies, Autoren, S. 143. 668 Forsters Replik darf gemäss Riedel nicht unabhängig von Herder betrachtet werden. Dieser hatte versucht, auch Jacobi und Hamann zum Eingreifen zu überzeugen. Vgl. Riedel, Historizismus, S. 33; Brief an Friedrich Heinrich Jacobi, 25.2.1785, in: Herder, Herders Nachlass 2, S. 262–270 sowie Brief an Johann Georg Hamann, 28.2.1785, in: Herder, Herders Nachlass 2, S. 210–213. 669 Lepenies, Autoren, S. 142f.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
rungen nicht mehr nur rein deskriptiv niederschrieb, sondern zugleich das Bedürfnis verspürte, diese theoretisch-anthropologisch zu verarbeiten.670 Der unterschiedliche Erfahrungsraum von Kant und Forster widerspiegelte sich in ihrem Wissenschafts- und Methodenverständnis. Kant war primär an theoretischen Verallgemeinerungen naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse interessiert, das Sammeln empirischer Fakten spielte für ihn eine untergeordnete Rolle. Dementsprechend bevorzugte er eine deduktive Vorgehensweise. Für Forster hingegen bildete die Realität den Ausgangspunkt, er bediente sich der Induktion.671 Forsters methodische Hauptkritik galt Kants Sichtweise, dass man den Begriff, welcher durch Beobachtung aufzuklären ist, a priori zu bestimmen habe. Auf die Erfahrung, so Kant, könne nur zurückgegriffen werden, wenn man bereits vorher wisse, wonach zu suchen sei.672 Wissenschaftliche Erkenntnis basierte seines Erachtens somit nicht auf Erfahrung, sondern auf Gesetzen, welche das Universum dominierten.673 Dieses Vorgehen war für Forster gleichbedeutend mit dem Ende der Empirie, wobei nur die Augen des Empirikers Neues zu erfassen vermögen, anderenfalls laufe man Gefahr, wichtiges zu übersehen.674 Forster warnte vor einer Kategorisierung, welche in der Realität nicht überprüfbar war, denn „Wie vieles Unheil ist nicht von jeher in der Welt entstanden, weil man von Definitionen ausgieng, worein man kein Misstrauen setzte, folglich manches unwillkührlich in einem vornherein bestimmten Lichte sah, und sich und andere täuschte!“675 Ähnlich wie später bei seiner Polemik gegenüber Meiners676 ging es Forster um die Bedeutung der Erfahrung und der daraus resultierenden Verwendung empirischer Beobachtungen und deren Ordnung.677 Er lehnte eine neue Definition des Rassenbegriffs ab, da die „Ordnung der Natur (...) unseren Eintheilungen“ nicht folge.678 Race war für ihn höchstens ein „Volck von eigenthümlichem Charakter und unbekannter Abstammung.“679 Auf der Basis eigener empirischer Beobachtun670 Dippel, Anthropologie, S. 23, der ausserdem einen guten Überblick zur Forschungsliteratur zu Forsters Reisen liefert. Dippel plädiert dafür, dass eine Analyse der Anthropologie Forsters auch den Reisebericht „Reise um die Welt“ berücksichtigen muss, da sich in den Bericht bereits ein Anthropologieverständnis manifestiere, welches die Verschiedenheiten – im Gegensatz zu seinem Vater – nicht monokausal dem Klima zuschrieb, sondern menschliche Entwicklungsfaktoren miteinbezog. Bereits in dem Reisebericht lasse sich der für die Aufklärung typische Glaube an Fortschritt und Brüderlichkeit erkennen. Dippel, Anthropologie, S. 40. Damit schliesst er sich Ribeiro Sanches an, die aufzeigt, dass Forster bereits in den frühen Reiseberichten Themen wie die Ursachen für die verschiedenen menschlichen Varietäten, eine mögliche Übereinstimmung zwischen Aussehen und intellektuellen Fähigkeiten sowie die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und empirischer Beobachtung aufgreift. Ribeiro Sanches, Dunkelheit, insbesondere S. 52–56. 671 Lange, Kontroverse, S. 965f; Schmied-Kowarzik, Streit, S. 124. 672 Kant, Bestimmung, S. 91. 673 Bindman, Ape, S. 155f. 674 Forster, Menschenrassen, S. 132f. 675 Ebd., S. 132f. 676 Vgl. 3.10.2. 677 Ribeiro Sanches, Dunkelheit, S. 58. 678 Forster, Menschenrasse, S. 146. 679 Ebd., S. 152.
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gen attackierte er Kants Theorie der Hautfarbe als rassenkonstituierendes Merkmal und zeigte, dass diese milieubedingt war und sich im Verlaufe mehrerer Generationen wandeln konnte.680 Deshalb sei die Hautfarbe als bestimmendes Element ungeeignet.681 Stattdessen verwies er auf Soemmerring, welcher in seiner Schrift „Über die Verschiedenheiten des Negers“ bereits gezeigt habe, dass die Hautfarbe von minderer Bedeutung sei und „der Neger (...) weit mehr übereinstimmendes mit dem Affengeschlecht habe, als der Weisse“, was „mit physiologischen und anatomischen Gründen“ bewiesen werde.682 Die angebliche Nähe des Afrikaners zum Affen war für Forster jedoch kein Argument, dessen Menschsein in Frage zu stellen, denn: „Ein affenähnlicher Mensch ist also kein Affe.“683 Im Gegensatz zu Soemmerring, der zumindest vordergründig von der Einheit des Menschengeschlechts ausgegangen war, vertrat Forster dezidiert eine polygenetische Sichtweise und wies Kants Beweisführung einer monogenetischen Abstammung zurück, welche dieser mittels der Existenz eines ursprünglichen, gegenwärtig nicht mehr existierenden Stamms zu beweisen geglaubt hatte. Forster konterte, dass man die Generationenabfolge rekonstruieren müsste, um einen gemeinschaftlichen Ursprung zu belegen, was nicht mehr möglich sei. Was jedoch nicht empirisch bewiesen werden könne, sei eine „Wissenschaft für Götter“,684 wobei Forster weniger die Existenz von historischen Prozessen bezweifelte, als deren naturwissenschaftliche Erfassbarkeit.685 Stattdessen sprach er sich dafür aus, dass es zwei verschiedene Menschenarten, Neger und Weisse gebe, unterhalb deren sich Spielarten oder Varietäten befänden, wobei das Hauptaugenmerk auf die Übergangsformen zu legen sei.686 Die Ablehnung des Rassenbegriffs und die damit verbundene polygenetische Argumentationsweise waren darin begründet, dass Forster klimatisch und nicht genetisch argumentierte. Lässt sich bei Kant – und auch bei Herder – die Entwicklung eines naturgeschichtlichen Ansatzes beobachten, fehlt dieser bei Forster gänzlich. Die Frage nach der Entstehung der Menschheit war für ihn insofern belanglos, als dass sie ausserhalb der menschlichen Erfahrung lag und dementsprechend nicht zu beantworten sei. Die Existenz zweier Menschenarten, welche zusammen Nachwuchs zeugen konnten, war folglich durchaus denkbar, ohne dass sich die Frage nach deren Entstehung stellte. Kant hingegen setzte seinen Fokus auf die begrifflichen Grundlagen, indem er in Analogie zum vorhandenen Erfahrungsmaterial eine auf dem Prinzip der Vererbung basierende Gesetzmässigkeit abzuleiten versuchte.687 Forster selbst war „weit entfernt (...) zu glauben, dass das Menschenge680 In „Versuch einer Naturgeschichte des Menschen“ thematisierte Forster erneut das Verhältnis von Anlagen und Organisation, sowie dem Einfluss des Klimas aufwerfen, ohne jedoch eine Antwort darauf zu geben. Forster, Versuch, S. 158f. 681 Forster, Menschenrasse, S. 136ff. 682 Ebd., S. 141. Des Weiteren verwies er auf Camper und Herder. 683 Ebd., S. 142. 684 Forster, Menschenrasse, S. 143. 685 Weingarten, Menschenarten, S. 134. 686 Lange, Kontroverse, S. 970f. 687 Schmied-Kowarzik, Streit, S. 122f, 125f; Kant, Über den Gebrauch, S. 161f.
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schlecht wirklich mehrere Stammväter gehabt habe.“688 Er erachtete einen polygenetischen Ursprung lediglich als mögliche Option, wie er auch eine gemeinsame Abstammung für möglich hielt. Forster kritisierte Kant dafür, dass er „einen Begriff zu finden vorgab, den er schon in der Voraussetzung gegeben hatte“.689 Damit stand erneut die Frage nach der richtigen Methode im Zentrum des Disputs. Forsters Argumentation zugunsten einer möglichen polygenetischen Abstammung war nicht neu. Bereits in seiner Dissertation „De plantis esculentis“ hatte er moniert, dass die australischen und polynesischen Völker einen eigenen Ursprung aufweisen würden.690 Die Möglichkeit eines polygenetischen Ursprungs hatte er in einer wahrscheinlich 1786 entstandenen, unveröffentlichten handschriftlichen Notiz bekräftigt.691 Glaubenssachen dürften nicht als Wahrheit ausgegeben werden, da nicht mit Sicherheit gesagt werden könne, dass alle Menschen einer Gattung oder demselben Stamm angehörten.692 Forster hob sich deutlich von anderen Polygenisten ab, da er sich dagegen verwahrte, die Theorie eines unterschiedlichen Ursprungs als Begründung für die Minderwertigkeit und Unterdrückung anderer Völker zu verwenden.693 Vielmehr widerspiegelte sich in der Möglichkeit einer polygenetischen Abstammung die Sorge, dass ein zu eng definierter Gattungsbegriff den Ausschluss gewisser Menschen mit sich bringen könnte. Dementsprechend sprach Forster lieber von der Menschheit als von Rassen, da dieser Terminus vollumfänglich war und alle Menschen, soweit sie vernunftbegabt waren, miteinschloss.694 Forsters Sorge widerspiegelte sich auch in dem Ton, in welchem seine Replik verfasst wurde. War seine Kritik anfänglich primär theoretischer Natur, nahm seine Argumentation zunehmend einen moralischen Charakter an, sah er doch in der auf dem Prinzip der Vererbbarkeit begründeten Rassentheorie Kants eine Abkehr von den humanistischen Idealen der Aufklärung.695 Dabei ging er direkt auf die Befürchtung der Monogenisten ein, dass ein polygenetischer Ursprung gleichbedeutend mit der endgültigen Enthumanisierung der Schwarzen sei: „Doch indem wir die Neger als einen ursprünglich verschiedenen Stamm vom weissen trennen, zerschneiden wir nicht da den letzten Faden, durch welchen dieses gemishandelte Volk mit uns zusammenhieng, und vor europäischer Grausamkeit noch einigen Schutz und einige Gnade fand? Lassen Sie mich lieber fragen, ob der Gedanke, dass Schwarze unsere Brüder sind, schon irgendwo ein einzigesmal die aufgehobene Peitsche des Sklaventreibers sinken hiess?“696
Er kritisierte die Weissen, welche er direkt ansprach, dass sie trotz der Überlegenheit auf dem Gebiet des Rechts, der Wissenschaft und der Kultur ihre Dominanz 688 Brief 214 an Johann Gottfried Herder, 21.01.1787, in: Forster, AA XIV. 689 Brief 215 an Christian Gottlob Heyne, 21.1.1787, in: Forster, AA XIV; vgl. auch Brief 199 an Christian Gottlob Heyne, 20.11.1786, in: Forster, AA XIV. 690 Forster, De plantis, S. 7f. 691 Seidler, Einführung, S. 404. 692 Forster, Menschen-Racen, S. 157. 693 Ebd., S. 153f. 694 Marino, Praeceptores, S. 106f. 695 Riedel, Historizismus, S. 39. 696 Forster, Menschenrassen, S. 154.
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dazu missbrauchen würden, den Schwarzen „tief hinab zu deinen Thieren zu verstossen bis auf die Spur der Denkkraft in ihm vertilgen zu wollen“.697 Unterschieden sich Kant und Forster bezüglich ihres Methodenverständnisses und ihrer Theorie des menschlichen Ursprungs, stimmten sie im Glauben an die Superiorität der europäischen Völker und an eine natürliche Verschiedenheit der Menschen überein.698 Gemäss Forster war eine Vermischung zwar möglich, aber wider die Natur, weshalb diese „Ekel und Abscheu“699 hervorrufen würde, denn „er [der unverdorbene Landsmann] wird die Negerin fliehen; wenigstens wird Geschlechtstrieb nicht das erste seyn, was sich bey ihrem Anblick regt.“700 Damit vertrat er eine ähnliche Position wie Kant, der Vermischung ebenfalls als widernatürlich empfand, da sie „der Mannigfaltigkeit der Charaktere“ zuwiderlaufe.701 Forsters Aufsatz muss gemäss seiner Korrespondenz nur auf Zustimmung gestossen sein. So sollen nicht nur Lichtenberg, sondern auch Soemmerring und Herder ihre Zustimmung bekundet haben.702 Kant selbst äusserte sich erst 1788, eineinhalb Jahre nach Forsters Replik, in dem, in väterlichem Ton gehaltenen Essay „Über die teleologischen Prinzipien“ zu den Vorwürfen Forsters und verteidigte die von ihm entworfene, auf dem Prinzip der Vererbung fussende Definition des Rassenbegriffs.703 In einem System der Naturgeschichte schlug er die Unterteilung der Menschengattung in Stamm, Racen oder Abartungen sowie Menschenschlag vor. Die von Forster vertretene Überzeugung einer geographisch bestimmten Abstufung der Hautfarbe, deren milieubedingte Veränderung sowie seine Theorie einer polygenetischen Abstammung lehnte er hingegen deutlich ab. 704 Gerade der Fakt, dass sich die aus den erblichen Verschiedenheiten „entwickelten Racen nicht sporadisch (in allen Welttheilen, in einerlei Klima, auf gleiche Art) verbreitet, sondern cykladisch in vereinigten Haufen, die sich innerhalb der Grenzlinie eines Landes (...) vertheilt angetroffen werden“705 beweise die Richtigkeit seiner Theorie. Die Entwicklung der Anlagen würden sich denn auch nach der geographischen Lage und nicht diese nach den schon entwickelten Anlagen richten.706 Mit Hinweis auf Forsters methodische Kritik und dessen Wissenschaftsverständnis konterte Kant: „Allein ebenderselben Grundsatz, dass alles in der Naturwissenschaft natürlich erklärt werden müsse, bezeichnet zugleich die Grenzen derselben. Denn man ist zu ihrer äussersten Grenze gelangt, wenn man den letzten unter allen Erklärungsgründen braucht, der noch durch Erfahrung bewährt werden kann. Wo diese aufhören, und man mit selbst erdachten Kräften der Materie 697 698 699 700 701 702
703 704 705 706
Ebd., S. 155. Ribeiro Sanches, Dunkelheit, S. 73. Forster, Menschenrassen, S. 145. Ebd. Kant, Über den Gebrauch, S. 166. Brief 199 an Christian Gottlob Heyne, 20.11.1786, in: Forster, AA XIV; Brief 200 an Samuel Thomas Soemmerring, 20.11.1786, in: Forster, AA XIV; Brief 200 an Johann Gottfried Herder, 21.1.1786, in: Forster, AA XIV; Brief 214 an Johann Gottfried Herder, 21.1.1786, in: Forster, AA XIV; Brief 215 an Christian Gottlob Heyne, 21.1.1787, in: Forster, AA XIV. Kant, Über den Gebrauch, S. 163f, vgl. auch: Schmied-Kowarzik, Streit, S. 119. Kant, Über den Gebrauch, S. 164–167, 173f. Ebd., S. 176. Ebd., S. 173.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert nach unerhörten und keiner Belege fähigen Gesetzen es anfangen muss, da ist man schon über die Naturwissenschaft hinaus...“707
Gewisse Fragen wie jene nach der Entstehung des Menschenstammes liessen sich nicht anhand von Erfahrung beantworten und seien folglich nicht mittels naturwissenschaftlicher Methode zu klären.708 Forster war sich der Überlegenheit Kants auf dem Gebiet der Philosophie bewusst, wie er in einem Brief unumwunden zugab, und verzichtete auf eine weitere Replik. Zwar war er überzeugt, dass er in Bezug auf die Menschenracen recht hatte, beklagte jedoch in einem Brief, dass er sich aus „Mangel an philosophischen Vorkenntnissen und fast noch eigentlich, weil ich den philosophischen Jargon nicht verstand“, auf den Streit eingelassen habe.709 Kant selbst scheint gemäss seiner Korrespondenz dem Disput eine weit geringere Bedeutung beigemessen zu haben als Forster. In lediglich zwei Briefen äusserte er sich zu Forster. Erst zwei Jahre nach Forsters Aufsatz bat er Carl Leonhard Reinhold, seine Replik im „Teutschen Merkur“ zu veröffentlichen.710 1790 sollte sich Forster über Johann Benjamin Jachmann indirekt bei Kant für seinen Angriff entschuldigen. In einem Brief Forsters, aus welchem Jachmann zitierte, wies Forster ihn an, Kant seine Verehrung zu versichern und schrieb, dass er den Essay aus einer polemisierenden üblen Laune heraus geschrieben hätte.711 Für Kant war der Streit erledigt; die Entschuldigung bestätigte ihm den von Drittpersonen geschilderten „liebeswürdigen Charakter“ Forsters und er liess ihm seine Dankbarkeit für „die mannigfaltige aus seinen interessanten Schriften gezogene Ergötzung und Belehrung“ ausrichten.712 Einige Jahre später sollte sich Forster erneut auf eine Polemik einlassen, dieses Mal galt seine Kritik dem Göttinger Professor für Weltweisheit Christoph Meiners. In einer anonym veröffentlichten Besprechung kritisierte er das von Christoph Meiners und Ludwig Timotheus Spittler herausgegebene „Göttingisches historisches Magazin“ aus dem Jahre 1791. Die in einem spöttischen Ton gehaltene Besprechung offenbart nicht nur Missbehagen gegenüber der Radikalität Meiners, sondern zeugt auch von einer Weiterentwicklung der Sichtweise Forsters. Schonungslos legte er Meiners Unwissenschaftlichkeit offen. Die biologische Frage nach den menschlichen Varietäten wurde nicht mehr gesondert, sondern im Kontext eines humanistischen Menschenbilds behandelt. Indem er die Frage nach dem Ursprung der Menschheit ausklammerte, blieb Forster zugleich seiner ursprünglichen Position treu. Stattdessen bemühte er sich, die Gleichheit aller Menschen unabhängig von der ‚rassischen‘ Zugehörigkeit naturgesetzlich zu begründen, indem er erstens betonte, dass alle Völker die gleichen „Ansprüche auf Daseyn und Erhaltung“713 hätten und zweitens forderte, jedes Volk individuell zu betrachten und im Kontext seiner geographischen Herkunft und den damit verbundenen Verhältnissen zu be707 708 709 710 711 712 713
Ebd., S. 178f. Ebd., S. 178. Brief 111 an Friedrich Heinrich Jacobi, 19.11.1788, in: Forster, AA XV. Brief 313 an Carl Leonhard Reinhold, 28. u. 31.12.1787, in: Kant, AA X. Brief 459 von Johann Benjamin Jachmann, 14.10.1790, in: Kant, AA XI. Brief 459 an Friedrich Nicolovius, 18.12.1790, in: Kant, AA XI. Forster, Magazin, S. 239.
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schreiben. Er verwahrte sich dagegen, den Völkern, die auf der „unsrigen verschiedenen Stufe der Bildung stehen“,714 alle Vorzüge abzusprechen. Anlagen seien individuell, dementsprechend sei eine „Rangordnung in Absicht auf ihren absoluthen Werten“715 nicht angebracht. Forster war sich der Vormachtstellung der Europäer durchaus bewusst, bei denen „die Wissenschaften und die Künsten bis zu einer anderswärt nicht erreichten Stufe der Vervollkommung gelangt [waren]; wir haben einen Mechanismus der Sittlichkeit vor andern Völkern voraus, der nur aus langer Gewöhnung an durchdachte Grundsätze entspringen kann; wir endlich herrschen auch in andern Welttheilen, und umfassen mit unserer vollkommneren Erkenntnis die ganze Erde.“716 Allerdings deutete er die Dominanz der Europäer im Gegensatz zu Meiners nicht biologisch, sondern als Ergebnis eines Prozesses, welchem geographische und historische Bedingungen zugrunde lagen.717 Forster blieb der Überzeugung, dass alle Menschen gleich seien, treu, wobei sich eine zunehmende Politisierung seiner Position insbesondere bei der Diskussion um die Sklaverei bemerkbar machte. Hatte er sich in seinen frühen Schriften kaum mit der Problematik auseinandergesetzt, erachtete er die Sklaverei seit Ende der 1780er Jahre – eine Zeit, in welcher insbesondere in England deren Legitimation Gegenstand aktueller politischer Debatten war – zunehmend als politisches und sittliches Problem, ohne jedoch eine sofortige Befreiung zu fordern. Das erwachte Bewusstsein machte sich in der Rezension von Schriften, welche für oder gegen die Sklaverei Stellung nahmen,718 bemerkbar.719 Anlässlich der Mainzer Revolutionsrede im Jahre 1792 kritisierte er, dass unter den „tausenderlei Erfindungen, womit sie (die Fürsten) ihre Untergebenen zu hintergehen wussten“ nicht nur diejenige gehöre, die besage, dass einige Menschen zum Regieren geboren seien und der Grossteil zum Gehorchen, sondern auch jene, dass der Schwarze aufgrund „seiner schwarzen Haut und seiner platten Nase wegen schon zum Sklaven des Weissen von der Natur bestimmt“ sei.720 Damit nahm Forster aktiv Stellung gegen die Sklaverei. Die Forderung nach einer Abschaffung der Sklaverei ging einher mit der Postulierung der Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer rassischen Zugehörigkeit und bildete zusammen mit der Freiheits- und Gleichheitsidee einen zentralen Bestandteil der Argumentation.721 Forsters Korrespondenz offenbart nicht nur seine Vernetzung – mit zahlreichen frühen Rassentheoretikern war er bekannt oder gar befreundet –, sondern auch seine persönlichen Animositäten und Konkurrenzverhältnisse. Buffon, dessen Werk er passagenweise übersetzte, hatte er während seines Aufenthalts in Paris kennengelernt. Ihn bewunderte er für seine Arbeit, zweifelte aber zugleich an deren Gehalt 714 715 716 717 718
Ebd., S. 244. Ebd., S. 245. Ebd., S. 239. Ebd., S. 240–243; vgl. auch: Fiedler, Einführung, S. 421ff. Vgl. Anonym, A dissertation on the manners, S. 1209–1211; Anonym, Manners and Customs, S. 634–636; Anonym, Capacity of negroes, Sp. 381–384; Anonym: L‘Afrique et le peuple, S. 49–56; Anonym, Memoirs of the reign, S. 1211–1214. 719 Fiedler, Einführung, S. 410. 720 Ebd., S. 426; Forster, Verhältnis der Mainzer, S. 12. 721 Vgl. Fiedler, Einführung, S. 426.
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aufgrund des mangelnden Erfahrungshorizonts des Franzosen.722 John Hunters Kabinett wiederum hatte er während seines Aufenthalts in London besucht.723 Camper war ihm persönlich bekannt,724 sein Kabinett hatte er während eines Besuchs in Haag besichtigt, um später in einem Brief zu bekennen, dass seine „osteologische Kenntnis so gar gering“ sei, dass er sich beim Studium der Nationalschädel nichts notiert habe.725 Mit Soemmerring war er bis 1792 eng befreundet,726 einen freundschaftlichen Kontakt pflegte Forster auch zu Herder. Aufgrund seiner Reisetätigkeit war Forster mit der Royal Society und ihrem Präsidenten Joseph Banks in Kontakt. Banks sandte ihm beispielsweise Pflanzen von seiner Entdeckungsreise und diskutierte Themen wie die Sezierung eines Orang Utangs durch Camper.727 In Briefen an Dritte lästerte Forster jedoch über Banks „Niederträchtigkeit“.728 Er beklagte sich, dass dieser ihn „niederträchtig feindselig“729 behandelt habe und warf ihm vor, dass er ihn „neidet“.730 Auch zu Blumenbach stand er in einem Konkurrenzverhältnis. Er beneidete ihn darum, dass er bei der Lieferung von Schädeln durch Banks bevorzugt wurde.731 Bereits 1778 hatte Forster spekuliert, dass er, wenn er um Christian Gottlob Heynes Tochter werben würde, schon bald „troz Blumenbach“ eine Professur in Göttingen innehätte.732 Aufgrund der an Soemmerrings Arbeit geäusserten Kritik zog Blumenbach Forsters Wut endgültig auf sich. Ausführlich liess Forster sich gegenüber seinem besten Freund über Blumenbachs Charakter aus und warf ihm „Eingeschränktheit, Selbstsucht, Eifersucht“ vor, um zugleich seine wissenschaftlichen Verdienste in Frage zu stellen.733 Forster war wohl nicht nur der am weitesten Gereiste, sondern auch der Streitbarste unter den frühen Rassentheoretiker. Georg Forsters Streit mit Immanuel Kant und sein – primär in den Reiseberichten skizziertes – Menschenbild wurde von der Forschung intensiv analysiert. Lepenies betont insbesondere die Vorurteilsfreiheit der anthropologischen Arbeiten, ethnographischen Skizzen und Reisebeschreibungen Forsters. Zwar äusserte sich auch Forster teilweise abschätzig gegenüber den Sitten anderer Völker, er relativierte die abfälligen Bemerkungen jedoch, indem er den eurozentrischen Blickwinkel beton722 Brief 52 an Johann Karl Philipp Spener, 9.10.1777, in: Forster, AA XIII; Lepenies, Autoren, S. 133. 723 Brief 18 an Samuel Thomas Soemmerring, 12.10.1787, in: Forster, AA XIV. 724 Brief 172 an Petrus Camper, 3.4.1781, in: Forster, AA XIII; Brief 243 an Petrus Camper, 19.3.1783, in: Forster, AA XIII; vgl. auch Briefe von Petrus Camper (insgesamt 9 Briefe, datiert vom 15.4.1780 bis 10.10.1788) an Forster, in: Forster, AA XVIII. 725 Brief 37 an Samuel Thomas Soemmerring, 4.5.1790, in: Forster, AA XVI. 726 Vgl. Kapitel 3.8.1. 727 Brief 71 an Joseph Banks, 11.11.1778, in: Forster, AA XIII; vgl. auch die Briefe von Joseph Banks (insgesamt 6, datiert vom 22.7.1779 bis 6.1.1786) in: Forster, AA XVIII. 728 Brief 139 an Johann Karl Philipp Spener (Datum unbekannt), in: Forster, AA XIV. In dem Brief beklagte er sich über die ungerechte Behandlung seines Vaters durch Banks. 729 Brief 200 an Samuel Thomas Soemmerring, 20.11.1786, in: Forster, AA XVI. 730 Brief 4 an Christian Wilhelm von Dohm, 7.1.1792, in: Forster, AA XVII. 731 Brief 43 an Therese Forster, 1.6.1790, in: Forster, AA XVI. 732 Brief 178 an Johann Karl Philipp Spener, 19.7.1781, in: Forster, AA XIII. 733 Brief 158 an Samuel Thomas Soemmerring, 29.4.1786, in: Forster, AA XIV.
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te.734 Die Kontroverse mit Kant wiederum wird primär als Methodenstreit zwischen deduktiver und induktiver Methode, zwischen Theorie und Empirie, wahrgenommen. Insbesondere Riedel sieht in der Kontroverse einen wissenschaftsgeschichtlich bedeutsamen Methodenstreit, wobei er den Fokus auf die Bedeutung des Disputes für Kants Denken legt.735 Weingarten hingegen sieht in der Kontroverse eine Fortsetzung des Disputs zwischen Herder und Kant. Allerdings erachtet er die politische und ideologische Dimension (Sklaverei, Superioritätsglaube der Europäer) des Disputs wichtiger als die biologische Frage nach den Prinzipien, auf welchen die Einteilung fusste.736 Lange wiederum unterstreicht, dass für Forster Erkenntnis und Praxis eine nicht zu trennende Einheit darstellten und er versucht war, Objektivität der Erkenntnis mittels wissenschaftlichen Kriterien zu erlangen, wobei er Experimente und unmittelbare Beobachtung als Hauptschlüssel zu deren Erlangung erachtete.737 Küchler sieht in der Kontroverse ein grundlegendes Problem des anthropologischen Diskurses der Aufklärungszeit. Während die Mehrzahl der Gelehrten ihre Thesen auf der Basis fremder Beobachtungen ausformulierten, stellte Forster zusammen mit seinem Vater eine Ausnahme im deutschsprachigen Raum dar. Sie waren die einzigen, welche sich auf ihre eigenen Beobachtungen berufen konnten. Dementsprechend kritisch stand Forster den Schreibtischgelehrten gegenüber,738 wobei diese (man denke an Kant, Meiners und Iselin) trotz aller Kritik Forsters Werke rezipierten.739 Forster stellte in mehrerlei Hinsicht einen Sonderfall innerhalb des Rassendiskurses dar. Er bekannte sich offen zum Polygenismus – wenn auch weniger aus ideologischer als aus methodischer Überzeugung. Wissen schöpfte er, der Weltreisende, der im Gegensatz zu den meisten anderen Rassentheoretikern die verschiedensten Völker mit eigenen Augen gesehen und studiert hatte, primär aus der eigenen Erfahrung. Die Beweisführung eines monogenetischen Ursprungs befand sich ausserhalb seines menschlichen Erfahrungshorizonts, weshalb der Polygenismus für ihn ebenfalls eine Option darstellte. Die polygenetische Weltsicht und die Überzeugung der Gleichheit aller Menschen schlossen sich bei ihm nicht aus. Das hielt ihn aber nicht von seinem Glauben an die europäische Überlegenheit ab. Forsters Auseinandersetzung mit dem Rassendiskurs muss als Beweis für dessen Dynamik betrachtet werden; längst verlief dieser nicht mehr linear, verschiedene Diskursmuster griffen ineinander über. Er beschränkte sich nicht mehr auf einige wenige Schreibtischgelehrte, sondern lebte von der gegenseitigen Rezeption, der Polemik, der Kritik sowie offenen Unterstützungsbekundungen.
734 735 736 737 738 739
Lepenies, Tradition, S. 58–61, 64. Riedel, Historizismus, S. 31–48, insbesondere S. 33. Weingarten, Menschenarten, insbesondere S. 117. Lange, Kontroverse, S. 971. Vgl. Forster, Voyage. Küchler, Entstehung, S. 91.
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Gehirngrösse als zusätzliches Unterscheidungskriterium – Metzger Von der Forschung bis heute kaum beachtet, kritisierte neben Forster auch Johann Daniel Metzger (1739–1805), Professor der Medizin in Königsberg, die Rassetypologie Kants.740 Im Jahre 1786 veröffentlichte er die Abhandlung „Ueber die sogenannten Menschenracen“. Wie Kant bekannte er sich klar zum Monogenismus, da „das sämtliche über den Erdboden verbreitete Menschengeschlecht nur eine Gattung ausmache, welche durch Clima, Lebensart und Erziehung in Varietäten ausgeartet [ist], (...) eine Wahrheit, welche von den scharfsinnigen Naturkundigern und Philosophen neuerer Zeiten, z. B. Camper, Blumenbach, Zimmermann, Herder“ bewiesen worden sei.741 Metzger griff Kant weniger als Naturhistoriker denn als Mediziner an; seine Hauptkritik galt dabei dem von Kant eingeführten Prinzip der Keime. Die Kantische Theorie erschien ihm überholt und er fragte sich, ob Kant die gemeinhin als bewiesen erachtete Epigenese und den von Blumenbach postulierten Bildungstrieb742 nicht gekannt habe.743 Metzger kritisierte insbesondere Kants Annahme einer „unveränderliche(n) Anlage“ und die damit verbundene Negierung des Zufallsprinzips.744 Für Metzger gab es keine sich voneinander abgrenzende Racen, sondern vielmehr unzählige Varietäten, deren Abweichungen sowohl klimatisch als auch genetisch bedingt waren, wobei er sich explizit auf Herder berief.745 Eine Klassifikation der Menschheit aufgrund der Hautfarbe, wie es Kant getan hatte, lehnte er prinzipiell ab. Einerseits handle es sich um kein adäquates Unterscheidungskriterium, da die Herausbildung der Hautfarbe – wie von Blumenbach, Zimmermann und Herder erläutert – ebenfalls auf das Klima zurückzuführen sei. Andererseits könne die Hautfarbe niemals alleiniges Klassifikationsmerkmal sein, da noch weitere Kriterien, wie beispielsweise die von Soemmerring untersuchte Schädelbildung der Schwarzen, in Betracht gezogen werden müssten.746 Metzger kam zum vernichtenden Fazit, dass die „Kantsche Hypothese“ um nichts besser sei „als die Voltairsche. Denn ob ich mehrere Schöpfungen, oder in einer Schöpfung mehrere Keime annehme, aus welchen eine bestimmte Anzahl von Racen entsprungen ist, läuft am Ende auf eines hinaus. (...) Willkührlich angenommene Principien begründen keine sichere Lehre.“747 Metzgers Kritik an Kant ist in mehrerer Hinsicht von Interesse. Zum einen lässt sich unschwer erkennen, dass der Königsberger Mediziner ein profunder Kenner der zeitgenössischen rassentheoretischen Forschung war. Neben Kant und Blumenbach erwähnte er namentlich auch Voltaire, dessen Hypothese er heftig kritisierte, 740 Vgl. Klatt, Metzger, S. 56f. Klatt erklärt sich die mangelnde Resonanz damit, dass die Kritik in einer wenig bekannten Zeitschrift veröffentlicht wurde und Kant nie auf sie einging. 741 Metzger, Menschenracen, S. 41. 742 1781 konzipierte Blumenbach ein dreistufiges, biologisches Konzept der Selbstorganisation. Als treibende Kräfte bestimmte er neben der Zeugung die Ernährung und die Reproduktion. Blumenbach, Bildungstrieb. 743 Metzger, Menschenracen, S. 46. 744 Ebd., S. 44. 745 Ebd., S. 45. 746 Ebd., S. 43. 747 Ebd., S. 47.
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Camper, Herder und Zimmermann.748 Dies kann als weiterer Hinweis für die zunehmende Ausbreitung des Diskurses auch ausserhalb der einschlägigen Kreise gewertet werden. Zum anderen beschränkte sich Metzgers Kritik nicht nur auf die rassentheoretischen Ausführungen Kants. Vielmehr nahm sie eine neue Dimension an, wenn Metzger Kants Autorität als Rassentheoretiker zumindest ansatzweise in Frage stellte, denn er: „...würde aber doch noch mehr vom Herrn Prof. erwarten, wenn er die Reise nach China selbst gemacht, und die Nation dort ungehindert einige Jahre hindurch beobachtet hätte.“749 Damit äusserte er offen Kritik an den Schreibtischgelehrten, welche sich lediglich auf die Aussagen Dritter stützten, ohne jemals die von ihnen typologisierten Völker gesehen zu haben. Zugleich wies Metzgers Kritik an Kant auch eine persönliche Note auf, da er sich offensichtlich daran störte, dass der Philosoph sich auch auf dem Gebiet der Physiologie zu etablieren versuchte.750 So warf er ihm vor, dass es ihn „vermuthlich“ befremde, wenn andere Gelehrte nicht seiner Meinung seien, wie Kant „es bey seiner Ueberzeugung, dass er sich nicht irre, erwartet hätte.“751 Den Vorwurf an Kant, keinerlei Kritik zu vertragen, bekräftigte er nochmals in einem Brief an Blumenbach. Dieser hatte ihn zuvor in einem – mittlerweile verschollenen – Brief um eine Charakterisierung Kants gebeten: „Als Selbstdenker und Genie verdient er unstreitig Verehrung. Aber als Lehrer hat er minder meinen Beyfall, weil er weniger bemüht ist, wieder Selbstdenker, als vielmehr Anhänger seiner Meinungen zu ziehen, deren wenigste ihn verstehen, die meisten, wie ich oft bemerckt, zum Studio der Medicin untauglich sind.“752
Zwei Jahre später sah sich Metzger veranlasst, seine Kritik an der Kantschen Rasseneinteilung zu wiederholen, wobei er sich insbesondere dagegen wehrte, dass Kritik an Kant generell zu unterlassen sei. Erneut sprach er sich gegen den Begriff der Rasse aus und kritisierte, dass die „Vorsehung, gerade vier bestimmte und in ihren Charaktern unabänderliche Menschenracen – Gattungen müsste man es nennen – auf den Erdboden gepflanzt haben sollte.“753 Stattdessen schlug er eine Einteilung der Menschen in zwei Hauptvarietäten vor, welche er als „an den Grenzen der Menschheit“ bezeichnete, während die übrigen Varietäten zwischen den beiden „Gattungen“ anzusiedeln seien.754 Als erste Hauptvarietät bestimmte er den „weisse(n) Mensch, nach der griechischen Form, mit der vollkommensten Camperschen Gesichtslinie, dem grössten Hirn (...). Das Ideal menschlicher Schönheit und Vollkommenheit.“755 Als zweite Hauptvarietät machte er den „schwarze(n) Mensch“ aus, der „zwar schlank von Wuchs, aber mit mehr zurückfallender Gesichtslinie orangoutang-ähnlichem Kopf, kleinem Hirn“ sei.756 748 749 750 751 752 753 754 755 756
Vgl. Ebd., S. 41–47. Ebd., S. 43. Vgl. Pietsch, Topik, S. 100. Metzger, Menschenracen, S. 41f. Brief 462 von Johann Daniel Metzger, 12. Juni 1787, in: Blumenbach, Correspondence III. Metzger, Noch ein Wort, S. 509. Ebd., S. 511. Ebd., S. 511f. Ebd., S. 513.
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Weshalb die Rassentheorie Metzgers von der Forschung bis anhin ignoriert wurde, ist schwer verständlich. Obwohl nur einige Sätze umfassend, stellte die Reduzierung auf zwei Hauptvarietäten – auf Weiss und Schwarz – eine Radikalisierung dar, welche sich ansonsten lediglich bei Meiners finden lässt.757 Als bestimmendes Merkmal figurierte unzweifelhaft die Hautfarbe (auch wenn noch weitere Bestimmungskriterien Erwähnung fanden), was auf eine Inkonsistenz der Argumentation Metzgers hindeutet, hatte er doch zwei Jahre zuvor gerade noch diese als alleiniges Klassifikationsmerkmal bei Kant kritisiert. Markant ins Auge fällt ausserdem die klare Wertung zuungunsten der Schwarzen. Währen der Weisse dem griechischen Ideal entsprach und dessen Vollkommenheit betont wurde, dominierte beim Schwarzen der Vergleich mit dem Affen und damit die Analogie zum Tierreich.758 Von besonderem Interesse ist aber der klare Bezug zu Camper, welcher sowohl explizit (mit der vollkommensten Camperschen Gesichtslinie) als auch implizit (mit mehr zurückfallender Gesichtslinie orangoutang-ähnlichem Kopf) stattfand. Campers Studie zu den Gesichtswinkeln diente Metzger unzweifelhaft als Basis seiner Einteilung. Die übrigen Varietäten siedelte er zwischen den beiden Hauptvarietäten an, womit seine Einteilung exakt der Zeichnung Campers entsprach. Campers Ausführungen wurden somit adaptiert und in eine eigenständige Rassentheorie transformiert. Insbesondere die Herausarbeitung eines Gegensatzes in der Gehirngrösse zwischen Schwarz und Weiss war neu. Zwar wurden – im Gegensatz zu Lavater, welcher die Gehirngrösse in Korrelation zur Intelligenz gesetzt hatte – keine Rückschlüsse auf die Denkfähigkeit gezogen. Trotzdem stellte der angebliche Unterschied eine Vorwegnahme der kraniologischen Untersuchungen im 19. Jahrhundert dar, welche aufgrund der angeblich kleineren Gehirne der Afrikaner deren Minderwertigkeit zu belegen glaubten.759 Auch terminologisch ist Metzgers lediglich vier Seiten umfassende Abhandlung von Bedeutung. So führte er den Begriff der Hauptvarietät ein, welchen Blumenbachs Übersetzer Grunder in der deutschen Übersetzung der dritten und letzter Fassung von „De generis humani varietate nativa“ übernehmen sollte. Allerdings widersprach Blumenbach Metzger insofern, als dass er davon ausging, dass es „fünf Hauptvarietäten des Menschengeschlechts“ gebe, „aber nur eine Gattung“.760 Metzgers Rassentheorie war zwar äusserst knapp gehalten, wies aber Elemente auf, welche ihrer Zeit weit voraus waren.
757 Meiners hatte 1786 noch von einem Kaukasischen und Mongolischen Stamm gesprochen, welche er in Raçen unterteilte. Er war Metzger durchaus bekannt, hatte dieser doch in einem Brief an Blumenbach erwähnt, dass der strenge Rezensent in der ALZ ein Freund Kants sei. Brief 462 von Johann Daniel Metzger, 12.6.1787, in: Blumenbach, Correspondence III. 758 Metzger, Menschenracen, S. 43. 759 Vgl. Gould, Mensch. 760 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 203f.
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Versuch der Konstruktion einer Genese – Girtanner Im Jahre 1796 publizierte der Schweizer Christoph Girtanner (1760–1800) die Abhandlung „Ueber das Kantische Prinzip für die Naturgeschichte“, in welcher er versuchte, den von Kant in der Abhandlungen zu den verschiedenen Menschenrassen skizzierte Grundsatz auf die Naturgeschichte anzuwenden. Zugleich bemühte er sich, diesen mit dem Bildungstrieb Blumenbachs zu vereinen und schlug eine eigene, sich an Kant orientierende Rassentheorie vor. 1780 zog Girtanner für ein Medizinstudium nach Göttingen, wo er unter anderem bei Blumenbach studierte. Nach seiner Promotion kehrte er in seine Schweizer Heimat zurück, um als Arzt zu arbeiten. 1785 folgte eine Reise durch die Schweiz und Frankreich. Nach einem Aufenthalt in Paris reiste er 1786 nach London und dann weiter nach Edinburgh. Seiner Beziehung zu seinem früheren Professor Blumenbach und dem daraus resultierenden Empfehlungsschreiben war es zu verdanken, dass er während seiner Zeit in England als Korrespondent für die Königliche Sozietät der Wissenschaften in Göttingen tätig sein konnte.761 1787 liess er sich dauerhaft in Göttingen nieder, wo er im Folgenden als Arzt und Privatgelehrter tätig war.762 Im Gegensatz zu anderen frühen Rassentheoretikern war Girtanner kein Spezialist für Naturgeschichte, noch führte er selbst anatomische Studien durch. Als Privatdozent genoss er eine vergleichsweise grosse Unabhängigkeit.763 Anlass der Auseinandersetzung Girtanners mit den menschlichen Phänotypen bot die Beobachtung, dass Kants „höchst scharfsinnige Gedanken“ zu den verschiedenen menschlichen Varietäten mit Ausnahme von Blumenbach, welchem er als Zeichen seiner Hochachtung und Verehrung die Schrift widmete, von den Naturforschern und der Naturgeschichte kaum berücksichtigt worden waren. Girtanner war überzeugt, dass die von Kant formulierten Grundsätze ein allgemeines Gesetz darstellten, das auf die ganze organisierte Natur anzuwenden sei.764 Diese Überzeugung widerspiegelt sich im zweigliedrigen Aufbau der Schrift. In einem ersten Teilabschnitt setzte er sich mit der Rassentheorie Kants auseinander, erläuterte die von Kant formulierten Grundsätze und versuchte sie mit dem Bildungstrieb Blumenbachs in Einklang zu bringen. Er referierte Linnés Einteilung und setzte sich mit der auf dem Prinzip der auf zeugungsfähigen Nachkommen beruhenden Theorie Buffons auseinander. Anschliessend erläuerte er die einzelnen Termini, wobei er sich weitestgehend an Kant orientierte. Des Weiteren erläuterte er den Bildungstrieb, die Präformationstheorie sowie das System der Epigenese. In einem zweiten Teil versuchte er die Theorie auf die Erfahrung anzuwenden, wobei er Beispiele sowohl zu den verschiedenen menschlichen Phänotypen als auch aus dem Tier- und Pflanzenreich heranzog. Diese Gliederung widerspiegelte sich auch in dem methodischen Vorgehen Girtanners. Während er im ersten Teil primär rassentheoretische Schriften rezipierte, stütze er sich im zweiten Teil vorwiegend auf 761 Vgl. Brief 409 von Christoph Girtanner, 4.4.1786; in: Blumenbach, Correspondence III; Brief 401 von Christoph Girtanner, 2.2.1786, in: Blumenbach, Correspondence III. 762 Hirsch, Girtanner, S. 189–191; Querner, Girtanner, S. 124f. 763 Querner, Girtanner, S. 124f. 764 Girtanner, Kantische Prinzip, Vorwort.
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Reisebeschreibungen sowie die Schilderungen zu den einzelnen Völker in den besagten Rassentheorien. Girtanner arbeitete dabei sehr transparent und gab seine Quellen stets in Fussnoten an. Er bezog sich auf die verwendete Literatur und insbesondere bei den Reiseberichten versuchte er sorgfältig, die Richtigkeit der einzelnen Darstellungen abzuwägen und die einzelnen Berichte miteinander zu vergleichen. Zu den verwendeten Werken gehörten nicht nur Neuerscheinungen, sondern auch bekannte antike Schriften wie jene von Hippokrates und Aristoteles. Girtanner präsentierte sich dabei nicht nur als profunder Kenner der Reiseliteratur, sondern auch des frühen Rassendiskurses. Zahlreiche rassentheoretische Schriften fanden Erwähnung; am ausführlichsten bezog er sich auf Kants Aufsätze sowie in beschränkterem Masse auf Blumenbachs „De generis humani varietate nativa“ aus dem Jahre 1795 (und sein Werk über den Bildungstrieb). Daneben rezipierte Girtanner eine Vielzahl von frühen Rassentheoretikern wie Linné, Buffon, Lord Kames, Soemmerring, Forster und Smith. Auch bereits zur Zeit der Veröffentlichung als problematisch geltende Schriften wie Longs „History of Jamaica“, welche er mehrmals erwähnte, oder Pro-Sklaverei-Pamphlete fanden Einlass in die Abhandlung. Ausgangspunkt bildete – wie bei Kant – die Annahme, dass alle Menschen zu einer Gattung gehören würden. Begründet wurde dies mit der – von Buffon formulierten – Erfahrung, dass alle Menschen fruchtbare Nachkommen zeugen könnten.765 Girtanner verband dabei die Einheit der Gattung mit der Einheit der zeugenden Kraft und definierte damit ein Natursystem, das die Prinzipien der Fortpflanzung und des Bildungstriebes miteinander vereinte.766 Der Mensch sei für jedes Klima bestimmt, da – hier bezog er sich erneut auf Kant – gewisse Keime oder natürliche Anlagen bereits seit jeher in ihm vorhanden waren.767 Girtanner vermutete, dass einst ein Ur-Stamm mit allen Keimen und Anlagen der verschiedenen Rassen existiert hatte, dieser aber nicht mehr vorhanden war.768 Girtanner teilte die Menschheit in fünf verschiedene Rassen ein, in „1. Die Rasse der Weissen. Europäer und Mongolen“, „2. Die Rasse der Schwarzen. Neger“, „3. Die Rasse der Olivengelben. Hindustaner“, „4. Die Rasse der Braunen. Malayen“ sowie „5. Die Rasse der Zimmerfarbnen. Amerikaner“.769 Zugleich führte er den Begriff der Halbrasse ein, unter welcher er ein Volk verstand, welches ursprünglich durch Vermischung zweier Rassen halbschlächtige Nachkommen gezeugt hatte, welche sich ihrerseits nun weiter fortpflanzten.770 Innerhalb der Rasse der Weissen machte er vier Spielarten aus, jene der „fleischfarbnen. Die meisten Europäer“ (die sich wiederum in zwei Neben-Spielarten, jene der Blonden und der Brünetten aufspaltete). Zu ihnen rechnete er praktisch alle Europäer, aber auch die Juden, Armenier, Perser, Türken und Georgier. Zu der Spielart der Dunkelgelben. Mongolen zählte er unter anderen die Mongolen, Chinesen, Koreaner, Samojeden, Lappen, Eskimos und Grönländer. Damit hob er sich 765 766 767 768 769 770
Ebd., S. 57. Querner, Girtanner, S. 127. Girtanner, Kantische Prinzip, S. 57. Ebd., S. 285. Ebd., S. 59. Ebd., S.66f; vgl. Querner, Girtanner, S. 130.
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sowohl von Kant wie auch Blumenbach ab, welche beide eine eigene Kategorie konstruiert hatten, nämlich die hunnische Rasse respektive die mongolische Varietät. Girtanner war sich der Divergenz durchaus bewusst, er betonte, dass sie sich durch ihr Angesicht und ihre Gestalt von den anderen Spielarten unterscheide. Ihr Gesicht sei platt, die Augen geschlitzt, und der Kopf sei „nach Blumenbachs Bemerkung“ beinahe viereckig.771 Aufgrund ihres Aussehens seien sie oftmals fälschlicherweise als eigene Rasse aufgeführt worden, was falsch sei, da sie „mit den Weissen nicht halbschlächtig zeugen“ würden.772 Der besondere Stellenwert dieser Spielart zeigt sich auch in der ausführlichen Erwähnung ihres historischen Hintergrunds.773 Die Spielart der Bräunlichgelben. Kreolen wiederum unterteilte er in vier Klassen, erstens in Nordamerikaner, zweitens in Südamerikaner und Westinder, dritens in Ostinder sowie viertens in Afrikaner, während er die Araber, Beduinen, Mohren und Kopten als der Spielart der Bräunlichweissen. Mauretanier zugehörig bezeichnete.774 Girtanners Vorstellung der Rasse der Weissen war somit im Vergleich zu anderen Rassentheoretikern wesentlich weniger exklusiv. Sie beinhaltete auch aussereuropäische Völker, zumal der Begriff der weissen Hautfarbe grosszügig ausgelegt wurde. So würde die weisse Farbe aufgrund des Klimas in Asien ins gelbliche und in Afrika ins bräunliche gehen, allerdings handle es sich lediglich um eine „Schminke durch das Klima“ und nicht um eine permanente Veränderung.775 Die Rasse der schwarzen Menschen, welche mehrheitlich in Afrika heimisch sei, charakterisierte Girtanner anhand gängiger phänotypischer Merkmale wie der schwarzen Farbe, der aufgeworfenen Lippen, der stumpfen Nase und des krausen, wollartigen Haares. Erneut liess Girtanner Erkenntnisse aus der Kraniologie und vergleichenden Anatomie einfliessen, wenn er den Kopf, wie von Blumenbach beschrieben, als schmal und seitlich zusammengedrückt beschrieb, während er sich bei der Beschreibung der Haut auf Soemmerring berief.776 Typisch für die Rasse der schwarzen Menschen sei der „eigene, widerliche Geruch ihrer Ausdünstungen“, der teilweise klimabedingt sei, wobei er auf Long und Smith verwies.777 Zwar unterliess Girtanner es, die Schwarzen moralisch oder kulturell einer Bewertung zu unterziehen. Er betonte jedoch mit Rückgriff auf Herodot, dass ihr Zustand seit mehr als 2000 Jahren unverändert sei.778 Als dritte Rasse definierte er jene der Olivengelben Menschen, die auf dem indischen Subkontinent beheimatet seien und sich durch die olivengelbe Hautfarbe und die „beständig mit Schweiss bedekten, aber zugleich kalten und kleinen, Händen, und durch die langen Schenkel“ unterscheide.779 Zugleich äusserte er indirekt 771 772 773 774 775 776 777 778 779
Girtanner, Kantische Prinzip, S. 88. Ebd., S. 89. Ebd., S. 91–97. Ebd., S. 67–73; 80–105. Ebd., S. 81. Ebd., S. 107f. Ebd., S. 113. Ebd., S. 110f. Ebd., S. 115.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Kritik an der vergleichenden Anatomie, welche sich nur unzureichend mit dieser Rasse beschäftigt habe, wenn er darauf hinwies, dass Soemmerring oder Blumenbach doch „dergleichen Körper wissenschaftlich untersuchen“ sollten.780 Die Rasse der braunen Menschen wiederum bezeichnete er als schwarzbraun. Deren Vertreter hätten dichtes, langes Haar, starke Gesichtszüge, einen grossen Mund und eine breite Nase. Erstmals stellte er dabei einen Bezug zum europäischen Schönheitsideal her, wenn er mit Verweis auf Forster geltend machte, dass die Tahitier sich „durch Schönheit der Bildung und Farbe, beinahe den Europäern“ annähern würden.781 Als weiteres gemeinsames Merkmal erwähnte er die Sprache, welche die gemeinschaftliche Abstammung der braunen Menschen belegen würde. Mit der Sprache erwähnte er ein zusätzliches Charakteristikum, welches einst von Herder, der jedoch unerwähnt blieb, eingeführt worden war.782 Als fünfte Rasse bezeichnete er jene der zimmetfarbnen Menschen, die auf dem amerikanischen Kontinent leben und sich durch die zimmet- oder eisenrostfarbige Haut, das straffe, lange, schwarze und dünne Haar, die kurze Stirn, die tiefliegenden Augen, die vorstehenden Wangenknochen und die geplätschte Nase auszeichneten.783 Wie Buffon und Kant, auf den er explizit verwies, war auch er von ihrer Inferiorität überzeugt: Der Kontinent sei erst spät von einem Volk bevölkert worden, dessen Anartung in der alten Welt noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Da sich deren Anlage aber bereits zuvor entwickelt hatte, war eine Anartung an Amerika nicht mehr möglich gewesen, weshalb „das Naturell der Amerikaner zu keiner völligen Angemessenheit mit irgend einem Klima gelangt; und aus eben diesem Grunde sind die Amerikaner eine Menschen-Rasse, welche, in Rücksicht auf Fähigkeiten und Talente, die niedrigste Stufe einnimmt, und sogar noch tief unter dem Neger steht.“784 Damit vertrat er die gängige Überzeugung eines hierarchischen Aufbaus der Menschheit, an deren Spitze (in diesem Fall zwar lediglich implizit) der Weisse stand und in welcher der Amerikaner die unterste Stufe einnahm. Trotz teilweise problematischen Quellen wie Edward Longs „History of Jamaica“ verzichtete Girtanner mit wenigen Ausnahmen auf ein wertendes Urteil und beschränkte sich stattdessen auf rein somatische Differenzierungsmerkmale. Durchbrochen wurden diese Bemühungen jeweils, wenn Girtanner auf den historischen Hintergrund einging und diesen mit dem Entwicklungsstand einer Rasse verband. Mit dem Verzicht auf kulturelle und moralische Differenzierungsmerkmale folgte er Kant, bei welchem die Hautfarbe als alleiniges Unterscheidungskriterium fungierte. Er erweiterte jedoch die Bandbreite an somatischen Charakteristika und liess auch anatomische und insbesondere kraniologische Differenzierungsmerkmale miteinfliessen. Von Kant unterschied er sich insofern, als dass er nicht mehr von vier, sondern von fünf Rassen ausging; Kant hatte die Amerikaner noch als der hunnischen Race zugehörig betrachtet. Girtanner hob sich zudem insofern von anderen Rassentheoretikern ab, als dass er sich bemühte, die jeweiligen Rassen zu 780 781 782 783 784
Ebd., S. 123. Ebd., S. 125. Ebd., S. 124. Ebd., S. 137, 139. Ebd., S. 138f.
3.7 Die Verwissenschaftlichung des Rassenbegriffs – Kant
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historisieren. Zwar betonte er die Einheit des Menschengeschlechts, indem er die einzelnen Rassen jedoch separat behandelte, betonte er zugleich deren eigenständige historische Entwicklung. Girtanners Rassentheorie zeichnete sich wie jene Kants durch das Prinzip der Unveränderlichkeit und Konstanz aus. Einmal gänzlich ausgebildete Rassen erfuhren seiner Überzeugung nach auch in einem veränderten Klima keine Veränderung, weshalb er sich deutlich gegen die Befürworter der Klimatheorie wandte.785 Das Klima würde zwar die Rassen hervorbringen, indem es die bereits vorgebildeten Keime ausbilden und die entgegengesetzten Anlagen vernichten würde. Allerdings würde es lediglich den Bildungstrieb bestimmen und modifizieren. Hatte sich dieser voll ausgebildet, was durch einen dauerhaften Aufenthalt über mehrere Generationen erfolgt war, so war eine etwaige Veränderung (beispielsweise in Form einer Anpassung an ein verändertes Klima) ausgeschlossen.786 Dementsprechend begrenzt war der Einfluss des Klimas, welcher sich, wie Kant bereits erläutert hatte, auf die Grösse des Körpers und die Gesichtszüge beschränkte.787 Bestätigung für seine Theorie des beschränkten Einflusses des Klimas fand er in den Zigeunern, welche auch nach vierhundert Jahren Präsenz in Europa noch immer nicht als Bauern und Handarbeiter tätig seien, sowie in den freigelassenen Sklaven in England und Amerika, die keinen Geschäften nachgehen würden. In Bezug auf letztere übernahm Girtanner Kants Argumentation aus seinem Aufsatz „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien“ sowie dessen Quelle, das Pro-Sklaverei-Pamphlet von Sprengel, ohne jedoch Kant zu erwähnen.788 Im Gegensatz zum Klima sprach er der Kultur einen grösseren Einfluss auf das physische Erscheinungsbild zu. Allerdings verneinte er, dass diese eine eigene Rasse hervorbringen könne. Wie bereits Buffon und Kant befürchtete Girtanner, sich auf Smith beziehend, eine potenzielle Degeneration der weissen Rasse, wenn sie mit ‚nicht-zivilisierten‘ Völkern in Kontakt käme. So würde der „kultivierte Europäer“ in den Wäldern Nordamerikas verwildern, er würde „eben so faul und unthätig, eben so roh, als die eingebohrnen Wilden“, eine Annäherung, welche sich nicht nur in den Sitten, sondern auch in der Hautfarbe und in den Gesichtszügen bemerkbar machen würde.789 Bei Haussklaven wiederum lasse sich das Gegenteil beobachten, so würde ihre Nase erhabener, der Mund kleiner, die Lippen dünner, die Augen feuriger und ihre Gesichtsbildung angenehm,790 sprich ihr Aussehen nähere sich den Europäern an. Bereits hier lassen sich Bezüge zur Physiognomik erkennen. Wenig später wurde Girtanner noch präziser: „Das verfeinerte gesellschaftliche Leben, oder die Kultur hat überdies den grössten Einfluss auf die Gesichtszüge. Das Gesicht des wilden unkultivierten Menschen ist ohne allen Ausdruk. Sein starrer Blik sagt nichts; da sich hingegen in den Gesichtszügen des kultivierten Menschen
785 786 787 788 789 790
Ebd., S. 158. Ebd., S. 171. Ebd., S, 172–187, insbesondere S. 184. Ebd., S. 156f; vgl. Kant, Über den Gebrauch, S. 174. Girtanner, Kantische Prinzip, S. 216f. Ebd., S. 218.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert alles ausdrükt, was in dem Innersten seiner Seele vorgeht. Die ausdrucksvolle Physiognomie erbt von den Eltern den Kindern an, und modifiziert und verschönert die menschliche Form.“791
Der Bezug zur Lehre der Physiognomie, wie sie Lavater vertrat, ist unübersehbar. Die Gesichtszüge wurden zum Spiegel der Seele, doch das äussere Erscheinungsbild gab nicht mehr nur Auskunft über den Zivilisationsgrad einer jeden Person und eines jeden Volkes, neu kam auch der Faktor der Vererbbarkeit hinzu. Dies bedeutete, dass nicht nur die Gesichtszüge an sich vererbt würden, sondern auch der moralische Stand, denn „verzärtelte und schwache Eltern“, so Girtanner, würden „wieder schwache und verzärtelte Kinder“ zeugen.792 Trotzdem: Eine milieubedingte Aufwertung – wie bei den schwarzen Haussklaven – war bei Girtanner nicht ausgeschlossen. Girtanners Abhandlung stiess auf geringe Resonanz. Die in den „Göttingischen Anzeigen“ erschienene Rezension war vom Autor selbst verfasst.793 Es ist jedoch anzunehmen, dass Girtanners Versuch, die Rassentheorie Kants mit dem Bildungstrieb Blumenbachs in Einklang zu bringen, bei beiden Gelehrten auf Zustimmung stiess.794 In seiner Vorlesung zur Anthropologie bestätigte Kant, dass Girtanners Auseinandersetzung mit den verschiedenen menschlichen Phänotypen „meinen Grundsätzen gemäss“ erfolgte und Girtanner diese „schön und gründlich vorgetragen“ habe.795 Blumenbach verwies in der 1807 veröffentlichten Ausgabe seines „Handbuch der Naturgeschichte“ auf Girtanners Untersuchung, in welcher dieser „ausführlich“ auf Kants Theorie eingegangen sei, ohne diese jedoch zu kommentieren.796 In der modernen Forschung hat Girtanners Abhandlung kaum Beachtung gefunden. Bernasconi interessiert sich wenig für Girtanners eigene rassentheoretische Ideen und reduziert dessen Bedeutung auf die Rolle eines Rezipienten Kants. Während die Forschung gemeinhin davon ausgeht, dass Kants wissenschaftliches Konzept des Rassenbegriffs im 19. Jahrhundert im Gegensatz zu Blumenbachs Rassentheorie in Vergessenheit geriet, sieht Bernasconi in Girtanner gerade den Gegenbeweis. Zugleich betont er, dass Girtanner aufzeigte, dass Blumenbachs und Kants Sichtweise der ‚Rassen‘ durchaus miteinander kompatibel seien.797 Einzig Querner hat sich in einem Aufsatz detaillierter mit der Abhandlung beschäftigt, wobei er zum Fazit kommt, dass diese nur noch wenig mit dem Kantischen Prinzip gemein habe. Vielmehr handle es sich um eine „Materialsammlung zum Phänomen der Mannigfaltigkeit innerhalb der Menschheit“, deren Bezug zu Kant primär darin bestehe, dass der gemeinsame Ursprung aller Menschen sowie die Erblichkeit der dominierenden Rassenmerkmale wie der Haut- und Haarfarbe betont werde.798 791 Ebd., S. 219. 792 Ebd., S. 220. 793 Querner, Girtanner, S. 122; Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen 171, 24. Oct. 1796, S. 1705–1712. 794 Bernasconi, Polyps. S. 75. 795 Kant, Anthropologie, S. 320. 796 Blumenbach, Handbuch 81807, S. 25. 797 Bernasconi, Polyps, S. 73f. 798 Querner, Girtanner, S. 135f.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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Auch wenn Girtanner nur eine untergeordnete Rolle im Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts spielte, ist er in zweierlei Hinsicht von Interesse. Erstens kann er als weiteres Beispiel für eine transparenter werdende Arbeitsweise genannt werden. Hatten die ersten frühen Rassentheoretiker ihre Quellen noch kaum offengelegt, gehörte Transparenz zunehmend zum wissenschaftlichen Standard. Zweitens lässt sich bei ihm der Einfluss mehrerer Rassentheorien feststellen. Wer im ausgehenden Jahrhundert eine rassentheoretische Studie veröffentlichen wollte, sah sich zunehmend gezwungen, sich in den Diskurs einzuarbeiten und die Ideen anderer aufzugreifen. Erst die Arbeit Kants hatte Girtanner zur Niederschrift seiner eigenen Rassentheorie bewogen. Scheinbar mühelos rezipierte er die verschiedenen Rassentheorien in mehreren Sprachen, was als weiteres Indiz dafür gewertet werden kann, dass der Diskurs sich nicht auf ein Sprachgebiet oder einen bestimmten Raum beschränkte. Insofern findet die These, dass der frühe Rassendiskurs an Dynamik und Vitalität gewonnen hatte und zugleich international geworden war, eine weitere Bestätigung. 3.8 VON SCHÄDELN UND KNOCHEN – BLUMENBACH UND DIE ENTSTEHUNG DER KRANIOLOGIE In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts nahmen deutsche Gelehrte zunehmend eine zentrale Rolle innerhalb des Rassendiskurs ein und trugen zu dessen Radikalisierung bei. Von massgeblicher Bedeutung bei dieser Entwicklung war, wie bereits ausgeführt, die 1737 gegründete Universität Göttingen. Deren Etablierung als Zentrum der Völkerkunde war eng mit der Person Johann Friedrich Blumenbachs (1752–1840) verbunden. Aufgewachsen in einem gutbürgerlichen, protestantischen Milieu, hatte er in Jena Medizin studiert, ehe er nach Göttingen wechselte, wo er 1775 mit der in Latein abgefassten Arbeit „De generis humani varietate nativa“ (Über die natürliche Verschiedenheit im Menschengeschlechte) promovierte.799 Fünf Jahre später sollte er eine zweite, überarbeitete Auflage publizieren,800 welcher 1795 eine endgültige Fassung folgte,801 die drei Jahre später von Johann Gottfried Gruber mit der Unterstützung Blumenbachs ins Deutsche übersetzt und somit einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht wurde.802 Die Veröffentlichung von „De generis humani varietate nativa“, deren dritte Ausgabe zum Standardwerk der Anthropologie avancierte, brachte Blumenbach weltweit Anerkennung und begründete seinen Ruf als Vater der wissenschaftlichen Anthropologie. Blumenbach lehrte von 1778 bis zu seinem Tod 1840 als Professor der Medizin in Göttingen. Er galt als herausragender Gelehrter seiner Zeit und war einer der ersten, der sich der vergleichenden Anatomie widmete.803 Insbesondere seine Verbindun799 800 801 802
Blumenbach, De generis 1776. Blumenbach, De generis 21781. Blumenbach, De generis 31795. Vgl: Gruber, Vorwort, S. xii. Diese Ausgabe dient, sofern nicht anders vermerkt, als Quelle für die vorliegende Arbeit. 803 Baron, Blumenbach, S. 203f.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
gen zu Forschungsreisenden und den renommiertesten zeitgenössischen Gelehrten waren für die Universität Göttingen von besonderer Bedeutung und massgeblich für deren Renommee.804 Blumenbachs rassentheoretische Überlegungen waren sowohl methodisch als auch klassifikatorisch einer kontinuierlichen Modifizierung unterworfen. Insbesondere der Einfluss anderer Rassentheoretiker sowie die Entdeckung neuer Territorien hatten auf Blumenbachs Einteilung einen nicht zu übersehenden Einfluss ausgeübt. Erstmalig als Rassentheoretiker in Erscheinung trat Blumenbach mit seiner 1776 veröffentlichten Dissertation „De generis humani varietate nativa“, in welcher er eine Einteilung der Menschheit in vier Varietäten vorschlug. Noch umschrieb er diese gemäss ihrer geographischen Herkunft in Europäer (inklusive den orientalischen Völkern, den Nordafrikanern, Lappen und Eskimos), Asiaten, Amerikaner und Afrikaner. Orientierung bot ihm dabei die Klassifikation Linnés,805 auf die er sich explizit berief und welche er übernahm.806 Blumenbachs Dissertation zeichnete sich weniger durch Innovationskraft als vielmehr durch reine Fleissarbeit aus; als Quellen für die Einteilung dienten die Ergebnisse einer systematischen Auswertung der Reiseliteratur sowie anatomische Studien. Knapp zwei Jahrzehnte später distanzierte er sich von seiner damaligen Arbeitsweise, da „alles was damals in meinem Vermögen stand, die dazu gehörigen Nachrichten von Zeugen (...) zusammen zu schreiben und zu vergleichen“ gewesen sei.807 Eine erste Modifizierung erfuhr die Klassifikation 1779 im „Handbuch der Naturgeschichte“, als er sie um eine fünfte Varietät, diejenige der „Australasiaten und Polynesen“ erweiterte.808 Neu war die Erwähnung von somatischen Eigenschaften sowie der Hautfarbe. So bezeichnete Blumenbach die „ursprüngliche und grösste Raçe“, die Europäer, als „mehrheitlich von weisser Farbe“ und als „nach unsern Begriffen von Schönheit die best gebildetsten Menschen“.809 Die zweite Varietät, die Asiaten, beschrieb er als „meist gelbbraun, dünnbehaart“, „mit platten Gesichtern und kleinen Augen.“810 Die dritte Varietät der Afrikaner sei schwarz, „mit wollichtem Haar, stumpfe Nasen und aufgeworfene Lippen“, die Amerikaner schilderte er als kupferrot.811 Die Weiterentwicklung der Klassifikation ist aus zweierlei Gründen beachtenswert. Erstens lässt sich der direkte Einfluss von Forschungsunternehmen auf den Rassendiskurs zeigen, stellte die Aufnahme der fünften Varietät der Australier doch eine Folge der Expeditionsreisen Cooks dar. Zweitens lässt sich die Existenz eines eurozentrischen Schönheitsideals feststellen, wobei sich Blumenbach dessen Subjektivität bewusst war, wenn er betonte, dass „nach unsern Begriffen“ die Europäer die schönsten Menschen seien. Blumenbach emanzipierte 804 Krüger, Ueberflusse, S. 202f. 805 In seinem Nachlass befindet sich ein Exemplar der 1766 erschienen zwölften Ausgabe der „Systema naturae“ von Linné, welches viele handschriftliche Nachträge von Blumenbach aufweist. 806 Blumenbach, De generis 1776, S. 41. 807 Blumenbach, Beyträge, S. 70f. 808 Blumenbach, Handbuch 1779, S. 63f. 809 Ebd., S. 63. 810 Ebd. 811 Ebd.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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sich insofern von Linné, als dass er dessen Homo troglodytes in das Reich der Fantasien verabschiedete, genauso wie geschwänzte Völker, Sirenen und geschürzte Hottentottinnen, die ihre Existenz alleine der „gutherzigen Leichtgläubigkeit unsrer lieben Alten“ verdanken würden.812 Im Gegensatz zu Buffon, Maupertuis und Voltaire erkannte Blumenbach, dass es sich beim Albinismus um eine Krankheit handle, welche auch Weisse befallen könne.813 Insofern stellte Blumenbachs Klassifikation eine Verabschiedung alter Topoi dar, welche den Rassendiskurs in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch massgeblich geprägt hatten. In der 1781 erschienen zweiten Auflage der „De generis humani varietate nativa“ hielt Blumenbach an der Einteilung der Menschen in fünf Varietäten, wie er sie 1779 entwickelt hatte, fest. Noch immer war die Einteilung geographisch begründet und beinhaltete die Gruppe der Europäer, Asiaten, Afrikaner, Amerikaner und Australier inklusive der Bewohner der Philippinen.814 Auch methodisch unterschied sich die neue Auflage nur geringfügig von der ersten, Reiseberichte und anatomische Studien Dritter bildeten weiterhin die Hauptquelle des Blumenbachschen Wissens. Allerdings lässt sich ein gesteigertes Interesse an Schädeln feststellen. Noch verzichtete Blumenbach aber auf den Einbezug eigener kraniologischen Studien,815 für welche er später Berühmtheit erlangen sollte. Ausgelöst wurde das zunehmende Interesse wahrscheinlich durch den Schädel eines Söldners, den Blumenbach 1778 erhalten hatte, ein Jahr später kam noch ein Mumienkopf hinzu. Auch die Korrespondenz Blumenbachs zeugt von seinem neuen Interesse. So berichtete er 1784 in einem Brief an Johannes Gessner, dass seine Sammlung in letzter Zeit Zuwachs an „sehr charakteristische(n) Schedel(n) fremder Nationen“ erhalten habe. Insbesondere der Kopf eines Nordamerikaners, dessen Scheitel sich durch seine Flachheit und die „weite officina olfactus816 (der sich mit dem äuserst scharfen Geruch dieser Wilden reimt)“ auszeichne, hatte es Blumenbach angetan.817 Aktiv bemühte er sich von nun an um Mithilfe zur Vergrösserung seiner Sammlung. Aus einem Brief Georg Thomas von Aschs, einem russischen Arzt und Förderer der Universität Göttingen, wird ersichtlich, dass Blumenbach ihn zweimal um die Beschaffung von Schädeln asiatischer Völkern gebeten haben muss. Von Asch versprach, ihm welche zu besorgen, bat ihn aber zugleich um Geduld.818 Die ersten Bemühungen Blumenbachs, seine Schädelsammlung zu vergrössern, waren wenig erfolgreich; erst der enge Kontakt mit Joseph Banks, dem Präsidenten der Royal Society, ermöglichte Blumenbach, endlich in den Besitz der sehnlichst gewünschten Schädel zu gelangen. Die Korrespondenz mit Banks819 zeigt detailliert 812 813 814 815 816 817 818
Ebd., S. 64. Ebd. Blumenbach, De generis 1781, S. 51f. Ebd., S. 77–93. Officina olfactus = Riechorgang. Brief 315 an Johannes Gessner, 27.10.1784, in: Blumenbach, Correspondence II. Brief 375 von Georg Thomas von Asch, 30.8.1785, in: Blumenbach, Correspondence II. Die Korrespondenz zwischen von Asch und Blumenbach war insofern von grosser Bedeutung, als dass von Asch wichtige anthropologische Objekte und Artefakte aus Russland nach Göttingen schicken liess. Vgl. Dougherty, Reflections, S. 41. 819 Der erste Brief von Blumenbach an Banks datiert aus dem Jahre 1783, Brief 234 an Joseph
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
auf, wie arbeitsintensiv und schwierig deren Beschaffung war, aber auch wie fruchtbar sich die Zusammenarbeit für Blumenbach gestaltete. Es wäre allerdings verfehlt, die Korrespondenz zwischen Banks und Blumenbach alleine auf die Frage der Beschaffung von Schädeln zu reduzieren. Vielmehr fand auch ein reger Austausch statt, Publikationen wechselten den Besitzer und Blumenbach liess Banks seine Schriften zukommen.820 Blumenbachs Briefe an Banks zeugen von seiner Wertschätzung und vom Bewusstsein, wie viel er dem Präsidenten der Royal Society verdankte.821 Seine Dankbarkeit ging so weit, dass er die dritte und endgültige Fassung seiner Dissertation Joseph Banks widmete, der „weder Mühe noch Kosten gespart“ habe, um seine Schädelsammlung zu vergrössern und ihm Zugang zur Bibliothek in London zu verschaffen.822 Der rege Briefwechsel mit Banks beweist, dass sich Blumenbachs Kontakte längst nicht auf die akademische Welt beschränkte, sondern dass er vielmehr als eigentliches Bindeglied zwischen Wissenschaft, Forschungsreisenden und den die Reise finanziell unterstützenden Organisationen fungierte. So stand er sowohl in engem Kontakt mit der Royal Society, welche die Expeditionen in der Südsee aktiv förderte, als auch der British African Association, die Entdeckungsreisen ins Innere Afrikas finanzierte, was ihm schlussendlich bei der Beschaffung seiner Schädel von grossem Nutzen war. Durch seine Kontakte gelang es ihm, in Besitz von diversen Kultgegenständen fremder Völker zu kommen, die ihm die Möglichkeit eröffneten, Rückschlüsse auf die jeweilige Sitte und Kultur zu ziehen. Doch erst die Schädel sowie weitere anatomische Präparate, ermöglichten ihm die Entwicklung seiner auf anatomische Befunden gestützten Einteilung der Menschen, wie er sie 1795 in der dritten Ausgabe seiner Dissertation vorschlug; sie bildeten das wissenschaftliche Fundament, die scheinbar objektive Bestätigung seiner Theorie. Die Beschaffung von Schädeln war, wie aus der Korrespondenz mit Banks hervorgeht, aufwändig und schwierig. Bereits 1787 bat Blumenbach Banks inständig, ihm den Schädel eines Bewohners des fünften Kontinents zu vermitteln oder „au moins une copie en plâtre; ou un dessin“.823 In seiner Antwort machte Banks ihn auf die Schwierigkeit aufmerksam, an einen dieser Schädel zu gelangen und verwies auf Camper und John Hunter, welche im Besitz eines solchen seien. Da es etwa zweieinhalb Jahre daure, bis er Blumenbach das gewünschte Objekt überge-
820
821 822 823
Banks, 30.1.1783, in: Blumenbach, Correspondence II. Ab dem Jahre 1789 befanden sich die beiden in einem regen Briefkontakt. Vgl. Blumenbach, Correspondence III; Blumenbach, Correspondence IV. Zum Gelehrtenaustausch von Banks und Blumenbach vgl. auch Biskup, Sammeln, S. 608–612. Vgl. bspw. Brief 613 von Joseph Banks, 18.5.1790, in: Blumenbach, Correspondence III, in welchem Banks Blumenbach um die Beschaffung von Büchern bat oder Brief 601 von Joseph Banks, 7.3.1790, in: Blumenbach, Correspondence III, in dem sich Banks für die Zusendung der Schrift bedankte und sie als „elegant publication“ rühmte oder Brief 826 von Joseph Banks, 8.1.1794, in: Blumenbach, Correspondence IV, als Blumenbach ihm seine Studie zu den Mumien, Pamphlete und Medaillen schickte. So bspw. Brief 565 an Joseph Banks, 9.8.1789, in: Blumenbach, Correspondence III; Brief 822 an Joseph Banks 1.11.93, in: Blumenbach, Correspondence IV. Blumenbach, Verschiedenheiten, S. xvf. Brief 464 an Joseph Banks, 20.6.1787, in: Blumenbach, Correspondence III.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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ben könne, bot er ihm in der Zwischenzeit an, „Mr Hunter My Friend“ zu kontaktieren, damit Hunter ihm die Silhouette zukommen lasse824 – ein Angebot, welches Blumenbach dankend annahm.825 Bis Blumenbach tatsächlich in den Besitz des Schädles eines Australiers gelangte, sollten sechs Jahre vergehen, umso grösser war die Freude bei dem Göttinger Naturforscher, komplementierte doch der Kopf des Neu-Holländers seine Sammlung.826 Der Schädel war nicht der einzige, dessen Besitz Blumenbach dem Engländer verdankte. Bereits 1789 kündigte Banks ihm den baldigen Erhalt eines Schädels von einem Häuptling aus den St. Vincent Inseln an827 und teilte ausserdem mit, dass er sich an mehreren Orten um weiterer Objekte bemüht habe.828 Insgesamt kam Blumenbach dank Banks in den Besitz von mehreren Schädeln, darunter auch denjenigen einer Frau aus der Karibik, den er als „the most singular anomalous Shape i ever saw“ rühmte,829 sowie eines Tahitianers.830 Erst die zeitintensive und mühselige Beschaffung der Schädel ermöglichte die 1795 erschienene dritte Ausgabe seiner Dissertation. Diese markierte methodisch, klassifikatorisch und terminologisch eine radikale Abwendung von den früheren rassentheoretischen Überlegungen. Mit ihr löste sich Blumenbach endgültig von der in seinen Augen überholten Klassifikation Linnés, dessen Verdienst er darin erachtete, dass er als erster eine Einteilung der Menschheit aufgrund äusserer Kennzeichen entwickelt hatte.831 Stattdessen schlug Blumenbach eine eigenständige Einteilung der Menschen unabhängig von ihrer geographischen Herkunft vor. Obwohl Blumenbach noch immer nicht völlig auf die systematische Auswertung der Reiseliteratur und den Einbezug anatomischer Studien Dritter verzichtete, spielten diese nur noch eine untergeordnete Rolle. Hauptquelle bildete stattdessen seine eigenen kraniologischen Studien, womit sich Blumenbach endgültig von seinen Vorgängern abhob und welche ihn als Begründer der menschlichen Rassenkunde und als Vater der Kraniologie in die Annalen eingehen lassen sollten.832 Basis der Rasseneinteilung bildete der systematische Vergleich von Körperbau, Kopfhaar, Hautfarbe und insbesondere Kopfform. Der Newtonschen Maxime verpflichtet, dass eine jede Theorie empirisch zu überprüfen sei, versuchte Blumenbach die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Varietäten empirisch nachzuweisen. Dies wiederspiegelt sich insbesondere in der grossen Fülle an Belegen und Daten sowie in den Bemühungen Blumenbachs, an geeignetes Studienmaterial heranzukommen.833 Hauptkorpus seiner Untersuchung bildete eine Sammlung von insgesamt 82 verschiedenen Schädeln, deren Verzeichnis er seiner Studie voran824 825 826 827 828 829 830 831 832 833
Brief 471 von Joseph Banks, 24.8.1787, in: Blumenbach, Correspondence III. Brief 475 an Joseph Banks, 9.10.1787, in: Blumenbach, Correspondence III. Brief 822 an Joseph Banks, 1.11.1793, in: Blumenbach ,Correspondence IV. Brief 560 von Joseph Banks, 15.7.1789, in: Blumenbach, Correspondence III. Brief 593 von Joseph Banks, 31.12.1789, in: Blumenbach, Correspondence III. Brief 627 an Joseph Banks, 22.9.1790, in: Blumenbach, Correspondence III. Brief 838 an Joseph Banks, 10.3.1794, in: Blumenbach, Correspondence IV. Blumenbach, Verschiedenheiten, S. xvii. Mühlmann, Anthropologie, S. 58f. Bitterli, Grundzüge, S. 215.
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stellte.834 Unter den 82 Schädeln machte Blumenbach fünf Musterschädel aus, die er als repräsentativ für ihre jeweilige Varietät erachtete. Daneben listete er aber auch sieben Schädel auf, welche die Übergänge zwischen den einzelnen Varietäten dokumentieren sollten. Während die kaukasische Varietät am besten repräsentiert war, zeigten sich die malaiische mit lediglich zwei und die amerikanische Varietät mit drei Vertretern deutlich untervertreten. Obwohl Blumenbachs Sammlung zu jener Zeit beispiellos war, fehlte es auch ihm an Anschauungsmaterial. Blumenbach war sich dessen durchaus bewusst und versuchte diesen Missstand einerseits durch Transparenz – Schädel unbekannter Herkunft listete er beispielsweise separat auf – und andererseits durch die Betonung des exemplarischen Charakters seiner Untersuchungsobjekte wettzumachen.835 Neben seiner Sammlung von Schädeln und anatomischen Präparaten stützte sich Blumenbach auf Gipsabgüsse und von Künstlern hergestellte Abbildungen, während er Zeichnungen in Reiseberichten nur bedingt als nützlich qualifizierte. Die von ihm erwähnten Abbildungen studierte er sorgfältig und verglich sie untereinander sowie mit den Schilderungen aus den Reisejournalen.836 Noch immer bildete die Reiseliteratur eine wichtige Quelle, nicht grundlos stand Blumenbach im Ruf, einer der grössten Kenner von Reisejournalen im deutschsprachigen Raum zu sein.837 Gemäss eigener Aussage hatte er sich intensiv mit der Reiseliteratur beschäftigt und die beträchtliche Sammlung der Universitätsbibliothek systematisch gelesen und exzerpiert, wovon auch die zahlreichen Fussnoten in seinem Werk zeugen.838 Dabei zeigte er sich bemüht um einen kritischen Umgang mit den Berichten, indem er diese miteinander verglich. Ähnlich wie Buffon zeichnete er sich durch einen selektiven Umgang mit seinen Quellen aus und wies gewisse Berichte als unwahr zurück.839 Da er sich auf somatische Kennzeichen beschränkte und moralische Werturteile bewusst auszuklammern versuchte, blieb der Einfluss der tendenziösen Berichte auf seine Rassentheorie marginal. Sein Vorgehen unterschied sich insofern von demjenigen anderer Rassentheoretikern, als dass er Reiseberichte nicht mehr als Hauptquelle verwendete, sondern diese lediglich zur Verifizierung seiner anatomischen Beobachtungen einsetzte.840 Ein zentrales Anliegen Blumenbachs war es, die Einheit des Menschengeschlechts trotz ihrer Diversität zu belegen. Den Polygenisten warf er vor, dass sie bei ihren Untersuchungen zu selektiv vorgegangen seien und lediglich „ein paar recht auffallend gegen einander abstechende Menschenracen“ berücksichtigt hätten.841 Er warnte davor, einen „Senegambischen Neger“ mit einem „deutschen Adonis“ zu vergleichen und die fliessenden Übergänge zwischen den einzelnen Va834 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 1–11. 835 Ebd., S. 1f. 836 Blumenbach, Beyträge, S. 74f; Zur Kritik an den Porträts, welche in anthropologischen und naturhistorischen Werken publiziert wurden, vgl. auch Blumenbach, Abbildungen, s.p. 837 Bitterli, Grundzüge, S. 257. 838 Blumenbach, Beyträge, S. 71f. 839 Vgl. Blumenbach, Verschiedenheiten; S. 218–220. 222. 840 Vgl. Ebd., S. 154, wo er die Flachheit des Oberkiefers eines Neuholländers betonte, um dann mittels eines Rückgriffs auf die Reiseliteratur diesen durch die gewollte Deformation des Schädels zu erklären. 841 Blumenbach, Schweine-Racen, S. 1.
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rietäten zu ignorieren. Unterschiede bezüglich des Aussehens erklärte er – in der Tradition Buffons – sowohl klimatisch als auch von Menschen beeinflusst.842 So führte er beispielsweise die kleine Statur der Nordländer auf die Kälte zurück, die „Habichtnasen“ der Tartaren auf das Herunterziehen der Nasenspitze bei den Kindern.843 Die verschiedenen Ausprägungen führte er auf die Vermischung und das Klima zurück, was dafür sprach, dass ‚rassische‘ Merkmale nicht erblich sondern veränderbar waren.844 Auch in der dritten Ausgabe seiner Dissertation stand die Frage nach der Einheit des Menschengeschlechts im Zentrum. Ziel der Studie war die Beantwortung der Frage, ob die natürliche Verschiedenheit unter den Völkern durch Verartung entstanden sei oder ob nicht vielmehr von mehreren ursprünglichen Spezies des Menschengeschlechts ausgegangen werden müsse. Ausgangspunkt der in vier Teile gegliederten Studie bildete die Herausarbeitung des Unterschieds zwischen den Menschen und den Tieren, welchen er – sich ausdrücklich auf Soemmerring stützend – primär in der Gehirnmasse beziehungsweise in deren Nerven sah. Wie bereits zuvor Linné zählte auch Blumenbach den Menschen zur Ordnung der Säugetiere, die er in zehn Gruppen unterteilte, und siedelte ihn als einziges Lebewesen in der ersten Gruppe der Zweihändigen an. Die Dominanz des Menschen gegenüber den Tieren sah er dabei nicht körperlich, sondern geistig begründet.845 Damit übernahm Blumenbach die Argumentation seiner Vorgänger, die den Hauptunterschied ebenfalls in der Vernunft – dem Sprachvermögen und dem Ausdruck von Emotionen –, zu finden glaubten. Durch die klare Abgrenzung des Menschen vom Tierreich und insbesondere vom Affen, distanzierte er sich zugleich von der Idee des ‚missing link‘.846 Anschliessend befasste er sich in einem zweiten Teil mit den Ursachen und Arten der Degeneration bei den Tiergattungen, wobei er anhand eines Rückgriffs auf domestizierte Tiere zu beweisen suchte, dass Verschiedenheiten stets relativ und niemals absolut seien. Somatische Unterschiede waren nicht gleichbedeutend mit der Zugehörigkeit zu einer anderen Gattung. Erst wenn die Differenzierung in der Gestalt und in der Verhaltensweise sehr gross sei, handle es sich um eine andere Gattung und nicht mehr um eine Abartung.847 Diese These übertrug er in einem dritten Teil auf den Menschen. Dabei berief er sich auf Newtons philosophische Leitsätze, welche erstens besagten, dass die „natürliche Wirkungen von einerley Gattung“ „auch einerley Ursachen
842 Bertoletti erachtet die von Blumenbach konstruierte Verbindung der beiden Konzepte von ‚Rasse‘ und Umwelt sowie die Betonung ihrer Historizität als von fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung der Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert. Bertoletti, Anthropological Theory, insbesondere S. 106. 843 Anonym, Menschen-Geschlecht, S. 74f. 844 Ebd., S. 80. 845 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 43–52. 846 Ebd., S. xix; vgl. Bitterli, Grundzüge, S. 337f. 847 Ebd., S. 58f, 64–68. Die Analogie zum Tierreich war nicht wirklich neu, bereits 1789 hatte Blumenbach einen Vergleich zwischen domestizierten Schweinen und Menschen gewagt und auch in den „Beyträgen zur Naturgeschichte“ griff er auf eine Analogie zurück, um die „Veränderlichkeit der Schöpfung“ zu illustrieren. Blumenbach, Schweine-Racen; Blumenbach, Beyträge, S. 33.
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auszeichnen“ müsse.848 Zweitens sei „bei Ereignissen der Natur nicht mehrere Ursachen“ anzuführen, „als zur Erklärung ihrer Erscheinung hinlänglich“ sei.849 Indem er nun eine Analogie zwischen den Ausartungen bei den Tieren und den ‚rassischen‘ Verschiedenheiten bei den Menschen herstellte, folgerte er, dass es keinen Grund für die Annahme verschiedener Menschengattungen gäbe, wenn die Ursachen der Verartung hinlänglich seien, um die körperlichen Verschiedenheiten zu begründen.850 In der Analogie sah er den Beweis, dass es sich beim Menschen um eine Gattung handle, welche aus fünf Hauptvarietäten und zwar der kaukasischen, mongolischen, äthiopischen, malaiischen und amerikanischen bestand. Einen Grund für die Differenzierung sah er im Bildungstrieb,851 welcher die Anpassung eines Lebewesens an die jeweilige Region erklärte. Drei Faktoren konnten dabei zu einer Normabweichung beim Bildungstrieb führen: Erstens die Hervorbringung von Missgeburten, zweitens die Zeugung von Nachkommen zwischen verschiedenen Varietäten, drittens die Ausartung, unter welcher Blumenbach die längerfristige Anpassung an die Umwelt verstand.852 Einen grossen Einfluss auf die Differenzierung mass Blumenbach dem Klima bei, welches wiederum die Nahrungsmittel und die Lebensart beeinflusse, wobei er es vermied, den effektiven Einfluss des Klimas auf die Differenzierung zu benennen.853 Im Gegensatz zu Buffon beschränkte er sich jedoch nicht darauf, äusserliche Unterschiede alleine auf das Klima zurückzuführen; vielmehr versuchte er diese anatomisch zu erklären. Doch der Versuch, die Differenzierung mittels der Anatomie fassbar zu machen, blieb schwammig und wurde teilweise durch sich selbst relativiert. So begründete Blumenbach beispielsweise die schwarze Hautfarbe der Afrikaner mit einem Übermass an Kohlenstoff, um dann einzuwenden, es sei allgemein bekannt, dass die schwarze Hautfarbe nicht angeboren, sondern durch den Kontakt mit der Luft bedingt sei.854 Schlussendlich blieb – zumindest in diesem Fall – nur der Rückgriff auf die bewährte Klimatheorie, um die menschliche Diversität zu erklären. Bei der Herausarbeitung der Verschiedenheiten beschränkte sich Blumenbach auf rein äusserliche Merkmale wie Hautfarbe, Gesichtsbildung und Schädelform und bestimmte insgesamt fünf verschiedene Hauptvarietäten. Als erstes Unterscheidungskriterium führte Blumenbach fünf verschiedene Hautfarbentypen ein. Obwohl er die Hautfarbe als nicht beständig erachtete, da sie sich durch den Einfluss des Klimas und die Vermischung zwischen den einzelnen Varietäten verändern könne, glaubte er, fünf Hauptklassen – weiss, gelb, kupferartig, braun und schwarz – zu erkennen.855 Als zweites wichtiges Unterscheidungskriterium führte Blumenbach die Bestimmung der nationalen Gesichtsbildung ein. Zwar relativierte 848 849 850 851 852 853 854 855
Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 62. Ebd., S. 63 Ebd., S. 62f. Vgl. Blumenbach, Bildungstrieb; zum Bildungstrieb siehe auch: McLaughlin, Blumenbach, S. 357–372. Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 69–73. Ebd., S. 73–80. Ebd., S. 97–100. Ebd., S. 95–119.
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er diese insofern, als dass er die individuelle Gesichtsbildung durchaus anerkannte. Trotzdem war er überzeugt, dass jede Varietät eine eigentümliche Gesichtsbildung aufweise. Diese erachtete er ähnlich wie die Hautfarbe als veränderlich, wobei das Klima sowie künstlich erzeugte Veränderungen durch den Menschen eine prägende Rolle spielten.856 Bei der nationalen Gesichtsbildung arbeitete Blumenbach erstmals mit einer Skala und setzte dabei die kaukasische Varietät als Mittelform fest: „Ein ovales, ziemlich gerades Gesicht mit nicht zu stark hervorspringenden einzelnen Theilen. Flächere Stirn. Schmälere, leichtgebogene Nase, oder mit nur etwas erhöhtem Rücken. Die Backenbeine nicht sehr hervorstehend, der Mund klein, mit nur sanft geschwellten Lippen (welches besonders für die Unterlippe gilt). Volles gerundetes Kinn. Dies ist im Allgemeinen, nach unserm Urtheile von Symmetrie, die schönste und wohlgebildeteste Gesichtsform. Sie ist gleichsam die Mittelform, welche nach beyden Seiten hin durch Verartung in die entgegengesetzten Extreme übergegangen ist, wovon das eine ein in die Breite gezogenes, das andere ein nach unten verlängertes Gesicht darstellt.“857
An den Extrempunkten siedelte er die in die Breite gezogene Gesichtsvariante der mongolischen und die nach unten verlängerte Gesichtsform der äthiopischen Varietät an; die amerikanische bildete die Mittelform zwischen der mongolischen und der kaukasischen, die malaiische jene zwischen der äthiopischen und der kaukasischen Varietät.858 Als drittes Unterscheidungsmerkmal diente die Schädelform, wobei auch hier zahlreiche Übergänge, ausgelöst durch das Klima oder die künstliche Verformung, ersichtlich wurden. Erneut entschied sich Blumenbach für die Anwendung einer Skala, in welcher die äthiopische und mongolische Varietät die beiden Extrempunkte darstellten, während die kaukasische Varietät aufgrund ihrer „schönen Schädelform“ und ihrem Ebenmass erneut als „Mittel zwischen zwei Extremen“ bezeichnet wurde.859 Auf Basis der genannten Unterscheidungsmerkmale entwickelte Blumenbach eine Einteilung des Menschengeschlechts in fünf Hauptvarietäten. Diese fünf Hauptvarietäten – die kaukasische, mongolische, äthiopische, amerikanische und malaiische – waren nicht unabänderlich, vielmehr arbeitete Blumenbach mit Idealtypen. Die bestimmenden Merkmale erachtete er nicht als bleibend, jede Varietät war charakterisiert durch eine Vielzahl an Ausnahmen.860 Blumenbachs Einteilung stellte – im Gegensatz zu früheren Rassentheorien – kein einmaliges, abgeschlossenes Ereignis mehr dar, sondern muss vielmehr als Prozess der Transformation verstanden werden; der Mensch sah sich mit biologischen Veränderungen konfrontiert, welche sowohl durch grosse Migrationsbewegungen als auch durch das Klima verursacht werden konnten, er sah sich Veränderungen ausgesetzt und erstmals spielte der Aspekt der Zeitlichkeit mit ein. 856 857 858 859
Ebd., S. 128f, 133–141. Ebd., S. 130. Ebd., S. 130–133. Ebd., S. 149ff. Marino erachtet die Anordnung der Schädel mit der kaukasischen Varietät als Mittelform als eine graphische Darstellung des Göttinger Eurozentrismus. Marino, Praeceptores, S. 129. 860 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 205.
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Die endgültigen Beschreibungen der einzelnen Varietäten beschränkten sich primär auf die Zusammenfassung bereits untersuchter Unterscheidungsmerkmale sowie ihre Einordnung aufgrund der geographischen Herkunft. Gängige Vorurteile, wie jenes, dass sich der Schwarze mehr dem Affen annähere als andere Rassen, wies Blumenbach vehement zurück.861 Die kaukasische Varietät nahm in seinen Ausführungen einen besonderen Stellenwert ein, da er sie aufgrund ihrer Mittelform als ursprünglichen Stamm erachtete, weshalb der Ursprung der Menschheit in Georgien liegen musste. Eine Bestätigung seiner These fand er darin, dass dort die schönsten Menschen mit der schönsten Schädelform leben würden. Die weisse Hautfarbe bildete somit die „ächte Farbe des Menschengeschlechts“,862 wobei er nochmals betonte, dass es sich trotz aller Verschiedenheiten bei den Varietäten nicht um eigene Gattungen, sondern um Abartungen handle.863 An der Einteilung in fünf Varietäten hielt Blumenbach im Wesentlichen zeitlebens fest und unterwarf sie nur geringen Modifikationen. Auffällig ist, dass er mit zunehmendem Alter zu einer vermehrten Beschreibung somatischer Eigenschaften tendierte.864 Die Kaukasier beschrieb er als von „weisser Farbe mit rothen Wangen, langem, weichem, nussbraunem Haar; und der nach den Europäischen Begriffen von Schönheit musterhaftesten Schedel- und Gesichts-Form.“865 Hatte er zuvor die Lappen und Finnen stets der kaukasischen Varietät zugerechnet, zählte er sie nun zu den Mongolen. Diese beschrieb er als „meist waizengelb (theils wie gekochte Quitten, oder wie getrocknete Citronenschaalen); mit wenigem, straffem, schwarzem Haar, enggeschlitzten Augenliedern; plattem Gesicht; und seitwärts eminirenden Backenknochen.“866 Der Ausschluss der Lappen aus der caucasischen Rasse ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Erstens war er ein weiteres Indiz dafür, dass sich Blumenbach endgültig von der geographischen Herkunft als bestimmendem Klassifikationskriterium verabschiedet hatte. Zweitens nahm Blumenbach das jahrhundertealte Stigma der angeblichen Hässlichkeit auf, wenn er die Lappen von der Mittelform, der gemäss europäischem Verständnis schönsten Varietät, ausschloss. Dies stützt die These, dass der Rassentheorie Blumenbachs durchaus eine ästhetische Werteskala zugrunde lag, zumal dies auch von Zeitgenossen so verstanden wurde.867 Als dritte Rasse bestimmte Blumenbach die äthiopische, welche er als „mehr oder weniger schwarz; mit schwarzem krausem Haar, vorwärts prominirenden Kiefern, wulstigen Lippen, und stumpfer Nase“868 beschrieb. Die Americanische Rasse wiederum charakterisierte er als „lohfarb oder zimmtbraun (theils wie Eisenroth oder angelaufnes Kupfer); mit schlichtem straffem 861 862 863 864 865 866 867 868
Ebd., S. 213–224. Ebd., S. 214. Ebd., S. 224. In der 6. und 7. Auflage von 1799, resp. 1802 sind weder terminologische, noch klassifikatorische Veränderungen feststellbar. Blumenbach, Handbuch 61799; Blumenbach, Handbuch 71802. Blumenbach, Handbuch 51797, S. 61. Ebd., S. 61f. So übersetzte der Amerikaner Samuel Stanhope Smith Blumenbachs kaukasische Rasse als „Caucasian or handsomest race“. Smith, Essay, 1810, S. 240. Blumenbach, Handbuch 51797, S. 62.
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schwarzem Haar, und breitem aber nicht plattem Gesicht, sondern stark ausgewirkten Zügen“,869 während die Malayische Rasse „von brauner Farbe (einerseits bis ins helle Mahagony anderseits bis ins dunkelste Nelken und Castanienbraun); mit dichtem schwarzlockigem Haarwuchs; breiter Nase; grossen Mund“ sei.870 Auffällig ist die detaillierte Beschreibung der Hautfarbe, der eine zentralere Stellung zukommt als der Schilderung der Kopfform. Dies nährt die Vermutung, dass Blumenbachs Rasseneinteilung zwar methodisch auf der Kraniologie fusste, die Hautfarbe jedoch noch immer das dominierende Klassifikationsmerkmal war. Ähnlich wie bei Camper stellte die Hautfarbe für Blumenbach kein unabänderliches Bestimmungsmerkmal mehr dar. Vielmehr konnte sie aufgrund äusserer Umstände gewissen Veränderungen unterliegen; selbst die Schwärze der Haut der Afrikaner konnte im Laufe der Zeit gemäss Blumenbach abnehmen und zwar durch die Anwendung von Bleichmittel, aufgrund des Alters, klimatischer Einflüsse oder Krankheiten.871 Nicht nur Blumenbachs rassentheoretischer Ansatz zur Erklärung der menschlichen Diversität veränderte sich im Laufe der Zeit, auch die Terminologie war einem deutlichen Wandel unterworfen. Dies lässt sich insbesondere an den verschiedenen Auflagen seines Werks „Handbuch der Naturgeschichte“ illustrieren, welches ab 1779 in regelmässig überarbeiteten Ausgaben veröffentlicht wurde.872 So schrieb er in der ersten Auflage, es gebe nur eine „Gattung im Menschengeschlecht; und die Menschen aller Zeiten und aller Himmelstriche können von Adam abstammen. Die Verschiedenheiten in Bildung und Farbe der menschlichen Körper werden blos durch Klima, Nahrung, Lebensart u.s.w. bewirkt.“873 Dieser direkte – und für Blumenbach untypische – Bezug auf die Bibel fiel ab der vierten Auflage von 1791 weg. Auf die Klimatheorie zur Begründung der menschlichen Varietäten verzichtete Blumenbach fortan ebenfalls: „Es gibt nur eine Gattung (species) im Menschengeschlecht; und alle uns bekannte Völker aller Zeiten und aller Himmelsstriche können von einer gemeinschaftlichen Stammrasse874 abstammen. Alle National-Verschiedenheiten in Bildung und Farbe des menschlichen Körpers sind nicht um ein Haar auffallender oder unbegreiflicher als die, worin so viele andere Gattungen von organisierten Körpern, zumahl unter den Hausthieren, gleichsam unter unseren Augen ausarten. Alle diese Verschiedenheiten fliessen aber durch so man869 870 871 872
Ebd., S. 62. Ebd. Blumenbach, Beantwortung der Frage, S. 365ff. Aufgrund des Untersuchungszeitraumes wurden die 1. (1779), 2. (1782), 3. (1788), 4. (1791), 5. (1797), 6. (1799) und 7. (1802) Auflagen berücksichtigt. Bei der 2., 6. und 7. Ausgabe liess sich bzgl. der Terminologie keine Veränderung feststellen, während die Begrifflichkeiten der restlichen Auflagen sich teilweise massiv voneinander unterscheiden. Vgl. Blumenbach, Handbuch 11779, 21782, 31788, 41791, 51797, 61799, 71802. 873 Blumenbach, Handbuch 11779, S. 62. 874 Der Gebrauch des Terminus Raçe war nicht wirklich neu, in dem 1775 anonym erschienen Aufsatz „Verschiedenheit im Menschen-Geschlecht“, welcher gemäss Klatt und Dougherty Blumenbach zugerechnet werden muss, verwendete er ihn ebenfalls in beschränktem Masse. Vgl. Klatt, Rassenbegriff, S. 14; Anonym, Verschiedenheit. 1789 veröffentlichte Blumenbach den Aufsatz „Ueber Menschen-Racen und Schweine-Racen“, wo er den Terminus ebenfalls verwendete. Blumenbach, Schweine-Racen, S. 1–13.
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cherley Nuancen so unvermerkt zusammen, dass sich keine andre als sehr willkührliche Grenzen zwischen ihnen fest setzen lassen.“875 Inhaltlich divergieren die beiden Passagen kaum; Blumenbach war zeitlebens der Überzeugung, dass alle Menschen zur gleichen Gattung gehörten. Somatische Unterschiede erachtete er als gegeben, aber nicht als absolut, zumal er in der vierten Fassung von 1791 gerade die Übergänge betonte, was eine Klassifikation wiederum erschwerte. Blieb die Kernaussage – die gemeinsame Abstammung aller Menschen – die gleiche, so unterschieden sich die beiden Zitate doch bezüglich ihrer Terminologie. Neu sprach Blumenbach von „Völker“, an die Stelle von „Verschiedenheiten“ traten „NationalVerschiedenheiten“, der Ursprung der menschlichen Gattung lag nicht mehr bei „Adam“, sondern bei einer „gemeinschaftlichen Stammrasse“. Diese Vorwegnahme einer Begrifflichkeit wie sie im 19. Jahrhundert üblich wurde und die sich stark an Nationen und Völkern orientierte, lässt sich auch bei der Benennung der einzelnen menschlichen Phänotypen feststellen. So teilte Blumenbach die Menschen in der ersten Ausgabe seines Handbuchs in „die ursprüngliche und grösste Raçe“, welche „alle Europäer“ inklusiv Lappen, Nordafrikaner und Asiaten bis zum Ganges beinhaltete, in „die übrigen Asiaten“, „die übrigen Afrikaner“, „die übrigen Amerikaner“ und die „Australasiaten und Polynesen; oder die Südländer des fünften Welttheils“ ein.876 Die Benennung der einzelnen Varietäten orientierte sich folglich primär an deren geographischen Herkunft, die sich aber wiederum nur bedingt als Klassifikationskriterium eignete, da zu der Gruppe der „Europäer“ auch Nordafrikaner und Westasiaten gerechnet wurden. Der Terminus „die übrigen Asiaten/Afrikaner/Amerikaner“ offenbart zugleich Blumenbachs eurozentrische Sichtweise. In der 1795 erschienenen dritten Ausgabe seiner „De generis humani varietate nativa“ benannte Blumenbach die Varietäten erstmals unabhängig von ihrer geographischen Herkunft und sprach von Varietas Caucasia, Mongolica, Aethiopica, Americana und Malaica.877 Diese Terminologie wurde von Gruber in der deutschen Fassung als „die fünf Hauptvarietäten der Kaukasier,878 Mongolen, Äthiopier, Amerikaner und Malayier“ übersetzt.879 Erstaunlicherweise beliess es Blumenbach nicht bei diesen Termini. Stattdessen teilte er in der fünften Ausgabe seines Handbuchs die Menschheit in „fünf Haupt-Rassen“880 ein, in die Caucasische, Mongolische, Aethiopische, Americanische und Malayische Rasse. Die caucasische bezeichnete er dabei als „mittlere oder Stamm-Rasse“, während die mongolische und äthiopische als Extreme definierte.881 Die Terminologie Blumenbachs war zwar einem Wandel unterworfen, an der Grundaussage Blumenbachs einer gemeinsamen Abstammung aller Menschen änBlumenbach, Handbuch 41791, S. 54. Blumenbach, Handbuch 31779, S. 62ff. Blumenbach, De generis 31795, S. 286–295. Der Terminus des ‚Kaukasieres‘, als dessen Schöpfer Blumenbach gilt, hält sich bis heute und wird beispielsweise in den USA als Synonym für ‚Weisser‘ verwendet. Osterhammel, Verwandlung, S. 1218. 879 Blumenbach, Verschiedenheit, S. 204. 880 Blumenbach, Handbuch, 51797, S. 63. 881 Ebd., S. 61ff. 875 876 877 878
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derte sich jedoch nichts, zumal er bereits 1776 in dem anonym publizierten Aufsatz „Verschiedenheit im Menschengeschlecht“ sowie in der ersten Auflage seines Handbuchs den Terminus der Race/Raçe verwendet hatte.882 Interessant ist insbesondere die sprachgeschichtliche Komponente. Sprach Blumenbach anfänglich noch von Varietäten, Race oder Raçe, lässt sich bei Blumenbach die Eindeutschung des Begriffs beobachten, wenn er 1797 von Rassen schrieb. Dies mag ein Indiz dafür sein, dass kurz vor der Jahrhundertwende der Begriff definitiv Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hatte, was wiederum auf die Etablierung des Rassendiskurses als fester Bestandteil des Wissenschaftsbetriebs schliessen lässt. Blumenbach war ein profunder Kenner des zeitgenössischen Rassendiskurses. Das zeigt er in einem kurzen Abriss über die bisherigen Rassentheorien in der dritten Ausgabe der „De generis humani varietate nativa“. Gemäss ihm war „ein gewisser Ungenannter“, gemeint ist unzweifelhaft Bernier, der erste, welcher versuchte, die Menschen in „Stämme“ einzuteilen.883 Als nächstes listete Blumenbach Leibniz auf, gefolgt von Linné und Buffon. Die rassentheoretische Einteilung von Petty war ihm wohl nicht bekannt. Die Nennung von Leibniz ist insofern irreführend, als dass sich Blumenbach explizit auf dessen Ausführungen in der Schrift „Otium Hanoveranum“ bezog, ohne jedoch zu erkennen, dass Leibniz lediglich die Einteilung eines grossen Reisenden (magnus peregrinator), sprich Bernier, wiedergegeben hatte.884 Des Weiteren erwähnte Blumenbach die Einteilung von Pownall885 und Abbé de la Croix,886 um dann die rassentheoretischen Einteilungen Kants, John 882 Blumenbach, Verschiedenheit, Bsp. S. 77; Blumenbach, Handbuch 1779, Bsp. S. 63; Klatt erklärt sich den vorläufigen Verzicht ab 1789 mit dem Einfluss Herders, welcher den Begriff rigoros ablehnte, da dieser in seinen Augen die Vorstellung einer getrennten Herkunft beinhaltete. Klatt, Rassenbegriff, S. 11–17. In der Tat lässt sich der Begriff der Race in der vierten Ausgabe des „Handbuchs“ von 1791 nicht finden, Klatt ist jedoch entgangen, dass Blumenbach in der ein Jahr zuvor publizierten Schrift „Beyträge zur Naturgeschichte“ durchaus die Termini der Stammrace und der Menschenracen verwendet hatte, weshalb seine These des angeblichen Einfluss Herders kaum haltbar ist. Blumenbach, Handbuch 41791, S. 54; Blumenbach, Beyträge, S. 33. Klatts Aussage, Blumenbach habe in den „Beyträgen“ „um den Begriff „Rasse“ zu vermeiden, kurioserweise von der „Eintheilung des Menschengeschlechts in fünf Spielarten““ gesprochen, ist somit nachweislich falsch. Klatt, Rassenbegriff, S. 17. 883 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 209. 884 Vgl. dazu 4.1. sowie Leibniz, Otium Hanoveranum, S. 158–160. 885 Das Kapitel zu den Konklusionen, welche sich aus der Entdeckung und den Beschreibungen Amerikas ziehen lassen, referiert die Klassifikation des britischen Kolonialbeamten und Gouverneurs von Massachussetts Thomas Pownalls, gemäss welchem sich die „human race“ in „three families“ einteilen lasse: in „the white race – the red – the black“. Neben der Hautfarbe erwähnte er zusätzlich die Schädelform sowie die Haare als Klassifikationskriterium. Anonym: A new collection, S. 273f. 886 Abbé Nicolle de la Croix teilte die Menschen in „blancs“ und „noirs“ ein, wobei sich die Weissen wiederum in „blancs proprement dits“, „bruns“, jaunâtres“ und „olivâtres“ unterscheiden würden. De La Croix verzichtete auf jegliche Zuschreibung von allfälligen Merkmalen bei den Weissen und beschränkte sich alleine auf die geographische Herkunft. So rechnete er beispielsweise zu den „blancs proprement dits“ alle Europäer, die Bewohner Anatoliens, Armeniend, Georgiens, Persiens, die Tartaren, Chinesen und Japaner. Bei den Schwarzen hingegen erwähnte er typische phänotypische Charakteristika wie die platte Nase und die grossen Lippen. Croix, Géographie, S. 63f.
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Hunters und Zimmermanns zu erwähnen. Zuletzt erwähnte er die Klassifikation nach Meiners, Klügel887 und Metzger.888 Blumenbachs Ausführungen zu den rassentheoretischen Einteilungen seiner Vorgänger beschränkten sich auf einige Seiten und waren rein deskriptiv, auf eine Kommentierung verzichtete er. Der direkte Einfluss der Theorien auf Blumenbach ist nur schwer auszumachen. Ausser Zweifel steht, dass er Linnés Einteilung zumindest anfänglich übernommen, sich aber spätestens 1795 von ihr losgelöst hatte, da sie ihm überholt erschien. Dies lag zum einen daran, dass in der Zwischenzeit mit den Bewohnern des fünften Kontinents eine neue menschliche Varietät entdeckt worden war. Zum anderen hatte Linné noch keinen Unterschied zwischen dem Menschen und dem Affen ausfindig machen können.889 Buffon inspirierte Blumenbach insofern, als dass er dessen Klimatheorie anwandte, um seine Erkenntnisse zu bestätigen,890 während er Kants Beobachtung, dass es sich bei der Hautfarbe um ein „beständiges und forterbendes Merkzeichen“ handle, ebenfalls übernahm.891 Glaubt man der Aussage Lehmanns, zeigte sich Blumenbach beeindruckt von Kants Theorie. Gemäss einem Brief, welcher Johann Heinrich Immanuel Lehmann Kant zukommen liess, soll Blumenbach versichert haben, dass er durch Kants Schriften „erst auf manches aufmerksam gemacht sey, das in Reisebeschreibungen und durch Beobachtungen zu suchen woran er vielleicht sonst nie gedacht hätte.“892 Allerdings ist diese Aussage mit Vorsicht zu geniessen, da sie auf der Aussage einer Drittperson basiert. Zusammenfassend muss deshalb festgehalten werden, dass Blumenbachs Umgang mit anderen Rassentheorien vergleichbar war mit jenem gegenüber der Reiseliteratur: Sie dienten ihm primär zur Bestätigung der eigenen Beobachtungen. Blumenbachs Auseinandersetzung mit den Theorien seiner Zeitgenossen war durchaus kritisch, wie das Beispiel Camper illustriert. Anlässlich eines Besuches von Camper in Göttingen trafen sich die beiden 1779 persönlich, nachdem sie zuvor bereits miteinander korrespondiert hatten.893 Der schriftliche Kontakt blieb bestehen, in einem Brief an Camper machte Blumenbach ihn auf die zweite Ausgabe seiner Dissertation aufmerksam, in welcher er auch Campers Studie über das 887 Blumenbach bezog sich hier auf einen Artikel zu den Verschiedenheiten des Menschengeschlechts in der Enzyklopädie von Georg Simon Klügel. Dieser erachtete die Hautfarbe, welche von der Mischung der Säfte abhängig sei, als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen den verschiedenen Menschen. Daneben erwähnte er die Bildung des Schädels und des Gesichts sowie das Haar als weiteres Klassifikationskriterium. Klügel beschränkte sich bei seinen Ausführungen auf die Beschreibung somatischer Klassifikationskriterien. Er teilte die Menschen in vier Hauptstämme, welche sich wiederum in Zweige aufgliederten. Zu den vier Hauptstämmen gehörten 1. die „Bewohner von Asien, Europa und Theilen Afrikas“, 2. die „Neger“, 3. die „Bewohner von Amerika“ und 4. die „Bewohner der Südsee-Inseln“. Klügel, Encyclopädie, S. 523–546. 888 Blumenbach, Verschiedenheiten, S. 208–212. 889 Ebd., S. 220f. 890 Ebd., S. 97. 891 Ebd., S. 91. 892 Brief 832 von Johann Heinrich Immanuel Lehmann, 1.1.1799, in: Kant, AA XII. 893 From Pieter Camper’s travel diary. Göttingen 12–16 October 1779, in: Blumenbach, Correspondence I, S. 179–186; Meijer, Race, S. 170; vgl. auch: Gysel, Relations, S. 135–139.
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Gesicht der Schwarzen und jene über den Orang-Utan rezipiert habe.894 Der Gesichtswinkel hingegen blieb unerwähnt,895 wie auch in dem von ihm verfassten Nachruf, in welchem er stattdessen Campers zeichnerisches Talent rühmte.896 Das Stillschweigen war jedoch nicht gleichbedeutend mit einer allgemeinen Zustimmung. Implizite Kritik hatte er zwar bereits 1788 anlässlich einer Schweizerreise geäussert, auf welcher er eine schwarze Bedienstete traf, deren Gesicht „nichts auffallendes, geschweige denn unangenehmes“ aufwies.897 Aufgrund seiner Begegnungen mit weiteren Schwarzen kam er zur Konklusion, dass „zwischen Neger und Neger, so wie in der Farbe, so besonders auch in Rücksicht ihrer Faciallinie eben so viele, wo nicht mehr Verschiedenheit vorwalte“.898 Zwei Jahre später äusserte Blumenbach gemäss einem Tagungsbericht erstmals öffentlich Kritik am Gesichtswinkel sowie an der Genauigkeit der darin abgebildeten Zeichnung eines Kalmücken. Statt sich ausschliesslich auf den Facialwinkel zu konzentrieren, zog Blumenbach weitere Kriterien wie die Breite und Höhe des Schädels, das Stirnbein und den Oberkiefer, die Weite des Nasenknochen, Umriss, Grösse und Tiefe der Augenhöhlen, Richtung des Nasenbeins und die Backenknochen in Betracht.899 In der dritten Ausgabe der Schrift „De generis humani varietate nativa“ – sechs Jahre nach Campers Tod – präzisierte er seine Kritik und liess keinen Zweifel mehr an der Unbrauchbarkeit der Camperschen Gesichtslinie. Insbesondere die Propagierung einer eigentlichen Stufenfolge, welche die Theorie zumindest implizit beinhaltete, stiess bei Blumenbach auf Ablehnung, zumal er den Gesichtswinkel als wenig adäquat zur Festsetzung des Unterschiedes zwischen den einzelnen Varietäten erachtete. Er sei zu ungenau, da er sich nur auf die Gesichtsbildung anwenden lasse und sich diese oft im Gegensatz zu der Schädelform innerhalb einer Varietät unterscheide. Blumenbach kritisierte, dass die Festsetzung der Gesichtslinie stets variiere und willkürlich und unbeständig erfolge.900 Stattdessen sprach er sich für einen Vergleich aus zwischen dem „von den weichen und veränderlichen Theilen des Gesichts entblössten Schädel“, welche „zum Nationalhabitus sehr viel beytragen und mit der, den Nationen eigenthümlichen Gesichtsbildung im Ganzen übereinstimmen“ würden.901 Er propagierte statt dem Camperschen Gesichtswinkel den direkten Vergleich zwischen den einzelnen Schädeln, denn nur durch deren Nebeneinanderstellung liessen sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Varietäten genauer ausmachen.902 Trotzdem sind zumindest methodisch gewisse Parallelen kaum von der Hand zu weisen, da beide davon überzeugt waren, mittels der Kraniometrie und des direkten Vergleichs die verschiedenen Varietäten eruieren zu können. 894 895 896 897 898 899 900 901 902
Brief 153 an Petrus Camper, 22.5.1891, in: Blumenbach, Correspondence I. Blumenbach, De generis 21781, S. 68. Blumenbach, Camper, S. 732–735. Blumenbach, Naturhistorische Bemerkungen, S. 3. Ebd., S. 4. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen 3, 4. Jan. 1790, S. 25–29. Blumenbach, Verschiedenheit, S. 145ff Ebd., S. 144. Ebd., S. 148.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Blumenbachs Auseinandersetzung mit anderen Rassentheoretikern beschränkte sich nicht auf die Rezeption. Anhand des Briefwechsels mit Joseph Banks konnte bereits gezeigt werden, wie fruchtbar sich die Zusammenarbeit für Blumenbach gestaltete. Doch Banks war nicht der Einzige, mit dem Blumenbach in regem Briefkontakt stand; vielmehr lässt sich gerade anhand seiner Korrespondenz die Existenz eines ausgeprägten wissenschaftlichen Netzwerks beobachten. Bezeichnend dafür war die Mitgliedschaft Blumenbachs in über siebzig verschiedenen Akademien und wissenschaftlichen Organisationen.903 Sein Briefwechsel904 mit renommierten Wissenschaftlern wie Soemmerring, Camper, Forster und Lichtenberg – um nur einige zu nennen – illustriert eindrucksvoll, wie gut integriert und vor allem etabliert er in Gelehrtenkreisen war. Die Korrespondenz zeugt von Sympathien und Animositäten zwischen den einzelnen Wissenschaftlern; man liess sich gegenseitig die neusten Veröffentlichungen zukommen905 und diskutierte aktuelle Forschungsprobleme. Teilweise ging die Korrespondenz weit über das rein akademische Interesse hinaus. Besonders ersichtlich werden die verschiedenen Beziehungsebenen in der Korrespondenz zwischen Blumenbach und dem Anatomen Samuel Thomas Soemmerring. Das freundschaftliche Verhältnis906 begann während der Studienzeit Soemmerrings und sollte rund 60 Jahre bis zu dessen Tod andauern.907 Die Freundschaft zwischen den beiden befruchtete ihr wissenschaftliches Schaffen; sie tauschten sich über ihre Forschung aus und liessen sich gegenseitig Präparate und Studien zukommen. So schickte Soemmerring nicht nur einen „vortrefflichen Kopfe“, welcher bei Blumenbach auf überschwängliche Begeisterung stiess,908 sondern liess ihm auch eine sechsgliedrige Hand zukommen.909 Soemmerring wiederum durfte dank Blumenbach eine „schöne Georgianerinn“ besichtigen, wobei er deren „herrliche Wölbung der Stirne und die Gleichheit der Zähne“ besonders rühmte.910 Neben anatomischen Präparaten und Schädeln liess Soemmerring Blumenbach auch seine Schriften zukommen. Die Reaktionen Blumenbachs waren nicht immer derart positiv, wie im Falle eines Manuskripts, welches ihm beim mehrmaligem Durchlesen „jedesmal lehrreicher und wichtiger“ erschienen war.911 903 Baron, Blumenbach, S. 203f. 904 Die Korrespondenz Blumenbachs ist nur teilweise erschlossen. Die bekannten Briefe stellen gemäss Dougherty nur einen Bruchteil des Briefwechsels dar, über den tatsächlichen Umfang kann deshalb nur spekuliert werden. Dougherty, Einleitung, S. IX. In der Folge stützen sich die Ausführungen zur Korrespondenz auf die fünfbändige, von Dougherty veröffentlichte Korrespondensammlung, welche die Jahre 1773 bis 1800 umfasst. Zu Blumenbachs Netzwerk vgl. auch: Trautmann-Waller, Werkstatt, S. 231–251. 905 Blumenbach liess beispielsweise seine Schrift „Über den Bildungstrieb“ Georg Forster zukommen. Brief 537 an Georg Forster, 18.2.89, in: Blumenbach, Correspondence III. 906 Vgl. bspw. Brief 224 an Samuel Thomas Soemmerring, 30.10.1782, in: Blumenbach, Correspondence I, in welchem Blumenbach Soemmerring als „mein Liebster Bester Freund“ bezeichnet. 907 Dougherty, Blumenbach, S. 35f. 908 Brief 145 an Samuel Thomas Soemmerring, 24.3.1781, in: Blumenbach, Correspondence I. 909 Brief 283 an Samuel Thomas Soemmerring, 14.5.1784, in: Blumenbach, Correspondence II. 910 Brief 957 von Samuel Thomas Soemmerring, 28.11.1795, in: Blumenbach, Correspondence IV. 911 Brief 224 an Samuel Thomas Soemmerring, 30.10.1782, in: Blumenbach, Correspondence I.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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Ablehnender zeigte er sich, als Soemmerring ihm seine Studie „Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer“ präsentierte. Während Blumenbach Soemmerrings Bemerkungen noch als fein und scharfsinnig lobte, kritisierte er die Schlüsse, welche er aus seinen Beobachtungen zog. Einmal mehr bekräftigte er, dass der Verstand der Schwarzen „eben so culturfähig ist, als bei irgend einem Europäer“ und dass die körperliche Verschiedenheit lediglich auffalle, wenn man die Übergänge ignoriere.912 Nicht zuletzt aufgrund der Kritik Blumenbachs überarbeitete Soemmerring seine Schrift. Am freundschaftlichen Verhältnis änderte sich jedoch nichts.913 Noch im gleichen Jahr mockierte sich Blumenbach vertrauensvoll in einem Brief an Soemmerring über Herder und beklagte, dass dieser „aus einer Art Stolz nur proprio marte zu reussiren, sich blos mit Büchern beholfen hat und dann da zum Theil an sehr unlautre Quellen gekommen ist.“914 Mit solchen kleinen Lästereien über andere Gelehrte war Blumenbach nicht alleine. Offen fragte man sich gegenseitig über andere Gelehrte aus, wobei Antipathien kaum verschleiert wurden. So muss Blumenbach Metzger in einem nicht überlieferten Brief um eine Charakterisierung Kants gebeten haben.915 Dieser lobte daraufhin dessen Intelligenz und Umgangsformen, kritisierte jedoch seine Rechthaberei.916 Einer der wenigen, welche Blumenbach öffentlich kritisierten, war der Göttinger Christoph Meiners. Er bemängelte insbesondere die Einteilung „ganze(r) Völkerschaften“ aufgrund der „eigenthümlich(n) Bildung eines gewissen Theils des Cörpers“.917 Er bezweifelte die Aussagekraft der Kraniologie als effektive Methode zur Bestimmung der menschlichen Varietäten. Blumenbach reagierte prompt und druckte in seinen „Beyträgen zur Naturgeschichte“ die Kritik Meiners ab, um diese anschliessend zu kommentieren. Er sah sich nicht nur genötigt, die Kraniologie an sich zu verteidigen und sein Methodik offenzulegen, vielmehr stellt die Erwiderung eine eigentliche Rechtfertigung der eigenen Arbeitsweise dar.918 Spätestens hier lässt sich eine Diskussion um die richtige Methode zur Klassifikation der Menschen in Varietäten beobachten, welche in aller Öffentlichkeit geführt wurde; der Rassendiskurs hatte es endgültig auf die grosse Bühne der Wissenschaft geschafft. 912 Brief 331 an Samuel Thomas Soemmerring, 15.1.1785, in: Blumenbach, Correspondence II. Eine detailliertere Analyse der Kritik lässt sich finden im Kapitel 3.8.1. 913 Brief 351 von Samuel Thomas Soemmerring, 18.4.1785, in: Blumenbach, Correspondence II. 914 Brief 354 an Samuel Thomas Soemmerring, 3.5.85, in: Blumenbach, Correspondence II. 915 Metzger schrieb: „In Schilderungen berühmter Männer bin ich nicht sehr geübt. Um aber Ihrem Verlangen zu entsprechen, will ich einen Versuch machen.“ Brief 462 von Johann Daniel Metzger, 12.6.1787, in: Blumenbach Correspondence III. Zur Kritik Metzgers an Kant vgl. Kapitel 4.7.2. 916 Brief 462 von Johann Daniel Metzger, 12.6.1787, in: Blumenbach, Correspondence III. Der Kontakt zwischen Kant und Blumenbach blieb zeitlebens äusserst beschränkt. Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Blumenbach Kant sein Werk über den Bildungstrieb geschickt hatte, welches Kant „vielfach belehrt“ habe, und dieser ihm zum Dank ein Exemplar der „Critik der Urtheilskraft“ zusandte. Brief 623 von Immanuel Kant, 5.8.1790, in: Blumenbach, Correspondence III; Brief 629 von Immanuel Kant, 25.9.1790, in: Blumenbach, Correspondence III. 917 Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 406f. 918 Blumenbach, Beyträge, S. 62–73.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Die Rolle Blumenbachs im Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts ist zwiespältig. Die Hinwendung zur kaukasischen Varietät und deren Postulierung als Mittelform sowie ihre Bezeichnung als schönste Gesichts- und Schädelform919 kontrastierte mit der sonst relativierenden Position Blumenbachs, der sich der Problematik der Übertragung des europäischen Schönheitsideals auf die aussereuropäischen Völker bewusst war. Trotzdem lassen sich in Blumenbachs Œuvre mehrere Belege dafür finden, dass er die verschiedenen Varietäten als gleichwertig betrachtete und versuchte, Stereotypen zu widerlegen. Aussergewöhnlich ist auch die 1796 publizierte Schrift „Abbildungen naturhistorischer Gegenstände“, in welcher er fünf nahmhafte Persönlichkeiten als Repräsentanten der jeweiligen Varietät porträtierte. Indem er auf ihre Talente und ihr Wirken hinwies, verwischten die kulturellen Unterschiede.920 Beispielhaft war auch die Veröffentlichung einer Sammlung von Werken schwarzer Autoren, die dem Ziel diente, zu beweisen, dass der Schwarze durchaus nicht dumm sei.921 Blumenbach zeigte sich insbesondere gegenüber dem Vorwurf der angeblichen Minderwertigkeit der Schwarzen sensibilisiert und schrieb dagegen an, die Schwarzen würden „in Rücksicht ihrer natürlichen Geistesanlagen und Fähigkeiten gerade um nichts dem übrigen Menschengeschlechte“ nachstehen.922 Doch auch wenn Blumenbach gegen die Diskriminierung der Schwarzen ankämpfte, hob er sich zumindest, was die Ästhetik betraf, kaum von seinen Zeitgenossen ab. Auch er konnte seine Abneigung gegenüber der schwarzen Hautfarbe kaum verhehlen, wenn er über das Gesicht eines Kreolen schrieb: „Ein Gesicht, das durchaus – selbst in der Nase und den etwas stärkeren Lippen, – doch so gar nichts auffallendes, geschweige denn unangenehmes hatte, dass die gleichen Züge bey einer weissen Haut, gewiss allgemein gefallen haben müssten.“923 Blumenbach mochte zwar von der Gleichwertigkeit „unserer schwarzen Brüder“924 überzeugt sein, zumindest ästhetisch erachtete er sie jedoch als inferior. Die eminente Bedeutung Blumenbachs für den weiteren Verlauf des Rassendiskurses im 19. Jahrhundert wird in der Forschung kaum bestritten. Bitterli betont, dass Blumenbach einer der ersten Naturforscher war, welcher die rassische Aufteilung nicht als abgeschlossen erachtete, sondern darin einen historischen Prozess sah.925 Damit stimmt er mit Bäumer überein, welche in der Geschichtlichkeit, wie sie bei Blumenbach nachzuweisen ist, einen wichtigen Vorläufer für die Entwick-
919 Dezidierter äusserte er sich in seinem Werk „Beyträge zur Naturgeschichte“, wenn er schrieb, dass die Europäer „nach den Europäischen Begriffen von Schönheit die bestgebildetsten Menschen“ seien. Vgl. Blumenbach, Beyträge, S. 82. 920 Vgl. Blumenbach, Abbildungen, s.p. Eigen sieht in der Veröffentlichung eine implizite Veranschaulichung der Einheit des Menschengeschlechts. Die Schrift belege, dass die rassischen Kategorien niemals dem Individuum entsprechen können und somit nur von beschränkter Anwendbarkeit seien. Eigen, Self, S. 277–298, hier S. 291. 921 Blumenbach, Bemerkungen, S. 1–12; vgl. auch: Blumenbach, Beyträge, S. 92–118. 922 Blumenbach, Bemerkungen, S. 4. 923 Blumenbach, Beyträge, S. 89. 924 Ebd., S. 91. 925 Bitterli, Grundzüge, S. 348.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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lung der Evolutionstheorien im 19. Jahrhundert erachtet.926 Für Geiss927 markiert 1775 gar eine eigentliche Zäsur. Er sieht in Blumenbach einen Übergang vom älteren zum neueren Rassenbegriff, da sich nicht seine Warnung vor einer Abwertung gewisser ‚Rassen‘ durchsetzte, sondern vielmehr die von ihm entworfene – implizite – rassische Hierarchisierung anhand ästhetischer Gesichtspunkte.928 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Marino, der geltend macht, dass zwar auch Blumenbachs Forschung auf rassischen Vorurteilen beruhte, sich sein Rassismus hingegen in Grenzen hielt.929 Auch Bindman betont, dass Blumenbachs Sichtweise der Nichteuropäer zusammen mit jener von Abbé Grégoire zu den liberalsten seiner Zeit gehört habe, da er der Versuchung widerstanden habe, den Afrikaner schlechter zu stellen. Für ihn aber sei der weisse Mensch schlichtweg der schönste gewesen. Indem er die Klassifikation von der geographischen Herkunft loslöste und durch eine auf ästhetischen Überlegungen basierende Einteilung ersetzte, habe er weitere Argumente zur Begründung der europäischen Überlegenheit geliefert.930 Damit vertritt er eine ähnliche Sichtweise wie Gould, der ebenfalls die paradoxe Rolle Blumenbachs bei der Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus hervorhebt, da er einerseits einer „of the least racist thinkers of his day“ gewesen sei.931 Andererseits habe er das auf vier ‚Rassen‘ beruhende, geographisch begründete und nicht explizit hierarchisch aufgebaute System Linnés durch eine auf Schönheit basierende und die kaukasische Varietät zum Ideal stilisierende Rassentheorie ersetzt und somit die einflussreichste rassische Klassifikation entwickelt.932 Der revolutionäre Charakter der Einteilung wird von Krauss insofern relativiert, als dass er geltend macht, dass sich die Theorie zwar auf die Schädelsammlung stützte, die Benennung der einzelnen Rassen aber anhand des Kriteriums der Hautfarbe erfolgte. 933 Aus dieser Perspektive unterschied er sich nur begrenzt von seinen Vor926 Bäumer, Biologie, S. 254. 927 An einer anderen Stelle schreibt Geiss, Blumenbach habe als erster eine „eigene „jüdische Rasse““ erfunden. Geiss, Rassismus, S. 160. Geiss bezieht sich dabei auf Patai, der behauptet, Blumenbach sei einer der ersten Anthropologen gewesen, welcher in den Juden eine „single race“ gesehen hätte. Patai, Myth, S. 21. Er zitiert dabei aus einer Passage der englischen Übersetzung der „De generis“, in welcher Blumenbach erklärt, dass „the nation of Jews (...) under every climate remains the same as far as the fundamental configuration of faces goes, remarkable for a racial character“. Blumenbach, Natural Variety,, S. 234. Festzuhalten ist, dass Blumenbach nie von einer ‚jüdischen jüdischen Rasse‘ gesprochen hatte, so schrieb er in der Originalausgabe: „...et instar omnium Judaeorum gens sub quovis anchor coelo, quod ad fundamentalem faciei configurationem attinetanchor, sibi similis, et gentilitio quodam charactere insignis tantum non omnibus communi, et vel a parum physiognomice doctis primo intuitu dignoscendo, etsi difficulter verbis concipiendo et exprimendoanchor.“ Blumenbach: De generis, 31795, S. 196f. Die These der Beibehaltung gewisser Eigenschaften war zudem nicht neu. Bereits früher hatte Hume geltend gemacht, dass die Juden ihren ursprünglichen Charakter beibehalten würden. Hume, National Characters, S. 231–235. 928 Geiss, Rassismus, S. 151, 160. 929 Marino, Praeceptores, S. 130. 930 Bindman, Ape, S. 201. 931 Gould, Geometer, S. 1. 932 Ebd., S. 2. 933 Krauss, Anthropologie, S. 109.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
gängern, deren Klassifikation geographisch und mittels der Hautfarbe begründet war. Nutz wiederum betont, dass bei Blumenbach erstmals die Einheit des Menschengeschlechts aufgehoben wurde, indem der Göttinger den Kaukasier zur Mittelform machte. Dieser Bruch verschärfte sich gemäss Nutz bei Soemmerring noch zusätzlich.934 Conze und Sommer sehen Blumenbachs Bedeutung für die Entstehung des modernen Rassismus primär wirkungsgeschichtlich begründet, da er die Kraniologie als klassifizierendes Messverfahren eingeführt habe und somit den weiteren Verlauf der rassentheoretischen Diskussion nachhaltig geprägt habe. Sie betonen ausserdem, dass die Beschreibungen der ‚Hauptrassen‘ im 19. Jahrhundert kaum von jenen Blumenbachs divergieren.935 Weniger kritisch betrachtet Klatt Blumenbachs Rassentypologie. Er macht geltend, dass sich Blumenbach bei seiner Einteilung auf rein somatische Kriterien beschränkte und sich eines moralischen Werturteils enthielt. Da er sich an der geographischen Verbreitung orientiert habe, weise seine Rassenhierarchie keine Wertung auf.936 Insbesondere letztere Aussage ist jedoch in Anbetracht der veränderten Stellung der Lappen kaum haltbar. Die Haltung der Projektgruppe „Johann Friedrich Blumenbach – online“, welche u. a. von der Georg-August-Universität in Göttingen getragen wird und die aufgrund Blumenbachs Betonung der Einheit der menschlichen Spezies ihn gar als Begründer des wissenschaftlichen Anti-Rassismus sieht, wird in der Forschung hingegen kaum geteilt.937 Blumenbachs Rolle im Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts erinnert in mehrerlei Hinsicht an jene Campers. Ähnlich wie beim Niederländer gerieten seine relativierenden Bemerkungen zu den rassischen Unterschieden in Vergessenheit, während die Kraniologie, als deren Begründer Blumenbach gilt, im 19. Jahrhundert zum festen Bestandteil rassentheoretischer Untersuchungen avancierte, genauso wie die von ihm als Mittelform eingeführte kaukasische Varietät.938 Insofern muss Blumenbach als ein Pionier des rasentheoretischen Diskurses erachtet werden, zumal er eine Schnittstelle zwischen Naturgeschichte und Anatomie bildete,939 indem er erstmals eine Rassentheorie vorschlug, in welcher eine Typologisierung aufgrund anatomischer Merkmale stattfand. Seine Schädelsammlung galt als eine der bedeutendsten des 18. Jahrhunderts. Er beschrieb und bildete seine neusten Errungenschaften zwischen 1790 und 1828 regelmässig in der Reihe „Decades collectionis suae craniorum diversorum gentium illustratae“ ab und machte seine Sammlung damit einem grösseren interessierten Publikum zugänglich.940 Doch Blumenbachs Wirkung alleine auf die Rezeption zu reduzieren, wäre unangemes934 935 936 937
Nutz, Varietäten, S. 140f. Conze/Sommer, Rasse, S. 149. Klatt, Klytia, S. 76f. Online im Internet: http://www.blumenbach-online.de/j_f_blumenbach/anthropologie/ [Stand 11.September 2012]. Das 2010 begonnene Langzeit-Projekt dauert bis 2024 und hat u. a. neben der Digitalisierung seiner Texte auch deren Neuübersetzung sowie eine Untersuchung seiner Rezeption zum Ziele. Vgl. www.blumenbach-online.de [Stand 11.September 2012]. 938 Mühlmann, Anthropologie, S. 58. 939 Dietz/Nutz, Naturgeschichte, S. 49f. 940 Blumenbach, Decades 1790, 1793, 1795, 1800, 1808, 1820, 1828. Siehe auch Abbildung 5 im Anhang.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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sen. Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen versuchte er stets, ein Werturteil anhand physiognomischer und anatomischer Erkenntnisse zu vermeiden, weshalb er eine biologisch begründete Minderwertigkeit anderer Rassen kategorisch verneinte.941 Doch obwohl es ihm über weite Strecken gelang, ein Werturteil zu vermeiden, erlag auch er schlussendlich der Versuchung, die kaukasische Varietät anhand des ästhetischen Faktors von den anderen abzuheben.942 Der Fall Blumenbach zeigt beispielhaft auf, dass selbst ein äusserst kritischer Gelehrter, welcher sich vehement gegen die Stigmatisierung der aussereuropäischen Völker wehrte, das eigene kulturelle Selbstverständnis kaum hinterfragte und somit den eurozentrischen Standpunkt in seine Arbeit einfliessen liess. Der anatomische Unterschied – Soemmerring Während sich Blumenbach in Göttingen in der ersten Hälfte der 80er Jahre zunehmend auf die Untersuchung von Schädeln fokussierte, arbeitete sein früherer Schüler Samuel Thomas Soemmerring (1755–1830) zeitgleich an einer Studie, welche den Unterschied zwischen Schwarzen und Weissen anhand anatomischer Untersuchungen aufzeigen sollte. Soemmerrings hatte in Göttingen von 1774 bis 1778 Medizin studiert und in dieser Zeit auch Kurse bei Blumenbach besucht. Nach einer Reise durch Europa, auf der er zahlreiche bedeutende Gelehrten seiner Zeit persönlich kennengelernt hatte, nahm er einen Ruf nach Kassel an, wo er bis 1784 als Professor für Anatomie tätig war. In dieser Zeit kam er erstmals mit Afrikanern in Kontakt, da Herzog Friedrich II. von Hessen-Kassel kurz zuvor ein Afrikanerdorf hatte erstellen lassen, um der Wissenschaft Gelegenheit zu geben, Afrikaner besser studieren zu können. Da mehrere Afrikaner innert kurzer Zeit an Tuberkulose starben oder Selbstmord begingen, kam Soemmerring in den Besitz von deren Leichname,943 welche er in der Folge „mit Musse“944 sezierte. Die daraus entstandenen Befunde dienten ihm als Basis für die 1784 veröffentlichte Studie „Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer“. Ausgangspunkt bildete die Feststellung, dass „wir Europäer“ glaubten, „ein ausgedehntes Vorrecht über die Neger“ zu haben, „als hielten wir die Neger für weniger vollkommen, (...), mit einem Worte für geringer als uns Weisse.“945 Diese Beobachtung war ihm aber nicht Anlass zur Verteidigung der Gleichheit aller Menschen, vielmehr bildete sie den Ausgangspunkt zu einem Experiment: „Wie wärs, wenn sich anatomisch darthun liesse, dass die Mohren weit näher als wir Europäer ans Affen-Geschlecht gränzen und dass es nicht eingebildeter Stolz ist, der uns oft zu weit über die Mohren erhebet, sondern dass (...) die auszeichnenden Organe des Verstandes, die unsern Abstand von den Thieren verursachen, den Mohren etwas hinter uns 941 Bitterli, Grundzüge, S. 215, 348. 942 Vgl. Poliakov, Mythos, S. 198. 943 Bernasconi, Editor’s note, in: Blumenbach, Verschiedenheiten, S. v-vii; Schäfer, „Kammermohren“, S. 37, 46. 944 Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 5 945 Ebd., S. 3.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
zurücklassen.“946 Ziel der Studie war es, die angebliche Ungleichheit empirisch anhand anatomischer Befunde zu beweisen und damit die eingangs gemachte Beobachtung wissenschaftlich zu begründen. Wenn es tatsächlich einen feststellbaren anatomischen Unterschied zwischen Weissen und Schwarzen gab und letztere näher an das Affengeschlecht grenzten als die Weissen, wäre das vom Glauben an die eigene Superiorität geprägte Verhalten und Denken der Weissen wissenschaftlich legitimiert. Der angestrebte Vergleich ging deshalb – was seine Intention betraf – weit über eine reine anatomische Untersuchung hinaus. Soemmerring war überzeugt, dass sich Schwarze und Weisse nicht nur somatisch, sondern auch anatomisch voneinander unterschieden. Neu war, dass er sich nicht mehr nur auf einige wenige Merkmale beschränkte, sondern den Körper als Ganzes untersuchte. Dabei näherte er sich nicht unbefangen seinem Studienobjekt, sondern ging von der Prämisse aus, dass es Unterschiede gebe und diese für jedermann sichtbar sein müssten: „Schon der erste Blick verräth, auch dem Auge des Nichtkenners, dass der Theil des Mohren-Schädels der die gehirnfassende Höle bildet, im Vergleich mit dem der dem Gesichte und den äusseren Sinnen bestimmt scheinet, kleiner als irgend bei einem Europäer ist.“947 Den das Gehirn enthaltene, im Vergleich zum Weissen kleinere Kopf des Schwarzen erklärte Soemmerring mittels dem Camperschen Gesichtswinkel:948 Je grösser der Gesichtswinkel, desto mehr Platz bleibe für das Gehirn. Da der Schwarze einen kleineren Gesichtswinkel und somit ein proportional grösseres Gesicht aufweise, bleibe weniger Raum für das Gehirn.949 Zugleich stellte er fest, dass die Sinnesorgane beim Schwarzen ausgeprägter entwickelt waren, während Nerven und Arterien dicker seien.950 Damit griff Soemmerring eine Erkenntnis aus seiner 1778 veröffentlichten Dissertation auf, welche sich mit dem Ursprung und Verlauf der zwölf Hirnnerven auseinandersetzte. Er war zum Schluss gekommen, dass die Hirnnerven und insbesondere die Sinnesnerven beim Tier in Korrelation zur Gehirngrösse vergleichsweise dicker seien als diejenigen beim Menschen. Dickere Nerven, welche der Verarbeitung von Sinneseindrücken dienten, benötigten wiederum mehr Hirnmasse, weshalb der Platz, welcher für die intellektuellen Kapazitäten gebraucht würde, bei den Tieren nur eingeschränkt vorhanden war. Zwar wiesen die Menschen im Vergleich zu den Tieren ein proportional kleineres Gehirn auf, doch da die Sinnesnerven mehr Platz brauchten, blieb beim Menschen mehr Raum für die zur intellektuellen Betätigung verwendete Hirnmasse.951 Hatten frühere Gelehrte wie Linné und Buffon den Unterschied zwischen Affen und Menschen noch primär im aufrechten Gang, in der Fähigkeit zur sprachlichen Artikulation, in der Vernunftfähigkeit sowie in der Zwei946 Ebd., S. 5. 947 Ebd., S. 11. 948 Campers Gesichtswinkelstudie war zu dieser Zeit nur in einer gekürzten Ausgabe erhältlich. Aufgrund seines engen Kontaktes mit Camper darf jedoch angenommen werden, dass er detailliertere Informationen als andere Zeitgenossen hatte. Ebd., S. 7f. 949 Ebd., S. 18. 950 Ebd., S. 13ff. 951 Soemmerring, De basi encephali, S. 17; vgl. auch: Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 21.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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händigkeit gesehen, stellte Soemmerrings Dissertation eine Weiterentwicklung dar. Das unterschiedliche Entwicklungsstadium von Mensch und Tier liess sich neu anatomisch bestimmen und erklären.952 Die aus seiner Dissertation gewonnene Erkenntnis griff Soemmerring in seiner Untersuchung erneut auf. Unter der Annahme, dass die Natur einer klaren Gesetzmässigkeit folgte, übertrug er die Beobachtung mittels einer Analogie auf den Vergleich zwischen Schwarz und Weiss.953 Da der Schwarze gemäss seiner Untersuchung über ein kleineres Gehirn verfüge und zugleich dickere Nerven und Arterien aufwies, war für Soemmerring erwiesen, dass der Schwarze dem Affen näher stand als der Weisse. Trotzdem bedeutete dies nicht, dass der Schwarze nicht zur menschlichen Gattung gehörte, was Soemmerring betonte.954 Der letzte Satz der Studie lässt jedoch Raum zur Interpretation und mag dazu geführt haben, dass Soemmerrings Studie oftmals als Beweis dafür gewertet wurde, dass der Schwarze ein Mittelglied zwischen dem Weissen und dem Affen sei: „Doch durch welche Mittelgattung von Menschen die Neger in den Europäer allmählich übergehen, und ob es nicht andere Nationen giebt, die noch thierischer als sie sind, würde mich jetzt zu weit führen, da ich blos vom Mohren sprechen wollte.“955 Zwar grenzte sich für Soemmerring der Mensch klar vom Tierreich und folglich vom Affen ab. Zugleich glaubte er aber an den stufenartigen Aufbau der Natur und vertrat die Überzeugung, dass es innerhalb der menschlichen Gattung eine hierarchisch begründete Differenzierung gebe, wobei er den angeblich tierischen Charakter der Schwarzen nochmals betonte. Auch wenn Soemmerring den Schwarzen als Menschen bezeichnete, liess er doch kaum Zweifel an dessen angeblicher Inferiorität und Nähe zum Affen. Soemmerrings Studie wurde breit rezipiert – unter anderem von Kant, Forster und Meiners – und stiess bei vielen zeitgenössischen Gelehrten auf Zustimmung. So lobte Meiners seine „vortrefflichen, und lange nicht genug erwogenen Beobachtungen“.956 Seine Interpretation der Studie ist vielleicht bezeichnend für den Umgang mit der Schrift im 18. Jahrhundert. Er machte sich Soemmerrings Argumentation, dass sich Schwarze und Weisse bezüglich ihres Körperbaus unterscheiden würden, zunutze und kam aufgrund der Studie zum Schluss, „dass man die einmal erkannte Missgestalt Afrikanischer Köpfe auch selbst in Gerippen und Schädeln“ nicht übersehen könne, zumal „die menschenähnlichsten Affen den hässlichen Negern ähnlicher sind, als die Neger den Europäern.“957 Forster verwies in seiner Streitschrift gegen Kant explizit auf Soemmerring, indem er dem Königsberger Philosophen riet, dessen Studie zu lesen, um zu erkennen, auf was es bei der Bestimmung der Unterschiede im Menschengeschlecht tatsächlich ankomme.958 Damit verwies er auf den wissenschaftlichen Gehalt der Untersuchung und
952 953 954 955 956 957 958
Vgl. Oehler-Klein, „Mohr“, S. 119–121. Ebd., S. 129. Soemmerring, Verschiedenheit des Mohren, S. 32. Ebd. Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 402. Ebd., S. 403. Forster, Menschenrassen, S. 141.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
betonte zugleich deren Wert, welcher die Abhandlung Kants übertreffe.959 Metzger bezog sich auf Soemmerrings Studie, wenn er geltend machte, dass die Hautfarbe nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal sei, sondern auch die Kopfform berücksichtigt werden müsse.960 Soemmerrings Bekanntheit und die Rezeption seiner Studie beschränkte sich nicht auf den deutschen Sprachraum. So stützte sich der Engländer White über weite Teile auf Soemmerrings Studie, welche er teilweise selber übersetzte, um den hierarchischen Aufbau der menschlichen Phänotypen zu beweisen.961 Eine der wenigen kritischen Stimmen war Blumenbach, welcher Soemmerring in einer anonym erschienenen Rezension kritisierte. Damit blieb er klar in der Minderheit; von fünfzehn erschienenen Rezensionen zu den beiden Ausgaben war diejenige von Blumenbach die einzige, welche die Studie in Frage stellte.962 Blumenbachs Besprechung fiel vernichtend aus, teilweise reagierte er mit beissendem Spott auf die Beobachtungen Soemmerrings. Blumenbach machte geltend, dass die genannten Unterscheidungsmerkmale immer relativ seien, wenn er betonte, dass die von Soemmerring beschriebenen Nasenhöhlen beim Schwarzen zwar weit seien – aber beim „Schädel eines nordamerikanischen Wilden“ noch geräumiger ausfallen würden.963 Insbesondere die Konklusion Soemmerrings, dass der Schwarze dem Affengeschlecht näher sei als der Weisse, erregte Blumenbachs Unmut und Spott: „Doch ongefähr nur so, wie man etwa sagen kann, dass die angorischen Katzen in etwas näher an die Bologneserhündgen gränzen, als andre Spielarten von Katzen.“964 Soemmerrings Beteuerung, dass der Schwarze trotz seiner Nähe zum Affen zur Menschengattung gehöre und sich von den vierfüssigen Tieren unterscheide, quittierte er mit einem Verweis auf seine eigene Studie, in welcher er gezeigt habe, dass der aufrechte Gang eines der Hauptunterscheidungsmerkmale zwischen Mensch und Tier darstelle.965 Indem er darauf hinwies, dass dies schon seit längerem erwiesen sei, stellte er zumindest implizit die Autorität Soemmerrings in Frage. Soemmerring reagierte prompt auf Blumenbachs Kritik, ob er deren Kern erfasst hat, ist jedoch fraglich.966 Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass Soemmerring die Kritik primär als Missverständnis – als eine eigentliche Falschinterpretation des Textes – verstand. In der zweiten Ausgabe „Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer“ aus dem Jahr 1785 fügte er weitere anatomische Befunde an, wobei er auffällig häufig auf die Untersuchungen Dritter ver959 960 961 962 963 964 965 966
Vgl. Oehler-Klein, „Mohr“, S. 139. Metzger, Menschenracen, S. 43. Vgl. Kapitel 3.8.3. Lilienthal, Soemmerring, S. 39. Blumenbach, Sam. Th. Soemmerring über die körperliche Verschiedenheit des Mohren, S. 109. Ebd., S. 110. Ebd., S. 110f. Privat hingegen äusserte er sich enttäuscht über Blumenbachs negative Besprechung. So beklagte er in einem Brief an Christian Gottlob Heyne, dass er den Eindruck habe, „... dass der ehrliche Blumenbach (...), übers ganze unzufrieden ist, ohne es doch sagen zu wollen.“ Brief an Christian Gottlob Heyne, 7.3.1786, in: Dumont, Soemmerring, Briefwechsel November 1784–1786, S. 325.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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wies. Hauptreferenz war Blumenbach, weitere wichtige Quellen stellten die Studie Campers sowie Herders Ideen dar. Der exzessive Verweis auf Blumenbach, den er insgesamt 29 Mal zitierte, sowie die lobenden Worte mit welchen er dessen Schriften rühmte,967 lassen kaum einen Zweifel offen, dass Soemmerring auf die Kritik Blumenbachs reagierte und versuchte, jegliche Einwände a priori aus dem Weg zu räumen.968 Doch die Kritik Blumenbachs an der Studie basierte nicht auf einem Missverständnis, vielmehr unterschieden sich die beiden Gelehrten fundamental bezüglich ihrer Vorstellung vom Aufbau der Natur, weshalb auch Blumenbachs Rezension der zweiten Ausgabe äusserst zurückhaltend ausfiel.969 Während Blumenbach ein erklärter Gegner der Stufenleiter war und die fliessenden Übergänge innerhalb einer jeden Varietät herausstrich, stellte Soemmerring den hierarchischen Aufbau der Natur als gegeben dar. Interessant ist insbesondere, dass Soemmerring, wie Lilienthal sorgfältig herausarbeitet, sich bei seinem Versuch, die Richtigkeit der Stufenleiter-Theorie zu beweisen, nicht auf die anerkannten Autoritäten Leibniz oder Bonnet stützte. Stattdessen berief er sich auf den Befürworter der Sklaverei und Plantagenbesitzer Edward Long, ohne jedoch dessen Namen zu nennen. Zweite Referenz bildete Zimmermann, der die Idee der Stufenleiter zwar offen vertrat, jedoch davor warnte, einzelne Tiere in direkte Korrelation zum Menschen zu setzen.970 Inhaltlich orientierte sich die Untersuchung stark an ihrer Vorgängerstudie. Der Ansatz – die Feststellung, dass die Weissen sich den Schwarzen gegenüber überlegen fühlten und der daraus entstehende Wunsch, die Superiorität anatomisch beweisen zu wollen – blieb derselbe.971 Allerdings reagierte Soemmerring insofern auf die Kritik, als dass er betonte: „...die Neger sind wahre Menschen, so gut wie wir, und nach höchst wahrscheinlichen Gründen (...) von einem gemeinschaftlichen Stammvater mit allen übrigen Menschen entsprossen, und so gut, und nichts weniger Menschen, als eine der schönsten Griechinnen.“972 Soemmerring bekannte sich somit ausdrücklich zum Monogenismus, auch wenn die Formulierung „nach höchst wahrscheinlichen Gründen“ gewisse Zweifel daran wecken konnte. Die Erwähnung der schönsten Griechin muss als Indiz für den Einfluss des ästhetischen Diskurs auf das Wirken Soemmerrings verstanden werden und unterstreicht zugleich dessen Glaube an eine hierarchischen Aufbau der Menschheit. Ob Soemmerring auch privat tatsächlich an den monogenetischen Ursprung der Menschheit glaubte, darf bezweifelt werden. In einem Brief an Camper aus dem Jahre 1784 schrieb er, dass er zunehmend davon überzeugt sei, dass der Schwarze nicht nur 967 So rühmte er die „vortreffliche Schilderung des Herrn Blumenbach“ (31), bezog sich direkt auf einen Schädel, welcher sich in Blumenbachs Besitz befand (28), und bestätigte, dass er mit Blumenbach übereinstimme und der aufrechte Gang das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Menschen und dem Affen darstelle. Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, 1785, S. 28, 31, 78f. 968 Vgl. Lilienthal, Samuel Thomas Soemmerring, S. 41. 969 Blumenbach, Sam. Th. Sömmerring über die körperliche Verschiedenheit des Negers, S. 302f. 970 Lilienthal, Soemmerring, S. 39ff; Vgl. Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. XVI, XVIII, Zimmermann, Geographische Geschichte I, S. 4f. 971 Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. viif, xiv. 972 Ebd., S. xx.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
einer anderen Varietät, sondern vielmehr einer eigenen Spezies zugerechnet werden müsse, weshalb er glaube, dass es zwei Adams gegeben haben müsse.973 Da Soemmerring häufig auf die Studien Dritter verwies, unterstrich die Wissenschaftlichkeit seiner Befunde. Beispielhaft ist dafür die Passage, in welcher er betonte, dass „Linné, Buffon, Goldsmith, Errleben, Kant, Blumenbach, Joh. Hunter, Zimmermann, Klügel, Metzger, Bergmann, Wunsch (...) einstimmig den Neger in eine ganz eigene Klasse“ eingeteilt hätten. Damit verwies er auf die allgemeine Gültigkeit seiner Untersuchung und machte zugleich geltend, dass die Behandlung des Schwarzen als eigene Klasse allgemein anerkannt sei. Die Konklusion, die Soemmerring aus der Zergliederung zog, blieb die gleiche, neu betonte er aber, dass gewisse Merkmale des Schwarzen ihn „für sein Klima zum vollkommensten, vielleicht vollkommeren Geschöpf, als den Europäer, machen.“974 Auch wenn Soemmerring kaum mehr als Vertreter der Klimatheorie erachtet werden kann, lässt sich ihr Einfluss auch bei ihm nachweisen. Ebenfalls neu war, dass Soemmerring die Vermutung äusserte, dass die Gehirngrösse in direkter Korrelation zum Verhalten stehe: „Analogisch nemlich lässt sich nun aus der Anmerkung, dass die Nerven im Neger stärker sind, folgern, das Gehirn im Neger sey kleiner, als im Europäer. Vielleicht möchte sich hieraus einige historische Thatsachen von ihrer Wildheit, Unbändigkeit und etwas minderen Fähigkeit zur feinern Kultur, erläutern.“975
Während der direkte Zusammenhang zwischen dem Grad an Zivilisation und der Gehirngrösse im 18. Jahrhundert noch als vorsichtige Hypothese formuliert wurde, galt das Gehirn im 19. und 20. Jahrhundert gemeinhin als Indikator für die Intelligenz.976 Zwar stellte Soemmerring noch keine Verbindung zwischen Schädelgrösse und intellektuellen Fähigkeiten an, trotzdem lässt sich bereits eine Tendenz erkennen, welche im 19. Jahrhundert zum Gemeingut jeder rassentheoretischen Untersuchung gehörte. Soemmerrings Studie markierte eine Ausweitung der Disziplin der Naturgeschichte des Menschen, da er als erster methodisch auf die vergleichende Anatomie zurückgriff. Zwar hatte bereits hundert Jahre zuvor Tyson einen Vergleich zwischen der Anatomie des Menschen und des Affen angestellt und Blumenbach hatte die verschiedenen menschlichen Schädel ebenfalls miteinander verglichen. Neu an Soemmerrings Studie war, dass er beide Vorgehensweisen miteinander verband. Er unterschied sich von Blumenbach insofern, als dass er selbst wie zuvor Tyson Schwarze und Affen zergliederte. Im Gegensatz zum Engländer geschah dies aber nicht mehr mit dem Ziel, die Unterschiede zwischen dem Menschen und dem Affen zu ergründen, als vielmehr die körperliche Verschiedenheiten innerhalb der menschlichen Gattung zu untersuchen.977 Die Hautfarbe bildete nicht mehr das entschei973 Am 24.5.1784 schrieb er an Camper: „In dies magisque persuadeor, aethiopium et europaeum non vareitate sed specie differre, et duos fuisse ut ita dicam Adamos.“ Zit. nach: Oehler-Klein, „Mohr“, S. 137. 974 Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. 79. 975 Ebd., S. 67. 976 Vgl. dazu Gould, Falsch vermessene Mensch, S. 51–59. Vgl. ebenfalls Kapitel 4. 977 Nutz, Varietäten, S. 61.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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dende Bestimmungsmerkmal, vielmehr wurde die Grösse des Gehirns zum dominanten Faktor, ohne dass jedoch explizit ein Rückschluss auf die Intelligenz gezogen wurde. Insofern setzte sich bei Soemmerring eine Entwicklung fort, deren Anfang sich bei Camper beobachten lässt und die sich bei Blumenbach fortsetzte: Die Hautfarbe als bestimmendes Unterscheidungskriterium verlor vordergründig an Bedeutung. Allerdings gilt zu beachten, dass entgegen allen Beteuerungen und Versuchen, weitere Unterscheidungskriterien einzuführen, die Klassifikation schlussendlich noch immer stillschweigend auf der Hautfarbe basierte. Ähnlich wie Blumenbach war Soemmerring Teil eines Gelehrtennetzwerks, welches sich über ganz Europa erstreckte. Er pflegte mit mehreren Wissenschaftlern seiner Zeit einen intensiven Briefkontakt; mit einigen wie Camper, Blumenbach978 und insbesondere Georg Forster stand er in einem freundschaftlichen Verhältnis. Anhand seines Beispiels lässt sich illustrieren, wie wichtig und nützlich solche Netzwerke sein konnten: 1778 reiste Soemmerring kurz nach seiner Promotion aufgrund eines Empfehlungsschreibens von Johann Georg Zimmermann nach Klein Lankum, wo er insgesamt drei Wochen mit Camper verbringen und Einblick in dessen Wirken erhalten sollte. Zusammen mit Camper studierte er dessen Schädelsammlung, ausserdem durfte Soemmerring mehrere Objekte selbstständig präparieren.979 Der dreiwöchige Besuch muss für Soemmerring prägend gewesen sein, noch in seiner Studie von 1784 nannte er Camper respektvoll „mein grosser Lehrer und gütigster Freund“.980 Im Folgenden blieben die beiden Gelehrten einander freundschaftlich verbunden und korrespondierten regelmässig.981 Man tauschte sich über Studienobjekte aus und informierte sich gegenseitig über Neuerscheinungen; es war Soemmerring, welcher Camper darauf hinwies, dass Lavater im vierten Band der Fragmente aus seinem Brief zitierte.982 Soemmerrings Verehrung für Camper blieb über dessen Tod bestehen; 1792 übersetzte er seine Studie über den Gesichtswinkel ins Deutsche.983 Die Freundschaft mit Camper diente Soemmerring als Türöffner zu den Gelehrtenkreisen Londons. Nachdem er Camper 1778 bei ihm zu Hause besucht hatte, reiste er weiter nach London. Die Empfehlungen Campers ermöglichten ihm, rasch mit den bedeutendsten Wissenschaftler seiner Zeit in Kontakt zu treten. Er traf auf die Brüder John und William Hunter, welche ihm Einblick in die neusten Fortschritte auf dem Gebiet der Anatomie verschafften.984 Neben dem Präsidenten der Royal Society, Joseph Banks, lernte er in London den jungen Weltreisenden Georg Forster kennen, mit dem er nach seiner Abreise in engem brieflichem Kontakt stand und der in den nächsten Jahren sein engster Freund sein sollte. Es war Forster, der den jungen Soemmerring 1779 nach Kassel holte, wo die beiden die nächsten fünf Jahre sowohl privat als auch beruflich aufs engste miteinander verbunden sein soll978 979 980 981 982 983 984
Vgl. Kapitel 3.8. zu Blumenbach. Luyendijo-Elshout, Esprits, S. 61–64. Soemmerring, Körperliche Verschiedenheit des Mohren, S. 7. Vgl. Wagner, Sömmerring‘s Leben. Brief an Peter Camper, 20.5.1779, nach: Oehler-Klein, Soemmerrings Neuroanatomie, S. 59. Camper, Unterschied. Querner, Soemmerring, S. 230; Dumont, Naturerkenntnis, S. 382.
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ten. Die Briefe nach der Abreise Forsters nach Wilma im Jahre 1784 zeugen von der grossen Verbundenheit, welche bis zum Bruch im Jahre 1792 Bestand haben sollte.985 Die zahlreichen Briefe sind nicht nur in Bezug auf die Freundschaft von Interesse, vielmehr geben sie Auskunft über die jeweiligen Positionen der beiden Gelehrten innerhalb des zeitgenössischen Rassendiskurses. Man unterstützte sich gegenseitig, indem Forster beispielsweise seinem Freund eine Zeichnung und einen Brief Campers zukommen liess,986 während ihm Soemmerring dafür die Zeichnung mit den Camperschen Gesichtswinkeln kopieren liess.987 Man diskutierte die aktuellen Publikationen und besprach die Forschungsergebnisse Dritter. Auch Soemmerrings Studie „Über die körperliche Verschiedenheit“, welche Forster gemäss eigenen Aussagen verschlungen hatte, bot Anlass zur Besprechung. Forster lobte die Untersuchung, wandte aber ein, dass Soemmerring noch mehr hätte herausarbeiten können, dass der Schwarze primär aufgrund seines Sprachvermögens zum Menschen gezählt werden müsse.988 In der modernen Forschung herrscht gemeinhin Konsens darüber, dass Soemmerring neben Camper und Blumenbach als eine „entscheidende Autorität“ innerhalb des anthropologischen Diskurses betrachtet werden muss,989 wenngleich er in den Standardwerken zum Rassismus keinerlei Erwähnung findet. Dies mag daran liegen, dass er keine Rassentheorie im eigentlichen Sinn entwickelt hat. Bereits bei Blumenbach hat Nutz einen Bruch bezüglich der Einheit des Menschengeschlechts gesehen, da der Kaukasier zur Mittelform ernannt wurde. Bei Soemmerring sieht er nun eine Radikalisierung, weil Soemmerring die relative Gehirngrösse als Intelligenzindikator erachtete und daraus schloss, dass die Schwarzen erwiesenermassen dümmer seien als die Weissen. Damit, so Nutz, habe Soemmerring ein Verfahren lanciert, welches im 19. Jahrhundert erneut aufgegriffen worden sei, wobei die physische Anthropologie zunehmend zur Legitimation kolonialer Herrschaftspraxis diente. Nutz sieht eine Instrumentalisierung von Soemmering’s Werk durch Gobineau.990 Mariano widerspricht ihm insofern, als dass Soemmerring „weit davon entfernt [war], zu einer Erniedrigung der schwarzen Rasse beizutragen“.991 Vielmehr habe er offen gegen jene Partei ergriffen, welche den Sklavenhandel durch die
985 Die vierjährige Korrespondenz umfasste mehr als 100 Briefe, wobei jene von Soemmerring an Forster erst ab dem Jahre 1787 überliefert sind. Die Korrespondenz zeugt von der innigen Vertrautheit der beiden, welche sich unüblicherweise mit „Du“ ansprachen. Als Forster nach Wilma abreiste, war die Trennung traumatisch, es kam sogar zur Äusserung von Selbstmordabsichten. Vgl. Dumont, Naturerkenntnis, S. 391, 401, 406; Wagner, Sömmerring’s Leben; Forster, AA XVIII. 986 Brief 109 von Georg Forster, 10.10.1784, in: Wagner, Sömmerrings‘ Leben; Brief 113 von Georg Forster, 5.3.1785, in: Wagner, Sömmerrings‘ Leben. 987 Brief 113 von Georg Forster, 5.3.1785, in: Wagner, Sömmerrings‘ Leben; Brief 114 von Georg Forster, 19.5.1785, in: Wagner, Sömmerrings‘ Leben. 988 Brief 113 von Georg Forster, 5.3.1785, in: Wagner, Sömmerrings‘ Leben; Brief 114 von Georg Forster, 19.5.1785, in: Wagner, Sömmerrings‘ Leben. 989 Mariano, Praeceptores, S. 100. 990 Nutz, Varietäten, S. 140 991 Mariano, Praeceptores, S. 102.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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angebliche Inferiorität der Schwarzen zu rechtfertigen versucht hätten.992 Auch Oehler-Klein warnt davor, eine direkte Verbindung zwischen Soemmerrings Untersuchung und dem Rassismus des 19. Jahrhunderts zu konstruieren. Sie argumentiert durchaus einleuchtend, dass sich bei Soemmerring eine Verknüpfung „traditioneller Physiognomik und anthropologischer Forschung“ beobachten lässt, welche „die Aussage über die Verschiedenheit der Geisteskräfte aus ihren Untersuchungen ableitet“ und auf der Lehre der Physiognomik basierte.993 Den Beweis für die enge Anlehnung Soemmerrings an die Physiognomik und die daraus gezogenen Rückschlüsse, dass eine Parallele zwischen idealer Gestalt und geistigen Fähigkeiten bestehe, findet sie im Handexemplar Soemmerrings, in dem er an der Stelle, in welcher er den Gesichtswinkel Campers referierte, einen Verweis auf Lavaters Physiognomie machte.994 Soemmerrings Studie markierte eine weitere Abkehr von der Hautfarbe als konstituierendem Merkmal zur Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer Varietät, was aber nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass die Hautfarbe als Grundvoraussetzung stillschweigend vorausgesetzt wurde. Zugleich illustriert sie die schwindende Bedeutung der Klimatheorie. Zwar bestritt Soemmerring eine direkte Verwandtschaft des Schwarzen zum Affen. Doch weil er von einer Ähnlichkeit sprach und diese ‚wissenschaftlich‘ belegen zu können glaubte, trug er zur Belebung der Diskussion um den polygenen Ursprung der Menschheit bei.995 Wie Soemmerring den Camperschen Gesichtwinkel aufgriff und sich insofern zunutze machte, als dass er diesen zur Erklärung des angeblich kleineren Gehirns der Schwarzen und damit als Beweis für seine eigene These anfügte, zeigt nicht nur die gegenseitige Rezeption auf. Vielmehr wird sichtbar, wie weit gewisse rassentheoretische Überlegungen bereits im allgemeinen Diskurs verankert waren und wie sie kontinuierlich weiterentwickelten wurden – und sich teilweise auch verselbstständigten. Die Suche nach Fakten – Hunter Im Jahre 1775 veröffentlichte der schottische Chirurg und Begründer der klinischen Anatomie John Hunter (1728–1793) eine rassentheoretische Studie. Der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Hunter war 1748 nach London gezogen. Er assistierte seinem Bruder William Hunter (1718–1783) an der von ihm gegründeten Schule für Anatomie, welche die bis anhin rein theoretische Ausbildung der Mediziner revolutioniert hatte. Nachdem Hunter im Siebenjährigen Krieg als Arzt gedient und chirurgische Erfahrungen gesammelt hatte, kehrte er 1763 nach London zurück. Fünf Jahre nach seiner Rückkehr nahm er eine Anstellung als Chirurg in 992 993 994 995
Ebd., S. 102. Oehler-Klein, Neuroanatomie, S. 87. Ebd., S. 61. Vgl. dazu: Oehler-Klein, „Mohr“, S. 135f. Oehler-Klein macht dabei insbesondere auf die Rezeption durch Meiners, Forster und White aufmerksam, ohne jedoch detailliert darauf einzugehen.
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einem Spital an, unterwies daneben aber weiterhin Studenten in der Anatomie und machte sich einen Namen als Präparator. Gelehrte aus ganz Europa suchten ihn auf, um die neuesten Zergliederungstechniken zu lernen sowie seine systematisch geordnete, umfangreiche Sammlung an menschlichen und tierischen Präparaten zu besichtigen. Im Gegensatz zu anderen Naturforschern war Hunter weniger an einer Klassifikation nach dem Vorbild Linnés als an der Entdeckung von Gesetzmässigkeiten interessiert.996 Er spielte eine wichtige Rolle bei der Etablierung der Naturgeschichte in England, indem er zu deren Studium aufrief und zugleich ein umfassendes Museum mit Präparaten gründete.997 Anlass zu seiner Studie bot Hunter die Feststellung, dass – mit Hinweis auf Lord Kames‘ im vorigen Jahr erschienene polygenetische Theorie998 – zwar bereits viel über die Lebewesen und die Natur geschrieben worden sei, eine profunde wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Menschen, ihrer Physiognomie, Hautfarbe sowie ihrem Körper bisher aber ausgeblieben sei, obwohl es zahlreiche Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen gebe. Ausgangspunkt war die Klärung der Frage, ob es verschiedene menschliche Spezies gebe. Um diese zu beantworten, stütze sich Hunter auf Buffons Bestimmung, dass wer zeugungsfähige Nachkommen produzieren könne, zur gleichen Spezies gehöre.999 Deshalb gelte, dass die „most beautiful Circassian woman and (...) an African born in Guinea, as black and ugly as possible“ derselben Spezies angehörten,1000 womit Hunter auf den gängigen Antagonismus schön/weiss, schwarz/hässlich anspielte. Unterschiede liessen sich bezüglich der Hautfarbe (colour of men), Statur (stature and form), Übermass und Mängel (excess or defect of parts or other differences) sowie der geistigen Fähigkeiten (mental faculties) ausmachen. Hunters Klassifikation basierte auf einem einzigen Kriterium: der Hautfarbe. Dies führte zu einer Einteilung der Menschen in nigri (Afrikaner), subnigri (Nordafrikaner, Hottentotten), cuprei (Ostinder), rubri (Amerikaner), fusci (Tartaren, Perser, Araber, Chinesen), subfusci (Südeuropäer, Sizilianer, Abessinier, Spanier, Türken, Samoiden und Lappen) sowie albi (beinahe alle Nordeuropäer wie Schweden, Dänen, Engländer, Deutsche, Polen sowie ausserdem Georgier und Mingrelier).1001 Diese „table of the colours of man, as they differ according to race“ sah er nicht als „absolutely correct history of colours, but only as an example and specimen of varieties“ an.1002 Dabei interessierte sich Hunter insbesondere für die Frage, wie die Farbunterschiede zu erklären seien. Viele Philosophen hätten sich mit dieser Frage bereits auseinandergesetzt; Hunter hob sich gemäss seiner Selbstwahrnehmung insofern von ihnen ab, als dass er sich in der Position des objektiven Wissenschaftlers sah. Er verzichtete auf jegliche Spekulationen, stattdes996 Gruber, John Hunter, Sp. 14221–14234. 997 Vgl. Gossett, Race, S. 36f. 998 Hunter, Disputation, S. 360. 999 Ebd., S. 359–362. 1000 Ebd., S. 363. 1001 Hunter, Disputation (lat. Version), S. 10f. Hier wird mit den lateinischen Termini gearbeitet, während sonst der Verständlichkeit halber aus der englischen Übersetzung zitiert wird. 1002 Hunter, Disputation, S. 366.
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sen gelte es „to deduce my conclusion from matters of fact“.1003 Er folgte Buffon, der das jeweilige Aussehen ebenfalls mit dem Klima begründet hatte. Allerdings betonte Hunter, dass das Klima alleine keine Veränderung der Hautfarbe bewirken könne, sondern lediglich einer von vielen Faktoren sei, ohne aber dessen Bedeutung grundsätzlich in Frage zu stellen. Eine Bestätigung für die begrenzte Wirkung des Milieus fand er in der Beobachtung, dass Schwarze weiss geboren und erst nach einigen Stunden dunkler wurden, was er als Indiz für die ursprünglich weisse Hautfarbe annahm.1004 Stattdessen verband er die Klimatheorie mit den Ergebnissen anatomischer Untersuchungen der Hautdicke, welche gezeigt hätten, dass Luft, Schmutz und Sonnenhitze die Transparenz der Epidermis zerstören würden und diese braun sowie härter werden liess. Die Sonne hatte damit einen direkten Einfluss auf die Konsistenz der Haut – Klimatheorie und Anatomie bildeten zusammen eine Erklärung für die unterschiedlichen Hautfarben.1005 Des Weiteren machte er die Lebensweise für das Aussehen verantwortlich. Menschen, welche ein jämmerliches Leben führten, wiesen generell eine dunklere, dickere und härtere Haut auf, was sich auch in Nordeuropa und Asien zeigen lasse.1006 Die unterschiedliche Statur sowie Gesichtsform wiederum sei nur bedingt erklärbar, die Ernährung gelte jedoch als einer der grössten Einflussfaktoren. Hunter zeichnete sich durch das Eingeständnis seiner eigenen Unsicherheit aus. Er thematisierte bekannte Stereotypen, zeigte sich aber kritisch und gestand oftmals die Unerklärbarkeit gewisser Phänomene ein.1007 Vieles lasse sich auf Vererbung zurückführen, ein Faktor, der über einen längeren Zeitraum vonstatten gehe und dementsprechend schwierig zu beobachten sei.1008 Die unterschiedlichen geistigen Fähigkeiten versuchte er anhand der Faktoren der „position“, „education“ und „affections of the mind“ zu erklären. Zwar liesse sich selbst unter gleichen Bedingungen geistige Unterschiede finden; aber Reisende hätten ein äusserst negatives Bild der intellektuellen Fähigkeiten aussereuropäischer Völker gezeichnet, weil sich deren Sitten, ihre Lebensweise sowie ihr Verhalten stark vom eigenen unterschieden hätten. Damit kam Hunter zum Schluss, dass sich die Menschen primär aufgrund ihrer Sitten voneinander unterscheiden würden1009 – was zu einer Marginalisierung somatischer sowie etwaiger anatomischer Differenzen führte. Hunter bezog sich in seiner Schrift ausführlich auf Buffon, von welchem er sich stark beeinflusst zeigte. Er übernahm nicht nur Buffons Definition einer Spezies, sondern räumte dem Klima eine bestimmende Rolle bei der Zugehörigkeit zu einer Varietät ein.1010 Daneben führte er neben Lord Kames auch Linné, Montesquieu sowie Studien berühmter Anatomen wie Haller und Albinus auf. Neben diesen naturwissenschaftlichen Schriften bildete die Reiseliteratur einen weiteren Pfeiler sei1003 1004 1005 1006 1007 1008 1009 1010
Ebd., S. 368. Vgl. Gossett, Race, S. 36f. Hunter, Disputation, S. 369f. Ebd., S. 376. Ebd., S. 382–386. Ebd., S. 387f. Ebd., S. 392f. Vgl. Blanckaert, Buffon, S. 38; Gossett, Race, S. 36f.
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nes Wissens, wobei der Umfang an erwähnten Werken vergleichsweise bescheiden ausfiel. Seine Forschungen waren den meisten zeitgenössischen Rassentheoretikern bekannt: Blumenbach erwähnte sie kommentarlos,1011 Metzger1012 und Soemmerring1013 beiläufig. Auch Camper war mit Hunter vertraut und erwähnte seine Forschung zur Membran der Schwarzen.1014 Camper empfand Hunter als direkte Konkurrenz und befürchtete, dass dieser die Entdeckung des Gesichtswinkels für sich beanspruchen könnte.1015 Campers Ängste waren nicht aus der Luft gegriffen, die Arbeiten der beiden wiesen unübersehbare Gemeinsamkeiten auf. Wie Camper beschäftigte sich auch Hunter mit dem anatomischen Aufbau menschlicher und tierischer Schädel. Neben Schädeln von Europäern, Asiaten, Amerikanern und Afrikanern studierte er auch jene von Affen, Hunden sowie einem Alligator. Die einzelnen Schädeln analysierte er und verglich sie miteinander, um sie anschliessend gemäss der Abstufung ihres Profils zu ordnen. Obwohl er bestritt, mit der Anordnung einen hierarchischen Aufbau zu implizieren,1016 interpretierte Charles White die Anordung später in dieser Weise.1017 White, welcher mit den Brüdern Hunter eng befreundet war, verdankte ihnen einen grossen Teil seines anatomischen Wissens. John Hunters Aneinanderreihung der menschlichen Schädel inspirierte White nachhaltig und bestärkte ihn in seinem Glauben an einen hierarchischen Aufbau der Natur.1018 Der Einfluss ging gar so weit, dass, wie Rolfe aufzeigt, White die gleiche Abbildung von Schädeln publizierte, wie auf einem 1786 durch Reynolds erstellten Porträt Hunters.1019 Hunter war persönlich mit mehreren Gelehrten auf dem europäischen Festland in Kontakt. Ein Besuch in Hunters Kabinett galt als äusserst erstrebenswert. Camper besuchte ihn auf seiner Englandreise zur Jahrhundertmitte, als Hunter noch seinem Bruder William assistierte.1020 Blumenbach stattete dem Sammler ebenfalls einen Besuch ab.1021 Soemmerring wiederum kam aufgrund zweier von Blumenbach und Camper ausgestellten Empfehlungsschreiben bei seinem London-Aufenthalt im Jahre 1778 in persönlichen Kontakt mit John Hunter sowie seinem Bruder William. Er nahm an einer Demonstration Hunters teil und lernte von den Brüdern die neusten anatomischen Methoden, ohne deren Zergliederungstechnik vollumfänglich zuzustimmen. Er zeigte sich von der anatomischen Sammlung tief beeindruckt, empfand Hunter im persönlichen Umgang jedoch als schwierig.1022 Das 1011 1012 1013 1014 1015 1016 1017 1018 1019 1020 1021 1022
Blumenbach, Unterschiede, S. 211. Metzger, Menschenracen, S. 43. Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. 78. Camper, Rede, S. 45. Camper, Reisejournalen, Cahier 12, S. 181, nach: Meijer, Race, S. 115. John Hunters Manuskript wurde von Everard Home vernichtet. Es existiert jedoch eine Transkription seiner Vorlesung. Hunter, Essays, S. 495; vgl. Rolfe, William and John Hunter, S. 316. White, Account, S. iii; vgl. Painter, White People, S. 69. Forman Cody, Birthing, S. 238f, 250; Bernasconi, Editor’s note, in: White, Account, S.vi. Rolfe, William and John Hunter, S. 316. Karliczek/Jank, Quantifizieren, S. 60. Rolfe, William and John Hunter, S. 318. Dumont, Naturerkenntnis, S. 382; Luyendijo-Elshout, Esprits, S. 64; Querner, Soemmerring,
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Kabinett sollte nicht nur ihn begeistern, ein knappes Jahrzehnt später sollte Forster ihm seinen Eindruck in einem Brief bestätigen und ebenfalls davon schwärmen.1023 Hunter war Mitglied der Royal Society und persönlich mit dessen Präsidenten Joseph Banks befreundet.1024 Von dieser Freundschaft profitierte auch Blumenbach, der über Banks Gipsabdrücke von Schädeln aus Hunters Kabinett erhielt.1025 Hunter wird von der modernen Forschung kaum berücksichtigt. Eine Analyse seiner Theorie ist bis anhin ausgeblieben, stattdessen wird er primär als Vertreter der Schottischen Aufklärung behandelt. Für Sebastiani war Hunter der schottische Repräsentant einer seit den 1770er Jahren zu beobachtenden gesamteuropäischen Entwicklung, die sich mit der Physis des Menschen, der vergleichenden Anatomie, den Gesichtscharakteristika sowie der Phrenologie beschäftigte.1026 Kidd sieht in Hunters Studie, in der er nicht nur den Einfluss des Klimas, sondern auch die Dicke der Haut diskutierte, eine Antwort auf die polygenetische Theorie Kames, welche kurz zuvor erschienen war1027 und die von Hunter auch erwähnt wurde.1028 Hunters rassentheoretische Untersuchung zeichnete sich durch den Versuch aus, allein naturwissenschaftlich zu argumentieren und Unterschiede auf der Basis empirischer Untersuchungen auszumachen. Seine Einteilung in sieben Gruppen basierte ausschliesslich auf dem Kriterium der Hautfarbe und beinhaltete keinerlei Wertung. Zwar lässt sich auch bei ihm die implizite Hinwendung zu einem Schönheitsideal feststellen; dessen Bedeutung war jedoch zweitranging. Hunter verwahrte sich gegen jegliche Form von Spekulationen, ihn interessierten lediglich empirisch erarbeitete Fakten, was ihn im eigenen Selbstverständnis von Philosophen wie Lord Kames unterschied. Er war ein Vertreter einer neuen Generation, welche die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Menschen anhand von anatomischen Studien und scheinbar messbaren Unterscheidungskriterien eruieren zu können glaubte. Zudem darf er als weiteres Beispiel für die Vernetzung zwischen den verschiedenen Rassentheoretikern genannt werden, welche sich nicht nur gegenseitig rezipierten, sondern – unabhängig von der Nationalität – persönlich miteinander in Kontakt standen. Knochen als wissenschaftlicher Beweis der Ungleichheit – White 1799 veröffentlichte der englische Arzt und vergleichende Anatom Charles White (1728–1813) seine Schrift „An account of regular gradation in man“, nachdem er zuvor seine Untersuchungen in den 80er und 90er Jahren der Manchester Literary S. 230. 1023 Brief 18 an Samuel Thomas Sömmerring, 12.10.1787, in: Forster, Briefe XV. 1024 Brief 181 von John Hunter, 17.2.1780, in: Banks, Correspondence 1765–1785; Brief 200 von John Hunter, 1781, in: Banks, Correspondence 1765–1785; Brief 201 von John Hunter, 1781; in: Banks, Correspondence 1765–1785; Brief 1095 von John Hunter, 21.2.1792, in: Banks, Correspondence 1785–1799. 1025 Gascoigne, Blumenbach, S. 90. 1026 Sebastiani, Scottish Enlightenment, S. 115f. 1027 Kidd, Race, S. 101. 1028 Hunter, Disputatio, S. 360ff.
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and Philosophical Society vorgestellt hatte.1029 Bereits während seiner Studienzeit in London und Edinburgh hatte White die Brüder William und John Hunter kennengelernt und bei ihnen Kurse besucht – ihre anatomischen Studien sollten den Grundstein seines Wissens bilden: Es war Hunters Vorlesung über den linearen Aufbau von Schädeln, die White zur Niederschrift der eigenen Studie bewog.1030 Nachdem White sein Studium beendet hatte, kehrte er 1751 nach Manchester zurück. Ein Jahr später war er massgeblich am Aufbau des Manchester Spitals beteiligt und wurde innert kürzester Zeit zu einem der renommiertesten Chirurgen und angesehensten Frauenarzt Nordenglands. Seine Studie über die Behandlung von Schwangeren verhalf ihm auch ausserhalb Englands zu Bekanntheit. 1790 gründete er ein weiteres Hospital, welches sich primär armen Patienten widmete. Durch seine Tätigkeit als Arzt kam White mit seinen potentiellen Studienobjekten in direkten Kontakt; beispielhaft dafür ist die Vermessung von Armen, Beinen, Brüsten und Genitalien seiner Patientinnen, die zumeist der weissen Unterschicht angehörten.1031 Datenmaterial für seine anthropologischen Studien lieferten ihm ausserdem Schwarze, die in Nordengland lebten und um deren Vermessung er sich aktiv bemühte.1032 White wandte in seiner Untersuchung zweierlei Methoden an: Einerseits stützte er sich auf seine eigenen anatomischen Befunde, andererseits bediente er sich bei den Studien anderer Gelehrten, die er intensiv rezipierte, teilweise seitenlang wortwörtlich zitierte und wenn nötig ins Englische übersetzte. Darunter befanden sich Untersuchungen von Anatomen wie Soemmerring, dessen Schrift er auszugsweise übersetzte und im Anhang publizierte,1033 und John Hunter, aber auch Studien von Naturphilosophen wie Linné, Buffon und Thomas Jefferson, bis hin zu den physiognomischen Schriften Lavaters, Reiseberichten und den bereits zu jener Zeit umstrittenen Publikation des Plantagenbesitzers Edward Long. Aufgrund seiner Tätigkeit als Arzt und der in Manchester lebenden Schwarzen kam er relativ leicht an die gewünschten Studienobjekte. Zusätzlich konnte er auf die umfassende Schädelsammlung John Hunters zurückgreifen, wobei White selbst eine Vielzahl an Schädeln vermass.1034 Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Rassentheoretikern wie Blumenbach, Soemmerring und Hunter erweiterte White das methodische Repertoire. Er sezierte und vermass nicht nur Leichname, sondern führte Vermessungen auch am lebenden Objekt durch. Seine Ergebnisse hielt er anschliessend in Tabellenform fest und veröffentlichte sie in der Schrift „An account of regular gradation in man“. Unter den vermessenen zwölf Skeletten befand sich neben Schwarzen und Weissen beiderlei Geschlechts, auch ein von Tyson vermessene Pygmäe sowie ein Affe. Daneben vermass White zwölf lebende Schwarze, deren Herkunft er wenn möglich bekannt gab, zwölf weisse Europäer, einige Soldaten sowie einen
1029 1030 1031 1032 1033 1034
Kitson, Case, S. 283. White, Account, S. iii. Forman, Birthing, S. 238f; Bernasconi, Editor’s note, in: White, Account, S. vif. Forman, Birthing, S. 238f. vgl. White, Account, Appendix, S. cxil-clxvi. Forman, Birthing, S. 238f.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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Jude und die Venus de Medicis.1035 Whites Studie zeichnete sich durch einen relativ hohen Grad an Transparenz aus, was nicht nur die Beschreibung des genauen Messverfahrens und das Festhalten der Resultate in Tabellenform betraf. Nachdem er das Skelett eines Schwarzen mit demjenigen eines Europäers verglichen hatte, sah er sich genötigt, die Anzahl an lebenden Studienobjekten zu erhöhen, weshalb er noch zusätzlich 50 Schwarze beiden Geschlechts und verschiedenen Alters vermass.1036 Ausgangspunkt der Untersuchung bildete die Feststellung eines hierarchischen Aufbaus der Natur. Jeder, so White, der sich mit der Naturgeschichte befasse, sehe die Abstufungen zwischen den einzelnen Kreaturen vom höchsten Wesen, dem Menschen, bis hin zum niedersten, dem winzigen Organismus, welcher nur mit Hilfe des Mikroskops sichtbar werde.1037 Damit ging White von Beginn an von einem graduellen Aufbau der Natur aus. Ziel der Untersuchung war deshalb weniger die Klärung der Frage, ob es eine graduelle Abstufung beim Menschen gebe als deren Verifizierung.1038 Um den hierarchischen Aufbau der Natur zu beweisen, verwies er als erstes auf andere Gelehrte wie John Hunter, William Smellie und Buffon, welche sich mit der Abgrenzung des Tier- vom Pflanzenreich auseinandergesetzt hatten und zum Schluss gekommen waren, dass eine klare Abgrenzung nicht möglich sei.1039 Lavater zitierend, verwies White darauf, dass selbst in der Physiognomie diese Abstufungen wahrgenommen werden könnten1040 und auch Bonnet habe aufgezeigt, dass die Natur hierarchisch gegliedert sei.1041 In einem nächsten Schritt beschäftigte sich White nun mit den Affen und zeigte, inwiefern sie sich vom Menschen unterschieden und dass es zwischen den einzelnen Affenarten wie dem Schimpansen, Orang-Utan, Pongo, Jocko und Grossen Gibbon Abstufungen gebe. Das Vorgehen war identisch; er verwies primär auf die Studien Dritter wie Tyson, Camper, und Linné.1042 Dabei kam er zur Konklusion, dass es eine grundsätzliche Abstufung von Menschen hin zu den Tieren und von den Tieren wiederum zu den Pflanzen gebe, was er als Anlass nahm, zu beweisen, dass analog zum Tierreich und insbesondere zur Gattung der Affen auch zwischen den einzelnen menschlichen Phänotypen ein hierarchischer Aufbau feststellbar sein müsse.1043 Als Inspirationsquelle diente ihm John Hunters Schädelsammlung. Dieser hatte die Schädel linear auf einem Tisch platziert, um die Abstufung zwischen den einzelnen Schädeln sowie des Unter- und Oberkiefers zu illustrieren.1044 Was nun folgte war eine vergleichende anatomische Untersuchung, die ähnlich wie jene Soemmerrings primär von der Gegenüberstellung Affe, Schwarzer und Weisser lebte. White beobachtete, dass die Arme des Affen länger und die Füsse 1035 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042 1043 1044
White, Account, S. 45f. Ebd., S. 52. Ebd., S. 1. Ebd., S. 39. Ebd., S. 3–10. Ebd., S. 10. Ebd., S. 16ff. Ebd., S. 24–34. Ebd., S. 39. Ebd., S. 41.
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platter waren als beim Afrikaner und dessen Arme wiederum länger und die Füsse platter als diejenigen des Europäers. Dabei kam er zum Schluss: „I did not carry my enquiries into provincial or national varieties or features, but confined them chiefly to the extrems of the human race: to the European, on the one hand, and, on the other hand, to the African, who seems to approach nearer tot he brute creation than any other of the human species.“1045
Auffällig ist, dass White die Menschen nicht mehr nach ihrer Hautfarbe klassifizierte, sondern gemäss ihrer geographischen Herkunft. Foreman Cody macht deshalb auch geltend, dass es White darum ging, die Überlegenheit der Engländer zu manifestieren.1046 Das Zitat ist exemplarisch für den weiteren Verlauf der Untersuchung: Gleichgültig, ob White die Schädel, die Daumen, Zehen, einzelne Knochen, das Kinn, den Nasenknorpel, Kopfhaare oder Barthaare betrachtete, immer wieder kam er zum Schluss, dass der Afrikaner „differed from the European, and approached to the ape“.1047 Oftmals stützte er sich dabei auf die Ergebnisse Dritter, die er ausführlich zitierte und die ihm zur Verifikation seiner These einer graduellen Abstufung dienten. Dieses Vorgehen offenbarte, wie gut sich White innerhalb des Rassendiskurses auskannte und wie er die rassentheoretischen Überlegungen anderer Gelehrten in seinem Sinne auszulegen vermochte. Kritische Gelehrte, welche seine These der graduellen Abstufung widerlegten, wie beispielsweise Blumenbach, blendete er aus. So fand Blumenbach, der erklärte Gegner eines hierarchischen Aufbaus der Natur, lediglich im Anmerkungsapparat Erwähnung, was zumindest belegt, dass er White durchaus bekannt war.1048 Beispielhaft für Whites selektiven Umgang mit den Studien Dritter ist seine Auseinandersetzung mit dem Camperschen Gesichtswinkel, den er einer Modifikation1049 unterzog: „So far, according to Camper. – But perhaps the angle made by the facial line may be estimated as follows: That of the European, from 90 to 80°; of the Asiatic, from 80 to 75°; (I have seen a Asiatic whole facial line appeared to me to be near 80°) – of the American from 75 to 70°; of the African negro from 70 to 60°; of the orang, from 60 to 50°; of the common monkey, from 50 to 40°. It is less in the frog, and still more so in birds.“1050
Es drängt sich die Vermutung auf, dass White die Winkel nicht willkürlich neu festlegte, sondern vielmehr ein bestimmtes Ziel verfolgte. Indem er den Spielraum zwischen den einzelnen Winkeln besser auslotete, wurden die Grenzen zwischen 1045 1046 1047 1048 1049 1050
Ebd., S. 42. Forman, Birthing, S. 257. White, Account, S. 43. Ebd., S. clii. Siehe Abbildung 4 im Anhang. Ebd., S. 51.; vgl. Zeichnung 2; Während in der Illustration die Winkel fix bestimmt waren, zeigte White sich in der Untersuchung selbst bereit, einen gewissen Spielraum zuzulassen. So bestimmte er in der Zeichnung für den antiken Griechen einen Gesichtswinkel von 100 Grad, dem römischen Maler wies er einen Winkel von 95 Grad zu, dem Europäer einen zwischen 80 und 90 Grad, dem Asiaten einen von 75, dem amerikanischen Wilden (American Savage) einen von 73,5 und dem Schwarze einen von 70 Grad. Der Golok wiederum wies einen von 65 und der Orang-Utan einen von 58 Grad auf, was er mittels Bildern illustrierte, die der Studie vorangestellt waren.
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den einzelnen menschlichen Phänotypen zunehmend fliessend, was deren hierarchischen Aufbau betonte. Wesentlicher ist jedoch, mit welcher Konsequenz er die These einer angeblichen Annäherung des Schwarzen an den Affen verfolgte, wenn er dessen Gesichtswinkel auf 60 bis 70 Grad ausweitete. Camper hatte dem Schwarzen – wie auch dem Asiaten – einst einen Gesichtswinkel von 70 Grad zugewiesen; geringere Winkel bezeichnete er als dem Affen zugehörig.1051 Indem White dem Schwarzen nun einen Winkel zuschrieb, der einst dem Affen vorbehalten war, vergrösserte er rein mathematisch dessen Distanz zum ästhetischen Idealbild der antiken Statue zusätzlich, während sich der Abstand zum Affen noch einmal verkleinerte. Setzte man den neu festgelegten Gesichtswinkel in Bezug zur Originalstudie Campers – die White bekannt war –, hob sich der Unterschied zwischen dem Schwarzen und dem Affen faktisch auf. Whites Auseinandersetzung mit dem Schwarzen war primär eine Auflistung angeblicher anatomischer Fakten, welche beweisen sollten, dass der schwarze Afrikaner näher beim Affen zu situieren war als der weisse Europäer. Dazu gehörte, dass dem Schwarzen möglichst viele tierische Attribute zugeschrieben wurden, um die Differenz zum Europäer sichtbar zu machen, denn „in whatever respect the African differs from the European, the particularity brings him nearer to the ape.“1052 Jegliche Verschiedenheit zwischen dem Europäer und Afrikaner wurde somit zu Ungunsten von letzterem ausgelegt, was voraussetzte, dass der Europäer das Ideal darstellte und jede Abweichung als minderwertig und animalisch zu verstehen war. Wie Soemmerring glaubte auch White, dass der Afrikaner ein kleineres Gehirn aufwies als der Europäer, verband diese These jedoch mit der generellen Behauptung, dass mit der zunehmenden Annäherung an die Tiere die Gehirngrösse abnehme.1053 Damit implizierte White eine Relation zwischen Gehirngrösse und Intelligenz, zumal er klar wertend vorging, denn für ihn war klar, dass „the European excels the African.“1054 Einzig in punkto Sehkraft, Gehör- sowie Geruchsinn und in der Kaufähigkeit überragten die Tiere und die Afrikaner den Europäer,1055 – alles Fähigkeiten, welche die angebliche Wildheit und die Nähe des Afrikaners zum Tierreich nochmals unterstrichen. Die Divergenz zwischen dem Europäer und dem Afrikaner sowie dessen angebliche Ähnlichkeit mit dem Affen war für White allumfassend und beinhaltete neben anatomischen Unterschieden1056 auch Bereiche wie die Art des Gehens, die 1051 Vgl. Camper, Unterschied, S. 22: „Man erkennt als hieraus die zwei äussersten Gränzen der Gesichtslinie von 70 bis zu 100 Graden: vom Neger bis zur erhabensten Griechischen Antike! Man verkleinere den Winkel von 70 Graden, so erhält man einen Orang Utang, einen Affen; geht man noch weiter, einen Hund; endlich einen Vogel, eine Schnepfe, deren Gesichtslinie sich der Horizontallinie hinlänglich nähert.“ 1052 White, Account, S. 67. 1053 Ebd., S. 63. 1054 Ebd., S. 80. 1055 Ebd. 1056 Insgesamt listete White eine Fülle von Unterschieden, welche sich in den Knochen zeigten, auf: „The narrow and retreating forehead and hind-head. The flat bone of the nose. The great distance betwixt the nose and mouth. The small retreating chin. The facial line. The great distance betwixt the ear and the fore part of the mouth. The small distance between the foramen
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
Fähigkeit, sich dem warmen Klima anzupassen sowie die geringere Lebenserwartung der Schwarzen.1057 Um das animalische und sinnliche Wesen des Afrikaners zu betonen, beschäftigte sich White auch mit dessen Sexualität, wobei die Grenzen zwischen scheinbar objektiven anatomischen Beobachtungen und gängigen Vorurteilen fliessend waren.1058 Dies mag daran liegen, dass er sich teilweise auf einschlägige Quellen wie Edward Long stützte, der einen Fundus an rassistischen Stereotypen bot. Teilweise zitierte White Long wortwörtlich.1059 Das Vorurteil des angeblichen Schurzes der Hottentottinnen befand White ebenfalls als wahr,1060 ausserdem erachtete er es als erwiesen, dass schwarze Frauen – ähnlich wie Tiere – leichter gebären würden als weisse. Dies begründete er rein anatomisch einerseits mit dem breiteren Becken, andererseits mit dem kleineren Kopf der Afrikaner.1061 Des Weiteren befand er den Penis der Schwarzen als grösser; ein Punkt, den Soemmerring noch vehement verneint hatte.1062 Whites Auseinandersetzung mit der Sexualität der Afrikaner zeichnete sich dadurch aus, dass er populäres Scheinwissen aufgriff und anschliessend den anatomischen Beweis dafür erbrachte, kurz: Es kam zu einer Verwissenschaftlichung gängiger Stereotypen. White war ein erklärter Gegner der Klimatheorie; für ihn waren die Unterschiede zwischen den einzelnen menschlichen Phänotypen unabänderlich. Als Beleg führte er die Juden und Roma an, wobei sich insbesondere in den Ausführungen zu den Gypsies erneut populäre Vorurteile zeigen. Mit Verweis auf Camper, der die Juden als sich von allen anderen unterscheidende nation beschrieben hatte, bezeichnete White diese als „generally swarthy in every climate“.1063 Genauso wie die Juden, wiesen auch die Roma „a numerous swarm of banditti“, „refusing to participate of civilized society“, eine einzigartige Physiognomie und seltsame Sitten auf. Unabhängig vom jeweiligen Klima, bleibe ihr Gesicht dunkel.1064 Den endgültigen Beweis, dass die Hautfarbe nicht vom Klima abhänge, lieferten die Indigenen Amerikas, die unabhängig vom Klima alle rotkupfrig seien.1065 Damit vertrat White ein rein statisches Rassenkonzept, welches den Einfluss äusserer Faktoren vehement bestritt. Veränderungen innerhalb der verschiedenen Varietäten waren von vornherein ausgeschlossen.
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magnum and the back of the head. The long and strong under jaw. The large bony sockets which contain the eyes, and the wide meatus auditorius. The long fore arm. The flat foot; and the length, breadth, shape, and position of the os calcis.“ Ebd., S. 83f. Ebd., S. 79–84. Zu den anderen Unterschieden gehörten: „The broad and flat cartilage oft he nose. The small gastracnemii, and large temporal muscles. The long tendo achillis. The thick skin, and short woolly hair. The small brain. The long breasts oft he females. The part of generation. The paucity of different discharges. The rank smell. Their manner of walking. The power of adaptation to warm climate. Their shorter period of life.“ White, Account, S. 84. Vgl. Jordan, White, S. 501. White, Account, S. 63. Ebd., S. 62f. Ebd., S. 71ff. Ebd., S. 58–61; vgl. Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. 37ff. White, Account, S. 104. Ebd., S. 105. Ebd., S. 106.
3.8 Von Schädeln und Knochen – Blumenbach und die Entstehung der Kraniologie
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Aufgrund seiner eigenen anatomischen Untersuchungen und der Studien Dritter kam White zum Schluss, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Phänotypen derart frappant waren, dass davon ausgegangen werden müsse, „that various species of men were originally created and separated“.1066 Mit dem Bekenntnis zum Polygenismus distanzierte er sich von den, von ihm zitierten Rassentheoretikern wie Linné, Buffon, Smith und Soemmerring. Selbst letzterer, an dessen Studie sich White in vielerlei Hinsicht orientierte, hatte zumindest vordergründig noch von der Einheit des Menschengeschlechts gesprochen. White verwahrte sich gegen den Vorwurf, dass eine polygenetische Sichtweise nicht mit der Bibel zu vereinbaren sei. Er argumentierte, dass die Mosaische Tradition implizit davon ausgehe, dass nicht alle Menschen vom gleichen Gründungspaar abstammen würden. Er argumentierte mit der Bibel. So hätten Adam und Eva keine Töchter gehabt, weshalb Kain auszog, um seine Frau im Land Nod zu suchen. Somit sei die polygenetische Abstammung der Menschheit bereits in der Bibel implizit gegeben.1067 Bei der genauen Bestimmung der Anzahl von verschiedenen Spezies blieb White vage. Während die Hottentotten die unterste Stufe der Menschheit markierten, ging er davon aus, dass Schwarze – bemerkenswerterweise sprach er nicht mehr von Afrikanern –, Amerikaner, gewisse asiatische tribes und die Europäer unzweifelhaft zu unterschiedlichen Spezies gehören würden.1068 Die polygenetische Sichtweise verband er mit einer klaren, statischen Hierarchie der ‚Rassen’: „Ascending the line of gradation, we come at last to the white European; who being most removed from the brute creation, may, on that account, be considered as the most beautiful of the human race. No one will doubt his superiority in intellectual powers; and I believe it will be found that his capacity is naturally superior also to that of every other man. Where shall we find, unless in the European, that nobly arched head, containing such a quantity of brain, and supported by a hollow conical pillar, entering its centre? Where the perpendicular face, the prominent nose, and round projecting chin? Where that variety of features, and fullness of expression; those long, flowing, graceful ringlets; that majestetic beard, those rosy cheeks and coral lips? Where that erect posture of the body and noble gait? In what other quarter of the globe shall we find the blush that overspreads the soft features of the beautiful women of Europe, that emblem of modesty, of delicate feelings, and of sense? Where that nice expression of the amiable and softer passion in the countenance; and that general elegance of features and complexion? Where, except on the bosom of the European woman, two such plump and snowy white hemispheres, tipt with vermillion?“1069
Im Zitat manifestiert sich, dass sich Whites rassentheoretische und angeblich wissenschaftlich erwiesene Erkenntnisse mit den klassischen ästhetischen Idealvorstellungen seiner Zeit vermischten. Bereits die Vermessung der Venus de Medici ist ein Hinweis auf den Einfluss des antiken Schönheitsideals auf seine Rassentheorie.1070 Doch der Europäer war nicht nur ästhetisch, sondern auch intellektuell überlegen. Nie zuvor war die angebliche intellektuelle Superiorität des Weissen derart betont worden, was eine Vorwegnahme des weiteren rassentheoretischen Diskurses im 19. 1066 1067 1068 1069 1070
Ebd., S. 125. Ebd., S. 136. Ebd., S. 134. Ebd., S. 134f. Ebd., S. 45f.
240
3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
und 20. Jahrhundert darstellte, als die Schädelgrösse als Indikator für die Intelligenz einer jeden ‚Rasse‘ galt. Dieses unheilvolle Konglomerat von scheinbar vergleichend angelegten anatomischen Beobachtungen und polygenetischen Ansichten, verbunden mit einem klaren, eurozentrisch geprägten ästhetischen Werturteil ist unter anderem den Quellen Whites verschuldet. So vermischte er die anatomischen Untersuchungen Soemmerrings mit den ästhetischen Prinzipien Lavaters und den polygenetischen Theorien Longs sowie Hunters und Campers anatomischen Studien. Obwohl White von der allgemeinen Superiorität des weissen Europäers überzeugt war, wehrte er sich gegen einen eventuellen Missbrauch seiner Untersuchung zur Rechtfertigung der Sklaverei: „... it may be replied, that the Author had not the slave trade at all in view in his enquiry; his object was simply to investigate a proposition in natural history. He is fully persuade the Slave Trade is defensible on any hypothesis, and he would rejoice at its abolition. The negroes are, at least, equal to thousands of Europeans, in capacity and responsibility; and ought, therefore, to be equally entitled to freedom and protection.“1071
Nachdem White auf über 100 Seiten eine Vielzahl von angeblich anatomischen Beweisen aufgezählt hatte, welche die Inferiorität des Afrikaners gegenüber dem Europäer sowie dessen Nähe zum Affen beweisen sollten und er ihn gar zu einer anderen Spezies gezählt hatte, machte er sich nun für dessen Gleichberechtigung stark. White betonte, dass der Schwarze Tausenden von Europäern ebenbürtig wäre. Wie ist dieses Bekenntnis zur Abolition zu verstehen? Mit dieser Frage hat sich auch die moderne Forschung kontrovers beschäftigt. Sowohl Gould, der ihm Unaufrichtigkeit vorwirft,1072 als auch Jordan zweifeln an Whites angeblichem Bekenntnis zum Abolitionismus. Jordan kommentiert lakonisch: „After 140 pages of innate Negro inferiority these assurances must have seemed lame to antislavery advocates.“1073 Diesem Standpunkt widerspricht Foreman Cody, sie plädiert für eine differenziertere Sichtweise. Einerseits macht sie geltend, dass Manchester eine abolitionistische Stadt gewesen sei mit einer fortschrittlichen Elite, welche eindeutig gegen den Sklavenhandel Position bezogen habe, weshalb White kaum für die Sklaverei habe Partei ergreifen können. Andererseits argumentiert sie, dass für White eine potenzielle Verschiedenheit, selbst wenn sie verbunden war mit Inferiorität und der Zugehörigkeit zu einer anderen Spezies, nicht gleichbedeutend mit der Negierung des Menschseins war.1074 Beide Positionen haben ihre Berechtigung. Vielleicht sollte man sich jedoch fragen, auf wen sich White genau bezog, wenn er von „thousands of Europeans“1075 sprach – eine Frage, welche kaum mehr beantwortet werden kann, die aber Raum zu Spekulationen bietet. Whites Theorie wird von der modernen Rassismusforschung nur begrenzt beachtet, oftmals findet er lediglich als Rezipient von Soemmerring und Camper Er1071 1072 1073 1074 1075
Ebd., S. 137. Gould, Flamingo›s smile, S. 283. Jordan, White, S. 502. Foreman Cody, Birthing, S. 256. White, Account, S. 137.
3.9 Der Rassendiskurs erreicht Amerika – Smith
241
wähnung.1076 Bernasconi macht geltend, dass Whites Bedeutung für den weiteren Verlauf des Rassendiskurses weniger in dessen eigener Forschung lag, als in seinem Beitrag zur Popularisierung rassentheoretischer Überlegungen im englischen Sprachraum. Indem er Ausschnitte aus Soemmerrings und Campers Studien ins Englische übersetzte, trug er wesentlich zu deren Verbreitung bei.1077 Trotzdem sollte Whites Wirkung nicht darauf beschränkt werden. Seine rassentheoretischen Überlegungen, welche auf dem Prinzip einer natürlichen Ungleichheit basierten, beinhalten bereits, so Kitson, die wesentlichen Züge des modernen Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts.1078 Jordan vertritt ebenfalls die Ansicht, dass es falsch wäre, White lediglich auf seine Rolle als Popularisierer zu reduzieren. Vielmehr habe er dazu beigetragen, dass populäre Vorurteile gegenüber Schwarzen aufgrund scheinbar anatomischer Fakten zu unleugbaren Tatsachen wurden.1079 Er war, wie Becker betont, der erste, der die Polygenese mit einem wissenschaftlich-medizinischen Anspruch verband, indem er den Schwarzen als Bindeglied zwischen Mensch und Affen einstufte und daraus schloss, dass nicht alle Menschen den gleichen Ursprung aufwiesen.1080 Whites hierarchische Rassentheorie basierte auf der Idee der Abstufung und stellte eine rigorose Anwendung der Idee der ‚Kette des Seins‘ dar.1081 Er war der erste Brite, dessen rassentheoretische Überlegungen auf dem Prinzip der Ungleichheit basierten.1082 Seine Untersuchung erinnert dabei in vielen Bereichen an diejenige Soemmerrings. Auch er beschränkte sich primär auf einen Vergleich zwischen dem Weissen, dem Schwarzen und dem Affen, während er die anderen menschlichen Phänotypen kaum erwähnte. Allerdings stellte seine Theorie im Vergleich zu Soemmerring eine Radikalisierung dar, da er eine klare Rassenhierarchie und zugleich die polygenetische Abstammung des Menschen mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit proklamierte. In vielerlei Hinsicht mögen seine Ausführungen tatsächlich wenig originell und innovativ gewesen sein. Seine Rolle im Rassendiskurs darf jedoch nicht unterschätzt werden: Er war der Erste, welcher vergleichende anatomische Untersuchungen am lebenden Objekt vornahm, was eine Ausweitung des methodischen Vorgehens bedeutete. 3.9 DER RASSENDISKURS ERREICHT AMERIKA – SMITH Lange Zeit hatten sich rassentheoretische Überlegungen auf Europa beschränkt. Zwar stiessen einschlägige Schriften in Übersee auf Interesse und teilweise auf 1076 Vgl. beispielsweise Oehler-Klein, „Mohr“, S. 135, Visser wiederum betont, dass White einer der ersten war, welcher den Camperschen Gesichtswinkel wertend interpretierte. Visser, Zoological Work, S. 108. 1077 Bernasconi, Editor’s Note, in: White, Account, S. vi. 1078 Kitson, Case, S. 283. 1079 Jordan, White, S. 501. 1080 Becker, Mann, S. 51. 1081 Bindman, Ape, S. 214. 1082 Kitson, Case, S. 283.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert
harsche Kritik – bestes Beispiel dafür ist Jeffersons Rezeption von Buffon –,1083 doch erst die Veröffentlichung der von Samuel Stanhope Smith (1751–1819) verfassten Schrift „An essay on the causes of the variety of complexion and figure in the human species“ lancierte den Rassendiskurs auch in Amerika. Der in Pennsylvania geborene Smith war bekennender Presbyterianer. Nach einem Theologie- und Philosophiestudium am College of New Jersey, der heutigen Princeton University, arbeitete er als presbyterianischer Pfarrer und gründete das Hampden-Sidney College. 1779 kehrte er ans College of New Jersey zurück, um eine Professur für Moralphilosophie anzunehmen, ehe er von 1795 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1812 als Präsident tätig war.1084 Im Jahre 1787 erläuterte Smith seine rassentheoretischen Überlegungen erstmals vor der Philosophical Society in Philadelphia, auf deren Anfrage hin er sich zur Veröffentlichung seiner Ergebnisse entschloss.1085 Der 1788 veröffentlichte Essay stiess nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa – wenn auch nur in Gelehrtenkreisen – auf reges Interesse. Bereits zwei Jahre später kam es in London zu einem Nachdruck, 1790 wurde die Schrift auch in Edinburgh aufgesetzt. Nachdem ihn Charles White in seiner Schrift „An account of regular gradation in man“ massiv kritisiert hatte, sah sich Smith 1810 veranlasst, der Attacke mittels einer umfangreichen Neuauflage zu begegnen.1086 Smith verstand seine Studie als Beitrag zur Klärung der Frage, wie die Verschiedenheiten im Menschengeschlecht zu begründen seien. Anlass zur Veröffentlichung boten ihm die polygenetischen Theorien einiger Zeitgenossen wie Lord Kames, die für ihn unvereinbar mit der biblischen Lehre waren.1087 Smiths Hauptziel war es, zu beweisen, dass alle Menschen zur gleichen Spezies gehörten und die Richtigkeit der biblischen Doktrin zu belegen.1088 Die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Varietäten (varieties) erklärte er mittels drei Faktoren: dem Klima, dem Zustand der Gesellschaft sowie der Lebensweise.1089 Das Klima – insbesondere Sonneneinstrahlung und Temperatur – erachtete er wie bereits vor ihm Montesquieu und Buffon, auf die er sich berief,1090 als prägend für das äussere Erscheinungsbild. Die Bewohner jeder Klimazone würden sich durch eine charakteristische Hautfarbe auszeichnen; eine Beobachtung, welche er als Beweis für die Richtigkeit der Klimatheorie anführte.1091 Menschen, die aus ihrer Heimat emigriert waren, sah er einem grundsätzlichen Wandel unterworfen, was er als Verifikation seiner These wertete. Smith erwähnte drei Beispiele: Erstens die Juden, die sich je 1083 1084 1085 1086 1087 1088 1089 1090
Jefferson, Notes. Zu Jefferson vgl. auch: Dain, Hideous Monster, S. 2–36. Bernasconi, Editor’s note, in: Smith, Essay, S. vf; Hudnut III, Smith, S. 540–544. Smith, Essay, S. 9. Bernasconi, Editor’s note, in: Smith, Essay, S. v-vii. Smith, Essay 1788, S. 163, 202f. Ebd., S. 9f. Ebd., S. 11. Zu Montesquieu vgl. u. a. Smith, Essay 1788, S. 14; zu Buffon bspw. S. 60, wo er Buffons Behauptung, dass die Tartaren sich in einem Stadium der Degeneration befänden, wiedergab. Greene geht sogar soweit, dass er die Ausführungen Smiths über den Einfluss des Klimas als Wiederholungen der Buffonschen und Montesquieuschen Argumentation bezeichnet. Greene, American Debate, S. 395. 1091 Smith, Essay 1788, S. 33f.
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nach Gebiet äusserlich voneinander unterscheiden würden. Zweitens die Einwanderer Amerikas, bei welchen sich eine, das Aussehen und die Konstitution betreffende Veränderung feststellen lasse, und drittens die in Angola wohnhaften Portugiesen, die sowohl bezüglich Aussehen als auch Verhalten mehr Tiere als Menschen seien.1092 Die Auswirkungen des Klimas beschränkten sich somit nicht nur auf die Hautfarbe; auch an den Haaren, im Körperbau, der Kopfform, den Gliedern und den Gesichtszügen spiegelte sich der Einfluss des Milieus.1093 Die unsystematische Beschreibung der einzelnen Völker sowie die Schilderungen der Auswirkungen des Klimas auf das somatische Erscheinungsbild erinnern stark an Buffons „Histoire naturelle“. Im Gegensatz zum Franzosen gewannen bei Smith der Zustand der Gesellschaft sowie die Lebeweise an Bedeutung. Zwar war es gemäss Smith das Klima, welches für die Entstehung von „many varieties in the human species“ verantwortlich war, dessen Effekte wurden jedoch durch den Zustand der Gesellschaft beeinflusst; ein „savage state“ vergrösserte den Einfluss des Klimas, während ein „state of civilisation“ diesen einzudämmen wusste.1094 Der gesellschaftliche Zustand, der sich in der Lebensweise niederschlug, hatte wiederum Einfluss auf das Aussehen eines jeden Individuums: „Every object that impresses the senses, and every emotion that rises in the mind, affects the features of the face, the index of our feeling, and contributes to form the infinitely various countenance of man. Paucity of ideas creates a vacant and unmeaning aspect. Agreeable and cultivated scenes compose the features, and tender them regular and gay. Wild, and deformed, and solitary forests tend to impress on the countenance, and image of their own rudeness.“1095
Damit griff Smith zentrale Aspekte der physiognomischen Lehre Lavaters auf, die im äusseren Erscheinungsbild einen Spiegel der Seele sah. Zwar ist ungewiss, ob Smith zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Schriften Lavaters in Kontakt gekommen war, fest steht jedoch, dass er sich in der überarbeiteten Version von 1810 explizit auf Lavater berief.1096 Der soziale Stand, der Grad an Zivilisation sowie die intellektuellen Fähigkeiten liessen sich gemäss Smith direkt anhand des Gesichtsausdruckes ablesen. Die einzelnen Völker bildeten kein Kollektiv, vielmehr unterschieden sich die Individuen voneinander, so dass ihre Gesichtszüge als Indikator des sozialen Standes fungierten. Diese Beobachtung lasse sich auch bei den Sklaven in Amerika machen. So würden sich die Haussklaven deutlich von jenen, welche auf den Plantagen arbeiteten, abheben: „The former [field slaves] are frequently ill shaped. They preserve, in a great degree, the African lips, and nose, and hair. Their genius is dull, and their countenance sleepy and stupid – The latter [domestic slaves] are straight and well proportioned; their hair extended to three, four,
1092 Ebd., S. 33–41. Interessanterweise bezog er sich bei seiner Aussage über die Portugiesen in Angola unter anderem auf den Polygenisten Lord Kames, welchen er aufgrund seiner polygenetischen Sichtweise in der zweiten Fassung seines Essays massiv kritisieren sollte. 1093 Ebd., S. 47–52, 59ff, 64–71. 1094 Ebd., S. 71. 1095 Ebd., S. 80f. 1096 Ebd., S. 264.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert and sometimes even to six or eight inches; the size and shape of the mouth handsome, their features regular, their capacity good, and their look animated.“1097
Das Zitat ist aus dreierlei Gründen interessant. Erstens lässt sich ein klar eurozentrisch geprägtes Schönheitsideal herauslesen. Zweitens wurde erneut eine Verbindung zwischen dem äusseren Erscheinungsbild und den intellektuellen Fähigkeiten konstruiert, womit die These des Einflusses der Physiognomie nochmals Bestätigung findet. – Afrikanische Gesichtszüge, welche dem europäischen Schönheitsideal in keiner Weise entsprachen, wurden zum Indikator einer intellektuellen Rückständigkeit. Drittens waren Erscheinungsbild und die geistigen Fähigkeiten nicht permanent: „The features of the negroes in America have undergone a greater change than the complexion; because depending more on the state of society than on the climate, they are sooner susceptible of alteration, from its emotions, habits and ideas. (...) The great difference between the domestic and the field slaves, gives reason to believe that, if they were perfectly free, enjoyed property, and were admitted to a liberal participation of the society, rank and privileges of their masters, they would change their African peculiarities much faster.“1098
Charakteristische Merkmale waren somit veränderlich – eine Aussage, welche er insofern relativierte, als dass er den Faktor der Zeit deutlich hervorhob, denn „every permanent and characteristical variety in human nature, is effected by flow and almost imperceptible gradations. Great and sudden changes are too violent for the delicate constitution of man, and always tend to destroy the system. But changes that become incorporated, and that form the character of a climate or a nation, are progressively carried on through several generations, till the causes that produce them have attained their utmost operation.“1099 Veränderungen waren zwar möglich, allerdings erst von dauerhaftem Bestand, wenn der Faktor der Zeit mitspielte. ‚Afrikanische Eigenarten‘ (African peculiarities) erachtete er als grundsätzlich negativ, sie liessen sich jedoch, wie sich am Beispiel der Haussklaven zeigte, durch den Kontakt mit Weissen – sprich mit zivilisierten Völkern – zumindest abschwächen. Smiths Haltung muss als vergleichsweise liberal bezeichnet werden, spielte er doch immerhin mit dem Gedanken, dass eine Befreiung und damit verbunden die Gleichberechtigung der Sklaven ihre afrikanische Wesensart – und ihr charakteristisches Aussehen! – schneller zum Verschwinden bringen würde; ein Gedankenexperiment, welches er scheinbar begrüsste.1100 Obwohl sich Smith bewusst war, dass die Vorstellung des Schönen bei jedem Volk variierte, orientierte er sich an den antiken Griechen.1101 Das äussere Erscheinungsbild diente als Indikator für den Grad an Zivilisation, weshalb Smith zum Schluss kam: „And the Europeans, and Americans are, the most beautiful people in
1097 1098 1099 1100
Ebd., S. 91f. Ebd., S. 92f. Ebd., S. 12. Jordan kommentiert diese Beobachtung ironisch, so propagiere die ganze Studie zwar die zukünftige Gleichheit der Schwarzen, allerdings nur, wenn diese auch gleich wie die Weissen aussehen würden. Jordan, White, S. 508f. 1101 Smith, Essay 1788, S. 99, 115f; zu den einzelnen Schönheitsidealen: Ebd., S. 102–110.
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the world, chiefly, because their state of society is the most improved.“1102 Weisse Hautfarbe und europäische Gesichtszüge waren Indikator für den Grad an Zivilisation.1103 Weil es sich nicht um eine unabänderliche Tatsache handelte, war es möglich, dass „the human race might be improved both in personal and in mental qualities, by a well-directed care.“1104 In diesem Punkt unterschied er sich frappant von seinen Zeitgenossen, welche zwar – wie Buffon – Degeneration als möglich erachteten, Fortschritt bezüglich des Grades an Zivilisation aber ausschlossen respektive nicht vorsahen. Hudnot sieht in dieser optimistischen Haltung Smiths bezüglich der Anpassungsfähigkeit der Menschen und in seinem Glauben an den Fortschritt in der Entwicklung ein Abbild der Zeit, in welcher Smith lebte. So spiegle sich darin der amerikanische Glauben an die Gleichheit aller Menschen und das Vertrauen, einer Generation von Pionieren anzugehören. Bestätigung findet Hudnot in Smiths Verteidigung der Einheit des Menschengeschlechts.1105 In der Tat vermied es Smith, die Menschen in einzelne Varietäten zu klassifizieren, unterschied stattdessen aber zwischen zivilisierten Nationen (civilized nations) und Wilden (savages). Er war überzeugt, dass die intellektuellen Fähigkeiten von ‚Wilden‘ geringer waren, als jene von Menschen in ‚zivilisierten‘ Gesellschaften.1106 Aus diesem Grund bezeichnete er, gängige Stereotype rezipierend, die Hottentotten, Lappländer und Bewohner Neuhollands als „the most stupid of mankind“, da sie die ‚wildesten‘ Völker seien und sich der „brute creation“ am meisten annäherten.1107 Die Diskrepanz zwischen ‚wild‘ und ‚zivilisiert‘ spiegle sich nicht nur in der Lebensweise, sondern auch im Gesichtsausdruck wider und war somit für jeden ersichtlich. Während die unendliche Anzahl an Ideen und Emotionen den Bürgern (citizens) zivilisierter Gesellschaften sich im Gesichtsausdruck widerspiegle, bleibe das Antlitz der Wilden unbeweglich und dumm, die Augen leer und ohne jeglichen Ausdruck.1108 Dies sei eine direkte Folge des gesellschaftlichen Zustands, der Sitten, der Art zu Leben und ihrer Begrenztheit.1109 Somit kann, obwohl Smith als Verfechter des Monogenismus die Einheit des Menschengeschlechts vehement verteidigte, von der Gleichheit aller Menschen kaum gesprochen werden. Vielmehr wies seine Schrift deutliche Züge einer frühen Zivilisierungstheorie auf, wobei er sich von seinen Zeitgenossen insofern abhob, als dass er eine Weiterentwicklung – sprich die Zivilisierung – der ‚Wilden‘ nicht ausschloss. Im Gegensatz zu anderen frühen Rassentheoretikern verzichtete Smith auf eine exakte Einteilung der Menschheit in ‚Rassen‘ sowie auf deren Benennung. In der zweiten, überarbeiteten Version seines Essays referierte er die Klassifikationen anderer früherer Rassentheoretiker – Blumenbachs, Leibniz’,1110 Linnés und Buffons 1102 1103 1104 1105 1106 1107 1108 1109 1110
Ebd., S. 114f. vgl. Jordan, White, S. 515. Smith, Essay 1788, S. 115. Hudnot III, Smith, S. 546f. Smith, Essay 1788, S. 120f. Ebd., S. 121. Ebd., S. 122–127 Ebd., S. 159. Vgl. Kapitel 3.1.
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Einteilung zitierte er, während er Kant, John Hunter und Zimmermann lediglich namentlich erwähnte. Aufgrund von deren divergierenden Einteilungen kam er zum Schluss, dass es unmöglich sei, eine präzise Linie zwischen den verschiedenen „races of men“ zu ziehen oder diese gar mit Gewissheit zu benennen.1111 Der Verzicht auf eine fixe Klassifikation ergab sich zwangsläufig, da jegliche Bemühung einer Einteilung seiner Theorie zuwidergelaufen wäre. Während Smith von der Veränderlichkeit physischer und psychischer Charakteristika überzeugt war, propagierte die Klassifikation in ‚Rassen‘ gerade deren Unveränderlichkeit. Auf die Frage der Sklaverei ging Smith nur am Rande ein, womit er, wie Greene hervorhebt, die Tendenz bestätigt, dass die Anthropology im ausgehenden 18. Jahrhundert in Amerika noch kaum zur wissenschaftlichen Verteidigung der Sklaverei verwendet wurde.1112 Während Smith im Essay die Frage der Sklaverei gänzlich ausklammerte, argumentierte er in einer seiner Vorlesungen gegen deren Legitimierung, indem er sämtliche gängige zeitgenössische Rechtfertigungsversuche verwarf. Weder ein Verbrechen, Schulden, noch Gefangenschaft erachtete er als legitime Gründe für die Versklavung von Menschen. Die Vorwände, welche zur Rechtfertigung des Transatlantischen Sklavenhandels dienten, bezeichnete er als dreist (impudent).1113 Er kritisierte insbesondere den Anspruch zivilisierter Völker (civilized people), ein Recht darauf zu haben, unwissende Wilde (ignorant savages) zur Arbeit zwingen zu dürfen. Auch das Argument, dass die Sklaven bereits zuvor in ihrem Land verknechtet worden seien, wies er zurück.1114 Damit widersprach er populären Sklavereibefürwortern wie Edward Long, ohne diese namentlich zu erwähnen. Trotzdem darf Smith kaum als revolutionärer Abolitionist bezeichnet werden, da er zwar gegen die Sklaverei argumentierte, aber lediglich für einen langsamen Prozess der Emanzipation eintrat. Er war sich durchaus bewusst, dass seine Ansicht kaum mehrheitsfähig war, riet er doch am Schluss der Vorlesung den Sklavenhaltern zu ihrer eigenen Sicherheit, die Sklaven mit Milde zu behandeln und ihnen die christliche Religion näherzubringen.1115 Smiths Essay zeichnete sich durch seinen stark religiösen Charakter aus. Der religiöse Bezug widerspiegelte sich auch in seinem Wissenschaftsverständnis, was sich insbesondere in dem überarbeiteten Essay von 1810 nachweisen lässt. Smith plädierte dafür, dass Religion und Wissenschaft nicht in unüberbrückbarer Opposition zueinander stehen müssten, sondern vielmehr zusammengeführt werden konnten, indem die Wissenschaft die Instrumente zur Verifikation der biblischen Lehre lieferte. Die polygenetischen Ausführungen Lord Kames‘ dienten ihm als Anlass, seine Studie zu verfassen, da der Polygenismus in Smiths Augen mit der biblischen Lehre unvereinbar war. Ziel seiner Studie war es, den Nachweis der Einheit des Menschengeschlechts zu erbringen und somit „the verity of the Mosaic history“ zu beweisen.1116 Während seine Motivation religiös war, argumentierte er auf einer 1111 1112 1113 1114 1115 1116
Smith, Essay 1810, S. 240. Greene, American Debate, S. 396. Smith, Relation, S. 166. Ebd., S. 166f. Ebd., S. 178f. Smith, Essay 1810, S. 4. Trotz des starken religiösen Bezugs plädiert Jordan dafür, das Werk
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rein naturhistorischen Ebene und bediente sich moderner wissenschaftlicher Methoden. Den Grundsätzen Newtons verpflichtet, arbeitete er streng empirisch, wobei er primär induktiv vorging.1117 Einerseits stütze er sich auf seine eigenen Beobachtungen (und diejenigen seines Publikums), andererseits auf Reiseberichte sowie die Untersuchungen anderer Gelehrter. Beispielhaft dafür war der Appell an die Beobachtungsgabe seiner Leser in der ersten Version seines Essays, als er geltend machte, dass jeder aus eigenen Erfahrungen wisse, dass das Klima einen Einfluss auf die Hautfarbe habe, was er als Beleg für die Richtigkeit der Klimatheorie anführte.1118 – Die Erfahrung und Beobachtung lieferten den wissenschaftlichen Beweis der Theorie. Zwar stützte sich Smith insbesondere bei der Beschreibung der somatischen Eigenschaften der einzelnen Völker auf Reiseberichte und nannte seine Quellen auch namentlich. Trotzdem stand er deren Glaubwürdigkeit kritisch gegenüber. Die kritische Rezeption erachtete er als eine der grössten Herausforderungen eines jeden Gelehrten, welcher sich mit den einzelnen Völkern auseinandersetzte. Er bemängelte die Ignoranz und die oberflächliche Betrachtungsweise der Reisenden, die oftmals zu Verallgemeinerungen und Übertreibungen neigten.1119 Trotz dem offensichtlichen Problembewusstsein bezüglich der Subjektivität und Glaubwürdigkeit der Reiseberichte lässt sich auch bei Smith die wenig kritische Wiedergabe gängiger Stereotype nachweisen. Die angebliche Hässlichkeit der Hottentotten sowie der Grad an Wildheit, der jenen aller anderen Völker übertreffe, fanden bei ihm ebenso Erwähnung wie die „white Indians of Darien“.1120 Deren weisse Haut erachtete er als zufällig und Zeichen einer Krankheit, weshalb er sich dagegen verwahrte, sie als separate race zu bezeichnen, jedoch betonte er, dass sie „the marks of an extreme imbecility“ aufweisen würden.1121 Eine weitere Hauptquelle Smiths bildeten die rassentheoretischen Studien anderer Gelehrter. Während er Buffon und Montesquieu zustimmte, lehnte er Lord Kames Theorie grundsätzlich ab. So fügte er in einer Fussnote an, dass Lord Kames Schilderungen der amerikanischen Ureinwohner von einer „infinite weakness“ seien.1122 Fielen die Belege in der ersten Fassung von 1788 noch spärlich aus, liess Smith in der überarbeiteten Version von 1810 wesentlich mehr Referenzen einfliessen. Indem er sich besser innerhalb des Gelehrtendiskurses zu verankern versuchte, nahm auch die Glaubwürdigkeit seiner Theorie zu, da er auf andere Gelehrte verweisen konnte, welche zu den gleichen Schlüssen gekommen waren. Eine dieser Hauptreferenzen bildete Blumenbachs dritte Ausgabe seiner Dissertationsschrift. Viele der Zitate, welche Smith anfügte, waren aus dem Kontext gerissen,1123 was
1117 1118 1119 1120 1121 1122 1123
nicht als jenes eines reaktionären Pfarrers zu betrachten. Vielmehr stehe Smith stellvertretend für ein Zeitalter, welches geprägt von dem speziellen Glauben gewesen sei, dass die wahre Erforschung der Natur die Handschrift Gottes offenbare. Jordan, White, S. 488. Hudnot III, Smith, S. 545. Smith, Essay 1788, S. 19. Ebd., S. 77. Ebd., S. 153. Ebd., S. 156. Ebd., S. 157. Vgl. auch Dain, Monster, S. 58.
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die Vermutung nährt, dass Smith weniger an Blumenbachs Untersuchungsergebnissen als am Beweis seiner eigenen Theorie interessiert war. Dass Blumenbach das Klima ebenfalls als wichtigen Faktor bei der Herausbildung der Hautfarbe erachtet hatte, wertete Smith als Bestätigung für die Richtigkeit seiner eigenen Theorie. Im Anhang der Neuausgabe 1810 setzte sich Smith intensiv mit der Abhandlung Whites auseinander, dessen vernichtende Kritik an Smiths Klimatheorie eine der Gründe für die Veröffentlichung der überarbeiteten Version gewesen war. Erklärtes Ziel Smiths war es, die Fehler und die daraus resultierenden Konklusionen Whites zu berichtigen1124 und somit seine eigene Theorie zur menschlichen Diversität zu rehabilitieren. Smiths und Whites Ansichten unterschieden sich grundsätzlich voneinander. Während der Engländer ein erklärter Polygenist war und als Anhänger der Idee der ‚Kette des Seins‘ einen hierarchischen Aufbau der Natur propagierte, waren seine Ansichten mit Smiths Glauben an die Richtigkeit der biblischen Lehre unvereinbar. Smiths Kritik richtete sich jedoch nicht nur gegen die polygenetischen Ansichten Whites, vielmehr bemängelte er auch dessen methodisches Vorgehen, womit er implizit dessen Anspruch an Wissenschaftlichkeit bemängelte. Er kritisierte, dass Whites Wissen ausschliesslich auf der anatomischen Untersuchung eines einzelnen afrikanischen Skeletts basiere und seine Untersuchungsergebnisse lediglich anhand eines weiteren Skeletts sowie der Betrachtung lebender Subjekte bestätigt sah. Dabei bemängelte Smith insbesondere, dass es sich bei den Untersuchungsobjekten um Sklaven handle, welche in einer schlechten Verfassung gewesen seien und sie somit nicht exemplarisch für alle Schwarzen stehen dürften.1125 Diese Kritik offenbarte erneut das divergierende Verständnis ‚rassischer‘ Unterschiede von Smith und White. Während ersterer der festen Überzeugung war, dass das Klima, der Zustand der Gesellschaft sowie die Art zu Leben auf jedes Individuum einen Einfluss ausübte, war White gerade von der Unveränderbarkeit ‚rassischer‘ Merkmale überzeugt. Um seine Theorie zu belegen, machte Smith darauf aufmerksam, dass jeder Amerikaner sich mit eigenen Augen versichern könne und dass gerade die Physiognomie der Schwarzen in Amerika einem „favourable change“1126 unterworfen sei, was zugleich einer Relativierung jeglicher rassischen Differenzen gleichkam.1127 Teilweise seitenlang zitierte er aus Whites Abhandlung, bildete dessen Tabellen ab und versuchte diese zu widerlegen. Nicht die angeblichen anatomischen Fakten standen im Zentrum seiner Kritik, vielmehr widersprach er den Schlüssen Whites, welche dieser aus seinen Untersuchungen gezogen hatte. So zweifelte Smith nicht daran, dass die Arme der Schwarzen länger seien als jene der Weissen. Er sah diese anatomische Differenz jedoch nicht als Beweis für eine grundsätzliche Verschiedenheit. Vielmehr bildete sie für ihn die Folge eines unterschiedlichen Klimas, einer abweichenden Art zu Leben, verschiedener Bräuche und Ideen sowie eines ungleichen Zivilisationsstandards.1128 Smith sah in den angeblich breiteren und längeren Füssen der Schwarzen keinen Beweis für deren Nähe zum 1124 1125 1126 1127 1128
Smith, Essay 1810, S. 249. Ebd., S. 249ff. Ebd., S. 255. Ebd., S. 255ff. Ebd., S. 261–264.
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Affen, er erachtete diesen scheinbar anatomischen Fakt als Folge davon, dass die Schwarzen keine Schuhe tragen würden. Dabei machte er darauf aufmerksam, dass sich dieses Phänomen auch bei der weissen Unterschicht feststellen lasse.1129 Zugleich offenbarte sich eine grundsätzlich ablehnende Haltung Smiths gegenüber der Kraniologie als wissenschaftliche Methode zur Festlegung der rassischen Zugehörigkeit. Sich auf Lavater stützend, was wiederum dessen Rezeption in Übersee belegt, machte er geltend, dass bereits dieser keinen grösseren Unterschied zwischen dem Schädel eines Deutsche und eines Bewohners Indiens entdeckt habe, als zwischen jenem eines Deutschen und eines Holländers.1130 In diesem Kontext muss Smiths Einwand gegen die angebliche Einförmigkeit aller amerikanischer Ureinwohner verstanden werden, welche er klimatischen Veränderungen unterworfen sah, die sich wiederum in ihrem divergierenden Aussehen widerspiegelt hätten.1131 ‚Rassische‘ Unterschiede, lässt sich zusammenfassend sagen, waren für Smith nicht unwiderruflich, insofern musste er jegliche Klassifikationsversuche als deterministisch auffassen, widersprachen sie doch seiner von ihm propagierten Klimatheorie zur Erklärung der menschlichen Diversität. Obwohl sich Smith insbesondere in der Neuausgabe stark auf europäische Quellen stützte, wurde sein Essay von den Rassentheoretikern auf dem Alten Kontinent lange Zeit ignoriert. Eine der wenigen Ausnahmen bildete Girtanner, welcher aus seiner Schrift zitierte, sowie Charles White, der Smith scharf kritisierte. In Amerika hingegen erfreute sich seine Studie grosser Beliebtheit. Jordan erklärt diese nicht zuletzt damit, dass viele Amerikaner sich von der Art und Weise, wie Smith die Gleichheit aller Menschen verteidigte, angesprochen fühlten. Gerade abolitionistischen, religiös geprägten Kreisen gelang es oftmals nur unter bewusster Ignorierung aller physischen Unterschiede, an der Gleichheit aller Menschen festzuhalten. Die Argumentation Smiths, dass unter Berücksichtigung des Faktors der Zeit sich der Schwarze dem Weissen angleiche und dessen Hautfarbe adaptiere, stiess auf Zustimmung.1132 Über die Bedeutung des Essays herrscht in der Forschung – sofern sie diesen überhaupt berücksichtigt – Konsens. Die Einschätzung Greens, der die Schrift als ehrgeizigste und bekannteste amerikanische Abhandlung zur physischen Anthropologie in der Zeit vor 1815 bewertet, wird gemeinhin geteilt.1133 Hudnut erachtet den Essay als Smiths originellste und kreativste Leistung, welche ihm international Ansehen einbrachte. Auch er betont die Bedeutung der Schrift für den anthropologischen Diskurs, wenn er sie als „landmark in early American evolutionary thought“ bezeichnet.1134 Damit teilt er die Ansicht Boorstins, welcher von der wahrscheinlich ehrgeizigsten amerikanischen Untersuchung in der physischen Anthropologie zu jener Zeit spricht.1135 Eine ähnliche Sichtweise vertritt Jordan, er macht zugleich 1129 1130 1131 1132 1133 1134 1135
Ebd., S. 253f. Ebd., S. 264. Ebd., S. 290f. Jordan, White, S. 509, 517. Greene, American debate, S. 384. Hudnot III, Smith, S. 544. Boorstin, Lost World, S. 66.
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geltend, dass es sich wahrscheinlich um den hartnäckigsten „and in some ways the most sensible attempt“ zur Erklärung der verschiedenen menschlichen Varietäten handelte.1136 Mit Smiths Essay hielt der Rassendiskurs in Amerika Einzug. Auch wenn Smith in vielerlei Hinsicht europäische Ideen wie die Klimatheorie übernahm und mehrere Rassentheoretiker teilweise ausführlich rezipierte, unterschied sich sein Essay in mehreren Aspekten von zeitgenössischen europäischen Rassentheorien. Erstmals seit Linné wurde wieder ein direkter religiöser Bezug hergestellt. Wissenschaft und Religion befanden sich bei Smith in einer Symbiose, wobei er erstere in den Dienst der Religion stellte, da sie die empirischen Beweise für die Richtigkeit der biblischen Lehre liefern sollte. Im Gegensatz zu den meisten frühen Rassentheoretikern, die eine konkrete Klassifikation der Menschheit in ‚Rassen‘ propagierten oder zumindest nicht ablehnten, missbilligte Smith eine solche Einteilung. Dies lag primär daran, dass er physische und psychische Merkmale für grundsätzlich veränderbar hielt, was eine starre Klassifikation hinfällig machte. Die Ablehnung früherer Versuche, die Menschen in ‚Rassen‘ einzuteilen, war jedoch nicht gleichbedeutend mit einer generellen Nichtklassifikation. Neu war, dass diese nicht mehr aufgrund der Hautfarbe oder der geographischen Herkunft stattfand, sondern dass der Grad an Zivilisation als Kriterium fungierte. Dies Einteilung in ‚Wilde‘ und ‚Zivilisierte‘ war klar wertend, wies aber nur bedingt einen deterministischen Charakter auf und widersprach nicht zwangsläufig der von Smith propagierten Gleichheit aller Menschen. Im Gegensatz zu anderen Rassentheoretikern war seine Theorie geprägt von einem Fortschrittsglauben, von der Überzeugung einer möglichen Verbesserung des gesellschaftlichen Zustands. Dass dieser sowohl physisch als auch psychisch gleichbedeutend mit einer Annäherung an den Weissen war, zeugt von einem klar eurozentrisch geprägten Weltbild, in welchem der Weisse erneut als Wertmassstab diente, zumal eine wirkliche Angleichung gemäss Smith nur über den Faktor der Zeit – sprich über mehrere Generationen hinweg – möglich war. 3.10 GESCHICHTE DER MENSCHHEIT Im Zuge der Auseinandersetzung mit den Verschiedenheiten des menschlichen Geschlechts entwickelte sich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts das Genre der „Geschichte der Menschheit“. Beschäftigte sich die „Naturgeschichte des Menschen“ primär mit der Physis des Menschen, interessierte sich die „Geschichte der Menschheit“ vor allem für den Aspekt der Kultur. Methodisch unterschieden sich die beiden Disziplinen wenig; beide orientierten sich an der Zoologie, was sich insbesondere in dem klassifikatorischen Ansatz manifestierte.1137 Die „Geschichte der Menschheit“ spielte eine zentrale Rolle für das Verständnis fremder Kulturen. Indem sie die Historizität der Menschheit betonte, bot sie eine Möglichkeit, sowohl historische wie auch zeitgenössische Erscheinungsformen der Zivilisation zu erklä1136 Jordan, White. S. 513. 1137 Nutz, Varietäten, S. 9f, 55.
3.10 Geschichte der Menschheit
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ren und anhand von Analogien und Vergleichen miteinander in Verbindung bringen zu können. Die Gattung des Menschen sowie die ihr zugeschrieben Eigenschaften wurden als Resultat einer historischen Entwicklung betrachtet; ein Ansatz, welcher eine Erklärung für den unterschiedlichen Entwicklungsstand der verschiedenen Völker sowie deren Diversität zu liefern schien.1138 Bereits im 16. Jahrhundert wurde an protestantischen Universitäten in Deutschland Universalgeschichte, zu welcher die „Geschichte der Menschheit“ gerechnet werden muss, gelehrt. Ausgangspunkt bildete die Erschaffung der Welt gemäss der biblischen Tradition, Endpunkt die Gegenwart. Genrebildend für die „Geschichte der Menschheit“ der Aufklärungszeit war Isaak Iselins 1764 veröffentlichte Studie „Ueber die Geschichte der Menschheit“. Charakteristisch für seine Geschichtsschreibung war die Entwicklung der Menschheit von einem Zustand der Wildheit hin zur Zivilisation. Dabei erachtete Iselin, wie Montesquieu vor ihm, das Klima als dominierenden Faktor, erweiterte dessen Theorie jedoch um das Element der „Leidenschaften“ sowie der „Begierde“. Eigenschaften wie Sinnlichkeit und Vernunft erfuhren ebenfalls eine Katalogisierung und wurden zu einem integralen Faktor der Menschheitsgeschichte und einer gewissen Entwicklungsstufe zugeschrieben. Charakterisierten sich die Menschen im niedrigsten Grad der Menschheit durch Sinnlichkeit, wurde Vernunft mit der höchsten Stufe, jener des „gesitteten Standes“,1139 gleichgesetzt.1140 Iselins Geschichte lebte vom Antagonismus ‚wild‘ / ‚zivilisiert‘, wobei eine Wertung zu Lasten des Status der Wildheit stattfand. Iselin reihte sich ein in eine Reihe von Veröffentlichungen,1141 welche alle von der Vorstellung einer stufenweisen Entwicklung der Gattung des Menschen geprägt waren und die in den 1780er Jahre ihren Höhepunkt erreichten.1142 Plädoyer für den Humanismus – Herder Einer der wichtigsten Beiträge zur „Geschichte der Menschheit“ im Kontext des entstehenden Rassendiskurses stammte von Johann Gottfried Herder (1744–1803). Der aus einer pietistischen Familie stammende Herder studierte ab 1762 in Königsberg Theologie und Philosophie und besuchte mehrere Vorlesungen bei Kant, der zu seinem bevorzugten Lehrer wurde und dessen Vorlesungen über die physische Geographie sowie Anthropologie ihn nachhaltig prägten.1143 1765 wechselte er an die Domschule in Riga, um eine Anstellung als Lehrer und Prediger anzunehmen. Hatte er sich bereits in seiner Zeit in Königsberg intensiv mit Rousseau beschäftigt, 1138 1139 1140 1141
Ebd., S. 143f. Iselin, Geschichte der Menschheit I, S. 337. Nutz, Varietäten, S. 72ff; Iselin, Geschichte der Menschheit I. Dazu gehörten: Ferguson, Essay; Millot, Histoire philosophique; Pauw, Recherches philosophiques; Irwing, Versuch; Adelung, Versuch und Meiners, Grundriss. 1142 Nutz, Varietäten, S. 72–81. 1143 Schmied-Kowarzik, Streit, S. 115; dieser Sichtweise widerspricht Lovejoy, der sich weigert, Kant als Lehrer von Herder anzusehen, da sich Herder in den „Ideen“ explizit dagegen verwahrte, in dem Affen einen Verwandten des Menschen zu sehen. Lovejoy, Herder, S. 208.
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setzte er sich nun vertieft mit der Philosophie Shaftesburys, Homes und Leibniz‘ auseinander. Vier Jahre später reiste er nach Frankreich, wo er unter anderem mit Diderot in Kontakt trat, wenig später folgte eine Reise durch Deutschland, auf welcher er den Fürsten als dessen persönlichen Prediger begleitete und auf welcher er Goethe kennenlernte, mit dem er bis zum Bruch 1789 eine enge Freundschaft pflegte. 1776 folgte der Ruf nach Weimar, die Aussicht auf eine spätere Anstellung an der Universität Göttingen lehnte er hingegen ab.1144 Im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Buffon, Blumenbach, Soemmerring, Forster und Camper war Herder kein Naturforscher,1145 vielmehr bildeten deren Schriften – zusammen mit einer Fülle an Reiseberichten und Völkerbeschreibungen – die Basis seines Wissens und prägten dementsprechend sein Menschen- und Weltbild. Herder galt als ausserordentlich belesen; seine Hand- und Arbeitsbibliothek umfasste rund 8000 Titel. Diese Belesenheit widerspiegelte sich auch in der Anzahl an Werken, die er in seine Schriften – insbesondere in die „Ideen“, für welche er sämtliche geschichts-, natur-, sprachund religionswissenschaftliche Literatur seiner Zeit zu verwenden versuchte – einfliessen liess. Die Menge an Quellen war derart gross, dass er zu deren Bewältigung und sorgfältigen Bewertung kaum mehr im Stande war, was bereits Zeitgenossen auffiel und dementsprechend kritisiert wurde.1146 Spätestens bei Herder zeigte sich somit die – bereits angesprochene – Problematik einer Informationsflut, der ein Gelehrter alleine kaum mehr Herr werden konnte. Herders Weltbild, wie er es zu Beginn seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ skizzierte, war geprägt durch den Glauben, dass sich der Schöpfungsgedanke in der Natur wie auch in jedem einzelnen Individuum widerspiegle. Gott offenbarte sich in der Natur; die Welt selbst war Beweis für das Göttliche, wobei der Sinn der Schöpfung der menschlichen Vernunft zugänglich war.1147 Die Vorstellung der Natur war charakterisiert durch das Prinzip der Verbundenheit und der Kontinuität; der Mensch fungierte als Mittelglied zwischen dem Weltlichen und dem Göttlichen. Die Grenze zwischen Religion und Wissenschaft war fliessend; die religiöse Komponente zeigte auch im Vokabular Herders.1148 1144 Jäger, Herder, S. 595–602. 1145 Herder beschäftigte sich sowohl mit der physischen, welche die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zwischen Mensch und Tier untersuchte, als auch mit der philosophischen Anthropologie, die nach der Stellung des Menschen sowie dem Zusammenhang zwischen Leib und Seele fragt. Zugleich interessierte er sich für Vergleiche zwischen den einzelnen Völkern, die er trotz ihrer Verschiedenheit als Einheit erfasste. Dabei verband Herders Anthropologie philosophisch-biologische Elemente mit völkerkundlichen Beschreibungen. Lepenies, Vergessene Tradition, S. 57, Nisbet, Herders anthropologische Anschauungen, S. 2. 1146 Wenzel, Anthropologie, S. 139ff., 160f., vgl. dazu Herder, Ideen, Vorrede, S. 12, wo er schreibt: „Gelesen hatte ich so ziemlich alles, was darüber geschrieben war und von meiner Jugend an war jedes neue Buch, das über die Geschichte der Menschheit erschien und worin ich Beiträge zu meiner grossen Aufgabe hoffte, wie ein gefundener Schatz.“ 1147 Vgl. Herder, Ideen, Vorwort; Bitterli, Grundzüge, S. 325f. 1148 Herder, Ideen I, 5, IV, S. 193. Eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit den Konsequenzen, welche sich aus dieser spekulativen Ansicht ergaben, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass insbesondere Kant Herders Sichtweise massiv kritisierte, da er damit den Erfahrungsbereich der naturwissenschaftlichen Erkenntnis verlassen
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In seinem von 1784 bis 1791 erschienen vierbändigen Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ holte Herder weit aus; er begann mit den Himmelskörpern, um anschliessend die Erde sowie die einzelnen Kontinente zu charakterisieren. Asien beschrieb er als „Tummelplatz von grossenteils wilden Völkern“,1149 vom Innern Afrikas hingegen wisse man noch zu wenig, was ihn nicht daran hinderte, von Menschenfressern zu erzählen.1150 Auch von Amerika, wo „originale Wildheit und Freiheit wohne“,1151 sei noch wenig bekannt, Europa hingegen zeichne sich durch „seine Verschiedenheit von Nationen, durch seine Vielgewandtheit von Sitten und Künsten, am meisten aber durch die Wirksamkeit“ aus.1152 Den üblichen Klischees gemäss lebten auch bei Herder in den gemässigten Klimazonen die „wohlgebildetsten Menschenvölker“.1153 Anschliessend thematisierte er die Pflanzen- und Tierwelt im Vergleich zu den Menschen. Der gängigen Auffassung entsprechend sah er im aufrechten Gang des Menschen das Hauptunterscheidungskriterium gegenüber den Tieren. Dieser habe zur Folge, dass der Mensch eine im Vergleich zu den Tieren sowohl physisch wie psychisch unterschiedliche Organisationsform aufweise, was gemäss Herder dessen Superiorität begründete.1154 Bereits der Aufbau weist zahlreiche Parallelen zu Buffons „Histoire naturelle“ auf, die Gemeinsamkeiten verstärkten sich, als Herder die Menschen in sechs Grossgruppen einteilte,1155 in die Völker „in der Nähe des Nordpols“, jene „um den Asiatischen Rücken“, in die „des Erdstrichs schöngebildeter Völker“, die „Afrikanischen Völker“, die „Menschen in den Inseln des heissen Erdstrichs“ und die „Amerikaner“.1156 Hauptklassifikationskriterium bildete das Klima, gemeinsam war allen Völkern, dass sie – unabhängig von ihrem Entwicklungsstand – Kennzeichen der Humanität aufwiesen.1157 Jede Grossgruppe wies eine Vielzahl an Völkern auf, welche Herder sorgfältig beschrieb. Die Ausführungen enthielten primär somatische Charakterisierungen, insbesondere die Gesichtsbildung wurde detailliert geschildert, wobei Herders ästhetisches Urteil deutlich eurozentrisch geprägt war. Mehrmals stellte er einen Bezug zur Regierungsform und zum Charakter des jeweiligen Volkes her. Beispielsweise beschrieb Herder die Bewohner Kaschmirs mit Hinweis auf Bernier als die wohlgebildetsten Menschen, sie würden oftmals als die geistreichsten und witzigsten Inder gelten, ihre Frauen seien ausserordentlich schön.1158 Weniger wohlwollend schilderte er die Japaner, welche „fast durchge-
1149 1150 1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157 1158
habe und in den Bereich der reinen Spekulation vorgedrungen sei. Vgl. insbesondere Bitterli, Grundzüge, S. 425ff. Herder, Ideen I, 1, VI, S. 44. Ebd. Ebd. Ebd., S. 47. Ebd., S. 49f. Herder, Ideen I, 3, VI, S. 111–114. Bindman sieht eine weitere Parallele in der Wertung von Schönheit und Hässlichkeit, wobei beide insistiert hätten, dass letztere Menschen nicht weniger human machen würde. Bindman, Ape, S. 165. Herder, Ideen VI. Herder, Ideen II, 6, I, S. 213. Herder, Ideen II, 6, III, S. 222.
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hends übel gewachsen“ seien, zumal „ihre Regierungsform und Weisheit (...) voll gewaltsamen Zwanges“ sei.1159 Dies war insofern widersprüchlich, als dass Herder seinen Zeitgenossen Parteilichkeit vorwarf und sich eine wertneutrale Geschichte der Menschheit wünschte. Eine Überhöhung des Europäers erachtete er als gefährlich, stattdessen forderte er: „...man habe keinen Lieblingsstamm, kein Favoritenvolk auf der Erde. Leicht verführt eine solche Vorliebe, dass man der begünstigten Nation zu viel Gutes, andern zu viel Böses zuschreibe.“1160 Herders Einteilung der Völker anhand des Kriteriums der geographischen Herkunft war Ausdruck seiner Ablehnung des Rassenterminus und entsprach zugleich seinem Humanitätsbegriff, der die Einheit des Menschengeschlechts und nicht deren Diversifikation beinhaltete und das Humane als verbindendes Element betonte.1161 Der Glaube an die Existenz von menschlichen Rassen war seines Erachtens unvereinbar mit der Überzeugung eines monogenetischen Ursprungs, denn: „Rasse leitet auf eine Verschiedenheit der Abstammung, die hier entweder gar nicht statt findet, oder in jedem dieser Weltstriche unter jeder dieser Farben die verschiedensten Rassen begreift. (...) ...weder vier oder fünf Rassen, noch ausschliessende Varietäten gibt es auf der Erde. Die Farben verlieren sich in einander: (...) und im Ganzen wird zuletzt alles nur Schattierung eines und desselben grossen Gemäldes, das sich durch alle Räume und Zeiten der Erde verbreitet.“1162
Die Menschheit bestand aus unzähligen Individuen, welche ein Kollektiv bildeten. Anstelle des Prinzips der Rasse griff er auf den Grundsatz der Kontinuität1163 zurück und fasste den Menschen als Teil einer grossen, dynamischen Entwicklung auf. Er negierte nicht die Existenz von Einheiten wie Nationen, Völker und Familien, welche der Verschiedenheit des Individuums Rechnung trugen, aber er lehnte das Konzept der biologisch begriffenen Rasse ab, da diese der kulturellen Vielfalt des Menschengeschlechts nicht gerecht werde.1164 Statt von Rassen sprach er – wie später Forster, der den Terminus ebenfalls ablehnte1165 – bevorzugt von Nationen, Völkern sowie Völkerschaften. Die Nation bildete eine Einheit; so bestand beispielsweise ein Königreich lediglich aus einer Nation.1166 Wie alles in Herders Kulturtheorie waren auch die einzelnen Nationen der Zeit unterworfen. Sie konnten verschiedene Stadien durchlaufen und zerfallen; stets waren sie aber mit anderen Nationen verbunden.1167 Herder missfiel nicht nur die Klassifikation der Menschen in Rassen, womit er sich deutlich gegen seinen früheren Lehrer Kant wandte, auch
1159 Herder, Ideen II, 6, II, S. 219. 1160 Herder, Briefe zur Beförderung, 116. Brief, S. 698. 1161 Conze/Sommer, Rasse, S. 151; vgl. dazu insbesondere Herder, Ideen II, 6, I, S. 213. Vgl. auch: Herder, Philosophe der Geschichte, S. 11; Herder, Ursprung der Sprache, S. 757f. Zum Humanitätsbegriff bei Herder vgl. insbesondere Förster, Herder, S. 363–387. 1162 Herder, Ideen II, 7, I, S. 255. 1163 Vgl. Nisbet, Anthropologische Anschauungen, S. 10f. 1164 Vgl. Smidt, Afrika im Schatten, S. 133. 1165 Vgl. Ribeiro Sanches, Dunkelheit, S. 63. 1166 Denby, Herder, S. 62. 1167 Stauf, „Was soll überhaupt...“, S. 52.
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die Hierarchisierung der Völker aufgrund ihres Grades an Zivilisation lehnte er ab.1168 Die Verschiedenheit der Völker erklärte sich Herder stattdessen anhand der Faktoren des Ortes, der Zeit sowie der individuellen Ausprägung. Nicht nur die geographische Lage trennte sie, sie unterschieden sich auch in ihrer Lebensart und Sprache.1169 Das Klima war für Herder ein Chaos von Ursachen und keine Konstante, abhängig von äusseren und inneren Faktoren. Der Einfluss Montesquieus, mit dessen Werk er vertraut war, war unübersehbar, auch wenn er dessen Klimatheorie kritisch gegenüberstand. Zwar gestand er dem Klima einen gewissen Einfluss zu, allerdings konnten Veränderungen nur über eine längere Zeitspanne geschehen. Das Milieu konnte zur Spezifizierung eines Volkes beitragen, nicht jedoch diese bewirken.1170 Als dominant erachtete er mit Verweis auf Soemmerrings Studie genetische Faktoren, welche einen irreversiblen Einfluss auf das Individuum hatten.1171 Neu führte Herder den Aspekt der Zeit sowie der ethnischen Zugehörigkeit ein. Lediglich durch Vermischung würden innerhalb von wenigen Generationen „alle Mongolischen, Sinesischen, Amerikanischen Züge“ verschwinden.1172 Im Gegensatz zu Kant und später auch Meiners erachtete Herder die Vermischung von verschiedenen Völkern als positiv, da sie zu einer Veredelung führen würde.1173 Die Frage nach dem Ursprung, der originären Lebensart, nach etwaiger Vermischung sowie dem Durchleben von Revolutionen galt es ebenso zu berücksichtigen.1174 Hinzu kam, dass der Mensch nicht nur durch das Klima geprägt wurde, sondern vielmehr auf dieses auch zurückwirkte. Dies führt dazu, dass die Kultur1175 als zweiter Faktor Einfluss auf den Menschen nahm. Indem der Mensch auf die Natur einwirkte und diese formte, veränderte er sich zugleich selbst, weshalb er dem Klima nicht hilflos ausgeliefert war, sondern Einfluss auf dieses und somit auf sein eigenes Sein nehmen konnte.1176 Auffällig ist die stetige Bemühungen Herders, die Eigenart eines jeden Volkes auf ihre Lebensbedingungen zurückzuführen und damit der Versuch, diese zu verstehen, ohne zu werten – was wie bereits gezeigt, nur teilweise gelang.1177 Dieses Vorgehen reflektierte Herders Überzeugung, dass es die Kultur war, welche den 1168 Herder, 115. Brief zur Beförderung, S. 687. 1169 Herder, Ideen I, 1, VI, S. 45ff. 1170 Herder, Ideen 7, III; Herder, Ideen, 7, IV, vgl. dazu auch: Herder, Wälder zur Ästhetik, insbesondere S. 50, wo er den Einfluss des Klimas auf die Nationalbildung ebenfalls stark einschränkt. 1171 Herder, Ideen II, 7, IV, S. 274f; vgl. auch Denby, Herder, S. 60f; Grawe, Herders Kulturanthropologie, S. 118ff. 1172 Herder, Ideen II, 7, IV, S. 275. 1173 Vgl. Herder, Ideen II, 6, III, S. 225, 228. 1174 Herder, Ideen II, 7, V. Fink betont, dass Herder damit Überlegungen vorwegnahm, die heute von der modernen Klimatologie und Ethnologie angestellt werden. Fink, Klima- und Kulturtheorie, S. 42f. 1175 Zum Kulturbegriff bei Herder vgl. insbesondere Fisch, Zivilisation, S. 709–712. 1176 Vgl. Müller, Montesquieu, S. 29. Müller sieht in dem kulturtheoretischen Ansatz eine deutliche Überlegenheit gegenüber der herkömmlichen Klimatheorie, wie sie beispielsweise Montesquieu vertreten hatte. Müller, Montesquieu S. 29f. 1177 Herder, Briefe zur Beförderung, 166. Brief, S. 699f; Bitterli, Einheit, S. 46.
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Menschen ausmachte. Verbunden damit war der Glaube Herders an die Individualität aller Existenzen. Jede Kultur und jedes Volk wies einen eigenen Charakter auf.1178 Ähnlich wie Blumenbach tendierte auch Herder dazu, die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Menschen abzuschwächen.1179 Dezidiert verwahrte er sich dagegen, den Europäer als Massstab zu nehmen und ihn mit aussereuropäischen Völkern zu vergleichen, zumal er eine einheitliche europäische Kultur und deren angebliche Superiorität negierte. Stattdessen plädierte er als Kulturpluralist dafür, dass jede Nation für sich alleine betrachtet werde.1180 Eine Bewertung aussereuropäischer Völker anhand des eigenen Erfahrungsmassstabs lehnte er dementsprechend ab: „Was soll überhaupt eine Messung aller Völker nach uns Europäern? Wo ist das Mittel der Vergleichung? Jene Nation, die ihr wild und barbarisch nennt, ist im Wesentlichen viel menschlicher als ihr.“1181 Hier schimmerte der Mythos des ‚edlen Wilden‘ durch, welcher sich mit der Nähe Herders zu Rousseau, der ebenfalls von der Reiseliteratur stark beeinflusst worden war,1182 erklären lässt.1183 Er war sich bewusst, dass Zivilisation und Fortschritt, wie sie von den Europäern verstanden wurden, insbesondere für die aussereuropäischen Völker von verheerender Konsequenz sein konnten. In seinen Briefen zur Beförderung der Humanität wandte er sich mehrmals gegen den Kolonialismus und verurteilte das Verhalten der Europäer in Aussereuropa, welches sich „durch ungerechte Kriege, Geiz, Betrug, Unterdrückung“ auszeichne.1184 Der Europäer fungierte nicht mehr als Kulturbringer, sondern als deren Zerstörer,1185 wobei Herder noch einen Schritt weiter ging und das Recht der Indigenen auf Widerstand verteidigte: „So alle Nationen, die man Wilde nennt; mögen sie sich gegen fremde Besucher mit List oder mit Gewalt vertheidigen. Armselige Denkart, die ihnen dies verübelt, ja gar die Völker nach der Sanftmuth, mit der sie sich betrügen und fangen lassen, classificieret. a) Gehört ihnen nicht ihr Land?“1186 Herders Werk war nicht frei von Widersprüchen, zumal sich, wie Wenzel betont, sein Menschenbild im Laufe der Zeit wandelte und nicht als Konstante behandelt werden darf.1187 Einerseits trat er als Kulturrelativist, als Gegner jeder rassischen Kategorisierung sowie als Kolonialismuskritiker auf, andererseits lassen sich auch bei ihm eurozentrisch geprägte Darstellungen aussereuropäischer Völker fin1178 1179 1180 1181 1182 1183
1184 1185 1186 1187
Grawe, Herders Kulturanthropologie, S. 117. Vgl. auch Bindman, Ape, S. 196. Herder, Briefe zur Beförderung, 116. Brief, S. 699f. Herder, Briefe zur Beförderung, 115. Brief, S. 687. Mühlmann, Anthropologie, S. 62–65. Krauss sieht in Herders Huldigung an den Naturmenschen einen Rückfall in die Verklärung des ‚bon sauvage‘. Krauss: Anthropologie, S. 113. Dieser Meinung widerspricht Stauf, die Herder durchaus Sympathien für den ursprünglichen Zustand zuschreibt, jedoch geltend macht, dass Herder letztendlich den Ablauf der Zivilisation – als Prozess der Differenzierung verstanden – bejaht habe. Stauf, „Was soll überhaupt“, S. 52. Herder, Briefe zur Beförderung, 115. Brief, S. 672. Ebd. Herder, Briefe zur Beförderung, 116. Brief, S. 687; vgl. hier auch die Parallelen zu Kants Aufsatz „Zum ewigen Frieden“. Wenzel, Anthropologie, S. 142.
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den. In der Abhandlung „Ist die Schönheit des Körpers ein Bote von der Schönheit der Seele?“ aus dem Jahre 1766 hatte sich Herder intensiv mit dem Begriff der Schönheit auseinandergesetzt. Zwar kam er zum Schluss, dass diese relativ und nur schwer zu bestimmen sei, da sie stets vom Betrachter abhänge. Die Wiedergabe bekannter Stereotypen sowie die Nähe zur Lehre Lavaters, deren Richtigkeit er aufgrund des Beispiels von Sokrates in Frage stellte, war erstaunlich:1188 „Wo die Natur also nicht schöne Körper hervorbringen kann: da sind auch die schönen Seelen fremde. Unter den Negers sind die Menschen nicht bloss mit ihren Lippen, sondern auch am ganzen Körper, Brüder der Affen; und sinds noch mehr an Geist. Hume sagt: noch nie ist ein Genie unter ihnen bekannt geworden, und es ist bekannt genug, dass sie die Affen für Menschen halten, (...) Ein gleiches gilt von den kalten Zonen: In Grönland sind Männer und Weiber nicht zu unterscheiden, weil sie gleich hässlich sind, und es ist bekannt, dass so wie die Form ihrer Körpers kleinlicht und ungestaltet ist, so ist ihr Geist auch eingeschränkt, abergläubisch, dumm und klein. Nur die mittlere Gegenden sind die Werkstätten der Natur, wo sie die Schönheit des Körpers und Geistes gemeinschaftlich zur Reife bringen, ausbilden und erheben kann.“1189
Das Zitat ist in dreierlei Hinsicht von Interesse. Erstens bildete der Rückschluss, dass in einem schönen Körper auch eine schöne Seele wohnen müsse, eine Übernahme der physiognomischen Lehre, wie sie Lavater vertrat, und eine Gleichsetzung, von welcher sich Herder später distanzierte, wie er generell mit zunehmendem Alter zur Lehre Lavaters auf Distanz gehen sollte.1190 Diese Veränderung lässt sich in den „Ideen“ nachweisen, wo er sich wesentlich kritischer gab,1191 sich aber noch immer davon überzeugt zeigte, dass beispielsweise aufgeworfene Lippen Zeichen eines sinnlichen Triebes seien.1192 Die Beschreibung physischer Unterschiede und die daraus gezogenen Schlüsse lehnte er folglich nicht per se ab, vielmehr kritisierte er das bisherige Vorgehen, welches er als unzureichend erachtete. Der Wunsch nach einer Lehre der Physiognomie, anhand welcher man den Charakter eines Menschen aufgrund äusserer Merkmale bestimmen könnte, blieb jedoch.1193 Zweitens wurde den Schwarzen – mit Rückbezug auf den Polygenisten Hume – die intellektuelle Fähigkeit abgesprochen und stattdessen ihre Nähe zu den Affen betont. Diese sei derart frappant, dass die Affen die Schwarzen als ihre Brüder anerkannten. Drittens lässt sich der Einfluss der Klimatheorie auf Herders Denken erkennen und damit verbunden der Glaube, dass in den gemässigten Zonen die erhabensten Menschen leben würden. Sikka betont, dass die zitierte Passage längst nicht die einzige problematische Stelle in Herders Werk sei, sondern dass sich in den „Ideen“ ebenfalls eine scharfe Distinktion zwischen den verschiedenen Völkern beobachten lasse. Auch dort fand eine Beurteilung des äusseren Erscheinungsbildes der Aussereuropäer anhand eines – von Herder selbst abgelehnten – eurozentrisch geprägten Wertmassstabes statt, zumal die physischen Unterschiede implizit
1188 1189 1190 1191 1192 1193
Herder, Schönheit des Körpers, S. 142–148. Ebd., S. 140f. Vgl. Smidt-Wolbert, Philosophische Kategorie, S. 57. Herder, Ideen I, 4, I, S. 129; Herder, Ideen II, 7, IV, S. 277f. Herder, Ideen II, 6, IV, S. 235. Ebd., S. 250.
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eine Differenz bezüglich des Charakters und der natürlichen Fähigkeiten mit sich zogen.1194 Dieses negative Bild wird dadurch abgeschwächt, dass sich Herder stets der Subjektivität seiner Darstellung und der damit verbundenen begrenzten Aussagekraft bewusst war. „Am meisten interessiren mich die Nachrichten, wie fremde Nationen uns ansehen, was sie von unserer Cultur und Religion, von unsern Sitten und Gebräuchen denken. Da kommen, bey den grössesten Dummheiten, Naivitäten zum Vorschein, die nicht treffender seyn könnten.“1195 Indem er das Bild umdrehte und nach der Wirkung der Europäer auf den Aussereuropäer fragte und auf die eigene Lächerlichkeit hinwies, relativierte er die Darstellung des Komischen, Absurden und Lächerlichen bei anderen Völkern, wie sie in den Reiseberichten zu finden war. Zugleich stellte er die eigene Kultur und deren angebliche Superiorität, welche stets abhängig war von dem jeweiligen Betrachter, in Frage.1196 Herder rezipierte neben einer grossen Anzahl an Reiseberichten und Völkerbeschreibungen auch zahlreiche Rassentheoretiker und bezog sich mehrmals auf ihre Schriften. Seine Auseinandersetzung mit der Idee menschlicher ‚Rassen‘ beschränkte sich ausschliesslich auf die Lektüre, wobei er versucht war, möglichst alle wichtigen Schriften und Untersuchungen miteinzubeziehen. Der Umfang an Literatur war jedoch derart gross, dass er der Relevanz der einzelnen Studien und Reiseberichten oftmals nur in beschränktem Masse Rechnung tragen konnte. Erschwerend kam hinzu, dass Herder einen interdisziplinären Ansatz verfolgte, zahlreiche Theorien und Ideen lassen sich in seinem Werk nachweisen. Herder beschäftigte sich nicht nur mit den menschlichen ‚Rassen‘, sondern diskutierte auch Themen wie die Artenkonstanz, die Präformationslehre, den Schöpfungsbericht bis hin zur Philosophie Spinozas, Leibniz‘ und Shaftesburys, um nur einige Beispiele zu nennen. Die oftmals oberflächliche Auseinandersetzung mit ihren Theorien, welche nicht zuletzt darin begründet war, dass Herders Ziel gerade eine Gesamtschau darstellte, stiess bereits bei Zeitgenossen auf Kritik.1197 In Herders Werk – und insbesondere in den „Ideen“ – lassen sich die verschiedensten Einflüsse von anderen Rassentheoretikern nachweisen. Neben Linnés „Systema naturae“,1198 Buffons „Histoire naturelle“,1199 Blumenbachs „De generis humani varietate nativa“1200 und der Studie Soemmerrings1201 rezipierte er auch die Reiseberichte von Forster1202 und Bernier.1203 Daneben setzte er sich mit der Physiognomie Lavaters genauso 1194 Sikka, Herder, S. 111f. 1195 Herder, Exemplare der Menschheit, S. 179. 1196 Vgl. dazu auch: Herder, Veränderung des Geschmacks, S. 149–160. In der Schrift machte er darauf aufmerksam, dass Wahrheit, Schönheit und moralischer Wert je nach Zeit und Ort anders gewichtet worden seien. 1197 Wenzel, Anthropologie, S. 160f. 1198 Herder, Ideen I, 2, III, S. 71f. 1199 Herder, Ideen I, 4, I, S. 117, 119; Herder, Ideen II, 6, VI, S. 249; Herder, Ideen II, 7, I, S. 251. 1200 Herder, Ideen I, 4, I, S. 119, 128. 1201 Herder, Ideen II, 7, IV, S. 275. 1202 Herder, Ideen I, 4, I, S. 132; Herder, Ideen II, 6, V, S. 239; Herder, Ideen II, 6, VI S. 243; Herder, Ideen II, 6, VI, S. 247. 1203 Herder, Ideen II, 6, III, S. 222.
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auseinander wie mit der Ästhetik Winckelmanns.1204 Herders Umgang mit den rassentheoretischen Studien seiner Zeitgenossen war oftmals widersprüchlich, wie sich anhand zweier Beispiele illustrieren lässt: Aus einem Brief an Forster geht hervor, dass dessen Aufsatz über die Menschenrassen bei Herder auf Zustimmung gestossen sein muss. Dies ist insofern auffällig, als dass Forster darin eine dezidiert polygenetische Position vertrat, während es sich bei Herder um einen bekennenden Monogenisten handelte.1205 Daneben bediente sich Herder aber auch der Theorien Dritter, ohne sie namentlich zu erwähnen. So diente ihm der Campersche Gesichtswinkel1206 dazu, den äusseren Unterschied zwischen Mensch und Tier zu definieren: „Was macht sie [Menschengesichter] tierisch? was gibt ihnen diesen entehrenden groben Anblick? der hervorgerückte Kiefer, der zurückgeschobne Kopf...“1207 An der Gültigkeit des Gesichtswinkels zweifelte er nicht, er verzichtete jedoch darauf, eine Verbindung zu moralischen oder kulturellen Defiziten zu konstruieren. Wenige Seiten später sollte er seine Aussage noch präzisieren: „Warum neiget sich die griechische Form des Oberhaupts so angenehm vor? Weil sie den weitesten Raum eines freien Gehirns umschliesst, (...), also einen Tempel jugendlich-schöner und reiner Menschengedanken. Das Hinterhaupt dagegen ist klein; denn das tierische Cerebellum soll nicht überwiegen.“1208 Damit wurde der Campersche Gesichtswinkel für Herder zu einem Schönheitsgradmesser. Dies wiederum barg die Gefahr, wie Nisbet herausarbeitet, dass er auch zur Erfassung ethnischer Unterschiede verwendet werden konnte und damit Hand bot, rassische Ungleichheit messbar zu machen.1209 Camper selbst sollte ihn später schriftlich darauf hinweisen, dass das ästhetische Urteil keine objektive Gültigkeit besitze.1210 Die „Ideen“ stiessen anfänglich auf grosse Resonanz.1211 Johann Georg Hamann und Camper rühmten die Schrift als vortrefflich, Soemmerring machte sie in seiner 1785 veröffentlichten Untersuchung neben Blumenbach zur Hauptreferenz.1212 Heyne und Forster gehörten ebenfalls zu den Bewunderern.1213 Selbst Meiners empfand den zweiten Teil als lehrreich, wies aber darauf hin, dass Herders Quellen auch anders interpretiert werden könnten und dass seine ablehnende Haltung gegenüber der Klassifikation von Menschen in ‚Rassen‘ kaum auf Zustimmung stossen werde.1214 Kritik kam primär von Seiten Kants, dessen zwei Rezensionen einem eigentlichen Verriss gleichkamen. Er kritisierte nicht nur Herders methodischen Zugang, sondern auch Stil und Inhalt. Schonungslos deckte er die 1204 Herder, Wälder zur Ästhetik, S. 41. 1205 Brief 214 an Johann Gottfried Herder, 21.1.1787, in: Forster, AA XIV. Vgl. auch: Scheibe, Einführung, S. 404. 1206 An einer anderen Stelle bezog er sich direkt auf Camper: Herder, Ideen I, 4, I, S. 118; Herder, Ideen I, 4, II, S. 134f; Herder, Ideen II, 6, IV, S. 233 1207 Herder, Ideen I, 4, I, S. 119. 1208 Ebd., S. 129. 1209 Nisbet, Herders anthropologische Anschauungen, S. 20. 1210 Brief von Peter Camper, 31.8.1785, in: Herder, Ungedruckte Briefe 3. 1211 Marino, Preaceptores, S. 92. 1212 Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. xvf., 17f. 1213 Marino, Praeceptores, S. 92. 1214 Meiners, Ideen, 24.10.1785, S. 1708ff; vgl. auch: Meiners, Ideen, 15.1.1785, S. 65–68.
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Schwächen in Herders Argumentation auf, beanstandete dessen literarischen Schreibstil, seine Anspielungen und die poetischen Bilder, welche dem Text Klarheit raubten. Er bemängelte Herders – in seinen Augen unhaltbare – Hypothesen und schwammige Begrifflichkeiten, welche seines Erachtens das unwissenschaftliche Vorgehen offenbarten. Zugleich kritisierte er die Methodik: Das sechste und siebte Buch, welches sich mit den einzelnen Völkern befasse, stelle primär eine Ansammlung an Auszügen aus den Werken Dritter dar, „freylich mit geschickter Wahl ausgesucht, meisterhaft disponiert“.1215 Inhaltlich betraf seine Kritik insbesondere die von Herder vertretene Geschichtsauffassung, welche eine Aneinanderreihung von natürlichen Prozessen darstellt – eine Sichtweise, die Kant zutiefst zuwider war.1216 Die von ihnen vertretenen Ansätze unterschieden sich massiv voneinander: Während Kant nach der Beschaffenheit organischer Körper fragte und deren Entwicklung zu bestimmen versuchte, interessierte sich Herder primär für die Mittel, über welche die Natur verfüge, um die Entwicklung überhaupt veranlassen zu können. Insbesondere Herders stufenbauartige Vorstellung der Welt stiess bei Kant auf massive Kritik.1217 Kant trat der Herderschen Weltsicht, die einen Versuch darstellte, Wissenschaft, Tradition und Aufklärung miteinander zu vereinen und selbst biblische Elemente beinhaltete, mit einer derartigen Vehemenz entgegen, dass – wie Riedel ausführt – seine Kritik als „schonungsloses Abrechnen mit sich selbst“, mit der „vorkritischen Periode“ erachtet werden müsse.1218 Auch bezüglich des Kriteriums zur Unterscheidung der einzelnen ‚Rassen‘ vertraten beide eine andere Sichtweise. Während Herder den Rassenbegriff, wie bereits erläutert, ablehnte und in den Unterschieden lediglich Verartungen sah, war Kant von der Existenz eines präformativen Unterschiedes überzeugt. Herder muss die Kritik persönlich zugesetzt haben, wie aus der Korrespondenz mit Soemmerring unschwer zu erkennen ist. Nach dem Verriss durch Kant muss Soemmerring Herder (in einem nicht mehr lokalisierbaren Brief) seine Unterstützung zugesagt haben. Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Herder sich sehr erfreut über die Worte zeigte und ihn bat, ebenfalls eine Rezension zu verfassen; eine Bitte, welcher Soemmerring nicht nachkam.1219 Der Verriss wurde nicht über1215 Kant, Ideen, Zweyter Theil, S. 154. 1216 Vgl. Marino, Praeceptores, S. 93. 1217 Kant, Herder, 6.1.1785, S. 21f. Vgl. Weingarten, Menschenarten, S. 118–120. –120. 120. Für Herder stellten alle Lebewesen ein Ergebnis des Zusammenwirkens spezifischer, unsichtbarer Kräfte dar, die in ihrer Organisation vollkommen waren, was eine Höherentwicklung scheinbar ausschloss. Da jedoch die Vollkommenheit die Basis zu einer Höherentwicklung bildete, konnten dementsprechend neue – noch vollkommenere – Organisationsformen entstehen. Der Mensch bildete dabei die höchste Stufe und da die Natur die jeweiligen Stufen. Eine Höherentwicklung blieb ausgeschlossen, nicht jedoch eine Verartung, eine Veränderung innerhalb der Organisationsstufe. Diese schwammige Hypothese unsichtbarer, auf die Organisation wirkender Kräfte wurde von Kant mit dem Argument abgewiesen, dass man das, „was man nicht begreift“, nicht mittels desjenigen erklären könne, „was man noch weniger begreift“. (Kant, Herder, 6.1.1785 S. 21). 1218 Riedel, Historizismus, S. 41. 1219 Brief 31 von Johann Gottfried Herder, 28.2.(sin Ann.), in: Wagner, Sömmerrings Leben, S. 29–31.
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all goutiert. Karl Leonard Reinhold sah sich dazu veranlasst, einen Gegenkritik zu schreiben.1220 Auch die von Hermann Andreas Pistorius1221 verfasste Besprechung fiel wohlwollend als aus. Er stimmte mit dem Ergebnis der Studie überein, auch wenn der von Herder eingeschlagene Weg ihm nicht immer zulässig erschien.1222 Die moderne Forschung setzte sich mit Herder zumeist im Kontext des Streites um die Einheit des Menschengeschlechts auseinander, wobei der Disput zwischen Kant und Forster auf wesentlich grösseres Interesse stösst.1223 Erwähnung findet Herder zumeist als Gegner des Rassenkonzepts. Küchler erachtet Herder als „erster Völkerkundler des 18. Jahrhunderts, der die Kulturtheorie relativiert und sie nicht als absolut für die Bildung der Rassen ansieht.“1224 Pagden sieht in Herder – zusammen mit Diderot – den ersten Aufklärer, der bereit war, seine eigene Kultur in Frage zu stellen.1225 Ähnlich auch Seidler, der Herder insbesondere aufgrund seines 116. Briefes zur Beförderung der Humanität als Befürworter des Egalitätsgedankens und somit als Vertreter eines konsequent humanitären, idealistischen Gedankenguts erachtet.1226 Herders widersprüchliche rassentheoretische Ansichten – die Zurückweisung des Rassenbegriffs bei gleichzeitiger Unterscheidung kultureller und natürlicher Eigenschaften und die daraus resultierende Zementierung bekannter Stereotypen – werden von der Forschung breit diskutiert.1227 Diese Ambiguität wird insbesondere von Fredrickson herausgestrichen, welcher in Herder einen Vorläufer des romantischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts sieht. Einerseits sei Herder ein Kulturpluralist gewesen, welcher Respekt gegenüber allen Völkern bekundete, biologistisch begründete Rassentheorien zurückwies und der Sklaverei und dem Kolonialismus ablehnend gegenüberstand. Andererseits erachtete er jede Gruppe oder Nation als einzigartig und erfand das Konzept eines ewigen Volkgeists sowie der Existenz kultureller Wesensmerkmale, welche sich insbesondere in der Sprache, in Sagen und Legenden sowie den Künsten äusserten, womit er
1220 Reinhold, Ueber eine Recension, S. 148–174; vgl. Schmied-Kowarzik, Streit, S. 118. 1221 Hermann Andreas Pistorius (1730–1798), Pfarrer, Übersetzer mehrerer Werke Humes sowie Rezensent, ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, war aber zu Kants Lebzeiten einer seiner „scharfsinnigsten“ Kritiker und verdiente sich damit selbst bei Kant Respekt. Gesang, Vergessener Rezensent, S. VII. 1222 Pistorius, Ideen, S. 311–333; insbesondere 333. 1223 Vgl. dazu Schmied-Kowarzik, Streit, S. 115–132; –132; 132; Riedel, Historizismus, S. 31–48; –48; 48; Weingarten, Menschenarten, S. 117–148. 1224 Küchler bezieht sich dabei insbesondere auf Ideen VII. 3. Küchler, Entstehung, S. 87. 1225 Pagden, Erfundene Amerika, S. 274f. 1226 Seidler geht von der Hypothese aus, dass die Entwicklung des Rassengedankens im 18. und 19. Jahrhundert zwei Hauptströmungen aufweise, verfolgt diese aber nicht weiter. Auf der einen Seite hätten sich die Befürworter eines konsequent humanitären, idealistischen Gedankenguts befunden, welche die Gleichheit aller Menschen unabhängig von ‚Rasse‘ und Herkunft propagierten. Ihnen gegenüber hätten die Vertreter der Idee gestanden, dass die Menschen gemäss dem von ihnen geleisteten Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte hierarchisch und wertend einzuteilen seien. Seidler spricht von einem ideologischen Balanceakt, bei dem anfänglich nicht auszumachen war, welche Ideologie sich durchsetzen würde. Seidler, Grundlagen, S. 705–726. 1227 Hund, Rassismus im Kontext, S. 19; Smidt, Afrika im Schatten, S. 133.
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die Basis eines kulturell kodierten Rassismus geschaffen habe.1228 Stauf hingegen widerspricht jenen, welche in Herders Kulturtheorie biologische, nationalistische oder rassistische Elemente festzustellen glauben. Er habe nicht nur das Existenzrecht jeder Nation verteidigt, sondern auch vor falschem Nationalstolz1229 gewarnt, welcher zu Abgrenzung und Ablehnung des Anderen führen könne.1230 Nisbet betont, dass sich zwar eurozentrische Stereotypen in Herders Werk wiederfinden lassen, die ausserordentlich tolerante Gesinnung und die damit verbundene Relativierung der eigenen Kultur jedoch wesentlich höher zu werten seien.1231 Auch Sikka hat sich mit der Frage, ob Herder eine Rassentheorie aufgestellt habe, intensiv beschäftigt. Sie kommt zum Schluss, dass Herder trotz der Ablehnung des Rassenbegriffs die Idee einer spezifischen Identität eines jeden Volkes, die eben auch eine rassische Komponente beinhaltete, akzeptierte. Dies hätte aber nicht dazu geführt, dass er Unterdrückung und Gewalt basierend auf einer rassischen Distinktion toleriert hätte, vielmehr sei das Gegenteil der Fall gewesen.1232 Damit widerspricht sie teilweise der These Barnards, dass in Herders Denken die menschliche Spezies biologisch homogen sei.1233 Herder nimmt im Rassendiskurs der Aufklärungszeit eine Sonderrolle ein. Für ihn waren alle Menschen gleichwertig, sie waren in ihrer Vielfältigkeit vereint. Jedes Individuum stand für sich und war zur gleichen Zeit Teil einer Familie, Gemeinschaft und Nation. Vehement kämpfte er gegen jegliche Bemühungen an, die Menschen in ‚Rassen‘ einzuteilen, und verteidigte stattdessen die Gleichwertigkeit aller Völker. Dies war insofern beachtenswert, als er aus den gleichen Quellen schöpfte wie die anderen Rassentheoretiker und deren Studien neben den besagten Reiseberichten die Basis seines Wissens bildeten. Doch selbst bei Herder lassen sich typische eurozentrische Stereotypen finden, was nicht zuletzt eine Folge der Ästhetik, welche seinen Gedanken zugrunde lag, war. Herder beförderte zumindest unterschwellig und indirekt den Rassendiskurs, seine Bedeutung ist insbesondere in seiner Rezeption zu suchen. Die Veröffentlichung von Herders „Ideen“ lieferte wichtige Impulse für den weiteren Verlauf des Rassendiskurs im 18. Jahrhundert. So müssen die beiden 1775 und 1785 von Kant veröffentlichten rassentheoretischen Aufsätze als Reaktion auf Herders Veröffentlichung gewertet werden.1234 Kants Verriss in Form einer Rezension trug dagegen wesentlich dazu bei, dass Forster sich entschied, gegen Kant eine Replik zu verfassen.1235 Soemmerring wiede1228 1229 1230 1231 1232 1233 1234 1235
Fredrickson, Racism, S. 70. Vgl. Herder, Briefe zur Beförderung, 46. Brief, S. 248. Stauf, Messung, S. 57. Nisbet, Anthropologische Anschauungen, S. 23. Sikka, Racial theory, S. 118. Barnard, Thought, S. 65. Bindman, Ape, S. 155f, 163. Küchler, Entstehung, S. 89; Lepenies, Autoren, S. 142f. Auch wenn Forster in einem Brief an Soemmerring Herders Unkenntnis der Naturgeschichte betonte, und sich dessen „Mängel und Hypothesen“ bewusst war, enervierte er sich über Kants Rezension, hatte ihm das Werk doch „sehr gefallen“. Brief 113 von Johann Gottfried Herder, 5.3.1785, in: Wagner, Sömmerring’s Leben, S. 172; Brief 82 von Johann Gottfried Herder an Friedrich Heinrich Jacobi, 17.12.1784, in: Forster, AA XIV. Trotz aller Polemik lassen sich, wie Schmied-Kowarzik ausführt, auch
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rum machte Herder in der 1785 veröffentlichten Schrift „Ueber die körperliche Verschiedenheit des Negers“ neben Blumenbach und Camper zu einer Hauptreferenz.1236 Zugleich gewann bei Herder das Konzept der ‚Nation‘ und des ‚Volkes‘ an Bedeutung. Vordergründig zwar nur bedingt mit jenem der ‚Rasse‘ zusammenhängend, wurden das völkische Denken und das Konzept der ‚Nation‘ ein wesentlicher Bestandteil des Rassendiskurses im 19. Jahrhundert. Zumindest indirekt trug Herder somit zu einer Intensivierung des Diskurses bei, während seine mahnenden Worte kaum Nachhall fanden. Akkumulation der Vorurteile – Meiners Am Ende des 18. Jahrhunderts schaltete sich der Göttinger Professor für Weltweisheit Christoph Meiners (1747–1810) in den Rassendiskurs ein und trug wesentlich zu dessen Radikalisierung bei. Meiners hatte von 1767 bis 1770 in Göttingen Philosophie studiert und bereits 1772 mit seiner anonym erschienen Promotionsschrift „Revision der Philosophie“ für Aufruhr gesorgt. Darin wandte er sich gegen den Kritizismus Kants und definierte Philosophie als reine Vernunftlehre oder empirische Psychologie. Die anti-kantianische Haltung bescherte ihm Rufe an die Universitäten Göttingen, Erfurt und Halle, wobei er sich für erstere entschied und fortan an ihr als ausserordentlicher Professor lehrte. Die philosophische Fakultät der Universität Göttingen war zu jener Zeit stark anti-kantianisch geprägt und verfügte über ein zweifelhaftes Renommee. Selbst an der Universität tätige Dozenten wie Lichtenberg, der die dortige Lehre abschätzig als „geschmälzte Wassersuppenphilosophie“1237 bezeichnete, kritisierten die Qualität der Lehre. Bis zu seiner Ernennung zum ordentlichen Professor der Weltweisheit1238 1774 – die Stelle sollte er bis zu seinem Tod innehaben – unternahm Meiners mehrere Reisen in die Schweiz und innerhalb Deutschlands. 1776 wurde er als Mitglied in die Göttinger Societät aufgenommen, welcher er 1800, 1806 und 1809 vorstand. Während er bei seinen Studenten wenig beliebt war und in Gelehrtenkreisen weitgehend auf Ablehnung stiess, ebnete ihm seine Reputation und seine Stellung als königlicher Hofrat im Ausland den Weg zu Mitgliedschaften in zahlreichen Akademien wie der Philosophischen Gesellschaft in Paris (1803) und der Italienischen Akademie der Wissenschaften (1806). 1803 erhielt er von der russischen Regierung den Auftrag, bei der Gemeinsamkeiten zwischen Forster, Herder und Kant feststellen. Bei allen drei Vertretern der Aufklärung und des Humanismus stand die Frage nach der Stellung des Menschen und deren Bestimmung im Zentrum. Gemeinsam war ihnen die Ablehnung einer äusserlichen Fortschrittsgläubigkeit, stattdessen müsse Aufklärung immer wieder neu erarbeitet werden. Schmied-Kowarzik, Streit, S. 120. 1236 Soemmerring, Verschiedenheit des Negers. 1237 Seller, Geschichte, S. 177, zit. nach: Lotter, Christoph Meiners, S. 37. 1238 ‚Popularphilosophie‘ oder Philosophie als ‚Weltweisheit‘ ist ein Begriff, der auf Christian Wolff zurückgeht. Er fasste die Vermittlung eines Universalwissens zusammen, welches auch Forschungsbereiche wie Theologie, Jurisprudenz und Medizin beinhaltete. Dahinter stand der Versuch, philosophisches Wissen in vereinfachter Form einem breiten Publikum zugängig zu machen. Vgl. Lotter, Christoph Meiners, S. 33.
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Errichtung von Universitäten in verschiedenen Städten und Provinzen mitzuwirken. Zahlreiche deutsche Gelehrte fanden daraufhin eine Anstellung an russischen Universitäten, was zu einer Verbreitung der deutschen Sprache beitrug und 1805 Meiners die Ehrenmitgliedschaft an der Moskauer Universität eintrug. Einzig der Zugang zur bedeutenden Royal Society sollte ihm zeitlebens verwehrt bleiben.1239 1786 entstand die erste Ausgabe seines Werks „Grundriss der Geschichte der Menschheit“, in welchem er seine eigene Rassentheorie skizzierte, eine überarbeitete Version erschien 1793.1240 Diese rechnete er der Wissenschaft der „Geschichte der Menschheit“ zugehörig, deren bisherige Praxis er fundamental kritisierte. Statt wie bis anhin nur einzelne Bereiche des menschlichen Lebens zu berücksichtigen, sollte die Geschichte der Menschheit allumfassend sein. Dies widerspiegelte sich im Aufbau seines Grundrisses, welcher bei der Betrachtung der Erde ansetzte, anschliessend den frühesten Wohnsitz des Menschen und dessen Ausbreitung auf den verschiedenen Erdteilen thematisierte, um dann die körperlichen wie auch kulturellen, geistigen und sittlichen Eigenschaften der verschiedenen Völker zu analysieren und miteinander zu vergleichen.1241 Meiners Wissen stammte ausschliesslich aus der Lektüre von Reiseberichten sowie den Studien anderer Rassentheoretiker, wobei er sich bemühte, möglichst aktuelle Werke zu berücksichtigen und damit den neusten Wissensstand abzudecken.1242 Anatomische Studien Dritter liess er zwar einfliessen – so rühmte er sowohl Campers Gesichtswinkel als auch die Studie von Soemmerring und wusste deren Ergebnisse in seinem Sinne zu deuten.1243 Allerdings verwahrte er sich dagegen, die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Rassen auf die Schädelform zu reduzieren. Stattdessen stütze er sich primär auf Reiseberichte, welche er als „eine viel reichere und bessere Quelle für das Studium des Menschen als einer, oder einige Schädel von ungewisser Abkunft“ erachtete1244 – ein offensichtlicher Seitenhieb in Richtung Blumenbach. Zwar stand er der Kraniologie nicht gänzlich ablehnend gegenüber, nur liessen sich für ihn die Unterschiede zwischen den einzelnen menschlichen Phänotypen nicht auf ein einziges Klassifikationskriterium reduzieren.1245 Stattdessen versuchte er der ungemein grossen Menge an Informationen Herr zu werden, indem er die gelesenen Texte exzerpierte und sie thematisch aufzugliedern und zu verwerten versuchte. Auffällig ist die transparente Vorgehensweise, die sich insbesondere in der ausufernden Anzahl an Fussnoten zeigte, zumal er die verwendete Literatur oftmals noch zusätzlich in der Bibliographie kommentierte. Trotz dieser auf Transparenz bedachten Arbeitsweise war Meiners Umgang mit dem Quellenmaterial – entgegen seinen Beteuerungen, den Leser nicht beeinflussen zu wollen1246 – sehr subjektiv geprägt; die jeweiligen Quellen wusste er stets in 1239 1240 1241 1242 1243 1244 1245 1246
Painter, White People, S. 88; Prantl, Meiners, S. 224; Vetter, Reduktionismus, S. 158. Lotter, Christoph Meiners, S. 36–39; Vetter, Reduktionismus, S. 157f. Meiners, Grundriss 1793, S. 9–23, 34–38. Ebd., S. 3f. Ebd., S. 57. Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 407. Ebd., S. 406ff. Vgl. Meiners, Natur der Americaner, S. 103.
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seinem Sinne zu interpretieren, wie bereits zeitgenössische Kritiker monierten. Geschichtliche Fakten wie auch ethnologische Schilderungen bildeten lediglich das Material zur Erkenntnis der Natur des Menschen.1247 Meiners Rassentheorie stellte über weite Teile eine Anhäufung von Exzerpten aus verschiedensten rassentheoretischen Studien und zwar sowohl auf dem Gebiet der Naturgeschichte wie auch der Anatomie dar. Zu seinen Quellen gehörten Bernier, Linné, Buffon, Kant, Lord Kames, Hume, Blumenbach, Soemmerring und Camper. Daneben stützte er sich auf unzählige Reiseberichte. 1786 veröffentlichte Meiners die erste Ausgabe des „Grundriss der Geschichte der Menschheit“.1248 Darin rechnete er das Menschengeschlecht einer Spezies zu und unterteilte diese in zwei Hauptstämme, den Tartarischen oder Kaukasischen, der in die Celtische, Morgenländische und Slawische Race zerfiel sowie den Mongolischen Stamm. Dieser teilte sich in zwei Zweige, in die Mongolen und die Calmucken, die sich wiederum in Horden aufgliederten.1249 Die Klassifikation wies unzweifelhaft einen hierarchischen Charakter auf, der Mongolische Stamm war „nicht nur viel schwächer von Körper und Geist, sondern auch viel übel gearteter“.1250 Innerhalb des Kaukasischen Stammes wiederum war die Celtische Race am „reichsten an Geistesgaben und Tugenden“.1251 Dies geschah auf Kosten der Slawischen Race, welche Meiners nun deutlich negativer bewertete, wobei eine antislawische Haltung dem Zeitgeist entsprach.1252 Sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung seines Grundrisses publizierte Meiners eine überarbeitete Version, in welcher er die These zweier grundsätzlich divergierender Hauptstämme detaillierter herausarbeitete. Neu unterteilte Meiners die Menschen nicht mehr in einen mongolischen und kaukasischen Stamm, sondern in helle schöne und dunkle hässliche Nationen.1253 Die neuen (nicht stringent verwendeten) Termini bedeuteten lediglich auf der sprachlichen Ebene eine Veränderung, inhaltlich änderte sich durch die Modifikation wenig. Meiners übernahm nicht nur ganze Passagen aus der ersten Auflage,1254 vielmehr hatte er bereits zuvor die Schönheit oder Hässlichkeit als eines der wichtigsten Charakteristika eines Volkes erachtet:1255 „Nur der Kaukasische Völker-Stamm verdient den Namen des Schönen und der Mongolische mit 1247 Lotter, Christoph Meiners, S. 46. 1248 Die erste Ausgabe vom „Grundriss der Geschichte der Menschheit“ von 1785 erfreute sich bis zum Ausbruch der Französischen Revolution 1789 an diversen deutschen Universitäten einer grossen Beliebtheit. Dies änderte sich 1789 und lässt sich primär mit den Thesen Meiners erklären, der von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen ausging sowie eine klar absolutistische Einstellung einnahm und die Vorrechte des Adels verteidigte. Vetter, Reduktionismus, S. 157. 1249 Meiners, Grundriss 1786, S. 17ff, 29f 1250 Ebd., S. 20. 1251 Ebd., S. 20ff. 1252 Marino, Praeceptores, S. 114. 1253 Ebd., S. 4f. 1254 Vgl. beispielsweise das Vorwort der ersten Ausgabe, welches noch einmal abgedruckt wurde, sowie weitere Passagen: Meiners, Grundriss 1786, S. 17; Meiners, Grundriss 1793, S. 59 oder Meiners, Grundriss 1786, S. 43; Meiners, Grundriss 1793, S. 89. 1255 Meiners, Grundriss 1786, S. 43.
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Recht den Namen des Hässlichen“, wobei Schönheit für ihn objektiv fassbar war.1256 Wie bereits in der ersten Ausgabe unterteilte er den in Europa, Nordafrika, im Kaukasus und in Persien beheimateten kaukasischen Hauptstamm in die von ihm bevorzugte celtische sowie morgenländische und slawische Raçe.1257 Die Einteilung war dabei nicht frei von Widersprüchen: Einerseits bekannte sich Meiners zum Monogenismus, da „alle Völker der Erde (...) nur ein einziges Geschlecht, oder eine einzige Art (specie) von Geschöpfen“1258 ausmachen würden. Anderseits bezeichnete er den Kaukasus als Ursprungsort „wenigsten der einen Hälfte des menschlichen Geschlechts“, was eigentlich eine polygenetische Abstammung der Menschheit bedingte.1259 Die Klassifikation basierte auf dem Prinzip der Irreversibilität, da „die hellen, und schönen, und die dunkelfarbigen und hässlichen Nationen durch viele erbliche, so wohl sichtbare, als unsichtbare Merkmahle von einander verschieden sind.“1260 Wie bei Kant bestimmte die Hautfarbe die Zugehörigkeit zu einer ‚Rasse‘, Meiners Einteilung stellte jedoch eine radikale Reduktion auf zwei Grundtypen dar und enthielt unübersehbar ein wertendes Moment. Gemeinsam war Meiners und Kant ausserdem, dass ihre Rassentheorie auf dem Prinzip der Vererbung basierte, wobei Meiners primär mit dem Terminus des Blutes argumentierte.1261 Dies führte dazu, dass das Klima als bestimmender Faktor hinfällig wurde, auch wenn Meiners Aussagen zu dessen Bedeutung widersprüchlich waren: Teilweise stellte er dessen Einfluss offen in Frage, dann wiederum gestand er ihm eine gewisse Rolle bei der Entwicklung von äusseren und inneren Eigenschaften zu.1262 So erachtete er das Klima als eine der Hauptursachen für die Schönheit.1263 Da das Klima ausserdem einen Einfluss auf die „Seelenkräfte von Völkern“1264 ausübte, konnte es zu einer Degeneration oder Verwilderung der hellen schönen Völker beitragen.1265 Die Gefahr wurde durch den Kontakt mit Eingeborenen, den Wilden, erhöht, welche ihrerseits durch intensive Bemühungen zu zivilisieren seien.1266 Die Angst vor einer Degeneration der hellen schönen Völker jenseits ihrer Heimat war ein charakteristisches Element der Rassentheorie. Gemäss Meiners brachte die Übersiedlung in ein anderes Milieu stets eine Wesensveränderung mit sich, da „Völker durch Versetzung in andere Gegenden und Klimate entweder veredelt, oder verunedelt werden; dass die Veredlung von verpflanzten Nationen viel langsamer, als ihre Ausartung geschehe, und dass die Europäer, sie mögen kommen, in welche Länder und Klimate sie wollen, unfehlbar mehr oder weniger verdorben werden.“1267 Während 1256 1257 1258 1259 1260 1261 1262 1263 1264 1265 1266 1267
Ebd., S. 43. Meiners, Grundriss 1793, S. 61f, 74f. Ebd., S. 59. Ebd., S. 47. Ebd., S. 6. Vgl. auch: Meiners, Farben, und Schattierungen, S. 625. Meiners, Grundriss 1793, S. 84. Meiners, Grundriss 1786, S. 43 sowie Meiners, Grundriss 1793, S. 89. Meiners, Grundriss 1793, S. 111. Ebd., S. 122f. Ebd., S. 132f. Meiners, Ausartung der Europäer, S. 264.
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Migration im Falle der Schwarzen eine Verbesserung ihres Zustandes mit sich brachte,1268 war die Degeneration der Europäer in Übersee unvermeidbar. Verstärkt wurde die Gefahr durch die Vermischung mit anderen Völkern, die von Meiners radikal abgelehnt wurde. Innerhalb von vier bis fünf Generationen würden sich die edelsten und unedelsten Völker angleichen und zwar nicht nur betreffend Hautfarbe und Gestalt, sondern auch in ihren Fähigkeiten und ihrer Gemütsart.1269 Meiners lehnte die Vermischung verschiedener Völker nicht zuletzt mit dem Argument ab, dass die Blutsreinheit darunter leiden würde. Selbst in Deutschland gebe es keinen einzigen Ort, welcher „nicht durch fremdes Blut wäre befleckt worden“,1270 womit Meiners die Irreversibilität des Vorgangs drastisch unterstrich. Er war überzeugt von der Bedeutung „der Abkunft, oder des Bluts, aus welchem Völker und Menschen entspringen“ und plädierte dafür, „die Wichtigkeit der Abstammung“ anzuerkennen.1271 Meiners erarbeitete ein Rassenkonzept, in welchem sich die beiden Raçen diametral gegenüber standen. In einem ersten Schritt erfolgte eine Einteilung auf der Basis von ästhetischen Kriterien wie der Schönheit oder Hässlichkeit des Gesichts und des Körpers der verschiedenen Völker.1272 Des Weiteren verglich er unter anderem die körperliche Grösse und Stärke, Hautfarbe, Haar- sowie Bartwuchs, Augen, Mund, Beine und die Kopfform. Meiners Konklusionen wiesen einen repetitiven Charakter auf, da die Minderwertigkeit der dunklen hässlichen Nationen gegenüber den hellen schönen allumfassend war, zumal er kaum ein Stereotyp ausliess, um die Inferiorität zu beweisen.1273 In einem zweiten Schritt verglich er die Sitten und Tugenden gemäss dem bekannten Muster, denn „die Vorsehung schenkte den weissen und schönen Völkern nicht nur grössere Vorzüge des Körpers, sondern auch des Geistes.“1274 Erneut kam es zu einer systematischen Degradierung der dunklen hässlichen Völker, wobei ihnen jegliche Intelligenz, Moral sowie Sittlichkeit abgesprochen wurden:1275 „Die meisten schwarzen und hässlichen Nationen vereinigen mit einer aus Schwäche entstehenden Reizbarkeit, und einer unglaublichen Empfindlichkeit gegen die geringsten Beleidigungen, eine empörende Gefühllosigkeit gegen die Freuden und Leiden anderer, selbst ihrer nächsten Anverwandten: eine unerweichliche Härte, Selbstsucht und Filzigkeit: und einen fast gänzlichen Mangel aller sympathetischen Triebe und Gefühle. Sie vereinigen ferner mit mehr als weiblicher Feigheit, und Furcht vor offenbaren herannahenden Gefahren und Tod, eine unbegreifliche Ruhe und Gleichgültigkeit in den schrecklichsten Martern, Krankheiten und dem gegenwärtigen Tode: mit Lieblosigkeit gegen ihre eigenen Kinder eine übermässige Zärtlichkeit gegen Thiere, und selbst das eckelhafteste Ungeziefer: endlich mit viehischer Unfläterey,
1268 Vgl. Meiners, Varietäten und Abarten der Neger, S. 626–630, 636f, 639. 1269 Meiners, Ausartung der Europäer, S. 266; vgl. auch: Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 397. 1270 Meiners, Kurze Vergleichung, S. 194. 1271 Meiners, Varietäten und Abarten, S. 625. 1272 Meiners, Grundriss 1793, S. 89. 1273 Ebd., S. 80–109. 1274 Ebd., S. 111. 1275 Ebd., S. 111–128.
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3. Rassendiskurs im 18. Jahrhundert Gefrässigkeit, und Schaamlosigkeit entweder den unmässigen Hang zur sinnlichen Liebe, oder auch die Kälte, und daher entstehende Verachtung des weiblichen Geschlechts.“1276
Meiners Rassentheorie charakterisierte sich durch eine systematische Herabwürdigung der Aussereuropäer, ohne ihr Menschsein per se in Abrede zu stellen. Teil der Argumentationskette bildeten entwürdigende Vergleiche. So verglich er die Schädel der „hässlichen Völker von Mongolischer Abkunft“ mit jenen von „Blödsinnigen und Wahnsinnigen unseres Erdtheils“.1277 Daneben lassen sich zahlreiche Beschreibungen finden, welche den animalischen Charakter der Aussereuropäer betonen.1278 Meiners entwickelte eine Hierarchie der Völker, an deren Spitze der Europäer stand, während die Amerikaner, „unstreitig die verworfensten unter allen menschlichen, oder menschenähnlichen Geschöpfen“ waren.1279 Damit verbunden war die Herausarbeitung eines Systems, welches ‚Rassen‘ in Beziehung zu den verschiedenen Kulturstufen setzte und diese hierarchisch gliederte. Parallel zu der Einteilung in helle schöne und schwarze hässliche Völker klassifizierte er die Menschen in Wilde, Barbaren, halbaufgeklärte und aufgeklärte Völker. Die Zugehörigkeit zu einer Kulturstufe war durch die jeweilige Lebensweise bestimmt, wobei sich Meiners explizit gegen den positiv konnotierten Urzustand, wie ihn Rousseau postuliert hatte, wandte.1280 Auf der tiefsten Stufe der Kulturhierarchie standen Völker wie die Bewohner Kaliforniens, die Feuerländer sowie die wilden Hottentotten, welche sich in einem Zustand der Degeneration befanden. Sie standen noch unterhalb der Wilden, zu denen er alle Jäger- und Fischervölker zählte und zu welchen mit Ausnahme der Peruaner und Mexikaner alle Bewohner Amerikas gehörten.1281 Von den Wilden hoben sich wiederum die Barbaren ab, zu denen er Hirtenvölkern wie die Kaffern zählte.1282 Diese waren direkt unter den Ackerbau betreibenden Völkern angesiedelt. Gemeinsam war diesen unaufgeklärten Völkern ihre Unwissenheit, ihr Aberglaube, die Absenz von Wissenschaft sowie das Fehlen eines Geschichtsverständnisses.1283 Auf der zweit obersten Stufe befanden sich die halbaufgeklärten Völker wie die Peruaner und Mexikaner, zuoberst siedelte Meiners die aufgeklärten Völker an, zu welchen er neben den antiken Römern und Griechen einzig die jetzigen christlichen Bewohner Europas zählte.1284 Die Ungleichheit der Menschen bezüglich Sitten, Lebensweise und äusserem Erscheinungsbild war für Meiners naturgegeben und diente als Argument zur Rechtfertigung der europäischen Expansion in Übersee, der Sklaverei sowie der rechtlichen Schlechterstellung der Juden. Neben der expliziten Hierarchie, welche 1276 Ebd., S. 116. 1277 Meiners, Betrachtungen über die Schönheit, S. 280. 1278 Meiners, Varietäten und Abarten, S. 631. Vgl. auch: Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 420, 423; Meiners, Natur der Americaner, S. 115; Meiners, Grundriss 1793, S. 114. 1279 Meiners, Verschiedenheit der Biegsamkeit, S. 230. 1280 Meiners, Grundriss 1793, S. 129. 1281 Ebd., S. 129–132. 1282 Ebd., S. 133f. 1283 Ebd., S. 298–310. 1284 Ebd., S. 138f.
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der Theorie zugrunde lag, sowie der Verbindung von Rassen- und Kulturtheorie zeigte sich damit ein weiterer Aspekt, der Meiners von seinen Zeitgenossen unterschied und zur Radikalisierung des Diskurses beitrug: die Politisierung der Rassentheorie. Die natürliche Inferiorität der Nichtweissen, deren Bestätigung Meiners in der Geschichte fand, lieferte eine Legitimierung der europäischen Expansion. Selbst die Wilden würden „die Vorzüge der edleren Völker“ anerkennen, was sie durch den Wunsch, ihre Frauen und Töchter mit einem Europäer zu verheiraten und ihrer Treue, zum Ausdruck brachten.1285 Die Unterwerfung weiter Teile der Welt diente zum Schutz vor der natürlichen Neigung der Aussereuropäer: „Unumschränkte Gewalt ist oft nothwendig und auch heilsam, wenn bessere Menschen sie gegen Unedlere zum Glück der letzteren ausüben Denn leider! gibt es nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Völker, die zum Guten nicht bewegt werden können, sondern gezwungen seyn wollen.“1286
Die systematische Konstruktion einer minderwertigen Race, sowie die damit verbundene Enthumanisierung führten ausserdem dazu, dass selbst Gewaltexzesse in der Vergangenheit legitim erschienen: „America hat zwar den grössten Theil seiner ursprünglichen Einwohner verlohren, allein es ist nichts desto weniger zugleich mehr als wahrscheinlich, dass dieser Erdtheil jetzt viel mehr, und auch viel bessere Menschen nährt, als durch die Waffen, die starken Getränke, und die Krankheiten der Europäer aufgerieben worden sind.“1287
Meiners Rassenlehre war so konzipiert, dass sie seine Überzeugung einer für jeden ersichtlichen, vollumfänglichen Superiorität der kaukassischen Raçe – der hellen schönen Menschen – nicht nur überdeutlich wiedergab, sondern den scheinbar wissenschaftlichen Beweis für deren Gültigkeit lieferte. Die angebliche Überlegenheit der Europäer war kein Novum, sondern Bestandteil praktisch aller rassentheoretischen Überlegungen. Meiners unterschied sich aber insofern von seinen Zeitgenossen, als dass die Hierarchie die Grundlage zum Verständnis der Menschheit bildete. Die Rassenlehre, welche die Bestätigung einer natürlichen Minderwertigkeit eines grossen Teils der Menschheit lieferte, begründete den Führungsanspruch der Europäer und erklärte zugleich deren politische Dominanz in weiten Teilen der Welt.1288 Eine ähnliche Argumentationsweise lässt sich bei Meiners Auseinandersetzung mit der Sklaverei konstatieren, wobei sich seine Position nach der französischen Revolution radikalisierte.1289 In der 1788 publizierten, dialektisch aufgebauten Abhandlung „Ueber die Rechtmässigkeit des Neger-Handels“ setzte er sich scheinbar objektiv mit den Vor- und Nachteilen des Sklavenhandels auseinander, dessen 1285 1286 1287 1288 1289
Ebd., S. 83f, 124. Ebd., S. 218. Ebd., S. 55. Conze/Sommer, Rasse, S. 151. Ein Vergleich der beiden Schriften „Ueber die Rechtmässigkeit des Neger-Handels“ (1788) sowie „Historische Nachrichten über die wahre Beschaffenheit des Sclaven-Handels“ (1790) macht diese Radikalisierung binnen zwei Jahren sichtbar. Beide Abhandlungen sind dialektisch aufgebaut, letztere weist aber eine deutlich schärfere Rhetorik auf. Meiners, Rechtmässigkeit des Negern-Handels, S. 645–769; Meiners, Beschaffenheit des Sclaven-Handels, S. 645–679.
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Rechtmässigkeit dann erwiesen sei, wenn der Nutzen „für das menschliche Geschlechte“1290 überwiege. Dazu listete er säuberlich – sich auf die Reiseliteratur stützend – sowohl die Argumente der Befürworter, als auch der Gegner der Sklaverei auf. Er gestand ein, dass der Sklavenhandel unter den afrikanischen Völkern Krieg verursacht habe, auch die hohe Sterblichkeit leugnete er nicht, genauso wenig verschwieg er, dass Sklaven in Westindien und im ländlichen Amerika hart angefasst würden.1291 Allerdings handle es sich bei den Sklaven ausschliesslich um Schuldner und Verbrecher, die in ihrer Heimat von den Königen noch inhumaner behandelt worden seien. Der Sklavenhandel habe hingegen zu einer Verminderung des Kannibalismus geführt und die Kriege in Afrika gemildert. Als stärkstes Argument erwähnte er den wirtschaftlichen Nutzen der Sklaverei, da die Zuckerplantagen ohne die schwarzen Sklaven nicht betrieben werden könnten, weshalb der „Neger-Handel, aller der Grausamkeiten ungeachtet, (...) mehr erspriesslich, als verderblich“1292 sei.1293 Die Argumentation, dass die Sklaven aufgrund des Sklavenhandels „um vieles schöner, fähiger, gutartiger, als auch brauchbarer und eines grösseren Glücks fähig werden“,1294 sollte er in der Folge noch weiter herausarbeiten. Hatte er zuvor immerhin ansatzweise Empathie mit dem Schicksal der Sklaven gezeigt, verharmloste er die Brutalität der Sklavenhalter zunehmend und stellte sie als einzelne Verfehlungen in der Vergangenheit dar.1295 Stattdessen betonte er die angeblichen Vorteile für die Sklaven, welche aus deren Versklavung resultierten. Nicht mehr die Frage nach dem Nutzen des Handels stand im Fokus, vielmehr ging es Meiners um den juristischen Beweis der Rechtmässigkeit der Sklaverei. Von den Folgen der Französischen Revolution geprägt, betonte er, dass die Befreiung Unterdrückter – wie der Juden und der Schwarzen – oftmals in Rache ende.1296 Ziel war es, auf die Unmöglichkeit einer etwaigen rechtlichen Gleichstellung hinzuweisen, da „die Neger nicht solche Sinne, solche Kräfte, und solche Anlagen des Gemüths besitzen, als die Europäer: dass sie nicht zu gleichen Pflichten, und Verrichtungen fähig sind, und dass sie also auch nicht gleiche Rechte und Freyheiten verlangen können“.1297 Der Beweis einer angeborenen Inferiorität lieferte die Rechtfertigung der rechtlichen Schlechterstellung; die Knechtschaft der „so gefüllosen, so reizbaren und schlaffen, so dummen und übelartigen Menschen“ war folglich „zu ihrem und anderer Besten“.1298 Meiners Auseinandersetzung mit den Schwarzen und dem Sklavenhandel war exemplarisch für seine Vorgehensweise. Die gängigen negativen Stereotype wurden nicht nur aufgelistet, vielmehr versuchte er, diese auf der Basis von naturwis1290 1291 1292 1293 1294 1295 1296 1297
Meiners, Rechtmässigkeit des Neger-Handels, S. 398. Ebd., S. 399, 402, 408. Ebd., S. 409f. Ebd., S. 399f, 406, 409f. Meiners, Beschaffenheit des Sclaven-Handels, S. 646. Ebd., S. 653–659. Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 385ff. Meiners, Beschaffenheit des Sclaven-Handels, S. 645f; vgl. auch: Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 390. 1298 Ebd., S. 456.
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senschaftlichen Studien Dritter zu beweisen, was zu einer scheinbar wissenschaftlichen Verifizierung altbekannter Vorurteile führte. Zu den zitierten Werken gehörte unter anderem Soemmerring, dessen Studie er als „vortrefflich“1299 erachtete und in seinem Sinne interpretierte. So fand er in der Untersuchung den anatomischen Beweis für seine bereits zuvor gemachte Beobachtung, „dass nämlich die Neger nicht bloss durch die Farbe, sondern durch die ganze Organisation ihrer Natur von den Europäern verschieden, und dass sie den Thieren um viele Grade näher, als diese, sind.“1300 Soemmerrings relativierende Äusserungen hingegen fanden keine Erwähnung. Einige Stellen in Meiners Werk zeugen von einer nichtreligiös begründeten Abneigung gegenüber Juden.1301 Meiners rechnete die Juden innerhalb der Mongolischen Völker den Morgenländischen zu.1302 Sie bildeten unabhängig von ihrem Wohnsitz ein Kollektiv, die Jüdische Nation, und dienten als Beweis dafür, „wie wenig das Klima über das Blut ganzer Völker“ bestimme.1303 Damit zementierte Meiners das Bild der „nicht Europäischen Fremdlingen“ innerhalb Europas.1304 Seine Argumentation wies somit bereits ein wesentliches Charakteristikum des modernen Antisemitismus1305 auf: Nicht mehr die religiöse Zugehörigkeit bestimmte, wer jüdisch war, sondern das Blut definierte die Juden neu als Nation. Indem er ihre charakterlichen Eigenschaften als erblich definierte und diese als unabänderlich galten, war eine Anpassung an die Europäer ausgeschlossen. Ihre Inferiorität widerspiegelte sich in einer rechtlichen Schlechterstellung: „...so wenig können Juden und Neger, so lange sie Juden und Neger sind, mit den Christen und Weissen, unter welchen sie wohnen, oder denen sie gehorchen, dieselbigen Vorrechte und Freyheiten verlangen. Wenn es ungerecht ist, unter Weissen, die einander gleich sind, mit Gewalt niederdrückende Ungleichheiten zu erzwingen, so ist es nicht weniger ungerecht, solche, welche die Natur oder andere unüberwindliche Ursachen einander ungleich machen, gleichsetzen zu wollen.“1306
Das Votum muss im Rahmen der Josephinischen Reformen, des Toleranzedikts von 1782, das den Juden mehr religiöse Freiheiten bescherte, der Haskala (jüdische Emanzipation) sowie des Aufkommen der jüdischen Salons in Berlin betrachtet werden.1307 Es war eine Absage an die Judenemanzipation und beinhaltete eine politische Stellungnahme. Die Frage, „ob die Fehler, die den Juden von allen Euro1299 Meiners, Grundriss 1793, S. 375. 1300 Meiners, Verschiedenheit der Biegsamkeit, S. 227. 1301 Lotter spricht von einem „aufgeklärten“ Antisemitismus, der frei vom eigentlichen Judenhass und primär sozial-ökonomisch begründet sei, aber doch Züge einer rassistischen Abwertung aufweise. Lotter, Christoph Meiners, S. 54. 1302 In der zweiten Ausgabe verzichtete er auf die namentliche Erwähnung der Juden. Vgl. Meiners, Grundriss 1793, S. 75f. 1303 Meiners, Natur der morgenländischen Völker, S. 454. 1304 Meiners, Verschiedenheit der cörperlichen Grösse, S. 702. 1305 Zur Terminologie des Begriffs vgl. insbesondere Rürup/Nipperdey, Antisemitismus, S. 129– 153. 1306 Meiners, Natur der Afrikanischen Neger, S. 386f. 1307 Lotter, Christoph Meiners, S. 52f; zur Haskala und Situation der Juden im 18. Jahrhundert vgl. Battenberg, Zeitalter der Juden II; Schulte, Jüdische Aufklärung.
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päischen Nationen so viele Jahrhunderte lang sind vorgeworfen worden, Folgen ihrer Lage, oder Aeusserungen ihrer angestammten Natur“1308 seien, wollte er zwar nicht beantworten. Er glaubte jedoch, feststellen zu können, dass der Widerwille gegen die Juden dort zunahm, wo „man sie beobachtet, und ihre Wirkungen auf die Länder, wo sie bisher Schutz genossen, kennen gelernt hat.“1309 Diese Beobachtung fand ihre scheinbare Bestätigung in der Geschichte. In einer weiteren Abhandlung über den Handel und das Gewerbe im Mittelalter beschuldigte er die Juden des Wuchers. Besonders entzürnte ihn, dass die „arbeitsscheun und wuchernden“1310 Juden im 13. und 14. Jahrhundert das Bürgerrecht erhalten hätten und somit den Christen gleichgestellt gewesen waren. Statt davon Gebrauch zu machen, hätten sie weiterhin verbotenen Handel betrieben und erst die „Vertilgung der Juden“1311 hätte den Handel aufblühen lassen.1312 Meiners historische Ausführungen enthielten eine implizite Stellungnahmen, wenn er indirekt vor den Folgen einer rechtlichen Gleichstellung der Juden warnte, die aufgrund ihres „unausrottlichen Hanges zu einer gemeinschädlichen Geschäfftigkeit“1313 nicht zur erhofften Assimilation führen würde. Die Frage, ob die Juden weiterhin zu schützen seien, bis sie willig und fähig wären, die Bürgerpflichten zu erfüllen oder ob ihnen zu raten sei, in „ihrem alten Vaterlande ein neues Jerusalem“1314 zu bauen, hatte er bereits zuvor aufgegriffen, sie jedoch unbeantwortet gelassen. Dies mag neben den wenigen verstreuten Stellen, in denen sich Meiners mit den Juden beschäftigte, als weiteres Indiz für die geringe Relevanz dienen, die er ihnen beimass. Trotzdem war die Idee, den Juden in Jerusalem eine neue Heimat zu geben, ihrer Zeit voraus, ab den 1840er Jahren sollte die Idee unter dem Schlagwort ‚Judenfrage‘ erneut aufgegriffen werden.1315 Charakteristisch für Meiners war die Glorifizierung der Celtischen Völker,1316 der „edelsten Racen von Menschen, von welchen unsere Erde in den uns bekannten Zeiträumen bewohnt wurde, und noch bewohnt wird“,1317 wobei er ihre Superiorität historisch zu erklären versuchte. Die Celtischen Völker sah er als Kollektiv, vereinigt durch Sprache, Körperbildung, Lebensart, Verfassung, Fähigkeiten und Sitten.1318 Gemeinsam waren ihnen die „blaue Augen, und blonde Haare“1319 sowie ihre Haut, die vergleichbar mit der Farbe „von frisch gefallenem Schnee“ war.1320 1308 1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317 1318 1319 1320
Meiners, Natur der morgenländischen Völker, S. 454. Ebd. Meiners, Ueber den Handel, S. 205. Ebd., S. 208. Ebd., S. 205–208. Ebd., S. 207. Meiners, Natur der morgenländischen Völker, S. 455. Zur Judenfrage vgl. insbesondere Benz, ‚Judenfrage‘. Zu diesen gehörten neben den antiken Griechen und Römer die alten Germanier, Gallier, Hispanier, Britannier, Caledonier sowie die nordischen Völker gothischer Abstammung. Meiners, Verschiedenheit der Biegsamkeit, S. 212. Meiners, Natur der Germanischen und übrigen Celtischen Völker, S. 1. Ebd., S. 2. Meiners, Natur der Germanischen und übrigen Celtischen Völker, S. 10. Ebd., S. 8.
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Bereits den antiken Autoren sei aufgefallen, dass sie sich aufgrund der „blendenden Weisse ihres Cörpers, und der damit verbundenen blauen Augen und blonden Haaren“1321 sowie den „übrigen Vorzügen ihres Cörpers, Geistes und Herzens“1322 von den anderen Völkern abheben würden. Diese Beschreibungen und insbesondere die Betonung der blauen Augen und blonden Haare erinnern stark an den späteren Ariermythos.1323 Der Eindruck findet Bestätigung in der Rezeption Meiners durch die Nationalsozialisten. So rühmte ihn der deutsche Rassentheoretiker Egon von Eckstein 1940 nicht nur als Begründer der Rassentheorie, sondern schrieb ihm zugleich eine Vorwegnahme des Arierbegriffs zu.1324 Die Celtischen Völker zeichneten sich durch ihre Körpergrösse aus, welche Meiners mit „dem Stamm, oder dem Blute dieser Nationen“1325 erklärte. Da die Slawen oder Wenden schon seit über tausend Jahren in Deutschland lebten und die Lappen und Finnen bereits vor den Normannen und Schweden Nordeuropa besiedelt hatten, erachtete Meiners „Boden und Klima“1326 als zweitrangig. So hätte der „vaterländische Himmel, die vaterländische Erde, und deren Producte“ im Gegensatz zum „Teutschen Blute“1327 nur einen geringen Beitrag zur Grösse der Deutschen geleistet.1328 Auffällig ist die nationalistische Sprache, wie sie erst in den nachfolgenden Jahrhunderten üblich werden sollte. Es ging Meiners nicht mehr alleine um die Auseinandersetzung mit den einzelnen ‚Rassen‘, sondern auch um die Heraufbeschwörung einer deutschen Nation, eines deutschen Nationalgefühls, welches geprägt war durch den Glauben an die eigene Überlegenheit. Dabei war er sich bewusst, dass den Celten und insbesondere den Germanen das Prädikat ‚wild‘ und ‚barbarisch‘ anhaftete. Gemäss dem von ihm entwickelten hierarchischen System, welches die verschiedenen Kulturstufen in Beziehung zu den Rassentypen setzte, hätten sie somit zuunterst auf der Skala angesetzt werden müssen. Doch die Celtischen und Germanischen Völker „waren selbst im Zustand der Barbaren“1329 allen anderen überlegen, dementsprechend könne man sie auch nicht mit den ‚unzivilisierten‘ Völkern seiner Zeit gleichsetzen.1330 1321 Meiners, Farben, und Schattierungen, S. 668. 1322 Ebd., S. 667. 1323 Die Entstehung des Arier-Mythos, welcher den Rassendiskurs des 19. und 20. Jahrhunderts dominierte, ist eng mit der Entdeckung der indoeuropäischen Sprachfamilie verbunden und war Folge einer Gleichsetzung von Sprache und ‚Rasse‘. Die Geburtsstunde des Mythos markierte die Entdeckung der Verwandtschaft des Sanskrits mit dem Gotischen und dem Keltischen im Jahre 1788 durch den Engländer Sir William Jones. Die Entdeckung der indogermanischen Sprachfamilie führte zur Konstruktion einer neuen ‚Rasse‘ – der Arier. Zugleich kam es zu Überlegungen, das Prinzip auch auf andere Sprachgruppen zu übertragen. Spielten die Juden bis anhin eine marginale Rolle innerhalb des Rassendiskurses, änderte sich dies in der Folge durch die Konstruktion der semitischen ‚Rasse‘. Geiss, Rassismus, S. 163–167. Vgl. auch Poliakov, Mythos. 1324 Vgl. Poliakov, Mythos, S. 205. 1325 Meiners, Verschiedenheit der cörperlichen Grösse, S. 702. 1326 Ebd. 1327 Ebd. 1328 Ebd. 1329 Meiners, Natur der Germanischen und übrigen Celtischen Völker, S. 119. 1330 Meiners, Zweyte Abhandlung, S. 73, 104, 112–120.
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Das Lob auf die Celtischen Raçe, die alle grossen Erfinder in Wissenschaften, Künsten und Gewerben sowie mehr grosse Regenten, Gesetzgeber, Staatsmänner, Heerführer und Helden als die anderen Völker zusammen hervorgebracht hatte, ging einher mit einer Abwertung aller anderen Völker. Deshalb könnten nur die von ihr abstammenden Völker als aufgeklärt erachtet werden.1331 Die Vergangenheit erklärte die Überlegenheit der Gegenwart – eine Beobachtung, welche insbesondere bei den Deutschen Bestätigung findet. Sie standen zuoberst in Meiners Völkerhierarchie, sie „übertraffen alle andere Celten so wie an Grösse, Stärke, und Schönheit, als auch durch die Blondheit ihrer Haare, und durch die Bläue, und das Feuer ihrer Augen.“1332 Aus der historisch begründeten Superiorität leitete er nun die angebliche Überlegenheit der Deutschen zu seiner Zeit ab: „Durch diese überwiegenden Vorzüge wurde die edle Teutsche Nation die Ueberwinderinn oder die Stifterinn, und Beherrscherinn aller übrigen Völker; und durch die, von den Teutschen abstammenden, oder beherrschten Nationen wurde, und wird Europa immer noch mehr die Beherrscherrinn aller übrigen Erdtheile werden.“1333
Damit propagierte er nicht nur die Superiorität der Teutschen Nation über alle anderen Völker, vielmehr begründete er die Überlegenheit der Europäer in Übersee aufgrund ihrer rassischen Abstammung (von den Deutschen). Keiner der frühen Rassentheoretiker hatte derart offen die Überlegenheit der Weissen rassisch legitimiert und zugleich nationalistisch argumentiert. Lange Zeit war der Terminus der ‚Rasse‘ und der ‚Varietät‘ lediglich ein klassifizierender Begriff gewesen, welcher auch auf Menschen angewandt wurde. Mit Kant rückte der Fokus erstmals auf die Abstammung und den Zeitfaktor, doch erst Meiners stellte eine direkte Verbindung zwischen dem Begriff der ‚Rasse‘ und ‚Nation‘ / ‚Volk‘ her.1334 Die Französische Revolution und ihre Auswirkungen prägten Meiners nachhaltig und führten zu einer Radikalisierung seiner Position, wobei das politische Engagement in seinen Schriften im Kontext seiner Position als königlicher Hofrat – als Vertreter des alten Systems – betrachtet werden muss. Wie überall in Europa in den 80er und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts sah man sich auch in Deutschland genötigt, die Beziehungen zu den aussereuropäischen Völkern sowie zwischen den einzelnen Nationen neu zu definieren, zumal sich die Frage stellte, wie das Sklavenproblem zu lösen sei. Universitäten wie Göttingen hatten die Aufgabe, dem Wohle des Volkes und des Staates zu dienen, weshalb es die Aufgabe der an der Universität tätigen Gelehrten war, Antworten auf die aktuellen Fragen und Problemstellungen zu finden. Meiners war nicht nur ein erklärter Gegner der Idee der Gleichheit aller Menschen, vielmehr trat er vehement für die Beibehaltung der Sklaverei und des 1331 Zu diesen gehörten neben den antiken Griechen und Römer die alten Germanen, Gallier, Hispanier, Britannier, Caledonier sowie die nordischen Völker gotischer Abstammung. Meiners, Verschiedenheit der Biegsamkeit, S. 212. 1332 Meiners, Natur der Germanischen und übrigen Celtischen Völker, S. 12. Vgl. auch: Meiners, Natur der Germanischen und übrigen Celtischen Völker, S. 44 sowie Meiners, Verschiedenheit der cörperlichen Grösse, S. 701, wo er noch zusätzlich ihren Mut pries und besonders die nördlichen Deutschen hervorhob. 1333 Meiners, Zweyte Abhandlung, S. 120f. 1334 Conze/Sommer, Rasse, S. 150.
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aristokratischen Regimes ein, was ihm die Anerkennung durch die Hannoverschen Autoritäten sicherte.1335 Diese Extrempositionen sowie das einseitige, simplifizierende Weltbild führten dazu, dass er bereits zu Lebzeiten umstritten war. Zwar anerkannten selbst Kritiker seine grosse Belesenheit. Doch während seine Thesen bei der Regierung in Hannover auf Anklang stiessen, lehnten die zeitgenössischen Gelehrten – im Gegensatz zu den Rassentheoretikern des 19. und 20. Jahrhunderts – sie vorwiegend ab. Auf besondere Kritik stiessen seine politischen Stellungnahmen, die mit den Auffassungen der meisten Studenten und Professoren kollidierten.1336 Die Kritik war in den wissenschaftlichen Kreisen so massiv, dass er ab 1795 seine Studien mit Ausnahme zweier Abhandlungen in der „Göttinger Societät“ nicht mehr veröffentlichte.1337 Hinzu kam, dass Meiners stets im Schatten des ebenfalls in Göttingen lehrenden Blumenbachs stand, dessen Exaktheit und vorsichtiges Vorgehen bei Schlussfolgerungen auf allgemeine Zustimmung stiessen.1338 Meiners hingegen wurde wegen seines simplifizierenden Weltbild belächelt und erntete Kritik für seine einseitige Stellungnahme. Lichtenberg bezeichnete ihn gar abschätzig als „Mongolen Meiners“,1339 während sich Heyne als Herausgeber der Göttingischen Gelehrten Anzeigen bemühte, Meiners als Rezensenten zu verhindern.1340 Heyne bemängelte in einem Brief an Forster das Festhalten Meiners an seiner „Lieblingshypothese, die er als ein gegründetes System ansieht“.1341 Bei Soemmerring hingegen stiess Meiners auf vergleichsweise wenig Ablehnung. So zitierte Soemmerring in der zweiten Ausgabe seiner Studie „Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer“ den „beliebte(n) Philosoph unsers Vaterlandes“.1342 Während viele Gelehrte Meiners nur hinter vorgehaltener Hand kritisierten, machte Georg Forster wenig Hehl aus seiner Ablehnung.1343 Erste konkrete Hinweise auf die Auseinandersetzung mit Meiners Rassentheorie lassen sich auf den Januar 1787 datieren.1344 In einem Brief an Herder bezeichnete er das Werk als 1335 1336 1337 1338 1339 1340
1341
1342 1343 1344
Vetter, Reduktionismus, S. 222. Lotter, Christoph Meiners, S. 61–69. Dougherty, Christoph Meiners, S. 90ff. Lotter, Christoph Meiners, S. 64. Brief 316 von Georg Christian Lichtenberg, 1.7.1791, in: Forster, AA XVIII. Heyne versuchte eine Rezension von Meiners zu verhindern, indem er Forster als Rezensenten anwarb. Brief 219 von Christian Gottlob Heyne, 26.9.1789, in: Forster, AA XVIII; Brief 320 von Christian Gottlob Heyne, 24.10.1791, in: Forster, AA XVIII. In einem anderen Fall bedauerte er, dass Forster sein Interesse für ein Werk, welches von Meiners rezensiert worden war, nicht früher angemeldet hatte. Brief 203 von Christian Gottlob Heyne, 3.7.1789, in: Forster, AA XVIII. Brief 216 von Christian Gottlob Heyne an Georg Forster, 20.9.1789, in: Forster, AA XVIII; vgl. auch Brief 304 von Christian Gottlob Heyne an Georg Forster, 22.12.1790, in: Forster, AA XVIII. Darin kritisierte Heyne die Konklusionen Meiners mit den Worten „Des Widerspruchs und des Unsinns soll kein Ende seyn.“ Soemmerring, Verschiedenheit des Negers, S. xiii. In einem posthum veröffentlichten Werk beklagte sich Meiners, dass unter den „modischen Schriftstellern“ keiner „in seinen Angriffen auf mich heftiger und seichter“ gewesen sei als Forster. Meiners, Verschiedenheiten der Menschennaturen, S. XIX. Meiners war Forster spätestens seit 1784 bekannt, liess er ihn doch in einem Brief an Jeremias
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„Göttingische Belesenheit, auf eine unhaltbare Hypothese angewendet“.1345 Insbesondere in Briefen lästerte Forster ungeniert über den „Polterer Meiners“, der lediglich „seinen ungeheuern Collectaneensack voll Cruditäten ins Publicum ausleeren“1346 könne und dessen Aufsätze zur allgemeinen Belustigung beitrugen.1347 Beschränkte sich die Kritik zu Beginn noch primär auf das methodische Vorgehen, wurden zunehmend die sich aus Meiners‘ Argumentation ergebenden Konsequenzen zu deren Gegenstand. In dem Aufsatz „Leitfaden zu einer zukünftigen Geschichte der Menschheit“ machte er sich öffentlich lustig über den „kühnen Versuch, alle Völker der Erde von einem guten und einem bösem Prinzip abstammen zu lassen“. Meiners einziges Manko sei, dass er seine Thesen nicht beweisen könne. Der Seitenhieb gegen Meiners, den „Urheber“, der sich glücklich schätzen solle, „kein angeborner Teufel“ zu sein, war unübersehbar.1348 Forster störte sich nicht nur an der einseitigen Rezeption der Reiseliteratur durch Meiners,1349 vielmehr war ihm schon früh bewusst, welche Konsequenzen sich aus dessen Weltbild ergaben. Mit Sorge nahm er wahr, dass Meiners die Schwarzen „zu Halbmenschen herabzuwürdigen sich nicht gescheut“ hatte.1350 Insbesondere die Einteilung der Menschheit durch „diesen apodiktischen schneidenden Rechthaber“1351 stiess auf Widerwillen. Die „Hypothese von zweierlei Menschen, Celten und Mongolen, wovon jene sittlich und physisch vollkommen, diese aber von Natur hässlich und mit bösen Neigungen ausgerüstet sind, ist ihm schon so geläufig, dass er die Mongolen in einem der neuesten Stücke seines historischen Magazins mit dürren Worten die lasterhaften Menschen nennt.“1352 Die anfänglich lediglich im privaten Rahmen geäusserte Kritik wurde rasch in die Öffentlichkeit getragen. Zuerst noch implizit formuliert, ohne Meiners namentlich zu erwähnen,1353 entwickelte sie sich zu einem Frontalangriff. 1791 rezensierte Forster anonym das von Meiners und Spittler herausgegebene „Göttingisches historisches Magazin“. Darin kritisierte er Meiners, dessen Einseitigkeit „bey manchem Leser Widerwillen, bei einigen sogar Unwillen“1354 errege, sowohl inhaltlich als auch methodisch. Auf inhaltlicher
1345 1346 1347 1348 1349 1350 1351 1352 1353
1354
David Reuss herzlich grüssen. Brief 16 an Jeremis David Reuss, 19.4.1784, in: Forster, AA XIV. In einem Brief an Soemmerring pries er zudem die Hilfsmittel, welche Meiners zur Verfügung hatte, nicht ohne anzumerken, dass er mit diesen anders umgehen würde. Brief 213 an Samuel Thomas Soemmerring, 19.1.1787, in: Forster, AA XIV. Brief 214 an Johann Gottfried Herder, 21.1.1787, in: Forster, AA XIV. Brief 111 an Friedrich Heinrich Jacobi, 19.11.1788, in: Forster, AA XV. Brief 206 an Friedrich Heinrich Jacobi, 1.11.1789, in: Forster, AA XV. Forster, Leitfaden, S. 193. Vgl. Brief 201 an Christian Gottlob Heyne. 7.11.1789, in: Forster, AA XV. Brief 135 an Christian Gottlob Heyne. 19.1.1789, in: Forster, AA XV. Brief 222 an Friedrich Heinrich Jacobi, 1.11.1789, in: Forster, AA XV. Brief 222 an Friedrich Heinrich Jacobi, 1.11.1789, in: Forster, AA XV. In der Vorrede zur Übersetzung von Georg Keates „Nachrichten von den Pelew-Inseln“ griff Forster Meiners‘ deterministische Sichtweise erstmals an, ohne ihn jedoch namentlich zu nennen. Forster, Vorrede des Übersetzers, S. 324–333, hier: 328. Aus einem Brief an Jacobi geht jedoch hervor, dass sich Forster explizit auf „den Hypothesenfreund“ bezogen hatte, dem er es „nicht schenken“ habe können. Brief 204 an Friedrich Heinrich Jacobi, 21.9.1789, in: Forster, AA XV. Forster, Göttingisches historisches Magazin, S. 238.
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Ebene bemängelte Forster, dass es hinderlich sei, wenn man die meisten Menschen als minderwertig bezeichne. Es sei falsch, die Menschen in zwei Stämme einzuteilen, welche sich gegenüber stehen würden und „denen die Natur gleichwohl die unselige Möglichkeit verlieh, ihr Geschlecht mit einander zu vermischen und greuliche Zwitter zu zeugen.“1355 Auf methodischer Ebene warf er ihm vor, nicht nur zu verallgemeinern, sondern auch klar Partei zu ergreifen. Er riet Meiners, sich vor Ort ein Bild zu machen – ein Punkt, welchen Forster bereits bei Kant kritisiert hatte – und jedes Volk individuell und im Kontext seines Milieus zu beobachten.1356 Minutiös dokumentierte Forster Meiners Unwissenschaftlichkeit anhand von konkreten Beispielen und versuchte zugleich, die von Meiners aufgegriffenen Fragen neu zu beantworten.1357 Meiners verzichtete vorerst auf eine Replik. Erst eine weitere Rezension Forsters, dieses Mal von einem Werk des französischen Forschungsreisenden und Sklavereibefürworters Dominique Lamiral, in welchem er gegen dessen Vorurteile und das Stereotyp angeblicher geistiger Rückständigkeit der Afrikaner ankämpfte,1358 führte zu einer Reaktion Meiners. In einem 1792 veröffentlichten Aufsatz warf er Forster gänzliche Unwissenheit über den Untersuchungsgegenstand vor. Er finde, „nicht bloss eine seltsame Unbestimmtheit, und Verworrenheit der Sprache, und Gedanken: nicht bloss Fehlschlüsse, und Sophistereyen (...); sondern die offenbarsten Widersprüche, die bloss daher entstanden, dass Recensent weder über die Natur der Neger, noch über die Gründe der Zulässigkeit, und Unzulässigkeit der Knechtschaft, noch endlich über die Kraft der verschiedenen physischen und moralischen Ursachen, welche auf den Menschen wirken, gehörig nachgedacht hat.“1359 Spätestens hier zeigte sich, dass es sich längst nicht mehr um einen Methodenstreit handelte, sondern vielmehr um zwei gänzlich verschiedene Weltsichten, welche sich kaum miteinander vereinbaren liessen. Diese beiden Sichtweisen können dabei kaum mehr losgelöst von den politischen Ereignissen betrachtet werden, sondern müssen vielmehr im Kontext der französischen Revolution und der Sklavereidebatte betrachtet werden. Auf der einen Seite stand der revolutionäre Forster, für welchen die Sklaverei der von der Aufklärung propagierten Gleichheit aller Menschen widersprach,1360 auf der anderen Meiners, der sich seit dem Beginn der Französischen Revolution zunehmend auf eine rassisch begründete Rechtfertigung der Sklaverei fokussiert hatte, wobei er sich nicht nur gegen die Emanzipation der Skla-
1355 1356 1357 1358 1359 1360
Ebd., S. 244. Ebd., S. 246. Ebd., S. 248–252. Forster, L’Afrique, S. 49–56. Meiners, Fortgesetzte Betrachtung über den Sclavenhandel, S. 5. Lange Zeit hatte sich Forster wenig für das Sklavenfrage interessiert. Erst seit Ende der 80er Jahren lässt sich eine vermehrte Beschäftigung mit der Debatte feststellen. Gemäss Fiedler führten die neusten Reiseberichte aus Westafrika und Westindien zu einer Sensibilisierung Forsters für das Leid der Sklaven und führten ihm den Widerspruch zu den aufklärerischen Prinzipien vor Augen. Trotzdem plädierte er nicht für eine sofortige Sklavenbefreiung. Fiedler, Einführung, S. 410.
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ven wehrte, sondern auch gegen die Idee einer bürgerlichen Gleichheit innerhalb Europas.1361 Auch wenn in der modernen Forschung weitgehend Konsens darüber herrscht, dass Meiners Rassentheorie ihrer Zeit voraus war und wesentliche Elemente des Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts aufwies,1362 findet er in den meisten Überblickswerken keine Erwähnung. Nur wenige Untersuchungen existieren, welche sich ausführlich mit Meiners Rassentheorie beschäftigen.1363 Gemein ist ihnen, dass sie zumeist die Modernität der Theorie und die verhängnisvollen Elemente, welche sie bereits aufwies, hervorheben. So weise Meiners Rassentheorie bereits sämtliche Klischees wie jene der Blutsreinheit, der heimtückischen Slawen und der selbstsüchtigen, wuchernden Juden sowie der „blauäugig, blonde, reinliche Nordische Rasse“ auf1364 – wobei anzumerken ist, dass Meiners den Terminus ‚Nordische Rasse‘ nicht verwendete. Verhängnisvoll sei insbesondere, so Lotter, dass Meiners aufgrund der angeblichen Ungleichheit der natürlichen Anlagen den Menschen unterschiedliche Rechte zuzugestand.1365 Lotter erachtet ihn denn auch als einen der wichtigsten Vorläufer der Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts.1366 Damit vertritt er einen ähnlichen Standpunkt wie Zantop, welche zugleich die politische Komponente des Meinerschen Schaffens hervorhebt. Meiners habe kulturelles Verhalten mit politischer Macht verlinkt, wobei er die koloniale Herrschaft als Recht der Superioren gegenüber den Inferioren legitimierte. Sie streicht hervor, dass Meiners sich nach 1790 auf Europa fokussierte und eine germanisch-rassische Identität konstruierte, welche er mit einer auf der Blutsreinheit basierenden umfassenden Superiorität verband. Allerdings bezog er sich dabei, so Zantop, weniger auf seine Zeit als auf die Germanen.1367 Mehrmals wird auf den wegweisenden Charakter der Meinerschen Rassentheorie hingewiesen. So sieht Dougherty in Meiners auf einer Rassenlehre basierenden Geschichtsphilosophie eine Tradition begründet, welche von späteren Rassentheoretikern wie Gobineau weitergeführt wurde.1368 Koller rechnet Meiners „Grundriss“ nicht mehr der anthropologischen Klassifikation sondern der politisch-historischen Publizistik zu, weshalb es sich um einen Vorläufer der Rassetheorien aus dem 19. Jahrhundert handle.1369 Mit Meiners, so fasst Tanner prägnant zusammen, „wurden „Rassenkampf“ und „Rassenreinheit“ zur Obsession des Abendlandes“.1370 Obwohl zeitlebens umstritten, bezeichnet ihn Marino nicht zuletzt aufgrund der Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert als „einer
1361 Ebd., S. 420. 1362 Vgl. Osterhammel, Entzauberung, S. 58, der betont, dass mit Ausnahme Meiners noch fast niemand den Vorsprung Europas biologisch-rassisch begründete. 1363 Vgl. Dougherty, Christoph Meiners, S. 89–111; Gierl, Christoph Meiners, S. 419–433; Lotter, Christoph Meiners, S. 20–75; Vetter, Reduktionismus; Zantop, Beautiful, S. 21–35. 1364 Gierl, Christoph Meiners, S. 429. 1365 Lotter, Christoph Meiners, S. 51. 1366 Ebd., S. 70. 1367 Zantop, Beautiful, S. 23, 27, 29. 1368 Dougherty, Christoph Meiners, S. 94f. 1369 Koller, Rassismus, S. 28. 1370 Tanner, Historische Anthropologie, S. 48.
3.10 Geschichte der Menschheit
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der bedeutendsten Vertreter der deutschen Anthropologie des 18. Jahrhunderts.“1371 Damit widerspricht er Mühlmann, der betont, dass Meiners „an geistigem Rang hinter den übrigen deutschen Klassikern“ liege.1372 Vielmehr erachtet er seine Arbeiten als Beispiel dafür, welch radikale Schlüsse man aus der Lektüre der Reiseliteratur ziehen konnte. Zugleich betont er die Parallelen zu Gobineau, da beide von einer grundsätzlichen Überlegenheit der Weissen ausgingen und die Vermischung als gefährlich erachteten1373 – Elemente, die sich bereits bei Kant nachweisen lassen. Meiners Rassentheorie stellte sowohl sprachlich wie auch inhaltlich eine Radikalisierung des Diskurses dar. Sie charakterisierte sich durch eine Reduktion auf zwei ‚Rassen‘ und postulierte eine umfassende Superiorität der hellen schönen Menschen, was sich nur durch eine systematische Herabwürdigung der dunklen hässlichen bewerkstelligen liess. Indem er sich explizit auf die Studien anderer Rassentheoretiker sowie die Reiseliteratur berief und seine Quellen transparent machte, wies er auf angeblich empirische Fakten, welche seiner Theorie zugrunde lagen. Seine Rassentheorie widerspiegelte ein reaktionäres Weltbild, wies aber zugleich Elemente wie die Angst vor einer durch Vermischung ausgelösten Degeneration, den Wunsch nach Blutsreinheit sowie die Verbindung der beiden Konzepte von ‚Rasse‘ und Nation auf, die typisch für das 19. und 20 Jahrhundert werden sollten. Bei Meiners lässt sich einen Kult um die Kelten beobachten, wobei die daraus resultierende Preisung der Deutschen als Vorbote des entstehenden Nationalismus gedeutet werden kann, zumal die Beschreibung der Celten erstaunlich viele Parallelen mit der späteren Charakterisierung des Ariers aufwies. Neu war, dass Meiners Rassentheorie eine politische Stellungnahme beinhaltete. Die angebliche Superiorität der Europäer rechtfertigte sowohl die rechtliche Schlechterstellung der Juden, die Sklaverei als auch den Kolonialismus und dessen Gewaltexzesse. Damit nahm Meiners Rassentheorie zahlreiche Charakteristika des modernen Rassismus aus dem 19. und 20. Jahrhundert vorweg, was zugleich seine Rezeption in zahlreichen späteren rassentheoretischen Studien erklärt.
1371 Marino, Praeceptores, S. 110. 1372 Mühlmann, Anthropologie, S. 59. 1373 Ebd., S. 61, 82f.
4. AUSBLICK Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Vielfalt und ihrer Klassifikation in ‚Rassen‘ beschränkte sich um 1800 noch auf eine relativ kleine Gelehrtenschicht. Sie war jedoch, wie gezeigt wurde, längst nicht mehr eine Randerscheinung – zu vielfältig war der Diskurs und zu namhaft die Beteiligten. Doch die Überzeugung, dass die Menschheit in verschiedene ‚Rassen‘ eingeteilt werden könne, welche divergierende, biologisch begründete Fähigkeiten aufwiesen, war noch nicht zum allgemeinen Gedankengut geworden. Die Transformierung der Theorie in eine eigentliche Ideologie fand erst im Laufe des 19. Jahrhunderts statt.1 Trotzdem: Die Wurzeln der rassischen Ideologie sind nicht erst bei Gobineau oder Darwin zu suchen; vielmehr bildeten die Rassentheorien der Aufklärungszeit das Fundament des modernen Rassismus. Die Überzeugung der eigenen Superiorität fand in den Theorien ihre scheinbar wissenschaftliche Bestätigung. Die Angst vor Vermischung, die moralische und kulturelle Marginalisierung der Nicht-Weissen, der Glaube an die Vererbung rassischer Charakteristika, die zunehmende Wahrnehmung der Juden als Fremdkörper – alle diese Elemente lassen sich bereits in den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts finden. Ihr Einfluss auf die nachfolgenden rassentheoretischen Untersuchungen ist hingegen schwierig zu eruieren. Teilweise lassen sich die Bezüge unzweifelhaft aufzeigen, vor allem dann, wenn in den Rassentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts auf die Vorgänger verwiesen wird. Oftmals ist ein Nachweis schwierig, nämlich dann, wenn sich das in den Theorien postulierte Gedankengut sowie die Methoden verselbstständigten und zum Gemeingut wurden. Hier müsste eine Nachfolgestudie ansetzen, um detailliert das Gesamtwerk, die Korrespondenz sowie den Nachlass der Rassentheoretiker des 19. und 20. Jahrhunderts einer systematischen Untersuchung zu unterziehen. Trotzdem sollen einige Bezüge skizzenhaft herausgearbeitet werden, um die Relevanz der Rassentheorien des 18. Jahrhunderts für den weiteren Verlauf des sich zunehmend radikalisierenden Rassendiskurses evident zu machen. Ein erster Rezipient der Theorien des 18. Jahrhunderts war der französische Mediziner Julien Joseph Virey (1775–1846) mit seinem 1800/01 erstmalig veröffentlichten und äusserst populären Werk „Histoire naturelle du genre humain“. Virey erwies sich als ausgewiesener Kenner des Rassendiskurses: Er zitierte nicht nur zahlreiche Reiseberichte, sondern listete in unzähligen Fussnoten auch die Studien früherer Rassentheoretiker auf. Sein methodisches Vorgehen entsprach weitgehend dem seiner Vorgänger, wobei zu seinen Quellen Linné, Buffon und Blumenbach sowie Camper, Soemmerring, Forster, Kames und Meiners gehörten.2 Insbesondere Blumenbach und Camper beeinflussten Virey nachhaltig, der rassische Unter1 2
Osterhammel, Verwandlung, S. 1214. Bspw. Virey, Histoire naturelle I, S. 120–136.
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schiede anhand der „forme éxterieure du crâne“ sowie dem „angle facial“ nachzuweisen glaubte.3 Inhaltlich hingegen orientierte er sich primär an Meiners, auf welchen er direkt verwies. Er begründete die Herrschaft der Weissen nicht nur mit ihrer physischen und moralischen Superiorität,4 sondern übernahm auch Meiners Klassifikation in helle, schöne und dunkle, hässliche Menschen und übersetzte sie ins Französische: „Nous décrirons ici les caractères généraux de chaque race humaine qu’on peut diviser principalement en belles et blanches, en laides ou brunes et noires.“5 Statt wie Meiners zuvor von zwei Stämmen sprach Virey von zwei Linien, der ligné celtique und jene der mongols.6 Virey war von eminenter Bedeutung für die Rezeption Meiners: Er machte dessen Theorie und Schriften nicht nur einer breiten Öffentlichkeit in Frankreich zugänglich, sondern sorgte auch dafür, dass dessen Rassentheorie im 19. Jahrhundert nicht in Vergessenheit geriet.7 Während Meiners von späteren Rassentheoretikern wie Morton oder Darwin nicht mehr rezipiert wurde, war ihnen Vireys Klassifikation bekannt und somit die auf Meiners zurückgehende Einteilung in ‚schöne, helle‘ und ‚dunkle, hässliche Menschen‘. Vireys Einflussbereich beschränkte sich nicht auf Europa und den französischen Sprachraum: 1837 wurde seine Schrift ins Englische übersetzt und stiess in England und den Vereinigten Staaten insbesondere bei Befürwortern der Sklaverei auf Resonanz.8 Zugleich lassen sich, wie Bernasconi aufgezeigt hat, in der englischen, in Charleston, South Carolina, publizierten Fassung Ausschnitte aus der von Charles White verfassten Übersetzung Soemmerrings finden. Indirekt sorgte Virey somit dafür, dass nicht nur Meiners Klassifikation sondern auch Soemmerrings Studie in Übersee einem nicht-deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht wurde.9 Virey war nicht der einzige Gelehrte, welcher sich den Theorien der Aufklärungszeit bediente. Ebenfalls kurz nach der Jahrhundertwende entwickelte der französische Naturforscher und Begründer der Paläontologie Georges Cuvier (1769– 1832) eine eigene Klassifikation.10 In der Einleitung erwähnte Cuvier nicht nur Naturforscher wie Linné und Buffon, sondern auch die Anatomen Camper und Hunter sowie Blumenbach.11 Die von ihm entwickelte Einteilung in la blanche, ou caucasique, la jaune, ou mongolique, la nègre, ou éthiopique orientierte sich an der von Blumenbach vorgeschlagenen Terminologie. Sie beschränkte sich jedoch nicht auf die Beschreibung somatischer Charakteristika, sondern verband die Klassifikation mit einer Bewertung des jeweiligen Zivilisationsgrades. Die weisse oder kaukasische Rasse, zu welcher er die zivilisiertesten Völker, „ceux qui ont le plus généralement dominé les autres“, zurechnete, zeichnete sich durch „la beauté de 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Ebd., S. 157f. Vgl. Lotter, Meiners, S. 71. Virey, Histoire naturelle I, S. 146. Ebd., S. 146–155. Vetter, Reduktionismus S. 227. Lotter, Meiners, S. 71. Bernasconi, Editor’s note, in: White, Account, S. vi. Dietz, Naturgeschichte, S. 59f. Cuvier, Leçons I, S. xviiif.
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l’ovale qui forme sa tête“ aus.12 Die gelbe oder mongolische Rasse hingegen erachtete er nur bedingt zur Zivilisation fähig, der schwarzen oder äthiopischen sprach er jegliche Fähigkeit zur Zivilisation ab.13 Cuvier beschränkte sich nicht auf die Klassifikation der Menschen in ‚Rassen‘. In seiner Vorlesung zur vergleichenden Anatomie unterzog er den Camperschen Gesichtswinkel einer Modifikation. Der antike Apollo wurde an der Spitze der Hierarchie vom europäischen Kind (90°) abgelöst, gefolgt vom erwachsenen (85°) und dem altersschwachen Europäer (75°). Dem Nègre adulte schrieb Cuvier einen Winkel von 70° zu, dem Orang-Utang einen von 67°, womit der Unterschied zwischen dem Schwarzen und dem Affen vernachlässigbar wurde.14 Zugleich stellte er eine Verbindung zwischen Gesichtswinkel und Intelligenz her: „Nous verrons bientôt que l’homme est celui de tous les animaux qui a le crâne le plus grand et la face la plus petite; et que les animaux s’éloignent d’autant plus de ces proportions, qu’ils deviennent plus stupides ou plus féroces.“15 Zwar vermied er es, einen direkten Bezug zu den verschiedenen menschlichen Phänotypen herzustellen, trotzdem implizierte die Skala eine klare Wertung. Orientierungspunkt wurde damit sowohl die Nähe zum europäischen Idealtypus als auch die Distanz zum Affen.16 Der Dresdner Arzt Carl Gustav Carus (1789–1869) lehnte sich ebenfalls an Blumenbachs Klassifikation an, reduzierte diese aber auf vier Gruppen. Er bemängelte, dass bei Blumenbach die „Nachweisung eines höhern Grundes“17 bezüglich der Einteilung fehle und schlug deshalb eine Klassifikation vor, welche sich an den Zuständen von Tag und Nacht orientierte. Während die Nachtseite von den äthiopischen Stämmen repräsentiert wurde, standen die kaukasisch-europäischen Völker stellvertretend für die Tagseite. Die amerikanischen Urvölker sowie die mongolisch-malayisch-hindostanischen Stämme wiederum standen stellvertretend für die Dämmerung.18 In dieser Einteilung widerspiegelte sich nicht nur der Glaube an die Superiorität der Weissen, vielmehr stellte sie eine eigentliche Visualisierung der Ungleichheit dar.19 Der Unterschied zu Blumenbach zeigte sich auch in der von Carus skizzierten Entwicklung der Menschheit, welche er als eine „geistige“ wahrnahm.20 Carus entwickelte eine eigentliche Hierarchie der geistigen Entwicklung, wobei er die intellektuelle Überlegenheit der Tagmenschen historisch zu begründen versuchte.21 Damit folgte Carus, dem neben Blumenbachs auch Vireys (und somit Meiners) Klassifikation bekannt war,22 einer Entwicklung, die sich bereits im 18. Jahrhundert beobachten lässt: Das Konzept der ‚Rasse‘ be12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Cuvier, Le règne animal, S. 99. Ebd., S. 99. Cuvier, Leçons II, S. 8f. Ebd., S. 4. Vgl. auch Dietz, Naturgeschichte, S. 61. Carus, System. Ebd., S. 122f. Vgl. Conze/Sommer, Rasse, S. 153. Carus, System, S. 113. Ebd., S. 121–125. Ebd., S. 124.
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schränkte sich nicht mehr auf die naturwissenschaftliche Klassifikation der Menschen, vielmehr fand eine Historisierung der Idee statt. Virey, Cuviers und bedingt auch Carus Rassentheorien waren sowohl in ihrer Methodik als auch Klassifikation noch stark im 18. Jahrhundert verankert. Der Rassendiskurs sollte sich jedoch im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachhaltig verändern. Die Rassentheorien wiesen neu einen, wie Osterhammel schreibt, post-revolutionären Charakter auf. Sie waren geprägt durch den Wegfall christlicher Dogmen sowie das Ende einer Weltanschauung, in welcher Hierarchien Ausdruck einer göttlichen respektive natürlichen Ordnung waren.23 Die Milieutheorie zur Begründung der rassischen Unterschiede gehörte der Vergangenheit an, was eine allfällige Weiterentwicklung der einzelnen ‚Rassen‘ erschwerte. Zugleich nahm der Geltungsanspruch der Rassentheorien zu. ‚Rasse‘ wurde zu einem Schlüsselbegriff, einer geschichtsphilosophischen Kategorie, welche massgeblich zum Verständnis der Geschichte und der Gegenwart beitrug.24 Von besonderer Bedeutung für den Rassendiskurs des 19. und 20. Jahrhunderts war die von Blumenbach entwickelte Kraniologie, die zum festen Repertoire rassentheoretischer Untersuchungen gehörte und deren Ausübung sich längst nicht mehr auf Europa beschränkte. Hatte sich der von der Wissenschaft betriebene Rassendiskurs – mit Ausnahme Smiths, der als eigentlicher Initiator fungierte – lange Zeit auf den Alten Kontinent beschränkt, entstand mit den USA im 19. Jahrhundert ein zweites Zentrum rassentheoretischer Untersuchungen. Insbesondere die Theorie der Polygenese stiess auf breite Akzeptanz und wurde in Europa als „amerikanische Schule“ der Anthropologie erachtet.25 Neben Louis Agassiz (1807–1873) trug insbesondere der amerikanische Anthropologe und Polygenist Samuel George Morton (1799–1851) zur Emanzipation des Rassendiskurses bei. Morton stützte sich massgeblich auf die von Blumenbach entwickelte Methode der Kraniologie und unterzog sie einer Modifikation. Als Basis seiner Untersuchung diente ihm seine, mehr als 1000 Objekte umfassende Schädelsammlung,26 womit sie jene Hunters und Blumenbachs um eine Vielzahl übertraf. Sie begründete Mortons Reputation als Datensammler und „Versachlicher der amerikanischen Wissenschaft“, „der ein unreifes Unterfangen aus den Sümpfen trügerischer Mutmassungen herausheben sollte.“27 Morton war mit dem europäischen Rassendiskurs der Aufklärungszeit bestens vertraut: Neben Linné und Buffon erwähnte er in seinem 1839 veröffentlichten Hauptwerk „Crania Americana“ auch Blumenbach, Cuvier sowie Virey, womit ihm indirekt auch Meiners Klassifikation bekannt war.28 Obwohl er Blumenbachs Klassifikation als unvollständig wahrnahm, erschien sie ihm am adäquatesten. Er übernahm seine Einteilung in die Caucasia, Mongolian, Malay, American und Ethiopian Race und unterteilte die einzelnen Rassen zusätzlich in
23 24 25 26 27 28
Osterhammel, Verwandlung, S. 1219. Ebd., S. 1219. Gould, Mensch, S. 39. Ebd., S. 48–51. Ebd., S. 49. Morton, Crania americana, S. 3f.
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Familien, welche er anschliessend detailliert beschrieb.29 Wie Blumenbach, „to whom this department of science is under great obligations“,30 bediente sich auch Morton der Methode der Kraniologie. Indem er die Schädel mit Senfkörnern und später mit Bleischrot füllte, bestimmte er ihr Volumen, was gleichbedeutend mit einer Weiterentwicklung der Disziplin war. Anhand des direkten Vergleichs der Schädelvolumen erstellte er eine eigentliche Hierarchie der ‚Rassen‘, an deren Spitze die caucasian race stand, gefolgt von der mongolian, american und malay race, die ethiopian race bildete das Schlusslicht.31 In der „Crania Americana“ untersuchte er insgesamt 144 Indianerschädel und kam zum Ergebnis, dass sie ein wesentlich geringeres Volumen aufwiesen als jene der kaukasischen Norm. Diese Feststellung erachtete er als Beweis für den Mangel an höheren geistigen Fähigkeiten beim Indianer.32 Damit setzte er im Gegensatz zu Blumenbach, welcher stets davor gewarnt hatte, die Kraniologie als wertendes und absolutes Instrument zu erachten, das Kopfvolumen in direkte Korrelation zur Intelligenz. Morton war nicht der einzige, welcher mit Hilfe der Kraniologie die intellektuellen Möglichkeiten einer ‚Rasse‘ zu berechnen glaubte. Der Franzose Paul Broca (1824–1880) konstruierte ebenfalls eine explizite Verbindung zwischen Gehirngrösse und Intelligenz, beschränkte sich aber nicht ausschliesslich auf die Rassenkunde.33 Broca, Professor für klinische Chirurgie, Gründer der Société d’Anthropologie de Paris und bekennender Polygenist, berief sich bei seinen Untersuchungen auf Soemmerring, Virey und Morton34 sowie auf die Kraniologie und den Camperschen Gesichtswinkel,35 der im 19. Jahrhundert zu einem festen Bestandteil anthropologischer Studien avancierte.36 In Tabellenform, um die Wissenschaftlichkeit seiner Untersuchung zu unterstreichen, hielt er seine Ergebnisse fest und zeigte auf, dass Männer ein grösseres Gehirn aufweisen würden als Frauen, hervorragende Männer wiederum ein grösseres als mittelmässig intelligente, während les races 29 30
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Ebd., S. 5–95. Morton, Crania americana, S. 3. Die Rezeption Blumenbachs fiel nicht nur positiv aus. 1850 polemisierte der englische Anatom Robert Knox gegen Blumenbach, dessen Arbeit er als „imperfect (...), leading to no result“ bezeichnete. Knox‘ eigene Rassentheorie wurde dominiert von der Vorstellung einer unterschiedlichen Wertigkeit sowie der Unveränderbarkeit der ‚Rassen‘, welche sich in einem eigentlichen Kampf befanden. Dabei verfolgte er das Ziel, aufzuzeigen, dass die menschliche Geschichte von ‚Rasse‘ dominiert werde. Knox, Races, S. 10; Lotter, Meiners, S. 71. Gould, Mensch, S. 48–53. Ebd., S. 54–59. Gould weist darauf hin, dass Mortons Berechnungen nachweislich ein Rechnungsfehler zugrunde lag. Ausserdem wurde seine Studie verzerrt durch die Überrepräsentation einer extremen Gruppe mit kleinem Hirn auf Seiten der Indianer, während er bei der ‚kaukasischen Rasse‘ die kleinschädligen Hindus nicht berücksichtigte. Morton machte zudem bei seinen Bemessungen weder einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, noch berücksichtigte er das Verhältnis zwischen Körpergrösse und Schädel. Werden die genannten Fehler korrigiert, ist der Unterschied zwischen amerikanischen Schädeln und kaukasischen vernachlässigbar, wie Gould dokumentiert. Zu Broca vgl. insbesondere: Blanckaert, De la race. Broca, Sur le volume, S. 17, 43, 49 (Soemmerring), S. 44 (Virey), S. 45–48 (Morton). Vgl. insbesondere: Broca, De l’influence, S. 879–896. Vgl. Becker, Mann, S. 24.
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supérieures ein deutlich grösseres Gehirnvolumen hätten als les races inférieures. Ein vorspringendes Gesicht, eine dunkle Hautfarbe und gekräuseltes Haar erachtete er als Zeichen sozialer und geistiger Minderwertigkeit, wobei er bedauerte, dass die Natur ein solches System geschaffen habe.37 Die Rassentheorien des 19. Jahrhunderts bauten nicht nur methodisch auf ihren Vorgängern auf, auch inhaltlich lassen sich Parallelen finden, die auf eine direkte Rezeptionsbeziehung schliessen lassen. Die 1853/54 erschienene Schrift „Essai sur l’inégalité des races humaines“ des französischen Diplomaten Arthur de Gobineau (1816–1882) begründete eine neue Stufe des Rassendiskurses, wobei deren Bedeutung gemäss Geiss weniger in ihrer Originalität als in der Zusammenfassung der älteren Rassentheorien und deren Systematisierung liegt. Gobineau vertrat sein Rassenkonzept, welches eine pessimistische Diagnose des scheinbaren Ist-Zustandes darstellte, mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und machte die Rassenkunde endgültig salonfähig.38 Er fasste die teilweise diffusen Rassentheorien seiner Zeit zusammen und lehnte sich bei seinen Befunden an Blumenbach und Camper an, rezipierte aber auch Carus und Morton.39 Obwohl ihm Meiners Klassifikation in schöne weisse und hässliche dunkle Nationen am einfachsten und plausibelsten erschien,40 teilte er die Menschen in die races blanche, jaune et noire ein.41 Die Einteilung verband er mit einer Hierarchisierung: Gobineau war nicht nur überzeugt, dass die nations européennes „les plus beaux“ seien,42 sondern auch von der „immense supériorité des blancs, dans le domaine entier de l’intelligence“.43 Dabei teilte Gobineau mit Meiners den Glauben an die vollumfängliche, durch die Geschichte erwiesene Überlegenheit der Weissen, welche diese zur Herrschaft befähigte: „La race blanche possédait originairement le monopole de la beauté, de l’intelligence et de la force.“44 Zugleich teilte er mit dem Deutschen die Angst vor einer Vermischung und der dadurch verbundenen Degeneration.45 Ohne den Rassenbegriff genauer zu definieren, verwendete er ihn für eine körperlich und psychisch homogene Gruppe, welche sich durch eine ursprüngliche Reinheit des Blutes auszeichnete.46 Das Beispiel Gobineau illustriert erneut den grossen Einfluss Meiners auf den Verlauf des Rassendiskurses im 19. Jahrhundert. Blieb er indirekt vor allem aufgrund der Rezeption durch Virey präsent, übte er durch Gobineau einen ungleich grösseren Einfluss auf die ihm folgenden Rassentheorien aus, da sich dessen Theorie als wegweisend erwies.47 1871 veröffentlichte Darwin „The Descent of Man and Selection in Relation to Sex“, in welchem er die bereits zuvor herausgearbeiteten Prinzipien der Entste37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Broca, Sur le volume, S. 40ff. Geiss, Rassismus, S. 168f. Gobineau, Essai, insbesondere S. 176–196. Ebd., S. 245f. Ebd., S. 179. Ebd., S. 254. Ebd., S. 354. Ebd., S. 358. Ebd., S. 358f. Conze/Sommer, Rasse, S. 161. Gierl, S. 431; Mühlmann, Anthropologie, S. 61, 82f.
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hung, Behauptung und Entwicklung der ‚Rassen‘ vom Pflanzen- und Tierreich nun auf den Menschen übertrug.48 Das Werk stellt einen Spiegel des zeitgenössischen Wissens über die anthropologische Diskussion dar; Darwin griff alte Diskursmuster auf, gab sie detailliert wieder und stellte sie gegebenenfalls anhand des zeitgenössischen Wissensstandes richtig oder verwarf sie. Dabei entpuppte er sich als äusserst belesen. Darwin selbst war zwar davon überzeugt, dass es feststellbare Unterschiede bezüglich des Aussehens, aber auch der Schädelform und -kapazität zwischen den verschiedenen Races gebe, allerdings erachtete er deren Messung als endlose Aufgabe.49 Seine Absicht war es nicht, die „several so-called races of man“50 zu beschreiben. Vielmehr erachtete er die Klassifikationsversuche früherer Rassentheoretiker als Beweis dafür, dass es kaum möglich sei, „to discover clear distinctive characters between them [the races].“51 Unter den von ihm zitierten Rassentheoretikern befand sich neben Kant, Blumenbach, Buffon und Hunter auch Virey, womit ihm Meiners Klassifikation ebenfalls bekannt war.52 Darwin bot nicht nur einen kurzen Überblick über die verschiedenen Klassifikationsvorschläge, sondern griff auch zahlreiche Diskursmuster wie die Diskussion um den monogenetischen respektive polygenetischen Ursprung der Menschheit53 sowie die Klimatheorie auf.54 Er übernahm die Termini ‚race‘ und ‚species‘, welche im Rahmen der von ihm entwickelten Evolutionstheorie eine neue Bedeutung gewannen. Sie verloren ihren rein statischen Charakter, neu konnten beide über eine längere Zeitdauer einen Prozess durchmachen und wurden somit als veränderlich erachtet.55 Auch bei Darwin herrschte ein Dualismus zwischen ‚Wilden‘ und ‚Zivilisierten‘ zu Ungunsten von ersteren vor.56 Diese befanden sich in einem eigentlichen Kampf, welcher mit dem Sieg der zivilisierten Nationen über die barbarischen endete.57 Damit griff Darwin den alten Antagonismus auf, verschärfte aber den Gegensatz massiv. Darwin orientierte sich nicht nur an früheren Diskursmustern, sondern orientierte sich auch methodisch Anlehnung bei seinen Vorgängern. So rezipierte er frühere Theorien und stützte sich auch bei der Beschreibung fremder Völker nicht nur auf seine eigene Beobachtungsgabe, sondern auch auf die Berichte von Reisenden.58 Die Rezeption der Rassentheorien der Aufklärungszeit lässt sich bis ins Dritte Reich nachverfolgen. Exemplarisch sollen hier zwei massgebliche Vertreter der deutschen Rassenkunde erwähnt werden: Ludwig Schemann (1852–1938)59 und 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Darwin, On the origin; Darwin, Descent of man. Darwin, Descent of man, S. 208. Ebd., S. 206. Ebd., S. 218. Ebd., S. 218. Ebd., S. 220–223. Ebd., S. 28ff. Conze/Sommer, Race, S. 163. Darwin, Descent of man, S. 152–155. Ebd., S. 229. Vgl. Ebd. Schemann wurde einer grösseren Öffentlichkeit durch seine Arbeiten über Wagner, Schopen-
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Freiherr Egon von Eickstedt (1892–1965).60 In dem 1931 – zur Zeit der Weimarer Republik – veröffentlichten Werk „Die Rassenfrage im Schrifttum der Neuzeit“ beschäftigte sich Schemann mit der Bedeutung früherer Rassentheoretiker für die zeitgenössische Rassenkunde. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung erwähnte er zahlreiche Rassentheoretiker der Aufklärungszeit wie Buffon, fälschlicherweise auch Leibniz, Linné, Herder, Blumenbach, Kant, Girtanner, Hume, Meiners bis hin zu Lavater und Voltaire. Während er bei Leibniz, Linné und Herder ihren religiösen Bezug hervorhob,61 erachtete er Buffon nicht nur als ersten, welcher die Bezeichnung race in die Wissenschaft eingeführt habe, sondern auch als „der engste Vorläufer und Anreger Lamarcks und Darwins.“62 Voltaires Verdienst wiederum sei es gewesen, dass er als erster in Frankreich „über die naturwissenschaftlichen Kreise hinaus Licht über die Rassendinge verbreitet“ habe.63 Stemann hob insbesondere die Bedeutung Göttingens – die „Wiege der Wissenschaft von der Rasse“64 in Deutschland – hervor. Er kritisierte Meiners zwar als „entsetzlicher Vielschreiber“,65 der sich von den französischen Aufklärern beeinflussen liess, lobte jedoch seine Klassifikation und die von ihm eingeführten Unterscheidungsmerkmale.66 Blumenbach wiederum erachtete er als „einer der Hauptbegründer der naturwissenschaftlichen Anthropologie“.67 Detaillierter würdigte er die Bedeutung Kants und Herders. Er empfand die Benennung der einzelnen ‚Rassen‘ durch Kant zwar als befremdlich, betonte aber deren wissenschaftlichen Nutzen und ihren revolutionären Charakter. Dabei präsentierte er Kant als einen Rassenthe-
60
61 62 63 64 65 66 67
hauer und Cherubini sowie seine Übersetzung von Gobineau bekannt. 1894 gründete er die Gobineau-Vereinigung, der er bis zu ihrer Auflösung 1920 vorstand. Im Auftrag der Vereinigung übersetzte Schemann Gobineaus Werk und interpretierte es in seinem Sinne: Gobineau wurde zu einem Vordenker des deutschen Hegemonialanspruchs. Obwohl Gobineau kein Antisemit war, gelang es Schemann, diesen in der Rezeption als einen Antisemiten erscheinen zu lassen. Schemann nahm eine Vorreiterrolle bezüglich der Zusammenführung von Rassehygiene und -anthropologie ein und galt als überzeugter Antisemit. Das Forschungsstipendium für seine Arbeit „Die Rasse in den Geisteswissenschaften“ wurde ihm 1929 aufgrund seiner antisemitischen Position abgesprochen, 1937 wurde ihm die Goethe-Medaille für seine Verdienste in Kunst und Wissenschaft zugesprochen. Anonym: Schemann, S. 599; Köck, Gobineau-Vereinigung, S. 288–290. Der Anthropologe und Rassentheoretiker Eickstedt wurde 1933 an der Universität Breslau Professor für Rassen- und Völkerkunde und veröffentlichte zahlreiche Werke zur Rassenkunde. Die von ihm 1934 in seinem Werk „Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit“ vorgeschlagene Einteilung in drei Grossrassen, in Europide, Mongolide und Negride hatte bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Bestand. Trotz seiner Vergangenheit als einer der massgeblichen Vertreter der Rassenkunde im Dritten Reich gelang es ihm, sich schnell zu rehabilitieren. Er wurde 1946 Ordinarius und Institutsdirektor an der Universität Mainz. Anonym: Eickstedt, S. 884; Eickstedt, Rassenkunde. Eine detaillierte Biographie lässt sich finden bei: Preuss, Anthropologe. Schemann, Rassenfrage, S. 44. Ebd., S. 44f. Ebd., S. 63. Ebd., S. 19. Ebd., S. 272. Ebd., S. 272f. Ebd., S. 322.
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oretiker, welcher seiner Zeit weit voraus gewesen sei: „Kaum eines der Hauptprobleme der Rassenfrage, das Kant nicht schon ins Auge gefasst und – in seiner Weise – gelöst hätte. Wie in seinen Betrachtungen über Familienschlag schon Darwins Auslesegedanke vorklingt, so hat er auch den Rassengedanken, wie ihn später Gobineau ausgeführt hat, in seinen Grundzügen diesem schon vorgedacht, nur dass ihm natürlich dessen Allereigenstes, das Ausmündenlassen und Umbiegen des Rassen in den germanischen Gedanken, noch fernliegen musste.“68 Eine ähnliche, massgebliche Rolle für den weiteren Verlauf des Diskurses schrieb er Herder zu, den er als wichtigsten Vorgänger Gobineaus pries. Zwar kritisierte er Herders Ablehnung des Rassenbegriffs als „Prüderie“,69 genauso wie Herders Lobpreisungen der Schöpfung.70 Trotzdem erachtete er ihn als Begründer der „Wissenschaft des Volkstums“,71 er habe als erster das „Herz der Völker“ schlagen gehört und „den Begriff der Volksseele, die wir uns doch heute nur noch auf rassischem Untergrunde vorstellen können“ entdeckt.72 Schemanns Ausführungen zu den Rassentheorien der Aufklärungszeit zeugen von der Bemühung, ihre Relevanz und ihren direkten Einfluss auf die Theorien des 19. Jahrhunderts zu unterstreichen. Immer wieder stellte er einen direkten Bezug zu den wegweisenden Rassentheoretikern wie Darwin und Gobineau her. Er erachtete die Rassentheoretiker der Aufklärungszeit als deren Vorläufer, unterliess es aber zumeist, sein Urteil detailliert zu begründen und die Parallelen herauszuarbeiten. Indem er einen direkten Bezug herstellte, betonte er zugleich die Kontinuität. Zu einem ähnlichen – jedoch weniger detaillierten – Befund kam auch Eickstedt in dem 1936 veröffentlichten Werk „Grundlagen der Rassenpsychologie“, in welchem er einen historischen Überblick über die Entstehung der Rassentheorien lieferte. Eickstedt, einer der führenden deutschen Rassentheoretiker zur Zeit des Dritten Reichs, kam zum Schluss, dass „der Beginn von Völkercharakterologie und Rassenpsychologie nach Zeit, Personen und Inhalt wissenschaftsgeschichtlich völlig zusammenfallen“73 würde und bezog sich dabei auf Linné und Buffon. Unzweifelhaft stand für ihn fest, dass bei beiden eine „subjektive Wertung der Rassen“74 zugunsten des Europäers stattfand. Während bei Linné aus „naturwissenschaftlicher“ Sicht die „Höchstbewertung des nordischen Menschen – bei ihm erstmalig! –“ den Ausgangspunkt bildete, habe sich Buffon noch mit „dem Europäer als schönstem Menschen begnügt“.75 Für Eickstedt war der hierarchischen Aufbau der einzelnen Rassen und die Positionierung des Europäers zuoberst von zentraler Bedeutung für die Entstehung des Rassendiskurses, da sie zur Durchsetzung des „Rassenbegriff(s) (...) in den Geisteswissenschaften“ geführt habe.76 Zugleich be68 69 70 71 72 73 74 75 76
Ebd., S. 81. Ebd., S. 90. Ebd., S. 9. Ebd., S. 87. Ebd., S. 93f. Eickstedt, Grundlagen, S. 96. Ebd., S. 97. Ebd., S. 154f. Ebd., S. 155.
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tont Eickstedt die Zweiteilung der Rassenkunde in einen kulturphilosophischen und naturwissenschaftlich-zoologischen Teil, an welchem sich primär Anatomen und Geographen wie Blumenbach, Zimmermann, Soemmerring und Camper beteiligten.77 Von besonderer Bedeutung für den Rassendiskurs erachtete er wiederum Meiners, den „Gründer der Rassentheorie“.78 Die skizzierten Beispiele illustrieren den Einfluss der Rassentheorien der Aufklärungszeit auf die ihnen nachfolgenden eindrücklich. Sowohl bezüglich der Klassifikation an sich, als auch der Methodik lassen sich zahlreiche Parallelen aufzeigen. Die Rassentheoretiker des 18. Jahrhunderts legten den Grundstein für den wissenschaftlichen Rassismus. Erstmals teilten sie den Menschen anhand somatischer und moralischer Kriterien in ‚Rassen‘ und verbanden ihre Klassifikation mit einer Hierarchie. Sie lancierten einen Diskurs, der sich über die nächsten zwei Jahrhunderte erstrecken und die anthropologische Forschung und politischen Ideologien in fataler Weise beeinflussen sollte.
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Ebd., S. 98. Eickstedt, Geschichte, S. 286.
5. FAZIT Die vorliegende Studie beschäftigte sich mit der Genese der Idee der menschlichen ‚Rasse‘ und damit verbunden der Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus. Sie orientierte sich an der Ideengeschichte und der von ihr vertretenen These, dass Ideen nicht beliebig entstehen, sondern eine Reaktion auf Schwierigkeiten oder Probleme der jeweiligen Zeit darstellen. Abschliessend gilt es, die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung zusammenzufassen und einzuordnen. Entsprechend der zu Beginn skizzierten Fragestellung wird erstens auf die spezifischen Voraussetzungen eingegangen, welche die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus erst ermöglichten und prägend auf ihn wirkten. Zweitens sollen die Klassifikationskriterien, welche den einzelnen Rassentheorien zugrunde lagen, thematisiert werden, wobei es insbesondere die Frage nach der Wertung und einer allfälligen Hierarchie zu rekapitulieren gilt. Drittens soll der Rassendiskurs noch einmal Revue passieren, indem nicht nur die Frage nach den Akteuren, sondern auch nach Kontinuitäten, Veränderungen sowie Brüchen aufgegriffen und gezeigt wird, welche Dynamiken sich entwickelten und inwiefern die einzelnen Theorien sowohl inhaltlich wie auch methodisch aufeinander aufbauten. Abschliessend sollen einige weiterführende Überlegungen über die Bedeutung des Rassendiskurses der Aufklärungszeit innerhalb der Geschichte des Rassismus angestellt werden. Dabei stellt sich auch die Frage, inwiefern dieser mit den Theorien, die sich mit dem Phänomen der ‚Rasse‘ und des Rassismus auseinandersetzen, zu vereinbaren ist. EUROPÄISCHE EXPANSION, AUFKLÄRUNG, VERÄNDERTES WISSENSCHAFTSBILD, NEUE KOMMUNIKATIONSRÄUME – DIE IDEE MENSCHLICHER ‚RASSEN‘ ALS PRODUKT IHRER ZEIT Obwohl die Etablierung der Rassentheorien dem aufklärerischen Prinzip der Gleichheit aller Menschen widersprach, müssen diese als Produkt ihrer Zeit, als Resultat eines Zusammentreffens mehrerer Faktoren, verstanden werden: Vor dem Hintergrund der europäischen Expansion, der Aufklärung sowie eines veränderten Wissenschaftsverständnisses vermischten sich frühere anthropologische Diskurse mit der in der Entstehung begriffenen Idee der ‚Rassen‘. Doch erst der Aufstieg der Akademien, die zunehmende Verbreitung der Zeitschriften sowie eine intensive Briefkultur sorgten dafür, dass sich der Rassendiskurs nicht nur punktuell auf einige wenige Akteure und Orte beschränkte, sondern zu einem europaweiten Phänomen wurde. Der europäischen Expansion fiel eine eigentliche Doppelrolle bei der Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus zu; einerseits generierte sie das Wissen über die fremden Völker, andererseits erzeugte sie ein Klima, das vom Glauben an
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die europäische Superiorität geprägt war. Die Entdeckung und Eroberung weitläufiger Gebiete liess den Aussereuropäer in das Bewusstsein der Europäer treten. Diese sahen sich mit einer Bevölkerung konfrontiert, zu der sich kaum kulturelle Anknüpfungen finden liessen, was bereits im 16. Jahrhundert zu einer Hinterfragung des eigenen Weltbildes und zur Entstehung eines anthropologischen Diskurses geführt hatte. Die Unterwerfung der indigenen Bevölkerung schlug sich im europäischen Weltbild nieder und bestärkte die Europäer in ihrer Überzeugung von der eigenen – politischen, kulturellen wie auch moralischen – Überlegenheit. Die Klassifikation von Menschen in ‚Rassen‘ verbunden mit der Installierung der Weissen an ihrer Spitze war nicht zuletzt Ausdruck der Bemühung, die koloniale Wirklichkeit abzubilden. Sie bildete ein nur scheinbares Abbild der politischen Realität und einen Versuch, die Dominanz der Europäer wissenschaftlich zu begründen und schlussendlich auch zu legitimieren. Der eurozentrische Standpunkt, der sich in der Beschreibung des Aussereuropäers widerspiegelt, ist nicht zuletzt auf die Reiseliteratur zurückzuführen. In einer Zeit, in welcher das Reisen einer Minderheit vorbehalten blieb und in der die meisten Gelehrten den Aussereuropäer nur vom Hörensagen kannten, stellten die Reiseberichte oftmals die einzige Informationsquelle über die aussereuropäische Lebenswelt dar. Sie förderten zwar das Interesse an fremden Ländern und Völkern und regten zur Reflexion über die menschliche Natur an, widerspiegelten aber auch den europäischen Wertehorizont und schafften damit neue Realitäten. Über lange Zeit primär dem Unterhaltungsgenre zugerechnet, gewann die Reiseliteratur im 18. Jahrhundert an Bedeutung für die Wissenschaft. Doch nur ein kleiner Anteil genügte den wissenschaftlichen Ansprüchen, der tendenziöse Charakter der Berichte sowie der nur schwer zu überprüfende Wahrheitsgehalt stellte die Gelehrten vor eine Herausforderung. Die europäische Expansion schuf ein Klima, welches prägend auf den Rassendiskurs wirkte. Doch erst in Verbindung mit der Aufklärung sowie einem veränderten Wissenschaftsverständnis konnte sich jenes Klima entfalten, das von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Idee der ‚Rasse‘ sein sollte. Die Aufklärung führte zu einer Transformierung des Denkens, welche sich durch das Streben nach Erkenntnis und Wahrheit auszeichnete. Vernunft, Tugend, Freiheit, Moral, Humanität und Kritik wurden zu ihren zentralen Forderungen. Damit einher ging ein allgemeiner Machtverlust anerkannter Autoritäten, an deren Stelle die menschliche Vernunft trat. Das religiöse Weltbild wurde in Frage gestellt, nicht jedoch die Existenz Gottes an sich. Dieser nahm vielmehr einen festen Platz in der ‚grossen Kette des Seins‘ ein – eine Idee, die sich grosser Beliebtheit erfreute und durch das Prinzip der Konstanz der Arten, der Kontinuität sowie der Fülle auszeichnete. Obwohl das Konzept der ‚grossen Kette des Seins‘ einer nicht rationalisierten Welt angehörte und die Existenz von Fabel- und Mischwesen zuliess, bekannte sich die Mehrheit der frühen Rassentheoretiker zur Idee der ‚Kette des Seins‘. Ihre Visualisierung fand sie in der Taxonomie, zu der die frühen Rassentheorien zugerechnet werden müssen. Die Vorstellung einer hierarchischen Aufbaus der Natur, in welcher jede Kreatur ihren angestammten Platz einnahm, wurde auf die Menschen übertragen und führte zu einer Hierarchisierung innerhalb der menschlichen Varietät. Sie be-
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förderte den Glauben an die Existenz von Mittelwesen, welche den Menschen mit dem Tierreich verbanden – ein Platz, der oftmals dem Schwarzen zugewiesen wurde. Zugleich verhinderte aber das Kontinuitätsprinzip die endgültige Enthumanisierung des Nichteuropäers. Obwohl der Rassendiskurs des 18. Jahrhunderts im Widerspruch zu den aufklärerischen Idealen von Gleichheit und Freiheit aller Menschen stand, lieferte gerade die Aufklärung jene Voraussetzungen, die seine Entstehung überhaupt erst ermöglichten. Die Vorstellung menschlicher ‚Rassen‘ bedingte die Grundannahme, dass objektiv feststellbare Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen existieren würden. Diese bildeten die Basis einer jeden Klassifikation und waren zugleich Ausdruck der Überzeugung von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen – eine Vorstellung, die wiederum das Konzept von Gleichheit bedingte. Indem die Rassentheoretiker einen allgemein gültigen, eurozentrisch geprägten Wertemassstab anwendeten, implizierten sie, dass gewisse kulturelle und moralische Verhaltensweisen von universaler Gültigkeit seien. Nur unter dieser Annahme konnte ein divergierendes Äusseres oder kulturelles Verhalten als Zeichen einer natürlichen Ungleichheit erfasst und schlussendlich als Beweis einer Inferiorität gewertet werden. Die Entstehung der Rassentheorien widersprach zwar der von der Aufklärung propagierten Vorstellung der Gleichheit aller Menschen, indem sie deren Ungleichheit zementierte, verinnerlichte aber zugleich die von ihr entwickelten Konzepte der Gleichheit, Menschheit und Universalität. Aufklärung und Wissenschaft bildeten dabei eine fruchtbare Symbiose. Die von der Wissenschaft betriebene Auseinandersetzung mit dem bestehenden Naturund Weltbild sowie der kritischen Reflexion von Traditionen trug massgeblich zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins bei. Die religiös geprägte Vorstellung der Welt wurde durch die wissenschaftliche Kritik in Frage gestellt, der auf dem Gebiet der Wissenschaft erzielte Fortschritt beeinflusste und veränderte das Weltbild der Menschen nachhaltig. Die Wissenschaft prägte das aufgeklärte Denken, doch ohne die Aufklärung wären deren Ausübung sowie die von ihr erzielten Fortschritte kaum möglich gewesen. Erst die Loslösung von alten Dogmen und hemmenden Hindernissen ermöglichten die Entstehung der neuen Wissenschaften, wobei der Wunsch nach Wahrheit, die Suche nach auf Beobachtung basierender Erkenntnisse sowie der Glaube an den Fortschritt als verbindende Elemente fungierten. An die Stelle von Religion, Tradition und Aberglaube trat neu die Wissenschaft, die sich um ein rationales Verständnis der Welt bemühte. Bestärkt wurde der wissenschaftliche Fortschritt durch eine stetige Verbesserung auf dem Gebiet der Beobachtungs- und Messtechniken, was zugleich zu einem rasanten Anstieg an neuen Forschungsobjekten führte. Der Glaube an die Möglichkeit, die Natur mittels naturwissenschaftlicher Methoden erforschen und deren Gesetzmässigkeiten entschlüsseln zu können, gewann an Bedeutung. Die Wissenschaft des 18. Jahrhunderts charakterisierte sich durch eine Differenzierung und Neuorganisation bisheriger Disziplinen, welche zunehmend ineinander übergriffen, sowie einen rasanten Anstieg neuer Forschungsobjekte. Die erkenntnistheoretischen Grundlagen aus dem 17. Jahrhundert wirkten sich dabei prägend auf das Wissenschaftsverständnis der Aufklärungszeit aus; die auf Beobach-
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tung beruhende, methodisch gesicherte Erkenntnis gewann an Bedeutung. Damit verbunden war ein grundsätzlich veränderter methodischer Zugang. Neben der Mathematisierung der Natur veränderte insbesondere die Hinwendung zu Erfahrung und Experimenten die Wissenschaft nachhaltig. Zugleich rief der Zuwachs an neuen Beobachtungen nach grundlegenden Ordnungs- und Klassifikationsprinzipien. Eine Möglichkeit, die Beobachtungen zu verarbeiten und brauchbar zu machen, bot die Naturgeschichte, zu welcher die frühen Rassentheorien gehörten. Sie bildete eine Reaktion auf die Akkumulation an Wissen, welche in einer zunehmenden Anzahl an Forschungsobjekten ihren Ausdruck fand, und die nach grundlegenden Ordnungs- und Klassifizierungsprinzipien verlangten. Zugleich wäre sie ohne die zahlreichen Erfindungen auf dem Gebiet der Beobachtungs- und Messtechniken kaum möglich gewesen. Der Rassendiskurs der Aufklärungszeit muss nicht zuletzt vor dem Hintergrund des sich wandelnden Wissenschaftsverständnisses betrachtet werden. Erst die Loslösung von alten Dogmen ermöglichte die Einteilung der Menschheit in ‚Rassen‘. Anstelle der Heilsgeschichte zur Begründung der menschlichen Vielfalt trat neu die Naturgeschichte. Der Mensch wurde als Naturphänomen erachtet, welches es wie jedes andere Lebewesen mittels naturwissenschaftlichen Methoden zu erforschen und entschlüsseln galt. Die Klassifikation der Menschen in ‚Rassen‘ war damit nicht zuletzt Ausdruck des Glaubens, die Welt systematisch erfassen und die Gesetzmässigkeiten der Natur abbilden zu können. Sie war ein Versuch, die Stellung des Menschen innerhalb des natürlichen Systems rein rational zu erklären und die sichtbaren, äusserlichen Unterschiede empirisch zu begründen. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Vielfalt war nicht der Aufklärung vorbehalten, sondern stellte eine Fortsetzung bereits bestehender anthropologischer Diskurse dar, die sich mit der in der Entstehung begriffenen Idee der ‚Rassen‘ vermischten. Mehrere Diskursmuster wie die Diskussion um die Herkunft der Menschheit, die Suche nach dem Bindeglied zwischen dem Menschen und dem Tierreich, der Versuch, die Diversität der Menschheit mittels der Klimatheorie zu erklären sowie der Antagonismus zwischen ‚wild‘ und ‚zivilisiert‘ lassen sich teilweise bis in die Antike zurückverfolgen und wurden von den Rassentheoretikern aufgegriffen und modifiziert. Die frühen Rassentheorien stellten einen Versuch dar, die europäische Expansion und die damit verbundene Dominanz rational zu erklären. Sie waren ein Produkt ihrer Zeit, ein Abbild des Glaubens, die Welt systematisch erfassen zu können und die Natur entschlüsseln, ihre Gesetzmässigkeiten abbilden zu können. Doch ohne die Entstehung neuer Kommunikationsräume – den Akademien, der wissenschaftlichen Zeitschrift sowie einer durch eine Verbesserung des Transportwesens hervorgerufenen intensivierten Gelehrtenkorrespondenz – hätte sich der Rassendiskurs kaum zu einem gesamteuropäischen Phänomen entwickelt, welches sich gegen die Jahrhundertwende bis nach Amerika ausbreitete und an dem zahlreiche namhafte Gelehrte verschiedenster wissenschaftlichen Disziplinen teilnahmen. Von zentraler Bedeutung für die Verbreitung der Idee menschlicher ‚Rassen‘, war die im Zuge der Aufklärung herausgebildete Organisation der Gelehrten jenseits der traditionellen Kommunikationskanäle und Machtzentren. Bereits seit dem 17. Jahrhundert lässt sich die Institutionalisierung einer unabhängigen Forschung
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beobachten; eine Entwicklung, die eng verknüpft war mit dem Aufstieg der Akademien. Diese setzten sich aktiv für die Förderung wissenschaftlicher Erkenntnisse ein. Sie waren Orte des Austausches jenseits territorialer Grenzen, boten Raum, neue Methoden zu diskutieren und aktuelle Problemstellungen zu erörtern. Die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben waren vielfältig und reichten von der finanziellen Förderung interdisziplinärer Projekte sowie Forschungsreisen bis hin zur Veröffentlichung von Editionen und Zeitschriften. Letztere stellten einen neuen Typus wissenschaftlicher Kommunikation dar und trugen wesentlich zur Beschleunigung des Wissenstransfers bei. Sie boten nicht nur Raum für die Veröffentlichung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern informierten auch über die wichtigsten Neuerscheinungen auf dem nationalen wie auch internationalen Büchermarkt. Aufgrund der periodischen Erscheinungsform eignete sich das Medium zudem insbesondere zur Austragung von Disputen. Die Zeitschrift stellte dabei eine Institutionalisierung der Gelehrtenkorrespondenz dar, ohne diese jedoch zu verdrängen. Vielmehr zeichnete sich das 18. Jahrhundert durch eine lebendige Briefkultur aus. Zahlreiche Gelehrte standen in schriftlichem Kontakt zueinander und tauschten sich über die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus. Der rege Briefverkehr war Ausdruck eines neuen Wissenschaftsverständnisses, gemäss welchem Wissen durch Austausch erlangt wurde. Zugleich liess der Brief aber auch Raum für den persönlichen Kontakt. Die Bedeutung dieser neuen Kommunikationsräume manifestierte sich auch im Rassendiskurs der Aufklärungszeit. Die Mitgliedschaft in den Akademien vereinfachte den frühen Rassentheoretikern die internationale Vernetzung und diente insbesondere bei Reisen innerhalb Europas als Türöffner. Die Akademien ermöglichten den Schreibtischgelehrten, Schüler an die von ihnen finanzierten Expeditionen zu schicken und verhalfen ihnen so neben neuem Wissen auch zu Ausstellungsstücken für ihre Sammlungen. Indirekt nahmen die Akademien nicht zuletzt Einfluss auf den Verlauf des Diskurses, was sich anhand der Person Joseph Banks, dem Präsidenten der Royal Society, beispielhaft aufzeigen lässt. Banks bildete eine Schnittstelle zwischen Forschungsreisen, Wissenschaft und Politik. Er stand mit zahlreichen bedeutenden Rassentheoretikern wie Linné, Hunter, Camper, Blumenbach und Forster in Kontakt und vernetzte sie untereinander. Zugleich trug er wesentlich zur Entwicklung der Kraniologie bei, indem er Blumenbach mehrmals bei der Beschaffung von aussereuropäischen Schädeln behilflich war. Intensiviert wurden die Kontakte durch einen ausgedehnten Briefverkehr. Insbesondere im deutschen Sprachraum lässt sich im letzten Viertel eine ausführliche Korrespondenz zwischen den einzelnen Rassentheoretikern konstatieren. Diese zeugt nicht nur von Freundschaften und Animositäten, sondern auch von einer Zusammenarbeit. Schriften sowie Objekte wurden ausgetauscht, Neuerscheinungen besprochen sowie um Veröffentlichung einer positiven Rezensionen als Antwort auf einen Verriss gebeten. Letzteres bildete nicht zuletzt eine Reaktion auf die zunehmende Bedeutung der Zeitschriften, welche zu einer Beschleunigung des Wissenstransfers führten und in welchen Kontroversen wie jene zwischen Kant und Forster ausgetragen wurden.
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Alle diese genannten Faktoren trugen dazu bei, dass der Rassendiskurs nicht rein zufällig entstand, sondern vielmehr als Ergebnis einer spezifischen Konstellation mehrerer Faktoren verstanden werden kann. EINE VIELZAHL AN KLASSIFIKATIONSKRITERIEN UND MÖGLICHEN ‚RASSEN‘– DIE SCHAFFUNG VON DIFFERENZ UND DIE EUROZENTRISCHE SICHTWEISE ALS EINENDE ELEMENTE Von Beginn an beschränkte sich der Rassendiskurs nicht alleine auf rein somatische Unterscheidungskriterien. Bereits Petty ging in seiner unveröffentlichten Einteilung der Menschen in Schwarze, Weisse und Bewohner des Nordens von einer grundsätzlichen Verschiedenheit aus. Neben äusserlichen Klassifikationskriterien wie Haare, Hautfarbe, Nasenform, Lippen, Wangenknochen und Gesicht sowie Schädelform – womit sich bereits sämtliche späteren somatischen Hauptklassifikationskriterien finden lassen – unterschieden sich die Menschen auch bezüglich ihrer Sitten sowie der Qualities of their Minds. Damit wies die wenig durchdachte und skizzenhafte Einteilung bereits auf zwei Klassifikationskriterien, welche den Rassendiskurs der Aufklärung prägen sollten: Die Einteilung der Menschheit anhand des Kriteriums der geographischen Herkunft – wie bei Bernier, einem weiteren Vorläufer – sowie der Hautfarbe, wobei die Anzahl an ‚Rassen‘ variierte. Der eigentliche Beginn des Rassendiskurses wird gemeinhin bei Linné festgesetzt, dessen Taxonomie ein Denksystem offenbarte, in welchem die Menschen erstmals anhand der Hautfarbe und der geographischen Herkunft systematisch in ‚Rassen‘ eingeteilt wurden. Bereits bei ihm zeigte sich ein Wandel: Beschränkte er sich in der ersten Fassung auf die Hautfarbe und geographische Herkunft als alleinige Klassifikationsmerkmale, verband er diese in der endgültigen Version von 1758/59 mit geistigen, moralischen und kulturellen Eigenschaften, was den tendenziösen Charakter der Klassifikation unterstrich. Im Gegensatz zu Linné, der sich auf eine stichwortartige Beschreibung der einzelnen Phänotypen beschränkte, zeichnete sich Buffons Rassentheorie durch die detaillierten Schilderungen der einzelnen Phänotypen aus, welche sowohl somatische und kulturelle als auch moralische Klassifikationskriterien beinhaltete. Buffon teilte die Menschen anhand der Hautfarbe, der Grösse und Form sowie den nationalen Eigenschaften in Varietäten ein, die Reihenfolge der Beschreibungen war geographisch und klimatisch begründet. Seine Klassifikation wurde später über weite Teile von Goldsmith übernommen, dessen Einteilung ebenfalls auf dem Prinzip der geographischen Herkunft sowie der Hautfarbe basierte, während Zimmermann versuchte, die Verschiedenheit ausschliesslich geographisch zu erklären. Neben der geographischen Herkunft bildete die Hautfarbe das dominierende Klassifikationsmerkmal. Kant war der erste, welcher die Hautfarbe als alleiniges Unterscheidungskriterium einführte, was zumindest vordergründig das Fehlen eines Werturteils bedeutete. Zumindest in seinen rassentheoretischen Schriften hielt sich Kant auch daran, während er an anderer Stelle die Klassifikation mit der Fähigkeit, Bildung anzunehmen, verband. Auch für Girtanner stellte die Hautfarbe das
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Hauptkriterium dar. Er verband die Klassifikation aber mit somatischen Beschreibungen sowie dem Versuch, die Idee der ‚Rasse‘ zu historisieren. Indem er zusätzlich zur Hautfarbe kraniologische und anatomische Unterscheidungskriterien herausarbeitete, versuchte er zugleich die Theorien Blumenbachs und Kants miteinander zu vereinbaren. Mit der Aufnahme anatomischer Klassifikationskriterien folgte er einer allgemeinen Tendenz, welche sich im letzten Viertel des 18. Jahrhundert beobachten lässt. Selbst Nicht-Anatomen wie Metzger, der sich anfänglich noch geweigert hatte, Menschen in ‚Rassen‘ einzuteilen und stattdessen von unzähligen Varietäten gesprochen hatte, bedienten sich der Kraniologie. Metzger ging von zwei Hauptvarietäten aus, von weissen und schwarzen Menschen, wobei die Hautfarbe erneut dominierte. Daneben glaubte er, auch bezüglich der Kopfform sowie der Hirngrösse Unterschiede ausmachen zu können. Die Hinwendung zur vergleichenden Anatomie und Kraniologie bedeutete eine vordergründige Abkehr von der Hautfarbe als wichtigstes Klassifikationskriterium. Stattdessen gewannen Körperbau, Haare, Kopfform sowie Knochen an Bedeutung. Die Hautfarbe als bestimmendes Unterscheidungskriterium wurde zumindest vordergründig marginalisiert. Doch auch wenn insbesondere Camper, Blumenbach und Soemmerring die Hautfarbe nur noch als sekundär betrachteten, bildete sie noch immer die Voraussetzung für eine Klassifikation. Die Fokussierung auf die anatomischen Unterschiede war dabei nicht gleichbedeutend mit der Abwesenheit kultureller und moralischer Klassifikationskriterien. So erachtete der Anatom Hunter die Hautfarbe als bestimmendes Klassifikationskriterium und zeigte sich überzeugt, dass sich die verschiedenen Phänotypen nicht nur bezüglich ihrer Statur, sondern auch in den geistigen Fähigkeiten und in ihrer Sitte unterscheiden würden. Allgemein lässt sich konstatieren, dass die radikalsten Theorien, wie sie von Long und Meiners formuliert wurden, immer somatische, kulturelle und moralischer Klassifikationskriterien aufwiesen. Die diffamierende Rassentheorie Longs, welche die Menschen in Weisse, Schwarze und Orang-Utangs einteilte, basierte auf somatischen, moralischen wie auch kulturellen Kriterien und beinhaltete eine klare Hierarchie. Long erachtete den Schwarzen nicht nur als Mittelwesen, sondern stellte diesen teilweise gar als den Tieren unterlegen dar. Auch Meiners KlassifikaKlassifikation in helle schöne und dunkle hässliche Nationen basierte vordergründig auf dem Prinzip der Hautfarbe. Allerdings ging er von einer vollumfänglichen Inferiorität der Nichtweissen aus, was sich in zahlreichen Passagen, in welcher er das Aussehen, die Kultur und den moralischen Stand der einzelnen Völkern erörterte, manifestiert. Einige wenige Gelehrte weigerten sich, die Menschen in ‚Rassen‘ einzuteilen. Ihre Kritik am Konzept bedeutete jedoch nicht, dass sie sich der Unterschiede im Menschengeschlecht nicht bewusst waren. So verzichtete Smith auf eine Klassifi Klassifi-kation in ‚Rassen‘ und teilte die Menschen stattdessen in civilized nations und savages ein. Herder wiederum lehnte den Rassenterminus ab, da dieser der kulturellen Vielfalt nicht gerecht wurde und teilte die Menschheit in sechs geographisch begründete Grossgruppen ein, welche eine Vielzahl an Völkern enthielten. Die Beschreibungen enthielten primär somatische Charakterisierungen und belegen die eurozentrisch geprägte ästhetische Sichtweise Herders. Mehrmals stellte er zudem
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einen Bezug zur Regierungsform und zum Charakter des jeweiligen Volkes her, wobei er sich bemüht zeigte, die Eigenart eines Volkes mit der Lebensart zu begründen und auf eine Wertung zu verzichten. Die Vielfalt an möglichen somatischen, kulturellen und moralischen Klassifikationskriterien zeugt von der Willkür der Festlegung von Unterscheidungsmerkmalen und zugleich von der Illusion, Ungleichheit empirisch nachzuweisen. Die Rassentheorien der Aufklärungszeit dokumentieren nicht zuletzt den Glauben an die Überlegenheit der ‚weissen‘ Europäer. In seiner Extremform führte dies zu einer systematischen Diffamierung der Schwarzen wie im Falle Edward Longs und Charles White oder zu einer systematischen Diskreditierung aller Nicht-Weissen wie bei Christoph Meiners. Nicht immer verfolgten die Rassentheoretiker das Ziel, eine Wertung vorzunehmen oder eine Hierarchie zu postulieren. Doch auch wenn sie bewusst darauf verzichteten, war die Schaffung von Differenz ein wesentliches Element jeder Rassentheorie. Diese Zweischneidigkeit lässt sich insbesondere an Blumenbach, Camper und Herder illustrieren, welche sich durch ihre relativierenden Bemerkungen von ihren Zeitgenossen abhoben. So erachtete Blumenbach die Klassifikation in Varietäten nicht als abgeschlossenes Ereignis, sondern als Prozess. Er ging zwar von Idealtypen aus, machte aber auf die Vielzahl von Ausnahmen aufmerksam und warnte vor der Gefahr, welche von direkten Vergleichen zwischen den einzelnen Phänotypen ausging. Doch indem er die kaukasische Varietät als Mittelform bestimmte und diese als schönste betitelte, zeigte auch er sich gefangen in einer eurozentrischen Denkweise. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich bei Herder machen. Herder war ein Gegner der Klassifikation der Menschen in ‚Rassen‘ und plädierte dafür, alle Menschen als gleichwertig zu erachten, vereint in ihrer Vielfalt. Er versuchte, eine Wertung zu vermeiden, was ihm aber nur teilweise gelang, da auch bei ihm ästhetische Stereotype präsent waren. Camper wiederum postulierte zwar keine Hierarchie, die Anordnung der Phänotypen gemäss dem Gesichtswinkel bot aber Raum zu deren Interpretation. Die Illustration liess den Schwarzen als Mittelglied zwischen dem Weissen und dem Affe erscheinen, zugleich konnte die Abbildung als Werteskala der Schönheit interpretiert werden, an deren Spitze der antike Apollo stand und an deren Ende der Schwarze. Ungleichheit konnte nicht nur über das äussere Erscheinungsbild geschaffen werden. Eine Möglichkeit bot sich über die Verbindung des Konzepts der ‚Rasse‘ mit jenem des Zivilisationsstandes, wie es sich in mehreren Rassentheorien beobachten lässt. Buffon ordnete den Menschen aufgrund der Kulturstufen hierarchisch, wobei der Grad an Zivilisation abhängig vom Klima war. Kant wiederum begründete die Superiorität der Weissen mit dem Faktor der Zivilisation und befand nur sie zu Aufklärung, Kultur, Zivilisation und somit zu Fortschritt fähig. Girtanner begründete den Entwicklungsstand einer ‚Rasse‘ nicht zuletzt mit einem Rückgriff auf deren Geschichte, was zu einer Historisierung der Idee führte. Smith hingegen weigerte sich, die Menschen in ‚Rassen‘ zu klassifizieren und teilte sie stattdessen in civilized nations und savages ein, wobei die weisse Hautfarbe und europäische Gesichtszüge nicht zuletzt als Indikator für den Zivilisierungsgrad dienten. Seine Einteilung war wertend, aber nicht deterministisch angelegt, da sich selbst ‚wilde‘ Völker weiterentwickeln konnten und grundsätzlich zu Fortschritt fähig waren. Der
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Weisse bildete zwar den Wertmassstab, aber eine Anpassung an ihn war über den Faktor der Zeit nicht ausgeschlossen. Meiners Einteilung der verschiedenen Völker in verschiedene Kulturstufen hingegen war irreversibel und entsprach über weite Teile seiner Klassifikation in schöne hellle und dunkle hässliche Nationen. Die Gründe für die Werturteile, die sich in vielen Rassentheorien finden lassen, können nicht alleine auf ein generelles, europäisches Überlegenheitsdenken sowie ein eurozentrisches Schönheitsideal reduziert werden. Insbesondere in dem hierarchischen Aufbau, welcher mehreren Theorien zugrunde lag, widerspiegelte sich die Idee der ‚Kette des Seins‘. Bereits bei Petty diente die Vorstellung eines hierarchischen Aufbaus der Natur als Ausgangspunkt und führte zu einer Relativierung der Position des Menschen innerhalb des natürlichen Systems. Auch Linnés biologisches Ordnungssystem, welches eine systematische Einteilung aller Lebewesen beinhaltete, an deren Spitze Gott als oberste Autorität waltete, basierte auf der Idee der ‚Kette des Seins‘. Nicht der empirische Beweis diente als Ausgangspunkt, sondern vielmehr die Idee an sich. Die Natur wurde als abgeschlossener Akt verstanden, eine Weiterentwicklung war ausgeschlossen, jede Kreatur nahm ihren festen, angestammten Platz innerhalb des natürlichen Systems ein. Zugleich bedingte der hierarchische Aufbau die Existenz von Mittelwesen, was verheerende Konsequenzen für aussereuropäische Völker haben konnte. Long diente der angeblich graduelle Aufbau der Natur als Argument für die Ansiedlung des Schwarzen als Mittelglied zwischen Weissen und Affen. Soemmerring stellte den hierarchischen Aufbau der Natur ebenfalls als gegeben dar. Er bestritt zwar eine direkte Verwandtschaft zwischen dem Affen und dem Menschen, trug aber wesentlich dazu bei, die angebliche Ähnlichkeit zwischen Schwarzen und Affen als wissenschaftlich erwiesen darzustellen. Eine rigorose Anwendung der Idee der ‚Kette des Seins‘ bildete Whites rassentheoretische Studie: Den hierarchischen Aufbau der Natur galt es nicht mehr zu beweisen, vielmehr bildete er den Ausgangspunkt der Studie Whites, in welcher der Engländer den Schwarzen näher beim Tierreich ansiedelte als den Weissen. Der kurze Abriss zeigt das Spektrum an möglichen Klassifikationskriterien, welche sich in den Rassentheorien der Aufklärungszeit finden lassen, wobei nicht jeder Rassentheorie per se eine Hierarchie oder explizite Wertung zugrunde liegen musste. Während somatische Merkmale nur theoretisch wertfrei sein konnten, enthielten kulturelle und moralische Klassifikationskriterien praktisch immer eine wertende Komponente. Diese lässt sich nicht zuletzt auf den Vergleich zurückführen, welcher ein zentrales Element jeder Rassentheorie ausmachte. Die Gegenüberstellung der verschiedenen ‚Rassen‘ offenbarte Differenzierungen innerhalb des Menschengeschlechts, wobei jegliche kulturelle und moralische Divergenz aufgrund des europäischen Wertehorizonts, welcher den Theorien zugrunde lag, als Abweichung verstanden wurde. Doch selbst in Einteilungen, welche sich auf das äussere Erscheinungsbild beschränkten, lässt sich die Existenz eines eurozentrisch geprägten, ästhetischen Idealbilds nachweisen und damit auch ein implizites Werturteil.
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METHODISCHE WEITERENTWICKLUNG UND VERSCHMELZUNG MEHRERER DISKURSMUSTER Die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus in der Aufklärungszeit bildete keinen einheitlichen Diskurs, zu vielfältig waren seine Akteure. Naturgeschichtsschreiber, Naturforscher, Reisende, Anatomen, Mediziner, Theologen, Philosophen, Populärphilosophen bis hin zu Plantagenbesitzer beteiligten sich an der Diskussion, wobei die Protagonisten als Universalgelehrte teilweise mehreren Disziplinen zugerechnet werden müssen. Neben weniger bekannten, zuweilen in Vergessenheit geratenen Rassentheoretikern, nahmen auch zahlreiche Koryphäen wie Linné, Kant, Buffon, Blumenbach, Forster und Herder am Diskurs teil. Gemeinsam war ihnen, dass die Auseinandersetzung mit den menschlichen ‚Rassen‘ nur ein Teilgebiet ihres Schaffens darstellte und oftmals in Vergessenheit geriet, während ihre Bedeutung für die jeweilige Disziplin bis heute kaum in Abrede gestellt wird. Territoriale Grenzen spielten bei der Entstehung der Idee der ‚Rasse‘ von Beginn an eine untergeordnete Rolle, vielmehr handelte es sich um einen Diskurs, der in den verschiedensten Ländern aufgegriffen, rezipiert und weitergeführt wurde. Von England über Frankreich, Schweden, Deutschland, die Schweiz, Schottland, die Niederlanden und zur Jahrhundertwende auch die USA beteiligten sich die Gelehrten an der Diskussion. Publiziert wurde – mit Ausnahme von Linné und Hunter – in den jeweiligen Landesprachen. Trotz Sprachbarriere wurden die Schriften breit rezipiert, was nicht zuletzt auf die von mehreren Gelehrten wie Soemmerring oder White getätigten Übersetzungen rassentheoretischer Schriften zurückzuführen ist. Die Vielfalt der Akteure widerspiegelte sich auch in ihrer Herangehensweise an das Phänomen. Eine Fülle von Disziplinen wie der Taxonomie, Naturgeschichte, Geschichte der Menschheit, vergleichenden Anatomie, Medizin über die Ästhetik, Kunst, Physiognomie bis hin zur Philosophie setzte sich mit der Idee auseinander. Der von ihnen verfolgte Ansatz sowie die Methodik variierten dabei stark. Gemeinsam war ihnen, dass die Reiseliteratur von Beginn an eine der Hauptquellen des Wissens darstellte. Das methodische Vorgehen der frühsten Rassentheoretiker zeichnete sich durch wenig Transparenz aus, eine Reflexion über die gewählte Methode fand kaum statt. Quelle des Wissens bildete neben der Reiseliteratur der Kontakt mit afrikanischen Bediensteten (Petty), die auf Reisen gemachten Erfahrungen (Bernier) sowie eigene Untersuchungen (Maupertuis). Teilweise kann über das methodische Vorgehen – wie bei Linné – lediglich spekuliert werden. Erst mit Buffon trat ein Wandel hin zu mehr Transparenz ein: Der Franzose war der erste, welcher seine Quellen in Fussnoten angab – ein Vorgehen, das sich in der Folge weitgehend durchsetzen sollte. Die Bandbreite an möglichem Quellenmaterial war enorm: Antike Schriften fanden genauso Einlass wie die neusten Reiseberichte, wobei mehrheitlich mit Paraphrasen, teilweise aber auch direkten Zitaten bis hin zu eigens dafür angefertigten Übersetzungen gearbeitet wurde. Die Schwierigkeit, den Wahrheitsgehalt der Berichte zu überprüfen, versuchten mehrere Gelehrte insofern zu umgehen, als dass sie die einzelnen Berichte miteinander verglichen, um so die Authentizität der Quelle sicherzustellen. Eine weitere Herausforderung bildete die ständige Akkumulation von neuem Wissen, welches in die Studien integriert wer-
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den musste. Die Fülle an neuem Material nahm zur Jahrhundertwende derart zu, dass sich die Gelehrten zu deren Bewältigung kaum mehr im Stande sahen – was bereits Zeitgenossen auffiel. Dabei zeigte sich, dass die Rassentheoretiker oftmals die gleichen Quellen kontaktierten, diese jedoch verschieden gewichteten und interpretierten, was nicht zuletzt die massiv divergierenden Befunde erklärt. Hinzu kam, dass die Beschreibungen (wie bei Meiners oder White) oftmals primär der Verifikation der eigenen Untersuchungsergebnisse dienten. Bestandteil der Entwicklung hin zu mehr Transparenz bildete die Diskussion um das richtige methodische Vorgehen. Dies konnte in Form einer kritischen Selbstreflexion wie im Falle Blumenbachs geschehen oder eines Methodenstreites wie jener zwischen Forster und Kant, welcher nicht zuletzt die Frage nach der Bedeutung von Erfahrung und der daraus resultierenden Verwendung empirischer Beobachtungen und deren Ordnung aufgriff. Der Rassendiskurs der zweiten Jahrhunderthälfte charakterisierte sich nicht nur durch vermehrte Transparenz, sondern auch durch neue methodische Ansätze. Neben der Reiseliteratur, auf welche sich praktisch ausnahmelos alle Protagonisten stützten, gewann die Rezeption rassentheoretischer Studien an Bedeutung und zwar jenseits aller Disziplin-, Sprach- und Ländergrenzen. Dies konnte relativ unkritisch wie im Falle Goldsmiths geschehen, der laienhaft versuchte, die Taxonomie Linnés mit der Naturgeschichte Buffons zusammenzuführen und dessen wenig innovative Rassentheorie zu weiten Teilen an Buffon erinnert. Andere Akteure erwiesen sich als differenzierter. Sie lehnten sich methodisch (wie auch inhaltlich) an die Vorgängertheorien an, griffen Teilaspekte auf und übernahmen oder kritisierten diese – ein Vorgehen, das profunde Kenntnisse des Rassendiskurses voraussetzte. Beispielhaft ist die Untersuchung Zimmermanns, der sich eines dialektischen Vorgehens bediente, indem er gegenteilige Argumente ebenfalls in seine Studie aufnahm, um sie anschliessend zu widerlegen. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts fand mit der vergleichenden Anatomie sowie der Kraniologie eine Erweiterung des methodischen Spektrums zur Erklärung der verschiedenen menschlichen Phänotypen statt. Gelehrte wie Camper, Blumenbach, Soemmerring, Hunter und White trugen wesentlich zum Glauben bei, dass sich rassische Unterschiede auch in der Anatomie des Menschen manifestieren würden und somit empirisch messbar seien. Damit verbunden war die Aufnahme zahlreicher neuer Klassifikationskriterien. Während sich Camper auf den Gesichtswinkel beschränkte, konzentrierte sich Blumenbach vornehmlich auf den Schädel. Soemmerring, der selber Obduktionen an Schwarzen durchführte und sich der Methode der vergleichenden Anatomie bediente, weitete die möglichen Unterscheidungskriterien auf den ganzen Körper aus. White erweiterte das methodische Repertoire nochmals, indem er Vermessungen am lebenden Objekt vornahm. Nicht immer konnten sich die neuen Methoden durchsetzen. So stiess das von Lavater entwickelte ‚Stirnmaass‘, das erstmals die Intelligenz in direkte Korrelation zur Stirnform setzte, auf keinerlei Resonanz und sollte erst im 19. Jahrhundert in einer modifizierten Form wieder aufgegriffen werden. Die Teilnahme von Anatomen am Rassendiskurs führte zu einer Verwissenschaftlichung des Rassendiskurses. Gelehrte wie Hunter erachteten sich als objektive Wissenschaftler und bemühten sich
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um eine rein naturwissenschaftliche Argumentationsweise, indem sie sich auf messbare, empirisch feststellbare Unterscheidungskriterien beschränkten. Indem sie nach Gesetzmässigkeiten suchten, trugen sie nicht zuletzt zu einer Mathematisierung der Rassentheorien bei – eine Entwicklung, die in der vermehrten Integration von Tabellen sowie Abbildungen zum Ausdruck kam. So unterschiedlich die Herangehensweise und die Klassifikationskriterien auch sein mochten, sowohl für die Naturgeschichte wie auch für die vergleichende Anatomie war die vergleichende Methode von fundamentaler Bedeutung. Erst der Vergleich der verschiedenen Phänotypen und der daraus resultierenden Fokussierung auf die Divergenz ermöglichten eine Klassifikation in ‚Rassen‘. Zentrales Element dabei bildete die Herstellung von Analogien, welche die Formulierung von Verallgemeinerungen zuliessen, die schlussendlich ein Hauptcharakteristikum der Rassentheorie bildeten. Ein beliebtes Mittel stellten insbesondere Analogien zum Tierreich dar, die zur Verunglimpfung aussereuropäischer Völker beitrugen, indem sie deren angebliche Bestialität und Wildheit betonten. Die einzelnen Theorien bauten nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich aufeinander auf. Wesentliche Impulse erfuhr der Diskurs durch die gegenseitige Rezeption sowie Kritik. Die Theorien stellten oftmals eine Reaktion auf vorhergehende dar, weshalb ihre Bedeutung erst im Kontext des Rassendiskurses vollumfänglich verstanden werden kann. Anhand zweier Beispiele lässt sich diese Verzahnung besonders gut illustrieren. Erstens: Beispielhaft für den Einfluss, welcher eine Theorie auf den weiteren Verlauf des Rassendiskurses ausüben konnte, war Buffons Naturgeschichte, die ihrerseits einen Gegenentwurf zu Linnés Taxonomie darstellte. Buffon kritisierte Linnés Natursystem als willkürlich und unvollständig, es beruhe auf Annahmen, die in der Praxis von geringem Nutzen seien, während seine Naturgeschichte eine natürliche Ordnung wiedergebe, die auf einer vollumfänglichen Beschreibung aller Arten basiere – ein Richtungsstreit, welcher den weiteren Verlauf des Diskurses nachhaltig prägte. Buffons Naturgeschichte rückte erstmals die Frage nach gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen in den Fokus. Seine Theorie der Reproduktion und die damit verbundene Definition einer Spezies dienten zahlreichen Rassentheoretikern als Beweis für einen monogenetischen Ursprung der Menschheit. Zu ihnen zählte auch Kant, der Buffons Terminologie übernahm und ins Deutsche übersetzte. Auch die Festsetzung des weissen, zivilisierten Europäers als Prototyp, wie sie Buffon vornahm, sollte sich weitgehend durchsetzen. Buffons Wirkung entfaltete sich aber auch über die Grenze der Naturgeschichte hinweg: Seine klimatheoretischen Ausführungen übten einen prägenden Einfluss auf die Ästhetik aus, wie das Beispiel Winckelmanns zeigt. Doch auch in der Anatomie stiess er auf Widerhall, wie das Beispiel Hunter beweist, der nicht nur Buffons Definition einer Spezies übernahm, sondern auch dem Klima eine bestimmende Rolle bei der Zugehörigkeit zu einer Varietät einräumte. Goldsmith, Zimmermann, Lavater, Camper, Girtanner, Blumenbach, Forster, White, Smith – sie alle zeigten sich von Buffons Naturgeschichte beeinflusst. Selbst der Polygenist und Gegner der Klimatheorie Lord Kames nahm Buffons Definition der Spezies zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung.
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Zweitens: Kants Auseinandersetzung mit dem Rassenbegriff illustriert die Zunahme an Abhängigkeiten, welche den Diskurs prägten. Sie bildete eine Reaktion auf die Zunahme polygenetischer Ideen sowie auf eine Veröffentlichung Herders, dessen „Ideen“ ihn später dazu veranlassen sollten, seine Theorie noch einmal zu präzisieren. Kants Bemühungen, den Rassenbegriff wissenschaftlich brauchbar zu machen, dienten wiederum als Auslöser zu einer Reihe von weiteren rassentheoretischen Untersuchungen. Girtanner versuchte, den Kantischen Grundsatz auf die Naturgeschichte zu übertragen und mit dem Bildungstrieb Blumenbachs zu vereinbaren. Metzger sah sich als Mediziner gezwungen, Kants Theorie der Keime zurückzuweisen und stützte sich dabei auf Herder, Zimmermann und Blumenbach. Forster wiederum sah sich erst durch Kant veranlasst, in den Rassendiskurs einzugreifen, woraufhin Kant noch einmal seine Theorie präzisierte. Lavater veröffentlichte Ausschnitte aus Kants rassentheoretischer Untersuchung und empfahl sie seinen Lesern zur Lektüre, Blumenbach adaptierte zeitweise seine Terminologie und übernahm seine Beobachtung der Beständigkeit der Hautfarbe. Neben der gegenseitigen Rezeption und der Übernahme von Theorien, lassen sich auch inhaltliche Kontinuitäten beobachten: Bereits existierende anthropologische Diskussionen vermischten sich mit rassentheoretischen Überlegungen und bildeten ein Konglomerat. Dies lässt sich insbesondere an der Diskussion um den Ursprung der Menschheit, der Auseinandersetzung mit der Milieutheorie sowie anhand des ästhetischen Diskurses illustrieren: Die Suche nach einer Erklärung für die Differenzierung innerhalb des Menschengeschlechts stellte eine Konstante im Rassendiskurs dar. Eine radikale Möglichkeit, diese zu erklären, bot die Theorie eines polygenetischen Ursprungs, welche im m 18. Jahrhundert ihren theologisch begründeten Charakter verlor. Rassische, quasi-wissenschaftliche Argumentationsmuster fanden Eingang, genauso wie der Antagonismus ‚wild‘ und ‚zivilisiert‘, womit eine Verschmelzung mehrerer anthropologischer Diskursmuster stattfand. Bereits Voltaire verband seine polygenetische Überzeugung mit einer auf somatischen Charakteristika basierenden Einteilung der Menschheit in Schwarze und Weisse, welche eine klare Hierarchie zugunsten letzterer beinhaltete. Die Frage nach dem Ursprung der Menschheit war bei Voltaire frei von jeglichen religiösen Bezügen, stattdessen war die polygenetische Herkunft vernunftbegründet. Bei Hume lässt sich zusätzlich eine Vermischung polygenetischer und rassischer mit kulturalistischen Argumenten beobachten. Hume ging von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen aus, die sich in den intellektuellen Fähigkeiten und kulturellen Möglichkeiten manifestiere, und die er auf den polygenetischen Ursprung zurückführte. Die weisse Hautfarbe fungierte dabei als Kennzeichen einer natürlichen und permanenten Superiorität, Nichtweisse waren per se unfähig zur Zivilisation, Kunst und Wissenschaft. Damit stellte Hume erstmals einen Kausalzusammenhang zwischen ‚Rasse‘ und Kultur her. Gemeinsam war Hume und Voltaire, dass sie frei von jeglichen religiösen Dogmen argumentierten. Die Verschiedenheit der Menschen liess sich empirisch feststellen, die polygene Abstammung bildete die Konsequenz. Eine noch deutlichere Bezugnahme zum Rassendiskurs fand bei Lord Kames statt, der seine These eines polygenetischen Ursprungs in die bestehende Diskussion über die menschlichen ‚Rasse‘ zu integrieren versuchte. Kames
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bemühte sich, mittels wissenschaftlicher Methoden wie Vergleichen und Analogien den getrennten Ursprung der Menschheit zu beweisen, wobei eine Integration der These in den Rassendiskurs stattfand. Im Gegensatz zu Voltaire und Hume zeigte er sich jedoch bemüht, den polygenen Ursprung der Menschheit mit der biblischen Schöpfungslehre in Einklang zu bringen. Festzuhalten ist, dass die Polygenisten das ganze 18. Jahrhundert über eine Minderheit darstellten und sich die Mehrzahl der Rassentheoretiker zum Monogenismus bekannte. Das Eintreten für einen gemeinsamen Ursprung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass alle Menschen gleich waren. In einzelnen Fällen wie bei Zimmermann und Kant führte gerade die Zurückweisung polygener Theorien zur Entstehung einer eigenen Rassentheorie. Das Beispiel Forster, der eine polygenetische Haltung vertrat, um auf die Nichtbeweisbarkeit eines monogenetischen Ursprungs hinzuweisen, zeigt wiederum auf, dass ein polygenetischer Ursprung nicht immer als Argument für die Minderwertigkeit gewisser Völker diente. Die These eines polygenetischen Ursprungs stand in Opposition zur Klimatheorie, welche sich auch im 18. Jahrhundert grosser Beliebtheit erfreute, während die Ernährung als Erklärungsansatz eine untergeordnete Rolle spielte. Die auf Zimmermann zurückgehende Wanderungstheorie konnte sich ebenfalls nicht durchsetzen. Als richtungsweisend sollte sich Buffons Naturgeschichte erweisen, die dem Klima eine zentrale Rolle zuschrieb. Das Milieu fungierte als Orientierungspunkt bei der Beschreibung der einzelnen Varietäten, lieferte eine Erklärung für deren Diversität und begründete die Superiorität der weissen Europäer. Zugleich offenbarte sich bei Buffon aber auch die Grenze der Klimatheorie zur Erklärung der menschlichen Diversität. Die Gleichheit der Amerikaner liess sich kaum mit der Milieutheorie vereinbaren, weshalb Amerika für Buffon einen Frühzustand darstellte. Damit offenbarte sich eine Schwachstelle, an welcher die frühen Rassentheorien generell litten: Die Theorie orientierte sich letztendlich nicht an den verschiedenen Völkern, sondern deren Beschreibung diente primär der Verifikation der zuvor ausformulierten Theorie. Die Mehrheit der Rassentheoretiker bediente sich – wenn auch nicht ausschliesslich – der Milieutheorie, um die Diversität der Menschen zu erklären. Dies bedeutete, dass rassische Merkmale nicht als unabänderlich erachtet wurden, sondern sich gegebenenfalls (unter Berücksichtigung des Zeitfaktors) verändern konnten. Lediglich eine Minderheit erachtete die einer ‚Rasse‘ zugeschriebenen Charakteristika als vererbbar und somit permanent. Dessen Einfluss auf den Diskurs darf jedoch nicht unterschätzt werden. Bereits Bernier begründete das Aussehen der einzelnen espèces mit dem Blut oder dem Samen. Damit dominierte die Vererbung über den Faktor der Umwelt und der Kultur, was einer Distanzierung von der Milieutheorie zur Begründung der menschlichen Vielfalt gleichkam. Maupertuis, dessen Theorie der Vererbung seiner Zeit voraus war, machte erstmals die Hautfarbe von der Vererbung abhängig. Seine Theorie konnte sich nicht durchsetzen und geriet in Vergessenheit, erst 30 Jahre später wurde sie von Kant erneut aufgegriffen und modifiziert: Die Vererbung wurde zu einem wesentlichen Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer ‚Rasse‘. Bereits Kant argumentierte mit dem Blut, welches den Charakter einer Nation präge, eine Sichtweise, die bei Meiners noch einmal
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eine Verschärfung erfuhr. Damit einher ging sowohl bei Kant wie auch Meiners die Angst vor einer Vermischung. Kant sah in ihr eine Gefahr für die weisse Race, Forster erachtete sie als widernatürlich und Meiners fürchtete um die Blutsreinheit der edlen Völker, um zugleich die Irreversibilität des Vorgangs zu unterstreichen. Damit widersprachen sie Buffon und Herder, gemäss welchen die Vermischung nicht zu einer Degenration, sondern vielmehr zu einer Aufwertung respektive Veredelung führte. Die Angst vor einer möglichen Degeneration hingegen war nicht neu, sondern lässt sich bereits bei Buffon finden, wo sie jedoch klimatisch bedingt war. In den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts widerspiegelte sich eine Denkweise, welche geprägt war von der Überzeugung der Überlegenheit der europäischen Zivilisation. Fortschritt und Zivilisation definierten sich dabei primär in Abgrenzung gegenüber dem ‚Wilden‘, ‚Unzivilisierten‘, dem Rückständigen, Barbarischen und Unterlegenen. Die Differenzierung zwischen dem ‚Wilden‘ und dem ‚Zivilisierten‘, dem Superioren und Inferioren bildete eine Hauptkomponente der Argumentationsweise, wie sie sich in den Rassentheorien des 18. Jahrhunderts finden lässt.1 Die Differenzierung zwischen ‚zivilisierten Europäern‘ und ‚wilden Aussereuropäern‘ lässt sich bereits früher beobachten, neu hinzu kam der Faktor der Zeit, welcher eng mit dem Fortschrittsgedanken verbunden war. Dies führte dazu, dass der zivilisatorische Stand der einzelnen Völker mit dem Entwicklungsgedanken in Verbindung gebracht wurde, was zu einer zusätzlichen Kategorie der Differenzierung führte: Während die ‚zivilisierten‘ Völker mit Fortschritt und Überlegenheit in Verbindung gebracht wurden, galten die ‚wilden‘ als rückständig und inferior.2 Bereits Buffon entwickelte eine Rassentheorie, welche die Menschen aufgrund ihrer Kulturstufe hierarchisch einordnete. Allerdings waren die verschiedenen Kulturstufen nicht unabänderlich, sondern beeinflusst durch Faktoren wie die Vermischung, das Klima, die Zeit sowie die Degeneration. ‚Wildheit‘ wurde als negativ erachtet, wobei Buffon eine Verbindung zum Aussehen herstellte, wenn er ‚wilde‘ Völker per se als hässlich und minderwertig deklarierte. Doch erst Hume sollte einen Kausalzusammenhang zwischen Kultur und Rasse herstellen. Für ihn war die weisse Hautfarbe Kennzeichen einer angeborenen und permanenten Superiorität, während er die Nichtweissen als unfähig zur Zivilisation, Kunst und Wissenschaft erachtete. Diese Sichtweise wurde von Kant geteilt, der ebenfalls implizit seine rassischen Ausführungen mit einer Zivilisationstheorie verband. Girtanner wiederum fürchtete die Degeneration der Weissen, wenn sie mit nicht-zivilisierten Völkern in Kontakt kämen, was sich nicht nur in Sitte sondern auch im Aussehen widerspiegeln würde. Smith hingegen verzichtete auf eine Klassifikation der Menschen in ‚Rassen‘, stattdessen unterschied er zwischen ‚Wilden‘ und ‚Zivilisierten‘. Erstere wiesen gemäss ihm einen beschränkten Intellekt auf, was sich wiederum im Aussehen manifestieren würde. Allerdings schloss er als Verfechter der Klimatheorie eine Weiterentwicklung, sprich Zivilisierung nicht per se aus. Auch Meiners fürchtete die – in seinem Fall unwiderrufliche – ‚Verwilderung‘ der hellen, schönen Völker. Parallel zur Klassifikation in helle, schöne und dunkle, hässliche Völker 1 2
Vgl. auch Geulen, Rassismus, S. 45. Vgl. Ebd., S. 48f.
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entwickelte er eine Einteilung gemäss der Kulturstufe, welche durch die jeweilige Lebeweise bestimmt wurde. Alle diese Beispiele zeugen von einer zunehmenden Verschmelzung mehrerer Diskursmuster. Die Diskussion um den zivilisatorischen Stand eines Volkes vermischte sich mit rassentheoretischen und ästhetischen Überlegungen, wobei die Klimatheorie sowie die Angst vor einer Degeneration der Weissen miteinflossen. Gemeinsam war ihnen, dass sie ‚Wildheit‘ als Zeichen von Inferiorität erachteten. Lediglich bei Herder blitzte der Mythos des ‚edlen Wilden‘ durch, wenn er die Humanität der ‚Wilden‘ im Vergleich zu den ‚Zivilisierten‘ betonte. Die Vermischung ästhetischer mit rassentheoretischen Überlegungen – wie sie sich auch in der Diskussion um den Zivilisationsstand offenbarte – bildete ein weiteres, wesentliches Charakteristikum des Rassendiskurses der Aufklärungszeit. Von Beginn an wirkte das eurozentrisch geprägte, ästhetische Idealbild prägend auf den Rassendiskurs. Bereits Bernier rühmte die Schönheit der europäischen Frauen ebenso wie Buffon. Nicht immer war ein Werturteil derart explizit wie im Falle Meiners, der Schönheit als objektiv messbar erachtete und die Menschen in helle, schöne, und dunkle, hässliche Nationen einteilte. Implizit übte die ästhetische Idealvorstellung jedoch immer auch einen Einfluss auf die Bewertung der einzelnen menschlichen Phänotypen aus. Selbst Blumenbach, der sich bemühte, eine Wertung zu vermeiden, bezeichnete die kaukasische Varietät als die schönste und erhob sie zur Mittelform. Der rassentheoretische und ästhetische Diskurs beeinflussten sich gegenseitig. Einerseits manifestiert sich in den Rassentheorien neben einem deutlich eurozentrisch geprägten Schönheitsideal der Einfluss pseudowissenschaftlicher Disziplinen wie der Physiognomie. Andererseits bediente sich die Ästhetik der Anthropologie und stützte sich nicht zuletzt auf naturwissenschaftliche Methoden. Winckelmann und Kant waren die ersten, welche ihre ästhetischen Theorien mit anthropologischen Überlegungen verbanden. Wincklemanns Rückbesinnung auf das antike Schönheitsideal sollte prägend auf den Rassendiskurs wirken, wobei er sich seinerseits methodisch der Beobachtung und Klassifikation bediente und inhaltlich auf Buffons Vererbungslehre sowie Montesquieus Klimatheorie stützte. Sein exklusives und wertendes Schönheitsideal begründete Winckelmann mit dem Milieu: Das gemässigte Klima war nicht nur verantwortlich für die regelmässigen Gesichtszüge und Körper seiner Bewohner, sondern brachte zugleich auch die erhabensten Menschen hervor. Die Gleichsetzung von Moral und Ästhetik lässt sich praktisch zeitgleich bei Kant beobachten, welcher zudem die erste ästhetische Schrift verfasste, die menschliche Varietäten berücksichtigte. Einen prägenden Einfluss auf den Rassendiskurs hatte insbesondere die Physiognomik Lavaters, der – wie später auch Grohmann – sich auf mehrere Rassentheorien stützte. Für Lavater bildete das Aussehen einen Spiegel zur Seele, was insbesondere für den Aussereuropäer fatale Folgen hatte, da Wildheit und Hässlichkeit als Zeichen einer moralischen und geistigen Minderwertigkeit interpretiert wurden. Der Glaube, dass das Aussehen Auskunft über das Innenwesen gebe, lässt sich später sowohl bei Girtanner, White, Smith wie auch Herder nachweisen, welche sich alle mit Lavaters Physiognomik befasst hatten.
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Zwei Punkte sollen im Folgenden noch Erwähnung finden: die marginale Bedeutung der Juden in den Rassentheorien, welche in starkem Kontrast zu den Folgejahrhunderten stand, sowie die Auseinandersetzung mit der Sklaverei. Während die Juden im 19. und 20. Jahrhundert eine der ‚Hauptrassen‘ bildeten, wurden sie im Rassendiskurs der Aufklärungszeit – wenn überhaupt – der ‚weissen Rasse‘ zugerechnet. Dies mag nicht zuletzt darin begründet sein, dass – trotz gegenteiliger Beteuerung – die Hautfarbe das Hauptklassifikationsmerkmal bildete. Erwähnung fanden die Juden zumeist, wenn es galt, die Richtigkeit der Klimatheorie in Frage zu stellen. Mehr Aufmerksamkeit wurde ihnen primär im ästhetischen Diskurs zuteil. So ging Camper, der eine Schnittstelle zwischen vergleichender Anatomie und Ästhetik bildete, von einer typisch jüdischen Gesichtsbildung aus. Eine verstärkte Hinwendung lässt sich insbesondere in der Physiognomik Lavaters (und später auch bei Grohmann) beobachten, welche die Juden als eigenständiges Volk mit typischen, objektiv feststellbaren Eigenschaften darstellte. Damit nahm die Physiognomik etwas vorweg, was sich erst in den Rassentheorien des 19. Jahrhunderts feststellen lässt: Die Behandlung der Juden als eigenständiges Volk respektive später als ‚Rasse‘. Einzig bei Meiners lässt sich – wenn auch in begrenztem Masse – eine rassentheoretische Auseinandersetzung mit den Juden konstatieren. Seine Ausführungen zeugen von einer areligiös begründeten Abneigung gegenüber den Juden, wobei sich die Zugehörigkeit zur jüdischen Nation über das Blut definierte. Trotz dieser Vorwegnahme blieb eine Auseinandersetzung mit ihnen jedoch sekundär, das Interesse der Rassentheoretiker an den Juden blieb das ganze 18. Jahrhundert über gering. Auch die Sklaverei und die Frage nach deren Rechtmässigkeit spielten nur am Rande eine Rolle; die Mehrzahl der frühen Rassentheoretiker schwieg sich darüber aus. Eine Ausnahme bildete Buffon, der die unmenschliche Behandlung der Sklaven durch gewisse Sklavenhalter anprangerte, aber aufgrund der angeblichen Inferiorität der Schwarzen darauf verzichtete, die Rechtmässigkeit der Versklavung in Frage zu stellen. Kants Position zur Sklaverei war widersprüchlich. Einerseits gab er Empfehlungen zur korrekten Züchtigung von Sklaven ab und war von einer natürlichen Inferiorität der Schwarzen überzeugt, andererseits leitete er aus der angeblichen Minderwertigkeit keinerlei Bezug zur Sklaverei her, bezog aber auch nie Stellung gegen die Versklavung. Bei Long und Meiners hingegen lässt sich eine klare Verknüpfung zwischen Rassentheorie und Legitimierung der Sklaverei finden lässt. Insbesondere bei Long zeigte sich die für die Sklavereidebatte charakteristische Verbindung mit der Diskussion um den Ursprung der Menschheit, wobei polygenetische Theorien den Befürwortern der Sklaverei als Beweis für die angeborene, natürliche Ungleichheit der Schwarzen dienten und deren Versklavung legitimierten. Meiners wiederum bemühte sich aktiv um den Beweis der juristischen Legitimierung der Sklaverei. Die angeborene moralische und sittliche Inferiorität der Schwarzen lieferte die Rechtfertigung der rechtlichen Schlechterstellung und deren Versklavung, welche zu ihrem eigenen Wohl stattfinde. Stimmen gegen die Sklaverei waren unter den Rassentheoretikern ebenfalls rar: Während Whites Aussage gegen die Sklaverei wenig überzeugend wirkte und zurecht in Frage gestellt wird, schrieben Forster und Smith explizit gegen sie an. Die mehrheitliche Gleich-
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gültigkeit kann als Indiz dafür gewertet werden, dass Theorie und Praxis im 18. Jahrhundert noch weitgehend getrennt waren. Die Rassentheorien boten ein Werkzeug zur Erklärung der europäischen Dominanz an, jedoch waren sie noch nicht politisch. Diese für das 19. Jahrhundert typische Entwicklung – die politische Nutzung der Rassentheorien – lässt sich erst bei Long und Meiners ansatzweise beobachten. Der Rassendiskurs der Aufklärungszeit war im Laufe des Jahrhunderts einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Die Veränderungen lassen sich einerseits in den rassentheoretischen Schriften und Positionen der einzelnen Gelehrten beobachten, die nicht zuletzt Ergebnis eines Austausches waren und von einer methodischen wie auch inhaltlichen Weiterentwicklung zeugen. Kant, Blumenbach, Soemmerring, Smith, Meiners – sie alle modifizierten ihre Theorien im Laufe der Zeit. Dies konnte wie bei Soemmerring anlässlich einer kritischen Rezension geschehen oder wie bei Blumenbach als Ergebnis einer methodischen Weiterentwicklung. Die Position der einzelnen Rassentheoretiker darf deshalb nicht als statisch erachtet werden. Zu vielfältig waren ihre Äusserungen, wobei teilweise – wie im Falle Campers oder Blumenbachs – auch eine nachträgliche Verzerrung durch die Rezeption stattfand. Andererseits war auch der Rassendiskurs als Ganzes einem Wandel unterworfen. Dessen Analyse zeigt auf,, dass sich sowohl methodische als auch inhaltliche Parallelen zwischen den Theorien finden lassen und diese kontinuierlich aufeinander aufbauten. Trotzdem bildete der Diskurs keinen linearen Prozess; zu vielfältig waren die Theorien und der methodische Ansatz. Von einer kontinuierlichen, allgemeinen Radikalisierung zu sprechen, wäre verfehlt, da sich auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts relativierende Stimmen wie jene Blumenbachs beobachten lassen. Allerdings gab es Akteure wie Long, White und Meiners, welche die Radikalisierung vorantrieben. Zugleich kam es in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts zu einer schleichenden Popularisierung des Diskurses. Beschränkte sich der Rassendiskurs der Aufklärungszeit anfänglich auf die Gelehrtenwelt, beteiligte sich mit Edward Long erstmals ein Nichtakademiker. Methodisch unterschied er sich kaum von den anderen Rassentheoretikern, während seine Klassifikation sowie die Verbindung von rassentheoretischen Argumenten zur Verteidigung der Rechtmässigkeit der Sklaverei eine deutliche Radikalisierung markierte. Ein weiteres Beispiel war Goldsmith, dessen stark simplifizierende Rassentheorie ausserhalb der Gelehrtenkreise auf grosse Resonanz stiess und so zu einer Popularisierung beitrug. Lavater wiederum rezipierte nicht nur den Rassendiskurs, sondern bemühte sich aktiv um den Austausch mit frühen Rassentheoretikern. Indem er sich einerseits direkt mittels Lektüreempfehlung an seine zahlreichen Leser wandte und andererseits Ausschnitte aus rassentheoretischen Schriften publizierte, trug auch er zu einer Popularisierung bei. All dies war Ausdruck einer intensivierten Auseinandersetzung mit der Idee der ‚Rassen‘, welche sowohl in einer methodischen Weiterentwicklung und Diversifikation zum Ausdruck kam, wie auch in einer steigenden Anzahl an Rassentheoretikern sowie einem rapiden Anstieg an rassentheoretischen Schriften.
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DIE ENTSTEHUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN RASSISMUS – EIN VERSUCH, DAS IRRATIONALE ZU RATIONALISIEREN Die Vorstellung von ‚Rasse‘ unterlag im 18. Jahrhundert einem kontinuierlichen Wandel. Neben der geographischen Herkunft sowie der Hautfarbe und weiteren somatischen Eigenschaften gewannen kulturelle und moralische Klassifikationskriterien schnell an Bedeutung. Im Zuge des Aufkommens der vergleichenden Anatomie sowie der Entstehung der Kraniologie fand eine weitere Ausweitung der Klassifikationsmerkmale auf Schädel und Knochen statt. Die Vielfalt an Unterscheidungsmerkmalen widerspiegelte sich auch in der Einteilung der Menschen in Phänotypen: Die Rassentheorien unterschieden sich nicht nur bezüglich der Klassifikationsmerkmale, sondern auch in der Anzahl an vermeintlichen ‚Rassen‘ sowie ihrer Terminologie, was die These von Miles und Brown, dass es sich bei der Idee der ‚Rasse‘ von Anfang an um eine gesellschaftliche Fiktion und nie um ein biologisches Faktum gehandelt habe, stützt. Wie auch Taguieff plädieren sie für den Einbezug gesellschaftlicher Realitäten, um das Phänomen der ‚Rasse‘ verstehen zu können. Dieser Sichtweise, welche den Fokus auf den gesellschaftlichen Prozess richtet, versucht die vorliegende Arbeit – wie bereits erläutert – durch den Einbezug der politischen und gesellschaftlichen Ausgangslage in Kapitel 2 Rechnung zu tragen. Der Einfluss der Politik und der Gesellschaft auf den Rassendiskurs offenbart sich auch in seiner Analyse. Der Rassendiskurs reagierte auf die europäische Expansion, indem er wie im Falle Blumenbachs, der als Reaktion auf die Entdeckung der Südsee eine fünfte Varietät, jene der Australasiaten und Polynesen (später: malaiische Varietät) aufnahm. Rassentheorien entstanden nicht unabhängig vom jeweiligen politischen Kontext, sondern widerspiegelten nicht zuletzt die realen Herrschaftsverhältnisse und konstruierten eine scheinbar wissenschaftliche Sichtweise auf das Fremde. Die Analyse des Rassendiskurses offenbart in mehreren Fällen aber auch den Einfluss politischer Veränderungen auf die einzelnen Akteure und damit auf den weiteren Verlauf des Diskurses. Während die Französische Revolution beispielsweise bei Meiners auf Ablehnung stiess und zu seiner Radikalisierung beitrug, verband Forster die Freiheits- und Gleichheitsidee mit der Forderung nach einer Befreiung der Sklaven und der Postulierung der Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von ihrer rassischen Zugehörigkeit. Im 18. Jahrhundert wurde ‚Rasse‘ primär als wissenschaftliche Ordnungskategorie verstanden, die politisch-ideologische Aufladung, wie sie der Begriff in den Folgejahrhunderten erlebte, war erst ansatzweise vorhanden. Lange Zeit bildete der Terminus ein Sammelsurium an möglichen Klassifikationskriterien, welche sowohl auf eine körperliche, kulturelle, geographische wie auch moralische Differenz abzielten. Kant war der erste, dem die fehlende Prägnanz und die uneinheitliche Verwendung des Begriffs auffielen und der ihn wissenschaftlich brauchbar zu machen versuchte. Ob allerdings, so Geiss, 1775 tatsächlich eine Zäsur markierte, welche in der von ihm eingeführten Unterscheidung zwischen einem Proto-Rassismus und Rassismus zum tragen kommt, ist umstritten. Die Analyse des Rassendiskurses der Aufklärungszeit bestätigt diese kritische Sichtweise. Zwar war das Jahr 1775 tatsächlich von Bedeutung für die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus:
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Kant publizierte seinen Essay „Von den verschiedenen Racen der Menschen“, Blumenbach promovierte mit der ein Jahr später veröffentlichten Schrift „De generis humani varietate nativa“. Beide Akteure nahmen eine prägende Rolle innerhalb des Rassendiskurses ein, Blumenbach als Vater der wissenschaftlichen Anthropologie und Erfinder der Kraniologie, Kant als Begründer des wissenschaftlichen Rassenbegriffs. Doch der unmittelbare Einfluss ihrer 1775 veröffentlichten Werke blieb beschränkt, von grösserer Bedeutung waren die darauffolgenden Publikationen, welche eine Modifikation sowie eine theoretische und methodische Weiterentwicklung darstellten. Blumenbach beispielsweise entwickelte das kraniologische Verfahren zur Bestimmung der Varietäten erst mehrere Jahre später. Hinzu kommt, dass die beiden Schriften nur im Kontext des zeitgenössischen Rassendiskurses verstanden werden können. Geiss‘ Argumentation, 1775 als Zäsur zu betrachten, ist zwar einleuchtend, läuft aber Gefahr, den Rassendiskurs auf einige wenige Akteure zu beschränken und deren Bedeutung zu überhöhen. Bei der Entstehung des wissenschaftlichen Rassendiskurses handelte es sich aber um einen Prozess, der sich nur schwer auf ein bestimmtes Jahr reduzieren lässt. Er stellte ein gesamteuropäisches Phänomen dar, das sich durch zahlreiche Rezeptionsbeziehungen und Anknüpfungspunkte charakterisierte: Die einzelnen Rassentheorien bauten aufeinander auf, sie lebten von der Kritik und den Bezügen zu anderen Theorien, eine einseitige Festlegung auf ein konkretes Jahr läuft deshalb Gefahr einer Reduktion und verhindert unter Umständen, dem Phänomen gerecht zu werden. Zu Beginn der vorliegenden Studie wurde auf die von Todorov eingeführte Unterscheidung zwischen ‚racisme‘, einem Verhalten, das sich in Ablehnung bis hin zu Hass gegenüber einem Individuum äussert, und ‚racialisme‘, der Ideologie menschlicher ‚Rassen‘ hingewiesen. Zwischen ‚racisme‘ und ‚racialisme‘ muss dabei nicht notwendigerweise eine Beziehung bestehen. Diese differenzierte Sichtweise findet ihre Bestätigung im Rassendiskurs der Aufklärungszeit. Gerade Akteure wie Camper und Blumenbach, welche sich gegen das Stereotyp der angeblichen Minderwertigkeit der Schwarzen wehrten, beweisen, dass nicht jeder Rassentheoretiker eine rassistische Gesinnung aufweisen musste. Radikale Vertreter der Idee einer natürlichen Ungleichheit wie Long und Meiners, welche durch diffamierende Schilderungen der Aussereuropäer auffielen und eine Politisierung des Diskurses vorantrieben, zeigen wiederum auf, dass das eine das andere nicht ausschloss. Gemäss Todorov beinhaltete der ‚racialisme‘ – also die rassische Ideologie – fünf Voraussetzungen: den Glauben an die Existenz von Rassen, die Herstellung einer Verbindung zwischen dem physischen Erscheinungsbild und dem Charakter, den Glauben, dass das Verhalten des Einzelnen gruppenabhängig sei, eine Hierarchie der Werte sowie eine auf dem rassischen Wissen basierende Politik. Vier der fünf Begebenheiten lassen sich auch im Rassendiskurs der Aufklärungszeit nachweisen, wobei der fünfte Punkt – die Übertragung der Theorie auf die Praxis – bewusst ausgeklammert wurde. Allerdings offenbart eine Analyse des Rassendiskurses gerade auch dessen Widersprüchlichkeit und Komplexität. Sie zeigt auf, dass eine theoretische Annäherung an das Phänomen, den Menschen in ‚Rassen‘ zu klassifizieren, immer auch einer Simplifizierung gleichkommt. Werden die Theorien als Teile eines Diskurses analysiert und dieser als Ganzes betrachtet, mögen die von
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Todorov herausgearbeiteten Voraussetzungen zutreffend sein. Werden die Theorien jedoch individuell untersucht, zeigt sich, dass nicht jede Rassentheorie zwangsläufig alle Kriterien erfüllen musste. So war Blumenbach – um nur ein Beispiel zu nennen – zwar von der Existenz menschlicher ‚Rassen‘ überzeugt, beschränkte sich jedoch auf die Beschreibung somatischer Merkmale und warnte davor, Rückschlüsse auf den moralischen Stand zu ziehen. Die Analyse des Rassendiskurses der Aufklärungszeit impliziert immer auch die Frage, inwiefern die einzelnen Theorien sowie der Diskurs als Ganzes bereits rassistische Züge aufwiesen. Inwiefern handelte es sich um Wegbereiter, wie sind die Theorien zu werten? An was lässt sich ihre Bedeutung messen und handelte es sich bereits um Rassismus? Diese Fragen, mögen sie auch anachronistisch und schwierig zu beantworten sein, schwingen implizit in der Analyse des Rassendiskurses mit. Eine abschliessende Antwort lässt sich nur schwer finden, zumal sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Unterfangens stellt. Folgt man Ginzburg, ist die Frage, ob es sich bei den frühen Rassentheoretikern um Rassisten handelte, durchaus legitim. Er schlägt deshalb vor, grundsätzlich zwischen zwei Formen von Rassismus zu unterscheiden. Während Rassismus im weiteren Sinne davon ausgehe, dass ‚Menschenrassen‘ existieren würden, gehe die engere Form von Rassismus von einer weder durch Kultur noch Erziehung beeinflussbaren, hierarchischen Gliederung der Menschheit aus.3 Da mit Ausnahme Herders alle analysierten Gelehrten an die Existenz von ‚Rassen‘ glaubten, interessiert mehr die Frage, bei wem es sich um einen Rassisten in einem engeren Sinn handelt. Allerdings, und Ginzburg deutet die Problematik bei seiner Untersuchung Voltaires bereits an, waren die intellektuellen Biographien äusserst komplex und widersprüchlich. Eine ähnliche Komplexität lässt sich beispielsweise bei Kant konstatieren, dessen Position von einer tiefen Ambivalenz zeugt. Einerseits vertrat er überzeugt einen monogenetischen Standpunkt und kritisierte offen den Kolonialismus. Andererseits zeichnete er sich durch die Angst vor Vermischung und die Wiedergabe zahlreicher Stereotypen aus. Sein Denken war geprägt von dem Glauben an die vollumfängliche Superiorität der Weissen, welche er als einzige fähig zu Aufklärung, Kultur und Zivilisation erachtete. Die Komplexität und die Schwierigkeit, eine abschliessende Antwort zu finden, haben gerade in der Kant-Forschung zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Gerade die Berücksichtigung der Rezeption der jeweiligen Theorien zeigt jedoch auf, dass die Fragestellung, ob es sich bei den frühen Rassentheoretikern nun um Rassisten gehandelt habe oder nicht, nur bedingt taugt. Es waren nicht zuletzt Campers Gesichtswinkel und die von Blumenbach entwickelte Kraniologie, welche einen massgeblichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Rassendiskurses haben sollte. Ihre Voten, in welchen sie nicht nur vor einem Missbrauch der von ihnen entwickelten Methoden warnten und die begrenzte Aussagekraft betonten sowie jene, in welchen sie sich gegen eine Diskriminierung der Schwarzen wandten, gerieten hingegen in Vergessenheit. Obwohl die Übertragung der Rassentheorien auf die Praxis nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung darstellt, gilt es festzuhalten, dass der Rassendis3
Vgl. Ginzburg, Tolerance, S. 103.
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5. Fazit
kurs des 18. Jahrhunderts keinesfalls apolitisch war. Erstens bildeten die Rassentheorien ein Abbild der politischen Wirklichkeit. Während die Rassentheorien in der Praxis eine legitimatorische Funktion einnahmen, reagierten sie ihrerseits auf Veränderungen in der herrschaftlichen Beziehung zwischen Aussereuropäern und Europäern. Beispielhaft lässt sich dies anhand der ‚amerikanischen Rasse‘ illustrieren. Im 18. Jahrhundert noch eine der Hauptvarietäten, fand der Amerikaner nach der Dekolonisierung des amerikanischen Kontinents in den Rassentheorien der Folgejahrhunderte keinerlei Erwähnung mehr. Lediglich bei dem amerikanischen Anthropologen Morton lässt sich noch ein gesteigertes Interesse an der Erbringung eines wissenschaftlichen Beweises für die angeblich geistige Minderwertigkeit der Indianer finden, ansonsten verschwand die ‚amerikanische Rasse‘ gänzlich aus den Rassentheorien. Zweitens lässt sich bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts eine Übertragung des Diskurses auf die Praxis beobachten, als Kolonialbeamte und Pflanzer wie Long als Rassentheoretiker in Erscheinung traten. So stützte sich Long auf mehrere Rassentheoretiker, um die natürliche Ungleichheit der Schwarzen zu beweisen. Diese diente ihm zur Legitimierung der Sklaverei, welche das eigentliche Ziel seiner rassentheoretischen Schrift darstellte. Long war nicht der einzige, der sich an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis befand. Christoph Meiners, seines Zeichens königlicher Hofrat, trug wesentlich zur Politisierung des Diskurses bei, indem er aus seiner Rassentheorie auch eine juristische und rechtliche Schlechterstellung der inferioren ‚Rassen‘ ableitete. Während seine These von der Wissenschaft abgelehnt wurde, stiess er bei der Regierung in Hannover auf Wohlwollen. Drittens diente, wie Hund ausführt, die Festsetzung variabler Klassifikationskriterien wie Hautfarbe, Haare, Körperbau, Blut und Knochen dem Herrschaftsanspruch des Weissen. Dieser führte aufgrund seiner Überlegenheit die Menschheit an und symbolisierte die höchste Entwicklungsstufe der Menschheit, woraus sich der Herrschaftsanspruch der Europäer ableiten liess.4 Mechanismen zur Ausgrenzung lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen, genauso wie die Stigmatisierung fremder Völker. Neu war, dass die Aufklärung nicht nur darüber entschied, wer wie zu bewerten sei, sondern diese Bewertung zugleich mit den Argumenten der Vernunft und der wissenschaftlichen Beweisbarkeit verband. Die Rassentheorien propagierten nicht nur ein europäisch geprägtes Schönheitsideal, sondern widerspiegelten auch eine klar eurozentrisch geprägte Moral- und Kulturvorstellung. Wer diesen nicht entsprach, wurde als inferior betrachtet. Selbst in den frühsten Rassentheorien kann der Antagonismus zwischen Einbeziehung und Ausschluss, zwischen dem ‚wir‘ und dem ‚anderen‘, zwischen Gleichheit und Ungleichheit festgestellt werden. Die praktische Umsetzung fand spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Zeit des Imperialismus und der Kolonialisierung Afrikas, Asiens und des Pazifiks durch die Europäer statt. Zu dieser Zeit war die Idee einer europäischen Superiorität bereits vollständig ausgebildet.5 Die Wurzeln dieser Ideologie liegen dabei in der Aufklärung, als erstmals der Mensch in ‚Rassen‘ eingeteilt wurde. 4 5
Hund, Rassimus, S. 15. Vgl. dazu auch McCarthy, Philosophie, S. 628.
5. Fazit
313
Die Rassentheorien des 18. Jahrhunderts stellten einen Versuch dar, das Irrationale zu rationalisieren. Sie griffen jahrhundertealte, populäre Vorurteile auf, verbanden diese mit dem Anspruch an Rationalität und erklärten sie als wissenschaftlich erwiesen. Indem sie Stereotypen aufgriffen, systematisierten und rationalisierten, bildeten sie einen Versuch, diese als empirische Fakten darzustellen. ‚Rasse‘ muss somit primär als imaginäres Produkt menschlichen Intellekts verstanden werden, als Versuch, die menschliche Vielfalt mittels einer Idee fassbar und erklärbar zu machen. Dass diese Idee von Beginn an nicht werteneutral war, belegen die Beliebigkeit der Klassifikationskriterien sowie die Willkür, mit welchen Menschen in ‚Rassen‘ eingeteilt wurden. Die Widersprüchlichkeit, welche sich in den Rassentheorien manifestiert, offenbart nicht zuletzt die Unmöglichkeit, Menschen zu klassifizieren. Die Analyse der Entstehung des Rassendiskurses dokumentiert deshalb nicht nur den Beginn einer Idee, welche bis heute nichts an Brisanz eingebüsst hat und noch immer in zahlreichen Köpfen existent ist, sondern zugleich auch ihre Irrationalität und damit auch ihr Scheitern aufgrund der realen Begebenheiten.
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1775 1778 1781 1784 1784–1791 1785 1786
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Entstehung der unveröffentlichten Abhandlung William Petty’s François Bernier veröffentlicht anonym „Nouvelle division de la Terre par les differentes Espece ou Races d’hommes qui l’habitent“ François Marie Arouet Voltaire: „Traité de métaphysique“ Carl von Linné: „Systema naturae“ Pierre Louis Moreau de Maupertuis: „Vénus physique“ David Hume: „Of National Characters“ Charles de Secondat, Baron de Montesquieu: „De l’esprit des lois“ Georges-Louis, Comte de Buffon: „Histoire naturelle“ François Marie Arouet Voltaire: „Essai sur les moeurs et l’esprit des nation et sur les principaux faits de l’histoire“ Carl von Linné: „Systema natura“ (10. und definitive Ausgabe) Immanuel Kant: „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ Johann Joachim Winckelmann: „Geschichte der Kunst des Alterthums“ Johann Caspar Lavater: „Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (insgesamt vier Versuche) Oliver Goldsmith: „A history of the earth, and animated nature“ Johann Gottfried Herder: „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit“ Lord Kames: „Sketches of the History of Men“ Edward Long: „History of Jamaica“ Johann Friedrich Blumenbach: „De generis humani varietate nativa“ (Erste Ausgabe) John Hunter: „Disputation inauguralis quedam de hominum varietatibus“ Immanuel Kant: „Von den verschiedenen Racen der Menschen“ Eberhard August Wilhelm Zimmermann: „Geographische Geschichte des Menschen und der allgemein verbreiteten vierfüssigen Thiere“ (Erster Band) Johann Friedrich Blumenbach: „De generis humani varietate nativa“ (Zweite Ausgabe) Samuel Thomas Soemmerring: „Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer“ Johann Gottfried Herder: „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ Immanuel Kant: „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ Samuel Thomas Soemmerring: „Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer“ Immanuel Kant: „Muthmasslicher Beginn der Menschheit“ Georg Forster: „Noch etwas über die Menschenrassen“ Johann Daniel Metzger: „Ueber die sogenannten Menschenracen“ Christoph Meiners: „Grundriss der Geschichte der Menschheit“ Immanuel Kant: „Über die theologischen Prinzipien“ Johann Daniel Metzger „Noch ein Wort über Menschenracen“
Lediglich die wichtigsten Veröffentlichungen finden Erwähnung, die Werke innerhalb eines Jahrgangs werden alphabetisch aufgelistet.
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1792 1793 1795 1796 1798 1799 1810
7. Anhang Samuel Stanhope Smith: „An essay on the causes of the variety of complexion and figure in the human species“ Petrus Camper: „Über den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge in Menschen verschiedener Gegenden und verschiedenen Alters“ (Posthume Veröffentlichung) Christoph Meiners: „Grundriss der Geschichte der Menschheit“ Johann Friedrich Blumenbach: „De generis humani varietate nativa“ (Dritte Ausgabe) Christoph Girtanner „Ueber das Kantische Prinzip für die Naturgeschichte“ Johann Gottfried Blumenbach: „Über die natürliche Verschiedenheit im Menschengeschlechte“ (Deutsche Übersetzung) Charles White: „An account of regular gradation in man“ Samuel Stanhope Smith: „An essay on the causes of the variety of complexion and figure in the human species“ (Zweite Ausgabe)
7.2 Abbildungen
7.2 ABBILDUNGEN
Abbildung 1: Darstellung der verschiedenen Phänotypen, in: Goldsmith, History, s.p.
Abbildung 2: Der Campersche Gesichtswinkel, in: Camper: Unterschied, s.p.
343
344
7. Anhang
Abbildung 3: Der Campersche Gesichtswinkel, in: Camper: Unterschied, s.p.
Abbildung 4: Modifizierte Darstellung des Camperschen Gesichtswinkels durch Charles White, in: White, Account, s.p.
7.2 Abbildungen
Abbildung 5:Darstellung eines Schädels der „athiopischen Varietät“, in: Blumenbach, Decades, 1793, s.p.
345
b e i t r äg e z u r e u ro pä i s c h e n ü b e r s e e g e s c h i c h t e bis Band 88: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte
Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte begründet von Rudolf von Albertini, fortgeführt von Eberhard Schmitt, herausgegeben von Markus A. Denzel, Mark Häberlein und Hermann Joseph Hiery.
Franz Steiner Verlag
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ISSN 0522–6848
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Vor dem Hintergrund der europäischen Expansion sowie eines veränderten Wissenschaftsverständnisses entwickelten im 18. Jahrhundert zahlreiche namhafte Gelehrte die ersten Rassentheorien. In einem von religiösen Schranken und geistigen Zwängen losgelösten Klima strebten sie danach, die Natur zu erforschen und ihre Geheimnisse zu entschlüsseln. Auch der Mensch sollte erfasst und in „Rassen“ klassifiziert werden. Dieses Vorgehen war mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit verbunden: Die Untersuchungsergebnisse
sollten empirisch belegt sein, Vorurteile vermieden werden. Indem sie jedoch neben somatischen auch zunehmend moralische und kulturelle Klassifikationsmerkmale einführten und den Europäer zum Maßstab erklärten, war eine Wertung faktisch unvermeidbar. Neue Kommunikationsräume sorgten zudem dafür, dass sich der in der Entstehung begriffene Diskurs nicht nur punktuell auf einige wenige Akteure und Orte beschränkte, sondern den Beginn einer Idee markierte, welche den Verlauf der Geschichte maßgeblich prägen sollte.
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ISBN 978-3-515-11756-2