Die Dreifaltigkeitsikone des Andréj Rubljów
 9783879041084, 3879041083

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Ludolf Müller

Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw

Erich Wewel Verlag

é

Ludolf Müller * Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw

Die Dreifaltigkeitsikone

des Andréj Rubljow von Ludolf Müller

E R IC H W EW EL V E R L A G M Ü N C H E N

Q U E L L E N U N D S T U D IE N Z U R R U S S IS C H E N G E IS T E S G E S C H IC H T E H ER A U SG EBER : LU D O LF M Ü LLER B A N D 10

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Müller; Ludolf: Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw / von Ludolf Müller. 1. Aufl. - München: Wewel, 1990 (Quellen und Studien zur russischen Geistesgeschichte; Bd. 10) ISBN 3-87904-108-3 NE: GT

1. A U FLA G E 1990

© C O P Y R IG H T 1990 BY ER ICH WEWEL V ER LA G , M Ü N CH EN H E R G E ST E LL T IN DEN W ERKSTÄTTEN DER VERLAG UND D R U C K ER EI G . j . M A N Z , D I L U N G E n /D O N A U ALLE R ECH TE V O R B E H A L T E N ■ P R IN T E D IN GERMANY

ISBN 3-S7904-108-3

Meiner liehen Frau Gerlinde geh. Güldemeister

zugeeignet in herzlicher Dankbarkeit fü r viel Liebe und Geduld seit fünfzig Jahren

Inhalt Vorwort

...................

9

1.

Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw . . .

11

2.

Die Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit in der Ostkirche ................. ................................................. .

12

Die Erzählung vom Besuch der drei Engel bei Abraham und ihre theologische Deutung .............

18

Die Darstellung der Abrahamsgeschichte in der christlichen Kunst

28

5.

Das Leben des Andrej Rubljöw

..............................

32

6.

Der dogmatische Gehalt der Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw ..................................................

52

6.1

Die Einheit in der Dreiheit

...................

54

6.2

Die Dreiheit in der Einheit

................

58

6.2.1

Die sechs Möglichkeiten der Zuordnung der drei Engel zu den drei Hypostasen der trinitarischen Gottheit ..................................................

60

6.2.2

Die Zuordnung »Geist - Vater - Sohn«

.................

61

6.2.3

Andere Auffassungen von der Zuordnung der Engel zu den Hypostasen der drei-einen Gottheit . . . .

81

3. 4.

6.2.3.1 Die

Zuordnung IV(Vater - Sohn -

6.2.3.2 Die

Zuordnung III (Vater - G e i s t S o h n )

6.2.3.3 Die Zuordnung II (Sohn - Vater - Geist) 6.3 7.

Geist)

. . . . . 82 . . . . . 90

. . . . .

92

Zusammenfassende Darstellung des theologischen Gehaltes der D reifaltigkeitsikon e.......................

99

Weihegebet über die Dreifaltigkeitsikone , . , , ,

103

A nm erkungen..............................................

107 7

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

.................................

124

Register der Bibelstellen

............................................................

130

Alphabetisches Register

............................................................

131

Verzeichnis der Abbildungen

..................................................

134

Die Abbildungen 1 - 8 ..................................................................

135

8

Vorwort Im Jahre 1985 habeich in der Gedenkschrift für A. A. Simin (Zimin), die in den Vereinigten Staaten von Amerika erschienen ist, einen Aufsatz »zum dogmatischen Gehalt der Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljöw« veröffentlicht. D a dieser Aufsatz bei uns schwer zugänglich ist, sind die dort von mir vertretenen Ansichten sowohl in der wissenschaftlichen wie in der populären Literatur, die seither zu dieser Thematik erschienen ist, kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn diskutiert worden. Ich selbst konnte mich wegen des beschränkten Raumes, der mir in jenem Sammelband zur Ver­ fügung stand, dort auch nicht ausführlich genug mit abweichenden Meinungen auseinandersetzen. Darum lege ich meine Auffassung über den Sinn dieser berühmten Ikone hier noch einmal, in ausführlicherer Form, vor. Die Kapitel 6.2.2 und 6.3 sind weitgehend aus jenem Aufsatz übernommen. Alles andere ist neu gefaßt und wesentlich erweitert worden, das 5. Kapitel (über die Quellen zum Leben Andrej Rubljows) ist völlig neu hinzugekommen. Wer sich vor allem für die Ikone selbst und weniger für die schwierige und umstrittene Frage nach den Lebensumständen ihres Schöpfers interessiert, kann dies Kapitel überschlagen oder sich mit der Zusammenfassung seiner Ergebnisse (auf S. 49—51) begnügen. Im Text des Buches und der Anmerkungen benutze ich eine allgemeinverständliche Umschrift des kyrillischen Alphabetes, bei den Literaturangaben die in den deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken gebräuchliche. Die russischen Eigennamen sind mit Betonungszeichen versehen. Tübingen, am 4. Juli 1990, dem Gedenktag des heiligen Andrej Rubljöw

Ludolf Müller

9

1. Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljow „Umleuchtet von Strahlen des göttlichen Lichtes, heiliger Andrej, hast du Christus erkannt, die göttliche Weisheit und Kraft, und durch die Ikone der heiligen Dreifaltigkeit hast du der ganzen Welt die Einheit der heiligen Dreiheit gepredigt. Wir aber rufen dir zu mit Verwunderung und Freude: Da du freimütig reden darfst zur heiligen Dreifaltigkeit, bete für uns, daß sie unsere Seelen erleuchte!“ Troparion auf das Fest des heiligen Andrej* Rubljow am 4. (17.) Juli'1 Zu den größten Schätzen der Ikonensammlung der Moskauer Tretjaköw-Galerie gehört die Dreifaltigkeitsikone, die seit ihrer Entstehung im 15. Jahrhundert 500 Jahre lang in der Dreifaltigkeits­ kirche des Dreifaltigkeitsklosters im heutigen Sagorsk, 75 km nordöstlich von Moskau, aufbewahrt war2. Nach nicht völliger sicherer, aber glaubwürdiger und allgemein anerkannter Überlieferung1 ist sie in der Zeit zwischen 1422 und 1427 von einem der berühmtesten allrussischen Ikonenmaler, Andrej Rubljow, als »Ortslkone« für die Ikonostase (Bilderwand) der Dreifaltigkeitskirche dieses Klosters gemalt worden. Unter der »Ortslkone« (russ, »mestnaja iköna«) versteht man die südlich4, d, h. rechts von der Mitteltür der Ikonostase befindliche Ikone, auf der entweder Christus dargestellt ist oder die heilige Person oder das Fest, dem die betreffende Kirche geweiht ist5. Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljow zeigt drei Engel mit goldenen Flügeln und Fleiligen sch einen, die um einen Tisch sitzen, auf dessen strahlend weißer Platte eine kelchförmige goldene Schale mit schwer bestimmbarem dunkelfarbigen Inhalt steht. Der Tisch und die Sitze der Engel stehen auf grünem Grund, der Hintergrund zeigt über dem linken Engel ein stilisiertes zweistöckiges Gebäude, über dem mittleren einen Baum und über dem rechten die schwachen Umrisse eines steilen Berges, der sich, wie der Baum über dem mittleren Engel, der Bildmitte zuneigt. 11

Wie kommt man dazu, die Darstellung dieser drei Engel als »Dreifaltigkeitsikone« zu bezeichnen? Man tut es erstens, weil die Ikonen dieses weitverbreiteten Typus vielfach die Aufschrift »Heilige Dreifaltigkeit«6 tragen. Zwar ist diese Aufschrift auf unserer Ikone nicht zu sehen; aber es ist nicht ausgeschlossen, daß sie einmal darauf gestanden hat und verloren gegangen Ist7; und auch wenn sie nicht darauf gestanden hat, ist die Zugehörigkeit unserer Ikone zu dem Typus der Dreifaltigkeitsikone doch ganz unbestreitbar. Ein zweiter Hinweis darauf, daß es sich bei unserer Ikone um die Darstellung der Dreifaltigkeit handelt, liegt darin, daß sie, wie gesagt, die »Ortsikone« einer Dreifaltigkeitskirche war. War die Kirche der Dreifaltigkeit geweiht, so war gerade an der Stelle, an der diese Ikone jahrhundertelang gestanden hat, eine Dreifaltig­ keitsikone zu erwarten.

2. Die Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit in der Ostkirche Wie ist es dazu gekommen, daß in der Ostkirche die heilige Dreifaltigkeit in der Gestalt dreier Engel dargestellt wurde? Nach der ostkirchlichen Bilderlehre, wie sie von dem heiligen Johannes von Damaskus (um 670-750) gültig formuliert worden ist8, ist es unmöglich, ein Bild des unsichtbaren Gottes zu malen. »Wer kann sich von dem unsichtbaren und unkörperlichen und unumschreibbaren und gestaltlosen Gott ein Abbild machen? Äußerster Wahnsinn und äußerste Unfrömmigkeit wäre es, das Göttliche in einer Gestalt darzustellen. Daher war im alten Bunde der Gebrauch der Bilder nicht üblich. Nachdem aber Gott wegen seines herzlichen Erbarmens um unseres Heiles willen in Wahrheit Mensch geworden ist, nicht so, wie er dem Abraham in der Gestalt emes Menschen erschienen ist und nicht so, wie er den Propheten [erschienen ist], sondern dem Wesen nach wahrhaft Mensch geworden ist und auf der Erde geweilt hat und mit den Menschen gewandelt ist9, Wunder getan, gelitten hat, gekreuzigt worden, auf erstanden, aufgefahren ist und all dies in Wahrheit geschehen und 12

von den Menschen gesehen worden ist, wurde es aufgeschrieben, uns zur Erinnerung und zur Belehrung für die, die damals nicht zugegen waren, auf daß auch wir, die wir [es] nicht [selbst] gesehen, aber davon gehört haben und zum Glauben gekommen sind, der Seligpreisung des Herrn teilhaft werden10, Da aber nicht alle lesen können und zum Lesen Muße haben, schien es den Vätern gut, dies gleichsam als Heldentaten m Bildern aufschreiben zu lassen zu einer kurzen Erinnerung. Gewiß geschieht es oft, daß wir das Leiden des Herrn nicht im Sinn haben; daß wir dann aber, wenn wir das Bild der Kreuzigung Christi sehen, uns wieder seines heilbringenden Leidens erinnern und niederfallen und anbeten - nicht den Stoff, sondern den, der darauf abgebildet ist,«11 So war nach Johannes von Damaskus sowohl das alttestamentliche Bilderverbot wie auch - im Neuen Bund - die bildliche Darstellung Christi und der Heiligen von der Inkarnationslehre aus sehr wohl zu rechtfertigen. Aber konnte, durfte auch die heilige Trinität gemalt werden, die ihrem Wesen nach ja ebenso unsichtbar, unfaßbar, unumschreibbar ist wie Gott-Vater und der Heilige Geist? Hier galt der gleiche Grundsatz, der die Darstellung Jesu Christi gerechtfertigt hatte: Gemalt werden darf, was in die Sichtbarkeit getreten ist, was menschliche Augen geschaut haben - sei es in der irdischen Realität, sei es in einer Vision. So darf die Vision des Jesaja, die Jes. 6, 1—4 beschrieben ist, dargestellt werden in der Gestalt des »Spas v silach«12 und ebenso die Vision des Daniel aus Dan. 7 in der Gestalt des »Alten der Tage«13, Wo der alttestamentliche Seher solcher Visionen Gott sieht, malt der ostkirchliche Maler ihn mit den Zügen Christi, weil auch der in der Vision in Erscheinung tretende Gott sich nicht in seinem An-sich-Sein offenbart, sondern immer nur in der Gestalt seines Wortes, das in Jesus Christus Fleisch geworden ist. Darum verbieten sich für die östliche kirchliche Malerei Darstellun­ gen Gott-Vaters als eines alten oder auch jungen Mannes wie sie im Westen bekannt und weit verbreitet sind, etwa auf den populären Bildern von der Weltschöpfung oder auch auf Michelangelos Gemälde von der Erschaffung Adams. Darum verbieten sich für sie auch Darstellungen der Trinität wie sie bei uns etwa in der »Marienkrönung« üblich waren, wo Gott-Vater als alter Mann, 13

neben ihm der jugendliche Christus und zwischen oder über ihnen die Taube des Heiligen Geistes gemalt oder in Holz geschnitzt wurden14. Allerdings gibt es in Rußland einen Typus von Trinitätsdarstellung, auf dem Gott-Vater in seinem Vater-Sein dargestellt ist. Der Typus heißt auf russisch »otecestvo« (~ »Vaterschaft«), Die älteste rus­ sische Ikone dieses Typus stammt aus dem 14. Jahrhundert, aus Nowgorod, ist also etwa 1ÖÖJahre älter als die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw15. Sie hat die Aufschrift »Vater und Sohn und Heiliger Geist« und zeigt auf einem gewaltigen Thron die große Gestalt des »Alten der Tage«, wie er Dan. 7, 9 beschrieben wird: »Der Alte setzte sich. Das Kleid war schneeweiß und das Haar auf seinem Haupt wie reine Wolle; sein Stuhl war eitel Feuerflammen, und dessen Räder brannten mit Feuer.« Seine rechte Hand segnet, in der linken hält er eine Buchrolle - ein Attribut, das sonst eher dem Sohn als dem Vater zukommt. Das gleiche gilt für den Kreuznimbus (der Heiligenschein, in den die drei Enden des Kreuzes eingezeichnet sind), der sein Haupt umgibt. In seinem Schoß sitzt der viel kleinere, jugendliche Christus-Immanuel. Auch seinem Nimbus ist das Kreuz eingezeichnet, und er hält mit beiden Händen ein kreisrundes Medaillon, dessen äußerster Ring hellweiß ist und das sich nach innen immer mehr verdunkelt, Vor%Dunkel des Kreisinneren hebt sich eine weiße Taube ab, die den Heiligen Geist symbolisiert. Dieser ikonographische Typus ist nahe verwandt mit dem westli­ chen des »Gnadenstuhls«: »Gott-Vater mit dem Gekreuzigten im Schoß, zwischen oder über den Köpfen beider die Taube.«16 »Seit dem 12. Jahrhundert ist dieser Typus in der Buchmalerei und in der Kleinkunst anzutreffen, später auch in der Monumental- und Tafelmalerei, in der Plastik und Graphik.«17 Nowgorod, die Handelsstadt am Ilmensee, nicht weit von der Ostsee entfernt, stand westlichen Einflüssen offen, und so ist das Bild der »Vaterschaft« vielleicht auch auf den westlichen »Gnaden­ stuhl« zurückzuführen18. Aber bezeichnend ist ein Unterschied gegenüber dem »Gnadenstuhl«: Auf der »Vaterschaftsikone« ist der Vater dargestellt in der Gestalt des »Alten der Tage«, wie Daniel ihn in seiner Vision gesehen hat; und er trägt, obwohl er den Vater 14

darstellt, charakteristische Merkmale des sich in Christus offenba­ renden Gottes - den Kreuznimbus und die Buchrolle; und auch die Gesichtszüge sind die Jesu Christi, Ja, seltsamerweise tragen sowohl der Vater wie auch die Taube des Heiligen Geistes die Beischrift »IC X C « = »Jesus Christus«. Durch die Gesrfmiüberschrift wird eindeutig ausgesagt, daß es sich um »Vater, Sohn und Heiligen Geist« handelt, durch die Emze/überschriften aber, daß auch der Vater als der »Alte der Tage« und der Heilige Geist als Taube sich in Jesus Christus offenbaren, mit ihm also nicht nur »wesenseins«, sondern eigentlich auch personeneins, identisch sind. Man sagt, die Ikone sei geschaffen als Mittel im Kampf gegen die »StrigoFniki«, antitrinitarische Häretiker, die im 14. Jahrhundert ln Nowgorod aufgetreten seien15. Aber einerseits ist es gar nicht so sicher, daß die »StrigoBniki« die kirchliche Trinitätslehre bekämpft haben, und andererseits ist die theologische Aussage dieser Vaterschaftsikone so kompliziert, um nicht zu sagen widerspruchs­ voll, auf jeden Fall so schwer verständlich, daß sie kaum als wirksame Waffe im Kampf gegen eine antitrinitarische Volksbewegung hätte dienen können, Es ist wohl kein Zufall, daß dieser Typ der Darstellung der heiligen Trinität sich in Rußland nicht durchgesetzt hat. Nicht nur, daß er schwer verständlich war; er kam auch in eine gefährliche Nahe zu dem, was die Kirche seit Johannes von Damaskus streng verboten hatte: »den Unsichtbaren abzubilden, dem Gestaltlosen eine Gestalt zu geben, das Körperlose mit Farbe zu malen«20. Auf dem Moskauer Konzil des Jahres 1667 wurde diese Darstellung der Trinität mit folgender Begründung verboten: »Den Herrn Zebaoth mit grauem Bart und den eingeborenen Sohn in seinem Schoße und die Taube zwischen ihnen auf Ikonen zu malen, ist äußerst unsinnig und unpassend, denn niemand hat den Vater seiner Gottheit nach je gesehen, weil der Vater keinen Leib hat und der Sohn vom Vater nicht dem Fleische nach vor allen Zeiten geboren ist. [. . .] Die vorewige Geburt des eingeborenen Sohnes aus dem Vater gebührt uns nur im Geiste zu begreifen; sie in Bildern aber schildern darf man nicht und ist auch unmöglich.«21 Erst recht verbot es sich für die ostkirchliche Malerei, die Trinität darzustellen in monströsen Gestalten, wie dem sogenannten 15

»Trifrons«, einer thronenden Gestalt, die die Weltkugel in der Hand hält, deren K opf aber »drei Stirnen« {»très frontes«) hat22. Unbefriedigend blieben auch die geometrischen Symbole: das gleichseitige Dreieck mit einem Auge oder dem JHW E-Namen darin oder drei sich schneidende Kreise oder das dreiblättrige Kleeblatt, das oft im Maßwerk der Kirchenfenster zu sehen ist, oder das kleine Omega (to), »das, wie das Kleeblatt, auf den dreifachen Herausgang der Trinität hinweist, das mit gleichlangen Armen bezeichnete Antonius-Kreuz oder das Gabelkreuz«23, Sie alle sind zu abstrakt, als daß sie die strömende Fülle des trinitarischen Lebens darstellen könnten. In der Bildkunst der Ostkirche werden die Heilstatsachen nur selten durch abstrakte Symbole wiedergegeben, vielmehr werden Gestalten und Ereignisse der Heilsgeschichte, die von menschlichen Augen gesehen worden sind, durch künstlerische Darstellung vergegenwärtigt, Hierin steht die Ikonenkunst der Liturgie nahe. Denn der Festkreis des Kirchenjahres ist ja auch eine im jahresrhythmus wiederholte Vergegenwärtigung des Heilsge­ schehens, und so ist denn auch eine ganze Reihe der Ikonostase den Festen des Kirchenjahres geweiht23, Wollte man die Dreifaltigkeit darstellen, so mußte man Ereignisse der Heilsgeschichte wählen, bei denen die drei Hypostasen25 der drei-einen Gottheit gemeinsam wirkten, gemeinsam in die Erscheinung, in die Sichtbarkeit traten, gemeinsam menschlichen Sinnen zugänglich wurden, sich gemein­ sam offenbarten. »Trinitarische Epiphanie« nennt man ein solches gemeinsames In-die-Erscheinung-Treten der drei Hypostasen der Gottheit, und in mehreren Ereignissen der neutestamentlichen Heilsgeschichte sah man sie: Vor allem in der Verkündigung der Maria, die am 25. März, und in derTaufe Jesu, die am 6. Januar gefeiert wird. Bei der Verkündigung wird nach der Erzählung des LukasEvangeliums (Lk 1, 26-38) der Jungfrau Maria vom Engel gesagt: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.« Der »Höchste« (der Vater), der Heilige Geist und der Sohn werden hier zusammen genannt, und so tritt die Trinität auf den Ikonen des Verkündigungs­ festes denn auch wirklich in Erscheinung, etwa auf der berühmten »Verkündigung von Ustjüg«, einer der ältesten russischen Ikonen26. 16

Gott-Vater ist hier, wie auf der Ikone der Vaterschaft, dargestellt in der Form des »Alten der Tage« nach Dan. 7, 9; jes. 6, 1; Hesek. 1,4—14. Von seiner erhobenen, segnenden Hand geht ein Lichtstrahl in den Schoß der Maria aus; er symbolisiert den Heiligen Geist, und in der Herzgegend der Maria zeichnen sich zart die Umrisse des Got­ tessohnes ab, dessen Fleischwerdung in diesem Augenblick ihren Anfang nimmt. Ebenso wie bei der Verkündigung sind in der Szene der Taufe Christi Vater Sohn und Geist in einer den menschlichen Sinnen zugängli­ chen Weise gegenwärtig. Eine Stimme vom Himmel, die Stimme des Vaters, spricht: »Dies ist mein Heber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe«, und der Geist Gottes kommt auf den eben getauften Jesus herab »gleich als eine Taube« (Mt. 3, 16 f.; Mk. 1, 1 0 f.;L k . 3,21 h)H Auch diese Szene ist in der Ikonographie der Ostkirche reichlich vertreten, wobei die Sphäre des Vaters durch ein Kreissegment dar­ gestellt wird, aus dem sich auf manchen Bildern dieses Typus eine Hand herabstreckt mit ausgestrecktem Zeigefinger, der auf Christus zeigt und damit gleichsam wortlos sagt: »Dies ist mein lieber Sohn.« Der Heilige Geist wird als Taube dargestellt, da er ja in diesem Augenblick der Heilsgeschichte von menschlichen Augen als Taube gesehen wurde28. Aber für eine eigentliche Darstellung der Trinität waren diese beiden Szenen dann doch nicht geeignet. Die Verkündigungsikone war doch vor allem eine Marienikone; Vater, Sohn und Heiliger Geist sind auf ihr gegenwärtig, aber in sehr zurückhaltender, unauffälliger Weise, kaum wahrnehmbar. Und auf der Taufikone stehen die Gestalten des Sohnes und Johannes des Täufers beherrschend im Mittelpunkt, der Vater und der Geist treten zurück. Zudem waren diese beiden Ikonen schon hohen Kirchenfesten zugeordnet und wurden in erster Linie als Festtagsikonen zum 25. März und zum 6. Januar aufgefaßt. Aus allen diesen Gründen war für eine Ikone, die die Trinität in ihrem Wesen, das trinitarische Dogma in seiner Tiefe und Weite darstellen wollte, ein anderes Geschehnis aus der Heilsgeschichte zu suchen. Einen gewissen Hinweis auf die Trinität fand man auch an manchen Stellen des Alten Testamentes, etwa in der Schöpfungsgeschichte, 17

wo der eine Gott zu sich selbst spricht und dabei die Mehrzahl gebraucht: »Lasset uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei« (Gen. 1,26); oder in der Vision des Jesaja, wo schon das »Heilig, heilig, heilig« im Hymnus der Engel als Hinweis auf den dreieinigen Gott verstanden wurde (Jes. 6, 3) und wo Gott dann auch wieder zuerst in der Einzahl, dann in der Mehrzahl von sich spricht: »Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?« (Jes. 6, 8); oder in den drei Jünglingen im Feuerofen, von denen im Danielbuch erzählt wird (Dan. 3). Aber dies alles waren doch nur undeutliche Hinweise, und zudem ließ sich in ihrer bildlichen Wiedergabe das Wesen der Trinität kaum zur Darstellung bringen. Aber eine Szene gibt es im Alten Testament, die als klare Epiphanie der trinitarischen Gottheit verstanden werden konnte und die sich gleichzeitig bildlich wunderbar gestalten ließ: der Besuch der drei »Männer«, die sich als Engel erwiesen, bei Abraham im Hain Mamre, und diese Szene ist denn auch in der Ostkirche bis zum heutigen Tage der beherrschende Bildtyp für die Darstellung der Trinität und damit zum Festtagsbild der Feier des Trinitäts-Festes (in der Ostkirche am ersten Pfingsttag) geworden.

3. Die Erzählung vom Besuch der drei Engel bei Abraham und ihre theologische Deutung Im ersten Buch der Bibel (Gen. 18, 1-lOa) wird dieser Besuch folgendermaßen beschrieben: »Und der Herr erschien ihm im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde und sprach: Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und laßt euch nieder unter dem Baum. Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, daß ihr euer Herz labet; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen. Sie 18

sprachen: Tu, wie du gesagt hast. Abraham eilte in das Zelt zu Sara und sprach: Eile und menge drei Maß feinsten Mehls, knete und backe Kuchen. Er aber lief zu den Rindern und holte ein zartes, gutes Kalb und gab’s dem Knechte; der eilte und bereitete es zu. Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalbe, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen, D a sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Drinnen im Zelt. Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.« Weiterhin folgt in der Bibel der Bericht über den Untergang von Sodom und Gomorra, bei dem die »drei Männer« sich trennen. Einer von ihnen bleibt bei Abraham, er wird als »der Herr« bezeichnet, und die anderen zwei, die als Engel bezeichnet werden, gehen nach Sodom und erretten die Familie Lots aus der dem Untergang geweihten Stadt. Weiterhin wird erzählt von der Geburt Isaaks (Kap. 21) und der Forderung Gottes nach der Opferung Isaaks, die aber im letzten Augenblick durch Gott selbst verhindert wird (Kap. 22). In dieser Geschichte, in der Abraham im Gehorsam gegen Gott »seines einzigen Sohnes nicht verschont hat« (Gen. 22, 12. 16), sah die christliche Theologie einen Hinweis auf die Heilsgeschichte des Neuen Testamentes, nach welcher auch »G ott seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben« (Röm. 8, 31 f.). Daß der Besuch der »drei Männer« eine Epiphanie war, ein In-die-Erscheinung-Treten Gottes, konnte dem Text der Erzählung selbst entnommen werden. Der da erschien, war »der Herr« (Gen. 18, 1). Aber nach Vers 2 erscheint dieser eine Herr in der Gestalt von »drei Männern«. Und auch in der Anrede nennt Abraham den einen »Herrn«, der da erschienen ist, in Vers 3 »du« und im folgenden Vers »ihr«. Noch der heutige Leser ist, wenn er aufmerksam liest, überrascht von dem seltsamen Widerspruch. Die heutige Bibelwissenschaft erklärt ihn vielleicht dadurch, daß hier zwei ursprünglich selbstän­ dige literarische Quellen zusammengearbeitet sind. Nach der einen kam Jahwe selbst zu Abraham, nach der anderen sandte er seine Boten29. Aber für die streng theologisch-dogmatische jüdische und 19

christliche Bxbelinterpretation vom Altertum bis in die Gegenwart konnten und können die Widersprüche und Spannungen dieses Textes nicht so, durch bloße Lkerarkritik, gelöst werden. A uf drei verschiedene Weisen hat man ihn zu verstehen gesucht. Eine Auffassung sieht in den »drei Männern« drei Boten Gottes; die Boten, griech. »Angeloi«, aber sind »Engel«. So sah es offenbar der Verfasser des neutestamentlichen Hebräerbriefes, wenn er die Christen ermahnt: »Gastfrei zu sein vergesset nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt« (Hebr. 13, 2), Dieser Meinung ist auch der große Kirchenvater Augustinus. Er schreibt in seinem Buch über den Gottesstaat: »G ott erschien dem Abraham bei der Eiche von Mamre in [der Gestalt von] drei Männern, die ohne Zweifel Engel gewesen sind, obwohl einige meinen, einer unter ihnen sei der Herr Jesus Christus gewesen, indem sie versichern, er sei, auch bevor er Fleisch angezogen habe, sichtbar gewesen.« Daß es Engel gewesen seien, schließt Augustinus aus der Erzählung selbst und aus dem Zeugnis des Neuen Testamentes, nämlich der eben angeführten Stelle aus dem Hebräerhrief. Den Wechsel zwischen Einzahl und Mehrzahl in der Erzählung und in den Anreden Abrahams und Lots an die drei »Männer« erklärt er: Es war etwas in ihnen, wodurch sie so hervorragten, daß Abraham und Sara nicht daran zweifeln konnten, daß der Herr in ihnen sei. »Und deswegen redeten sie sie einmal in der Mehrzahl, ein andermal aber redeten sie den in ihnen gegenwärtigen Herrn in der Einzahl an,«30 Zu den »einigen«, die anderer Meinung waren als Augustinus, gehört ein sehr früher christlicher Theologe, Justin (gestorben als Märtyrerin Rom um 165). Er läßt in seinem »Dialog mit dem Juden Tryphon« (entstanden zwischen 155 und 161) seinen Dialoggegner, einen Juden, die Ansicht vertreten, die noch 250 Jahre später Augustinus vertreten hat: daß es drei Engel gewesen seien, die zu Abraham gekommen sind, während Justin selbst anderer Meinung ist. Nach seiner Auffassung war der, der dem Abraham im Hain Mamre erschien, Gott - aber nicht jener Gott, »der immer über den Himmeln bleibt und nie jemandem erschienen, nie selbst mit jemandem zusammengekommen ist, den wir als Schöpfer des Alls 20

und Vater erkennen« - es war also nicht Gott-Vater, der hier erschienen ist, sondern der präexistente Logos, das ewige Wort Gottes, das als Gott beim Vater gewesen ist, bevor es in Jesus Christus Fleisch angenommen hat. Und dieses »Wort«, der Logos, kann auch Engel (»angelos«) genannt werden, weil er von dem Höchsten, von Gott-Vater gesandt wird, »weil er den Menschen verkündet (griech. »angelo«), was der Schöpfer des Alls, über dem kein anderer Gott ist, ihnen verkünden will.«31 Daß »der Herr«, der mit zwei Engeln zu Abraham kam, nicht Gott-Vater war, sondern der Sohn, betonte auch die arianische Dritte Synode von Sirmium im Jahre 357, und sie anathematisierte sogar alle, die anders glaubten32. Die dritte Auffassung: daß nicht drei Engel und auch nicht der präexistente Sohn, das ewige Wort Gottes, mit zwei Engeln zu Abraham gekommen sei, sondern die heilige Trinität selbst, findet sich zuerst bei Cäsarius von Arles (gest, 542). Er sagt: »Dreien läuft Abraham entgegen, und einen betet er an. Darin aber, daß er drei gesehen hat, hat er das Geheimnis der Trinität begriffen; daß er sie aber wie Einen angebetet hat, zeigt, daß er erkannt hat, daß in den drei Personen ein Gott ist.«33 Diese Auffassung fand auch Eingang in die byzantinische Theologie und liturgische Dichtung. Im Kanon des »Sonntags der Patriar­ chen«, im fünften Lied, wird Abraham angeredet: »Du sahst, wie es einem Menschen zu sehen möglich ist, die Dreifaltigkeit und hast sie bewirtet wie ein nahestehender Freund, seligster Abraham.«34 Oder im 12, Jahrhundert redet der byzantinische Dichter Theodoros Prodromos in einem Gedicht den Abraham an: »Welchem Gast bereitest du den Tisch?« Und er antwortet: »Der Dreifaltigkeit selbst.«3^ Auch in Rußland fand die in Gen. 18 geschilderte Szene lebhaftes Interesse. Der Kiewer Metropolit Ilariön erwähnt sie in seiner um das Jahr 1050 entstandenen »Rede über das Gesetz und die Gnade«, wo er die neutestamentliche »Gnade« dem alttestamentlichen »Gesetz« gegenüberstellt, indem er jene mit der gesetzlichen Frau Abrahams, Sara, dieses mit der Nebenfrau, der Sklavin Hagar, vergleicht. Er schreibt: »Als Abraham und Sara schon alt waren, erschien Gott dem 21

Abraham, da dieser saß vor der Tür seiner Hütte, zu Mittag, an der Eiche von Mamre; Abraham aber lief ihm entgegen und verneigte sich vor ihm bis zur Erde und nahm ihn auf in seine Hütte.«36 Daß es drei Engel waren, die Abraham erschienen, wird hier außer acht gelassen, aber daß es Gott selbst war, steht für Ilarion ganz außer Zweifel; und dieser Gott ist für ihn natürlich der trinitarische, drei-eine Gott. Wichtig ist aus diesem Text für die Interpretation der Dreifaltigkeitsikone die enge Verknüpfung zwischen der Abrahamsszene und der Fleischwerdung des Gottessohnes. Etwas mehr als 50 Jahre nach der Niederschrift der Rede des Ilarion, in den Jahren zwischen 1104 und 1107, ist ein russischer Abt namens Daniil in das Heilige Land gepilgert und hat einen wertvollen Bericht über seine Wallfahrt hinterlassen37. 16 Monate lang ist er in Palästina gewesen und hat alle heiligen Stätten besucht, auch den Hain Mamre, Er hat dort die heilige Eiche gesehen und die Stelle, wo das Zelt Abrahams gestanden hat. Er beschreibt die Eiche: »Und es ist jene Eiche nicht sehr hoch, sehr knorrig38 und dicht an Zweigen, und viele Früchte sind an ihr, ihre Zweige aber haben sich bis tief zur Erde geneigt, so daß ein Mann, auf der Erde stehend, bis zu ihren Zweigen hinauf reichen kann; und dick ist sie zwei meiner Klafter (ich habe mit meinen Armen ihren Umfang ge­ messen), und der Stamm bis zu den Zweigen anderthalb Klafter. Und erstaunlich und wunderbar ist es, daß dieser Baum so viele Jahre auf einem so hohen Berg gestanden und keinen Schaden genommen hat und nicht zu Staub vergangen ist, sondern er steht, von Gott befestigt, wie er zu Beginn gepflanzt worden ist. Und unter dieser Eiche kam die heilige Dreifaltigkeit zum Patriarchen Abraham, und hier speiste sie bei ihm, unter dieser heiligen Eiche; und hier segnete die heilige Dreifaltigkeit den Abraham und die Sara, sein Weib, und verlieh ihnen, in ihrem Alter den Isaak zu zeugen. Hier zeigte die heilige Dreifaltigkeit dem Abraham auch ein Wasser, und ein Brunnen ist dort bis heute, unten an jenem Berge, nahe am Weg. Und jenes Land rings um jene Eiche heißt Mambrija (Mamre), und darum heißt jene Eiche die von Mamre. Und von jener Eiche bis Hebron sind zwei W erst.«39 Ganz eindeutig bezeichnet der Pilger Daniil die drei Männer als eine direkte Erscheinung der heiligen Dreifaltigkeit. Wenn Andrej 22

Rubljöw diese Reisebeschreibung gekannt haben sollte, ist vielleicht seine Darstellung des Baumes, der sich zum mittleren Engel hinneigt, ein Nachklang der liebevollen Beschreibung dieser Eiche durch den Pilger Daniil, der die Dicke ihres Stammes mit seinen ausgestreckten Armen gemessen hat. Von Interesse für uns ist aus dem Bericht Daniils ferner die Stelle, an der er das Josephsgrab beschreibt. Da heißt es: »Nicht weit davon entfernt ist ein hoher Berg und auf diesen Berg ging die heilige Dreifaltigkeit mit Abraham. [. . ,] Und hier fiel Abraham auf sein Angesicht und verneigte sich vor der heiligen Dreifaltigkeit« und bat für die Stadt Sodom. »Und von jenem Berg sandte die heilige Dreifaltigkeit zwei Engel nach Sodom, daß sie Lot, den Neffen Abrahams, herausführten·«40 Der eine Herr, der nach Gen, 18, 17-33 mit Abraham redete, wird hier also als »die Dreifaltigkeit« betrachtet, und von ihr werden die »zwei Engel« von Gen. 19, 1 ff. unterschieden, die von ihr nach Sodom geschickt wurden. Aus der Lebenszeit des Andrej Rubljöw sind uns zwei Zeugnisse über das Verständnis der Abrahamsgeschichte überliefert, die sie jedes in anderer Weise deuten - das erste christologisch, das zweite trinitarisch. Im Jahre 1389 reiste der Moskauer Metropolit Pimin zum Patriarchen nach Konstantinopel. Einer seiner Reisebegleiter hat diese Reise ausführlich geschildert41. Unter den vielen Heiligtümern der Hagia Sophia in Konstantinopel sahen die Russen auch »den Tisch Abrahams, an welchem er Gott-Christus bewirtete, der in der Dreifaltigkeit erschien.«42 Der erschien, war also Christus, aber daß bei dieser Erscheinung drei Gestalten erschienen, die doch offenbar als Christus mit zwei Engeln zu verstehen sind, deutet auf das Geheimnis der Dreifaltig­ keit. Dasselbe Heiligtum sah etwa dreißig Jahre später ein Mönch des Dreifaltigkeitsklosters, dem Andrej Rubljöw, wenn er in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts die Dreifaltigkeitsikone gemalt hat, wahrscheinlich auch persönlich begegnet ist, der Diakon Sosshna, der im Jahre 1420 Konstantinopel besucht hat. Er schreibt darüber: »Zuerst verehrten wir die heilige, große Kirche der Sophia [. . .]und 23

sahen [. , ,] den Tisch Abrahams, an dem Abraham unter der Eiche von Mamre die heilige Dreifaltigkeit bewirtet hat,«45 Da aus der Reisebeschreibung Sossimas deutlich wird, daß er die Schrift des Abtes Daniil benutzt hat, ist es sehr wohl möglich, daß auch Andrej Rubljow dessen Schilderung vom Hain Mamre gekannt hat. 35 bis 50 Jahre nach der Entstehung der Dreifaltigkeitsikone hat einer der bedeutendsten russischen Theologen des 15, Jahrhunderts, der Mönch lössif Ssänin, der spätere Abt des Klosters in Wolokolämsk (darum auch lössif von Wolokolämsk oder Iossif Wölozkij genannt), eine sehr interessante ausführliche Abhandlung über diese Frage geschrieben, das Sendschreiben an einen gewissen Archimandriten Wassiän. Es muß zwischen 1460 und 1478 entstanden sein44 und zeigt deutlich, daß die Frage nach der rechten Deutung der Abrahamsgeschichte im 15. Jahrhundert noch durchaus kontrovers war und sogar mit Leidenschaft diskutiert wurde, da in Rußland rationalistische Strömungen entstanden waren, die unter anderem auch das Dogma der Trinität kritisierten. Der Adressat des Sendschreibens hatte sich an lössif gewandt mit der Bitte, dieser möge ihm über das Geheimnis der Dreifaltigkeit schreiben, lössif stellt nun aus dem Alten Testament zusammen, was seiner Meinung nach schon dort auf dieses Geheimnis hinweist, das erst im Neuen Testament in Klarheit offenbart ist45. Den ersten Hinweis auf die Trinität findet er schon in der Schöpfungsge­ schichte, wo Gott sagt: »Lasset uns einen Menschen schaffen nach unserem Bild und Gleichnis« (Gen. 1, 26). »Verstehe, mit wem er sich berät, und was es heißt: mach Bild und Gleichnis*! Stellt dies alles nicht die heilige Dreifaltigkeit im voraus dar? Und dann, zweitens, nach dem Sündenfall Adams, sprach Gott: >Siehe, Adam ist geworden wie einer von uns, zu wissen, was gut und böse ist.< Siehe: Er hat nicht gesagt: >Ich bin einer*, sondern er hat gesagt: >wie einer von uns*.« Weiter sieht lössif in dem Wort Gottes beim Turmbau zu Babel »Lasset uns herniederfahren und ihre Sprache verwirren« (Gen. 11, 7) einen Hinweis auf die Trinität. Eine direkte Offenbarung des ewigen Sohnes Gottes sieht lössif in der Geschichte von der Flucht Hagars (Gen. 16). Da erscheint der Hagar in der Wüste ein Engel, und dreimal wird er so bezeichnet, 24

aber dann erweist sich dieser Engel als Gott, da er (in V. 10) ihr in Vollmacht reiche Nachkommenschaft verheißt; und Hagar redet ihn (in V, 13) auch mit »G ott« an. Warum wird der ewige Sohn in dieser Erzählung einmal »G ott«, einmal »Engel« genannt? Iossif antwortet: »Engel« - das heißt eigentlich »Gesandter«, und Jesus nennt sich im Evangelium selbst auch so, wenn er sagt: »Der Vater, der mich gesandt hat, ist größer als ich« (Joh. 14, 28). »Und nicht allein zu Hagar wurde ein Engel gesandt, sondern vielen erscheint er als Engel, und danach reden sie ihn als Gott an.«46 Und nun kommt Iossif auf die Erscheinung Gottes bei Abraham zu sprechen: »D a er saß bei der Eiche vor seinem Zelt, gedachte er seines Alters, da der Tod schon nahe war: >Was kann ich Gutes tun, auf daß Gott mich einführt in die ewige Wohnstatt? Wenn ich den Fremdling nicht aufnehme in mein Haus nach Gottes Weise, wird Gott mich nicht aufnehmen in das ewige Haus.< Und er begann zu warten auf den Fremdling nach Gottes Weise bis zum Mittag. Und er schaute mit seinen Augen und sah drei Männer über ihm stehend und lief zu ihnen und sagte: >Herr! Habe ich Gnade gefunden vor dir, so gehe nicht vorüber an deinem Knecht, auf daß man Wasser bringe, daß eure Füße gewaschen werden und ihr euch kühlt, daß ich Brot bringe und ihr eßt.< Und er sagte zu seiner Frau Sara: >Eile, knete drei Maß feines Mehl!< Und er selbst lief in den Stall, nahm seinen Jungknecht mit sich und nahm ein ausgesuchtes Kalb, führte es heran und bereitete es und nahm Butter und Milch und stellte es vor sie hin, und er selbst stand vor ihnen. Verstehe es: Einen erwartete er, und drei erschienen ihm in menschlicher Gestalt. Und er sagte zu ihnen: >Herr, wenn ich Gnade gefunden habe vor dir.< Wieso spricht er zu dreien und nennt einen Herrn? Wenn er sagt >HerrHabe ich Gnade gefunden vor dir< - siehst du daraus nicht klar, daß er Gott verkündet? Denn wer kann Gnade geben außer Gott, und von wem erwartet er die Verheißung der Gnade, wenn nicht von Gott? Er nahm drei Fremdlinge auf und bereitete ihnen als Menschen ein Kalb, und der Sara befahl er, drei Maß Mehl zu kneten, als Bild der Dreifaltigkeit, und stellte einen Tisch vor sie hin. O Wunder! Drei Jünglinge sitzend und der Patriarch, ein hundertjäh­ riger Greis, vor ihnen stehend! Siehe, daß nicht einer sitzt und zwei 25

vor ihm stünden wie Diener, das heißt Engel, sondern alle drei sitzen gleich an einer Stelle, und allen hat der Patriarch in gleicher Weise die Füße gewaschen und den Tisch aufgestellt, und allen gibt er gleiche Ehre,« Warum aber heißt es in der folgenden Erzählung über den Untergang Sodoms, daß zwei Engel nach Sodom gegangen seien, Abraham aber währenddessen mit Gott gesprochen habe? Iössif erklärt das so: »Der eine Gott-Vater spricht mit Abraham, aber die zwei schickt er nach Sodom in der Gestalt des Sohnes und des Heiligen Geistes, weil Gott alles durch den Sohn tut und durch den Heiligen Geist vollendet, wie es heißt: >Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und all seine Stärke durch den Geist seines Mundes*.«47 Sehr fein begründet Iössif, warum Gott dem Abraham in seiner Dreiheit erschien, aber nach Sodom nur der Sohn und der Heilige Geist gesandt wurden, der Vater aber zurückblieb: »Als er kam, die Verheißung der Gnade zu erfüllen, erschien er dem Abraham in Vollkommenheit und tat ihm seine Gnade kund deswegen, weil von seinem Samen Christus geboren werden sollte. Aber in Sodom erscheinen zwei in der Gestalt von Engeln, und zwar Engeln in jugendlicher Gestalt, weil sie die bösen Menschen vernichten und den Gerechten aus dem Unheil herausführen wollten, wie auch Simeon von Christus prophezeit hat: >Dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler* (Lk. 2, 34).« Es ist Iössif bekannt, daß die Erscheinung der drei Männer im Hain Mamre verschieden gedeutet wird: daß die einen sagen, Abraham habe Gott mit zwei Engeln aufgenommen, andere, er habe drei Engel, und wieder andere, er habe die heilige Dreifaltigkeit selbst aufgenommen. In gewisser Hinsicht, so meint Iössif, haben alle drei recht. In der Tat hat Abraham Engel gesehen: »Denn überall in der Schrift, in der unseren wie in der Alten48, heißt es, daß die Gottheit sich in Engel verwandelt, die Engel aber erscheinen nicht, wie sie ihrem Wesen nach sind, sondern in anderer Gestalt, nämlich menschlich. Gott aber hat sich in Engel verwandelt, die Engel aber sind dem Abraham in menschlicher Gestalt erschienen, [. . .] denn dem Menschen ist es auch nicht möglich, die Engel in ihrem Wesen zu sehen.« 26

Aber es ist auch nicht falsch, wenn man sagt, Abraham habe Gott mit zwei Engeln aufgenommen. Unter »G ott« ist dann Gott der Vater zu verstehen, der von niemandem gesandt ist, Unter den »Engeln« sind der Sohn und der Geist zu verstehen, denn »Engel« heißt so viel wie »Gesandte«; und in der Tat sind sowohl der Sohn wie auch der Heilige Geist vom Vater gesandt. Und selbstverständlich haben nach Iössif dann auch die recht, die sagen, die Dreifaltigkeit sei Abraham erschienen; denn auch nach der ersten und zweiten Auffassung war es ja im Grunde die Drei­ faltigkeit, die in der Gestalt von Engeln oder, noch genauer, in menschlicher Gestalt in den Hain Mamre gekommen sind. Und noch ein Gedanke aus dem Sendschreiben Iössifs ist wichtig für das Verständnis der Dreifaltigkeitsikone. Iössif meint, daß die Gottheit nur vor der Fleischwerdung des Sohnes in der Gestalt von Engeln erschienen sei; die Engelserscheinungen der Zeit seit Christus sind nicht mehr Theophamen im engeren Sinne, also Erscheinungen einer der Hypostasen der dreifältigen Gottheit oder aller drei, sondern die nach Christus als Engel erschienen sind, waren wirklich Engel. Hieraus folgt, daß die Trinität sich für Iössif nirgends in so klarer und vollkommener Weise menschlichen Augen offenbart hat wie in der Abrahamsszene, wo alle drei Hypostasen in gleicher Deutlichkeit miteinander in die Sichtbarkeit getreten sind und gleiche Ehre von Menschen empfangen haben. So ist das Sendschreiben des Iössif für die Interpretation der Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw von hohem Wert. Es zeigt, welch hohe Bedeutung die Abrahamsszene aus Gen. 18 im Jahrhundert Andrej Rubljöws für die Trinitätstheologie hatte. Es zeigt ferner, daß damals die verschiedenen Auffassungen zur Deu­ tung dieser Geschichte bekannt waren und mit theologischer Leidenschaft und scharfsinnigen Argumenten diskutiert wurden und daß führende theologische Denker der Russischen Orthodoxen Kirche fähig waren, jeder der Deutungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ohne den eigenen Standpunkt preiszugeben, der in jener Szene die entscheidende trinitansche Epiphanie, das deutlichste In-Erscheinung-Treten der drei Hypostasen des dreieinigen Gottes sah49.

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4. Die Darstellung der Abrahamsgeschichte in der christlichen Kunst Die verschiedenen Deutungen, die die Erzählung von dem Besuch der »drei Männer« im Hain Mamre erfahren hat, spiegeln sich auch in der christlichen Ikonographie, in der malerischen Darstellung dieser Szene wieder. Seit sehr alter Zeit gibt es zwei Grundtypen einer solchen Darstellung: 1. Drei gleiche oder sehr ähnliche, ihrem Rang nach nicht unterschiedene Gestalten stehen oder sitzen in einer Gruppe zusammen; ihnen gegenüber Abraham sitzend oder stehend oder vor ihnen niederfallend; 2. Eine der drei Gestalten, und zwar stets die mittlere, ist auf irgendeine Weise (Größe, Heiligenschein o. ä.) den beiden anderen gegenüber als ranghöher gekennzeichnet. Die älteste uns bekannte Darstellung, aus der Katakombe an der Via Latina in Rom vom Ende des 4. Jahrhunderts, gehört zu dem ersten Typ50. Im Vordergrund links sitzt Abraham im Schatten der Eiche, neben ihm ein junges Kalb - offenbar dasselbe, das später ge­ schlachtet und den Gasten vorgesetzt wird. Von rechts aus dem Hintergrund treten die drei Männer heran, der mittlere etwas kleiner als die seitlichen. Die Handhabung der Gestalten deutet an, daß Abraham die Männer einlädt und daß diese die Einladung an­ nehmen. Das Bild scheint die Abrahamsszene aus Gen, 18 im Sinne von Hehr. 13, 2 zu illustrieren: »Gastfrei zu sein vergesset nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherberget.« Abraham kann nicht wissen, daß es Engel sind, denn durch nichts sind sie als solche gekennzeichnet. Man hat diesen Bildtypus deswegen auch »Philoxenia«, »Gastfreundschaft« genannt. Ein wenig unterscheidet sich von ihm das berühmte Mosaik aus San Vitale in Ravenna aus dem Jahr 546/4751, wo die drei Männer nebeneinander hinter einem Tisch unter einem Baum sitzen. Drei Brote liegen vor ihnen, und Abraham trägt von links her das zubereitete Kalb heran. Sara steht zuschauend in der Tür der Hütte, Die drei Engel haben Heiligenscheine, sind dadurch mehr als gewöhnliche »Männer«. Sie sind an Größe gleich. Nur ein klein 28

wenig, fast unmerklich ist der Heiligenschein des mittleren Engels höher als die der seitlichen, Doch in der Handhaltung besteht ein wichtiger Unterschied: Die seitlichen Engel deuten auf die Brote, der mittlere segnet und ist dadurch in seinem hierarchischen Rang hervorgehoben, Rechts von der Szene der Bewirtung der drei Engel durch Abraham ist die der Opferung Isaaks dargestellt, Uber dem Bogen, der die Gesamtkomposition umschließt, schweben zwei Engel, die ein Medaillon mit einem Kreuz tragen. Durch beides wird darauf hingewiesen, daß die Szene im Hain Mamre in innerer Be­ ziehung zum ewigen Opfer des Gottessohnes stehen. Noch deutlicher als auf dem Mosaik in Ravenna aus dem Jahr 546/47 ist auf einem Mosaik in der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom, das auf die Jahre 432 bis 440 datiert wird, der mittlere Engel hervorgehoben52. Dort sind zwei Szenen übereinander dargestellt: auf der oberen die Begrüßung der Engel durch Abraham, auf der unteren ihre Bewirtung. Auf der letzteren ist es ähnlich wie in Ravenna: Der mittlere ist dadurch vor den seitlichen ausgezeichnet, daß sein Scheitel und sein Nimbus kaum merklich höher sind als die der beiden anderen. Aber auf der oberen Szene ist der mittlere Engel den seitlichen gegenüber stark hervorgehoben durch die ihn umgebende Mandorla, den »mandelförmigen Lichtschein, der auf mittelalterlichen Kunstwerken den >Christus in Majestät« oder Maria umgibt«53. So sehen wir auf dem einen Mosaik von Santa Maria Maggiore vereint den Typ der Philoxenia mit drei Engeln (den »angelologischen«) und den »christologischen«, wo die drei Engel gedeutet werden als der präexistente Christus, der in Begleitung zweier Engel erscheint. Während dieser christologische Typus durch die starke Hervorhe­ bung des mittleren Engels leicht zu erkennen ist, ist der »angelologische« nicht so leicht von dem trinitarischen zu unterscheiden, weil in beiden die drei Gestalten einander an Wesen und Würde gleich oder doch sehr ähnlich sind. Aber ein deutlicher Hinweis auf das trinitarische Verständnis der Szene ist es, wenn die Darstellung die Beischrift »Heilige Dreifaltigkeit« erhalt, was vom 11. Jahrhundert an bezeugt ist54. In Rußland waren alle drei Bildtypen von früh an bekannt. Auf 29

einem Fresko auf der südlichen Empore der Kiewer Sophienkirche ist die Begrüßung der drei Engel bei Abraham dargestellt, auf einem anderen, auf der nördlichen Empore, ihre Bewirtung35. Die Engel sind auf beiden Fresken gleichrangig gezeichnet, allerdings auf dem zweiten (Bewirtung) mit unterschiedlichem Handgestus. Da dieses Fresko sich neben einem mit der Darstellung der drei Jünglinge im Feuerofen befindet, diese aber oft als Hinweis auf die Trinität aufgefaßt worden sind, darf man dies Fresko auf der nördlichen Empore vielleicht als zum trinitarischen Typus gehörend auffassen, das erstere (die Begrüßung) dagegen eher als angelologisch. Ein großartiges Beispiel des christologischen Typus steht der Ikone Andrej Rubljöws zeitlich und auch durch persönliche Beziehung sehr nahe. Es ist das Fresko in der Kirche der Verklärung Christi in Nowgorod (Groß-Nowgorod am Ilmensee)56, gemalt im Jahre 1378 von dem griechischen Maler Feofän Grek (d, h. Theophanes der Grieche), der dann später, im Jahre 1405, zusammen mit Andrej Rubljöw an der Ausmalung der Verkündigungskirche im Moskauer Kreml gearbeitet hat. Der mittlere Engel ist hier den seitlichen gegenüber stark hervor­ gehoben. Seine Gestalt ist mächtig, seine gewaltigen Flügel sind ausgespannt und bilden einen Bogen, der die ganze Gruppe umfaßt: die beiden seitlichen Engel, den Tisch, die dienend herbeieilende Sara57. Der mittlere Engel hält in der Hand eine Buchrolle - das Zeichen der zweiten Hypostase der Gottheit, des Sohnes, der das ewige Wort des Vaters ist. Ein eindeutiges Beispiel für den trinitarischen Typ, das, ebenso wie das Fresko des Feofän Grek, der Dreifaltigkeitsikone Andrej Rubljöws zeitlich und biographisch nahe steht, ist die sogenannte »syrjanische Dreifaltigkeit«. Die Syrjanen sind ein finnischer Volksstamm im Nordosten des europäischen Teils der Sowjetunion, westlich vom Ural, heute die Hauptbevölkerung der autonomen Komi-Republik. Sie wurden in der zweiten Hälfte des 14, Jahrhunderts durch Stefan von Perm christianisiert. Dieser war mit dem Gründer des Dreifaltigkeitsklosters, dem heiligen Ssergij, persönlich bekannt. Aus der Zeit, in der sie beide noch lebten und in der auch Andrej Rubljöw schon lebte, hat sich eine Dreifaltig­ keitsikone erhalten, die in ihrem Aufbau der des Andrej Rubljöw 30

nahesteht. Die drei Engel, gleich an Große, sitzen wie bei Andrej Rubljow um einen Tisch. Uber jedem der Engel befand sich eine Beischrift in syrjanischer Sprache, über dem mittleren: »Vater«, dem linken: »Sohn«, dem rechten: »G eist«58. Die drei Engel sind hier also eindeutig mit den drei Hypostasen der Dreifaltigkeit gleichgesetzt, und es ist sogar jedem der drei Engel eine bestimmte Hypostase zugeordnet. Gibt es also im Rußland vor Andrej Rubljow alle drei Typen der Darstellung der Abrahamsszene: die angelologische, die christologische und die trinitarische, so sind sie doch nicht streng von­ einander gesondert, sondern sie gehen ineinander über, wie ja auch lössif Ssanin geschrieben hatte, daß die drei Interpretationen von Gen. 18 sich im Grunde nicht widersprechen, da sie letztlich alle auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit hindeuten. So gehört zum Beispiel die Darstellung der Dreifaltigkeit auf der Goldenen Pforte von SsüsdaP, die um 1230 entstanden ist59, ihrem Bildcharakter nach eindeutig zum christologischen Typ, da der mittlere Engel durch Größe und Kreuznimbus und Schriftrolle deutlich hervorgehoben und als der Sohn, das ewige Wort Gottes, gekennzeichnet ist. Aber die Überschrift heißt »Heilige Dreifaltig­ keit«, Und die gleiche Überschrift trägt eine Pleskauer Ikone aus der Zeit um 1500, die die drei Engel, in Größe, Ansehen und Haltung fast ununterscheidbar, nebeneinander hinter dem Tisch sitzen läßt60, ähnlich wie auf dem Mosaik in Ravenna, die also der Darstellung nach eher dem angelologischen Typ zuzurechnen ist. Wie in der theologischen Deutung der biblischen Erzählung vom Besuch der drei Männer bei Abraham, so gab es also auch in ihrer bildlichen Darstellung zur Zeit Andrej Rubljöws verschiedene Ausprägungen nebeneinander. Es gab keine feste Vorschrift, keine eindeutige und verbindliche Tradition, Fest stand für orthodoxe Christen nur, daß die Dreizahl der Engel in irgendeiner Weise hinwies auf die Dreizahl der Hypostasen der trinitarischen Gottheit, und umgekehrt war es Tradition, daß für die bildliche Darstellung der Trinität vor allem diese Erzählung benutzt wurde. In dieser Situation hatte der Maler, der den Auftrag bekam, eine Ikone der Trinität zu malen, selbständig darüber nachzudenken, wie 31

er die biblische Erzählung aufzufassen habe und wie er den wesentlichen Inhalt des trinitarischen Dogmas in der Darstellung dieser Szene bildhaft zum Ausdruck bringen könne. Offenbar hat Andrej Rubljöw, ehe er an die Ausführung des ihm erteilten A uf­ trages ging, über beide Fragen selbständig und tief nachgedacht, Aber ehe wir aus dem Bild selbst zu erfahren suchen, in welcher Weise er diese Fragen beantwortet hat, wollen wir uns vergegen­ wärtigen, was uns die alten Quellen über das Leben dieses be­ gnadeten Künstlers und großen Theologen berichten, der uns in seiner Dreifaltigkeitsikone eine »Theologie in Farben« hinterlassen hat61.

5, Das Leben des Andrej Rubljöw Es gibt nur wenige alte und zuverlässige Quellen über das Leben des großen Malers. Im Wunsch, etwas mehr über ihn berichten zu können, haben Chronisten und Hagiographen im Lauf der Jahrhunderte allerlei hinzugefügt oder Vermutungen als gesicherte Nachrichten weitergegeben. Dadurch sind Widersprüche zwischen den einzelnen Quellen entstanden, und auch die modernen Bio­ graphen widersprechen sich in vielen wichtigen Fragen, weil sie die Quellen oft in unkritischer Weise benutzt, die Widersprüche durch Harmonisierung ausgeglichen, und neue Vermutungen hinzugefügt haben. Wir wollen darum die schriftlichen Quellen, die über Andrej Rubljöw berichten, selbst sprechen lassen und jeweils fragen, was an ihnen historisch glaubwürdig ist. Den höchsten Rang an Glaubwürdigkeit besitzen zwei Chronik­ zeugnisse, die offenbar auf zeitgenössische Aufzeichnungen zu­ rückgehen. In einer auf die Jahre 1408/9 zu datierenden Moskauer Chronik62wird mit recht genauen Angaben über die Ausmalung der Kirchen im Moskauer Kreml berichtet. Da heißt es unter dem Jahr 1 4 0 5 « ; »In jenem Jahr im Frühling begann man, die steinerne Kirche der heiligen Verkündigung auf dem H of des Großfürsten auszu­ malen (nicht die, die jetzt steht) ; die Meister aber waren der Ikonenmaler Feofan der Grieche und der Stärez Pröchor aus 32

Gorodéz und der Mönch Andréj Rubljöw; und im gleichen Jahr beendeten sie die Ausmalung der Kirche.« Die Nachricht geht, wie gesagt, auf gleichzeitige Chronistik zurück. Die Worte »nicht die, die jetzt steht« hat ein späterer Ab­ schreiber hinzugefügt, da die Kirche der Verkündigung »auf dem H of des Großfürsten« (d. h. auf dem von Kirchen und dem Zarenpalast umgebenen Hauptplatz des Moskauer Kreml) im Jahre 1482 abgebrochen und in den Jahren 1484 bis 1489 neu gebaut worden ist64. Andréj Rubljöw wird hier als dritter genannt, offenbar war er der jüngste unter den drei Meistern. Feofan Grek (= der Grieche), der Schöpfer des schon erwähnten Dreifaltigkeitsfreskos in der Verklä­ rungskirche in Now gorod war von dort nach Moskau gegangen, wo er seit 1395 bezeugt ist. Er war schon zu seinen Lebzeiten und ist noch heute in Rußland hoch geschätzt65. Uber den »Stärez« Pröchor aus Gorodez ist sonst nichts bekannt66. Ein Stärez ist ein im Mönchsleben erfahrener, erprobter Mönch. Andréj Rubljöw wird einfach »Tschernéz« genannt, d. h. »Mönch«, eigentlich »einer, der ein schwarzes Gewand (eben die Mönchs­ kutte) trägt«. Er ist also offenbar noch kein »Stärez«, noch nicht so erprobt im mönchischen Leben. Es ist wohl kein Zufall, daß er an dritter Stelle genannt wird; er dürfte der im Rang niedrigste der drei Maler gewesen sein. In welcher Weise er an der Ausmalung der Kirche beteiligt war, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Die Fresken von 1405 sind nicht erhalten, da die Kirche, wie gesagt, 1482 abgebrochen wurde. Die Nikonchronik (aus dem 16. Jahrhundert) berichtet unter dem Jahr 1547, daß bei dem großen Brand Moskaus am 21, Juni 1547 »die Kirche der Verkündigung auf dem Zarenhofe gebrannt« habe und so auch »die Déesis, die von Andréj Rubljöw gemalt worden war, die mit Gold beschlagen war . . ,«67 Unter »Déesis« ist hier die Ikonostase der Kirche zu verstehen. Es ist nicht gesagt, wie weit sie damals verbrannt ist. Große Teile von ihr sind bis heute erhalten. Man sieht aus dieser Nachricht, daß im Jahre 1547 der Name Andréj Rubljows so berühmt war, daß von den Schöpfern der Ikonostase nur er genannt wird. Der Ruhm Feofans und Pröchors scheint damals neben dem des Andrej Rubljöw verblaßt zu sein. 33

Eine zweite zeitgenössische Aufzeichnung über Andrej Rubljöw findet sich in der sogenannten »Sofijskaja« (= »Sophien-«) Chronik unter dem Jahr 6916 (= 1408)6S: »In diesem Jahr am 25, Mai begann man auf Geheiß des Großfürsten, die große steinerne Gemeinde­ kirche der heiligen Gottesmutter in Wladimir1 auszumalen, die Meister aber waren der Ikonenmaler Danilo und Andrej Rubljöw.« Die hier genannte Kirche in Wladimir’ an der Kljas’ma, 180 km von Moskau entfernt, war in den Jahren 1158 bis 1160 erbaut, 1185 bis 1189 nach einem Brand erweitert und erneuert worden69. Der hier genannte Großfürst von Moskau war der Fürst Wassilij Dmitrijewitsch, ein Sohn des Dmitrij Donsköj, des Siegers über die Tataren in der Schlacht am Don (daher der Beiname Donsköj) im Jahre 1380. Wieder wird Rubljöw an zweiter Stelle genannt, offenbar weil er jünger war als der vor ihm genannte »Danilo« (~ Daniel). Von der hier genannten Ausmalung der Kirche der Entschlafung der Maria in Wladimir haben sich Teile der Freskomalerei mit der Darstellung des Jüngsten Gerichtes erhalten70. Einen ähnlich halboffiziellen Charakter wie die Chroniknachrich­ ten, die zur Lebenszeit Andrej Rubljöws entstanden sind, trägt eine allerdings viel spätere Erwähnung des Malers in den Akten der sogenannten Stöglaw- {= Hundertkapitel-) Synode, die im Jahre 1551, also etwa 130 Jahre nach dem Tode Andrej Rubljöws, in Moskau gehalten wurde. Der Synode war neben vielen anderen Fragen auch die folgende vorgelegt worden: »Bei der heiligen Dreifaltigkeit malen die einen einen Kreuznimbus bei dem mittleren Engel, andere aber bei allen dreien; aber auf den alten Ikonen und auf den griechischen schreiben sie hinzu >Heilige Dreifaltigkeit«; einen Kreuznimbus aber malen sie bei keinem von ihnen; jetzt aber schreiben sie bei dem mittleren hinzu >IC XC< (= Jesus Christus) und >STÄJÄ TRCA< (= Heilige Dreifaltigkeit). Darüber soll man urteilen aus den göttlichen Kanones, wie man das jetzt malen soll.« Die Synode entschied: »Die Maler sollen die Ikonen abmalen von den alten Bildern, wie die griechischen Maler gemalt haben und wie Andrej Rubljöw gemalt hat und die übrigen hochberühmten Maler, und man soll hinzuschreiben >STAJA TRCA< (= Heilige Dreifal­ tigkeit), aber nichts abändern aus eigener Klügelei.«71 34

Diese Synodalentscheidung ist das einzige überlieferte schriftliche Zeugnis, aus dem hervorgeht, daß Andrej Rubljow eine Trinitäts­ ikone (oder auch mehrere solcher Ikonen) gemalt hat. Daß es die ist, die wir ihm heute allgemein zuschreiben, wird hier allerdings nicht gesagt, sondern es wird nur Bezug genommen auf die Art, wie dieser Maler die Dreifaltigkeitsikone gemalt hat. Und selbst wenn die Väter der Hundertkapitelsynode die örtliche Ikone des Dreifal­ tigkeitsklosters bei ihrer Entscheidung im Auge hatten, so ist dadurch nicht mit völliger Sicherheit auszumachen, ob sie recht hatten, wenn sie Andrej Rubljow als ihren Schöpfer ansahen. Ebenso wie der Verfasser der Nikonchronik im Jahre 1547 die ganze Ikonostase der Verkündigungskathedrale im Moskauer Kreml dem Andrej Rubljow zuschreibt, könnte die Überlieferung sich (130 Jahre nach dem Tode des Malers) so auf den einen Namen des be­ rühmtesten unter den Ikonenmalern des frühen 15. Jahrhunderts konzentriert haben, daß ihm auch dieses hochangesehene Meister­ werk zugeschrieben wurde. Aber es spricht auch nichts gegen die Richtigkeit dieser Überlieferung, und so können wir, auch wenn die letzte dokumentarische Gewißheit fehlt, weiterhin Andrej Rubljow als Schöpfer der Dreifaltigkeitsikone des Ssergij-Klosters betrachten und bezeichnen. Wesentlich geringer in ihrem dokumentarischen Wert als die Chroniknachrichten sind die Erwähnungen Andrej Rubljöws, die in hagiographischen Erzählungen enthalten sind. Eine alte Vita gibt es nicht über ihn, da er erst in unserer Zeit, auf dem Konzil, das aus Anlaß der Tausendjahrfeier der Russischen Orthodoxen Kirche im Juni 1988 im Dreifaltigkeitskloster gehalten wurde, kanonisiert worden ist72. Aber die Viten der beiden ersten Äbte des Dreifaltig­ keitsklosters, des heiligen Ssergij und des heiligen Nikon, enthalten wertvolle Nachrichten über den Bau und die Ausmalung der Kirche, für die Andrej Rubljow diese Ikone gemalt hat, und über diesen selbst. Eine zusammenhängende Schilderung der Vorgänge, die zum Bau der Dreifaltigkeitskirche im Ssergij-Kloster und zu ihrer Ausmalung und damit auch zur Entstehung der Dreifaltigkeitsikone geführt haben, gibt uns der Hagiograph Pachömij »der Serbe«, der um 1450 in Moskau gelebt hat. Er erzählt in seiner Vita des Nikon, der nach 35

dem Tode Ssergijs (1391) bis zu seinem eigenen Tod im Jahre 1427 Abt des Dreifaltigkeitsklosters war, von der Zerstörung dieses Klosters durch die Tataren im Jahre 1408 und dem nachfolgenden Wiederaufbau des Klosters und dem Bau und der Ausmalung der heute noch stehenden Dreifaltigkeitskirche, in der auch die Reliquien des heiligen Ssergij ruhen, folgendes73: »In jenen Zeiten hörte man, daß der gottlose Jedegej mit den übrigen Barbaren gegen das russische Land ziehe. Und die ganze Rechtgläu­ bigkeit [alle orthodoxen Christen] war in großer Furcht sehr bedrängt. Der selige Nikon aber erhob die Augen seines Geistes gen Himmel und dazu auch die Hände und betete seiner [Mönchs-] Regel entsprechend bei Nacht und rief auch die Gebete seines [geistlichen] Vaters [Ssergij] herbei, daß auch dieser dem gemein­ samen Herrscher Christus ein Gebet hinbreite, er möge jenen Ort [das Dreifaltigkeitskloster] nicht der Verwüstung durch die gottlo­ sen Hagar-Söhne [die Tataren] preisgeben. Nachdem er das Gebet verrichtet hatte, setzte er sich, ein wenig auszuruhen von der Mühe, und als er in einen leichten Schlaf entrafft wurde, erschienen ihm drei überaus helle Leuchten: die großen Hierarchen Petr und Aleksij [verstorbene Metropoliten von Moskau] und mit ihnen auch der selige Ssergij und sprachen zu ihm, indem sie sagten: Der Einfall der Fremdstämmigen ist nach Gottes Fügung beschlossen. Du aber, Kind, sei nicht bekümmert, sondern ermanne dich, und dein Herz werde fest. Denn wenn auch eine kleine Zeit die Prüfung stattfinden wird, so wird jener Ort doch frei sein von endgültiger Verwüstung und sich vielmehr sehr erweitern. Nachdem sie dies gesagt hatten, segneten sie ihn, und nachdem sie ihm Frieden zugesagt hatten, wurden sie sogleich unsichtbar. Da der Selige aber von dem Gesicht erwachte, lief er schnell zur Tür der Zelle und sieht sie verschlossen. Er öffnete sie und erblickte deutlich die Seligen, wie sie von den Zellen hinwegschritten. Daran erkannte er, daß das Gesicht wahr gewesen sei und der Einfall der Gottlosen stattfinden werde. Und er sagte: Es geschehe der Wille des Herrn. Da aber wenig Zeit vergangen war, nahm das Prophezeite seinen Anfang, und die Barbaren verheerten jenes Land und kamen auch zum Kloster des seligen Vaters [Nikon] und übergaben alles, was sie fanden, dem Feuer. Der selige Nikon aber war zusammen mit 36

den anderen Brüdern von dort gewichen, Raum gebend dem kommenden Zorn7h Da die Barbaren aber abgezogen waren, kehrt der Selige wieder zurück zu seinem Kloster und sieht diesen geliebten Ort und die Mühen seines Vaters [Ssergij] mit Feuer verbrannt - ein Kummer, so groß, wie er jener seligen Seele zu erleben nicht ziemte, da er sah, wie alles, was voll Ehrfurcht an seinen heiligen Vater denken ließ, von den Gottlosen niedergetreten war. Aber er ließ sich von dem Kummer nicht niederwerfen, verzagte nicht, verlor nicht den Mut zur Tat, sondern alsbald steht er mannhaft auf wie ein tapferer Krieger nach dem Sieg der Gegner sich nicht endgültig zur Flucht vor dem Feinde wendet, sondern mannhaft aufsteht, seine Krieger sammelt und den Sieg erringt. So sammelt auch dieser heilige tapfere Hirt die auseinandergelaufene Herde seiner Jünger, die der Räuber (im geistlichen Sinne) auseinandergejagt hat. Und zuerst nun baut er eine hölzerne Kirche auf den Namen der heiligen und lebenspendenden Dreifaltigkeit. Danach errichtet er Zellen und richtet die Gottesdienste ein gemäß ihrer Ordnung. Und von den umgebenden Orten läuft eine Menge von Mönchen und eine nicht geringe Zahl einfacher Leute zusammen, die sich freuen über die Ankunft des Großen [Nikon], Der Heilige aber nahm sie auf mit väterlichem Erbarmen und nahm sich ihrer als seiner geliebten Kinder an mit aller Fürsorge und tat alles für sie nach Art eines kinderliebenden Vaters und bewirtete alle mit Worten nutzbringender Lehren und bereitete eine reiche geistliche Tafel und trifft für seine Kinder die besten Anordnungen, nämlich; die Seele zu reinigen und den inneren Menschen zu erleuchten. Und so sehr es zuvor betrüblich gewesen war, mit den Augen die verbrannte Schönheit des Klosters zu schauen, so empfing ihre Seele nun zwiefache Fröhlichkeit, da sie die zweite Herrlichkeit73 schauten. Und seitdem breitete sich das Kloster weiter aus und wurde größer, und [dadurch] wurden die Tugenden des Seligen offenbar [weil das Gedeihen des Klosters deutlich machte, daß Gottes Wohlgefallen auf seinem Gründer ruhte], und eine jede von ihnen [von diesen Tugenden] zieht das Wort an [d. h. ist es wert, durch Worte gepriesen zu werden], und dies nötigte uns zu reden [seine Lebensbeschreibung niederzuschreiben]. Wir aber sind wegen der Armut unseres Verstandes im Zweifel, was wir zuerst 37

erzählen sollen. Aber nachdem wir das jetzt Vorliegende [d. h. das eben Erzählte] in Kürze erwähnt haben, wollen wir danach auch das übrige, so weit es möglich ist, darlegen76. Nach dieser Zeit aber trachtete der Abt, eine steinerne Kirche über dem Grab seines [geistlichen] Vaters zu errichten. Und er sammelt von überall her Bauleute und geschickte Steinmetzen und Ziegel­ steinmacher, und durch den Beistand Gottes errichtete er in kurzer Zeit eine schöne Kirche auf den Namen des in der Dreifaltigkeit gerühmten Gottes, der zu diesem Werk Beistand leistete, und zum Gedächtnis und Lobpreis seines [geistlichen] Vaters. Und nachdem er sie mit vielen Kostbarkeiten geschmückt hatte77, verlangte es ihn gar sehr, sie auch mit Ausmalungen zu schmücken. Aber er wurde von einigen gehindert, wegen der Armut die nach jenem Kummer eingetreten war78. Er aber, besiegt von diesem Wunsch, war eifrig bestrebt, jene Kirche [noch] mit eigenen Augen mit aller Schönheit geschmückt zu sehen. Und alsbald sammelte er Männer, Maler, die in Tugenden vollkommen waren, Daniil mit Namen und seinen Mitfaster, Andrej, und andere mit ihnen, und alsbald beginnen sie mit dem Werk und schmücken sie mit überaus vielfältiger Ausmalung, die alle, die sie sehen, in Erstaunen zu setzen vermag. Und als sie alles vollendet haben, gehen sie [Daniil und Andrej Rubljöw] alsbald fort in eines der Klöster der gottbehüteten Stadt Moskau, genannt Andrönikow-KfosterN Und dort verschönten sie die Kirche auf den Namen des allerbarmenden Heilandes gleichfalls durch ihre Ausmalung und hinterließen diese [Ausmalung] als das letzte Werk ihrer Hände, sich zum Andenken, Und nach einer kurzen Weile verließ der demütige Andrej dieses Leben und ging heim zum Herrn und ebenso sein Mitfaster Daniil; sie beide empfingen, nachdem sie tugendhaft gelebt hatten, in hohem Alter ein seliges Ende. Als nämlich Daniil im Begriff war, sich von den Banden seines Leibes zu lösen, sieht er alsbald seinen geliebten Andrej, der ihn in Freuden ruft. Er aber, als er ihn sah, wurde von großem Verlangen ergriffen und wurde voll Freude und kündete den Brüdern, die um ihn herum standen, das Kommen seines Mitfasters und gab alsbald seinen Geist auf. Es sahen aber die dort [im Andrönikow-Kloster] weilenden Brüder das Hinscheiden dieser beiden, und von daher erkannten sie in ihrem 38

Verstand, daß der selige Nikon deswegen geeilt hatte, die Kirche der heiligen Dreifaltigkeit durch Ausmalung zu verschönen, weil er verstanden hatte, daß jene geistlichen Männer bald hinscheiden würden, und deswegen war er auch so überaus dankbar [daß es ihm gelungen war, sie zur schnellen Vollendung der Ausmalung der Kirche zu bewegen].«80 Nach dieser Erzählung waren Daniil und Andrej Rubljow also nicht Mönche des Dreifaltigkeitsklosters, sondern sie wurden von dem Abt Nikon von außerhalb her berufen, offenbar aus dem Andronikow-Kloster bei Moskau, in das sie nach Vollendung der Arbeit im Ssergij-Kloster zurückkehrten. Sie sind nach dieser Erzählung vor dem Abt Nikon gestorben; denn der Schluß der Erzählung ist doch wohl so zu verstehen, daß der Abt Nikon von besonderer Dankbarkeit erfüllt wurde, als er hörte, daß die beiden Maler gestorben seien, weil sie auf sein Drängen hin die Ausmalung der Kirche noch hatten vollenden können. Freilich paßt mit dieser Nachricht nicht sehr gut zusammen, daß sie vor ihrem Tod auch noch die Kirche im Andrönikow-Kloster ausgemalt hätten. Und in der Tat gibt es eine andere, kürzere Fassung der Nikon-Vita, die gleichfalls von Pachömij dem Serben stammt, in der die Ereignisse besser zueinander stimmen und wo außerdem ausdrück­ lich gesagt wird, daß Andrej Rubljöw und Daniil Tschörnyj vor Nikon gestorben seien. In dieser kürzeren Redaktion heißt es über die Ausmalung der Kirche zunächst ebenso wie in der ausführlichen, daß Nikon trotz des Widerstandes einiger der Brüder die Ausma­ lung eifrig betrieben habe, daß er Daniil und Andrej Rubljöw und »einige mit ihnen« berufen habe. Dann geht es, abweichend von der ausführlichen Redaktion weiter85: »Eilig betrieb er dieses Werk, weil er das baldige Hinscheiden jener geistlichen Männer, der Maler, aus diesem Leben und sein eigenes [Hinscheiden] im Geiste voraussah, weiches auch nach kurzem und nach Vollendung des Werkes geschah. Aber da Gott half, das Werk des Heiligen [Nikon: nämlich die Ausmalung der Kirche] zu beenden, beginnen sie alsbald eifrig mit ihm [dem Werk] und schmückten sie [die Kirche] mit überaus vielfältiger Ausmalung wunderbar, die alle, die sie sehen, bis jetzt in Erstaunen zu setzen vermag, indem diese heiligen Männer [die Maler] das letzte Werk ihrer Hände, sich zum Andenken, zu39

rückließen,« Uber den Tod der beiden Maler wird dann mit den gleichen Worten berichtet wie in der ausführlichen Redaktion, Es ist darüber gestritten worden, ob die ausführliche oder die kurze Fassung der Nikon-Vita die ursprüngliche Ist. Ich glaube, daß mindestens an dieser Stelle die kürzere Fassung den Vorzug ver­ dient. Die Nachrichten der Kurz- und der Langfassung widersprechen sich besonders in der Frage, ob die Ausmalung der Dreifaltigkeitskirche im Ssergij-Kloster oder die der Heilandskirche im AndrömkowKloster »das letzte Werk der Hände« des Daniil Tschörnyj und des Andrej Rubljöw waren. Ich stelle die Nachrichten noch einmal nebeneinander: Kurze Fassung: Lange Fassung 1, Nikon wünscht die Ausma­ (Ebenso,) lung der Kirche. 2, Er setzt sie durch gegen den (Ebenso.) Widerstand der Brüder. 3, Er beruft Daniil, Andrej (Ebenso,) und andere. 4. Er betreibt das Werk mit (Die Nachricht fehlt hier, wird Eile, well er den baldigen aber in Nr. 9 vorausgesetzt.) Tod der beiden Maler und seinen eigenen voraussieht, 5. Die Maler beginnen und (Ebenso, ohne »bis heute«.) vollenden ihr Werk, das bis heute alle Betrachter in Er­ staunen setzt. Nach Vollendung der Arbeit im 6. Ssergij-Kloster gehen die Maler nach Moskau ins AndrönikowKloster, malen hier die Hei­ landskirche aus. 7. Sie hinterlassen dies Werk (Ebenso.) als das letzte ihrer Hände, sich zum Andenken. 8. Bald danach stirbt Andrej, (Ebenso.) dann Daniil, 40

9. (Fehlt; siehe aber Nr. 4.)

Die Brüder, die den Tod der beiden sehen, verstehen jetzt, warum Nikon so geeilt hat. (Ebenso, aber kürzer.)

10. Deswegen ist Nikon überans dankbar. An etwas späterer Stelle wird in der kurzen Redaktion noch einmal gesagt, daß Nikon im voraus gewußt habe, daß er bald nach den beiden Malern Daniil Tschörnyj und Andrej Rubljöw sterben werde, was in der ausführlichen Redaktion an der entsprechenden Stelle fehlt. Der Hauptwiderspruch zwischen beiden Fassungen besteht also darin, daß in der kurzen Fassung gesagt wird, das letzte Werk der beiden Maler sei die Ausmalung der Dreifaltigkeitskirche im Ssergij-Kloster gewesen, dagegen in der langen: die Ausmalung der Kirche im Moskauer Andrönikow-Kloster. Einen weiteren Widerspruch hat man darin gesehen, daß nach der kurzen Fassung die beiden Maler im Ssergij-Kloster gestorben seien, dagegen nach der ausführlichen im Andrönikow-Kloster. Aber dieser Widerspruch ist nur scheinbar. Denn in der kurzen Fassung ist über den Ort des Todes der beiden Maler nichts gesagt. Hier interessiert den Schriftsteller einerseits die Ausmalung der Kirche im Dreifaltigkeitskloster und andererseits die Erfüllung des Vor­ auswissens Nikons um den Tod der Maler und seinen eigenen Tod. Nachdem Pachömij berichtet hat, daß die Ausmalung beendet sei, erzählt er in der kurzen Fassung vom Tod der beiden Maler, wodurch das Vorwissen Nikons bestätigt wird. Wo die beiden gestorben sind, ist ihm hierbei nicht wichtig. Das AndronikowKloster wird in seiner Erzählung gar nicht erwähnt, weil es im Rahmen der Nikon-Vita unwichtig ist, woher die Maler kamen und wohin sie nach Vollendung des Werkes gegangen sind. In einer Zeit aber, als die Verehrung des Andrej Rubljöw im Wachsen war, hatten biographische Angaben über ihn schon ein eigenes Interesse gewonnen. Man wußte, daß er im AndrönikowKloster in Moskau gestorben war und fügte in der langen Redaktion diese Nachricht ein, zumal nach der kurzen Fassung ja tatsächlich das Mißverständnis entstehen konnte, die beiden Maler wären im Ssergij-Kloster gestorben. Wollte man aber die Nachricht über den 41

Ort des Todes der beiden Maler einfügen, so mußte man auch sagen, daß sie nach Vollendung der Ausmalung der Dreifaltigkeitskirche im Ssergij-Kloster von dort weggegangen seien in das Androntkow-Kloster nach Moskau; sprach man aber einmal über dieses Kloster, so lag es nahe, auch zu erwähnen, daß die Ausmalung der Kirche dieses Klosters gleichfalls von Daniil Tschornyj und Andréj Rubljow geschaffen worden war. Wann das gewesen war, wußte der Verfasser der ausführlichen Redaktion offenbar nicht. Anscheinend hat er ja auch angenommen, daß die beiden überhaupt jetzt erst in das Moskauer Andrömkow-Kloster eingetreten seien; denn er sagt nicht, sie seien dorthin »zurückgekehrt«, sondern er sagt, sie seien aus dem Ssérgij-Kloster »weggegangen« nach Moskau. Nahm er dies an und wußte er andererseits, daß sie die Kirche des AndrönikowKlosters ausgemalt hatten, so mußte er diese Ausmalung auf die Zeit nach ihrer Tätigkeit im Ssergij-Kloster datieren. Die Nachricht der kurzen Fassung, daß die Ausmalung der Kirche im Ssergij-Kloster das letzte Werk der Hände der beiden Maler gewesen sei, mußte er also abändern und sie übertragen auf die Ausmalung der Kirche des Andrönikow-Klosters. So löst sich der Widerspruch der beiden Fassungen bei der Annahme, daß die Kurzfassung die ursprüngliche ist, ohne Schwierigkeit auf. Der Kurzfassung können wir entnehmen, daß Andrej Rubljow und Daniil Tschornyj nicht Mönche des Dreifal­ tigkeitsklosters gewesen, sondern daß sie als erstklassige Maler zur Ausmalung von außerhalb her dorthin berufen worden sind; daß diese Ausmalung das letzte Werk ihrer Hände war, und daß sie bald nach ihrer Vollendung und vor dem Abt Nikon gestorben sind, also vor dem 17. November 1427S2, Aus den Ergänzungen der Langfassung der Nikon-Vita ergibt sich, daß das Kloster, in das die beiden Maler nach Vollendung ihrer Arbeit im Dreifaltigkeitskloster gegangen sind, das AndrönikowKloster in Moskau war, daß sie hier auch gestorben sind und daß sie auch in diesem Kloster als Maler gewirkt haben. Vermuten dürfen wir nach dieser Nachricht der Langfassung, daß das Andrömkow-Kloster überhaupt das Stammkloster des Andrej Rubljow gewesen ist. Die Ausmalung der Kirche dieses Klosters aber könnte sehr wohl auf eine frühere Zeit zu datieren sein. Da von 42

dieser Ausmalung nur ganz geringfügige Reste erhalten sind, können stilistische Vergleiche keine Hilfe bei der Datierung leisten. Die Nachrichten der kurzen Fassung der Nikon-Vita werden be­ stätigt durch einen Abschnitt der Vita des heiligen Ssergij, der sich nur in einer der Redaktionen dieser Vita findet, der sogenannten Redaktion D , die, wie die Nikon-Vita, etwa auf die Mitte des 15. Jahrhunderts zu datieren ist. Dort wird zunächst über den Bau der Dreifaltigkeitskirche im Ssergij-Kloster berichtet. Dann heißt es, in einer Art Nachtrag zu diesem Bericht83: »Wir müssen aber auch dies Wunderbare noch erwähnen, wie sich der Wunsch des heiligen Vaters, des Vorstehers, Nikon mit Namen, erfüllt hat. Gebeten84von ihm wurden die tugendhaften Starzen und Maler Daniil und der zuvor erwähnte Andrej, die ständig geistliche Bruderschaft und große Liebe zueinander hatten. Und als sie diese Kirche durch ihre Ausmalung geschmückt hatten, gelangten sie zum Ende ihres gottgefälligen seligen Lebens, und so gingen sie fort zum Herrn, indem sie einander schauten in geistlichem Bund, wie sie auch hier gelebt hatten, und dies ihr letztes Malwerk als Andenken an sich zurückheßen, wie es von allen angeschaut wird.« Wie in der kurzen Redaktion der Nikon-Vita wird auch hier die Ausmalung der Dreifaltigkeitskirche im Ssergij-Kloster als ihrletztes Werk bezeichnet. Fast gleichlautend heißt es auch, daß sie dies gleichsam als Denkmal für sich zurückgelassen haben. Auf die Legende vom Tod der beiden, wo sie »einander schauten«, wird angespielt, aber so kurz, daß wir die Anspielung kaum verstehen könnten, wenn wir nicht die Nikon-Vita hätten. Da dieses Stück, wie gesagt, innerhalb der Ssergij-Vita wie ein Nachtrag wirkt, kann es m. E. kaum bezweifelt werden, daß es aus der kurzen Redaktion der Nikon-Vita übernommen ist. Es hat also keinen eigenen Quellen­ wert, bestätigt aber das Alter und das Ansehen dieser Redaktion. Von Andrej Rubljöw wurde in dem zitierten Stück gesagt, er sei schon »zuvor erwähnt« worden. In der Tat war gerade in dieser Redaktion D der Ssergij-Vita (und nur in ihr!) Andrej Rubljöw schon einmal genannt worden, und zwar bei der Erzählung über die Entstehung des Andrönikow-Klosters. Die Geschichte dieses Moskauer Klosters gehört insofern in den Rahmen der Ssergij-Vita, als Andrönik, der erste Abt dieses 43

Klosters, das auch nach ihm den Namen »Andrönikow-Kloster« trägt, ein Schüler des Ssergij war. Die früheste Fassung der Ssergij-Vita begnügt sich damit, die Geschichte der Gründung dieses Klosters und die Tätigkeit ihres ersten Abtes, Andröniks, zu erzählen. Spätere Fassungen berichten dann auch noch von dem Nachfolger des Andrönik, Ssäwwa, und die Redaktion D auch noch über den dritten Abt des Klosters, Alekssändr. Bei dieser Gelegen­ heit erwähnt sie auch Andrej Rubljöw und erzählt über ihn folgendermaßen85: »Nach dieser Zeit aber wurde Abt in jenem Kloster ein Schüler des zuvor genannten Abtes Ssäwwa, mit Namen Alekssändr, ein tugendhafter, weiser, ganz außergewöhnlicher Mann, und ebenso auch ein anderer Stärez von ihm86, mit Namen Andrej, ein ganz außergewöhnlicher Ikonenmaler, der alle übertraf an großer Weisheit und der ehrwürdiges Grauhaar hatte und viele andere87. Da diese [beiden] das Kloster durch die Gnade Christi gut verwalteten, hielten sie einen guten Rat mit den Brüdern, und mit Gottes Hilfe bauten sie in ihrem Kloster eine steinerne Kirche, sehr schön, und sie verschönten sie mit ihren eigenen Händen mit wunderbarer Ausmalung, zum Andenken an ihre [geistlichen] Väter88. Dies ist noch heute für alle sichtbar zum Ruhm von Christus-Gott. Und nachdem diese wunderbaren, ewigen Anden­ kens würdigen Männer dies alles in solcher Weise eingerichtet und gottgefällig gelebt hatten, gingen sie heim zum Herrn, zu den Wohnstätten ihrer Väter, und er möge sie würdigen, mit ihnen teilzuhaben an ihrem Gedenken89und am himmlischen Reich. Soviel über dieses.« Diese Erzählung stellt ganz offenbar eine noch spätere Stufe der Überlieferung dar als die der Langfassung der Nikon-Vita über die Ausmalung der Kirche des Andrönikow-Klosters durch Daniil und Andrej. Von Daniil ist schon gar nicht mehr die Rede, Sein Name ist offenbar schon verblaßt vor dem des in der Nachwelt berühm­ teren Andrej Rubljöw. Trotzdem sind nach der Erzählung mehrere an der Ausmalung der Kirche beteiligt, und fast sieht es so aus, als habe Andrej Rubljöw zusammen mit dem Abt Alekssändr die Kirche ausgemalt. Und andererseits scheint es fast so, als habe Andrej Rubljöw zusammen mit dem Abt das Kloster verwaltet und 44

als sei auf ihrer beider Initiative hin die Steinkirche im Andremkow-Kloster gebaut worden, die noch heute als eins der ältesten Bauwerke Moskaus steht. Manche Forscher haben daraus geschlos­ sen, daß Andrej Rubljow auch als Architekt tätig war, andere, daß er für den Bau dieser Kirche reichliche Finanzmittel beigesteuert hat, die ihm aus seiner künstlerischen Tätigkeit zugeflossen wären90. Aber das alles ist in hohem Grade unwahrscheinlich. Sehr merkwürdig mutet es an, daß in dieser Erzählung gar nicht von einer Vorgängerkirche die Rede ist, die es in dem Kloster unbedingt gegeben haben muß, wenn die jetzt noch bestehende Kirche dieses Klosters tatsächlich erst unter Abt Alekssändr gebaut worden wäre. Die Erzählung dürfte eine freie Kombination folgender im Andronikow-Kloster weiterlebender Überlieferung sein: 1. daß Andrej Rubljow nach dem Tode des Abtes Ssäwwa unter dem Abt Alekssändr im Andronikow-Kloster gelebt hat und hier gestorben ist; und 2, daß er an der Ausmalung der Kirche des Andrönikow-Klosters beteiligt war. Die Erzählung zeigt weiterhin, daß der Name des Andrej Rubljow im Laufe des 15, Jahrhunderts immer berühmter wurde und den seines älteren Mitarbeiters Daniil in den Schatten treten ließ und daß im Andronikow-Kloster sein Andenken geehrt und gepflegt wurde. Diese wachsende Verehrung bezeugt auch der schon erwähnte lossit Ssänin (gest. 1515), der Abt des Klosters von Wolokolämsk, der unter Berufung auf Erzählungen, die ihm ein ehemaliger Abt des Ssergij-Klosters, Spirid0n,im jahr 1478, also etwa 50 Jahre nachdem Tode Andrej Rubljows übermittelt hatte, folgendes schreibt: »Der heilige Andmnik glänzte mit großen Tugenden, und mit ihm waren seine Schüler Ssäwwa und Alekssändr und jene wunderbaren und sehr berühmten Ikonenmaler, Daniil und sein Schüler Andrej und viele andere, ebensolche. Und sie hatten solcheTugend und sol­ chen Eifer zum Fasten und zur mönchischen Lebensweise, daß sie so teilhaft wurden der göttlichen Gnade und so fortschritten in der göttlichen Liebe, daß sie niemals um Irdisches sorgten, sondern immerdar ihren Geist und ihre Gedanken emporhoben zum nicht-materiellen und göttlichen Licht, ihr smnenhaftes Auge aber 45

immer erhoben zu den mit materiellen Farben91 gemalten Bildern des Herrn und seiner allreinen Mutter und aller Heiligen, Darum saßen sie sogar an dem Festtag der lichten Auferstehung Christi auf Stühlen vor den göttlichen und allreinen Ikonen und schauten un­ unterbrochen auf sie, wobei sie erfüllt wurden von göttlicher Freude und Lichtglanz, Und nicht nur an diesem Tage machten sie es so, sondern auch an anderen Tagen, wenn sie nicht dem Bil­ dermalen oblagen. Dafür hat ihr Herr, Christus, sie in ihrer Todesstunde auch verherrlicht. Zuvor starb Andréj, danach aber erkrankte auch sein Freund Daniil; und als dieser seinen Geist aufgab, sah er seinen Freund Andréj in großer Herrlichkeit, der ihn mit großer Freude zu sich rief in die ewige und unendliche Seligkeit.« Die rührende Erzählung über die Feiertagsbeschäftigung der berühmten Ikonenmaler ist durchaus vertrauenswürdig. Spiridön, der von 1467 bis 1474 Abt des Dreifaltigkeitsklosters war, dürfte sie aus mündlicher Tradition haben, die in diesem Kloster, in dem Daniil und Andréj »das letzte Werk ihrer Hände« vollbracht hatten, lebendig war92. Iössif, der dies berichtet, besaß selbst drei Ikonen, die Andrej zugeschrieben wurden. Für eine von ihnen hatte er 20 Rubel bezahlt ~ eine Summe, für die man damals ein halbes D orf kaufen konnte. Im Jahre 1545, also 30 Jahre nach dem Tode Iössifs, besaß sein Kloster in Wolokolämsk laut erhaltenem Inventar neun Ikonen, die Andrej Rubljöw zugeschrieben wurden93. Auch wenn dies im Einzelfall nicht gestimmt haben sollte, zeugt es von der wachsenden Verehrung des Andréj Rubljöw, die es dann verständlich macht, warum die Nikonchronik im Jahre 1547 ihn allein als Schöpfer der in diesem Jahr durch Brand beschädigten Ikonostase der Verkün­ digungskirche im Kreml nennt und warum die Hundertkapitelsy­ node im Jahre 1551 ihn als Schöpfer des inzwischen klassisch, kanonisch gewordenen Typs der Dreifaltigkeitsikone hervorhebt. Häufig wird unter den Quellen zum Leben des Andréj Rubljöw auch ein kleiner Artikel genannt, der in dem »Bericht über heilige Ikonenmaler« über ihn enthalten ist (russ. »Skazanie o svjatych ikonopiscach«)94. Das ist ein Sammelwerk, entstanden um 1700, in dem aus älteren Quellen zusammengetragen ist, was man über die russischen Ikonenmaler wußte. Da heißt es über Andréj Rubljöw: 46

»Der heilige Vater Andrej von Radonesh, Ikonenmaler, mit Beinamen Rubljow, hat viele heilige Ikonen gemalt, sie alle sind wundertätig, wie über ihnen geschrieben ist im Buch der Hundert­ kapitelsynode des heiligen wunderbaren Metropoliten Makärij, daß man die Ikonen malen soll nach seiner Malweise und nicht nach eigenem Ausdenken. Zuvor aber lebte er im [mönchischen] Ge­ horsam bei dem heiligen Vater Nikon von Radonesh, Der befahl ihm, bei sich [d. h. in seinem, Nikons, Kloster, also im SsérgijKloster] das Bild der Heiligen Dreifaltigkeit zu malen zum Lob seines [Nikons] heiligen Vaters, des Wundertäters Ssérgij, Der heilige Vater Daniil, sein Mitfaster, ein Ikonenmaler, genannt Tschörnyj [— »der Schwarze«, also; der Mönch], malte zusammen mit ihm heilige, wunderbare Ikonen und war überall unzertrennlich bei ihm. Kurz vor ihrem Tode kamen sie nach Moskau in das Heilandskloster der heiligen Väter Andrönik und Ssäwwa und malten auf Einladung des Abtes Alekssandr, eines Schülers des heiligen Andrönik, die Kirche mit Wandmalereien aus und wurden selbst gewürdigt, hier zur [ewigen] Ruhe im Herrn zu kommen, wie von ihnen geschrieben ist in der Vita des heiligen Nikon.« Wer die älteren Quellen kennt, spürt, daß hier nichts gesagt wird, was uns nicht schon aus jenen bekannt wäre. Der Kompilator sagt uns ehrlicherweise auch selbst, woher er seine Kenntnisse hat: Es ist die Entscheidung der Hundertkapitelsynode und die NikonVita, und zwar deren ausführliche Fassung, was daraus hervorgeht, daß die Ausmalung der Kirche des Andrönikow-Klosters als das letzte Werk Daniils und Andréjs bezeichnet wird. Interessant ist, wie sich die Überlieferung allmählich verschiebt. Das berühmteste Andréj Rubljow zugeschriebene Werk ist jetzt die Dreifaltigkeitsikone, und nun wird behauptet, der Abt Nikon habe Andrej Rubljow befohlen, diese zu malen, während in der Nikon-Vita selbst nichts davon steht, sondern es dort nur heißt, daß Andrej Rubljow an der Ausmalung der Kirche des Ssérgij-Klosters beteiligt war. Daniil Tschörnyj wird neben Andréj Rubljow genannt, aber er ist an die zweite Stelle gerückt. Die Aussage des Berichtes, Andréj Rubljow habe »im Gehorsam« (russ. »v poslusanii«) des Abtes Nikon gelebt, haben manche so verstanden, als sei er unter Nikon »poslusnik«, d. h. Novize ge47

wesen. Da Nikon seit 1391 Abt im Ssergij-Kloster war, hat man weiter gefolgert, Andrej sei nach 1391 als Novize in das SsergijKloster eingetreten, dieses sei also sein Mutterkloster. Aber dagegen Ist richtig bemerkt worden93, das Leben »im Gehorsam« des Abtes brauche durchaus nicht das Noviziat zu bezeichnen; vielmehr könne es auch in dem allgemeineren Sinn zu verstehen sein, daß alles, was in einem Kloster getan wird, »im Gehorsam« gegen den Abt geschieht. Es kommt hinzu, daß dieses »Skazanie«, wie wir sahen, überhaupt keinen eigenen Quellenwert hat; selbst wenn es meinen sollte, Andrej Rubljöw sei unter Nikon als Novize ins Ssergij-Kloster eingetreten, so wäre das nur eine Interpretation der uns schon bekannten Nachricht aus der erweiterten Fassung der Nikon-Vita. Ein wichtiges Argument gegen die weitverbreitete Annahme, Andrej Rubljow sei Mönch des Ssergij-Klosters gewesen, ist die Tatsache, daß der Abt Spiridön, von dem lössif Ssanin seine Informationen über Andrej Rubljow hatte, selbst Abt des SsergijKlosters gewesen war. Er aber weiß nichts von jener Annahme, für ihn ist Andrej Rubljöw eindeutig und ausschließlich mit dem Andrönikow-Kloster verbunden96. Endlich ist auch die Aussage dieses Berichtes, Nikon habe dem Andrej Rubljow »befohlen«, die Dreifaltigkeitsikone zu malen »zum Lobe seines [Nikons] Vaters, des Wundertäters Ssergij«, oft zitiert und dabei vielfach überbewertet worden. Man hat aufgrund dieser Behauptung vermutet, die Ikone sei ursprünglich über dem Schrein mit den Reliquien des heiligen Ssergij aufgestellt worden. Aber das ist kaum gemeint. Alles, was im Ssergij-Kloster getan und geschaffen wird, und besonders ein solches allgemein anerkanntes Kunstwerk wie die Dreifaltigkeitsikone dient natürlich »zum Lob« des heiligen Gründers dieses Klosters. Lag schon der Nachricht, daß Nikon dem Andrej Rubljöw »be­ fohlen« habe, die Dreifaltigkeitsikone zu malen, kaum eine eigene glaubwürdige Überlieferung zugrunde, so darf die Bemerkung, dies sei »zum Lobe des heiligen Ssergij« geschehen, erst recht nicht als eigenes Quellenzeugnis über die ursprüngliche Bestimmung der Ikone gewertet werden97. Ebenso geringen oder noch geringeren Quellenwert besitzt eine 48

Kompilation aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts, »eine Art kurzes biographisches Lexikon der russischen Heiligen, »Kniga glagolemaja Opisanie o rossijskich svjatych« (»Buch, genannt Beschrei­ bung über die russischen Heiligen«)98. Darin heißt es: »Die heiligen Väter Andrej Rubljow und Danhl Tschörnyj, sein Mitfaster, berühmte Ikonenmaler, starben im Jahr 6938, wurden bestattet im Andrönikow-Kloster; hier malten sie auch die Kirche aus. Lies über sie in der Vita der Wundertäter Ssergij und Nikon von Rädonesh.« Deutlich werden hier die Quellen angegeben, aus denen der Kompilator schöpft: Es sind die uns bekannten Viten des Ssergij und des Nikon. Man hat die in der N otiz enthaltene Angabe, die beiden Maler seien im Jahr 6938, das ist die Zeit vom 1. September 1429 bis 31. August 1430, gestorben, in der wissenschaftlichen Literatur weitgehend übernommen - m. E. sehr zu Unrecht. Wir sahen, daß sie nach der zuverlässigeren Quelle, der Kurzfassung der Vita des Nikon, vor diesem gestorben sein müssen, also vor dem 17. N o ­ vember 1427". Das Datum 1430 entstammt offenbar der Überle­ gung, daß die beiden Maler, wenn sie, wie ein (wenig zuverlässiger) Teil der Überlieferung behauptet, nach der Kirche des SsergijKlosters noch die des Andrönikow-Klosters ausgemalt haben, erst einige Zeit nach Vollendung der Ausmalung der Kirche des Ssergij-Klosters gestorben sein können. jedenfalls darf man aus dieser Nachricht der Kompilation über die russischen Heiligen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts nicht schließen, daß zu dieser Zeit im Andronikow-Kloster noch die Grabplatte der Heiligen vorhanden war100, und es ist kein Wunder, daß ein Verehrer der beiden Maler um 1840 auf dem Friedhof des Klosters vergeblich nach diesem Denkmal gesucht hat101. So wissen wir, wenn wir die Quellen kritisch sichten, über Andrej Rubljow im Grunde weniger, als in den meisten Biographien und auch in der Vita, die zur Vorbereitung seiner Kanonisierung im Jahre 1988 geschrieben wurde502, behauptet wird. Einigermaßen gesichert erscheint folgendes: Andrej Rubljow hat im Jahre 1405 zusammen mit dem berühmten Feofän Grek und dem Stärez Pröchor von Gorodez (über den wir sonst nichts wissen) die Verkündigungskirche im Kreml ausgemalt, Er war damals schon Mönch - vielleicht noch nicht sehr lange, da 49

er einfach als »Tschernez« bezeichnet wird, Prochor dagegen als »Stärez«, Daß er nicht nur mit seinem Mönchsnamen, sondern auch mit seinem Familiennamen (Rubljow) genannt wird, deutet viel­ leicht darauf hin, daß er schon vor dem Eintritt ins Kloster ein namhafter Künstler gewesen und also als nicht ganz junger Mann Mönch geworden ist103. Da wir sicher wissen, daß er als Mönch des Andrönikow-Klosters gestorben ist und daß er an der Ausmalung der Kirche dieses Klosters beteiligt war und da andererseits keine vertrauenswürdige Nachricht bezeugt, daß er vorher Mönch des Ssergij-Klosters oder eines anderes Klosters gewesen wäre, liegt die (auch von Iössif Ssanin indirekt bestätigte) Annahme nahe, daß das unmittelbar bei Moskau gelegene Andrönikow-Kloster sein Stammkloster gewesen ist. Daraus erklärt sich auch die Nähe Andrej Rubljöws zum H of des Moskauer Großfürsten, von dem er den Auftrag zur Teilnahme an der Ausmalung der Verkündigungskirche im Kreml erhielt, Von dieser Nähe zeugt auch die zweite in zeitgenössischen Chroniken bezeugte Nachricht über ihn, daß er im Jahre 1408 zusammen mit dem »Bildermaler Danllo« (= Daniil Tschörnyj) die Kirche der Entschlafung der Gottesmutter in Wladimir1 an der Kljas’ma ausgemalt hat. Da diese Kirche eines der Hauptheiligtümer des Großfürstentums Moskau war, war dies wieder ein von höchster staatlicher Stelle ausgehender Auftrag10“*. Aus der kurzen Fassung der Vita des Abtes Nikon, die 20 bis 25 Jahre nach dem Tod Andrej Rubljöws geschrieben ist, erfahren wir, daß Andrej Rubljow zusammen mit Daniil Tschörnyj die steinerne Drei­ faltigkeitskirche im Ssergij-Kloster, die nach 1422 gebaut worden ist, ausgemalthat;welcherTeilder Ausmalung von Andrej Rubljow aus­ geführt worden ist, wird dabei nicht gesagt, auch nicht, daß die Drei­ faltigkeitsikone von ihm stammt; weiter wird mitgeteilt, daß dies das letzte Werk der Hände des Andrej Rubljow und des Daniil Tschörnyj war, und daß sie nach dessen Vollendung in das Andrönikow-Kloster nach Moskau (zurück-)gegangen sind, wo sie vor dem Abt Nikon, also vor dem 17. November 1427, gestorben sind. Die Innigkeit ihrer Freundschaft, ihre meditative Frömmigkeit und die tief religiöse Auffassung ihres künstlerischen Berufes werden von Iössif Ssanin glaubwürdig bezeugt. 50

Während in den ältesten Quellen Daniil Tschörnyj als der ältere an erster Stelle genannt wird, tritt sein Name von der Mitte des 15. Jahrhunderts an hinter dem des Andrej Rubljow zurück. Unter dem Jahr 1547 wird dieser allein als Schöpfer der Ikonostase in der Verkündigungskirche im Moskauer Kreml bezeichnet, und 1551 wird von der Moskauer Hundertkapitelsynode seine Darstellung der Trinität als dogmatisch vorbildlich und verpflichtend darge­ stellt, Dabei wird nicht ausdrücklich gesagt, daß hiermit die Dreifaltigkeitsikone von der Bilderwand im Ssergij-Kloster gemeint sei, aber bei der großen Bedeutung dieses Klosters für den Moskauer Staat und seiner Nähe zur Stadt Moskau spricht doch eine große Wahrscheinlichkeit dafür. Trifft sie zu, so ist dies (etwa 125 Jahre nach der Entstehung der Ikone) das erste und einzige Zeugnis für die Autorschaft Andrej Rubljöws. Vielleicht war es gerade die große Beliebtheit eben dieser Ikone, die den Ruhm Andrej Rubljows den seines »Mitfasters« Daniil hat überstrahlen lassen. Dürfen wir die Dreifaltigkeitsikone aus dem Ssergij-Kloster als Werk Andrej Rubljöws anerkennen, so können ihm aufgrund eines Stilvergleichs eine Reihe von weiteren Ikonen und Fresken aus Wladimir5 und Swemgorod zugeschrieben werden. Aber gleichviel, wer die Ikone geschaffen hat - ob Andrej Rubljöw oder vielleicht auch sein älterer Freund und Gefährte, der Mönch Daniil - und welche Werke wir diesem begnadeten Künstler sonst noch verdanken - der Dreifaltigkeitsikone aus der Dreifaltigkeits­ kirche des Ssergij-Klosters und ihrer theologischen Aussage gilt mit Recht unser besonderes Interesse. N och ein Wort zur Datierung der Ikone. Manche Forscher meinen, Andrej Rubljöw habe sie nicht erst für die Steinkirche gemalt, die nach 1422 gebaut worden ist, sondern schon für die Holzkirche, die nach der totalen Zerstörung des Klosters unter Jedigej im Jahre 1408 gebaut worden war. Aber die einzigen schriftlichen Quellen, die wir für die Ausmalung der Dreifaltigkeitskirche des Ssergij-Klosters besitzen (die Viten des Nikon und des Ssergij) bezeugen das Gegenteil. Sie sagen eindeutig, daß Daniil Tschörnyj und Andrej Rubljöw erst zur Ausmalung der Steinkirche in das Ssergij-Kloster berufen worden seien105. 51

6, Der dogmatische Gehalt der Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljöw Über den hohen künstlerischen Rang dieser Ikone ist viel geschrie­ ben worden: über die Ausgewogenheit der Komposition, den sanften Linienfluß, die Schönheit und Harmonie der Farben506. Wir haben dem, was die Kunstwissenschaftler hierüber gesagt haben und worin sie weitgehend übereinstimmen, nichts hinzuzufügen. Dagegen ist über den Sinn der Ikone, über ihre theologische Aussage, ihren dogmatischen Gehalt und vor allem über die Zu­ ordnung der drei Engel zu den Hypostasen der drei-einen G ott­ heit noch keine volle Übereinstimmung erzielt worden. Wir wollen uns im Folgenden daher vor allem mit diesen Fragen be­ schäftigen. Der Maler, der in einem Bild den wesentlichen Inhalt des trinitarischen Dogmas veranschaulichen wollte, hatte zwei Aufga­ ben zu erfüllen und zwei Gefahren zu vermeiden: Er mußte die Einheit des Wesens und die Dreiheit der H ypostasen507 darstellen, und die drei Hypostasen wiederum mußte er zeigen in ihrer Gleich­ heit und in ihrer Verschiedenheit; er durfte »nicht trennen, was eins ist, und nicht vermengen, was unterschieden werden muß«. So hatte der russische Metropolit Ilariön von Kijew in seinem Glaubensbe­ kenntnis gesagt, das er bei seiner Inthronisation im Jahre 1051 abzulegen hatte108. Er stand damit in der altkirchlichen Tradition der trinitarischen Glaubenslehre, wie sie im 4. Jahrhundert auf den Konzilen von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) von der Reichskirche als bindendes Dogma formuliert und anerkannt worden war. Seitdem wurden die griechischen Theologen nicht müde, diese schwierige, scheinbar paradoxe Lehre in sorgfältig abgewogenen Definitionen immer von neuem zu formulieren. Oft haben diese Bekenntnisse hymnischen Charakter, und es ist kein Zufall, daß das sogenannte Nizänum, genauer das Nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis im eucharistischen Gottesdienst der Ost- und der Westkirche gesungen wird. So preist denn Ilarion im Jahre 1051 in hymnischem Lobpreis den drei-einen Gott zu Beginn seines Glaubensbekenntnisses mit fol­ 52

genden Worten: »Ich glaube an den einen Gott, der gerühmt wird in der Dreifaltigkeit: den Vater, der nicht geboren ist, ohne Anfang, ohne Ende; den Sohn, der geboren ist, aber auch ohne Anfang und ohne Ende; den Heiligen Geist, der vom Vater ausgeht und im Sohne erscheint, aber gleichermaßen ohne Anfang ist und der gleich ist dem Vater und dem Sohne - an die Dreifaltigkeit, die eins ist im Wesen, aber getrennt in den Personen, eine Dreifaltigkeit in dem Namen, aber ein Gott. Ich vermenge nicht, was getrennt werden muß, noch trenne ich, was eins ist. Unvermengt sind sie verbunden, und ungetrennt sind sie unterschieden. Denn der Vater wird also genannt, weil aus ihm geboren wird; der Sohn aber, weil er geboren wird; der Heilige Geist aber, weil er ausgeht, ohne hinwegzugehen. Der Vater aber ist nicht Sohn, noch der Sohn Vater, noch der Heilige Geist Sohn: sondern ein jeder hat sein eigenes Wesen unvermengt, außer der Gottheit; denn es ist eine Gottheit in der Dreifaltigkeit, eine Herrschaft, ein Reich; gemeinsam [wird ihr dar gebracht] das >Dreimalheilig< von den Cherubim, gemeinsam die Anbetung von Engeln und Menschen, gemeinsam Ruhm und Dank von aller Welt. Diesen einen Gott weiß ich, und ihn glaube ich, auf dessen Namen ich auch getauft bin, auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und wie ich empfangen habe von [den Schriften] der heiligen Väter, so bin ich gelehrt worden. Und ich glaube und bekenne, daß der Sohn durch das Wohlgefallen des Vaters und den Willen des Heiligen Geistes herabgekommen ist auf die Erde, um das Menschengeschlecht zu erretten, ohne sich vom Himmel und vom Vater zu trennen; und daß er durch die Uberschattung des Heiligen Geistes eingegangen ist in den Leib der Jungfrau Maria und empfangen ist, wie allein er selbst weiß, und geboren ist ohne den Samen eines Mannes; und er ließ, wie es sich auch geziemt für Gott, seine Mutter Jungfrau bleiben sowohl bei der Geburt wie vor der Geburt wie nach der Geburt und war doch wahrhaft Sohn. Denn im Himmel war er ohne Mutter, auf Erden aber ohne Vater. Und er wurde gesäugt wie ein Mensch und genährt und war wahrhaft Mensch - nicht scheinbar, sondern in Wahrheit in unserem Fleische, ganz Gott, ganz Mensch, in zwei Naturen, in zweifachem Wollen und Willen. E r legte nicht ab, was er gewesen war [die Gottheit], und nahm an, was er nicht gewesen war [die 53

Menschheit], Er litt am Fleische als Mensch um meinetwillen und blieb als Gott an seiner Gottheit ohne Leiden. Der Unsterbliche starb, auf daß er mich Toten lebendig mache. Er stieg hinab zum Hades, auf daß er meinen Vorvater Adam auferwecke und vergotte und den Teufel binde. Er stand auf als Gott und ging aus den Toten hervor als Sieger: Christus, mein König, am dritten Tage; nach dem er viele Male seinen Jüngern erschienen war, fuhr er auf in den Himmel zum Vater, von dem er sich nicht getrennt hatte, und setzte sich nieder zu seiner Rechten. Ich erwarte aber seine Wiederkunft vom Himmel, doch nicht im Verborgenen, wie zuvor, sondern in der Herrlichkeit des Vaters mit den himmlischen Heerscharen, dem die Toten entgegengehen werden, [geweckt] durch die Stimme des Erzengels; und er wird richten über Lebendige und Tote und einem jeden vergelten nach seinen W erken.«äß9 Es ist sehr wohl möglich, daß Andrej Rubljow dieses Glaubensbe­ kenntnis des Ilariön gekannt hat. Jedenfalls mußte ein Maler, der den Auftrag bekam, eine Ikone der Dreifaltigkeit zu malen, solche Texte meditieren. Die Einheit des Wesens mußte er darstellen und die Dreiheit und den Unterschied, d. h. die spezifische Eigenheit, die »iöiöxrig«, einer jeden der Hypostasen. 6.1 Die Einheit in der Dreiheit Von der praktisch unlösbaren Aufgabe, die drei-eine Gottheit, die nach dem Bekenntnis des Michael Synkellos »unsichtbar, unumschreibbar, unumdenkbar, unbegrenzt« istn0, in ihrem Wesen, in der paradoxen Identität von Einheit und Dreiheit darzustellen, war Andrej Rubljow von vornherein befreit, weil er, in der ostkirchli­ chen dogmatischen und ikonographischen Tradition stehend, in der Szene des Besuchs der drei Engel bei Abraham eine Selbstoffenba­ rung der Trinität sehen durfte. Waren die drei Hypostasen damals in einer gewissen Selbstentäußerung in der Gestalt dreier Individuen erschienen, so brauchte der Maler nicht zu fürchten, daß er gegen das Dogma von der Einheit des Wesens verstieß, wenn er drei von­ einander getrennte, in sich selbständige Personen malte. Nur mußte er ihre wesenhafte Einheit möglichst stark betonen. Andrej Rubljow tat es mit verschiedenen zeichnerischen und 54

malerischen Mitteln. Zunächst dadurch, daß er die drei Engel in einen unsichtbaren Kreis hineinkomponierte und sie in diesem Kreis eng aufeinander bezogen sein ließ. Der Kreis, der sie umschließt, ist nicht schematisch gezogen; man kann Ihn überall beginnen lassen, etwa beim Rücken des rechten111 Engels, ihn über dessen Scheitel zu dem des mittleren und dann des linken Engels gehen lassen, dann über das hintere Gewandende des linken Engels zu dessen Füßen, von da zu den Füßen und dem Gewandende des rechten Engels. Der Kreis, der die drei Engel umschließt, fügt sie zu starker innerer Einheit zusammen, hebt sie als eigene Wesenheit heraus aus dem, was außerhalb dieses Kreises bleibt, der Landschaft über ihnen und dem Rasen unter ihnen. Gleichzeitig symbolisiert der Kreis, dessen Linie ewig in sich selbst zurückkehrt, die Ewigkeit und macht dadurch schon etwas vom Wesen, von den Eigenschaften der drei-einen Gottheit anschaulich. Auch ein Achteck hat man als strukturbestimmendes Element der Ikone entdeckt112. Es ist größer als der Kreis. Am deutlichsten ist es im unteren Teil der Ikone zu erkennen: Die vorderen äußeren Ecken der Fußschemel und die hinteren Beine der Thronsessel der seitlichen Engel bilden die unteren vier Ecken; die Spitzen ihrer äußeren Flügel und das Flaus über dem linken und der Baum über dem mittleren Engel die oberen. Auch im Achteck sieht man ein Symbol der Ewigkeit und Unendlichkeit; die Acht ist schon für Augustinus »Symbol der Vollendung in G ott«113. Wie die drei Engelsgestalten durch die Fialtung ihrer Körper, die Neigung ihrer Köpfe, die Richtung ihrer Blicke, den Gestus ihrer Hände in engste Beziehung zueinander gesetzt sind, so daß sie trotz der Dreiheit der Individuen eine vollkommene innere Einheit bil­ den, soll uns weiterhin eingehend beschäftigen. Neben der Einheit des Wesens mußte der Maler der Dreifaltigkeit die Dreiheit der Hypostasen bildhaft sichtbar machen. Dies war weniger schwierig, da die drei-eine Gottheit sich dem Abraham ja schon in der Dreiheit offenbarte: in der Gestalt der drei Engel. Aber darüber hinaus gibt Andrej Rubljöw dem Gedanken der Dreiheit zeichnerisch Ausdruck durch mehrere Andeutungen einer wie­ derum nicht streng geometrischen, aber deutlich sichtbaren Drei­ ecksformation. 55

Ein sehr flaches Dreieck bilden die Kopfe der drei Engel mit den sie umgebenden Nimben. Ein steiles, etwa gleichschenkliges Drei­ eck bildet das tiefblaue Ubergewand des mittleren Engels; dieses Dreieck wiederholt sich in größerem Maßstab in der ganzen Gestalt des mittleren Engels: Hier bildet die hintere Tischkante die Unterseite, der Scheitel des Engels die Spitze des Dreiecks. An dieser Stelle berührt sich das Dreieck mit dem Kreis, so daß wir ein in den Kreis eingeschriebenes Dreieck erhalten. Wir können dieses gleich­ schenklige Dreieck auch verlängern. Der rechte Schenkel setzt sich fort über die Gewandfalte, die von der rechten Hand des linken Engels und von der linken des rechten Engels nach außen führt; die Grundlinie ist dann die vordere Kante des Tisches. Wir erhalten dann ein in den Kreis eingeschriebenes etwa gleichseitiges Dreieck, auch sonst in der christlichen Kunst ein Symbol der Dreieinigkeit, das Einheit und Dreiheit zugleich symbolisiert, bei Andrej Rubljöw aber nicht eine abstrakte geometrische Figur, sondern der Grundriß einer Gruppe voll lebendigen Lebens. Neben dem Gegensatzpaar von Einheit und Dreiheit hatte der Maler nun aber auch noch das von Gleichheit und Verschiedenheit darzustellen. Die Darstellungen der drei Engel, die sie fast ununterscheidbar gleich abbildeten114, verstießen gegen das Dogma von der Verschiedenheit, der Unterschiedlichkeit der drei H ypo­ stasen; und andererseits; wenn einer der drei Engel übergroß gemalt wurde, so wurde das Dogma von der Gleichheit der Hypostasen verletzt. Andrej Rubljöw vermied die eine wie die andere Abwei­ chung von der Lehre der Kirche. Eins und gleich sind die drei Hypostasen in ihrem Wesen, der Gottheit: »Gemeinsam ist den dreien die Gottheit und die Eigen­ schaften der göttlichen Natur«, sagt Michael Synkellos115. Diese »Eigenschaften« (löitopam ) aber sind: Ewigkeit, Herrsein (xuQiöxrjg), Königsherrschaft (ßctaiketa), Ungeschaffensein, Unsterb­ lichkeit, Schöpfertum, Liebe auch zur gefallenen Schöpfung116; und umgekehrt, in der Richtung von der Schöpfung zur Gottheit, »wird ihr gemeinsam dargebracht das Dreimalheilig von den Cherubim, gemeinsam die Anbetung von Engeln und Menschen, gemeinsam Ruhm und Dank von aller W elt«117 (Ilariön). Die den drei Hypostasen gemeinsame göttliche Natur wird bildhaft 56

ausgedrückt durch die ihnen allen dreien zugehörenden Farben Gold und Blau, beides Symbole der himmlischen Welt. Gemeinsam prangen sie im Schmuck der goldenen Flügel, die, wie schon lössif Ssanin sagte, ihre Zugehörigkeit zur oberen Welt anzeigen118. Ihre Ewigkeit wird symbolisiert durch den Kreis. Dieses Ewigkeits­ symbol umschließt, wie schon gesagt, die Gruppe der drei Engel. Es kehrt innerhalb dieser Gruppe in vielfacher Abwandlung wieder in den zirkelgenauen kreisrunden Nimben der drei Engel, den nach oben offenen Flalbkreisen der Flügelpaare, dann in dem größeren Fialbkreis, der von dem rechten Arm des rechten Engels über die Wölbung der Schale des Kelches und den linken Oberschenkel des linken Engels zu dessen Schulter führt und der dem von den Flügeln des mittleren Engels gebildeten Fialbkreis mit größerem Halbmes­ ser entspricht. Auch der Baum über dem mittleren und der Berg über dem rechten Engel schwingen sich in diese Kreisbewegung ein.Das Herrsein, die Königsherrschaft findet Ausdruck in den Wanderstä­ ben, die in ihrer Spitze wie Szepter gebildet sind; ferner im Sitzen auf den Thronen, in den Purpurabtönungen der Gewänder des mittleren und linken und im Klavus, dem goldenen Schulterstreifen des mittleren Engels, der sich spiegelbildlich wiederholt auf der linken Schulter des rechten Engels. Ihr Herrsein über die Schöpfung und die ihnen von aller Welt dargebrachte Verehrung sind angedeutet in der Neigung des Baumes über dem mittleren und des Berges über dem rechten Engel. Daß ihnen »von Engeln und Menschen die gleiche Verehrung« darge­ bracht wird, daß sie gleich sind an Thron und Ehren, findet darin Ausdruck, daß keiner von ihnen größer gezeichnet ist als der andere159. Die Gemeinsamkeit der Liebe zur gefallenen Schöpfung aber ist das eigentliche Thema der ganzen Darstellung, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Ist sich die Forschung im wesentlichen einig in der Auffassung, daß Andrej Rubljöw mit den hier geschilderten Mitteln die Einheit und Dreiheit der Gottheit und die allen drei Hypostasen gemeinsam gehörenden Eigenschaften zu künstlerischer Darstellung hat brin­ gen wollen, so ist die Frage, wie er den Unterschied zwischen den drei Hypostasen aufgefaßt und künstlerisch gestaltet hat, bis heute stark umstritten. 57

6.2 Die Dreiheit in der Einheit Manche Forscher haben gemeint, Andrej Rubljöw habe so sehr die Einheit der drei Gestalten betont, die in Liebe miteinander verbunden sind, daß es ihm auf ihre Unterscheidung gar nicht angekommen sei120; und wenn sich die drei Engel auch in gewisser Hinsicht unterschieden, so seien die Unterschiede doch letztlich belanglos und stünden nicht in Beziehung zu dem, was die drei Hypostasen bei aller Einheit im Wesen jede für sich als Besonderheit (LÖioxTig) haben. So schreibt Michail Alpätow (1902-1986) im Jahre 1967: »Man darf an die Dreifaltigkeitsikone nicht herangehen, wie ein Betrachter der Neuzeit an ein historisches Gemälde herangeht - mit dem Wunsch, zu erfahren, wen jede einzelne Figur darstellt. Man muß verstehen, daß Rubljöws Aufgabe bei der Ikone über dieses Thema nicht war, zu zeigen, was eine Person der Dreifaltig­ keit von der anderen unterscheidet, sondern gerade das Umge­ kehrte : zu zeigen und mit den Mitteln der Kunst auszudrücken, daß sie eine untrennbare Einheit bilden.«121 Hiermit hat der große rus­ sische Kunstwissenschaftler gewiß nicht recht. Michael Synkellos sagt in seinem Glaubensbekenntnis von den drei Hypostasen: »Sie werden unterschieden, ohne getrennt zu werden, und vereint, ohne vermischt zu werden«122; und Ilariön: »Ich vermenge nicht, was getrennt werden muß, noch trenne ich, was eins ist. Unvermengt sind sie verbunden, und ungetrennt sind sie unterschieden.«123 Die Darstellung der Trinität wäre unvollkommen und würde gegen die anerkannte kirchliche Lehre verstoßen, wenn der Ikonenmaler nur die Einheit, nicht aber die Unterscheidung der drei Hypostasen darstellen würde. Unvollkommen wäre seine Darstellung aber auch dann, wenn er die drei Engel nur irgendwie verschieden darstellen, sie nur äußerlich durch belanglose Kennzeichen voneinander unterscheiden würde. Seme Aufgabe ist es vielmehr, ihre wesentli­ chen Unterschiede, ihre »hypostatischen Besonderheiten«124 künst­ lerisch zum Ausdruck zu bringen. Welches sind diese hypostatischen Besonderheiten der drei Gestal­ ten der Gottheit? Die Bekenntnisse unterscheiden zwischen den Eigenschaften, die den drei Hypostasen in der göttlichen Immanenz, in dem Ansich- und Insichsein der dreifältigen Gottheit gehören, 58

und denen, die ihnen gemäß ihrer verschiedenen Funktion in der Heilsgeschichte, im Werk der Erlösung der Welt und der Mensch­ heit (der »Ökonomie«) zukommen. In der göttlichen Immanenz ist das Eigene, das Proprium, die »ιδιότης« des Vaters das »Ungeborensein« (die αγενήσια), das Vatersein (πατρότης); das des Sohnes das »Geborensein« (die γέννησις), das »Sohnsein« (υίότης); das des Heiligen Geistes das »Ausgehen« (έκπόρευσις)125. Im Heilswerk war es nach Ilariön das »Wohlgefallen (russ. »blagovolenie«) des Vaters« und »der Wille (russ. »chotenie«) des Heiligen Geistes«, daß »der Sohn herabging auf die Erde, das Menschengeschlecht zu retten«126. Diese »Besonderheiten« (ιδιότητες) der drei Hypostasen darzustel­ len oder mindestens irgendwie anzudeuten, war die höchste Anforderung, die an den Ikonenmaler gestellt wurde. Zu ihrer Erfüllung bedurfte es einer tiefen theologischen Reflexion. Daß eine solche dem russischen Ikonenmaler des 15. Jahrhunderts zuzu­ trauen ist, zeigt das oben ausführlich zitierte Sendschreiben, das lössif Ssänin wenige Jahrzehnte nach der Entstehung der Ikone Rubljows in dem gleichen Milieu des russischen Mönchtums, in dem sie beide lebten, geschrieben hat. Stellte sich der Ikonenmaler dieser Aufgabe, so mußte er sehr sorgfältig überlegen, welche der drei Hypostasen er welchem der drei Engel zuordnen wollte127. Deshalb war diese Frage der Zuordnung für den Maler nicht zweitrangig, wie Alpätow meint, sondern von höchster Bedeutung. Dies ist in der Forschung auch weitgehend anerkannt. Fast alle Forscher, selbst die, die an der Frage der Zuordnung nicht besonders interessiert sind, entscheiden sich dann doch für die eine oder die andere Zuordnung, Sogar Alpatow, der meint, für Andrej Rubljow sei die Einheit der drei Engel wichtiger als ihre Verschiedenheit, entscheidet sich für eine bestimmte Zuordnung, wenn er in dem linken Engel die Vergegenwärtigung des Vaters, in dem mittleren die des Sohnes und im rechten die des Heiligen Geistes sieht128.

59

6.2.1 Die sechs Möglichkeiten der Zuordnung der drei Engel zu den drei Hypostasen der trinitarischen Gottheit Besteht heute also weitgehende Übereinstimmung darin, daß jeder der drei Engel einer bestimmten Hypostase der dreieinen Gottheit zuzuordnen ist, so ist die Forschung sehr verschiedener Meinung in der Frage, welcher Engel welche Hypostase repräsentiert. Grundsätzlich sind hier sechs Auffassungen möglich. Wir ordnen sie nach dem Prinzip, welcher der Engel dem Vater zugeordnet ist. a) Vater: mittlerer Engel I. Geist II. Sohn b) Vater: linker Engel HI

Vater Sohn Vater Geist

Geist

Vater

Sohn Sohn

IV. Vater c) Vater: rechter Engel V. Sohn VI. Geist

Geist

Geist Vater Sohn Vater.

Soweit ich sehe, werden heute von den sechs abstrakt gesehen möglichen Auffasungen in der Forschung nur die vier ersten vertreten, Arbeiten, die in dem rechten Engel den Vater sehen, sind mir nicht bekannt. Dies ist vielleicht schon ein gutes Vorzeichen für die Möglichkeit einer Verständigung in der Frage der Zuordnung. Offenbar erkennen alle Betrachter, daß die demütig-ergebene Haltung dieses rechten Engels nicht mit der Stellung des Vaters zu vereinbaren ist. Mit dieser Übereinstimmung ist schon ein wichtiger gemeinsamer Ausgangspunkt für die Deutung gewonnen. Ich selbst bin der Meinung, daß die Zuordnung I die richtige ist. Ich 60

will zunächst versuchen, die Ikone von hier aus zu deuten, und dann die Argumente untersuchen, die für die Zuordnungen II, III und IV vorgebracht sind oder vielleicht vorgebracht werden könnten. 6.2.2 Die Zuordnung » Geist

Vater - Sohn«

Wenn ich mit der Auffassung, daß der mittlere Engel dem Vater, der linke dem Heiligen Geist, der rechte dem Sohn zuzuordnen ist, auch der gegenwärtig herrschenden Meinung, die die Zuordnung II und IV bevorzugt, entgegentrete, so stehe ich mit dieser Auf­ fassung doch keineswegs allein. Sie war ursprünglich sogar die herrschende. Ajnälow, der der erste war, der (im Jahre 1909) die Dreifaltigkeitsikone wissenschaftlich untersucht hat129, hat diese Auffassung vertreten130. Ähnlich hat, wie gesagt, Alpätow 1927 geurteilt, auch Onasch 1949131 und 1953 und Oskar Planck, der dann gegenüber der Entgegnung v. Haeblers allzu schnell auf seine wohlbegründete Deutung verzichtet hat, während Alpätow und Onasch ihre Meinung ohne Angabe von Gründen geändert haben. Gut ausgeführt ist diese Deutung von dem anonymen »Mönch der Ostkirche«, von A. Ostapow und von Oskar Planck. Ich zitiere die Deutung Plancks, in der in wenigen Sätzen das Wesentliche gesagt wird132: »Der Anstoß [zu dem innergöttlichen Gespräch, das auf der Ikone dargestellt ist] geht von der mittleren Person aus, deren Gesicht Kummer und Erbarmen ausdrückt. Sie ist mit ihrem Körper der Person rechts vom Beschauer zugewandt, die in demütiger Haltung auf den Bescheid zu warten scheint; vorher aber wendet sie den Kopf fragend der Gestalt links zu und wartet auf ihre Antwort. Deren Haltung ist ernst, gesammelt, nachdenklich, ihre Gebärde drückt Zustimmung aus. Sie erhebt segnend die Rechte, so daß die mittlere Gestalt sich bereits anschickt, die Opferschale zu segnen. Beider Hände sind auf die Gestalt rechts ausgerichtet. Diese dritte Gestalt drückt in ihrer Haltung aus, daß sie willens ist, das Opfer auf sich zu nehmen. In der rechten Gestalt sehe ich den gehorsamsbereiten Sohn. Die mittlere Gestalt im goldverbrämten purpurnen Untergewand, welche die beiden anderen um Haupteslänge überragt und in der 61

Tafelrunde gleichsam präsidiert, ist dann Gott Vater und die Gestalt links, mit der er sich berät, der Heilige Geist. Das Zusammenspiel der drei Personen erinnert an die Beschlußfassung eines Königs, der zwischen seinem Ratgeber und seinem Gesandten sitzt. Anderer­ seits weckt das Abendmahlsgefäß auf dem Altar aber auch die Vorstellung einer Eucharistiefeier mit dem segnenden Priester zwischen seinen beiden Diakonen. Vielleicht wollte der Künstler zeigen, daß im Heilsgeschehen das vorgebildet ist, was wir im Altarsakrament kultisch nachvollziehen.«133 In noch knapperer, aber durchaus zutreffender Weise deutet Oskar Tulin die Ikone!3k »Die Engelsgestalt Gottvaters in der Mitte hält die Hand segnend über den Kelch und schaut zum Heiligen Geist, der wiederum zum Sohn hin blickt. Demütige Bereitschaft zu der ihm aufgetragenen Sendung zeigt sein geneigtes Haupt, während die Rechte sich zum Kelch seines Opfers hin bewegt. Über dem Heiligen Geist ist in andeutender Form auf ein tempelähnliches Bauwerk, die Kirche, hingewiesen, in der nun ein offener Zugang zu Gott gegeben ist.« Auch der verstorbene Erzbischof Ssergij (Golubzöw) (Sergij Golubcov) neigte im Grunde zu dieser Auffassung und wurde darin von dem angesehenen Leningrader Liturgiker N. D, Uspenskij unterstützt135. Schließlich bin ich mit dieser Auffassung von der Zuordnung der Engel zu den Hypostasen der Gottheit in einem wichtigen Punkt auch einig mit den Vertretern der Zuordnung II, wie N . A. Djömina (Demina), Wetelew (Vetelev), Wsdörnow (Vzdornov): nämlich in der Überzeugung, daß der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert. Wsdörnow schreibt über ihn: »Gleicher unter gleichen, ist der mittlere Engel ausgestattet mit einer solchen Kraft des Ausdrucks, daß wir unfreiwillig veranlaßt werden, in ihm Gott-Vater zu sehen, von dessen Bewegung das verborgene und zugleich offenkundige Leben der Ikone ausgeht.«136 Und Wsdörnow zitiert weiterhin Wetelew, der richtig schreibt: »Der mittlere Engel nimmt in der Komposition eine besondere Stellung ein: Er ist nicht nur durch die von ihm eingenommene Stelle in der Mitte der Ikone hervorgehoben, sondern auch durch die gebieterische Wendung seines Kopfes in Richtung auf den linken Engel, verbunden mit dem 62

Gestus seiner Hand, die hinweist auf den Kelch, der auf dem Opferaltar steht.«537 Damit ist das Wesentliche gesagt, was für die Zuordnung des mittleren Engels zu Gott-Vater spricht: sein Platz in der Mitte der Ikone und die Tatsache, daß die Bewegung, die die drei Gestalten miteinander verbindet, bei ihm beginnt. In der Tat wird schon die Anordnung der drei Engel auf der Ikone jeden unbefangenen Betrachter veranlassen, in dem mittleren Engel denjenigen zu erkennen, der Gott-Vater symbolisiert. Denn auf allen Ikonen, die nach dem Dreierschema aufgebaut sind, ist die ranghöchste Gestalt in die Mitte gerückt: so etwa in den Ikonen von der Verklärung, der Kreuzigung, der Höllenfahrt Christi. Auch die Geschichte der Ikonographie der Abrahamsszene macht dies deut­ lich. Immer wenn diese Szene christologisch verstanden wird (Christus kommt in Begleitung zweier Engel), sitzt Christus als der Ranghöchste in der Mitte, die beiden Engel rechts und links von ihmm . Es müßten schon sehr wichtige kompositioneile oder theologische Gründe gewesen sein, die einen Künstler hätten veranlassen können, von diesem Prinzip abzuweichen. Aber vielleicht haben solche Vorgelegen? Die Vertreter der Auffassung, daß nicht der mittlere, sondern der linke Engel Gott-Vater symbolisiere (Zuordnung III und IV), könnten argumentieren, der Maler wolle damit, daß er Gott-Vater nicht in die Mitte setzt, betonen, daß es innerhalb der Trinität keine Rangordnung gebe, daß die drei Hypostasen gleich seien an Thron und Ehren, und er verletze mit Absicht die übliche Anordnung, nach der dem Höchstgeehrten der Platz in der Mitte gebührt. So sagt v. Haebler: »Der Christus-Engel nimmt die Mitte des Bildes ein. Hier gibt es kein Protokoll.«539 Ich möchte meinen: Wenn der Maler das ausdrücklich hätte sagen wollen, so hätte er es doch wohl deutlicher, so hätte er es ganz eindeutig sagen müssen; und eindeutig hat er es ganz gewiß nicht gesagt. Aber wichtig ist vor allem, daß es hier eben doch »ein Protokoll gibt«, daß nach Auffassung der christlichen Theologie die drei Hypostasen der heiligen Trinität zwar gleich sind nach ihrem 63

Wesen, daß aber doch ein Rangimterschied zwischen ihnen besteht; und in der Theologie der Ostkirche ist dieser Rangunterschied sogar stärker betont als in der des Westens, wo durch das »filioque« - die Lehre, daß der Heilige Geist vom Vater und vom Sohne ausgehe der Kreis des trinitarischen Lebens stärker geschlossen ist, In der Ostkirche dagegen ist die Monarchie des Vaters stark betont: Von ihm wird der Sohn geboren, von ihm (allein) geht der Geist aus. Der Vater besitzt über die Negationen hinaus, die die Gottheit als ganze charakterisieren (»ohne Anfang, ungeschaffen, unsichtbar, unbeschreibbar« usw.) noch zwei, die ihn allein charakterisieren, während sie dem Sohn und dem Geist fehlen: das »ungeboren« (αγέννητος) und das »nicht ausgehend« (άνεκπόρευτος)140; er ist »der Ursprung und die Ursache aller Dinge« (αρχή καί αιτία των πάντων)141, auch des Geistes und des Sohnes. Darum liegt bei aller Gleichheit der Personen der Primat doch ohne Zweifel beim Vater, und wir haben keinen Grund, bei Andrej Rubljow als theologischem Denker eine andere Auffassung vorauszusetzen als die in der O st­ kirche allgemein anerkannte; und wenn dies so ist, so hatte auch Andrej Rubljow als Maler keinen Anlaß, von dem allgemeinen Kompositionsschema dreigliedriger Ikonen abzuweichen, nach dem der Ranghöchste die Mitte des Bildes einnimmt, zwischen den zwei Rangniederen, die ihn umgeben. Ein zweites Argument für die Auffassung, daß der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert, ist die Bewegung und die Richtung der Bücke, durch die die drei Engel miteinander verbunden sind. Es ist falsch, wenn Läsarew (Lazarev) sagt: »Jeder der Engel ist schwei­ gend in sich selbst versunken. Sie sind mit ihren Blicken weder untereinander noch mit dem Betrachter der Ikone verbunden.«142 Richtig daran ist, daß der Kreis dieser Blicke nicht geschlossen ist; keiner der Engel erwidert den Blick, der auf ihm ruht, sondern jeder blickt weiter, und der letzte blickt nicht zurück auf den ersten; aber gleichwohl besteht zwischen ihnen eine Verbindung der Blicke; und sie schweigen zwar mit den Lippen, führen aber doch ein lebendiges Gespräch, dessen Gegenstand der Betrachter erfassen kann. Die Bewegung dieses stummen Gespräches geht ohne Zweifel von dem mittleren Engel aus, der sein Haupt fragend zu dem rechts von ihm sitzenden (vom Betrachter aus gesehen linken) Engel neigt, 64

dieser aber schaut hinüber zu dem ihm gegenüber sitzenden, vom Betrachter aus gesehen rechten Engel. Dieser blickt keinen der beiden anderen Engel an, sondern schaut nach unten, auf den Kelch, der auf der Mitte des Tisches steht. Nur wenn man die Bewegung beim mittleren Engel beginnen läßt, erfaßt sie alle drei Engel. Läßt man sie bei dem linken beginnen, so vereint sie nur die beiden vor­ deren Engel miteinander, der mittlere sitzt dann als Zuschauer dabei. Ganz unmöglich ist es, sie bei dem rechten beginnen zu lassen: Er löst sich dann heraus aus der Gruppe, er ist allein. Ist also der mittlere Engel der Ursprung der Bewegung, die die Gruppe zu einer inneren Einheit zusammenschließt, so erweist sich von neuem, daß er Gott-Vater symbolisiert, »den Ursprung und die Ursache von allem« H3, ihn, von dem auch alle lebendige Bewegung innerhalb des Lebens der Gottheit ausgeht - die ewige Geburt des Sohnes und die ewige Sendung des Heiligen Geistes. Was aber mag der Gegenstand dieses Gespräches sein, das die drei Personen der Gottheit im Schweigen der Ewigkeit miteinander führen? Wie wir später, bei der Betrachtung des Kelches und des in ihm liegenden Tierkopfes, der Öffnung im Tisch, der Haltung der Hände und vieler anderer Einzelheiten deutlich erkennen werden und wie es bei einer Ikone, die die göttliche Dreifaltigkeit vor der Sendung des Sohnes in die Welt darstellen will, nicht anders zu erwarten, ja kaum anders möglich ist, geht es bei diesem Gespräch eben um diese Sendung des Sohnes zu seinem Opfergang in die Welt144. Die Frage, die der mittlere Engel durch seinen stummen Blick an den rechts von ihm sitzenden richtet, ist die gleiche, die Jesaja aus dem Munde des Herrn gehört hat, als er in seiner Tempelvision den Herrn »sitzen sah auf einem hohen und erhabenen Stuhl«145: »Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?« Wie die christliche Kirche schon in dem Gesang des »Heilig, heilig, heilig«, den der Prophet in dieser Vision vernimmt, einen Hinweis auf die Trinität sah1'16, so auch in dem seltsamen Wechsel von Singular und Plural in der Frage des Herrn (»Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?«). Schon der Kirchenvater Athanasius hat in seiner Homilie auf Mt. 11, 27 diese Worte auf die ewige Sendung des Sohnes bezogen: »G ott sah die N ot der Menschen und sagte: >Wen soll ich senden, und wer wird gehen?·; 65

Da aber alle schwiegen, sagte der Sohn: >Siehe, hier bin ich, sende mich!«d47 Ist dieses Opfer des Sohnes schon an und für sich der wichtigste Gegenstand des innergöttlichen Gesprächs, so hat es zu dem Zeitpunkt der hier dargestellten Theophanie, des Besuches des Herrn bei Abraham, noch eine besondere Beziehung. Denn das einzige, worüber die Engel unter der Eiche von Mamre mit Abraham sprechen, ist ja die Verheißung der Geburt seines Sohnes. Durch diese Geburt aber werden Abraham und Sara zu Vorfahren Christi, Mit dieser Verheißung beginnt im konkreten Sinne die Fleischwer­ dung des ewigen Wortes148. Haben wir bisher nur den mittleren Engel in sicherer Weise zu einer der Personen derTrinität in Beziehung setzen können (nämlich zum Vater), so wird jetzt auch die Bedeutung der beiden anderen Engel verständlich: Der Vater fragt den rechts von ihm sitzenden Engel: »Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?«, und dieser blickt, die Frage beantwortend, zu dem dritten, dem ihm gegenübersitzen­ den hinüber. In seinem Blick ist Fragen, Bitten, Gebieten vereint, und nun neigt der links vom Vater sitzende Engel (vom Betrachter aus gesehen der rechte) im Gehorsam sein Haupt, bereit, den Opfer­ gang zu gehen, der ihn an das Kreuz auf dem Berge (Golgatha) führen wird, der über seinem Haupt gezeichnet ist. Damit stellt Andrej Rubljöw die Sendung des Sohnes durch Vater und Geist genau in der gleichen Weise dar, wie Ilariön in seinem Glaubensbekenntnis: »Ich glaube und bekenne, daß der Sohn durch das Wohlgefallen des Vaters und den Willen des Heiligen Geistes herabgekommen ist auf die Erde, das Menschengeschlecht zu erretten . . ,«H9 Die hier gegebene Deutung der drei Engel in ihrer Beziehung zu Vater, Geist und Sohn wird bestätigt durch die Bewegung und den Gestus ihrer Hände. Hier ist zunächst auf einen Umstand hinzu­ weisen, der zwar lange bekannt ist, aber, so weit ich sehe, bei der Deutung der Ikone noch nie berücksichtigt worden ist. Die Fingerhaltung der rechten Hand des mittleren Engels, wie sie heute auf der Ikone zu sehen und wie sie auf allen Reproduktionen abgebildet ist, ist nicht die ursprüngliche. Der mittlere Engel hatte ursprünglich nur den Zeigefinger seiner rechten Hand ausgestreckt, der mittlere war, wie der Ring- und der kleine Finger, zurückge66

bogen. Der Mittelfinger ist erst bei der Restauration von 1904/05 von dem Restaurator in die heutige Form gebracht, d. h.: ausge­ streckt gemalt worden15'3. Durch diese willkürliche und ungerecht­ fertigte Änderung hat sich die Bedeutung der Handhaltung des mittleren Engels tiefgreifend gewandelt: Aus dem Hinweis- wurde ein Segensgestus. Die Lage der auf dem Tisch ruhenden Hand des mittleren Engels paßt auch schlecht zum Segen. Der mittlere Engel segnet den Kelch nicht, wie immer wieder gesagt worden ist, ja er deutet eigentlich nicht einmal auf ihn, sondern er zeigt auf den rechten Engel. Indem er mit seinem Blick den linken Engel fragt: »Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?«, beantwortet er diese Frage gleichzeitig mit dem Gestus seiner rechten Hand, die auf den rechten Engel weist. Seine Frage hört damit nicht auf, Frage zu sein; denn m der Ewigkeit der göttlichen Allwissenheit gibt es keinen Unterschied zwischen der Zeit der Frage und der der Antwort. Der linke Engel hebt seine rechte Hand in Richtung des Kelches und gleichzeitig in Richtung des rechten Engels. Mittel- und Zeigefinger sind ausgestreckt, die drei anderen Finger zusammengelegt; das Ist einerseits der Gestus des Segens151, andererseits der des Auftrags, der Weisung, des Befehls152. Der Heilige Geist, der »Herr« ist, »will«153, daß der Sohn den Weg des Leidens geht, und gleichzeitig segnet er diesen Weg. Wieder anders ist die Handhaltung des rechten Engels: Er erhebt sie zum Kelch hin, offenbar um den Kelch zu »nehmen«. Ohne Zweifel symbolisiert der Kelch das ewige Opfer des Sohnes, das schon im Sprachgebrauch des Neuen Testamentes als Trinken oder Nehmen des Kelches bezeichnet wird — eines Kelches, der dem Sohn vom Vater gegeben wird154. Daß der Kelch das Opfer des Sohnes symbolisiert, wird auch dadurch deutlich gemacht, daß in ihm nicht eßbare Speise liegt, wie nach dem Bericht der Bibel zu erwarten wäre155, sondern der Kopf des geschlachteten Tieres - nach der biblischen Erzählung eines Kalbes150. Der Vergleich des geopferten Gottessohnes mit einem geschlachteten Kalb darf uns nicht befremden. Er findet sich auch bei Ilariön: »G ott machte ein großes Gastmahl und ein großes Gelage mit dem von Ewigkeit her gemästeten Kalb, seinem geliebten Sohn Jesus Christus . . .«li7 67

Der Vater weist auf den Sohn, weil er weiß, daß dieser den Opfergang gehen wird; der Geist segnet ihn zu diesem Weg; der Sohn erhebt seine Hand zu dem Kelch, der ihm verordnet ist. Schwerlich hätte der Maler die unterschiedliche Beziehung der drei Personen der Trinität zum Opfer des Sohnes besser und stärker symbolisieren können als durch diese Unterscheidung der Bewe­ gung und des Gestus ihrer rechten Hände. Ist es uns durch die Anordnung der drei Gestalten auf der Ikone, durch die Bewegung ihrer Blicke und durch die Haltung ihrer Hände zur Gewißheit geworden, daß der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert, der rechts von ihm sitzende den Heiligen Geist und der links von ihm sitzende Gott den Sohn, so können wir versuchen, von diesem festen Ausgangspunkt aus auch die anderen Züge zu deuten, mit denen Andrej Rubljöw die Darstellung der drei Engel ausgestaltet hat und durch die er uns seine Auffassung vom Wesen der göttlichen Trinität und von der Besonderheit jeder ihrer Gestalten nahebringen will. Hinter jeder der drei Gestalten befindet sich ein Gegenstand: hinter dem mittleren Engel ein Baum, hinter dem linken ein Gebäude, hinter dem rechten ein Berg. Diese Gegenstände haben auch innerhalb der Abrahamsgeschichte ihre Bedeutung: Der Baum ist die Eiche im Hain Mamre, der Berg charakterisiert die Landschaft, das Haus ist die Wohnung Abrahams. Aber ohne Zweifel stehen sie auch zu den drei Engeln und zu den drei Personen der Trinität, die durch die Engel symbolisiert werden, in Beziehung. Am deutlich­ sten ist dies bei dem rechten Engel, der den Sohn symbolisiert. Der Berg, der sich in der gleichen Beugung des Gehorsams zum Vater hinneigt wie das Haupt des unter ihm sitzenden Engels, weist hin auf den Berg Golgatha, auf dem sich das Opfer vollendet, zu dem der Sohn hier durch die Neigung des Hauptes und durch das Erheben der Hand sein ja sagt138. Das Haus über dem linken Engel kann als Bild der Kirche gedeutet werden159. Der Heilige Geist hat eine besonders enge Beziehung zur Kirche; in den offiziellen Glaubensbekenntnissen der Kirche (dem sogenannten Apostolischen und dem Nizäno-konstantmopohtanischen) wird im dritten Artikel, dem Artikel, der vom Heiligen Geist handelt, über die Kirche gesprochen; die »una sancta ecclesia 68

catholica et apostolica« ist gleichsam der Heilige Geist selbst in seiner irdischen Existenz. Und andererseits wird die Kirche häufig durch das Bild eines Hauses beschrieben. Die Glieder der Kirche werden aufgefordert: »Baut auch ihr euch als lebendige Steine zum geist­ lichen H aus«160, oder es wird von ihnen gesagt, sie seien »erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn; auf welchem auch ihr miterbaut werdet zu einer Behausung Gottes im G eist«161. Die ZweistÖckigkeit des Hauses kann hinweisen auf die irdische und die himmlische Kirche - das untere Stockwerk ist größer als das obere: Nicht alle, die zur irdischen Kirche gehören, werden Einlaß finden in die himmlische. Die Einlaßpforte zur irdischen Kirche ist größer als die »enge Pforte«, die in das Himmelreich führt162. Wie der Berg auf der rechten Bildseite sich zur Mitte hinneigt, so ist das Haus auf der linken Seite nicht in Frontalansicht gezeigt, sondern es ist gleichfalls auf die Bildmitte hin ausgerichtet. Da der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert, den »Schöpfer Himmels und der Erden«, wie es im nizänischen Bekenntnis heißt, »den Ursprung und die Ursache aller Dinge«, wie Michael Synkellos sagt163, ist der Baum hinter diesem Engel zu deuten als der Baum des Lebens, den dieser Schöpfergott geschaffen hat, den er hat »aufwachsen lassen mitten im Garten Eden«164, von dem die Men­ schen durch den Fall Adams vertrieben worden sind, der aber gleich­ wohl weiter in Kraft steht und zu dem der Zugang wieder geöffnet ist durch den Opfergang des Sohnes165. Die Neigung des Baumes zum Vater hin zeigt, daß die Schöpfung den Schöpfer ehrt. So sind die Gegenstände, die sich oberhalb der drei Gestalten be­ finden, Sinnbilder der Gegenwart Gottes in der irdischen Welt: Der Baum symbolisiert die Schöpfung Gottes, der Berg die Erlösung der gefallenen Welt, das Haus die Kirche, die durch den Heiligen Geist erneuerte Schöpfung. Der Tisch, an dem die Engel sitzen, wird durch die Öffnung an der dem Betrachter zugewandten Seite als Altar gekennzeichnet: Es ist die Öffnung, die der Aufnahme der Reliquien dient166. Hatten schon der Kelch und sein Inhalt gezeigt, daß es bei dem Gespräch der drei Engel um das ewige Opfer des Sohnes geht, so wird jetzt deutlich gemacht, daß dieses ewige Opfer 69

in jeder Liturgie, die auf einem Altar einer christlichen Kirche gefeiert wird, sinnbildlich wiederholt wird. Der grüne Boden, auf dem der Tisch und die Throne der drei Engel stehen, ist Symbol unserer grünen Erde, auf der die trinitarische Theophanie im Hain Mamre sich ereignet, auf die der ewige Sohn herabsteigt aus dem Gold und Blau des Himmels und für deren Erlösung er den Tod auf Golgatha erleidet. Wir haben damit das Problem der Bedeutung der Farben berührt. Allen drei Engeln gemeinsam ist das Gold der Flügel, das Braun des Gesichtes und der Haare, das Weiß (ursprünglich auch Gold) des Nim bus167 und das Blau des Gewandes, das bei den beiden seitlich sitzenden Engeln das Untergewand, bei dem mittleren das Ober» gewand ist. Gold und Blau sind die Farben der himmlischen Welt. Daß alle drei Engel sie tragen, ist ein sichtbares Zeichen für die Einheit des Wesens der drei Gestalten: dafür, daß sie »eine Gottheit sind, eine Natur, ein Wesen, eine Herrschaft, ein Königtum,«168 Aber neben der Einheit dieses Wesens haben die Gestalten auch ihre hypostatische Eigenheit169. Der Vater, als »der Ursprung und die Ursache«170, als der Ranghöchste unter Gleichen, trägt die Zeichen der Herrschaft: neben dem Sitzen in der Mitte die purpurne Farbe der Herrschaft und den goldenen Streifen (clavus) über der rechten Schulter171. Der linke Engel, der den Heiligen Geist symbolisiert, hat als Eigenfarbe das flammende Rot, das gut zu den feurigen Zungen paßt, in deren Gestalt der Heilige Geist sich am Pfingsttag offenbart hat172. Das Grün im Obergewand des dritten Engels ist offenbar die Farbe unserer Welt, auf die der Sohn herabgekommen ist, sie zu erlösen, es ist die Farbe der Inkarnation. Vielleicht darf man mit der Deutung der Farben noch einen Schritt weitergehen. Das Blau der himmlischen Welt, das Zeichen der Göttlichkeit des Wesens der Dreifaltigkeit, ist am stärksten bei dem mittleren Engel. Die Göttlichkeit Gottes des Vaters, des Schöpfers Himmels und derErden, ist am offenkundigsten, sie Ist auch von keinen Antitrinitariern jemals in Zweifel gezogen worden. Dagegen ist die Göttlichkeit des Heiligen Geistes weniger offenbar. Sie tritt an manchen Stellen der Heilsgeschichte, etwa beim Pfingstwunder, 70

deutlich in Erscheinung, kann aber sogar in solchen Augenblicken geleugnet werden, und die Wirkungen des Heiligen Geistes können als Wirkungen eines sehr unheiligen Geistes (etwa des Alkohols) mißdeutet werden173. Darum ist das Blau der Göttlichkeit bei dem linken Engel nur an einer kleinen Stelle klar zu sehen und schimmert im übrigen nur durch das feuerfarbene Obergewand hindurch. Bei dem Sohn sind nach der Lehre der Kirche Göttliches und Menschliches in der Einheit der Person untrennbar vereint, aber dennoch sind Göttliches und Menschliches in ihm klar zu unterscheiden: Er ist nach den Worten des Michael Synkellos »ewig und zeitlich, erschaffen und unerschaffen, dem Leiden unterworfen und nicht dem Leiden unterworfen, sterblich und unsterblich, Gott und M ensch«37-1; und Ilariön sagt über ihn: »Vor der Zeit vom Vater geboren kam er herab auf die Erde [ . . .] als einer von der Dreifaltigkeit, in zwei Naturen, der Gottheit und der Mensch­ heit: ganz Mensch, gemäß der Menschwerdung, und nicht nur scheinbar; aber auch ganz Gott, gemäß der Gottheit, nicht aber einfacher Mensch, und zeigte auf Erden Göttliches und Mensch­ liches.«175 Diese klare Unterscheidung der zwei Naturen in Christus soll auf der Ikone Rubljöws vielleicht anschaulich gemacht werden durch die klare Trennungslinie, die das blaue Untergewand mit der Farbe der Göttlichkeit scheidet von dem grünen Öbergewand, das die grüne Farbe unserer Erde trägt. Da im irdischen Leben Christi von der Geburt im Stall bis zum Tode am Kreuz die Göttlichkeit ver­ borgen war unter der Hülle der Armut und Niedrigkeit, nimmt das verhüllende grüne Obergewand weit mehr Platz auf der Ikone ein als das blaue Untergewand. Der Stab des rechten Engels ist stärker geneigt als der des mittleren und als der des linken. Das korrespondiert der tieferen Neigung auch des Hauptes dieses Engels. Beides soll vielleicht die in besonderer Weise den Sohn charakterisierende Eigenschaft des Gehorsams, der Beugung unter den Willen des Vaters symbolisieren. Nicht ohne Bedeutung ist wohl auch die Tatsache, daß der geneigte Stab des rechten Engels zusammen mit der Trennungslinie zwischen seinem Unter- und Obergewand den mit fast geometrischer Genauigkeit gezeichneten griechischen und slawischen Buchstaben 71

X = Ch ergibt — im Slawischen wie im Griechischen der An­ fangsbuchstabe des Namens und des Monogramms Christi, Der Kreuzungspunkt der Linien des Stabes und des Gewandes geht durch die Gegend des Herzens des rechten Engels. Daß auch das Herz Christi, der Sitz seines Willens und Wollens, teilhat an seinen beiden Naturen, das hat die Kirche gegen den Monenergismus und den Monotheletismus fest behauptet, und Ilarion bekräftigt es in seinem Glaubensbekenntnis: »ganz Gott, ganz Mensch, in zwei Naturen, in zweifachem Wollen und Willen«176. Die Gesichter der drei Engel sind einander sehr ähnlich; dennoch scheint das des rechten Engels irgendwie jugendlicher. Auch dieser Zug eignet sich am besten zur Charakterisierung des Sohnes, der, auch wenn er von dem Vater schon vor aller Zeit und Welt geboren ist, doch immer Sohn, Kind bleibt177. Auch eine tiefere Trauer hat man in dem Gesicht dieses Engels gesehen, und auch dieser Zug paßt in erster Linie auf den Sohn: Von ihm allein unter den Gestalten der Dreifaltigkeit bekennt die Kirche, daß er dem Leiden unterworfen war178. So ist der rechte Engel von den beiden anderen durch eine Reihe von Zügen unterschieden: durch die andere Haltung der Finger der rechten Hand, durch die tiefere Neigung des Hauptes und des Stabes, durch den anderen Ausdruck des Gesichtes. Und noch in einem vierten Punkt ist er von ihnen unterschieden, ja sogar geschieden. Da der mittlere Engel sich über die Bildmitte hinweg dem linken zuneigt, ist die Entfernung zwischen dem Kopf des mittleren und dem des rechten Engels viel größer als die zwischen dem des mittleren und dem des linken Engels. Auch die Flügel des mittleren und des linken Engels überschneiden sich weitgehend, während sich die des rechten und des mittleren nur in der Peripherie berühren und selbst am Berührungspunkt noch durch die Tangente geschieden werden, die der Stab des mittleren Engels bildet. Der rechte Engel ist den beiden anderen gegenüber gleichsam isoliert, in die Einsamkeit gedrängt. Die zeitweilige Isolation des Sohnes ist eine der zentralen christologischen Aussagen des Neuen Testamentes und der kirchlichen Dogmatik: »Christus erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.«1/9 Er geht in die Gottverlas*· 72

senheit der Todesstunde auf Golgatha und wird als Toter ins Grab gelegt. Vielleicht hat Andrej Rubljöw auf dieses zeitweilige Weg­ gehen des Sohnes in die Einsamkeit und N ot des Menschseins hmweisen wollen, wenn er die Gestalt des rechten Engels stärker von den beiden anderen getrennt sein läßt, als diese voneinander getrennt sind. Noch in einer anderen Weise deutet der Maler die zeitweilige Erniedrigung des Sohnes an: Der Sitz des rechten Engels ist deutlich niedriger als der des linken - ein Zug, der gewiß nicht ohne Bedeutung ist. Hätte der Maler den Geist niedriger gesetzt als den Sohn, so hatte er den Vorwurf des »Pneumatomachentums« zu erwarten gehabt, der Lästerung des Geistes, die der fromme Maler mehr als alles zu fürchten hatte, da nach dem Wort Jesu diese Sünde schlimmer ist als die Lästerung des Sohnes und weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird180. Die (zeitweilige) Er­ niedrigung des Sohnes aber ist eine dogmatisch völlig korrekte und so zentrale Aussage, daß der Maler bemüht sein mußte, sie deutlich zum Ausdruck zu bringen. In dem gleichen Maße, wie das Haupt des mittleren Engels sich über die Bildmitte hinaus nach links neigt, ist der Kelch über die Bildmitte hinaus nach rechts verschoben - auf den rechten Engel zu, der die Hand erhebt, ihn zu nehmen181. Auch die Öffnung im Tisch ist rechts von der Bildmitte. Es ist ein Ausgleich für die Isolierung und Erniedrigung des Sohnes, daß der Kelch, der die dynamische Mitte der Komposition bildet, weil er die Mitte der Heilsgeschichte symbolisiert, in besonderer Weise zu ihm, dem Sohn, in Beziehung steht und daß der Gottesdienst der göttlichen Liturgie, auf den die Öffnung im Tisch hinweist, künftig, in Zeit und Ewigkeit, um das ewige Opfer des Sohnes kreisen wird. Auch die Art, wie der mittlere Engel sich den beiden anderen zuwendet, kann von der Trinitätslehre her gedeutet werden. Dem links von ihm sitzenden (vom Betrachter aus gesehen rechten) Engel ist er mit seinem ganzen Körper zugewandt: mit der Brust, dem Schoß, den Knien, den Armen; dem rechts von ihm sitzenden nur durch den Blick und die Wendung des Kopfes. Michael Synkellos sagt über den Vater, er sei der, »aus dem der Sohn geboren wird vor allen Äonen und von dem der Geist ausgeht unzeitlich und 73

unkörperlich«182. Die körperhafte Hinwendung des mittleren Engels zu dem rechten kann dieses »Gebären« oder »Zeugen« des Vaters symbolisieren, dagegen die Hinwendung zum linken Engel nur mit dem K opf und dem Blick die unkörperliche, nicht-körper­ hafte Sendung des Geistes vom Vater. Wir sahen früher, daß der Gott-Vater symbolisierende Engel in völlig verständlicher, beinahe selbstverständlicher Weise in die Mitte der Komposition gerückt ist. Nicht ganz so selbstverständlich ist, daß er etwas kleiner gezeichnet ist als die beiden anderen Engel583. Daß der mittlere Engel auf unserer Ikone kleiner gezeichnet ist, wird besonders deutlich aus dem Durchmesser des Nimbus, der bei den seitlich sitzenden Engeln deutlich größer ist als bei dem mittleren. Das Bild bekommt durch die Verkleinerung der weiter hinten sitzenden Person eine gewisse perspektivische Tiefe. Aber diese räumliche Perspektive kann auch theologische Bedeutung haben: Gott-Vater ist den Menschen ferner als der Geist, der in uns selbst wohnt, und als der Sohn, der zu uns auf die Erde gekommen und unser Bruder geworden ist. Die Stellung der Beine und Füße könnte in ähnlicher Weise von Bedeutung sein. Die Beine des mittleren Engels, von denen nur die Knie zu sehen sind, scheinen in völliger Ruhelage zu stehen. Dagegen sind die der seitlichen Engel so gestellt, daß man meinen könnte, sie wollten jeden Augenblick aufbrechen. Dieser Eindruck wird noch stärker, wenn man den oberen Teil der Ikone zuhält und nur die Füße anschaut; beim rechten Engel ist es noch deutlicher als beim linken184. Man vergleiche hierzu, was wir oben aus Iössif Ssänins Sendschreiben über die Heilige Dreifaltigkeit zitiert haben, wo er sagt, Gott der Vater sei niemals und von niemandem gesandt, der Geist und der Sohn aber seien gesandt585. Eben dies könnte Andrej Rubljöw damit haben ausdrücken wollen, daß er den mittleren Engel, der Gott-Vater symbolisiert, in vollkommener Ruhe sitzen läßt, die beiden anderen Engel aber in Bereitschaft aufzubrechen, gesandt zu werden. Wir sahen früher, daß der mittlere und der rechts von ihm sitzende (im Bild der linke) Engel einander enger zugeordnet sind, während der rechte ihnen in einer gewissen Isolierung gegenübersitzt. In anderer Hinsicht aber sind der mittlere und der links von ihm 74

sitzende Engel besonders eng auf einander bezogen: Sie entsprechen einander weitgehend spiegelbildlich. Dem blauen Übergewand, das der mittlere Engel über der linken Schulter trägt, entspricht spiegelbildlich das grüne, das der rechte Engel über der rechten Schulter trägt. Dementsrechend ist beim mittleren Engel die rechte, beim rechten die linke Schulter frei; bei beiden ist diese freie Schulter auf dem Untergewand durch den Schulterstreifen (Klavus) ge­ schmückt. Der Beugung des rechten Arms des mittleren Engels entspricht die des linken Arms des rechten Engels. Diese starke spiegelbildliche Entsprechung ist einerseits ein kompositorisches Mittel, das den rechten Engel nun doch wieder stark an die Gruppe des mittleren und linken Engels bindet; andererseits läßt auch dieser Zug sich wieder theologisch deuten; er weist hin auf das Verhältnis der Ebenbildlichkeit, das zwischen Vater und Sohn besteht, wie es schon im Neuen Testament formuliert ist, etwa im Kolosserbrief 1, 15: »Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes« (είκών του θεού του άορατόυ)186 oder im Hebräerbrief 1,3: »Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens« (απαύγασμα τής δόξης καί χαρακτήρ τής ύποστάσεως αυτού). Was hier mit »Ebenbild« übersetzt ist, das griechische Wort »χαρακτήρ«, ist eigentlich der spiegelbildliche Abdruck, wie er bei der Münzprä­ gung entsteht587. Die Betrachtung zahlreicher Einzelheiten der Ikone hat bestätigt, was wir aus der Anordnung der Figuren, der Bewegung der Blicke und der Art der Hand- und Fingerhaltung erschlossen hatten: daß der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert, der rechts von ihm sitzende (im Bild der linke) den Heiligen Geist, der links von ihm sitzende den Sohn. Die Betrachtung dieser Einzelheiten hat nicht die Beweiskraft jener zuerst angeführten Argumente; so könnte etwa der Baum über dem mittleren Engel auch zu dem Kreuzesbaum in Beziehung gesetzt werden und das Haus über dem linken Engel zum Vater, von dem Jesus sagt: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen«188, oder zum Sohn, der nach Hebr. 3, 6 Herr ist über das Haus Gottes, das gebildet wird von den Gläubigen. Aber ich hoffe, gezeigt zu haben, daß alle diese Einzelheiten auch im Rahmen unserer Auffassung, die in dem mittleren Engel den Vater, im linken den Geist, im rechten den Sohn sieht, einen guten Sinn ergeben 75

in den meisten Fällen sogar einen sehr viel besseren als bei den anderen Deutungen.

Ich sagte oben, daß ich für meine Auffassung von der Zuordnung der drei Engel zu den drei Hypostasen der drei-einen Gottheit einen Gesinnungsgenossen habe, dessen Stimme in der Russichen Ortho­ doxen Kirche und bei allen, die sich mit russischen Ikonen beschäftigen, aufmerksames Gehör findet: Nämlich den Im Jahre 1982 verstorbenen Erzbischof Ssergij (Golubzöw)189. Er hat im Jahre 1951 zum Abschluß seines Theologiestudiums eine Arbeit über Andrej Rubljow geschrieben, die er 1972 teilweise, dann 1981 noch einmal, vollständig und mit einigen Zusätzen versehen, ver­ öffentlicht hat190. Wsdörnow (Vzdornov) erwähnt diese Arbeit, aber er hat sie nicht in seine Anthologie aufgenommen - »wegen der offensichtlichen Schwerfälligkeit seiner Sprache«. Er schreibt dazu: »Nach diesem Autor sind die drei Gestalten der Dreifaltigkeit auf der Ikone Rubljöws von links nach rechts folgendermaßen zu bestimmen: Christus, der Heilige Geist, Gott-Vater.«191 Aberdas ist ein Irrtum des Herausgebers der wertvollen Anthologie. Ich sagte oben, daß ich nirgends in der Literatur die Zuordnung des rechten Engels zu Gott-Vater gefunden hätte; und in der Tat findet sie sich auch nicht bei Erzbischof Ssergij, Vielmehr vertritt dieser wie ich die Zuordnung I (Heiliger Geist - Gott-Vater - Sohn), wenn ihn auch ein Umstand hindert, diese Zuordnung als gesichert zu betrachten: die Tatsache, daß dann der Sohn nicht, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, zur Rechten des Vaters sitzt, sondern zu seiner Linken. Weil die gewichtige Stimme des Erzbischofs Ssergij in Wsdörnows Anthologie fehlt, sei es gestattet, die für unsere Fragestellung be­ deutsamen Stellen seiner Arbeit hier in Übersetzung noch einmal zu veröffentlichen und dann auf das Problem einzugehen, das für ihn ungelöst geblieben ist. Erzbischof Ssergij schreibt über die Zuordnung der Engel zu den Hypostasen folgendes192:

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»Der mittlere Engel ist voller Entschlossenheit und Ernst, und von ihm strömt ein Gedanke, der gleichfalls entschlossen, majestätisch ist. Aber gleichzeitig ist dieser Engel voller Grazie, in seiner Hinneigung [zum linken Engel] ist viel Gefühl, und hinter der Strenge verbirgt sich ein großer, verhaltener Kummer der Liebe, Die Hand des mittleren Engels weist gleichsam hin auf den links von ihm sitzenden Engel und gleichzeitig auf den Kelch; aber er segnet diesen nicht. Es ist auch wichtig zu bemerken, daß der mittlere Engel mit dem unteren Teil seines Körpers energisch dem links von ihm sitzenden Engel zugewandt ist, während der obere Teil des Körpers zum en-face übergeht und der K opf sich zu dem rechts von ihm sitzenden Engel hinneigt. Dies ist eine der charakteristischen Dre­ hungen [in den Gestalten] des heiligen Andrej Rubljöw; hier hat er durch diesen Kunstgriff die seitlich sitzenden Figuren mit der mittleren zu einem Ganzen verbunden. Der links sitzende Engel empfängt den Blick des mittleren Engels und den Gedanken, der von diesem ausströmt, aber er schaut nicht antwortend auf ihn zurück; er läßt seinen Blick auf den dritten Engel gehen und verbindet damit in ähnlicher Welse [wie der Vater durch die Drehung seines Körpers] die beiden anderen Engel miteinander. [ . , .] Die Haltung des linken Engels ist aufrecht, seine Füße sind energisch gestellt, [ . . .] Seine Handhaltung ist nicht so sehr die des Redegestus, als vielmehr Hinweis auf den dritten Engel. Sowohl der mittlere wie der linke Engel halten ihren Stab gerade und fest in der Hand. In ganz besonderer Weise hat der Künstler den dritten Engel charakterisiert. Er hat ihn in seiner Besonderheit dargestellt, indem er ihn den beiden ersten in künstlerisch fein durchgeführter Antithese gegenübergestellt hat. In ihm kommt der Gedanke, der von den beiden ersten Engeln ausging, gleichsam zum Ende. Genauer gesagt: Er empfängt diesen Gedanken, und dieser vollendet in ihm seinen Kreislauf. Zum Zeichen, daß er ihn annimmt, läßt er seine rechte Hand auf den Tisch herab193. Sehr richtig hat M. W. Alpätow in der Neigung seines Hauptes einen Zug des Gehorsams gesehen. Der rechte Engel ist erfüllt von der Betrachtung des von ihm aufgenommenen Gedankens, er ist ganz in ihn vertieft. Sein Blick gleitet über den Kelch mit dem Lamm, das mit seinem Gesicht

ihm zugewandt ist. Zu diesem Kelch hat er eine kaum bemerkbare, geheimnisvolle Verbindung, wenn wir beachten, daß für die Ikonenmalerei nicht der direkte, sondern immer ein gleitender Blick charakteristisch ist, der irgendwohin weit weg in den Raum dringt. [ . . .] Der rechte Engel hat sich mit seinem ganzen Körper etwas zurückgeneigt, und dieser geringfügige Zug ist keineswegs zufällig. Dieser Figur fehlt in kaum spürbarer Weise die Standfestigkeit, und so sucht sie eine leichte, kaum bemerkbare Stütze und findet sie an der Begrenzung der >Archeü94, am Randstreifen der Ikone. Um ­ gekehrt ist der ihm gegenübersitzende Engel vom Rand der >Arche« abgerückt, wodurch die willensbetonte Flaltung dieser Figur verstärkt wird. [ . . All dies sind nur sehr feine, kaum greifbare Hinweise, aber der heilige André] Rubljöw verstand es meisterhaft, Erscheinungen der geistigen Welt aufs feinste zu offenbaren, und die Mittel, die er in solchem Fall auswählte, waren gleichfalls feinste Striche. Es ist auch kein Zufall, daß von dem rechten Engel der Stab nicht gehalten wird, sondern er hält ihn nur dadurch, daß er ihn auf seine Schulter gelegt hat195. Etwas anders als bei den zwei ersten Engeln ist auch sein Kopf behandelt. Die Haartracht ist nicht so üppig, die Nase leicht gebogen. Wir geben zu - über die Gesichter ist wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes schwer zu urteilen, aber trotzdem scheint uns, daß die Gesichter der beiden ersten Engel einander sehr ähnlich sind und sich von dem des dritten unterscheiden. [ . , ,] Ein ähnlicher wesentlicher Unterschied ist auch in der Farbe ihrer Kleidung zu beobachten: Es sind drei Grundtöne: Blau, Purpurrot und Grün. Vielleicht liegt auch hierin ein tiefer symbolischer Sinn, ebenso wie auch in der Art, wie diese Farben auf die drei Figuren verteilt sind. Die blaue Farbe, die ihnen allen gemeinsam ist, vereint sie zu einem Ganzen. Sie ist vorherrschend beim mittleren Engel, schwächer beim linken und noch leichter beim rechten Engel. Diese Farbe, die der himmlischen Welt gehört, verkörpert die ewige göttliche Wahrheit196. Das Purpurrot, das die opferbereite Liebe symbolisiert197, ist beim mittleren Engel stark betont, und es gibt auch, stark aufgehellt, dem Chiton des rechts von ihm sitzenden Engels seine Färbung. 78

In das Gewand des links sitzenden Engels [vom Betrachter aus gesehen des rechten] ist jedoch eine neue, die grüne Farbe eingeführt. Kann dies nicht die Erde in ihrem idealen Farbenkleid symbolisieren? Und wenn man auf diese Frage mit ja antworten kann, dann darf man auch eine weitere Frage stellen: Verkörpert dieser Engel nicht die gottmenschliche Natur des Gottessohnes, der Flimmel und Erde in sich vereint? Liegt nicht in seiner Figur, die so voll ist von Lyrismus, der letzte schöpferische Gedanke des Künstlers verbor­ gen - im Bild festzuhalten den Beschluß des vorewigen Rates der Heiligen Dreifaltigkeit, den Sohn Gottes Fleisch werden zu lassen und ihn herabzusenden auf die Erde als erlösendes Opfer für die Wiederherstellung der gefallenen Menschennatur? [ , , .]« So spricht nach Erzbischof Ssergij alles für die auch von mir ver­ tretene Zuordnung des mittleren Engels zu Gott-Vater, des linken zum Heiligen Geist und des rechten zum Sohn. Aber an dieser Stelle trifft er auf »unüberwindliche Schwierigkeiten und dogmatische Einwendungen«: »Wie konnte der heilige Andrej Rubljöw [ . . .] gegen das dogmatische Denken verstoßen, indem er den Sohn G ot­ tes nicht zur Rechten sondern zur Linken des Vaters sitzen ließ?« Eine Möglichkeit zur Erklärung sieht er in folgender Überlegung: Im Kult der Kirche werden »Rechts« und »Links« manchmal vertauscht, weil Priester und Gemeinde sich ja frontal gegenüber­ stehen. An sich gilt im liturgischen Leben die Sicht vom Altar aus für die Anwendung der Begriffe rechts und links; aber manchmal gilt auch die umgekehrte Sicht, also die »vom Volk« aus. So ist in der untersten Reihe der Ikonostase die Christusikone vom Volk aus gesehen rechts von der Bilderwand, die Muttergottesikone links; das heißt aber, daß, vom Bild selbst her gesehen, Christus links, Maria rechts angeordnet ist198. Aber diese Erklärung überzeugt ihn selbst nicht und kann auch uns nicht überzeugen. In dieser Verlegenheit hat Erzbischof Ssergij sich an den bekannten Liturgiker Professor N. D. Uspenskij von der Geistlichen Akademie in Leningrad gewandt und ihn um seine Meinung und um Rat gefragt. Dieser hat ihm folgendermaßen geantwortet: »Ihre Auffassung von der Dreifaltigkeitsikone ist nicht nur überzeugend, sondern sie ist auch dadurch wichtig, daß sie die ganze 79

Genialität des Künstlers deutlich zeigt. Und mir scheint, ihr Zweifel bezüglich der Tatsache, daß bei einer solchen Auffassung die dritte, nicht aber die zweite Hypostase der Heiligen Dreifaltigkeit [also der Geist, nicht der Sohn] den rechten Platz einnimmt, ist unbegründet. Wir bekennen [im Glaubensbekenntnis] den Sohn, >aufgefahren in den Himmel und sitzend zur Rechten des VatersLicht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gottbeistehend< mitzuwirken; er ist ja der >Beistandgleich Gott-Sohndas junge, in der Fülle der Kraft sich Befindende* bedeutet, ist ein klarer Hinweis auf die Eigenschaften der alles erneuernden und zum Leben erweckenden dritten Person der Heiligen Dreifaltig­ keit.« (Ouspensky, S. 203 f.). Grün ist »Farbe der Jugend« (Onasch 1987, S. 32). »Grün als Farbe der Hoffnung weist auf den Heiligen Geist hin.« (v. Haebler, S. 81). 20) Zur Handhabung: »Seine Rechte liegt geschlossen auf dem Tisch«; denn »im Heiligen Geist kommt die Bewegung des Ausgangs zur Ruhe.« (Mainka, S. 51). 21) Zur Körperhaltung: Die Neigung des mittleren und rechten Engels in Richtung auf den linken zeigt den Ausgang des Wortes und des Geistes vom Vater (Golejsowskij, S. 2b). Der rechte Engel »ist im Begriff, sich zu erheben und die Summe des Heilsratschlusses in die Welt zu tragen.« (Onasch 1987, S. 32), Argumente, die alle drei Gestalten betreffen: 22) »Die Engel sind auf der Ikone in der Reihenfolge des Glaubensbekenntnisses angeordnet: Ich glaube an Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.« (Ouspensky, S. 203). 23) Mainka faßt alle Argumente, die die Zuordnung der drei Engel betreffen, zusammen in einer Darstellung der Gesamtbewe­ gung, die die drei Engel miteinander verbindet: »Wie alles 86

göttliche Sein und Tun, so geht auch der Erlösungsratschluß vom Vater aus. [ . . .] Verhalten und doch klar und bestimmt ist die Geste, mit der der Vater auf den Kelch hinweist. Sie ist Befehl und Einladung zugleich. [ . . .] Der Sohn hat den Befehl verstanden und neigt sich zustimmend dem Vater zu. Seine Hand ruht schwer auf dem Tisch, und auch sein Gesichtsaus­ druck zeigt, daß er um die Schwere des ihm zugedachten Auftrages weiß. [ . . .] Bittend und Hilfe suchend neigt sich der Stab des Sohnes dem Heiligen Geiste zu, der voll stiller Wehmut seine Bereitschaft zum Ausdruck bringt, am Beginn und bei der Vollendung des Erlösungswerkes >beistehend< mitzuwirken; er ist ja der >BeistandTröster< in Leiden, durch seine Inspiration wird das Opfer der Liebe vollbracht. Diese Gemeinschaft der Engel vollzieht sich ohne Worte, sie ist nur gedanklich. Die Neigung und der in sich selbst vertiefte Blick des mittleren Engels flößt dem rechts von ihm sitzenden gleichsam den Gedanken von der Notwendigkeit des Opfers ein. Der antwortet mit einer kaum bemerkbaren Bewegung seiner Augen nach oben und gibt damit zu verstehen, daß er den Befehl an­ genommen hat und über ihn nachdenkt. Gehorsam und nachdenk­ lich ist die Neigung des dritten Engels auf den mittleren zu. In seinem Antlitz spiegeln sich Friede, Stille und Zustimmung, die das ganze Werk beschließt.« Für das Grün im Gewand des rechten Engels verweist Djomina auf Dantes »Göttliche Komödie«, wo von »grünender Hoffnung« die Rede ist223. Das Haus über dem linken Engel (bei ihr Christus) verweist auf Christus als »Hausbauer«, russ. »domostroiteF«, griech. »οικονόμος« - Worte, die im übertragenen Sinne als »Vollbringer des Heilswerks« verstanden werden. Das Emblem hinter dem rechten Engel - der Berg - ist »Symbol alles Erhabenen«, »In der Bibel ist der Berg Bild für die >Entraf£ung des Geistesc Darum vollziehen sich in der Bibel alle besonders bedeutsamen Ereignisse auf einem Berg, z. B. der Empfang der Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai durch Mose, die Verklärung Christi auf dem Berge Tabor, die Himmelfahrt auf dem Olberg, usw,«224 Vieles ist hier richtig beobachtet und schön ausgedrückt. Richtig läßt N . A. Djomina die Bewegung beim mittleren Engel beginnen. 94

Richtig sieht sie in seinem Biick eine Frage und »den Versuch zu überzeugen«. Aber auch sie übersieht, daß der Handgestus des mittleren Engels nicht der des Segens Ist (abgesehen davon, daß ursprünglich nur der Zeigefinger ausgestreckt war - kann man denn segnen, indem man die segnende Hand auf den Tisch legt?) und daß er nicht auf den Kelch weist, sondern auf den rechten Engel. Sie bemerkt richtig, daß der linke Engel aufrecht sitzt und der rechte sich Im Gehorsam neigt, aber sie kann nicht erklären, wieso das erstere zum Sohn und das letztere zum Geist paßt. Wir sagten es schon, der Geist ist bei der Inkarnation der Handelnde, Gebietende, der Sohn der, der sich im Gehorsam neigt. Nicht richtig sieht und deutet N. A. Djömina m. E. den Blick des linken Engels, Er »antwortet« nicht auf den Blick des mittleren, blickt auch nicht empor, sondern er schaut hinüber zum rechten. Richtig sieht sie, daß er segnet, aber auch sie kann nicht verständlich machen (ebensowenig wie die, die in dem mittleren Engel den segnenden Sohn sehen), wieso der Sohn sich gleichsam selbst segnen kann, wenn er den Kelch segnet, der seine Opfertat symbolisiert. Anders als Frau Djomina sehe ich die Handbewegung des rechten Engels: Sie »ruht« m. E. nicht auf dem Tisch (wie die des mittleren), sondern sie ist über den Tisch erhoben in Richtung auf den Kelch, den zu nehmen dem Sohn verordnet ist. Richtig sagt sie endlich über den Geist, »durch seine Inspiration werde das Opfer der Liebe vollendet«. Aber ich finde diese »Inspiration« nicht in der demütigen Haltung des rechten Engels ausgedrückt, sondern in der aufrechten Haltung, dem eindringli­ chen Blick und dem Befehl und Segen ausdrückenden Gestus der rechten Hand des linken Engels. Für die Deutung der Farbe und der Embleme über den Engeln (Haus, Eiche, Berg) gilt, was ich früher schon gesagt habe: Sie können in verschiedener Weise sinnvoll verstanden werden. Ich glaube, daß sie bei der Zuordnung I einen mindestens ebenso guten Sinn ergeben wie bei der N. A. Djöminas. A. A. Wetelew geht in seinem 1972 veröffentlichten Aufsatz von der Deutung N. A, Djöminas aus, führt sie aber durch eine stärker theologisch argumentierende Betrachtung weiter. Auf die Farbsym95

bolik, die bei ihm eine große Rolle spielt, will ich aus dem eben angeführten Grunde nicht eingehen, Interessant aber ist seine Deutung der aufrechten Haltung des linken Engels,die von N, A. Djömina zwar konstatiert, aber nicht erklärt war, Wetelew erklärt den aufrechten, majestätischen, sieghaften Charakter dieser Gestalt damit, daß die von ihr symbolisierte Hypostase des Sohnes — Christus - hier nicht, wie der Vater, vor der Inkarnation des Sohnes dargestellt sei, nicht als der, der den Entschluß des Vaters, ihn zu senden, jetzt annehme, sondern daß er dargestellt sei nach seiner Inkarnation, nach seinem Sieg über Sünde, Fluch und Tod, »Indem er seine Rechte auf dem erhobenen Knie des rechten Beines hält, zeigt er, daß das Opferlamm nicht außerhalb von ihm ist, daß er selbst das Opferlamm ist und daß er sich schon zum Opfer gebracht hat.«225 Ich sagte, die Deutung sei interessant; aber gleichzeitig muß ich sagen: Sie ist schwer annehmbar. Wird nicht das ganze Sinngefüge der Ikone erschüttert, wenn bei der Darstellung des Ratschlusses der Trinität über die Sendung des Sohnes in die Welt der Vater im Augenblick des Ratschlusses, der Sohn aber in einem heilsgeschicht­ lich völlig anderen Zeitpunkt dargestellt wird ? Das Bild verlöre dann auch völlig die Beziehung zu der Theophanie vor Abraham, zur Erscheinung der drei Engel im Hain Mamre. Diese Erscheinung war ja im Heilsplan gerade der Anfang der historischen Inkarnation, weil Abraham durch die von den Engeln verheißene Geburt seines Sohnes Isaak zum Vorfahren Christi wird. Im Hain Mamre wird für den Sohn bitterer Ernst, was im Rat der Trinität von Ewigkeit her beschlossen war. Jetzt fragt der Vater gleichsam noch einmal: »Wen soll ich senden, wer will unser Bote sein?« Und der Geist blickt gebietend und segnend auf den Sohn, und dieser hebt seine Hand, um nun wirklich den Kelch zu nehmen, der ihm verordnet ist. Diese Beziehung wäre zerstört, wenn der Sohn jetzt, im Hain Mamre, mehr als 1500 Jahre vor der historischen Inkarnation, als der Vollendete dargestellt würde, der nach seiner Erhöhung zur Rechten des Vaters sitzt. Ebensowenig kann die Deutung überzeugen, die Wetelew der Handhaltung des linken Engels gibt: daß durch sie gesagt werden 96

solle, daß er, der linke Engel, identisch sei mit dem Opferlamm im Kelch, Ist denn der, der segnet, identisch mit dem, was er segnet? Ist der Priester identisch mit der Hostie und dem Wein? Es ist nicht anzunehmen, daß Wetelew diese Schwierigkeiten nicht gespürt hätte. Offenbar mußte er aber zu so gekünstelter, erdachter Argumentation Zuflucht nehmen, weil die Haltung des linken Engels allzusehr der Situation des Sohnes Im Augenblick der Be­ ratung der Dreifaltigkeit im Hain Mamre widerspricht. Das Gleiche gilt für seine Deutung des rechten Engels, in dem er den Heiligen Geist symbolisiert sieht226. Seiner Meinung nach ist er der »am meisten kummervoll-nachdenkliche« unter den drei Engeln. »Seine Figur ist am stärksten über den Altar gebeugt, und sein Haupt sogar so sehr, daß sein Blick kaum mehr erfassen kann als den Kelch mit dem Opferlamm. Der Stab hat gleichsam keine Stütze in der linken Hand und hat sich an die Schulter gelehnt. Auch der rechte Flügel hat sich stark dem Flügel des Vaters zugeneigt, als ob er Stütze und Halt suche. Er sitzt auch nicht fest auf dem Thron, den er nur halb elnnimmt. Über seinem Haupt hängt ein zweiter Nimbus, der seinen Nimbus gleichsam belastet, [Wetelew meint offenbar den Berg über dem rechten Engel.] Die rechte Hand hat sich mit ihrer ganzen Fläche (mit allen Fingern) auf den Altar gelegt, so als wolle sie kategorisch behaupten und symbolisch zum Ausdruck bringen, daß das erlösende Opfer schon gebracht, daß die Erlösung schon vollendet ist, daß die auf Christus als >den Stein< gegründete Kirche schon über alle Gnadengaben verfügt, daß der Mensch schon alle Möglichkeiten besitzt, gnadenhaften Anteil zu nehmen an seiner ewigen Rettung und an der seiner Nächsten. Mit diesen Besonderheiten in der Darstellung des Heiligen Geistes gibt der Ikonenmaler uns Anlaß zu dem Schluß, daß er ihn darstellt als die göttliche Hypostase, die bis heute in der Welt und in der Kirche Christi wirkt [also als den Heiligen Geist].« Den »Schatten der Trauer«, den Wetelew auf dem Gesicht des rechten Engels liegen sieht, erklärt er damit, daß der Heilige Geist darüber trauert, »daß der Mensch die Freiheit hat, sich dem Willen Gottes im Werk der Rettung der Welt und des Menschen zu widersetzen«, daß er in unendlichem Mitleid das irdische und das künftige Leiden der Menschheit umfaßt und voraussieht. 97

Wetelew schildert hier in Wendungen, die nahe an die Ausführun­ gen des Erzbischofs Ssergij Golubzow erinnern, den Kummer, die Nachdenklichkeit, einen gewissen Mangel an Standhaftigkeit und Festigkeit im rechten Engel. Aber Erzbischof Ssergij deutete dies, m. E. zu recht, auf den Sohn. Von ihm wird in der Bibel ja deutlich gesagt, daß »seine Seele betrübt ist bis in den Tod«, daß er »trauert und zagt«, daß er bittet, der Kelch möge von ihm genommen werden227, daß er »in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat zu dem, der ihm von dem Tode konnte aushelfen«, daß er, »wiewohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt hat«22S, Wo findet sich so etwas vom Fleiligen Geist ausgesagt? Vielleicht denkt Wetelew an das Wort aus dem Epheserbrief, wo der Apostel mahnt: »Und betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, in welchem ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung. «229Aber um von diesem Wort aus den rechten Engel auf den Heiligen Geist deuten zu können, müßte man das auf der Ikone dargestellte Geschehen wieder völlig lösen von dem heilsgeschichtlichen Augenblick, in dem es sich vollzieht, von der Theophanie im Hain Mamre, von dem Ratschluß über die Entsendung des Sohnes, dessen Inkarnation gerade jetzt beginnt. Wetelew deutet die Gestalt und die Gestik des mittleren Engels richtig von diesem heilsgeschichtlichen Augen­ blick aus, aber den Sohn völlig anders vom Augenblick der Er­ höhung nach dem Leiden und den Geist ganz zeitlos »als die bis zum heutigen Tag in der Welt und in der Kirche Christi wirkende Kraft«. Ich frage noch einmal: Wird nicht das ganze Sinngefüge der Ikone erschüttert, wenn bei der Darstellung des Ratschlusses der Trinität über die Sendung des Sohnes in die Welt der Vater im Augenblick des Ratschlusses, der Sohn und der Geist aber in einem heilsge­ schichtlich völlig anderen Zeitpunkt dargestellt wird? Ich möchte glauben, der tiefere Grund zu der im Ganzen wenig überzeugenden Argumentation Wetelews liegt darin, daß auch er den Zweifel des Erzbischofs Ssergij nicht lösen konnte, wieso Andrej Rubljow, entgegen der Aussage des Glaubensbekenntnisses, den Sohn nicht »zur Rechten«, sondern zur Linken des Vaters hätte sitzen lassen. Aber wir zeigten, daß der Maler sehr tiefe Gründe für eine solche Anordnung hatte: daß er den Sohn niedriger als den Geist 98

und links vom Vater sitzen ließ, weil er ihn in dem Augenblick zeigt, da er »sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm [ , . und sich selbst erniedrigte und gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz«230. So meine ich: Nach Prüfung aller Argumente, die für eine andere Zuordnung der drei Engel zu den drei Hypostasen der drei-einen Gottheit vorgebracht worden sind, habe ich das Recht und guten Grund, an der Auffassung festzuhalten, daß in dem mittleren Engel der Vater, in dem linken der Heilige Geist und in dem rechten der Sohn symbolisiert sind und daß sich von dieser Deutung aus der theologische Sinn der Ikone am tiefsten erschließt, Ich will ver­ suchen, ihn noch einmal zusammenfassend darzustellen. 6.3 Zusammenfassende Darstellung des theologischen Gehaltes der Dreifaltigkeitsikone Die ausgewogene Komposition, die zarte Linienführung, die kontrastreiche und doch harmonische Farbgebung der Dreifaltig­ keitsikone haben von jeher die Bewunderung ästhetisch empfäng­ licher Betrachter erregt; die überirdische Schönheit und die innige Verbundenheit der drei in schweigendes Gespräch vertieften Engelsgestalten, die Sanftheit ihrer Bewegung und die verhaltene Trauer auf ihren Gesichtern wirken unmittelbar auf Gemüt und Seele auch des heutigen Menschen; in seiner ganzen Fülle erschließt sich der Gehalt der Ikone aber erst, wenn sie nicht nur als überragende künstlerische Leistung und als Ausdruck einer tief sympathischen seelischen Gestimmtheit aufgefaßt, sondern wenn sie auch aus dem geistigen Zentrum ihrer Konzeption verstanden wird. Dieses geistige Zentrum ist das trinitansche Dogma der christlichen Kirche in seiner ostkirchlichen Ausformung, wie es Andrej Rubljow aus der exegetischen, dogmatischen und liturgischen Tradition seiner Kirche vertraut war. Neu belebt war die Frage nach dem Sinn und dem theologischen Gehalt dieses Dogmas im 14. und 15. Jahrhundert vielleicht durch verborgene antitrinitarische Strömun­ gen, jedenfalls aber durch exegetische Auseinandersetzungen um die Auslegung der Abrahamsgeschichte aus Kapitel 1B der Genesis und 99

durch tastende Versuche der Ikonenmaier, den Sinn dieser Erzäh­ lung immer tiefer zu erfassen und in der malerischen Wiedergabe eines historischen Ereignisses die Erscheinungsform und das Wesen der göttlichen Trinität angemessen darzustellen. Da es keine all­ gemein anerkannten, sozusagen kanonisierten Lösungen dieser exegetischen und ikonographischen Probleme gab, hatte der einzelne Künstler die Freiheit, denkerisch und künstlerisch eigene Wege zu gehen. Als Andrej Rubljöw den Auftrag erhielt, eine Ikone der Trinität zu malen, wollte er das offenbar nicht tun nach dem ikonographischen Typus der »Vaterschaft« (russ. »otecestvo«), der damals nach Rußland gekommen war; auf diesen Ikonen war der Vater als der »Alte der Tage« dargestellt mit dem Immanuel-Knaben im Schoß, der seinerseits den Heiligen Geist m der Gestalt einer Taube auf dem Schoß hielt231. Diese Darstellung verbot sich für Andrej Rubljöw, wenn er sie überhaupt gekannt hat, einerseits vielleicht als »Neuerung«, andererseits weil sie dem fundamentalen Satz ost­ kirchlichen ikonographischen Denkens widersprach, daß Gott, der ewige Vater, »unsichtbar, unumschreibbar, unausdenkbar«232 und deswegen auch unmalbar sei. Wenn man die Trinität malen wollte, so durfte man sie nur in der Gestalt malen, wie sie sich selbst menschlichen Augen gezeigt hatte - in der Gestalt der drei Engel, die dem Abraham im Hain Mamre erschienen waren. Allerdings durfte der Maler die historische Situation mit den Augen des Glaubens sehen, wie ja auch Abraham sie mit den Augen des Glaubens gesehen hatte: Er durfte die drei »Männer« als Engel darstellen, da sie sich ja als Engel erwiesen hatten, auch wenn sie keine Flügel und keinen Nimbus trugen; und der Maler durfte noch weiter gehen als Abraham: Vom trinitarischen Glauben der Kirche aus durfte er in den drei Engeln eine geheime Offenbarung der trinitarischen Gottheit sehen, die hier in der Form erschienen war, in der menschliche Augen sie zu sehen vermögen. Da der Maler nun in der zeitlichen Erscheinung das Ewige, in dem historischen Geschehen das heilsgeschichtliche Moment als das eigentlich Wesentliche erkannt hatte, konnte er auf das zweitrangig gewordene Zeitliche bis zu einem gewissen Grade verzichten. Abraham und Sara konnten fortgelassen werden, weil jetzt nicht 100

mehr diese beiden Menschen einer fernen Vergangenheit, sondern wir, die Betrachter der Ikone, Zeugen der Theophanie, der Er­ scheinung Gottes sind und weil wir sogar besser als jene die ganze Tiefe und Weite dieser Theophanie verstehen, Die Eiche des Hains Mamre bleibt, aber dieser einzelne, historische Baum verwandelt sich in den überzeitlichen Baum des Lebens; die Hütte Abrahams bleibt, aber sie wandelt sich in das Haus der Kirche, den Tempel des Heiligen Geistes233; als Hinweis auf das Gastmahl bleibt der Kopf des geschlachteten Tieres, aber es fehlen jedes weitere Eßgeschirr und Eßbesteck und die weiteren Nahrungsmittel, mit denen Abraham nach dem Bericht der Bibel seine Gäste bewirtet hat (Kuchen, Butter, Milch), so daß das Gastmahl sich ln sein Gegenteil wandelt: Nicht Abraham bewirtet die »Männer«, sondern die trinitarische Gottheit »macht ein großes Gastmahl und ein großes Gelage mit dem von Ewigkeit her gemästeten Kalb, Gottes geliebtem Sohn Jesus Christus, nachdem er zu einem Feste geladen, die im Himmel und auf Erden sind, nachdem er Menschen und Engel innig vereint«234, Die Ewigkeit und Unendlichkeit Gottes deutet der Maler an durch die Kreisform, die das Bild in seiner Gesamtkomposition und in vielen Einzelheiten bestimmt: Im Nimbus, in dem nach oben sich öffnenden Halbrund der Flügel, in den Binden im Haar der Engel; die Weltüberlegenheit Gottes läßt er uns erleben durch die Flügel, durch das Gold, das den ewigen, und das Blau, das den atmosphä­ rischen Himmel charakterisiert; seine Herrschaftsgewalt durch die Wanderstäbe, die in Wirklichkeit Szepter sind; daß diese weltüber­ legene Gottheit nun aber gleichzeitig Beziehung hat zu dieser Welt, zu dieser grünen Erde, auf der wir leben, das zeigt der grüne Rasen, auf dem der Tisch und die Stühle stehen, und das zeigen der Baum und der Berg und das Haus im Hintergrund, Hinweis einerseits auf den konkreten geographischen Raum des Geschehens, den Hain Mamre, andererseits auf die historischen Ereignisse der Entstehung des Lebens auf dieser Erde, der Hinrichtung Jesu unter Pontius Pilatus, des Wachsens der Kirche seit dem ersten Pfingstfest, Die Dreifaltigkeit Gottes offenbart sich in der Drei zahl der Personen, die um den Tisch sitzen und in der Figur des Dreiecks, die (neben der des Kreises) in vielfältiger Abwandlung das Bild beherrscht. 101

Aber die drei Personen sind eins im Wesen. Dies zeigt der Maler durch den Kreis, in den er die drei Gestalten hmemkomponiert hat, durch die Ähnlichkeit der Gesichter, durch die Gleichheit und Gemeinsamkeit der Farben Gold und Blau, Aber neben der Einheit des Wesens, die nicht getrennt werden darf, steht der Unterschied der Hypostasen, der nicht verwischt werden darf. Des Vaters »hypostatische Besonderheit« ist, daß er »der Ursprung und die Ursache aller Dinge« ist, der sichtbaren und der unsicht­ baren Schöpfung, aber auch »Ursprung und Ursache« des Sohnes und des Geistes, die nicht geschaffen sind, aber doch in ewigem Ursprung aus dem Vater hervorgegangen; und darum ist er bei aller Gleichheit der Hypostasen doch der Höchste im Rang, darum vom Maler in die Mitte des Bildes und an die Spitze des trinitarischen Dreiecks gerückt, angetan mit dem Purpur der Herrschaft und im stummen Gespräch der drei Personen der Ausgangspunkt und Anfang der Bewegung; von ihm geht der Geist unkörperhaft aus, »gesendet« nur durch den Blick der Augen; dieser ist der Mittler der Sendung des Sohnes, auch er »Herr«, durch dessen Willen der Sohn auf die Erde gehen muß; durch dessen wirkende Kraft er Fleisch annimmt aus der Jungfrau, durch dessen Herabkunft in jeder Eucharistiefeier Brot und Wein gewandelt wird zu Leib und Blut Christi; und er, der Geist, ist dann gleichzeitig derjenige, der das vom Sohn angefachte Feuer auf Erden aufflammen läßt und den Bau der Kirche zusammenfügt. Die »hypostatische Besonderheit« des Sohnes endlich ist das »Geborensein aus dem Vater«, »aus dem Leib des Vaters«; darum ist er ein Spiegelbild seines Wesens und wird vom Maler spiegel­ bildlich zum Vater dargestellt; zum Geborensein, zum Kindsein aber gehört der vollkommene Gehorsam, vom Maler ausgedrückt in der Haltung des Körpers und des Hauptes und dem Aufheben der Hand zu dem Kelch, der ihm, dem Sohn, verordnet ist; aus Liebe zum gefallenen Menschen nimmt er die Menschheit an, zieht das grüne Gewand der Erde an, geht über die Erde »und wird gesäugt wie ein Mensch und genährt und ist wahrhaft Mensch - nicht scheinbar, sondern in Wahrheit in unserem Fleische, ganz Gott, ganz Mensch, in zwei Naturen, in zweifachem Wollen und Willen. 102

[ . . .] Er leidet am Fleisch als Mensch um meinetwillen und bleibt als Gott an seiner Gottheit ohne Leiden. Der Unsterbliche stirbt, auf daß er mich Toten lebendig mache.«235 Das Band, das die drei Gestalten zu einer inneren Einheit macht, ist nicht nur die Gemeinsamkeit der göttlichen Substanz, die Einheit des Wesens in der Dreiheit der Hypostasen —das Band, das sie zur Einheit macht, ist die Liebe. Diese Liebe aber beschränkt sich nicht auf den engen Kreis der Dreiheit. Der Wunsch des Vaters und der Wille des Heiligen Geistes ist die Erlösung der Welt und des Menschen, und der Blick des Sohnes geht nicht zurück zum Vater, um in ewiger Ruhe bei Ihm zu bleiben236, sondern er geht hinab zum Kelch, dem Symbol des Opfers, und über diesen hinaus zu denen, für die dieses Opfer gebracht wird. Das Leben der trinitarischen Gottheit vollendet sich, wie alles Leben, im Opfer.

7. Weihegebet über der Dreifaltigkeitsikone Die Ikonen sind nicht nur Bilder des Heiligen - sie sind selbst heilig, heilige Bilder, Gegenstand religiöser Verehrung, Mittler göttlicher Gnade. Zu diesem heiligen Dienst werden sie mit einem besonderen gottesdienstlichen Ritus geweiht. »Uber der auf den Altar gelegten Ikone spricht der Bischof ein Gebet, besprengt sie mit Weihwasser und inzensiert sie mit Weihrauch. Erst danach ist eine Ikone zum liturgischen Gebrauch freigegeben. Die Ikonenweihe schließt auch Prüfung und Anerkennung ihrer Ikonographie durch den Bischof ein.«237 Die Gebete, die bei dieser Gelegenheit gesprochen werden, unterscheiden sich je nach der Thematik der Ikone. Das Gebet, das bei der Weihe einer Dreifaltigkeitsikone gesprochenwird, zeigt in der feierlichen Sprache der Liturgie einerseits die Glaubensgrund­ lage der trinitarischen Theologie, die auf der Ikone bildhaft dar­ gestellt wird, und andererseits die von der Kirche gebilligte und gewünschte Beziehung des Gläubigen zur Ikone: die leise Warnung vor dem Mißbrauch des Bildes (seiner Vergötterung) und die An­ leitung zu seinem rechten Gebrauch: zur Verehrung, die nicht dem materiellen Gegenstand gilt, sondern dem Urbild, zu dem der 103

Gläubige {nach einem in diesem Zusammenhang Immer wieder zitierten Wort, das auf den Kirchenvater Basilius den Großen zurückgeht) durch das Abbild hingeführt wird. Nur wenn wir die Ikone nicht als museales Ausstellungsstück betrachten, sondern im lebendigen Zusammenhang mit dem Glauben und dem Gottesdienst der Kirche, verstehen wir sie nach dem Gesetz, wonach sie angetreten, nach dem Geist, aus dem heraus sie geschaffen ist. Wir geben die Übersetzung des kirchenslawischen Textes des Weihegebetes nach der Übersetzung von Alexios von Makzew, dem ehemaligen »Probst an der Kaiserlich Russischen Botschaftskirche zu Berlin« und verdienten Vermittler der Liturgie der Ostkirche an die deutsche Leser sch aft23S. »Herr, Gott, der du in der heiligen Dreifaltigkeit gepriesen wirst, welchen weder der Verstand begreifen kann noch ein Wort auszusprechen vermag, welchen keiner der Menschen jemals gesehen hat, sondern wie wir aus den heiligen Schriften und den Lehren der gott-tönenden Apostel gelernt haben, so glauben wir auch, und so bekennen wir dich, Gott, den anfanglosen Vater, und deinen wesenseinen239 Sohn und deinen mitthronenden und mit­ wesentlichen Geist. Und wie das Alte Testament uns von deiner Erscheinung unter der Gestalt der drei Engel, welche jenem ruhmreichen Erzvater Abraham geschah, erzählt, so offenbarte sich im Neuen Testament der Vater in der Stimme, der Sohn im Fleische im Jordan, der heilige Geist aber in der Gestalt einer Taube, Und der Sohn wiederum, welcher im Fleisch zum Himmel auffuhr und zur Rechten Gottes sitzet, hat auf die Apostel in der Erscheinung feuriger Zungen den Tröster, den heiligen Geist, geschickt. Und auf dem Tabor offenbarte sich der Vater in der Stimme, der heilige Geist in der Wolke, der Sohn aber in allerhellstem Lichte den drei Jüngern. So bekennen wir um des immerwährenden Andenkens willen dich als den einzigen gepriesenen G ott nicht allein mit dem Munde, sondern malen auch das Bild240, nicht um es zu vergöttern, sondern damit wir, mit den Augen des Körpers es anschauend, mit den Augen des Geistes auf dich, unsern Gott, schauen und, indem wir es [das Bild] verehren, dich, unsern Schöpfer, Erlöser und Heiliger141, preisen und erheben und deiner zahllosen Wohltaten gedenken. Denn die dem Bilde erwiesene Ehre geht auf das Urbild über, 104

Nachdem wir also diese Ikone vor deiner Majestät niedergelegt haben, in der frommen Absicht, welche wir vorher ausgesprochen haben, bitten und beten und flehen wir deine Barmherzigkeit an, blicke gnädig auf dieselbe herab und sende deinen himmlischen Segen, und in deinem dreimal heiligen Namen segne und weihe dieselbe, damit diejenigen, welche sie fromm verehren und sich vor derselben demütig vor dir verneigen242 und gläubig zu dir flehen, Gnade finden und Segen erhalten und von allen Übeln und Trübsalen befreit werden, auch die Vergebung der Sünden empfan­ gen und des Himmelreiches gewürdigt werden, Durch deine Gnade und die Erbarmungen und die Menschenliebe des einen, in der Dreifaltigkeit gepriesenen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, welchem ist Ehre jetzt und immerdar und in die Ewigkeiten der Ewigkeiten, Amen.«

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Anmerkungen 1 Ein Tropärion (russ, »tropär’«, m.) ist eine liturgische Dichtung auf ein heilsgeschichdiches Ereignis oder auf einen Heiligen, die an dem betreffenden Fest gesungen wird,Sie nennt die theologisch bedeutsa­ men Züge des an diesem Tag gefeierten Ereignisses der Heilsgeschichte oder des gefeierten Heiligen, André] Rubljöw wurde am 6. Juni 1988 von dem Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche, das aus Anlaß der Tausendjahrfeier dieser Kirche im Ssérgij-Kloster in Sagörsk gehalten wurde, kanonisiert. Die liturgischen Texte für das Fest und eine Vita des Heiligen schrieb der Diakon Andrej Lorgus (Titel s. im Literaturverzeichnis, u., S. 126). Zur Interpretation des Troparions s, den Aufsatz von Bühring, Eine Ikone des Heiligen malte Irina Wassfljewna Watägina 1982; Reproduktionen dieser Ikone bei Lorgus und Bühring, - Das Fest des Andrej Rubljöw wird am 4. Juh alten Stils (dem 17. Juli unseres Kalenders) gefeiert, dem Festtag des heiligen Andreas von Kreta. Im Dreifaltigkeitskloster wird schon seit langem an diesem Tag auch des Andrej Rubljöw gedacht (Lorgus, S. 40), 2 Das Dreifaltigkeitskloster ist um das Jahr 1340 (1337 oder 1345) von dem damals 23jährigen Ssérgij von Rädonesh (geboren 1314 oder 1322) zunächst als Einsiedelei gegründet worden und hat sich dann rasch zu einem großen koinobitischen Kloster entwickelt. Um das Kloster entstand eine Siedlung, SsergijewPossäd ( —Ssérgij-Siedlung), seit 1782 Stadt. 1919 wurde das Kloster aufgehoben, 1946 teilweise kirchlicher Nutzung zurückgegeben. Die Stadt wurde 1930 umbenanm in Sagorsk (Zagorsk), nach dem kommunistischen Funktionär V, M. Sagorskij, der 1919 in Moskau einem Bombenattentat zum Opfer gefallen war. Dem Vernehmen nach soll die Stadt jetzt ihren alten Namen Ssérgijew Possäd znrückbekommen. - Das Kloster heißt auf russiche »TröizeSsérgijewa Lawra« (= »Lawra [Groß kl oster] der Dreifaltigkeit, von Ssérgij gegründet«), - Die Viten des heiligen Ssérgij sind enthalten in: Tichonravov/Müller; dort auch eine ausführliche Bibliographie; deutsche Übersetzung bei: Benz, »Russ. Hl. Legenden« und Onasch, »Akr. Hl. Lbn.«. - Über das Kloster: die Bücher von Baldin; ferner; »TSL«, 1967 und »TSL«, 1985 (Prachtband mit zahlreichen Abbildun­ gen und ausführlicher Bibliographie). Die Dreifaltigkeitsikone wurde 1929 auf staatliche Anordnung aus dem Ssérgij-Kloster in die Moskauer Tretjaköw-Galerie übergeführt (»Katalog«, S. 287). In der Klosterkirche ist sie durch eine Kopie ersetzt. 3 Die Autorschaft Andrej Rubljöws ist erst im Jahre 1551, also etwa 125 Jahre nach dessen Tod, und auch da nur indirekt bezeugt. Siehe unten, S. 34f. und 50f. 4 Also vom Gemeinderaum aus gesehen rechts, vom Altar aus gesehen links. Auch bei der Beschreibung der Ikonen verstehe ich (wenn nicht

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ausdrücklich anders angegeben) »rechts« und »links« immer im Sinne von »vom Betrachter aus gesehen«, - Manche meinen, die Ikone sei ursprünglich als Epitaph-Ikone für das Grab des heiligen Ssergij in Auftrag gegeben und gemalt und sei erst später (im 17, Jahrhundert) als Ortsikone der Bilderwand eingefugt worden (Onasch, »Ikonen«, S, 388, mit weiterführenden Literaturangaben). Siehe dazu unten, S. 48 und Anm. 97. Eine Abbildung der Ikonostase der Dreifaltigkeitskirche des SsergijKlosters ist enthalten in »TSL, 1985«, S. 120, - Zur Ikonostase s. Anm. 24. Griech. »αγία τρι,άς«, russ. »Svjataja Troica«. Über den Erhaltungszustand der Ikone s. V. J. Antonova, in: »Katalog«, S. 285-287, Verloren gegangen sind das Gold des Hintergrundes und der Nimben; der Baum und der Inhalt des Kelches sind nachgemalt. Stark gelitten hat die Farbe des Gewandes des linken Engels. Der Mittelfinger des mittleren Engels ist bei der Restauration 1904 hinzugemalt worden. Siehe dazu u., S. 66f., Mach V. J, Antonova hatte die Ikone ursprünglich die Aufschrift »Presvjataja Troica« = »Hochheilige Dreifaltigkeit«. Johannes von Damaskus, »Drei Reden gegen die Bilderfeinde«; (s. Literaturverzeichnis unter Job, Dam.); ferner in »Darlegung des orthodoxen Glaubens«, IV. Buch, Kap. 16, »Von den Bildern«. Der griechische Text in Joh. Dam,, »Expos, fidei«, deutsche Übersetzung in Joh. Dam,, »Darlegung«, S. 227ff. - Zum Bilderstreit s, Beck, S. 296ff.; über Johannes von Damaskus: ebd., S. 476ff. Zitat aus dem Buch Baruch (in der »Septuaginta«, der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes), 3, 38. Nach Joh. 20, 29. Mit den letzten Worten verteidigt Johannes die Bilderverehrung gegen den Vorwurf des Götzendienstes und der Anbetung leblosen Stoffes. Wörtlich »der Heiland in den Kräften«, d. h. »inmitten der Himmels­ mächte«, im Westen »Majestas Domini« (»Majestät des Herrn«) genannt: »Ikonographische Bezeichnung für die Darstellung des erhöhten, von 4 Lebewesen umgebenen, oft über dem Himmelsbogen mit den Gestirnen thronenden Christus (Jes. 6,1-4; 66,1; Hes. 1,4-28; Offb, 4, 2-9)« (Onasch, »Kunst und Liturgie«, S. 254). Abbildung bei Ouspensky-Lossky, S. 73; Demina, Tafel 20; Golejzovskij, Tafel 20. Onasch, »Kunst und Liturgie«, S. 73. Sachs-Badstübner, Tafel 20. Abbildung bei Onasch, »Ikonen«, Tafel 24; Mainka, Tafel 7; Urech, S. 54; Vzdornov, Tafel 28; bei uns Abb. 1. Sachs-Badstübner, S. 100. Abbildungen ebd,,Tafel 25; Mainka,Tafel. 5. Ebd., S. 100. Verzeichnis der erhaltenen Beispiele bei Heinz-Mohr, S. 76.

18 Onasch, »Kunst und Liturgie«, S. 88, meint, der Typ des »Otecestvo« sei auf dem Balkan im 10./11. Jh. entstanden und von dort nach Rußland gekommen. So auch Lazarev, »Novg, ikonop.«, S. 25. Er sagt, der Typus sei in Byzanz und bei den Südslawen bekannt gewesen, aber er sei in Rußland vor dieser Nowgoroder Ikone vom Ende des 14. jh. nicht bezeugt. 19 Lazarev, »Novg. ikonop.«, S. 25. 20 Siehe o., bei Anm. 8, 21 Ouspensky-Lossky, S. 206h 22 Abbildungen bei Mainka, Tafel 3; Heinz-Mohr, S. 75. 23 Heinz-Mohr, S. 75ff. 24 Zur Ikonostase s, Ouspensky-Lossky, S. 59ff.; Onasch, »Kunst und Liturgie«, S. 56ff.; Faensen, 1990, S. 193. 25 Ich benutze für die drei Gestalten oder Personen der drei-einen (trinitarischen) Gottheit den aus dem Griechischen stammenden und in der Kirche seit etwa 381 allgemein anerkannten Begriff »Hypostase«. Er bedeutet soviel wie »konkrete, individuelle, unabhängige Wirklich­ keit« (LThK, 5,578). Daneben benutze ich den Begriff »Gestalt«, nicht so gern den der »Person«, 26 Sie stammt aus dem 12. Jh. - Abbildung bei Onasch, »Ikonen«, Tafel 15 und 16; Lazarev, »Novg, ikonop.«, Tafel 6. 27 Die Liturgie des 6, Januar, des Festes der Taufe Christi, betont, daß dieses Ereignis eine Selbstoffenbarung der Dreifaltigkeit, eine trinitarische Epiphanie war. Es heißt in einem Lied zu diesem Tag: »Als du, Herr, im Jordan getauft wurdest, Wurde offenbart die Anbetung der Dreifaltigkeit. Denn die Stimme des Erzeugers legte Zeugnis ab für dich, Indem sie dich ihren geliebten Sohn nannte. Und der Geist in Gestalt einer Taube Bekräftigte, daß dies Wort gewißlich wahr sei.« Oder an anderer Steile: »Unser Gott, die Dreifaltigkeit, ist uns heute erschienen als untrennbare Einheit.« Synekdemos, S. 450 und S. 423. - Vgl. auch das Weihegebet, u. S. 104f. 28 Siehe dazu: Müller, 1983. 29 Etwa H. Holzinger in: Kautzsch, S. 37. 30 Augustinus, »De civitate Dei libri XX II«, Buch 16, Kap. 20. 31 Justinus, »Dialogus cum Tryphone Judaeo«, Kapitel 56; der griechi­ sche Text in Migne, PG, 6, 596f.; deutsche Übersetzung in: Justin, »Dialog«, S. 84f. 32 Migne, PG, 26, 737. Weitere Aussagen der Kirchenväter zusammen­ gestellt bei Mainka, S. 76f. 33 Migne, PL, 39, 1748; Mainka, S. 76. —So auch, tausend Jahre später, Martin Luther. Er schreibt in einer Randglosse der Bibelausgabe von 1545 zu Gen, 18, 2; »Für einem feit er nider vnd redet auch als mit

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einem vnd doch mit dreien. Da ist die Dreifaltigkeit in Gott an­ gezeigt.« Ouspensky-Lossky, S. 202. Mainka, S. 77; Migne, PG, 133, S. 1223. Ilarion, »Werke«, S. 25f, Daniil, »Chozenie«; deutsch in »Itineraria Rossica«, Altruss. »krakovat«; die Bedeutung ist unsicher. Danül, S. 70f.; »Itineraria«, S. 66. Eine Werst ist etwa 1,07 km. Danhl, S. 75-77; »Itineraria«, S. 68f. Enthalten in der Nikon-Chronik, PSRL, Bd. 11, S. 95-104. Ebd., S. 99. »Palestinskij sbornik«, 24; nach Arch. Ssergrj, 1981, S. 31. Uber Sossimas Reisebeschreibung s. Seemann, S. 246-260; »Slovar’ kniznikov«, 2, 1, S. 363f. Kazakova-Lur'e, S. 305; losif, »Poslanija«, S. 243, - Uber Iossif s, »Slovar* kniznikov«, II, 1, S. 434ff. Der Brief ist abgedruckt Kazakova-Lur’e, S. 3Q5f£.; Iosif, »Poslanija«, S. 139ff. Ähnlich hatte schon Justin der Märtyrer argumentiert, s. o., bei Anm, 31. Ps. 33 (32), 6. Die Nummer der Psalmen gebe ich zuerst nach der Hebräischen Bibel, dann in Klammern nach der griechischen Über­ setzung (»Septuaginta«). D. h.: im Neuen wie im Aken Testament. Mit noch größerer Ausführlichkeit und stärkerer polemischer Zuspit­ zung hat iössif diese Gedanken einige Jahrzehnte später dargelegt in seiner Abhandlung »Gegen die Häresie der Nowgoroder Häretiker, die sagen, es gezieme sich nicht, die heilige und wesenseine Dreifal­ tigkeit auf Ikonen zu malen. >Abraham nämlich«, sagen sie, >hat Gott mit zwei Engeln gesehen, und nicht die Dreifaltigkeit.Dreieinigkeit