Die deutschen Lieder von Siegfrieds Tod

Table of contents :
Einleitung 5
Siegfried in Worms 14
Aufbruch zu Brünhild 16
Brünhilds Erwerbung 21
Frauenstreit, Aufreizung, Mordrat 30
Siegfrieds Tod 38
Ergebnisse 47
Literatur 62

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DIE DEUTSCHEN LIEDER VON SIEGFRIEDS TOD

Die deutschen Lieder von Siegfrieds Tod VON

H E R M A N N SCHNEIDER

19 4 7 VERLAG HERMANN BÖHLAUS NACHF. • WEIMAR

Veröffentlicht unter der Lizenz Nr. 48 der SMAD. Verlag Hermann Böhlaus Nachf., Weimar. Drude : Mitteldeutsche Druckerei und Ver­ lagsanstalt G .m .b.H ., Halle/Saale, Zweigstelle Burg b. Mgb. T 01

Einleitung y \ i e Frage, wie das große deutsche Epos von den Nibe^ lungen entstanden ist, hat die Gemüter fast ein Jahrhundert lang bewegt. V or nunmehr 25 Jahren hat Andreas Heusler eine Antwort gefunden, die alle Schwierigkeiten zu beheben schien und fast allgemeine Anerkennung gefunden hat. Das Nibelungenlied zerfällt in zwei Hauptteile, die man — mit Friedrich Hebbel — am besten Siegfrieds Tod und Krimhilds Rache nennt. Sie sind entstehungsgeschichtlich zu tren­ nen. Der zweite Teil, die „Rache der Schwester“ , war v o r dem ersten zum Epos gestaltet, und als der Dichter unseres Nibelungenlieds ans W erk ging, fand er bereits ein nieder­ geschriebenes Gedicht dieses Gegenstandes vor. Der erste Teil dagegen kam ihm noch als ungeschriebenes Lied zu Ohren. Er schuf also sein großes Buch, indem er die Geschichte von Siegfrieds Tod aus der Liedform in die breit ausladende Epen­ form brachte und das ältere Epos von Krimhilds Rache oder „D er Nibelunge N ot“ in neuer Bearbeitung daranschloß. An diesem Ergebnis wird schwerlich zu rütteln sein. In die Arbeitsleistung des Verfassers im Umkreis des 2. Teils, der Rachefabel, läßt sich leicht Einblick gewinnen, denn es gibt einen Prosaauszug aus jenem früheren Gedicht, der sog. älteren Nibelungenot; es ist in den norwegischen Roman von Dietrich von Bern (Thidrekssaga, im folgenden: Ths.) ein­ gegangen. W ie klug der Dichter unseres Nibelungenlieds (NL) zu erhalten, wie stilvoll er zu weiten und wie großartig zu überhöhen verstand, das läßt sich mit Hilfe der Ths. er­ kennen. Anders im ersten Teil. W ohl gibt es auch hier einen Parallelbericht in der Ths., aber er ist viel hastiger und un­ geordneter und erscheint dazu innerhalb des norwegischen R o ­ mans in mehrere Teile zerrissen. — Hier setzt nun Heuslers

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Wiederaufbauarbeit ein. Nach seiner Meinung ist die V or­ lage des Nibelungendichters auch für den Anfangsteil, Sieg­ frieds Tod, auf dieselbe einfache Weise wiederzugewinnen, die uns den Endteil erschlossen hat: durch Vergleich und Kom­ bination von N L und Ths. Beide Darstellungen, so meint er, sind aus e in e r Quelle geflossen, und legen also Zeugnis ab für ein und dasselbe Denkmal. Es hatte aber noch L ie d ­ gestalt, stand also in Stil und Tempo von der epenhaften B e­ handlung im Nibelungenlied weit ab. Die einfacheren Um­ risse des liedhaften Gebildes mußten sich mit Hilfe der Ths. aus dem großangelegten, oft in die Breite gewalzten Bericht des Epos wieder gewinnen lassen. Diese gemeinsame Vorlage ließ Heusler in einer bewunderungswürdigen Vision neu er­ stehen und nannte sie das B r ü n h ild lie d . — Szene für Szene suchte er das verlorene Gedicht wieder lebendig zu machen, und die zwei Ausstrahlungen, die es gefunden hat, N L und Ths., sind dabei gleichermaßen benutzt. Es lag in der Natur der Sache, daß der Wiederaufbau des Liedes im wesentlichen durch Addition erfolgte. An sich viel knapper zu denken als unsere epische Großdichtung, mußte es deshalb in der Rekonstruk­ tion vielfach reicher und breiter ausfallen als diese, zumal sich aus allerlei Erwägungen auch anderswoher die Nötigung er­ gab, es mit Stoff* zu belasten. Es gliederte sich schließlich in 23 Auftritte, und sein Rahmen schien bis zum Überquellen ge­ füllt. Gedehntheit und Motivreichtum des Gedichtumrisses er­ weckten denn auch manchen Zweifel, und einige Forscher for­ derten angesichts der Stofiinasse, die Lied und Saga darboten, auch hier die e p isc h e Vorlage. Erster und zweiter Teil des Epos müßten dann unter ganz gleichen Entstehungsbedingun­ gen erwachsen sein. Aber dieser Annahme trat nun wieder der gänzlich ver­ schiedene Charakter des Sagaberichts hier und dort in den W eg. Der epische Schritt, den die Darstellung des Nibe­

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lu n gen u n tergan gs in cfer Ths. geht, ist unverkennbar und nicht zu vergleichen mit der Sprunghaftigkeit, dem flüchtigen Hingleiten der Erzählung von Siegfrieds Tod. Kein Zweifel, die Vorlagen waren hier und dort gattungsmäßig verschieden. Auch das wollte nicht gelingen, das vermeinte frühere-Epos von Siegfrieds Tod literarhistorisch unterzubringen. Der V er­ gleich mit den Spielmannsgedichten des 12. Jahrhunderts mochte manches Lockende haben, namentlich angesichts der seichten und leichtfertigen Behandlung einiger Episoden durch die Ths. Aber ein Siegfriedepos hätte auf alle Fälle in der Nibelungenstrophe stehen müssen und wäre schon dadurch aus dem Stilumkreis von Rother, Salm an und Orendel weit her­ ausgerückt worden. Die Beobachtung besteht zu recht, daß die Darstellung der Ths. die Würde der Nibelungenfabel öfter verletzt und da­ durch stark von dem Epos, gerade auch seinem ersten Teil, absticht. Aber sie muß zu anderen Schlüssen führen als zur Forderung eines ehemaligen Spielmannsgedichts von Siegfrieds Tod. Die beiden W erke, die gleichermaßen als Ausflüsse und Nachfahren des Brünhildlieds zu gelten pflegen, stehen in Stil und Stimmungswelt unfaßbar w eit voneinander ab. Sollte sich wirklich aus ein und demselben Lied so Wesensverschiedenes herausentwickelt haben? An diesen Einwand heißt es an­ knüpfen, wenn man über Heuslers Wiederaufbauversuch hin­ ausgelangen w ill. Läßt man den Bericht der Ths. unbefangen auf sich wirken, so wird man bei aller Fülle des äußerlich mit dem N L Ver­ gleichbaren sagen müssen: Verschiedeneres und verschiedener kann nicht gut erzählt werden — sofern man nämlich die Saga wirklich ernst nimmt und nicht bei jed er Abweichung von dem deutschen Bericht mit den üblichen Erklärungen: Vemüchterung, Streichung, Entstellung, Verbalhornung bei der Hand ist. Die wahrscheinlichste Annahme ist, daß der Sagamann

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das, was er erzählt, im wesentlichen so in seiner Quelle ge­ funden hat. Mindestens so stark wie der Eindruck der ur­ sprünglichen inhaltlichen Verwandtschaft unserer beiden Be­ richte wirkt dann ein anderer, daß nämlich das Epos gegen­ über der Saga ein erhebliches Mehr aufweist; das ist es, was die beiden Darstellungen so stark voneinander scheidet. Aus welchen Quellen schöpfte das N L seinen Überschuß? Es ist freilich nicht zu übersehen, daß auch die* Saga ihre Pluspartien aufweist; um nur einige zu nennen: Siegfrieds er­ ster Besuch bei Brünhild; ihr ausgesprochener Unmut, daß nicht e r , sondern Günther der Freier ist, eine Verstimmung, die die übelsten Folgen hat. M ag sein, daß hier eddische V or­ stellungen hereinspielen. Aber sie erklären nicht^alles und liegen o ft weit ab. Der Haupteinwand gegen die einheitliche Quelle Briinhildlied ist aber der : die künstlerisch hochstehende und wohlkom­ ponierte Dichtung, die Heusler hat erstehen lassen, ist aus einem Guß und kann der Natur der Sache nach weder Lücken noch Sprünge, weder Mißverständnisse noch* Unklar­ heiten enthalten haben. Das N L selbst aber zeigt sie, wie jeder­ mann weiß, in verstimmend großer Zahl. W ie ist es zu er­ klären und zu entschuldigen, daß der Verfasser unseres größten Heldenepos, der wohl einmal ein Anfänger war, aber nie ein Stümper, eine streng einheitliche und vortrefflich ausgewogene Vorlage mit Widersprüchen und Ungereimtheiten durch­ setzte? Selbst der Sagamann schneidet, was Klarheit und Folge­ richtigkeit der Komposition anlangt, bisweilen besser ab als unser Dichter. Bei jenem klappt das meiste, er hat alles, was nach Widerspruch und Unstimmigkeit aussehen könnte, zum mindesten geschickt überkleistert. Verschmäht der große Dichter die kleinen Künste? Nein, er wäre oft froh, wenn er sie sein Eigen nennen könnte. Aber sein Stoff is t leider so, daß er aus den Widersprüchen und Ungereimtheiten nicht ganz

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herausfinden kann. Jenes ein e große und geschlossene Gebilde, das Brünhildlied, das wir Heusler verdanken, konnte ihm diese Verlegenheit nicht bereiten; sie erklärt sich nur, wenn er m ehr als ein e Q u e lle vor sich hatte. Ein paar Beispiele: das Brünhildlied muß erzählt haben, daß Siegfried der Sohn des König Siegmund von Xanten war, eine ritterliche Erziehung genossen hatte und nach Worms aufgebrochen war, um sich auf dem üblichen W eg der fürstlichen Werbung Krimhild zu nähern. Es mußte klar ausgesprochen werden, daß Brünhild und Siegfried sich noch nicht gekannt haben und Brünhild keinerlei Anspruch auf Siegfried zu er­ heben hat. Das sind die vollkommen deutlichen Unterstellun­ gen, die den Gang des großen Epos in seinem ersten Teil be­ stimmen. Daneben aber schimmert die Vorstellung durch: Siegfried w ill mit Günther um sein Reich kämpfen. E r ist kein Königs­ sohn, nicht einmal ein Freigeborener. Und : er weiß nicht nur die W ege zu Brünhild, er wird am H o f in Island erkannt, mit Auszeichnung begrüßt und für den eigentlichen Freier angesehen. Man hat solche Züge am einfachsten zu erklären vermeint durch die Annahme von Nebenquellen. Gewiß, die Vorstel­ lung von dem hergelaufenen Siegfried, die in der Ths. so be­ sonders stark hervortritt, stammt aus der Jungsiegfrieddich­ tung. Aber diese enthielt ja keinen Auftritt, in dem der Held als stürmischer Eindringling die Wormser Königshalle betrat, enthielt keine Werbung um Brünhild, keinen Streit der Köni­ ginnen um Siegfrieds hohe oder niedere Herkunft. All diese Szenen gehören vielmehr in das Gefüge eines Liedes von Sieg­ frieds Tod, und wenn sie noch eine andere Form aufweisen, als die klaren* Voraussetzungen unseres Brünhildliedes sie ihnen auferlègen, dann muß eben ein anderes, ein zweites Lied von Siegfrieds Tod dagewesen sein, dessen Linien sich mit denen des ersten, der Hauptquelle, die den höfischen Siegfried kennt

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und die Bekanntschaft mit Brünhild leugnet, vermischt und verschlungen haben. Aus dem ein en Brünhildlied lassen sich die vielen W ider­ sprüche nie und nimmer erklären. Der Epiker wird z w e i Lieder gekannt und benutzt haben, ja, seine Arbeit erhielt erst dadurch ihre Fülle, ihren R eiz und ihre große Schwierigkeit, daß er beharrlich das eine mit dem andern zu verschlingen hatte. Die Nibelungenforschung hat sich in den letzten Jahren be­ harrlich auf die eine Annahme hinbewegt, die unsere herr­ schende entstehungsgeschichtliche Theorie notwendig U m ­ stürzen mußte: auf die Vermutung des Daseins von P a r a l l e l ­ lie d e rn . Aus verschiedenen Anhaltspunkten und Kennzeichen ringt sich diese Erkenntnis empor bei Mohr und de B o o r; bei Kralik ist sie der eigentliche leitende Gesichtspunkt, der mit mächtiger Energie und unvergleichlichem Spürsinn, aber leider mit zuviel Zutrauen auf unser Wiederaufbauvermögen durchgeführt wird. Der Verfasser dieser Zeilen hat schon seit Jahren in Übungen diese Möglichkeit zu verfolgen gesucht. Die Notwendigkeit, seine Germanische Heldensage allmählich neu zu gestalten, läßt ihn diesen Problemen jetzt wiederum nahetreten. Es ist in der Tat mehr als wahrscheinlich, daß das Mutter­ land der mittelalterlichen Heldendichtung, Deutschland, das seit dem mittleren 12 . Jahrhundert eine neue Blüte auch des H eldenliedes sah, ein und denselben Gegenstand mehrere Male dichterisch zu gestalten suchte. Aber schon frühere Zei­ ten hatten das getan, und es war einseitig, wenn man immer nur das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis der Lieder glei­ chen Gegenstands unterstrich und an der Tatsache vorbeisah, daß ein Lied, wenn es auch n ach einem anderen und vielleicht mit Benutzung dieses anderen entstanden war, so doch n eben ihm sein Dasein führen mußte und konnte.

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Parallellieder sind z. B . die beiden Fassungen der Fabel vom Burgundenüntergang. Man unterscheidet zu einseitig: hier nordische Gestalt, Bruderrachc am Gatten — dort kontinen­ tale Gestalt, Gattenrache an den Brüdern, Dänemark kannte die südländische Fassung, und im deutschen Soest sah man A t­ tila im gehässigen Licht der Burgundenfabel — Beweis genug, daß beide Liedgesialten nebeneinander lebten. W ie ja auch die Warnung Eckewarts an die Brüder in der Geschichte der Bruder fe in d in sich bis ins N L hat halten können, weil sie in dem Parallellied von der Bruder räc h er in ihre Stelle hatte. An der Tatsache, daß sich das Lied von der Bruderfeindin erst aus dem von der Brüderrächerin entwickelt hat, ändert sich damit nichts; und so wird uns später auch noch die Frage beschäftigen müssen, welches von den zwei Brünhildliedem, die wir annehmen, wohl das entstehungsgeschichtlich ältere und somit die Quelle des anderen gewesen sein m ag; diese Betrachtung hat nur aufgehört, die allein wichtige zu sein. Wesentlich ist für das Verständnis der neuen Dichtung von den Nibelungen, daß sie ihr Dasein neben und vielleicht im Konkurrenzkampf mit den anderen, älteren Fassungen zu führen hatte. Da gab es manches Gemisch, und oft mag sich alt und jung wunderlich verschlungen haben. Was im Süden nur mit Wahrscheinlichkeit vermutet wer­ den darf, zeigt der Norden als lebendige Wirklichkeit. Und nicht nur in Entstehung und Anlage sind die nordischen und die erschließbaren südlichen Liedgebilde einander verwandt, sie sind es auch in ihrer Behandlung'und Weiterbildung des Stoffes. Die Punkte, in denen die Berichte des Südens Un­ sicherheit und Verschiedenheit zeigen, sind auch den N ord­ leuten Probleme, die von den verschiedenen Dichtem verschie­ den gelöst werden: Siegfrieds Herkunft, Siegfrieds Verhältnis zu Brünhild. Auch das zeigt der Norden an mehreren lehr­ reichen Beispielen, wie Parallellieder zu einem großen Ganzen n

verwebt werden, und der Scharfsinn der Forschung hat schon öfter versucht, den ta einer notdürftigen Einheit gefügten Be­ richt der Völsungasaga von Siegfrieds Tod in seine drei Lied­ anteile zu zerlegen. Die Schwierigkeiten, vor die uns die deut­ schen Lieder stellen, sind naturgemäß größer, die Aufgaben da­ mit reizvoller. Es ist kein nüchterner Sagamann, der hinter dem vereinheitlichten Romanbericht steht, sondern ein Dichter. Sein hoher Künstlerrang nlildert seine logischen und komposi­ torischen Nöte nicht; im Gegenteil, er mag sie peinhafter emp­ finden und ihnen wehrloser ausgesetzt sein als mancher findige Literat. Aber das schöpferische Vermögen wird auf seiner Seite mit einzurechnen sein. Er war wahrlich mehr als ein geschickter Kompilatör. D ie beiden Lieder von Siegfrieds Tod, deren Umrisse wieder gewonnen werden sollen, mögen einstweilen, bis ein zutref­ fenderer Name ihren Inhalt erhellt, A und B heißen. A wäre nur aus dem N L zu gewinnen, für B vermuten wir die Hand­ lungslinien der Ths. Das Maß von Ausführlichkeit und Genauigkeit, das Heuslers Wiederaufbau des Brünhildliedes erreicht, werden und können wir hier nicht anstreben. Das Rechenexempel, das er zu lösen hatte, gehörte dem verhältnismäßig leichten Typus an : a + b = x ; Gleichung mit einer Unbekannten. W ir stehen vor einer schwierigeren Aufgabe, die den Mathematiker verzwei­ feln ließe: x + y = a . Nun ist freilich y keine völlig Unbe­ kannte. Das Lied B ist uns weithin durch die Ths. ersetzt, und w ir haben den Vorteil, uns auf diese viel fester stützen zu dür­ fen, als es Heusler möglich war. E r hatte alles Interesse, die Verläßlichkeit des Sagamanns in Zweifel zu ziehen; was die Saga berichtet, steht stellenweise so weit ab von der Darstel­ lung des Liedes, daß die Treue jenes Zeugen in zweifelhaftem Licht erscheint; d ie s e r ist ohne Zweifel der stilvollere und treuere. Die Ths. mußte daher zu einer Quelle zweiten R an­

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ges werden — willkommen, wenn sie mit dem N L überein­ stimmte, verdächtig, wenn sie es nicht tat. Auch w ir werden uns der Ths. nicht blindlings anvertrauen; aber da keine Kon­ kurrentin ihre Treue verdächtigt, darf man i. a. ihren Bericht als bare Münze nehmen. Nicht in jeder Einzelheit; die Fehler­ quellen des Sagaberichts sind bekannt genug. Der Verfasser ist auf Knappheit bedacht, auf Vereinfachung namentlich in allem Seelischen, auf Verkürzung der Reden, Entfernung des Unwahrscheinlichen und Wunderbaren. Streichungen werden wir ihm viel eher Zutrauen als Abänderungen oder gar selb­ ständige Zusätze. Gerade im Rahmen ner Siegfriederzählung ist freilich unverkennbar, daß er sich der Edda oder einem ihrer Ableger annähert und manches danach umbiegt. Aber schwer w iegt das alles nicht, und was Heusler beargwöhnen und weginterpretieren mußte, d a s gerade w ird uns erwünscht sein. Insofern ist unsere Stellung günstig. Viel schwieriger wird sie gegenüber dem Lied A dort sein, w o sich das N L kenntlich an B gehalten hat. In solchen Fällen wird der W ie­ deraufbau öfter lückenhaft bleiben. Doch ist die Möglich­ keit, daß A und B bis in Einzelheiten dasselbe erzählen, nicht von der Hand zu weisen; denn sie stehen ja wirklich in dem Verhältnis zu einem älteren Brünhildlied, das Heusler fälschlich für Ths. und N L angenommen hat: a + b = x . W ir lassen nun in knapper Überschau die einzelnen Auftritte und Handlungsgruppen des Epos an uns vorüberziehen und setzen jeweils dort an, wo die Spuren zweisträngiger Darstel­ lung deutlich werden. Die Aufgabe ist : zu zeigen, daß in der Tat eine Doppelheit der Quellen bestanden hat, und jedem der beiden Lieder, die der Epiker gekannt haben muß, das Seine .zuzuteilen. Die Untersuchung setzt deshalb nicht gleich zu Anfang des Liedes ein, sondern dort, w o die ersten deutlichen Unstimmig­ keiten hervortreten.

S ie g f r ie d in W o rm s Von dieser Beobachtung ging unsere Vermutung, im Bericht des N L seien zwei Parallelversionen verschmolzen, zuerst aus : Der Held, der an Günthers H o f kommt, ist dem Leser schon bekannt als Sohn König Siegmunds von den Niederlanden, und wir wissen auch den Grund seines Kommens: er will um die Burgundenprinzessin Krimhild freien. Aber der Siegfried, den w ir hier auftreten sehen, beträgt sich anders, als zu erwarten; er fordert Günther auf, mit ihm um sein Land zu kämpfen. Er bringt das vor in der Art eines dreisten Eindringlings: Ich hin ouch ein recke und solde kröne tragen. Ich m l daz gerne füegen daz si von mir sagen, Daz ich habe von rehte liute unde lant: Darumbe solmtn ère und ouch min houbet wesen pfant ( 109). Das heißt, seinem ursprünglichen Sinne nach: Ich bin ein recke9 d. h. ein länderloser Held, ich sollte aber eigentlich eine Krone tragen. Ich will es dahin bringen, daß die Leute sagen, ich habe mir das Recht auf Land und Leute erworben. Aus diesem Geist rücksichtslosen Reckentums heraus erhebt er die Forderung,: Ich wil an iu ertwingen swaz ir muget hdn: Lant unde bürge, daz soi mir werden undertan (110 ). Der Dichter des N L konnte diese Strophen nur unangetastet lassen auf Grund einer Umdeutung, die er stillschweigend vor­ nahm. S ein Siegfried meint: Ich bin ein Held (abgestumpfte Bedeutung des Wortes recke, die auch sonst im N L begegnet) und bin Kronprinz eines Landes. Die Leute sollen von mir sagen, daß ich mit Recht einmal Land und Leute (mein Erb­ land) zu regieren haben werde. Um diesen Anspruch auf das Königsamt kundzutun, will ich mit Euch kämpfen. — Zur N ot also hat das, was dasteht, einen gewissen Sinn. Aber w ir wissen aus einer anderen Quelle, der Ths., daß in der Tat Siegfried als länderloser R ecke in Worms auftrat und dort bald zu hohem Ansehen gelangte — zu s o hohem, daß H

den Burgunden um ihre eigene Macht bange werden konnte. Die Szene ist zwar von dem Sagamann übergangen worden, hat aber einen späten Nachklang gefunden in der Reizrede Brünhild an Günther: „Jung Sigurd kam zu Euch wie ein Landstreicher (sem einn vallari). Jetzt ist er so stolz, und mäch­ tig, daß es nicht lange dauern wird, bis ihr alle ihm dient.“ — D a s ist der Siegfried, der in Str. 10 9 / 11 des N L zu uns spricht. Er stammt aus dem Lied, das der Ths. vorlag und das unmöglich die einzige V orlage unseres Epos gewesen sein kann. — Das M otiv des Streites um Günthers Land klingt in der Ths. noch deutlicher an dort, w o erzählt wird, Siegfried habe als Krimhilds Gemahl die Hälfte des Reichs bekommen. Der kühne Eindringling mag also dem König Schwester und Reich abgetrotzt haben. So berichtete die B-Quelle. Der Dichter hat mehrmals (z. B . Str. 11 3 ) auf geschickte Art die beiden Auffassungen der Gestalt auf gleich zu bringen ver­ sucht. Wirklich gelingen konnte es ihm nicht, und w ir wun­ dem uns noch heute mit seinem Günther über so viel unan­ gebrachtes Draufgängertum. Die andere Liedquelle, A, hat davon nichts gewußt und ließ, wahrscheinlich in aller Kürze, alsbald Siegfried auf sein Ziel lossteuem, die Erwerbung Krimhilds. Diesen noch in der Feme liegenden Zw eck drängt der epische Verfasser des N L weislich zurück, und so scheint nicht viel Charakteristisches für die Einleitungsszenen von A übrigzubleiben. Aber etwas läßt sich doch schon jetzt von ihm aussagen. Daß Siegmund der Vater Siegfrieds ist, das w ar offenbar nicht nur nebenbei erwähnt worden, etwa in Hägens Munde (wo es allerdings jetzt bei der ganz vagen Angabe bleibt: er ist von edelem künne, eines riehen küneges sun 10 3), sondern diese wichtige, für die deutsche Lieddichtung keineswegs selbstverständliche Abstam­ mung gab Anlaß zu einer eigenen kleinen Einleitungsszene. Siegmund trat vermutlich selbst auf, und mit ihm auch Sieg-

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linde. Das Wesentliche w ar: der Abschied mit der dunkeln V or­ hersage künftigen Leides. Die Strophen 69 und 70 des Liedes lassen darauf schließen. W ie unwahrscheinlich, daß der Epiker die Erfindung von ein paar Strophen an die trübe Stimmung dieses Scheidens gewendet hat, wenn das M otiv völlig blind bleiben und Siegfried kurz darauf mit seiner jungen Braut strahlend in Xanten einziehen sollte! Die Trauer der Recken, das Weinen der Frauen hatten im Lied einem wirklich nahe bevorstehenden Unheil gegolten, Siegfrieds Tod. — Seinen beiden Liedquellen entnimmt der Epiker also stimmungsvolle Auftakte: den elegischen hier, den heroischen dort. Geschickt wie stets hat er aber auch diesen Widerspruch in Str. 70 über­ brückt. - Seine Kunst hat in den nächsten Auftritten die schmalen Spuren der Liedvorlagen verwischt. W ie sich Siegfried ehe­ mals der Krimhild näherte (in A eher als in B ), ob und wie er sich bei den neuen Freunden in den Sattel setzte, vielleicht durch den Sieg über die Sachsen, das wissen w ir nicht. Ver­ schiedenwertige späte Quellen des Nordens wissen von ge­ meinsamen Kampfuntemehmungen mit den Burgunden, so­ gar von einem Sachsenkrieg, und das T o r von Süden nach Norden stand ja zu jeder Zeit dem nibelungischen Stoffkreis weit offen. A u f b r u c h zu B r ü n h ild In der Saga macht Siegfried beim Hochzeitsmahl seinen Schwager Gunnar (Günther) auf die ebenso schöne wie mächtrgé und weise Brünhild aufmerksam. Im N L haben w ir den bekannten prächtigen Einsatz der Brünhildhandlung, der un­ mittelbar auf Günthers eigene Initiative zurückgeführt w ird: E z was ein küneginne gesezzen über sê: Ir geliche enheine man wesse ninder me. Diu was unmazen schoene9 vil michel was ir kraft. S i schôz mit snellen degenen umbe minne den schaft.

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Den stein warf si verre, darnach si wîten spranc. Swer ir minne gerte, der muose âne wanc Drin spil an gewinnen der frouwen wol geborn; Gebrast im an dem einen, er hete daz houbet sin verlorn. Do sprach der vogt von R in e: ich wil nider an den sê Hin ze Brünhilde, swie ez mir erge. Ich wil durch ir minne wagen minen Up: Den w il ich Verliesen sin werde min w îp (326£, 329).

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Daß da eine alte Liedquelle zu uns spricht, sagt jedem das Gefühl. Es fragt sich welche. Darauf ist zunächst ganz all­ gemein zu erwidern: eine Quelle, die mit diesen Worten Brünhild ganz neu einführte ; sonst wäre dies emphatische An­ heben widersinnig gewesen. Und das muß A gewesen sein; denn für B , wie die Ths. erweist und gleich noch näher fest­ zulegen sein wird, war Brünhild bereits eine bekannte Ge­ stalt; sie war es für Siegfried, und somit auch für den Hörer. W ir rühren damit an die zweite große Unstimmigkeit im Siegfriedteil des N L. Der Held, so sagten wir, ist mit Brün­ hild bekannt — und ist es nicht. Die eigentliche Unterstellung unseres Epikers ist: die beiden haben sich nie gesehen; jeden­ falls ist im Ablauf der Erzählung einer solchen Begegnung nie gedacht. Dagegen also die gewichtigen Andeutungen, die auf das Gegenteil schließen lassen! Siegfried sagt, als es auf die Reise geht (378): ich kan iuch ü f der fluot Hinnen wol gefüeren, daz wizzet, helede guot. Die rehtén wazzerstrâzen sint mir wol bekant. Dazu stimmt vortrefflich seine Äußerung in der Ths. : „Ich kann dich dabei unterstützen, denn ich kenne alle W ege dort­ hin“ (zu Brünhild). Kein Zweifel also : in der B-Quelle war Siegfried selbst der 2

D ie deutschen Lieder von Siegfrieds Tod.

I?

Wegekundigc, und doch wohl offenbar deshalb, weil er selbst schon dort gewesen war. A u f einen solchen, mit den anderen Unterstellungen des Epos unvereinbaren Besuch Siegfrieds beiBrünhild spielen nun, wie bekannt, mehrere Stellen des N L an: 4 1 1 melden die Unter­ gebenen der Brünhild, daß gelte he Sifride einer drunder (unter den Ankömmlingen) sei. Auch Brünhilds Gruß an ihn klingt ganz vertraut: Sit willekomen her Sifrit her in ditze lanu Waz meinet iuwer reise? daz het ich gerne erkant (409). Hier also gibt ohne Zw eifel eine Quelle Laut, die auch aus der Ths. spricht. Für sie sind Brünhild und Siegfried Bekannte, für A sind sie es nicht. Nun aber erhebt sich sofort die Frage: wieweit spiegelt die Ths. die Liedquelle B g e tr e u wieder? Sie erwähnt ja hier nicht nur rückblickend Siegfrieds und Brünhilds Bekanntschaft, sie hat früher selbst den Besuch des Helden in Seegard ge­ schildert. Dieser Name übrigens verbürgt auch für B die Auf­ fassung: man mußte, um zu Brünhild zu gelangen, über sê fahren. Das vorausgesetzt, werden w ir auch die durch ihre schöne Altertümlichkeit auffallende Strophe 379 der B-Quelle zuweisen können: Siegfried selbst stößt ' das Schiff vom Lande ab. Primitive Verhältnisse an diesem Burgundenhof — sie sind also nicht nur nordisch! — Gleichfalls auf B zurück führen wir die Zahl der Mitreisenden. Es sind Siegfried, Gün­ ther, Hagen und ein Vierter. Für die Saga Dietrich von Bern, der sich überall eindrängt, für das N L der junge Dankwart, die Lieblingsfigur des Dichters. Ehemals, so möchte man ver­ muten, nahm der Königsbruder (wohl Gemot) an der Fahrt teil; die Saga kennt ihn an späterer Stelle und hat ihn wohl aus unserem Lied genommen, nicht aus der Untergangsfabel. Gegenüber diesem reichen Material zum Aufbau der B Quelle nimmt sich spärlich aus, was von A aus gesagt werden

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kann. Es ist zunächst das Negative: k e in e Bekanntschaft zwischen Brünhild und Siegfried. Auch hier zog man zu ge­ meinsamer Fahrt nach Brünhilds Land aus, wobei auf Hägens Anregung (NL 3 3 1) Siegfried als Helfer erbeten wurde. W ar­ um? Wegen der schwierigen Fahrt? Unsere Anschauung von der Quelle A ermöglicht die Antwort: nein, sondern deshalb, weil jene schweren Bedingungen, an deren Erfüllung Brün­ hilds Jawort hing, nur von Siegfried geleistet werden konnten. Und so nehmen wir für A in Anspruch die Forderung und Rückforderung Schlag auf Schlag (332f.): H ilf mir beim Er­ werb meiner Braut — Gib Du mir Deine Schwester zur Frau! Der Handel ist geschlossen. Spuren einer alten Verlobungs­ szene finden sich nicht; wogegen in B , nach dem Zeugnis der Saga, die Vermählung Siegfrieds und Krimhilds noch vor der Fahrt nach Seegard stattfand. Darin steht das N L von beiden Vorlagen ab, daß es Sieg­ frieds wohlbehütete Jugend betont und in seinem immittel­ baren Bericht von Großtaten des Helden noch nichts weiß. Auch für A ist nur ein Siegfried denkbar, der ein erprobter und hochberühmter Streiter war, nicht nur ein ebenbürtiger Werber der Königstochter. Da weder A noch B , wie es in ihrem Wesen als Lieddichtungen lag, die Jugendtaten in den Rahmen ihrer Berichte einbezogen hatte, gibt sie auch der Epiker in der Form des allmählichen Nachtrags. — In A ist Siegfrieds Glück gemacht in dem Augenblick, als er Gelegen­ heit hat, Günther einen wichtigen Dienst zu leisten. Denn das ist Hägens Gedanke: wenn einer, dann wird Siegfried im­ stande sein, mit Brünhild fertig zu werden. Er hat sich nicht nur allgemein Kampfesruhm erworben, sondern er muß auch in der Lage sein, sich unsichtbar zu machen. Er besaß die Tarnkappe, hatte also über Alberich gesiegt und nannte den Hort sein Eigen, zu dem auch dieses Wunderinstrument ge­ hörte. In A also geleitete ein übermächtiger Helfer den Bur2*

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gundenkönig bei seiner abenteuerlichen Freite um die Virago Brünhild. In B war es ein Wegekundiger und ein persönlicher Bekannter der Jungfrau, die Macht und Schönheit begehrens­ wert erscheinen ließen. In welchem Verhältnis stand er nun aber zu ihr? Die Ths. hatte früher in anderem Zusammenhang erzählt, daß und wie Siegfried sich bei Brünhild einführt. Nach seinem Sieg über den Drachen hat er sich gewaltsam zu ihrer Burg Bahn ge­ brochen; man hatte ihn zu ihr gewiesen, weil er sich dort ein Pferd holen soll. Dazu ist zu sagen, daß dieser Zug in Deutsch­ land nirgends seinesgleichen hat. Das Pferd Siegfrieds hat bei uns nie eine R olle gespielt; das Interesse für dieses mutige Tier bleibt dem Norden Vorbehalten und der Feuerprobe, die es dort zu bestehen hat. Daß Siegfried von Brünhild erwartet wird, weiß der Norden ebenfalls, das M otiv ist aber hier mit einem anderen verquickt, das im Gegensatz zu den bisher ge­ fundenen nach Deutschland verweist: dem jungen Helden muß seine Abstammung erst enthüllt werden. So berichtet auch das Lied vom hürnen Seifrid; an die Stelle des weisen Zwergs, der ihm dort seine Eltern nennt, setzt unser Bericht Brünhild, und es liegt kein zwingender Grund vor, zu glauben, daß dies erst im Norden geschehen sei, etwa durch den Verfasser der Ths. Die Darstellung in unserem Abschnitt berührt sich also stellenweise stark mit nordischen Vorstellungen, kann aber in ihrem Grundstock durchaus deutsch sein. Der junge Siegfried gelangte zu Brünhild und erfuhr von ihr den Namen von Vater und Mutter. Ihr zauberisches Vorwissen und das R oß wären Beigaben aus nordischen Quellen. Das Problem spitzt sich aber zu, wenn die Saga in der spä­ teren Erzählung von Siegfrieds Hochzeit diesen Bericht noch dahin ergänzt: bei ihrem ersten Zusammentreffen habe Sieg­ fried der Brünhild mit Eiden gelobt, keine andere als sie zur Frau zu nehmen. Das hält sie ihm jetzt v o r; er hat seinen Eid

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schlecht gehalten! Siegfried tröstet sie in oberflächlichem Fata­ lismus : es habe so kommen sollen — und begründet seine Un­ treue damit, daß sie ja nicht, wie Krimhild, einen Bruder habe, also die unvorteilhaftere Partie sei. (Ist das bewußte Ableh­ nung, aus der Kenntnis deutscher Quellen heraus, der nordi­ schen Fabelei von Brünhilds Bruder Atli?) Es ist bemerkens­ wert, wie nachdrucksvoll Brünhild innerhalb dieses Berichtes zweimal auf Siegfrieds ersten Besuch zurückkommt. Von ihm ist also aller Wahrscheinlichkeit nach in der deutschen Quelle, d. h. unserem Liede B , die Rede gewesen, und dieser Zug ist nicht als reine Entlehnung aus nordischem Vorstellungsgut zu werten. Es hat also eine deutsche Darstellung bestanden, die Siegfried und Brünhild schon vor dem Islandabenteuer zu­ sammenführte und vielleicht auch von einer starken inneren Annäherung der beiden berichtete. Was man immer als eine besonders kennzeichnende, wenn auch jung sentimentalisierende Erfindung des Nordens angesehen hat, wäre gleich, wenn auch nicht zugleich mit den Hauptzügen der Siegfried-, geschichte, aus dem Süden eingeführt! Sagen w ir aber lieber ganz allgemein: Das Streben, zwischen dem falschen Werber und der betrogenen Braut, Siegfried und Brünhild, die kein Paar werden können, dennoch Verbindungslinien zu ziehen, ist schon deutsch gewesen, die Bindungen sind nur nach der Annahme verschiedener Dichter verschieden stark. Das Nibe­ lungenlied selbst liefert für ihr Dasein den Beweis. B rü n h ild s E r w e r b u n g Ein Urlied von Siegfried und Brünhild hat, wie wohl noch das (hier defekte) alte Sigurdslied der Edda, die Dinge s o dargestellt: Brünhilds Erwerbung war an eine Freierprobe ge­ knüpft, es galt, einen Flammenwall zu durchschreiten. Gün­ ther war nicht imstande, sie zu leisten. Siegfried nahm Gün­ thers Gestalt an und vollführte das Wagnis. Darauf teilte er

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mit Brünhild das Lager, doch das bloße Schwert lag zwischen ihnen. Die Doppelheit: erstens Freierleistung, zweitens Beilager ist überall noch kenntlich. Aber die Quellen, die nach Deutsch­ land weisen, haben beides, Leistung und Beilager, miteinander verquickt; offenbar in mancherlei Anläufen und sichtlich mit verschiedenem Ergebnis. Der neue Einfall w ar: das Beilager stellt auch noch eine Freierprobe dar, auch hier bedarf es über­ legener Kräfte, die nur dey Eine aufbringt. Diese Vermischung der beidén Handlungsteile brachte mannigfache Verschiebun­ gen und Angleichungen mit sich. Gemeinsam ist der Entwick­ lung hier wie dort, daß die Einheit der Probe durch eine Drei­ heit ersetzt worden ist. Die eigentliche Freierleistung besteht nunmehr aus drei K ä m p fe n ; das Brautbett ist ebenfalls zu einer Stätte des Streites geworden, und auch es sieht drei Kämpfe, die allerdings nicht verschieden gestaltet werden konnten, wie dort. Die drei Leistungen des überlegenen Werbers mußten siegreich sein, die drei Anläufe des minder­ wertigen führten zu Niederlagen, und der eine Sieg des Er­ wählten bildete das Ende. Das lag in der Natur der Sache. Ebenso, möchte man meinen, war das notwendige Ende die völlige Zähmung der Widerspenstigen, d. h. der Raub des Magdtums. Dennoch aber wirkte die ursprüngliche Vorstel­ lung nach, die für das ganze Lied ja eigentlich lebensnotwen­ dig w ar: Siegfried hält seinem Schwurbruder Günther auch in der heikelsten Situation, auf einem Lager mit dessen Braut, die Treue. Die Gestaltung der parallel gesehenen zwei Kampfserien scheint sich auch sonst beeinflußt zu haben. Von jeher herrschte die Annahme, daß nur Zauberei die Täuschung möglich ge­ macht habe; das gilt nun auch für den Trug im Brautbett. Die Ths. allein scheint sich gegen ihn zu wehren, es ist aber offenkundig, daß sie darin neuert. Freilich weist ihr Bericht

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nicht folgerichtig auf ein e Vorstellung. Es ist auffällig von Gunnars und Sigurds Kleidertausch die Rede, der nach einer rationalistischen Umdeutung des alten Gestaltentauschs aus­ sieht. Noch verdächtiger ist aber die Stelle, wo Sigurd die Bettdecke , so dicht über die Ohren zieht, daß man ihn nicht mehr sehen kann, und gar erst jene, wo betont ist: das Haus sei so gut bewacht gewesen, daß außer dem Brautpaar unmög­ lich jemand hineinkonnte. Beides besagt offenbar: Siegfried mußte sich unsichtbar machen, um an Günthers Stelle zu tre­ ten; wie er es ja im N L tut. Damit wäre ausgesprochen, daß in einer früheren den un­ mittelbaren Vorlagen von N L und Ths. vorausliegenden Ge­ stalt des Brünhildlieds die Tamhaut bereits an Stelle des Ge­ staltenwechsels getreten w ar. Siegfried führt seine Helfer­ rolle dadurch zu Ende, daß er dem Schwager ungesehen zur Seite bleibt und für ihn eintritt. Das ist ein Wunder wie der Gestaltentausch, aber ein weniger anschauliches. Offenbar hat diesem Dichter die genaue Vergegenwärtigung der Szene, an der unser Epiker trotz aller Mühe scheitert, des eigentlichen Wettkampfs, noch keine Skrupel gemacht. Die Knappheit des Liedstils mag ihm zu Hilfe gekommen sein. Aus der Reihe des ersten Dreikampfs ging die Vorstellung des unsichtbaren Hel­ fers in die zweite, über, nur daß, wie gesagt, der Helfer hier nur einmal am Ende aufzutreten hatte und durch seine Über­ legenheit den günstigen Ausgang erzwang. , Wann, d. h. auf welcher dichterischen Entwicklungsstufe, ist wohl die Lagerszene so umgebildet worden? Das läßt sich genau erkennen: sie wurde in eine Kampfszene verwandelt, als auch die Werbungsleistung den ausgesprochenen Charakter des Kampfes angenommen hatte. Natürlich: die Brünhild, die als Schildmaid, als Berufskämpferin unterlegen war, vertei­ digte mit der letzten ihr gebliebenen Kraft ihr Magdtum. Eines besonderen Anlasses, einer Verstimmung bedurfte es

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nicht erst, sie ihrem Freier gegenüber halsstarrig zu machen. Während also ein ältestes Lied wohl von einer Freierprobe wußte, aber nichts von einer Schildmaid, nichts von Kämpfen, nichts von Widerstand auf dem Brautbett, führte ein späterer Dichter all diese Neuerungen durch: Brünhild ist Schildmaid, den meisten Männern an K raft und Kampfgeschick überlegen. Ein unsichtbarer Helfer führt die Taten aus, die zu ihrer Er­ werbung führen, sie widersetzt sich auch auf dem Brautbett und muß von neuem bewältigt werden — durch den nach mehreren Niederlagen herbeigeholten Unsichtbaren, der, sei­ ner alten R olle getreu, sich noch im letzten Augenblick durch Günther ersetzen läßt. Die konservative Haltung der Helden­ dichtung ist kaum je so auf die Spitze getrieben wie hier: das wußte man seit manchem Jahrhundert, daß Siegfried Brünhilds Lager geteilt hat, ohne sie zu berühren — und man be­ hielt den Zug noch bei, als er ans Absurde grenzte. — Jüngere Dichter ließen sich das denn auch nicht gefallen* Minde­ stens zweimal wurde das trennende Schwert von ihnen bei­ seite geschleudert. Zuerst in der Vorlage der Ths.! Mancher möchte wohl gern um diese Annahme herumkommen. Die Dinge scheinen in der jüngeren Quelle, eben der Ths., soviel ein­ facher und natürlicher zu verlaufen. Eine Brünhild, die ihr Magdtum noch besitzt, ist eben nicht ganz bezwungen, des-, halb mußte Siegfried auch dieses letzte leisten. Und spricht nicht der Gürtel, den er noch im N L der Widerspenstigen entreißt, eine deutliche Sprache, verrät er nicht, daß ehemals in der Tat Siegfried der erste Mann Brünhilds war? Ich habe, früher selbst angenommen, daß das Zeugnis des geraubten Gürtels unzweideutig sei. Aber er tritt erst im N L auf und entbehrt dort jedes Symbolwertes. E r dient ausdrücklich n ich t zum Zeugnis dafür, daß Siegfried ihn zuerst gelöst hat, um Brünhild zur Frau zu machen; Krimhild irrt in dieser Annahme. Der Erwägung, die Kralik hier anstellt, ist entschieden bei­

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zupflichten: war die gerade Linie, d. h. die Überlieferung von Siegfrieds Unschuld und Eidestreue, einmal verlassen, so war es kaum möglich, wieder in sie einzulenken. Der Dichter des N L hatte ein e Tradition vor sich, in der Siegfried notgedrun­ gen die Frau des Freundes in Besitz nahm. Dennoch hält sein Siegfried die Eide und stirbt unschuldig. Darauf wäre eigene Neuerfindung nie und nimmer gekommen. Der Nibelungen­ dichter hatte, als er Siegfrieds Reinheit unterstrich, Verbin­ dung mit einer alten Tradition. M it anderen W orten: das N L kannte ein Lied, das zwar nicht mehr das symbolische Schwert, aber die korrekte Haltung Siegfrieds aufwies, und ein anderes, in dem der Held den Gürtel löste und die Braut gewann. Eine stärkere Bekräftigung kann unsere Zweiquellen­ theorie nicht finden. — Der Gürtel würde in die Ths. sehr gut passen, im N L verwundert er; doch mag er dort weggefallen sein und hier (nach B) eine ungerechtfertigte Auferstehung ge­ funden haben. Das Urlied also, um zusammenzufassen, kannte Flammen­ probe, Gestaltentausch, keusches Beilager; ein späteres Ge­ dicht die Wettkämpfe, drei an Zahl, den erneuten K am pf auf dem Lager, ebenfalls dreifach, und in beiden Fällen die R et­ tung durch den Helfer. (Ganz unmöglich wäre die Beibehal­ tung des Gestaltenaustauschs auch auf dieser Stufe nicht!) E in e Vorlage des N L faßt die Dinge im ganzen auf wie das ältere Lied, mit dem Unterschied: die Einheit der Beilager­ szene ist wiederhergestellt. Das gebot der Takt gegenüber Günther. Nun aber die andere! Die große Überraschung innerhalb unseres Stoffbereichs bringt ja die Ths. Sie bringt keine Kampfproben und keine Schildmaid, sie begnügt sich mit dem Ausbau der alten Lager­ szene. Es wäre zu erwägen, ob sie nicht erst die Dreizahl der nächtlichen Zusammenstöße her gestellt hat. Wahrscheinlich ist das nicht; ich glaube auch nicht, daß die Ths. erst die Strei­

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chung der Freierproben vomahm. Ein Lieddichter schon, B , hatte die z w e im a l drei Kämpfe als imnötigen Pleonasmus an­ gesehen. Lockend wäre wieder die Vermutung: dem N L lagen zwei Parallelberichte vor, und im einen besiegte Günther-Siegfried die spröde Jungfrau in drei Wettkämpfen, im anderen nach drei Kampfhächten. Beides zusammen lesen w ir im Epos, das Zeit hatte, sich breit auszulassen. — Ich glaube, man träfe auch damit nicht das Rechte. Die Freierleistungen waren doch wohl in der Vorlage B erst g e s tr ic h e n . W ir werden diese Quelle der Ths. alsbald in enger Berührung mit dem kurzen Sigurdslied der Edda finden, und auch dieses w ill von der tra­ ditionellen Freierleistung (hier müßte es der Flammenritt sein) nichts mehr wissen. Dagegen kennt es die Schildmäid Brünhild, und sie hat eigens die Erklärung abzugeben, sie verzichte darauf, sich der Vermählung mit Günther im Waffenkampf zu widersetzen. Gleichwohl verweigert sie sich ihm, und aus demselben M otiv wie in der Ths.: aus enttäuschter Liebe zu Siegfried ! Die klug vermittelnde, aber nicht alle Unstimmigkeiten über­ brückende Darstellung des N L sieht die Dinge in diesem Licht: das Gesinde an Brünhilds H o f kennt den Helden; Brünhild meint, nur e r könne der Werber sein, und rüstet sich aus­ gesprochen zum W ettkam pf mit ihm (416). Das deutet nicht auf Vorverlobung, aber auf genaue Kenntnis und wahrhaftig nicht auf innere Gleichgültigkeit: auch Siegfried und gerade ihm gegenüber bäumt sich ihr ge­ fährdetes Magdtum auf. Wenn es einer sein soll, dann natür­ lich der W ürdigste; aber auch er wird ihre ganze unbezwungene Kraft zu fühlen bekommen. Von den Gefühlen der unterlegenen Brünhild erfahren w ir später nichts; nur daß sie ,vor Zorn rot w ird4 (465). Aber der verhängnisvolle Selbst­ verrat erfolgt später, als sie Siegfried mit einer anderen vfer-

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eint beim Hochzeitsmahle sitzen sieht. Der Dichter steht, wip öfter, so ganz im Banne einer alten Prägung, daß er ihr genau folgt (618): Der künec was gesezzen und Prünhilt diu meit. Do such si Kriemhilde (do wart ir nie s6 leit) Bt Stfride sitzen: weinen si began. Ir vielen heize trähene über liehtiu wangen dan. — und, ebenfalls wie öfter, hat er hinterher große Mühe, zu zeigen, wie sich die überkommene Strophe in seine neuen V or­ aussetzungen fügt. Aber kein vernünftiger Leser des N L hat wohl noch bezweifelt, daß seine erkünstelte Motivierung falsch ist, und daß es sich um Zoniestränen der Verschmähten, Liebesenttäuschten handelt. Allzugroß ist die Ähnlichkeit mit dem Bericht der Ths. Hier und dort versagt sich die Braut dem unterschobenen Werber im gleichen Zusammenhang und aus demselben psychologischen Grund: Zorn und Weh, weil Siegfried sie verschmäht hat, Siegfried, der doch eben der Rechte und Eigentliche war. In die klare Linie der A-Handlung aber scheint dieser Zug nicht hineinziipassen, und wieder haben wir, wie bei Sieg­ frieds erstem Auftritt in Worms, den Eindruck, daß der Dichter in der Hauptsache dieser Quelle folgt, und jene, die B-Handlung, nur dort durchschimmem läßt, w o ihn die W irk­ samkeit und der psychologische R eiz der B-Szene nicht los­ lassen wollen. In A glaubten wir wie im N L die Doppelheit der Kämpfe zu Hause; auch das Lager wurde zum Kriegsschauplatz. Der bedeutende Unterschied zur B-Fassung aber war der : dort vollzog sich die Bändigung dadurch, daß Siegfried in der Tat Brünhildes Magdtum nahm; mit zwei älteren Vorstufen (A und der gemeinsamen Vorlage A B ) beharrt das N L darauf, daß er die Braut nicht angetastet habe. — Herrscht nun wirk­ lich in B nur „spielmännische“ Verrohung und Vergröberung? Ich glaube nicht. Auch was da geschieht, hat seinen guten

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Silin. Der Siegfried von B w ar ein anderer als der von A. Er hat Brünhild vorher gekannt und vermutlich ist sie ihm nicht gleichgültig geblieben, so wie sie ihn begehrte. Es lag in der ganzen, vorhin gekennzeichneten Tendenz der Annähe­ rung zwischen diesen beiden Menschen, daß Siegfried sich end­ lich Brünhild zu eigen machte, womit er keineswegs nur eine lästige Verpflichtung erfüllt, sondern seinen und im Grund auch ihren Willen. Die völlige Unberührtheit Siegfrieds durch Brünhild, die pflichtgetreue Leistung alles dessen, was er Günther gelobt hat, ist dagegen für A kennzeichnend. D i e s e r Siegfried benutzt die ganze Brünhild offenbar nur als Mittel, um zu seinem eigentlichen Zw eck zu gelangen, und dieser heißt: Krimhild. Es scheint nicht das erstemal gewesen zu sein, daß ein so geartetes deutsches Lied in den Norden drang; die Haupt­ züge der Vorlage der Ths. (unseres B ) finden sich auch, wie schon angedeutet, in einem Eddalied, das man dem 12. Jahr­ hundert zuzurechnen pflegt. Diese ,Skamma‘ (das kürzere Si­ gurdslied) hatte wohl schon einen älteren isländischen V or­ fahren, für den jene Altersbezeichnung eher zutreffen mag. Was in ihr gegenüber der älteren Brünhilddichtung neu ist, hielt man bisher für nordische Erfindung. Ths. und N L be­ lehren uns aber, daß das Wesentliche aus dem Süden gekom­ men war. Es handelt sich vor allem um das Verhältnis Siegfried-Brünhild. Der eddische Dichter ist freilich ein Meister darin, Unausgesprochenes mitschwingen zu lassen. Folgendes sind die übereinstimmenden Züge: Siegfried der Wegekundige reitet mit den Gjukungen (Burgunden) aus, die um Brünhild freien wollen. Die Situation des Gelages schim­ mert am Anfang deutlich durch (Str. 2); es ist, wie in der Ths., die Hochzeitsfeier Sigurds und Gudruns (== Krimhilds). Von Sigurd aber heißt es: „ihm gehörte die Holde (Brünhild), wenn er sie haben wollte“ (3), d. h. wenn er sie hätte haben,

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wollen und das Geschick sie ihm gönnte. Also die gleiche Verschleierung wie in N L und Ths. Das Wesentliche ist aber hier wie dort Brünhilds innere Einstellung, die nicht wie Siegfrieds Gefühle unbestimmbar bleibt. Die trauernde, die weinende Brünhild — das war ein Bild, das sich den Heldendichtem früh eingeprägt hatte. Es stammt aus dem Hauptteil der Fabel, aus dem Kampfgespräch zwischen Brünhild und Krimhild, bei dem jene immer die Unterlegene war. N L und Skamma nun teilen den überraschenden Zug, daß dieses Weinen, dieser ohnmächtige Zorn über die Offen­ barung eines Betrugs dieser Hauptszene bereits v o ra u s g eh t. Gleich der Brünhild des N L weint die des eddischen Lieds aus Zorn, daß Siegfried und Krimhild ein Paar geworden sind. Nicht wie in der höfischeren W elt des N L das Brautpaar Siegfried-Krimhild bei Tisch, sondern das Ehepaar im Bett er­ weckt ihren haßerfüllten Neid (Str. 9). Und hier wie dort (in der Skamma allerdings schon nach vollzogener Ehe) ver­ sagt sie sich ihrem Gatten Gunnar und droht aus Gram und Liebesenttäuschung, ihn ganz zu verlassen (10). Die allmählich entschleierte Vorgeschichte zeigt zweierlei: einmal die see­ lische Verfassung Brünhilds, als die Werbung an sie herantrat. Ihre stolze Jungfräulichkeit widerstrebt an sich dem Manne, und sie überlegt, ob nicht sie, die Schildmaid, für ihr M agd­ tum kämpfen soll. Aber ihr Sinn wendet sich, als sie Sigurd gesehen hat. Ihm, dem Drachenbezwinger und Besitzer des Hortes, gelobt sie sich heimlich an, ihm oder keinem! Aber man betrügt sie, und Gunnar^wird ihr Gatte. Äußerst seltsam, daß hier (in der Skamma) wie in der Ths. von diesem Betrug nicht weiter die Rede ist! Der Gestaltentausch der älteren Überheferung fehlt, und ausdrücklich wird, trotz der S c h ild ­ m aid Brünhild, abgelehnt, daß sie sich mit ihren überlegenen Kräften gegen den Freier verteidigt habe. Sie hatte sich Sieg­ fried angelobt. Woran sie scheiterte — ob an Siegfrieds

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Nichtwollen oder an seinem bewußten Betrug, bleibt unaus­ gesprochen. Es ist alles recht ähnlich wie in der Ths. und unserer Vorlage B , nur daß — und darin tritt die Skamma wieder auf die Seite des N L — von einer vorherigen Bekannt­ schaft Siegfrieds und Brünhilds nicht die Rede ist, geschweige von einem Bündnis oder der Vorverlobung. Es mag also sein, daß die Ths. in der gröblichen Vereinfachung der Verhält­ nisse noch einen Schritt weiter ging, als die Quelle tat. Sieg­ fried, der leichtfertige Wortbrüchige — dieser V orw urf ist früher und später nicht an das leuchtende Bild des Helden ge­ heftet worden; sonst hätten nachfolgende Geschlechter, die das Ganze neu und zu Ende durchdachten, die umständliche Erfindung des Vergessenheitstranks nicht nötig gehabt. Sieg­ fried, Brünhilds Liebhaber Und Bräutigam — dieser letzte Schritt wurde auf unserer Liedstufe B offenbar nicht getan. F r a u e n s tr e it, A u fr e iz u n g ,' M o r d r a t In diesem Abschnitt zeigt ein Vergleich zwischen Ths. und N L starke Ähnlichkeit der Grundanlage bei völliger Ver­ schiedenheit der äußeren Darstellung. D a s Brünhildlied als gemeinsame Vorlage scheint mir hier undenkbarer als je. Wenn Ths. wieder wie sonst die B-Quelle vergegenwär­ tigt, so ist festzustellen, daß A diesmal die genauere Fühlung mit dem nordischen Traditionszweig bewahrt. In beiden be­ ansprucht Brünhild vor der Schwägerin den Vorzug, den h ö h eren Rang, den b e ssere n Platz. Primitiv: das saubere Wasser zur Haarwäsche — höfisch: den Vorantritt in die Kirche. In der Saga dagegen handelt es sich um die anders geartete Frage: wer berechtigt ist, den königlichen Stuhl ein­ zunehmen. Krimhilds Eindringen dort wird aufgefaßt als Sinnbild der immer zunehmenden Vorherrschaft Siegfrieds am burgundischen H o f — ein Motiv, das für B besonders cha­ rakteristisch ist und uns alsbald wieder entgegentreten wird. 30

Es muß fraglich bleiben, ob die äußere Situation des N L — Schau auf die Wettspiele, Z ug zur Kirche — schon in einem Lied vorgebildet war. Dagegen ist anzunehmen, daß die schöne Einleitung des Zanks — bildhafte Gegenüberstellung der beiden Männer, Siegfrieds und Günthers, die bekanntlich auch in der Edda widerklingt — schon die Liedform zierte; wir möchten, meinen, A. Freilich, stand sie in B , so hätte sie der Sagamann sicher vor enthalten; seinem hier besonders gröb­ lichen Stil war sie gar nicht gemäß. Die Senna (Streitszene) des Epos selbst weist einige klare Zusammenklänge mit der Ths. auf; anderes, das im N L zen­ tral ist, bleibt dort ohne Entsprechung. Der Aufbau der Szene weicht erheblich von der Gliederung der Saga ab, und nicht nur deshalb, weil der Epiker den Auftritt kunstvoll in drei Teilen zum Höhepunkt empor gesteigert hat. Sehen w ir die Szene des N L als Einheit, dann ergibt sich folgende Gliede­ rung: 1. a) Brünhilds Schmähung gegen Krimhild: Siegfried ist man (Leibeigener), i. b) Verschärfung: Krimhild ist eigendiu (leibeigne Magd). 2. Krimhilds Gegenschlag: dann ist Brünhild mannes kebese> denn Siegfried war es, der ihr den magettuom an gewan (840). 3. Der Beweis: a) Krimhild, zeigt den R in g vor: ich erziug ez mit dem golde, deich an der hende hdn, daz brahte mir min vriedel, do er erste bi iu lac. b) Verstärkung des Beweises durch den Gürtel. 4. Eidszene: Brünhild klagt Günther die Verleumdung: ,Krimhild sagt ich si Sifrides tvip‘ (851). In der HohenemsMünchner Handschrift spricht sie gar die Drohung gegen ihren Mann aus : du neberedest kunec, michy der vil grSzen schän­ den, ich m inne nim er dich (797). Darauf wird Siegfried zum Reinigungseid beschieden. In der ,gewöhnlich allein be­ achteten St.-Galler Handschrift des N L wiederholt Günther

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hier den Wortlaut von Krimhilds Anklage aus Str. 840: du habes dich gerüemet, daz du ir schoenen Up alêst habest geminnet. In der Hohenems-Münchner Handschrift aber heißt es: du habest dich gerüemet, du w aerest ir erster man. (800). Der Auftritt endet mit kräftigen Worten Siegfrieds gegen weib­ liche Schwatzhaftigkeit. Was ist an dieser Szenenfolge A, was B? Nur die zweite Frage läßt sich mit einiger Sicherheit beantworten, wie immer mit Hilfe der Ths. Eines steht aber vorab fest: der Reinigungs­ eid kann nur A sein. Denn in B liegen die Verhältnisse ja ganz anders. In diesem Lied war Krimhild keine Verleumde­ rin, sondern sie hatte die Wahrheit erfahren; dieser Siegfried hatte vielleicht geplaudert. Nach dem Zeugnis der Saga nun hatte B die Szene so auf­ gebaut: Zuerst streiten, wie schon erwähnt, die beiden Köni­ ginnen um ihr Anrecht auf den königlichen Hochsitz. Der Ge­ danke, daß Krimhild sich den burgundisehen Herrscherinnen, ihren Ahnmüttem, mindestens ebenbürtig fühle, ist auch zum Nibelungendichter gelangt, und er hat ihn, sicher aus B , neben­ bei verwertet. 829 sagt Krimhild: ich wil selber wesen tiuwerr dann ieman habe bekant deheine küniginne, diu kröne hier getruoc. — Weiterhin ist aber die Szene öffenbar ganz aufgebaut auf den B egriff des frumver, des ersten Manns, der, wie erinner­ lich, im Epos nur eben noch von der Feme nachhallt. Die Frage Krimhilds an Brünhild lautete bmtal: „W er nahm dein Magdtum, wer war dein erster Mann?“ Darauf folgte ein emphatischer Lobgesang Brünhilds auf Günther, der mit den Worten schloß: „ . . . daß Günther mein erster Mann ist.“ Dar auf Krimhild: „D er Mann, der zuerst dein Magdtum nahm, heißt Jung Sigurd.“ Dazu N L 840: den dtnen schoenen Up minnet êrste Sifrit; jane was ez niht min bruoder, der dir den magettuom an gewan (840). Während Brünhild in B (Ths.) noch einmal entrüstet widerspricht, bricht sie im N L hier schon 32

in Tränen aus und ruft nach ihrem Gemahl. Dann kommt in Ths. der Beweis, und zu der vorhin angeführten NL-Stelle paßt vorzüglich, was Krimhild in B zu sagen hatte: „Zum Beweis zeig ich diesen goldenen Fingerring, den er dir abzog, als er dein Magdtum genommen hat.“ Man sieht, die Dar­ stellung des N L ist von B-Bestandteilen durchzogen. Aber mit B ’s wenig glücklichen Aufbau und wenig geschliffenen Dialog hat N L nichts gemein. W ie stand es nun mit A, was, möchte man fragen, bleibt für A übrig? V or allem die Hauptschmähung: man. Auch in der Ths. schilt Brünliild die dunkle Geburt des Helden, aber in deutlicher Anknüpfung an die früher von ihr (aus anderer Quelle) mitgeteilte Kindheitsfabel (die säugende Hindin) — ohne aber daraus die (sozusagen rechtshistorische) Folgerung zu ziehen: also ist Siegfried ein Unfreier, ein man. Dieser B egriff tritt für uns erst im N L in den Mittelpunkt der De­ batte. Unmöglich kann er, wie der Quelle B , so auch der anderen, A, gefehlt haben. Aber wie mag er dort begründet gewesen sein? Siegfried war diesem Gedicht nach der Sohn König Siegmunds. Mochte er hundertmal ein Reckenleben geführt haben, an seiner edeln Geburt änderte das nichts. Das N L selbst, das diese Mißlichkeit auch lebhaft genug empfindet, hat schon vor langem weislich vorgebaut und bereits in der Islandszene Günther und Siegfried ein Gaukelspiel abkarten lassen: Siegfried gibt sich als Günthers man aus. Man hat darin vielleicht zu eilfertig eine junge Erfindung des Epos gesehen. Die Formel thraell (Knecht) konungs Hjalpreks hat auch die nordische Prosa, und vermutlich aus einem Lied (Völsungasaga, Kap. 28), und ge­ rade im Zusammenhang der Zankszene. Daß ein Einfall des Nibelungendichters vorliege, ist auch deshalb unwahrschein­ lich, weil dieser selbst mit dem M otiv sichtlich keinen R at weiß. Man konnte annehmen, Siegfried gebrauche im N L 3

D ie deutschen Lieder von Siegfrieds Tod.

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diese lahme Fiktion, um sich den dunkeln Ansprüchen Brünhilds zu entziehen, Aber die Möglichkeit wird in keiner Weise ausgenützt — w ir erwarteten doch wenigstens eine ' kurze Szene zwischen beiden! Deshalb kommt für diesen Zug auch die B-Quelle nicht in Betracht. Fand sich die Bezeichnung Günthers man in A, was immer noch das Wahrscheinlichste ist, dann war sie bereits unklar und rein formelhaft geworden. Daß der Dichter von A an ihrer inneren Unmöglichkeit keinen Anstoß nahm, braucht nicht zu verwundern; setzte sich doch sogar der höfische Dichter des Epos darüber hinweg ! So also kam der man in die Scheltszene, deutlicher: der Eigenm ann. Daß sich ihm diu eigendiu, die Magd, gesellte, das war eine besondere Verschärfung wohl erst des Epos, das für seine neue Szene (vor dem Münster) ein neues Stichwort brauchte; der Dichter hat es mit glänzendem Geschick er­ funden; nun nimmt, wie er beabsichtigt, der Leser sicher für Krimhild Partei! — Doch w ir suchen ja A-Spuren. Die be­ deutsamste von allen scheint mir zu sein die schlagkräftige Formung: dann bist du, Brünhild, küneges wip — mannes kehse! Die Prägung, wenngleich erst auf dieser Stufe bezeugt und nordisch nicht vorhanden, muß alt sein; sie verschärft in all ihrer Ungeheuerlichkeit den Pfeil, der auf Brünhild ab­ geschossen wird, in nicht zu überbietender Weise. Aber sie bedarf der näheren Erläuterung. Und da hüft uns das Zeugnis der nordischen Quellen weiter. Aus ihnen, Ths. und Völsungasaga, wissen wir, daß d iese begründende Formel uralt ist: Siegfried war d ein e rs te r M ann (isl. frumver). W ir zweifeln nach dem Zeugnis der Hohenems-Münchener Handschrift nicht, daß sie im N L ihre Stätte hatte. Stammte sie nun aus B , wo wir sie angetroffen haben, oder aus A? Ich meine aus diesem. Denn hier ist sie baulich wirksamer und auf altertüm­ lichere Art verwandt. In der Ths. zum richtigen Leitmotiv des ganzen Streites geworden, ist das W ort frumver ursprüng-

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lieh und nach dem Zeugnis dés N L und der Völsungasaga sicherlich der letzte, stärkste Trum pf gewesen, den Krimhild auszuspielen hatte. Ihm folgte unmittelbar die Beweisführung. Kein Zweifel, die Wendung „dein erster Mann“ , jetzt aus dem N L fast ganz verdrängt, war ehemals der Höhepunkt der ganzen Szene. Namentlich war er es auf der Liedstufe A. So gewinnt diese für uns noch etwas Gestalt. Aber auch die Liedquelle B kann bereichert werden durch Züge, die die Saga uns vorenthält und nur das N L bezeugt. Zweimal ist das der Fall. Zunächst jenes Drohwort Brünhilds an Günther: Ich mime nimmer dich. Der König soll dadurch gezwungen werden, an Siegfried Vergeltung zu üben. Es ist nicht das erstemal, daß w irB rü nhild zu diesem Mittel greifen sehen; sie hat sich schon ein­ mal, (als sie in bezug auf Siegfried etwas durchsetzen vrollte, dort, in lahmer Neuerfindung : die Erklärung seiner seltsamen sozialen Stellung) dem Gatten versagt. Für den Nibelungen­ dichter vielleicht ein Grund, das M otiv in der Senna zurück­ zudrängen — erst in sein er Interpretation war es ja zu einem Druckmittel geworden! Daß hier ein Stück B-Überlieferung vorliegt, wird sicher wieder durch einen Seitenblick auf das kurze Sigurdlied der Edda, das sich als so naher Verwandter von B herausgestellt hat. W ir kennen schon die W orte, mit denen B.rünhild dort ihren Gatten gegen Siegfried anreizte: „Ganz entbehren, Gunnar, wirst du mich.“ — Das zweite M o­ tiv ist der Raub des Gürtels; soll er seine symbolische Bedeu­ tung behalten, dann kann er nur B angehört haben. Hier, und nur hier löst Siegfried den Gürtel der bezwungenen Virago. Die beiden Lücken, die die Saga hier verrät, sind empfindlich, sie schädigen unsere Position und unseren Glauben. Aber ge­ rade in diesen beiden Punkten kann ein Zw eifel über die Hei­ mat der im Lied heimatlosen Motive nicht aufkommen. Darin gehen A und B einhellig gegen die nordische Über­ 3*

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lieferung, daß die Zankszene vor einem großen Zuhörerkreis stattfindet. Ths. betont es ausdrücklich. Ihre Brünhild, wieder impulsiver und minder höfisch gebändigt, läuft, blutrot vor Zorn und Scham, gleich zur Stadt hinaus. Die Vorteile, die dagegen die Einheit des Orts und der Zeit dem N L bringt, sind außerordentlich, und es beweist den guten Takt des Dich­ ters, daß er hier zusammenraffte, nachdem er in der Schelt­ szene selbst durch geschickte Staffelung der Auftritte die W ir­ kung so gesteigert hatte. Es spricht hier offenbar A , das die Eidesleistung sofort anschloß. In B konnte sie, wie festge­ stellt, keine Stätte haben. Da lief offenbar alles anders. Die Begegnung Brünhilds mit den heimkehrenden Brüdern läßt das alte B -M otiv: Siegfrieds Machtgier und die Gefahr, die den Burgunden von ihm droht, in Günthers R ede wieder leb­ haft hervortreten. A u ch B ist es, wenn alsbald Brünhild und Hagen in Fühlung miteinander treten. Ähnlich ist ja der Mordrat des N L eingeleitet: 863 Do kom von Tronege Hagene zuo stner frouwen gegäm 864 Er prägte, waz ir waere, weinende er si vant. Dö sagte si im diu maere. er lobete ir sä zehanty Daz ez eramen müese der Kriemhilde man: Oder er