Die deutsche Literatur des Mittelalters/’A solis ortus cardine’ - Colmarer Dominikanerchronist 9783110072648, 3110072645, 9783110848809, 3110848805

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Die deutsche Literatur des Mittelalters/’A solis ortus cardine’ - Colmarer Dominikanerchronist
 9783110072648, 3110072645, 9783110848809, 3110848805

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Die deutsche Literatur des Mittelalters Verfasserlexikon Band l

Die deutsche Literatur des Mittelalters

^ferfasserlexikon Begründet von Wolfgang Stammler fortgeführt von Karl Langosch Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Kurt Ruh

zusammen mit Gundolf Keil · Werner Schröder Burghart Wachinger · Franz Josef Worstbrock Redaktion Kurt Illing · Christine Stöllinger

Band 1 sous ortus cardine' - Colmarer Dominikanerchronist

De Gruyter

Unveränderte Neuausgabe der 2. Auflage Die Originalausgabe dieses Bandes erschien 1978.

ISBN 978-3-11-022248-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten oc Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Ein Nachschlagewerk, das vornehmlich Informationen bieten will, hat in der Regel nach einem Menschenalter seine Pflicht getan. Eine Kette von 'Nachträgen' sowie zahlreiche Fehlanzeigen und Korrekturen in der Fachliteratur indizierten diese Erfahrung auch beim Verfasserlexikon. Die Initiative zur Neubearbeitung ging vom Verlag aus und wurde von dessen Vertreter Prof. Dr. H. Wenzel an den Unterzeichneten herangetragen. Ein Bearbeitungs- und Zeitplan fand die Zustimmung der Germanistischen Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ohne deren finanzielle Mitwirkung die Neubearbeitung nicht durchzuführen war. Für den endgültigen Antrag zeichneten alle Herausgeber. Die zweite Auflage des Verfasserlexikons ist keine Revision, sondern eine durchgehende N e u f a s s u n g unter Bewahrung der grundlegenden Prinzipien der Erstauflage. Es erscheinen, mit wenigen begründeten Ausnahmen, sämtliche Artikel in neuer Gestalt. Vielfach spiegeln sie den Erkenntnisfortschritt und veränderte Aspekte der gegenwärtigen Forschungsgeneration. Beibehalten wurde der Grundsatz Wolfgang Stammlers, g e s a m t h a f t das deutsche Schrifttum des Mittelalters sowie in Auswahl lateinisch schreibende Autoren vorzustellen. Die vermehrte Aufnahme der l a t e i n i s c h e n Literatur, wie sie bereits der von Karl Langosch herausgegebene Nachtragsband der Erstauflage erkennen läßt, bedarf kaum einer Rechtfertigung, ist Latein doch in der ganzen Epoche nicht nur die alleinige Sprache der Kirche und der Wissenschaft, sondern immer noch, wenngleich in den letzten drei Jahrhunderten mit abnehmender Dominanz, die eigentliche Sprache auch der Dichtung. Besonders den Studierenden der Germanistik als Benutzern des Lexikons müßte dies schon rein optisch bewußt werden. Über die den deutschsprachigen Ländern durch Herkunft und Tätigkeit zugehörigen lateinischen Autoren hinaus sind auch solche der Antike und des europäischen Mittelalters im Hinblick auf ihre (besonders volkssprachliche) Rezeption in Deutschland aufgenommen (z.B. Aristoteles, Augustin, Bernhard von Clairvaux, Boethius, Bonaventura). M i t t e l n i e d e r l ä n d i s c h e Autoren sind berücksichtigt, sofern sie in den nieder- und hochdeutschen Sprachraum hineingewirkt haben. Das trifft besonders für das geistliche Prosaschrifttum zu. Der ursprüngliche Plan, die ganze mittelniederländische Literatur mit einzubeziehen - schon Stammler dachte daran —, mußte fallengelassen werden: Fragen der zeitlichen Abgrenzung - die niederländische Literaturgeschichte periodisiert anders als die deutsche -, der Mitarbeiter, der Beschaffung der notwendigen Hilfsmittel erwiesen sich als zu schwierig oder zu problematisch, um dieses Vorhaben zu verwirklichen. Die z e i t l i c h e A b g r e n z u n g entspricht im wesentlichen der Erstauflage: 'Den Grenzstreifen bildet etwa die Regierung Maximilians I.' (1493-1519). Für das mittellateinische Schrifttum mußte die Grenzziehung mit Rücksicht auf den in dieser Zeit einsetzenden Hochhumanismus auf ca. 1480 zurückgenommen werden; umgekehrt erfolgten Grenzüberschreitungen dort, wo mittelalterliche Traditionen ungebrochen weit ins 16. Jahrhundert hineinreichen, so vor allem beim geistlichen Spiel. Darüber .kann und wird diskutiert werden, bleiben doch Abgrenzungen, von vielfältigen und keineswegs sich gegenseitig stützenden Faktoren bedingt, immer problematisch. Im übrigen bemühten wir uns, die Grenzziehung schärfer vorzunehmen, als es in der Erstauflage geschehen ist.

VI

Vorwort

Die Zielsetzung des Verfasserlexikons, Schrifttum in allen seinen Erscheinungsformen (ausgenommen den Urkundenbereich) vorzustellen, ist seine vorzüglichste Auszeichnung gegenüber dem Typus Literaturgeschichte und damit auch seine eigentliche R e c h t f e r t i g u n g . Ginge es nur um ästhetisch ausgewiesene Literatur, brauchten wir kein Verfasserlexikon. Das heißt zugleich, daß der Schwerpunkt auf den Denkmälern im Bereich des theologischen, philosophischen, historischen, juristischen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Schrifttums liegt, wie schon die Erfassung und Organisation' dieser Komplexe unverhältnismäßig mehr Zeit und Mühe erfordern als die der poetischen Denkmäler. Unter anderem stellten sich hier, da die Phase der Heuristik und Textaufbereitung noch längst nicht abgeschlossen ist, Probleme der Auswahl. Grundsätzlich konnte nur berücksichtigt werden, was wenigstens im Ansatz einen 'Forschungsstand' aufweist. Daß dort, wo die Möglichkeit bestand, unmittelbar aus handschriftlichen Beständen zu schöpfen, dieser Grundsatz unbeachtet blieb, versteht sich von selbst. Bei den oben genannten 'Rezeptionsbeiträgen' ist gar nichts anderes möglich, als Heuristik zu leisten, aber auch sonst wird der Leser vieles finden, was nirgendwo steht, wenn auch in der Regel nur als Vorform von Aufbereitung, öfter nur in der Form von Hinweisen. Das Lexikon möchte hier innovierend wirken, wie es nachweisbar vielfältig für die Erstauflage zutraf. Nicht alle Sachgebiete sind gleichmäßig umfassend und intensiv behandelt worden. Die Kompetenz (und Arbeitskraft) der Herausgeber hat Grenzen, eine Erweiterung des Herausgeberteams schien aus verschiedenen Gründen nicht opportun, in einigen Sparten ergab sich auch ein Mangel an Mitarbeitern. Nicht ganz selten mußten die Herausgeber in letzter Stunde Lücken schließen, gelegentlich gab es, freilich nur im Randbereich der vom Verfasserlexikon berücksichtigten Denkmäler, auch nur noch den Verzicht auf einen wünschenswerten oder geplanten Beitrag. Zu einzelnen Bereichen mögen die folgenden Entscheidungen beachtet werden: - Nur Legenden, die keiner geschlossenen Sammlung angehören, erhalten einen eigenen Artikel. Mirakel werden in der Regel in der betreffenden Heiligenlegende mitbehandelt (Ausnahme: Marienmirakel). - Geringfügigkeit gilt als Ausscheidungskriterium: z.B. ein Autor mit nur einem Rezept findet keine Aufnahme. Ebenso wurden einzelne anonyme Predigten und Kleintraktate nicht aufgenommen. - Gebetbücher, liturgische und paraliturgische Texte werden nur in exemplarischer Auswahl berücksichtigt. Dasselbe gilt für kleine Literatur- und Gebrauchstypen: anonyme Lieder und Sprüche, Fabeln, Exempla, Mariengrüße u.a. Gelegentlich steht e i n Text für einen ganzen Typus: 'Erfurter Judeneid'. - Problematisch war auch die Auswahl von Landrechten; sie erfolgte auf der Basis det einschlägigen Handbücher (Homeyer).

Strenger als in der Erstauflage wird der Charakter eines Autoren- und Werklexikons wahrgenommen. Der individuelle Verfasser, das einzelne literarische Werk stehen im Vordergrund. Daher finden sich keine Sachartikel, und Sammelartikel werden auf Fälle beschränkt, wo sich eine Ausgliederung in Einzelwerke als unzweckmäßig erwies ('Biblia pauperum', Übersetzung biblischer Bücher, 'Physiologus'). Strenge Konsequenz war auch hier nicht zu erreichen, vor allem unter der Notwendigkeit, Möglichkeiten und dezidierte Wünsche der Bearbeiter zu respektieren. Zudem ist das, was im Komplex 'Fassungen' als 'Einzelwerk' aufzufassen ist, Definitionssache und damit umstritten. Zu beachten waren auch Konvention und Praktikabilität im Hinblick auf den Benutzer. Für den Aufbau eines Artikels wurde ein Modell ausgearbeitet, das aber bei der großen Verschiedenheit des Informationsstandes und der Texttypen nur die Verbindlichkeit einer Orientierung haben kann. Großes Gewicht wird auf Überlieferung und Textgeschichte gelegt, schon weil diese Aspekte in Literaturgeschichten zurücktreten, vor allem aber, weil sie den Lebensgrund der Texte anzeigen. So werden auch Sammelhandschriften, vor allem Liederhandschriften und 'Heldenbücher', in vielen Fällen nach Pla-

Vorwort

VII

nung und Zweckbestimmung als 'Werkeinheit' zu verstehen, in besonderen Artikeln vorgestellt. Schon Wolfgang Stammler klagte in der Vorrede über die Schwierigkeit der A l p h a b e t i s i e r u n g . Sie beschäftigte auch bei dieser Zweitauflage die Herausgeber und die Redaktion, fast möchte ich sagen: über Gebühr. Bibliothekare empfahlen die Durchführung der Grundsätze des Deutschen Gesamtkatalogs. Sie erwiesen sich indes als zu schematisch für ein fachorientiertes Lexikon. Vor allem schien es uns richtig, Usancen der philologisch-historischen Fachliteratur zu berücksichtigen und an die germanistischen Benutzer zu denken. Die wesentlichen Regeln der Alphabetisierung sind die folgenden: 1. Verfasser mit festem Familiennamen stehen unter diesem (Fleck, Konrad; Tauler, Johannes). 2. Der Taufname ist Ordnungswort, wenn ein Beiname mit 'von', 'der' folgt (Adam von Fulda, Arnold der Rote). Bei 'von'-Namen des 15. Jahrhunderts, bei denen es sich oft schon um Familiennamen handelt, wurde, da die Festlegung des Namentypus in vielen Fällen nicht möglich ist, ebenso verfahren (Albrecht von Eyb unter A). 3. Bei gleichlautenden Taufnamen sind die nachfolgenden Beinamen ohne Berücksichtigung des verbindenden 'von' oder 'der' in ihrer alphabetischen Folge maßgebend (Heinrich von Veldeke / Heinrich der Vogler / Heinrich von Wartberghe). Auch Titel, Zahl u.a. entfallen für die Alphabetisierung (Otto von Botenlauben / Markgraf Otto IV. von Brandenburg / Otto von Diemeringen). 4. Bei Namentypen ohne Taufnamen gilt der Beiname ohne Pronomen und Präposition als Ordnungswort (Der von Brauneck unter B, Der von Wengen unter W). 5. Titel, Berufs-, und Standesbezeichnungen werden, der Konvention entsprechend, dem Namen vorangestellt, haben aber nur Ordnungsfunktion bei sonst gleichlautenden Namen (Meister Eckhart unter E; Bruder Werner / Priester Werner unter W). 6. Bei Titeln sowie Berufs- und Standesbezeichnungen in Verbindung mit einem Herkunftsnamen, aber ohne Taufnamen, wurde nicht einheitlich, sondern je nach Gebrauch verfahren (Burggraf von Regensburg unter R; Schulmeister von Eßlingen unter S). 7. Bei den Tauf- und Ortsnamen wird in der Regel die gegenwärtige Form gewählt. Doch war auch hier auf abweichende Usancen Rücksicht zu nehmen. 8. Bei anonymen Werken bleiben Funktionswörter für die Alphabetisierung unberücksichtigt ('Der Pfaffe mit der Schnur'; 'Minne und Gesellschaft' / 'Der Minne Klaffer'). 9. Initientitel erscheinen immer unter dem ersten Buchstaben ( solis ortus cardine', 'Der die nacheit minnet'). In manchen Fällen hat sich das Gattungsstichwort als erstes Wort des Titels eingebürgert ('Passionstraktat Do der minnenklicbe got'}, es wurde auch neu eingeführt ('Marienleben Es sprichet Sankt Hieronymus'). 10. Sprachliche Kennzeichnungen werden nur dann dem Titel zugeordnet, wenn sie mit dem Titelkennwort zu einem festen Begriff geworden sind ('Altniederfränkische Psalmen', 'Altsächsische Genesis'). 11. Bei gleichem Stichwort stehen anonyme Werke vor den Verfassern ('Bartholomäus' [medizinische Traktatsammlung] vor Bartholomäus [Autor]). Gelegentlich war es nicht zu vermeiden, aus Termingründen einen von diesen Prinzipien abweichenden Platz zu wählen (Piccolomini, Aeneas Silvius statt Aeneas Silvius). Verweise sollen die Auffindung des gewünschten Artikels erleichtern.

Überall stoßen die Herausgeber eines Gemeinschaftswerks von der Art des Verfasserlexikons, d.h. eines Unternehmens mit einem sehr bescheidenen zentralen Personalbestand (Tätigkeit der Herausgeber im Nebenberuf, ein hauptamtlicher Redaktor, eine Sekretärin), auf Grenzen. Einige davon habe ich genannt, und ich meine, daß man bei Aufgabe von Perfektions- und Vollständigkeitsvorstellungen mit ihnen leben kann sogar in guter Zuversicht. Diese gründete sich von allem Anfang an vorzüglich auf das beachtliche wissenschaftliche Potential der Fachkollegen als Mitarbeiter. Es gab und es wird weiterhin einzelne Enttäuschungen geben, und einige Sparten bleiben personell schwach besetzt, hängen an wenigen. Aber die Summe der bisherigen Erfahrungen bestärkt doch, nach vollzogenem Beginn, jene gute Zuversicht auch für Fortgang und Abschluß des neuen Verfasserlexikons. Würzburg, im Februar 1978

KURT RUH

Mitarbeiter des ersten Bandes Dr. Udo Arnold, Bad Münstereifel-Houverath Dr. Peter Assion, Freiburg i.Br. Prof. Dr. Johann Auer, Univ. Regensburg Dr. Gerhard Baader, Freie Univ. Berlin P. Dr. Norbert Backmund, Hunderdorf, Abtei Windberg Prof. Dr. Frank Banta, Univ. Bloomington (USA) Dr. Werner M. Bauer, Univ. Innsbruck (Österreich) P. Dr. Sigisbert Beck, Abtei Engelberg (Schweiz) Dr. Hartmut Beckers, Univ. Münster Dr. Dieter Berg, Univ. Bochum Dr. Günter Bernt, Univ. München Prof. Dr. Ulf Eichel, Univ. Kiel Heinrich Biermann, Univ. Köln Dr. Heinke Binder, Frei bürg i.Br. Prof. Dr. Walter Blank, Univ. Freiburg i.Br. Prof. Dr. Bruno Boesch, Univ. Freiburg i.Br. Prof. Dr. Hartmut Boockmann, Univ. Kiel Dr. Tilo Brandts, Berlin Dr. Johann Wilhelm Braun, Karlsruhe Dr. Josef Brecht, Würzburg Dr. Rolf Wilhelm Brednich, Freiburg i.Br. Paul Bretschneider f Dr. Gerd Brinkhus, Tübingen Dr. Hartmut Broszinski, Kassel Prof. Dr. Cebus C. de Bruin, Univ. Leiden (Niederlande) Prof. Dr. Franz Brunhölzl, Univ. München Prof. Dr. Horst Brunner, Univ. Erlangen Dr. Ulrich Bubenheimer, Reutlingen Dr. Ingeborg Buchholz-Johanek, Würzburg Dr. Herwig Buntz, Buckenhof Dr. Friederike Christ-Kutter, Allschwil (Schweiz) Prof. Dr. Gerhard Cordes, Univ. Kiel Univ.-Doz. Dr. Christoph Cormeau, Univ. München Prof. Dr. Michael Curschmann, Univ. Princeton (USA) Dr. Willem Frans Daems, Ariesheim (Schweiz) Dr. Ludwig Denecke, Hann. Münden Dr. Jürgen Dittmar, Freiburg i.Br. Dr. Wulf-Otto Dreeßen, Univ. Stuttgart P. Dr. Willehad Ecken, Köln Prof. Dr. Hans Eggers, Saarbrücken Dr. Heiko Eis, Heidelberg Prof. Dr. Werner Fechter, Univ. Freiburg i.Br. Lie. phil. Jan Fredertksen, Stockholm (Schweden) Dr. Wiebke Freytag, Univ. Hamburg

Gisela Friedrich, München P. Dr. Albert Fries, Hennef/Sieg Prof. Dr. Hans Fromm, Univ. München Hans Füglister, Univ. Basel (Schweiz) Prof. Dr. Peter F. Ganz, Univ. Oxford (England) Dr. Kurt Gärtner, Univ. Marburg Dr. Karl-Ernst Geith, Univ. Freiburg i.Br. Dr. Ferdinand Geldner, München Dr. Udo Gerdes, Univ. Köln Prof. Dr. Ingeborg Glier, Univ. New Haven (USA) Dr. Herbert Großmann, Remscheid Prof. Dr. Klaus Grubmüller, Univ. Münster/Westf. P. Dr. Rhaban Haacke, Siegburg Dr. Bernhard Haage, Univ. Mannheim Dr. Marlies Hamm, Univ. Würzburg Dr. Kurt Hannemann, Karlsruhe Univ.-Doz. Dr. Dieter Harmening, Univ. Würzburg Prof. Dr. Walter Haug, Univ. Tübingen Dr. Gerold Hayer, Univ. Salzburg (Österreich) Prof. Dr. Hedwig Heger, Univ. Wien (Österreich) Dr. Norbert Heinze, Univ. Köln Prof. Dr. Joachim Heinzle, Univ. Köln Prof. Dr. Ursula Hennig, Freie Univ. Berlin Prof. Dr. Hubert Herkommer, Univ. Bern (Schweiz) Dr. Eugen Hillenbrand, Univ. Freiburg i.Br. Dr. Peter Hilsch, Univ. Tübingen Dr. Arne Holtorf, Univ. Tübingen Dr. F.A.H. van den Hombergh, Hären (Niederlande) Dr. Volker Honemann, Freie Univ. Berlin Dr. Werner Höver, Univ. Göttingen Prof. Dr. Heinrich Huschen, Univ. Köln Dr. Dr. habil. Dietrich Huschenbett, Univ. Würzburg Dr. Kurt llling, Würzburg Prof. Dr. Johannes Janota, Gesamthochschule Siegen Dr. Detlev jasper, München Dr. Hans Jeske, Sigtuna (Schweden) Dr. Peter Johanek, Univ. Würzburg Dr. Erhart Kahle, Univ. Würzburg Dr. Ingrid Kasten, Univ. Hamburg Prof. Dr. Dr. Gundolf Keil, Univ. Würzburg Dr. Max Kerner, Technische Hochschule Aachen Dr. Peter Kesting, Univ. Würzburg Dr. Eva Kiepe-Willms, Univ. Göttingen Dr. Karl-Heinz Kirchboff, Münster/Westf. Gerhard Klecha, Göttingen Dr. Erich Kleinschmidt, Univ. Freiburg i.Br. P. Dr. Karl J. Klinkhammer, Essen

Mitarbeiterverzeichnis Prof. Dr. Herbert Kolb, Univ. München Dr. Ewald Könsgen, Univ. Bonn Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz, Köln Gisela Kornrumpf, München Prof. Dr. Kurt Köster, Frankfurt/M. Prof. Dr. Hugo Kühn, Univ. München Prof. Dr. Paul Kunitzsch, Univ. München Dr. Konrad Kunze, Univ. Freiburg i.Br. Dagmar Ladisch-Grube, Karlsruhe Prof. Dr. Karl Langosch, Jugenheim/Bergstr. Dr. Robert Leclercq, Univ. Würzburg Dr. Manfred Lemmer, Halle Dr. rer. pol. Dr. forest, h.c. Kurt Lindner, Bamberg Prof. Dr. Hansjürgen Linke, Univ. Köln Dr. phil. Dr. theol. h.c. Walther Lipphardt, Frankfurt/M. Prof. Dr. Helmut Lomnitzer, Univ. Marburg Dr. Karl Manitius, Bernried Dr. Guy P. Marchal, Univ. Basel (Schweiz) Prof. Dr. Achim Masser, Univ. Innsbruck (Österreich) Prof. Dr. Klaus Matzel, Univ. Regensburg Prof. Dr. David R. McLintock, Univ. London (England) Dr. Jürgen Meier, Univ. Hamburg Prof. Dr. Karl Menne f Prof. Dr. Volker Mertens, Freie Univ. Berlin Prof. Dr. Arend Mihm, Gesamthochschule Duisburg Prof. Dr. Cola Minis, Univ. Amsterdam (Niederlande) Dr. Ulrich Montag, München Dr. Karin Morvay, Würzburg Dr. Dietz-Rüdiger Moser, Kirchzarten Prof. Dr. Ulrich Müller, Univ. Salzburg (Österreich) Dr. Brian O.Murdoch, Univ. Stirling (Schottland) Prof. Dr. Eberhard Nellmann, Univ. Bonn Bernd Neumann, Univ. Köln Dr. Peter-Erich Neuser, Univ. Köln Dr. Heinrich Niewöhner \ Dr. Georg Objartel, Braunschweig Dr. Peter Ochsenbein, Basel Prof. Dr. Friedrich Ohly, Univ. Münster/Westf. Dr. Hans D. Oppel, Bocholt Dr. Elsbet Orth, Univ. Frankfurt Wolf Osterhage, Technische Univ. Berlin Norbert H. Ott, München Dr. Nigel F.Palmer, Univ. Oxford (England) Prof. Dr. Edgar Papp, Univ. Osnabrück, Abt. Vechta Dr. Israel Peri, Thiergarten Prof. Dr. Jürgen Petersohn, Univ. Würzburg Prof. Dr. F. P. Pickering, Univ. Reading (England) Prof. Dr. Karl Konrad Polheim, Univ. Bonn Dr. Dr. Christian Probst, Bad Tölz Dr. Fidel Rädle, Univ. Marburg Dr. Jörn Reichel, Univ. Heidelberg Dr. Ufa Reinhardt, Lüneburg Elisabeth Reuter, Koblenz Dr. Melitta Rheinheimer, Berlin Prof. Dr. Hans-Georg Richert, Univ. Cincinnati (USA)

IX

Dr. Josef Riedmann, Univ. Innsbruck (Österreich) Dr. Siegfried Ringler, Essen Dr. I.S.Robinson, Dublin (Irland) Prof. Dr. Walter Roll, Univ. Trier Prof. Dr. Hans-Friedrich Rosenfeld, Univ. München Prof. Dr. Hellmut Rosenfeld, Univ. München Prof. Dr. David J.A. Ross, Univ. London (England) Prof. Dr. Uwe Kuberg, Univ. Münster/Westf. P. Dr. Rainer Rudolf, Wien (Österreich) Prof. Dr. Kurt Ruh, Univ. Würzburg Dr, Heinrich Rüthing, Univ. Bielefeld Prof. Dr. Willy Sanders, Univ. Kiel Thomas Sandfuchs, Dinkelsbühl Univ.-Doz. Dr. Paul Sappler, Univ. Tübingen Prof. Dr. Dieter Schaller, Univ. Bonn Frieder Schanze, Univ. Tübingen Prof. Dr. Heinz Schanze, Univ. Marburg Dr. Rudolf Schieffer, München Prof. Dr. Karl-Heinz Schirmer, Univ. Kiel Prof. Dr. Franz-Josef Schmale, Bochum Prof. Dr. Ruth Schmidt-Wiegand, Univ. Münster/Westf. Dr. Volker Schmidtchen, Dortmund Dr. Dr. habil. Dietrich Schmidtke, Berlin Dr. Peter Schmitt, Univ. Würzburg Dr. Dr. Wolfram Schmitt, Wiesloch Dr. Karin Schneider, München Univ.-Doz. Dr. Manfred Günther Scholz, Univ. Tübingen Dr. Kurt Erich Schöndorf, Univ. Oslo (Norwegen) Prof. Dr. Werner Schröder, Univ. Marburg Dr. Eva Schütz, Univ. Freiburg i.Br. Prof. Dr. Günther Schweikle, Univ. Stuttgart Prof. Dr. Lauri Seppänen, Univ. Tampere (Finnland) Prof. Dr. Gilbert de Smet, Univ. Gent (Belgien) Prof. Dr. Stefan Sonderegger, Univ. Zürich (Schweiz) Prof. Dr. Franz Viktor Spechtler, Univ. Salzburg (Österreich) Dr. Dr. habil. Jochen Spielt, Münster/Westf. Prof. Dr. Karl Stackmann, Univ. Göttingen Dr. Erich Stahleder, Landshut Prof. Dr. Wolfgang Stammler f Univ.-Doz. Dr. Georg Steer, Univ. Würzburg Dr. Fritz Steinegger, Innsbruck (Österreich) Prof. Dr. Hans-Hugo Steinhoff, Gesamthochschule Paderborn Dr. Winfried Stelzer, Univ. Wien (Österreich) Dr. Jürgen Stohlmann, Univ. Köln Dr. Burkhard Taeger, München John Tagliabue, Univ. Bonn Dr. Joachim Teile, Heidelberg P. Dr. Benjamin de Troeyer, Sint-Truiden (Belgien) Prof. Dr. Paul Uiblein, Wien (Österreich) Dr. Helgard Ulmschneider, Univ. Würzburg Dr. Helga Unger, München Prof. Dr. Burghart Wachinger, Univ. Tübingen Prof. Dr. Luitpold Wallach, Univ. Urbana (USA) Dr. Andreas Wang, Univ. Hamburg

X

Mitarbeiterverzeichnis

Helmut Weck, Würzburg Prof. Dr. Max Wehrli, Univ. Zürich (Schweiz) P. Dr. Egino Weidenhiller, Augsburg Helmut Weinacht, Univ. Erlangen Dr. Ulla Williams, Univ. Würzburg Dr. Werner Williams-Krapp, Univ. Würzburg Prof. Dr. Karl-August Wirth, München Prof. Dr. Norbert Richard Wolf, Univ. Würzburg Prof. Dr. Ludwig Wolff f

Prof. Dr. Franz Josef Worstbrock, Technische Univ. Berlin Prof. Dr. Klaus Wriedt, Univ. Kiel Dr. Harald Wunder, Reutlingen Dr. Heinz Wyss, Biel (Schweiz) Hans-Joachim Ziegeler, Univ. Tübingen Monika Zimmermann, Freie Univ. Berlin Prof. Dr. Herta Zutt, Univ. Freiburg i.Br.

Abkürzungsverzeichnis *a.

AARNE/THOMPSON, Märchentypen

AASF

AASS

*Abb. Abh(h). Ac. ADB

ae. AfdA

AFH

AfMF AfMW AFP

afrz. agerm. ags. ahd. Ahd.Gll.

AJPh Ak. AKG

alem. Alem.Franc.Ant.

anno The Types of the Folktale. A. AARNE'S Verzeichnis der Märchentypen translated and enlarged by ST. THOMPSON (FFC 184), Helsinki 21964 Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Ser. B., Helsinki 1909 ff. Acta Sanctorum, begr. v. J. ROLLAND, Antwerpen (Verlagsort wechselt) 1643 ff. Abbildung Abhandlung(en) Academia, Academy, Academie Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1-55 (-1- Reg.bd.), 1875-1912 altenglisch Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 1875 ff. Archivum Franciscanum Historicum, Quaracchi-Florenz 1908 ff. Archiv für Musikforschung, 1936 ff. Archiv für Musikwissenschaft, 1918-1926, 1954ff. Archivum Fratrum Praedicatorum, Rom 1931 ff. altfranzösisch altgermanisch angelsächsisch althochdeutsch E. STEINMEYER/E. SIEVERS, Die althochdeutschen Glossen, gesammelt und bearbeitet von E. S. u. E. S., Bd. 1-5, 18791922 The American Journal of Philology, Baltimore 1880ff. Akademie Archiv für Kulturgeschichte, 1903 ff. alemannisch Alemania Franciscana Antiqua, 1956 ff.

am. Anal.Boll.

Anal.Franc. Anal.hymn. Anal.Praemon.

and. Anm. anord. Anz. AnzfKdVz

Arch. ARETIN, Beyträge

*Art. äs. !> AT ATB *atl. Ausg.(n) bair. BARTSCH, Erlösung

american, amerikanisch Analecta Bollandiana, Brüssel 1882 ff. Analecta Franciscana, Quaracchi-Florenz 1885 ff. Analecta hymnica medii aevi, Bd. 1-55, 1886-1922 Analecta Praemonstratensia, Tongerlool925ff. altniederdeutsch Anmerkung altnordisch Anzeiger Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, Organ des Germanischen Museums, NF 1853 ff., hg. v. FRH. VON UND zu AUFSESS und F.J. . Mit der gleichen Sigle werden abgekürzt: Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters, 1832 ff,; Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit, 1835ff.; Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, 1884 ff. Archiv Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalz-baierischen Centralbibliothek (ab Bd. 8: der Königl. Hof- und Centralbibliothek) zu München, hg. v. J.CH. FREIHERRN v. ARETIN, Bd. 1-9, München 1803-1807 Artikel altsächsisch Altes Testament Altdeutsche Textbibliothek, 1882 ff., 1959 ff. alttestamentlich Ausgabe(n) bairisch K. BARTSCH (Hg.), Die Erlösung mit einer Auswahl geistlicher Dichtungen (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. 37), 1858

XII BARTSCH, Meisterlieder

BARTSCH, SM

BARTSCH/GOLTHER, Liederdichter

BÄUMKER, KL

Bav.Franc.Ant.

Bd., Bde BdK

Beih(h). Beitr. Ber(r). Berlin, mgf (mgq, mgo)

BHL

*Bibl. (-bibl.) Bibl.d.ges.dt. Nat.-Lit.

BINZ, Basel

BISCHOFF, Schreibschulen

BÖHME, Ad.Ldb.

Abkürzungsverzeichnis K. BARTSCH (Hg.), Meisterlieder der Kolmarer Handschrift (StLV 68), 1862 (Nachdr. 1962) K. BARTSCH (Hg.), Die Schweizerischen Minnesänger, Frauenfeld 1886(Nachdr. u.d.T. Die Schweizer Minnesänger 1964) K. BARTSCH, Deutsche Liederdichter des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts. Eine Auswahl, 41906, besorgt v. W. GOLTHER (Nachdr. 1966) W. BÄUMKER, Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen, Bd. 1-4, 18831911 (Nachdr. 1962) Bavaria Franciscana Antiqua, 1955 ff. Band, Bände Bibel und deutsche Kultur. Veröffentlichungen des deutschen Bibelarchivs in Hamburg, Bd. 1-11; als Neue Folge der 'Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters' Bd. 5 ff., 19311941 (-»VOLLMER, Materialien) Beiheft(e) Beiträge Bericht(e) Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ. fol. (Ms.germ. qu., Ms.germ. oct.) Bibliotheca hagiographica latina, Bd. 1-2 (Subsidia hagiographica), Brüssel 1898-1901; Suppl.bd.21911 Bibliothek (-bibliothek) Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit, Quedlinburg-Leipzig 1835-1872 G. BINZ, Die deutschen Handschriften der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel, Bd.l: Die Handschriften der Abteilung A, Basel 1907 B. BISCHOFF, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, Teil l: Die bayerischen Diözesen, 21960 Blatt (Blätter) F. M. BÖHME, Altdeutsches Liederbuch, 1877 (Nachdr. 1966)

DE BOOR, LG

DE BOOR, Texte

DE BOOR, Sprachstil

BORCHLING, Mnd. Hss.

BORCHLING/ CLAUSSEN, Nd. Bibliogr.

BRANDIS, Minnereden

BRAUNE, Leseb.

BRAUNS/THIELE, Minnereden

BRUNHÖLZL, LG

H. DE BOOR, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung. 770-1170 (Gesch. d. dt. Lit. v. d. Anfängen bis z. Gegenwart, hg. v. H. DE BOOR u.R.NEWALD,Bd.l), 8 1971=I; ders., Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. 1170-1250 (Gesch. d. dt. Lit.... [s.o.], Bd.2),91974 = Il; ders., Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn, 1. 1250-1350 (Gesch.d.dt. Lit. ... [s.o.],Bd.3,1), 3 1967 = 111 1. H. DE BOOR (Hg.), Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse, Bd. l (2Teilbde),1965 H. DE BOOR, Frühmittelhochdeutscher Sprachstil I, ZfdPh 51 (1926) 244-274; , ZfdPh 52 (1927) 31-76 (auch: H. DE B., Kl. Schr.nl, 1964, S.21-96) C. BORCHLING, Mittelniederdeutsche Handschriften, 4 Reiseberichte = Bd. 1-4 (GGN, Geschäftl. Mitt. 1898; Phil.-hist. Kl. 1900,1902,1913) C. BORCHLING/B. CLAUSSEN, Niederdeutsche Bibliographie. Gesamtverzeichnis der niederdeutschen Drucke bis zum Jahre 1800, Bd.l: 1473-1600, 1931; Bd. 3,1: Nachtr., Erg., Verbesserungen zu Bd. l u. 2, 1957 T. BRANDIS, Mittelhochdeutsche, mittelniederdeutsche und mittelniederländische Minnereden. Verzeichnis der Handschriften und Drucke (MTU 25), 1968 W. BRAUNE, Althochdeutsches Lesebuch zusammengestellt von W.B., :51969, bearb. v. A. EBBINGHAUS W. BRAUNS/G. THIELE (Hgg.), Mittelhochdeutsche Minnereden. II. Die Heidelberger Handschriften 313 und 355; die Berliner Handschrift Ms.Germ. Fol. 922 (DTM 41), 1938 (DN [mit einem Nachwort von I. GLIER] Dublin-Zürich 1967) F. BRUNHÖLZL, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. l: Von Cassiodor

Abkürzungsverzeichnis

BSB

Bulletin Arth.

"c. CAMPBELL, Annales

CAPLAN, Artes Praed. CAPLAN, Suppl.

CB

CC CGL

CHARLAND, Artes Praed.

CHEVALIER

Chron. Chron.dt.St.

*cod. COP.

CSEL

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d. DA

DEGERING, Germ. Hss.

DEGERING, Neue Erwerbungen

Denkm. DHGE

Dicht.(n) Dict.Spir.

DIEMER, Dt. Ged.

Diss. Abstr.

OLE

DLZ

DN DNL

Donaueschingen, cod. DPhiA

DRONKE, Med. Lat.

XIII der, die, das, des, dem, den Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, 1937 ff. H. DEGERING, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek, Bd. 1-3, 1925-1932 (= Mitteilungen aus d. Preuß. SB, Bd. 7-9) H. DEGERING, Neue Erwerbungen der Handschriften-Abteilung I, II (I: DEGERING und E. JAKOBS, Lateinische und deutsche Handschriften erworben 1911, 1914; II: DEGERING, Die Schenkung Sir Max Wächters 1912, 1917) (= Mitteilungen aus d. Preuß. SB, Bd. 2 u. 3) Denkmäler Dictionnaire d'histoire et de geographie ecclesiastique, Paris 1912ff. Dichtung(en) Dictionnaire de Spiritualite ascetique et mystique, Paris 1937ff. J. DIEMER (Hg.), Deutsche Gedichte des XI. und XII. Jahrhunderts, Wien 1849 (Nachdr. 1968) Dissertation Abstracts. Abstracts of Dissertations and Monographs Available in Microfilm or as Xerographic Reproductions; Ann ArborLondon 1938 ff. Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen, 1928-1950 Deutsche Literaturzeitung für Kritik der Internationalen Wissenschaft (bis 1920: Deutsche Literaturzeitung Berlin), 1880ff. Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des Mittelalters, 1963 ff. J. KÜRSCHNER (Hg.), Deutsche National-Literatur, Bd. 1-164 (4- Reg.bd.), 1882-1899 Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek, cod. (+ Nr.) W. STAMMLER (Hg.), Deutsche Philologie im Aufriß, Bd. 1-3, 2 1957-1962 P. DRONKE, Medieval Latin and the Rise of European

XIV

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2

dt. DThC

DTM

DU DuV DV

DVjs

EHRISMANN, LG

Einblattdrucke

engl. Erg. '' 2 ERK/BÖHME

Et.Germ. Euph.

*expl. f. FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung

G. EHRISMANN, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, Bd. 1-4, 1918-1935; Bd. l 21932 Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Ein bibliographisches Verzeichnis, hg. v. d. Kommission für den Gesamtkatalog der Wiegendrucke (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten 35/36), 1914 (Nachdr. 1968) englisch Ergänzung(s) L. ERK/F.M. BÖHME, Deutscher Liederhort, Bd. 1-3, 1 1893/94, 21925 Etudes Germaniques, Paris 1946 ff. Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte, 1894-1933, 1950ff. (von 1934-1944/45 als ->DuV) explicit

für, folio R. FELLER/E. BONJOUR, Geschichtsschreibung der Schweiz. Vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Bd. l, Basel-Stuttgart 1962 FF Forschungen und Funde, hg. v. F. JOSTES, Bd. l, Heft l Bd. 4, Heft 5 (Nr. 1-20), 19081917; Nr.21 u. 22, 1928, hg. v. A. HÜBNER FFC Folklore Fellows Communications, Helsinki 1910ff. Festgabe Fg. FISCHER, Märendicht. H. FISCHER (Hg.), Die deutsche

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GA

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A bkürzu ngsverzeichn is lehrten Sachen, Göttingen 1753-1801. Göttingische Gelehrte Anzeigen, 1802 ff. Göttinger (Göttingische) GeGGN lehrte Nachrichten. Nachrichten von der Universität und der (Königlichen) Gesellschaft (Akademie) der Wissenschaften zu Göttingen, 1840 ff. GLIER, Artes amandi I. GLIER, Artes amandi. Untersuchungen zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden (MTU 34), 1971 GOEDEKE, Grundriß K. GOEDEKE, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, Bd. l: Das Mittelalter, 21884; Bd.2: Das Reformationszeitalter, 2 1886 groß GRABMANN, Mal. M. GRABMANN, Mittelalterliches Geistesleben, Bd. 1-3, Geistes!. 1926-1956 TH. GRAESSE (Hg.), Jacobi a GRAESSE, Leg.aur. Voragine Legenda Aurea vulgo Historia Lombardica dicta, 3 1890 (Nachdr, 1965) E.G. GRAFF, Diutiska. DenkGRAFF, Diutiska mäler deutscher Sprache und Literatur aus alten Handschriften, Bd. 1-3, Stuttgart-Tübingen 1826-1829 griech. griechisch GRIMM, Heldensage W. GRIMM, Die deutsche Heldensage, 31889 (Nachdr. [unter Hinzufügung der Nachträge von K. MÜLLENHOFF und O. JÄNICKE aus der ZfdA] 1957) GRIMM, Reim W. GRIMM, Zur Geschichte des Reims, Kleinere Schriften, Bd.4, 1887,5.125-341 GRM Germanisch-romanische Monatsschrift, 1909 ff. GRÜNEWALD, A. GRÜNEWALD, Die lateiniLat. Einschiebsel schen Einschiebsel in den deutschen Gedichten von der Mitte des 11. bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts, Diss. Göttingen 1908 Gesamtkatalog der WiegenGW drucke, hg. v. der Kommission für den Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 1-7, 1925-1938 und 1. Lieferung des 8. Bandes, 1940; neue 1. Lieferung des 8. Bandes 1972, hg v. der Deutschen

XV Staatsbibliothek zu Berlin; bis 1976: 4 Lieferungen des 8. Bandes erschienen

H. Hagens Germ.

HAGEN/BÜSCHING, Dt. Ged.

HAHN, Ged.

HAIN

HALTAUS, Hätzlerin

HC

hd. Hdb. Heidelberg,

HENSCHEL/PRETZEL, Vor. Denkm. Herrigs Archiv

Hg(g)., hg. v. hist. HMS

Hälfte, Heft Germania. Neues Jahrbuch der Berliner Gesellschaft für deutsche Sprache und Altertumskunde, hg. v. F. H. v. D. HAGEN (v. d. Hagens Germania), Berlin 1836-1853 F. H. v. D. HAGEN/J. G. BüSCHING (Hgg.), Deutsche Gedichte des Mittelalters, Bd. 1-2, Berlin 1808/1825 K.A. HAHN (Hg.), Gedichte des XII. und XIII. Jahrhunderts (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. 20), 1840 L. HAIN, Repertorium bibliographicum, in quo libro omnes ab arte typographica inventa usque ad annum MD. typis expressi..., Bd. 1-4, StuttgartTübingen-Paris 1826-1838 C. HALT AUS (Hg.), Liederbuch der Clara Hätzlerin (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. 8), 1840 (DN 1966 mit einem Nachwort von H. FISCHER) HAIN (s. o.) 4- W. A. COPINGER, Supplement to Hains Repertorium Bibliographicum, Part I: Corrections and additions to the collations of works described or mentioned by Hain, London 1895 hochdeutsch Handbuch Heidelberg, Universitätsbibliothek, codex palatinus germanicus (-I- Nr.) E. HENSCHEL/U. PRETZEL (Hgg.), Die kleinen Denkmäler der Vorauer Hs., 1963 Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, begründet v. L. HERRIG, Braunschweig 1846 ff. Herausgeber, herausgegeben von historisch F.H. v. D. HAGEN, Minnesinger. Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts, Teil 1-4, Leipzig 1838 (Neudr. 1963)

XVI HOFFMANN, Fundgr.

HOFFMANN, KL

HOMEYER, Rechtsbücher

lf

Hs(s). HSB

HURTER,

Nomenclator

Hwb. HZ ICL

'••J· *inc. Inst. JB(e) Jb(b). JbLH Jb. Volkslied JEGP

*Jh.(s) KAEPPELI, Scriptores KELLE, LG

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KELLER, Erz.

KELLER, Fsp.

KELLER, Ged.

kgl. kl. Kl. KLD

Kl. Schr.n Kmjb

KOEGEL, LG

KORNRUMPF/ VÖLKER, München

KRAUS, Dt. Ged.

KRIEDTE, Bibelfrgm. krit. KUSCH, Einf.

La(a). Landesk. lat. LB Ldb. LEHMANN, Erf. LEHMANN, Mitt.

LEITZMANN, Ged.

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LEITZMANN, Erz.

Leseb. Leuv.Bijdr. LG LHOTSKY, Quellenkunde

Lhs. Liedersaal

LlLIENCRON, Hist.

Volkslieder

Lit. lit. lit.gesch. Lit.wiss. LORENZ, Geschichtsquellen

LThK

Ma(a). *MA(s) *mal. Mal.Bibl.Kat.

MANITIUS, LG

MATTHAEI, Minnereden

Abkürzungsverzeichnis

XVII

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md. Medium Aevum

Med.Mschr. MENHARDT, Hss.

MEYER, Ges. Abhh.

MF

mfrk. MFU

MGG

MGH

(dazu:) Auct. ant. Capit. Conc. Const. DD Ep. (sei.) Lib. de lite Necr. Poetae SS SS rer. Germ.

SS rer. Germ. NS SS rer. Merov.

mhd. MILLER, Charms

Auctores antiquissimi Capitularia regum Francorum Concilia Constitutiones et acta publica imperatorum et regum Diplomata Epistolae (selectae) Libelli de lite Necrologia Poetae latini medii aevi Scriptores Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi Scriptores rerum Germanicarum, Nova series Scriptores rerum Merowingicarum mittelhochdeutsch C.L. MILLER, The Old High German and Old Saxon Charms. Text, Commentary and Critical Bibliography, Diss. Washington University, St. Louis 1963 (DA 24 [1963/64])

XVIII Millst.Hs.Faks.

MIÖG

Misc.Mediaev.

Mitt, tnlat. Mlat.Jb. MLR

mnd. mndl. MÖIG

, Hymnen

MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr.

MOT

*Ms(s). MSB

MSD

MTU

MÜLLER, Unters.

Abkürzungsverzeichnis A. KRACHER, Millstätter Genesis und Physiologus Handschrift. Vollständige Faksimileausgabe der Sammelhandschrift 6/19 des Geschichtsvereins für Kärnten im Kärntner Landesarchiv Klagenfurt (Codices selecti 10), Graz 1967 Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Innsbruck (Verlagsort wechselt) 1880ff. (aber 19231942: -+MÖIG) Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des ThomasInstituts der Universität zu Köln, 1960 ff. Mitteilungen mittellateinisch Mittellateinisches Jahrbuch, 1964 ff. Modern Language Review, London 1905 ff. mittelniederdeutsch mittelniederländisch Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung, 1923-1942 (sonst -»MIÖG) F.J. , Lateinische Hymnen des Mittelalters, Bd. 1-3, 1853-1855 (Nachdr. 1964) K. MORVAY/D. GRUBE, Bibliographie der deutschen Predigt des Mittelalters.Veröffentlichte Predigten (MTU 47), 1974 ST. THOMPSON, Motiv-Index of Folk-Literature, Bd. 1-6, Kopenhagen 21955-1958 Manuskript(e), manuscriptus, manuscrit, manuscript Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, Phil.-hist. Klasse, 1860 ff. K. MÜLLENHOFF/W. SCHERER

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München, cgm (clm)

NA

Nachdr. nd. NDB Ndjb

NDL

ndl. Nd.Mitt. Neoph. Neudr. Neuphil.Mitt. NF NGA

nhd. »NT *ntl. obd. OGE österr. PANZER, Annalen

PBB ab 1955: PBB (Tüb.) PBB (Halle) PEZ, Bibl.Asc.

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Abkürzungs Verzeichnis

PEZ, Thes.

PC

PIPER, Geisel. Dicht. PL

PMLA

Phil.Stud.u.Qu. PREGER, Mystik

Progr. QUETIF/ECHARD,

SS

QF

QUINT, Hss.funde

RABY, Chr.-Lat. Poetry

RABY, Sec.Lat.Poctry

nova, Bd. 1-12, Regensburg 1723-1740 (Nachdr. Farnborough 1967 in 3 Bdn) B. PEZ, Thesaurus anecdotorum novissimus, Bd. 1-6, Augsburg 1721-1729 Patrologia Graeca, hg. v. J.P. MIGNE, Bd. 1-161, Paris 18571866 P. PIPER (Hg.), Die geistliche Dichtung des Mittelalters, Teil 1-2(DNL3, 1.2), 1888 Patrologia Latina, hg. v. J.P. MIGNE, Bd. 1-217 ( - 4 Reg.bde), Paris 1844-1864 Publications of the Modern Language Association of America, New York 1884ff. Philologische Studien und Quellen, 1950 ff. W. PREGER, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter, Teil 1-3, 1874-1893 Programm J. QUETIF/J. ECHARD, Scriptores Ordinis Praedicatorum, Bd. 1-2, Paris 1719/1721; 3 Suppl.Bde, 1721-1723 (Nachdr. Turin 1960) Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, 1874-1918, NF 1958 ff. J. QUINT, Neue Handschriftenfunde zur Überlieferung der deutschen Werke Meister Eckharts und seiner Schule (Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke. Untersuchungen, Bd. 1), 1940 = I; ders., Fundbericht zur handschriftlichen Überlieferung der deutschen Werke Meister Eckharts und anderer Mystiktexte (Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke. Untersuchungen, Bd. 2), 1969 = II F.J.E. RABY, A History of Christian-Latin Poetry from the Beginnings to the Close of the Middle Ages, Oxford 21953 F.J.E. RABY, A History of Secular Latin Poetry in the Middle Ages, Bd. 1-2, Oxford 2 1957

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REICHLING, Suppl.

XX RUH, Franzisk. Schrifttum

RUNGE, Sangesweisen

RUPPRICH, LG

RYCHNER, Fabliaux

SA SB

SCHMID, Cod.408

SCHNEIDER, Heldensage

SCHNEIDER, München II

SCHNEIDER, München III

SCHNEIDER, Nürnberg

SCHNEYER, Rep.

Abkürzungsverzeichnis K. RUH, Franziskanisches Schrifttum im deutschen Mittelalter, Bd. 1: Texte (MTU 11), 1965 P. RUNGE, Die Sangesweisen der Colmarer Handschrift und die Liederhandschrift Donaueschingen, 1896 (Nachdr. 1965) H. RUPPRICH, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock, Teil l: Das ausgehende Mittelalter, Humanismus und Renaissance 1370-1520 (Gesch. d. dt. Lit. v. d. Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. H. DE BOOR u. R. NEWALD, Bd. 4,1), 1970 J. RYCHNER, Contribution a l'etude des fabliaux: variantes, remaniements, degradations, Bd. 1-2, Genf 1960 Sonderabdruck Sitzungsberichte, Staatsbibliothek U. SCHMID, Codex Karlsruhe 408(BibliothecaGermanica 16), 1974 H. SCHNEIDER, Germanische Heldensage (Grundriß d. germ. Philologie 10), Bd. l 1928, 2 1962, Bd. 2, 1.2 1933/1934 K. SCHNEIDER, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 201-350 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis, Tomus 5 Editio altera, Pars II), 1970 K. SCHNEIDER, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 351-500 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis, Tomus 5 Editio altera, Pars III), 1973 K. SCHNEIDER, Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg, Bd. l: Die deutschen mittelalterlichen Handschriften, Beschreibung des Buchschmucks V. H. ZlRNBAUER, 1965 J.B. SCHNEYER, Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters. Für die Zeit von 1150-1350, Bd. 1-5 (Beitr. z.

Schr.(n) schwäb. SCHWIETERING, LG

Slg.

Spec.

SS

STAMMLERNachlaß (+ Nr.)

STAMMLER, Prosa

StB STEGMÜLLER, Rep.

*-stg. STEINMEYER, Sprachdenkm. StLV StN

'Str(r). "-str. Stud. Stud.Mitt.OSB

Sudhoffs Arch.

SZÖVERFFY, Hymnendicht.

SZÖVERFFY, Weltl.Dicht,

Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs 43) ,1969-1974 Schrift(en) schwäbisch J. SCHWIETERING, Die deutsche Dichtung des Mittelalters, o. J. (1941) Sammlung Speculum, Journal of Medieval Studies, Cambridge (Mass.) 1926 ff. Scriptores Nachlaß von Prof. Dr. Wolfgang STAMMLER, aufgestellt in der Forschungsstelle für deutsche Prosa des Mittelalters am Institut für deutsche Philologie der Universität Würzburg W. STAMMLER, Mittelalterliche Prosa in deutscher Sprache, in: DPhiA II, ^1960, Sp. 749-1102 Stadtbibliothek F. STEGMÜLLER, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1-5, Madrid 1940-1955 -stimmig (z.B. 3 stg. = dreistimmig) E. v. STEINMEYER (Hg.), Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, 1916 Bibliothek des Stuttgarter Litterarischen Vereins, 1842 ff. Studia Neophilologica, Uppsala 1928 ff. Strophe(n) (z.B. Str. 1-4, aber: in den Strr. 5, 7) -strophig (z.B. 3 str. = dreistrophig) Studien Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, 1880 ff. Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin (ab Bd. 27: und der Naturwissenschaften; Bd. 1-20: Archiv für Geschichte der Medizin), 1908ff. J. SZÖVERFFY, Die Annalen der lateinischen Hymnendichtung, Bd. 1-2 (Die lyrische Dichtung d. MAs), 1964/1965 J. SZÖVERFFY, Weltliche Dichtungen des lateinischen Mittelalters, Bd. l: Von den Anfängen bis zum Ende der Karolingerzeit (Die lyrische Dichtung d. MAs), 1970

Abkürzungsverzeichnis TERVOOREN, Bibliogr.

THOMSEN, Palästina-Lit.

THORNDIKE/KIBRE, Inc.

TNTL

TOBLER, Bibliogr. geogr. Palaest.

TspMA TUBACH, Ind.ex.

UB Überl. Übers. übers. übertr. ÜBERWEG/GEYER, Philosophie

*u.d.T. UMLAND, Volkslieder

*Univ. Unters. *urk. Urkb.

H. TERVOOREN, Bibliographie zum Minnesang und zu den Dichtern aus Minnesangs Frühling (Bibliographien z. dt. Lit. d. MAs3), 1969 P. THOMSEN, Die PalästinaLiteratur. Eine internationale Bibliographie in systematischer Ordnung ... Bd. 1-7, 19111972 (= Bibliogr. 1895-1945); Bd. A, 1960 (= Ergänzungsband für die Jahre 1878-1894) L. THORNDIKE/P. KIBRE, A Catalogue of Incipits of Medieval Scientific Writings in Latin (The Medieval Academy of America, Publ. 29), London 1963 Tijdschrift voor nederlandsche taal en letterkunde, Leiden 1881 ff. T. TOBLER, Bibliographia geographica Palaestinae. Zunächst kritische Übersicht gedruckter und ungedruckter Beschreibungen der Reisen ins Heilige Land,1867 Texte des späten Mittelalters, 1956 ff. F.C. TUBACH, Index exemplorum, A Handbook of Medieval Religious Tales (FFC 204), Helsinki 1969 Universitätsbibliothek Überlieferung Übersetzung übersetzt übertragen B. GEYER (Hg.), Die patristische und scholastische Philosophie, in: F. ÜBERWEG, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Teil 2, H1928 (Neudr. 1961) unter dem Titel L. UHLAND, Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, Bd. 1—2, Stuttgart-Tübingen 1844/1845 (nach Nummern zitiert) Universität Untersuchungen urkundlich Urkundenbuch Vers, Verse (z.B. v. 17-20, aber: in den vv. 22-29)

Var.(n) Ver. Verf. Verh. Veröff. VETTER, Lehrhafte Lit.

VIZKELETY, Altdt.Hss.

Vjbll. Vjs. Vk. 'VL

VMKVA

VOLLMER,

Materialien

Vorauer Hs.Faks.

Vortr(r). '• 2 WAAG, Dt.Ged.

WAAG/SCHRÖDER, Dt.Ged.

WACKERNAGEL, Altdt.Pred.

XXI Variante(n) Verein Verfasser Verhandlungen Veröffentlichungen F. VETTER (Hg.), Lehrhafte Litteratur des 14. und 15. Jahrhunderts, Teil 1: Weltliches (DNL 12,1), Teil 2: Geistliches (DNL 12,2), 1889 A. VIZKELETY, Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken, Bd. l: SzechenyiNationalbibliothek, 1969; Bd. 2: Budapest, Debrecen, Eger, Esztergom, Györ, Kalocsa, Pannonhalma, Papa, Pecs, Szomlathely, 1973 vom Jahr Vierteljahr(e)sblätter Vierteljahr(e)sschrift Volkskunde Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, hg. v. W. STAMMLER und (ab Bd. 3) K. LANGOSCH, Bd. 1-5, 1 1933-1955 Verslagen en mededelingen der Koninklijke Vlaamsche academic foor taal- en letterkunde, Gent 1887ff. (ab 1972: Verslagen en mededelingen der Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde) H. VOLLMER, Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde, Bd. 1-4, 19121931 (Fortsetzung als ->BdK) K.K. POLHEIM, Die deutschen Gedichte der Vorauer Handschrift (Kodex 276 - II. Teil). Faksimile-Ausgabe des Chorherrenstiftes Vorau, Graz 1958 Vortrag (Vorträge)

A. WAAG (Hg.), Kleinere deutsche Gedichte des XI. und XII. Jahrhunderts (ATB 10), 4890, 2 1916 A. WAAG/W. SCHRÖDER (Hgg.), Kleinere deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts (ATB 71/72), 1972 W. WACKERNAGEL (Hg.), Altdeutsche Predigten und Gebete

XXII

WACKERNAGEL, Bibliogr.

WACKERNAGEL, KL

WACKERNAGEL, Leseb. WALTHER, Bibelübers.

WALTHER, Initia

WALTHER, Prov.

WATTENBACH, Geschichtsquellen

WATTENBACH/ HOLTZMANN, Geschichtsquellen

WATTENBACH/ HOLTZMANN/ SCHMALE, Geschichtsquellen

WATTENBACH/ LEVISON/LÖWE, Geschichtsquellen

WATTENBACH/ SCHMALE, Geschichtsquellen

Abkürzungsverzeichnis aus Handschriften, Basel 1876 (Nachdr. 1964) PH. WACKERNAGEL, Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes im 16. Jahrhundert, 1855 (Nachdr. 1961) PH. WACKERNAGEL, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zum Anfang des XVII. Jahrhunderts, Bd. 1-5, 1864-1877 (Nachdr. 1964) W. WACKERNAGEL, Altdeutsches Lesebuch (Deutsches Lesebuch, Teil 1), Basel 51873 W. WALTHER, Die deutschen Bibelübersetzungen des Mittelalters, 1889-1892 (Nachdr. Nieuwkoop 1966) W. WALTHER, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris latinorum. Alphabetisches Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen, 2 1969 H. WALTHER (Hg.), Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Ordnung, Teil 1-6,19631969 W. WATTENBACH, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Bd. l 71904, Bd.2 6 1894 W. WATTENBACH, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Deutsche Kaiserzeit, hg. v. R. HOLTZMANN, Bd. l, Heft 1-4, 1938-1943; Bd. l,Heft l,31948; Bd. l, Heft 2-4,21948 W. WATTENBACH, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier. Neuausg. besorgt v. F. J. SCHMALE, Teil 1-3, 1967-1971 W. WATTENBACH/W. LEVISON, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, bearb. v. W. LEVISON u. H. LÖWE, Heft 1-5 ( f Beiheft: Rechtsquellen, bearb. v. R. BUCHNER), 19521973 W. WATTENBACH / F.J. SCHMALE, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter.

WdF WELLER, Rep.typ.

WELTER, L'exemplum

Wien, cod. WILHELM, Denkm.

Wiss.(n) WORSTBROCK,

Antikerez.

WPM

WSB

WW WZUG

WZUH

WZUJ

WZUL

Vom Tod Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnums, bearb. v. F. J. SCHMALE, Bd. l, 1976 Wege der Forschung, 1956 ff. E. WELLER, Repertorium typographicum. Die deutsche Literatur im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts (-f Suppl. 1.2) (G.W. PANZERS Annalen der älteren deutschen Litteratur 1500-1526, Teil 3), 1864-1885 J.-T. WELTER, L'exemplum dans la litterature religieuse et didactique du moyen äge (Bibliotheque d'histoire ecclesiastique de France 8), ParisToulouse 1927 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. (+ Nr.) F. WILHELM (Hg.), Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 12. Jahrhunderts. A: Text (German. Bücherei 3), o.J.; B: Kommentar (Münchener Texte 8), 1916 (Nachdr. in e i n e m Bd. 1960) Wissenschaft(en) F.J. WORSTBROCK, Deutsche Antikerezeption 1450-1550. Teil l: Verzeichnis der deutschen Übersetzungen antiker Autoren, mit einer Bibliographie der Übersetzer, 1976 (Würzburger) Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters, 1965 ff. Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Wien 1848 ff. Wirkendes Wort, 1950ff. Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Greifswald. B. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 1951 ff. Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. B. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 1951/1952E Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena/Thüringen, 195l/ 1952 ff. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 1952/1953 ff. Wissenschaftliche Zeitschrift

Abkürzungsverzeichnis

WZUR

YOUNG, DRAMA

z. Z. ZfB

ZfdA

ZfdPh ZfMW

ZfromPh ZfVk

der (ab Jg. 2: Karl-Marx-)Universität Leipzig. B. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 1951 ff. Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. B. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 1951 ff.

ZGO

K. YOUNG, The Drama of the Medieval Church, Bd. 1-2, London 1933 (Nachdr. Oxford 1962)

ZRG

zu, zur, zum (in Titeln) Zeile Zentralblatt für Bibliothekswesen, 1884 ff. Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Wiesbaden 1841 ff. Zeitschrift für deutsche Philologie, 1869 ff. Zeitschrift für Musikwissenschaft, 1918 ff. (ab 1936: -f AfMF) Zeitschrift für romanische Philologie, 1877 ff. Zeitschrift (bis Bd. 38: des Vereins) für Volkskunde, 1891 ff.

*zit. ZKG

ZkTh

ZRG German.Abt.

ZRG Roman.Abt.

ZRG Kanon.Abt.

Zs. ZSchwG

ZSchwKG

XXIII Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, 1850ff. zitiert; nach Ausgaben: nach dieser Ausgabe wird zitiert Zeitschrift für Kirchengeschichte, 1877 ff. Zeitschrift für katholische Theologie, Innsbruck (Wien) 1877 ff. Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Bd. 1-13 (1861-1878) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 1880ff. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, 1880 ff. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung, 1911 ff. Zeitschrift Zeitschrift für Schweizerische Geschichte, Zürich 1921 ff. (ab 1951: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte) Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte, Freiburg/ Schw. 1907 ff.

Hinweise: 1. Die obigen Abkürzungen sind im wesentlichen nur für die Abschnitte 'Überlieferung', 'Ausgaben' und 'Literatur', sowie für Literatur- und Stellenangaben in den übrigen Abschnitten vorgesehen. Im fortlaufenden Text dagegen können verwendet werden a) allgemein übliche Abkürzungen nach Duden, b) die oben angeführten Abkürzungen für Sprachen (z.B. ae.), c) die oben mit Stern (*) versehenen Abkürzungen. Großschreibung am Satzanfang gilt auch für Abkürzungen. 2. Für die Bücher des AT und NT werden die Abkürzungen der Stuttgarter Vulgata-Ausgabe (2 Bde, 1969) benützt: Gn Ex Lv Nm Dt los Idc Rt ISm II Sm III Rg IV Rg IPar

Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Josue Richter Ruth 1. Samuel (1. Könige) 2. Samuel (2. Könige) 3. Könige 4. Könige 1. Chronik (Paralipomenon)

II Par I Esr II Esr Tb Idt Est lob PS Prv Ec Ct Sap Sir

2. Chronik (Paralipomenon) 1. Esdras 2. Esdras (Nehemias) Tobias Judith Esther Job Psalm(en) Sprüche Prediger (Ecclesiastes) Hoheslied Weisheit Sirach (Ecclesiasticus)

XXIV Is ler Lam Bar Ez Dn Os loel Am Abd Ion Mi Na Hab So Agg Za Mal I Mcc II Mcc Mt MC Lc lo

Abkürzungsverzeichnis Isaias Jeremias Klagelieder Baruch Ezechiel Daniel Osee Joel Amos Abdias Jonas Michäas Nahum Habakuk Sophonias Aggäus Zacharias Malachias 1. Makkabäer 2. Makkabäer Matthäus-Evangelium Markus-Evangelium Lukas-Evangelium Johannes-Evangelium

Act Rm I Cor II Cor Gal Eph Phil Col I Th II Th I Tim II Tim Tit Phlm Hbr lac I Pt II Pt I Io II Io III Io lud Apo

Apostelgeschichte Römerbrief 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief Galaterbrief Epheserbrief Philipperbrief Kolosserbrief 1. Thessalonicherbrief 2. Thessalonicherbrief 1. Timotheusbrief 2. Timotheusbrief Titusbrief Philemonbrief Hebräerbrief Jakobusbrief 1. Petrusbrief 2. Petrusbrief 1. Johannesbrief 2. Johannesbrief 3. Johannesbrief Judasbrief Geheime Offenbarung (Apokalypse)

3. Für antike und mlat. Autoren und Werke gelten außer dem vorhergehenden das Abkürzungsverzeichnis des 'Thesaurus linguae latinae' und die 'Abkürzungs- und Quellenverzeichnisse' zum Mittellateinischen Wörterbuch, hg. v. d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1959. 4. Ordensbezeichnungen werden nach LThK, l.Bd., S. 12*-15* abgekürzt.

A sous ortus cardine' (deutsch) Der lat. Hymnus für Weihnachten, Teil des Abecedarius auf das Leben Christi des aus Italien stammenden Dichters Sedulius (Mitte des 5. Jh.s), ist überliefert in Collectarien seit dem 8. Jh., in frank. Hymnaren seit dem 9. Jh. mit den Strr. A-G und hinzugedichteter Doxologie-Str. Älteste Quelle der im MA sehr beliebten Melodie ist das Hymnar von Kempten (Zürich, Zentralbibl., ms. Rh. 83) um 1000 in Buchstabennotation (STÄBLEIN, Mel. 53/5). A u s g a b e n und L i t e r a t u r . Anal. hymn. 50, Nr. 53; CHEVALIER Nr. 21; U. SESINI, Poesia e musica nella latinita cristiana, Torino 1949, S. 118-121; W.BuLST, Hymni Latini antiquissimi LXXV, psalmi III, 1956, S. 12,71-73; B. STÄBLEIN, Monumenta monodica medii aevi, Bd.I, Hymnen (I), 1956, Nr. 53/1-8; SZÖVERFFY, Hymnendicht. I 98-101.

5. V err von der sunne ufegang von Heinrich —>· Laufenberg (1. H. 15.Jh.), hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 756. 6. Von dem angell der sun auffgang, Prosa mit Noten, in Wien, cod. 3079, 170r bis 172r, geschrieben 1477 (vgl. -> 'Hymnare u. Hymnenauslegungen in deutscher Sprache'). 7. Wir sollen mit gesang loben den gesalboten fursten (Zeile l und 2 unübersetzt), in der 'Auslegung der Hymnen' (Ende 15. Jh., vgl. ->·'Hymnare und Hymnenauslegungen in deutscher Sprache'). 8. Vom auf- und nidergang der sunn von P. Tritonius im 'Hymnarius von Sigmundslust' (gedruckt 1524; vgl. —> 'Hymnare u. Hymnenauslegungen in deutscherSprache'), hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1353. Alle diese Übersetzungen außer Nr. 2 und 7 geben je 8 Strr., wobei die 8. Str. (Doxologie) eine freie Übertragung darstellt. Die Mehrzahl von ihnen war wegen ihrer Anlehnung an das Versmaß des lat. Hymnus (jamb. Dimeter) vermutlich zum Singen bestimmt. Die Melodie überliefern 4 von 5 Hss. von Nr. 4, sowie Nr. 6; Nr. 8 fordert durch noch handschriftlich auszufüllende Notenlinien die gesangliche Ausführung.

Ü b e r s e t z u n g e n ins D e u t s c h e : 1. Von sunnen ufrunst anegenge, Interlinearv ersion der Millstätter Psalmen und Hymnen (vgl. -» 'Hymnare und Hymnenauslegungen in deutscher Sprache'), Ende 12. Jh., hg. v. N. TÖRNQVIST, Cod. Pal. Vind. 2682, Bd. 2 (Lunder germanist. Forschungen 7), Lund-Kopenhagen 1937, S.23f. 2. Van der vestene der sunnen upgange, L i t e r a t u r : s. die Ausgaben; ferner BÄUMKER, KL I Prosa 14. Jh., in Wolfenbüttel, Hzg. Aug.- Nr. 34. WALTHER LIPPHARDT Bibl., Aug. 58.4 in 8°, 218V, hg. v. E. ROOTH, Eine westfälische Psalmenübersetzung,Diss. 'Aachener Chronik' Uppsala 1919, S. 164. Ü b e r l i e f e r u n g . (A) Berlin, Ms. Boruss. q. 260, 3. Van des de sunne un up gheit, 14. Jh., in S. 1-24 (Anf. 16.Jh.); (B) Aachen, Stadtarch., Hs. 35, Wolfenbüttel, Hzg. Aug.-Bibl., Heimst. 632, S. 243-66 (von 1702); (C) Aachen, Domarch. XVII 2 85rv, hg. v. G. MILCHSACK, Hymni et se- (abweichende Fassung, reicht bis 1590; 18.Jh.). quentiae, 1886, S.132f.; vgl. R. STEPHAN, A u s g a b e . Aachener Chron., aus einer Hs. d. kgl. ZfdA 87 (1956/57) 150 f. Bibl. in Berlin, mitget. v. H. LOERSCH, Annalen d. hist. 4. Von anegeng der sunne klar vom Ver.s f. d. Niederrhein 17 (1866) 1-20; Varianten aus B: -> Mönch von Salzburg (Ende 14. Jh.), hg. v. E. PAULS, Chronica manuscripta Aquensis, Zs. d. E.V. SPECHTLER, D. geistl. Lieder des Aachener Gesch. ver.s 35 (1913) 152f. Mönchs von Salzburg (QF NF 51), 1972, Nr. Aufzeichnungen eines anonymen Verf.s G 21; WACKERNAGEL, KL II, Nr. 562. über Ereignisse von 770-1482 in dt. Spra-

'Aachener Vita Karls des Großen'

ehe, offensichtlich Ende des 15. Jh.s in einem Zuge verfaßt. Sie konzentrieren sich für die Frühzeit auf die für die Aachener Heiltumsfahrt bedeutungsvollen Akte der dt. Herrscher und finden ihren Schwerpunkt in der Schilderung innerstädtischer Ereignisse des IS.Jh.s. Dabei stehen die Notierung von Lebensmittelpreisen, die Auseinandersetzungen mit dem Adel des Umlandes, ganz besonders aber die Machtkämpfe zwischen Rat und Zünften im Vordergrund. Der Verf. dürfte demnach dem Aachener Bürgertum entstammen. Einiges spricht dafür, daß das Werk im Auftrage des Stadtrates als offiziöse Darstellung der Stadtgeschichte abgefaßt wurde. L i t e r a t u r . E. MEUTHEN, Aachen in d. Geschichtsschreibung (bis 1800), in: Speculum Historiale. Gesch. im Spiegel v. Geschichtsschreibung u. Geschichtsdeutung, hg. v. C. BAUER/L. BOEHM/ M. MÜLLER, 1965, S. 382f.; Rep. font. III 258.

PETER JOHANEK 'Aachener Vita Karls des Großen' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Bis jetzt sind 34, teilweise aber unvollst. Hss. bekannt (MEUTHEN). Für die Erstausg. benutzte RAUSCHEN 12 der damals vorliegenden 14 Hss. Ursprünglicher Titel des Werkes: 'De sanctitate meritorum et gloria miraculorum beati Karoli magni ad honorem et laudem nominis dei'. Die Annahme einer ersten Fassung, die in der Pariser Hs. Ste Genevieve 1991 überliefert sein soll, ist nicht ausreichend begründet. A u s g a b e . G.RAUSCHEN, D. Legende Karls d. Gr. im 11. u. 12. Jh., 1890.

2. Die Vita ist nach Ausweis einer der ältesten Hss. iussu frederici augusti conscripta (RAUSCHEN, Ausg., S. 20 Anm.). Nach den Aussagen des Prologs soll sie Friedrich Barbarossa, der dort als alter Karolus bezeichnet wird, de sanctitate morum et vite beatissimi Karoli magni Sicherheit geben und damit dessen Entschluß zur Kanonisation Karls rechtfertigen. Diese Intention des Autors bestimmt Inhalt und Eigenart des in drei Bücher eingeteilten Werks. In den 18 Kapiteln des 1. Buches werden Karls hervorragende Kenntnisse und Eigenschaften, seine Verdienste um die Kirche und seine Auserwählung durch Gott am Beispiel bestimmter Ereignisse beschrieben.

Das 2. Buch schildert Karls Zug nach Palästina und den Erwerb kostbarer Reliquien; es ist identisch mit der 'Descriptio, qualiter Karolus Magnus clavum et coronam domini a Constantinopoli Aquisgrani detulerit' (RAUSCHEN, S. 103-125), einer Ende des 11. Jh.s in St. Denis zur Beglaubigung von Christus-Reliquien verfaßten Schrift. Das 3. Buch besteht aus 7 dem 'Pseudo-Turpin' entnommenen Kapiteln mit Wundern aus dem Spanienkrieg und 11 weiteren Kapiteln über Wunder Karls, besonders vor und nach seinem Tode sowie anläßlich der Kanonisation. 3. Der Autor kennt und benutzt die wesentlichen historiographischen und legendarischen Karlsquellen seiner Zeit. Aus -> Einhards 'Vita Karoli Magni', den Reichsannalen, dem 'Chronicon' ->Reginos v. Prüm, dem 'Chronicon Anianense', der 'Vita Ludowici' -» Thegans und aus der 'Historia ecclesiastica' des Hugo von Fleury werden die Abschnitte zitiert, die der Zielsetzung des Werkes dienen können. Vom Verf. selbst stammen die Praefationes zu den einzelnen Büchern, die einleitenden und abschließenden Bemerkungen zu den einzelnen Kapiteln sowie eine Reihe von Abschnitten preisender Art (S. 2l24, 3015, 7630, 803, 9228 usw.). Die herrschende Tendenz, die Kanonisation Karls zu legitimieren, und die durch sie bedingte Auswahl und Anordnung des Stoffes und der Motive verleihen der Vita legendarischen Charakter. 4. Die Datierung des Werks ist umstritten und schwankt zwischen 'möglichst nahe an 1165' (MEUTHEN) und einem Ansatz gegen 1180-84 auf Grund eines in einer Hs. des 'Pseudo-Turpin' überlieferten Briefes Graf Balduins V. von Hennegau an Barbarossa (HAEMEL). Der legendarische Charakter des Textes und das Insistieren des Autors auf der Rechtfertigung der Kanonisation Karls sprechen sehr stark dafür, Auftrag und Ausführung des Werkes mit MEUTHEN möglichst nahe an die Zeit der Heiligsprechung heranzurücken. 5. Die Person des Verf.s konnte bisher noch nicht ermittelt werden. Er war zweifellos Kleriker, der Aachen und auch St. Denis kannte. Bestimmten dem Herrschaftsverständnis der Staufer entsprechende Vor-

Abbickh von Hohenstein - 'Abdinghofer Blutsegen'

Stellungen (Karl als ventilator utriusque gladii, S. 3418f') sein Verhältnis zu Papst und Kirche, sein Interesse an Aachen (S.411-4321 ist das aus der Kanonisationsurkunde Barbarossas stammende Karlsprivileg für Aachen eingerückt) macht wahrscheinlich, daß er dem Hofkreis des Kaisers angehörte, und ordnet sein Werk der 'staufischen Hofhistoriographie' zu. Alle Versuche, ihn dort genauer zu identifizieren, z.B. mit —>·Gottfried von Helfenstein, dem kaiserlichen Kanzler zwischen 1172 u. 1186 (BUCHNER, Zs. d. Aachener Gesch.ver.s 47 [1925] 189-192), konnten nicht überzeugen. Im Prolog verweist der Verf. auf eine ebenfalls von ihm stammende Zusammenstellung (S. 182 micrologum) der Taten und Kriege Karls. 6. Der Stil des Autors in den von ihm selbst stammenden Abschnitten der Vita wirkt stark rhetorisch und emphatisch. Das ganze Werk ist durch eine Vielzahl exklamatorischer Partien geprägt, zum ändern durchsetzt mit Bibelzitaten. L i t e r a t u r . D. derzeitige Forschungsstand bei E. MEUTHEN, Aachener Urkunden, 1972, S. 83. - A. HAEMEL, D. Entstehungszeit d. Aachener Vita Karoli Magni u. d. Pseudo-Turpin, Quellen u. Forsch, aus ital. Arch.n 32 (1942) 243-253; R. FOLZ, Le Souvenir et la Legende de Charlemagne dans PEmpire germanique medieval, Paris 1950, S. 214-221.

KARL-ERNST GEITH Aalen (Heinrich v. A.) -* Heinrich von Rang 'Aarons Tod' -»Tetirass Aheron' Abbickh von Hohenstein -»Püterich von Reichertshausen nennt im Rahmen einer Aufzählung von dt. Büchern, die er besitzt ('Ehrenbrief' 106), A. v. H. als Verf. der abenteure des Herzogs Heinrich von der Teiferbruck. Das Werk, das uns verloren ist, scheint auch Ulrich —»Fuetrer bekannt gewesen zu sein. L i t e r a t u r . A.GOETTE, D. Ehrenbrief d. Jakob Piiterich v. Reichertshausen an d. Erzherzogin Mechthild, Diss. Straßburg 1899, bes. S.102f. ; vgl. F.BEHREND/R. WOLKAN (Hgg.), D. Ehrenbrief d. Piiterich v. Reichertshausen, 1920.

B. WACHINGER

'ABC vom Altarssakrament' Die Hss. München, ÜB, 8° cod. ms. 277, 52r-66r (1. H. 15. Jh.) und cgm 215, 122rb-127ra (v.J. 1457) überliefern gar ein schons vnd liplichs a. b. c. von dem heiligen sacrament vnsers herren Jhü xpt leichnam. Ausgehend von Is 8,1 Sume tibi librum grandem und einem Hugo v. St. ViktorZitat bedient sich der Traktat - wie viele Werke dieser im 15. Jh. besonders populären Gattung (vgl. LThK 1365 f. und Diet. Spir. I 352-354 sowie die dort angegebene Literatur) - rein äußerlich des Alphabets zur Darstellung der Geheimnisse des Altarsakraments und damit der Passio Christi. Das Werk ist zu unterscheiden von dem Passions- bzw. Eucharistie-Alphabet, das die Hs. München, cgm 4477, 252r-259v (v.J. 1510) enthält: Hier werden die XXIIII letzten stund Christi mit denn XXllll puochstaben des abc mit jren titelnn oder aus legung verbunden.

VOLKER HONEMANN 'Abdinghofer Blutsegen Ad restringendum sanguinenf Spätahd. Zaubersegen in Prosa, überliefert f. 5V der Hs. M 863 der Pierpont Morgan Library, New York, Ende ll./Anf. 12. Jh., aus dem 1803 säkularisierten Kloster Abdinghof in Paderborn; rhfrk. Die Hs. enthält lr-5v einen lat. Aderlaßtraktat, in den kurz vor Schluß der dt. Segen eingefügt ist. Er gehört zu den 'Longinussegen', in denen die im MA dem Ritter Longinus zugeschriebene Seitenwunde Christi ( 19,34) berufen wird, um eine blutende Wunde zu stillen. Einen lat. Longinussegen mit ahd. Wörtern überliefert die Zürcher Hs.Rh. 51, 23r, 10.Jh. (STEINMEYER, S.379f.), Anklänge enthalten der —> 'Bamberger', der -> 'Straßburger' und der 'Trierer Blutsegen' (-»'Ad catarrum die'). A u s g a b e n u. L i t e r a t u r . C.SELMER, An unpublished old German blood charm, JEGP 51 (1952) 345 bis 354 (Erstveröff.); MILLER, Charms, S. llOf., 115. Zu den Longinussegen: STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 378-380; F. OHRT, D. ältesten Segen über Christi Taufe u. Christi Tod, Kopenhagen 1938, S.45-72; I. HAMPP, Beschwörung, Segen, Gebet, 1961, S. 201 bis 21li

HANS-HUGO STEINHOFF

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'Abecedarium Nordmannicurn'

'Abecedarien' -*'Rechtsabecedarien' 'Abecedarium Nordmannicum' Runenmerkverse in as.-ahd.-anord. Mischsprache, I.Hälfte 9.Jh. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Sammelhs. 878 der Stiftsbibl. St. Gallen 9. Jh.s (seit 1798 aus dem ehem. Besitz des Humanisten Aegidius Tschudi, mit Seitenzählung), durch B. BISCHOFF 1950 als Vademecum des Reichenauer Abtes -> Walahfrid Strabo (808/09-849) erkannt, das ihn über Jahrzehnte begleitet hat und verschiedene Exzerpte und Abschriften (zu Trivium, Zeitrechnung, Geschichte, Medizin) enthält. S. 320/321 notierte er mehrere Alphabete, ein hebräisches, ein griechisches und ein ae. Fuporc unter dem Titel Anguliscum (auf 42 Zeichen erweitert), danach auf dem ganzen unteren Drittel von S. 32124ff. das ABECEDARIUM NORD[MANNICUM] ('A.N.') mit 16 Runenzeichen, denen kurze Merkverse mit den entsprechenden Runennamen folgen. Der vom St. Galler Bibliothekar I. VON ARX 1828 mit Reagenzien behandelte Text ist nur noch teilweise lesbar. Die Rekonstruktion bleibt für einzelne Stellen umstritten. Die Aufzeichnung ist entweder Walahfrids Fuldaer Ausbildungszeit 826-829 bei -»Hrabanus Maurus oder seinem Aufenthalt am Hofe Ludwigs des Frommen seit 829 zuzuweisen. Die Hs. enthält auch einige ahd. Rezeptglossen von Walahfrids Hand (Ahd. Gll. IV 455). 2. A u s g a b e n . Faksimile bei W. GRIMM, Über dt. Runen, Göttingen 1821, Taf. II; H. HATTEMER, Denkmahle d. MAs 1,1844, Taf. I. - MSD Nr. V (hier Bd. II 55-57 Angaben über alt. Editionen); GALLEE, Sprachdenkm., S. 263-266 (dazu GALLEE, Facsimile-Sammlung, 1895, XII, a-b); E. WADSTEIN, Kleinere äs. Sprachdenkm., 1899, S. 20 u. 619ff.; G. BAESECKE, Das 'A.N.' (mit den Runen im Text, nach der Hs.); G. Eis, Altdt. Hss., 1949, Nr. 9 (mit Photographic).

3. E i n o r d n u n g . Das vieldiskutierte Denkmal ist das älteste von vier erhaltenen Runengedichten ('A.N.' 9. Jh., ae. Runengedicht 10.Jh., anorweg. Runengedicht Ende 13.Jh., isl. Runengedicht 15.Jh.) und erklärt in 11 stabenden Kurzversen die 16 Runenzeichen der jüngeren nordischen Runenreihe in der üblichen Reihenfolge, mit hsl. Anordnung in drei Zeilen, die offenbar den 'Geschlechtern' (anord. cettir) entsprechen. Die Verse enthalten als Schriftstufe je das (oder die) Runenzeichen, auf der Begriffsstufe gefolgt von den Runennamen, denen teilweise stabende Erweiterungen beigegeben sind, wobei auch die Runennamen selbst als Paare Stäben. Die sprachliche

Gestaltung enthält Merkpunkte für die richtige Reihenfolge (z.B. der Anfang feu forman I ur after l thuris thritten stabu 'die f-Rune bzw. Viehbesitz zuerst ...' usw.), Gelenke für die paar- oder gruppenweise Anordnung der Runennamen sowie gedächtnisstützende Formeln. Neben rein anord. Sprachformen (z.B. ar 'Jahr') stehen äs. (fehu 'Vieh') und dem Ahd. angeglichene Mischformen und weisen auf eine teilweise umgestaltende Übernahme aus dem Norden (Dänemark). Das 'A.N.' vermittelt in der vorliegenden Form eine mnemotechnisch ausgestaltete Runenreihe und ist deshalb als 'Alphabet der Nordleute (Wikinger)' bezeichnet. Die Frage, was runologisch darunterliegen mag, hat zu weitreichenden Spekulationen (BAESECKE, SCHNEIDER, VON DER LEYEN) geführt. Nach DEROLEZ 1959 ist der entscheidende Anteil des Hrabanus Maurus an den runologischen Kenntnissen, wie sie das 'A.N.' und weitere Runica Manuscripta sowie die Hraban seit dem 17. Jh. zugeordnete Schrift 'De inventione litterarum' zeigen, keineswegs gesichert. Das 'A.N.' steht für eine bereits wissenschaftlich-antiquarische Beschäftigung des 9. Jh.s mit den Runen, wobei nach Form und Inhalt eine ältere magisch-kultische Schicht des Runenzaubers hineinragt. L i t e r a t u r . 1. Hs.: Ahd. Gll. IV 455; B. BISCHOFF, Eine Sammelhs. Walahfrid Strabos, Fg. Georg Leyh (ZfB, Beih. 75), 1950, S. 30-48 (bzw. Mal. Stud. 2, 1947, S. 34-51); R. DEROLEZ, Runica Manuscripta, The English Tradition (Rijksuniv. te Gent, Werken ... Faculteit van de Wijsbegeerte en Letteren 118), 1954, S. 73-83; BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. der Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 112. -2. Einordnung: Ältere Lit. MSD II 55-57. R. M. MEYER, Runenstud. II, Die agerm. Runenged., PBB 32 (1907) 67-84; F. VON DER LEYEN, Über d. germ. Runenreihe u. ihre Namen, ZfVk NF 2 (1930) 170-182; H. ARNTZ, Handbuch d. Runenkunde, 1935, S. 103-106, 125; 21944, S. 168 u. ö.; G. BAESECKE, Das 'A.N.', Runenberichte I, 1941, S. 76-90 (Kl. Sehr. z. ahd. Spr. u. Lit., 1966, S. 237-248); K. SCHNEIDER, D. germ. Runennamen, 1956, S. 20 u. ö.: DEROLEZ, D. 'hrabanischen' Runen, ZfdPh 78 (1959) 1-19; VON DER LEYEN, 'A.N.', Fg. L. L. Hammerich, 1962, S. 153-160; K. DÜWEL, Runenkunde, 1968, S. 104f.; W. JUNGANDREAS, D. Namen d. Runen, Onoma 18 (1974) 365 bis 390 (mit weit, runologischer Lit.).

STEFAN SONDEREGGER

'Abendvesper' - 'Abor und das Meerweib'

'Abendvesper' Lat.-mhd. parodistischer Text in Reimen, das Liebesleben einer lieben schbester betreffend. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . München, cgm 5919, f. 310-311, v. J. 1510, danach gedr. bei KELLER, Erz. S. 390-392 (77 vv., zit.); Kuppitsch's Hs. C (verschollen), 17'-?, um 1450, beschrieben: AnzfKdVz 8 (1839) 211 mit Abdr. der ersten vier Verse, welche-zusammen mit der Nennung des Bruders Eberhart (s. u.) die Zusammengehörigkeit dieser Hs. mit cgm 5919 beweisen; —> Tichards Liederbuch' (ohne Bl.ang.), M. 15. Jh., gedr.: Frankfurtisches Arch. f. ältere dt. Litt. u. Gesch., hg. v. J. C. v. FICHARD, gen. BAUR v. EYSENECK, 3. Theil,Frankfurt a. M. 1815, S. 203 f. (44 vv., z.T. recht abweichend von den anderen Hss.).

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wieder aufgefunden und trägt jetzt die Signatur: Ny kgl. Saml. 4843, 4°. Meine Vermutung, der vindare wilder meere sei ein Fälscher des 19.Jh.s gewesen, ist damit gegenstandslos (ZfdA 101 [1972] 228). Was an Anleihen und krausen Erfindungen einem humorvollen Germanisten zugetraut wurde (wie z.B. W. WACKF.RNAGEL mit seinem 'Waltram'), fällt nun wieder auf den alten Verfasser. A u s g a b e n . J.GRIMM, ZfdA 5 (1845) 6-10 (Kl. Sehr. VII169-173); H. MEYER-BENFEY, Mhd. Übungsstücke, '1909, S. 188-191, 21920, S. 180-183 (alle berichtigungsbedürftig).

2. I n h a l t . Erhalten sind 136 Verse (einschließlich einer sechszeiligen gereimten Aventüren-Überschrift). Ritter Abor ist nach schwerem Kampf in einer Felsenhöhle (Drachenkampf?) drei Tage durch einen Eine Nonne empfängt nächtens in ihrem nortwald geirrt. Ein merwip rindet ihn petlein den prüder eberhart. In der Fasten- schlafend bei einem Jungbrunnen, in dem zeit verkehrt prüder ott bei ihr. Auf seine sie sich baden will, bringt ihn auf ihr rücksichtsvolle Frage wel wir rasten ant- Schloß (!), pflegt ihn und läßt ihn ihreMinne wortet sie mit einem aufmunternden non genießen. Durch eine wurczen, die sie mit cessare. Und als die muntere Nonne sich Hilfe eines vederbogen fliegend von einem schließlich ihrem Beichvater anvertraut, unzugänglichen Berg geholt hat, lernt er die fordert dieser sie auf las dir nit lait sein und Sprache aller Tiere verstehen. Da der Ehetritt selbst in die Fußstapfen seiner Vorgän- mann der Meerfrau (von der Stadt Omlatin] ger, nicht ohne sein Verhalten mit spitz- heimkommt (!), muß Abor nach 6 Wochen findigen Argumenten zu rechtfertigen. - und 2 Tagen aufbrechen. Er wird mit einem In FICHARDS Text tritt als einziger Lieb- unverwundbar machenden badegewant, haber ein bruder Conradt auf (möglicher- Bogen und Köcher beschenkt, mit denen er weise aufgrund einer Assoziation mit dem Angriffe des wilden vogel abwehren und Lied -»'Bruder Konrad'). Der Rat des einen Gesellen vnd ouch die kvnegin erlösen Beichtvaters ist ähnlich, sein Rechtferti- kann. 3. B u c h g e s c h i c h t e . Das Alter des Wergungsversuch fehlt jedoch. Der Ablauf des Geschehens orientiert sich kes ist durch die Hs. auf 'vor etwa 1350' an den kirchlichen Tagzeiten, z.B. none, begrenzt; SCHRÖDER will nicht weiter als auf laudes, mete. Lat. Formeln aus der Liturgie 'frühestens um 1300' zurückgehen, doch (Messe, Karfreitag, Glaubensbekenntnis) gibt es dafür keinen festen Anhalt. Autor werden in den Liebesdialog einbezogen und und Schreiber zeigen unterschiedliche damit parodiert. Auch die Verwendung Mundart: der erste md. (SCHRÖDER: Thürhetorischer Figuren (Anaphern, Parallelis- ringen oder Ostfranken, etwa Bamberg?), men) bezeugen einen nicht ungeschickten der zweite einige bair. Merkmale (SCHRÖAutor, obwohl die überlieferten Texte DER: Oberpfalz? Deutschböhmen?). Es wäre zu versuchen, der Schreibwerkstatt offensichtlich verderbt sind. KURT ILLING auf die Spur zu kommen. 4 . V e r f a s s e r . Der Verf. ist ein Fabulierer, der eine Fülle volkstümlicher Erzählmotive, 'Abor und das Meerweib' vorwiegend wohl aus mündlicher Überliefe1. Ü b e r l i e f e r u n g . Das Fragment eines höfischen rung, unbekümmert aneinanderreihte, um Abenteuerromans druckte J. GRIMM ab als 'aus einem Überraschung und Spannung zu erzielen. zerschnittenen pergamentblatt auf der bibliothek zu Ein tieferer Gehalt ist nicht erkennbar. Kopenhagen abgeschrieben' (bei seiner Nordlandreise Die Verse laufen ohne Kunst mit Reminis1844). Das seitdem verschollene Blatt wurde auf Nachzenzen, Wortgruppen, Floskeln und billigen frage 1974 durch Dr. Tue Gad im Nachlaß H. O. Lange

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Abraham von Memmingen - 'Abrogans deutsch'

Reimen dahin. Der Wortschatz läßt Bekanntschaft mit Heldendichtung und Minnesang vermuten; auch der 'Wigalois' —»Wirnts von Grafenberg und —»'Wolfdietrich' (s.u.) könnten bekannt gewesen sein. Man möchte in dem Verf. einen geschulten Schreiber sehen, der nach mancherlei Abschreiben den Mut oder den Auftrag bekam, selbst etwas zu produzieren. Es wurde Unterhaltungsdichtung für ein ritterliches Publikum. Wichtig sind die frühen Belege für volkserzählerische Motive. L i t e r a t u r . K.BARTSCH, . u. d. M.', Germania 5 (1860) 105-108 (unannehmbare Konjekturen und Folgerungen) ; H. SCHNEIDER, Die Ged. u. d. Sage v. Wolfdietrich, 1913, S.30f., 68, 323. (Meerweib Sigeminne im Wolfdietrich aus gemeinsamer Quelle ?); R. ZENKER, Forsch, z. Atusepik. 1. Yvainstudien, 1921, S.70-77, 83 (irischer Ursprung der Meerweibepisode?); E.SCHRÖDER, . u. d. M.', GGA (1925) 161-165.

LUDWIG DENECKE 'Abrahams Kindheit' ->· 'Awroham owinu' 'Abraham und Maria' -»Hrotsvith von Gandersheim Abraham von Memmingen wurde lange Zeit als Verf. des sog. -» 'Feuerwerkbuches von 1420' bezeichnet, eine Auffassung, die nicht nur nirgendwo belegbar, sondern auch wegen der komplexen Struktur dieses Sammelwerkes der Kriegstechnik von ca. 1350-1420 äußerst unwahrscheinlich ist. So wenig beweisbar wie die Urheberschaft am 'Feuerwerkbuch' ist auch die Herkunft A.s aus Memmingen. Der einzige Hinweis aus der fraglichen Zeit (I.Viertel d. 15.Jh.s) auf einen Meister Abraham findet sich in einer doppelt gesiegelten Urkunde im Statthaltereiarchiv von Innsbruck unter U 4632 mit folgendem Inhalt: 422 August 24. Insbruck. Meister Abraham, Büchsenmeister, bekennt, daß ihm Herzog Friedrich IV. von Oesterreich gegen 200 Ducaten Sold für Kost, Futter und alles andere in seine Dienste aufgenommen habe, und verspricht mit seiner Kunst getreulich zu dienen, insbesondere belagerte Häuser und Schlösser zu verbrennen. Der Herzog solle ihm aber zu seiner Kunst und Arbeit allen nöthigen Zeug liefern. An Sand

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Batholomeustag.' Unter den Zeugen ist auch ein gewisser Christoff puchsenmeister aufgeführt. A. soll für Herzog Friedrich ein Feuerwerksbuch verfaßt haben, das aber ebenfalls noch nicht als mit einem aus dieser Zeit bereits vorhandenen identifiziert werden konnte. L i t e r a t u r . M.JÄHNS, Gesch. d. Kriegswiss., 1889, S. 393; F. M. FELDHAUS, Dt. Erfinder, 1908, S. 38; ders., Ruhmesblätter d. Technik, 1910, S. 95; ders., D. Technik d. Antike u. d. MAs, 1931, S.362; ders., Verfaßte A. v. M. das Feuerwerksbuch?, Zs. f. hist. Waffenkunde 5 (1909/11) 27; C. MATSCHOSS, Große Ingenieure, 1937, S.37; W. HASSENSTEIN, D. Feuerwerkbuch von 1420, Neudr. d. Erstdruckes aus d. J. 1529 mit Übertr. ins Hd. u. Erläuterungen, 1941, S. 79.

VOLKER SCHMIDTCHEN 'Abrogans deutsch' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Paris, Bibl. Nat., cod. lat. 7640, 124r-132v (Pa); Vollfaksimile bei BAESECKE, 1926, S. 1-20. - St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 911, S. 4 bis 289 (K); Faksimile der Seiten 4, 5, 18, 44, 56, 74, 88, 117,152,212,263 u. 300 bei BAESECKE, 1926, S. 21-23; S. 120 bei BAESECKE, 1930, Tafel 10; S. 229 bei S. SONDEREGGER, Ahd. in St. Gallen, St. Gallen 1970, Abb. 19. - Karlsruhe, LB, cod. Aug. CXI, 76r-90r (Ra); Faksimile von 76r u. 90r bei BAESECKE, 1926, S. 24f.; 84r bei LÄNGIN, S. 687. Pa ist interlinear, von mehreren Schreibern in einheitlicher, für Glossen ungewöhnlich prächtiger Reinschrift geschrieben. Sie bricht mit dem Buchstaben I ab; die zweite Hälfte dieses Glossars ist - vermutlich im 17. Jh. - verloren gegangen (G. BAESECKE, Über d. verschollene Hälfte von Pa. In: Fg. P. Strauch, 1932, S. 48-52). Die in den Anfang des 9. Jh.s zu datierende Hs. ist entgegen BAESECKE nicht in Murbach entstanden, sondern sehr wahrscheinlich dem Regensburger Kreis um Bischof Baturich zuzuordnen (B.BISCHOFF, S. 120ff.). - In K (früher fälschlich als 'Keronisches Glossar' bezeichnet) sind die ahd. Interpretamente hinter die lat. Lemmata gestellt. Die noch dem Ende des 8. Jh.s zuzurechnende Hs. ist von mehreren Schreibern in einer wenig sorgfältigen Schrift geschrieben. Sie ist nicht in St. Gallen entstanden (LÖFFLER, S. 44 f.); über die Zugehörigkeit zur südwestdt. Schreibprovinz hinaus ist keine präzisere Eingrenzung möglich. Ebenfalls oberrheinisch, aber nicht auf der Reichenau geschrieben (PRESENDANZ bei BAESECKE, 1930, S. 17), is: die aus dem frühen 9. Jh. stammende Hs. Ra. Die ahd. Glossierung ist hier gleichfalls eingereiht; die Schrift ist einheitlich und wirkt, verglichen mit Hss. des Reichenauer Skriptoriums, wie 'ungepflegter Wildwuchs' (BISCHOFF, S. 119f.). - Nicht zur Hauptüberl. zu rechnen sind die Freher-Petau'schen Bruchstücke

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'Abrogans deutsch'

(Ahd. Gil. IV 681; BAESECKE, 1930, S. 6) und die in der größtenteils reskribierten Hs. XXIII E 54 der ÜB Prag (früher: cod. 434, Fürstl. Lobkowitzsche Bibl., Prag) auf 22'~ 7 überlieferten, nur vereinzelt lesbaren Glossenfrgm.e (Ahd. GH. IV 604; Faksimile von IT, 23r, 33r, 46r, 47' bei BAESECKE, 1926, S. 36-38). 2. A u s g a b e n . GRAFF, Diutiska I 122-279 (Pa u. Ra); H. HATTEMER, Denkmahle d. MAs I, St. Gallen 1844, S. 139-218 (K); Ahd. GH. I 1-270 (dazu Berichtigungen: Ahd. Gll. V 87-89; SPLETT, Leuv. Bijdr. 64 [1975] 23^2); Text u. Rekonstruktion d. Archetypus f. d. Anfangsteil: G. BAESECKE, D. dt. Text *ab] (ATB 30), 1931. Eine Neuedition einschließlich der -> 'Samanunga worto' ist in Vorbereitung.

3. V o r l a g e . Der dt. Abrogans ('A.') ist die Übers, eines alphabetisch geordneten Synonymenwörterbuchs, des lat. Dieses lat. Glossar, das ohne ahd. Glossierung nur in einem textkritisch belanglosen Frgm. im cod. Aug. CCXLVIII, 40r-59r, der LB Karlsruhe (Probeabdruck bei BRANS, S. 96 bis 100) überliefert ist, ist nicht direkt aus glossierten Texten (Terenz bis Aldhelm), sondern aus spätantiken und frühmal. Glossaren zusammengestellt worden. Besonders ausgeprägt sind die Beziehungen zum 'Abba-Glossar' (CGL IV 199-298; Glossaria Latina V 7-143), dem 'Abavus minor' (CGL IV 301-403), dem 'AffatimGlossar' (CGL IV471-581) und dem zweiten Erfurter Glossar (CGL V 269-337), ohne daß sich die Entlehnungsrichtung im Einzelfall eindeutig bestimmen ließe. Der bisher ungedruckte 'Abavus maior' (Exzerpte im CGL IV 589-599; V 625-632) hat dagegen aus dem .' geschöpft, allerdings aus einer weniger verderbten Version als der uns überlieferten. Am Ende jeder Buchstabenreihe sind die Erklärungen zu biblischen Namen eingeschoben, die den Instructiones des Eucherius entnommen sind (STALZER, S. 83-86). 4. E n t s t e h u n g s z e i t u. -ort. Nach BAESECKE, 1930, ist der lat.'A.'ausder Lombardei nach Bayern gekommen und um 765 unter Aufsicht, möglicherweise unter Mitarbeit Bischof —»Arbeos von Freising verdeutscht worden. BAESECKE stützt sich dabei auf einen Vergleich von Orthographie und Lautstand mit den in Freisinger Urkunden bezeugten dt. Eigennamen. Da er aufgrund der Überlieferungslage Rekonstruiertes mit Rekonstruiertem vergleichen

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muß - der .' liegt ja nur in den genannten drei Abschriften vor und die betreffenden Urkunden sind nur in Kopien des Mönches Cozroh aus den 20er Jahren des 9. Jh.s erhalten—, sind seine Schlußfolgerungen mehr Hypothesen als gesicherte Ergebnisse. Ähnliches gilt für die Gegenthese von KRALIK, der den .' mit Virgil von Salzburg und der ags. Mission in Verbindung bringt. Daß eher ags. als langobardischer Einfluß in Frage kommt, hat WISSMANN, 1963, zu Recht betont. Als gesichert kann immerhin gelten, daß der dt. .' etwa Mitte des 8. Jh.s im obd. Sprachgebiet abgefaßt worden ist. Überlieferungslage - K und Ra gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück, die wiederum zusammen mit Pa den Archetypus konstituiert - und fehlender Kontext lassen eine wohlfundierte Rekonstruktion des O riginals nicht zu, zumal Ra bereits eine stark kürzende und verbessernde Überarbeitung darstellt. Der uneinheitliche Dialekt der Hss. -Pa ist bair. mit alem. Einflüssen, K in seinem ersten, sprachlich altertümlicheren Teil (Ka) alem., in seinem zweiten (Kb) alem. mit frk. Besonderheiten, Ra alem. mit bair. Spuren (KÖGEL, 1879 u. LG, S. 426-433; BAESECKE, 1931) - verhindert ebenfalls sichere Rückschlüsse auf ein bestimmtes Skriptorium. 5. Z w e c k b e s t i m m u n g . Der .' - sowohl mit als auch ohne ahd. Glossierung dürfte ursprünglich als 'Stilwörterbuch' verwendet worden sein, als Hilfsmittel zum Erlernen ausgefallener lat. Wörter. Die kürzende Überarbeitung in Ra und vor allem die alphabetische Einordnung der lat. Interpretamente in den —>· 'Samanunga worto' lassen wohl auf eine veränderte Zweckbestimmung in Richtung auf ein lat.ahd. Wörterbuch schließen. 6. Ü b e r s e t z u n g s s t i l und Wortschatz. Die Übers, ist sehr fehlerhaft, was hinsichtlich der besonderen Schwierigkeiten - es sind nicht nur die lat. Lemmata, die schon den Lateinern erklärungsbedürftig waren, sondern auch die lat. Interpretamente glossiert - nicht verwundert. Wieviel zudem der Überl., wieviel der schon verderbten lat. Vorlage anzulasten ist, läßt sich nicht genau abschätzen. Die Beibehaltung der innerhalb einer lat. Glossengruppe vor-

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'Absage an die falsche Welt'

handenen Synonymik ist vom ahd. Glossator bzw. von den ahd. Glossatoren - eine Entscheidung ist nicht möglich - bei der Übertragung nicht eigens intendiert worden. Der Glossenzusammenhang ist nur bei unverstandenen lat. Wörtern herangezogen worden, um diesen dennoch eine 'Übersetzung' zuordnen zu können. Ausschließlich der Namen und der nicht-ahd. Glossen überliefern die .'-Hss. rund 3670 ahd. Wörter in über 14600 Belegen. Vgl. den vollständigen ahd.-lat.-nhd. Wortindex bei SPLETT, S. 413-549. Knapp 700 ahd. Wörter (SCHENK, S. 13-39) sind nur hier bezeugt. 7. L i t e r a t u r . Bibliographie bis 1930 bei BAESECKE, 1930, S. 161-163; L. FÜGLISTALLER (1768-1840), [Kommentierte Kopie von K] Kantonsbibl. Aarau, Sign. Ms. Bibl. Mur. 50 (forschungsgeschichtl. von Interesse; s.E. STUDER, LeonzFüglistaller, Diss. Freiburg/Schweiz 1952, S. 227-250); R. KÖGEL, Über d. Keronische Glossar ('K.G.'), 1879; ders., Z. d. Murbacher Denkm. u. z. 'K.G.', PBB 9 (1884) 301-360;ders., LG 12,S. 426^37; F.KAUFFMANN, D. 'K. G.' ZfdPh 32 (1900) 145-173; J. STALZER, Z. d. hrabanisch-keronischen Glossen, in: , Grazer Fg. z. 50. Versamml. dt. Philologen u. Schulmänner, Graz 1909, S. 80-90; O. SCHENCK, Z. Wortschatz d. 'K.G.s', Diss. Heidelberg 1912; R. BRANS, D. Reichenauer Glossar Rf, Straßburg 1914, S. 92-119; T. LÄNGIN, Altalem. Sprachquellen aus d. Reichenau, in: K. BEYERLE (Hg.), Kultur d. Abtei Reichenau, 1925, S. 684-699; G. BAESECKE, Lichtdrucke nach ahd. Hss., 1926; K. LÖFFLER, D. St. Galler Schreibschule in d. 2. H. d. 8. Jh.s, Palaeographia Latina 6 (1929) 5-66; BAESECKE, D. dt. .' u. d. Herkunft d. dt. Schrifttums, 1930 (dazu D. KRALIK, DLZ 52 [1931] 1461-1468); BAESECKE, D. Sprache d. dt. .', PBB 55 (1931) 321-376 (revidierter Abdruck in: G. B., Kleinere Sehr., Bern 1966, S. 181-220); Glossaria Latina iussu Academiae Britannicae edita V, Paris 1931; W. BETZ, D. Einfluß d. Lat. auf d. ahd. Sprachschatz, . .', 1936; E. KARG-GASTERSTÄDT, Z. Wortschatz d. .', in: Altdt. Wort u. Wortkunstwerk, Fs. G. Baesecke, 1941, S. 124-137; K. ALBERS, D. lat. Wortschatz d. .', Diss. (masch.) Münster 1956; W. WISSMANN, Zum .', in: Fragen u. Forsch., Fg. f. Th. Frings, 1956, S. 80-113; ders., D. Bildungen auf -lib von Partizipien u. d. .', Fg. f. U. Pretzel, 1963, S. 308-315; U. DAAB, D. Affatimgll. d. Glossars Je u. d. dt. .', PBB (Tüb.) 82 (1960) 275-317; dies., Z. ahd. Glossierung d. .', PBB (Tüb.) 88 (1967) 1-27; B. BISCHOFF, Paläograph. Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 101-134; E. ROOTH, Stud, zu drei Adjektiven aus ahd. Frühzeit, Lund 1971; G. KÖBLER, Verz. d. Ubersetzungsgleichungen v. .' u. Samanunga, 1972; J. SPLETT, 'A.'-Stud., 1976 (Bibliogr. S.XIII-XXVII). JOCHEN SPLETT

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'Absage an die falsche Welt' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 357, 330r/v ( A ) ; cgm 141, 2V-3V (B); cgm 8118 (vorm. Bayer. Nat. Mus. Nr. 631), 86r/v (C); cgm 29, LXXV (D); cgm 255, 25r (D 1 ; genaue Abschrift von D); clm 7596, 26' (E); Heidelberg, cpg 640,32r (F); Wien, cod. 1756,75v-77r (G); Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 1735, 47r (H). A u s g a b e n . SCHÖNBACH, S.13f. (beide Teile nach G); STAMMLER, S.84f. (nur I.Teil, nach A unter Heranziehung von B u. C).

2. I n h a l t . Die 'Absage an die falsche Welt' (i. F.'Absage'; Werktitel nach HAAGE, 1968, S. 534), die zur katechetischen Kleinprosa gehört, zerfällt in zwei Teile: 1. Engagierte, metaphernreiche Schmährede auf die Falschheit der Welt (Inc. nach G: Eya du falschen werk), 2. Katechetische Unterweisung in der beliebten, hier fingierten Dialogform scholastischer Traktate, untermauert durch Väter- und Bibelzitate (Inc. nach G: Sprichstu, liebhaber diser weit). SCHÖNBACH, S. 16, hält die 'Absage' für eine freie Bearbeitung der pseudobernhardischen 'Meditationes piissimae de cognitione humanae conditionis' (PL 184, Sp.485-510 (s. -»Bernhard v. Clairvaux). Außer thematischen Anklängen sind jedoch keine beweiskräftigen Parallelen festzustellen. 3. V e r f a s s e r f r a g e . Bei -» Johannes von Indersdorf (J.v. I.) erscheint die 'Absage' unter den Gebeten für Frau Elisabeth Ebran (in A, D, D', E, F, H) und außerdem in umgearbeiteter Form im Vorausentwurf zum Traktat 'Von dreierlei Wesen der Menschen' und in diesem Traktat selbst (s. HAAGE, 1968, S. 95-97; 1969, S. 142-145). Die übrigen Hss. (B, C, G) zeigen eine Blockbildung zum Thema 'Abkehr von der Welt' in folgender Anordnung: 1. -»· 'Goldene Kette St. Bernhards', 2. 'Absage', 3. '12 {bzw. 8) Dinge, die den Menschen an einem seligen Leben hindern' (vgl. P.-G. VÖLKER, D. dt. Schriften d. Franziskaners Konrad Bömlin, 1964, S. 39: 'Die zwölf Irrungen nach der Lehre St. Bernhards'), 4. -»'Spruch der Engel Uns engel wundert all geleich\ Dieses Material kannte J. v. I. (HAAGE, 1968, S. 51 f.) und hat es z.T. in seinen Werken umgearbeitet (S. 119 Anm. 1). In D, einem Sammelcodex früher Werke des J.v. L, wird für einzelne, u.a.

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Absalon von Springiersbach

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2. Ü b e r l i e f e r u n g . 2 vollst. Hss. d. 13., eine d. 16. für die 'Goldene Kette St. Bernhards' eine Autorschaft Johanns expressis verbis aus- Jh.s, 7 weitere mit Teilüberl. Vgl. SCHNEYER, Rep. I 35 geschlossen (im Inhaltsverzeichnis: han bis 39; dazu Amiens, Bibl. des Archives Deptm., cod. 582 (13.Jh., aus Himmerod). Zu einer verlorenen Hs. ich nit gemacht], nicht aber u.a. -für die wahrscheinlich noch aus A.s Zeit s. THOME, S. 3. 'Absage'. Die Abkehr von der falschen Welt A u s g a b e n . Köln, J.Gymnich 1534 (nachd. Redakist zudem das Zentralthema der verschie- tion d. damaligen Abts in Springiersbach Daniel Schildenen Fürstenbelehrungen des J.v. I. Einer ling) .Danach 'Sermones... auctore D. Absolone abbate Zuweisung der 'Absage' an ihn steht auch Springkirsbacensi ...', Mailand 1605, u. d. fehlerhafte von der Datierung der Gesamtüberlieferung Abdruck PL 211, Sp. 13-294 (zit.). 3. Die 50 Festtagspredigten, denen sich her nichts entgegen. Schlüssig beweisen läßt eine 'In non festo' anschließt, sind im Versich seine Autorschaft jedoch nicht. L i t e r a t u r . A.E. SCHÖNBACH, Mitt. aus aitdt. Hss., lauf mehrerer Jahre entstanden (5 Predigten 'In epiphania Domini', 3 'In purificatione WSB 156, 1908, S. 10-27; W. STAMMLER, Frau Welt b. Mariae' usf.). Sie bilden keinen geschlos(Freiburger Universitätsreden NF 23), Freiburg/Schw. 1959, S. 84f., 105 Anm. 148; B.D. HAAGE, D. Traktat senen Zyklus, könnten aber mit der prolog'Von dreierlei Wesen der Menschen', phil. Diss. Heidelartigen Demutsrede im Eingang der ersten berg 1968, S. 52-54, 95-97, 295-299, 534; ders.; Ein eine von A. selbst eingerichtete Sammlung Vorausentwurf d.. mal. Traktats 'Von dreierlei Wesen sein. der Menschen', Leuv. Bijdr. 58 (1969) 138 Anm. 7,139, Die 'Sermones' sind in aller Regel Ausle142-145; dazu ergänzend Euph. 68 (1974) 103 Anm.20. gungen eines Schriftworts. Ihre wesentliche BERNHARD D. HAAGE Grundlage ist daher die Allegorese, zu deren Methode A. sich eigens äußert (Sp. 100 AB). Mit ihrer Gliederung stets in einen allegoriAbsalon von Springiersbach schen ersten und einen tropologischen zwei1. A. war dem Bericht des -»Caesarius ten Hauptteil entsprechen sie den vornehmvon Heisterbach ('Dialogus miraculorum' sten Aufgaben des Predigers, der instructio IV 89) zufolge Kanoniker von St. Viktor in fidei und der instructio morum. Sie machen Paris, dann Abt im Stift der Augustiner- dabei ihrem Publikum, der geschlossenen Chorherren zu Springiersbach, Träger dort Gemeinschaft der daustrales, die neue der Reform. Nach dem Titel magister, frühscholastisch spekulative Durchdrinden Caesarius ihm gibt, dürfte er vor seiner gung der Glaubenswelt für das geistliche Berufung nach Springiersbach als Lehrer Leben fruchtbar, treten zum ändern mit in Paris tätig gewesen sein. Als Abt in reformerischer Strenge auf, die sich zu Springiersbach bezeugt ihn zuerst ein am eifernder Leib- und Weltfeindlichkeit erhe28.4.1193 ausgefertigter Privilegienbrief ben kann, ausgehend von einem anthropoHeinrichs VI. Das Ende seiner Amtszeit logischen Dualismus, welcher das Verhält(Tod ?) fällt in das Jahr 1196, in dem bereits nis von Geist und Körper als Gegensatz sein Nachfolger Abt Werner urkundet. Die von gut und böse interpretiert. sich anbietende und seit BRIAL vielfach Der Gegner weltlicher Wissenschaft, den geäußerte Vermutung, er sei mit dem wenig die Forschung zu einseitig in A. erblickte, späteren Abt Absalon von St. Viktor (1198 ist er, insofern er die autonome Beschäftibis 1203) identisch, ist irrig. A. starb in gung mit der scientia verdammt. Mag ihm Springiersbach, wie der dort erhaltene die Sorge um das monastische Ideal bisSarkophag beweist, Absalon von St. Viktor weilen zur Polemik wider das moderne aber ebenso erweislich in Paris. Interesse an den artes und auctores geraten, Eine zweifelsfreie Zuweisung der 'Sermo- er anerkennt und schätzt sie, wo sie der Benes festivales' an den einen oder den anderen stimmung des religiosus und dem Ziel Absalon gestattet die hsl. Überl. nicht. Doch wahrer Erkenntnis dienen. Die Predigten setzt der Sermo XXX nach der eingestreuten selbst dokumentieren dies, indem sie, häufig Glosse sphaerulae, id est globi, Teutonice genug, Plato, Aristoteles, Boethius, Vergil, kloitzer (Sp. 181C) einen Prediger wie ein Horaz, Ovid als Autoritäten berufen (Sp. Publikum deutscher Muttersprache voraus. 164D, 198D, 239CD, 258D u.a.).

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'Abschiedsgruß' - 'Abstractum-Glossar'

Der Anteil der insgesamt 10 Marienpredigten spricht für ein besonderes mariologisches Interesse. A. tritt, auch auf die Gefahr eines frommen Irrtums, für die Annahme der leiblichen assumptio Marias ein (Sp.255D). Nach viktorinischer Tradition lehrt er ihre Freiheit nur von persönlicher Sünde, nicht die immaculata conceptio. 4. A.s 'Sermones' stehen auf der Höhe der hochmal. Predigt. Der Reichtum seiner spirituellen Bildlichkeit, vielfach der Tradition verdankt, aber auch originell weitergeschaffen, sein Vermögen zu sinnfindender Verknüpfung und neuer Zusammenschau scheinen nie erschöpft. In der gedanklichen Durchbildung der spirituellen Fülle, ihrer geordneten Entfaltung in den Stufen der divisiones und distinctiones tritt eine Rationalität wohl viktorinischer Schule hervor, in der Sprache der 'Sermones' die gestaltende und die emotionelle Kraft einer hochentwickelten Predigtrhetorik. L i t e r a t u r . Histoire litteraire de la France 16,1892, S. 451-454; DThC I 133; M. GRABMANN, Gesch. d. scholast. Methode II, 1911, S. 127; J.CHATILLON, De Guillaume de Champeau a Thomas Callus, Rev. du moyen age latin 7 (1951) 247-272, hierS. 265; A. THOME, Die 'Sermones festivales' d. A. v. S. in ihremdogmat. Gehalt u. ihrer theologiegesch. Bedeutung, masch. Licentiatsarbeit Trier 1951; H. DU MANOIR (Hg.), Maria, Etudes sur la Sainte Vierge II, Paris 1952, S. 686-693; H. DE LUBAC, Exegese medievale I, Paris 1959, S.413f. F. J. WORSTBROCK

'Abschiedsgruß' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 488 (Ebenreuter-Hs.), 130M31r; Prag, Nat. Mus., cod. X A 12 (-> HätzlerinHs.), 107v-108r; Stuttgart, LB, cod. poet, et philol. 4° 69, 245r/v und in den verlorenen Hss. L. Bechsteins und Lana (vgl. A. DÖRRER, ZfdPh 57 [1932] 369-373) A u s g a b e n . H.C.BÜTTNER, Franconia l, Ansbach 1813, S. 225-226; HALTAUS, Hätzlerin S. 193-194 (Nr. II 32).

Liebesgedicht in Grußform (36 Reimpaarverse), wohl dem schwäbischen Verfasser der acht 'Neujahrsgrüße auf 1441 bis 1448' (-»· 'Liebesbriefe und Liebesgrüße') zuzuweisen, in denen etliche formelhafte Wendungen wörtlich wiederkehren. L i t e r a t u r . K.GEUTHER, Stud. z. Ldb. d. Klara Hätzlerin, 1899, S. 119-121; BRANDIS, Minnereden, Nr. 160; GLIER, Artes amandi, S. 370 Anm. 222.

TILO BRANDIS

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Absolon

Von —»Rudolf von Ems im 'Alexander' v. 3249-51 als Dichter gelobt und, wie hier nur noch —> Wetzel (von Bernau), vriunt genannt; im 'Wilhelm v. Orlens' v. 2209-14 als Verf. einer Dichtung von Ruhmestaten und Tod Kaiser Friedrichs (I.) bezeugt; jeweils ohne Zusatz zum Namen. A. ist wohl identisch mit einem Eigenmann der Grafen von Heiligenberg (Bodensee), der 1228/29 im Gefolge seines Herrn mit Kaiser Friedrich II. im Orient gewesen sein könnte, in Weildorf ein größeres Lehen besaß und vor dem 1. 8.1262 starb. Witwe, Sohn Johannes und Tochter verkauften der Abtei Salem (O.Cist.) landwirtschaftliche Grundstücke. Das verschollene Werk, eher panegyrische Hofdichtung als Geschichtsdeutung, stand formal wohl in der Tradition der mhd. höfischen Epik, erschloß ihrem Publikum aber ein neues, bisher von mlat. Dichtern bearbeitetes Stoffgebiet. L i t e r a t u r . F. v. WEECH (Hg.), Codex diplomaticus Salemitanus I-II, 1883-86, Nr. 370, 391, 400, 426, 480; E.SCHRÖDER, Rudolf v. Ems u. sein Literaturkreis, ZfdA 67 (1930) 226f.; K. LANGOSCH, Polit. Dicht, um Kaiser Friedrich Barbarossa, 1943, S. 80; X. v. ERTZDORFF, Rudolf von Ems, 1967, bes. S. 136f.

WERNER FECHTER 'Abstractum-Glossar'

Lat.-mhd. Wörterbuch zur Erklärung philosophischer und theologischer Begriffe. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Ca. 100 erhaltene und 4 verschollene Hss., zusammengestellt von GRUBMÜLLER und den Editoren der geplanten kritischen Ausgabe (s. u. 2). 2. A u s g a b e n . Alle bisherigen Ausgaben sind Abdrucke bzw. Teilabdrucke einzelner Hss. - H. HOFFMANN [v.FALLERSLEBEN]/W. WACKERNAGEL, Glossar f. d. XII.-XIV.Jh., in: HOFFMANN, Fundgr. I 347-400 (nach der Hs. Breslau, ÜB, cod. IV Q 92,67va-71va, v.J. 1340): Alphabetische Anordnung der mhd. Interpretamente ohne die lat. Lemmata; das .-G.' wird unter der Sigle 'Conr.' zitiert. A. BIRLINGER/W. CRECELIUS, Altdt. Neujahrsbll. f. 1874, Wiesbaden 1874, Sp. 53-59, 105-110 (nach Berlin, mgq 765, 2ra-6ra, 14.Jh.). A. BERNT, Ein Beitr. zu mal. Vokabularien, in: Unters, u. Quellen z. germ. u. rom. Philologie, Fs. J. v. Kelle, I.Teil (Prager dt. Stud. 8), 1908, S.435-455 (nach Kaaden, Stadtarch., o. Sign., f. 46-47, 14.Jh. [?]). K. GUSINDE, Konrad v. Heinrichau u. d. Bedeutung d.

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Der Abt von Mariazell - Der von Achenheim

altschles. Vokabulare, Mitt. d. Schles. Ges. f. Vk. XIII bis XIV (Fs. z. Jahrhundertfeier d. Univ. Breslau) ,1911, S. 374-400 (nach Breslau, ÜB, cod. IV Q 92, 67va-71va, v.J. 1340; s.a. H. HOFFMANN) : alphabetisch nach den mhd. Interpretamenten geordnet. W. STAMMLER, Mnd. Leseb., 1921, S. 47-49 u. S. 138 (nach'Hannover, StB, cod. 2, 10r-llv, 15. Jh.). Jeweils mehrere Hss. des .-G." sind verwertet von L. DIEFFENBACH, Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis, 857; K.GUSINDE, Eine vergessene dt. Sprachinsel im polnischen Oberschlesien (die Mundart v. Schönwald bei Gleiwitz) (Wort u. Brauch, Volkskundliche Arbeiten d. Schles. Ges. f. Vk. 7), 1911. V. HONEMANN/K. ILLING/G. STEER bereiten eine kritische Ausgabe nach überlieferungsgeschichtlichen Grundsätzen vor, in deren Rahmen 4-5 repräsentative Fassungen des Glossars, die zugleich Kristallisationspunkte der Textgeschichte darstellen, ediert und interpretiert werden sollen.

3. Das nach dem ersten Lemma benannte .-G.' ist ein Wörterbuch, das philosophisch-theologischen Wortschatz der älteren Franziskanerschule für das Deutsche erschließt. Mit 410 lat. Lemmata und mhd. Interpretamenten in der frühesten Fassung (um 1300) zählt es zu den kleinsten und ältesten lat.-mhd. Fach-Glossaren, die wir kennen. Es schwillt in späteren Fassungen auf mehr als 2000 Lemmata an. Das .-G.' sollte 'Lesehilfe und Einführung' in die lat. theologisch-theoretische Terminologie für Anfänger sein (GRUBMÜLLER, S. 52), worauf auch das fast ausschließliche Vorkommen in lat. Hss. hinweist. 4. In den Ausgaben wird —> Konrad von Heinrichau, Zisterzienser im schlesischen Kloster Heinrichau, als Autor des 'A.-G.' genannt. Fest steht jedoch nur, daß Konrad i. J. 1340 die Glossare in der Breslauer Hs. IV Q 92 geschrieben hat. Unsicher ist, ob er sie auch bearbeitet hat. Das 'A.-G.' ist sicher einige Jahrzehnte älter, da es bereits in zwei Hss. der von ->· Johann von Erfurt stammenden Kurzfassung (Epitome, v.J. 1309) des Bibelvokabulars des Guilelmus Brito enthalten ist (London, Brit. Mus., Arundel 209, lr-53r, v.J. 1341 und Wien, cod. 2480, lr-46v v.J. 1438); in die alphabetisch angeordnete Brito-Epitome sind jeweils ganze Blöcke aus dem 'A.-G.' eingeschoben.

Vermutlich ist das 'A.-G.' im Umkreis des Erfurter Franziskanerstudiums entstanden. Darauf weisen die Sprachformen der Interpretamente und der theologische Fachwortschatz hin. So kommen z.B. bestimmte Lemmata wie etwa circumincessio bei Thomas v. Aquin und Petrus Lombardus nicht vor, wohl aber in der franziskanischen Theologie. Da der früheste Text ca. 15 Lemmata in flektierten Formen enthält, ist es nicht unwahrscheinlich, daß ein lat. Text ursprünglich interlinear glossiert und die Lemmata dann alphabetisiert wurden. 5. Das 'A.-G.' ist in andere Glossare, z.B. in das Abba-Glossar, eingearbeitet worden, doch können genauere Angaben über den Umfang und die Bedeutung dieser Rezeption erst nach der Edition weiterer mal. Vokabularien gemacht werden. L i t e r a t u r . K.GRUBMÜLLER, Vocabularius Ex quo (MTU 17), 1967, S. 49-52 (dort weitere Lit.); H. HÄNGER, Mhd. Glossare u. Vokabulare in schweizerischen Bibliotheken bis 1500 (QF NF 44), 1972, passim; G. STEER, Hugo Ripelin von Straßburg. Z. Rezeptions- u. Wirkungsgesch. d. 'Compendium theologicae veritatis' im dt. SpätMA, Habilschr. (masch.) Würzburg 1974, S.353-355, 409f. (im Druck).

KURT ILLING Der Abt von Mariazell ist der Verfasser eines Stein- und Grießrezeptes in der Hs. Gotha, LB, cod. Chart. B 1238 (Ende 15. Jh., nord-oder mittelbair.) auf f. 44r: Item practica des Abbts von Marie Zell. In Frage kommen entweder das österr. Nationalheiligtum Mariazell oder KleinMariazell südöstl. v. St. Polten. L i t e r a t u r . G.Eis, Sudhoffs Arch. 35 (1942) 142f.

(Z.HS.).

P. RAINER RUDOLF SDS

'Ach du armer Judas' —> 'Rex Christe factor omnium' (deutsch) Der von Achenheim Von ihm, als barfuoze bezeichnet, ist in Berlin, mgq 191, 387V (1. H. 15.Jh.) ein Dictum über guote erkantnisse überliefert. Gedr. F. PFEIFFER, Germ. 3 (1858) 232.

WOLFGANG STAMMLER!

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'Die acht Farben' - 'Acht Seligkeiten'

Achler, Elsbeth -> Kügelin, Konrad 'Die acht Farben' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 488 (Ebenreuter-Hs.), 2r-3r; München, cgm 5919, 234"-236r; Prag, Nat. Mus., X A 12 (-> Hätzlerin-Hs.), 72'-73" und in der verlorenen Hs. L. Bechsteins. A u s g a b e . HALTAUS, Hätzlerin S. 165-166 (Nr. II 19).

Didaktische Minnerede (84 Verse) des linear reihenden Typs ohne Gespräch oder Erzählhandlung. Der Dichter erklärt einer Frau zuerst einzeln die Bedeutung der acht Minnefarben: grün, gelb, blau, weiß, braun, schwarz, rot und grau, zu denen er auch noch gestreift hinzufügt, und zählt dann etliche Farbkompositionen auf. Am Schluß mahnt er, daß man seine Farbe nicht gedankenlos, sondern immer mit Bezug auf die Minne tragen soll. - In allen vier Hss. zusammen mit den Farballegoresegedichten ->· 'Lob der grünen Farbe' und -> 'Die sechs Farben' in einer festen Dreiergruppe überliefert. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden Nr.377; GLIER, Artes amandi S.370f. Anm. 224 u. 225.

TILO BRANDIS 'Von den acht Gesellen' -»'Die sieben größten Freuden' 'Die acht Schalkheiten' Holzschnitt-Bilderbogen mit acht Szenen, die betrügerische Machenschaften darstellen, jeweils mit Schriftfeld, auf dem der betreffende 'Schalk' mit zwei Reimpaaren in Ich-Form sich selbst vorstellt (schwäb., Ulm um 1460). Die 8 Teile eines zerschnittenen Bogens bei BuTSCH. Rekonstruktion des Gesamtbogens (29 >< 40cm) bei ROSF.NFELD, 1955, S. 82 und 1965, S. 244.

Dieser Bilderbogen steht in der Tradition der mal. Ständesatire, wie sie insbesondere im Teufelsspiel des Osterspiels zutage tritt. Das Wort schalk hat schon im hohen MA die Bedeutung von 'Bösewicht' angenommen. Genauso wie im sog. -> 'Innsbrucker OsterspieP (mrhein., ca. 1340) der Bäcker, der zu kleine Brote buk, der Schuster, der schlechtes Leder verwandte, der Fleischhauer, der krankes Fleisch verarbeitete,

der diebische Gewandschneider in IchForm ihre Praktiken bekennen, so stellen in den 'A.S.' Kaufmann, Geldwechsler, Zinngießer, Tuchschneider, Seiler, Makler, Opferstockdieb, Waffenschmied sich in Ich-Form als 'Schalke' vor. Wie beim Osterspiel will diese Ständesatire nicht nur Bußruf und Warnung sein, sondern die Schädlinge des sozialen Lebens brandmarken und damit den angestauten Ingrimm der Bevölkerung in befreiendem Gelächter entkrampfen. -* Brant, dessen Narrenschiff (1494) von Narrenbilderbogen angeregt war und der eine Weitergabe als Einblätter beabsichtigte, kannte offensichtlich die 'A.S.' und hat sie in der szenischen Darstellung der Narrheiten nachahmen lassen. In den Narrenkaiserversen, die sicher auch erst als Bilderbogen verbreitet wurden, ehe sie ca. 1460 auf eine Holzschüssel von 81,7cm Durchmesser gemalt wurden, stellen sich ebenfalls in Ich-Form 16 solche Schalke dem Kaiser vor (es müßte eigentlich Sechszehnschalke-Kaiser heißen, da der Ausdruck 'Narr' nicht vorkommt, aber bei der M.Gestalt vom schalksberg die Rede ist), nur daß es hier nicht mehr um Berufe, sondern um satirische Redensarten geht. Die 'A.S.' stehen in der Entwicklung von der Ständesatire des Osterspiels zu Brants Narrenschiff mitteninne als Dokument spätmal, volkstümlicher Lehrdichtung. L i t e r a t u r . T.O. WEIGEL/A.ZESTERMANN,D. Anfänge d. Druckerkunst in Bild u. Schrift I, 1866, S. 189 bis 194 (Texte, Bildprobe); F.A.BUTSCH, D. acht Schalkheiten, xylograph. Produkt d. 15.Jh.s, 1873; H. ROSENFELD, D. Entwicklung d. Ständesatire im MA, ZfdPh 71 (1952) 196-207; ders., D. mal. Bilderbogen, ZfdA 85 (1954) 66-75; ders., D. Rolle d. Bilderbogens in d. dt. Volkskultur, Bayer. Jb. f. Vk. 1955, S. 79-85; ders., Brants Narrenschiff u. d. Tradition d. Ständesatire, Narrenbilderbogen u. Flugblätter d. 15.Jh.s, Gutenberg-Jb. 1965, S. 242-248; ders., Die Narrenbilderbogen u. S. Brant, ebd. 1970, S. 298-307.

HELLMUT ROSENFELD 'Acht Seligkeiten' (Traktat) Neben häufigeren kurzen Auslegungen der 8 Seligpreisungen (Mt 5,3-10), öfter in Anlehnung an die beliebten Septenare (Todsünden, Gaben des hl. Geistes, Bitten des

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'Achtnarrenblatt' - 'Acta des Tirolerkriegs'

geläut warnte die Bevölkerung vor Fehlhandlungen der nicht verantwortlich zu machenden Irrsinnigen, die nur in schlimmen Fällen mit dem Narrenseil (Vorform der Zwangsjacke) gefesselt wurden. In der spätmal. Narrendichtung werden Sünde und soziales Fehlverhalten als Verrücktheiten gebrandmarkt, als Sünde z.B. beim 2. Narren des .', der das ewig leben git umb das zergenklich zit, als soziales Fehlverhalten z.B. beim 4.Narren, der kauft, ohne bezahlen zu können. Diese Anprangerung wird symbolisch als Aussonderung von Sünde und Narrheit aus der Welt verstanden. Dahinter liegt der optimistische Gedanke der spätmal. Didaktik, daß, wer richtig belehrt wird, Sünde und Fehlverhalten ablegt. Mit diesem didaktischen Anliegen verbindet sich das sozialkritische, den Ingrimm über das Fehlverhalten der Mitmenschen durch öffentliche Anprangerung zu entkrampfen. Die revueartige isolierte Selbstvorstellung der Narren im .' stimmt zur Revueform spätmal. Fastnachtspiele. -»Brants Narrenschiff ist vom .' stark beeinflußt. Die im .' beim 2.-8. Narr gebrauchte Eingangsformel Der ist ain narr, der ... wird von Brant bei 31 von 112 L i t e r a t u r . RUH, Bonav. dt., S. 122. Einige kleine Kapiteln als Eingang benutzt. 'A.S.'-Stücke nennt STAMMLER, Prosa, S. 870. L i t e r a t u r . F.J. , Denksprüche, AnzfKdVz 6 K. RUH

Pater noster u. a.) auf sieben reduziert, steht in Traktat- und Predigtliteratur ein ausführlicher gelehrter 'A.S'.-Traktat des 15. Jh.s, überliefert in München, cgm 774, 119r-204v und cgm 787, lr-122v. Er ist, wie schon das Textwort PS 44,11 'Audi filia' verrät, offensichtlich an eine geistliche Tochter gerichtet und handelt in ebenso lehrhafter wie gelehrter Form von den Seligpreisungen als Weg des Heils. Sehr häufig werden 'Väter' und 'Meister' zitiert; die scholastische Autoritätenkette reicht von Aristoteles und Cicero über Augustin und Boethius bis zu Wilhelm von Paris (Auxerre), Thomas von Aquin, Heinrich von Gent, Duns Scotus und Nikolaus von Lyra. Bemerkenswert ist die Genauigkeit vieler Zitatangaben : Augustin kommt mit seinem 'De sermone domini in monte' zu Wort, Thomas ungemein zahlreich mit der Secunda secundae der Theologischen Summe, zitiert nach Quaestio und Artikel. Eine nähere Untersuchung steht noch aus. Verbreiteter als dieser Lehrtraktat war der Seligkeiten-Predigtzyklus -» Heinrichs von St. Gallen und die Übersetzung von 'De octo beatitudinibus' des -> Nikolaus von Dinkelsbühl.

'Achtnarrenblatt' Holzschnitt-Bilderbogen mit acht isoliert dastehenden Narren; jeder hält ein großes Spruchband mit einem Reimpaar vor sich (schwäb.; vom Ulmer Formschneider Ludwig, ca. 1468). Das .' ist nur zerschnitten und unvollständig erhalten. Narr 1-3, 7-8 aus der Sammlung Dr. Apel in Ermlitz sind jetzt im Stadtmuseum Ulm, Narr 5 und 6 seit 1961 in d. Graph. Sammlung München. 12 Verse (ohne Narr 1,2) sind in d. Tübinger Hs. Nr. 181 erhalten, Abdruck bei , ZARNCKE, 1871, S. 6 und ROSENFELD, 1970, S. 301. Rekonstruktion des Gesamtbogens (25,5 x 39,5cm) bei ROSENFELD, 1965, S. 244; berichtigte Rekonstruktion bei ROSENFELD, 1970, S. 302.

Narr bedeutet hier noch 'Irrsinniger'. Im Bild wie im Leben trägt er Narrenkappe mit Glöckchen und Narrenkutte: die Kenntlichmachung durch Tracht und Glöckchen-

(1837) 176; F. ZARNCKE, Z. Vorgesch. d. Narrenschiffs, Serapeum 20 (1868) 49-54; ders., 2. Mitteilung, Leipzig 1871; F.A.BuTSCH, D. 8 Schalkheiten, xylographisches Produkt d. 15. Jh.s, 1873; H. ROSENFELD, D. mal. Bilderbogen, ZfdA 85 (1954) 66-75; ders., Brants Narrenschiff u. d. Tradition d. Ständesatire, Narrenbilderbogen u. Flugblätter d. 15. Jh.s, Gutenberg-Jb. 1965, S. 242-248;ders.,D. Narrenbilderbogen u. S. Brant, ebd. 1970, S. 298-307; ders., Schriftband, Lexikon d. christl. Ikonographie 4, 1972, S. 125 f.

HELLMUT ROSENFELD 'Ackermann aus Böhmen' Tepl

• Johannes von

'Acta des Tirolerkriegs' Bericht über den 'Schwabenkrieg' des Jahres 1499 in dt. Prosa. Ü b e r l i e f e r u n g . Chur, Staatsarch. Graubünden, AB IV 6/61; vgl. auch den Druck nach unbekannter Hs. bei MOOR, sowie zu übrigen aus späteren Verarbeitungen zu erschließenden Überl. JECKLIN, S. VI-VIII.

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'Ad catarrum die' — 'Ad equum errehet'

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liefert f. 19V unten der Hs. Trier, StB, Nr. 40/1018, 10. Jh.; wie der -> 'Trierer Pferdesegen' Teil einer lat. Rezeptsammlung, die Die Tradition des 16. Jh.s, vermittelt noch im 10. Jh. auf die unteren Ränder der durch Ulrich Campell, sah in dem anony- Glossenhs. geschrieben worden ist. Mfrk. men Verf. der . d. T.' einen aus dem All- nach äs. Vorlage. Das erste Verspaar beruft gäu oder Augsburg stammenden Kanoni- in knappster Form die Verwundung und ker in Chur (Vindelicus auctor ille seu Al- Heilung Christi (ohne Nennung des Longigoiensis). Einige sprachliche Eigenheiten nus, ->· 'Abdinghofer Blutsegen'), das zweite lassen seine Herkunft aus dem bair.-öster- bezieht sie auf das zu stillende Blut. Eng reich. Sprachgebiet als möglich erscheinen» verwandt ist der gereimte Teil des etwas (vgl. JECKLIN, S.V). Der Bericht entstand jüngeren —> 'Bamberger Blutsegens'. Falls noch während des Kriegsjahres in Chur, wo der Spruch mit den lat. Rezepten an den Ander Verf. offenbar Gelegenheit hatte, die im fang des 9. Jh.s zurückzuverfolgen wäre, bündnerischen Hauptquartier eintreffenden wäre er 'das früheste document für den Berichte über die Kampfhandlungen einzu- deutschen reim' (SCHRÖDER, S. 179), doch sehen; so spricht er einmal von einer copy ist dieser Überlieferungszusammenhang wedess benchtz im feld gemacht. Den kriegs-· niger fest als SCHRÖDER wollte. führenden Parteien, Eidgenossen und Bund-, A u s g a b e n u. L i t e r a t u r . E.SCHRÖDER, Althochnern einerseits, Tirolern und Schwäbischem deutsches aus Trier, ZfdA 52 (1910) 169-182 u. 396 Bund andererseits, steht er ohne besondere (Erstveröff.);STEINMEYF.R, Sprachdenkm., S.378; Ahd. Sympathien gegenüber. So ist z.B. von der Gll. V 79-83 (Beschreibung der Hs.); H. SCHIEL, Trierer alles überragenden Heldenrolle, die die Segensformeln u. Zaubersprüche, Trierisches Jb. 1953, spätere Historiographie Benedikt Fontana S.23-36; MILLER, Charms, S. 107f.; BRAUNE, Leseb., zubilligte, in seiner Darstellung der Calven- S.92 (Nr.XXXI, 9, Bl),174; D.SCHLOSSER, Ahd. Lit., schlacht nichts zu spüren. Am ehesten läßt 1970, S. 258f. (mit Übers.). HANS-HUGO STEINHOFF sich seine Haltung mit der des Churer Bischofs Heinrich von Hewen identifizieren, der die Sache der Bündner nur halbherzig unterstützte und sich aus dem Konflikt 'Ad equum errehet' herauszuhalten versuchte. Auch das spricht Spätahd. Pferdesegen gegen Gliedersteiffür einen Churer Geistlichen als Verfasser. heit (Rahe), überliefert in der Pariser Hs. Eingehend geschildert werden die Kampf- Nat. Bibl., nouv. acq. lat. 229, 12. Jh., 10r; handlungen in Vorarlberg und im Vintsch- alem. Provenienz (vgl. -> 'Contra caducum gau, in die der Verfasser genauen Einblick morbum'). In drei Strophen aus je vier assohatte, während die Kämpfe am Bodensee, nierenden Reimpaarversen wird in Dialogim Hegau und Sundgau zurücktreten. Die form erzählt, wie Christus einem Manne politischen Auswirkungen deutet der Ver- einen Zauberspruch für sein krankes Pferd fasser nur an, ihm geht es ausschließlich mitteilt, dann folgt der Beschwörungsteil um die Darstellung des Kriegsgeschehens; in Prosa. SCHERERS wegen des altertümauch der Basler Friede bedeutet ihm nur das lichen Wortschatzes (z.B. arngrihte = ereEnde des Kampfes. Für die spätere Bündner grehti, Otfrid IV 31,19 [gleicher Reim!], Historiographie über den 'Schwabenkrieg' Ludwigslied 59) vorgeschlagener Datierung bilden die 'A. d. T.' vielfach die Grundlage. ins 9. Jh. hat STEINMEYER sich nicht angeschlossen. L i t e r a t u r . FELLER/BONJOUR, GeschichtsschreiA u s g a b e n . C. MOOR, Rätia 4 (1869) 111-149; C. JECKLIN (Beilage z. Kantonsschulprogr. pro 1898/ 99),Churl899(zit.).

bung, S. 144; C. Wiu.1, Calvenschlacht u. Benedikt Fontana (—99. JB d. Hist.-Antiquarischen Ges. v. Graubünden), 1970, S.61. PETER JOHANEK

'Ad catarrum die' Gereimter ahd. Zaubersegen gegen Blutsturz ('Erster Trierer Zauberspruch'), über-

A u s g a b e n . STEINMEYER, Sprachdenkm., S.373 (Nr.LXVI,2)undBRAUNE,Leseb.,S.91(Nr.XXXI,7), 174. L i t e r a t u r bis 1968 ebda. - W.SCHERER, Altdt. Segen, BSB 1885, S. 581-584 = Kl. Sehr. 1,1893, S. 584 bis 587; MILLER, Charms, S. 52-54.

HANS-HUGO STEINHOFF

29 'Ad equum infusum' desegen'

'Ad fluxum sanguinis narium' - Adalbert von Bamberg

'Vatikanische Pfer-

'Ad fluxum sanguinis narium' Spätahd. Blutsegen in z.T. nur undeutlich erhaltenen Endreimversen; überliefert in der Pariser Hs. Nat. Bibl., nouv. acq. lat. 229, 12. Jh., 10r (vgl. -»'Contra caducum morbum'). Wohl ältester dt. Zeuge des 'Jordansegens', in welchem sich Motive aus AT (Durchzug der Israeliten durch den Jordan los 3,14-17 und durch das Rote Meer Ex 14,15-23) und NT (Taufe Christi im Jordan Mt 3,13-17, Besänftigung des Meeres Mt 8,22-27, Wandel auf dem Meer Mt 14,25-33) zu der Vorstellung vom Stillstand des Jordan bei Christi Taufe verbunden haben, die zur Beschwörung des rinnenden Blutes berufen wird. Ähnlich im -> 'Bamberger' und (ausführlicher) im -> 'Millstätter Blutsegen'; der Name des Jordan auch im Eingang des -> 'Straßburger Blutsegens'.

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2. ' V i t a H e i n r i c i II. i m p e r a t o r i s ' Ü b e r l i e f e r u n g . Rund 35 Hss. (der verschiedenen Fassungen) beiPRiEST,S.249ff.,und KLAUSER,S. 199ff., dazu Würzburg, ÜB, cod. M. eh. f. 210. Abhängigkeiten sind weithin ungeklärt. A u s g a b e n . Rep. font. II 114. Zu benutzen: G. WAITZ, MGH SS IV, 1841, S. 787-820 (nach der Bamberger Hs.), veraltet.

3. A. s Verfasserschaft, die von allen bisherigen Editoren vorausgesetzt wurde, ist anders zu beurteilen, seitdem die Gurker Hs. (heute Klagenfurt, Landesarchiv GV 1/29) aufgetaucht ist, in der eine ältere Fassung der Vita durch verschiedene Einschübe zu der in der Bamberger Hs. erhaltenen jüngeren Textgestalt umgearbeitet worden ist (SCHMIDT, S.361 ff.; s. u.5). 4. Die erste Fassung schrieb ein unbekannter Autor um 1145 im Zusammenhang mit Heinrichs Heiligsprechung. Gestützt u.a. auf die Chroniken -»Thietmars v. Merseburg, -»· Frutolfs v. Michelsberg, Leos v. Ostia sowie die 'Vita Wolfgangi' -> Otlohs v. St. Emmeram, schilderte er das Leben Ausgabe. STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 379. Kaiser Heinrichs II. (1002-1024) sowie in L i t e r a t u r bis 1915 ebda; MILLER, Charms, S. einem kürzeren 2. Buch die Wundertaten 128 f. - Zu den Jordansegen: MSDII272-276; F. OHRT, nach seinem Tode bis zur Kanonisation. D. ältesten Segen über Christi Taufe u. Christi Tod, Da von bekannten Quellen abhängig, ist die Kopenhagen 1938, S. 24-47, 77-220; I. HAMPP, BeVita für die Ereignisgeschichte ohne Wert schwörung, Segen, Gebet, 1961, S. 163-171. (BENZ), aber bedeutsam als Dokument der HANS-HUGO STEINHOFF Heinrichs-Legenjde und -Verehrung (KLAUSER). 'Ad pestem equi' -»'Vatikanische Pferde5. Die zweite Fassung wurde bereits in segen' der kurz vor 1165 geschriebenen 'Vita Mein'Ad signandum domum contra diabolum' werci' benutzt. Sie entstand in Bamberg (Michelsberg ?) durch Erweiterung der Erst-»· 'Zürcher Hausbesegnung' fassung um zahlreiche Bamberg betreffende Urkunden und einige erzählende Passagen Adalbert -> auch Adelbrecht über die Bistumsgründung, zeigt also deutlich lokalgeschichtlichen Charakter. Ihre Adalbert von Bamberg Urschrift ist die (aus Bamberg stammende) 1. Adelbertus diaconus nennt sich der Gurker Hs. (s. o. 3); daraus wurde die ReinSchreiber der Bamberger Vita-Heinrici-Hs. schrift der Bamberger Hs. (s.o. 1) gefertigt, RB.MSC. 120 (E. III. 25) auf dem Widmungs- die mit A. in Beziehung steht. Von einer gebild f. l*v (Abb.: A. CHROUST, Monumenta nauen Untersuchung der an diesen beiden Palaeographica 122 [1906] Tafel 8). Ob er Hss. beteiligten Schreiberhände (KLAUSER, mit einem gleichnamigen Bamberger scola- S. 86 Anm. 51) hängt das Urteil darüber ab, sücus und magister identisch ist, der für die welcher Anteil A. an der Zweitfassung der Jahre 1170-1184 in Bamberger Urkunden Vita zukommt. nachzuweisen ist (WAITZ, S. 787 Anm.5), 6. In der recht breiten hsl. Tradition hat bedarf der Klärung. Weitere Nachrichten die jüngere Fassung noch im 12. Jh. die ältere verdrängt; seit dem 13.Jh. ist die liegen nicht vor.

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Adalbertus Levita - Adalbert von Magdeburg

Kombination mit einer um 1200 entstandenen 'Vita Cunegundis' verbreitet. Die beiden von WAITZ, S. 814ff. wiedergegebenen Erweiterungen der Vita entstammen erst dem 13. Jh. Die 'Miracula s. Heinrici' (S. 814-816) verarbeiten Merseburger Lokaltraditionen (KLAUSER, S. 89f.), das 'Additamentum Vitae s. Heinrici' (S. 816 bis 820) behandelt im Sinne weiterer hagiographischer Überhöhung erneut die Hauptthemen der Heinrich-Kunigunden-Legende (KLAUSER, S. 108ff.). L i t e r a t u r . W.SCHMIDT, Über die älteste Hs. von Adelberti Vita Heinrici II imperatoris, Forsch, z. dt. Gesch. 9 (1869) 361-377; BHL n. 3812-3815; G. PRIEST, D. Hss. d. 'Vita Heinrici' u. 'Vita Cunegundis', NA 40 (1916) 249-263; R. KLAUSER, D. Heinrichs- u. Kunigundenkult im mal. Bistum Bamberg, 1957, S. 71 bis 91 u.ö. (grundlegend); J. WOLLASCH, Kaiser Heinrich II. in Cluny, Frühmal. Stud. 3 (1969) 327-342; K.J. BENZ, Heinrich II. in Cluny ?, ebd. 8 (1974) 155 bis 178; WATTENBACH/SCHMALE,Geschichtsquellen,S. 152 bis 155. „ _

RUDOLF SCHIEFFER

Adalbertus Levita Der Verf. des 'Speculum' ('Speculum moralium Gregorii') zeichnet in seiner Widmungsvorrede an einen Priester Hermann als Adalbertus humillimus levitarum, als Adalbertus ... monachus atque sacerdos nochmals in der Schlußrede an den Leser. Seine Person liegt gänzlich im Dunkel. Die Überl. des 'Speculum' bietet an, ihn im 10. Jh. anzusiedeln. Deutsche Herkunft machen sein und seines Adressaten Name wahrscheinlich, ohne sie zu erweisen. Frühere Versuche einer näheren Bestimmung stützten sich in keinem Falle auf eine Bezeugung oder ein vergleichbar sicheres Kriterium. Auch die verbreitete Identifizierung mit Adalbert von Metz, Mönch und Scholaster in St. Vincent (f 980), hat nur den Wert einer tastenden Erwägung; die mit einem sonst unbekannten Adalbert von Spalding (um 1160), ähnlich beliebt, beruht vollends auf Willkür. Ü b e r l i e f e r u n g . Mehr als 25 Hss. d. späteren 10. bis 14.Jh.s. Vgl. V. ROSE, Verzeichnis d. lat. Hss. d. Kgl. Bibl. zu Berlin, Bd. l, 1893, S. 107f.; MANITIUS, LG I 100, II 796; Diet. Spir. I 186f., GRABES, S.246. Ferner: München, clin 18542" (12. Jh.); Paris, Bibl. nat., cod. lat. 1707 (12.Jh.); Troyes, cod. 463 (12.Jh.); Metz, cod. 234 (14. Jh.).

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A usgabe. PL 136, Sp. 1309-12 (Vorrede an Priester Hermann und Schlußrede).

Unter den zahlreichen mal. Florilegien und Kompendien von Gregors d. Gr. 'Moralia in Job' ist A.s 'Speculum' eines der verbreitetsten. Besondere inhaltliche Gesichtspunkte der Auswahl wie etwa Garniers v. St. Viktor 'Gregorianum' verfolgt es nicht. Nach A.s Willen sollte es das Riesenwerk der 'Moralia' denen ersetzen, die vor großen Büchern aus Zeitmangel oder auch aus Trägheit resignieren oder denen es überhaupt an ausreichenden Exemplaren fehlt. Daher legte er Wert zum einen auf die wörtliche Treue, zum ändern auf eine gebrauchsfertige Einrichtung seiner Kompilation. Er exzerpierte die 35 Bücher Gregors in ihrer Reihenfolge, nur innerhalb der einzelnen Bücher vor- und rückgreifend, zählte die Exzerpte, meist mehrere verknüpfend, als Kapitel, versah diese mit eigenen Überschriften. Rücksicht auf den Benutzer empfahl ihm, das Gesamt der 193 Kapitel in 4 Bücher zu unterteilen und jedes durch ein Register zu erschließen. Den Namen des 'Speculum', eines der ältesten Beispiele der berühmten Titelmetapher, wählte A. mit der Begründung, daß es das menschliche Leben in seiner reichen Vielfalt zeige (Sp.l312A). Ein zweites Florilegium, das A. nach seinen eigenen Worten für kleinere Exzerpte von besonderem gedanklichen und sprachlichen Reiz anlegte, scheint verloren. L i t e r a t u r . Histoire litteraire de la France 5, 1866, S. 519; 6,1867, S. 395-397; DHGE I 443 f.; MANITIUS, LG I 100, II 796; Dict.Spir. I 186f., WATTENBACH/ LEVISON, Geschichtsquellen, S. 437; R. WASSELYNCK, Les compilations des 'Moralia in Job' du VIP au XII e siecle. Recherches de Theologie ancienne et medievale 29 (1962) 6-32, hier S.27f.; R. WASSELYNCK, La table des Capitula du 'Speculum' d'Adalbert de Metz, ebd. 34 (1967) 255-262; H. GRABES, Speculum, Mirror und Looking-glass (Buchreihe d. Anglia, 16), 1973, S. 26 u. 246. F.J. WORSTBROCK

Adalbert von Magdeburg 1. Leben. Lebensweg und Werk A.s konnten nur mit Hilfe von Schrift- und Stilvergleich durch eine Kette von Indizienbeweisen und Kombinationen geklärt werden. Die Ergebnisse gelten jedoch weitgehend als gesichert.

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Adalbert von Magdeburg

Ein 950 bei Erzbischof Wicfrid von Köln als Urkundenschreiber tätiger Adalbertus indignus diaconus (Urkb. f. d. Gesch. d. Niederrheins I, hg. TH. J. LACOMBLET,11840, 960, Nr. 103; Facsimile: Kaiserurk. i. Abb. VII 30) konnte durch Schriftvergleich als ein unter Kanzler Liutolf 953-956, wahrscheinlich bis 958 am Hofe Ottos I. arbeitender Notar (Liutolf A) identifiziert werden (MGHDO1160,168-73,176-77,179,194). Er trat dann aus unbekannten Gründen ins lothringische Reformkloster St. Maximin in Trier ein, wo ihn ein Diktatvergleich für 959 als Urkundenschreiber nachweist (Urkb. z. Gesch. d. mittelrhein. Territorien I, hg. H. BEYER, 1860, Nr. 205). Lothringen dürfte überhaupt seine Heimat gewesen sein; vielleicht war sein Vater gleichen Namens und hatte in Remich an der Mosel ein Benefizium ('Sigehardi miracula S. Maximini', MGH SS IV 233). Ein aus St. Maximin stammender Mönch A. tritt nun in der anonymen Fortsetzung der Chronik —>· Reginos von Prüm in so auffallendem Maße hervor, daß man in ihm mit Recht den Autor der 'Continuatio' sieht. Gleicher Name, Zugehörigkeit zum selben Kloster und stilistische Übereinstimmungen erlauben auch seine Identifizierung mit dem früheren königlichen Notar. Aus den demnach autobiographischen Angaben in der 'Continuatio' ergibt sich folgendes: Nachdem die russische Großfürstin Olga von Kiew zur Bekehrung der Russen von Otto I. einen Bischof und Missionare erbeten hatte, wurde A. 961, trotz heftigen Widerstrebens auf Vorschlag des Mainzer Erzbischofs Wilhelm für diese Aufgabe bestimmt, zum Bischof geweiht und nach Rußland gesandt. Da ihm dort wegen politischer Widerstände ein Erfolg versagt blieb, kehrte er schon 962 wieder zurück und ist dann 963-65 in der Kanzlei Ottos II. als Notar nachzuweisen (MGH DO II 6,7,10,11). 966 wurde er von Otto I. als Abt des Klosters Weißenburg/ Elsaß eingesetzt und im Oktober 968 auf der Synode von Ravenna zum ersten Erzbischof des seit langem zur Slavenmission geplanten Erzbistums Magdeburg bestimmt, mit den Bistümern Brandenburg, Havelberg, Merseburg, Zeitz und Meißen und später Posen als Suffraganen (MGH DO I 366). Wenige

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Tage später erhielt er in Rom von Papst Johannes XIII. das Pallium (Urkb. d. Erzstifts Magdeburg I, hg. F. ISRAEL/W. MÖLLENBERG, 1937, Nr. 62-64). Offensichtlich erschien A. für dieses Amt wegen seiner Erfahrung in der Slavenmission besonders geeignet. Zwar waren ihm große Missionserfolge noch nicht beschieden, doch konnte er die kirchliche Organisation aufbauen und die von Ohtric geleitete Magdeburger Domschule zu hoher Blüte führen. A. starb am 20. Juni 981 und wurde im Magdeburger Dom beigesetzt (Thietmarlll 11). 2. ' C o n t i n u a t i o Reginonis'. Ü b e r l i e f e r u n g . Hauptgrundlage für die Uberl. der stets mit der Chronik Reginos verbundenen 'Continuatio' ist eine in Freising schon zur Zeit Bischof Abrahams (957-993) geschriebene Hs. (München, clm 6388), die mit September 967 endet und auf die sieben Abschriften zurückgehen. Der bis Ende 967 reichende Schluß der 'Continuatio' ist nur beim Annalista Saxo (-* Arnold von Berge und Nienburg) erhalten. A u s g a b e n . (Adalbert!) Continuatio Reginonis, in: Reginonis abbatis Prumiensis chronicon cum continuationeTreverensi, hg. F. KURZE (MGH SS rer. Germ. 46), 1890, S. 154-179 (zir.). Mit dt. Übers.: Adalberts Forts, d. Chr. Reginos, in: Quellen z. Gesch. d. sächs. Kaiserzeit, bearb. v. A. BAUER/R. RAU, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausg. Bd. 8,1971,5.185-231. Übers.: Forts, d. Regino, bearb. v. W. WATTENBACH (GdV, 2. Gesamtausg. Bd. 28), 21890, 31939.

An die 906 abbrechende Chronik Reginos von Prüm hat A. noch als Abt von Weißenburgzwischen 966 undFrühjahr 968 inknappem Annalenstil eine von 907-967 reichende Fortsetzung, die 'Continuatio Reginonis', angefügt, für den Teil bis 940 in starker Anlehnung an verlorene Reichenauer und Fulder Annalen. Für die Jahre 960-964 benutzte er die 'Historia Ottonis' -> Liudprands von Cremona, wobei er sachliche Korrekturen an der Vorlage vornahm und vor allem deren tendenziöse Schärfen gegen das damalige Papsttum durch eine sachlichere Darstellung ersetzte. Unter Bevorzugung der westdt. Gebiete bemühte er sich um die Darstellung der Reichsgeschichte mit Einschluß Italiens. Da A. am Hofe Zugang zu den besten Informationen hatte und er selbst auf Grund seiner Stellung mitten im politischen Leben stand, konnte er Geschichte

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Adalbert Rankonis de Ericinio

aus erster Hand schreiben. Die 'Continuatio' ist trotz der sich zumeist auf reine Faktenwidergabe beschränkenden zeitüblichen und annalistisch bedingten Knappheit, trotz mancher Irrtümer und Lücken eine ausgezeichnete Quelle vor allem für die Zeit Ottos I. Mit —> Widukind von Corvey, Liudprand von Cremona und später -»Thietmar von Merseburg zählt A. zu den großen Geschichtsschreibern der Ottonenzeit. L i t e r a t u r . J. WERRA, Über d. Continuator Reginonis, Diss. Leipzig 1883; TH. SICKEL, D. Notar Liutolf A u. d. Continuator Reginonis (MIÖG Ergbd. 1), 1885, S. 361 f.; H. ISENBART, Über d. Verf. u. d. Glaubwürdigkeit d. Continuatio Reginonis, Diss. Kiel 1889; F. KURZE, Hsl. Überl. u. Quellen d. Chron. Reginos u. seines Fortsetzers, NA 15 (1890) 293-330; W. ERBEN, Zu d. Forts, d. Regino v. Prüm, NA 16 (1891) 613-622; H. BRESSLAU, Zum Continuator Reginonis, NA 25 (1900) 664-671; A. HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands III, 3-41906, bes. S. 127-131; E.E. STENGEL, D. Immunität in Deutschland I, 1910, S. 164-166; A. BRACKMANN, D. Ostpolitik Ottos d. Gr., HZ 134 (1926) 242-256; R. HOLTZMANN, Otto d. Gr. u. Magdeburg, in: Magdeburg in d. Politik d. dt. Kaiser, 1936, S.47 bis 80; BRACKMANN, Magdeburg als Hauptstadt d. dt. Ostens im frühen M A, 1937, bes. S. 11-29; M. LINTZEL, Stud, über Liutprand v. Cremona (Hist. Stud. 233), 1933; ders., Erzbischof A. v. M. als Gesch.-Schreiber, in: Z. Gesch. u. Kultur d. Elb-Saale-Raumes, Fs. W. Möllenberg, 1939, S. 12-22; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen I 166-170; NDB I 43f.; F. FLECKENSTEIN, D. Hofkapelle d. dt. Könige, (Schriften d. MGH 16/2), 1966, S.37f. ; E. QUITER, Unters, z. Entstehungsgesch. d. Kirchenprovinz Magdeburg, 1969, bes. S. 154-161, 169-175; D. CLAUDE, Gesch. d. Erzbistums Magdeburg bis in d. 12. Jh., Teil l (Md. Forschungen 67/1), 1972, bes. S. 114-135.

HARALD WUNDER Adalbert von Metz ->· Adalbertus Levita Adalbert Rankonis de Ericinio 1. Leben. Adalbert wurde um 1320 im südböhmischen Maly Jezov (lat. Ericinium), Bez. Tabor, als Sohn des mäßig begüterten dominus Rangko de Minori Jezwow geboren. Für die geistliche Laufbahn bestimmt, begab er sich zum Studium nach Paris, wurde dort 1344 Baccalaureus, 1346 Magister artium. Seit 1352 Magister des Kollegs Sorbonne, hatte er eine bedeutende Bibliothek zur Verfügung, von deren 'libri cathenati' er eigenhändig ein (erhaltenes) Verzeichnis an-

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fertigte. 1355 setzte er als Rektor der Universität eine Verordnung zur Reform der Vorlesungen durch. In den folgenden Jahren widmete er sich neben der Lehre an der Artistenfakultät dem theologischen Studium, erscheint 1363 als Baccalaureus theologiae, später auch als Magister in theologia. Zwischen 1347 und 1360 besuchte er (mehrfach?) Oxford, wo er nähere Beziehungen zu Richard Fitz-Ralph, dem bedeutenden Theologen und Kanzler der Universität Oxford, knüpfte. Eine andere Reise führte ihn, vor 1363, nach Würzburg. 1362 bis 1364 hielt er sich in Avignon auf, um sich bei der Kurie die Einkünfte aus einem ihm schon 1349 zugewiesenen Prager Kanonikat zu sichern. Nach seiner Rückkehr in die böhmische Heimat 1366 lebte er als Kanonikus an St. Veit in Prag. 1369 erhielt er das Amt des Domscholasticus. Sein Verhältnis zur Prager Universität, an der er trotz seines Renommees als Magister Parisiensis nie tätig wurde, war seit 1369/70 entscheidend getrübt durch seine hochfahrende, ungerechte Ketzeranklage gegen Heinrich —>· Totting von Oyta, die nicht weniger als die Universität selbst auch deren Gründer und Schirmherr Karl IV. scharf mißbilligte. Vom Prozeß in Avignon, in dem er 1373 unterlag, konnte er zunächst nicht nach Prag zurückkehren. Er ging erneut nach Paris, setzte seine theologischen Studien fort und erwarb anscheinend die Doktorwürde. Mittellos nach dem Verlust seiner Prager Pfründe, fand er in dem jungen -»Johann von Jenstein, dem späteren Prager Erzbischof, der damals in Paris studierte, einen Gönner, der ihm 1374/75 vielleicht auch die Rückkehr nach Prag ebnete. A.s Ansehen als Prediger und prominenter Gelehrter galt ungeschmälert. Er gewann auch das Wohlwollen Karls IV. zurück; 1478 hielt er ihm die Leichenrede. Mit besonderem Interesse unterstützte er die Vertreter der religiösen Reformbewegung in Böhmen, doch ohne je die Bahnen der kirchlichen Lehre zu verlassen. In theologischen Streit- und Zweifelsfragen (Laienkommunion, Unbefleckte Empfängnis u.a.) stand er als gesuchte Autorität zur Verfügung. Persönlichen Auseinandersetzungen ging er auch im Alter nicht aus dem

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Adalbert Rankonis de Ericinio

Wege. 1386 kam es anläßlich der von Erzbischof Johann von Jenstein verfügten Einführung des Festes Maria Heimsuchung zu einem schweren Zerwürfnis mit seinem einstigen Förderer, das bis zu A.s Tod am 15.8. 1388 nicht mehr überwunden wurde. Sein ansehnliches Barvermögen bestimmte A. testamentarisch böhmischen Studenten, die sich in Paris oder Oxford dem Studium der Artes oder der Theologie widmen wollten. Quellen der Biographie sind, sämtlich zitiert von KADLEC, zahlreiche urkundliche Bezeugungen und Erwähnungen bei Zeitgenossen, A.s eigene Schriften und Briefe, die Repliken und Briefe Johanns von Jenstein, schließlich A.s Testamente. Grundlegende Darstellung, welche die Forschung zusammenfaßt, von KADLEC, S. 1-63. Erhaltene Hss. aus A.s Besitz verzeichnen LEHMANN, S. 11-14, und KADLEC, S. 57f. I . Ü b e r l i e f e r u n g . Der Prager cod. Cap. N 8 (KADLEC, S. 72ff.), Autograph, vereinigt neben Werken anderer Autoren die meisten erhaltenen Schriften A.s aus der Pariser Studienzeit. Im übrigen verteilt sich die Überlieferung seines literarischen Nachlasses auf 45 bislang bekannte Hss. des 14. u. 15. Jh.s. Zusammenstellung bei KADLEC, S. 69-80. Die Überlieferung von 'De frequenti communione' ragt mit insgesamt 16 Hss. heraus. A u s g a b e n . Krit. Ausg. der erhaltenen Schriften, auf der Grundlage der Vorarbeiten HOLINKAS u. VILIKOVSKYS, von KADLEC, S. 81-342. Sie ersetzt alle früheren Teilausgaben (Bibliographie bei KADLEC, S. 63-68). Die definitive Fassung des 'Statutum de modo legendi libros artium in scholis', von dem KADLEC, S. 101 f., den Text eines Entwurfs mitteilt, bei H. DENIFLE/A. CHATELAIN, Chartularium Univ. Parisiensis, Bd. 3, Paris 1894, Sp. 39. Ausg. d. 'Carmen sivecantilena deevitacione amoris carnalis' zusammen mit dem anonymen Kommentar: J. VILIKOVSKY, Latinska poesie v stfedovekych Cechach, Bratislava 4 (1930) 87-128. Ausg. d. Verzeichnisses der 'Libri librarie de Sorbona': LEHMANN, S. 18-25.

3. Werke. Aus A.s Pariser Zeit sind zwei philosophische und drei theologische Quaestiones erhalten. Die erste philosophische von 1346 (KADLEC, S.81-91), der eine inceptio über das Thema 'Philosophia vera docet' vorangeht, behandelt eine erkenntnistheoretische Frage: Gibt es im Bereich der empirischen Welt unmittelbar intuitive Erkenntnis einer Wahrheit ? Die Frage wird, mit ausführlicher Kritik an Ockham, verneint. Die zweite Quaestio (KADLEC, S. 91

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bis 94) widerlegt mit logischer Routine und einer stattlichen Reihe Autoritäten den paradoxen Satz Rex est servus regni. Mehr Interesse als die kurzen theologischen Quaestiones (KADLEC, S. 95-101) haben die vier Pariser Predigten (KADLEC, S. 102—136), von denen wenigstens zwei vor dem gelehrten Kollegium der Sorbonne gehalten wurden. Mit ihrer rationalen Disziplin im Aufbau und in der Gedankenbildung, in den divisiones und dilatationes, ihrer freien Beherrschung des Autoritätenschatzes sind sie hervorragende Muster scholastischer ars predicandi. Die noch vor 1363 in Würzburg vor den Domkanonikern gehaltenePredigt (KADLEC, S. 136-154), die sich zunächst bis in den Wortlaut der Pariser Himmelfahrtspredigt anschließt, ist moralistischen Inhalts, kontrastiert dem durch den hl. Nikolaus verkörperten Ideal des Seelsorgers Mißstände der Amts- und Lebensführung im Klerus der Zeit, zumal in dessen höheren Rängen. Aus der Pariser Zeit stammt schließlich das einzige unter A.s Namen bekannte poetische Zeugnis, die in Stabat-mater-Strophen gefaßte 'Cantilena de evitatione amoris carnalis' (KADLEC, S. 330ff.); ihre Melodie ist verloren. Sie warnt in einer Kette ausschließlich antiker Beispielsfiguren vor den Fallstricken der Liebe und fordert auf, sich den Musen statt den Frauen zuzuwenden. Ein Anonymus des frühen 15. Jh.s widmete der kleinen 'Cantilena' einen umfänglichen Kommentar. 4. Das 'Statutum de modo legendi libros in scholis', das die Pariser Artistenfakultät 1355 nach dem Entwurf des Rektors Adalbert (KADLEC, S. 101 f.) beschloß, schritt gegen den Mißstand ein, Vorlesungen den Studenten Wort für Wort zu diktieren, und verpflichtete die Magistri bei Strafe zu fortlaufendem Vortrag ohne Rücksicht auf die Möglichkeit der Nachschrift. 5. Von den vier erhaltenen Reden und Predigten der Prager Zeit ist die 'Contio in sepultura Caroli IV imperatoris' (KADLEC, S. 155-174) die nach dem Anlaß und auch literarisch bedeutendste. Sie schreitet vom pathetischen Klageausbruch, der zu Tränen erschüttern will, über die Mahnung, Mäßigung im Leid zu finden, zur Tröstung: An

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die Stelle des großen Vaters tritt, ihm ähnlich, der Sohn, Wenzel IV. Das Leid wiegt nach der Schwere des Verlusts: Die Apotheose Karls als vollkommenen christlichen Kaiser macht ihn eindringlich. Der Affekt des Schmerzes rechtfertigt sich für A. als eine natürliche menschliche Regung, und er verteidigt ihn mit einer Fülle biblischer Beispiele; Mäßigung fordern zum ändern Gründe der ratio, die er wiederum der Bibel, aber auch antiken Philosophen entnimmt (inevitabilitas mortis, stipendia peccati mors usf.) - Positionen und Argumente, die im 'ackerman' —»Johanns von Tepl zum Konflikt geführt werden. Unter A.s Werken zeigt die 'Contio' den höchsten Grad an rhetorischer Ausarbeitung, auch eine besondere Abundanz der Zitate (über 70), und dabei treten auffällig die Dichter hervor, Claudian (57 Verse), Galfrid von Vinsauf (28 Verse), Johannes de Hauvilla, Lukan, Horaz. Die Tropositio facta in receptione domini cardinalis Ravenatensis' (KADLEC, S. 174 bis 181) von 1379 und der 'Sermo synodalis' (KADLEC, 182-196) haben wie schon die Würzburger Predigt die Reform des Klerus zum Gegenstand. Den Eifer für die religiöse Reform gerade in seiner Heimat bekundet die Entschiedenheit, mit der er, wie die beiden Briefe an -> Konrad von Waldhausen (KADLEC, S. 332-338) von 1364 zeigen, schon von Paris aus die Reformprediger in Böhmen ermutigte. 6. Von den Stellungnahmen, die er zu theologischen Streit- und Zweifelsfragen ausarbeitete, liegen noch vor: a) die für die sich wandelnde Laienreligiosität aktuelle Abhandlung 'De frequenti communione' (KADLEC, S. 199-230), welche die wöchentliche Laienkommunion gutheißt, noch nicht die tägliche wie -» Matthias von Janov, der Teile von A.s Schrift in seine 'Regulae veteris et novi testamenti' aufnahm; b) das 'Rescriptum ad canonicos Trebonenses super obligatione regulae s. Augustini' (KADLEC, S. 230-244), das den Augustiner-Chorherren von Wittingau die Art der Verbindlichkeit ihrer Ordensregel erläutert; c) die 'Solutio de b. Maria Magdalena peccatrice' (KADLEC, S. 197ff.), eine bejahende Antwort auf die Frage, ob Maria Magdalena actu carnali gesündigt habe; d) der Traktat

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'Utrum Maria Virgo concepta sit in peccato originali' (KADLEC, S.256-267), der die Gründe für die Annahme der unbefleckten Empfängnis Marias in der Form einer Quaestio diskutiert und gegen die Lehre der Minoriten in Zweifel zieht; ähnlich äußerte sich A. in der nur fragmentarisch überlieferten Predigt 'De immaculata conceptione Virginis Mariae' (KADLEC, S. 196f.). Auf Bitten der Benediktinerinnen zu St. Georg in Prag entstand das 'Speculum spirituale' (KADLEC, S. 244-256), eine Unterweisung über Anspruch und Wert eines würdigen Ordenslebens. 7. In den Streit mit Heinrich Totting von Oyta gehört die apologetische 'Forma magistris universitatis Pragensis missa' (KADLEC, S. 267-277), mit der A. 1372 im Gefühl der drohenden Niederlage den Rückzug anzutreten versuchte. Sie gehört zu seinen rednerischen und stilistischen Glanzstükken. Für die Auseinandersetzung mit Johann von Jenstein, die sich, begonnen als Streit um die Einführung des neuen Marienfests, auf Streitigkeiten um die Auffassung des Fegfeuers und um den sog. Heimfall (s. KADLEC, S. 38ff.) ausweitete, ist das wichtigste Dokument A.s 1386 verfaßte 'Apologia' (KADLEC, S. 277-329). Sie ist freilich kaum um sachliche Ergebnisse bemüht, sondern stellt eine mit Gelehrtenhochmut und mit verletzender Schärfe bis zum Hohn geführte Polemik dar. Die Ablehnung des neuen Marienfestes hatte A. weniger hochfahrend zuvor schon in einem Brief (KADLEC, S.338f.) angemeldet. Der Erzbischof antwortete der 'Apologia' 1388, nicht lange vor A.s Tod, mit der Replik 'Contra Albertum'. 8. A.s Erscheinung als Gelehrter, Redner, Schriftsteller hilft eine noch wirksame ältere Vorstellung (K.BURDACH) korrigieren, die das Prager Geistesleben der Zeit Karls IV. einseitig durch die Beziehungen zum ital. Frühhumanismus bestimmt sah. Die bewunderte Bildung des Mannes, die ihm die Nähe zum Hof verschaffte, seine breite Kenntnis und Verwendung antiker Literatur stammen nicht aus Italien. Mit Stolz und zu Recht bekannte er: Si quid sum, Parisiensi debeo (KADLEC, S. 270).

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Adalbold von Utrecht - Adaiger

L i t e r a t u r . A. LANG, Heinrich Totting von Oyta, Münster 1937, S. 18-28; LEHMANN, Mitt. VII, S. 3-28; S. H. THOMSON, Learning at the court of Charles IV, Speculum 25 (1950) 1-20; J. KADLEC, Leben und Schriften des Prager Magisters Adalbert Rankonis de Ericinio, Münster 1971 (mit ausführl. Lit.). F.J.WORSTBROCK

Adalbold von Utrecht I. Leben. Geb. ca. 970, gest. 27.11.1026, seit 1010 Bischof von Utrecht. Als Schüler -»•Notkers v. Lüttich stand A. in Verbindung mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit wie -»· Heriger v. Laubach (Lobbes), -> Berno v. Reichenau und Gerbert v. Reims, dem späteren Papst Silvester II. (vgl. BUBNOV, S. 484-487, und THORNDIKE/KIBRE, S. 374 bis 675). -> Egbert v. Lüttich widmete A., seinem früheren Mitschüler, ca. 1023 die 'Fecunda ratis'. Um 1000 ist A. als Scholasticus m Lüttich und Lobbes, 1007 als Archidiakon von St.Lambert in Lüttich nachzuweisen; zeitweilig war er auch Notar in der Kanzlei Kaiser Heinrichs II., von dem er 1010 das Bistum Utrecht erhielt. Als Bischof ein Vorkämpfer des Reichsgedankens, wandte sich A. gegen Ende seines Lebens den aszetischen Idealen der cluniazensischen Richtung zu und erwog unter dem Einfluß Poppos v. Stablo, selbst Mönch zu werden. II. Werke. 1. Epistola ad Silvestrum II papam. A u s g a b e . N. BUBNOV, Gerberti Opera Mathematica, 1899, S. 300-309, nach zahlreichen Hss. (vgl. ebda., S. 300-302, u. THORNDIKE/KIBRE, Inc., S. 464f., 841).

Der Brief, datiert zwischen 999 und 1003, behandelt unter Benutzung von Macrobius' Kommentar zu Ciceros 'Somnium Scipionis' die Berechnung des Inhalts der Kreisfläche und der Kugel. 2. Kommentar zu Boethius, Cons. phil. III m. 9. Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. COURCELLE, S.408. A u s g a b e n . Erstausg. v. W. MOLL, Kerkhistor. Archief 3 (1862) 198-213; überholt durch SILK, S. 14 bis 21, und HUYGENS, S. 404-426 (zit.).

Das knappe Werk, stark beeinflußt durch des Remigius v. Auxerre Kommentar zur 'Cons, phil.', ist eines der frühen Zeugnisse des mal. Platonismus (vgl. GREGORY). Die

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Diskrepanz zwischen der christlichen Lehre und den platonischen Gedanken in diesem Kernstück der 'Cons, phil.' versucht A. im christlichen Sinn zu harmonisieren (vgl. S. 418-423 über die anima). Durch A.s Vorliebe für die Ausbreitung gelehrten Wissens (vgl. den Exkurs über die Zahlen, S. 416 bis 418) wirkt der Kommentar trocken und schulmeisterlich. Für seine Einordnung in die Tradition der Boethius-Kommentare maßgebend: COURCELLE, S.297-299. 3. Vita Heinrici II. Imperatoris. Ausgabe. G.WAITZ, MGH SS IV 679-695 nach der damals einzig bekannten Wiener Hs. 9020 (16. bis 17.Jh.); über eine zweite Hs.: O. HARTWIG, NA 8 (1883)382f.; sonstige Ausg.n s. BHL 3811.

Die stofflich ganz von —»Thietmar von Merseburg abhängige Vita ist nicht vollständig erhalten und behandelt nur die Jahre 1002-1004. Näheres bei BORNSCHEUER. 4. Andere A. zugeschriebene Werke zur Hagiographie (vgl. BHL 8766) und zur Musik (vgl. SCHMID) sind unecht. L i t e r a t u r . P. VAN DER AA, A., bisschop van Utrecht, 1862; MANITIUS, LG II 743-748 (Zusammenstellung der Lebenszeugnisse S. 745-747); WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen I 101 bis 103; NDB I 47; E. T. SILK, Ps.-Joh. Scottus, A. of Utrecht and the early commentaries on Boethius, Mediaeval and Renaissance Studies 3 (1954) 1^0; R. B. C. HUYGENS, Mal. Kommentare zum qui perpetua ...', Sacris Erudiri 6 (1954) 373^27; H.SiLVESTRE, A propos de nouvelles editions de commentaires ä la Consolation de Boece, Scriptorium 9 (1955) 278-281; H. SCHMID, Z. sog. Musica Adelboldi Traiectensis, Acta musicologica 28 (1956) 69-73; T.GREGORY, Platonismo medievale, Rom 1958, S. 1-15; Rep. Font. II 115; P. COURCELLE, La Consolation de Philosophie dans la tradition litteraire, Paris 1967, S. 273 f. u. 297-299; L. BORNSCHEUER, Miseriae regum (Arbeiten z. FrühMAforsch.4), 1968, S. 122-140.

FIDEL RÄDLE Adaiger 1. Adaiger (Adelher) scheint der Name des Verf.s der 'Admonitio ad Nonsuindam reclusam' ('Commonitiuncula'), einer Schrift der Mahnung und Weisung zu christlicher Vollkommenheit nach asketisch-monastischem Maß. Über seine Person, seine Herkunft und Lebenszeit, auch

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'Adalrich' - 'Adam und Eva'

über die Adressatin, ist Näheres nicht bekannt. Für die von PEZ erwogene Identifizierung mitBischof A. von Augsburg (f964) liegen genauere Gründe nicht vor. Sie befindet sich immerhin im möglichen Spielraum der Datierung, der durch -> Albuinus' Eremita Benutzung der 'Admonitio' nach unten wenigstens fest begrenzt ist. Auch ANSPACHS Zuweisung der 'Admonitio' an Isidor entbehrt tragfähiger Kriterien. Sie ließe sich erwägen, wenn diesem 'Isidor' bis ins 10. Jh. nicht jegliche Bezeugung fehlte und die 'Admonitio' nicht überdies aus Isidor namentliche Zitate (für ANSPACH, S. 30ff., nur Interpolationen) böte. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Die 'Admonitio' geht in d. Überl. bisweilen auch unter Isidors, Bedas, Smaragdus' Namen; in Hss. d. 15. Jh.s gilt sie regelmäßig als Schrift des —»Augustinus an seine Mutter. Insgesamt mehr als 30 Hss. d. 10.-15. Jh.s (15 bei ANSPACH, S. 13-21) überwiegend deutscher Herkunft. Die Anrede der Adressatin ist im Text in einem Teil der Überl. soror, sonst tnater; in 2 Hss. tritt ein frater als der Angesprochene ein. Danach bestimmen sich drei hauptsächliche Überlieferungszweige. Als Brief Augustins an seine Mutter Monica ist die 'Admonitio' übersetzt von Johannes -»Jack von Biberach. A u s g a b e n . PEZ, Thes. 112,18-50 (nach München, clm 18537), danach PL 134, 915-938; A.E. ANSPACH, S.Isidori Hispalensis Episcopi Commonitiuncula ad Sororem (Scriptores ecclesiastici hispano-latini, fasc. IVA),Escuriall935.

3. Die von Selbstentäußerung und Bußgesinnung, von Weltverachtung und Sehnsucht nach den Freuden des Himmels getragene Schrift besitzt ihren eigentümlichen literarischen Charakter in der steten Ausstattung der Unterweisung mit exempla und miracula, die insgesamt den größeren Teil des Textes bestreiten. Sie sind vornehmlich den 'Vitae patrum' und Cassiodors 'Historia tripertita' entnommen, einzelne dem lat. losephus und Rufins 'Historia ecclesiastica'. L i t e r a t u r . MANITIUS, LG II 52f.; U. BERLIERE, L'ascese benedictine, Maredsous 1928, S. 74 u. 170; ANSPACH (s. u. 2), praefatio. F.J.WORSTBROCK

Klausner auf der Insel Ufenau (Zürichsee), ist in dem Jahrzeitbuch der Pfarrei Ufenau (heutiger Aufbewahrungsort unbekannt) überliefert (abgedr. bei RING HO LZ, S. 659 f.). Der betreffende Teil der Hs. stammt nach RINGHOLZ aus dem frühen 14. Jh. L i t e r a t u r . O. RINGHOLZ, Gesch. d. fürstl. Benediktinerstiftes U.L.F. von Einsiedeln I, 1904, S. 401, 658-661 u. passim.

WERNER WILLIAMS-KRAPP Adalviva, Adalwif -> Hadewijch 'Adams Erlösung' -> 'Streit der Töchter Gottes' 'Adam und Eva' (oberdeutsche Reimfassung) Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 1107 (v.J. 1387); Wien, cod. 2768 (14.Jh.); 2782 (v.J. 1439); 12470 (v.J. 1462); 13704 (15. Jh.); Kremsmünsterer und Arolsener Hss. (15.Jh.). Dazu VILMAR, S. 55-60; SINGER, S. 404f.; VOLLMER, S. III-VI, 46-50. A u s g a b e . Unvollst, bei H. VOLLMER, Ein dt. Adambuch. Progr. Hamburg, 1908 (-»'Adambuch' [Prosa]).

In Schwellhss. der -> 'Christherre-Chronik' (mit Beimischungen aus —»Rudolf v. Ems, Zusätzen und Fortführung) befindet sich eine längere Erzählung vom Leben Adams nach dem Sündenfall als Bearbeitung der 'Vita Adae et Evae' (MEYERS III. KL, mit Kreuzholzstoff). Sie unterscheidet sich von der Teilbearbeitung -»'Adam und Eva' ('Adams Klage'), wie auch von -» Lutwin. Das Gedicht enthält Motive aus -»Petrus Comestor, Zusätze aus Jansen -»Enenkel und -»Wolfram v. Eschenbach (Parz. 464,11 ff.). Der Text ist bair.-österr., die Entstehungszeit vielleicht noch im 13. Jh. L i t e r a t u r . A.F.C. VILMAR, D. zwei Recensionen ... d. Weltchr. Rudolfs v. Ems, 1839; S. SINGER, Zu Wolframs Tarzival', Fs. R. Heinzel, 1898, S. 353-436; P. STRAUCH, Rez. v. Vollmer, DLZ 29 (1908) 2847f. 'Vita' hg. v. W. MEYER, Abh. d. Ak. d. Wiss. München 14/3, 1878, S. 185-250.

BRIAN MURDOCH

'Adalrich'

'Adam und Eva' (Predigtparodie)

Eine knappe dt. Prosalegende des hl. A., im frühen 10. Jh. Mönch in Einsiedeln und

Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2885,36rb-37vb (tirol., 1393) (w); Karlsruhe, LB, cod. K 408, lvb-3" (schwäb.,

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'Adam und Eva ('Adams Klage')

ca. 1430/5) (k); Donaueschingen, cod. 104, Bl. 205f. (1) (—»'Liedersaal-Hs.'). Titel aus dem Inhaltsverzeichnis zu k. A u s g a b e n . Liedersaal III 127-133 (Nr. 188, nach 1); KELLER, Erz. S. 26-31 (nach k, mit Hinweis auf w); R. M. KULLY /H. RUPP, 'Der münch mit dem genßlein', 1972, S. 13-19 (nach k); SCHMID, Cod. 408, S.46-51 (Textabdr. v. k).

Die älteste erhaltene Fassung ist wohl die der nicht edierten Hs. w, wo die Predigt sich unter -»Stricker-Texten befindet. Der kText umfaßt 200 Reimverse. Die Vorlage der Hs. soll nach SCHMID, S. 21 vor 1430 in der Bodensee-Gegend entstanden sein. Die auch in dieser Gegend entstandene Hs. l bietet eine aufgeschwellte Fassung mit 232 vv. an. Zum Hss.-Verhältnis vgl. MIHM, S. 64-70,71-78, 78-92. Zur Aufschwellung in l s. NIEWÖHNER. Die Entstehungszeit des Werkes ist vielleicht noch vor 1350. Das Gedicht fängt mit Bibelzitat und carissimi-Anrede an und parodiert den Predigtstil. Nach einer Einleitung geht es bei Adams erster Begegnung mit Eva ins Obszöne über. Adam und Eva seien wegen Ungehorsams verbannt worden, nicht wegen Minne. Daraus entwickelt sich eine Ermahnung an Frauen, sich einem jeden Manne hinzugeben. In einer 'Beichte' stimmt eine Frau dieser Ermahnung zu, wofür sie 'Ablaß' erhält. L i t e r a t u r . Zur Überl.: H. NIEWÖHNER, D. Inhalt v. Lassbergs Liedersaal-Hs., PBB 66 (1942) 153-196; A. MIHM, Überl. u. Verbreitung d. Märendicht, im SpätMA., 1967; MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr. S.214 (T 225a). - Zum Inhalt: B. MURDOCH, Genesis and Pseudo-Genesis in Late Medieval German Poetry, Medium aevum (erscheint 1976). - Zur Predigtparodie: F. LEHR, D. parodistische Predigt, Diss. Marburg 1907; A.TAYLOR, Problems in German Literary History, New York 1939, S. 80-83 (Neudr. 1966).

BRIAN MURDOCH 'Adam und Eva' ('Adams Klage') 1. Ü b e r l i e f e r u n g . A. Selbständiger Text (426 Reimvv.): 1. Heidelberg, cpg 341 (14.Jh.); 2. Wien, cod. 2677 (14. Jh.); 3. Kalocsaer Kodex, jetzt Genf-Cologny, Bibl. Bodmeriana (14. Jh.); 4. unvollst, (v. 1-52) in Bruder -»Philipps 'Marienleben', Wien, cod. 2709 (14.Jh.). B. Einlage in -»Rudolfs von Ems 'Weltchronik' (328 Reimvv.). Im Grundtext: 5. Fulda, LB, cod. 184 (14. Jh.); 6. Wien, cod. 2690 (14. Jh.); 7. Stuttgart, LB, Hs. Bibl. f. 8 (v.J. 1383); 8. Weimar, Arch. d.

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LB, Hs. fol. 416 (14/15. Jh.). In Mischhss. zwischen der -> 'Christherrechronik' und Rudolf: 9. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., Aug. 8/4° (14. Jh.); 10. Stuttgart, LB, HB XIII 6 (14.Jh.); 11. Kassel, Murhardsche Bibl. u. LB, 2° Ms. theol. f. 4 (v.J. 1385). Als spätere Eintragung in einer Hs., wo die ganze 'Christherrechr.' dem zweiten Teil von Rudolfs 'Weltchr.' vorangeht: 12. Heidelberg, cpg 321 (15.Jh.). Zu Hss. 5-12, s. VILMAR, S.39-53 und FISCHER, S. 331-334. 2. A u s g a b e n . A in: GA I 1-16 (Hss. 1-3); GA III 702f. (Hs.4). B in: FISCHER, S.316-324 (Hss.5, 7 bis 12). Titel 'Adams Klage' aus einer Hs. der A-Fassung.

3. Nach der Vertreibung aus dem Paradies wollen Adam und Eva, von Hunger geplagt, eine Buße auf sich nehmen. Adam wird 40 Tage lang im Jordan, Eva 34 (30 in B) Tage lang im Tigris stehen und beten. Adam bittet den Fluß, ihm zu helfen, wobei Fluß, Tiere und Vögel stillstehen. Nach 18 Tagen kommt der Teufel in Engelsgestalt zu Eva und sagt, Gott habe ihnen vergeben. Sie kommt aus dem Fluß, aber Adam erkennt den Teufel - der hier erklärt, warum er die Protoplasten hasse - und vollendet die Buße. Eva trennt sich von Adam, ist aber schwanger, und bei Kains Geburt bittet sie Sonne und Sterne, es Adam zu berichten. Adam kommt mit Michael, der Hebamme spielt; Kain steht sofort auf und bringt Eva ein Kräutlein. In A wird überdies erzählt (v. 381-426), wie Adam den Acker bebaut, 30 Söhne und 30 Töchter bekommt und mit 930 Jahren stirbt. 4. Entstehungszeit ist das späte 13. oder frühe 14. Jh. Die Sprache ist md. (thüring. oder hess.). 5. B ist wegen des Textzusammenhangs am Anfang und Ende gekürzt, aber im Hauptteil gelegentlich erweitert. Der Standpunkt des Teufels ist in den beiden Fassungen verschieden. Nach A wurde der Teufel gemäß der Quelle wegen seiner Weigerung, Adam anzubeten, vom Himmel gestoßen, nach B, weil er Gott nicht anbeten wollte. Die Änderung ist unglücklich, da die Beziehung zu Adam verloren geht. 6. Quelle ist die im 4. Jh. ins Lat. bearbeitete christliche 'Vita Adae et Evae' 1-24, die auf jüdischer Tradition beruht (daher z.B. das Wort vom Kräutlein, das ein hebräisches Wortspiel verbirgt). Der Text ist nicht einheitlich überliefert. MEYER wies auf

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Magister Adam

4 Klassen hin, doch MOZLEY hat gezeigt, daß viele weitere Versionen vorliegen. Unser Gedicht ist mit MEYERS II. Kl. verwandt, doch daß die Vögel auch stillstehen, kommt in den bisher gedruckten lat. Texten nicht vor (MURDOCH, 1973/1, S. 170). Die Dauer der Buße steht nie fest. Luzifers Weigerung, Gott anzubeten, ist zwar in Apokryphen belegt, ist aber in B eher eine Umarbeitung der 'Vita' (sich aus dich, B, v. 183). 7. Übersetzungen der 'Vita' sind zahlreich. Reim- und Prosafassungen, häufig mit vorangehender Sündenfallerzählung, sind im Irischen, Engl., Frz., Italienischen und Dt. (-> 'Adam und Eva', -> 'Adambuch', -> Lutwin, -* Folz) bekannt. Die Buße wird auch allein behandelt (auch als Drama). Der Stoff wird in Chroniken eingefügt, und Anspielungen kommen in verschiedenen Dichtungen vor (MEYER, S.209-220; DAY, S. XXII-XXXII; MURDOCH, 1975, S. 209 bis 215). Prosaauflösungen von unserem Ged. finden sich in -> 'Historienbibeln' (SCHWARZ, S. 45). L i t e r a t u r . A.F.C. VILMAR, D. zwei Recensionen ... d. Weltchr. Rudolfs v. Ems, 1839; GA I, S.LXIX bis LXXIV; H. FISCHER, D. Buße Adams u. Evas, Germ. 22 (1877) 316-341; H. VOLLMER, Ein dt. Adambuch, Progr. Hamburg 1908, S. II; A. LEITZMANN, Zu v. d. Hagens GA, PBB 48 (1924) 46-49; B. MURDOCH, An early Irish Adam and Eve, Medieval Studies 35 (1973) 146—177; ders., The river that stopped flowing, Southern Folklore Quarterly 37 (1973) 37-51; ders., D. dt. Adambuch. In: D. dt. Lit. d. späten MAs. Hamburger Colloquium 1973. London/Berlin 1975, S. 209 bis 224; P. SCHWARZ, D. neue Eva (GAG 77), 1973, S. 44-59. - Zur 'Vita': W. MEYER, 'Vita Adae et Evae', Abh. d. Ak. d. Wiss. München 14/3, 1878, S. 185 bis 250; M.DAY, The Wheatley Ms., London 1921; J. MOZLEY, The 'Vita Adae', Journal of Theological Studies 30 (1929) 121-149.

BRIAN MURDOCH Magister Adam 1. Magister Adam ist der Verf. der 'Summula de Summa Raymundi' ('Summula Raymundi metrice compilata', 'Summula pauperum'), einer Versifikation der 'Summa de casibus poenitentiae' (2. Rezension) des Raymundus von Penyafort; nur als solcher ist er bekannt. Seine Schaffenszeit fällt entsprechend der Datierung seines Werks ins

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zweite Drittel des 13.Jh.s. Auf seine Herkunft läßt die Überl. der 'Summula' schließen, die sich, zumal die ältere, deutlich auf bayrische und österr. Klöster konzentriert. Das häufig anonym, häufig irreleitend auch als 'Summula Raimundi', 'Dicta Raimundi' u.a. überlieferte Werk schließt in zahlreichen und vor allem älteren Hss. mit einem vielleicht authentischen Commentum magistri Adam: Adam iure minus doctis uersus dedit istos, V t discant que sintfugienda per hosue tenenda (München, clm 2610, 67V), und danach bezeugt den Verf. ein beträchtlicher Teil der Hss. auch in der Überoder Schlußschrift. Näherer Aufschluß über seine Identität findet sich jedoch in der Überl. bis ins 15. Jh. nirgends. Die Zuweisung der 'Summula' an einen A. von Aldersbach (O. Cist.), propagiert zuerst durch C. DE VISCH (Bibliotheca Scriptorum s. Ord. Cisterciensis, Köln 21656, S.l), für gesichert erklärt von HAUREAU aufgrund K. HALMS verfänglicher Angaben zu clm 2633 und 2699 im Katalog der Münchener Codices latini, entbehrt somit der erforderlichen Voraussetzungen. Das gleiche gilt für die seit J. QUETIF/J.ECHARD (Scriptores Ord. Praedicatorum, Bd. l, Paris 1719, S.734) verbreitete Zuweisung an einen Dominikaner A., die zuvor schon im Pariser Druck von 1494 zu lesen war. WALZ glaubte sie indes noch präzisieren zu sollen, indem er wider alle chronologischen Kriterien für den Dominikaner A. von Köln (f 1408) plädierte (so auch LThK, NDB,KAEPPELI). Die 'Summula' entstand nach 1235, dem wahrscheinlichen Zeitpunkt der formellen Veröffentlichung ihrer Quelle (vgl. S. NER, Z. Entstehungsgesch. d. Summa de casibus poenitentiae d. hl. Raymund v. Penyafort, Zs. f. Rechtsgesch., Kanon. Abt. 39 [1953] 419-434). Terminus ante quern ist die Zitierung zweier ihrer Verse in einer lat. Predigt -»Bertholds von Regensburg (t 1272); 1280 nahm ->Hugo von Trimberg sie ins 'Registrum multorum auctorum' (v. 492-497) auf. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Die 'Summula' liegt schon im 13. Jh. in zwei Redaktionen vor, deren wesentlicher Unterschied in der Anordnung des Textes besteht; nur die eine scheint mit Prolog aufzutreten. Redaktion A (München, clm 2610, 62r-67v, 13.Jh.): ine. prol.

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Adam von Bremen

Summula de summa Reimundi prodiit ista; ine, op. Si facts in banno contractum. Redaktion B (München, elm 23436, 5 -29 , 13.Jh.): inc. In summis festis ad missam dicitur una. Insgesamt mindestens 160 Hss. d. 13.-15.Jh.s, meist mit Glossen, seit d. 14. Jh. vielfach mit geschlossenem Kommentar. Drucke: GW 212-217. Zahlreiche Drucke noch d. 16. Jh.s, vornehmlich auf der Grundlage der Neubearbeitung durch J. Chappuis im Pariser Druck von 1494 (GW 217). Vgl. VALLS TABERNER, S.75-82; WALTHER, Initia 9117 (u. Nachtr.); M.W. BLOOMFIELD, Traditio 11 (1955) 317; DIETTERLE, S. 173, W. TRUSEN, D. Anfänge d. gelehrten Rechts in Deutschland, in: Recht u. Geschichte I, 1962, S. 139f.; P.GERBENZON, Studia Gratiana 12 (1967) 259-261. Eine Ausgabe fehlt; die Überl. ist weder untersucht noch überhaupt vollständig gesichtet. Abdruck des Prologs bei VALLS TABERNER, S.71.

3. Die Gattung der 'Summae confessorum', rasch aufgekommen nach dem 4. Laterankonzil (1215), welches neben der Predigt das Bußsakrament in den Mittelpunkt der Seelsorge rückte, fand im spätmal. Deutschland in A.s 'Summula' ihre anscheinend populärste Vertreterin. Das in gut 1100 (Redaktion B: 1080) Hexameter gefaßte Kompendium bietet keine Gelehrsamkeit. Es sucht dem (angehenden) Beichtiger das von der Autorität Raymundus formulierte System kanonistischer Kasuistik in eine der pastoralen Praxis dienliche kurze und einprägsame Form zu übertragen. Die juristische Komponente tritt daher ganz zurück. Der Vers hat mnemotechnische Funktion. Über den Stoff der 'Summa' des Raymundus hinausgreifend nahm A. u.a. eine Auslegung der Messe auf. Als Buch der Unterweisung und verbreiteten Gebrauchs erhielt die 'Summula' mehrere große Kommentare, die zu einem Teil selbständig, ohne A.s Text, auftreten. L i t e r a t u r . J. F. von SCHULTE, D. Gesch. d. Quellen u. Lit. d. kanonischen Rechtes, Bd.2, 1877, S.427f.; A. SCHÖNBACH, Über eine Grazer Hs. lat.-dt. Predigten, Graz 1890, S. 62 u. 88 (Zitat bei Berthold); B. HAUREAU, Notices et extraits de quelques mss. latins de la Bibl. Nationale, Bd. 2, Paris 1891, S. 209-211; A. FRANZ, D. Messe im dt. MA, 1902, S. 482-486; V. ROSE, Verz. d. lat. Hss. d. Kgl. Bibl. zu Berlin, Bd. 2,1903, S. 938-940; J. DIETTERLE, Die Summae confessorum, ZKG 27 (1906) 171-177; A. WALZ, S. Raymundi de Penyafort auctoritas in re poenitentiali, Angelicum 12 (1935) 346-396, hier S. 388; F. VALLS TABERNER, La 'Summula Pauperum' de Adam de Aldersbach, Gesammelte

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Aufsätze z. Kulturgesch. Spaniens, Bd. 7, hg. v. H. FINKE, 1938, S. 69-83; LThK I 132; NDB I 51; P. MiCHAUD-QuANTiN, Sommes de casuistique et manuels de confession au moyen äge (Analecta medievalia Namurcensia 13), Louvain 1962, S.41 f.; KAEPPELI, Scriptores l, S.4. F.J.WORSTBROCK

Adam von Aldersbach ->· Magister Adam Adam von Bremen I. Leben. Das Lebensbild des magister A., das SCHMEIDLER, Ausg. S.LII-LVII, aufgrund der wenigen Hinweise in A.s eigenem Werk - besondere Berichtsgegenstände und Sprache -, in einer Urkunde und bei -> Helmold von Bosau (I c. 14) zusammenstellte, ist durch Einwände ERDMANNS, S. 115, nicht erschüttert. A. dürfte aus Ostfranken oder Westthüringen stammen und etwa gleichzeitig mit ->· Lampert von Hersfeld die Bamberger Domschule besucht haben, auf die Besonderheiten seiner klassischen Bildung hinweisen. 1066/67 kam er nach Bremen; Erzbischof Adalbert (1043 bis 1072) nahm ihn unter die Domkanoniker auf und übertrug ihm vor dem 11.6.1069 das Amt des Scholasters. Zu Beginn des Bremer Aufenthalts unternahm A. eine Reise zu König Sven von Dänemark (1047 bis 1076); nach Erzbischof Adalberts Tod begann er die 'Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum' (so der Titel nach Helmolds 'Chron. Slav.' c. 14, von A. selbst als de Bremensium sine Hammaburgensium serie presulum [S. 24] und als historia Hammaburgensis ecclesiae [S.43] bezeichnet), die er schon 1075/76 Erzbischof Liemar von Bremen widmete. Gleichwohl hat er an seinem Handexemplar noch bis etwa 1080/ 81 gearbeitet. Vor 1085 an einem 12.10. scheint er verstorben zu sein (Diptychon Bremense, Arch. d. hist. Ver. f. Niedersachsen [1835] 304). II. Ü b e r l i e f e r u n g . Von den 22 Hss., die SCHMEIDLER, Ausg. S.VII-XXXIV, in 3 Klassen A, B, C unterteilte, überliefern nur die Wiener Hs. 521 und deren Abschrift die Erstfassung A.s ohne Kontamination mit den anderen Klassen. Ergänzend OTTO, S. 10-55; Adami Bremensis G.H.e.p., Cod. Havniensis [Cl] Published in Photography with Preface by C. A. CHRISTENSEN, Copenhagen 1948. Zweifel an der Hss.-Filia-

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Adam von Bremen

tion SCHMEIDLERS bei S. BOLIN, Zum Cod. Havniensis A. kgl. S. 2296, Classica et Mediaevalia 10 (1949) 131 bis 158. Über eine neuentdeckte Hs,, wichtig für Buch IV, J. DANSTRUP,Esgruserhaendskrift, A. af B., D. kgl. Danske Videskabernas Selskal, Krit.-Filol. Skrifter 1/4, 1943. III. A u s g a b e n . Erstausg. von A.S. VELLEUS, Hafniae 1579; erste krit. Ausg. von J. M. LAPPENBERG, MGH SS rer. Germ., 1846; B. SCHMEIDLER, MGH SS rer. Germ., 1917, mit Übersicht über alle früheren Ausg.n S. XLVf. (zit.); W. TRILLMICH, Frhr. vom SteinGedächtnisausg., Mal. Reihe 11,1961 (mit dt. Übers.}. Dänische Übers, von C.L. HENRICHSEN, A af B., K0benhavn 1930; dt. Übers, von B. SCHMEIDLER, A.s v. B. Hamburgische Kirchengesch. (GdV 44), H926; engl. Übers, von F.F.TscHAN, A. of B., Records of Civilization (Sources and Studies 53), New York 1959.

IV. Werk. Als Dank für die Aufnahme in Bremen und als Beitrag zum Aufbau des Erzbistums, das bis dahin einer Geschichte seiner Bischöfe entbehrte, wollte A. sein Werk verstanden wissen. Die Darstellung umfaßt die Zeit von 755-1072 und ist in 3 Bücher gegliedert. Das 1. behandelt die Ereignisse bis zum Tod Erzbischofs Unni (918-936), das 2. die Zeit von Adaldag (937-938) bis zum Amtsantritt Adalberts, das 3. den Pontifikat Adalberts. Ein 4. Buch 'Descriptio insularum aquilonis' ist eine historische Landeskunde der Gebiete, auf die sich die Missionsbemühungen und Metropolitanansprüche der bremisch-hamburgischen Kirche richteten. 1. Um 1075/76 hat A. sein Werk zunächst beendet und in einer Abschrift Erzbischof Liemar (1072-1101) gewidmet. Dieses Exemplar wurde Ausgangspunkt der Hss.Klasse A, doch hat A. auch weiterhin an seinem Konzept gearbeitet: Fast alle Hss. (vgl. o. II.) weisen, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, neben Erweiterungen des ursprünglichen Textes Marginalien, sog. Scholien, auf, die Berichtigungen, Erläuterungen, Belege und kleine Exkurse zum frühesten Text enthalten. Wenigstens diejenigen Zusätze, die allen Hss. gemeinsam sind, können auf eine 2. Redaktion des Werks zurückgeführt werden, die A. selbst vornahm. Darüber hinausgehende Erweiterungen in den Hss.-Klassen B und C sind einem Bremer Domherren zuzuschreiben, der die 2. Redaktion zwischen 1085 und 1090 überarbeitete.

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2. A. hat besonders für die zwei ersten Bücher zahlreiche Quellen mit Verständnis verarbeitet, auch wenn bei sprachlichen Änderungen und zusammenfassender Wiedergabe deren Sinn nicht immer gewahrt ist. An erster Stelle sind mal., teilweise verlorene Viten, Annalen und Chroniken zu nennen. Ein Versuch, die konkreten Vorlagen textkritisch genauer zu bestimmen, würde vielleicht noch weiteren Aufschluß über Bildungsgang und Verbindungen A.s geben. Groß ist auch die Zahl der ihm bekannten klassischen Autoren und Kirchenväter. Sie dienen nicht nur als Stilmuster, sondern auch als Quelle für geographische und ethnographische Angaben. Außerdem standen Urkunden der Päpste, Kaiser und Erzbischöfe sowie Briefe zur Verfügung. Erhebliches Gewicht kommt mündlichen, oft sagenhaften Traditionen und direkten Mitteilungen von Zeitgenossen zu. Das 3. Buch beruht vornehmlich auf derartigen Berichten, darunter solchen Adalberts und des Königs Sven, der auch der Gewährsmann für den meisten Stoff des 4. Buches gewesen sein dürfte (Einzelheiten bei SCHMEIDLER, Ausg. S.LVII-LXV). 3. A.s Werk, von der Arbeitsweise her wissenschaftliche Geschichtsschreibung wie die Chronographie, verkörpert in den Büchern I und II das literarische Genus der Gesta, dem auch das Buch III noch angehört, das aber durch die umfassende zeitgeschichtliche Berichterstattung und die biographischen Züge eher als Historia Erzbischofs Adalbert zu bezeichnen ist. Zwei Motive leiten A.: wie durch das Wirken der Bischöfe die Kirche verherrlicht und das Christentum unter den Heiden verbreitet wird. Er identifiziert sich mit dem Anspruch der Bremer Kirche auf einen nordischen Patriarchat und ihren Missionsbemühungen. Darin mag auch das Interesse für die Geographie und die germanischen und slawischen Völker des Nord- und Ostseeraumes begründet sein. Entsprechende Partien seines Werkes zeigen, welche Völker und Gebiete durch die Bremer Bischöfe christianisiert wurden, und liefern Informationen für die weitere Mission. Kirchlichkeit und Religiosität erscheinen daher als Mittelpunkt in A.s Vorstellungen. Sie sind zuerst

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Adam von Fulda

auf die Ortskirche bezogen, aber eingebettet in ein Bewußtsein auch von der Gesamtkirche. Besondere Wertschätzung erfährt der sächsische Stamm, weil ihm die Bremer Kirche zuzuordnen ist, doch besitzt A. auch ein Gefühl für die durch die Sprache begründete kulturelle Gemeinschaft aller deutschen Stämme; es wird überwölbt von der Liebe zum Reich und zu seinem König, der unbedingte Treue verlangt. Ein Gipfel in A.s Darstellungskunst und der des MAs ist die Geschichte Adalberts. Zuneigung und Blick für dessen Größe sind mit klarem Sinn für dessen Schwächen gepaart. A. zeigt sich darin als ein Mann von einer für das MA ungewöhnlichen Urteilskraft und beachtlichen Fähigkeit, auch den inneren Menschen zu erfassen und dessen Differenziertheit mit sprachlichen Mitteln nachzuzeichnen. Diese Fähigkeit mag man auch in seinem ethnographischen Interesse wirksam sehen. 4. Die mal. Wirkung A.s ist auf wenige Benutzer beschränkt, die, abgesehen von der chronographischen Zielsetzung des Annalista Saxo (-> Arnold von Berge und Nienburg), ihr Interesse ebenfalls auf die bremische Kirche und die nordische Mission richteten (Helmold von Bosau; -> Albert von Stade; Annales Lundenses, hg. v. E. J0RGENSEN, Annales Danici Medii Aevi. K0benhavn 1920, S. 73-129; Historia archiepiscoporum Bremensium, hg. v. J.M. LAPPENBERG, Geschichtsquellen d. Erzstiftes u. d. Stadt Bremen, Bremen 1841, S. 7-54). Die übrige Wirkungsgeschichte ist identisch mit der Überlieferungsgeschichte, deren Zeugen vor allem dem 15. und 16. Jh. angehören. L i t e r a t u r . P.W.KOHLMANN, A. v. B. (Leipziger Hist. Abhh. 10), 1908; B. SCHMEIDLER, Neuere Lit. über A. v. B., Zs. f. lüb. Gesch. 16 (1914) 111-121; E. SCHRÖDER, Z. Heimat d. A. v. B., Hans. Geschbll. 23 (1917) 351-365; B.SCHMEIDLER, Hamburg-Bremen u. Nordosteuropa vom 9.-ll.Jh., 1918; L.LE.GOWSKI, Eyrazy slowianskie Adama Bremienskiego G.H.e. p., Slavia occid. 7 (1928) 166-171, 569; A. OTTO, Beitr. z. Textgesch. d. A. v. B., NA 49 (1930) 10-55; E. ARUP, Kong Svend 2.s Biografi, Scandia 4 (1931) 55-101; S. BOLIN, Kring mäster Adams text, Scandia 5 (1932) 205-250; L. KOCZY, Sklawania Adama Bremenskiego, Slavia occid. 12 (1933) 181-249; L.WEIBULL, Geoethnographische Interpolationen u. Gedankengänge bei A. v. B.,

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Hans. Geschbll. 58 (1933) 3-16; B. SCHMEIDLER, Z. Entstehung u, z. Plane d. Hamburgischen Kirchengesch. A.s v. B., NA 50 (1933) 221-228; O. KÖHLER, D. Bild d. geistlichen Fürsten in den Viten d. 10., 11. u. 12. Jh.s, 1935; C. ERDMANN, Stud. z. Brieflit. Deutschlands im 11. Jh., MGHSchr.n 1,1938, S. 115; A. TROMMER, Komposition u. Tendenz in d. Hamburgischen Kirchengesch. d. A. v. B., Classica et Mediaevalia 18 (1957) 207-257; R. BUCHNER, D. politische Vorstellungswelt A.s v. B., AKG 45 (1963) 15-59; ders., A.s v. B. geistige Anleihen bei d. Antike, Mlat. Jb. 2 (1965) 96-101; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALF., Geschichtsquellen II 566-571, III 165* f.

FRANZ-JOSEF SCHMALE Adam von Fulda Komponist und Musiktheoretiker I. Leben. Geb. um 1445 in Fulda, gest. 1505 in Wittenberg. Aus den ersten viereinhalb Jahrzehnten seines Lebens und Wirkens sind kaum Einzelheiten bekannt. Die frühesten Nachrichten über ihn finden sich im Vorwort seiner laut Explicit am 5. Nov. 1490 abgeschlossenen Musikabhandlung. Dem Vorwort zufolge hielt er sich eine Zeit lang in Passau und in dem nahe gelegenen Benediktinerkloster Formbach (Vornbach) auf, wo er in der Ruhe der klösterlichen Abgeschiedenheit seine Musikschrift entwarf. In Passau pflegte er Beziehungen zu dem aus Thüringen stammenden Rechtsgelehrten und Konsistorialadvokaten Joachim Luntaler, dem er als einem amicus fautorque singular is simus seine Musikabhandlung widmete. Spätestens 1490 trat er, vielleicht durch Vermittlung Luntalers, in den Dienst des kursächsischen Hofes in Torgau; denn er bezeichnet sich bereits in der Widmung seiner Musikschrift als musicus ducalis. Hofhistoriograph seit 1492, erhielt er von Friedrich dem Weisen den Auftrag, in Kursachsen alte historien, croniken und geschickten zu erkunden. Seit 1492 dort auch als Hofkomponist und -poet tätig, wurde er spätestens 1498 zum Hofkapellmeister, 1502 dann an der im gleichen Jahre gegründeten Universität Wittenberg zum Musikprofessor ernannt. 1490/91-1503/04 ist er in Torgauer und Wittenberger Akten belegt. 1503/04 diktierte er noch an der von ihm begonnenen Sachsenchronik, die nach

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Adam von Fulda

seinem Tode von Johannes Trithemius fortgesetzt wurde. Er starb an der Pest. In seinem Todesjahr kaufte seine Witwe (gest. 1513) das Haus des Wittenberger Stadtrichters. A. gehörte mit Konrad Mutian, Georg Spalatin, Johann Spangenberg, Eoban Hesse, Justus Jonas, Georg Sibutus u.a. dem Erfurt-Gothaer Humanistenkreis an. Im Streit zwischen Erasmus von Rotterdam und Edward Lee ergriff er für Erasmus Partei und richtete gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten des Erfurter Kreises heftige Angriffe gegen Lee (In Eduardum Leeum quorundam e sodalitate litteraria Erphurdiensia Erasmici nominis studiosorum Epigrammata, Erfurt 1520). Mutian gedenkt seines Mitstreiters A. noch in einem Brief v.J. 1514 (K. GILBERT, Der Briefwechsel des Konrad Mutianus, Bd. 2, 1890, S. 106). Hesse bezeugt in einer Rede auf das Rektorat des Justus Jonas aus dem Jahre 1519 A. als hervorragenden Kommentator von Erasmus' 1502 veröffentlichtem 'Enchiridion militis christiani' (G. KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, Bd. l, 1884, S. 35 ff.). II. Werke. Von A. sind zwölf geistliche und drei weltliche Kompositionen sowie ein Musiktraktat und ein Andachtsbüchlein erhalten. 1. K o m p o s i t i o n e n und L i e d e r t e x t e . Ü b e r l i e f e r u n g . Hss. d. geistl. Kompositionen: Berlin, SB, Ms.mus. 40021 (a); Leipzig, ÜB, Ms.mus. 1494 (b); Breslau, Bibl. d. Musikwiss. Seminars d. Univ., Mf. 2016 (c). Hss. d. weltl. Kompositionen: Augsburg, StB, cod. 142a (d); St.Gallen, StiftsbibL, cod. 403 (e); Ldb. des Amt von Aich (f): Basel, ÜB, cod. Kk IV, 11-14, und Berlin, SB, Ms. mus. pract. antiqua A 180; Ldb. des Johannes Heer aus Glarus (g): Sr. Gallen, StiftsbibL, cod. 462; Tabulaturbuch des Clemens Hör aus St. Gallen (h): Zürich, Zentralbibl., cod. Z XI 301. Im einzelnen handelt es sich um folgende Tonsätze: 1. Missa 4stg. (a, 120-129'), 2. Magnificat quinti tont 3stg. (a, 77v-80r), 3. Responsorium: In principle erat verbum 3stg. (a, 46V, b, 52V), 4. Responsorium: Sancta Dei genitrix, 2. Tl. = Te laudamus Deus noster 4stg. (a, 47r-48r; b, 156M58'; c, 8v-9r, hier anonym), 5. Antiphon: Regali ex progenie 4stg. (b, 139—140'; c, ff—7', hier anonym, 6. Hymnus: Fange lingua gloriosi 4stg. (b, 3v^r), 7. Hymnus: Nuntius celso veniens — 2. Str. von Ut queant laxis 5stg. (b, 6v-7r), 8. Hym-

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nus: Veni creator Spiritus 3stg., I.Fassung (b,23"-24r), 9. Hymnus: Vent creator Spiritus 3stg., 2. Fassung (b, 24v-25r), 10. Hymnus: Ut queant laxis 4stg. (b, 29' bis30 r ), 11. Hymnus: Dies est laetitiae 4stg. (a, 86V und b, 62v-63r), 12. Hymnus: Salve decus virginum 4stg., Satz ohne Text (b, 147M48'), 13. Lied: Ach hülffmich leid und senlich klag 4stg. (f, Nr. 21; g, S. 14-15), 14. Lied: Ach Jupiter bets tu gewalt 4stg. (e, hier unvollst, überl.; f, Nr. 38; g, S. 141-143, h, 23v-24r, 15. Lied: Apollo aller kunst ein hört 4stg. (d, e, hier unvollst, überl.; f, Nr. 71; g, S. 144-145). Ausgaben. W.NIEMANN, Stud. z. dt. Musikgesch. d. XV. Jh.s, Kmjb 17 (1902) 9-46 (Nr. l, nur das Kyrie; 2, nur ein Ausschnitt; 3-13 u. 15); E. BERNOULLI/H. J. MOSER, D. Ldb. des Amt v. Aich, 1930, S. 44-^6, 74-76,124-125 (Nr. 13-15); R. GERBER, D. Mensuralkodex des Nicolaus Apel, Tl.I (D. Erbe Dt. Musik, Bd. 32 - Abt. MA, Bd.4), 1956, S.4-5, 8-9, 28, 29, 35, 58-59, 72 (Nr.3, 6-11); ders., D. Mensuralkodex ..., Tl. II (ebd.,Bd.33 = Abt. MA,Bd.5), 1960,5.178-180, 187-189, 205-208 (Nr.4, 5 und 12); A. GEERING/H. TRÜMPY, D. Ldb. des Johannes Heer v. Glarus (Schweizerische Musikdenkm., Bd. 5), Basel 1967, S. 9-11, 136-143 (Nr. 13-15); H.J.MARX, D. Orgeltabulatur des Clemens Hör (Schweizerische Musikdenkm., Bd. 7), Basel 1970, S. 36-37 (Nr. 14). Ein 4stg. Satz Namque triumphanti (a, 148V-149'), der in der Berliner Hs. mit A gezeichnet erscheint, ist von EITNER (1893) A.v.F. zugeschrieben und von NIEMANN (S. 38) abgedruckt worden, doch hat EHMANN (1936, S.34) ihn als unecht nachgewiesen.

Die geistlichen Kompositionen bewegen sich zwischen der Drei- und der Fünfstimmigkeit und haben mit Ausnahme der Messe als cantus firmus, der zumeist im Tenor, gelegentlich aber auch im Diskant auftritt und der von den übrigen Stimmen kontrapunktisch umspielt wird, eine gregorianische Melodie. In der Messe hingegen bildet die Melodie eines bisher noch nicht ermittelten weltlichen Liedes, die möglicherweise frz. Provenienz ist und die derjenigen der bekannten frz. Chanson Se la face ay pale ähnelt, im Tenor den durch alle fünf Ordinariumsätze gleichbleibenden cantus firmus. Die Messe gehört sonach zum Typus der Lied- oder Chansonmesse. Neben der cantus-firmus-Technik begegnen in den geistlichen Sätzen Durchimitation und Kanon, dazu häufig eine den harmonischen Wohlklang fördernde Parallelführung der Stimmen in Terzen, Sexten oder Dezimen, die sich von der niederländischen Polyphonic absetzt und wohl als eine dt. Eigenart angesehen werden darf.

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Die weltlichen Kompositionen sind alle drei 4stg. mit der Kernweise im Tenor. Bei zweien von ihnen sind auch die Texte zweifellos von A. v. F. verfaßt: Ach Jupiter bets tu gewalt (Liebesdialog, Strophenakrostichon ADAM UON FVLDA) und Apollo aller kunst ein hört (Liebesklage eines Mannes, Strophenakrostichon ADaM). Beide Texte zeigen kunstvolle Schlagreimtechnik, in beiden sind die Formeln und Topoi der spätmal. Liebesliedtradition durchsetzt von einer Fülle literarischer und antik-mythologischer Namen und Motive.

auch in lutherischen Gesangbüchern, so im 'Enchiridion geistlicher gesenge und psalmen' (Zwickau 1528), im Gesangbuch von Joseph Klug (1533) und im Gesangbuch von Valentin Babst (1545), in den beiden letztgenannten Gesangbüchern mit dem Hinweis Geistlich Adam von Fulda. Diese Fassung dürfte es auch sein, deren Anfang auf einem Bild des Meisters H[ans] F[unk d.Ä.] von 1524 auf einem Notenblatt steht (vgl. L.SCHMIDT, Jb. d. österr. Volksliederwerkes 7 [1958] 16-21). Dagegen ist bei anderen Zeugen, z.B. Orgeltabulaturen (erstmals Kotters Tabulatur von 1513 = Basel, ÜB FIX 22), kaum zu entscheiden, ob das weltliche oder das geistliche Lied gemeint ist.

Das Lied Ach Jupiter hets tu gewalt wurde zweimal geistlich umgedichtet, 1524 von Hans Sachs (O goi vater du hast gewalt: A. v. KELLER/E. GOETZE [Hgg.], Bd. 22, 1894, S. 104-108; WACKERNAGEL, KL III, Nr. 87) und 1571 von Heinrich Knaust (Ach lieber gott du hast gewalt: WACKERNAGEL, KL IV, Nr. 1149).

Ü b e r l i e f e r u n g . Der Musiktraktat 'De musica' scheint in nur einer ehemals im Zisterzienserkloster Altzelle (Altenzelle) bei Nossen in Sachsen befindlichen Hs. überliefert zu sein, die später auf unbekanntem Wege in die ÜB Straßburg gelangte und dort 1870 verbrannt ist. Eine Kopie dieser Hs. in der Bibl. del Liceo musicale in Bologna. A u s g a b e . GERBERT, Scriptores III 329-381 (nach d. Straßburger Hs.).

Nicht so sicher ist A.s Textautorschaft beim dritten weltlichen Lied Ach hülffmich leid und senlich klag (Strophenanfänge Ach Mein AI). Diese Liebesklage eines Mädchens stellt mit seinen Schlagreimhäufungen einen Gipfel formaler Kunstfertigkeit in der zeitgenössischen Lieddichtung dar. Antike Motive fehlen völlig. Dieses Lied hatte ungewöhnlichen Erfolg. Heinrich Glarcan, der in seinem 'Dodecachordon' (Basel 1547) III13 den Satz A.s v. F. als Beispiel für die äolische Tonart abdruckt und ihm einen selbstverfaßten geistlichen lat. Text (O vera lux et gloria) unterlegt, um ihn auch außerhalb Deutschland bekannt zu machen, nennt es eine cantio ... patrüs etiam uerbis elegantissitne composita ac per totam Germaniam cantatissima (S. 261). Tatsächlich ist der Text auch unabhängig von A.s Komposition breit überliefert und bezeugt, u.a. in Ebenreuters Hs. Berlin, mgf 488, 330v-331r (um 1530), in Heidelberg, cpg 343, 88v-89r (um 1550, vgl. A. KOPP, Volks- und Gesellschaftslieder I [DTM 5], 1905, Nr. 99) und in Georg Forsters Frischen Teutschen Liedlein V, 22 (1556, vgl. Ausg. v. E. MARRIAGE, 1903, S. 198, weitere Überl. S. 262). Eine geistliche Umdichtung, die mit dem anspruchsvollen Reimschema nicht ganz so elegant fertig wird, ist erstmals in Peter Schöffers Liederbuch (Mainz 1513, Nr. 1) mit gleicher (wenn auch variierter) Melodie, aber in einem nicht von A. v. F. komponierten Satz überliefert (Text: WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1314). Diese Kontrafaktur hat Hans Sachs 1520 so bearbeitet, daß die marianischen Motive eliminiert wurden (A. v.KELLER/E. GOETZE [Hgg.], Bd.24,1900, S.36-38). In seiner Fassung, aber ohne seinen Namen, steht das Lied dann

2. S c h r i f t e n . a) 'De m u s i c a '

Der Musiktraktat ist in vier Teile gegliedert, von denen der erste (7 Kapitel) die Definition und die Klassifikation der Musik sowie Ausführungen über ihren Ursprung und über ihre Wirkung, der zweite (17 Kapitel) Darlegungen über Tonbuchstaben und Tonsilben, Mutation und Solmisation, Tonarten und Tonabstände sowie über Konsonanzen und Dissonanzen zum Inhalt hat, während der dritte (13 Kapitel) von der Mensuralmusik, d. h. von den Noten und Pausen, Ligaturen und Mensurzeichen, Mensurgraden und Taktarten, sowie von der Alteration und Imperfektion, der vierte (8 Kapitel) von der musikalischen Proportion, d. h. von der Intervall- und Taktproportion und von der Ganztonteilung handelt. Die in der Definition und anderwärts für die Musik verwendete Bezeichnung disciplina liberalis bzw. ars liberalis deutet darauf hin, daß A. die Tonkunst noch dem mal. Bildungssystem der septem artes zurechnet, das zu seiner Zeit längst im Niedergang begriffen ist. In der Klassifikation zeigt er eine bemerkenswerte, zu jener Zeit nicht oft anzutreffende Unterscheidung von musica naturalis (= musica mundana = Sphärenharmonie + musica humana = Leib-Seele-Harmonie) und musica artificia-

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Adam von Fulda

Its (= musica vocalis + musica Instrumentalis] ; die musica vocalis teilt er in musica usualis ( — emissio vocis car ens principiis ut est cantus vulgi) und musica regulata ( — modulatio dulcissima regulariter artificialiterque constructa), ferner die musica regulata in musica simplex vel plana ( = einstg. Musik) und musica mensuralis vel figurativa (= mehrstg. Musik). Nachdrücklich zwischen musicus und cantor trennend, verlangt der Verf. von einem guten Komponisten, daß er gleichermaßen über das praktische Können des letzteren wie auch über das theoretische Wissen des ersteren verfügt, und verurteilt die Stümperhaftigkeit und Unzulänglichkeit des mimus und joculator. Im Anschluß an die Betrachtung der perfekten und imperfekten Konsonanzen stellt A. zehn Kompositionsregeln auf und kommt dann auf den Rätselkanon zu sprechen, den er in jüngeren Jahren als hohe Kunstfertigkeit geschätzt hat, inzwischen aber ebenso wie viele andere Tonsetzer seiner Zeit als eitle Künstelei ansieht und ablehnt. Als theoretische Gewährsmänner nennt A. Plato, Aristoteles, Aristoxenos, Ptolemaios, Ambrosius, Augustinus, Boethius, Cassiodor, Isidor, Hucbald, Guido von Arezzo und Johannes de Muris u.a., als seine Vorbilder in der Komposition Guillaume Dufay und Antoine Busnois. b) ' A n d a c h t s b ü c h l e i n ' Ü b e r l i e f e r u n g . 'Ein ser andechtig Cristenlich Buchlein aus hailigen Schriften und lerem von Adam von Fulda in teutsch reymenn gesetzt', Wittenberg 1512 (WELLER, Rep. typ. 680), mit 8 Holzschnitten von Lucas Cranach d. Ä. A u s g a b e . Faksimile-Ausg. von E. FLECHSIG (Graph. Ges., XIX. Veröff.), 1914.

Das 'Andachtsbüchlein', das fünf Teile zu insgesamt 1562 Versen umfaßt und viele eingestreute lat. Phrasen enthält, handelt von der Dreieinigkeit, von der Gotteskind schaft des Menschen, von der Menschwerdung Christi, vom Leiden und Sterben sowie von der Auferstehung und Himmelfahrt Christi und vom Jüngsten Gericht. Am Ende eines jeden Teils des Büchleins, in dem zahlreiche Stellen aus der Heiligen Schrift zitiert sind, findet sich ein aus 22 Versen bestehendes Gebet.

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III. A. zählt zusammen mit den gleichaltrigen Tonsetzern Heinrich Finck und Alexander Agricola zu den namhaftesten dt. Musikern seiner Zeit. Seine Bedeutung beruht weniger auf seinen Kompositionen, in denen er an Genialität und Einfallsreichtum hinter den beiden genannten Komponisten zurücksteht, als vielmehr auf seinem musiktheoretischen Unterrichtswerk, das ihn als einen Musikgelehrten ersten Ranges ausweist. In seinen Tonsätzen zeigt er sich stark von der ersten und zweiten niederländischen Schule beeinflußt, läßt aber namentlich und vor allem im harmonischen Wohlklang seiner Lieder, die an die des wenig jüngeren Heinrich Isaac erinnern, persönlichen Stilwillen erkennen. Mit seinen Cantus-firmus-Sätzen hat er den Boden für die mehrstimmigen Bearbeitungen des reformatorischen Kirchenliedes bereitet, wie sie sich später bei dem ebenfalls in Torgau wirkenden Johann Walter, dem musikalischen Mitarbeiter Luthers, finden. L i t e r a t u r . R. EITNER, Cod. Mus. Ms. Z 21 d. Kgl. Bibl. zu Berlin, Monatsh. f. Musikgesch. 21 (1889) 93-102; ders., D. alte dt. mehrstg. Lied u. seine Meister, ebd. 25 (1893) 149-156, 164-179 u. 183-204, insbes. S. 183-188; H. RIEMANN, D. Mensural-Cod, d. Magister Nikolaus Apel v. Königshofen, Kmjb 12 (1897) 1-23; ders., Gesch. d. Musiktheorie im IX.-XIX.Jh., 2 1920, S. 320-323 u. ö.; ders., Hdb. d. Musikgesch. II l, 2 1920, S.35-40 u. 136-139; W. NIEMANN, Stud. z. dt. Musikgesch. d. XV. Jh. I: A. v. F., Kmjb 17 (1902) 1-8; J. WOLF, Hdb. d. Notationskunde I, 1913, S. 384f. u.ö.; H.J. MOSER, Leben u. Lieder d. A. v. F., Jb. d. Staatl. Akad. f. Kirchen- u. Schulmusik Berlin l (1928) 7-16; ders., D. weit). Liedsätze des A. v. F. nebst allen wichtigeren Bearbeitungen durch Tonmeister d. 16. Jh.s, ebd. S. 17^8; ders., Paul Hofhaimer, 1929, S.74f., 111 f. u.ö.; W. GURLITT, Ein Lütticher Beitr. z. A. v. F.-Frage, in: Kongreß-Ber. Lüttich 1930, S. 125 bis 135; ders., Johann Walter u. d. Musik d. Reformationszeit, Luther-Jb.15 (1933) Iff.; ders., D. Kompositionslehre d. dt. 16. u. 17.Jh.s, in: Kongreß-Ber. Bamberg 1953, S. 103-114; W. EHMANN, A. v. F. in seinen kirchl. Werken, 1935; ders., A. v. F. als Vertreter d. ersten dt. Komponistengeneration (Neue dt. Forschungen Bd.94 = Abt. Musikwiss. Bd.2), 1936; R. GERBER, D. Hymnen d. Apelschen Cod. (Mus. Ms. 1494 d. ÜB Leipzig), Fs. A. Schering, 1937, S.76ff.; G. PIETZSCH, Z. Pflege d. Musik an d. dt. Universitäten bis z. Mitte d. 16. Jh.s, AfMF 7 (1942) 98; F. FELDMANN, Musiktheoretiker in eigenen Kompositionen, Dt. Jb. d. Musikwiss. l (1956) 36-65, bes. 52-54; C. PETZSCH, D. rhythmische Struktur d. Liedtenores d. A. v. F.,

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'Adambuch' - Priester Adelbrecht

AfMW 15 (1958) 143-150; ders., Glareans lac. Textparodie zum 'Ach hülff mich leid' d. A. v. F., Die Musikforschung U (1958) 483-187.

HEINRICH HUSCHEN Adam von Köln -> Magister Adam Adam Teutonicus —> Magister Adam 'Adambuch' (Prosa) Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Hamburg, SB u. ÜB, cod. 8 in scrinio (nach 1458); 2. Berlin, mgf 1108 (v. J. 1472); 3. Wien, cod. 2766 (15. Jh.); vgl. VOLLMER, S. II-VI u. 48-51. A u s g a b e . H. VOLLMER, Ein dt. Adambuch, Progr. Hamburg 1908 (nach Hs. l, mit 2 Abb. der Miniaturen).

1. Das im bair.-österr. Dialekt überlieferte .' ist Auflösung der in Schwellhss. der -> 'Christherrechronik' eingefügten Reimbearbeitungen (->· 'Adam und Eva') der lat. 'Vita Adae et Evae' (4. Jh.). Es unterscheidet sich von den in Hss. und —> 'Historienbibeln' befindlichen Prosaversionen von -»'Adam und Eva' ('Adams Klage') ('Vita', Kap. 1-24). VOLLMERS Hss. gehören zusammen, doch eine genaue Vorlage ist noch nicht festgestellt worden. Prosaauflösungen metrischer Versionen der 'Vita' sind neben direkten Übersetzungen häufig, so im Irischen und im Engl. (dazu MURDOCH, Medieval Studies, 1973, S. 148). 2. Die 'Vita' berichtet über das Leben der Protoplasten nach dem Sündenfall. MEYER unterscheidet zwischen 4 lat. Versionen, doch MOZLEY verweist auf weitere. Unsere Reim- und Prosafassungen stehen MEYERS III. Kl. am nächsten, wo Motive aus der Kreuzholzlegende eingefügt worden sind. Trotz Benennung des (Pseudo-) Methodius hat die 'Historia Scholastica' des -»Petrus Comestor als Quelle mitgewirkt (VOLLMER, S. 38). 3. Erzählt wird von Adams Buße, seinen Kindern, Abels Tod, dann Adams Weissagung und Tod. Der Schluß berichtet über Seths Paradiesfahrt, wobei er den Zweig bekommt, der, mit Adam begraben, zum Kreuzholz wachsen wird. Im Prosatext kommen gelegentlich neue Motive bzw. Interpretationen der zum Teil schwer verständlichen lat. Quelle vor. Als Beispiel: Eva schreibt hier die Geburt Kains dem

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Essen eines argen krawtes zu (VOLLMER, S. 15,18;WiSBEY, S.33). L i t e r a t u r . R.A. WISBEY, Marvels of the East, Essays in German and Dutch Lit., 1973, S. 1-41; B. MURDOCH, The river that stopped flowing, Southern Folklore Quarterly 37 (1973) 37-51; ders., D. dt. Adambuch. In: D. dt. Lit. d. späten MAs, Hamburger Colloquium 1973, London/Berlin 1975, S. 209-224. Zur 'Vita': s. 'Adam und Eva' ('Adams Klage'), Literatur.

BRIAN MURDOCH

Priester Adelbrecht Autor einer Legende von Johannes d. Täufer Ü b e r l i e f e r u n g . Doppelbl. in der Hs.3714 von St. Paul in Kärnten, auf dem auch das Bruchstück einer Legende von St. -* 'Veit' enthalten ist. Die Hs., in die die Fragmente eingebunden waren, stammt nach MENHARDT, S. 87, aus Niederbayern und kam über Maria Saal (daher auch früher 'Maria Saaler Bruchstücke') nach St. Paul. Die Schrift der Bruchstücke wird von MENHARDT, S.89, auf 1170/90 datiert. A u s g a b e n . KRAUS, Dt. Ged., S. 15-23, 111-134; MAURER, Rel. Dicht. II 332-341.

Anfang und Mittelteil des Gedichts sind verloren. Die erhaltenen 267 vv. bzw. 18 Strr. umfassenden Teile setzen ein bei den Worten des Engels an Zacharias (Lc l, 20). Nach der Erzählung des Evangeliums wird dann von der Verkündigung an Maria, Marias Besuch bei Elisabeth, der Geburt und Beschneidung des Johannes sowie von dem Lobgesang des Zacharias berichtet. Die nach v. 161 in der Schilderung der Kleidung des Johannes (nach MC l, 6) vorhandene Lücke umfaßt nach KRAUS ein Doppelbl. und damit 'ungefähr 330-340 verse' (S. 113). Die vv. 162ff. behandeln bereits (nach Mt 14) die Szene bei Herodes, die Hinrichtung und das Begräbnis des Täufers durch seine Jünger. Am Schluß wird die Etymologie des Namens Johannes erklärt und das Wirken des Täufers charakterisiert. In einem epilogartigen Abschnitt wird auch der Name des Autors genannt: ein priester hiez Adelbreht (v. 252). Aus der Wendung tu guoten Hüten (v. 226) schloß man auf ein Laienpublikum (EHRISMANN, LG II l, S. 123f.). Die über die Erzählung der Evangelien hinausgehenden Angaben (wie Gebete, Verfluchung der Widersacher, Johannes als

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Adilbert von Augsburg - 'Admonter Liebesgruß'

Fürsprecher und Helfer usw.) stammen aus dem Darstellungsbereich der Legende. MAURER gliedert das Gedicht auf Grund der überlieferten und einer ergänzten Initiale in 18 Strr. von 8—11 'binnengereimten Langzeilen'. Wohl in Folge der ursprünglichen Lokalisierung der Bruchstücke nach Maria Saal dachte man an eine Entstehung des Werkes in Kärnten (vgl. W. SCHERER, Geistl. Poeten d. dt. Kaiserzeit, I.Heft [QF1], 1874, S.67f.). Das Problem des Entstehungsortes ist auf Grund der auf Niederbayern und Regensburg weisenden Ergebnisse der Textgeschichte (vgl. MENHARDT, S. 91) neu zu untersuchen. D a t i e r u n g . Wörtliche Übereinstimmungen (KRAUS, S. 113 f.) mit dem Rolandslied des Pfaffen -> Konrad lassen auf eine Benutzung des 'Johannes' durch Konrad schließen. Die inzwischen weithin akzeptierte Datierung des Rolandsliedes um 1170 eröffnet die Möglichkeit, den Johannes statt 'vor 1131' auf einen späteren Zeitpunkt zu datieren, was auch besser zu der entwickelten Reimtechnik von A. stimmen würde (MAURER, S. 330). L i t e r a t u r . H. MENHARDT, Z. Herkunft d. Maria Saaler Bruchstücke, PBB (Tüb.) 82 (1960) 77-94; KRAUS, Dt. Ged., S. 111-134; MAURER, Rel. Dicht.II 328-331 (mit weiterer Lit.).

KARL-ERNST GEITH

Adelnburg

-»Engelhart v. A.

Adelwip -> Hadewijch Adilbert von Augsburg I.A., vermutlich identisch mit —> Albertus von Augsburg, ist als Sakristan und Prior von St. Ulrich und Afra unter Abt Heinrich IV. (1204-1216) bezeugt; 1234 bestätigt Abt Hiltebrand sein Testament; 1240 wird er noch einmal als Zeuge genannt (HiPPER, Nr. 25). In seiner Jugend war A. parvulorum paedagogus (Praef. zur 'Vita Simperti'). 2. Der Prior von St. Ulrich und Afra hat vor allem Legenden verfaßt oder überarbeitet. Erhalten sind: a) 'Vita sancti Athanasii' (BHL Suppl. 731 a), eine von A. vorgenommene Zusammenstellung des in den Kirchengeschichten, vor allem bei Rufinus, vorhandenen Materials über den Bischof

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von Alexandria. Bisher nur bekannt aus der Hs. Aa 96 der LB Fulda, llr-22v; Praefatio abgedruckt von LEHMANN, Hist. Jb. 34 (1913) 508 f.-b) 'Vita Simperti' (BHL 7773), verfaßt im Alter als Einlösung eines zum Dank für eine Genesung geleisteten Jugendgelübdes. Abdruck: AASS Oct. VI 245-50; unedierte dt. Übersetzungen: München, cgm 402, 751, 3842.-c) Trologus in Conversionem et Passionem S. Afrae' (BHL 110). Hs.: Augsburg, Ord. Arch., cod. 80, lr-2v; Druck: Augsburg 1516. Von A. verfaßte 'Sermones' galten schon im 18.Jh. als verloren; zweifelhaft ist die Zuweisung des in der Augsburger Hs.80 überlieferten 'Brevis Abbatum SS Udalrici et Afrae monasterii Catalogue'. 3. Eine Beurteilung der literarischen Tätigkeit A.s ist nur möglich auf der Grundlage eines Vergleichs der von ihm verfaßten oder bearbeiteten Legenden mit den Quellen. Dazu bedarf es aber noch der Sammlung und Sichtung der gesamten Überlieferung. L i t e r a t u r . N. BUEHLER, Die Schriftsteller u. Schreiber d. Benediktinerstiftes St. Ulrich u. Afra in Augsburg während d. MAs, Diss. München 1916; R, HIPPER, D. Urkunden d. Reichsstiftes St. Ulrich u. Afra in Augsburg, 1959. Weitere Lit. bei GEITH, Albert v. Augsburg. D. Leben des Heiligen Ulrich (QF39),

1971, s. 6-9.

KARL-ERNST GEITH

'Admonter Liebesgruß' Um 1140 gibt die von einer Gertrud von Admont verfaßte fragmentarisch überlieferte Vita der ersten Vorsteherin des Admonter Nonnenkonvents die namenlose, gebildete, aus Salzburg gekommene Admonter Magistra als lateinische Dichterin zu erkennen. Noch im 12. Jh. grüßt ein Erweiterer des Hexameterprologs der Prosavita mit zwei halb latinisierten deutschen Vierhebern die Autorin Gertrud: Docta quidem GerdrDt, tu debes sdre minen mot. Man möchte den anders als im —> 'Ruodlieb' (XVII 11 ff.) in Hexameter gebetteten Liebesgruß verdeutschen: (friundin, liebiu) Gerdruot, (du soll wizzeri) minen muot. L i t e r a t u r . ANONYMUS, Vita, ut videtur, cuiusdam magistrae monialium Admuntensium in Styria saeculo XII, Anal. Boll. 12 (1893) 356-366; F. OHLY, Ein Admonter Liebesgruß, ZfdA87 (1956/57) 13-23.

FRIEDRICH OHLY

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'Admonter PassionsspieP - Adolf von Essen

'Admonter PassionsspieP Ü b e r l i e f e r u n g . Admont, Stiftsbibl., cod. 812. Die Hs. stammt aus der 2. H. d. lo.Jh.s und dem bair.-österr. Dialektgebiet. Genaue Anhaltspunkte gibt es keine, doch spricht nichts gegen Admont als Ursprungsort. Die Hs. fällt durch ihr schönes Erscheinungsbild auf, ferner durch die volle Notation der lat. und eine einzigartige phonetische Schreibung der dt. Texte: Unterscheidung der 5 e-Laute durch ein strenges graphisches System, konsequente Bezeichnung der Entrundung. Die Hs. dürfte die getreue Abschrift eines Originals bilden, das ihr zeitlich und räumlich nahezurücken ist. A u s g a b e . K.K. POLHEIM, Das A. P., I: Text, Faksimile, 1972; II: Unters, (im Druck).

Der Inhalt reicht vom Abendmahl bis zur Himmelfahrt. Die Handlung, straff und zielgerichtet aufgebaut, folgt den - selbständig zusammengearbeiteten - Evangelien, doch bleiben die Traditionen sowohl der Liturgie (häufige lat. Texte mit Noten) als auch der Spiele (bei Ausschaltung alles Grobianischen} stets wirksam. Das Osterspiel enthält eine vollständige lateinische Osterfeier, wie sie für den deutschen Raum bisher erschlossen wurde (H. DE BOOR, Die Textgeschichte der lateinischen Osterfeier [Hermaea NF 22], 1967), aber nicht belegbar war: eine auf dem Typus II mit Prosaelementen aufgebaute Feier III, die jede hymnische Einlage (sogar im einschlägigen dt. Text) vermeidet. Das Spiel war zweifellos für die Aufführung bestimmt. Das beweisen die ausführlichen Anweisungen. Sie behalten die Bühnenverhältnisse genau im Auge: zu Representierung des Erpidens Schiessn die Schizn ab (Z. 1090ab), und bewältigen dramaturgisch geschickt das Geschehen: Maria Magdalena sieht gar eben Jn das grab hinein, die weill wiert der Herr verkhlaidt (Z. 1348ab). . ' ist eines jener späteren Reformspiele wie das -»· 'Berliner (Rheinische) Osterspiel' und diesem vergleichbar: eine eigenständige Neubildung überlieferten Gutes. Prägend ist die glückliche Vereinigung von liturgisch-biblischem und anschaulichem Charakter. In der Gestaltung zeigen sich ein lebhafter Sinn für das Theatralische und der Wille zu künstlerischer Durchformung im einzelnen wie im ganzen.

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L i t e r a t u r . K. K. POLHEIM, Tradition u. Reduktion, ZfdPh 94 (1975) Sonderheft S. 71-107; ders., Unters. (s.o.u. 'Ausgabe').

KARL KONRAD POLHEIM 'Admonter Versifikation des Robert von St. Remi' -> Metellus von Tegernsee Adolf von Essen I. L e b e n . Quellen seiner Biographie sind neben den Archivalien des Kartäuserordens vor allem die biograph. 'Exempel' in den lat. Werken seines Schülers -> Dominikus von Preußen.

Die Archivalien bezeichnen ihn genauer als Adolphus de Assindia (f!439), d.h. er stammt aus dem Herrschaftsgebiet des fürstlichen Damenstiftes Essen/Ruhr; dort wurde er in einer adligen Familie um 1372 geboren, wahrscheinlich in dem um die Jh.wende aussterbenden Drostengeschlecht von Altendorf (van Oldendorp). Nur dürftig sind die Angaben über Familie, Jugend und Vorbildung: Er muß schon früh an den Hof des Herzogs Wilhelm von Berg gekommen sein; als er um 1398 in die Trierer Kartause St.Alban eintrat, hatte er zumindest den akademischen Titel eines Bacc. in art. erlangt (nach H. KEUSSEN, Die Kölner Univ.-Matrikel, 1928, war er Lie. theol.). Vermutlich durch die bergische Herzogin Anna von Bayern, einer Schwester des Königs Ruprecht von der Pfalz, kam A. v. E. schon bald an den Hof des Herzogs Karl II. von Lothringen; der lothring. Herzogin Margarete von Bayern, einer Tochter des Königs Ruprecht, überreichte er um 1400 zwei deutsche Schriften; mit ihnen führte er sie in seine biblische Betund Lebeweise ein, der er in der Gedankenwelt des Minnedienstes den Namen 'Rosarium' (Rosenkranz) gegeben hatte. Hieraus entwickelte sich in der Folge der heutige 'Rosenkranz'. A.v.E. leitete von 1409 bis 1415 als Prior die Trierer Kartause St. Alban und von 1415 bis 1421 als I.Rektor die Kartause Marienfloß (Rivulus Mariae, moselaufwärts bei Sierck-les-Bains), die der Herzog 1414 gegründet hatte; danach war A.v.E. bis zu seinem Tod am 4.6.1439 Vikar von St.Alban (mit Ausnahme seines Aufenthaltes in der Lütticher Kartause 1434-37).

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Adolf von Wien

In dieser Zeit nach dem Konstanzer Konzil wurde er einige Male zum Abt bedeutender Benediktiner-Abteien gewählt; obwohl Erzbischof Otto von Ziegenhain zur Annahme der Wahl drängte, nahm A. v. E. diese nicht an; als aber Johannes Rode, der ihm nahestand, der Abtei St. Matthias in Trier vorgesetzt und mit der Visitation der westdeutschen Klöster beauftragt wurde, bat ihn dieser sogleich um persönliche Unterstützung in der Reform; A. v.E. sagte zu. Die über Erwarten hohe Zahl der benediktinischen Abschriften und Verarbeitungen der Trierer Rosenkranz-Clausulae zeigt die Art und Wirkung seiner Mitarbeit. Durch den 'Rosenkranz' erschloß er im privaten Gespräch Einzelnen den persönlichen Zugang zum Evangelium und zur Nachfolge Christi. II. Werk, l: 'Unser Jungfrauwen Mariae Rosengertlin' ist eine 'höfische' Anleitung zum Rosenkranzbeten: Das Ave, Maria und der Gekreuzigte werden mit einer Rose verglichen, wobei im Bild der 'Minne' versucht wird, das Mysterium der Inkarnation als Hintergrund jeder Einzelheit der Hl. Schrift bewußt zu machen. - Verfaßt um 1400 für die lothring. Herzogin, ist das 'Rosengertlin' in drei Abschriften einer Trierer Vorlage überliefert, die aus den hinterlassenen Papieren A.sv. E. so zusammengestellt war, daß in den ursprünglichen Text u.a. 8 Gliederungen von Ansprachen Adolfs eingefügt sind: Köln, Hist. Arch., GB f. 47, 69r-83r, abgeschr. um 1460 von einem Halberstädter Studenten f. d. Kölner Bürger Hans Menger; Mainz, StB, cod. 322, 33v-112r, Abschr. d. Mainzer Kartause vor 1454 (danach gedruckt bei KLINKHAMMER, S. 131-161); Nürnberg, StB, Cent. VI58, 293V-312V.

2. Ein dt. 'Leben Jesu' (verfaßt zusammen mit dem 'Rosengertlin' um 1400, bisher nicht identifiziert; wahrscheinl. enthalten in Essen, Dom-Arch. Ms. 3, 140r-223v, Abschr. eines Essener Beginenhofes. 3. 'Vita Margarethae, Ducissae Lotharingiae' (I.Teil kurz nach 1421, 2.Teil um 1434 verfaßt. Text abschriftl. erhalten in den 'Farragines' der Gebrüder Gelenius [um 1630-56], t. XIV, p. 389-423, Hist. Arch. d. Stadt Köln, veröffentlicht v. KLINKHAMMER, S. 117-130).

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4. 'Zwanzig-Exempel-Schrift', eine volkstümliche deutschsprachige Anleitung zum Beten des Rosenkranzes, entstanden zw. 1420 u. 1430, erhalten in Köln, Hist. Arch., GB f. 47,50r-59v. Sie wurde ähnlich wie das 'Rosengertlin' aus den hinterlassenen Papieren zusammengestellt. Ausgabe: KLINKHAMMER, S. 172-191. 5. Bericht über die Gebetsübungen und Begnadigungen eines Benediktiners, vermutlich aus Gorze; bisher nicht identifiziert, verfaßt kurz nach 1421; der Umfang beträgt - nach Gelenius - das Fünffache der 'Vita Margarethae', s. KLINKHAMMER, S. 5 f. 6. 'De Commendatione Rosarii', lat. Kurzfassung des 'Rosengertlin', verfaßt um 1434, überliefert in Trier, StB, cod. 622/1554, 301r-305r (um 1455 aus der BenediktinerAbtei St. Maria ad Martyres/Trier); Ausgabe: KLINKHAMMER, S. 162-171. 7. 'Rosarium Patris Adolphi', entstanden um 1434, erhalten in dt. u. lat. Fassung, Text bei KLINKHAMMER, S. 205-220 nach Mainz, StB, cod. 300,37r-48v, und S. 241 bis 246 nach Köln, Hist. Arch., W 4° 119, 119V-121V. 8. Ansprachen A.s (Gliederungen), gehalten am Lothring. Hof zw. 1415-20, in der Trierer Kartause 1438-39: s.o. 1. 'Rosengertlin'. L i t e r a t u r . P. MODESTUS LEYDECKER OCart, Historia antiquae et novae Cartusiae sancti Albani, 1765 (3 Exemplare: Trier, StB, cod. 1665/354 u. cod. 1666/353, Metz, StB. Ms. 1222; Teil über d. 12. Prior 'Ad. de Assindia'gedruckt KLINKHAMMER, S. 404-411); TH. ESSER OP, Beitrag z. Gesch. d. Rosenkranzes, Katholik 28ff. (1897ff.); ders., Über d. allmähl. Einführung d. jetzt beim Rosenkranz üblichen Betrachtungspunkte, Katholik 30ff. (1899-1906); H. RIES, NDB I 86f.; K.J. KLINKHAMMER SJ, A. v. E. u. seine Werke. D. Rosenkranz in d. geschieht!. Situation seiner Entstehung u. in seinem bleibenden Anliegen (Frankfurter Theologische Stud. 13), 1972.

KARL J. KLINKHAMMER 'Adolf von Nassau' -> 'Schlacht bei Göllheim und verwandte Denkmäler' Adolf von Wien 1. Als den Dichter des 'Doligamus' nennt sich im Akrostichon des Prologs (Adolfus

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Adolf von Wien

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Die Geschichten tendieren bei allen ihren pikanten und drastischen Valeurs in Adolfs Schreibart nicht zum Schwank. In dem Maße, in dem er die Listen der Frauen als Ausgeburten purer Falschheit darzustellen trachtet, setzt er die Betrogenen auch nicht der Lächerlichkeit tumber Gehörnter aus. Misogynie erstickt ihm das Lachen. Die fabulae VIII und IX greifen über den stoffli2. Ü b e r l i e f e r u n g . 13 teils glossierte Hss. d. spächen Typus der vorhergehenden hinaus. ten 14. und d. 15. Jh.s durchweg dt. Herkunft, dazu eine In VIII demonstriert jemand, der zuvor zwei unvollendete (clm 2840) und zwei weitere mit Doligami Flores. Vgl. E. HABEL, D. 'Doligamus' des A. v. W., Frauen für sich verlangt hatte, seine EinStudi Medieval! N. S. 11 (1938) 103-147, hier S. 104f.; sicht, daß dem Mann schon mit einer WALTHER, Initia 1753 (clm 16520 irrtümlich genannt); durchtriebenen härtere Strafe beschert sei 'VL, V 9 (Leningrader Hs.). als der Tod. Akteurin der Arglist ist in 3. A u s g a b e n . P. LEYSER, Historia poetarum et IX eine vom Teufel bezahlte Alte, deren poematum medii aevi, Halle 1721, S. 2007-36 (nach Intrige die Liebe eines Paars in maliziöse d. Wolfenbütteler Hs. 130. Quodl.); danach T. Zwietracht verkehrt. WRIGHT, A Selection of Latin Stories from Mss. of the th th Die den fabulae folgende Schmährede 13 and 14 Centuries, London 1843, S. 174-191, und, gilt, verändert im Aspekt, der Frau als der in Auszügen, J. ULRICH, Proben d. lat. Novellistik d. MAs, 1906, S.5-14; H. ZWÖLFER, D. Fabeln d. Adol- Verführerin, welche seit' Evas Zeiten ihre fus, Diss. Wien 1934 (zusätzlich nach Wien, cod. 4264); Opfer ruiniert (v. 483-510), ergeht sich vorläufige krit. Ausg. (zit.) nach insgesamt 7 Hss. von über die geldsaugende meretrix (v. 511 bis HABEL (s. o. 2). 540), brandmarkt die Mittel erotischer Ver4. Der gräzisierende Titel, den der Wiener lockung (v. 541-566). Das moralistische cod. 4264, 143r, glossiert: ... doligamus a Fazit: Aufforderung zur Flucht vor der dolus id est fr aus et gama mulier quasi fr aus Frau und Empfehlung der Arbeit als der mulierum, nennt das Thema des Gedichts: erfolgreichsten Medizin wider das Gift der 'Weibertücke'. Er steht in der Über- oder Liebe (v. 583-646). 6. Die bisweilen sehr abschätzig zensierte Schlußschrift von mindestens 6 Hss., darunter der ältesten (Darmstadt, LB, cod. 2780), und mißverstandene Erzählweise der wird 1346 bereits in Hugo -> Spechtsharts fabulae - sie werden als exempla mit aus'Forma discendi' zitiert und sollte demnach drücklich dreingegebener 'Moral' erzählt als authentisch gelten dürfen. Synonymisch ist durch das der Gattung eigene Prinzip wiederholt den Titel der Prolog (v. l der brevitas geprägt, einer gewiß nicht stets fraudes ... muliebres), der auch die intentio durchsichtigen. Schulmäßig sind asyndeauctoris ankündigt: daß vor Trug und ton, articulus, intellectio, emphasis u.a. Tücke der Frauen jedermann sich hüte. verwendet, jene aus Galfrids von Vinsauf Die besonderen Adressaten dieser Warnung 'Poetria nova' geläufigen Mittel der Kürze, sind die studentes (v. 117; vgl. v. 586 cle- die Galfrid selber am Beispiel der fabula rice = scolaris). vom Schneekind illustrierte. Daß Adolf an 5. Das 691 Verse (342 Distichen, am Ende gegebener Stelle auch über die ausgreifende 7 leoninische Hexameter) umfassende Werk Rede verfügte, bekunden die Frauenschelte gliedert sich nach dem Prolog (v. 1-18) in und der Preis seines Lehrers Ulrich. einen Zyklus von 9 fabulae (v. 19-482) und 7. Adolfs Frauenschelte nährt sich mit aleinen satirisch-paränetischen Teil (v. 483 len ihren Argumenten, auch mit ihrem diffabis 646); es schließt mit der Widmung an den mierenden Vokabular, aus der Tradition Magister Ulrich (v. 647-684) und der knap- der frauenfeindlichen Literatur; einer gepen Schlußrede des Autors (v. 685-691). schlossenen Quelle bedurfte sie nicht. KonInhalt der fabulae I-VII sind listige Ar- kreter stellt sich die Quellenfrage bei den rangements von Ehebruch, in IV und V fabulae. Mit ZWÖLFER und HABEL lassen unter der Regie einer kupplerischen Alten. sich für III-VI die exempla 9, 11, 13, 14 aus me fecit] und in der Schlußrede des Gedichts, die auch das Jahr 1315 als Datum der Abfassung festhält, ein sonst nicht bekannter Adolfus. In seiner panegyrisch ausgreifenden Widmung an den Wiener -»Magister Ulrich, den namhaften Vorsteher der Bürgerschule bei St. Stephan, stellt er sich als dessen Schüler vor.

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Affenschmalz - 'Afra'

Petrus Alfonsis 'Disciplina clericalis' als Vorlage erwägen; für II, VIII, IX sind aus der Exempelliteratur bislang nur Parallelen typischer Motive bekannt (HABEL,S. 114f.). Eine Quellenuntersuchung auf breiter Ebene steht noch aus. 8. Verbreitung und Wirkung des 'Doligamus' waren nach Ausweis der Zahl der Hss. bis in die Frühzeit des deutschen Humanismus beträchtlich. Heinrich -»Stainhöwel führte ihn in der Vorrede zum 'Äsop' unter seinen Quellen auf, ohne ihn indes tatsächlich zu benutzen. Für die fabula 'De ceco et eius uxore ac rivali' seines 'Äsop' bietet Adolfs fabula I immerhin die älteste erhaltene Stoffüberlieferung. Gleiches gilt für zwei deutsche Mären, die -> 'Buhlschaft auf dem Baume' (FISCHER, Stud. A7) und Jörg ->·Zobels 'Untergeschobenes Kalb', die sich zu Adolfs fabulae I und VII stellen, ein Befund, der zu vergleichender Analyse der Gattung in lat. und volkssprachlicher Umwelt auffordert.

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Eseles sprung vnnd .nj. minuten/Affenschmaltz. Danach dürfte der in der dem Prosatext angehängten Verfasserstrophe genannte Name A. parodistisch gemeint sein. Ü b e r l i e f e r u n g . München, SB, Einbl. Kai. zm. L i t e r a t u r . Einblattdrucke, S.25f. Nr.90.

2.InLondon,Brit.Mus.,cod.Add.l6581, 143r erscheint ein Affenschmaltz der Synger mit einem gereimten Spruch (->· 'Bollstatters Spruchsammlung'). 3. Am Schluß eines von Eberhard -»· Windeck überlieferten politischen Spruchgedichtes, das die 1429 in Aachen stattgefundene Überrumpelung von oppositionellen Bürgern bzw. Zünften durch den Rat und seine Helfer zum Gegenstand hat, wird als Berichterstatter ein Affensmalz erwähnt, der aber, so kommentierte schon LILIENCRON, nicht als Verf., sondern mit seinem Lied als Anreger des vorliegenden Gedichtes anzusehen ist. A u s g a b e . LILIENCRON, Hist. Volkslieder I Nr.62.

'Adonay' -»'Vaterunsererklärung A.'

4. Bei R. FESTER, Regesten d. Markgrafen von Baden u. Hachberg I, 1900, Nr. 3676 sind zwei Edelknappen Kaspar und Wilhelm von Ringelstein, genannt Affenschmalz, für das Jahr 1424 urkundlich bezeu ü S · JÜRGEN DITTMAR

Aeneas Silvius -> Piccolomini, Enea Silvio

Afferdingen -» Heinrich von Ofterdingen

Aernt van Utrecht -> 'Natuurkunde van het geheelaF

'Afra'

Affenschmalz

Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 751 (A), v.J. 1456/57; cgm 402 (B), v.J. 1456. Beide Hss. stammen aus dem Kloster St. Ulrich und Afra zu Augsburg und sind aus einer gemeinsamen Vorlage *AB abgeschrieben. Beschreibung bei WILHELM, S. 85-99. A u s g a b e . WILHELM, S.45-85.

L i t e r a t u r . ZWÖLFER (s. o. 3); HABEL (s. o. 2, bes. zu Sprache und Metrik); H. RUPPRICH, D. Wiener Schrifttum d. ausgehenden MAs, WSB 228, 1954, S. 59-62. F. J. WORSTBROCK

Beim Namen A. handelt es sich vermutlich um ein im 15. und 16.Jh. verbreitetes Pseudonym. l. In einem um 1500 bei Ambrosius Huber in Nürnberg unter dem Titel Dyser laßzedel ist gemacht nach der 'Welt lau ff und alle Jar recht zu dem kauft gedruckten satirischen Aderlaßbrief (1B1.20, mit Holzschnitt: Ein Esel läßt mit einer Sichel einen Affen zur Ader, daneben zerstampft ein anderer Affe mit einem Mörser Heilkräuter in einem Korb) wird innerhalb eines als Rezeptsatire gestalteten Kalenders unter dem Monat November das Wort A. zur Bezeichnung einer Medizin verwandt vj.

Um 1400 entstandene Reimlegende.

1. Das 1244 Verse umfassende Gedicht setzt ohne Prolog unvermittelt ein mit Angaben über die Herkunft Afras aus Zypern und ihren Weg nach Augsburg, ferner über den Bischof Narcissus, der sich in göttlichem Auftrag ebenfalls nach Augsburg begibt. Die Einkehr des Bischofs bei der als Dirne lebenden Afra bekehrt diese und ihre Gefährtinnen, später auch ihre Mutter zum christlichen Glauben. Narcissus führt einen langen Dialog mit dem Teufel und zwingt

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'Aggsbacher Marienklage'

ihn, einen Drachen zu zerreißen. Afra, ihre Gefährtinnen und ihre Mutter werden von Narcissus getauft, der nach neun Monaten wieder nach Gerunda in Spanien zurückkehrt. Als Christin wird Afra vor ein Gericht gestellt und wegen ihrer Weigerung, den Göttern zu opfern, gemartert und verbrannt. Den Märtyrertod erleiden darauf auch ihre Mutter und ihre Gefährtinnen, andere Verwandte und weitere Heilige. Das Gedicht schließt mit einem Bericht über den Märtyrertod des Narcissus und einem kurzen Gebet des Autors. 2. Quellen. Hauptquelle sind die aus Conversio und Passio bestehenden Akten der hl. Afra (BHL 108 f.), die selbst wieder auf eine ältere Passio (BHL107c) zurückgehen. Die Verse 1-120 berühren sich mit dem Prolog des Priors von St. Ulrich u. Afra, -» Adilberts v. Augsburg, zu seiner Bearbeitung der Afra-Akten (BHL110). Die Nachrichten über Narcissus stammen aus der Passio dieses Heiligen (BHL 6031). Die Angaben über die Verwandten und die Gefährtinnen der Afra haben verschiedene Zusätze der Afra-Akten als Quelle. Die Kompilation des Stoffes hat dem Autor wahrscheinlich schon in einem lateinischen Text vorgelegen. Er ist bisher nicht nachgewiesen, dürfte aber in der Augsburger Afra-Überlieferung zu suchen sein, wie das Vorkommen der sich auf die Verwandten der Afra beziehenden Zusätze in der aus St. Ulrich u. Afra stammenden Hs. Wien, cod. 573 belegt (vgl. dazu W. BERSCHIN, Ödalscalcs Vita S. Könradi im hagiographischen Hausbuch d. Abtei St. Ulrich u. Afra. In: D. heilige Konrad, Bischof v. Konstanz, Fs. aus Anlaß der tausendsten Wiederkehr seines Todestages, 1975, S. 83-106. Einfluß der anderen deutschsprachigen AfraTexte (-> 'Buch der Märtyrer', -> Der arme Hartmann) liegt nicht vor. 3. Sprachstand und Reime deuten auf einen Ostschwaben als Verfasser des Gedichtes (WILHELM, S. 107ff.). Thema und Herkunft der Hss. machen die Entstehung in Augsburg wahrscheinlich. Genauere Hinweise zur Datierung über die Entstehungszeit der Hss. hinaus fehlen. WILHELM, S. 157, denkt an das ausgehende 14. oder die 1. H. d. 15. Jh.s. Hier könnte die Kennt-

nis der Textgeschichte der benutzten Vorlagen weiterhelfen, ferner die Beobachtung, daß der Eingang des Gedichtes für eine Augsburger Redaktion der Afra-Legende in —» 'Der Heiligen Leben' benutzt worden ist (WILHELM, S. 155). L i t e r a t u r . F. WILHELM, Sankt Afra (Analecta Germanica), 1906, S.43-169; A. BIGELMAIR, D. Afralegende, Arch. f. d. Gesch. d. Hochstifts Augsburg l (1910) 139-221; E. DORN, Der sündige Heilige in d. Legende d. MAs, 1967, S. 67-71; W. BERSCHIN, D. Anfänge d. lat. Lit. unter d. Alemannen, in: D. Alemannen in d. Frühzeit, Bühl 1974, S. 121-128.

KARL-ERNST GEITH Afterdingen -* Heinrich von Ofterdingen Aeger ->· Egher, Heinrich, von Kaikar 'Aggsbacher Marienklage' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, Ser. nova 3687, 2 Bll.,Pap., Anf. 15. Jh. Hinweise auf gesungene Partien (Cantus, Planctus), aber keine Noten. Die Blätter wurden aus den Deckeln eines im Kartäuserkloster Aggsbach 1416 geschriebenen Codex gelöst, können aber ihrer ostmd. Sprache nach nicht dort entstanden sein. Nach MASCHEK stammen sie aus der Kartause Mariengarten in Smichow bei Prag. A u s g a b e . MASCHEK, S.326-333.

Die 'A.M.', ein am Schluß unvollständiges Gedicht von 241 Versen, gehört in die Gruppe der monologischen Marienklagen (i.F.Mkl.) (nur nach der Grablegung wird einmal Johannes redend eingeführt, v. 224-240), zeigt aber keine Verwandtschaft zu anderen Mkl. dieses Typs. Die Komposition ist uneinheitlich. Während sich anfangs das Passionsgeschehen in den Worten der Maria widerspiegelt, wird es später in 'Regieanweisungen' (Lanzenstich; Grablegung) außerhalb des Textes angegeben. Maria wendet sich im Anfang mit der Aufforderung zur Mittrauer an die Gemeinde, und abermals nach Christi Tod mit dem Lobpreis von Christi Erlösungswerk (v. 138—169). Danach aber verfällt sie erneut in die ganz persönliche Klage. Die zum Gesang bestimmten Verse (nur bis v. 115) enthalten neben der Klage Hinweise auf das Passionsgeschehen. Die Sprechverse sind als Anrufungen an Gabriel (v. 26-37), Gott (v. 52-55), an die Juden (dreimal), an Jo-

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'Ägidius' - Aegidius von Assisi

Hannes (zweimal), an den Gekreuzigten (v. 116-127 und v. 198-219) und an die Gemeinde gestaltet. Ein sehr eindringlicher zur Cotnpassio aufrufender Gefühlston wird bis zum Ende durchgehalten. Das Gedicht beginnt mit den lat. Eingangsstrophen des Hymnus filii ecclesiae' (WACKERNAGEL, KL II Nr. 524), an den es aber im weiteren kaum Anklänge zeigt. Zum ersten Teil (v. 1-169) finden sich Parallelen in einer dem Syrer ->Effraem zugeschriebenen Mkl., die auch in lat. Fassung bekannt war: Auch dort die Anreden an Gabriel, Christus, die Juden, an das Kreuz, daß es sich neigen möge, und vor allem die heilsgeschichtliche Bedeutung des Kreuzestodes (DE VRIES). Aber dieser Text kann nicht die unmittelbare Vorlage gewesen sein; es finden sich auch Entlehnungen aus dem sog. -» 'Bernhardstraktat'. Die 'A.M.' scheint aus mehreren lat. Vorlagen kompiliert zu sein. L i t e r a t u r . H. MASCHEK, Eine dt. Marienklage aus d. 15. Jh., PBB60 (1936) 325-339 (Edition u. Herkunftsnachweis); G. SEEWALD, D. Manenklage im mlat. Schrifttum u. in d. germ. Lit. d. MAs, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 52 u. 127; K. DE VRIES, De Mariaklachten, Zwolle 1964, S. 39-46 u. S. 229 (über Effraem),S.168 (über'A.M.').

HANS EGGERS

'Ägidius' Reimlegende aus der 2. Hälfte des 12. Jh.s 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 1. 14 Pergamentdoppelbll. d. StB Trier, Ende 12. Jh., l'-5v Fragmente des Aegidius, 5V-8V Fragmente einer S/V^esier-Legende;Beschreibung der Bll. bei E. STEINMEYER, ZfdA 21 (1877) 307-310; vgl. dazu E. NELLMANN, ZfdPh 85 (1966) 48f. 2. Pergamentbl., Ende 12. Jh., aus Höxter, heute im GRIMMNachlali! bei der Stiftung Preuß. Kulturbesitz zu Berlin; beschrieben von H. HORNUNG, Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 9 (1969) 1625-1628. 2. A u s g a b e n . 1. ROEDIGER, S. 331-382; K. BARTSCH, D. Trierer Aegidius, Germ. 26 (1881) 1-57. 2. zuverlässigster Abdruck (vgl. HORNUNG, Sp. 1628) bei J. GRIMM, Kl. Sehr. 6, 1882, S. 364-370.

3. Der Anfang des 1752 Verse umfassenden Gedichts ist verloren; im Höxterer Fragm. sind 130 vv. davon erhalten, die von der Entscheidung des jungen Ä. für das geistliche Leben handeln. Die Trierer Bruchstücke setzen ein mit den ersten Wundern des Heiligen, berichten dann von seinem

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Einsiedlerleben in einer abgelegenen Höhle der Provence, von der wunderbaren Hindin und von der Gründung eines Klosters durch Ä. Mit der Episode von Karls d. Gr. unnennbarer Sünde folgt die bekannteste und am weitesten verbreitete Szene der Ä.Legende. Der Bericht über den Besuch des Heiligen in Rom, über seinen Tod und seine Aufnahme in den Himmel beschließt das Gedicht. 4. Quelle ist eine lateinische Ä.-Legende vom Typ BHL93. Für das Höxterer Fragment hat ROSENFELD inhaltliche Berührungen mit der 'Vita sancti Aegidii' BHL 95 festgestellt und daraus auf eine selbständige Dichtung geschlossen. Da diese Vita auch in den Trierer Fragmenten benutzt ist (ROSENFELD, S. 105-107), muß als Quelle eine bisher noch unbekannte Fassung der Legende angenommen werden, deren Textgestalt auf Grund der noch wenig erforschten Ä.-Überl. zu bestimmen wäre. Von hier aus ließe sich auch die Frage nach dem Verhältnis von Trierer Bruchstücken und Höxterer Fragment, das bislang als leichte Überarbeitung des ursprünglichen Gedichts angesehen wurde (ROEDIGER, S.411), endgültig entscheiden. 5. Von der Kenntnis der genauen Quelle hängt auch das Urteil über die dichterische Leistung des Autors ab. Die Reime sind nur zu einem Viertel rein, im Höxterer Fragment allerdings etwa zur Hälfte. Die Sprache ist md. (ROEDIGER, S. 396f.), wahrscheinlich rhfrk. (KRAUS, Dt. Ged. S. 148). Auf Grund der Reime kommt man auf eine Datierung gegen 1160. Hinweise auf eine genauere Lokalisierung dürften aus der Erforschung des weit verbreiteten Ä.-Kultes zu erwarten sein. L i t e r a t u r . M. ROEDIGER, Trierer Bruchstücke, ZfdA 21 (1877) 331-412; H. F. ROSENFELD, Z. Trierer Ägidius, Neoph. 14 (1929) 102-107; A.LEITZMANN, Z. Trierer Aegidius, ZfdA 82 (1948/50) 251-256; E. DORN, Der sündige Heilige in d. Legende d. MAs,

1967, s. 77.

KARL-ERNST GEITH

Aegidius von Assisi Ägidius schloß sich als einer der ersten Gefährten i.J. 1209 Franziskus von Assisi an (Thomas von Celano, Vita prima S. Fran-

Agius von Corvey

cisci, n. 25, Anal. Franc. X 21; ->Bonaventura, Legenda maior S.Francisci c.III n.4, Anal. Franc. X568), er starb 1262 in Perugia. Von ihm sind 'Dicta' tradiert, die im 15. Jh. ins Mhd. und Mndl. übertragen wurden: 1. im mhd. -»· Franziskusbuch 'Fac secundum exemplar" (München, cgm 381 [um 1500]), einer Kompilation, die vor allem das 'Speculum perfectionis seu S. Francisci Assisiensis legenda antiquissima' und die 'Actus beati Francisci et sociorum ejus' auswertete; 2. im Rahmen der mndl. -»'Franziskanischen Traktate', die sehr breit, auch nd. und mfrk., überliefert sind (1-6, 7-9 gekürzt, 10-12, 15-19, 20-23 gekürzt) , Die Gnade der mystischen Schau, die Ä. nach den Viten zuteil wurde (Documenta antiquaFranciscana I, Scripta Fratris Leonis, ed. L.LEMMENS, 1901, S. 37-72; Chronica XXIV generalium ordinis minoris, Anal. Franc. III173-182; Bonaventura, s.o. quamquam esset idiota et simplex, ad excelsae contemplationis sublimatus est verticem), fand ihren schriftlichen Niederschlag in Dictum XIII 'De contemplatione'. Es werden hier sieben hierarchische Stufen, ignis, unctio, ecstasis, contemplatio, gustus, requies, gloria, unterschieden, die u.a. Bonaventura und —>· Thomas Gallus (Vercellensis) zum Grundriß kontemplativer Betrachtungen herangezogen haben, Bonaventura im 'Commentarius in Lucam' c. 9 n. 48 und 'Sermo I de tempore, De Sabbato Sancto', Thomas Gallus in einer kleinen Schrift 'De septem gradibus contemplationis'. Letztere liegt zwei obd. Bearbeitungen zugrunde (s. RUH, Bonav. dt. S. 281-283; eine davon ediert in: RUH, Franzisk. Schrifttum, S,210 bis 213). - Ende des 15. Jh.s kommentiert Hendrik van Santen die 7 Grade in seinen 'Collacien'; s. M. VERJANS OFM, P. Hendrik van Santen (f 1493), S. 196-204, bes. 202f. Die Bruder Leo (zu Recht) zugeschriebene Ä.-Vita ist im oben erwähnten cgm 381, 187v-201r, 202V-203V mhd. überliefert (c. 1-11, 13, 15-21), eine andere Vita in Prag, ÜB, cod. XVI E 15 (um 1500), 259V-276V. A u s g a b e n . Dicta Beati Aegidii Assisiensis, ed. PP. Collegii S. Bonaventura, Quaracchi 21939. - RUH, Franzisk. Schrifttum I 179-184; 207-209 (Dicta I-IV,

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XIII mhd.); Fr. ST.SCHOUTENS, Sommeghe güldenen woerde seer scichtich die broeder Egidius ghesproeken heeft, Antwerpen 1904, S. 7-24. L i t e r a t u r . Zur Überlieferung; B. KR.UITWAGF.N, De middelnederlandsche hss. over het leven van Sint Franciscus en zijn eerste gezellen, De Katholiek 128 (1905) 151-191; RUH, Bonav. dt. S.217-239; S. GLASEN /J. VAN GURP, Nachbonaventurianische Franziskusquellen in ndl. u. dt. Hss. d. MAs, AFH 49 (1956) 434-482; S. CLASEN, Legenda antiqua S. Francisci (Studia et Documenta Franciscana 5), 1967, S.41 ff.; K. RUH, Z. Grundlegung einer Gesch. d. franz. Mystik, in: Altdt. u. altndl. Mystik, hg. v. K. RUH (WdF 23), 1964, S. 240-274, über die Dicta-Tradition S. 259-261.

K. RUH Aegidius Romanus -> 'Fürstenspiegel nach A. R.' Agius von Corvey I. L e b e n . Agius ... gratia Christi sacerdos nennt sich der Verfasser im Prolog der nicht vor Sept. 876 (Ludwig III. ist bereits König; dagegen 875/vor August 876 nach ECKHARDT, S.42) für die Nonnen des Klosters Gandersheim geschriebenen Prosavita Hathumods (840-874),der Tochter Liudolfs v. Sachsen und ersten Äbtissin von Gandersheim. Der offensichtlich wesentlich jüngeren Hathumod in enger geistlicher Freundschaft verbunden, war A. für das Kloster Rechtsberater, Dictator von Urkunden (GOETTING, S. 79 u. 83) und wohl auch Arzt (HÜFFER, S. 20). Die immer wieder geäußerte Vermutung, er sei ein leiblicher Bruder Hathumods gewesen, hat BEUMANN (S.172ff.; vgl. E.HLAWITSCHKA, Rhein. Vjbll. 38 [1974] 108 Anm. 60) widerlegt. Sein in der Nähe von Gandersheim zu suchendes Kloster nennt A. nicht, doch erweisen ihn für -> Rimbert von Corvey im Jahre 864 verfaßte komputistischeGedichtealsMönch von Corvey. Wahrscheinlich ist A. identisch mit Agicus, der in der Mönchsliste von Corvey während des Abbatiats von Warin (826-856) aufgeführt ist (42. von 57 Eintragungen; MGH SS XIII 27519; Abhh. Corveyer Gesch.Schreibung II, 1916, S.78). II. W e r k e 1. V e r s u s c o m p u t i s t i c i . a) Im Jahre 863 (vgl. v. 39f.) verfaßte A. 30 bisher nicht edierte elegische Distichen als erklärende Begleittexte zu einer Tafel

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Agius von Corvey

der 'Litterae Paschales' für den Osterzyklus und einer Tafel mit den Osterterminen. Ü b e r l i e f e r u n g . Anonym überl. in d. Hss. Dijon, Bibl. municip. 440 (269), 10.Jh., 80 r ~ v , und London, Brit. Mus., Royal 13 A. XI, 11./12. Jh., 145r; WALTHER, Initia 3079.

b) Die sieben Gedichte 'De compoto' sind eine Auftragsarbeit für Rimbert von Corvey v.J. 864 (vgl. carm. 8 v. 16); ihnen ist ein Widmungsgedicht in 22 elegischen Distichen vorangestellt (von LEHMANN mit 'De numero' bezeichnet). Ü b e r l i e f e r u n g . Basel, ÜB, Frgm. II n. 31, 11.Jh. A u s g a b e n . LEHMANN, Erf. V 96 (nur das Widmungsged.); K. STRECKER, MGH Poetae IV 937-943

Im Widmungsgedicht sind von dem als Überschrift gedachten ersten Distichon nur die letzten Wörter ausgeführt, es bewahrt aber in v. 2 den Namen Agius. Der« in v. l ausgesparte Name des Adressaten wird im Text wiederholt, in den vv. 29-32 in Beziehung zum Inhalt des Gedichtes gesetzt: Rimbertus bedeute numero clarus. In v. 2-18 stellt A. den Komputus an die Spitze der Wissenschaften und preist die Zahl als Grundprinzip der Schöpfung, auf dem die Bahnen der Gestirne und der Ablauf der Zeit beruhen. In den sieben hexametrischen Gedichten (157 vv.) erklärt A. die Benutzung seiner komputistischen Tafeln. Der Beginn des ersten Gedichts und der des Komputus aus dem Vorjahr sind identisch. In carm. 5 und carm. 8 übernimmt A. die Hexameter des 863 verfaßten Gedichts teilweise direkt, die Pentameter formt er aus dem gleichen Wortmaterial zu Hexametern um. 2. ' V i t a e t o b i t u s H a t h u m o d a e ' u n d 'Dialogus Agii' Ü b e r l i e f e r u n g . Bamberg, SB, cod. hist. 141 (E. III. 9), 15. Jh. (aus Kl. Michelsberg), 228V-237V; Abschriften davon die Bollandistenhs. Brüssel, Bibl. Rovale, cod. 3513 (8959-60), 17.Jh., 84r-103v, und eine verlorene Ochsenhausener Hs., die durch die Ausg. bei PEZ repräsentiert wird. A u s g a b e n . PEZ, Thes. I 287-324 (danach PL 137, 1169-96); G. H. PERTZ, MGH SS IV 165-189 (zit.). Nur der 'Dialogus': L. TRAUBE, MGH Poetae III 369 bis 388 (zit.). Ü b e r s e t z u n g e n . F. RÜCKERT, D. Leben d. Hadumod ..., 1845; G. GRANDAUR, GdV 25, 21890.

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a) Fast zwei Jahre nach dem Tod der Hathumod verfaßte A. deren Vita als Trostschrift für die Nonnen von Gandersheim, als exemplarisches Bild ihrer ersten Äbtissin. Er berichtet von ihrer Herkunft, Kindheit und Erziehung und schildert mit Anteilnahme und Verehrung ihr beispielhaft heiligmäßiges Klosterleben, dessen Zeuge er als häufiger Besucher in Gandersheim wurde. Ihren Tod, bei dem er ihr beistand, stellt er als 'Krise der Sterbenden und Überlebenden' VON Moos, §370) dar, mit einer sonst in der Hagiographie nicht anzutreffenden Schilderung der Todesangst, die als letzte Läuterung verstanden wird. b) Der Vita ließ A. den 'Dialogus' folgen, ein Epicedium in 359 elegischen Distichen, um das ihn die Nonnen gebeten hatten. In wiedergewonnener Fassung greift er erneut die Klagen auf, um die eigene Trauer und den Schmerz der Nonnen durch den Glauben an die Seligkeit der Verstorbenen zu überwinden. In einem Wechselgespräch zwischen dem in Ich-Form argumentierenden A. und den darauf antwortenden Nonnen (sorores, womit besonders wohl die leiblichen Schwestern Hathumods in Gandersheim gemeint sind) werden Gedanken über den frühen Tod der Äbtissin entwikkelt. Wie ein Leitmotiv wirkt die Forderung nach Maß (v. 41 ne quid nimis). Eine große Beispielreihe aus der Bibel (v. 225-336) zeigt die Unabwendbarkeit des Todes, die Kreatürlichkeit des Menschen. Aus verzweifelter Trauer führt A. die Nonnen zur Sorge um das Seelenheil der Stifterfamilie, vor allem Liudolfs. Hathumods Schwester Gerberg wird in einer Vision als neue Äbtissin bestätigt, und die Nonnen werden auf ihre Lebensaufgaben zurückverwiesen. Der 'Dialogus' wurde immer wieder als ein ergreifendes, an Gefühlsausdruck reiches Zeugnis der karolingischen Literatur gerühmt (vgl. Passagen wie v. 83-94, 505 bis 514, 647-654). VON Moos hat ihn in einer eindringlichen Studie als literarisches Kunstwerk untersucht, die Originalität im Gebrauch der Motive und Bilder deutlich gemacht und die kunstvolle Zahlenkomposition analysiert (gestützt auf die theoretische Aussage von 'De numero'). Vielleicht war eine Intention des Werks auch diese,

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'Agnes' - 'Agnes von Böhmen'

Gandersheim von Hathumods Schwager Ludwig d. J. den Königsschutz zu verschaffen (J. F. BÖHMER, Regesta imperil 1,21908, 1550). Das unmittelbare Formvorbild fand A. bei Paschasius Radbertus, der seiner (in Corvey, einer Gründung Corbies, sicher bekannten) Vita des Abts Adalhard von Corbie eine 'Egloga duarum sanctimonialium' in Hexametern anhängte. Die Dialogform wollte TRAUBE durch den Einfluß von Totenroteln, ERMINI durch ein vorangegangenes szenisches Spiel erklären. Beeinflußt ist A. im übrigen von Sulpicius Severus und Venantius Fortunatus. 3. Sprache und Versbau des A. sind z.T. unbeholfen (Hiat, konsonantisches h). Reimlosen Hexametern stehen überwiegend gereimte Pentameter gegenüber (LEHMANN, Erf. V 99). Neben anderen sprachlichen und metrischen Einwänden lieferte dieser Befund STRECKER eines der wesentlichen Argumente gegen die von HÜFFER u. a. postulierte Gleichsetzung des A. mit dem -»Poeta Saxo. Schlagend ist STRECKERS Beobachtung, daß A. grundsätzlich iügis, der Poeta Saxo iügis mißt. Zuletzt ist BOHNE mit wenig überzeugenden Argumenten für die Gleichsetzung eingetreten. Beachtung verdient sein Hinweis auf die Häufigkeit des rein spondeischen ersten Hemiepes im Pentameter bei A. und dem Poeta Saxo. Die Berührungen zwischen beiden Werken erklären sich jedoch durch die Annahme, daß der später (wohl auch in Corvey) dichtende Poeta Saxo das Werk des A. kannte. HÜFFERS These, A. habe auch die 'Translatio Liborii' verfaßt, wird durch den völlig abweichenden Gebrauch des Cursus in der 'Vita Hathumodae' widerlegt (STRECKER, S.495).

P. VON Moos, Consolatio (Münstersche MA-Schr.n 3, 1^4), 1971/72, §365-481; BRUNHÖLZL, LG I 386 bis T OQ

EWALD KÖNSGEN 'Agnes' Mfrk. Prosalegende. Von den zahlreichen dt. A.-Prosalegenden wurde bisher nur diese mfrk. Vita näher untersucht; überliefert ist sie in der Hs. 645 der Neustädter Gymnasialbibl., Prag (aus dem Trierer Raum; heutiger Aufbewahrungsort unbekannt). Hauptquelle ist die 'Vita S.Agnetis', Auctore S. Ambrosio (AASS Ian. II [1734], S.351-354). Z. 720 bis 746 (Ring-Mirakel) folgt der 'Legenda aurea' (->· Jacobus de Voragine). Für Z. 747-1041 konnte STROHSCHNEIDER keine Quelle ermitteln. Die Übers, folgt ihren Vorlagen zumeist wortgetreu. L i t e r a t u r . J.STROHSCHNEIDER, Eine mfrk. AgnesLegende, Progr. Prag 1891, S. 1-38 (hier auch ein Abdruck der Legende mit den lat. Quellen).

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Agnes von Assisi'

Agnes, die jüngere Schwester der -> Klara von Assisi, trat '16 Tage' nach deren Bekehrung, 1212, in den jungen Klarissenorden ein. Seit 1219 (oder 1221) Äbtissin des Klarissenklosters Monticelli bei Florenz; nach dem Tode Klaras (1253) wiederum in Assisi, wo sie noch im selben Jahre starb. Von ihr ist eine deutschsprachige Legende überliefert, die zum Verband von in Nürnberg vor 1380 entstandenen Klarissentexten, -> 'St. Klara-Buch', gehört. Die lateinische Vorlage ist nicht nachgewiesen, sie kann jedenfalls nicht von der A.-Vita in der 'Chronica XXIV Generalium Ordinis Minorum' (Anal. Franc. III 173-182) abL i t e r a t u r . Rep. Font. II 144; G.HÜFFER, Korveier Stud., 1898; MANITIUS, LG I 581-584; LEHMANN, Erf. geleitet werden. Auf dieselbe unbekannte V 95-101 (Neue Dicht, des A.); K.STRECKER, D. Quelle geht das A.-Leben in —> 'Der Heilischriftstell. Tätigkeit d. A. v. C, NA43 (1922) 490-511; gen Leben' zurück; ältester Textzeuge: Nürnberg, StB, cod. Cent. IV 43, E. 14. Jh., F. ERMINI, II Dialogo di Agio per la morte di Hathumoda, Studi Medieval! N.S. 2 (1929) 180-190; H.BEU158va-159va. MANN, Einhard u. d. karoling. Tradition im ottonischen Corvey, Westfalen 30 (1952) 150-174; K. A. ECKHARDT, Genealog. Funde z. allgem. Gesch., 1963, S.39-42; J. BOHNE, D. Poeta Saxo in d. histograph. Tradition d. 8.-10. Jh.s, Diss. FU Berlin 1965, S.163-177; H. GOETTING, D. reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim, Germania Sacra N.F. 7/1, 1973, S.79-83 u. 532;

L i t e r a t u r . RUH, Franzisk. Schrifttum I 66-68 (Überl. u. Text ohne Wunderzeichen). i^ D I ] H

'Agnes von Böhmen' (von Prag) Die sei. Agnes, Tochter König Ottokars I. von Böhmen, geb. 1205, trat 1234 in

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'Agnes' - 'Agnes von Böhmen'

Gandersheim von Hathumods Schwager Ludwig d. J. den Königsschutz zu verschaffen (J. F. BÖHMER, Regesta imperil 1,21908, 1550). Das unmittelbare Formvorbild fand A. bei Paschasius Radbertus, der seiner (in Corvey, einer Gründung Corbies, sicher bekannten) Vita des Abts Adalhard von Corbie eine 'Egloga duarum sanctimonialium' in Hexametern anhängte. Die Dialogform wollte TRAUBE durch den Einfluß von Totenroteln, ERMINI durch ein vorangegangenes szenisches Spiel erklären. Beeinflußt ist A. im übrigen von Sulpicius Severus und Venantius Fortunatus. 3. Sprache und Versbau des A. sind z.T. unbeholfen (Hiat, konsonantisches h). Reimlosen Hexametern stehen überwiegend gereimte Pentameter gegenüber (LEHMANN, Erf. V 99). Neben anderen sprachlichen und metrischen Einwänden lieferte dieser Befund STRECKER eines der wesentlichen Argumente gegen die von HÜFFER u. a. postulierte Gleichsetzung des A. mit dem -»Poeta Saxo. Schlagend ist STRECKERS Beobachtung, daß A. grundsätzlich iügis, der Poeta Saxo iügis mißt. Zuletzt ist BOHNE mit wenig überzeugenden Argumenten für die Gleichsetzung eingetreten. Beachtung verdient sein Hinweis auf die Häufigkeit des rein spondeischen ersten Hemiepes im Pentameter bei A. und dem Poeta Saxo. Die Berührungen zwischen beiden Werken erklären sich jedoch durch die Annahme, daß der später (wohl auch in Corvey) dichtende Poeta Saxo das Werk des A. kannte. HÜFFERS These, A. habe auch die 'Translatio Liborii' verfaßt, wird durch den völlig abweichenden Gebrauch des Cursus in der 'Vita Hathumodae' widerlegt (STRECKER, S.495).

P. VON Moos, Consolatio (Münstersche MA-Schr.n 3, 1^4), 1971/72, §365-481; BRUNHÖLZL, LG I 386 bis T OQ

EWALD KÖNSGEN 'Agnes' Mfrk. Prosalegende. Von den zahlreichen dt. A.-Prosalegenden wurde bisher nur diese mfrk. Vita näher untersucht; überliefert ist sie in der Hs. 645 der Neustädter Gymnasialbibl., Prag (aus dem Trierer Raum; heutiger Aufbewahrungsort unbekannt). Hauptquelle ist die 'Vita S.Agnetis', Auctore S. Ambrosio (AASS Ian. II [1734], S.351-354). Z. 720 bis 746 (Ring-Mirakel) folgt der 'Legenda aurea' (->· Jacobus de Voragine). Für Z. 747-1041 konnte STROHSCHNEIDER keine Quelle ermitteln. Die Übers, folgt ihren Vorlagen zumeist wortgetreu. L i t e r a t u r . J.STROHSCHNEIDER, Eine mfrk. AgnesLegende, Progr. Prag 1891, S. 1-38 (hier auch ein Abdruck der Legende mit den lat. Quellen).

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Agnes von Assisi'

Agnes, die jüngere Schwester der -> Klara von Assisi, trat '16 Tage' nach deren Bekehrung, 1212, in den jungen Klarissenorden ein. Seit 1219 (oder 1221) Äbtissin des Klarissenklosters Monticelli bei Florenz; nach dem Tode Klaras (1253) wiederum in Assisi, wo sie noch im selben Jahre starb. Von ihr ist eine deutschsprachige Legende überliefert, die zum Verband von in Nürnberg vor 1380 entstandenen Klarissentexten, -> 'St. Klara-Buch', gehört. Die lateinische Vorlage ist nicht nachgewiesen, sie kann jedenfalls nicht von der A.-Vita in der 'Chronica XXIV Generalium Ordinis Minorum' (Anal. Franc. III 173-182) abL i t e r a t u r . Rep. Font. II 144; G.HÜFFER, Korveier Stud., 1898; MANITIUS, LG I 581-584; LEHMANN, Erf. geleitet werden. Auf dieselbe unbekannte V 95-101 (Neue Dicht, des A.); K.STRECKER, D. Quelle geht das A.-Leben in —> 'Der Heilischriftstell. Tätigkeit d. A. v. C, NA43 (1922) 490-511; gen Leben' zurück; ältester Textzeuge: Nürnberg, StB, cod. Cent. IV 43, E. 14. Jh., F. ERMINI, II Dialogo di Agio per la morte di Hathumoda, Studi Medieval! N.S. 2 (1929) 180-190; H.BEU158va-159va. MANN, Einhard u. d. karoling. Tradition im ottonischen Corvey, Westfalen 30 (1952) 150-174; K. A. ECKHARDT, Genealog. Funde z. allgem. Gesch., 1963, S.39-42; J. BOHNE, D. Poeta Saxo in d. histograph. Tradition d. 8.-10. Jh.s, Diss. FU Berlin 1965, S.163-177; H. GOETTING, D. reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim, Germania Sacra N.F. 7/1, 1973, S.79-83 u. 532;

L i t e r a t u r . RUH, Franzisk. Schrifttum I 66-68 (Überl. u. Text ohne Wunderzeichen). i^ D I ] H

'Agnes von Böhmen' (von Prag) Die sei. Agnes, Tochter König Ottokars I. von Böhmen, geb. 1205, trat 1234 in

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Agricola, Rudolf

das von ihr 1223 gestiftete Klarissenkloster in Prag ein. Das ihr wenige Monate darnach von Papst Gregor IX. aufgenötigte Amt der Äbtissin legte sie 1238 aus Demut nieder. Von nun an lebte sie als 'soror maior' bis zu ihrem Tod 1281 (oder 1282). Die erste A.-Vita dürfte in einem Prager Minoritenhaus im Zusammenhang mit dem Kanonisationsgesuch entstanden sein, das die Königin Elisabeth von Böhmen i.J. 1328 einreichte. Die Ablehnung der Heiligsprechung durch die Kurie erfolgte im Blick auf die hussitische Bewegung; doch wurde den Kreuzherren in Prag gestattet, ihr Fest am 2. März feierlich zu begehen, Die A.-Vita des 'Anonymus Pragensis' (SETON, S. 33) überliefert am besten der vor 1380 entstandene Bamberger cod. E. VIII 19 (hist. 146) (ed. SETON). Auf ihr beruhen zwei deutsche Fassungen: I. (seit dem frühen 15. Jh. überliefert) Bamberg, cod. E VII 56 (hist. 151); München, cgm 539; ''Prag, ÜB, cod. XVI D 16 (* nicht bei SETON); Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., Heimst. 132.-II. (E. 15./Anf. 16. Jh. überliefert) Berlin, mgo484; "Stuttgart, LB, cod. HBI26; *Wien, cod. 13671 (ed. SETON, nach der Berliner Hs.). Die Textverhältnisse scheinen mir bei SETON nicht zuverlässig geklärt zu sein, weder das Verhältnis zwischen den beiden Fassungen, noch der Hss. untereinander.

Die Vita ist offensichtlich nach dem Muster der Franziskus-Legende -»Bonaventuras angelegt (systematischer Grundriß) und weist auch motivisch zu ihr und vor allem zur Vita der -»Klara von Assisi zahlreiche Parallelen auf. So entspricht die öffentliche Entäußerung ihrer königlichen Gewänder (SETON, S. 81"ff·) der Franziskus-Legende, der prophetische Traum der Mutter (65 22ff ·), das Fisch- und Brotwunder (919fr; 93 7ff "), das dienende Verhältnis zu den Schwestern und die strenge Askese der Klara-Legende. Dabei ist der literarische Einfluß nicht streng von der biographischen Wirklichkeit zu trennen: A. stand in der Nachfolge der Ordensstifterin, die vier geistliche Sendebriefe an sie gerichtet hat, erfüllt vom Lobpreis der 'heiligen Armut', der Demut und der Nachfolge Christi, aber auch mit praktischen Empfehlungen über das Fasten. Auch diese Briefe liegen in mhd. Übertragung vor (ed. SETON, S. 151-164; -> 'St. Klara-Buch'). L i t e r a t u r . W.W.SETON, Some New Sources for the Life of Blessed A. of Prag, AFH 7 (1914) 185-197;

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ders., Some New Sources for the Life of Blessed A. of Bohemia, including a Fourtheenth Century Latin Version and a Fifteenth Century German Version (Publications of the British Society of Franciscan Studies VII), London-New York 1915. K.RuH

Agricola, Rudolf (Roelof Huusman, Huesman; nach eigner Nennung: Rodolphus Agricola Frisius) I. Leben. Quellen der Biographie sind urkundliche Zeugnisse und A.s Briefe (chronologisch geordnet von ALLAN), zum ändern zahlreiche Äußerungen jüngerer Zeitgenossen, vor allem die 5 Viten: 1. Johann von Pleningen (t 1506), hg. v. F. PFEIFFER, Serapeum 10 (1849) 101-107 u. 113-115; 2. Goswin van Haien (f 1530), anonym überl., hg. v. J. B. KAN, Erasmiani Gymnasii Programma, Rotterdam 1894 (zum Verf. vgl. VAN DER VELDEN, S. 10-16); 3. Gerard Geldenhauer, 1535, in: J. FICHARDUS (Hg.), Virorum qui superior! nostroque seculo ... illustres ... fuerunt Vitae, Frankfurt 1536, f. 83-86; 4. Ph. Melanchthon, Brief an Alardus von Amsterdam (28.3.1539), Corpus Reformatorum III 673-76; 5. Ph. Melanchthon/Johann Saxo, Oratio de Vita Rodolphi Agricolae Frisii', 1539, Corpus Reformatorum XI 438-46. Hinzukommt J. Trithemius' Würdigung im 'Catalogue illustrium virorum' [Mainz 1495], f. 53 f. Krit. Biographie: VAN DER VELDEN.

Geb. 17.2.1444 (1443?) zu Baflo b. Groningen. Sein Vater ist der Lizentiat der Theologie Henricus Huusmann (Huis-, Huysman), Pfarrer (nicht Priester) in Baflo, seit 1444 Abt des Benediktinerinnenklosters Seiwert, seine Mutter die puella Zycha; sie heiratet den Witwer Syeko Sartor (Schroeder), in dessen Haus A. aufwächst. Den ersten Unterricht erhält er, wahrscheinlich von Fraterherren, an der Martinsschule in Groningen. Bereits 1456-58 studiert er in Erfurt die artes, 1462 in Köln, ist dann in Löwen, wo er mit höchster Auszeichnung die Magisterwürde erwirbt. Seiner Umgebung fällt er dort durch sein urbanes Französisch auf. Er treibt Musik und Malerei; Cicero und Quintilian beginnen ihn zu fesseln. 1468-79 lebt er, mit längeren Unterbrechungen 1470/71 und 1474, in Italien, zunächst in Pavia, wendet sich vom Studium der Rechte bald den artibus quas humanitatis vacant (J. v. Pleningen) zu, ist daneben Privaterzieher der Brüder Johann und F ried-

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Agricola, Rudolf

rich Grafen von Öttingen. Dreimal hält er für die jährlich gewählten rectores scholarium der Universität die Einführungsrede, 1474 für Johann von Dalberg, den Freund und späteren Gönner. Mit Dalberg sind in Pavia die Brüder Dietrich und Johann von Pleningen, dauernde Freunde A.s seither auch sie. Griechische Studien ziehen ihn im Herbst 1475 nach Ferrara. Die Universität, an der Theodorus Gaza (fl475), Battista Guarino, Tito Vespasiano Strozzi lehren, ist humanistisch geprägt wie keine andere ihrer Zeit, der Hof der Este eine der glänzendsten Stätten der Renaissancekultur. Vor Herzog Ercole und der Universität führt er sich, was bisher kein Mann aus dem Norden gewagt, 1476 mit der brillanten Oratio in laudem philosophiae' ein. Das musikalische Talent, voran die Meisterschaft im Orgelspiel, verschafft ihm besoldeten Dienst in der Kapelle des Herzogs. Im Sommer 1476 begleitet er ihn nach Modena. In Urkunden von 1476 und 1478 tritt er als familiaris illustrissimi nostri Ducis auf, in einer von 1476 zugleich als art(jum) D (VAN DER VELDEN, S. 88; G. PARDI, Titoli dottorali conferiti dallo studio di Ferrara nei sec. XV e XVI, Lucca 1901, S. 65). Mitte 1479 verläßt er Italien und lebt fortan in Deutschland, aber ohne Bindung an einen festen Ort, ohne dauerndes Amt. Auf der Rückreise von Ferrara folgt er einer Einladung des Augsburger Bischofs Johann von Werdenberg nach Dillingen, verbringt dort einige Monate, vollendet das in Italien begonnene Hauptwerk 'De inventione dialectica'. Noch in Dillingen teilt er dem Freund Adolf Occo den bald mehrfach bekräftigten Entschluß mit, seine künftigen Jahre dem Studium der hl. Schrift zu widmen. Anfang September bei Dalberg in Speyer, erreicht er über Köln, begrüßt und gefeiert von Freunden, die Heimat. Groningen bedeutet eine andere Lebenswelt als Ferrara. Im nahen Kloster Adwert findet er Johann -> Wessel von Gansfort, zu dem er enge Beziehungen unterhält, trifft dort im Kreis um Abt Heinrich von Rees mit alten und jüngeren Freunden zusammen, Männern aus der Devotio moderna, die an den Schulen eine christlich-humanistische Er-

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neuerung der Bildung propagieren, Rudolf von -»Langen, Alexander Hegius u.a. Seinen Unterhalt bestreitet er seit seiner Rückkehr als secretarius der Stadt, beklagt das Amt freilich bald als drückende Fessel seiner Freiheit. Ihm widerstrebt selbst die Stelle eines Hofsekretärs und künftigen Prinzenerziehers, die ihm von Maximilian I. angetragen wird, als er 1481 in Geschäften der Stadt am Hof in Brüssel weilt. 1482 eröffnet sich ihm auf Betreiben des Freunds Jakob Barbirianus die Aussicht, die Leitung der Stadtschule in Antwerpen zu übernehmen. Noch ehe die Entscheidung fällt, erreicht ihn mit einem Schreiben des kurfürstl. Rates Dietrich von Pleningen die Einladung Johanns von Dalberg (1481 Kanzler des Kurfürsten Philipp, 1482 Bischof von Worms) nach Heidelberg. Nach mancherlei Umständen trifft er am 2.5.1484 ein. Er wohnt im Hause Dalbergs, frei von materiellen Sorgen, treibt Hebräisch, hält, ohne Amt und Pflichten, Vorträge an der Universität. Rasch rückt er in den Mittelpunkt des Interesses. Sein Auftreten und die Art seines Lehrens werden als völlig neu empfunden. Die einzigartige Wirkung, die von seiner Person ausgeht, bezeugen noch Urteile jüngerer und ferner stehender Zeitgenossen. Im Sommer 1485 begleitet er Dalberg zur Beglückwünschung des neugewählten Papstes InnozenzVIII. nach Rom. Auf dem Rückweg erkrankt er und stirbt nach der Ankunft in Heidelberg am 27.10.1485. II. Ü b e r l i e f e r u n g . Von A.s Schriften erschien zu seinen Lebzeiten nur weniges im Druck. Die authentische Hauptquelle, sein Nachlaß mit den Autographen, ist heute verschollen; auf ihr fußt indes im wesentlichen die Alardus-Ausg. von 1539. Vgl. ALLAN, S. 302-309; VAN DER VELDEN, S. 17-25. Erhalten ist eine zweite hsl. Hauptquelle, cod. poet, et philol. 4° 36 (vor 1506) der LB Stuttgart (= S) aus dem Besitz Dietrichs von Pleningen, eine Sammelhs., die Johann von Pleningen als Grundlage für einen geplanten Druck durch seinen Amanuensis Johann Pfeutzer schreiben ließ; für drei Reden und eine Anzahl Briefe ist sie der einzige Textzeuge. Vgl. HARTFELDER, S. 9f.; SPITZ/ BENJAMIN, S. 2. Zu Hss. einzelner Werke s.u.; Sichtung u. Kritik d. hsl. Gesamtüberl. stehen aus. A u s g a b e n . ALARDUS AEMSTELREDAMUS (Hg.), Rodolphi Agricolae Phrisii, De inventione dialectia ..., Köln 1539; Rodolphi Agricolae Lucubrationes ..., Köln 1539 (zit.), Neudruck: Nieuwkoop 1967. Der

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Agricola, Rudolf

zweibändigen Ausg. des ALARDUS ging eine kleinere Sammelausg. voran: Rodolphi Agricolae ... nonnulla opuscula, Antwerpen 1511 (wiederholt: Basel 1518). Drucke einzelner Schriften s. u., Drucke im 16.Jh.s. Index Aureliensis I, 1962, Nr. 101.720-793; Sichtung und Kritik der gesamten Drucküberl. fehlen. Auszüge aus den Schriften in dt. Übers.: IHM, S. 31-75.

III. Werk I . R e d e n . 'Vita P e t r a r c h a e ' Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Zusammenstellung bei ALLAN, S. 310-316. Die Paveser Einführungsreden für Paul von Baenst und Johann von Dalberg (S, f. 323r-328r u. 328r-334r) sind noch ungedruckt. Häufigere Uberl. u. Drucke hat die Oratio gratulatoria' an Innozenz VIII.; vgl. VAN DER VELDEN, S. 248f. Erstausg. d. 'Exhortatio ad clerum Wormatiensem': SPITZ/BENJAMIN, S. 6-14. Neuere Ausg. d. Oratio in laudem philosophiae': H. RUPPRICH (Hg.), Humanismus u. Renaissance in d. dt. Städten u. an d. Universitäten (OLE 8,2), 1935, S. 164-183. 'Vita Petrarchae': S, f. 284r-297r, und München, clm479,1. H. 16. Jh. Ausg.n: J. LINDEBOOM, Petrarca's Leven, beschreven door R. A., Nederlandsch Archief voor Kerkgesch. N.S. 17 (1923) 81-107 (nach clm 479); L. BERTALOT, R. A.s Lobrede auf Petrarca, La Bibliofilia 30 (1928) 382-W4.

a) Literarisch trat A. anscheinend zuerst in Pavia mit den Einführungsreden für die rectores scholarium Matthias Richilus (1471; zur Datierung vgl. VAN DER VELDEN, S. 71 Anm.2) und Paul von Baenst (1473) hervor; 1474 folgte die für Johann von Dalberg. Es sind Reden, die ihrem Anlaß entsprechend der Universität jeweils die Person des neuen rector vorstellen, in einer typischen Gliederung zunächst dessen Herkunft und Familie rühmen, dann Erziehung und Studien, Leistungen und Charakter; sie schließen mit der Aufforderung, das hohe Amt würdig und gerecht zu führen. Das anziehendste und rednerisch stärkste dieser panegyrischen Porträts ist die Rede auf Dalberg, ein specimen idealer humanistischer Personenschilderung. b) Die 1473/74, ein Jahrhundert nach Petrarcas Tod, in Pavia entstandene 'Vita Petrarchae' folgt einer ital. verfaßten Vorlage, die ihrerseits eine Kompilation war, besorgt von unbekannter Hand für die 1471 zu Rom gedruckte Zweitausgabe der 'Rime'. Durch die oratorische Ausarbeitung, die Vielzahl persönlich gestimmter Erweite-

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rungen, die programmatische Vorrede und den Epilog wuchs sie indes auf den doppelten Umfang der Quelle und wandelte den biographischen Abriß in ein Dokument der Petrarcadeutung. Petrarca erscheint als der eine erste Bahnbrecher einer epochalen Kulturwende, die Wiedererweckung der litterae, ohne Lehrer und wider seine Zeit vollbracht, als Leistung allein seiner Person, und darin bedeutet Petrarca zugleich das große anspornende Vorbild der Fähigkeit des Individuums zu schöpferischer Selbstvervollkommnung. Sichtbar versammelt die Vita mannigfache Züge einer Lebenshaltung und Geistesart, in denen sich A.s eigene Ideale konzentrieren: Freiheitsliebe, intellektuelle Unabhängigkeit, Reise und Wanderung als magistra des experiri, Erkenntnis des Menschen als menschlichstes Anliegen u.a.m. In Petrarca den historischen Bezugspunkt des eigenen humanistischen Lebensverständnisses zu erkennen, vor allem dies Motiv leitete A.s biographisches Interesse. c) In der Oratio in laudem philosophiae' von 1476, die wissenschaftstheoretisch zwar kaum mehr als einen Synkretismus klassischer Traditionen darstellt, fand das neue humanistische Vertrauen in das Vermögen des Menschen zu freier Bestimmung, bildender Entfaltung, unbegrenzter Steigerung seiner selbst programmatische und glühende Kundgabe. Die Feier des menschlichen Geistes, seiner Kraft, an das Höchste zu reichen, das Dunkelste zu durchdringen, ringsum allem, auch der Fortuna, überlegen zu sein, hatte selbst bei den Italienern bis dahin nur wenig Vergleichbares. d) Im Aug./Sept. 1484 hielt A. in Worms auf Einladung Dalbergs die 'Exhortatio ad clerum Wormatiensem', die dem versammelten Diözesanklerus die Würde des Priesterberufes vor Augen stellte, Weihnachten desselben Jahres vor der Heidelberger Universität die Oratio de nativitate sive immensa natalis diei lesu Christi laetitia'. Für Dalberg verfaßte er 1485 die Oratio gratulatoria' an Innozenz VIII., die der Bischof am o.Juli in Rom zur Beglückwünschung des neugewählten Papstes vortrug; sie erschien noch im gleichen Jahr zweimal im Druck.

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Agricola, Rudolf

2. 'De i n v e n t i o n e d i a l e c t i c a '

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Quintilian, Boethius u.a. tat A. mit der neuen Auffassung und Zielsetzung der Ü b e r l i e f e r u n g . S, f. XIV r " v (Widmungsbrief an Dialektik einen historischen Schritt. Er inDietrich von Pleningen), lr-172v. tendierte die Ablösung der spätscholastiA u s g a b e n . Erstdruck: Löwen 1515. Bibliographie schen Schullogik, die er mit anderen Huma(unvollst.) d. Drucke: W. J. ONG, Ramus and Talon nisten zu fruchtloser Spitzfindigkeit und Inventory, Cambridge (Mass.) 1958, S. 534-558. artistischem Selbstzweck entartet sah, proDas drei Bücher umfassende Hauptwerk pagierte eine wissenschaftliche Methode, 'De inventione dialectica' ist als der erste die in den Einzeldisziplinen, einschließlich und grundlegende Teil einer neuen Dialek- der Theologie, zu den Dingen selbst führen, tik konzipiert, deren zweiter, nicht mehr eine ars inveniendi, die statt zu bloßen Beausgeführt, die Theorie des Urteilens (iudi- griffsdiskussionen zur Erforschung prakcare) behandeln sollte. Die Gliederung der tischer Fragen anleiten sollte. Der methoDialektik in inventio und indicium - dische Anspruch seiner Dialektik ist der Schwerpunkt der inventio ist die Argumen- einer allgemeinen Wissenschaftsreform. Zu tenfindung, Topik - und schon die Auf- ihrer großen Wirkung nach 1515 besonders fassung der Dialektik als Kunst der Erörte- in den Niederlanden, in Paris, in England rung in Rede und Gegenrede, als ars disse- - über 50 Drucke des 16. Jh.s - kam sie über rendi, deren Logizität sich nicht auf eine Erasmus' Empfehlung im Verein mit dem innere Begrifflichkeit, sondern auf die kon- Kommentar des Johannes Phrissemius (zukrete Sprachform bezieht, sind ciceronia- erst Köln 1518) und der Epitome des Barnisch. So sehr nach diesen Merkmalen tholomäus Latomus (zuerst Köln 1530). A.s Dialektik rhetorischer Herkunft scheint, Der Dialektik eng zugeordnet ist die kleine Aber gibt ihr eine eigene und kategorial andere handlung 'De universali, singular! et uno' (S, f. 19 Bedeutung; der Rhetorik, die sich für ihn bis 195r; vgl. Alardus-Ausg. I 37—41), entfernter der auf das Gebiet des ornate dicere beschränkt, Kommentar zu Ciceros Oratio pro lege Manilla' erkennt er eine selbständige Topik nicht zu. (Alardus-Ausg. I 461-471) und der zu einigen 'DeDie Topik der 'inventio dialectica' geht auf clamationes* Senecas d. Ä. und deren Vorrede (Alaralle Objekte der Erfahrung, versteht sich als dus-Ausg. II 90-118). 3. Ü b e r s e t z u n g e n . ein Organon allgemeiner Gesichtspunkte, a) Ende 1473 besorgte A. in Pavia für welches die Dinge der Erscheinungswelt methodisch befragbar, nach ihren unter- Antonio Scrovegni eine lat. Übers, des frz. scheidenden Merkmalen, Teilen, Eigen- brieflichen Berichts Arnolds von Lalaing an schaften, Beziehungen zu anderen bestimm- Paul von Baenst über die berühmte Begegbar und so zu Gegenständen gesicherten nung Kaiser Friedrichs III. mit Karl dem Wissens machen soll. Ihre analysierende Kühnen von Burgund 1473 in Trier (dazu und klärende Funktion erhält die Topik bei LHOTSKY, Quellenkunde, S.418f.). der Erörterung der quaestiones, ProblemÜ b e r l i e f e r u n g und D r u c k e : ALLAN, S.310 (zu stellungen, deren Ordnung und Regeln das Ep.5). 2. Buch darlegt. Zur Beantwortung der b) Aus den Griechischstudien in Ferrara Frage, wie sich eine dialektische Begrün- gingen A.s lat. Übers.n griechischer Autodung von Sätzen Wirkung beim Zuhörer ren, die ersten eines deutschen Humanisten, verschaffen kann, bezieht A. zu Beginn des hervor. Er begann 1477 (?) mit dem ps. pla3. Buches eine Affektenlehre ein, behandelt tonischen 'Axiochus sive de contemnenda dann in großer Ausführlichkeit die disposi- morte' sowie PS. Isokrates' 'Praecepta ad tionellen Erfordernisse der Darbietung. Demonicum' (1478) und 'De regno ad NicoEr beschließt das Werk mit einem neuen clem' (1478 ?); auch die Übers, von AphthoPreis des menschlichen Geistes, dessen ge- nius' rhetorischen 'Progymnasmata' fällt waltige Kraft allein im Willen des Men- noch in diese Zeit. In Deutschland schlössen sich die Übers.n von Lukians 'Libellus schen seine Grenze finde. Ungeachtet seiner mannigfachen eklek- de non facile credendis delationibus' (Somtischen Beziehung auf Aristoteles, Cicero, mer 1479) und Lukians 'Mycillus sive Gal-

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Agricola, Rudolf

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Die 50 erhaltenen Briefe aus den Jahren 1469-1485, vorwiegend Zeugnisse einer gewiß ausgedehnteren steten Freundeskorrespondenz, dokumentieren nicht nur Daten und Begebnisse des äußeren Lebensganges, Ü b e r l i e f e r u n g und D r u c k e . 'Axiochus': Lon- sondern auch bezeichnende Züge der geidon, Brit, Mus., ms. Burn. 226, 15. Jh., lr-8v; S, f. 297" stigen und psychischen Physiognomie, verbis 303V. Erstdruck: COP. 4768 (Löwen, um 1483); mittelt durch eine besondere Sensibilität der dann Paris (um 1502). - PS. Isokrates, 'Praecepta': S, Selbstbeobachtung. Das beherrschende f. 304r-311v. Älteste Drucke: COP. 3328 (um 1480); sachliche Thema der Briefe ist die humaniHC9316 (Straßburg 1485); HAIN 9317. - Aphthonius: stische Erneuerung der Bildung, die nach 27 Einzeldrucke d. 16. Jh.s, zuerst Köln 1532. - Lukian, dem Beispiel der Italiener, im Wettstreit mit 'Libellus ...': München, clm 414, 15. Jh., 6r-15v; S, f. ihnen, endlich auch in Deutschland Fuß r r r v 221 -228 . - Lukian, 'Mycillus': S, f. 229 -241 . fassen soll. Ihr Programm und ihre Methode 4. D i c h t u n g e n . legte A. in einem Brief an Jakob Barbirianus (Heidelberg, 26.5.1484) dar, der unter dem Ü b e r l i e f e r u n g . Die 3 größeren Ged. 'Anna mater', 'De vita divi Judoci', 'Epicedion' auf Graf Moritz v. Titel 'De formando studio' berühmt geworSpiegelberg in S, f. 312r-322v. Weitere Überl. d. 'Anna den ist und als die erste pädagogische Schrift mater': Trier, StB, cod. 2249, v. J. 1506, 7r-12r, mit des dt. Humanismus gelten kann. Kommentar des Jakob Gladbach; Paris, Bibl. MazaIV. Ein Grundzug in der Person A.s war rine, cod. 3885 (609), 16.Jh., 44M8r. Erstdrucke d. sein Streben, ungeteilt er selbst zu sein. Sein 'Anna mater' zusammen mit dem 'Epicedion' u. einiVersuch einer unbedingt individuellen Exigen Epigrammen: GW 483 (nicht vor 1485); GW 484 stenz fand eine besondere Legitimation im (Deventer, um 1485/88); GW 485 (Zwolle, um 1499/ humanistischen Ideal der sich nach eigener 1500); weitere 6 Drucke bis 1517. - 'Carmen ad CribelBestimmung allseitig bildenden Persönlichlium': Stuttgart, LB, cod. poet, et philol. 4° 21, 15. Jh., 52V-53V. - 'Hymnus de diva Katharina': S, f. 220r-220 keit, wie es ihm in Petrarca verwirklicht A. schien. Der Drang nach Ungebundenheit A u s g a b e . Mit Ausnahme des 'Hymnus de diva blieb freilich eine selten befriedigte Suche, Katharina' (Text teilw. bei VAN DER VELDEN, S. 218 f.) und auf widerspruchsvolle Weise wurde ihm sämtl. Ged. im 2. Bd. d. Alardus-Ausg., S. 291-321. gerade das ersehnte Freisein für sich selbst, A.s Gedichte, sämtlich in antiken Maßen als es ihm bei Dalberg in Worms endgültig verfaßt, sind zu einem Teil Gelegenheits- geschenkt schien, zum quälenden Ungenüpoesien (Epigramme, Epitaphe, Oden und gen. Auch als Schriftsteller verschrieb sich Elegien an oder auf Freunde, ein Lob Pavias, A. Aufgaben, die ihn länger gebunden hätu.a.), zum ändern Hymnen und religiöse ten, nicht. Seinem Oeuvre fehlen die VorCarmina wie die 'Vita divi Judoci' (110 He- züge einer mit Stetigkeit verfolgten Konxameter), verfaßt in Ferrara zum Dank für zeption. Mehr als durch seine Schriften beGenesung von längerer Krankheit, und das eindruckte er seine Umwelt durch Erschei1483 in Heidelberg entstandene Lobgedicht nung, Auftreten, Lebensart, durch die uni'Anna mater' (155 Distichen), ein Beitrag verselle Vielfalt seines wissenschaftlichen zur zeitgenössischen Verehrung der Mutter und künstlerischen Talents. Ohne daß er Marias. Ein Dichter stellt sich in ihnen nicht eine Schule gebildet hätte, war er der erste vor. A. selbst äußerte sich über seine 'Anna deutsche Humanist, auf den man sich berief mater', die er immerhin veröffentlichte, (Hegius, Celtis, Melanchthon u.a.). Erasdie auch längere Verbreitung fand, mit mus urteilte: Er hätte der erste in Italien überraschend kritischer Reserve. sein können, wenn er es nicht vorgezogen hätte, ein Deutscher zu sein. Die posthume 5. Briefe. Wirkung von A.s Schriften hat sich durch Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Zusammenneuere Forschungen als nachhaltiger herstellung bei ALLAN, S. 310-317. Sonderüberl. von ausgestellt, als man, ohne nähere Kenntnis ALLAN Nr. 38 ('De formando studio'): Prag, ÜB, cod. lat. 502, l' -5'; insgesamt 13 Drucke d. 16. Jh.s.; schon der Daten der Überlieferungs- und neuL-rcr Abdruck: HAUSER, S.48-59. Rezeptionsgeschichte, lange annahm. lus' (Sommer 1484) an. Nach A.s Latein verdeutschte Johann —>· Gottfried 1494 die Traecepta ad Demonicum', Dietrich von Pleningen um 1515 die beiden Schriften Lukians.

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Agrius von Brune — 'Ainune'

L i t e r a t u r . F. v. BEZOLD, R.A., 1884; K. HARTFELDER, Unedierte Briefe von R. A., 1886; G. IHM, D. Humanist R. A., 1893; P.S. ALLAN, The Letters of R. ., Engl. Hist. Rev. 21 (1906) 302-317; J. HAUSER, Quintilian u. R.A., 1910; H.E.J.M. VAN DER VELDEN, Rodolphus A., Leiden 1911; P. MESTWERDT, D. Anfänge d. Erasmus, 1917, S. 157-174; A. HAUST, D. Dialektik R.A.s, Arch. f. Gesch. d. Philos. 34 (1922) 118-135; P. JOACHIMSEN, Loci communes, Luther-Jb. 8 (1926) 27-97, bes. S. 33-54; W. EHMER, R. A. u. Konrad Mutian, 1926; G. RITTER, D. Heidelberger Universität I, 1936, S.467-475; TH. E. MOMMSEN, R.A.'s Life of Petrarch, Traditio 8 (1952) 367-386; H. SEIDLMAYER, NDB I 103f.; C. VASOLI, Dialettica e retorica in Rodolpho A., Accademia Toscana di Scienze e Lettere 22 (1957) 305-355; W.J. ONG, Ramus, Method and the Decay of Dialogue, Cambridge (Mass.) 1958, S. 92-130; L. W. SPITZ, The Religious Renaissance of the German Humanists, Cambridge (Mass.) 1963, S. 20-^0 u. 296 bis 301; L.W. SPITZ/A. BENJAMIN, R.A.s Exhortatio ad Clerum Wormatiensem, Arch. f. Reformationsgesch. 54 (1963) 1-15; O. HERDING, Jakob Wimpfelings Adolescentia, 1965, S. 66-70; J.R. McNALLY, 'Prima pars dialecticae': The Influence of Agricolan Dialectic Upon English Accounts of Invention, Renaissance Quaterly 21 (1968) 166-177; RUPPRICH, LG I 490^94; F.J. WORSTBROCK, Über d. geschichtl. Selbstverständnis d. dt. Humanismus, in: Historizität in Sprach- u. Lit.wiss., 1974, S. 499-519, hier S. 500-506.

F.J. WORSTBROCK Agrius von Brune Im Ms. C 4a der Zentralbibl. Zürich, geschrieben im Jahre 1462, wird Bl. 153V ein Meyster Agrius von Brune als einer von drei Gewährsleuten für die Behandlung von Tonsillitis mit Pferdehoden genannt. Die beiden anderen sind ein Meister Surdiacus (auch als Meyster von Karthauwe oder gar als Konig von Franckerich bezeichnet) und ein Papst Leo. Der Text ist als Beleg für eine Art Hormontherapie interessant, wie sie im MA — allerdings in rein magischempirischem Verständnis - nicht selten angewandt wurde. Er findet sich innerhalb des 3. Buches (Chirurgie) des medizinischen Kompendiums von Hesse dem Juden (-»Jude von Solms), dessen 2. Buch eine Übers, des 'Secretarium practicae medicinae' des Johannes -»Jacobi (gest. 1384, Schule von Montpellier) darstellt. Da der Jude von Solms diese Übers. i.J. 1427 für Graf Johann von Sponheim angefertigt hat (vgl. die Parallelüberl. im cod. B 34 [Irm.

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1376] der ÜB Erlangen, Anf. 16. Jh.), dürfte auch die Entstehung des ganzen Kompendiums, das offenbar ebenfalls für den Grafen erstellt wurde, ungefähr um diese Zeit anzusetzen sein. Somit kann man die Lebenszeit des A.v.B. spätestens bis in das I.Viertel des 15.Jh.s hinein vermuten. Ob er das angegebene therapeutische Verfahren schriftlich niedergelegt hat oder nur als einer der Urheber gelten kann, muß offen bleiben. Die Formulierung des Juden von Solms (die wahrscheinlich wiederum derjenigen der Vorlage entspricht), vnde virware habe ich gesehen von meyster Agrius von Brune ... daz er sneit zu stucken dye perts hoden, läßt eher das letztere vermuten. L i t e r a t u r . M. NEUBURGER, Gesch. d. Medizin II l, 1911, S.501f.; G. KEIL, Peter v. Ulm, Unters, zu einem Denkmal altdt. Fachprosa mit krit. Ausg. d. Textes, Diss. Heidelberg 1960, S. 32,139-141; THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp. 1028 u. 1081; G. Eis, Zu d. frühmhd. Hormonrezept, in: Eis, Forsch, z. Fachprosa, Bern u. München 1971, S. 12-14; O. PüLTZ, D. dt. Hss. d. ÜB Erlangen, 1973, S. 45 f.

WOLFRAM SCHMITT

Aichenfeld (Aychfeld,Eichenfeld), Johannes Mayster Hans palbireretc. wird in München, cgm 731 mehrmals als Rezeptautor genannt: Anweisungen zur Behandlung von Knochen- und Eingeweidebrüchen, zum Einrenken, bei Blasensteinen usw., zur Herstellung von Schwebtüchern sowie zahlreiche andere Rezepte. Die Hs. wurde 1497 im Kloster Tegernsee gebunden. Der Klosterbruder Michael - nach einem Eintrag auf dem vorderen Spiegel selbst erfahrener Chirurg - brachte die Mehrzahl der chirurgischen Rezepte der Hs. ein, sein Mitbruder Chrysogonus das übrige nebst Ergänzungen bis 1499. L i t e r a t u r . K.SUDHOFF, Aus d. Frühgesch. d. Syphilis, 1912, S. 81-88; ders., Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA II, 1918, S.560 u. 591.

HARTMUT BROSZINSKI Aichmann, Jodocus —>· Eichmann, Jodocus 'Ainune' Fragment, von in einer Inkunabel aus Salmannsweiler (Salem) gefunden und auf Anfang d. 13. Jh.s datiert; seitdem verschollen.

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'Akedass Jizchak'

A u s g a b e n . F.J.MoNE, AnzfKdVz4 (1835) 314bis 321; F. PFEIFFER, Freie Forschung, Wien 1867,5.55-82; P. PIPER, Höfische Epik, I.Teil (DNL 4,1) o.J., S.355 bis 363 (unter Bligger von Steinach) ;H. MEYER-BENFEY, Mhd. Übungsstücke, M920, S. 132-139.

Die von einer sehr guten alem. Hs. erhaltenen 314 Verse lassen eine größere Erzählung mit dominierender Minnethematik vermuten. Das Bruchstück enthält fast ausschließlich Reden eines Liebespaares und eines Ratgebers. Der König wirbt in treuer Minne um die Königin Ainune, die glückliche Erfüllung scheint nahe bevorzustehen. Der gewandte Stil setzt das Vorbild -»Gottfrieds v. Straßburg voraus, -» Wolframs v. Eschenbach Einfluß ist ebenfalls erkennbar, doch hat die Sprache auch Züge übermäßiger Formelhaftigkeit. Anspruchsvoll höfischer Ton und Minnethematik sprechen eher für das 2. als das I.Viertel d. 13.Jh.s. Die pseudoovidische Sentenz amor - dulcts labor (313f.; vgl. ->· Fleiers 'Meleranz', v. 687ff.) rechtfertigt nicht den Schluß auf antike Stoffverbindung; eine frz. Quelle ist möglich, aber nicht bekannt und nicht von vornherein anzunehmen. Der Versuch, das Fragment ->· Bligger von Steinach zuzuschreiben - angeregt vor allem durch Gottfrieds hohe Meinung von dessen Erzählen (Trist. 4691 ff.) -, bleibt rein hypothetisch, überlegenswert allenfalls, soweit er sich auf die Qualität des Fragments (zuletzt DE BOOR), nicht auf DOCENS unbeweisbare Annahmen über Bliggers Umbehanc gründet (Mus. f. altdt. Lit. u. Kunst l [1809] 138f.). L i t e r a t u r . J.SCHMIDT, Unters, zud. beiden literarhist. Stellen Rudolfs v. Ems, PBB 3 (1876) 173-181; R.M.MEYER, Bligger von Steinach, ZfdA 39 (1895) 305-326; C. v. KRAUS, Wort u. Vers in Gottfrieds Tristan, ZfdA 51 (1909) 369-373; E.SCHRÖDER, Bunte Lese l, ZfdA 61 (1924) 40 (Z. Datierung d. Salmannsweiler Fragmente); DE BOOR, LG II 85 u. 173.

CHRISTOPH CORMEAU Aist —> Dietmar v. A. 'Akedass Jizchak' ('Bindung Isaaks') 'Jüdischer Stamm'; altjiddische religiöse Erzählung in ursprünglich 63 Strophen. Ü b e r l i e f e r u n g . 2 vollständige Hss., 2 Hss. fragmente, 3 Drucke; s. DREESSEN, S.9-31.

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Vollständige A u s g a b e n . MATENKO/SLOAN (Transkription u. Faks. d. Pariser Hs.; davon Transliteration, Transkription und engl. Übers, bei HOWARD) ; DREESSEN (krit. Text in Transkription).

1. In der ersten Hälfte des Gedichts werden vergebliche Bemühungen des Satans geschildert, Abraham und Isaak auf dem Wege zur Opferstätte vom Gehorsam gegen Gott bzw. den Vater abzubringen. Die zweite Hälfte gipfelt darin, daß die Engel, gerührt durch die unerschütterliche Opferbereitschaft und Gottergebenheit der beiden, zu weinen beginnen und durch ihre Tränen das Schlachtmesser stumpf machen. Raphael entbindet schließlich Abraham von dem Opferbefehl, und Gott sichert ihm und allen seinen Nachkommen ein dauerndes Gedenken an sein und Isaaks Verdienst zu. 2. Quelle des Werks ist der hebräische Midrasch Wajoscha, eine homiletische Schrift zu Ex 14,30ff. aus dem 12. Jh., auf die auch die altjiddische Prosaerzählung 'Schira vun Jizchak' (Hs. Parma, de Rossi cod. polon. l, geschrieben 1510 in Brescia; Transkription bei DREESSEN, S. 145-148) zurückgeht. Inhaltliche Unterschiede schließen aber eine unmittelbare Beziehung zwischen 'Schira' und 'A.J.' aus. 3. Die Strophenform - 4 recht variable Zeilen mit gleichem Reim - geht auf ein hebräisches Vorbild zurück, das auch in der afrz. jüdischen Dichtung (Märtyrerlied 'Elegie de Troyes', um 1300) Verwendung gefunden hat. Als 'Niggun Akeda' kehrt diese Str., zu der möglicherweise eine eigene Melodie gehörte, im 16.717. Jh. in verschiedenen Gedichten zumeist religiösen Inhalts wieder. 4. Besonders am Schluß ist das Gedicht mehrfach ausgestaltet worden; die umfangreichsten Erweiterungen gehen auf Bearbeiter zurück, die in Oberitalien lebten. Namentlich bekannt ist Anschel Levi, kumen ous tütschen in welsch land, der das Werk 1579 für Perlen, Tochter des Scbmuel Fawische/Pavese und Gattin des Wölfen Levi, abschrieb und umgestaltete (Pariser Hs.). Vielleicht war das Gedicht zur Rezitation am Neujahrsfest bestimmt. 5. ERIK und MATENKO/SLOAN erblickten in der 'A.J.' eine Spielmannsdichtung, wäh-

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Alanus ab Insulis

rend STAERK/LEITZMANN sie in den Zusammenhang jiddischer Bibelübersetzungstradition einordneten. DREESSEN schließt auf einen rabbinisch gelehrten Verf., dessen Name im übrigen nicht, wie MATENKO/ SLOAN meinten, Pinchas Schallt bzw. Pichl Schalt lautete. L i t e r a t u r . M. ERIK, Di geschichte fun der jidischer literatur ..., Warschau 1928, S. 124f.; W.STAERK/A. LEITZMANN, D. Jüdisch-Deutschen Bibelübers.n v. Anfängen bis z. Ausgang d. 18. Jh.s (Schriften hg. v. d.Ges. z. Förderung d. Wiss.n d. Judentums 26), 1923, S. 271 bis 274; CH. SHMERUK, An opgefunener fragment funem altjidischn akeide-lid. Almanach fun di jidische schraiber in Jisroel, Tel Aviv 1967, S. 202-209; P. MATENKO/S. SLOAN, Two studies in Yiddish culture, Leiden 1968; W.-O. DREESSEN, Akedass Jizhak (Hamburger Beitr. z. Gesch. d. dt. Juden II), 1971; J. A. HOWARD, Hebrew-German and early Yiddish literature, Diss. University of Illinois (Mikrofilm), UrbanaChampaign 1972, 8, S. 242-287 (wertlos).

WULF-OTTO DREESSEN Alanus ab Insulis

1. Der frühscholastische Magister A. mit dem Ehrentitel 'Doctor universalis', um 1125 in Lilie (?) geb., wahrscheinlich durch Gilbert de la Porree und Thierry von Chartres mit der Chartrenser Naturphilosophie vertraut, längere Zeit wohl in Paris lehrend und als Albigensermissionar in Montpellier wirkend, 1203 im Kloster Citeaux gest. (d'ALVERNY, S. 11-29), hat die deutsche Literatur vorwiegend mit seinen beiden allegorischen Dichtungen 'Liber de planctu Naturae' (ca. 1160-70; PL 210, 429-482) und 'Anticlaudianus' (1182-83; hg. v. R. BOSSUAT, Paris 1955) sowie mit seinem 'Liber parabolarum' (PL 210, 581-594) beeinflußt, weniger mit seinen zahlreichen spezifisch theologischen Werken (zu diesen vgl. d'ALVERNY, S. 59-183). Die Wirkung, bisher nur punktuell untersucht (zusammenfassend KRAYER, S. 23-^0), ging dabei vorwiegend von seiner Natura-Darstellung aus. Die Zahl der dt. Übersetzungen und Bearbeitungen seiner Werke ist gering. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren seine beiden im Schulbetrieb gern gelesenen allegorischen Dichtungen über die nachweisbare Rezeption hinaus (s.u. 5) im formalen und stilistischen Bereich wegweisende Vorbil-

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der für allegorisches Dichten und geblümte Rede. 2.0 bgleich sämtliche theologische Werke des A. im deutschsprachigen Raum verbreitet waren (RAYNAUD DE LAGE, S. 175 bis 182; d'ALVERNY, passim; LONGERE, S. 169 bis 184; SCHNEYER, Rep. I 69-83), haben offenbar lediglich Teile einzelner Musterpredigten aus der 'Ars praedicandi' (PL 210, 109-198) dt. Bearbeitungen gefunden und sind - wohl zumeist als Streuüberl. - in Dicta-Sammlungen berühmter Meister und Kirchenväter eingegangen. Am häufigsten überliefert und in drei verschiedenen Übers. (A, B, C) verbreitet ist ein dreiteiliges Zitat aus c.X Contra superbiam (Sp. 131-133). Weitere verifizierbare Dicta stammen aus c.XIV De gaudio spiritual} (Sp. 138f.) sowie aus c. XXIII De prudentia (Sp. 187 bis 189). Ü b e r l i e f e r u n g . 'Contra superbiam'. A: innerhalb der Dicta-Sammlung Isiderus: Als der tod scknelliclichen lib vnd sele von ainander schaidet: Stuttgart, LB, cod. HB I 17, 183v-215r (193V); Nürnberg, StB, Cent. IV, 31,119vb-143ra; ebd., Cent. IV, 36, 134"-158rb; Harburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibl., cod. III. 1. 4°. 23, 241 -282 . : Heidelberg, cpg567, 105va^vb. C: Berlin, mgf 1234, 16'. 'De gaudio spiritual!': ebd., 13r, u. Berlin, mgf 1313, 182vb. 'De prudentia': ebd., 187ra u. 302rb.

3. Der in zahlreichen Hss. (BoAS, S. 22 u. 42^46) und in insgesamt 46 Inkunabeln (GW 489-509; innerhalb der 'Auctores morales octo': GW 2776-2800), öfters mit einem späteren Kommentar verbreitete 'Liber parabolarum' (auch 'Doctrinale minus'), mit großer Wahrscheinlichkeit ein Jugendwerk des A. (d'ALVERNY, S.51 f.), ist lat. und mit einer recht freien dt. Übers, (pro Distichon vier paarweise gereimte Verse; ohne die letzte Distichongruppe) um 1490 von Konrad Kachelofen in Leipzig gedruckt worden (GW 491-492). Abschrift davon: St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 656, S. 585-605 u. 623-657. 4. Wie zuerst -»Eberhard der Deutsche im 'Laborinthus' (v. 661 f.) empfiehlt auch der Bamberger Schulmeister -> Hugo von Trimberg in seinem 'Registrum multorum auctorum' (v. 282 u. 286-291) den 'Liber de planctu Naturae' und den 'Anticlaudianus' zur Lektüre und reiht den mellifluus editor

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Alanus (v. 286) im 'Renner' (v. 14676) in die Natura des A. aus unmittelbarer AnschauSchar der alten meister ein, zu denen er u. a. ung bekannt war, ist ungewiß. Vorbild für Vergil, Horaz, Ovid, Cassiodor zählt. Die die in seiner 'Klage' vor Gott auftretende Beliebtheit der beiden allegorischen Dich- Nature (H. METTKE [ATB 35], Halle 1959, tungen bezeugen nicht nur die große Zahl S. 119-140), die die Menschen widernatürvon Hss. mit vollständigem Text (RAYNAUD licher Liebe bezichtigt und sich als der DE LAGE, S. 182-186; BOSSUAT, S. 14 Anm. ander got (Var. von v. 490) bezeichnet, 2) oder mit einzelnen Versabschnitten (Bos- scheint jedoch die Natura plangens aus dem SUAT, ebd.), nicht nur ihre Exzerpte in zahl- Eingang von 'De planctu Naturae' zu sein. reichen Florilegien, sondern auch mehrere Gedanklich wohl am tiefsten hat sich Heinlat. Prosazusammenfassungen unbekann- rich -> Frauenlob mit der Gestalt und Idee ter Bearbeiter: so für 'De planctu Naturae' der Natura auseinandergesetzt. Ihre schöpder noch unveröffentlichte Text Alanus ferische Macht und ihr Unterordnungsveringenio florens, studio fervens (Auxerre, hältnis zu Gott wird in den Sprüchen 231 Bibl. publique, ms. 243, 21rb~vb u. 24ra; und 232 umschrieben und bestimmt Paris, Bibl. Nat., nouv. acqu. lat. 1821, (KRAYER, S. 33-36). In Str. 4 und 5 des 54r"v; Rom, Bibl. Vat., cod. Reg. Lat. 218, 'Minneleichs' erscheint sie als Diu feie, die 49V), für den 'Anticlaudianus' das 'Directo- Alanus sach (v. 5,1), mit ihrer allegorisch rium breve' (Erfurt, Amplon. Q 388, 36r lausdeutbaren Kleidung (KRAYER, S. 49-66); bis 37V) sowie das in 34 Hss. überlieferte im 'Frauenleich' v. 17,1-30 (hg. v. L. PFANN—»'Compendium Anticlaudiani', das dem MÜLLER, 1913) wird der Motivkreis der anonymen Verf. des -> 'Marienlebens Da 'Domina mundi', wie er für Natura vorGot der vater schuof Adam und Evanf und nehmlich im 'Planctus Naturae' beschrie~> Heinrich von Neustadt für den ersten Teil ben ist (PL 210, 432-460), auf Maria, Inseiner 'Gottes Zukunft' als eigentliche Vor- karnation der ewigen Ordnungen, übertragen: 'Sie ist Lenkerin der geheimen Vorlage diente. 5. Der 'Anticlaudianus', im Deutschen gänge im elementaren Lebensgrund wie wie 'De planctu Naturae' nie vollständig auch der kosmischen Bewegungen, Mittleübersetzt oder direkt bearbeitet, ist nach- rin zwischen den geistigen und stofflichen weisbar zuerst 1215/16 von —»Thomasin Lebensprinzipien, zwischen mundus menvon Zerklaere im 'Wälschen Gast' v. 8933 talis und sensilis, eigentlicher Ursprung und bis 8958 für die Namenliste der bedeutend- mütterliche Hüterin aller geschaffenen Westen auctores septem liberalium artium be- sen' (KRAYER, S. 175, vgl. S. 94-123; danützt worden (nach Anticl. 2,488-97; 3, gegen KOLB, S. 387-392, der bereits in der 110-36; 225-17, 377-85, 457-68, 526-33; Natura des A. eine Mischung von antiker 4,62-69; vgl. SCHÖNBACH, S. 42-44). Die be- Natura-Personifikation, Sapientia Dei und haupteten literarischen Beziehungen Maria sieht). Frauenlobs durchaus eigen-»Gottfrieds von Straßburg zu A. (SiÖKLE, ständige, ja schöpferische Position gegenS. 50-54; SCHWARZ, S. 220-228) entbehren über A. zeigt sich zudem in der Anverwanddagegen jedes sicheren Beweises. Für die lung verschiedener Bilder und Symbole aus ausführliche Darstellung der Vrou Saelde, den beiden allegorischen Dichtungen, so ihres Rades und ihres Palastes in der 'Crone' vornehmlich im philosophischen Bereich (v. 15823-931) hat sich -»Heinrich von dem für die Idee-Fprm-Relation oder im theoloTürlin offensichtlich von der Schilderung gischen für die Menschwerdung Christi der Fortuna im 'Anticlaudianus' (7, 405 bis ('Frauenleich' 11, 1-5: Der smit von ober8, 146) anregen lassen, die Vorlage jedoch lande l warf sinen hamer in mine schoz: nicht einfach übernommen, sondern mit faber - malleus - incus in PL 210, 453f.; einer eigenen dichterischen Konzeption KRAYER, S. 161-174). -»Heinrich von Müzwei durch die Tradition gegebene Bild- geln greift für sein allegorisches Lehrtypen (kreisendes Rad und statische 'For- gedicht 'Der meide kränz' (ed. W. JAHR, tuna anceps') zu vereinigen versucht (de 'Diss. Leipzig 1908) auf Heinrichs von NeuBOOR, S. 320-328). Ob dem -*Stricker die stadt 'Gottes Zukunft' zurück, aber auch

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unmittelbar auf den 'Anticlaudianus' (HELM, S. 136-149), so bei der Beschreibung der artes liberales (v. 169-518) und der fünf Pferde (v. 1111-1183). Seine Neigung, die lat. Tradition in seine Dichtungen vermehrt einzubeziehen, weicht auch vor den schwer verständlichen Dichtungen des A. nicht zurück. Der Naturbegriff, Produkt verschiedenster Lesefrüchte, ist vieldeutig und schillernd (KIBELKA, S. 143-162): 'Selbstverständlich ist die personifizierte Macht Nature auch bei Heinrich in manchen Zügen der Natura in den Dichtungen des A. verwandt. Aber sie ist es nicht ausschließlich und nicht einmal überwiegend' (S. 153). Hans ->Folz zitiert in zwei Meisterliedern über die unverletzte Jungfrauschaft Marias den Doctor universalis als Autorität (hg. v. L. MAYER [DTM 12], 1918: 65, 49 u. 75, 211). Der Begriff der nature, die gegenüber Gott immer noch eine gewisse Selbständigkeit hat, scheint, wenn auch verwässert, A. verpflichtet (Meisterlied 59, 43-63; LÜTCKE, S. 107f.). Hans Sachs schließlich benützt in dem frühen Meisterlied 'Geheimnis der Gottheit' (ed. K. GOEDEKE, 21883, Nr. 2) für Str. l, 13-25 den in seiner Bibliothek nachweisbaren (GOEDEKE, Büchersammlung, S. 1) 'Rhythmus de Incarnatione et de septem artibus (Anal. hymn. 20, 42; vgl. d'ALVERNY, S. 37-39 u. SZÖVERFFY, S. 154f.) des A. als Vorlage. 6. Im Streit um das sog. ritterliche Tugendsystem wird neben dem 'Moralium dogma philosophorum' des Wilhelm von Conches (?) der 'Anticlaudianus', nach NEUMANN 'christliches Seitenstück' (S.53) zur rein weltlichen Fassung des 'Dogma', als wichtiges Vorbild für den Güterternar summum bonum - honestum - utile beansprucht. Eine genauere Betrachtung (OCHSENBEIN, S. 137-185) zeigt jedoch, daß A. in seinem von ihm bewußt durchgestalteten Virtus-System diese Dreigliederung gerade vermeidet. Er vermischt vielmehr die Werte des honestum und des utile, identifiziert sie sogar, indem er die utilia zu Virtutes erhebt. Das summum bonum endlich, die verchristlichte gotes hulde, wird im zweiten Teil des 'Anticlaudianus' überhaupt nicht berührt.

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L i t e r a t u r . 1. Zu A.' Leben, Werk, Überl.: MANITIUS, LG III 794-804; M.-T. d'ALVERNY, Alain de Lilie, Textes inedits avec une introduction sur sa vie et ses ceuvres, Paris 1965 (mit guter Bibliographie); G. RAYNAUD DE LAGE, Alain de Lilie, poete du siecle, Montreal-Paris 1951; M. BOAS, De librorum Catonianorum historia atque compositione, Mnemosyne NF 42 (1914) 17-46; J.LONGERE, Alain de Lille, Liber poenitentialis, Les traditions moyenne et courte, Archives d'hist. doctr. et litt, du moyen äge 32 (1965) 169-242, bes. S. 169-184; SZÖVERFFY, Hymnendicht. II 152 bis 155; P. OCHSENBEIN, Stud. z. Anticlaudianus d. A. a. L, 1975, S. 11-18, 75-77, 137-193. 2. Z. dt. Rezeption: K.GOEDEKE, D. Büchersammlung d. Hans Sachs, Arch. f. Lit.gesch. 7 (1878) 1-6; K. HELM, Heinrich v. Miigeln, Heinrich v. Neustadt u. A. de L, PBB 22 (1887) 135-151; A.E. SCHÖNBACH, D. Anfänge d. dt. Minnesangs, 1898, S. 41-49; H. LÜTCKE, Stud. z. Philosophie d. Meistersänger, 1911; U. STÖKLE, D. theol. Ausdrücke u. Wendungen im Tristan Gottfrieds von Straßburg, Diss. Tübingen 1915, S. 50-54 u.ö.; H. TESKE, Thomasin v. Zerclaere, 1933, S. 145 bis 163 u.ö.; E.NEUMANN, Z. 'ritterlichen Tugendsystem', WW 1. Sonderheft (1952/53) 49-61; R. KRAYER, Frauenlob u. d. Natur-Allegorese, 1960 (dazu: H.KOLB, PBB [Tüb.] 83 [1961] 383-397); J. SZÖVERFFY, Alain de Lilie et la tradition reheque, Etudes d'hist. litt, et doctr., Montreal/Paris 1962, S. 239-258; J. KIBELKA, der wäre meister, Denkstile u. Bauformen in d. Dicht. Heinrichs v. Mügeln, 1963; W. SCHWARZ, Stud. z. Gottfrieds Tristan', PBB (Tüb.) 95 (1973) Sonderheft S. 217-237; H. DE BOOR, Fortuna in mhd. Dicht., insbes. in d. 'Crone' d. Heinrich v. d. Türlin, Verbum et Signum, Fs. F. Ohly, Bd. 2,1975, S. 311-328.

PETER OCHSENBEIN Alanus de Rupe (de la Roche, van der Clip) A. veränderte die von der Trierer Kartause (-»Adolf von Essen, -»Dominikus von Preußen) ausgehende, ->· 'Marien Rosenkranz' genannte biblische Erneuerung auf eigene Weise. Dabei trieb seine pathologische Persönlichkeit den mal. Gebrauch der 'ExempeP und eine zu weite Auffassung der 'Visionen' zur Krise. Seine Tätigkeit, bes. in Rostock, und die seiner Schüler beeinflußten über die Rosenkranzbruderschaften das religiöse Leben im gesamten dt. Raum vor der Reformation. 1. Leben. Geb. um 1428 in der Bretagne. Früh von den Dominikanern zu Dinan aufgenommen, studierte er in Paris, wo auch seine Lehrtätigkeit begann (QuETiF I 850). Vermutlich unter dem Einfluß des Kartäusers Laurentius van Musschezeele (s. B.

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DU MOUSTIER, Het Tractaat 'De parvulo et agno' van de Kartuizer Laurens van Muschezeele, OGE 26 [1952] 203-211, u. B. DE BOER, Nog eens Laurentius Musgeselius, OGE 30 [1956] 83-86) trat er mit anderen Mitbrüdern 1462 ins Reformkloster zu Lilie (— Rijsel) über. Der Generalmagister Konrad von Ast vereinte 1464 Lilie mit anderen ndl. Klöstern zur 'Congregatio Hollandica', einer Reformkongregation im Predigerorden, die sich bis nach Skandinavien und ins Baltikum ausbreitete und von den burgundischen Herzögen gefördert wurde (OGE 22 [1948] 165-183). Im gleichen Jahr hatte A. jene 'Marienvision' in der er 'beauftragt' wurde, den 'Marianischen Psalter' (dreifacher Rosenkranz) und dessen Bruderschaft so aufleben zu lassen, wie es der hl. Dominikus propagiert haben soll (vgl. AASS Aug.I, S. 427-^35). In der nun einsetzenden Lehr- und Predigttätigkeit (Douai 1464, Gent 1468, Rostock 1470) beruft sich A. auf diese und auf weitere Visionen, daneben auf zwei Autoren, Johannes de Monte und Thomas de Templo, angeblich Zeitgenossen des hl. Dominikus. 1473 wird er in Rostock zum Dr. theol. promoviert, 1474 dem Kloster in Zwolle zugewiesen. 1475 vor das Ordenskapitel nach Lilie geladen, verfaßt er dort binnen zwei Monaten eine Verteidigungsschrift gegen die Anklagen, derentwegen der Bischof von Tournai die Approbation seines 'Liber principalis Psalterii' verweigerte. Im Juni 1475 überreicht ihm A. die Schrift. Nach Besuch seines Freundes Laurentius van Musschezeele kehrt er über Gent nach Zwolle zurück, wo er um den 8. Sept. stirbt. 1476 verordnet das Kapitel zu Haarlem die baldige Zuleitung seiner Schriften an den Generalvikar. Aus unbekannten Gründen wird dieser Beschluß 1478 in Rotterdam aufgehoben. Auffällig sind in A.' Visionen, abgesehen von den Verweisen auf den hl. Dominikus, die Parallelen zu Schriften des Laurentius van Musschezeele und des Dominikus von Preußen; deren Schriften hat er somit bereits vor 1464 gekannt. Fatalerweise identifiziert er in der Folgezeit den Kartäuser Dominikus von Preußen mit dem Stifter des eigenen Ordens, sucht dies dann durch

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immer gewagtere 'Visionen' zu bestätigen, ja beansprucht für seine 'Visionen' absolute Autorität und bekräftigt sie und so die Übernatürlichkeit seines 'Auftrages' mit einem Eid (Tract. Apol., c. 10; nach H. THURSTON, The Month 97 [1901] 294, auch im 'Sponsus novellus', der A. zugeschrieben wird). Seine Mitbrüder brachte er dadurch in große Schwierigkeiten und forderte das kirchliche Verfahren heraus. Nach seinem Tod indes wächst die von ihm und seinen Schülern gegründete Rosenkranzbruderschaft, bes. seit Köln 1475, zu einer großen Volksbewegung heran und verschafft dem Predigerorden so nahezu ein 'RosenkranzmonopoP. Daher konnte es geschehen, daß er im 17. Jh. als Seliger propagiert wurde, obwohl ihm die Kirche dieses Prädikat nie verlieh. Doch ist seine Persönlichkeit immer auch kritisch gesehen worden, wie bereits der Anlaß zu seiner Verteidigungsschrift beweist. 2. Werke. A.' literarische Hinterlassenschaft ist noch nicht kritisch gesichtet. Nach MEERSSEMAN kann bisher nur die Verteidigungsschrift von 1475 als authentisch gelten. Doch ist nach DE BOERS Hinweis dabei zu beachten, daß J. A. COPPENSTEIN OP, der 1619 unter dem Titel 'Alanus redivivus' einige A. zugeschriebene Werke herausgab, die Texte ohne weitere Quellenangaben überarbeitete. Erst nach den lat. Texten lassen sich die deutschen sichten. Sie bestehen meist aus Auszügen oder Bearbeitungen. Die wichtigste hsl. Überl. bietet der cod. ms. Bord. 58 der ÜB Kiel mit seinen ersten 4 Teilen. Er stammt von Joh. Neßen, der in Rostock Schüler des A. und dann im holsteinischen Brügge, in Neumünster und Kiel tätig war, und nennt A. als Verf. folgender Schriften: a) 'Tractatus apologeticus: De Psalterio Virg. Marie ad V.D. Ferricum de Cluniaco episc. Tornacensem' (58 A, 11M9V) in 24 Kapiteln mit einem Vorwort. Aus ihm gehen neben dem Thema der beanstandeten Schrift (Marienpsalter und dessen Bruderschaft) und weiteren Punkten der Anklage Merkmale von A.' Predigt- und Schreibweise hervor, die subjektive Benutzung der Bibel, bes. der '15 Worte' des 'Ave Maria', die ständige bloße Nennung von Autori-

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täten, gehäufte 'historische' Behauptungen, 'Visionen' und Exempla. b) 'Magnum Psalterium Trinitatis' (vielleicht identisch mit dem Textanfang Bord. 58 B, lr-35v). Das 'Compendium Psalterii Trinitatis' (Bord. 58 A, 49 V-66V) dürfte eine von A. stammende Kurzfassung sein; vgl. den Epilog zum Compendium bei DE BOER, OGE 29 (1955) 381-388. c) 'Expositio super Regulam s. Augustini' (Bord.58, lr-39r). Ausg.: CREYTENS, AFP 36 (1966) 298-305. d) Brief an den Rostocker Kartäuser Jakobus 'De Psalterio Virginis Marie' (Bord. 58,106V-110V), ebenfalls eine Verteidigungsschrift, im Stil schärfer als die erste. e) Brief an den Rostocker Kartäuser Joh. Spane mit dem Titel 'XV Scale religionis' (Bord. 58A,2M r ). f) 'Sermo Doctoris Alani sponsi novelli Virg. Marie super Salutationem Angelicam: ad pertimescendum extremum judicium' (Bord. 58, 168r-175v), vielleicht die von THURSTON erwähnte Schrift. Die Kieler Hs. enthält noch weitere A. zugeschriebene Schriften und Predigten. 3. Weitere Ü b e r l i e f e r u n g . Zu a): Wolfenbiittel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 1035 Heimst., 4V-104V (lat.); Nijmegen, Albertinum Ms. O.A., 18r-27r (z.T. dt.; vgl. DE BOER, OGE 30 [1956] 189). Zu b): Trier, StB, Ms. 682/244,243r-260v; 630/1571, 83r-101r; 687/249, 184r-206r (v.J. 1477-79, nach Zwolle weisend); Prag, ÜB, cod. A VIII 46, 106r-148v. Dt.-ndl. Fassungen: Colmar, Bibl. mun., Ms. 474 (Druck: AFP 40 [1970] 105-118); Donaueschingen, cod. B VI 2, 43r-90v; Gießen, ÜB, Ms. 784, 73v-98r; Leiden, ÜB, Ms. Lett. 218, 24r-53v (ndl.) und 324, 20v-24r, 92 V -96 V ; München, cgm 164, 2r-90'; Nürnberg, StB, Cent. VII 2, 43r-90v, Cent. VII 9, llr-18v, Cent. VII82, lr-7v; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 1233 Heimst., 144r-162r. Exempla des A. von 1467 u. 1475 in Douai oder Gent (!): Tournai, Bibl. Mun. cod. 100,174r-205v; Mecheln, Sem. cod. 15. Zu c) Paris, Bibl. nat., ms. lat. 18322, lr-17r. Zu d) Wolfenbüttel, Hzg. Aug.-Bibl., cod. 1035 Heimst., 104V-121" (lat.). Zu e) Wolfenbüttel, Hzg. Aug.-Bibl., cod. 1035 Heimst., 150vf. L i t e r a t u r . QUETIF-£CHARD, Scriptores I 849-852; J.A.F.KRONENBURG, Maria's Heerlijkheid in Nederland III, 1905, S. 302ff. u. 620f.; HURTER, Nomenclator II 979f.; ST.BEISSEL, Gesch. d. Verehrung Marias in Deutschland während d. MAs, 1909, S. 540-546;

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DHGE 11306-12; J. HUIZINGA, Herbst d. MAs, 21928, S.289f. u. 300f.; G.G.MEERSSEMAN, Les Congregations de la Vierge, AFP 22 (1952) 46 u. 61; G.M. LÖHR, Die Dominikaner an d. ostdt. Universitäten, AFP 22 (1952) 305-311; U.A. NYGREN, Muttergottesbilder aus Finnlands mal. Kunst, 1954, S. 36; B. DE BOER, De Souter van A. d. R., OGE 29 (1955) 358-388; ebd. 30 (1956) 156-190; ebd. 31 (1957) 187-204; ebd. 33 (1959) 145-193; R. CREYTENS, Les Commentateurs Dominicains de la Regle de S. Augustin du XIIF an XVF siecle, III: B. de Modene et A. de la Roche, AFP 36 (1966) 267-293 (gute Lit.ang.); Lexikon d. Marienkunde 1102f.; KAEPPELI, Scriptores I 21-25; S.G. AXTERS, Bibliotheca Dominicana Neerlandica Manuscripta 1224-1500, Lovain 1970, S.132f.

KARL J. KLINKHAMMER 'Albanus' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 665 (13. Jh.), Pergamentdoppclbl. (verloren). Beschreibung KRAUS, Dt. Ged., S. 197. 2. A u s g a b e n . K.LACHMANN, Über drei Bruchstücke niederrheinischer Ged. aus d. 12. u. aus d. Anfange d. 13. Jh.s (Abhh. d. kgl. Ak. d. Wiss.n zu Berlin aus dem Jahre 1836, Phil.-hist. KL), Berlin 1838, S. 159-166, danach in K. LACHMANN, Kleinere Sehr. I, 1876, S.519-526; KRAUS, Dt. Ged., S.41-45, 197-217; MAURER, Rel. Dicht. III 605-613.

3. Früheste bekannte dt. Bearbeitung der Albanuslegende (BHL I 34), nur unvollständig in zwei Bruchstücken von insgesamt 119 Versen erhalten. Zugrunde liegt eine lat. Vorlage folgenden Inhalts: Ein mächtiger Kaiser verliebt sich nach dem Tod seiner Gemahlin in seine einzige Tochter. Aus der inzestuösen Verbindung geht ein Sohn (Albanus) hervor. Er wird ausgesetzt, gefunden, vom kinderlosen König von Ungarn zum Thronerben bestimmt und schließlich mit der Tochter des Kaisers (seiner Mutter) vermählt. Erst vor dem Tod des Königs von Ungarn enthüllt sich der neue Inzest. Gemeinsam mit dem Kaiser tun Mutter und Sohn Buße. Als es unglücklicherweise zur Wiederholung des Inzests zwischen Vater und Tochter kommt, erschlägt Albanus im Zorn seine Eltern. Nach weiterer Buße entsühnt, wählt er freiwillig ein Leben in der Einsamkeit. Er wird ermordet, sein Leichnam bewirkt wunderbare Heilungen. Das erste Bruchstück der dt. Übertragung (v. 1-60) reicht von der Auffindung

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des ausgesetzten Kindes bis zum Plan des Kaisers, seine Tochter mit Albanus zu verheiraten, das zweite (v. 61-119) schildert das Zusammentreffen des Kaisers mit seiner Tochter und Albanus nach dem Erkennen des zweiten Inzests. Die Bruchstücke halten sich eng an die erzählerisch geschickt gestaltete lat. Vorlage. Für den Aufbau der gesamten dt. Dichtung läßt die frgm. Überl. jedoch nur Rückschlüsse zu. 4. Die Form der Bearbeitung deutet auf Entstehung nicht später als in den achtziger Jahren des 12. Jh.s hin. (Vgl. LACHMANN, 1838, S.159L) Gleichzeitig werden Erwägungen über frühere Datierung (dazu KRAUS, S. 197; MAURER, S. 605) durch die lat. Vorlage stark eingeschränkt, s.u. 5. Der Sprache nach ordnet KRAUS, S. 210 die Bruchstücke dem nördlichsten Teil Moselfrankens zu, HEUSLER, S. 82 führt sie als Beispiel für das vermutete Silben-Höchstmaß in frühmhd. Reimpaaren an. 5. Die lat. Vorlage der dt. Dichtung bietet die früheste greifbare Gestalt des AlbanusStoffes überhaupt. Wahrscheinlich dem kurialen Bereich entstammend, ist die Fassung aufgrund stilistischer Merkmale (Cursus-Regeln) kaum vor 1178 anzusetzen (KRAUS, S. 209). Als Abfassungszeitraum ergibt sich damit für das ursprünglich wohl kirchlich-religiös motivierte Schriftstück (MORVAY) 1178 bis etwa 1190. Die These von KRAUS, der für den päpstlichen Notar Transmundus als Verf. eintritt (S. 207), ist mit dem vorliegenden Material nicht eindeutig beweisbar. - Spätere dt. Übertragungen der Albanuslegende stammen von Andreas -> Kurzmann und ->· Albrecht von Eyb. 6. Über die Zuordnung zur Inzestliteratur hinaus ist Albanus als 'sündiger Heiliger' charakterisierbar. Die Thematik der Sünderheiligenlegenden erfährt hier durch die Motive des Doppelinzests und des Elternmords eine extreme Steigerung (vgl. DORN, S. 119). Auffallend ist eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit Gregorius (—> Hartmann von Aue). L i t e r a t u r . M.HAUPT, Historia Albani martyris, Monatsberichte d. kgl. Preuß. Ak. d. Wiss.n zu Berlin aus d. Jahre 1860, Phil.-hist. KL, 1861, S.241-255; R. KÖHLER, Z. Legende vom H. Albanus, Germ. 14

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(1869) 300-304; A. HEUSLER, Dt. Versgesch. II, 1927, S. 82; E. DORN, Der sündige Heilige in d. Legende d. MAs (Medium Aevum 10), 1967,S. 84-86; K. MORVAY, D. Albanuslegende, lat. u. dt. Texte, Unters., Diss. Würzburg 1973 = D. Albanuslegende, Dt. Fassungen u. ihre Beziehungen zur lat. Überl. (Medium Aevum 32), 1976.

KARIN MORVAY Alber 1. Im Unterschied zu den meisten frühmhd. geistlichen Dichtungen informiert die niederbair. Fassung des 'Tundalus' in Pround Epilog über Autor, Auftraggeber und Entstehungsraum: Priester A. schrieb im Auftrag der frouwen Ötegeb, Heilka und Gisla, und zwar in Reimpaaren aufgrund der Bitten des bruoder Kuonrat aus der Praemonstratenser Abtei Windberg zwischen Regensburg und Straubing (N. BACKMUND, LThK 10, Sp. 1177). Der Nekrolog Windbergs verzeichnet zwei um 1200 gestorbene Chorherren mit dem Namen Alber: Albero diac. et can. n. (MGH Necr. III 391: 17.4.) und Albero sac. et can. n. (ebd., S. 394: 26. 5.). Einen dieser beiden hält man für den Dichter. Unter dem herren und bruoder Kuonrat kann entweder der 1191 eingesetzte Abt dieses Namens, möglicherweise ehe er in das Amt gewählt wurde, oder ein in einer Urkunde von 1200 bezeugter Fr. Chuonradus de Windeberg (Monumenta Boica 14 [1784] 42) oder ein im Nekrolog zum 14.1. (ohne Jahresangabe, Hand des 13.Jh.s) eingetragener Chunradus sac. fr. n. et can. (MGH Necr. III 384) verstanden werden. Weitere Anhaltspunkte für die Datierung geben die Eintragungen der drei Klosterfrauen im Windberger Nekrolog (MGH Necr. III 391: 14.4.; S.390: 8.4.; S.401: 29.10.). Für die Entstehung um 1190 spricht auch die Vers- und Reimtechnik. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2696, lllrb-125vb. 3. A u s g a b e n . HAHN, Ged. S.41-66; WAGNER, S. 119-186 (zit.). - Kollation, Textkritik: M.HAUPT, ZfdA 15 (1872) 258f.; R.SPRENGER, ZfdA 18 (1875) 41-51; ders., ZfdA 20 (1877) 269-272; ders., Germ. 35 (1890) 404-406; ders., Germ. 37 (1892) 414; E. SCHRÖDER, ZfdA 52 (1910) 190-192; ders., 1935, S. 253f..

4. A.s Vorlage ist die in Prosa verfaßte lat. 'Visio Tnugdali' (Ausgabe: WAGNER, S. 1-56), die ein Bruder -> Marcus zwischen

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Alber

1150 und 1160 im Auftrag der Äbtissin Gisela im Kloster St. Paul in Regensburg verfaßte. Diese lat. Version bildet auch die Vorlage für eine im 12. Jh. entstandene mfrk. (Ausgabe: KRAUS, Dt. Ged. S. 46-62) sowie zahlreiche weitere lat. und volkssprachige -»· 'Tundalus'-Legenden. 5. Albers Dichtung behandelt eine Jenseitsvision, eine peregrinatio animae, wie sie dem irischen Ritter Tundalus 1149 während seines dreitägigen Scheintodes zuteil wurde. Er sieht, wie die Teufel in der Hölle mit verschiedenartigen Qualen - hier vereinigen sich irisch-keltische, antike und christliche Vorstellungen - die einzelnen Sündergruppen strafen und wie die Guten im Himmel leben, nach dem Grad ihrer Vollkommenheit durch Mauern von Edelstein, Silber und Gold voneinander geschieden. In der Hölle verfolgt die Seele des Tundalus die einzelnen Wegstationen mit persönlicher Betroffenheit und muß selbst einige Strafen erdulden. Im Himmel trifft sie auf ihr bekannte Personen, findet im hl. Brandan einen Fürsprecher (v. 2033-48) und sieht im Kreis von Bischöfen einen für sie bestimmten Stuhl (v. 2061-75). Sie erhält schließlich den Auftrag, auf die Erde zurückzukehren, um zu berichten (v. 2080 bis 2086), eine Aufgabe, zu der der einstmals der Welt zugewandte Ritter befähigt sein wird, nachdem seine Seele - wie Monologe und Dialoge mit dem sie begleitenden Engel zu erkennen geben - über die einzelnen Stationen Selbsterkenntnis, Reue, Buße und schließlich die Inspiration eine vollkommene Wandlung erfahren hat, die den Wiedererwachten ein geistliches Leben beginnen läßt. A. beläßt es keineswegs beim schlichten Bericht, sondern durchsetzt seine klar gegliederte Erzählung der Begebenheiten (1. Prolog, 2. Rahmen: Erdendasein und scheinbarer Tod, Wiedererwachen des conversus, 3. Visionsbericht: Hölle und Himmel mit je auf den Gipfel zulaufenden Stationen, 4. moralisatio, 5. Epilog) mit interpretierenden Zusätzen, die die Frage nach dem rechten und falschen Leben eines Ritters (Mildtätigkeit, Rechtsprechung, Schutzfunktion für Witwen und Waisen, Minne) aufwerfen, ebenso die nach dem

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Wirken der Gnade Gottes gerade im Hinblick auf Sündhafte, und die die Hinwendung zum geistlichen Stand mit besonderem Lob hervorheben. A.s Konzentration auf die genannten Fragen zeigt sich nicht nur in seiner Behandlung der Erlebnisse des Tundalus, sondern auch im Hinweis auf Brandan (-»'Brandans Meerfahrt') (v. 2033 bis 48) und -> 'Patricius' (v. 2050-52), im Hineinnehmen von Parallelschicksalen wie dem der Könige Conkober und Danätus (v. 1570-1596) oder des Königs Cormacus (v. 1653-1716) und nicht zuletzt darin, daß der schlimmste Teil der Hölle um Lucifer Verfehlungen gerade der Ritter und des Adels rächt (v. 1395-1430). So ist die Dichtung geeignet, Adel und Ritter für ein Leben zu interessieren, das sich an geistlichen Werten orientiert. Darum bemüht sich der Dichter, wenn er wiederholt die bezzerunge der Zuhörer als Zweck seiner Dichtung angibt, sehr oft den Bericht mit Apostrophierungen unterbricht und schließlich predigthaft moralisierend die Ereignisse der Legende auf sein Publikum bezieht. Dieser Bezug auf die Zuhörer ist A.s Eigentum. Außerdem mildert er, höfischem Geschmack entsprechend, Monströses und Hyperbolisches seiner Vorlage, an die er sich im allgemeinen aber genau hält. Zu den schon genannten Erweiterungen kommen neben einer Reihe von treffenden Vergleichen, Bibelzitaten und topischen Wendungen, die den Erzählprozeß kommentieren, besonders die Eingangs- und Schlußtopoi: die Nennung von Anreger und Autor des Gedichts, Bekundung des didaktischen Zwecks und des Wahrheitsanspruchs der Erzählung in nomine Domini, Gebet um das Seelenheil, Bitte an die Hörer um Fürbitte, Demutsformel, Verfolgen der Überlieferungsgeschichte bis zum historischen Ereignis gemäß Gregors d. Gr. Vorbild in seinen Dialogen - lauter Einzelheiten, die der Gattung Legende gemäß sind. A. ist ein literarisch gebildeter geistlicher Autor, wie auch seine Reminiszenzen an den in ders. Hs. überlieferten und sich an ein vergleichbares ritterliches Publikum wendenden sog. —> Heinrich von Melk und das 'Rolandslied' (Der Pfaffe -> Konrad)

Ill

Albert von Aachen

und nicht zuletzt seine geschulten und flüssigen, wenn auch noch Assonanzen und Flickreime aufweisenden Verse zeigen. L i t e r a t u r . R.SPRENGER, A.s Tundalus, Diss. Halle 1875; ders., Nachträgliches z. A.s Tundalus, Germ. 22 (1877) 264-272; A.WAGNER (Ed.), Visio Tnugdali, 1882, S.XLVI-LXXII; R.SPRENGER, A. v. Regensburg u. d. Eneide, Germ. 27 (1882) 287f.; E.SCHRÖDER, A. v. Windberg, ZfdA 50 (1908) 391 f.; R. VERDEYEN/J. ENDEPOLS, Tondalus' visioen en St. Patricius' vagevuur, Tl I und II, 1914/1917, bes. S. 60 bis 67; E. PETERS, Quellen u. Charakter d. Paradiesesvorstellungen in d. dt. Dicht, vom 9. bis 12. Jh., 1915, S. 123-134; E.SCHRÖDER, D. Überl. v. A.s Tundalus, ZfdA 72 (1935) 249-254; H.-W.RATHJEN, D. Höllenvorstellungen in d. mhd. Lit., Diss. (masch.) Freiburg i.Br. 1956.

WIEBKE FREYTAG Albert —> auch Albrecht —»Alpert Albert von Aachen 1. Die in den ältesten Hss. anonyme 'Historia Hierosolymitanae expeditionis', die ausführlichste zeitgenössische Darstellung des 1. Kreuzzugs, erscheint zuerst im frühen 13. Jh., dann zweimal noch in späterer Überl., unter dem Namen eines sonst nicht bekannten Adalbertus (Albertus) canonicus et custos Aquensis ecclesie. Daß jenes Aquensis nicht Aix-en-Provence, sondern Aachen meint, ist heute gefestigte Ansicht. Sie stützt sich nicht nur auf innere Gründe der 'Historia', auf die 'deutsche' Tendenz des Verf .s und seine Sympathie für Gottfried v. Bouillon, sondern auch auf seine Kenntnis und Berichte von Personen und lokalen Episoden aus der Aachener Umgebung (VI34 u. 36), schließlich auf Kriterien der Überl., die als erstes und engeres Verbreitungsgebiet der 'Historia' Niederlothringen erkennen läßt. Die Lokalisierung der 'Historia' gibt der späten und mäßigen Bezeugung A.s als des Verf.s einigen Halt. Ihre Datierung, die freilich vage zwischen 1100 und ca. 1140 (s.u. 3) spielt, ist der einzige Anhaltspunkt für A.s Lebens- und Schaffenszeit. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . 13 erhaltene Hss. (teilw. lükkenhaft), davon 6 des 12. Jh.s, u. l kl. Frgm.; mindestens 2 Hss. verloren. Übersicht und Versuch einer Gruppierung bei KNOCH, S. 14-28.

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A u s g a b e n . R. REINECCIUS, Chronicon Hierosolymitanum, Helmstedt 1584 (noch ohne A.s Namen); danach J. BONGARS, Gesta Dei per Francos ..., Bd. l, Hannover 1611, S. 184-381 (= PL 166, 387-716). Krit. Ausg. (nach 4 Hss.) von M.P. MEYER, Recueil des historiens des croisades, Historiens occidentaux, Bd. 4, Paris 1879,5.265-713 (zit.). Eine auf die gesamte Überl. gegründete krit. Ausg. fehlt. Dt. Übers.: H. HEFELE, Gesch. d. ersten Kreuzzuges, 2 Bde, 1923 (mit guter Einleitung).

3. Die in allen Hss. 12 Bücher umfassende 'Historia' stellt in I-VI35 den Verlauf des 1. Kreuzzuges samt den Vorkreuzzügen, in VI36-XII die Geschichte des Königreichs Jerusalem von Ende 1099 bis ins Jahr 1119 dar; Buch XII, in dem sich die Ereignisse von 8 Jahren (Ende 1111-1119) drängen, verfährt im Unterschied zur Ausführlichkeit der früheren Bücher nur mehr summarisch und bricht ohne erkennbaren Schluß ab. Da der Prolog als den Gegenstand der 'Historia' allein den Kreuzzug bis zur Eroberung Jerusalems nennt, sich somit nicht auf das gesamte vorliegende Werk bezieht, dürften er und der in ihm angekündigte Teil (Buch I-VI 35) vor den späteren Büchern entstanden sein, nach den von KNOCH (S. 82-90) diskutierten Indizien wahrscheinlich schon um 1100-1102. Die Entstehungszeit des zweiten Teils liegt zwischen 1102 und ca. 1140 (Datierung der beiden ältesten Hss.); dabei dürften die Bücher VI36-XI näher an die erzählten Ereignisse (1099 bis 1111) heranrücken als Buch XII (wohl nach 1220). 4. Nach A.s Aussage im Prolog bestimmte ihn zur Abfassung der 'Historia' der Wunsch, sich durch sie wenigstens als geistigen Gefährten der Kreuzfahrer zu beweisen, da ihm die eigene Teilnahme versagt geblieben sei. Das gewaltige Material seiner Darstellung stammt, wie er grundsätzlich im Prolog, vielfach auch sonst angibt, in der Hauptsache aus mündlichen Berichten von Augenzeugen, die er offenbar zahlreich befragte; bisweilen zitiert er auch umlaufende unverbürgte Nachrichten. Die 'Historia' galt als maßgebliche Darstellung des 1. Kreuzzugs, bis SYBEL 1841 ihre Zuverlässigkeit radikal in Zweifel zog. Seiner Kritik ihres historisch-pragmatischen Werts trat KUGLER mit dem Versuch entgegen, für A.

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Albertus von Augsburg

eine grundlegende authentische Quelle, die Chronik eines lothringischen Geistlichen, nachzuweisen, ohne damit jedoch auf Dauer zu überzeugen. Ob A. wenigstens für die Bücher I-VI eine geschlossene schriftliche Vorlage benutzt hat, wie KNOCH (S. 29-63 u. 66-72) mit starken Gründen aus einem genauen quellenkritischen Vergleich mit der Kreuzzugsgeschichte Wilhelms von Tyrus sowie einem vermutlich um 1130 entstandenen Fragment über die Anfänge der Kreuzzugsbewegung fordert, steht noch zur Diskussion. 5. Historische Treue ist für die Beurteilung der 'Historia' nicht das einzige und nicht das ausschlaggebende Kriterium. Ihre besondere Stellung innerhalb der zeitgenössischen Kreuzzugschronistik verdankt sie ihren darstellerischen Tendenzen und ihrer literarischen Eigenart. Auf Kosten strenger Disposition des Stoffes dominieren die Einzelszene, der besondere Vorfall, die Episode, vor allem die Schilderung von Strapazen, Versorgungsnöten, Belagerungen, Kämpfen, von Visionen,Prodigien, Wundern u. a.; in deren Vielfalt bietet sich die 'Historia' nicht minder als Erzählwerk denn als Geschichtsschreibung dar. In A.s betont 'deutscher' Interpretation des Kreuzzugs erscheint unter den teilnehmenden Fürsten Gottfried von Bouillon als die von Gott vorbestimmte führende Gestalt, zugleich als das durch Frömmigkeit und Tapferkeit, Opfer- und Hilfsbereitschaft ausgezeichnete Vorbild des ritterlichen Kreuzfahrers — hier liegen die Anfänge der Legendenbildung um ihn. Den Teilnehmern aus den verschiedenen deutschen Stämmen in Gottfrieds Heer, die aufgrund häufigerer Nennung vor den nichtdeutschen schon optisch überwiegen, schreibt A. für die wichtigsten Phasen des Unternehmens auch das tatsächliche Verdienst zu. Mit dieser 'deutschen' Tendenz dürfte sich die 'Historia' als eines der ersten Zeugnisse 'literarischer Abwehr des aufblühenden Frankreich' (KNOCH, S. 150) verstehen. L i t e r a t u r . Bibliographie: H.E. MAYER, Bibliographie z. Gesch. d. Kreuzzüge, 1960, Nr. 931. - H. v. SYBEL, Gesch. d. ersten Kreuzzugs, 1841, 21881; B. KUGLER, A. v. A., 1885; MANITIUS, LG III 426ff.; P. KNOCH, Stud. z. A. v. A. (Stuttgarter Beitr. z. Gesch. u.

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Politik 1), 1966; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Gesichtsquellen, S.640f. u. 172f.; C.MINIS, Stilelemente in d. Kreuzzugschronik d. A. v. A. u. in d. volkssprach. Epik, bes. in d. 'Chanson de Roland', in: Lit. u. Sprache im europ. MA (Fs. K. Langosch), 1973, S. 356-363. F.J. WORSTBROCK

Albertus Argentinensis -»Matthias von Neuenburg Albertus von Augsburg Autor eines 'Leben des heiligen Ulrich' ('Ulrichsieb.'), Anfang 13. Jh. 1. Der Name Albertus steht in einem Akrostichon zu Beginn des Gedichts, auf das im Epilog (v. 1574-77) ausdrücklich hingewiesen wird. Inhalt des Werkes und Herkunft der einzigen Hs. (s.u.) legen es nahe, den Autor im Kloster St. Ulrich und Afra zu Augsburg zu suchen. Eine sichere Zuweisung an einen historischen Träger des Namens ist bisher nicht gelungen. Höchst wahrscheinlich ist A. identisch mit dem seit Anfang des 13. Jh.s urkundlich bezeugten und nach 1240 gestorbenen Prior des Klosters, -> Adilbert v. Augsburg (GEITH, S. 7 Anm. 7). Außer seiner literarischen Tätigkeit als Uberarbeiter von lat. Legenden mit seinem Kloster verbundener Heiliger (Afra, Simpert) spricht eine Übereinstimmung zwischen dem Prolog zur 'Vita Simperti' und dem 'Ulrichsieb.' für die Gleichsetzung von Albertus und Adilbertus (GEITH, S. 8). 2. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 94 (um 1200). Die Hs. war, wie aus Besitzvermerk und anderen Einträgen einer -> Engelbirn hervorgeht, im Kloster St. Ulrich und Afra in Gebrauch und ist sicher auch dort geschrieben. Genaue Beschreibung bei E. PETZET, D. dt. Pergament-Hss. d. SB in München, 1920,S. 163-165; ferner GEITH, S. 1-6. Sie besteht aus zwei erst später zusammengebundenen Teilen: f. 1-24: Frgm. der 'Vita sancti Uodalrici' des -»Berno v. Reichenau (gest. 1048); f. 25-81: A.s 'Ulrichsieb.'. Auf 26r und 26V befindet sich jeweils eine die ganze Seite einnehmende Darstellung des hl. Ulrich. Die Vorlage der Abschrift dürfte dem Original sehr nahe gestanden haben. 3. A u s g a b e n . J.A.ScHMELLER, St.Ulrichs Leben, lat. beschrieben durch Berno von Reichenau u. um d. Jahr 1200 in dt. Reime gebracht von Albertus, München 1844; GEITH, S. 22-80 (zit.).

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Albert Böheim

4. Das 1605 Verse umfassende Gedicht beschreibt das ganze Leben des Bischofs Ulrich von Augsburg (924-973): Geburt, geistliche Erziehung, Erwählung zum Bischof, geistliche Tätigkeit und politische Aktivität bis zu seinem seligen Sterben, einschließlich einiger nach dem Tode Ulrichs geschehener Wunder. Zwischen den vv. 1509 und 1510 befindet sich eine durch Blattausfall bedingte Lücke, die ca. 32 vv. umfassen dürfte (GEITH, S. 93). Der Prolog (52 vv.) beginnt mit einem Lobpreis Gottes, der in vier vierzeilige und vier zweizeilige Abschnitte gegliedert und durch das genannte Akrostichon ausgezeichnet ist (v. 1-24). Es folgen Thema und Veranlassung des Werkes, das für die geistlichen kint (v. 31) bestimmt ist, deren Namen er aber nicht nennen will (v. 39). Der Gebrauch der Hs. in einer Gemeinschaft von Frauen (s. o.) legt es nahe, in ihnen Schülerinnen oder Beichtkinder zu sehen. Die abschließende Bemerkung: ich wil tun des man mich bat (v. 52) läßt auf ein Auftragswerk schließen. Der Epilog (60 vv.) enthält die Bitte des Autors um Fürbitte des Publikums (v. 1544-73), den Hinweis auf das Akrostichon (v. 1574-77), die Aufforderung zur Verbesserung des Gedichts durch die Leser (v. 1578-83) und schließt mit einem Gebet zu Maria (v. 1584—1603).

5. Quelle. Das 'Ulrichsieb.' ist eine genaue Übers, der 1030 entstandenen 'Vita sancti Uodalrici' des Reichenauer Abtes Berno (1008-1048). Von den erhaltenen Hss. steht die ursprünglich aus St. Ulrich und Afra stammende Hs. B III32 der Basler ÜB dem dt. Gedicht am nächsten (abgedruckt bei GEITH). A. hat den lat. Text nur an wenigen Stellen mißverstanden, vor allem bei den rhetorisch gefärbten Volksund Ortsnamen (z.B. v. 795). Für die Wunder nach dem Tode des Heiligen muß ihm eine eigene Sammlung zur Verfügung gestanden haben. 6. Die gegen Augsburger Herkunft des Autors ins Feld geführte 'Mischung sprachlicher Charakteristika' (VAN DAM, VL138) könnte auf den Einfluß literarischer Vorbilder zurückgehen. Dafür sprechen vereinzelte, aus der höfischen Dichtung stammende Ausdrücke wie adamas (v. 249), amis (623), dar (661), porte (924, 1531), gehiure (937), gezimieret (433), ors (928), die zumeist im Reim stehen. Die Reime sind überwiegend rein und nur

zu 6—7% leicht unregelmäßig. Vereinzelt kommen auch Dreireime (225 ff., 1061 ff., 1148 ff., 1233 ff., 1601 ff.) und sogar ein Fünf reim (942 ff.) vor. Der Versbau nutzt noch die frühmhd. Freiheiten: zwei- und dreisilbige Auftakte und Takte mit mehrsilbigen Senkungen. Mangelnde Schulung des Autors und die Notwendigkeit, lange und schwierige Perioden der Vorlage in dt. Verse umzusetzen, mögen für den schwerfälligen und stockenden Rhythmus des Gedichts verantwortlich sein. 7. D a t i e r u n g . Entstanden sein dürfte das Gedicht gegen Ende des 12.Jh.s, vielleicht — nach einer Vermutung DE BOORS (LG II 381) - im Zusammenhang mit der 1187 in Anwesenheit Friedrichs I. erfolgten Weihe der 1183 zerstörten Kirche von St. Afra. Dieses Ereignis und die feierliche Translation der Gebeine des heiligen Bischofs bewirkten eine Neubelebung des Ulrichskultes (GEITH, S.9 Anm.20). 8. Wahrscheinlich ist, wofür auch die einzige Hs. spricht, die Kenntnis des 'Ulrichsieb.' auf das Kloster beschränkt geblieben. Das isolierte Werk ist somit nur als Beispiel von Übersetzungsliteratur und als Teil des CEuvres des Priors Adilbert von Interesse. L i t e r a t u r . Bibliographie bis 1971 bei GEITH, S. 19-21. - N. BÜHLER, Die Schriftsteller u. Schreiber d. Benediktinerstiftes St. Ulrich u. Afra in Augsburg während d. MAs, phil. Diss. München 1916; E. SCHRÖDER, D. 'Heilige Ulrich' d. Albertus, GGN, Fachgr. IV, NF 2 (1938) 139-146; W. WOLF, Von d. Ulrichsvita z. Ulrichslegende, phil. Diss. München 1967; K.-E. GEITH, Albert v. A. D. Leben d. Heiligen Ulrich (QF NF 39), 1971.

KARL-ERNST GEITH Albert Behaim von Behaiming -»· Albert Böheim Albert Böheim (Bohemus) I. Um 1180 geb., begann der der Ministerialenfamilie B. (auch Behaim, Beham, Beheim; A. erscheint in den Quellen stets als Bohemus) aus Böhaming (nächst Niederalteich) entstammende Kleriker, seit 1212 Passauer Domherr, seine Karriere als Anwalt an der päpstl. Kurie unter Innozenz III.

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Albert Böheim

und Honorius III. Ein fanatischer Vertreter der kurialist. Theorie, war A., seit 1239 päpstl. Legat für Deutschland, der Motor der antistaufischen Agitation in Bayern; durch seine Maßlosigkeit stiftete er größte Verwirrung und mußte schließlich zu Innozenz IV. nach Lyon flüchten (1244). Nach der Absetzung Friedrichs II. (1245) kehrte A. nach Bayern zurück und setzte, allgemein verhaßt, seinen unnachgiebigen Kurs fort. Zuletzt verlagerte sich der Schwerpunkt nach Passau, wo A., seit 1246 Passauer Domdekan, noch 1250 die Absetzung des Bischofs Rudiger zu erreichen vermochte. In dieser Zeit und unter Bischof Berthold dürften alle seine Schriften entstanden sein. Unter Bischof Otto von Lonsdorf wurde sein Einfluß völlig zunichte; vorübergehend wurde er sogar gefangengesetzt. Verbittert und verlassen starb er 1260 in Passau. II. Über die nur frgm. in Verarbeitungen bzw. in Kollektaneen überlieferten Werke A.s herrscht erst seitLEiDiNGER und namentlich UIBLEIN Klarheit. Beachtenswert ist die erstaunliche Belesenheit A.s, der u. a. sogar die 'Getica' des Jordanes heranzog. Die sehr subjektiven Schriften sind charakterisiert durch 'die eigenartige Verquickung an sich ernst zu nehmender historischer Quellenforschung mit sehr aktuellen propagandistischen Zwecken' (LHOTSKY, S. 241). Als Motiv für die durch phantastische Erfindungen ausgeschmückte Darstellung der Frühgeschichte des untergegangenen Erzbistums Lorch sind persönliche Ambitionen auf einen Wiener Bischofs- oder gar Lorcher Metropolitenstuhl denkbar. Vornehmlich über die vor 1291 produzierte, auch in dt. Fassung verbreitete -> 'Vita Maximiliani' und weiter über Leopold -> Stainreuter fand die Lorcher Fabel schließlich größte Resonanz. 1. Katalog der Erzbischöfe und Bischöfe von Lorch und Passau (bis 1254). 2. Katalog der bayerischen Herzöge (bis 1253). 3. 'Historia ecclesiae Laureacensis'. Verteidigungsschrift als Einleitung zu den Katalogen l und 2. Ü b e r l i e f e r u n g , s. WAITZ, Ausg., S.610-616; dazu München, Bayr. Hauptstaatsarchiv, Klosterlit.

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Formbach 51 /3 (= Kollektaneen des Johann Staindel I [vor 1490]), f. 27r-28v, 22v-24r, 25r-26". Ausgabe. G.WAITZ, MGH SS 25, S.619-622, 624-627,617-619. - Zur Historia vgl. auch A. WENDEHORST, Apokrypha Herbipolensia, Würzburger Diözesangeschichtsbll. 20 (1958) 6-8.

4. Fabulöse Frühgeschichte des Erzbistums Lorch-Passau und des Herzogtums Bayern, ursprünglich wohl als Einleitung zu den Katalogen l und 2 gedacht, vermutlich durch die 'Historia' ersetzt. Ü b e r l i e f e r u n g . Koll. Staindel I (s.o.), f. 15v-22r. Ausgabt·. UIBLEIN, S.8-27, ein Teil (UIBLEIN, S. 22-25) bei LEIDINGER, S.7-9.

5. Bruchstücke über die Abstammung der Baiern von den Goten sowie über die Noriker. Ü b e r l i e f e r u n g . München, Bayr. Haüptstaatsarchiv, Kasten Schwarz 393/8, f. 75r-77v; München, clm 1306, f. 147r-152v; Koll. Staindel I (s.o.), f. 29" u. 31v-32r. A u s g a b e . LEIDINGER, S.72-76; UIBLEIN, S.28 bis 30 u. 31 f.

6. 'NotaedeepiscopisPataviensibus' (804 bis 1091). Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 610, f. 89v-90r. Ausgabe. G. WAITZ, MGH SS 25, S.623f.; vgl. dazu UIBLEIN, S. 67.

7. Passauer Annalen 1249-1252. Ü b e r l i e f e r u n g . Koll. Staindel I (s.o.), f. 32V-34V. A u s g a b e . L. OBLINGER, Angelus Rumpier, Abt von Formbach, und die ihm zugeschriebenen histor. Kollektaneen, Archival. Zs. N.F. 11 (1909) 60-62; vgl. UiBLtiN, S.4 (Lit.).

8. Kommentare zu den 'Getica' des Jordanes. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 1204 (Adversarien Aventins), f. 75v-77r; München, Bayr. Hauptstaatsarchiv, Klosterlit. Formbach 5i/2 (Koll. Staindel II), f. 68V-71V. A u s g a b e . Proben bei UIBLEIN, S.61f.

9. Eine bedeutende Quelle für die Geschichte seiner Zeit stellt das wohl 1246 angelegte Brief buch A.s (München, clm 2574 b) dar, die älteste erhaltene Papier-Hs. Deutschlands. Unvollst. Ausgabe durch HÖFLER, S.49-158, Neuausg. durch P.HERDE für die MGH in Vorbereitung; über Faks. und Lit. vgl. P.HERDE, DA 23 (1967) 489 A. 88.

Die drei nur hier (f. 84v-85r) überlieferten Triumphlieder über die Zerstörung der

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Albert von Dießen

kaiserlichen Gründung Victoria durch die Parmesen (1248) (HÖFLER, S. 123-132 sowie PH. JAFFE, MGH SS XVIII 792-799) dürften nicht von A. stammen (gegen P. LEHMANN, D. Parodie im MA.,21963, S.3; zum Verf. vgl. JAFFE, S. 790f.). Von einem verschollenen zweiten, früheren Briefbuch A.s besitzen wir nur Exzerpte Aventins (München, clm 1204); Druck: A.F. OEFELE, Rerum Boicarum Scriptores l, 1763, S. 787-800, bzw. HÖFLER, S. 3-32. L i t e r a t u r . C.HÖFLER, A. v. Beham u. Regesten Pabst Innocenz IV. (StLV 16, 2), 1847; G.RATZINGER, Forsch, z. bayr. Gesch., 1898, S. 1-321 u. 628-640 (vorher : Histor.-polit. Bll. 64 [1869], 84 [1879] u. 85 [1880]); G. LEIDINGER, Unters, z. Passauer Gesch.Schreibung d. MAs, MSB 9,1915; J. OSWALD, NDB II l; P. UIBLEIN, Stud. z. Passauer Gesch.Schreibung d. MAs, Arch. f. österr. Gesch. 121/2 (1956); LHOTSKY, Quellenkunde, S.240-243 (Lit.); Rep. font. II 172f.; G. SCHWERTL, D. Beziehungen d. Herzöge von Bauern u. Pfalzgrafen bei Rhein z. Kirche 1180-1294, Miscellanea Bavarica Monacensia 9 (1968) 19-40; Handbuch der bayer. Gesch., hg. v. M. SPINDLER, Bd. 2,1969, S. 39-42,617f. u. 753; R. ZINNHOBLER, Lorch u. d. Passauer Bistumsorganisation, Mitt. d. Oberösterr. Landesarch.s 11 (1974) 54f. u. 62-64.

WINFRIED STELZER Albert von Dießen I. Leben. A. war Chorherr des Augustiner-Chorherrenstifts Dießen am Ammersee. In Hss. seines 'Speculum clericorum' nennt er sich mit eigenhändigem Schreibervermerk Albertus presbyter et canonicus regularis Monasterii sancte Marie virginis in Dyssen (München, clm 5668, 159V) und Albertus de Tegernse presbyter et canonicus regularis in Dyssen (München, clm 18387, 84V), im Autograph seines 'Epytaphium prelatorum in Dyssen' ähnlich Albertus regularis canonicus huius loci (München, Hauptstaatsarch., Klosterliterale Dießen Nr. 37,56r). Ob A. den Beinamen Teuto besaß, ist auch BAUERREISS (1936, S. 10) entgegen seiner früheren Annahme (1929, S. 436f. u. 444) fraglich geworden. Dießen war A.s Profeßkloster. Warum er sich aber wie in clm 18387 auch de Tegernse nennen konnte, ist unklar. Ob er nun aus Tegernsee oder dessen Umgebung stammte oder zunächst Tegernseer Benediktiner war: auf irgendeine Weise war er mit Tegernsee

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enger verbunden; die Hs., in der er sich de Tegernse nennt, stammt von dort und wurde von ihm offenbar für dieses Kloster geschrieben. 1362 ist A. in zwei Urkunden bezeugt (Mon. Boica VIII 251). Seine Werke fallen nach den von ihm selbst beigefügten Daten in die Jahre 1365-1376. Sein Todesjahr läßt sich nicht bestimmen. In Propst Töpsls von Polling Schriftstellerkatalog der Augustiner-Chorherren ist nur der Todestag (27. Dez.) festgehalten; ihn bestätigt die Hs. eines Dießener Nekrologs (München, clm 1020,26V), in der unter dem 27. Dez. auf der Rasur noch der Name Albertus, nicht aber mehr das Jahr erkennbar ist. II. Werke. 1. ' S p e c u l u m c l e r i c o r u m ' Ü b e r l i e f e r u n g . Drei Redaktionen von A.s eigener Hand: a) München, clm 12471, vollendet am 10.2. 1369, aus Rottenbuch b. Dießen; b) München, clm 5668, lr-159v, vollendet am 23.8.1373, aus Dießen; c) München, clm 18387, vollendet am 5.1.1376, aus Tegernsee. Zu den drei Autographen vgl. SCHMEIDLER, S. 68-80. Wie sich die 27 weiteren Hss., die BAUERREISS, 1929, S. 436 Anm.5, nennt (hinzukommen Stuttgart, LB, cod. HB156; Innsbruck, ÜB, cod. 757, u. a.), zu den verschiedenen Redaktionen verhalten, ist nicht untersucht.

A.s 'Speculum clericorum' ist eine Sammlung kirchenrechtlicher und pastoral-theologischer Vorschriften, die nach Ausweis der Überl. zu einem beliebten Handbuch wurde. Das Werk wuchs aus einer kleineren ersten Fassung ohne Kapitelzählung über eine zweite, annähernd doppelt umfangreiche zu einer dritten mit 537 Kapiteln. Daß A.s Hs. der dritten Fassung als 'abschließende Reinschrift' (SCHMEIDLER, S. 73) gedacht war, darauf deuten die sorgfältige Schrift, die Rubra über den Kapiteln, die schönen Initialen. Freilich schrieb A. an den Rand neue Zusätze, aber doch nur wenige. 2. ' E p y t a p h i u m P r e l a t o r u m in Dyezzen' Ü b e r l i e f e r u n g . München, Hauptstaatsarch., Klosterliterale Dießen Nr.37, v. J. 1365, 56r-63r, Autograph; auch das davor ( —48 r ) stehende Salbuch d. Klosters St. Marien zu Dießen hat zur Hauptsache A. geschrieben. Vgl. SCHMEIDLER, S. 73 f.

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Albert von Dießen

Das 'Epytaphium' ist eine kleine Chronik der Dießener Pröpste von der Gründung des Klosters bis 1365. 3. Unter den Einträgen des 14. Jh.s im 'Andechser Missale' (München, clm 3005, 10. Jh.) findet sich f. 50V eine mit Prolog versehene Gründungsgeschichte Dießens (Textabdruck bei BAUERREISS, 1929, S. 62 bis 65), die in äußeren und inhaltlichen Zügen A.s 'Epytaphium' ähnlich ist und es sogar benutzt hat. A.s Anteil an der kleinen Schrift ist gewiß; ungeklärt sind indes Art und Umfang seiner Mitwirkung. Die Dießener Gründungsgeschichte ging in die 'Fundationes monasteriorum Bavariae' ein, findet sich in deren Mutterhs. (München, clm 14594, 26v-28r, ohne den Prolog, aber mit reinerem Text und auch Zusätzen) zusammen mit der vielleicht ebenfalls A. gehörenden Gründungsgeschichte von Grafrath a.d. Amper (Text b. BAUERREISS, 1929, S. 442). Ob weitere Teile der 'Fundationes mon. Bav.' A. zuzuschreiben sind, bedarf der Untersuchung (s. u. 4 u. 5; vgl. BAUERREISS, 1931, S. 45-54, u. SCHMEIDLER, S. 81-84). Der Prolog der Dießener Gründungsgeschichte wurde sätzelang wörtlich in der Vorrede der 'Cronica abbatum Tegernseensium' ( , Thes. III 497-517) benutzt, die freilich nicht A., sondern einen Anonymus um 1480 zum Verf. hat (SCHMEIDLER, S. 84-89). 4. Die 'Historia fundationis Tegernseensis' (PEZ, Thes. III 475-496), deren Schreiber im clm 1072 nicht A. ist (SCHMEIDLER, S. 83 f., gegen BAUERREISS), könnte, worauf Anklänge im Wortlaut mit der Dießener Gründungsgeschichte und ein bezeichnendes Psalmenzitat hindeuten, von A. verfaßt sein (BAUERREISS, 1929, S. 439-441, u. 1936, S. 13f.). Die Zuschreibung bedarf aber stärkerer Beweismittel. Quelle der 'Historia fund. Teg.' waren die 'Quirinalia' des —»Metellus von Tegernsee. S. RIEZLER (Gesch. Baierns I 2, 21927, S. 477) rühmt des bair. Verf.s 'kräftiges StammesgefühP. Etwas gekürzt findet sich die Tegernseer G rund ungsgeschichte wiederu minden'Fundationes monasteriorum Bavariae' (s.o. 3). 5. Das 'Chronicon Eberspergense posterius' (hg. v. G. WAITZ, MGH SS XXV 867

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bis 876, nach dem prächtigen, mit wertvollen Miniaturen verzierten Pergamentcod. 104 des Hist. Vereins von Oberbayern aus den Jahren 1496-1500, 28r-67r, mit dt. Übers.), bedeutend gekürzt auch in den 'Fundationes monasteriorum Bavariae' (s. o. 3) überliefert, ist eine erweiternde Bearbeitung des älteren, in die Zeit -»•Willirams fallenden 'Chronicon Eberspergense' (vgl.WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE,

Geschichtsquellen, S.558f.); hinzugefügt wurden vor allem ein Prolog, eine Schilderung der Ungarnstürme und eine Darstellung des Verhältnisses des von Ebersberg gegründeten Nonnenklosters Geisenfeld zum Mutterkloster Ebersberg. Verschollene Kaiserdiplome des 14. Jh.s beweisen die enge Verbindung mit Andechs-Dießen. Die Bearbeitung der Chronik kann erst nach dem 15.6.1264, dem Sieg König Belas IV. über Österreich, angesetzt werden, da in ihr darauf angespielt wird. Dafür, daß sie von A. verfaßt ist, mag wiederum Stilistisches sprechen, auch manche typische Zitierung (vgl. BAUERREISS, 1931). Aber auch diese mögliche Zuweisung bedarf noch der Sicherung. III. Wenn auch noch viel zu tun bleibt, um das Werk A.s, dessen Wiederentdekkung BAUERREISS' Verdienst ist, abzugrenzen, zu sichern und zu werten, so läßt sich doch wohl schon jetzt sagen: In seiner Zeit fällt er durch seine Bildung auf, seine Belesenheit nicht nur in der theologischen Literatur, sondern auch in den Klassikern, wie durch seinen gewandten, wenn auch meist nüchtern-knappen Stil. Neben seinen kleineren geschichtlichen Werken steht das für die Geistlichkeit gedachte große 'Speculum', mit dem er die stärkste Wirkung erzielte. L i t e r a t u r . R. BAUERREISS, D. geschichtl. Einträge d. 'Andechser Missale' (Clm. 3005), Stud. Mitt. OSB47 (1929) 52-90 u. 433-447; ders., Wer ist d. Verf. d. Fundationes mon. Bavariae?,Stud. Mitt. OSB49 (1931) 45-54; ders., D. 'Chronicon Eberspergense posterius', Stud. Mitt. OSB 49 (1931) 389-396; ders., A. v. Tegernsee u. d. Tegernseer Gesch.Schreibung, Stud. Mitt. OSB 54 (1936) 7-14; B. SCHMEIDLER, A. v. D. u. d. Gesch.schreibung von Tegernsee, Zs. f. bayer.Landesgesch. 10 (1937) 65-92; R. BAUERREISS, Kirchengesch. Bayerns IV, 1952, S.202f.

KARL LANGOSCH

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Albert von Erfurt Im cod. I Folio 334 der Breslauer ÜB, der aus dem 15. Jh. stammt, ist Bl. 276V unter der Überschrift Troprietates et virtutes vini' ein kurzer md. Text über die medizinischen Eigenschaften des Branntweins eingetragen. Am Schluß findet sich der Hinweis: Dis sint dy tagende des gebranten wines, bescreben von Alberto von Erfford, dem clugken meister. Der im Stil der Wunderdrogentraktate gehaltene Text, der den Branntwein als Panazee preist, steht in der Tradition der mal. dt. Bearbeitungen des Weingeist-Traktates von Taddeo Alderotti (um 1280), weist aber eine gewisse Selbständigkeit auf. Über den Autor oder Bearbeiter, Meister A. v. E., ist bis jetzt nichts Genaueres bekannt geworden. L i t e r a t u r . R.KAISER, Dt. u. lat. Texted. 14. u. 15. Jh.s über die Heilwirkungen d. Weingeistes, med. Diss. Leipzig 1925, S. 16f. (Edition); - E.O. v. LIPPMANN/ K. SUDHOFF, Thaddäus Florentinus (Taddeo Alderotti) über den Weingeist, Arch. f. Gesch. d. Medizin? (1914) 379-389; G. KEIL, D. dt. Branntweintraktat des MAs, Centaurus 7 (1960/61) 53-100, hier S.57 u. 63.

WOLFRAM SCHMITT Albert der Große -> Albertus Magnus Albert von Hohenberg von Neuenburg

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Albert von Erfurt - Albertus Magnus

> Matthias

'Albertus Magnus und die Tochter des Königs von Frankreich' Lied des 15.Jh.s, 19 Strr. in —>Marners Goldenem Ton. Ü b e r l i e f e r u n g u. A b d r u c k e . 1. Heidelberg, cpg 392, 14r-17r, hg. v. J. GÖRRES, Altdt. Volks- u. Meisterlieder, 1817, S. 195-208; 2. Nach Str. 12 stark davon abweichend zwei Drucke des Hans Guldenmund, Nürnberg ca. 1530: a) Weimar, Thür. LB 14,6: 60e, 4, hg. v. M. A. PFEIFFER, D. Weimarer Ldb. (Hundertdrucke Nr. 28 u. 29), 1918-1920, S. 43-53; b) Berlin, SB (Ost), Yd 7822,6.

Um die Gestalt des -»· Albertus Magnus, den sein Schüler -»Ulrich von Straßburg in rebus magicis expertus nennt, begannen sich bald nach seinem Tod Sagen zu bilden, die ihn als Nigromanten zeigen. A.s erster Biograph —> Peter von Preußen, der ihn zum Heiligen zu stilisieren bemüht ist, geht kritisch da-

gegen an. Er berichtet in seiner 'Vita beati Alberti Magni' u.a. von der zauberischen Entführung der frz. Königstochter durch A. nach Köln (Text bei BOLTE/ PoLfvKA, S. 539 Anm. 1). Den Ansatzpunkt für die Entstehung der Sage sieht Peter von Preußen im 'Bonum universale de apibus' H, 57 § 18 des Thomas von Cantimpre, wonach A. bei einer Disputation ein Beispiel für die Entführung eines Mädchens durch Teufel gebracht habe.

Das Meisterlied bietet eine eigenständige Version der Sage: Albertus Magnus, Student in Paris und magischer Künste mächtig, holt unsichtbar die Tochter des frz. Königs in sein Bett. Der König läßt die ganze Stadt weiß malen; seine Tochter kennzeichnet A.s Haus, indem sie ihre rot gefärbte Hand an der Wand abstreicht. A., zum Tod verurteilt, entkommt mit Hilfe eines magischen Garnknäuels. Er wird, nachdem er der Magie abgeschworen, Bischof von Regensburg und wirkt wohltätig auf vielerlei Weise (u.a. Anspielung auf Pseudo-A. 'De secretis mulierum'). Als fromme Exempelerzählung von der Wandlung des Nigromanten zum Bischof dient das Lied der Rechtfertigung A.s. Vgl. Martin ->· Schleich. L i t e r a t u r : J. BOLTE/G. POUVKA, Anmerkungen zu d. Kinder- u. Hausmärchen d. Gebrüder Grimm II, 1915, S. 538-540. Zu den A.-Sagen allgemein: J. SiGHART, A.M., sein Leben u. seine Wiss., 1857, S. 67-83; N. THOEMES, A. M. in Gesch. u. Sage, 1880, S. 151-170; Handwörterbuch d. dt. Aberglaubens I, 1927, Sp.241 bis 243; H.C.ScHEEBEN, A.M.,21955, S. 197-225; L.PETZOLDT, A.M., in: Enzyklopädie d. Märchens I, 1975, Sp. 255-261.

FRIEDER SCHANZE Albertus Magnus (deLauging,Theutonicus,

de Colonia) I.Leben u n d C h r o n o l o g i e d e r

Schriften. Quellen: 'Vitas fratrum', Ordenschroniken u. -kataloge, Kapitelsakten, Papstregesten, Annalen, Lebensbeschreibungen, Urkunden, Briefe, eigene Mitteilungen, Notizen in Hss.

1. Gemäß Rückschluß vom Todesjahr 1280 und der Altersangabe octogenarius et amplius ist A. einige Zeit vor 1200 geboren, in Lauingen (Schwaben), aus ritterbürtigem Geschlecht (ex militaribus). Von seiner Jugendzeit erfährt man nur aus einem Be-

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Albertus Magnus

rieht über Falknerei und drei weiteren über Naturerscheinungen in der Lombardei (Winter 1222/23), namentlich Venedig und Padua. Über seinen Bildungsgang verlautet nicht mehr als Studium litterarum in Padua. 2. 1223 in Padua Eintritt in den jungen apostolisch tätigen Dominikanerorden (bestätigt 1216), welcher der wissenschaftlichen Bildung einen führenden Rang einräumte. 3. Die ersten Jahre - Probezeit, Einübung ins Ordensleben, praktische Theologie, Gelübde, Weihen (soweit nicht vor dem Eintritt empfangen) - lebte A. in der dt. Ordensprovinz, wahrscheinlich im Hauptkonvent in Köln (gegr. 1220). Anscheinend folgte der ersten theologischen Ausbildung schon ein Studium der Philosophie in Paris. Als Lektor, dem die pastorale Aus- und Weiterbildung oblag, war er, vielleicht brauchgemäß für je ein Jahr, im Konvent von Hildesheim (gegr. 1233) tätig, in Freiburg i. Br. (gegr. 1235/37), Regensburg, Straßburg, Köln. Aus dieser Zeit stammen vermutlich die älteste erhaltene Schrift, der eher erbauliche Traktat 'De natura boni', und wahrscheinlich eine Mariensequenz (Anal. hymn. 54, 241) sowie andere lat. geistliche Dichtungen (dazu demnächst A.FRIES, Marienkult bei A.M.). 4. Erste urkundliche Erwähnung am 15.5. 1248 als frater Albertus Theutonicus zusammen mit anderen Pariser Theologieprofessoren. Wann A. nach Paris kam und das Magisterium in der Theologischen Fakultät erlangte, läßt sich nur annähernd aus den Daten seiner literarischen Tätigkeit schließen. 1247 sind die 3 ersten Teile des Sentenzenkommentars vollendet (begonnen um 1243/44), davor noch 6 ansehnliche teils theologische, teils mehr philosophische systematische Werke sowie etwa 20 theologische Quaestiones. Auch ein schneller und unermüdlicher Arbeiter wie A., der noch frei von anderen Arbeiten innerhalb und außerhalb des Ordens war, brauchte für die 6 Traktate immerhin 2-3 Jahre, und selbst dann muß er schon als Lektor in Deutschland sich mit der Materie befaßt haben. Der Beginn der Pariser Lehrtätigkeit lag also wohl am Anfang des Jahrzehnts, und zwar, da A. von einem Erleb-

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nis in Sachsen aus der ersten Hälfte des Jahres 1240 berichtet, frühestens zu Beginn des Studienjahres 1240/41. Mit dieser vielleicht zweiten Übersiedlung des etwa Mittvierzigers nach Paris trat der entscheidende Wendepunkt in seiner wissenschaftlichen Laufbahn ein. 5. Im Herbst 1248 zurückberufen nach Köln zur Errichtung des 'Studium generale', einer internationalen Ordenshochschule, Vorstufe der späteren Universität (1388/89). Leitung der Hochschule und theologische Lehrtätigkeit in Vorlesungen und Disputationen für Studenten aus den verschiedensten Ländern, darunter Thomas v. Aquin, -»· Ulrich v. Straßburg, Ambrosius —»Sansedoni v. Siena, später vielleicht auch —»Eckhart v. Hochheim. Wieder, schon dem Umfang nach, eine erstaunliche literarische Tätigkeit: Das schon in Paris begonnene 4. Buch des Sentenzenkommentars (1249); dann, einmalig in der Scholastik, der Kommentar zu allen Schriften des Ps.Dionysius (kurz vor und nach 1250), eine Hauptquelle seiner Theologie, wohl von Thomas gehört und für des PS. Dionysius Hauptwerk 'De divinis nominibus' mit- oder nachgeschrieben; dann 'Super Ethica Commentum et Quaestiones' (zwischen 1250 und 1252), der erste vollständige Kommentar zur 'Nikomachischen Ethik' im Abendland, bald nach der Übersetzung durch Robert Grosseteste, 'ein Modell lat. Interpretation der Ethik' (GAUTHIER), Vorstufe der klassischen Behandlung der Ethik in Thomas' 'Summa theologiae' (PELZER). Ab 1251 Beginn der wohl schon in Paris angegangenen Paraphrasierung aller Werke des Aristoteles (wiederum einmalig in der Scholastik), zuerst der Realphilosophie (Naturphilosophie, Mathematik, Metaphysik). 6. A.s Wahl i. J. 1254 zum Provinzial der dt. Ordensprovinz mit ihren ungefähr 50 Konventen verlangte die Niederlegung seines Lehramts und beeinträchtigte auch sein literarisches Schaffen. Zur Wahrnehmung seiner neuen Aufgabe begann er eine Wandertätigkeit - nach Ordensbrauch und eigener Einstellung oft zu Fuß -, die zu ausgedehnter Naturbeobachtung, förderlich für die 'Mineralia' und 'Vegetabilia', Ge-

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Albertus Magnus

legenheit gab. Zufällig erhaltene Rundschreiben des Provinzials A. schärften den Mitbrüdern das Zu-Fuß-Gehen und streng gemeinschaftlichen Besitz ein. Im Sept. 1256 verteidigte er zusammen mit Thomas von Aquin vor Alexander IV. in Anagni die Bettelorden gegen Pariser Theologieprofessoren aus dem Weltklerus und hielt vielleicht eine Vorlesung 'De fato'. Während des Provinzialats (1254—57) entstand die Paraphrase zu 'De anima' des Aristoteles. In zeitlicher Nähe steht der Kommentar zu den (9) 'Parva naturalia' samt 'De vegetabilibus', wofür A. (6. u. 7. Buch) wie für die 'Mineralia' und 'De animalibus' (22.-26. Buch) stillschweigend des Thomas von Cantimpre 'De natura rerum' benutzte. 7. Im Mai 1257 vom Generalkapitel zu Florenz entpflichtet, war A. seit 1257/58 wieder in Köln als Lehrer und Leiter des 'Studium generale' tätig. 1259 wählte ihn das Generalkapitel zu Valenciennes zum Mitglied der Studienkommission, die nun auch, nach erheblichem Mißtrauen und Widerstand, das Studium der Philosophie und Naturwissenschaften in den Statuten über die Studienordnung verankern ließ. Damit erhielt A.s Arbeit an der Philosophie des Aristoteles und in der Naturforschung eine nachträgliche Rechtfertigung, ein Vorgang von größter Tragweite für den Orden, die Kirche, die Wissenschaft. 8. Am 5. Jan. 1260 berief ihn Alexander IV. zum Bischof von Regensburg. Trotz dringlicher Bitten des Ordensgenerals nahm A. die Ernennung an, widmete sich der schwierigen Aufgabe aber nur ein Jahr. 1261 begab er sich an den päpstlichen Hof und erreichte im Mai 1262 von Urban IV. die Genehmigung zum Rücktritt. Literarisch waren die beiden Jahre (bis Anfang 1263) am päpstlichen Hof wieder außerordentlich fruchtbar. 'De animalibus', spätestens 1258 in Köln begonnen, könnte wie die mit dieser Schrift in Verbindung stehenden Bücher 'De natura et origine animae' und 'De principiis motus processivi' wie auch die 'Geometria' (samt etwaigen anderen mathematischen Schriften) 1261-63 in Italien abgeschlossen worden sein. Bald nach 1262/63 entstand der MetaphysikKommentar, der ihm großes Ansehen, auch

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bei Siger von Brabant in der Pariser Artistenfakultät, eintrug, zuvor noch, gleichzeitig mit den naturphilosophischen Kommentaren, bis etwa 1262/63, die Paraphrase (ohneQuaestiones) zur 'Nikomachischen Ethik', um 1262/63 die zu den 'Politika'. Die Kommentare zu den logischen Schriften liegen teils vor, teils nach 'De anima' (1254-57), der 'Libellus de unitate intellectus' gegen den averroistischen Monopsychismus bald nach 1263/64. 9. Noch in Italien (Orvieto) erreichte ihn im Febr. 1263 der päpstliche Auftrag zur Kreuzpredigt in Deutschland gegen die Waldenser, dem er bis zum Herbst 1264 zusammen mit —> Berthold von Regensburg nachging. Danach hielt er sich, mindestens von Dez. 1264 bis Mitte 1267, in Würzburg auf, wo sein Bruder Heinrich Prior des Dominikanerkonvents war. Er arbeitete redigierend an seinen Bibelkommentaren, war wie schon in der Kölner Zeit mehrfach als Schlichter tätig, nahm bischöfliche Kulthandlungen im Kölner und im süddt. Raum vor, reiste einmal, beauftragt vom Papst, in Sachen der Johanniter nach Mecklenburg. Vom Sommer 1268 bis Herbst 1270 weilte er mit seinem 'socius' -> Gottfried von Duisburg im Konvent von Straßburg, war dort weiter literarisch tätig, hielt vielleicht gelegentlich Vorlesungen. Auf Bitten des Ordensgenerals kehrte er um die Jahreswende 1270/71 nach Köln zurück. Wieder wurde er, in Sachen der Stadt und des Erzbischofs Engelbert von Falkenburg, Mitglied eines Schiedsgerichts. Bischöfliche Amtshandlungen führten ihn bis nach Löwen und Antwerpen. 1274 setzte er sich auf dem 14. Allgemeinen Konzil von Lyon für die Anerkennung der Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König ein. 10. Seit Ende 1264 entstanden in Würzburg, Straßburg, Köln in der Form, wie sie uns vorliegen, die Kommentare zu den Evangelien und zu den 12 Kleinen Propheten, davor oder danach die Kommentare zu Is, ler, Lam, Bar, Ez, Dn, die Hiobpostille in den frühen 70er Jahren; ferner vor 1271 als Abschluß der Metaphysik, möglicherweise schon in Verbindung mit ihr, die Schrift 'De causis et processu universitatis' (stark neuplatonisch). Auf Anfragen ent-

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Albertus Magnus

standen die beiden kleinen Schriften 'De XV problematibus' (vor Dez. 1270) und (43) 'Problemata determinata' (1271). Neben den 4 Pariser Universitätspredigten (1247) gehören ihm wahrscheinlich 138 Sermones und vielleicht noch eine gleiche Zahl weiterer Predigten. 11. 1279 faßte er sein in einer Abschrift erhaltenes Testament ab. Über 80 Jahre alt starb er am 15. Nov. 1280 in Köln. Nach privater Verehrung von Anfang an wurde 1484 der liturgische Kult den Domkirchen von Köln und Regensburg gestattet, bestätigt für Regensburg 1622, für Lauingen 1631, für das Reich 1635, für den gesamten Orden 1670. Am 16. Dez. 1931 wurde A. durch Pius XI. für heilig erklärt und zum Kirchenlehrer erhoben, genau 10 Jahre später durch Pius XII. den Naturwissenschaftlern zum Patron gegeben. II. Ü b e r l i e f e r u t i g . 1. A.s theol. Werke sind gegenüber den philos., besonders naturphilos. und naturwiss., sowie gegenüber den Werken anderer Theologen, vor allem auch gegenüber den unechten Schriften, in einer auffallend geringen Zahl von (vollst.) Hss. überliefert: 'De natura boni' in 2 Hss., 'De sacramentis' in 3, 'De incarnatione' in 2, 'De resurrectione' in 4, 'Quaestiones theol.' in 1-3. Das theol. Hauptwerk 'Super Sententias' wurde wohl besonders durch die Werke des Thomas von Aquin zurückgedrängt. Reicher überliefert sind die mehr philosophisch-systematischen Traktate 'De IV coaequaevis' (20 Hss.), 'De hominc' (33), 'De bono' (11), der EthikKommentar (5 Hss., 4 Frgm.), spärlicher wiederum die Schriftkommentare mit Ausnahme des Lukas-Kommentars (18), mäßig die Kommentare zum 'Corpus Dionysianum' (8-12). 2. Unter den Aristoteles-Paraphrasen ist die der 'Metaphysica' in 31, die der 'Ethica' in 18 und die der 'Politica' in 11 Hss. erhalten, 'De causis et processu universitatis' in 32. Die 9 Kommentare zu den logischen Schriften (6-21) Hss.) blieben, wohl wegen der nominalistischen Weiterentwicklung der Logik, deutlich zurück. 3. Starken Einfluß hatten die naturphilos. Kommentare 'Physica' (39 Hss.), 'De caelo et mundo' (35, Autograph), 'De natura locorum' (39, Autogr.), 'De causis proprietatum elementorum' (29, Autogr.), 'De generatione et corrupdone' (36), 'De anima' (48), 'De nutrimento' (44), 'De intellectu et intellegibili' (61), 'De somno et vigilia' (44), 'De morte et vita' (36). 4. Besonderes Interesse fanden nach Ausweis der Hss. die naturwiss. Werke, voran die 'Mineralia' (92 Hss.), dann 'De animalibus' (55, Autogr.) und die

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damit in Verbindung stehenden 'De natura et origine animae' (51) und 'De principiis motus processivi' (20), ferner die 'Meteora' (54) und 'De vegetabilibus' (32). III. A u s g a b e n . Vorkrit. Gesamtausg. (mit unechten Schriften und Lücken bei den echten) v. P. JAMMY, 21 Bde, Lyon 1651. Darauf beruhend die Ausg. v. BORGNET, 38 Bde, Paris 1890-1899. Die erste krit. Gesamtausg., auf 40 Bde geplant, bringt seit 1951 das Albertus-Magnus-Institut Köln (Sitz in Bonn) heraus (Editio Coloniensis): Sancti Doctoris Ecclesiae Alberti Magni ... Opera omnia ..., Münster 1951 ff. (12 Bde bis 1975). Einzelausgaben: De vegetabilibus, hg. v. E. MEYER/ C. JESSEN, 1867; Super lob, hg. v. M. WEISS, 1904; De divisione, hg. v. P. v. LOE, 1913; De animalibus, hg. v. H. STABLER, 2 Bde, 1916/1921.

IV. B e d e u t u n g und W i r k u n g . 1. Hauptsächlichen Einfluß übte A. nicht als Theologe, sondern als Philosoph, bes. als Naturkenner und -forscher aus, obwohl er seiner Grundhaltung nach als Theologe zu bezeichnen ist. Allerdings leitete er im Gefolge des Ps.Dionysius in der Theologie eine starke neuplatonische Bewegung ein mit einer Theologie des mystischen Aufstiegs zum unerkennbaren Gott -, die bei ihm neben augustinischem und aristotelischem Erbe einhergeht und über Ulrich v. Straßburg, -> Dietrich v. Freiberg, Meister Eckhart, -»Berthold v. Moosburg, -* Nikolaus v. Kues zu einer spezifisch neuplatonischen Richtung in Deutschland führte; sie brachte zusammen mit seiner Psychologie und seinem affektiv getönten Begriff der Theologie als Frucht die spekulative dt. Mystik mit hervor. Auch auf die praktische Theologie und auf die Predigt haben seine Schriften seit dem 13.Jh. eingewirkt (zu den 'Sprüchen' und ihrer Bedeutung für die Volksfrömmigkeit s. u. VI4). Einige seiner theologischen Schriften wurden selbst ins Armenische übersetzt. 2. Mit den Aristoteles-Paraphrasen hat er den Lateinern die (ps.) aristotelischen Schriften erschlossen, einen scholastischen Aristotelismus mitaufgebaut und damit eine Wende in der Philosophie des MAs eingeleitet. Schon in der ältesten Schrift 'De natura boni' ist er den Zeitgenossen nicht nur in der Kenntnis und Einbeziehung von aristotelischen Texten, sondern auch in der Aneignung aristotelischen Denkens weit voraus, erst recht in den frühen, mehr philo-

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Albertus Magnus

sophisch-systematischen Schriften 'De IV coaequaevis' und 'De homine', die schon bis zur Mitte der 60er Jahre des 13.Jh.s benutzt, bisweilen - gegen allen Brauch mit seinem Namen angeführt und in Auszügen weitergegeben wurden; von ähnlicher Prägung ist der Ethik-Kommentar. Schließlich hat er dann fast zwei Jahrzehnte lang die Fülle der griech., jüd., arab. Philosophie und Naturwissenschaft gegen die anfängliche Ablehnung durch die Kirche und gegen den sog. Augustinismus dem Abendland zugänglich und verständlich zu machen gesucht, in systematischer, wertender, nach eigener und einheitlicher Stellungnahme strebender Darstellung, ohne jedoch der Aristoteliker zu werden, für den er gewöhnlich gehalten wurde und wird. Dabei hat er das damals erreichbare philosophische und naturwissenschaftliche Material in einem für das MA einzigartigen Umfang herangezogen; dies wurde auch von seinem Kritiker Roger Bacon rühmend anerkannt. So fanden seine Schriften rasche Verbreitung und wurden bis zum Anfang der Neuzeit stetig als Fundgrube des Wissens benutzt. Die Thysica' und 'De anima' erhielten auch hebräische Übersetzungen. 3. Vor allem die Naturkunde und Naturforschung sind A.s starke Seite und große Leistung. Mit wachem Sinn für alles Sein und Geschehen in der Natur, mit empirischer Beobachtung und kausaler Erklärung, keineswegs enzyklopädisch oder nur sammelnd, hat er dem MA nicht nur das Wissensgut der Vorzeit erschlossen, sondern es auch kritisch geprüft, berichtigt, mit dt. Namen versehen, vielfach ergänzt durch genaue Einzelbeschreibungen, von denen viele sich erstmals bei ihm finden, bes. in Zoologie und Botanik, wie es die Historiker dieser Wissenschaften lobend anerkennen. Die naturwissenschaftlichen Werke wurden nachweislich sofort nach Erscheinen und dann immer weiter benutzt, oft genug wörtlich, oder zusammengefaßt. Wenn auch dem von ihm betonten und betätigten experimentum noch nicht der ganze moderne epistemologische Kontext zu entnehmen ist, so lassen sich bei ihm, wie bei Roger Bacon, doch schon 'die Ansätze zur kommenden empirischen und experimen-

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tellen Naturforschung' (ÜIEPGEN) erkennen. Er hat anerkanntermaßen einen hervorragenden Beitrag zur wachsenden Bedeutung der Naturwissenschaften geleistet; deren Geschichte kann an seinen Werken nicht vorbeigehen. Trotz der Kraft seines Verstandes, seiner scharfen Beobachtungsgabe und streng kausalen Naturbetrachtung blieb er freilich, was die Einschätzung von Alchemie und Magie betrifft, ein Kind seiner Zeit. Er hielt sie für eine Fortsetzung der Naturwissenschaften, da er einfach alle Vorgänge im ganzen Bereich der Natur zu erklären suchte. Hier liegen Grenzen seiner Naturkenntnis, die seine tatsächlichen Leistungen in der exakten Naturbeobachtung indes nicht herabmindern. Allerdings wurde der Weg für neue Theorien erst später infolge des Ockhamismus frei, und zwar gerade durch dessen Kritik an den physikalischen und kosmologischen Aufstellungen des Aristoteles, auf die A. sich verlassen hatte. 4. Eine Schule hat er nicht zu bilden vermocht, obschon er über seine Schüler einen großen, freilich je anderen Einfluß ausgeübt hat. Innerhalb des Ordens wurde Thomas der maßgebende philosophische und theologische Lehrer, dessen Werke auch in Deutschland weiter als die A.s verbreitet waren; A. wirkte mehr außerhalb des Ordens in dt. Gelehrtenkreisen weiter. Im 15. Jh. war er mit Thomas und Duns Skotus Autorität der 'Via antiqua', innerhalb deren sich, bedingt durch bestimmte Lehrunterschiede, eine 'Schola Albertistarum' bildete, die jedoch dem Thomismus gegenüber scheitern mußte und nur die Bedeutung hatte, daß sie erneute Aufmerksamkeit auf A.s Schriften und auf seinen Kult lenkte. 5. In die Geschichte eingegangen ist A. als einziger Scholastiker mit dem in Ursprung und Bedeutung schwierigen Titel 'Magnus'. Die Bezeichnung 'Teutonicus' bezieht sich nur auf die Nationalität; Dante Alighieri nennt ihn in der 'Divina Commedia' (Par. 10, 98) Alberto di Colonia. Passend für ihn - wie schon für Alanus ab Insulis - ist der jüngere Titel 'Doctor universalis': ein universeller, aufgeschlossener Geist, mit einer Vielfalt von Gaben, Inter-

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Albertus Magnus

essen, Aufgaben, Tätigkeiten, Leistungen. Sein Ideal: In dulcedine societatis quaerere veritatem. So hat er sich, getreu dem kirchlichen Auftrag seines Ordens, um Kirche und Wissenschaft, um die Gesellschaft und die Menschen mit ganzer Kraft verdient gemacht. V. P s e u d e p i g r a p h a . 1. Bei der unmittelbaren und mittelbaren geschichtlichen Wirkung, die von seinem literarischen Lebenswerk ausging, ist die Feststellung nicht ohne Belang, daß die fälschlich unter seinem Namen gehenden Werke - wohl mehr als bei allen anderen Scholastikern — eine weitaus größere Verbreitung und insofern auch größere Wirkung erzielt haben als die echten. Vom 13. bis 15. Jh. ging das Werk 'De natura rerum' des Thomas v. Cantimpre, dem er selber in drei Werken manches entnommen hat, unter seinem Namen. Das 'Compendium theologicae veritatis' des -»Hugo Ripelin v. Straßburg, 'der verbreitetste scholastische Grundriß der Theologie'(GRABMANN), der freilich Gedankengut aus A.s Schriften enthält, trug in Hss. und in fast allen der 40 Druckausgaben seinen Namen, wurde mehrfach ins Dt. übersetzt und hatte nicht geringen Einfluß auf Werke der dt. Literatur. Auch des -»Johannes v. Kastl in zahllosen Hss. verbreitete Schrift 'De adhaerendo Deo' lief lange unter A.s Namen und galt als Ausweis für seinen Einfluß auf die dt. Mystik. 2. Weitere unechte Schriften: Der gedruckte Psalmen- und der ApokalypseKommentar; das Erbauungsbuch ->· 'Paradisus animae' (erste dt. Übers, um 1300, weitere, zumindest drei, folgten; s. W. FECHTER, Z. hsl. Überl. d. PS. albertinischen 'Paradisus animae' u. seiner Übers, ins Mhd., ZfdA 105 [1976] 66-87); die gedruckten Sonntags- und Heiligenpredigten; die gedruckten 32 Eucharistiepredigten, hsl. weit verbreitet; das sog. 'Mariale super Missus est' (67 Hss.), von unübersehbarem Einfluß bis 1952, und viele andere Mariologica; 'De alchimia'; -> 'De secretis mulierum', bis Anfang des 19. Jh.s in allen Kultursprachen mit und ohne seinen Namen gedruckt. 'De mirabilibus mundi', 'Experi-

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menta Alberti' (= 'Liber aggregationum sive secretorum de virtutibus herbarum, lapidum et animalium'); schließlich eine Reihe mathematischer Schriften. 3. Nicht sicher echt ist ein 'Tractatus de inquisitione haereticorum' (Sekte vom Freien Geist), nicht sicher unecht das gedruckte 'Speculum astronomiae', das der Astrologie im Abendland Jh.e hindurch die theoretische Rechtfertigung geliefert hat. 4. Noch umstritten sind: Die in weit über 100 Hss. überl. 'Summa naturalium' ('Philosophia pauperum') samt den damit in Verbindung stehenden kleinen Schriften, die mit wörtlichen Anklängen Gedankengut A.s mit sich führt und insofern seinen Einfluß zum Ausdruck bringt; sie geriet wohl durch Gleichnamigkeit des Verf.s Albert von Orlamünde unter seine Schriften; 'De muliere forti', eine allegorische Auslegung zu Prv31, 10-31 (22 Hss.), die auch einem Zeit- und Ordensgenossen A.s zugeschrieben wird; die große unvollendete Summa 'De mirabili scientia Dei' (2 Hss. des 14. Jh.s, alle übrigen aus dem 15. Jh.), die A. im letzten Jahrzehnt seines Lebens verfaßt haben soll; die gerühmte, aber kompilierte Meßerklärung ('Super Missam', 66 Hss., gedruckt) und der Kommuniontraktat ('De corpore Domini', 58 Hss.) (s. VI2): Beide Traktate soll A. ebenfalls am Ende seines Lebens verfaßt haben. Der Verf., wahrscheinlich kein Deutscher, wohl aber Schüler A.s, könnte das Werk aus Verehrung seines Meisters unter dessen Namen herausgegeben haben. 5. Hinter vielen falschen Zuschreibungen stehen neben Männern, die mit A.s Namen ihren Produkten den Weg auf den Büchermarkt bahnen, geschäftlichen Gewinn machen oder, bei gewagten und gefährlichen Stoffen, sich absichern wollten, auch andere, die zu seinem Schülerkreis, seiner Schule (Albertisten), seinem Orden gehörten, seine Landsleute (im engern Sinn) waren oder einfach seine Werke benutzt hatten und die 'gloria Alberti' fördern wollten. Zum anderen sollten diese Schriften wohl mehr als einmal nicht direkt als von A. verfaßt verstanden werden, vielmehr eher als Bekundungen seiner Wirkungsgeschichte. 'So beruht ein gut Teil der Berühmtheit, die Albert

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Albertus Magnus

in weiten Kreisen seit dem 15. Jh. zuteil geworden ist, auf dem ihm fälschlich beigelegten Schrifttum, das seiner wirklichen Bedeutung in keiner Weise entspricht' (GEYER). VI. Mhd. und m n d l . Ü b e r t r a g u n gen und B e a r b e i t u n g e n . P r e d i g t e n . Sprüche. 1. 'De animalibus libri XXVI'. a) Albert selbst gibt deutsche Namen und Bezeichnungen im Tierbuch an; s. Register der Ausgabe (s. o. III) u. H. BALSS, Albertus Magnus als Zoologe, 1928, S. 33—35. b) Werner -»Ernesti (i. J. 1404) und Heinrich ->Münsinger (um 1440; LINDNER, S. 76) übersetzten Teile aus 'De animalibus'. c)Ein im Jahr 1408 im Deutschordensland entstandener mhd. Traktat mit dem Titel 'Liber de cura equorum' hat nach BEDERKE als eine seiner Hauptquellen den 'Tractatus de equis' des Buches XXII Kap. 52-83 aus 'De animalibus libri XXVI' (S. 11). Allerdings vermutet G. KEIL, daß der 'Liber' nicht auf Albert den Großen, sondern auf dessen hippiatrische Quelle zurückgeht (Germanistik 5 [1964] 77, Rez. zu BEDERKE ; vgl. LINDNER, S. 39-42). d) 'De animalibus' hat über das MA hinaus fortgewirkt. Bedeutend ist die Übers, der Bücher XXII-XXVI durch Walter Ryff in seinem 'Thierbuch Alberi Magnis', 1545. Dazu kommen Teilbearbeitungen und -übers.n vom 18. bis zum 20. Jh (angeführt bei LINDNER, S. 124f.). e) Indirekte Einwirkung von A.s naturwissenschaftlichen Schriften über den 'Liber de natura rerum' des -»Thomas von Cantimpre läßt sich beim 'Buch der Natur' des -> Konrad von Megenberg feststellen (GRABMANN, S. 378). 2. Der Einfluß des eucharistischen Doppeltraktats 'Super missam' ('De sacrificio missae' [= sM] und 'De eucharistiae sacramento' [= CD]) auf die mhd. Literatur ist stets angenommen (GRABMANN, S. 330; STAMMLER, Prosa, Sp.919, 1070) und nunmehr von ILLING im einzelnen nachgewiesen worden. Es handelt sich in allen Fällen um Teilübersetzungen bzw. -bearbeitungen. a) Der -»Mönch von Heilsbronn übernimmt die Disposition und große Teile von

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CD (ILLING, S. 44-48). Die Fassung Ic des Eucharistietraktats —* Marquards von Lindau enthält eine gegenüber der 'Normalfassung' zusätzliche Meßerklärung, deren wichtigste Quelle sM ist. Daneben wird die Meßpredigt —»Bertholds von Regensburg benützt. Ob Marquard die erweiterte Fassung selbst geschaffen hat, läßt sich noch nicht sagen (S. 16-26). Auch Konrad —> Bömlin übernimmt in seiner Eucharistiepredigt 'Venite ad me omnes' einige Abschnitte aus CD (S.53f.). Der früher sehr hoch eingeschätzte Einfluß von Alberts Eucharistielehre (CD) auf die deutschen Mystiker (GRABMANN, S. 367ff.; K. BOECKL, D. Eucharistie-Lehre d. dt. Mystiker d. MAs, 1924) läßt sich mit quellenmäßiger Sicherheit nur an wenigen Stellen bei Meister Eckhart und Johannes —>· Tauler nachweisen (S. 48-52). Im ->· 'Beschlossen gart des rosenkrantz marie' sind große Teile von sM und CD angeführt (S.54f.). b) Eine anonyme Meßerklärung in der Hs. München, cgm 851, 83v-179r (der Anfang auch in cgm 89, S. [!] 100-149; 778, 32V; 839, 115v-116r; 4373, 202r) übernimmt jeweils aus sM die Hauptgedanken eines Abschnitts und führt diese dann selbständig weiter. Der Autor hat sM wohl deswegen als Quelle herangezogen, weil die Meßerklärung A.s bereits mystischen Geist atmet und die Konzeption von der eucharistischen Inkorporation der Gläubigen in Christus seiner Auffassung vom Meßopfer als dem Ort der mystischen Vereinigung der Seele mit Christus entgegenkommt (S. 26-29). c) In München, cgm 851 wird CD zweimal (190v/191r u. 199r) mit der Auffassung zitiert, daß die tägliche Kommunion eher schädlich als nützlich sei, weil sie zu bloßer Gewohnheit werde und nicht mehr aus Andacht geschehe (vgl. BORGNET, Bd. 38, S. 432). d) Der Verf. eines kurzen Traktats in der Hs. Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, cod. a III 9,13V-16V zitiert dreimal Stellen aus CD. Er will zum andächtigen Kommunionempfang anregen (S. 53). e) Eine umfangreiche Teilübersetzung von CD ist in zwei Fassungen überliefert. Fassung X: Wiesbaden, Hess. LB Nr. 238,113r bis 137r; München, cgm 486, -47 . Fassung : Salzburg,

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Albertus Magnus

Stiftsbibl. St. Peter, cod. a VII 35, 278r-288r (S. 31-44). Teilausgabe ILLING, S. 62-68.

Der Verf. betrachtet das Altarsakrament unter dem Aspekt der Gnade. Nach diesem Gesichtspunkt wählt er die entsprechenden Stellen aus den ersten vier Distinktionen von CD aus. Die Y-Fassung ergänzt diese etwas einseitige Auswahl durch die Hereinnahme von Teilen aus dist. V: eucharistia als sacrificium = oppfer. f). Die umfangreichste Übers, von sM und CD wurde vielleicht von einem Kartäuser der bei Straßburg gelegenen Kartause Marienbühl um 1380 geschaffen. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 90, lr-94r. A u s g a b e . ILLING, S. 131-236.

Der mhd. Traktat besteht zu drei Vierteln aus A.s Doppeltraktat. Zitate aus den eucharistischen Kapiteln des Sentenzenkommentars des Thomas von Aquin, dem 'Liber de corpore domini' des Paschasius Radbertus, eigene Betrachtungen des Verf.s zum Zustand der Kirche und zur Eucharistie und zwei längere Gebete ergänzen die Übersetzung. Das Werk verfolgt pastorale Zwecke, will vor allem Ordensleute, aber auch Laien zum würdigen Empfang des Altarssakraments anregen. Durch eine Theologie des Meßopfers und durch eine Darstellung der in ihm wirksamen Kräfte und Gnaden soll dies erreicht werden. Der sakramentale Empfang der Kommunion wird empfohlen. Rein theologische und naturwissenschaftliche Fragestellungen der Vorlage sowie Erörterungen in scholastischer Methode werden wegen dieser Zielsetzung ausgelassen. Die flüssig zu lesende Übers, in elsässischer Mundart orientiert sich im ganzen am lat. Text, bringt jedoch auch Umstellungen und Ergänzungen, wenn diese dem pastoralen Zweck dienlich sind. g) CD ist auch in mndl. Texten verarbeitet worden. - Der 'Vijf-gaven-tekst', unter dem Titel 'Vandem sacramente des Outars' Jan van —»Ruusbroec zugeschrieben (ed. Werken 4, S. 288-290), wird von A. AMPE aufgrund einiger Übereinstimmung mit CD als eine anonyme Glosse auf einen authentischen Albert-Text (S. 7) bezeichnet. Einfluß von CD, insbesondere die Eintei-

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lung, verrät auch der Traktat 'Vandem helighen eerweerdighen sacramente des lichaems ons liefs heeren ihesu cristi' in der Brüsseler Hs. 4407-08, 8r-76v (ILLING, S. 56 f.). 3. P r e d i g t e n . Eine Reihe von deutschen Predigten wird A. mit z.T. guten Gründen zugeschrieben. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n sind zusammengestellt bei MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S.60f. (T 65).

Die Echtheit dieser Predigten kann voll erst bestätigt werden, wenn das lat. Predigtwerk gedruckt vorliegt. Immerhin konnte J.B. SCHNEYER (Predigten A.s d. Gr. in d. Hs. Leipzig ÜB 683, AFP 34 [1964] 45-106, hier S. 48) bereits feststellen, daß die von PH. STRAUCH, Ndjb 37 (1911) 34-36 edierte Dreifaltigkeitspredigt 'Benedicamus patrem et filium cum sancto spiritu' große Ähnlichkeit mit einem acht Predigten umfassenden Zyklus mit gleichem Textwort in der Leipziger Hs. (259rb-280vb) aufweist. Daß A. viel mehr als überliefert in deutscher Sprache gepredigt hat, geht aus dem Zusatz in vulgari vor Dutzenden von lat. Predigten der Leipziger Sammlung hervor. Unwahrscheinlich ist die Identität der Prediger -> Albrecht der Lesemeister und Bruder -> Albrecht mit A. 4. S p r ü c h e . Dutzende von Aussprüchen und Lehren, ganze Spruchketten wurden A. zugeschrieben. Dialoge zwischen A. und Berthold von Regensburg, A. und Thomas von Aquin sind überliefert. Wieweit es sich dabei jeweils um authentische Albert-Dicta oder um bloße Zuschreibungen handelt, wird schwerlich zu klären sein. Ü b e r l i e f e r u n g , L i t e r a t u r u n d Ausg a b e n werden bei STAMMLER, S. 297ff. und im 'Nachlaß STAMMLER 21/9 u. 13, 18' angeführt. Literatur. 1. Bibliographien: ÜBERWEG/GEYER, Philosophie, S. 402, 739-742; M.-H. LAURENT/Y. CONGAR, Essai de bibliographie Albertinienne, Rev. Thomiste 36 (1931) 422-468; dass. erweitert durch TH. KÄPPF.LI, Bibliographia Albertina: Positio Causae S. Albcrti, Rom 1931, gekürzt aufgenommen u. ergänzt durch U. DÄHNERT, D. Erkenntnislehre d. A. Magnus (Stud. u. Bibliographien z. Gegenwartsphilosophie 4), 1934, S. 219-277; A. WALZ/A. PELZER, Bibliographia S. AI-

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Albert von Oberaltaich

berti Magni indagatoris rerum naturalium, Angelicum 21 (1944) 13-40; F. J. CATANIA, A Bibliography of St. Albert the Great, The Modern Schoolman 37 (1959/ 60) 11-28 (1931-1958); M. SCHOOYANS, Bibliographie philosophique de saint Albert le Grand, Sao Paulo 1961 (1931-1960); W. TOTOK, Hdb. d. Gesch. d. Philosophie II, 1973, S. 362-376; SCHNEYER, Rep. I 92-123; Ed. Coloniensis, Operum omnium editorum et edendorum Conspectus, zuletzt 27/1 (1975). 2. Leben und Werk: P. DE LOE, De vita et scriptis B. Alberti Magni, Anal. Boll. 19 (1900) 257-284; 20 (1901) 273-316; 21 (1902) 361-371; F. PELSTER, Krit. Stud. z. Leben u. z. d. Schriften A.s d. Gr. {Erg.hefte z. d. Stimmen d. Zeit, 2. Reihe: Forschungen 4. Heft), 1920; H. C. SCHEEBEN, A.d.Gr.,Z. Chronologie seines Lebens (Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Dominikanerordens in Deutschland 27), 1931; G. MEERSSEMAN, Introductio in opera omnia B. Alberti Magni O.P., 1931; H. C. SCHEEBEN, Albertus Magnus, 1932 (21955); M. VILLER, Diet. Spir. I 277-283; H. OSTLENDER (Hg.), Studia Albertina, Fs. f. B. Geyer z. 70. Geburtstage (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie u. Theologie d. MAs, Supplementband IV), 1952; B. GEYER, Albertus Magnus, Die Großen Deutschen I, 21956, S. 201-216; G. SCHWAIGER, D. hl. Albertus Magnus, Bavaria Sancta 1,1970, S. 272-284; J. PIEPER, Albertus Magnus, in: Die Großen d. Weltgesch., Bd. 3, 1973, S. 636-649. 3. Wirkung: M. GRABMANN, D. Einfluß A.s d. Gr. auf d. mal. Geistesleben, in: Mal. Geistesleben II, 1936, S. 324-^12; W. STAMMLER, A.d.Gr. u. d. dt. Volksfrömmigkeit d. MAs, Freiburger Zs. f. Philosophie u. Theologie 3 (1956) 287-319; RUH, Bonav. dt., S. 36; K. LINDNER, Von Falken, Hunden u. Pferden. Dt. Albertus-Magnus-Übers.n aus d. ersten H. d. 15. Jh.s, 2 Teile 1962; O. BEDERKE, Liber de cura equorum, Tierarzt!. Diss. Hannover 1962; A. d. Gr., Lexikon d. christl. Ikonographie 5, 1973, Sp. 71-73; G. STEER, German. Scholastikforschung, Theol. u. Philos. 45 (1970) 217f.; K. ILLING, A.s d. Gr. 'Super missam'-Traktat in mhd. Übertragungen (MTU 53), 1975.

ALBERT FRIES (I-V)/KuRT ILLING (VI) Albert von Metz -» Adalbertus Levita Albert von Oberaltaich A. ist literarisch hervorgetreten allein durch die Vita des als selig verehrten Albert von Haigerloch (1239-1310), die er zwischen 1344 und 1346 als Prior der Benediktinerabtei Oberaltaich verfaßte. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 14673, 47r-57r, Autograph, aus St. Emmeram ( — A); München, clm 9804, 263r-269v, v. J. 1455, aus Oberaltaich (-= B);

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Melk, Stiftsbibl., cod. 758, 297r-312v, 1. H. 17. Jh. (= C); München, cgm Hoekeriana I 88, Abschrift des Oberaltaicher Klostergeschichtsschreibers Johannes Plüemcl (1564-1625) als Teil seines 'Chronicon' ( = Pl). Analysed. Überl. bei STURM,S. 11-14.

Die 4 Hss. bieten verschiedene Redaktionen der Vita. In der Plüemelschen Abschrift ist offenbar ihre knapper gefaßte älteste Gestalt vertreten, die den Charakter einer 'kirchlichen Legende' (STURM, S. 13) hat. A, B und C repräsentieren eine Fassung, die in der Art ihrer Erweiterungen (s. u. 2) zur literarischen Biographie tendiert. Die Vita ist also in einer Doppelfassung erschienen. Dabei stellt das Autograph A (und mit ihm C) gegenüber der Hs. B, die in ihren Lesarten näher zu Pl steht, nochmals eine Überarbeitung dar. Deren Anlaß läßt der in A und C vorangehende Widmungsbrief an den St. Emmeramer Gustos Gebhard Schirlinger erkennen: Dieser hatte im Namen seiner Mitbrüder um eine Vita des auch in St. Emmeram im Rufe der Heiligkeit stehenden Albert gebeten; die Neuschrift gab Gelegenheit zur Überprüfung und Ergänzung des vorhandenen Textes. A u s g a b e n . PEZ, Thes. I 3, S. 535-554 (nach C, mit den Lesarten von A; zit.); M. HUEFNAGL, Der Benannte, Noch nit Erkannte dreymal Weiße, das ist ... Leben ... des seligen Alberti Gebohrnen Grafens von Haigerloch ..., Straubing 1699 (nach Pl); A. HEMMAUER, Historischer Entwurff der Obern Alten Aich, Straubing 1731, S. 585-603.

2. A. verfaßte die Vita seines Oberaltaicher Ordensbruders, die er in Lebensgeschichte (c. 1-22) und Mirakelbuch (c. 23-34) gliederte, ausschließlich nach Berichten von Zeitgenossen, stützte sich vor allem auf Hartwig, den langjährigen letzten Beichtiger Alberts. Er zeichnet freilich ein Ideal, das in allen seinen Einzelzügen dem Ziel der Erbauung verpflichtet ist. Sein Interesse gilt dem Bild eines von asketischer Zucht und mystischer Religiosität geprägten Mannes, der ein Leben beständiger, oft visionär gesteigerter Gebetszwiesprache mit Gott führte und doch, wiewohl ein Einsiedler inmitten der Klostergemeinschaft (S. 541: solique Deo vivere cupiens et placere, solitariam in Congregatione duxit vitam), stets wichtige Ämter bis hin zum Priorat versah, gleichzeitig vorbildlich als

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Albert von Siegburg - Albertus (socius intimus)

Pfarrer und im Dienst an den Leprosen tätig. Von der Fürsorge für die Sondersiechen spricht nachdrücklich erst die zweite Fassung der Vita, weist nachdrücklicher auch auf Alberts ungezügelte Jugend vor dem Eintritt ins Kloster hin, betont vor allem seinen Eifer als Abschreiber, Korrektor, Glossator (c.7). Er kann als Begründer der Oberaltaicher Schreiberschule gelten, die nach seiner Zeit zu ihrer Blüte kam. L i t e r a t u r . A. STURM, A. v. O., 4. Jahresber. d. Bayer. Benediktiner-Akademie, 1926, S. 10-28; R. BAUERREISS, Kirchengesch. Bayerns, Bd. 4, 1953, S. 177 f. F.J.WORSTBROCK

Albertus von Osnabrück -> 'Ave praeclara maris stella' (deutsch) Albert von Siegburg Der Verf. eines nicht umfangreichen lat., mit mhd. Vokabular durchsetzten Glossars gibt sich im Prolog zu erkennen: Ego namque albertus utinam ultimus monackorum sancti Michaelis, was durch die Überschrift von gleicher Hand in der ältesten Hs. (Leiden, ÜB, BPL 191 E, aus Hardehausen OCist. Ende d. 12.Jh.s) bestätigt und ergänzt wird: Prologus alberti monachi Sigebergensis. Dieser Albert (Terminus a quo: Gründung von Siegburg 1064) wurde mehrfach mit einem anderen Siegburger Mönch Albert zusammengeworfen, der um 1461 eine öfters zitierte Chronik der Päpste und röm. Kaiser verfaßte. LEHMANN und MORIN stellten 1910 in Zusammenarbeit dies richtigÜ b e r l i e f e r u n g . 9 Hss. d. 12-15.Jh.s nach STEGMÜLLER, der ein ähnliches Glossar hinzuzieht (Innsbruck, ÜB, cod. 209). Ausg. des Prologs bei MORIN. Die Chronik des späteren Albert ist in nur einer Hs. erhalten (Wien, cod. 3409).

Das ungünstige Urteil MORINS, das Werk sei 'mal fondu' und 'charge d'additions indigestes', bezieht sich wohl nur auf den lat. Teil, für den Albert als Quellen angibt: Hieronymus, Isidor, Beda und andere libri idonei, während MORIN den 'Liber hermeneumatum' der Karolingerzeit (Rev. Ben. 14 [1896] 66-71) als direkte Quelle vermutet. Etwa 70 Wörter sind mhd. glossiert und

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etwa 25 zusätzlich mhd. übersetzt (Leidener Hs.; ein Vergleich der Hss. liegt u. W. noch nicht vor). Ein bisher übersehenes Priscian-Zitat im Prolog: moderni quasi perspicaciores quia iuniores (aus der Widmungsvorrede der 'Institutio grammatica') weist auf Johannes von Afflighem (Jean Cotton), De musica c. 5 (um 1100; vgl. H. SILVESTRE, Recueil commemoratif du Xe anniversaire de la faculte de Philosophie et Lettres Lovanium de Kinshasa 167, S. 235). Der Sprache nach, urteilt MORIN mit Zustimmung LEHMANNS, ist das Werk von der 'Renaissance' des 12. Jh.s noch nicht berührt. Literatur.Ahd.Gll.1V476,485f.,592;G. MORIN, Le glossaire biblique du moine A. de S. [ergänzt durch briefl. Zustimmung P. LEHMANNS], Rev. Ben. 27 (1910) 117-121; P. LEHMANN, Encore A. de S., Rev. Ben. 27 (1910) 235f.; STEGMÜLLER, Rep. 11 Nr. 1066-1079; E. WISPLINGHOFF, D. Benediktinerabtei Siegburg (Germania sacra, NF 9), 1975, S. 112.

RHABAN HAACKE Albertus (socius intimus) Eine Hs. des Schloßarchivs Dornsberg (Tarantsberg) bei Naturns im Vintschgau (Papier, Schmalfolio, bair.; verschollen) enthielt vier Strophen über Maria im Langen Ton des —> Marner (Hand A) und eine Minneliedstrophe (Heinrich ->· Frauenlob, I 5; Hand B). Der Schlußvermerk Diu lange weis des Frawenlobes (!) Alb(ertus) socius inttimus dixit sub m°. ccc°. . die Pancratii (Hand A) bezieht sich wohl auf die Marienstrophen. Vermehrt und in anderer Folge stehen dieseStrr. auch in der -> 'Heidelberger Lhs. cpg 350' (Anhang R; HMS II 246-248), der -> 'Kolmarer Lhs.' (München, cgm 4997, BARTSCH, Meisterlieder, S. 45f., Nr. 479.480. 503) und in München, cgm 5198 (Teilabdr.: I.V. ZINGERLE, Ber. über d. Wiltener Meistersänger-Hs., 1861, S.58 = WSB37, 1861,5.386).

Str.2 der Dornsberger Hs. gehört dem Marner (XV1); die übrigen - der Form nach jünger, mit Anklängen an Frauenlobs Marienleich und md. Färbung der Reime (STRAUCH) - könnten allenfalls von dem (als Autor?) genannten A. stammen. Es wäre, wenn die Jahresangabe 1322 stimmt, der wohl früheste Beleg für die Ergänzung

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Albert von Stade

von Einzelstrophen eines Spruchtons zu Baren durch (gewöhnlich anonyme) Zudichtungen. L i t e r a t u r . L. SCHÖNACH, Marienleiched. Albertus socius inttimus, Zs. d. Ferdmandeums, 3. Folge 47 (1903) 284-289 (mit Abdr.}; PH.. STRAUCH (Hg.), D. Marner (QF 14), 1876 (Nachdr. 1965), S. 75f.; H. THOMAS, Unters, z. Überl. d. Spruchdicht. Frauenlobs (Palaestra 217), 1939, S. 99; J. WEINGARTNER/O. TRAPP, Tiroler Burgen, 1971, S. 48.

GISELA KORNRUMPF Albert von Stade I. Leben. Die Quellen zur Biographie (zuletzt FIEHN I 536-547) fließen spärlich, sind auch in den Aussagen nicht eindeutig. Besonderes Gewicht haben daher A.s Selbstzeugnisse, vor allem die eingehende Schilderung der Umstände seines Rücktritts als Abt ('Chronica', zum Jahr 1240).

Vor seiner Wahl 1232 zum Abt des Benediktinerklosters St. Marien bei Stade war A. dort schon Prior. Über Geburt, Herkunft, Klostereintritt, Studium (zum Magistertitel s.u. III 4) ist nichts bekannt. Wohl noch vor Ende des 12.Jh.s in Norddeutschland geboren, trat er vermutlich schon früh in nähere Beziehung zum Bremer Erzbischof; die Art, in der er Politik und Kämpfe der Weifen um die Grafschaft Stade darstellt ('Chronica', zu 1144-1236), bekundet deutlich seine Sympathie für die Belange des Erzbistums. Auffällig sind die genauen Nachrichten über den bis 1201 als Leiter der Domschule in Bremen bezeugten scolasticus Heinrich, so daß A. wohl unter ihm die Schule besucht hat. Im Troilus' (VI 681 bis 686) und in der 'Quadriga' (s.u. III 2) preist A. überschwenglich die Abtei Rosenfeld (Harsefelde), wahrscheinlich aus Dank für Aufnahme und Erziehung, die ihm dort gewährt wurden. LAPPENBERG (MGH SS XVI 271) und FIEHN (I 537f.) möchten A. für die Zeit vor 1232 mit zwei urkundlich bezeugten, ihrerseits als identisch postulierten Personen seines Namens gleichsetzen; aber der magister Albertus canonicus Bremensis (bezeugt 1224,1231-35 Scholastikus der Domschule), der magister Albertus de Kamesloh (1217 und 1232 dort praepositus) und A. haben i. J. 1232 jeder ein anderes Amt inne; Kloster Ramesloh wird überdies in der 'Chronica' mit keinem Wort erwähnt.

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Abt A. übernahm sein Amt zu einem Zeitpunkt des Unfriedens und gestörter Disziplin im Marienkloster. Sein Ziel war daher die Reform der Abtei, u.U. sogar durch Einführung der Zisterzienserregel. Trotz der von A. 1236/37 persönlich in Rom eingeholten Zustimmung des Papstes zur geplanten Reform versagte ihr der Bremer Erzbischof Gerhard II. die Unterstützung, so daß A. 1240 schließlich sein Amt niederlegte und in das Stader Minoritenkloster eintrat. Der Grund für die mangelnde Unterstützung durch Gerhard II. liegt offensichtlich darin, daß die Abtei für einen Verwandten des Erzbischofs frei werden sollte (vgl. 'Chron. Rastedense', MGH SS XVI 374). Diese Politik macht die heftige Reaktion A.s verständlich, die in der abwertenden Bezeichnung monachus de Rarstede für den Nachfolger Thidericus noch nachklingt. Im Grunde jedoch fehlte A. wohl das für die Reform notwendige Durchsetzungsvermögen. Er war mehr ein Mann der Schrift als des Wortes (s. u. II).

Bei den Stader Franziskanern konnte A. ungestört seinen literarischen Neigungen nachgehen. Dem Marienkloster blieb er trotz seines Scheiterns in der Reform freundschaftlich verbunden, lobte ausdrücklich das erfolgreiche Wirken des Abtes Thidericus ('Troilus' VI 677-92; 'Chronica', zu 1243 u. 1255). Eine in Hamburg am 1.6.1250 ausgestellte Urkunde nennt A. zum letztenmal als Zeugen. Die 'Chronica' bricht mit dem Jahr 1256 ab; der Katalog der Päpste schließt mit dem 1255 gewählten Alexander IV. (MGH SS XVI 300: der letzte Eintrag Urbanus IV ist nicht original), der der Bremer Erzbischöfe mit Gerhard II., jedesmal ohne Pontifikatsjahre. Demnach ist A. an einem 9. Febr. nach 1256, wahrscheinlich vor seinem Erzbischof (f 1258), gewiß vor Papst Alexander (f 1261) gestorben. II. C h r o n o l o g i e . Der Bibl.Katalog des Stiftes Bordesholm von 1488 (Kiel, ÜB, cod. Bord. 1) führt an 3 Stellen als Werke A.s auf: Troilus', 'Auriga', 'Chronica', 'Raymundus'. Dazu kommen die von zwei Autoren unabhängig benutzte 'Quadriga' (s.u. III 2) und eine erweiterte Fassung der 'Expositio in Apocalypsim' des -»Alexander Minorita (s. u. III3). Die 'Chronica' entstand zwischen 1240 (Prolog) und 1256 (letzter Jahres-

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Bericht), das Troja-Epos 'Troilus' 1249, die Bearbeitung der 'Expositio' nach 1250. Die übrigen Werke sind früher geschrieben. Im Troilus' (II123 f.) wird bereits auf die Verswerke 'Raimundus' und 'Quadriga' verwiesen, über die 'Quadriga' implizit auch auf den ihr zugeordneten prosaischen 'Auriga' (s.u. III2). Die Verse in den 'Annales Hamburgenses' (zeitgenössisch, abhängig von A.s 'Chronica' zum Jahr 1238 (MGHSS XVI383): Tres, übt crescit olus nee erant tune sydera, solus/Abbas Albertus posuit radiantia quercus treffen zweifellos auf A. und die damalige Lage im Marienkloster von Stade zu: A. setzte drei Eichen (symbolisch, s. Art. 'Eiche', Reallexikon f. Antike u. Christentum IV 757 u. 761 f.) als strahlende Zeugen seines Widerstandes gegen den Verfall der äußeren Disziplin und geistigen Zucht (FiEHN I 543 f.) - d. h. doch, er kämpfte mit der Feder und schrieb damals drei Werke zur Belehrung der Mönche ('Raimundus', 'Auriga', 'Quadriga'). III. Werke. 1. ' R a i m u n d u s ' Nach eigenem Zeugnis ('Troilus' II 123) versifizierte A. die um 1235 in Rom veröffentlichte 'Summa de casibus poenitentiae' des Raymundus von Penyafort (vgl. S. KUTTNER, ZRG kanonist. Abt. 39 [1953] 419-434), die er offenbar bei seinem Aufenthalt in Rom 1236/37 kennengelernt hatte. Damit eröffnete er, vor Magister ->· Adam, die Reihe der metrischen Bearbeitungen des bedeutenden kanonistischen Lehrbuchs. Die bisher einzige, nur aus dem Bordesholmer Bibl.katalog von 1488 bekannte Hs. des 'Raimundus' ist verloren; doch könnte die Musterung der Hss. aller mal. Verifikationen der 'Summa' erfolgreich sein. 2. ' A u r i g a ' und ' Q u a d r i g a ' 'Auriga' und 'Quadriga', beide ebenfalls verloren, sind zwei zu den Evangelien verfaßte Werke. LAPPENBERG (MGH SS XVI 272) freilich hielt den Titel Auriga des nur im Bordesholmer Katalog bezeugten Werks für einen Schreiberirrtum, setzte es mit der 'Quadriga' gleich als einer metrischen Paraphrase der 4 Evangelien. Auch FIEHN

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(I 550-555) sah hinter den beiden Titeln nur ein einziges Werk; er betrachtete den 'Auriga' als eine Art Realkonkordanz in Versen, Quadriga nur als Quellenhinweis, höchstens Untertitel. Einigkeit bestand darin, daß die im ca. 1575 verfaßten 'Chronicon monasterii Rosenfeldensis seu Hassefeldensis' (J.VoGT, Mon. inedita rer. German, praecipue Bremensium I 2, 1741, ^.136f.) erhaltenen 18 Hexameter nach Thema, Versbau, Stil, wörtlichen Anklängen A. gehören (FIEHN I 539ff.). Die Zeugnisse von Überlieferung und Autor besagen: Der 'Auriga' war nach der Art des Eintrags im Bordesholmer Katalog eine Schrift zu den Evangelien (continens concordantias evangeliorum) in Prosa; der zuverlässige Verf. des Katalogs hätte wie beim 'Raimundus' (Summa Raymundi metrica) eine metrische Konkordanz von anderen in der Bibliothek unterschieden. Nach den Angaben des Harsefelder Chronisten (in quodam metrico libro, qui dicitur Quadriga continet enim quatuor evangelia) und des Prager Magisters Heinrich Honover (Ende 14.Jh., geb. Sachse; sein 'Magisterium Christi in 7 artibus' enthält 2 längere Zitate über Grammatik und Astronomie von zus. etwa 100 Versen [Prag, Burgarchiv, cod. Metrop. Kap. 0.38, f. 10r-llr u. 35V] aus Quadriga libro videlicet metrice continente quattuor ewangelia bzw. Quadriga ewangelistarum) war die 'Quadriga' eine metrische Bearbeitung der Evangelien; ihr Titel bezog sich auf den Inhalt. Titel und Umfang der Dichtung sind so schon durch A. selbst bezeugt ('Troilus' II124). Das Prosawerk 'Auriga' und die Versparaphrase 'Quadriga' sind demnach als zwei eigenständige Werke auseinanderzuhalten, allerdings, schon nach der Metaphorik der Titel, auch deutlich aufeinander zu beziehen. Der 'Auriga' war keine Real- oder Verbalkonkordanz im modernen Sinne (Frühformen um 1250, aber stets auf der gesamten Bibel basierend; vgl. LThK II 360-363), sondern eine Evangelienharmonie traditioneller Art, in der A. inhaltsgleiche Passagen aus den 4 Evangelien synoptisch zu einem 'Leitfaden' zusammenstellte, vielleicht sogar mit Auslegungen versah. Synopse der Evangelien ist auch für die 'Qua-

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driga' notwendig vorauszusetzen, verdichtet zu einer Gesamtdarstellung von Jesu Leben und Lehre, die A. in Verse goß und, wohl ähnlich wie Juvencus, in 4 Bücher gliederte. Lehrbuch (als 'Vorarbeit') und Epos behandelten also denselben Stoff, nur in unterschiedlicher Form und Zielsetzung. 3. ' C h r o n i c a ' ('Annales Stadenses') Ü b e r l i e f e r u n g . Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 466, 1. H. 14. Jh., lra-166™, mit dem Titel Chronica Alberti abbatis Stadensis. Die Hs. aus d. Bibl. Heinrichs von Rantzau (f 1598), die REINECcius 1587 für den Druck benutzte, ist verloren; sie ist wahrscheinlich mit der im Bordeshotmer Bibl.katalog von 1488 bezeugten Hs. identisch. A u s g a ben. Erste u. vollst. Ausg. v. R. REINECCIUS, Chronica Alberti Stadensis, Helmstedt 1587 (Nachdrucke s. MGH SS XVL 283), ohne Angabe der Änderungen gegenüber d. Hs.; Ausg. d. selbständigen Teile d. 'Chronica', das übrige als Regest: J. M. LAPPENBERG, Annales Stadenses, MGH SS XVI 271-379 (im ganzen zuverlässig, zit.). LAPPENBERGS Prolegomena: Arch. d. Ges. f. ältere dt. Geschichtskunde 6 (1838) 326-356. Dt. Übers, nach LAPPENBERGS Ausg. v. F. WÄCHTER (GdV, 2. Ausg., Bd. 72), 1896.

A.s 'Chronica' ist höchstwahrscheinlich nach 1240 entstanden, denn in der Zeit des Kampfes für Zucht und Moral konnte er seine Mönche kaum zur Mitarbeit heranziehen, war auch selbst mit der Abfassung drei anderer Werke befaßt (s.o. II). WEILAND und FIEHN (I) plädieren für eine Abfassung der 'Chronica' in den Jahren 1232 bis 1240 und werten die über 1240 hinausführenden Nachrichten als Zusätze. Nun macht der pessimistisch getönte Prolog, geschrieben Ende 1240 nach A.s Rücktritt als Abt, deutlich die damalige Situation des Verf.s spürbar, und so dürften die futurische Aussage usque ad nostra tempora procedemus und die Aufforderungen an sich selbst ad propositum redeamus bzw. accedamus wörtlich zu nehmen sein: A. möchte seine Resignation durch die Arbeit an der 'Chronica' überwinden und gleichzeitig Leser und Hörer belehren, damit sie de bonorum bonitate proficiant et de malorum malitia cauti fiant. So fügte er Jahr an Jahr bis 1256, ohne dem Werk einen klaren Schluß zu geben. Nach der Überl. und A.s Aussage (Pro-

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log) heißt das Geschichtswerk 'Chronica' (der Name 'Annales Stadenses' ist nicht bezeugt). Der Titel entspricht dem Inhalt wie der Gattung. A. stellt die Geschichte von der Schöpfung bis Christi Geburt in 5 Weltalter gegliedert, synoptisch und mit komputistischen Berechnungen dar, das 6. Weltalter bis zu seiner Gegenwart dann in der Form des Jahresberichts. Durch die Abhängigkeit von den Quellen (Beda, -»Ekke'hard v. Aura, -»Adam v. Bremen, -»Helmold v. Bosau u.a.), aber auch durch die bewußt straffe Erzählweise gerät das Werk zunächst recht trocken und lehrbuchhaft. Erst bei Annäherung an seine Zeit (ab 1150) wird A. selbständig, bietet, besonders aus dem nördlichen Deutschland von Flandern bis zum Baltikum, wertvolle Nachrichten und läßt der Freude des Berichtens und Erzählens freieren Lauf. Er fügt Urkunden, Briefe, Kataloge (z.B. Papstkatalog nach dem 'Liber pontificalis' und Gilberts 'Chronica pontificum' von 1226) ein, zum Jahr 1152 einen umfangreichen Exkurs über —> Hildegard von Bingen (Quelle: Disibodenberger Annalen oder Alberich v. Troisfontaines) und einen dreiteiligen in der Form eines fiktiven Dialogs zwischen zwei iuvenes litteraü curiales et curiosi, Firri et Tyrri (mathematische und genealogische Denkspiele, [A.s?] Itinerar nach Rom mit genauen Daten, Geographie des hl. Landes). Sagen, Anekdoten aus eigenem und fremdem Erleben, auch kurze Verseinlagen lockern die Jahresberichte auf. Manche Nachrichten konnte A. von durchreisenden Franziskanern erhalten, aber auch von Stader Mitbrüdern, die ihm offensichtlich bei der Sammlung des Materials geholfen haben. Die Darstellung wird durch solche Zutaten bunt und lebhaft, ohne jedoch auszuufern (ausgenommen die Exkurse zu 1152), bleibt präzis und konzentriert, wahrt also den Charakter der traditionellen Weltchronik, auch wenn sich Elemente späterer 'Franziskaner'-Chronistik bereits ankündigen. A.s 'Chronica' hat zeitgenössische und spätere Geschichtswerke beeinflußt und auch eine Fortsetzung in den sog. 'Annales Lubicenses' erhalten (WRIEDT, S.566f.). Ob es, wie WEILAND (S. 168) will, eine um-

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fangreichere Fassung der Chronik gegeben hat, weil z. B. die 'Annales Hamburgenses' mehr lokale Nachrichten über Stade bieten, bleibt unsicher. Auch die Bearbeitung der 'Expositio in Apocalypsim' des Alexander Minorita gibt keinen zwingenden Hinweis. A. hat dieses Werk in der letzten Fassung von 1250 kennengelernt und unter dem Namen seines Zeitgenossen zitiert ('Chronica', zu 1250). Deshalb ist die um alternative Auslegungen, Exkurse zur Benediktiner- u. Zisterzienserregel, vor allem historische Faktoren und Erzählungen aus der Weltchronik erweiterte Redaktion der 'Expositio' (Cambridge, ÜB, cod. Mm. V. 31) höchstwahrscheinlich von A. verfaßt; auch die Übereinstimmung in Ausdrucksweise, Stil und Dichterzitaten läßt kaum Zeifel zu

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lage aber sonst so nahe, daß er weder den Helden- noch den Schiffskatalog (II31-114, 153-206) ausließ und bei der Zählung der Gefallenen (VI 707-16) sogar den Additionsfehler übernahm (anders FIEHN I 559). Weitere antike Quellen zog er dann heran, wenn sich der Stoff in den vorgegebenen Handlungsablauf zwanglos einfügen ließ (Ovids 'Heroides' für die Argonautensage sowie für Paris und Helena; 'Ilias latina' für die Zweikämpfe zwischen Hektor und Ajax, Menelaus und Paris, Hektor und Achill; —»Vergils 'Aeneis' für die Eroberung Trojas). Nur einmal hat er die Fesseln der Vorlage zu einem Exkurs abgestreift (IV 631-V 184; vgl. FIEHN II 45-59): Penthesileas Schönheit und Schmuck beschreibt er in einer großen descriptio unter Benutzung Galfrids von (WACHTEL, S.XXVI-XXX). Vinsauf und Marbods von Rennes (Stein4.'Troilus'. buch), Herkunft und Geschichte der Amazonen nach Orosius, dann die historischen Ü b e r l i e f e r u n g . Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-BibL, r r und allegorischen Szenen auf den Gobelins cod. Gud. lat. 278, Ende 13. Jh., 81 -160 . der Königshalle von Troja, zuletzt das A u s g a b e . TH. MERZDORF, Troilus Alberti StaPlanetenu. Tierkreissystem. Zum dritten densis, 1875 (sehr mangelhaft, zit.). Dazu: R. PEIPER, aber übernahm A., entsprechend seiner beJenaer Lit. Ztg. 2 (1875) 547-550; H.DUNGER, Jbb. f. class. Phil. 113 (1876) 649-656; M.MANITIUS, Lit. trächtlichen Belesenheit, ganze oder halbe Zentralbl. (1875) 1249f.;ders.,RF4 (1891) 423ff.; W.B. Verse aus —> Alanus ab Insulis, —> Nivard SEDGWICK, Archivum latinitatis medii aevi 5 (1930) von Gent, Walther von Chätillon, Gualterus 223 ff. u. 6(1931) 176 f. Anglicus ('Novus Avianus'), früheren TroAuf den Stoff des Troilus', die Ge- jadichtungen u.a. (vgl. MANITIUS, LG III schichte des trojanischen Krieges, war A. Reg. s.v. A.v.St.; STOHLMANN, S. 150-198) durch die Arbeit an der 'Chronica' auf- oder paßte sie mit geringen Änderungen merksam geworden. Das in Distichen ver- dem Zusammenhang ein. Dies Verfahren faßte, in 6 Bücher mit insgesamt 5320 Ver- hat ihm den Ruf eines Freibeuters, dem sen (die Hs. hat nur 5314; es kommen hinzu Epos den eines Cento eingebracht, mit das Proömium mit 36, Argumenta zu den zweifelhaftem Recht, solange Art und einzelnen Büchern mit jeweils 10 Hexa- Weise der Verarbeitung des Entlehnten metern) gegliederte Epos entstand 1249 nicht untersucht sind. innerhalb von 6 Monaten (VI671 ff., 693 ff., Die ein wenig schulmeisterliche Ausstat737ff.). A. ist stolz auf diese Leistung, auch tung des Epos mit Argumenta, Accessus wenn er noch manches verbessern mußte. (nach Aufbau und Einzelheiten vermutlich Seine Dichtung ist eine Arbeit der Gelehr- von A. selbst) und doppeltem Vorwort (Proömium u. I 1-6) verrät einen Magister, samkeit und des Fleißes. Hauptquelle ist eine um einen Dictys- obwohl nur die Troilus'-Hs. A. diesen Auszug (Schicksale der griech. Sieger) am Titel zulegt. Lehrerhaft muten auch die BeEnde erweiterte Fassung der 'Historia de gründungen für Titel und Versmaß an excidio Troiae' des Dares Phrygius, die der (Proömium 18-36), die Informationen über in der St. Galler Hs. 197 erhaltenen nahe- die Gründung Trojas und die Entstehung steht. A. lockerte den Handlungsablauf des 'Troilus', die Anklagen gegen Helena, durch zahlreiche Reden auf, variierte bei Paris und die Verräter der Stadt (z.B. VI den Kampfschilderungen, folgte der Vor- 285-334). Die erklärten Ziele des Dichters

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A. sind moralische Belehrung (VI 861 76 Troja als Beispiel) und Ansporn zu christlichem Lebenswandel (VI367-388): compescere pravos l et servare Dei vult in amore bonos; dazu hat er mit Gottes Hilfe das Epos geschrieben. Erfolg beim Publikum war dem Troilus' nicht beschieden, obwohl A. ihm eine metrisch gewandte und durch reichen Gebrauch der colores kunstvolle Gestalt gab. Für einen antiken Stoff im antikischen Gewand war um 1250 die Zeit vorüber. L i t e r a t u r . Bibliographie: Rep. font. II 175, T. ECKHARD, Vita Alberti Stadensis abbatis, Goslar 1726; J. H. LAPPENBERG, Über d. Catalogus pontificum in A. v. St.s Chronik, Arch. d. Ges. f. alt. dt. Gesch.künde 6 (1838) 741-750; L. WEILAND, Z. Quellenkritik d. Sachsenchron. (Forsch.n z. dt. Gesch. 13), 1873, S. 157-198;.K. FIEHN (I), Albertus Stadensis, Hist. Vjs. 26 (1931) 536-572; E. SCHRÖDER, Firri u. Tyrri, NA 49 (1932) 550-552; FIEHN (II), D. Gesch. d. Marienklöster Harsefelde u. Stade, Hist. Vjs. 30 (1935) 233-304; E. CERULLI, Una tradizione medievale sulle origini di Venezia e le sue fond oriental!, Riv. degli Studi Orientali 24 (1949) 145-160; A.WACHTEL, Alexander Minorita, Expositio in Apocalypsim (MGH Quellen z. Geistesgesch. 1), 1955; H. KRÜGER, D. Stader Itinerar d. Abtes A. aus d. Zeit um 1250, Stader Jb. 1956/1958, S. 71-212; K. WRIEDT, D. Annales Lubicenses u. ihre Stellung in d. Lübecker Geschichtsschreibung d. 14.Jh.s, DA 22 (1966) 556-589; WATTENBACH/ SCHMALE, Geschichtsquellen I 423-427. Zum Troilus': E. VOIGT, Ysengrimus, 1884, S. XV; W. GREIF, Die mal. Bearbeitung d. Trojanersage, 1886, S. 140-147; H. CHRISTENSEN, D. Alexanderlied Walthers v. Chatillon, 1905, S. 166-168; FIEHN (III), Z. Troilus A.s v. St., Ehrengabc f. K. Strecker, 1931, S. 45-59; W. B. SEDGWICK, Pergama flere volo, Spec, 8 (1933) 81f.; J. STOHLMANN, Anonymi Historia Troyana Daretis Frigii (Beih. z. Mlat. Jb. 1), 1968, S. 151, 188-194,261; M. WESCHE, Untersuchungen zu A. v. St. (Diss. München 1977).

JÜRGEN STOHLMANN Albert von Straßburg -> Matthias von Neuenburg Albert von Tegernsee -»· Albert von Dießen Albertanus von Brescia 1. A.v.B. (A. Brixiensis, Albertano da Br.) ist als Richter in Brescia und Genua bezeugt (geb. um 1190, gest. nach 1250). Er hat mehrere lateinische Werke geschrieben,

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von denen drei Traktate auch ins Deutsche übertragen und in Deutsch bearbeitet worden sind: 'De amore Dei et proximi' (um 1238), 'De doctrina (arte) dicendi et tacendi' (1245) und 'Liber consolationis et consilii' (1246). 2. Unter dem Titel Lere und underweisung übertrug die drei Traktate (und bearbeitete sie) ein (wahrscheinlich) schwäbischer Kleriker im 15. Jh, Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., Add. 16581, 3 -8 (v.J. 1464); München, cgm 403, lr-61r (2. H. 15.Jh.); cgm 5168, l r ff.; 2 Drucke von J. Bämler in Augsburg 1472 und 1476 (HAIN 10005, 10006), l'-30r. Teilausgaben.BosTOCK,S.71-75,116f.; HÖHENSTEIN, S. 41-45 (Abdruck einiger Kapitel aus cgm 403).

3. 'De amore Dei et proximi' ist in einer dt. Übers, der Hs. 15 902 (früher 16 109), 97r-128v des Germ. Nat. Mus. Nürnberg (v. J. 1501) im Anschluß an den Druck von J. Bämler, Augsburg 1472 (HAIN 10005) oder als Abschrift davon erhalten. Auch in mndl. Bearbeitung liegt dieses Werk vor (->· 'Der Leyen Doctrinal'). 4. 'De doctrina dicendi et tacendi' wird in einer freien Kurzfassung als Ain nucze le von reden und schweigen wiedergegeben. Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., Add. 16581, 152V-155V, gedr. BOSTOCK, S. 75-77, 117 u. bei W. STAMMLER (Hg.), Prosa d. dt. Gotik, 1933, S. 80f., Nr. 45. Eine holländische Bearbeitung GW 564-569. Von der lat. Ausgabe des Werkes, die H. Quentell in Köln 1497 (GW 563) druckte, stellte ein Danzigcr Bürger, Jörg Lehmann, i. J. 1538 eine Übers, her (Danzig, ehem. StB, Autogr. N r. 2435).

5. Die weiteste Verbreitung fand der 'Liber consolationis et consilii', ins Deutsche übersetzt (meist) unter dem Titel 'Melibeus und Prudentia'. Ü b e r l i e f e r u n g . Aschaffenburg, Stiftsbibl., Hs. Pap. 26, 257ra-270ra (15.Jh.); Donaueschingen, cod. 144, S. 1-31 (v.J. 1457-60); München, cgm 252, 95" bis 96ra (nur Ende des Werkes, 15.Jh.); cgm 403, 80r bis 101r (15. Jh.); cgm 756, f. 1-21 (spätes 15. Jh.); cgm 4437, f. 66-82 (15. Jh.); Stuttgart, LB, cod. HB X Philos. 22, lr-26v (v.J. 1470); Wien, cod. 2801, 62ra-75ra (v.J. 1465); Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod 290, 3, 14, 119V-129V (v.J. 1472); Zürich, Zentralbibl., Hs. B 288, 59r-72r (v. J. 1498); Hs. B 325, l r -ll r (15. Jh.); Hs. AG 21 (olim Donaueschingen, cod. 98), 131r-142r (vom selben Schreiber Gerold ->Edlibach wie B 288). - Frühdrucke: HAIN 11047-50; WELLER, Rep.typ. Nr. 8 u. 536, Suppl. Nr. 8; PANZER, Annalen Nr. 10002.

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Meister Albertin - Albich, Siegmund

T e i l a u s g a b e n . HOHENSTEIN, S. 36-40; VETTER, Lehrhafte Lit. I 456^65.

Es handelt sich um eine lehrhafte Erzählung mit vielen Sentenzen vornehmlich aus der antiken Literatur. Melibeus, ein mächtiger Mann, ist von Hause abwesend. Währenddessen werden seine Frau und Tochter überfallen. Als er zurückkehrt, glaubt er, daß seine Tochter zu Tode mißhandelt worden sei, verliert jede Fassung und möchte an seinen Feinden Rache nehmen. Doch seine Frau Prudentia beschwichtigt ihn und rät zum Frieden. Daraufhin verzeiht er seinen Feinden. Der 'Melibeus' war eines der beliebtesten Bücher des 15.-16. Jh.s. Davon zeugen die Übersetzungen (Bearbeitungen): ins Englische (Chaucer, 'Canterbury Tales' [zur bedeutsamen Stellung der 'Melibee' innerhalb der 'Tales' s. R. L. HOFFMANN, Chaucers 'Melibee' and Tales of Sonry Folk, Amsterdamer Beitr. z. älteren Germanistik 7 (1974) 157-186]; Peter Idley), Französische (Renaud de Lohans), Holländische (Dirc Potter; ferner HAIN 11051), Italienische, Katalanische, Tschechische. Vgl. auch Hans -»Vintlers 'Blumen der Tugend', dessen Quelle, Tomasi Leonis 'Fiori di virtü' A. verpflichtet ist, und Heinrich -> Schlüsselfelders (Arigos) A. v. B.Rezeption. 6. Ein mhd. Versgedicht mit dem Titel Meister Albertus Lere bringt eine Adaptation von 'De doctrina dicendi et tacendi' (v. 1-247) und des 'Liber consolationis' (248-436), woran sich Lehren über Ehe, Haushalt und Kindererziehung anschließen (437-971). Das Lehrgedicht steht im Rahmen einer umfänglichen gereimten Christenlehre-Kompilation. Ü b e r l i e f e r u n g e n . Paris, Bibl. Nat., Ms. allem. 150, 263r-268r (v.J. 1419, Speyer) und Ms. allem. 117 4 -63 (1. H. 15. Jh.); Dresden, LB, Ms. M 60, 36V bis 48" (1. H. 15.Jh.); Berlin, mgf 742, 20r-30v, 77"-91v (Mitte 15.Jh.); Düsseldorf, H. Heine-Institut, Hs. F55, 28r-54v (früher LB u. StB, davor Bibl. d. Grafen Salm-Reifferscheidt, Schloß Dyck). A u s g a b e . BOSTOCK, S. 79-106, 117-123. L i t e r a t u r . Dizionario biografico degli Italiani l, 1960, S. 669 (m. Bibliographie zu Albertano). - T. H. SUNDBY, Albertani Brixiensis Liber consolationis et consilii, 1873; L. HOHENSTEIN, Melibeus u. Prudentia. D. 'Liber consolationis et consilii' d. A.da B. in 2 dt.

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Bearbeitungen d. 15. Jh.s, Diss. Breslau 1903; J. K. BOSTOCK, Albertanus Brixiensis in Germany, 1924; B. G.L. OVERMAAT, Mellibeus. Een geschrift van Dirc Potter, Acad. Proefschr. Nijmegen 1950 (Arnhem 1951); STAMMLER, Prosa, Sp. 886, 1033 f., 1071, 1101; vgl. auch Histoire litteraire de la France 37, Paris 1936/38, S. 488-506 (über Renaud de Lohans).

HANS-JOACHIM KOPPITZ Meister Albertin Die dreiteilige Pferdemittelsammlung in Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 731 (14./15.JH., alem.), 43r-64v, schreibt den ersten Teil ausdrücklich dem maister Albertin zu. Eis identifiziert ihn mit Meister -»Albrant, dessen Name auch Albrecht, Albret und (mit falscher Auflösung der re-Kürzel) Albertin geschrieben wurde. L i t e r a t u r . G. Eis, Meister Albrants Roßarzneibuch im dt. Osten, Reichenberg 1939, S. 17-23.

P. RAINER RUDOLF SDS Alberus -»· Alber Albich, Siegmund Arzt, Erzbischof von Prag, geb. 1374 in Mährisch Neustadt, gest. 1427, widmete sich in Prag und Padua vielseitigen Studien (Baccalaureus an der Artisten-, Magister an der juridischen und medizinischen Fakultät) ; die theologischen Studien setzte er in höheren Jahren fort. Er wurde Leibarzt König Wenzels. Beim Ausbruch der hussitischen Wirren konnte er sich als Deutscher in Prag behaupten und wurde auf Betreiben des Königs, nachdem er nach dem Tod seiner Frau die kirchlichen Weihen empfangen hatte, 1411 Erzbischof von Prag, doch resignierte er nach einigen Monaten, da er sich durch seine zögernde und duldsame Haltung den Hussiten gegenüber viele Gegner zugezogen hatte. Nach dem Tode Wenzels wurde er Leibarzt König Sigismunds. Als Arzt und Denker war A. von überragender Bedeutung, nahm er doch viele paracelsische Gedanken vorweg und bewahrte große Selbständigkeit gegenüber antiken und arabischen Autoritäten. Er zog geomedizinische und soziale Gesichtspunkte in Erwägung und wußte um die Be-

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Alblin - Albohali

deutung der psychischen Disposition auf Krankheit und Genesung. Ü b e r l i e f e r u n g . 74 Hss. und einen Wiegendruck (des 'Vetularius', Leipzig: Markus Brand 1484) verzeichnet WEITZ, S. 40-48. A u s g a b e n . 1. 'Regimen contra rheuma': A. SCHRUTZ, Albikova zivotosprava pro cisare Zikmunda, Casopis lekaruv ceskych 48 (1909) 86ff.; F. LENOCH/H. M. KOELBING, D. 'Regimen contra reumata' des Sigismund Albicus (ca. 1358-1427), Basel 1969. -2. 'Regimen tempore pestilentiae': K. SUDHOFF, Pestschriften aus d. ersten 150 Jahren nach d. Epidemie d. 'schwarzen Todes' 1348, VI, 64, Sudhoffs Arch. 7 (1914) 89-96 (mit der omd. Übersetzung aus den Breslauer Hss. I Q 100,222V-224V [und I Q 286,249r-250v]).

A.s Schriften waren über ganz Europa verbreitet; mehrere wurden ins Deutsche, einige ins Tschechische übersetzt. Zu den wichtigsten gehört das 'Buch der Arznei', in dem die Krankheiten der einzelnen Organe besprochen werden, der 'Vetularius' oder Tractatulus de regimine hominis'; für König Wenzel geschrieben, ist es das erste Regimen für Greise, das lat. und bald in einer wohl von einem Schüler verfaßten dt. Übers, verbreitet wurde (ehem. Reichenberg, Sudetendt. Arch., Hs. 125). Für König Sigismund verfaßte er sein 'Regimen contra rheuma'; mit dem 'Regimen tempore pestilentiae' steht er an erster Stelle unter den zahlreichen Autoren von Pestregimina. L i t e r a t u r . G. Eis, D. Deutschtum d. Arztes A., ZfdPh 64 (1939) 174-209 (mit Nachweisen u. Lit.); ders., A.S., NDB I 148f., H.-J. WEITZ, A. von Prag. Eine Unters, seiner Schriften, Diss. Heidelberg 1970; P. ASSION, Altdt. Fachlit., 1973, S. 145, 147, 151, 210.

P.RAINER RUDOLF SDS Albinus, Jacobus von Königshofen

Twinger, Jakob,

Alblin In der Hs. Karlsruhe, LB, Georg. 74, 21V bis 22r steht unter der Überschrift Alblin sinne ein 3str. Lied; Inhalt: Ermahnung des Priesters, sich des ihm anvertrauten Leibes Christi würdig zu erweisen. Die l.Str. findet sich auch als 3. Str. eines anonymen Meisterliedes in drei Hss.: München, cgm 1019, lv und cgm 4997 (-»'Kolmarer Lhs.'), 136r; Donaueschingen, cod. 120 (—> 'Donaueschinger Lhs.'), S. 278. Str. l und 2 enthal-

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ten dort ein kosmologisches Rätsel und seine Auflösung (dazu J. SIEBERT, Himmelsu. Erdkunde der Meistersänger, ZfdA 76 [1939] 243). Eine ältere Einzelstr. (Anf. 14. Jh. ?) scheint also im 15. Jh. zweimal nach Meistersingerart zum Dreierbar ergänzt worden zu sein. Welcher Altersschicht der Name A. zuzuordnen ist, bleibt unsicher. Der Ton heißt im Meistersang 'Frauenlobs Froschweise', stammt aber nicht von Heinrich -»•Frauenlob (vgl. H. THOMAS, Z. Überl. d. Spruchdicht. Frauenlobs, 1939, S. 126). - Möglicherweise ist A. identisch mit einem Elbel (Elb), den Konrad -»· Nachtigall, Hans —»-Folz und Valentin Voigt in ihren Meisterlisten (Lit. s. Art. -»Baltzer) erwähnen. A u s g a b e n der Kolmarer/Donaueschinger Fassung: BARTSCH, Meisterlieder, Nr. XXX; RUNGE, Sangesweisen, Nr. 24. g. WACHINGER

Albohali Der arabische Astrolog Abu 1 al-Khaiyät (gest. um 835 n.Chr.) verfaßte eine Schrift 'Kitäb al-mawälid' (= 'Buch der Geburten'), die 1136 von Plato von Tivoli, ein zweites Mal 1153 von Johannes Hispaniensis ins Lat. übertragen wurde und als 'Liber de iudiciis nativitatum' des Albohali eine beachtliche Verbreitung bis in die frühe Neuzeit hinein fand (gedruckt Venedig 1509, Nürnberg 1546 und 1549). Die lat. Fassung wurde spätestens in der l.H. des 15. Jh.s verdeutscht, wobei es offenbar voneinander abweichende Bearbeitungen gibt, deren Verhältnis zu den beiden lat. Übers.n erst noch zu untersuchen wäre. Neben Albohali oder Alb&hali führt die dt. Überl. stärker verballhornte Namensformen wie Albuatyn oder Albuac. Der oder die Übersetzer sind unbekannt. An dt. Hss. sind bisher verzeichnet: Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, Hs. b XII 21,109r-140r (von 1439); Heidelberg, cpg 812, 27ra-109vb (2. H. 15. Jh.); Wien, cod. 12471, lllra-142ra (2. H. 15.Jh.); Wien, cod. 10528, lr-205r (Mitte 16. Jh.); Berlin, mgf 173, lr-79r (16. Jh.).

Inhaltlich handelt es sich um ein astrologisches Lehrbuch, das die Gestirnkonstellationen zur Geburtsstunde und die daraus abzuleitenden Prognosen für das Kind umfassend erörtert.

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Meister Albrant - Albrecht, Dichter des 'Jüngeren Titurel'

L i t e r a t u r . E. ZINNER, Verzeichnis d. astronomischen Hss. d. dt. Kulturgebietes, 1925, Nr. 186-198; Enzyklopädie d. Islam II, Leiden u. Leipzig 1927, S. 937f.; G. SARTON, Introduction to the History of Science, Baltimore 1927 ff., 1569, II170; F. J. CARMODY, Arabic Astronomical and Astrological Sciences in Latin Translation. A Critical Bibliography, Berkley u. Los Angeles 1956, S. 49-51; THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp. 452, 562, 784f. WOLFRAM SCHMITT

Meister Albrant (Meister Alebrant, Albret, Albertin, Albrecht, Hilbrant, Hildebrant) 1. Albrant, der lang als apokryph galt, stammt aus Deutschland, war Kaiser Friedrichs II. smitt und marstaller von Napolis, wie die Auffindung einer Hs. des 13. Jh.s beweist, wirkte mit ändern deutschen Marstallern (Magister Maurus und Ackermann) im 2. Viertel des 13. Jh.s in Neapel und stand mit den Schulen von Rom und Salerno in Beziehung. Über seine persönlichen Schicksale ist nichts bekannt. Der cod. 731 der Stiftsbibl. Einsiedeln bezeichnet ihn (48r) als Roßarzt von Papst Clemens (IV.), so daß die Möglichkeit besteht, daß er später in päpstlichen Diensten gestanden ist. 2. A.s große Bedeutung beruht auf einer einzigen, an Umfang kleinen Schrift über die Pferdeheilkunde, dem 'Roßarzneibuch', das 36 Krankheiten in nicht ganz folgerichtiger Weise behandelt. Die Hauptsache ist die Therapie, wobei sich A. als erfahrener Praktiker erweist, dem ein gewisser Bildungsstand nicht abgegangen ist, wie der Verzicht auf magische Praktiken bezeugt. Die Zweckmäßigkeit der Anlage, die Berücksichtigung der wichtigsten Krankheiten von der Schädelverletzung bis zur Huferkrankung und die einfachen, in jedem Stall verfügbaren Mittel zum Umschlagen und Eingeben (Wein, Essig, Eier, Salz, Honig, Rettich, Knoblauch, Grünspan, Schwefel usw.) sicherten dem Werk anhaltende Wirkung. 3. Die Bedeutung des Werkes liegt weniger in neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, als in der überaus erfolgreichen Ausbreitung des fortschrittlichen Verfahrens über weite Gebiete und lange Zeiträume. Von Prag aus verbreitete es sich im 14. Jh. nach Schlesien und der Lausitz sowie nach Friaul, im 15. Jh. nach Ungarn, ins Deutsche

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Ordensland und in die deutschen Kernlande. Es gehört zu den wirkungsmächtigsten Schriften der altdt. Literatur. Bisher sind 218 Hss., 8 Inkunabeln und eine große Anzahl von Drucken aus dem 16.-18.Jh. bekannt. Seit dem 15. Jh. wurde es mehrfach ins Tschechische, im 16. Jh. auch ins Polnische, im 18. Jh. ins Russische übertragen. Einige Stücke daraus wurden noch im 15. Jh. ins Spanische, später ins Magyarische und Schwedische übersetzt. Auch sozial hat das Roßarzneibuch einen weiten Weg zurückgelegt: vom Kaiserhof über die Komtureien des Deutschen Ordens bis in die Hände einfacher Schmiede und Stallknechte. Von zahlreichen Kopisten, Benutzern und Bearbeitern wurden zahlreiche Abänderungen durchgeführt und Erweiterungen hinzugefügt, so daß das ursprünglich schmale Handbüchlein zu dickleibigen Folianten anschwoll. L i t e r a t u r . G. Eis, Meister A.s Roßarzneibuch im Deutschen Osten, Reichenberg 1939; ders., Meister A.s Roßarzneibuch. Verzeichnis d. Hss. Text d. ältesten Fassung. Literaturverzeichnis, 1960; ders., Mal. Fachprosa d. Artes, DPhiA II 1181 f.; ders., Harburger (ehem. Maihinger) A.-Hss., Dt. Tierärztl. Wochenschrift 71 (1964) 475f.; ders., Ein unbekanntes Fragment von A.s Roßarzneibuch aus Weingarten, Dt. Tierärztl. Wochenschrift 74 (1967) 366f.; ders., Lesefrüchte aus hippiatrischen Hss., Tierärztl. Umschau 25 (1970) 606ff.; P. ASSION, Altdt. Fachliteratur, 1973, 130 f.

P.RAINER RUDOLF SDS

Albrecht, Dichter des 'Jüngeren Titurel' I n h a l t . I. Leben. II. Chronologie. III. Werke. A. 'Jüngerer Titurel' ( —'JT'). 1. Überlieferung. 2. Ausgaben. 3. Inhalt. 4. Quellen. 5. Interpretationsansätze Form und Stil. 6. Wirkungsgeschichte. B. 'Marienlob' (^'ML'). C. 'Verfasserfragment' (-='VF'). IV. Forschungsgeschichte. Literatur. Hier werden nur die für A. gesicherten Werke berücksichtigt: 'JT', 'VF' und - mit Rücksicht auf die Überlieferung - 'ML'; zu weiteren Werken —> Albrecht von Scharfenberg.

I. Leben. Unser Wissen über den Dichter beruht ausschließlich auf den spärlichen Angaben im 'JT' und 'VF'. Danach hieß er Albrecht (HAHN [i.F. H] 5883, vorletzte Str. in den Hss. C und J, s. WOLF, 1939, S. 112; 'VF' Str. 13 u. 15), hatte Weib, Kind und Bruder (3596), war nicht mehr jung (61, 89,

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Meister Albrant - Albrecht, Dichter des 'Jüngeren Titurel'

L i t e r a t u r . E. ZINNER, Verzeichnis d. astronomischen Hss. d. dt. Kulturgebietes, 1925, Nr. 186-198; Enzyklopädie d. Islam II, Leiden u. Leipzig 1927, S. 937f.; G. SARTON, Introduction to the History of Science, Baltimore 1927 ff., 1569, II170; F. J. CARMODY, Arabic Astronomical and Astrological Sciences in Latin Translation. A Critical Bibliography, Berkley u. Los Angeles 1956, S. 49-51; THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp. 452, 562, 784f. WOLFRAM SCHMITT

Meister Albrant (Meister Alebrant, Albret, Albertin, Albrecht, Hilbrant, Hildebrant) 1. Albrant, der lang als apokryph galt, stammt aus Deutschland, war Kaiser Friedrichs II. smitt und marstaller von Napolis, wie die Auffindung einer Hs. des 13. Jh.s beweist, wirkte mit ändern deutschen Marstallern (Magister Maurus und Ackermann) im 2. Viertel des 13. Jh.s in Neapel und stand mit den Schulen von Rom und Salerno in Beziehung. Über seine persönlichen Schicksale ist nichts bekannt. Der cod. 731 der Stiftsbibl. Einsiedeln bezeichnet ihn (48r) als Roßarzt von Papst Clemens (IV.), so daß die Möglichkeit besteht, daß er später in päpstlichen Diensten gestanden ist. 2. A.s große Bedeutung beruht auf einer einzigen, an Umfang kleinen Schrift über die Pferdeheilkunde, dem 'Roßarzneibuch', das 36 Krankheiten in nicht ganz folgerichtiger Weise behandelt. Die Hauptsache ist die Therapie, wobei sich A. als erfahrener Praktiker erweist, dem ein gewisser Bildungsstand nicht abgegangen ist, wie der Verzicht auf magische Praktiken bezeugt. Die Zweckmäßigkeit der Anlage, die Berücksichtigung der wichtigsten Krankheiten von der Schädelverletzung bis zur Huferkrankung und die einfachen, in jedem Stall verfügbaren Mittel zum Umschlagen und Eingeben (Wein, Essig, Eier, Salz, Honig, Rettich, Knoblauch, Grünspan, Schwefel usw.) sicherten dem Werk anhaltende Wirkung. 3. Die Bedeutung des Werkes liegt weniger in neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, als in der überaus erfolgreichen Ausbreitung des fortschrittlichen Verfahrens über weite Gebiete und lange Zeiträume. Von Prag aus verbreitete es sich im 14. Jh. nach Schlesien und der Lausitz sowie nach Friaul, im 15. Jh. nach Ungarn, ins Deutsche

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Ordensland und in die deutschen Kernlande. Es gehört zu den wirkungsmächtigsten Schriften der altdt. Literatur. Bisher sind 218 Hss., 8 Inkunabeln und eine große Anzahl von Drucken aus dem 16.-18.Jh. bekannt. Seit dem 15. Jh. wurde es mehrfach ins Tschechische, im 16. Jh. auch ins Polnische, im 18. Jh. ins Russische übertragen. Einige Stücke daraus wurden noch im 15. Jh. ins Spanische, später ins Magyarische und Schwedische übersetzt. Auch sozial hat das Roßarzneibuch einen weiten Weg zurückgelegt: vom Kaiserhof über die Komtureien des Deutschen Ordens bis in die Hände einfacher Schmiede und Stallknechte. Von zahlreichen Kopisten, Benutzern und Bearbeitern wurden zahlreiche Abänderungen durchgeführt und Erweiterungen hinzugefügt, so daß das ursprünglich schmale Handbüchlein zu dickleibigen Folianten anschwoll. L i t e r a t u r . G. Eis, Meister A.s Roßarzneibuch im Deutschen Osten, Reichenberg 1939; ders., Meister A.s Roßarzneibuch. Verzeichnis d. Hss. Text d. ältesten Fassung. Literaturverzeichnis, 1960; ders., Mal. Fachprosa d. Artes, DPhiA II 1181 f.; ders., Harburger (ehem. Maihinger) A.-Hss., Dt. Tierärztl. Wochenschrift 71 (1964) 475f.; ders., Ein unbekanntes Fragment von A.s Roßarzneibuch aus Weingarten, Dt. Tierärztl. Wochenschrift 74 (1967) 366f.; ders., Lesefrüchte aus hippiatrischen Hss., Tierärztl. Umschau 25 (1970) 606ff.; P. ASSION, Altdt. Fachliteratur, 1973, 130 f.

P.RAINER RUDOLF SDS

Albrecht, Dichter des 'Jüngeren Titurel' I n h a l t . I. Leben. II. Chronologie. III. Werke. A. 'Jüngerer Titurel' ( —'JT'). 1. Überlieferung. 2. Ausgaben. 3. Inhalt. 4. Quellen. 5. Interpretationsansätze Form und Stil. 6. Wirkungsgeschichte. B. 'Marienlob' (^'ML'). C. 'Verfasserfragment' (-='VF'). IV. Forschungsgeschichte. Literatur. Hier werden nur die für A. gesicherten Werke berücksichtigt: 'JT', 'VF' und - mit Rücksicht auf die Überlieferung - 'ML'; zu weiteren Werken —> Albrecht von Scharfenberg.

I. Leben. Unser Wissen über den Dichter beruht ausschließlich auf den spärlichen Angaben im 'JT' und 'VF'. Danach hieß er Albrecht (HAHN [i.F. H] 5883, vorletzte Str. in den Hss. C und J, s. WOLF, 1939, S. 112; 'VF' Str. 13 u. 15), hatte Weib, Kind und Bruder (3596), war nicht mehr jung (61, 89,

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Albrecht, Dichter des 'Jüngeren Titurel'

H 5883-5914), ein 'Prediger' geistlicher und höfischer Grundsätze vor literarisch gebildetem Publikum, der über ein enormes Wissen verfügte, sicherlich Latein, wahrscheinlich aber auch Französisch beherrschte. Seine Heimat ist unbekannt. WOLF erwog bayer. (die meisten Hss. entstanden in diesem Raum, Stroubinger pfarre 2150), später aber ostmd. Herkunft (Ausg. II, S. XXI. ROLL hält auf Grund der Reimsprache sowie von Orts- und Stammesnamen md. Herkunft für erwiesen (1964, S.40-66, zu älteren Ansichten S. 62 und Anm. 113-114). A. hatte Gönner (fürsten drin 64), schrieb in ihrem Auftrag, doch beklagt er gegen Ende des 'JT' - offensichtlich dieselben meinend - den Geiz dieser Fürsten in der mitte wol uf diutscher terre und seine Armut (H 5767 f.) und sucht andere Gönner (H 5882). Mit dieser Wende in den äußeren Umständen lassen sich auffällige Erscheinungen gegen Ende des 'JT' in Zusammenhang bringen. A. schrieb den 'JT' mit Mühe (nach längerer Pause ?) zu Ende (vgl. H5882 bis 5914), änderte seine Gral-Interpretation (neue Quellen? s. u. III.A.4), vor allem aber — und dies ist wohl ein einmaliger Fall in der mhd. Literatur - änderte er die 'öffentliche' Bewertung seiner eigenen Leistung am 'JT'. Bis Str.H5883 hält A. die Fiktion aufrecht, -> Wolfram von Eschenbach habe den 'JT' geschrieben, hier nennt er sich selbst zum ersten Mal (s.o.) als Autor und spricht von Wolfram fortan in der 3.Person (s. u. III. A.5). Wenn sich A. nach neuen Gönnern, denen seine Wolfram-Rolle kein Anliegen war, umzusehen hatte, galt es, den eigenen Anteil am 'JT' genau zu kennzeichnen und sich gegen den nun verständlichen Vorwurf des 'Plagiats' zu rechtfertigen (anders RAGOTZKY, 1971, S. 144 Anm. 86): durch die sog. Hinweisstrophen auf die beiden im 'JT' verarbeiteten echten Fragmente Wolframs (499A-E und 1172A, s. aber ROLL, S. 128 f.) und durch das 'VF'. Die drei Fürsten vermutete WOLF, 1952/53, S. 314 unter den Wittelsbachern; ROLL, S. 64-66 suchte sie am Hof Albrechts II. von Sachsen-Wittenberg, H. DE BOOR, 1973, findet sie wieder in Heinrich dem Erlauchten (1216-88) und dessen Söhnen Albrecht und

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Dietrich; dieser Auffassung ist ohne Einschränkung beizupflichten. Hier am Wettiner Hof sind alle dynastischen, territorialen, politischen und kulturellen Voraussetzungen gegeben, die eine ganze Reihe von A.s Anspielungen erklären können (drei regierende Fürsten im mittleren Deutschland, Hermann von Thüringen, Brabant und Braunschweig, Richard von Cornwallis). Vor allem aber die Tatsache, daß 1270 ein lang schwelender Familienzwist im Haus Meißen-Thüringen offen ausbrach (Aufstand der Söhne gegen den Vater), fügt sich gut zu den zeitlichen Angaben über die Schlußpartien des 'JT' und macht das erlahmte Interesse an der Förderung des Riesenwerkes 'JT' begreiflich. Wenn A. sich bis 1269/70 in MeißenThüringen aufhielt, bezeichnet sein Weggang die große Wende in seinem Leben. 1272 kann er sich (wieder ?) in Oberdeutschland aufgehalten haben, wo er sich nach PETZETS, 1904, glänzender These mit dem 'VF' dem Wittelsbacher Ludwig (II.) dem Strengen in der Hoffnung auf neue Gönnerschaft (H5883) empfahl (s.u. II.3). A. hatte freilich auf die falsche Karte gesetzt, denn mit der Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König scheint die Unterstützung Ludwigs nicht mehr zustande gekommen zu sein, was den mühevollen Schluß des 'JT' und den einzigen hsl. Zeugen des 'VF' erklärt. Daß sich A. überhaupt an Ludwig gewandt hat, kann als Indiz dafür gelten, daß A. doch Bayer war (s. DE BOOR, 1973, S. 254). II. Chronologie. 1. ' J ü n g e r e r Titurel'. Die Überlieferung beginnt um 1300 (Hs.A). Im 'Wilhelm von Österreich' (beendet 1314) spielt -> Johann von Würzburg auf den 'JT' an (s. E. MAYSER, Stud. z. Dichtung Johanns v. W., 1931, S. 30-45), vielleicht auch ->· Ottokar von Steiermark in der Osterreichischen Reimchronik' (vv. 39195 ff., s. RAGOTZKY, S. 149 Anm. 93). Das Todesjahr -»•Bertholds von Regensburg (14.12.1272) dürfte nicht mehr zur Datierung herangezogen werden (s. noch WOLF, Ausg. I, S. IXf.), nachdem schon SCHÖNBACH, 1906, die von J. STROBL (Ausg. B. v. R., Bd. II, S. XXIV

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Albrecht, Dichter des 'Jüngeren Titurel'

bis XXVI) verzeichneten Zitate aus dem 'JT' in Bertholds deutschen Predigten bis auf eines (H 6179-84), das auf die Überlieferung der Predigt Von dem wagen zurückgeht, als unwahrscheinlich erwiesen hatte (s. LECKIE Jr., 1967, S. 275 Anm.4; RAGOTZKY, S. 146ff.). Str.2997 spielt A. offensichtlich auf den noch lebenden Richard von Cornwallis an, der am 2.4.1272 starb. Zu diesem Datum fügen sich die Lebensumstände A.s (s. o. I) und die Datierung des 'VF' (s.u. II.3). Da A. hier und ab Str. H5883 des 'JT' sein Inkognito aufgegeben hat, muß um diesen Zeitpunkt der 'JT' bis etwa H 5883 vorgelegen haben. Nach der - freilich nicht ganz gesicherten - 2. Hinweisstrophe 1172A blieben Wolframs Fragmente 50 Jahre unbearbeitet, d.h. der Anfang des 'JT' fiele in die 60er Jahre des 13. Jh.s. Der 'JT' muß daher bis etwa Str. H 5883 in der Zeit 1260-72/73 entstanden sein, der Rest wohl bald danach. 2. SM a r i e n l o b'. Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte zur Datierung, doch setzt es den Graltempel und (?) den von Sankt Thomas erbauten Tempel, d.h. den Schluß des 'JT' voraus, gehört also in dessen zeitliche Nähe. Bei Verfasserschaft durch den Redaktor (ROLL, 1964) wäre es um 1300 entstanden (s.u. III.A.1). 3. ' V e r f a s s e r f r a g m e n t ' . Die Anspielung auf den phalntzgrave (18), den paier prinz... due loys et palatinus (20), dem hohe Würden im Reich bevorstehen, kann sich nach PETZET, 1904, nur auf Ludwig (II.) den Strengen von Bayern beziehen, und zwar zu der Zeit, als dieser Prätendent auf den deutschen K nigsthron war: zwischen dem 2.4.1272 (Tod Richards v. Cornwallis) und dem 1.10.1273 (Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König) - falls dieser Zeitraum nicht nach rückwärts zu erweitern ist (1264 Gefangennahme Richards; s. ZATLOUKAL, 1974, Anm.24). III. Werke. A. ' J ü n g e r e r T i t u r e P 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Im ganzen 57 Textzeugen, 11 mehr oder weniger vollständige Hss. (älteste A, Wien, cod. 2675, um 1300), l Druck von 1477 bei Joh. Mentelin in Straßburg (J) u. 45 Frgm.e; zuletzt zusammengestellt u. beschrieben von WOLF, Ausg. I, S. XLIV bis CVIII; Ausg. II, S. V1I1-XX; hier auch Angaben

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über früher verwendete Siglen; die Frgm.e Nr. 35 u. 50 sind identisch (s. HUSCHENBETT, 1975, S. 113-115); nachzutragen sind 2 Fragm.e, s. H. F. ROSENFELD, 1972, u. VIZKELETY, 1973. Grundlegend für die Überlieferungskritik sind: F. ZARNCKE, 1876; E. PETZET, 1904; W. WOLF, 1939, 1942, 1948/50, Ausg. I Einl. S. CIX-CXXVI; vor allem ROLL, 1964, dazu W. SCHRÖDER, 1965 u. NYHOLM, 1965.

Die Hss.-Verhältnisse sind außerordentlich verwickelt und bis heute nicht restlos geklärt. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, die zweifelsfrei stattgehabten Zusätze bzw. Bearbeitungen des Autors (Hinweisstrophen auf das 1. und 2.Wolframbruchstück: 499A-F und 1172A, s. aber ROLL, 1964, S. 128 f.) von solchen der Überlieferung bzw. eines Redaktors (ROLL) zu unterscheiden. Fest steht, daß es wenigstens zwei Überlieferungszweige gibt: I (ABDE, dazu später C) und II (XYZ, dazu später W); K u. J stellen sich in der Regel zu II, H geht vielfach eigene Wege. Von diesen bildet II die geschlossenste Gruppe, während die Hss. von I mit Ausnahme von A Beziehungen zu II und zu H aufweisen, die jedoch nicht konstant über das ganze Werk, soweit untersucht, bleiben. In der Beurteilung der Hss.-Verhältnisse weichen WOLF und ROLL, der Ansätze von ZARNCKE aufgreift (stärkere Bewertung von H), stark voneinander ab. WOLF sah in den starken Abweichungen das Ergebnis einer bzw. mehrerer Bearbeitungen des Autors selbst und die Folge einer abschnittsweisen Veröffentlichung. Der bessere Text werde durch I repräsentiert und hier wiederum durch die 'älteste und beste Hs.' A (vgl. zuletzt Ausg. I, S. CIX-CXXVI). Nach ROLL läßt die Überlieferung auf einen Archetypus 'mittlerer Qualität' schließen, der nicht mit der Hs. des Autors identisch ist (S. 76) und der sich 'in zwei und nur zwei' gleichberechtigte Äste aufspaltet (S. 10), von denen ( — *HXYZJ) durch H repräsentiert wird, während S "XYZJ das Werk eines 'kurz nach 1300 gewirkt' habenden Redaktors (R) ist (S. 122). Die Hs. A verdiene wegen ihrer 'Umdichtfreudigkeit' und einer 'Unzahl von Sonderfehlern' (S. 144f.) nicht den Vorzug, und I nur insofern, als die -Tradition durch H nur sehr lückenhaft überliefert ist (Hss.-Stemma nach ROLL bei W. SCHRÖDER, 1965, S. 33). Das bedeutet für die Textkritik, daß wesentliche Entscheidungen auf stilistischen Kriterien beruhen, da der Stilwille des Redaktors von dem A.s verschieden war (ROLL, S.67-76). ROLL glaubt in den Strr. 1167 bzw. H 1139 eine echte, bisher unbekannte Wolfram-Strophe entdeckt zu haben (S. 117-121), ablehnend J. BUMKE, 1967); außerdem habe neben A. die Überlieferung noch viermal

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Albrecht, Dichter des 'Jüngeten Titurel'

selbständig auf Wolframs 'Titurel' zurückgegriffen (S. 113, dazu BUMKE, 1971, S. 394-411). ROLLS weitreichende Untersuchungen haben das Problem der Überlieferung sehr gefördert, doch dürfte seine Textbasis zu schmal für endgültige Folgerungen sein (s. NYHÜLM, 1965). 2. A u s g a b e n . K. A. HAHN, D. 'JT' (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. 24), 1842 (zit. mit H vor der Strophenzahl) : bisher einzige Gesamtausgabe, Abdruck der Hs.B (Heidelberg, cpg 383) mit Ergänzungen aus Hs.A gegen Schluß; zu Ergänzungen aus J s. L. TOSTMANN, Z. 'JT', Hagens Germ. 5 (1843) 81-102. Maßgebend, aber noch nicht beendet: W. WOLF, A.s v. Scharfenberg 'JT', Bd. I (Str. 1-1957) (DTM 45), 1955; Bd. II (Str. 1958-1394) (DTM55/61), 1968 (zit.): kritischer Text des Überlieferungszweiges I auf der Grundlage von A, dazu buchstabengetreuer Abdruck der Hs.X (Berlin, mgf 475) als Vertreter von II. Teile des 'JT', die wegen der Lesarten von H u. II kritischen Wert haben, bei F.ZARNCKE, D. Graltempel, Vorstudie zu einer Ausgabe d. 'JT', Abhh. d. philol.-hist. Cl. d. Kgl. Sachs. Ges. d. Wiss.n, Bd. 7 Nr. 5, 1876, S. 375-553 (Graltempel, 'ML', Graltempel-Auslegung); ferner W. WOLF, D. 'JT', Auswahl (Altdt. Übungstexte 14), 1952. Zu weiteren Einzelstrr. s. HUSCHENBF.TT, 1974, S. 322 f.

3. I n h a l t . (Vgl. die ausführlichen Angaben bei BORCHLING, 1897, S. 4-109). Das Weltalter und Welträume umspannende Riesenwerk des 'JT' von rund 6300 vierbzw. siebenzeiligen Strophen ist im ganzen wohl durchdacht und nach einem eingangs dargelegten Plan (Str. 86-91) aufgebaut. Der 'JT' will unter Benutzung der TiturelFragmente Wolframs im Blick auf die beiden Aspekte Gral-Gralsgeschlecht und Sigune-Tschinotulander ausführlich darstellen, was Wolfram im 'ParzivaP gar nicht oder nur am Rande erwähnt hatte. Man kann acht Abschnitte unterscheiden, denen eine den 'ParzivaP- (u. 'Willehalm'-) Prolog paraphrasierende Einleitung (1-85) vorausgeht. I (86-664): Geschichte des Gralsgeschlechts bis auf Frimutel und Anfortas: Senabor, Parille (Taufe, Verbindung mit den von Troja abstammenden römischen Kaisern, Vespasian), Titurison, Titurel: dieser erhält von Gott den Gral, erbaut den Graltempel (329-439), deutet ihn in der großen Lehrrede (500-602) als das Himmlische Jerusalem und übergibt das Gralskönigtum an Frimutel.

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II (665-1163): Exposition für III-VI, um die Figur Gahmurets zentriert: Geburt Sigunes, Tschinotulander (i. F. Tsch.; Schwesterkind Ekunats) im Gefolge Gahmurets, Kinderminne Sigune-Tsch. - Ende des ersten Wolfram-Fragments 500-814 -, Gahmurets Hilfezug für den Baruc Akerin von Baldac, seine Kämpfe und sein Tod, Rückkehr Tsch.s, Geburt Parzivals, Tsch.s Schwertleite. III (1164-2297): Bis Abschn. VI ist Tsch. dine aventiur ein herre. Exposition des Brackenseil-Verhängnisses (des Minne- und des Rechtsproblems): Brackenseilepisode (zweites Wolfram-Fragment 1173-1221): Sigunes Verlangen, das Brackenseil zu besitzen (Voraussetzung ihrer Minne), Tsch.s Versprechen, es zu erwerben (1216f.); Besitzverhältnisse: rechtmäßig besitzt es Ekunat-Clauditte, erworben hat es durch Zufall Orilus-Jeschute (1298); Verabredung eines Zweikampfes Ekunat-Orilus um den endgültigen Besitz, bis dahin behält es Jeschute (1495-98); Ankunft von Boten Akerins, Tsch.s Hilfeversprechen; Artus' Hoffest auf Floritschanz mit Verlesung des Brackenseil-Textes (1874-1927); Sieger im Turnier ist Tsch., der alle Besiegten zum Hilfezug für Akerin verpflichtet. IV (2298-2518): Zwischenstück: konkurrierender Vergleich christlicher und heidnischer Ritterwelt: Artus — König von Marroch, Tugendbrücke; Raub der 300 Damen durch Klinschor, Probe von Artus' milte durch Melianz. V (2519-H4358): Tsch.s Rache- (für Gahmuret) und Hilfezug für Baruc Akerin gegen die ihm feindlichen babylonischen Brüder Ypomidon und Pompeirus: Abenteuer bei der Überfahrt (2574-2832), Ankunft bei Akerin und Kampfvorbereitungen (2833-3260); die Schlacht auf Plenantze, erster Höhepunkt: der edle Secureis auf Seiten der Babylonier fällt durch Tsch. (3261-3871), Fortsetzung der Schlacht auf Floristelle, zweiter Höhepunkt: Tod der babylonischen Brüder (3872-4285); Sieg Akerins und Heimkehr Tsch.s. VI (H 4359-5067): Fortsetzung des Minne- und Rechtskonflikts um das Brackenseil (die Entscheidungen werden kunstvoll hinausgezögert und finden statt, als die Frage

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des Brackenseils bedeutungslos geworden ist): Orilus wünscht sofort den Zweikampf, was Ekunat wegen Orilus' und Lehelins Friedensbruch ablehnt, die beide in die von Tsch. verwalteten Länder Parzivals (Waleis und Norgals) eingefallen waren. Dies veranlaßt Tsch. zum Eingreifen. Mit Artus' Hilfe gelingt ihm die Vertreibung von Orilus und Lehelin, doch nur vorübergehend, weil Tsch. nun Artus zu Hilfe eilen muß, an den der römische Kaiser Lucius Tributforderungen stellt (H4551-4651). Nach siegreichem Kampf faßt Tsch. den verhängnisvollen Entschluß, fortan einzeln zu kämpfen. Tsch. besiegt Alexander und Philippe (Abkömmlinge Alexanders d.Gr.), die Arabadille, Mutter der Secundille und Witwe des Secureis, auf Greifen als fliegende Boten zur Rache für Secureis geschickt hatte. Tsch. besiegt Orilus, doch endet Jeschute den Kampf vor der endgültigen Entscheidung. Sie bietet das Brackenseil an, doch Tsch. lehnt ab, da er es nur im Kampf erringen wolle. Trotzdem schickt sie es an Sigune, um Orilus' Leben zu retten. Sigune kann jedoch das Brackenseil nicht mehr erfreuen, da sie Tsch. nicht vom Kampf mit Orilus abzuhalten vermag und übergibt es (auf Anraten Tsch.s) Ekunat, verzichtet auf ihre früheren Bedingungen (wie schon 1946-56) und möchte wie Enite in schiltknehtes wise mit Tsch. ziehen (H 4967-93). Auf dieser letzten gemeinsamen Fahrt fällt Tsch. durch Orilus (H4994-5067) - freilich mit Hilfe des zauberkräftigen Goldes (Ring und Spange), das - von Akerin für Tsch. als Ersatz für die verloren gegangene zauberkräftige Rüstung bestimmt - irrtümlich zu Orilus-Jeschute gelangte; Tsch. hat von diesem Irrtum gewußt (H 4884-4936). VII (H5068-5964): Es folgt Parzivals Geschichte entsprechend den Stationen von Wolframs 'ParzivaP (ab Buch III), aber mit Erweiterung von hier nur Angedeutetem, z.B. Parzivals Irrfahrten nach dem ersten Besuch auf der Gralsburg und das Schicksal des Gralsschwertes, das Ekunat erhält (H 5512-5766). Nach Sigunes Tod (H 5776) beendet Ekunat mit dem Gralsschwert den Rechtsstreit um das Brackenseil: er überwindet Orilus, unter dessen Schlägen aber auch das Brackenseil an Ekunats Rüstung in

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Trümmer geht (H 5792-5844). Es folgt Lohengrins Schicksal. VIII (H 5965-6207): Fortsetzung der Geschichte des Grals und der Gralsleute (vgl. I): Wegen der Sündhaftigkeit der Christen um Salvaterre (vgl. 499) zieht der Gral zu den von Thomas bekehrten Christen nach Indien, wo Feirefiz Gral und Gralsleute empfängt, dem 72 zum Christentum bekehrte Reiche dienen (auch Alexander und Philippe). Vor allem aber macht er sie mit dem reichen und gottgefälligen Reiche des Priesters Johann bekannt (H 6030-6158), mit dem das Gralsreich nun eine Verbindung eingeht. Der Gral als Speisespender wird überflüssig, doch bestimmt er fortan, wer den Namen 'Priester Johann' tragen soll: zunächst Parzival auf 10 Jahre, ihm folgt Feirefiz' Sohn. Vor seinem Tode erklärt Titurel Beschaffenheit und Herkunft des Grals: als Abendmahlschüssel des Joseph von Arimathia (H 6166-78). 4. Quellen. Generell kann heute festgehalten werden, daß A. weniger, als früher angenommen wurde (BoRCHLiNG, 1897), 'erfunden', vielmehr fast durchwegs auf Quellen zurückgegriffen hat. Diese zu eruieren, fällt freilich schwer (s. LECKIE Jr., 1967, 1969, 1970; KERN, 1974). Deutsche literarische Quellen: durchgehend Wolframs Werke (detaillierte Nachweise bei BORCHLING, 1897, S. 4-106), auf die zudem ausdrücklich verwiesen wird: 'Parzival' (18, 86, 552, H5910), 'Willehalm' (H5910), Titurel' (499A, 1172A); von Wolfram übernommen sind die Berufungen auf Kyot und Flegetanis (86, 91, 2993, H4539, H5295 f., vorletzte Str. in den Hss. C und J, s. WOLF, 1939, S. 112); zu den zahlreichen Stellen, an denen sich A. als Wolfram ausgibt, vgl. BORCHLING, S. 175-183; in der dritten Person spricht A. über Wolfram: 499A, 1172A (indirekt), H5912, vorletzte Str. in den Hss. C und J (WOLF, 1939, S. 112), 'VF'. Andere, namentlich genannte Dichter sind: —» Heinrich von Veldeke (H4831), -* Hartmann von Aue (2402, H4539), ^ Walther von der Vogelweide (607), -*Neidhart (von Reuental) (499E). Außerdem ist die Kenntnis nachgewiesen von: -* 'HerzogErnst'(BORCHLING,S.57f.), Alexandersage (BORCHLING, S. 76-78, LEG-

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KIE Jr., 1970, S. 120-139), 'Wigalois' des Version vom Gral mit der der französischen -> Wirnt von Gravenberg (2212-13, BORCH- Gralsepen, die auf 'Joseph von Arimathia' LING, S. 81), 'Crone' des -> Heinrich von des Robert von Boron zurückgehen. Weitere dem Türlin (NYHOLM, 1967, S. 39-41), 'Hei- Einzelheiten lassen auf die Kenntnisse des liger Georg' des -> Reißbot von Durne 'Grand Saint GraaP schließen: Parallelen (H4745f., BORCHLING, S. 79; LECKIE Jr., • zwischen Senabor/Parille und Joseph, Chri1969,5.133-144). stianisierung Frankreichs und Britanniens Vielfältig und umfangreich, aber erst in (Kornwale 116f.), Wanderung bzw. RückAnsätzen untersucht sincl die religiös- kehr des Grals in den Orient (PANZER, 1898, n a t u r k u n d l i c h e n Q u e l l e n A.s: Bibel, Sp. 119-122; WOLF, 1952/53, S.338-340; Bibel-Exegese, Meßkanon, Physiologus, NYHOLM, 1967, S.42f.). Widersprüchlich Lapidarien, der Presbyterbrief des sog. bleibt, daß sich Kenntnisse der 'Joseph'-> 'Priesterkönigsjohannes' (H6030-6158), bzw. 'Grand Saint Graal'-Tradition bereits darin (H 6083-6099) die Reisebeschreibung zu Anfang des 'JT' (vgl. die eben genannten des Johannes de Piano Carpini von 1245- Beispiele, dazu Str. 109 ff.: getaufter Ves1247. Vieles bleibt noch zu entdecken; rei- pasian!) zeigen (s. WOLF, 1950, S. 93 u. ches Material bei: ZARNCKE, 1876 (An- 1952/53, S. 338-343; NYHOLM, 1967, S. 42). merkungen), 1879 u. 1883, dazu RINGBOM, 5. I n t e r p r e t a t i o n s a n s ä t z e - F o r m 1951, S.457f.; BORCHLING; WOLF, 1942, und Stil. Die Frage nach A.s Stil bildet die S. 225-248; WOLF, 1950, S. 73-95; LECKIE Kernfrage zur Bewertung des 'JT' überJr., 1967, 1969 u. 1970; für den Prolog haupt; sie ist eng verbunden mit der Beurgrundlegend KERN, 1974. teilung von A.s Verhältnis zu Wolfram. Die Frage l a t. - f r a n z ö s i s c h e r Q u e l l e n ZARNCKE und WOLF hatten sie mit Rückist kontrovers und u.a. abhängig von der sicht auf die Notwendigkeit der Herstellung Frage Albrecht = Albrecht von Scharfen- eines lesbaren Textes weitgehend ausgeberg? Fest steht: A. kannte die 'Historia klammert. So blieb BORCHLINGS Urteil (zum regum Britanniae' des Geoffrey of Mon- Stil ausführlich 1897, S. 110-186), sklavische mouth, Kronik ze Britanje und Karnevale in Nachahmung Wolframs mit abgeschmacklatine (4078), aus der er die Lucius-Episode ten Eigenleistungen, lange Zeit bestimmend, (H4551^4651) erzählt; Einzelheiten setzen obwohl es bereits durch O. MORDHORST, die Kenntnis französischer Quellen voraus: 1911, überholt war, der A. unter die 'BlüWaces 'Brut' (Lucius lamprure H4591, s. mer' einreihte und damit andere Maßstäbe NYHOLM, 1967, S. 42f.) und Teile des Vul- bereitstellte. Diese Linie verfolgt NYHOLM, gat-Zyklus des frz. -> 'Lancelot-Gral- 1971, in einer methodisch breit angelegten Prosaromans', 'Merlin' und 'La Mort Artu' Arbeit, die A.s Stellung unter den 'Blümern' (Anlaß der Feindseligkeiten sind nicht offi- nach unterschiedlichen Traditionsströmen zielle Tributforderungen, sondern beiläu- (Marienpreisdichtung) mit reichem Matefige Nachrichten von Artus' unehelicher rial zu präzisieren sucht. Erst ROLL, 1964, Geburt, H 4552; Artus selbst tötet Lucius, hat aus der Stilfrage Konsequenzen für den H4646), wodurch BORCHLINGS These, A. Text des 'JT', eines 'der bedeutendsten Werkönne kein Französisch (S.70-75), hin- ke des geblümten Stils' (S. 10), gezogen, weil fällig wäre. In die gleiche Richtung weisen 'die strengen Regeln' von A.s Stil 'die einziA.s unterschiedliche Gral-Kenntnisse Wäh- gen Kriterien für die nicht mechanisch sich rend der Gral zu Beginn des 'JT', obschon ergebenden, echten Entscheidungen' in der nicht eigens beschrieben, doch entsprechend Textkritik liefern (S. 70). ERODES, 1966, Wolframs Version als Stein gedacht werden umfassende und nuancenreiche Darstellung muß, beschreibt ihn Titurel am Ende betont die neue, die 'geistliche Sicht' A.s, (H 6172 ff.) als schussel aus stein (laspis und was KERN, 1974, bestätigt, und damit die silix), die Joseph von Aramate als erster Distanz zu Wolfram: 'Die Vergemeinschafverwahrte und von einer anderenderXwnsie- tung mit dem Publikum vor dem Stoff und nopeler als echt unterscheiden konnte, vor Gott bedeutet eine grundsätzliche Abd.h. A. verbindet hier die Wolframsche kehr von der Haltung des klassischen Er-

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Zählers' (S. 192). Dagegen versteht RAGOTZKY, 1971, A.s Stil 'als Signatur der heilsgeschichtlichen Konzeption' (S. 134), die A. im Bewußtsein der 'richtigen' Aneignung eines 'authentische(n) Wolframbild(es)' seiner Zeit entwarf. Zeitkritik erkennt ZATLOUKAL, 1974, in der Benutzung des Priester-Johannes-Briefes (H 60306158): der Gegenwart (Interregnum) den Idealstaat 'India' als 'normatives Leitbild' vorzuhalten (A. auf päpstl. Seite; S. 425). Eine wesentliche Gegebenheit für den Stil von 'JT, 'ML' und 'VF' bildet die von Albrecht gewählte Strophenform: eine Weiterentwicklung von Wolframs TiturelStrophe in der Hinsicht, daß A. Zäsurreime in den ersten beiden Zeilen einführt und bestrebt ist, alle Kadenzen klingend enden zu lassen und alternierenden Rhythmus durchzuführen, so daß die Strophe praktisch aus 7 Kurzzeilen besteht, wie sie auch mehrheitlich überliefert ist; nur Hs. H und Frgm. Nr. 40 schreiben die Strophe in 4 Langzeilen (WoLF, 1959, S. 163). Zu dieser Strophe ist eine Melodie auf Bl. der Hs. A überliefert zusammen mit dem Text einer Strophe, der sog. Sigunen-Klage, die im 'JT' nicht vorkommt, sondern jünger zu sein scheint und vielleicht Teil eines ververlorenen 'Rollengedichts' war, dem sie als 'VersschimmeP entnommen wurde (WoLF, 1959, S. 176f.; MERTENS, 1970, S. 225). Der Bau von Strophe und Melodie erweist sich als eine Weiterentwicklung der Kudrun-Strophe (MERTENS, S. 236; hier weitere Lit. zur Melodie). Diese Strophe bestimmt weitgehend Form und Stil des 'JT': metrisch-rhythmische und sprachlich-syntaktische Einheit (Strophensprung ist selten, BRODE, S.22f.); häufige 'Zerdehnung' des finiten Vollverbs durch Infinitiv- und Partizipial-Konstruktionen (klingende Kadenzen), was Klammermöglichkeiten für die lockere Reihung von Parallelsätzen und nachgestellten Attributen trotz hypotaktischer Fügungen schafft und die ständige Kommentierung der Aussagen erleichtert (BRODE, 1966, S. 20, 71; NYHOLM, 1971, S.39f.; HUSCHENBETT, 1974, S.5-18). Diese Strophen-Füllung bezeichnet aber erst einen Aspekt von A.s Stil, der zum anderen darauf gerichtet ist, die Strophen-

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Grenze zu überwinden: durch Fortführung der Aussagen, Kommentare oder Resümees (d.h. der Darstellungsperspektiven) in der bzw. den folg.n Strophe(n) oder Weiterführung der gleichen Thematik werden mehrere Strophen - häufig 6 oder 12 - zu inhaltlich zusammengehörigen Gruppen vereinigt, die ihrerseits in der Art von Moduli kompositorische Grundeinheiten für größere Zentral- und Komplementärkompositionen bilden. Dieses kompositorische Instrumentarium paßt gut zu der mehrfach angenommenen abschnittsweisen 'Veröffentlichung' (s. HUSCHENBETT, 1974, mit weiterer Lit.). A. äußert sich mehrfach über seine Kunst und Fortsetzertätigkeit: 499A-E, 1172A (s. ROLL, 1964, S. 128 f.), in der 'unechten' Schlußstrophe in den Hss. J und K (WoLF, 1939, S. 112) und im 'VF', wo er den Vergleich mit der Vollendung des 'Tempels in Venedig' (2-3) anstellt. A. hat in seiner Graltempel-Beschreibung, der bedeutendsten Architektur-Darstellung in mhd. Dichtung, den neuen Baustil klar erfaßt (s. SEDLMAYR, 1950). A.s 'JT' kann daher unter dem Bilde des Tempels als ein Thesaurus aus geistlichen, naturkundlichen und literarischen Wissensgebieten der Zeit verstanden werden, der für das Heil des Menschen, freilich des 'höfischen', bestimmt ist. 6. W i r k u n g s g e s c h i c h t e . Die breite Wirkung des 'JT' im 14. u. 15. Jh. bezeugen die reiche Überlieferung und die Verwendung der 'JT'-Strophe in 23, teils umfangreichen Werken anonymer und bekannter Autoren, darunter -»Otto von Turne (ed. K. BARTSCH, Nr. XXXI, l u. 2), -»· Heinrich von Mügeln (s. K. STACKMANN, D. Spruchdichter H.v.M., 1958, S. 28 Anm. 7), -> Hadamar von Laber, -> Hugo von Montfort, Ulrich —>· Fuetrer; Bruder Felix -> Fabri, Gereimtes Pilgerbüchlein, ed. A. BIRLINGER, 1864. Die Wirkung erklärt sich vor allem aus der Tatsache, daß der 'JT' - und dies bis in die Tage der Romantik - als Werk Wolframs galt. Vgl. im einzelnen WOLF, Ausg. I, S. IX-XIII; zu -»Berthold v. Regensburg und —> Johann v. Würzburg s.o. II, 1; zu ->Egen v. Bamberg und dem ->· 'Minneburg'-Dichter s. NYHOLM, 1971, S. 106-112.

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B. ' M a r i e n l o b ' Das 42strophige 'ML' fehlt im Überlieferungszweig I und in der Hs. H, steht aber in II als Teil des 'JT' zwischen Str. 439 u. 440. Diese Tatsache allein führte zur Diskussion um die Verfasserfrage: zum 'JT' gehörig oder als separate Arbeit A.s (WOLF, 1939, S. 248; NYHOLM, 1971, S. 53-56) oder von einem Redaktor des 'JT' (ROLL, 1964, S. 125-128) verfaßt? Ausgaben: ZARNCKE, 1876; WOLF, Ausg. I; s. o. III. A. 2. Der Verfasser will im Anschluß an den Graltempel (dirr tempel) unter Bezug auf den von Sant Thomas in Jndya mit Worten geschaffenen Tempel (vgl. H 6138) für Maria einen WortTempel riesigen Ausmaßes (500 Chöre) bauen, der alle prophecien und alle Sinnbilder Mariens darstellen soll. Das 'ML' scheint auf die 'Mariengrüße' (s. ROLL, 1964, S. 125f.; HUSCHENBETT, 1974, S.234 Anm. 71) und auf den 'Goldenen Tempel' —> Hermanns von Sachsenheim eingewirkt zu haben. C.'Verfasserfragment' Heidelberg, cpg 1332, obere Hälfte eines Perg.Blattes, fol., Ende d. 13. Jh.s, spätestens Anfang des 14. Jh.s. Gedruckt: E. PETZET, Über d. Heidelberger Bruchstück d. 'JT', MSB, Jg. 1903, München 1904, S. 287-320 (mit Faksimile); WOLF, Auswahl, S. 78-80; WOLF, 1959, S. 167-169.

Der Text, 23 Strophen bzw. Strr.-Teile in der Form der 'JT'-Str., setzt mit Z. Ib ein, es fehlt daher (mindestens) ein erstes Blatt. Der Verfasser klagt über das unvollendet gebliebene Werk Wolframs (1), betont die Notwendigkeit der Fortsetzung am Beispiel der Baugeschichte der Markuskirche in Venedig (2-3), begründet das Pseudonym 'Wolfram' (4-6), setzt sich unter Preisgabe seines Namens Albrecht (13 u. 15) mit Kritikern in der deutlichen Absicht auseinander, die eigene Leistung herauszustellen, ohne Wolframs Ruhm anzutasten (7-17), und wendet sich an den phalntzgrave (18 bis 23; s. o. II. 3). Zur Beurteilung vgl. PETZET; WOLF, Ausg.I, S. XXV ff. u. CVIf.; RAGOTZKY, 1971, S.141E IV. F o r s c h u n g s g e s c h i c h t e . WOLFS umfassender Forschungsbericht (Ausg. I, S. IX-XLIV) ist zu ergänzen durch

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ROLL, 1964, S. 67-76 und RAGOTZKY, 1971, S. 93-97. L i t e r a t u r . S. BOISSEREE, Über d. Beschreibung d. Tempels d. hl. Grales in d. Heldengedicht: Titurel Kap. III, Abhh. d. phil.-philol. Cl. d. Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss.n l (1835) 307-392; G. WEBER, D. Dom d. hl. Gral, 1868; E. DROYSEN, D. Tempel d. hl. Grales nach A. v. Scharfenberg, Bromberg 1872; F. ZARNCKE, D. Graltempel, 1876 (s.o. III. A.2); ders., D. Berleburger Hs. d. 'JT' u. d. Schluß dieses Ged.s, Germ. 22 (1877) 11-16; ders., Der Priester Johannes, Abhh. d. philol.-hist. Cl. d. Kgl. Sachs. Ges. d. Wiss.n 7 (1879) 829-1030 [hier S. 973-993 die Strr. H 6031 bis 6158], 8 (1883) 1-186; R. SPILLER, Stud, über A. v. Scharfenberg u. Ulrich Füetrer, Diss. Leipzig 1883, gleichzeitig erschienen in ZfdA 27 (1883) 158 bis 179 u. 262-294; P. HAMBURGER, D. Dichter d. 'JT' ZfdPh 21 (1889) 404^19; C. BORCHLING, D. 'JT' u. sein Verhältnis zu Wolfram v. Eschenbach, 1897; F. PANZER, Rez. Borchling, Literaturblatt f. germ. u. rom. Philologie 19 (1898) 117-123; E. PETZET, Über d. Heidelberger Bruchstück d. 'JT', MSB, Jg. 1903, München 1904, S. 287-320; A.E. SCHÖNBACH, Stud. z. Gesch. d. altdt. Predigt IV, 6. Stück: D. Überl. d. Werke B.s v. Regensburg III, WSB 153/4, 1906, S. 78-80; O. MORDHORST, Egen v. Bamberg u. d. 'geblümte Rede', 1911; B. RÖTHLISBERGER, D. Architektur d. Graltempels im 'JT', 1917; W. STÖLTEN, D. Verhältnis d. 'JT' zu Berthold v. Regensburg, Diss. (masch.) Jena 1920; J. SCHWIETERING, Mal. Dicht, u. bildende Kunst, 2: D. Graltempel im 'JT', ZfdA 60 (1923) 118-127; J. TRIER, Architekturphantasien in d. mal. Dicht., GRM 17 (1929) 11-24; H. LICHTENBERG, D. Architekturdarstellungen in der mhd. Dicht., 1931; E. HERMANN, D. Inschrift d. Brackenseils. Wandlungen d. höfischen Weltanschauung im 'JT', Diss. Marburg 1939; W. WOLF, Grundsätzliches zu einer Ausgabe d. 'JT', I: ZfdA 76 (1939) 64-113, II: ZfdA 79 (1942) 49-113 u. 209-248; ders., Zu d. Hinweisstrophen auf d. Wolframfragmente in d. kleinen Heidelberger Hs. d. 'JT', ZfdA 82 (1948/50) 256-264; H. SEDLMAYR, D. Entstehung d. Kathedrale, 1950, S. 85-91; W. WOLF, D. Vogel Phönix u. d. Gral, Fs. F. Panzer, 1950, S. 73-95; L. RINGBOM, Graltempel u. Paradies, Beziehungen zwischen Iran u. Europa im MA, 1951; W. WOLF, Wer war d. Dichter d. 'JT', ZfdA 84 (1952/53) 309-346; ders., Zwei neue Bruchstücke d. 'JT', Fs. W. Stammler, 1953, S. 66-77; H. ROSENHELD, NDBI 176f.u. 178f.; W. WOLF, Nochmals z. 'Ehrenhof' im 'JT', ZfdA 85 (1954/55) 311-313; ders., D. 'JT', 'das Haubt ob teutschen Puechen', WW 6 (1955/56) 1-12; CH. MÜLLER, Studie z. 'JT', Z. Wandlung d. Epik am Ende d. 13. Jh.s in Deutschland, Diss. (masch.) Stuttgart 1957; W. WOLF, Z. Verskunst d. Jüngeren Titurelstrophe, Fs. F.R. Schröder, 1959, S. 163-177; W. ROLL, Stud, zu Text u. Überl. d. sog. 'JT', 1964; M. HUBY, Vers une nouvelle edition seien-

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Bruder Albrecht - Albrecht von Bardewik

tifique de Der 'JT'?, Et. Germ. 20 (1965) 363-366; W. SCHRÖDER, Rez. Roll, AfdA 76 (1965) 27-39; K. NYHOLM, Rez. Roll, PBB (Tüb.) 87 (1965) 442^60; H. BRODE, Unters, z. Sprach- u. Werkstil d. 'JT' von A. v. Scharfenberg, Diss. (masch.) Freiburg i.Br. 1966; W. ROLL, Über d. krit. Herausgabe d. sog. 'JT', Et. Germ. 21 (1966) 588-589; W. WOLF, Sigune auf der Linde (Societas Scientiarum Fennica, Arsbok 42 [1963 bis 1964] B, Nr. 4), Helsinki 1966, S. 1-17; J. BUMKE, Eine neue Str. von Wolframs Titurel ?, Euph. 61 (1967) 138-142; W. R. LECKIE Jr., Bestia de funde, Natural Science and the 'JT', ZfdA 96 (1967) 263-277; K. NYHOLM, A.s v. Scharfenberg 'Merlin' (Acta Academiae Aboensis, Ser. A, Humaniora, Vol.3 Nr.2), Abo 1967; H. G. MAAK, Zu Füetrers 'fraw Eren hof u. d. Frage nach d. Verf. d. 'JT', ZfdPh 87 (1968) 42-46; W. R. LECKIE Jr., 'Gamaniol der vogel': Natural Science and the 'JT' II, ZfdA 98 (1969) 133-144; ders., A. v. Scharfenberg and the 'Historia de preliis Alexandri Magni', ZfdA 99 (1970) 120-139; V. MERTENS, Zu Text u. Melodie d. Titurelstrophe: lamer ist mir entsprungen, Wolfram-Studien I, hg. v. W. SCHRÖDER, 1970, S. 219-239; J. BUMKE, Z. Überl. v. Wolframs Titurel, Wolframs Dicht, u. d. 'JT', ZfdA 100 (1971) 390-431; K. NYHOLM, Stud. z. sog. geblümten Stil (Acta Academiae Aboensis, Ser. A, Humaniora, Vol.39 Nr.4), Abo 1971; H. RAGOTZKY, Stud. z. Wolfram-Rezeption, 1971, S. 93-141; J. HEINZLE, Stellenkommentar zu Wolframs Titurel, Beitr. z. Verständnis d. überlieferten Textes (Hermaea NF 30), 1972; K.-M. PETERSEN, Z. Grundriß d. Graltempels, Fs. K. H. Halbach, 1972, S. 271-306; G. TRENDELENBURG, Stud. z. Gralraum im 'JT', 1972; H. F. ROSENFELD, Ein neues Frgm. v. A.s 'JT', Neuphil. Mitt. 73 (1972) 743-753; J. BUMKE, Titurelüberl. u. Titurelforsch., ZfdA 102 (1973) 147-188; H. DE BOOR, Drei Fürsten im mittleren Deutschland, Fs. I. Schröbler, 1973, S.238-257; A. VIZKELETY, Frgm.e mhd. Dicht.n aus Ungarn, Nr. 5. A. v. Scharfenberg, D. 'JT', ZfdA 102 (1973) 230-234; P. KERN, D. Kommentar z. 'ParzivaP l, 13 f. im Prolog d. 'JT', Fs. H. Moser, 1974, S. 185-199; K. ZATLOUKAL, India - ein idealer Staat im 'JT', Fs. B. Horacek, 1974, S.401-445; D. HUSCHENBETT, A.s 'JT\ Z. Stil u. Komposition, Habilschr. Würzburg 1974 (i. Druck); ders., Ein verloren geglaubtes Frgm. d. 'JT' oder d. zwanzig Damenkleider, WurzburgerProsastud.il,Fs. K. Ruh, 1975, S. 113-122.

DIETRICH HUSCHENBETT Bruder Albrecht Unter dem Namen Bruder Albrecht sant Dominicus orden stehen in dem eine Teilsammlung des -»Berthold-v.-RegensburgCorpus X enthaltenden cod. 955 der St. Galler Stiftsbibl. drei Predigten bzw. Predigtskizzen (X 46, X 48, X 49), die in den

übrigen Corpus-Hss. nur anonym überliefert sind. Daß wir es hier mit -»Albertus Magnus zu tun haben, ist ziemlich unwahrscheinlich, eine Identität mit —> Albrecht dem Lesemeister ist jedoch zumindest nicht auszuschließen. X 46 und X 48 sind in der St. Galler Hs. relativ kurze Skizzen über viererlei Nutzen des Todes Christi für die Menschheit (X 46) und über vier Tugenden, die vom Christen in der Nachfolge Jesu gefordert werden (X 48). An die demgegenüber erweiterten Fassungen der Corpus-Hss. schließt sich bei beiden jeweils noch ein Mosaiktraktat an (s. RICHTER, S.32f.). Die dritte Predigt (X 49) ist etwas länger. Sie behandelt - ebenfalls stichwortartig das Liebesgebot ( 13,34) unter Heranziehung mehrerer Schriftbelege, die jeweils kurz gedeutet werden. L i t e r a t u r . Ausgabe (nach Sang 955) v. A. E. SCHÖNBACH, WSB 153/4, 1906, S. 133-134, 137-140; D. RICHTER, D. dt. Überl. d. Predigten Bertholds v. Regensburg (MTU 21), 1969, S. 32f., 39-41, 67f., 71; MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S. 45 (T49).

DAGMAR LADISCH-GRUBE M(eister) Albrecht -> Meister Albrant Albrecht von Bardewik Wohlhabender 'Gewandschneider' in Lübeck, gehörte dem Lübecker Rat von 1291 bis zu seinem Tode (vor Dez. 1310) an und wurde 1308 zum Bürgermeister gewählt. Als Kanzler und Leiter der Ratsschreiberei hat er maßgebenden Anteil an der Redaktion des Lübischen Rechts von 1294 (Bardewikscher Kodex), an der Kodifizierung des Lübischen Seerechts (1299) sowie an den Anfängen lübischer Geschichtsschreibung ('Chronik' 1298). Während die Redaktion des Stadtrechts eine ältere Rezension geringfügig erweitert und in der Gliederung systematisiert, fußt das 'Schiffrecht' auf hamburgischer Vorlage, und bei den historischen Aufzeichnungen konnte sich Albrecht auf die Berichte Alexander —> Hunos und —> Luders vom Ramesloh stützen. Im ersten Teil der Chronik, die sich mit den Erlebnissen Heinrichs von Mecklenburg befaßt, sind Reste alter Reime erhalten.

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Albrecht III. von Bayern - Albrecht von Bonstetten

Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Stadtrecht-Fassung von 1294: Lübeck, Staatsarch., 'Bardewikscher Kodex'; Elbing, Stadtarch., 'Elbinger Kodex' von 1295; Kolberg, Ratsarch., 'Kolberger Kodex lübischen Rechts' von 1297. 2. Seerecht: Lübeck, Staatsarch., 'Copiarius' Albrechts von Bardewik, 354r-361v. - 3. Chronik: dieselbe Hs., 335r-350r. A u s g a b e n . 1. Stadtrecht: J. F. HACH, D. alte Lübische Recht, Lübeck 1839, S. 229-376; H. RIEMANN, Gesch. d. Stadt Colberg, 1873, S. II, Beilagen S. 100, 104f. (Kolberger Kodex). Vgl. G. KORLEN, Norddt. Stadtrechte II: D. mnd. Stadtrecht von Lübeck nach seinen ältesten Formen, Lund 1951. - 2. Seerecht ('Schiffrecht'): J. C. H. DREYER, Specimen juris publici Lubecensis [...] circa inhumanum jus naufragii, Wismar 1761, S. 316-324; J. M. PARDESSUS, Collection des lois maritimes, Paris 1828-45, III, S. 404-406; Urkundenbuch d. Stadt Lübeck, Lübeck 1843 ff., II, Nr. 105; Monumenta juridica. The Black Book of Admirality, hg. T. Twiss, London 1871-76, IV 357-365. -3. Chronik: W. MANTEL/K. KOPPMANN, Aufzeichnungen A.s v. B. v. J. 1398, in: Chron. dt. St. XXVI, 1899, S.285-316. Ältere Ausg.n sind verzeichnet bei Eis/KEIL, S. 170. L i t e r a t u r . H. TESKE, Ein verlorenes mnd. Lied über d. Heimkehr Herzog Heinrichs v. Mecklenburg, Nd. Korrespondenzbl. 54 (1941) 33-37; G. KORLEN, D. mnd. Texte d. 13. Jh.s, Lund 1945, S. 136-148, 160-165; G. Eis/G. KEIL, Nachträge zum VL, PBB (Tüb.) 83 (1961) 167-226, hier S. 168-170,190.

G. KEIL Albrecht III. von Bayern Herzog A. III. von Bayern-München (1401-1460) war nicht nur ein bedeutender Förderer deutschsprachiger Literatur im SpätMA (vgl. Johannes ->Hartlieb, -»•Johann von Indersdorf u.a.), sondern scheint auch als Verf., wenngleich in weit bescheidenerem Rahmen, hervorgetreten zu sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist ein kurzer Text mit dem Titel Hertzog Albrechts rennen auf ihn zu beziehen, der in pferdemedizinischen Hss. und Drucken des 16. Jh.s öfter begegnet (z.B. in den Roßarzneibüchern des Grafen Wolf gang II. von Hohenlohe und Reicharts, Pfalzgrafen bei Rhein), wobei die wohl älteste Überl. im Roßarzneibuch des Hornecker Deutschordenskomturs -> Hartmann von Stockheim (Heidelberg, cpg 281, 198V, 1. Viertel d. 16. Jh.s) zu finden ist. Der Herzog, Liebhaber der Pferde und des Pferderennens, der 1448 auch die erste Münchner Renn-

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ordnung (Ordnung des rennens im jarmarckht zu Munichen anno XLVIII} erlassen hat, beschreibt in diesem Rezept die Herstellung eines Pulvers, das dem Pferd unters Futter zu mischen ist, wonach es in jedem Rennen Sieger wird. Das DopingRezept soll auf ein Augsburger Rennen von 1446 zurückgehen, bei dem ein Pferd A.s den Sieg davontrug. Die Originalität ist jedoch gering, da eine Vorform bereits in der -»· 'Roßaventüre' (um 1400) enthalten ist. L i t e r a t u r . G. Eis, Zu d. zeitgenössischen Aufzeichnungen überd. süddt. Pferderennen im 15. Jh., in: Eis, Forsch, z. Fachprosa, Bern u. München 1971, S. 169-174 (mit Edition). - H. ROTH, Pfalzgräfl. Pferdeheilkunde, vet.-med. Diss. Berlin 1935, Rezept Nr. 56; W. SUBKLEW, D. zweite Roßarzneibuch Graf Wolfgangs II. von Hohenlohe (1564), Quellen u. Stud, z. Gesch. d. Naturwiss. u. d. Medizin 5 (1936) 318-480, hier S. 330f., 418f.; G. Eis, D. Roßaventüre, Beitr. z. Gesch. d. Veterinärmedizin 2 (1940) 257-274; ders., Z. Roßarzneibuch Meister Albrants, Beitr. z. Gesch. d. Veterinärmedizin 4 (1941/42) 33^4, hier S. 43; W. SCHMITT, Hans Hartliebs mantische Schriften u. seine Beeinflussung durch Nikolaus v. Kues, Diss. Heidelberg 1963, bes. S.61 f.; vgl. auch B. HAAGE, D. Traktat 'Von dreierlei Wesen der Menschen', Diss. Heidelberg 1968, S. 156-164.

WOLFRAM SCHMITT Albrecht von Bonstetten 1. Geb. um 1442/43 inUster (Kt. Zürich), aus altem Zürcher Freiherrengeschlecht. 1465 Eintritt ins Kloster Einsiedeln. Studium der Artes in Freiburg (1466) und Basel (bis 1468) und des kanonischen Rechts in Pavia (1471-74). 1470 Dekan des Klosters Einsiedeln, 1474 Priesterweihe, 1482 Ernennung zum Hofpfalzgrafen und Hofkaplan durch Friedrich III., 1498 Dr. iuris. Gest. um 1504. Seine Schriften lassen beachtliche Verbindungen zu Friedrich III. und Maximilian L, zu Herzog Sigismund von Tirol und besonders auch zum frz. König erkennen. Literarisch wesentlich ist für A. die Beziehung zu -> Nikolaus von Wyle, mit dem er seit 1469 in Korrespondenz steht, der ihn auch für die Schriften des Aeneas Silvius (—»Piccolomini) interessiert. Faßbar ist Wyles Wirkung am deutlichsten in A.s Übersetzungspraxis. Zur Überl. von A.s Schriften zuletzt LHOTSKY.

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Albrecht von Bonstetten

2. Die 1470 entstandene Frühschrift Toema de lustitie ceterarumque Virtutum exilio', die in die Form eines Briefes an Nikolaus von Wyle gefaßte allegorische Darstellung einer prozessualen Auseinandersetzung zwischen Gerechtigkeit und Welt, steht in der Nachfolge von Aeneas' 'Somnium de Fortuna' an Prokop von Rabstein. A u s g a b e . BUECHI, 1893, S. 151-169.

3. A.s wichtigste Leistung sind seine historischen Schriften. Am 21.3.1477 widmete er Herzog Sigismund und der Niederen Vereinigung die 'Germanica prelia Karoli quondam Burgundie ducis et finis ejus', deren dt. Übersetzung 'Die tütschen stritt Karoli ettwan herzogen zu Burgund und sin ende' er am 13.4.1477 vollendete. 1479 folgte die kleine Abhandlung 'De provisione vacantis ducatus Burgundie', die ein beredtes Lob des jungen Paars Maximilian und Maria enthält. A u s g a b e . Arch. f. Schweiz. Gesch. 13 (1862) 283 bis 298 (Burgunderkricg, lat.), 299-316 (Burgunderkrieg, dt.), 318-324 ('De prov.').

Die noch ungedruckten 'Varia de origine, indulgentiis, rebus et gestis insignis monasterii dive Marie loci heremitarum' von 1480 (Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 5656) müssen als Vorarbeit zu der 1494 gedruckten Schrift 'Von der loblichen Stiftung des hochwirdigen gotzhus Ainsideln unser lieben Frowen' angesehen werden. Die 1479 entstandene 'Superioris Germanie confederationis descriptio' (dt. Übers.: 'Der Obertütschheit Eidgenosschaft stett und lender gelägenheit und darin der menschen sitten vil kurze beschribung') ist die erste auf zeitgenössische Chronistik und eigene Anschauung gestützte landeskundliche Darstellung der Schweiz. A u s g a b e n . 'Von der loblichen Stiftung': BUECHI, 1893, S. 187-214; 'Sup. Germanie conf. descriptio' und deren dt. Übers.: BUECHI, 1893, S.226-267.

Die 'Historia Domus Austrie' von 1491 (dt. Übers., 1492, Herzog Sigismund gewidmet: Wien, cod. 13652) führt die habsburgische Dynastie entgegen der damals gültigen Auffassung auf die Scipionen zurück. A u s g a b e . Teildruck des lat. Textes: M. FIDLER, Gesch. d. ganzen österr. weltl. u. klösterl. Klerisey, Bd. II 4, Wien 1782, S. 90-180.

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4. An religiösen Schriften A.s sind überliefert: a) die 'Historia fratris Nicolai de Rupe' (dt. Übers.: 'Das Leben Bruder Niklausen'), 1479 (-> Nikolaus von Flüe). A u s g a b e . Geschichtsfreund 18 (1860) 18-27 u. 27-34.

b) Zweimal übersetzte A. v. B. im Auftrag des Abtes von Fischingen die Legende der hl. -»'Ida von Toggenburg' aus dem Dt. ins Lat. (1481 und 1485). Im Jahre 1486 zog er diese beiden Fassungen (A und B) für eine Rückübersetzung ins Dt. (Fassung D) heran. KERN glaubt, in der Hs. Cl.XV, Sign. 9, Nr. 12 des Frauenfelder Archivs diese Fassung sehen zu können. D wurde in einigen von Sebastian ->Brant herausgegebenen Drucken des Legendars -> 'Der Heiligen Leben' aufgenommen (vgl. W. WILLIAMS-KRAPP, Stud, zu 'Der Heiligen Leben', ZfdA 105 [1976] 274 ff. Anm. 59). A u s g a b e . KERN, S.60-83 (Abdruck sämtl. Fassungen).

c) Dem Kurfürsten Ernst und seinem Bruder Albrecht von Sachsen ist eine dt. ->'Gerold'-Prosalegende (v.J. 1484) gewidmet; sie ist nur in Ulrich Wittwilers gedruckten Einsiedler Chroniken überliefert (vgl. RINGHOLZ, 1904, S. 498f., 665, 667). A u s g a b e . RINGHOLZ, 1904, S.662-665 (nach dem Druck von 1577).

d) die Oratio beati Bernhardi', 1480. A u s g a b e . O. RINGHOLZ, D. selige Markgraf Bernhard v. Baden, 1892, S. 69.

e) ein Friedrich III. zugeeignetes Marienbrevier von 1493, 'Septem höre canonice virginis Mariae' (Basel, ÜB, cod. A IX 34). f) eine ihm zugeschriebene Überarbeitung der lat. —> 'Meinrad'-Legende ist lediglich eine Abschrift der alten Vita, die von einem anonymen Reichenauer Mönch stammt (vgl. RINGHOLZ, S. 479). L i t e r a t u r . A. BUECHI, A. v. B., Frauenfeld 1889; ders., A. v. B., Briefe u. ausgew. Schriften (Quellen z. Schweizer Gesch. 13), 1893; P. JOACHIMSEN, Frühhumanismus in Schwaben, Württ. Vierteljahrsh. f. Landesgesch. 5 (1896) 104-106; O. RINGHOLZ, Gesch. d. fürstl. Benediktinerstifts Einsiedeln 1,1904, S. 470-479, 498 f., 520-525; L. M. KERN, D. Ida v. ToggenburgLegende, Thurgauische Beitr. z. Vaterland. Gesch. 64/65 (1928) 31-59; O. VASELLA, Bruderklaus u. Nord-

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Albrecht van Borgumnien - Albrecht von Eyb

lingen, ZSchwKG 54 (1960) 68-71; FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung, S. 104ff.; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 422 ff. „ „

HANS FUEGLISTER

Albrecht van Borgunnien

A. v.B. war als meyster (der Wundarznei) grotliken kunstich vnde voruaren in mannigerhande kunst vnde arstedye; er nannte sich nach Borgunnien in Vlanderen Lande (vielleicht Borgoenien bei Zonnebeke) und hatte ein bok to hope geset, das er - ähnlich wie der Kompilator des ->· 'Wolfenbütteler Arzneibuchs' - in zwei Textgruppen teilt, die er aus landessprachigen Vorlagen des sächsischen Raumes zusammenfügt. Am Anfang stehen die Kapitel eines Kräuterbuchs, denen sich als zweite Textgruppe die Vorschriften eines vierteiligen Rezeptars anschließen; den Schlußabschnitt bilden Laßregeln, Diagnose-Schemata und ein Regimen duodecim mensium. Während das Rezeptar Spuren eigenwilliger Redaktion erkennen läßt, ist das Kräuterbuch selbständig zusammengestellt und zeigt Straffungen, Umprägungen sowie Neuformulierungen des übernommenen Wortlauts. Mit der -»· 'Dudeschen Arstedie' besteht Quellengemeinschaft; mehrere Stränge führen zum —> 'Utrechter Arzneibuch' und weiter zu einem vom -»'Kasseler Arzneibuch' repräsentierten Textbestand; an Endquellen sind - oft über hd. Zwischenstufen (-> Bartholomäus Salernitanus) - salernitanische und vorsalernitanische Texte nachgewiesen; jüngere Überlieferungen weisen unter anderem auf Montpellier (Pseudo-Johannes Paulinus, -> Petrus Hispanus). A.v.B. war im nordniedersächsischen - vielleicht nordalbingischen -Raum tätig; der einzige Textzeuge seines 'Arzneibuchs' (London, Brit. Mus., Ms.Sloane 3002) wurde nach 1400 in Schleswig, Jutland oder Schonen aufs Pergament gebracht. A u s g a b e : W.L. WARDALE, A. v.B.s treatise on medicine, London 1936 (dazu Rez. v. A. LASCH, AfdA 56 [1937] 35-38.). L i t e r a t u r . W. L. WARDALE, A Low GermanLatin miscellany of the early fourteenth century, Nd. Mitt. 8 (1952) 5-22; ders., The 'Excerpta Ipocratis vnde Bartholomei' of Göttingen MS. hist. nat. 51, Nd. Mitt. 10 (1954) 5-23; ders., Some notes on the Stockholm MS X113 and the Göttingen Ms. hist. nat. 51, in: Fs. G. Eis, 1968, S. 457-467; A. LINDGREN, Ein Stock-

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holmer mnd. Arzneibuch aus d. zweiten H. d. 15. Jh.s, Stockholm 1967, S. 27 u. ö.; M. P. KOCH, D. 'Erfurter Kartäuscrregimen', Diss. Bonn 1969, S. 54; G. Eis/ G. KEIL, A.v.B., StN 43 (1971) 383f.; J.TELLE, Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S. 113-115.

G. KEIL Albrecht von Eckelsheim -> Fleischmann, Albrecht Albrecht von Eyb I. Leben. Grundlegend die Biographie HERRMANNS ; Ergänzungen bei KIST, S. 173-175; WEIN ACHT, S. 170-182. Zur Bibliothek s. HERRMANN, S. 142-160, und GAILHOFER.

A. wurde am 24. August 1420 auf Schloß Sommersdorf bei Ansbach geboren. Der Familientradition entsprechend als dritter Sohn zum Geistlichen bestimmt, wurde er 1444 Eichstätter, 1452 Bamberger Domherr, 1458 Cubicularius Pius' II., 1462 auch Würzburger Domherr und Inhaber des Archidiakonats Iphofen. Die Pfründeneinkünfte und Zuwendungen seines älteren Bruders -»Ludwig von Eyb d. Ä. erlaubten A., sich eine gründliche Bildung zu erwerben. Er studierte zunächst 1436-38 in Erfurt Jura, mußte aber nach dem Tode des Vaters den dortigen Aufenthalt auf Drängen Ludwigs abbrechen und besuchte bis 1443 die Stadtschule in Rothenburg o.d.T. 1443/44 hielt er sich ein weiteres Semester in Erfurt auf; dann ging er von 1444 bis 1459 nach Italien, wo er die Universitäten Bologna, Padua und Pavia besuchte. 1452 unterbrach er den italienischen Aufenthalt für ein Jahr, um der Residenzpflicht in Bamberg nachzukommen. A. zogen in Italien die studia humanitatis an. Er beschäftigte sich mit antiker Literatur und lernte die darauf fußenden moralphilosophischen Lehren der italienischen Renaissance kennen. Angeleitet wurde er von humanistisch gesinnten Professoren; den größten Einfluß auf ihn haben Johannes Lamola (Bologna, f 1449) und Balthasar Rasinus (Pavia, f 1468) gehabt. Zwischen 1448 und 1459 sammelte er eine umfängliche Bibliothek; die erhaltenen Hss. zeigen, daß er Vorlesungen über Plautus,

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Albrecht von Eyb

Terenz, Cicero, Valerius Maximus und Laktanz hörte. 1459 schloß A. die lange vernachlässigten juristischen Studien mit der Promotion zum Doktor beider Rechte ab und kehrte nach Deutschland zurück. Streitigkeiten um die Würzburger Pfründe, in deren Verlauf er von seinen Widersachern entführt und erst gegen ein hohes Lösegeld freigegeben wurde, zwangen ihn noch zweimal zu Romreisen (1461 u. 1462). Bis zu seinem Tode am 24. (23.?) Juli 1475 war er in Franken als Jurist tätig. Die juristische Tätigkeit ist bisher kaum untersucht. Einzelne Hinweise gibt HERRMANN, S. 258-265. A. scheint sich vorwiegend auf Ehe- und Familienrechtsfragen spezialisiert zu haben, daneben war er für den Hohenzollern Albrecht Achilles tätig. Ein Teil der Gutachten und zahlreiche Aktenstücke, z.T. in eigenhändigen Abschriften, sind in den beiden Hss. Eichstätt, SB, cod. 481 (olim 223) und cod. 482 (olim 247; bisher nicht als A.-Hs. erwähnt) erhalten. Einzelne Stücke aus cod. 481 hat M. HERRMANN, Z. frk. Sittengesch. d. 15.Jh.s, Germ. 35 (1890) 45-54 besprochen, darunter die Gutachten zum Prozeß des Johannes -> Pirckheimer gegen Sigismund Stromer (1465 vor dem Bamberger Dekanatgericht).

II. Werk. A. hat lat. und dt. Schriften mit vornehmlich moralisch-didaktischem Inhalt verfaßt. Themenwahl und formaler Aufbau sind vom italienischen Humanismus beeinflußt. In den dt. Werken findet sich verstärkt Nachwirkung mal. Tradition (s. u. 7,8), weshalb HILLER die durch HERRMANN vorgenommene Einbeziehung A.s unter die frühen deutschen Humanisten grundsätzlich verneint. Die heutige Forschung (s. RUPPRICH, S. 452^455; HENNIG, S. 87-92) sieht in dem Nebeneinander beider Traditionen ein typisches Kennzeichen des deutschen Frühhumanismus. L a t e i n i s c h e Werke. In Bamberg entstanden 1452 vier kleine Abhandlungen, denen humanistische Scheltund Prunkreden als Vorbild dienten (die Nrr.1-4). 1. 'Tractatus de speciositate Barbare puellule'. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 504, f. 348; clm 6717, f. 69; Bern, StB, cod. Bern. 506, 6V-9V. Ausgabe.HERRMANN, S. 100-102.

2. 'Appellacio mulierum Bambergensium', eine von Leonardo Brunis Oratio

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Heliogabali' angeregte Satire auf den lockeren Lebenswandel der Bamberger Frauen. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 504, 349r-350r. A u s g a b e . HERRMANN, S. 104-107.

3. 'Ad Laudem et Commendationem Bamberge Ciuitatis Oratio'. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 522, f. 193; Rede Nr. 16 der 'Margarita' (s. u. 5). A u s g a b e . HAMMER, S. 14-19.

4. 'De Commendatione dignissimi et diuinissimi Eucharistiae sacramento Oratio', eine Gründonnerstagspredigt, die A. vielleicht bei seiner Einführung als Domherr gehalten hat. Ü b e r l i e f e r u n g . Rede Nr. l der 'Margarita' (s. u.

5).

5. 'Margarita poetica', 1459 wohl noch in Italien zusammengestellt. Ü b e r l i e f e r u n g . AutographEichstätt,SB, cod. 633 (olim 88); ferner ebd., cod. 244 (olim 214); Würzburg, ÜB, cod. M.ch. f. 19. Ab 1472 Frühdrucke GW 9529 bis 9537; außerdem o. O. 1502; Basel 1503, Straßburg 1503. Separatdrucke des ersten Teiles GW 9538-9541.

A. hat mit der 'Margarita' versucht, eine humanistische Rhetorik zu verfassen. Der erste Teil enthält zunächst eine erweiterte Fassung der von ihm um 1457 geschriebenen 'Praecepta artis rhetorice' (GW 9542, 9543; s. HERRMANN, S. 181-185), darauf folgt ein Florilegium römischer Lyriker. Treten schon hier die theoretischen Überlegungen hinter der Fülle von mitgeteilten Textbeispielen zurück, gibt A. den Versuch einer Verbindung von rhetorischer Theorie und praktischem Beispiel im umfangreicheren zweiten Teil der 'Margarita' völlig auf. Er beschränkt sich darauf, ausgewählte Texte anzuführen. Als Muster des lat. Stils gilt ihm Cicero, von dessen Schriften er umfangreiche Excerpte aufgenommen hat. An zweiter Stelle folgt Laktanz, der als 'christlicher Cicero' von den italienischen Humanisten geschätzt wurde. Breiten Raum nehmen auch Valerius Maximus, Terenz und Plautus ein. Mit kürzeren Auszügen vertreten sind andere antike Autoren (u. a. Caesar, Apuleius, Macrobius), während Texte der Kirchenväter, sieht man von Laktanz und einem knappen Orosius-Excerpt ab, fehlen. Von mal. Schriften ist nur Walther Burleys 'De

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Albrecht von Eyb

vita et moribus philosophorum' (A. nennt fälschlich Diogenes Laertius als Verf.) in nennenswertem Umfang berücksichtigt worden. Die italienische Renaissance ist mit langen Passagen aus den Schriften -> Petrarcas vertreten. Den Abschluß der 'Margarita' bilden dreißig Reden als Beispiele humanistischer Stilkunst, darunter solche von Antonius Beccadelli (Nr. 9; 14), Bessarion (Nr. 11); Johannes Lamola (Nr. 3), Poggio Bracciolini (Nr. 15; 19) und A. selbst (Nr. 1; 16; 17; 30). Die 30. Rede ist zugleich der Epilog des Werkes; A. verteidigt darin die Bildungsideale des italienischen Humanismus. Seine Argumentation stützt er mit stillschweigend aus Leonardo Brunis 'De studiis et litteris über' übernommenen Abschnitten. Der Erfolg der 'Margarita' zeigt, daß sie in Deutschland eine Lücke ausfüllte. Vollständige Ausgaben der in ihr gesammelten Texte waren nur schwer erhältlich, sie bot dafür einen vorläufigen Ersatz. Erst als sich die Situation durch die Zunahme des Buchdruckes um 1500 grundlegend wandelte, war das Werk überholt und wurde nicht mehr neu aufgelegt.

6. Um die Jahreswende 1459/60 entstanden in Eichstätt die drei Traktate 'An viro sapienti uxor sit ducenda', 'Clarissimarum feminarum laudacio', 'Invectiva inlenam'. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 650, 27r-72r (nach HERRMANN, S. 155f. eine von A. autorisierte Kopie); Eichstätt, SB,cod. 186 (olim387),269r-289r. 'An uxor' außerdem in Eichstätt, Bisch. Arch., Hs. o. Sign., lr-19r; München, clm 522, 259r-271". Eine frühere Fassung der 'Laudacio' ist die Rede Nr. 17 der 'Margarita' (s.o. 5).

Die Schriften behandeln unter verschiedenen Aspekten Ehe und Frauen. A. benutzte als Quelle hauptsächlich das in der 'Margarita' (s.o. 5) gesammelte Material. Die 'Invectiva' zeichnet das negative Gegenbild zu den positiven Frauenschilderungen der beiden anderen Traktate. D e u t s c h e Werke. 7. Die lat. Werke der Zeit von 1452 bis 1460 dienten A. zu einem Teil als Quelle zu seiner ersten dt. Schrift Ob einem manne sey zunemen ein eelichs weyb oder nicht' (sog. 'Ehebüchlein'), die er am Neujahrstag 1472 dem Rat der Stadt Nürnberg widmete. Ü b e r l i e f e r u n g . Frühdrucke GW 9520-9528. Weitere Ausg.n Augsburg 1517; [Regensburg 1532];

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Augsburg 1540. Die erhaltenen Hss. sind Abschriften von Drucken. A u s g a b e n . M. HERRMANN, Dt. Schriften des A. v. E., Bd. I: D. Ehebüchlein, (Schriften z. german. Philol. 4), 1890. Auswahl nach dieser Ausg. bei H. RUPPRICH, D. Frühzeit d. Humanismus u. d. Renaissance in Deutschland (DLE 8, 1), 1938, S. 264-274. Faksimile des Druckes Nürnberg (A. Koberger) 1472 mit Nachw. u. Bibliogr. d. Drucke v. E. GECK, 1966.

Die im Titel aufgeworfene Frage wird in den beiden ersten Teilen der Schrift behandelt. A. spricht sich mit gewissen Einschränkungen für die Ehe aus und begründet seine Entscheidung theologisch, moralphilosophisch und juristisch. Die von Gott geschaffene Ordnung der Welt erfordert die Ehe zur Mehrung des menschlichen Geschlechts. Nur in ihr können das natürliche Verlangen des Menschen und die gebotene Sittsamkeit in Einklang gebracht werden. Ein Verfall der Ehe bedeutet zugleich die Auflösung jeder gesellschaftlichen Ordnung, die letztlich auf sie gegründet ist. Zur Veranschaulichung seiner durch zahlreiche Zitate abgesicherten Meinung legt er die Übersetzungen zweier Renaissance-Novellen ein ('Marina', 'Guiscard und Sighismunda'). Sie gehören zu den sprachlichen Meisterleistungen des deutschen Frühhumanismus. Den Höhepunkt des zweiten Teiles bilden die beiden Kapitel 'Das lob der Ee' und 'Das lob der frawen', in denen A. noch einmal alle vorher verstreut angeführten Argumente für die Eheschließung gesammelt vorbringt. Der dritte Teil hängt nur lose mit den beiden vorhergehenden zusammen; die spezielle Thematik wird nach Ausführung über die rechte Gestaltung der Hochzeitsfeier verlassen. Die das Werk beschließenden zwei Kapitel enthalten zunächst eine Betrachtung über die Hinfälligkeit und Sündhaftigkeit der menschlichen Existenz, dann, als Gegengewicht zu den vorangehenden pessimistischen Äußerungen, die Übersetzung einer lat. Fassung der mal. -> 'Albanus'-Legende unter der Überschrift 'Das kein sunder verzweyfelen solle'. 8.1474 stellte A. als zweites dt. Werk den 'Spiegel der Sitten' fertig. Ü b e r l i e f e r u n g . Einziger Druck posthum Augsburg 1511. Separatdrucke des dritten Teiles (Komödienübers.n) Augsburg 1518; Augsburg 1537; außer-

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dem zusammen mit Johann -»Paulis 'Schimpf und Ernst', Frankfurt 1550. Vgl. WORSTBROCK, Antikerez., Nr. 286-289. T e i l a u s g a b e . HERRMANN, Dt. Schriften des A. v. E., Bd. II: D. Dramenübertragungen, 1890.

Der erste Teil des 'Spiegels' umfaßt eine am Schema der sieben Todsünden orientierte Tugendlehre, Betrachtungen über den Tod und eine Lehre von den letzten Dingen. Als Quelle für diese Teile benutzte A. Florilegien und scholastische Traktate des späten MAs. Er versuchte, deren Lehrmeinungen mit den andersartigen des italienischen Humanismus zu verbinden, indem er in das patristisch-mal. bestimmte Argumentationssystem seiner Vorlagen zusätzliche Zitate aus antiken und humanistischen Schriftstellern einfügte. Der dritte Teil enthält die Übers, zweier Plautus-Komödien ('Bacchides', 'Menaechmi') und der Thilogenia' des Ugolino von Pisa. A. hat die Werke zu 'Prosaerzählungen mit direkt angeführtem Dialog' (HERRMANN, 1893, S. 382) umgearbeitet, um sie dem dt. Publikum verständlicher zu machen. Die antiken Personennamen sind durch passende deutsche ersetzt, mythologische Anspielungen fortgelassen, lat. Sprichwörter gegen eine sinngemäße dt. Wendung ausgetauscht worden. Am konsequentesten umgeformt sind die 'Menaechmi' und die Thilogenia'; beide Übertragungen haben im 16. Jh. Bearbeiter gefunden. 1540 brachte Hans Sachs die 'Menaechmi' in Verse (ed. A. v. KELLER, Hans Sachs, Werke Bd. 7, S. 98-123), vor 1552 formte Martin Glaser die Thilogenia' zu einem Fastnachtsspiel um (Druck o. O. 1552). Die 'Bacchides'-Übers. hält sich enger an das lat. Original. A. hatte sie ursprünglich nicht für den 'Spiegel' vorgesehen, erst der Herausgeber J. Huff fügte sie den beiden anderen hinzu. 9. Einzelne Prosastellen aus 'Ehebüchlein' und 'Spiegel' hat A. 1474/75 metrisch bearbeitet. Bei den Versen handelt es sich nach HERRMANN, S. 40CM09, um Unterschriften zu Wandbildern. Gegen diese Hypothese spricht allerdings die Länge der Texte. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 5185, lr-19v. T e i l a u s g a b e . HERRMANN, S.409-416.

L i t e r a t u r . M. HERRMANN, A. v. E. u. d. Frühzeit d. dt. Humanismus, 1893; G. GAILHOFER, D. Humanist A. v. E., Sammelbl. d. hist. Ver. Eichstätt 42 (1927) 28-71; J.A. HILLER, A. v. E. - Medieval Moralist, Washington D.C. 1939 (Nachdr. New York 1970); W. HAMMER, A. v. E., Eulogist of Bamberg, Germanic Rev. 17 (1942) 1-19; J. KIST, D. Bamberger Domkapitel 1399-1556,1943, S. 173-175; H. SCHÖNE, D. Stil des A. v. E., Diss. (masch.) Greifswald 1945 (mir nicht zugänglich); K. O. CONRADY, Z. d. dt. Plautusübertragungen, Euph. 48 (1954) 373-396, bes. S.383f.; H. GRIMM, NDB IV 705f.; RUPPRICH, LG, S.576-578, 656f.; H. WEINACHT, A. v. E., in: Frk. Klassiker, hg. v. W. BUHL, 1971, S. 170-182; F.E. BARON, Plautus u. d. dt. Frühhumanisten, in: Studia humanitatis, Fs. E. Grassi, 1973, S. 89-101 (passim); R. HENNIG, Ein Plagiat A.s v. E., GRM 56 (1975) 87-92.

GERHARD KLECHA Albrecht von Haigerloch 1. Leben. Quelle der Biographie ist neben zahlreichen Urkunden vor allem die Chronik des —> Matthias von Neuenburg, dort besonders die sog. Hohenberger Kapitel. Biographische Information bietet REDLICH (Reg. s. v. Hohenberg), Urkunden: HMS, BARTSCH, BÖHMER (s. v. Hohenberg).

Graf Albert II. von Hohenberg und Haigerloch wurde um 1235 geboren, er fiel am 17.4.1298 vor seiner Burg Leinstetten im Kampf gegen Herzog Otto III. von Niederbayern ; diese Szene ist mutmaßlich auf dem Bild in der Hs. C (42r) dargestellt. Er war einer der treuesten Anhänger Rudolfs von Habsburg, der um 1253 seine Schwester Gertrud heiratete. Seit 1274 mit der Landvogtei Niederschwaben betraut, half er dem König in mehreren Feldzügen und ist häufig in seiner Umgebung bezeugt. Nach dessen Tod trat er für Albrecht von Österreich ein. 1290ist er am Hof-> Wenzels II. von Böhmen. Er wird häufig in der 'Steirischen Reimchronik' -»Ottokars von Steiermark genannt, von seinem Ende berichtet auch -»· Konrad von Ammenhausen im 'Schachzabelbuch' v. 6810-6901. Laut Matthias von Neuenburg galt er als einer der 12 Rekken (Kap. 24b: qui dicebatur esse unus de XII pugilibus) und war Adressat eines lat. (?) Preisgedichts eines magister Kunner, in dem er sustentaculum Romani imperil tocius Swevie genannt wurde (HOFMEISTER, S. 302 l l f ). -»Johann von Würzburg rühmt ihn (wohl als Gönner) in seinem

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'Wilhelm von Österreich' mehrfach (v. 13232ff., 16655ff., 16738); vielleicht geht auch des —»Marners Spruch XIV, 18 (v. 283) auf ihn. 2. Werk. Zwei Liedstrophen überliefert Hs. C H 'Heidelberger Liederhs. C'), 42V; für Nachträge blieben auf 42V \l/i Spalten und 43r ganz frei. Der A. eigene Ton (Kanzone) steht durch die Länge der Zeilen der Spruchdichtung nahe; dorthin weist auch die argumentierende Behandlung der Thematik: offene/heimliche Minne. Str. l stellt staete minne und triuwe der Situation des minnedieps gegenüber, in Str. 2 wird die Gegenposition ausgeführt: verbotenes Wasser ist besser als offener Wein. Dieses Lied mit den beiden Minnethesen ist in einem Kreis zu denken, in dem über Minnefragen diskutiert wurde. A u s g a b e . HMS 163. L i t e r a t u r . HMS IV 83-88; K. BARTSCH, Urkundl. Nachweise z. Gesch. d. dt. Poesie, Germ. 9 (1864) 149; J. F. BÖHMER, Regesta Imperii VI l, 1898 (Nachdr. 1969); A. HOFMEISTER (Hg.), D. Chron. d. Mathias von Neuenburg (MGH SS rer. Germ. NS IV),21965; PH. STRAUCH, Egregius dictator Marnarius dictus, ZfdA 23 (1879) 93; L. SCHMID, ADB XII 659-669; O. REDLICH, Rudolf v. Habsburg, 1903 (Nachdr. 1965); E. MAYSER, Stud. z. Dicht. Johanns v. Würzburg (German. Stud. 101), 1931, S. 87-90; A. GAUERT, Albert II., Graf v. Hohenberg, NDB I 128f.; H. JÄNICHEN, Hohenberg, Grafen v., NDB IX 477f.; J. BUMKE, Ministerialität u. Ritterdichtung, 1976, S. 87 Anm. 139.

VOLKER MERTENS Albrecht von Halberstadt Verfasser einer deutschen Bearbeitung der 'Metamorphosen' Ovids. I. L e b e n s u m s t ä n d e . Hinweise auf die Person des Autors enthält Meyster Albrechts prologus, den wir aus Wickrams Druck (III l u. 6) kennen. Zwar hat sich Wickram bemüht, den Text unverändert wiederzugeben, jedoch ist er an vielen Stellen verderbt. Nach dem prologus hat eyn Sachs, heisset Albrecht/ Geboren von Halberstatt das buch zur Zeit des Landgrafen Hermann von Thüringen (1190-1217) angefertigt auf eynem berg wolbekandt, l Er ist Zechenbuch genant (v. 52-54 u. 97f.). Zechenbuch erklärte J.GRIMM als Lese-

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fehler: die Vorlage hatte ze lecheburc, gemeint war das heutige Jechaburg b. Sondershausen (dies schon 1598 von Cyriacus Spangenberg vermutet). - A. übersetzt unr mittelbar aus dem Lateinischen, er wird daher Kleriker gewesen sein, und so dürfen wir annehmen, daß er sein buch im Chorherrenstift Jechaburg (s. dazu H. K. SCHULZE in: SCHLESINGER/PATZE, Gesch. Thüringens 112,1973, S. 88 f. u.ö.) geschrieben hat. Landgraf Hermann war Vogt des Stifts (LAST). Für den Zeitraum, der für die Abfassung in Frage kommt (s.u.II), sind sowohl aus Jechaburg selbst wie aus Halberstadt Träger des Namens A. nachgewiesen, deren einer der Dichter gewesen sein könnte. Besondere Aufmerksamkeit haben in der Forschung ein Halberstädter Domherr (auch sacerdos, presbyter, magister, scholasticus; häufig bezeugt zwischen 1178 und 1193) sowie ein Jechaburger scholasticus und magister (mehrfach bezeugt ab 1217) gefunden (neueste Zusammenstellung bei LAST) . Über die Beziehung A.s zum Landgrafen geht aus dem prologus nichts Genaues hervor. Jedoch hat die Annahme einiges für sich, das Werk sei ihm gewidmet worden (NEUMANN) : im Kreis um Hermann, den Förderer -»Heinrichs von Veldeke und -> Herborts von Fritzlar, scheint man Dichtungen mit antiken Stoffen besonders geschätzt zu haben. II. Chronologie. Im prologus sagt Albrecht, er habe mit der Arbeit begonnen: Zwelff hundert jor l Und zehene bevorn l Seit unser herr ward geporn (v. 84-86). Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob diese Verse auf das Jahr 1190 (LUDWIG, BAESECKE u.a., mit Vorbehalt auch LAST) oder das Jahr 1210 (GRIMM, RUNGE, SCHRÖDER, NEUMANN u.a.) weisen. Die eine wie die andere Lösung läßt sich begründen, keine freilich ganz überzeugend. Für eine Frühdatierung spricht, daß Albrechts Gedicht nach Geist und Form näher bei einer älteren Dichtung wie der 'Eneit' steht als bei den um 1210 modernen Dichtungen. Die Spätdatierung dagegen scheint sich besser mit dem Inhalt der umstrittenen Prologverse zu vertragen (SCHRÖDER, NEUMANN).

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Über den Abschluß der Arbeit teilt der prologus nichts mit. Bei dem großen Umfang des Werkes (über 20000 Verse) wird man wohl mit einer längeren, u.U. mehrere Jahre umfassenden, Arbeitszeit zu rechnen haben. III. W e r k . 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Fünf Frgm.e einer großformatigen Pergamenths., ursprünglich vielleicht im Besitz des Oldenburger Grafenhauses: A entsprechend Wickram 6, 906-1041; B Wickr. 11, 278-542; C Wickr. 14, 796-929; D Wickr. 11, 1227-62 u. 1341 bis 1374; E Wickr. 13, 366-402 und 479-515. D und E sind nur schmale Streifen mit einigen Wörtern oder Wortresten, Zuweisung von E an das 13. Buch ist fraglich. - Das vollständige Werk ist lediglich in der Vers und Sprache tiefgreifend umgestaltenden Überarbeitung durch Wickram (III 6) erhalten. 2. A u s g a b e n . Erstveröffentlichung von A durch A. LÜBBEN, Germ. 10 (1865) 237-245; von B durch W. LEVERKUS, ZfdA 11 (1859) 358-374; von C, D, E durch LAST, 1966, S. 47-53. - BARTSCH versuchte 1861 auf Grund einer Auswertung von B einen großen Teil des ursprünglichen Textes (11032 vv.) wiederherzustellen. Nach der Auffindung von A zeigte es sich, daß der Versuch als gescheitert gelten muß. - Der Text Wickrams mustergültig ediert durch BOLTE.

3. V e r h ä l t n i s der d e u t s c h e n Bearbeitung zum lateinischen Original. A. folgt dem Ovidtext verhältnismäßig genau (über Mißverständnisse und Auslassungen s. BOLTE 8, S. XXI-XXIII; RUNGE, S. 80-87 u. 94-96). Etwaigen religiösen Bedenken, die sich angesichts des mythologischen Stoffes melden könnten, kommt er mit der Erklärung zuvor, es handle sich um Geschichten aus einer Zeit, da die Menschen nur Abgötter kannten und daher dem Teufel verfallen waren. Mit der Verwandlung ihrer Gestalt sei ihnen Wunders geschehen Nach ihrem glauben vill (Prol. v. 66f.). - Eine Reihe kleinerer Zusätze zum Text des Originals führte die ältere Forschung (BARTSCH, S. CLXV; BOLTE 8, S. XIX; RUNGE, S. 87-92) darauf zurück, daß A. nach einer glossierten Ovidhs. arbeitete. HEINZMANN sucht demgegenüber wahrscheinlich zu machen, daß viele derartige Erweiterungen auf Wickram zurückzuführen seien. Des Lateinischen nicht kundig, habe er sich zeitgenössischer Bücher in dt. Sprache bedient. In einem Fall wird das durch sein eigenes Zeugnis bestätigt: Er benutzte Boccaccios 'De claris

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mulieribus' in Heinrich -> Stainhöwels Übersetzung. Schon BOLTE (8, S. XXVIIf.) war der Ansicht, Wickram habe sich dieser Quelle zur Füllung von Lücken in seiner Vorlage und für ergänzende Auskünfte bedient. 4. B e z i e h u n g e n zur d e u t s c h e n D i c h t u n g . Albrecht kannte mit Sicherheit die 'Eneit' Heinrichs von Veldeke (BOLTE 8, S. XVI-XIX, nach BEHAGHEL; RUNGE, S. 147-151). 5. Vers, Sprache, Stil. Von einzelnen Dreihebern abgesehen zeigen die Frgm.e vierhebige Verse. Der Anteil der klingenden Kadenzen ist recht hoch, die Reime sind rein. - Die Frgm.e sind in einer Schreibsprache abgefaßt, die zwar md. geprägt ist, aber wenig thüring. Dialektmerkmale zeigt. SCHRÖDER vertritt die Meinung, man habe sich das Original A.s ähnlich vorzustellen. Die sprachlichen Mittel, die A. zur Verfügung standen, erlaubten es nicht, das Raffinement der ovidischen Dichtung im Dt. zu wiederholen. Es ist ihm mit seiner Nacherzählung aber gelungen, die römische Dichtung dem Verständnis und dem Geschmack der eigenen Zeit anzunähern. Allzu Fremdartiges ließ er weg; mancherlei, namentlich aus dem Bereich der niederen Mythologie, übertrug er kurzerhand ins Dt. (z.B. waldmenlin und gezwergen, eibinnen und feyen Wickr. l, 367 u. 369 für semidei, rustica numina, Nymphae, Fauni, Satyri, Silvani Met. l, 192f.) oder paßte es auf andere Weise dem Verständnis seines Publikums an (Nachweisungen bei BOLTE 8, S. XII-XVI; RUNGE, S. 101 f.). Er hat auch einiges vom Geist ritterlich-höfischer Dichtung in die Erzählungen Ovids hineingetragen (NEUMANN; STACKMANN, 1966). 6. W i r k u n g s g e s c h i c h t e . Eine nennenswerte Wirkung hat A.s Werk, wohl weil es sich allzusehr vom Typus des höfischen Romans unterschied, im M A nicht gehabt. Immerhin scheinen aber die Frgm.e zu bezeugen, daß eine Hs. des 13. Jh.s in fürstlichem Besitz war (SCHRÖDER, GGN; LAST). - Die Wickramsche Neufassung dagegen fand erstaunlich weite Verbreitung. Begleitet von der Außlegung des Gerhard Lorichius (STACKMANN, 1967), wurde sie im Verlaufe von fast 100 Jahren mindestens

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fünfmal gedruckt (1545, 1551, 1581, 1609, 1631). Zu diesem Erfolg hat wohl mitgewirkt, daß man Ovids Dichtung als Quelle der Inspiration für die bildenden Künste entdeckt hatte. Den beiden ersten Auflagen waren Holzschnitte Wickrams, den folgenden solche von Virgil Solis (nach Originalen des frz. Meisters Bernard Salomon) beigegeben. Auf dem Wickramschen Text beruht eine Reihe von Meistergesängen, vor allem des Hans Sachs (BoLTE 8, S. XXX). Er war auch Hauptquelle für die 'Metamorphosis', die der Nürnberger Ambrosius Metzger 1625 in 155 Meisterliedern (mit insgesamt 100 verschiedenen Tönen) schuf (Übersicht mit Textproben bei BOLTE 8, S. 281-288 u. S. 292-297). Sie wurde bis ins 18. Jh. abgeschrieben. Eine Ausgabe von H. KUGLER ist im Druck. 7. L i t e r a t u r . J. GRIMM, Jiukan, ZfdA 8 (1851) 10f. (Kl. Sehr. 7, S. 283); ders., A. v. H., ebd., S. 397 bis 422 (Kl. Sehr. 7, S. 303-24); K. BARTSCH, A. v. H. u. Ovid im MA, 1861; J. BOLTE, G. Wickrams Werke, Bd. 7 u. 8, (StLV 237 u. 241), 1905 u. 1906; O. RUNGE, D. Metam.-Verdeutschg. A.s v. H. (Palästra 73) 1908; E. SCHRÖDER, D. Prolog d. Metam.-Bearbeitg. des A. v. H., GGN (phil.-hist. Kl.) 1909, S. 64-91; G. BAESECKE. D. Datierung A.s v. H., ZfdA 51 (1909) 163-174; dazu E. SCHRÖDER, ZfdA 51 (1909) 174-176 u. 52 (1910) 360-364; K. LUDWIG, Unters, z. Chronologie A.s v. H. (German. Arb. 4), 1915; H. ROSENFELD, A. v. H., NDB I 177f.; F. NEUMANN, Meister A.s und J. Wickrams Ovid auf Deutsch, PBB 76 (1954) 321-389; K. STACKMANN, Ovid im dt. MA, arcadia l (1966) 231 bis 254; ders., D. Auslegungen d. Gerhard Lorichius z. 'Metam.'-Nachdicht. J. Wickrams, ZfdPh 86 (1967) Sondern., S. 120-160; M. LAST, Neue Oldenburger Frgm.e d. Metam.-Übertragung des A.v.H., Oldenburger Jb. 65 (1966) 41-60; K. RUH, Hof. Epik 1,1967, S. 88-90; R. SCHÄFTLEIN, D. Metam.-Verdeutschg. A.s v. H., eine Quelle z. hist. Dialektologie Nordthüringens, PBB (Halle) 90 (1968) 140-144; G. HEINZMANN, A. v. H. u. J. Wickram, Diss. München 1969.

KARL STACKMANN Älbrecht von Johannsdorf 1. Träger des Namens Albertus de ]ahenstorff (bzw. Janestorf, Johanstorf) sind zwischen 1172 und 1255 in Zeugenlisten von dreizehn Urkunden erwähnt; sie gehören wahrscheinlich drei verschiedenen Generationen an. Der 1172 unter den

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Ministerialen des Bischofs Hermann von Bamberg genannte ist wohl der Vater des Dichters gewesen, der selbst (zusammen mit seinem Vater) zum ersten Mal 1180 als Zeuge erscheint; weitere Erwähnungen ebenfalls unter Bischof Diebold von Passau (1172-1190) sowie 1201 (als Ministeriale) und 1204 unter Bischof Wolfger, zuletzt 1209 unter Bischof Mangold. Die Zuordnung zur zweiten Generation ergibt sich aus MF 93,12, das einem Lied des Provenzalen Albert Marque de Malaspina (urk. 1188 bis 1210) nachgebildet ist. A. v.J. dürfte kaum später als 1165 geboren sein. Sein Schild (nur in C) hat in der oberen Hälfte zwei weiße Blumen auf rotem Grund und ist in der unteren blau und silber gefächert; Kleinod: drei rote Blumen. Eine andere Struktur findet sich bei J. SIEBMACHER, Großes u. allg. Wappenbuch, Nürnberg 1856 ff. ( 1605), (Si I 82) für die Johannsdorfer, deren Stammsitz der niederbayerische Weiler Jahrsdorf an der Vils im Kreis Landau (Pfarrei Dornach) war. Der Dichter hat wahrscheinlich am BarbarossaKreuzzug 1189/90 teilgenommen. Einige Stellen in dem Werbungslied 89, 21 lassen sich - ohne völlige Sicherheit - in diesem Sinne verstehen: 88, 27f. als Anspielung auf die verlustreiche Niederlage bei Hattin (Juli 1187), die Saladin den Weg zur Eroberung Jerusalems im selben Jahre ebnete, und 89,22 f. als Hinweis auf die Notlage der Stadt, die allerdings auch noch vor dem 4. Kreuzzug (1197) in der Hand der Heiden war, als nach dem Tode Saladins 1193 die Macht der Muslimen bereits zurückging (s. BERGMANN, 1963, S. 290). 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 848 (C; -> 'Heidelberger Liederhs. C'), 180"-181rb (Miniatur 179V) (Der von Johansdorf) = F. PFAFF, D. gr. Heidelberger Lhs. I, 1909, Sp. 603-611; -> 'Weingarrener Liederhs.' (B) in Stuttgart, LB, HB XIII l, S. 40 (H. Albreht von Jansdorf) = F. PFEIFFER/F. FELLNER [Hgg.], D. Weingartner Liederhs. (StLV 5), 1843, S. 47; D. Weingartner Liederhs., Textbd. 1969, Transkription S.41-44; -»'Heidelberger Liederhs. A' (A), Heidelberg, cpg 357, 36r (Albreht von Johannesdorf), 24r (unter Niune), 25V (unter Gedrut) = F. PFEIFFER [Hg.], D. Alte Heidelberger Liederhs. (StLV 9), 1844, S.217f., 133 f., 141 f. 3. A u s g a b e n . MF 86, 1-95,15 (zit.); H. BRINKMANN (Hg.), Liebeslyrik d. dt. Frühe, 1952, S. 268-278; die übrigen Sammlungen bei TERVOOREN, Bibliogr., Nr. 14-27; die Kreuzzugslieder bei U. PRETZEL, D. Kreuzzugslieder A.s v. J., in: Fs. Hammerich, Kopen-

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hagen 1962, S. 229-244 und U. MÜLLER, Kreuzzugsdichtung (Dt. Texte 9), 1969, S. 42-47.

4. Ihrem Umfang und ihrer Bedeutung nach überragen die Kreuzlieder A.s seine Minnelyrik; da sie aber die Kreuznahme fast immer auch unter dem Gesichtspunkt behandeln, welche Konflikte und Lösungen sich für die Liebe ergeben, sind sie zugleich auch Minnelieder. Selbst das große Kreuzlied (89,21), dessen erste beiden Strophen in der rhetorischen Gattung des genus deliberativum unter Verwendung bekannter Thesen für die Kreuznahme werben und in dessen 3. Str. der Dichter exemplarisch zeigt, wie er selbst die Phase des Zögerns überwunden hat, mündet in ein großartiges Liebesbekenntnis zur Frau. In 94,15 geht die Kreuzzugswerbung nach der 1. Str. in den Gedanken von der Unaufhebbarkeit der Liebe (94,31) und des Mitführens der Geliebten im Herzen über. Die besondere Eigenheit der Kreuzlieder liegt darin, daß Kreuznahme und Liebe zur Frau zwei miteinander vereinbare Werte sind - dies in deutlichem Unterschied zur gradualistischen Lösung -* Friedrichs von Hausen oder —» Hartmanns von Aue Absage an die Minne. Diese Koexistenz von Gottesliebe und Frauenminne gründet in dem Schlüsselgedanken von der charismatischen, sündenerlösenden Kraft der aufrichtigen Liebe zu einer Frau (88,33-35). Andererseits will A. vor Gott verdammt sein, wenn er sich begründet den Zorn der Geliebten zuzöge (87, 9 f.) oder sie wegen seiner Kreuzfahrt aufgäbe (87,33-36). Unvergebbare Sünde wäre ihm das Daheimbleiben (90,9) angesichts der Bedrohung des Hl. Grabes und des christlichen Glaubens, nicht das Festhalten an der 'Sünde' der Liebe, für die er Vergebung erhoffen darf. Er fürchtet den Tod nicht in der Überzeugung, daß der Märtyrertod des Kreuzritters seiner Seele zum ewigen Leben verhilft (87, 25-28; 94, 23 f.). A. hat auch Elemente der Lebenswirklichkeit einbezogen: so die Argumente der Kreuzzugsgegner im Lied 89, 21; quälende Gedanken um die Treue (88, l f.) und ere (87,1) der Geliebten, wie ja manche Männer sich um mehr als eine Frau bemühen (86, 5-8); schließlich die Konflikt- und

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Leidsituation der zurückbleibenden Frau (87, 15f.; 94, 35-95,5). Überhaupt gibt er der Frau gern das Wort, so in der Gattung des Wechsels (91,22 u. 94,15) oder im knappen Dialog auf szenischem Hintergrund (Str. 87,13). Man kann darin ebenso wie im Thema des Abschieds aus der Sicht der Frau (BERGMANN) und der Idee von der Gegenseitigkeit der Minne letztlich Nachwirkungen des donauländischen Sangs sehen, aber auch an eine Vermittlung durch zeitgenössische Sänger, besonders —> Walther von der Vogelweide (so HALBACH, S. 28-40), denken. Dies gilt zumal für die Terminologie der gegenseitigen Liebe wie herzevrouwe (87, 21), herzeliep oder die Bezeichnung der Geliebten als wip, beides in der Kreuzlyrik und im Wechsel 91, 22. Freilich fehlt bei A. der für den Walther der Mädchenlieder charakteristische Durchbruch der Standesgrenzen, und Walthers neue Hinwendung zum Hohen Minnesang liegt wohl später als A.s Lyrik. Die übrige reine Minnelyrik ist durch das Erlebnis der Ferne (90,16; 90,32; 91,36), aber auch durch westliche Einflüsse in der Liebeskonzeption bestimmt: vergebliches Flehen ohne Lohn (86,21-24), kecker Werbungsdialog (93, 12) - jetzt um die unnahbare frouwe, die ihm den erwarteten Minnelohn in überraschender Pointe als Steigerung seines Ansehens und Selbstgefühls definiert. Die Spitzfindigkeit in Str. 89,15 ist von der Minnetheorie (Andreas Capellanus, s. BETZ, S. 18) inspiriert. 5. Neben der unter 1. erwähnten Quelle für 93,12 ist für 87,5 das Abschiedslied Ahi! Amors, cum dure departie des Conon de Bethune (entst. 1188) als Vorlage nachgewiesen (AARBURG, 1966, S. 399-401; Melodie bei AARBURG, 1956, S. 40). 6. In der Kunst des Strophenbaus mischen sich heimische donauländische Traditionen (Bevorzugung langer Zeilen, teils noch untergliedert), Einflüsse Walthers von der Vogelweide (nach HALBACH die leichtklingende Stollenzäsur und die Zäsurverschiebung, z.B. 3 +5 aus ursprünglichem 4 + 4) mit westlichen Einflüssen (Sechstakter, Daktylen, vokalische Reimbindungen zur Strophen verklammerung; dazu BERGMANN). 7. —> Reinmar von Brennenberg erwähnt

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Albrecht von Kemenaten

Albrecht zusammen mit Friedrich von Hausen in seinem Dichternachruf (KLD I 331). G. FREYTAG läßt ihn in seinen 'Bildern' (Ges. Werke 17,1888, S. 535-538) als Beispiel für die frühe Minnedichtung sprechen. L i t e r a t u r . Bibliographie bei TERVOOREN, Bibliogr., Nr.556-564. Ferner: A. ANGERMANN, D. Wechsel in d. mhd. Lyrik, Diss. Marburg 1910, S. 71; K. HALBACH, Walther von der Vogelweide u. d. Dichter v. Minnesangs Frühling (Tübinger German. Arbeiten 3), 1927, S. 28-40; U. AARBURG, Singweisen zur Liebeslyrik d. dt. Frühe, 1956, S. 40; W. BETZ, Andreas Capellanus u. d. Minnesang, Fs. H. Klinisch, 1961, S. 16-19, dort S. 18; R. BERGMANN, Unters, zu d. Liedern A.s v. J., Diss. Freiburg i.Br. 1963; U. FÜLLEBORN, D. Motive Kreuzzug u. Minne u. d. Gattungsprinzip in d. Liedern A.s v. J., Euph. 58 (1964) 337-374; U. AARBUR.G, Melodien z. frühen dt. Minnesang, D. dt. Minnesang (WdF 15), 1966, S. 399-401; H. INGENBRAND, Interpretationen z. Kreuzzugslyrik Friedrichs v. Hausen, A.s v.J., Heinrichs v. Rugge, Hartmanns v. Aue u. Walthers v. d. Vogelweide, Diss. Frankfurt/M. 1966, S. 75-131; R. BERGMANN, A.v.J. u. seine Stellung im dt. Minnesang, DU 19 (1967) H. 2, S. 32-50; M. BÖHMER, Unters, z. mhd. Kreuzzugslyrik, 1968, S. 39-52; DE BOOR, LG II 267f., 274-277; K.-H. SCHIRMER, Rhetorisches im Kreuzzugslied A.s v.J.: Die hinnen vorn, die sagen durch got (MF 89, 21), Fs. de Boor, 1971, S. 229-253; H.-H.S. RAKEL, Drei Lieder z. dritten Kreuzzug, DVjs 47 (1973) 508-550, bes. 538f., 543f., 545-550 (Melodien).

KARL-HEINZ SCHIRMER Albrecht von Kemenaten

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Albertus de Chemenaten aus einem Tauferer Ministerialengeschlecht sehen (Kematen b. Bruneck, Südtirol). E. SCHRÖDER verwies auf das schwäb. Ministerialengeschlecht von Kemenaten bei Kaufbeuren (heute Groß-Kemnat), dessen bedeutendster Vertreter Volkmar 'der Weise' (urk. 1230-1282 [ ?]), den die Spruchdichter -> Kelin und —»Rumelant von Schwaben als Gönner preisen, u.a. im Dienst der Staufer (bes. als Erzieher und Berater -> Konradins) eine nicht unwichtige politische Rolle gespielt hat (s. A. v. STEICHELE/A. SCHRÖDER, D. Bistum Augsburg VII, 1906-10, S. 208ff. und262ff.). Auf die gleiche Familie bezieht sich - ohne daß dies in der Forschung deutlich geworden wäre - die alte These HAUPTS, A. stamme aus dem Thurgau: Volkmar hatte durch seine Gemahlin Mechtild den Hauptanteil an der thurgauischen Stadt und Herrschaft Arbon geerbt (nichts damit zu tun hat eine angebl. schon 1165 im Thurgau bezeugte Burg K., auf die v. D. HAGEN [Heldenbuch I, 1855, S. LXVII] hinweist: gemeint ist der Hof Kemleten bei Illnau/Winterthur; s. HMS IV 650, dazu H. ZELLER-WERDMÜLLER, Mitt. d. antiquar. Ges. Zürich 23/7 [1895] 326). HAUPTS Lokalisierung war wesentlich bestimmt worden durch seine Ansicht, A. habe auch das -»'Ekkenlied' und den —* 'Sigenot' verfaßt, die ihm 'als thurgäuische gedichte' erschienen. MÜLLENHOFF und ZUPITZA haben A. dann noch die -»'Virginal' zugeschrieben. Die Annahme der Verfassereinheit der 4 Gedichte ist jedoch bald auf Widerspruch gestoßen (s. bes. die Lit. zur 'Virginal') und kann als erledigt gelten.

2. Vom 'G.' ist nur der Anfang (etwas 1. von kemmenaten albreht nennt sich mehr als 9 Strr.) in einer schwäb. Hs. aus der Verf. des Dietrichepos 'Goldemar' (v. der Mitte des 14. Jh.s überliefert (Nürnberg, 2,2). Einen Dichter gleichen Namens erGerm. Nat. Mus., cod. 80, 6V-8V [olim 127V wähnt als Zeitgenossen -»Rudolf von Ems v in den Literaturkatalogen des 'Alexander' bisl29 ]). A u s g a b e n . HAUPT, S.520-524; K. GOEDEKE, Dt. (v. 3252 f.) und 'Willehalm von Orlens' Dicht, im MA, 1854, S.523-525; F.H. v. D. HAGEN, (v. 2243ff.). Bis zum Erweis des Gegenteils Heldenbuch II, 1855, S. 525-528 (u.d.T. 'Dietrichs wird man davon ausgehen müssen, daß Brautfahrt'); J. ZUPITZA, S. 201-204 (zit.). Rudolf den Verf. des 'G.' meint (SCHNEIDERS 3. Berichtet wird, wie Dietrich von Bern, These, die Nennung Albrechts im 'G.' sei der bislang nie gwan gen vrouwen höhen eine späte Autorfiktion, ist nicht hinreichend begründet). Dieser hätte demnach in muot (v. 2,5), von der Minne bezwungen der 1. H. des 13. Jh.s, etwa um 1230/40, ge- wird. Auf einem Streifzug gelangt er zu einer Zwergenschar, bei der sich ein Mädwirkt. Kemenaten (Kemnaten, Kemenat, Kem- chen befindet, dessen Schönheit ihn mit nat u.a.) ist ein verbreiteter Orts- und Fa- sendem muot (v. 7,2) erfüllt. Auf seine milienname. ZINGERLE wollte den Dichter Bitte um Auskunft über dieses Mädchen, in einem in der 1. H. des 13. Jh.s bezeugten das die Zwerge vor ihm zu verbergen

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Albrecht von Lannenberg

suchen, antwortet ihm deren König Goldemar. Mitten in Goldemars Rede bricht der Text ab, noch ehe irgendwelche Aufschlüsse gegeben sind. Einem Resümee in der Vorrede bzw. dem Anhang des Straßburger Heldenbuchs (-> 'Heldenbücher') ist zu entnehmen : das Mädchen - Hertlin, Tochter des Königs von Portugal - war von Goldemar geraubt worden; Dietrich befreite sie mit grosser arbeit und nahm sie - in erster Ehe vor Herrat - zur Frau (s.F.H. v. D. HAGEN, Heldenbuch I, 1855, S.CXXII; A. v. KELLER, D.dt. Heldenbuch [StLV 87], 1867 [Neudr. 1966], S. 8). Des weiteren geht aus einer Anspielung im -» 'Reinfried von Braunschweig' (v. 25274 ff.) hervor, daß an den Auseinandersetzungen auf Seiten Dietrichs die Wülfinge, auf Seiten Goldemars Riesen beteiligt waren. 4. Ein Hausgeist, notninans se regem Goldemer, ist aus einer von Gobelinus ->Person ('Cosmidromius' c.70 [hg.v.M. JANSEN, 1900, S. 59]) bezeugten Familiensage bekannt; ob ein Zusammenhang mit dem Zwergenkönig des Dietrichepos besteht (s. SINGER mit Lit., wozu noch HMS IV 715), ist jedoch fraglich. 5. Der 'G.' teilt mit 'Eckenlied', 'Sigenot' und 'Virginal' die Strophenform des Bernertons, mit dem —> 'Laurin' den Grundriß der Fabel. Das literarhist. Interesse des Bruchstücks liegt in der polemischen Wendung gegen das Haudegenideal der vorliegenden Heldendichtung (v. l, l Of.: man sprach, er tcete dez beste, der mängen äne schulde ersluoc), dem programmatisch die Konzeption des höfischen Minnerittertums entgegengestellt wird. Damit ist explizit ein wichtiger Faktor in der gattungsgeschichtlichen Entwicklung der späten Heldenepik bezeichnet: die Auseinandersetzung mit den Inhalten und Darstellungsformen der höfischen Literatur. DE BOOR wertet in diesem Zusammenhang auch die Tatsache der Autornennung als bewußte Abkehr von den Usancen der Heldenepik und möchte in der Anpassung des Dietrichstoffes an den höfischen Geschmack eine originäre Leistung A.s sehen, der möglicherweise auch der Erfinder des am Strophenbau der höfischen Lyrik orientierten Bernertons sei. L i t e r a t u r . M. HAUPT, Goldemar v.A.v.K., ZfdA 6 (1848) 524-529; K. MÜLLENHOFF, Z. Gesch. d. Nibe-

lunge Not, 1855, S.9 Anm.; I.V. ZINGERLE, A. v. K., Germ, l (1856) 295 f.; J. ZUPITZA, Dt. Heldenbuch V, 1870 (Neudr. 1968), S. XXIXf. u. XLVII-LI; SCHNEIDER, Heldensage I 60 u. 269; E. SCHRÖDER, Rudolf v. Ems u. sein Litteraturkreis, ZfdA 67 (1930) 209-251, bes. S. 233f.; S. SINGER, G., Handwörterb. d. dt. Aberglaubens III, 1930/31, Sp. 926f.; H. DE BOOR, A. v. K., Fs. H. Kunisch, 1961, S. 20-30 (wieder in Kl. Sehr. I, 1964, S. 198-208); J. HEINZLE, Mhd. Dietrichepik (MTU 62), im Druck.

JOACHIM HEINZLE Albrecht von Lannenberg Der letzte Abschnitt eines -»'Kriegsbuches' von 1453 trägt die Überschrift 'Her Albrechts von Lannenbergks Kunst' und beinhaltet die schon aus einigen zeitlich früher anzusetzenden militärischen Ikonographien des 15. Jh.s bekannten Anweisungen und Darstellungen (in Federzeichnungen) aus dem Bereich der Pyrotechnik. Hervorzuheben wäre hier lediglich ein gerust um die großen wergk hoch vnd nydder zu richten, eine Rahmenlafette mit Elevationsmöglichkeit für Geschütze. Das o. g. Kriegsbuch ist in zwei Exemplaren erhalten: Wien, cod. 3062 und Hs. 135 des ehem. staatl. Zeughauses Berlin (heute im Mus. f. dt. Gesch. in Ostberlin). Letztere Hs. ist sorgfältiger ausgeführt als die Wiener. Sie trägt auf dem Originaleinband mehrfach den brandenburgischen Adler und stammt vermutlich aus dem Besitz Kurfürst Friedrichs II. Im Gegensatz zur Auffassung der bisherigen Fachliteratur, die auf ungenügenden Recherchen beruht, findet sich die A. zugeschriebene Abhandlung nur im Berliner Exemplar. Die Wiener Hs. weist an der entsprechenden Stelle nur leere Seiten auf. Somit ist die o. g. Überschrift in der Berliner Hs. auch der bislang einzige Hinweis auf den Autor A. v. L. L i t e r a t u r . M. JÄHNS, Gesch. d. Kriegswiss. 1,1889, S. 262f., 392; F. M. FELDHAUS, Ruhmesblätter d. Technik, 1910, S. 116; B. RATHGEN, D. Geschütz im MA, 1928, S. 78; P. SIXL, Entwicklung u. Gebrauch d. Handfeuerwaffen: Erste Feuerwaffen im 14.Jh., Zs. f. hist. Waffenkunde I (1897/99) 253; SB einer Zusammenkunft d. Mitglieder d. Berliner Zeughauses am 20.3.1929, Zs. f. hist. Waffen- u. Kostümkunde NF 3 (1929/31) 68.

VOLKER SCHMIDTCHEN

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Albrecht der Lesemeister - Albrecht von Scharfenberg

Albrecht der Lesemeister Eine innerhalb des -> Berthold-von-Regensburg-Corpus X überlieferte Predigt (X 38) steht in einer gegenüber den CorpusHss. erheblich kürzeren Fassung auch in der Hs. München, cgm 100, die noch drei weitere Stücke des X-Corpus enthält; sie ist dort signiert mit Bruoder Albreht der lesemeister. Der Verfasser ist möglicherweise identisch mit dem Bruder —>· Albrecht des cod. 955 der Stiftsbibl. St. Gallen, nachweisen läßt sich das jedoch nicht. Um —» Albertus Magnus dürfte es sich hier wie dort wohl nicht handeln, wenn auch die Tatsache, daß die vier Stücke zusammen mit BertholdPredigten in der Teilsammlung X11 überliefert wurden, vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß sie mit Albertus Magnus in Zusammenhang gebracht wurden (s. RICHTER, S. 71). Die Predigt bietet eine Auslegung des Johanneischen Berichts über die Speisung der Fünftausend ( 6, l ff.) für Klosterleute : das Volk, das dem Herrn in die Wüste nachgefolgt ist, sind Menschen, die in das geistliche Leben eingetreten sind. Die fünf Brote, die er ihnen zu essen gibt, werden gedeutet als Gehorsam, Gebet, Sammlung auf Gottes Wort, Anschauung Gottes und Entrückung in die Seligkeit. L i t e r a t u r . Ausgabe (nach cgm 100) von F. PFEIFFER, ZfdA 8 (1851) 234-237; PREGER, Mystik II 39f.; D. RICHTER, D. dt. Überl. d. Predigten Bertholds v. Regensburg (MTU 21), 1969, S. 29, 39-^1, 67f., 70 bis 72; MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S .45 f. (T50).

DAGMAR LADISCH-GRUBE Albrecht Marschall von Raprechtswil 1. Die Identifizierung mit einem der historisch bezeugten namenlosen Marschälle der Grafen von Rapperswil (1271/76; 1282) ist umstritten, da die Eintragung der 3 Lieder in der -> 'Heidelberger Liederhs. C (193r) vom Nachtrags-Schreiber Fs erfolgte, der zumeist, aber nicht ausschließlich, Dichter des frühen 14. Jh.s aufzeichnete. Die Urkunde von 1282 würde über die Ausstellerin, Elisabeth von Wetzikon, Beziehungen zum Zürcher Kreis um die Manesse nahe legen. Das Wappen auf dem Bild in C (192V) ist das

der Dienstherren, der Grafen von Rapperswil; der vermutlich habsburgische rote Löwe auf der Sattellehne bezeugt nur, daß Rapperswil bei der Entstehung des Bildes (Maler N 1) habsburgisch war (seit 1295). 2. Die Lieder sind formal und inhaltlich im letzten Viertel des 13. Jh.s möglich. Die ersten beiden Töne sind Reprisenbare, Ton 2 ist eine hauptsächlich durch (nicht durchgehaltene) Binnenreime formal komplizierte Abwandlung von Ton l; Ton 3 ist eine Kanzone aus den in der —> Gottfried v. Neifen-Nachfolge und bei —»Ulrich v. Lichtenstein beliebten gleichversigen auftaktlosen Vierhebern; er entspricht -»· Kanzler V. Alle drei Lieder haben Natureingang; Frauenpreis und Bitte um Minneerfüllung folgen, der leidvolle Aspekt der Minne bleibt, im Gegensatz zu den verwandten Zürcher Sängern, ausgespart. Sprachformeln und Bilder entsprechen der Tradition (Neifen, Lichtenstein, -»•Ulrich v. Winterstetten; -> Konrad v. Würzburg: fin l, 7). Dem Dichter eigen ist das Bild vom Deuter der Augensterne seiner Dame (Lied 1). Die Lieder sind dreistrophig, zum letzten Lied sind jedoch noch die Anfangszeilen zweier Strophen vermutlich des gleichen Tons unten am Seitenrand nachgetragen, wobei */2 Spalte und 193V ganz frei blieben. A u s g a b e n . BARTSCH,SM 30; BARTSCH/GOLTHER, Liederdichter, S.284f. (Lied 1). L i t e r a t u r . HMS IV 288-290; BARTSCH, SM, S. CCVI-CCX; Hist.-biograph. Lexikon d. Schweiz 5, 1929, S. 31; E. v. STEINMEYER, Fein, ZfdA 34 (1890) 282f.; A. H. TOUBER, Rhetorik u. Form im dt. Minnesang, 1964, S. 129f.; E. JAMMERS, D. kgl. Ldb. d. dt. Minnesangs, 1965, S. 21,152; H.-E. RENK, D. Manessekreis, seine Dichter u. d. Manessische Hs., 1974, S. 189.

VOLKER MERTENS 'Albrechts von Sachsen Jerusalemreise' -> Hans von Mergenthal Albrecht von Scharfenberg Da sich der Dichter des 'Jüngeren Titurel' (= 'JT') nur Albrecht nennt, ein Albrecht von Scharfenberg (= A.v.S.) aber als Gewährsmann von Ulrich —>Fuetrer in seinem in 'JT'-Strophen abgefaßten 'Buch der Abenteuer' (=· 'BdA') mehrfach erwähnt wird, für dessen ersten Teil der 'JT' wiederum den roten Faden

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Albrecht von Scharfenberg

der hier zusammengefaßten Erzählstoffe bildet, wurde die Diskussion um A. v. S. fast ausschließlich unter dem Aspekt geführt, ob er mit Albrecht, dem 'JT'Dichter, identisch ist oder nicht.

I. G r u n d l a g e n der D i s k u s s i o n . Name und Werke des A.v.S. kennen wir nur aus Fuetrers Angaben; zu dem Lyriker von -»Scharfenberg haben sich keine Beziehungen herstellen lassen. Im 'BdA' (ed. K. NYHOLM) wird A.v.S. viermal genannt: Str. 17 (Beginn des nach dem 'JT' zusammengefaßten Berichts über das Gralsgeschlecht) : Albrecht von Scharffennberge wird vor —* Gottfried von Straßburg und ->· Wolfram von Eschenbach als ein 'Riese' in der Kunst des geblümten Stils gepriesen; Str. 126 (Beginn des 'Merlin'): Albrecht..., den man nennt den von Scharffenberg hat aus französischen Quellen einen deutschen 'Merlin' verfaßt, dem Fuetrer folgt; Str. 838 (Ende der Tschionatulander-Handlung nach dem 'JT'): Fraw Mynn ermahnt Fuetrer: du hast gelesen fraw Eren hof, den schonen, den her Albrecht von Scharffenberg thüet mit chunst und wortten so hohe kronenn (vgl. Str. 1266); Str. 518 am Ende des 'Seifrid de Ardemont' (ed. F. PANZER), wo von Scharfenbergk her Albrecht als Verfasser dieses Romans, dem Fuetrer folgt, angezeigt wird. Außerdem erscheint im Literaturkatalog von Fuetrers Vers-Lancelot ein her Albrecht (SPILLER, S. 160 ist zu korrigieren nach HAMBURGER, 1889, S. 410; WOLF, 1952/53, S. 320; Text nach NYHOLM, 1967, S. 29 Anm. 109). Nach Fuetrer war A.v.S. daher ein bedeutender Dichter, seine Werke sind 'Merlin', 'Seifrid de Ardemont' und 'Fraw Eren hof; die ersten beiden Werke benutzte Fuetrer als Vorlagen, das letzte hatte er gelesen; A. v. S. muß das Französische beherrscht haben ('Merlin'). Seine Werke sind alle nicht überliefert, und sein 'Merlin' wäre die einzige mhd. Bearbeitung der auf Robert de Boron fußenden französischen 'Joseph'- bzw. 'Merlin'-Bearbeitungen. - Nach PROBST könnten auch Fuetrers 'Poitislier' und 'Flordimar' auf A. v.S. zurückgehen. II. Werk. Die Art der Überlieferung setzt der Bestimmung des Inhalts der Werke enge Grenzen, weil Grad und Anteil der Bearbeitung der Quellen durch Fuetrer und A.v.S. nur schwer gegeneinander abzu-

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grenzen sind. Ansatzpunkte bietet die Kenntnis von Fuetrers Bearbeitungstechnik dort, wo seine Quellen erhalten sind (Wolframs Werke, der 'JT' - vermutlich in der Hss.-Gruppe II), und der Vergleich der bekannten französischen Quellen mit Fuetrers Werk ('Merlin').

1. 'Merlin'. Nach PANZERS ausführlichem Vergleich (S. XXXIII-LXII) fußt Fuetrers 'Merlin'-Quelle, also A. v. S., auf der Prosafassung des Robertschen 'Merlin' (Ms. Huth). Die wichtigsten Abweichungen betreffen gleich zu Beginn das Teufelskonzil, das bei Fuetrer fehlt, und die Gründung der Tafelrunde (Merlins Gralbericht Str. 259-286), die aus dem sog. 'GrandSaint-GraaP ('GSG') interpoliert wurde (NYHOLM, 1967, S. 4 u. 19-25). Während PANZER in Fuetrers 'Merlin' nur eine verkürzte Fassung des 'Merlin' von A. v. S. sieht, kommt NYHOLM auf Grund von Fuetrers Bearbeitungstechnik ('Quellenmischung', s. S. 8 f.) zu dem Ergebnis, daß der 'Merlin' des A.v.S. eine recht wortgetreue Übertragung seiner französischen Vorlage(n) gewesen sein muß und daß sämtliche von PANZER festgestellten Änderungen Fuetrer zuzuschreiben sind (S. 9, unabhängig von NYHOLM auch KILLER, S. 2). Dem 'Merlin' hat A.v.S. eine Zusammenfassung des 'GSG' vorausgeschickt, jedenfalls scheinen Fuetrers Strr. 127—129 die Kenntnis des 'GSG' seiner Vorlage anzudeuten, und das könnte eine Erklärung für das Fehlen des Teufelskonzils schon bei A.v.S. sein (S. 14f. gegen WOLF, 1952/53, S. 330f.). Fuetrer selbst beruft sich für die Zeugung Merlins auf -> Caesarius von Heisterbach, -* Albertus Magnus, Trotula und Gilbertus; ihre (bzw. die ihnen zugeschriebenen) Werke kann er durch seinen Freund Dr. Johann -»Hartlieb kennengelernt haben (S. 11-13). Da Fuetrers Abweichungen von dem französischen 'Merlin' bezüglich der Gründung der Tafelrunde mit bestimmten Abschnitten in seinem Prosa-'Lancelot' fast wörtlich übereinstimmen, könnten auch diese auf die 'GSG'-Einleitung des A.v.S. zurückgehen, so daß nicht A.v.S. (PANZER), sondern Fuetrer selbst - im 'Lancelot' wie im 'Merlin' - interpoliert hat. Der 'Merlin' des A. v. S. muß danach ein ähnliches Aussehen

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Albrecht von Scharfenberg

gehabt haben wieder niederländische 'Merlijn' des Jacob van Maerlant und die englischen 'Merlin'-Übertragungen. Sein Schluß (Adelsversammlung und Artus' Heirat) zeigt Berührungen mit der französischen Überlieferung vom Typ des 'Dido-Perceval' (S. 21-27, vgl. KILLER, S. 4 Anm. 9). Außerdem kann A. v. S. - entsprechend einiger französischer 'Merlin'-Hss. - einen Hinweis auf die Historia Britanniens, die 'Brut' heiße und von Meister Martin de Rochester ins Französische übersetzt worden sei, enthalten haben (S. 7 und Anm. 24), was Fuetrer zur Einschaltung des 'Trojanerkriegs' (nach ->· Konrad von Würzburg, vgl. dazu FICHTNER, S. 20-24 und KILLER, S. 32-39) vor den 'Merlin' und zur Kenntnis des 'Münchener Brut' (Tegernseer Hs.!) führte (S. 4—9). Die Benutzung des Prosa'Merlin' und des 'GSG' durch A. v.S. legen nahe, daß sein 'Merlin' gleichfalls in Prosa abgefaßt war (S. 28). 2. ' S e i f r i d de A r d e m o n t ' . Das Werk beruht wie der 'Gauriel von MuntabeP des -> Konrad von Stoffeln nach PANZERS Untersuchungen (S. LXII-CXXXIII) auf dem weitverbreiteten Typus der gestörten Mahrtenehe: Erlangung und Wiedererlangung der schönen Mundirosa durch Seifrid, dessen Abenteuer mit Motiven aus höfischen Epen ('Erec', 'Iwein', 'ParzivaP, 'Wigalois', 'Crone'), dazu aus -> 'Herzog Ernst' und dem Seifridlied ausgestattet werden (PANZER, S. CXXIIf.), nach E. PLOSS auf der Ursprungssage eines bedeutenden flandrischen Geschlechts an der Sprachgrenze zum Romanischen aus der Sippe der Balduine, die bereits poetisch geformt und in Französisch abgefaßt war. Zum Namen 'Ardemont' aus Ardeae mons und 'Scharfenberg' s. PLOSS, S. 152f. Für die Datierung kann die Beziehung zwischen dem 'Seifrid' und -»Pleiers Werken ('Meleranz' und 'GareP) von Bedeutung sein (PANZER, S. CXXIII-CXXXIII), wonach der 'Seifrid' um oder bald nach 1250 entstanden sein könnte (WOLF, 1952/53, S. 335 gegen SPILLER, S. 178) - wenn der Pleier den 'Seifrid' benutzt hat und die Berührungen nicht auf Fuetrer zurückgehen. 3. 'Fraw E r e n ho f. Da Fuetrer dieses Werk nicht bearbeitet hat, lassen sich über

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dessen Inhalt nur Vermutungen anstellen: 'Fraw Eren hof bezeichne den 'JT' selbst (HAMBURGER, 1889, S. 408, vgl. SPILLER, S. 160-162), einen Teil des 'JT', und zwar speziell den Artushof, wie er im Hoffest zu Floritschanze mit der Verlesung des Brakkenseils ('JT' 1874-1927) dargestellt wird (WOLF, 1952/53, S.320-327 und S.344f.; WOLF, 1954/55, S. 311-313; WOLF, Ausg. I, S.XLIV), ein selbständiges, aus dem 'JT' herausgelöstes oder von ihm unabhängiges Werk nach Art der Personifikationsdichtung (NYHOLM, S. 35^1; MAAK, S. 44). Obgleich Wendungen mit ere und hof im 'JT' belegt sind, ist der Ausdruck frou Eren bove bisher nur einmal in der Hs. H der 'JT'-Str. 682 nachgewiesen worden (WOLF, 1954/55, S.312f.), deren Fassung in der Hss.-Gruppe II sich eng mit der 'Crone' -> Heinrichs von dem Türlin berührt, die der 'JT'-Dichter gekannt hat (NYHOLM, 1967, S.39f.). NYHOLMS Argumente für eine selbständige Dichtung überzeugen; es läßt sich aus Fuetrers Angabe in Str. 838 nicht beweisen, er habe unter 'Fraw Eren hof den 'JT' bzw. einen Teil desselben verstanden oder A.v.S. mit dem 'JT'-Dichter identifiziert. Diese Personifikationsdichtung müßte allerdings jünger als der 'JT' sein (NYHOLM, S. 41). Stellt sich von daher auch die Frage eines Redaktors des 'JT' ? III. Die Frage der I d e n t i t ä t A l b r e c h t s , des 'JT'-Dichters, mit A.v.S. beruht wesentlich auf der Interpretation der unter I und II.3 erwähnten Punkte. SPILLERS Ablehung der Identität (S. 158-179) wurde von HAMBURGER widersprochen und zuletzt Punkt für Punkt von WOLF (1952/53) geprüft, der es danach für bewiesen hält, daß 'der Dichter des J.T. und Albrecht von Scharfenberg ... ein und dieselbe Person' sind (S. 345). WOLF kennt daher drei Werke des A.v.S. (s. .3.), die er folgendermaßen ordnet: als Jugendwerk 'Seifrid de Ardemont', 'JT' I (d.h. bis etwa Str.H5883, wo Albrecht die Wolfram-Maske abwirft und sich nach neuen Gönnern umsieht), 'JT' II, 'Merlin', wobei zwischen 'JT' I und 'JT' II (entsprechend den veränderten Lebensumständen des Dichters) eine Schaffenspause anzusetzen ist, in der ihm außerdem neue französische Quellen bekannt wurden, die

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Albrecht von Scharfenberg

er für die von Wolfram abweichende GralDarstellung am Ende des 'JT' und für den 'Merlin' nutzte (-»Albrecht, Dichter des 'JT':I. u. III. A.4);damitstimmt überein,daß sich vom 'Merlin' im 'JT' nirgends eine Spur findet. Den ganzen Fragenkomplex hat schließlich NYHOLM 1967, S. 28^4 nochmals aufgerollt - unabhängig von ihm sind die kritischen Bemerkungen von MAAK gegen WOLF -, der die Tragfähigkeit von WOLFS Argumenten in Zweifel zieht. Einhellig gilt die Meinung, daß Fuetrer - wie sein Freund —»Püterich von Reichertshausen - Wolfram für den Verfasser des 'JT' hielt und daß er Albrecht höchstens für den Ordner und Vollender' (WoLF, 1952/53, S. 322 f.) bzw. für einen 'der vielen Verderber des Wolframschen Urtextes' (NYHOLM, S.35) gehalten hat; der 'JT' war in seiner Überlieferung als 'TitureP bekannt, der 'JT'-Dichter selbst hat ihn so bezeichnet (Str. 1988 A) wie auch Fuetrer ('BdA' Str. 48; s. WOLF, 1952/53, S.323f.). Daß Fuetrer neben Wolfram und A.v.S. noch einen 'Verfasser' Morlin nennt ('BdA' Str. 48, vgl. Str. 15; s. HAMBURGER, S.408f.; WOLF, 1952/53, S. 327f.), sollte nicht weiter strapaziert werden; im Prinzip hatte SPILLER, S. 164f. recht, der Morlin Titurel als asyndetisch gereihte Buchtitel faßte, was NYHOLM, S. 33-35, erhärtet. Wenn Fuetrer für seinen 'Merlin' nicht nur A.v.S., sondern auch andere Quellen benutzt hat, wie NYHOLM nachweist, entfällt eine wesentliche Voraussetzung der früheren Diskussion, mit ihr auch SPILLERS Argumente in Punkt 9-13 bei WOLF, 1952/53, S. 329-338: 'Die Widersprüche (die Merlin/Artus-Genealogie) und die Übereinstimmungen (Gralsgemeinde, Gralsinschrift, Marienkirche) zwischen dem 'Jüngeren Titurel' und dem 'Merlin' (sind) kaum beweiskräftig, da Fuetrer, nicht Albrecht für die Änderungen verantwortlich sein dürfte' (NYHOLM, S.29). Setzt man die gleiche Bearbeitungstechnik Fuetrers für den 'Seifrid' voraus, so kann weder der Inhalt des 'Merlin' noch des 'Seifrid' für die Identitätsfrage in Anspruch genommen werden. Das wichtigste Argument für die Identität der beiden Albrechte, 'Fraw Eren hof, entfällt in dem Augenblick, wo man darin eine selbständige Arbeit des

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A.v.S. sieht, was NYHOLM wahrscheinlich macht. Die Frage dürfte, von Fuetrer her gesehen, mit NYHOLMS Resultat zu einem vorläufigen Abschluß gekommen sein: Aus Fuetrers Texten läßt sich weder beweisen, daß Fuetrer A.v.S. mit dem im 'JT' sich selbst anzeigenden Albrecht identifiziert hat, noch läßt sich beweisen, daß die beiden Albrechte identisch oder nicht identisch sind (NYHOLM, S. 42). Vom 'JT'-Dichter her gesehen, ist festzuhalten: Dieser kennt den 'GSG' oder den 'Joseph' des Robert de Boron schon zu Anfang, erwähnt aber den 'Merlin' nicht; A.v.S. kennt den 'GSG' ebenfalls, nicht aber die 'Historia Regum Britanniae' des Geoffrey of Monmouth, die dem 'JT'-Dichter - wohl in der Übersetzung des Wace - bekannt war. Sind beide Albrechte identisch, dann bleibt unklar, warum der 'Merlin'-Dichter die 'Historia' nicht benutzt hat, selbst wenn der 'JT'-Dichter den 'Merlin' erst später kennenlernte. Andererseits läßt sich nicht ausschließen, daß die beiden Albrechte identisch sind, da sie gleiche Stoffe behandelt, teilweise die gleichen Quellen benutzt haben und ihre Werke zeitlich miteinander verbunden werden können (NYHOLM, S.42-44). A u s g a b e n . F. PANZER, Merlin u. Seifrid de Ardemont v. A.v.S. in d. Bearbeitung Ulrich Fuetrers (StLV 227), 1902; K. NYHOLM, D. Gralepen in Ulrich Fuetrers Bearbeitung ('BdA') (DTM 57), 1964; W. WOLF, A.s v. S. 'JT', Bd. I (DTM 45), 1955, Bd. II (DTM 55/61), 1968. L i t e r a t u r . R. SPILLER, Stud, über A.v.S. u. Ulrich Fuetrer, ZfdA 27 (1883) 158-179 u. 262-294 (danach zit.; erschienen auch als Sonderdruck, Leipzig 1883); P. HAMBURGER, D. Dichter d. 'JT', ZfdPh 21 (1889) 404^19; K. F. PROBST, D. Quellen d. Poidslier u. Flordimar in Ulrich Fuetrers 'BdA', Diss. (masch.) Heidelberg 1922 (Auszug m: Jb. d. Phil. Fak. Heidelberg, 1921/22, T.l, S. 53-57); W. WOLF, Wer war d. Dichter d. 'JT'?, ZfdA 84 (1952/53) 309-346; W. WOLF, Nochmals zum 'EhrenhoP im 'JT', ZfdA 85 (1954/55) 311-313; K. NYHOLM, A.s v. S. 'Merlin' (Acta Academiae Aboensis, Ser. A. Humaniora, Vol. 33 Nr.2), Abo 1967; H.G. MAAK, Zu Fuetrers 'Fraw Eren hof u.d. Frage nach dem Verf. d. 'JT', ZfdPh 87 (1968) 42^6; E. G. FICHTNER (Hg.), Ulrich Fuetrer: Der Trojanerkrieg, 1968; E. PLOSS, Zu d. Quellen d. 'Seifrid von Ardemont', ZfdA 98 (1969) 144-158; U. KILLER, Untersuchungen zu Ulrich Fuetrers 'BdA', Diss. Würzburg 1971.

DIETRICH HUSCHENBETT

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Albrecht von Treffurt - Albuinus Eremita

Albrecht der Schwabe -»· Meister Albrant

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richtete, ein sonst nicht bezeugter Albuinus eremita. Die bisweilen geäußerte Vermutung seiner Herkunft aus Gorze hat sich bislang nicht wahrscheinlich machen lassen.

Alb recht von Treff urt Ein Thüringer lesemeistir (STRAUCH, S. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Die unter verschiedenen Titeln VIII, 4,6) aus dem Kreise der in der Oxforder Hs. cod. Laud. Misc. 479 vereinigten Predi- (liber scintillarum; tractatus de virtutibus christianis virtutibus religiosorum u.a.) auftretende Kompilager (-> 'Paradisus anime intelligentis'), unter de tion liegt in mindestens 8 Hss. d. 11. bis 15.Jh.s vor. denen Meister —> Eckhart die zentrale Figur Vgl. V. ROSE, Verzeichnis d. lat. Hss. d. Kgl. Bibl. zu ist und die wohl um 1300 wahrscheinlich im Berlin, Bd. l, 1893, S. 108-111, u. Bd. 2, 1901, S. 169 Kloster Erfurt wirkten. Der in der Postille bis 171; MANITIUS, LG II 440. Ferner: Bruges, StB, des -> Heinrich von Erfurt genannte der von cod. 99 (12. Jh.). drifürt (dryforden) dürfte mit unserem A u s g a b e n . Abdruck der Widmung an Arnoldus A.v.T. identisch sein, vgl. STRAUCH, S. IX bei ROSE, Bd. l, S. 108f., an Heribert PL 138, Sp. 185 f. Anm. 6 und A. SPAMER, Über d. Zersetzung 3. Beschränkte sich A. nach seinen eigeu. Vererbung in d. dt. Mystikertexten, 1910, nen Worten ausschließlich auf die KompiS.193. lation von Schriften anderer, den Rang seiner Arbeit maß er an ihrem möglichen A u s g a b e . PH. STRAUCH, Paradisus anime intelligentis (DTM 30), 1919, S. 86-88, 116-118. Die Nutzen: Kein anderes Buch weise den Weg Texte befinden sich auch in der z. Z. nicht greifbaren zum Heil sicherer und schneller als dieses. Hs. der Hamburger SB u. ÜB, cod. theol. 2057, 104' Hauptquellen der Kompilation, die in den bis 106r, 141r-143v. Hss. nach Umfang und Kapitelfolge beVon A.v.T. sind zwei offenbar stark ge- trächtlich schwankt, sind -»Adalgers 'Adkürzte Predigten überliefert. Nr. 38 ist ein monitio', —»· Alkuins 'De virtutibus et vitiis', typisches florilegium über Mt 22, 37, wobei Isidors 'Synonyma', die 'Vitae patrum', die besonders die Liebeslehren von Bernhard 'Epistola ad Gerbergam reginam de ortu et von Clairvaux und Augustinus ausgiebig tempore Antichristi' Adsos von Montierzitiert werden. In der Predigt Nr. 53 geht es en-Der. um das Suchen Gottes durch Übung im 4. A.s Adso-Rezension überliefern zahlDienste Gottes und durch Ablegung der reiche Hss. auch als selbständigen Traktat irdischen Dinge. In eine so befreite und außerhalb der Kompilation, vielfach zuzu Gott erhobene Seele schickt Gott seinen sammen mit einer gekürzten Fassung der Sohn. Aber von Meister Eckhart abwei- Widmung an Heribert und dementsprechend betont A.v.T., daß zur menschlichen chend unter A.s Namen. Naturausstattung kein göttliches Licht geHss. in Auswahl bei SACKUR, S. 100 u. 104, u. hört (vgl. STRAUCH, S. 11619"20). PREGER, KONRAD, S. 25. Ferner: Wilhering, Stiftsbibl., cod. 132 S. 165-166 meint, die Predigt erinnere an (13.Jh.); Prag, ÜB, XIV. E. 34 (14.Jh.). Drucke von die 'Rede der Unterscheidung' Meister A.s. Rezension: PL 40, Sp. 1131-34; FLOSS.Vom Antichrist, ZfdA 10 (1856) 265-270. Eckharts. L i t e r a t u r : W. PREGER, Gesch. d. dt. Mystik II, Adsos Schrift, die für die mal. Vorstellung 1881, S. 95, 165-166; L. SEPPÄNEN, Stud. z. Terminovom Antichrist grundlegend wurde, hat den logie d. Paradisus anime intelligentis, 1964, S. 123,129, Weg ihrer Verbreitung weniger in ihrer 171; MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S. 109 (T 100). authentischen Gestalt als vielmehr über LAURI SEPPÄNEN A. genommen. So liegt A. z.B. dem bair. Gedicht —> 'Von dem Anticriste' zugrunde. Albuac -> Albohali Albuinus Eremita l. Als Verf. einer moralisch-theologischen Kompilation aus den Jahren um/nach 1000 nennt sich in den Widmungsschreiben, die er an einen Pariser Kanoniker Arnoldus und an Erzbischof Heribert von Köln (999-1021)

L i t e r a t u r . Histoire litteraire de la France 6, 1867, S. 553; E. SACKUR, Sibyllinischc Texte u. Forschungen, 1898, S. 99-104; MANITIUS, LG II 433, 440, 736f.; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen, S.187f.; R. KONRAD, De ortu et tempore Antichristi, Antichristvorstellung u. Geschichtsbild d. Abtes Adso von Montier-en-Der, 1964, S. 25, 115, 133, 135; C.M. BATLI.E, Die 'Adhortationes ss. pa-

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trum' ('Verba seniorum') im lat. MA (Beitr. z. Gesch. d. alten Mönchtums u. d. Benediktinerorden 31), 1972, S 220

·

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'Alchymey teuczsch' - 'Alexander und Anteloye'

·

F.J. WORSTBROCK

Albuin von Gorze ->· Albuinus Eremita 'Alchymey teuczsch' gehört zu den ältesten deutschen Denkmälern der alchemistischen Praxis und Schriftstellern (Heidelberg, cpg 597, v.J. 1426, bair.). Sie stammt aus einem Alchemistenkreis, der in der Grafschaft Hals bei Passau tätig war; namentlich genannt werden : Niklas —> Jankowitz, Michael —> Prapach und Michel ->Wülfing, die als Verfasser einzelner alchemistischer, astrologischer und medizinischer Stücke aufscheinen, sowie der 'Laborgehilfe' Friedrich, der 1423 bei einer Goldvermehrung mitgewirkt hat. Die alchemistischen Stücke werden in Geheimschrift wiedergegeben, um Unbefugte fernzuhalten und Mißbrauch zu verhindern; manche Substanzen sind in 'verdeckter Rede' mit nur Eingeweihten verständlichen Fachbezeichnungen belegt. L i t e r a t u r . G. Eis, Von d. Rede u. d. Schweigen d. Alchemisten, DVjs 25 (1951) 415-^35 (Forsch, z. Fachprosa, Bern-Münster 1971, S. 241-247); ders., A. t., Ostbair. Grenzmarken l (1957) 11-16.

P. RAINER RUDOLF SDS 'Alemannischer Glauben und Beichte' 1 . Ü b e r l i e f e r u n g . Der durch Abschriften und Drucke des 16.-18.JH.S nur indirekt überlieferte Text geht auf eine verlorene Hs. des Klosters St. Gallen aus spätahd. Zeit oder eine Abschrift davon zurück, die MELCHIOR GOLDAST 1606 noch ausdrücklich nennt (Alaman. rerum scriptores II 154: ex ipsa membrana). Zwei Überlieferungsstränge gehen seit humanistischer Zeit offenbar direkt von der Hs. aus: einerseits der Text bei JOACHIM VON WATT (VADIANUS), der ihn als erster in der Reinschrift der Kleineren Äbtechronik des Klosters St. Gallen von 1545/46 auf einem nachträglich eingefügten Blatt (Vad. Ms. 44, S. 161, StB St. Gallen) mit Spuren sprachlicher Überarbeitung und unter Hinweis auf allgemein glaubensgeschichtliche Überlegungen vermittelt, worauf JOHANNES STUMPFS editio princeps von 1548 in der 'Chronik der Schweiz. Eidgenossenschaft" l, f. 325 sowie weitere z.T. verderbte Textzeugen (Kollektaneen von D. SPECKLIN im 16. Jh., danach Druck von J. SCHILTER 1726, Thesaurus I 2, S.86f.) beruhen; andererseits GOLDASTS Drucktext (Alam. rer. script. II, 1606, S. 173) unter dem Titel

'Chry der alten kilchin' (danach auch J. SCHILTER, Thesaurus I 2, S. 84f.) mit kleineren Abweichungen gegenüber VADIAN. Beide Überlieferungen zeigen spätahd.-frühmhd. Züge des Alemannischen. 2. A u s g a b e n . Neben den oben genannten H.F. MASSMANN, D. dt. Abschwörungs-, Glaubens-, Beichtu. Betformeln (Bibl. d. ges. dt. Nat.:Lit., 1. Abt., Bd. 7), Quedlinburg u. Leipzig 1839, Nr. 9 (nach Goldast); J. von Watt (Vadian), Dt. hist. Schriften, hg. v. E. GÖTZINGER, Bd.I, 1875, S.339f.; P. PIPER, D. Schriften Notkers u. seiner Schule III, 1883, S.XXI-XXIV (Goldast und Stumpf); R. REUSS, Les Collectanees de Daniel Speklin, Bulletin de la societe pour la conservation des monuments historiques d'Alsace, II' serie, vol. 13 (1887/88) 186f. (nach Specklin); MSD Nr. XCIII (nach Goldast, aber mit Lesearten A = Goldast, B = Stumpf); STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr. LVII (wie MSD); B. HERTENSTEIN, 1975, S. 87 (Vadian aus Hs.).

3. E i n o r d n u n g . Der Text beginnt mit einer kurzen Teufelsabschwörung, dem das Glaubensbekenntnis artikelweise mit der 23mal wiederholten Formel Ich geloub l gelob folgt. Im letzten Artikel wird der Glaube an eine persönliche Rechenschaft formuliert, woran der Anfang des Sündenbekenntnisses anschließt - hier bricht der Text aber ab. So ist eigentlich nur der Glaube ausgestaltet, dessen auffallendstes Kennzeichen nach BARBIAN das Fehlen des Höllenfahrtartikels ist und der im übrigen mehr westliche als östliche Elemente aufweist, aber beide vereinigt, wobei Pirmins Scarapsus offenbar mitbenutzt ist. Innerhalb der St. Galler Überlieferung zeigen sich Übereinstimmungen mit -> 'St. Galler Glauben und Beichte' II (cod. Sang. 1394) und III (cod. Sang. 338). L i t e r a tu r. P. SPROCKHOFF, Ahd. Katechetik, 1913, S.44f.; G.BAESECKE, Beichtformel, 'RLI125-127 (Kl. Sehr. 1966, S. 114-117); K.-J. BARBIAN, Die altdt. Symbola, Bcitr. z. Quellenfrage, 1964, S. 63-74; S. SONDEREGGER, Ahd. in St. Gallen (Bibliotheca Sangallensis 6), 1970, S. 61-64; B. HERTENSTEIN, Joachim v. Watt (Vadianus),BartholomäusSchobinger, Melchior Goldast (D. Ahd. v. St. Gallen 3), 1975, S. 85-87, 198f. u. ö.

STEFAN SONDEREGGER 'Alexander und Anteloye' 1. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . U 1 , im 'Alexander' —> Ulrichs v. Etzenbach in einer kurzen Fassung; in der Ausgabe (nach 6 Hss.) v. W.TOISCHER (StLV 183), 1888, die vv. 18958-19208. - U2, eine längere Fassung von 457 vv., befindet sich als einge-

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'Alexanders, Pfalzgraf bei Rhein, Jerusalemreise'

schobener Auszug aus Ulrichs 'Alexander' in einigen Hss. der Weltchronik des —> Heinrich v, München, hg. v.D. J. A. Ross, Alexander and Antilois the dwarf King', ZfdA 98 (1969) 292-307 (nach München, cgm 7377). - Ungefähr derselbe Text befindet sich in Heinz —> Sentlingers Hs. der Weltchronik (cgm 7330), hg. V.I.ZINGERLE, Germ. 18 (1873) 222-233, in der Hs. Wien, cod. 12470 und in einer Linzer Hs. (Abschr. Berlin, mgf 441, S. 120a-252b). - In der Hs. Dresden, LB, M 42 kommt beinahe derselbe Text, aber mit Einleitung und Schluß versehen, als selbständiges Gedicht, D, vor, hg. v. M. HAUPT, Altdt. Bll. I, 1836, S. 250-266. Den dt. Fassungen sehr nahe steht O, eine in die Oxforder Hs. Bodl. Heb. d. 11 eines hebräischen Alexanderbuchs eingeschobene Episode, Kap. 12, hg. mit engl. Übers, v. R. REICH, Tales of Alexander the Macedonian, New York 1972. Eine engl. Paraphrase davon befindet sich auch bei M. GASTER im Journ. Royal Asiatic Soc. (1897) 485-549. Dieses hebräische Alexanderbuch, ohne die Anteloye-Episode, stammt wahrscheinlich aus Ägypten und ist älter als die arabische Invasion. Die Oxforder Hs. ist vom Anfang d. 14. Jh.s, die Interpolation aber wahrscheinlich vom 12. Jh., auf jeden Fall früher als die dt. Fassungen.

2. I n h a l t . Der allen Fassungen gemeinsame Inhalt der Erzählung ist folgender: Alexander trifft, wie er allein auf der Jagd reitet, mit einem reichbekleideten Zwerg zusammen. Dieser zeigt ihm seine zahlreiche Begleitung bewaffneter Zwerge, die einem untergebenen Zwergenkönige eine Braut bringen. Alexander kann nichts davon sehen, bis der Zwerg seinen Untertanen befiehlt, die Tarnkleider abzulegen. (In O werden sie durch Zaubersteine unsichtbar gemacht, in U1 fehlt das Motiv der Unsichtbarkeit: Alexander sieht die Zwergenschar erst, wie er auf eine Anhöhe hinaufkommt). Der Zwergenkönig erklärt, er heiße Anteloye (auf verschiedene Weisen geschrieben, in O Antalonia), und verspricht Alexander, ihm die untreuen unter seinen Dienern anzuzeigen. Dies geschieht am anderen Morgen, indem er (unsichtbar neben Alexander stehend) den untreuen Dienern während ihrer Bedienung des Königs derbe Schläge versetzt. In O reformiert Alexander seinen Hof und verbannt die unzuverlässigen Diener nach Ägypten. In U2 wird die Bestrafung der untreuen Diener nur flüchtig erwähnt, in U1 findet man nichts davon. In O trifft Alexander in Kap. 24 noch einmal mit Antalonia zusammen. Auf dessen Befragen er-

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bittet er von ihm Heilkräuter und läßt sie und ihre Heilkräfte durch Menahem aufzeichnen. 3. H e r k u n f t und E n t w i c k l u n g der Sage. Sie ist höchstwahrscheinlich während des 12. Jh.s auf deutschem Boden entstanden. Die Beschreibung der Zwerge mit ihren Tarnkleidern, Steinkunde, Reichtum und (in O) Heilkräuterkunde stimmen sehr gut mit der allgemeinen germanischen Zwergenlehre überein. Alexander als solcher spielt keine wesentliche Rolle in der Erzählung, die ebensogut von irgendeinem anderen König handeln könnte. Unter den erhaltenen Fassungen der Sage ist die hebräische am folgerichtigsten und steht wahrscheinlich der Urform der Sage am nächsten. Sie ist zweifellos irgendwo in Mitteleuropa in die hebräische Alexandersage eingeschoben worden. Unter den dt. Fassungen ist U2 stimmiger und vollständiger als U1, wo die Unsichtbarkeit der Zwerge durch Tarnkleider und die Bestrafung der untreuen Diener fehlen. Sie ist wahrscheinlich das Werk eines unwissenden Bearbeiters (s. auch -»'Antelan' ['König Anteloy']). L i t e r a t u r . Außer den Ausgaben und deren Einleitungen s. vor allem F. PFISTER, A. u. A., GRM 29 (1941) 81-91 u. FISCHER, Stud., S. 296 u.ö.

DAVID J.A. Ross 'Alexanders, Pfalzgraf bei Rhein, Jerusalemreise' 1495/96 unternahm A. (1462-1512) zusammen mit Graf Johann Ludwig von Nassau, mehreren anderen Adeligen und 45 Begleitern eine Reise nach Jerusalem. Die Route führte über Nancy, Basel, Venedig, Korfu, Rhodos, Jaffa zum Hl. Grab. Als Motiv für die Pilgerfahrt vermutet PÖHLMANN, S. 504 die Reue A.s über die - wenn auch berechtigte - Inhaftierung seines Bruders Pfalzgraf Kaspar. Der Verf. der trokkenen, tagebuchartigen, auf Details bedachten Reisebeschreibung ist wohl der Geheimschreiber A.s, Johann Meisenheimer. Besonders die Stadt Venedig mit ihren Kirchen, Klöstern und Werften wird ausgiebig geschildert. Ausgaben. Feyrabends Reyssbuch, 1. Ausg., Frankfurt/M. 1584, S.30-47; wieder abgedr. in: Ver-

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Meister Alexander - Meister Alexander (Der Wilde Alexander)

einsmitt. d. hist. Ver. f. d. Saargegend, H. 9, Saarbrükken 1909; Auszüge in: D. hl. Land. Organ d. Ver. v. hl. Grabe, Köln 1863, S. 159-175. L i t e r a t u r . RÖHRICHT/MEISSNER, Pilgerreisen S. 51 1 f.; RÖHRICHT, Pilgerreisen S. 187-189; K. PÖHLMANN, D. Pilgerreise d. Hzg.s A. v. Zweibrücken nach d. hl. Lande 1495-1496, Das Bayerland 24 (1912/13) 493 f., 503-505, 515f., 547 f., 569-571, 579-582, 611 bis 614; RUPPERSBERG, Eine Pfalzgrafenfahrt nach d. Hl. Lande, Kurpfälzer Jb. 1929, S. 8 1-88 ; H.-J. LEPSZY, D. Reiseberichte d. MAs u. d. Reformationszeit, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 88 u. 94.

KURT ILLING Meister Alexander Unter dem Einfluß des —>· 'Secretum secretorum' zustande gekommene Autorenbezeichnung, die ursprünglich nur für eine der drei Übersetzungen von 'Meister Alexanders Monatsregeln' gilt. Es handelt sich um ein Regimen duodecim mensium, das — zunächst in lateinischer Sprache (Heidelberg, cpl 558, 118r-121r; München, clm 7744, f. 94—97) - von einem Bayern unter Einbezug älterer Quellen verfaßt wurde und aus dem 14. Jh. datiert. Der Text fand rasch Eingang in die volkssprachige Fachliteratur: die deutschen Überlieferungen setzen bereits vor 1400 ein und lassen sich auf mehrere Übertragungen zurückführen, von denen keineswegs alle bisher untersucht sind : 1. Breslau, ÜB, Ac. IV. 4° 35 a, 1-5; 2. Harburg, Fürstl. Öttingen-Wallersteinsche Bibl., cod. III l 2° 43, 3MV (= Übers. III) ; 3. Heidelberg, cpg 577, lr-6v ( = Übers. II) ; 4. München, cgm 223, S. 1-12 ( = Übers. II) ; 5. cgm 430, l'-5r; 6. Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 18792, 172r-175v (= Übers. II) ; 7. Prag, ÜB, cod. XI.D.10, 43M7r; 8. Schriesheim b. Heidelberg, Slg. Eis, Hs., 54, l v -4 r ; 9. Wien, cod. 13647, 124ra-128va (= Übers. I); 10. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Guelf. 79 Aug. 2°, 174v-178r (= Übers. II). L i t e r a t u r und A u s g a b e n . J. HAUPT, WSB 71, 1872, S. 507-510 (Teilabdr. v. Nr. 9) ; G. Eis, Lychnos (1950/51) 104-136 (Nr. 3, 8, 10) ; G. KEIL, Ostbair. Grenzmarken 4 (1960) 123-138 (lat. Text) ; W. HIRTH, Leuv. Bijdr. 55 (1966) 58-69 (Auszüge von Nr. 2). Eine krit. Edition aller vier Fassungen ist in Vorbereitung (med. Diss. Würzburg). s~,

Meister Alexander (Der Wilde Alexander) I. Obd. (alem. ?) Spruch- und Liederdichter aus dem letzten Viertel des 13. Jh. s (jüngst WAGNER, auf Grund einer neuen

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Deutung von II 4: Mitte d. 13. Jh.s). Er gehörte nicht dem Adel an, denn die Jenaer Liederhs. nennt ihn Mezsfer A. Daß er wenigstens zeitweise das Leben eines Fahrenden geführt hat, läßt u.a. die einzige konkretere Anspielung im Werk (II 24) vermuten, die sich auf einen verweigerten Einlaß beim Markgrafen von Burgau (zwischen Augsburg und Ulm) bezieht. Kontrovers ist die Erklärung des Namens (KLD II 1), der nie in den Gedichten selbst fällt, sich nur in den Überschriften der Hss. findet. Das Attribut wild wird freilich sowohl im Sinne von 'unstet, schweifend' wie auch - entgegen C. v. KRAUS - von 'fremdartig, seltsam' (vgl. wilde rede II 19,1) zu verstehen sein. Der klassische Königsname für den mal. Fahrenden ist ähnlich unverwechselbar und anspruchsvoll wie das Werk. II. Ü b e r l i e f e r u n g . -»'Heidelberger Lhs. C', cpg 848 (enthält II 1-3, III, VI und den Leich VII); —> 'Jenaer Lhs'. (J; überliefert das gesamte Werk mit Ausnahme von III); Wien, cod. 2701 (W, -»'Wiener Leichhs.'; nur VI und VII); Leipzig, ÜB, Rep. II, 70a (n, —> 'Niederrhein. Lhs'.; nur II 11). III. A u s g a b e n . HMS II 364-367, III 26-31; G. HOLZ/F. SARAN/E. BERNOULLI [Hgg.], D. Jenaer Lhs., 1901 (Nachdr. 1966), Nr. VI (mit Melodien); H. RIETSCH, Gesänge v. Frauenlob, Reinmar v. Zweier u. A., 1913 (Nachdr. 1960; mit Melodien); HALLER, S. 103-127; KLD I 1-19, II 1-17 (zit.).

IV. Das W e r k ist seinem Umfang nach nur schmal und in der Gattungskombination eher konventionell (Lied, Spruch, Leich). Dennoch enthält es so zahlreiche, eigenwillige Neuansätze, daß es nunmehr als eines der vielseitigsten in der lyrischen und didaktischen Dichtung des 13. Jh.s gilt, eine Erkenntnis, die sich seit HALLERS Studie in der Forschung nur langsam, doch umso nachhaltiger durchgesetzt hat. 1. Sprüche. A. verwendet für seinen einzigen Spruchton (II 1-24) eine ziemlich einfache, schlanke, zwölfzeilige Kanzonenform. Er kennt zwar auch die Einzelstrophe als selbständige Einheit (z.B. II 4.16 und 24), zeigt aber doch stärker die Tendenz, mehrere Strophen zu Gruppen zu binden (z.B. II 1-3. 12-13. 17-21; TERVOOREN, S.175182). Mehrstrophigkeit wird dabei sowohl genutzt, um einen Bericht oder ein Thema zu expandieren, wie auch um ein dunkles

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Meister Alexander (Der Wilde Alexander)

Bild oder einen verrätselten Vorgang allegorisch oder didaktisch auszulegen. Eine ausgesprochene Vorliebe für chiffrierte D arstellungsweise ist bei A. auch über die Spruchdichtung hinaus in Lied und Leich festzustellen. Nicht in jedem Fall ist eine Auflösung vorhanden; II 4 z.B., der einzige politische Spruch im Werk, der kompakt auf historische Ereignisse der Jahre 12851288 anspielt (HALLER, S. 40-42; dagegen neuerdings WAGNER: 1247-1252), bleibt ohne Deutung, ist aber vielleicht nur als Einzelstrophe erhalten geblieben und nicht als solche konzipiert worden. Die Themen der Sprüche sind breit gestreut; geistliche und weltliche Fragen von unterschiedlicher Tragweite werden diskutiert und gelegentlich miteinander verbunden. Minnethematik bleibt in den Sprüchen A.s freilich vorwiegend auf das Problem der huote reduziert (II 10. 22-23), die in einprägsamen Bildern und in engagiertem Ton wegen ihrer isolierenden Wirkung abgelehnt wird. Die Strophenreihe II 7-9, die zunächst wie eine Minnelehre beginnt, biegt rasch in eine leicht verschlüsselte, dringliche Warnung vor der Frau Welt um. Die Rolle des Fahrenden wird einmal drastisch (II 16), einmal mit vornehmen literarischen Anspielungen (II 24 auf Artus- und Heldenepik) thematisiert, doch ohne ihre bitteren Aspekte zu beschönigen. Ferner prangert eine Anzahl von Sprüchen (II 1-3. 14-15) doppelzüngiges und skrupelloses Verhalten bei Hofe an. Diese Kritik ist an den alten höfischen Normen ausgerichtet und enthält doch explizite Hinweise an die herren, wie solches Fehlverhalten zu durchschauen sei. Mit Herrenlehre verbindet sich gelegentlich auch Kunstlehre (II 12-13), in die - wie auch sonst häufig bei den fahrenden Spruchdichtern - implizit die Mahnung zur milte eingeht. Für A. erscheint dies um so mehr gerechtfertigt, da er Kunstübung entschieden als eine ursprüngliche und grundsätzliche Aufgabe des Adels, ja des Königs betrachtet, die nur durch eine Art von sozialem Sündenfall an die armiu diet gekommen sei und entsprechend gefördert werden müsse (ob hier Zusammenhänge zur Wahl seines Namens bestehen?). Geistliche Ermahnung, gegen die Sünde

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zu kämpfen (II 5-6), wird sowohl ins Bild eines bedrohlichen Seesturmes gefaßt wie auch analog zu einer (aktuellen ?) heidnischen Bedrohung Jerusalems gesetzt. Die Allegorie von den beiden Prinzessinnen (= geistliches und weltliches Leben), die den väterlichen Palast verlassen und sich zu Kebsweibern eines Betrügers (= Antichrist) erniedrigen, wird präzise ausgedeutet und gleichzeitig in die Spannung von Endzeiterwartung und Zeitklage hineingestellt (II 17-21). 2. L i e d e r. Eigentümlich zwischen Spruch und Lied oder Leich steht IV, einmal wegen der ungewöhnlich komplizierten, ausladenden Strophenform, ferner weil die erste Strophe emphatisch Sion (Jerusalem) apostrophiert und zum Ausharren und Kämpfen aufruft, die zweite sich hingegen an Frau Minne richtet, klagt und um Hilfe fleht. Während der Dichter freilich im einen Fall eine Bedrängte, im anderen eine Bedrängerin anruft, ergeben sich Analogien doch über intensive Mahnung und Klage; ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eng und unpolemisch geistliche und weltliche Thematik in diesem Werk nebeneinanderrükken können. Die Konventionen der zeitgenössischen volkssprachlichen Lieddichtung durchbricht A. auch darin, daß er geistliche Lieder verfaßt. Sein Weihnachtslied (I) preist die Menschwerdung Christi vor allem unter dem Bild eines mächtigen Kämpfers für die Christenheit und verweist abschließend auf das Wunder der jungfräulichen Empfängnis und Geburt. Noch ungewöhnlicher ist das sogen. 'Erdbeerlied' (bzw. 'Kindheitsballade'; V), bei dem schon die wechselnden Bezeichnungen in der Forschung auf einen Sonderstatus verweisen. Präzise, genrehafte Skizzen, die sich locker um Spiel, Tanz und Erdbeersuchen von Kindern im Wald reihen, erscheinen zunehmend unter dem Aspekt der Bedrohtheit und werden zugleich transparenter als geistliche Allegorie von der Allgegenwärtigkeit der Sünde. Dabei wird freilich nicht explizit gedeutet, sondern es bleibt bei suggestiver Kombination von biblischen Anspielungen (Gn3, Mt25, Ct5). Von den beiden Minneliedern im engeren Sinn variiert III nur verbreitete Topoi des

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Alexander von Hales

Frauenpreises im Minnesang des 13.Jh.s und zeigt A. so stark im Banne der Tradition wie sonst keines seiner Gedichte. In VI jedoch gewinnt er der konventionellen Minneklage eigenwilligere Nuancen ab, indem er sie nicht - wie sonst üblich - aus der Unnahbarkeit der Dame sondern aus der Trennung der Partner motiviert, ferner indem er den Sänger gegen die Dicta der Frau Minne aufbegehren und sehr komprimiert und einfallsreich die Dialektik von FreudeLeid, Nähe-Ferne, Leben-Tod und Augenblick-Dauer durchspielen läßt. Das Neue liegt dabei nicht in den Motiven, sondern in den straffen und pointierten Bezügen zwischen ihnen. Von allen Liedern steht VI dem Leich am nächsten. 3. Leich. Formal ist der Leich (VII) recht einfach gebaut, denn metrisch und musikalisch folgt er dem Prinzip der fortschreitenden Halbstrophenrepetition, nur der Mittelteil weist einen doppelten Cursus auf (KÜHN, S.134f., BERTAU, S. 149). Thematisch bietet A. im Leich eine Minneklage, die ungewöhnlich strukturiert ist: im Kampfspiel der Liebe erscheint der Dichter als schiltgeverte (v. 28) der Frau Minne und ordnet sich damit einer ehrwürdigen Tradition ein, die vom Trojanischen Krieg bis in die Gegenwart reicht (v. 49ff., 136ff.). Da er zudem den Schildschmuck - die Figur eines blinden, nackten, gekrönten Kindes mit Flügeln, Pfeil, Fackel auf rotem Grund, d.h. eine Cupidogestalt - beschreibt und kunstgerecht allegorisch ausdeutet (v. 67 bis 132), bewegt er sich in der didaktischen Systematik schon in ähnliche Richtung wie nur wenig spätere Minnereden (—> Johann von Konstanz). Dabei vermeidet A. freilich lehrhaften Schematismus, verbindet vielmehr virtuos antike und mal. Traditionen und nützt die Sängerrolle dynamisch, um zwischen normsetzender Personifikation und dem Publikum spannungsreich zu vermitteln. V. Das Werk A.s ist keineswegs von einem beherrschenden Vorbild oder einer Tradition abzuleiten, noch hat es selbst erkennbar weitergewirkt. Auch die späteren Meistersinger zählen ihn nicht unter ihre 12 alten Meister. In dieser Hinsicht bleibt er viel stärker isoliert als etwa sein Zeitge-

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nosse Heinrich -> Frauenlob. Doch zählt A. wie dieser zu den profiliertesten Übergangsfiguren zwischen höfischer und meisterlicher Kunst. L i t e r a t u r . HMS IV 665-670; G. HASE, D. Minneleich Meister A.s u. seine Stellung in d. mal. Musik, 1921; R. HALLER, Der W. A., 1935; E. SCHNEIDER, Spruchdichtung u. Spruchdichter in den Hss. J. u. C, ZfdPh 66 (1941) 16-36, bes. S. 22, 27; H. HUSMANN, MGG l (1949/51) 311-313; H. KÜHN, Minnesangs Wende, 1952 (21967),S. 134-136 u.ö.; H. ROSENFELD, NDB I 195; H. DE BOOR, D. Antichristged. des W.A., PBB (Tüb.) 82 (1960) 346-351; DE BOOR, LG III l, S. 326-328, 357-363; K. H. BERTAU, Sangverslyrik, 1964, S. 147-151, 181-184 u.ö.; J. SCHULZE, Zu d. Strr. Sion, trure u. Owe, Minne des W. A., ZfdPh 83 (1964) 340-345; ders., D. Lied Ach Owe daz nach liebe ergat des W.A. u. seine Bearbeitungen, ZfdPh 84 (1965) 361-368; H. TERVOOREN, Einzelstrophe oder Strophenbindung, Diss. Bonn 1967, S. 175-182; H. LOMNITZER, Z. wechselseitigen Erhellung v. Text- u. Melodiekritik mal. dt. Lyrik, in: Probleme mal. Uberl. u. Textkritik, hg. v. P. GANZ u. W. SCHRÖDER, 1968, S. 118-144, bes. 133-135; R. TAYLOR, The art of the minnesinger, 1968,15-15, II4-18; I. GLIER, Der Minneleich im späten 13. Jh., in: Werk-Typ-Situation, hg. v. I. GLIER u. a., Fs. H. Kühn, 1969, S. 161-183, bes. 172-175; J. BIEHL, Der W. A., 1970 (Diss. Hamburg 1968), rez. v. CH. GERHARDT, Lit.wiss. Jb. d. GörresGes. NF 12 (1971 [1973]) 369-379; TH. GRAMER, D. Zion-Lied des W.A., Euph. 65 (1971) 187-193; P. DRONKE, D. Lyrik d. MAs, 1973, S. 73-78; M.S. SCHINDLER, Structure and Allegory in der W. A.'s Hie vor da wir kinder wären, Germ. Qu. 46 (1973) 1-11; N. WAGNER, D. Lebenszeit des W. A., ZfdA 104 (1975) 338-344. INGEBORG GLIER

Alexander von Bremen -»Alexander Minorita Alexander von Haies A.v.H. (1185-1245), gebürtig aus Haies Owen (Shropshire, England), ist der erste Franziskaner-Magister an der Univ. Paris (doctor irrefragibilis). Er verfaßte zahlreiche quaestiones, eine 'Glossa in IV libros Sententiarum' und, zusammen mit anderen, die erste und größte 'Summa theologica' der Scholastik. Sein Einfluß auf die Franziskanertheologie, namentlich auf Bonaventura, aber auch auf die frühe Dominikanerschule ist groß. A u s g a b e n . Magistri A. de H. Glossa in quatuor Libros Sententiarum Petri Lombardi, I-IV, (Quaracchi) Florenz 1951-1957; Magistri A. de H. Quaestiones

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Alexander Minorita

disputatae 'antequam esset frater', I-III, (Quaracchi) Florenz 1960; A. de H. Summa theologica, 1-IV, (Quaracchi) Florenz 1924-1948.

Wie stark die 'Summa Alexandri' ('S.A.') auf das dt. geistliche Schrifttum gewirkt hat, ist noch wenig erforscht. Daß sie indes häufiger als bisher vermutet Quelle für lat. und dt. Seelsorgeschriften war, belegen die folgenden Rezeptionsbeispiele. 1. Mittelbar gewinnt die Theologie A.s über das 'Compendium theologicae veritatis', das über ein Dutzend mal deutsch übersetzt und bearbeitet wurde, weite Verbreitung. -»Hugo Ripelin von Straßburg schreibt die 'S.A.' oft wörtlich ab, etwa in Comp. I, c. 15 (= S.th. 1,1, tr.2, q.l). 2. Über das 'Compendium' Hugos ist auch der 'Gewissensspiegel' -»Martins von Amberg mit der 'S.A.' verbunden: diejenigen Kapitel des Compendiums (V, c.21, c. 60-68; III, c. 15-21), auf denen die dogmatischen Lehrstücke des 'Gsp.' beruhen, haben die 'S.A.' zur Quelle. 3. Starke Abhängigkeit von der 'S.A.', und zwar hauptsächlich von III, 3 ('De gratia et virtutibus') konnte SCHÜLKE für —* Konrad (Spitzers) 'Büchlein von der geistlichen Gemaheischaft' ('Buch der Kunst') nachweisen. 4. Anklänge an die Gnadenlehre der 'S.A.' zeigt ebenfalls der —> 'Zürcher Gratia DeiTraktat' 5. In Wien, cod. 3829, 24V (gedr. STEER, 1966, S. 5) wird Alexander de hales eine Auslegung des frühscholast. Axioms Facienti quod est in se, deus non denegat gratiam zugeschrieben. Sie findet sich indes nicht in der 'Summa theologica'. 6. Die Quästionensammlung des —»· Heinrich von Rübenach in Nürnberg, StB, Cent. IV, 30 und Cent. V, 5 zitiert sehr häufig A. Die Quaestio über I Tim 2,4 (gedr. RUH, Franzisk. Schrifttum I 187-191) erweckt sogar den Eindruck, als sei sie zur Gänze aus A. geschöpft (RUH, S. 187). Eine Identifizierung ist jedoch bisher nicht gelungen. Auf A. stützt sich auch der Engelberger Traktat 'Trahe me post te': Engelberg, Stiftsbibl., cod. 136,1V-8V. Weitere A.-Zitationen: Dekalogtraktat des -> Nikolaus von Dinkelsbühl (BERG, S. 30), 'Der Tugenden Buoch' (BERG, S. 102); Predigten in Wies-

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baden, LB, cod. 50, 136r, 138V, 15 , 152r, um 1460; Fastenpredigten in Wien, cod. 4507, 253r-300v, 2. Hälfte 15. Jh. 7. 'Von drei Anblicken Gottes' in Gent, ÜB, Res. 522', 39MOV entspricht S. th. I, tr. introductionis, q.2, m. l, c.4. L i t e r a t u r . RUH, Bonav. dt., S.23, 42, 45, 118,167; K. BERG, Der Tugenden Buoch (MTU 7), 1964, S. 30, 37, 41, 102; RUH, Franzisk. Schrifttum I 187-191; G. STEER, Scholast. Gnadenlehre in mhd. Sprache (MTU 14), 1966, S. 143-154; ders., D. 'Gewissensspiegel' Martins von Amberg u.d. 'Compendium theologicae veritatis' Hugos von Straßburg, PBB (Tüb.) 90 (1968) 285-302; U. SCHÜLKE, Konrads Büchlein v. d. geistl. Gemaheischaft (MTU 31), 1969, S.27-29, 31-33, 38 bis 40; G. STEER, Hugo Ripelin von Straßburg, Habil.schrift (masch.) Würzburg 1974, S. 245-252.

GEORG STEER Alexander Laicus -> Alexander Minorita Graf Alexander von Mainz -»· 'Graf Alexander von Mainz' Alexander Minorita (auch A. Laicus, A. von Bremen, A. von Stade) 1. Daten zum Leben Alexanders fehlen fast vollständig. Seiner 'Expositio in Apocalypsim' ist zu entnehmen, daß er Mitglied des Minoritenordens in der Bremer Kustodie gewesen sein und sich bereits vor dem Ordenseintritt beachtliche theologische und historische Kenntnisse erworben haben muß; als laicus (S.71, II 13 ) wären ihm entsprechende Studien aufgrund der Bildungssituation im Franziskanerorden nicht möglich gewesen. Versuche, ihn mit dem Bremer Domscholaster Alexander von Bexhövede zu identifizieren oder als Mitglied des Stader Minoritenkonvents nachzuweisen, vermochten nicht zu überzeugen. A. starb wahrscheinlich 1271. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Die 1. Redaktion der 'Expositio' von 1235 ist verloren, die 2., zwischen 1235 u. 1244 entstandene, in P C h R überliefert; von ihr fertigte A. 1248 eine Kurzfassung (W 1 + 2 ) und 1249 eine erweiterte Fassung (B) an, die eine Bearbeitung wahrscheinlich von -»Albert von Stade erhielt (C). Hss. mit Bilderzyklus (Siglen nach WACHTEL, Ausg.): (D) Dresden, LB, cod. A 117, 2. H. 13.Jh.; (B) Breslau, ÜB, cod. IQ 19, Ende 13.Jh.; (C) Cambridge, ÜB, cod. Mm V31, 2. H. 13. Jh.; (P) Prag, Metrop. Kap., Cim 5, 14.Jh.; (R) Vatikan, cod. lat. 3819, 14. Jh.

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Alexander von Roes

Hss. ohne Bilderzyklus: (Ch) Chälon s.M., Bibl. Communale, cod. 68, 2. H. 14. Jh.; (Wi + 2 ) Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., Aug. 4°55.4, 13./14.Jh., u. Aug.4°30.9.1, v.J. 1433. -Ca. 6 Hss. verloren. A u s g a b e n . A . FRIND, Scriptum super Apocalypsim cum imaginibus (Ms. Cim. Bibl. Capituli metropol. Prag.), Prag 1873 (phototyp.); A. WACHTEL, MGH Quellen z. Gcistesgesch. l, 1955 (zit.).

3. In A.s 'Expositio' wird erstmalig versucht, die Offenbarung des hl. Johannes als Geschichtsprophetie für die Kirche von Christus bis zur Gegenwart (ca. 1250) zu verstehen. Für A. stellt sich ähnlich wie das Verhältnis des AT zum NT die Beziehung von Prophetic und Geschichte wie die von Verheißung und Erfüllung dar, so daß die Visionen von ihm als ein strukturierter Zusammenhang gesehen werden, dem eine kontinuierliche Abfolge historischer Ereignisse in einem ideologischen Geschichtsprozeß zuzuordnen ist. Indem A. spirituelle Auslegung mit historischer verbindet, gliedert er die Geschichte der Kämpfe zwischen Antichrist und Friedensfürst in 6 Epochen. Deren erste umfaßt die Zeit der Kirchenverfolgung unter den heidnischen Kaisern; ihr folgen die der innerkirchlichen Häresiekämpfe, die der Auseinandersetzung mit den Persern und mit Mohammed, dann die Friedenszeit von Karl d. Gr. bis Gregor VII., unter dem die Epoche der Kämpfe zwischen Regnum und Sacerdotium einsetzt; sie währt bis zu Kaiser Friedrich II., nach dem als die letzte bald die Zeit der Herrschaft des Antichrists mit dem abschließenden Weltgericht anbrechen wird. Für diese Endzeit betont Alexander in Kenntnis pseudojoachimitischen Gedankenguts die heilsgeschichtliche Bedeutung der Bettelorden. Außer der Bibel, patristischem Schrifttum und Papstbriefen dienten A. die Chronik von -»Frutolf von Bamberg, -»Ekkehard von Aura und die -> 'Sächsische Weltchronik' als Quellenvorlagen für seine historischen Betrachtungen. Die 'Expositio' erlangte ihrerseits beträchtliche kunstgeschichtliche Bedeutung (Bilderzyklus) und wirkte auf die Apokalypsekommentare des Nikolaus von Lyra und des Petrus Aureoli. L i t e r a t u r . H. HINTZ, Mal. Geschichtsauffassung u. Eschatologie in einem Apocalypsekomm. aus d.

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13.Jh., Diss. Greifswald 1915; G. PRAUSNITZ, Eine Bilderhs.d.l3.Jh.sind.SBu.UBBreslau,ZfB38(1921) 241-247, 39 (1922) 173-184, 40 (1923) 538-546, 42 (1925) 61-76; J. P. GILSON, Prater A. and his historical interpretation of the Apoc., Collectanea Franciscana II (British Soc. of Franciscan Stud. 10), Manchester 1922, S. 20-36; G. PRAUSNITZ, D. Urschrift z. Komm. d. A. Stad. in d. LB zu Wolfenbüttel, ZfB 44 (1927) 321-337; A. KLEINHANS, De commentario in Apoc. Fr. A. Brem. O.F.M. (a.l242),Antonianum 2 (1927) 289-334; H. GRUNDMANN, Über d. Apok. Komm. d. Minoriten A., ZfB 45 (1928) 713-723; M. HUGGLER, D. Bilderkreis in d. Hss. d. A.-Apok., Antonianum 9 (1934) 85-150 u. 269-308; A. WACHTEL, D. weltgeschichtl. Apoc.-Auslegung d. Minoriten A, v. Bremen, Franzisk. Stud. 24 (1937) 201-259 u. 305-363; J. LECLERCQ, Textes et mss. cist, dans diverses bibliotheques, Anal. s. O. Cist. 12 (1956) 289-310; T. MROCZKO, Ze studiow n ad Apokalipsa wroclawsk?, Sredniowiesze, Studia o Kulturze, Warszawa 1961, S. 93-170, tab. XXIX-XLII; LThK I 308; NDB I 194.

DIETER BERG

Alexander von Roes . ., der sich selbst als Canonicus des Kölner Frauenstiftes St. Maria auf dem Kapitol bezeichnet, stammt wahrscheinlich aus einer Kölner Patrizierfamilie. Um das Jahr 1280 kam er nach Rom, wo er Anschluß an den Kreis des Kardinals Jakob Colonna und der von diesem protegierten FranziskanerSpiritualen fand. Colonna widmete er sein erstes Werk, das 'Memoriale de prerogativa Romani imperii'. Die triumphierenden französischen Äußerungen nach der Wahl des Simon de Brion zum Papst Martin IV. waren der Anstoß für die Veröffentlichung dieses Traktates, der aus mehreren, teils schon in Deutschland geschriebenen Teilen besteht. Ebenfalls aus aktuellem Anlaß, während der Sedisvakanz vor der Wahl Nikolaus' IV., Anfang 1288, verfaßte er die 'Noticia seculi', die er einem römischen Adeligen, wahrscheinlich wieder Jakob Colonna, widmete. Gleichzeitig mit der 'Noticia' veröffentlichte A. das eigenen Angaben zufolge 3 Jahre zuvor entstandene parabelhafte Gedicht 'Pavo', das sich wie die beiden Prosaschriften mit dem Hauptanliegen A.s, der durch das Papsttum in Koalition mit den Franzosen gefährdeten Weltordnung, befaßt. Jedes weitere Zeugnis über A. und sein Leben fehlt.

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Alexander von Roes

II. ' M e m o r i a l e de p r e r o g a t i v a Romani imperil' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Mindestens vier Fassungen der Texcüberlieferung gehen auf A. selbst zurück, der an seinem Autograph 7 Jahre lang arbeitete. Nur eine Hs., der Wiener cod. lat. 595 (vor 1354), überliefert alle 3 Werke und den Namen des Autors. Eine nachhaltige Wirkung setzte erst im 15. Jh. ein infolge der während des Basler Konzils aufbrechenden nationalen Spannungen. Zu den mehr als 70 Hss. bei GRUNDMANN/ HEIMPEL, 1958, S.40ff., kommen hinzu: Frankfurt, StB, Ms. Barth. 115, 331ra-338rb u. Nürnberg, Bayr. Staatsarch., Herrschaft!. Buch Nr. 8, f. 59-64. Eine Übers., die zu den frühesten historisch-politischen Verdeutschungen zählt, entstand im 15. Jh. 2. A u s g a b e n . Erstdruck: Rom 1470, dann Köln 1474 u. Basel 1559; H. GRUNDMANN, A. v. R., De Translatione Imperil, u. Jordan v. Osnabrück, De Prerogativa Romani Imperil (Quellen z. Geistesgesch. d. MAs u. d. Renaissance 2), 1930, S. 10-36; H. GRUNDMANN/ H. HEIMPEL, D. Sehr. n. d. A. v. R., hg. u. übers. (Dt. MA, Krit. Studientexte d. MGH 4), 1949, S. 18-67; dies., A.v.R., Sehr.n (MGH, Staatsschr.n d. späteren M A s I 1), 1958, S.91-148 (zit.).

3. I n h a l t . A. verbindet seine Schrift mit dem Traktat 'De prerogativa Romani imperii' des Magisters —»Jordan von Osnabrück (so wohl endgültig nach langer Forschungsdiskussion), einer systematischen Zusammenstellung biblischer und exegetischer Zeugnisse über den gottgewollten Vorrang des römischen Reiches und die Notwendigkeit seines Fortbestandes zur Verhinderung der Ankunft des Antichrists. Erschüttert über das Fehlen der Königsfürbitte in den Meßbüchern der päpstlichen Kapelle aktualisiert A. den Traktat, um neue Maßstäbe für Gegenwart und Zukunft zu setzen. Sein Geschichtsdenken gründet auf der Vorstellung einer universalen, Kirchliches und Weltliches umschließenden Schöpfungsordnung. Die verwandtschaftlichen Beziehungen aller Völker bestimmen das Konzept der Welteinteilung: Den Römern als den Älteren steht das Sacerdotium zu, den Deutschen als den Jüngeren (Aufgreifen der Trojer-Sage) das Regnum; die Franzosen hat Karl der Große mit dem Studium philosophiae et liberalium artium abgefunden. Sacerdotium, Regnum, Studium sind zusammen die das Christentum erhaltenden Kräfte. A.s Vorstellung vom Kaiser als defensor fidei orientiert sich an

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der karolingisch-ottonischen Tradition. Der Kaiser verwaltet ein Amt der Weltkirche; ein dominium über andere Völker ist darin nicht impliziert. Der unbestreitbare Anspruch der Deutschen auf dieses Amt wird anhand der Maternus-Legende allegorisch dargestellt. III. ' N o t i c i a Seculi' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Meist gemeinsam mit dem Tavo' überliefert, geringere Verbreitung (10 Hss.), bei GRUNDMANN, 1958, S. 81-87, zusammengestellt. 2. E d i t i o n e n . H. GRUNDMANN/H. HEIMPEL, Die Sehr.n d.A.v.R., hg. u. übers. (Dt. MA, Krit. Studientexte d. MGH 4), 1949, S.68-103 (Not.), S. 104-123 (Pavo); dies., A. v. R., Sehr.n (MGH, Staatsschr.n d. späteren MAs I 1), 1958, S. 149-171 (Not.), S. 172-191 (Pavo) (zit.).

3. I n h a l t . Auch die 'Noticia' schließt an das Werk eines anderen Verfassers an. A. benutzt die im Kreis des Jakob Colonna beliebte Denkform und Deutungsmöglichkeit der Prophetic, um sein eigenes politisches Anliegen, die Sorge um das Imperium, zu äußern. Das eschatologische Schema entnimmt er dem 1204/05 in Bamberg entstandenen Traktat -»· 'De semine scripturarum', der analog zu den 23 Buchstaben des Alphabets das Weltende nach 2300 Jahren, um das Jahr 1500, erwartet. Nach einem Kompendium der tradierten Lehre von den Weltaltern, den Welträumen und den drei Menschenarten geht A. in c. 4/5 auf die gegenwärtige Krise in Europa ein, deren Ursache er in den französisch-päpstlichen Übergriffen sieht. Deren Auswirkungen kommentiert er mit dem nachhaltigen Hinweis auf die drohende Ankunft des Antichrists. Noch einmal greift er die Weltämtertheorie des 'Memoriale' auf und gibt eine lebendige Schilderung der Volkscharaktere, auf deren Grundlage er die nationalen Weltfunktionen verteilte. IV. ' P a v o ' In der um 1285 entstandenen Parabel vom Pfau verdichtet A. seine Sorge um den bedrohten Ordo. In einem conventus volucrum, dessen Struktur ihm als Fuchsprozeß und Vogelrat bekannt gewesen sein dürfte, läßt er politische Persönlichkeiten im Federkleid auftreten. Ausschlaggebend für die Wahl der species ist die natura des jeweili-

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Alexander von Roes - 'Alexius'

gen Vertreter-Vogels (nach Isidors 'Etymologien'), die traditionelle Stellung im Tierreich (aquila, der König der Vögel = Kaiser) oder der Name selbst (gallus = rex Gallicorum). Umstilisiert in eine Tierparabel wird hier - unter tendenziöser Ausweitung und Umstellung des historischen Stoffes - der Verlauf des Konzils von Lyon (1245) dargestellt. Die widerrechtliche Absetzung des Adlers (Kaiser) durch den Pfau (Papst) mit Hilfe des Hahns (Frankreich) führt zur Katastrophe des letzten Kampfes, allegorisch durch die Sizilianische Vesper dargestellt. A. nimmt hier das historische Ereignis als Exemplum, um in Form einer 'retrospektiven' Prophetic vor der Zerstörung zu warnen. Insofern ist der 'Pavo' keine historische Satire, sondern die figurale Interpretation der Gegenwart. V. A.s Werke stehen zu Beginn der Streitschriftenliteratur, die sich nach dem Zusammenbruch des staufischen Reiches um die Erneuerung des imperialen Gedankens mühte. Sie sind nicht Ausdruck einer nationalistischen Verteidigung des deutschen Kaisertums, sondern Kampf um die Wahrung des alten universalen Ordo, der das Bestehen der Welt garantiert. A. stellt sich gegen den politischen und geistigen Umbruch seiner Zeit, der mit dem Aufkommen der souveränen Einzelstaaten die imperiale Idee zurücktreten läßt. Um den Reichsgedanken der gewandelten Welt anzupassen, stellt er eine nationale Rangordnung auf, die sich unter dem einigenden Band der universalen Ecclesia in die gottgewollte Weltordnung einfügt. Die Zuteilung der Ämter an die drei Hauptnationen erfolgt auf Grund der Abstammung, der historischen Tradition und der nationalen Eigenschaften. Erstmals werden nationale Autonomie und die sich aus dem historischen Selbstverständnis ergebenen Fragen in ein Geschichtsbild integriert, das bedroht wird durch Erbreichsverhandlungen und Reichsteilungspläne (s. das sog. Vierstaatenprojekt). A.s Vorschlag der Dreiteilung zielt auf die Wahrung des Imperiums unter gewissen Strukturveränderungen. Es ist der erste Versuch, den Anteil der einzelnen Völker an der politisch-kulturellen Ordnung des Abendlandes darzustellen.

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L i t e r a t u r . W. SCHRAUB, Jordan v. Osnabrück u. A.v.R. (Heidelberger Abhh. z. mitt. u. neuen Gesch. 26), 1910; B. HIRSCH, Zur 'Not.saec.' u. z. 'Pavo', MIÖG 38 (1920) 571-610 u. MÖIG 40 (1925) 317-335; A. DEMPF, Sacrum Imperium, 1929, S. 495^97; H. HEIMPEL, A.v.R. u. d. dt. Selbstbewußtsein d. 13. Jh.s, AKG 26 (1936) 19-60; H. GRUNDMANN, Übersetzungsprobleme i. SpätMA, ZfdPh 70 (1948/49) 113-145; ders., Über d. Schr.n d. A.v.R., DA 8 (1951) 154-237; ders., Sacerdotium, Regnum, Studium, AKG 34 (1952) 5-21; H. HEIMPEL, Über d. Pavo d. A.v.R., DA 13 (1957) 171-227; B. HIRSCH-REICH, A.s v.R. Stellung z. d. Prophetien, MIÖG 67 (1959) 306-317; U. SCHWAB, Z. Datierung u. Interpretation d. Reinhart Fuchs, Neapel 1967, S. 103-110; W. MOHR, A.v.R. - D. Krise i. d. universalen Reichsauffassung nach d. Interregnum, Misc. Mediaev. 5 (1968) 270-300; E. SCHUBERT, Z. Konzeption d. kaiserl. Landgerichts Nürnberg: Eine unbeachtete Überl. d. Mem. d. A.v.R., Jb. f. frk. Landesforsch. 31 (1971) 335-342.

MARLIES HAMM 'Alexius' Die .'-Legende, die in Syrien ihren Ursprung hat und seit dem 10. Jh. über Rom in das Abendland gelangt ist und hier im hohen und späteren MA zu den beliebtesten Legenden gehört, teilt sich in einen 'päpstlichen' und einen 'bräutlichen' Zweig, bes. je nachdem ob der tote Heilige seinen Lebensbericht (Brief) dem Papst oder seiner verlassenen Braut übergibt. I. ' A l e x i u s A' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Graz, ÜB, cod. 1501, Perg., 12. Jh., aber v. Hand d. 15. Jh.s auf d. Rand geschr. (aus d. Chorherrenstift Seckau) (G); Prag, ÜB, cod. XVI G19, 15. Jh., Pap. (aus d. Klarissenkloster Eger) (P); Budapest, Akademiebibl., K 556, früher T 85, Anf. 14. Jh., Perg. (B, Frgm., v. 353^72). 2. A u s g a b e n . MASSMANN, S.45-67; G. Eis, 1935, S. 256-303; A. VIZKELETY, Frgm.e mhd. Dicht, aus Ungarn, ZfdA 102 (1973) 15-22 (B).

3. . ' (1144 vv.) gehört der 'bräutlichen' Gruppe an mit dem schönen Zuge, daß der tote Heilige die ihm nachgestorbene Braut im Sarge liebreich umfängt. Der Sinn der Legende, äußerste Askese und freiwillige Erniedrigung bis zum unerkannten und verhöhnten Bettlerleben im eigenen Elternhause um des Seelenheiles willen, ist lebendig und warmherzig dargestellt, in freiem Anschluß an die Quelle, das -> 'Magnum Legendarium Austriacum', eine große, auf

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'Alexius'

deutschem Boden entstandene LegendenSammlung (der Abschn. .' hg. v. Eis, 1935,5.303-315). 4. Im Stil mischt sich der Einfluß -> Konrads v. Würzburg und -» Hartmanns v. Aue ('Armer Heinrich') mit volkstümlichen formelhaften Elementen. Zweifellos hat Konrads 'Alexius' eingewirkt, von dem auch Züge der 'päpstlichen' Gruppe übernommen sind. Wie schon MASSMANN, erklärt auch Eis wohl mit Recht A für 'die schönste aller dt. Alexiuslegenden'. 5. Da die Hs. G am Schluß die Aufforderung zur Fürbitte für die diu diz büechel getiht und geschriben hat bietet und damit wahrscheinlich gegenüber P im Recht ist, ist A vermutlich von einer Frau gedichtet; dafür könnte auch sprechen, daß die Dichtung im weiblichen Bereich heimisch war: P stammt aus dem Klarissenkloster in Eger, G aus Seckau, das um 1300 ein Doppelkloster war. 6. Die Mischung bair. und md. Elemente in den Reimen legt es nahe, die Heimat der Dichtung mit Eis im Sudetenland zu suchen. Die Entstehungszeit liegt um 1300, keinesfalls aber mit MASSMANN und anderen im 12. Jh. (unter späterer Bearbeitung). 7. Nachwirkung fand . ' in ->· 'Der Heiligen Leben' (= 'A.C' [Prosa]) und dadurch vermittelt im Alexiusliede des Jörg ->Preining von 1488 (= . '). Auch ins Säkulare hat . ' wohl gewirkt, indem es dem ->· 'Schüler von Paris M' das Motiv der späten Kindschaft und einige Formulierungen weitergab. L i t e r a t u r . MASSMANN, S. 14-22 u. 170; M. BLAU, Zur A.-legende II, Germ. 34 (1889) 156-187; G. Eis, 1935, S. 106-155 (S. 110 Gleichsetzung von 'A.G' mit d. 'Heiligenleben' des Hermann von Fritzlar ist Irrtum); ROSENFELD, 1927, S. 200; H. ROSENFELD, Legende (Sammlung Metzler M 9),31972, S.41 (nicht 12.Jh.); SERVAES, S. 38-44.

II. ' A l e x i u s B' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod.3007, Pap., v.J. 1472 (V); Annaberg i. Erzgeb., Kirchenbibl., Hs. D 187, v.J. 1447 v. Meißner Notar Joh. Pauli geschr. (A); Königsberg, ÜB, Hs. Nr.900 (ob noch?), 15.Jh. (R; Verkürzung auf 261 vv.; als Anhang z. 'Väterbuch'); Dessau, Zweigst, d. ÜB u. LB Sachsen-Anhalt, Hs. Nr.24 8" Georg (früher Georg 4" 4), Pap., 1420-1442 (frgm. v. 90-298 u. 392-508; Bearb. d. 15.Jh.s).

2. A u s g a b e n . MASSMANN, S.68-76 (nach V); M. BLAU, Germ. 34 (1889) 174-187 (nach VAR); H.-F. ROSENFELD, Neuphil. Mitt. 66 (1965) 99-107. - D. lat. Quelle nach AASS Jul. IV 251-253 bei MASSMANN als 93 S. 157-166, besser bei G. ROHLFS, S. Alexius, Altfrz. Legendendicht. d.U. Jh.s (Sammlung Roman. Übungstexte 15), 1965 und neuerdings bei F. WAGNER, D. Alexiusged. d. Brüsseler Codex Nr. 8883-94, Fs. I. Schröbler (PBB 95, Sonderband), Tüb. 1973, S. 144-169 [Text: S. 156-169].

3. Die Sprache ist ausgesprochen md., wohin auch die Hss. A (Meißen) und R (nördl. Osthessen) sowie die ausgeprägte Neigung zu weibl. vollen Versen weisen. In den Bereich nd. Einflusses führt der Reim 305 trit: bit = bUet für hd. bizet, der am ehesten für einen md. schreibenden Niederdeutschen spricht, wofür aber außer gelegentlichem Präfixverlust im Part. Prät. sonst keine Anhaltspunkte vorliegen. Die Entstehungszeit ist wohl Ende d. 13. Jh.s. 4. Die knappe, aber flüssige und durch manche eigene Züge wie durch frische Redeszenen mit persönlicher Anrede (z.B. v. 107 so hoere, liebiu frouwe min, 269 vil gerne, lieber man, 410 Alexi, min vil liebez tritt) belebte Erzählung (522 vv.) hatte die lat. Fassung S3 (s. o. 2.) und somit die 'päpstliche' Form zur Quelle, hat damit aber, offenbar nach Hörensagen, Züge der 'bräutlichen' Version, bes. die Briefübergabe, verbunden. L i t e r a t u r . MASSMANN, S.22f.; H. SCHNEEGANS, D. romanhafte Richtung d. .'-legende, Modern language notes (1888) 247-256, 307-327; Eis, 1935, S. 114 (statt 'Schluß' lies 'Briefübergabe'); H.-F. ROSENFELD, 1965, S. 91-99; SERVAES, S. 44f.

III. ' A l e x i u s C' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Klosterneuburg,Stiftsbibl.,Hs. Nr. 1244, Perg., 14. Jh. (N); Heidelberg, cpg 417, Pap. (H); München, cgm 717, Pap., v. J. 1347 (M). 2. A u s g a b e n . MASSMANN, S.77-85 (nach HMN); J.F.L.TH. MERZDORF, D. Mönch v. Heilsbronn, 1870, S. 145-159 (Abdr. v. H mit Var.).

3. Ähnlich gedrängt erzählt wie B, aber ohne dessen Neigung zu lebendiger direkter Rede, zeigt C (454 vv.) Beherrschung von Vers und Reim und gelegentliche Freude an gewählten Bildern. Quelle ist letztlich die lat. 'päpstliche' Fassung 23, doch ist auf die meisten charakteristischen Einzelheiten verzichtet, am ehesten wohl auf Grund mündlicher Überlieferung.

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'Alexius'

4. Im Gefolge von GERVINUS und PFEIFFER hat MERZDORF 'A.C' gemeinsam mit der -»· 'Tochter Sion' für ein Werk des -»Mönchs von Heilsbronn erklärt, vor allem weil beide mit zwei sicheren Werken dieses Dichters, den 'Sechs Namen des Fronleichnams' und dem 'Buch der sieben Grade' in H vereint sind. Nachdem sich bes. WAGNER gegen diese These, BÖCKL dafür eingesetzt hatte, hat SCHRÖDER gezeigt, daß beide Gedichte nicht vom Mönch v. Heilsbronn stammen können, wohl aber dem Kreise des mit dem 'Mönch' identischen oder eng verwandten -> Konrad von Brundelsheim nahestehen. Aber 'A.C' und 'Tochter Sion' gehören sicher nicht dem gleichen Dichter an, auch ist die ostfränk. Heimat von C (so SCHRÖDER) zum mindesten fraglich (Fehlen des -« auch außerhalb des Infinitivs). Entstehungszeit ist wohl Anfang des 14. Jh.s. L i t e r a t u r . MASSMANN, S.4-6 u. 23; MERZDORF, S.IXf., XIIIi., XXVIf.; A. WAGNER, Über d. Mönch v. Heilsbronn (QF XV), 1876; H.-F. DENIFLE, Rez. zu Wagner, AfdA 2 (1876) 300-313; C. BÖCKL, Wer ist d. Mönch v. Heilsbronn?, ZkTh 52 (1928) 230-239; E. SCHRÖDER, D. Gießener Hs. 876, Anh. II, GGN 1931, S.23f.; Eis, 1935, S. 10.

IV. ' A l e x i u s F' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Bremen, SB u. ÜB, Ms. b 42b, Pap., I.H. 15. Jh. 2. A u s g a b e n . N. MEYER/L.F. MOOYER, Altdt. Dicht.n, Quedlinburg-Leipzig 1833, S. 3-23 (vgl. dazu ROSENFELD, 1927, S.305; MASSMANN, S. 118-139).

3. 'A.F' (1526 vv.) ist in der 2. Hälfte d. 13.Jh.s (häufig s:z; gelegentliche Apokopen) im Alemannischen, am ehesten wohl im nördlichen Elsaß, entstanden (wir hant: lant, wir länt :bekant, Part, gestn, har, sant = samt-.bekant, häufiges u. zwar ausschließliches seit, geseit, treit, geleit; gesmahten ('rochen') -.ahten; Verdumpfung des a in gän (.70«) und jar (-.vor) (2 X ), dazu md.-rhein. Ind. bette ( 3 x ) , naeben: gesehen) . 4. Dem Dichter gehen Vers und Reim leicht von der Hand, gelegentlich erinnert er an Konrad v. Würzburg. Aber er wird oft weitschweifig, fügt Exkurse ein, z.B. über Nebukadnezars Traum (v. 46-78), die Version des Evangelisten Johannes (v. 203-246), jungfräuliche Enthaltsamkeit (v. 156-185),

eine Erörterung der Eltern, ob es gut sei, das Kind früh lernen zu lassen (v. 100-142). Umgekehrt bleiben manche charakteristischen Züge der Legende beiseite, und vielfach vermißt man gerade an wichtigen Stellen die innere Beteiligung. Andererseits ist er der einzige Alexiusdichter, der über das unerbittliche Verhalten des unerkannt ins Elternhaus zurückgekehrten Alexius im Gespräch mit den Eltern und bes. der Braut reflektiert und damit gewissermaßen moderne Kritik an der Legende (s.u. DE GAIFFIER) vorwegnimmt. 5. Quelle ist vermutlich, vielleicht über mündliche Zwischenstufen (vgl. bes. die starke Verkürzung der Vorgeschichte), die lat. Fassung 93, also die 'päpstliche' Fassung. Aber während diese für die Briefübergabe bestimmend bleibt, wird, gerade umgekehrt als in 'A.C', die rührende Aufnahme der toten Braut durch den im Grabe ruhenden Alexius aus einer, wie der Dichter selbst andeutet, mündlichen ('A.A' nahestehenden) Tradition entnommen. L i t e r a t u r . MASSMANN, S. 10f.; MEYER/MOOYER, S. l f.

V.'Alexius 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Bibl. d. Klosters Strahov bei Prag, 2 Perg.bll., 13.Jh., aber bereits lange vor 1880 verschollen. 2. A u s g a b e n . A.C. MEISSNERS Apollo 3, Sept. bis Dez. 1794, S. 171 f.; danach neu hg. v. W. TOISCHER, ZfdA 28 (1884) 69-72.

3. Das nur 149 Verse umfassende Fragment weist eine Reihe unreiner Reime auf, die einen altertümlichen Eindruck machen und nach der Datierung der Hs. nicht der Verwilderung der Spätzeit angehören können: 98 Röme .-schöne, 66 tören .-beeren, 70 stumbe :zunge, 72 üzsetzigen diden (Dat. PL), 12 sal:dar, dazu trürunde.-stunde. Sie machen es wahrscheinlich, daß die Dichtung noch dem 12. Jh. angehörte und von der beginnenden höfischen Dichtung fast nur im Wortschatz berührt war. Denn während das Fremdwort zendal (126) schon seit dem -> Armen Hartmann belegt ist, bleibt paltikein (124) = baldekin 'Seidenstoff aus Bagdad' im 12. Jh. noch auf -> Heinrich v. Veldeke beschränkt und wird erst seit ->· Gottfried v. Straßburg und —> Wolfram v. Eschenbach beliebt. Die

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'Alexius'

nach tumbe gebildete Form stumbe (70) tritt erst seit Hartmann v. Aue auf (:umbe), könnte aber vom Schreiber für stumme eingesetzt sein (stummen -.zungen bei ->· Ezzo). Bei der Kürze des Fragments vermögen Wortschatz und Stil sonst nichts zur Entscheidung beizutragen. Die leichten Apokopefälle v. 48 u. 78 sprechen, wenn die Dichtung wie die Hs. bairisch ist, nicht gegen den Zeitansatz. 4. Das Erhaltene umfaßt nur den Zeitraum nach der Totenklage der Eltern und der Braut bis zum Schluß, wofür A 120, B 65, C 65, F 90 Verse benötigen. Es scheint sich also um eine A und F an Umfang erreichende oder übertreffende Dichtung gehandelt zu haben. In jedem Falle war sie sehr selbständig: Alexius' Vater ist König, der den Toten im eigenen Hause aufbahrt, bis er sine vriunt von dem lande zur Trauerfeier entboten hat; die Braut stirbt Alexius nach 7 Tagen nach und wird von dem Toten, der hier geradezu heilant heißt, nach der 'bräutlichen' Fassung liebevoll in Empfang genommen. Der Vater findet in wunderbarer Weise den Schlüssel wieder, den er vor vielen Jahren nach gramvoller Verschließung seines Palastes ins Meer geworfen hatte. Dieser wird nun zum Münster und aufs reichste ausgestattet. Eltern und Braut werden im Himmel mit Alexius vereint. L i t e r a t u r . W. TOISCHER, S. 67-69; H. ROSENFELD, Legende (Sammlung Metzler M 9), 31972, S. 41.

V I . ' A l e x i u s K' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Dessau, Zweigst, d. ÜB u. LB Sachsen-Anhalt, Hs. Nr.224 (früher Georg 4° l),Pap., geschr. 1422 in Trier. 2. A u s g a b e n . H.-F. ROSENFELD, Eine mhd. Alexiuslegende (K), Fs. W. Baetke, 1966, S. 290-297.

3. Die nur 284 vv. umfassende Dichtung ist die kürzeste der dt. Reimbearbeitungen (doch vgl. . ', Hs.R). Sie erzählt knapp und doch anschaulich ohne Eigennamen außer A. und Rom das wesentliche, wobei sie manche Einzelzüge gut bewahrt. Sie gehört zur 'päpstlichen' Gruppe und steht der lat. Fassung 2? (AASS) nahe, hat aber manche Züge der Tradition der dt. Bearbeitungen entnommen, insbesondere das Wohnen unter der Treppe des Elternhauses, das den lat. Fassungen mit Ausnahme des auf deutschem Boden entstandenen 9l fremd

ist. Zu volkstümlicher Steigerung hat er selbst einiges umgestaltet: z.B. ist A.s Vater mächtiger als 'jetzt der Römische König' und zugleich heilig (v. 17, 46, 188). A.s Braut ist die Tochter des Kaisers. Damit verbindet er vergleichende kritische Blicke auf seine Gegenwart (v. 20, 54, 159-164). L i t e r a t u r . H.-F. ROSENFELD (s.o. 2.), S.284-290.

VII. Sonstige e p i s c h e B e a r b e i t u n gen der A l e x i u s l e g e n d e 1. Da in der Literatur die dt. Alexiusbearbeitungen in der Regel nur mit dem Buchstabenzusatz, den ihnen zumeist MASSMANN gegeben hatte, zitiert werden, seien diese hier noch erläutert, soweit sie, weil sie einem namentlich bekannten Verfasser oder, obwohl z.T. als selbständige Einzelwerke überliefert, doch zu einem bekannten Sammelwerk gehören, hier nicht zu behandeln sind. 'A.D' = -> Konrads v. Würzburg .' (1275); . '- -»'Väterbuch', v. 39035^0050 (um 1280); 'A.G' = Reimpaardichtung von Jörg —»Zobel (430 vv.; um 1450); . ' — Lied in Regenbogens langem Ton von Jörg -»Preining (19 Strr. zu 23 vv.; 1488); . ' = -» 'Buch der Märtyrer', v. 18287-18646 (um 1300); 'A.G' = -"-'Der Heiligen Leben' (hsl. Ende 14.Jh.) (Prosa); 'A.g' = -»Hermann v. Fritzlar, 'Heiligenleben' (1347), Diese Fassungen sind mit Ausnahme von . ' sämtlich bei MASSMANN abgedruckt, aber heute zumeist in ändern Ausgaben zu benutzen. In der Berliner Hs. mgo 61, Pap., 15. Jh., findet sich 248v-253r eine anscheinend selbständige nd. Prosafassung, während die hd. in mgo 288 (15. Jh.) zu 'A.Cf' gehört. 2. . ' ist das lat. Gedicht 'Vir quidam magnus Romae fuit Euphemianus' (im 14. u. 15. Jh. überliefert, frgm. hg. v. MASSMANN, S. 171-179, vollst, v. ST. VRTEL-WIERCZYNSKI, 1937. Von sonstigen lat. Versbearbeitungen seien erwähnt das Hexametergedicht, das dem Bischof Marbod von Rennes zugeschrieben wird (AASS Juli IV 254ff. u.ö.), die in Vagantenzeilen abgefaßte Vita 'Multi post dominice tempus passionis' (zuerst hg. v. LEYSER, Altdt. Bll. 3 [1840] 273-287, neu hg. v. E. ASSMANN, Fs. A. Hofmeister, 1955, S. 31-38); das Gedicht 'Eufemianus erat, ceu lectio sacra revelat' (406 vv., hg. v. F. WAGNER, Mlat. Jb. 2 [1965] 145-164); Josephus Bripius, 'De laudibus S. Alexii, ine. Inclita Roma tuosdum sepe recenseo mecum (959 Hexam.; 1450), hg. v. SERVAES, S. 105-147; Duxit Romanus vir nobilis Eufemianus (Hss. d. 12. Jh.s; 459 Hexam.), hg. v. F. WAGNER, Mlat. Jb. l (1964) 86-99; vgl. S.224. Hymnen bleiben hier außer Betracht. Über Alexius in d. neueren Dichtung s. GNÄDINGER, S. 3-21.

VIII.'Alexiusspiel' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 1219 (frgm.). 2. Ausgabe. H. RUEFF, D.rhein. Osterspiel d. Berliner Hs. Ms. Germ. Fol. 1219, 1925, S.207-216.

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'Alexius'

3. Das Fragment des Alexiusspiels (268 vv.) steht in der von einem Helfrich 1460 geschr. Hs. des rhein. Osterspiels, ist aber vielleicht etwas später hinzugefügt und bricht in der Mitte einer Seite nach einer Auftrittsankündigung ab, so daß nur der die Machtbefugnis des Papstes darstellende Eingang bewahrt ist. Zur Erhaltung des rechten Glaubens sendet der Papst Boten aus, u.a. an Eufemian, den Vater des Alexius. Aber nicht einmal Eufemian gelangt mehr zum Auftritt. 4. Der weitere Verlauf ist in etwa aus dem lat. Personen Verzeichnis zu ersehen, da die Gestalten in der Reihenfolge ihres Auftretens verzeichnet sind. Gegenüber der Legende ist die Personenzahl stark vervielfacht; insbesondere sind ausgiebige Teufelsszenen eingelegt (Namen wie im 'Spiel von Frau Jutta' [—> Schernberg, Dietrich], 1480), die vielleicht neben der Sünde der Welt auch die Versuchungen des Alexius zum Thema hatten. Zusammen mit dem ausladenden Eingang läßt sich beträchtlicher Umfang des Ganzen vermuten. Dargestellt wurde offenbar die Hochzeitsszene mit dem Aufbruch des Alexius, sein Asketenleben in der Fremde, anscheinend nach Spanien verlegt, dann sein unerkanntes und verhöhntes Bettlerdasein im eigenen Vaterhause, wo ihm, so scheint es, Christus und die Engel Michael und Gabriel seinen ewigen Lohn verkünden, sein Tod durch Mors als Boten Christi sowie Heilungswunder an seiner Bahre. Reflexe der Briefüberreichung oder der Schlußszene mit der Braut sind nicht erkennbar, so daß die Zuteilung zur 'päpstlichen' oder zur 'bräutlichen' Version offen bleibt. 5. In volkstümlicher Erhöhung wie in I ist Eufemian König (vgl. Kaiser in K). In naiver Verschmelzung wird die Handlung einerseits mit orientalischer Sagenwelt verknüpft, indem die Braut die Tochter des Königs von Falfondie ist, nach -+ Ulrichs v. Türheim 'Rennewart' und dem Volksbuch von -> 'Sant Wilhelm', einer Bearbeitung von -»· Wolframs v. Eschenbach 'Willehalm', ein treuer Christ mitten im Heidenlande. Andererseits wird sie in die Gegenwart gerückt, indem als Kardinale dominus de Columpnia (Colonna) und dominus Ur-

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sinus (Orsini) erscheinen. Beide röm. Adelsgeschlechter hatten eine ganze Reihe von Kardinalen hervorgebracht; unmittelbare Anregung boten wohl Prospero von Colonna, Kardinal 1430-1463, und Giordano Orsini, Kardinal 1405-1438, was, wenn man so scharf zugreifen darf, für Entstehung des Spieles zwischen 1430 und 1438 sprechen könnte. Das Wiener Konkordat (1448) mit seiner endgültigen Versöhnung Friedrichs III. mit Papst Eugen IV. als Terminus ante quem (so RUEFF) wird durch v. 77 f. nur unzureichend gestützt und läßt einen weiten Spielraum nach rückwärts offen. Für das verschiedentlich genannte 1448 selbst spricht nichts. Vers und Reim lassen keine genaue Datierung zu, doch ist gegenüber RUEFFS Erwägung der Zeit Karls IV. oder gar Ludwigs des Bayern an Entstehung im 15.Jh. festzuhalten (vgl. z.B. 101 son:getan, 171 habest:ist, 163 erde: gegeben usw.). Heimat des Verfassers ist wohl das nördl. Thüringen, doch könnte die Aufnahme in die Hs. des Osterspiels mit der (seit 1350 bestehenden) Mainzer Alexiuskapelle in Zusammenhang stehen. 6. Das Spiel reiht sich ein in die Gruppe der Heiligenspiele wie z.B. die ebenfalls nur frgm. erhaltenen von Dorothea (-> 'Kremsmünsterer [schlesisches] DorotheenspielFragment') und Oswald oder von Katharina (-* 'Mühlhäuser [thüringisches] Katharinenspiel'). Nähere Beziehungen lassen sich nicht feststellen. Die Anlage des Eingangs erinnert an den des engl. Magdalenenspiels der Digby-Hs. Dagegen hat das frz. Mystere de S. Bernard de Menthon (um 1400), das das Geschick des Alexius auf den Titelhelden überträgt, nichts Vergleichbares. L i t e r a t u r . H. RUEFF, S.62-71. - Zu dem frz. Mystere vgl. GNÄDINGER, S. 21-24. A l l g e m e i n e L i t e r a t u r . Zur Entwicklung der '-Legende: M. BLAU, Z. Alexiuslegende, Germ. 33 (1888) 181-219; M. RÖSLER, D. Fassungen d. 'A.'-Leg. mit bes. Berücksichtigung d. me. Versionen, WienLeipzig 1905 (mit Bibliographie); B. DE GAIFFIER, Anal. Boll. 65 (1944) 157-195. Literatur, die in mehreren Abschnitten zitiert wird: H.F. MASSMANN (Hg.), Sanct Alexius Leben in 8 gereimten nihd. Behandlungen, nebst geschichtlicher Einleitung sowie dt., griech. u. lat. Anhängen, Quedlinburg u. Leipzig 1843; H.-F. ROSENFELD, Mhd.

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'Alfadol' - Alfonsus Bonihominis

Novellenstud. (Palaestra 153), 1927 (Neudr. 1967); G. Eis, Beitr. z. mhd. Legende u. Mystik. Unters, u. Texte, 1935; F.-W. SF.RVAF.S, Jos. Bripius, De laudibus S. Alexii, Diss. Köln 1966; L. GNÄDINGER, Eremitica. Stud. L. afrz. Heiligenvita d. 12. u. 13.Jh.s, 1972.

HANS-FRIEDRICH ROSENFELD 'Alexiusspiel' -+ 'Alexius' (VIII) 'Alfadol' Alfadol ist die latinisierte Form des arabischen Personennamens a l-Fad l und wird in einer weitverzweigten Losbuchtradition als Verfasser angegeben (Liber Alfadol ...)· Bekannt sind davon 7 arab. und 2 lat. Fassungen, eine ältere und eine jüngere. Die ältere, in Cambridge, ÜB, Ms. Kk. 4.2 (um 1280) überliefert, ist als unmittelbare Übersetzung aus dem Arabischen anzusehen; die jüngere ist in Anlehnung an die ältere entstanden und in 3 Hss. bekannt: Florenz, Bibl. Naz., Laur. Ms. 29,4; Paris, Bibl. Nat., cod. lat. 7323; Berlin, Ms. lat. 4° 559. Auf dieser jüngeren Fassung beruht eine deutsche Version, tradiert in Wien, cod.2804(15.Jh.).

Das Losbuch enthält 144 Fragen (in den arabischen Texten durchgehend gezählt von 1-144; in den westlichen Fassungen in 12 Gruppen zu je 12 Fragen aufgeteilt, wobei jede Gruppe einem der 12 Tierkreiszeichen unterstellt ist und innerhalb jeder Gruppe die Fragen sich in der Abfolge der Wirkungen der 12 astrologischen 'Häuser' wiederholen), auf deren jede 12 verschiedene Antworten erteilt werden. Jede Frage ist in den westlichen Fassungen durch ein Kennwort, den sog. 'Losrichter', bezeichnet; die Antworten sind dann ebenfalls nach diesen Losrichtern angeordnet. Die 144 Losrichternamen bestehen aus stark verballhornten lateinischen Transkriptionen arabischer Wörter, hinter denen überwiegend Sternnamen erkannt werden können. Die Zusammengehörigkeit dieser Texte in Orient und Abendland kann als gesichert angesehen werden: Reihenfolge und Sachgehalt der Fragen und Antworten sind einheitlich. Dagegen zeigen die verschiedenen Versionen zahlreiche Abweichungen und Freiheiten im Wortlaut, was aus der weitgestreuten, popularisierten Verbreitung zu erklären sein dürfte.

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Zwischen der westlichen und der arabischen Überlieferung klafft eine Lücke, insofern als keine der bisher bekannt gewordenen sieben arabischen Hss. den Autornamen al-Fadl sowie die 144 Losrichternamen bietet. Die arabische Überlieferung ist ihrerseits in sich nicht einheitlich und nennt verschiedene Autoren, darunter auch den bekannten Philosophen und Naturwissenschaftler al-Kindi (gest. ca. 873). Die Autorfrage ist also bisher nicht schlüssig zu klären. Vermutlich handelt es sich letzten Endes um ein Pseudepigraphon, das die Araber - über eine mittelpersische Vorstufe - aus hellenistischen Quellen übernahmen und später ersatzweise verschiedenen eigenen Autoren zuschrieben. L i t e r a t u r . B.F. LUTZ, D. Buch 'Alfadol'. Untersuchung u. Ausgabe nach d. Wiener Hs. 2804. Mit einem Nachtrag von P. KUNITZSCH, D. arabischen Losrichternamen, Diss. Heidelberg 1967; P. KUNITZSCH, Zum 'Liber Alfadhol', eine Nachlese, Zs. d. Dt. Morgenland. Ges. 118 (1968) 297-314; ders., Der 'Liber Alfadhol'. Ein arabisches Losbuch u. seine Schicksale im Morgen- u. Abendland, Zs. d. Dt. Morgenland. Ges., Supplementa I: XVII. Deutscher Orientalistentag. Vorträge 1969, Teil 2, S.667-672; W. SCHMITT, Dt. Fachprosa d. MAs, 1972, S. 99-101 (Textprobe, S. 99 weitere Literatur).

PAUL KUNITZSCH Alfonsus Bonihominis 1. Spanischer Dominikaner; urkundlich bezeugt ist seine Ernennung zum Bischof von Marokko (1344). Weitere Informationen nur durch die Prologe seiner lat. Übersetzungen aus dem Arabischen: 1336 Gefangener des Sultans in Kairo, erneute Gefangenschaft in Marokko, 1339 Aufenthalt in Paris, 1341 in Zypern. Anlässe bzw. Aufträge seiner Reisen sind im einzelnen nicht bekannt, jedoch dokumentieren die Widmungsschreiben vielseitige Verbindungen zur kirchlichen Hierarchie. Gestorben vermutlich 1353. 2. Seine Übersetzungstätigkeit intendiert, christliche arabische Überlieferung im Westen durch lat. Fassungen bekannt zu machen. Zwei der fünf überlieferten Übersetzungen (s.u. MEERSSEMAN) sind in lat. und volkssprachigen Fassungen weit verbreitet: 1. der Brief des christianisierten

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'Algorismus Ratisbonensis'

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3. Der 'A.R.' ist vor 1450 im Benediktinerkloster St. Emmeran zu Regensburg entstanden. Da von dem Text in F alle übrigen Texte direkt oder indirekt abhängen, muß dieser wohl als das Original betrachtet werden. Der anonyme Schreiber von Text F, welcher somit als mutmaßlicher Autor gelten kann, ist nicht identisch mit -»· Fridericus; dieser hat ausschließlich die Bearbeitung in B geschrieben. Die Überl. läßt den Schluß zu, daß der 'A.R.' bis ins 16.Jh. hinein im bairischen Raum verbreitet war. 4. Der 'A.R.' diente wahrscheinlich als Mathematiklehrbuch der Klosterschule; er Die volkssprachige Ü b e r l i e f e r u n g ist bisher nicht setzt neben der Kenntnis der lat. Sprache systematisch erfaßt, zumal der Text nicht nur isoliert, auch die Kenntnis der Zahlen und eine gesondern auch in Verbindung mit Antonius-Legenden anderer Quellenprovenienz auftritt. Bisher bekannte wisse Fertigkeit im Kopfrechnen voraus. Nachweise (ndl.-dt.): Berlin, mgq 525, 229r-254" Das Werk besteht aus drei Teilen. (nd.); mgq 1687, 212vb-221vb (mfrk.); Brüssel, Bibl. Der erste Teil behandelt das schriftliche royale, cod. 10, 765-66, 193r-224r (ndl.); Den Haag, Rechnen im Bereich der positiven ganzen Koninklijke Bibl., cod. 73E 19, 164M73V (ndl.); DüsZahlen einschließlich O. Nacheinander seldorf, Heinrich Heine-Institut, cod. C 20, 125ra bis rb werden die damals üblichen neun Rechen135 (ndl.); Paris, Bibl. nat., ms. allem. 35 (moselfrk.); arten dargestellt: Numeratio (Darstellung Vaalbeek, Bibl. der Franciskanen, cod. A 21, 281" bis va der Zahlen mittels der zehn indisch-arabi288 (ndl.). A u s g a b e n (lat.). M.A. VAN DEN OUDENRIJN, schen Ziffern), Additio, Substractio, MediaAnal. S. Ord. Praed. 14 (1920) 85-93, 163-168 (Brief tio, Ouplaüo, Multiplicatio, Divisio, Prodes Rabbi Samuel); G. MEERSSEMAN, AFP 10 (1940) gressio (Berechnung endlicher arithmeti98-108 (Teileditionen der lat. Übersetzungen); F. scher Reihen) undRadicumextractio (näheHALKIN, Anal. Boll. 60 (1942) 156-212 (Antoniusrungsweise Berechnung von Quadrat- und Legenden). Kubikwurzeln). Soweit steht der 'A.R.' L i t e r a t u r . VAN DEN OUDENRIJN, S.32-44; MEERSganz in der Tradition des um 1250 entSEMAN, S.77-98; HALKIN, S. 143-156; S. AXTERS, Bistandenen 'Algorismus vulgaris' des Johanbliotheca Dominicana Neerlandica Manuscripta (1224 nes de Sacrobosco, welcher in ganz Europa bis 1500), 1970, S. 136-138; J. DESCHAMPS, Mndl. Hss. uit Europese en Amerikaanse Bibliotheken, 1972, S. 202 bis ins späte 16. Jh. verbreitet war. Darüberbis 203. hinaus enthält aber der 'A.R.' neben der EVA SCHÜTZ theoretischen Beschreibung der Rechenverfahren auch Zahlenbeispiele und weitere Rechen- und Probeverfahren, die ita'Algorismus Ratisbonensis' lienische Einflüsse erkennen lassen. Der zweite Teil kann als Bearbeitung des 1. Ü b e r l i e f e r u n g . St. Florian, Stiftsbibl., cod. um 1320 verfaßten 'Algorismus de minutiis' XI, 619 (F); München, clm 14783 (A); clm 14908 (B); des Johannes de Lineriis angesehen werden, clm 14111 (C); clm 14544 (D); clm 14504 (E); clm 5964 (I); clm 18998 (H); Augsburg, StB, 8° cod. 119 welcher ähnlich verbreitet war wie das (G). Siglen A, B, C, D, E, F nach VOGEL. Nur die Texte Werk des Sacrobosco. Er enthält das Rechin F und A enthalten den vollständigen 'A.R.'; der nen im Bereich der positiven Brüche, woText in C ist gekürzt; D, E und I enthalten nur den bei diese nach ihrer Darstellungsweise in ersten der drei Teile des 'A.R.'; die Texte in B, G und H minutiae vulgäres (mit Zähler und Nenner) sind als Bearbeitung anzusehen. und minutiae physicae (Sechzigerbrüche) 2. A u s g a b e n . VOGEL, S.27-154 (nur der 3.Teil, unterschieden werden. Nach ausführlicher und dieser nur unter Verwendung von A, B und C; unDarstellung der Umformungsverfahren kritisch); M. ZIMMERMANN, Krit. Ausg. d. gesamten 'A.R.' aufgrund aller Hss. (in Vorbereitung). werden die Rechenarten (ausgenommen

Rabbi Samuel an den Rabbi Isaac über die Erfüllung der messianischen Prophetien durch Christus (lat. Edition s.u.; dt. Überlieferung -> Öser); 2. legendäre Szenen aus dem Leben des Eremiten Antonius (lat. Edition s.u.). Hier beschränkt sich die breitere, speziell die volkssprachige Überlieferung allerdings auf eine der sechs tradierten Einzelszenen: die Versuchung des Antonius durch den Teufel in Gestalt einer Königin, die gegen die mal. Auffassung den Vorrang der Ehe vor der Jungfräulichkeit aus bibl. Texten nachzuweisen versucht, um Antonius zur Ehe mit ihr zu überreden.

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3. Der 'A.R.' ist vor 1450 im Benediktinerkloster St. Emmeran zu Regensburg entstanden. Da von dem Text in F alle übrigen Texte direkt oder indirekt abhängen, muß dieser wohl als das Original betrachtet werden. Der anonyme Schreiber von Text F, welcher somit als mutmaßlicher Autor gelten kann, ist nicht identisch mit -»· Fridericus; dieser hat ausschließlich die Bearbeitung in B geschrieben. Die Überl. läßt den Schluß zu, daß der 'A.R.' bis ins 16.Jh. hinein im bairischen Raum verbreitet war. 4. Der 'A.R.' diente wahrscheinlich als Mathematiklehrbuch der Klosterschule; er Die volkssprachige Ü b e r l i e f e r u n g ist bisher nicht setzt neben der Kenntnis der lat. Sprache systematisch erfaßt, zumal der Text nicht nur isoliert, auch die Kenntnis der Zahlen und eine gesondern auch in Verbindung mit Antonius-Legenden anderer Quellenprovenienz auftritt. Bisher bekannte wisse Fertigkeit im Kopfrechnen voraus. Nachweise (ndl.-dt.): Berlin, mgq 525, 229r-254" Das Werk besteht aus drei Teilen. (nd.); mgq 1687, 212vb-221vb (mfrk.); Brüssel, Bibl. Der erste Teil behandelt das schriftliche royale, cod. 10, 765-66, 193r-224r (ndl.); Den Haag, Rechnen im Bereich der positiven ganzen Koninklijke Bibl., cod. 73E 19, 164M73V (ndl.); DüsZahlen einschließlich O. Nacheinander seldorf, Heinrich Heine-Institut, cod. C 20, 125ra bis rb werden die damals üblichen neun Rechen135 (ndl.); Paris, Bibl. nat., ms. allem. 35 (moselfrk.); arten dargestellt: Numeratio (Darstellung Vaalbeek, Bibl. der Franciskanen, cod. A 21, 281" bis va der Zahlen mittels der zehn indisch-arabi288 (ndl.). A u s g a b e n (lat.). M.A. VAN DEN OUDENRIJN, schen Ziffern), Additio, Substractio, MediaAnal. S. Ord. Praed. 14 (1920) 85-93, 163-168 (Brief tio, Ouplaüo, Multiplicatio, Divisio, Prodes Rabbi Samuel); G. MEERSSEMAN, AFP 10 (1940) gressio (Berechnung endlicher arithmeti98-108 (Teileditionen der lat. Übersetzungen); F. scher Reihen) undRadicumextractio (näheHALKIN, Anal. Boll. 60 (1942) 156-212 (Antoniusrungsweise Berechnung von Quadrat- und Legenden). Kubikwurzeln). Soweit steht der 'A.R.' L i t e r a t u r . VAN DEN OUDENRIJN, S.32-44; MEERSganz in der Tradition des um 1250 entSEMAN, S.77-98; HALKIN, S. 143-156; S. AXTERS, Bistandenen 'Algorismus vulgaris' des Johanbliotheca Dominicana Neerlandica Manuscripta (1224 nes de Sacrobosco, welcher in ganz Europa bis 1500), 1970, S. 136-138; J. DESCHAMPS, Mndl. Hss. uit Europese en Amerikaanse Bibliotheken, 1972, S. 202 bis ins späte 16. Jh. verbreitet war. Darüberbis 203. hinaus enthält aber der 'A.R.' neben der EVA SCHÜTZ theoretischen Beschreibung der Rechenverfahren auch Zahlenbeispiele und weitere Rechen- und Probeverfahren, die ita'Algorismus Ratisbonensis' lienische Einflüsse erkennen lassen. Der zweite Teil kann als Bearbeitung des 1. Ü b e r l i e f e r u n g . St. Florian, Stiftsbibl., cod. um 1320 verfaßten 'Algorismus de minutiis' XI, 619 (F); München, clm 14783 (A); clm 14908 (B); des Johannes de Lineriis angesehen werden, clm 14111 (C); clm 14544 (D); clm 14504 (E); clm 5964 (I); clm 18998 (H); Augsburg, StB, 8° cod. 119 welcher ähnlich verbreitet war wie das (G). Siglen A, B, C, D, E, F nach VOGEL. Nur die Texte Werk des Sacrobosco. Er enthält das Rechin F und A enthalten den vollständigen 'A.R.'; der nen im Bereich der positiven Brüche, woText in C ist gekürzt; D, E und I enthalten nur den bei diese nach ihrer Darstellungsweise in ersten der drei Teile des 'A.R.'; die Texte in B, G und H minutiae vulgäres (mit Zähler und Nenner) sind als Bearbeitung anzusehen. und minutiae physicae (Sechzigerbrüche) 2. A u s g a b e n . VOGEL, S.27-154 (nur der 3.Teil, unterschieden werden. Nach ausführlicher und dieser nur unter Verwendung von A, B und C; unDarstellung der Umformungsverfahren kritisch); M. ZIMMERMANN, Krit. Ausg. d. gesamten 'A.R.' aufgrund aller Hss. (in Vorbereitung). werden die Rechenarten (ausgenommen

Rabbi Samuel an den Rabbi Isaac über die Erfüllung der messianischen Prophetien durch Christus (lat. Edition s.u.; dt. Überlieferung -> Öser); 2. legendäre Szenen aus dem Leben des Eremiten Antonius (lat. Edition s.u.). Hier beschränkt sich die breitere, speziell die volkssprachige Überlieferung allerdings auf eine der sechs tradierten Einzelszenen: die Versuchung des Antonius durch den Teufel in Gestalt einer Königin, die gegen die mal. Auffassung den Vorrang der Ehe vor der Jungfräulichkeit aus bibl. Texten nachzuweisen versucht, um Antonius zur Ehe mit ihr zu überreden.

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Alhart - 'Alischanz'

progressio) in der Reihenfolge des ersten Teils abgehandelt. Den Schluß bildet ein Abschnitt über Proportionen, welcher theoretisch den dritten Teil vorbereitet. Dieser ist der praktischen Anwendung des Rechnens auf meist kaufmännische Aufgaben gewidmet und besteht seinerseits aus zwei Teilen. Im ersten wird zunächst das Prinzip des Dreisatzes erläutert und in zahlreichen Beispielen durchgeführt, welche die Handelsbeziehungen der süddeutschen Städte mit Italien widerspiegeln. Neben Preisberechnungen und Umrechnungsproblemen der verschiedenen Währungen finden sich aber auch Scherzaufgaben ohne realistischen Bezug, welche der Klosterliteratur entstammen. - Der zweite Hauptabschnitt enthält Gesellschaftsaufgaben, in denen es meist darum geht, einen Gewinn proportional richtig unter den Gesellschaftern aufzuteilen. Insgesamt ist der dritte Teil des 'A.R.', die Practica, als nicht in sich abgeschlossener Anhang, nämlich als offene Aufgabensammlung konzipiert. Spätere Hss. (B und C) enthalten Erweiterungen, die VOGEL fälschlich als zum 'A.R.' gehörend ediert hat. L i t e r a t u r . K. VOGEL, D. Practicad.'A.R.'(Schriftenreihe z. bayer. Landesgesch. 50), 1954.

MONIKA ZIMMERMANN Alhart Eine innerhalb des -*· Berthold-v.-Regensburg-Corpus X überlieferte dt. Predigt (X 47) 'Plataeae tuae' wird in der davon indirekt abhängigen Sammlung des cod. 955 der St. Galler Stiftsbibl. einem Alhart, mynner bruder zugesprochen. Sie handelt von dem zweifachen Reden Gottes mit der Seele, d.i. dem direkten Gnadenzustrom Gottes und dem Reden durch Gottes Schöpfung und Lehre. Schon diese Thematik weist darauf hin, und der Predigtstil bestätigt es, daß das Stück mit Berthold nichts zu tun hat. Eher steht es in der Nähe des -» 'St. Georgener Predigers'. - Von der Überlieferung her läßt sich ein zeitlicher Ansatz ausgehendes 13./ frühes 14. Jh. und rhfrk. Herkunft gewinnen.

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L i t e r a t u r . Ausgabe (nach Sang. 955) von A.E. SCHÖNBACH, WSB153/4,1906,5.134-136; J.M.CLARK, Alhart and Alphart, MLR 29 (1934) 440-443; D. RICHTER, D. dt. Überl. d. Predigten Bertholds v. Regensburg (MTU 21), 1969, S. 32f., 41, 70, 78.

K. RUH

'Alischanz' Nur frgm. überlieferte, von einem Unbekannten angefertigte dt. Bearbeitung der afrz. 'Bataille d'Aliscans' (zuletzt hg. v. WIENBECK/HARTNACKE/RASCH, 1903). Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 5249, 20: zwei vollständige und zwei stark beschnittene, in Kitzingen aufgefundene Perg.bll., 13./14.Jh.; sie enthalten in ca. 700 nicht abgesetzten Versen Teile der zweiten Schlacht. A u s g a b e n . F.A. REUSS, Frgm.e eines altdt. Ged. v. d, Heldenthaten d. Kreuzfahrer im hl. Lande, 1839; K. ROTH, Denkm. d. dt. Sprache, 1840, S. 79-96; ders., D. Schlacht v. Alischanz (la bataille d'Aliscans), Kitz. Bruchstücke, nd. Heldengedicht vom Anfang d.!4.Jh.s, 1874; E. PETZET/O. GLAUNING, Dt. Schrifttafeln d. 9.-16.Jh.s aus d. K. Hof- u. Staatsbibl. in München, 3.Abt., 1912,T.43(dipl.Abdrucku.Faks.d. I.Blattes); A. LEITZMANN, ZfdPh 48 (1920) 96-114.

Die Sprache des Frgm.s ist ein Gemisch aus (u.a.) obd. und niederrh.-mndl. Formen, mit SUCHIER gegen LEITZMANN wohl mit der Annahme zu erklären, daß die Bearbeitung am Niederrhein entstanden ist und der überlieferte Text auf einen obd. Schreiber zurückgeht. Der Bearbeiter hat den afrz. Text teils wörtlich, teils frei übersetzt, manches umgestellt und vieles ausgelassen. Eine feste metrische Form ist nicht immer erkennbar, Halbreime und Assonanzen sind zahlreich, reimlose Verse nicht selten. Interesse verdient das auch sprachlich anspruchslose Produkt vor allem hinsichtlich der noch immer nicht endgültig beantworteten Frage, in welcher Gestalt die 'Bataille d'Aliscans' -> Wolfram von Eschenbach als Quelle für seinen 'Willehalm' gedient und welche Quellen er darüber hinaus benutzt hat. L i t e r a t u r . H. SUCHIER, Über d. niederrh. Bruchstück d. Schlacht v. Aleschans (German. Stud. 1), 1872, S. 134-158; A. LEITZMANN, Zu d. Kitz. Fragmenten d. Schlacht v. Alischanz, Fs. J. v. Kelle, LT. (Prager dt. Stud. 8), 1908, S. 387-399.

HEINZ SCHANZE

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'Alkuins Traktat de virtutibus et vitiis' - Alkuin

'Alkuins Traktat de virtutibus et vitiis' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 7637, 46M8', 12.Jh., aus dem 1126 gegründeten oberbayer. Augustiner-Chorherrenstift Indersdorf. Einzelheiten der Hs. bei F. WILHELM, S. 70f.; der (unter Auslassung des fünften) mitten im neunten Kapitel abbrechenden Übersetzung von Alkuins Traktat (PL 101, 613-638) folgt unmittelbar der lat. Text. A u s g a b e n . GRAFF, Diutiska l (1826) 281-291; WILHELM, Denkm., Nr. IX; H. NAUMANN, Altdt. Prosaleseb., 1916, Nr. II.

2. Der deutsche, alem. gefärbte Text ist keine sich wörtlich dem lat. anschließende Übersetzung (KELLE), vielmehr - sofern man für die Vorlage überhaupt von einer lat. Fassung wie der in der Hs. folgenden ausgehen darf - eine teilweise kürzende, bemerkenswert emanzipierte, insgesamt recht gewandte Übertragung, die deutlich auf eine Umwandlung der theologisch distanzierten Ausdrucksweise Alkuins in zeitgenössischem Traktatstil mehr entsprechende, das lernende Wir wie das angesprochene Du stärker herausarbeitende Formulierungen abzielt. L i t e r a t u r . KELLE, LG II 81; WILHELM, Denkm., Komm., S. 70-79 (Abdruck auch d. Kap. 1-9 d. lat. Textes); EHRISMANN, LG II l, S.77f.; STAMMLER, Prosa, Sp. 867.

ACHIM MASSER Alkuin (Alchuine) I. Leben. 1. Q u e l l e n sind rd. 300 Briefe bzw. Briefgedichte, auch Briefe und Gedichte von Zeitgenossen, sowie eine anonym überlieferte, weniger aufs Faktische als aufs Erbauliche gerichtete 'Vita B. Alchuini abbatis' (823/29 Ferneres, von A.s Schüler Sigulf inspiriert), hg. v. W. WATTENBACH, Monumenta Alcuiniana (Bibl. rer. Germ. 6), 1873 (Ndr. 1964), S. 1-33, u. v. W. ARNDT, MGH SS XV 190-197. 2. N a m e n s f o r m e n : ags. Alchuine braucht er im Wechsel mit latinisierten Formen wie Alch(u)uinus, Alcuinus sowie dem röm.-christl. Traditionsnamen Albinus; den Vergil huldigenden Beinamen Puplius hat er schon in York; in Karls Hofkreis heißt er mit Vorliebe Flaccus (Albinus).

3. Geboren 730/735 in Northumbrien aus anglischem Adelsgeschlecht, wurde er früh der Kirche von York übergeben; während der Blütezeit der Kathedralschule unter den Erzbischöfen Egbert (f 766) und Aelbert (f 780) erwarb er eine umfassende

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gelehrte Bildung, wurde ca. 765 Magister und 778 Leiter der Schule. Die nordenglische Bekehrungs- und Yorker Kirchengeschichte verherrlichte er in seinen (z.T. aus Bedas 'Historia ecclesiastica' schöpfenden) 'Versus de Patribus, Regibus et Sanctis Euboricensis Ecclesiae' (carm. 1: 1657 vv.; vgl. WATTENBACH/LEVISON/LÖWE, S. 225 Anm. 188); der Katalog von rd. 50 klassischen u. patristischen Autoren der Yorker Bibliothek (v. 1535-61) spiegelt A.s Bildungshorizont. - Nach zwei zuvor im Auftrag seiner Erzbischöfe unternommenen Reisen ins Frankenreich bzw. nach Rom (vgl. LEVISON, 1946, S. 154) begegnete er 781 in Parma, von Rom zurückkehrend, abermals Karl d. Gr., der ihn dazu bestimmte, 782 von England an seinen Hof überzusiedeln. Für anderthalb Jahrzehnte war er der wichtigste theologische und wissenschaftliche Berater des Königs sowie Leiter der Hofschule. Er war beteiligt an der Formulierung königlicher Erlasse, z.B. der programmatischen 'Admonitio generalis' 789 (F. C. SCHEIBE, DA 14 [1958] 221 bis 229). - Karl belohnte ihn, der sich bis zuletzt stets als humilis levita (Diaconus) bezeichnete, schon vor seinem letzten Englandaufenthalt (790-793) mit der Abtswürde der Klöster von Ferneres und St. Lupus (Troyes); weitere Klöster und Güter kamen hinzu, als wichtigstes 796 die Abtei St. Martin (Tours) mit 20000 Eigenleuten und großem Besitz: die Aufgabe, dort monastische Disziplin und Bildungswesen zu reformieren, scheint er nicht gemeistert zu haben (vgl. den Tadel des Kaisers 80l/ 802 in epist. 247); unter chronischen Erkrankungen leidend, vergrämt über die Verstimmung mit dem Hof, jedoch in intensiver wissenschaftlich-theologischer Produktivität verbrachte er in Tours die letzten Jahre bis zum Tode am 19.5.804. II. A u s g a b e n . B. Flacci Albini sive Alchuuini abbatis ... Opera, ed. A. QUERCETANUS (— DUCHESNE), I-III, Paris 1617, und (unter gleichem Haupttitel) die um neuaufgefundene Texte vermehrte Ausg. von FROBENIUS (Fürstabt Frohen FORSTER von St. Emmeram), I—II, Regensburg 1777, die übernommen ist in PL 100-101 (zit.); über auszusondernde Spuria vgl. P. GLORIEUX, Pour revaloriser Migne, Lilie 1952, S. 54 f. -Krit. Ausg. der Briefe

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von PH. JAFFE/W. WATTENBACH/E. DÜMMLER, Monumenta Alcuiniana (Bibl. rer. Germ. 6), 1873, (Ndr. 1964) und (zit.) von E. DÜMMLER, MGH Ep. IV, 1895 (Ndr. 1975), S. 1^81; Addenda V, 1899, S.643-645. - Krit. Ausg. der Ged. (zit.) von E. DÜMMLER, MGH Poetae I, 1881 (Ndr. 1964), S. 160-351 (Addenda: II, 1884, S. 690-693; IV, 1931, S. 903-910 u. 1128; VI, 1951, S. 159). - Einzelausgaben s.u. IX 2,3; X l, 4,5, 8.

III. Briefe. 1. Ü b e r l i e f e r u n g (LEVISON, 1946, S.314 f.; LÖWE, 1953, S.235; HEIL, 1970, S.50). Unter den 17 Hss. (8.-ll.Jh.),diemehrals 10 Briefe enthalten, heben sich drei Gruppen heraus: eine nordfrz. (Ausgangspunkte: Tours, Corbie, St. Denis), eine engl., eine salzburgische (auf Erzbischof Arn zurückgehend). Von den 312 lat. Briefen der MGH-Edition haben 294 A. zum Verf., für einige der unter Karls Namen stehenden (85, 93, 100, wohl auch 87) ist A.s Diktat anzunehmen (F.C. SCHEIBE, DA 15 [1959] 181-193; weitere Ergänzungen s. WALLACH, 1968, S. 273). Dieses nach Umfang und geistigem Gewicht bedeutendste Briefwerk der Karolingerzeit ist gleichwohl nicht vollständig erhalten : Es fehlen vermutlich viele Briefe aus den früheren Jahren (vor 793) und an gewisse Adressaten, z. B. Benedictus von Aniane. Manchen erhaltenen Briefen hat der Formularcharakter der Überl. Einbußen zugefügt. Da überwiegend Empfängerüberl. vorliegt, fehlen die von A. empfangenen Schreiben der Briefpartner zumeist. 2. A d r e s s a t e n : 51 Briefe an Karl bzw. Mitglieder der kgl. Familie, 8 an ags. Herrscher, 40 an Arn von Salzburg (Aquila), an Adelhard von Corbie (Antonius); mehrere an Aethelhard von Canterbury, Eanbald II. von York, Riculf von Mainz (Damoetas). Von den an seine Schüler gerichteten, z.T. durch besondere Affektivität charakterisierten Briefen sind ca. 35 erhalten. Altenglischer Brauch ist das Spiel mit Decknamen (Wizo = Candidus, Fridugis = Nathanael, Hechstän = Altapetra, Ricbod = Macharius; vgl. E. DÜMMLER, BSB 1891, S.504f.).

3. Die T y p o l o g i e der Briefe deckt eine weite Skala, von kurzen Gruß- oder Dankadressen (z.B. 35, 84) und Bitten um Gebetsgedenken (271, 273, 293) (neben denen wohl von der Überl. unterschlagene konkrete Mitteilungen einhergingen) bis hin zu wortreich-gefühligen Dokumenten eines nach Vorbildern von Hieronymus, Aldhelm und Bonifatius stilisierten Freundschaftskultes unter den Leitideen von cantos und humilitas (79, 173, 179, 181, vgl. EDELSTEIN, 1965, S. 30-64; A. FISKE, Alcuin and mystical friendship, Studi Medievali III 2 [1961] 551-575), von der Bitte um Nachrichten und Lebenszeichen (49, 50,

142, 153, 181) bis hin zu eingehenden kirchenpolitischen Expertisen (110, 111, 113, 114, 211) und moralischen Commonitorien (65, 131, 280, 303, 309). Einige Briefe haben das Format der wissenschaftlichen Abhandlung (133,148,155,243,308). - Die politischen Ereignisse und geistigen Bewegungen der Zeit spiegeln sich in den Briefen so differenziert, daß hierdurch die Quellenlage eine neue Dimension erhält; zugleich gewähren sie die für diese Epoche singuläre Möglichkeit, etwas von der psychischen Struktur wenigstens eines ihrer bedeutendsten Akteure zu erahnen. Die Briefprosa ist klar, unprätentiös (frei von den spätantiken Manierismen, die noch bei Aldhelm lebendig waren), dennoch anspruchsvoll. Daktylische Schlüsse (zwischen 2 und 36 vv.) haben 38 Briefe. Dierd. 50 B r i e f g e d i c h t e fügen sich hinsichtlich des Adressatenkreises, ihrer Thematik und Affektivität diesem Brief werk ein. IV. Gedichte. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Von ca. 320 Texten (mitgezählt: viele kleine Inschriften und metr. Briefschlüsse) werden 150 ausschließlich einer Sammelhs. des 9. Jh.s aus St. Bertin verdankt, deren aus insgesamt 272 Texten bestehenden Inhalt (echtheitskrit. Unters, von BURGHARDT 1960) QUERCETANUS 1617 edierte und die seither verloren ist; weitere Gedichte ergänzte FROBENIUS 1777 aus einer (seither ebenfalls verlorenen) Hs. des mittleren 9. Jh.s aus Salzburg (B. BISCHOFF, MSB 1973/4, S.5-9). Im übrigen variiert die Uberlieferungsbasis je Gedicht zwischen einer einzigen und mehr als einem Dutzend Hss. (meist 9. u. 10. Jh.), letzteres bes. bei gemeinsamer Überl. mit Prosawerken als Praefationen, Dedicationen u.a. (carm. 68,73,77,80, 82, 85). Neben nordfrz. spielt vor allem Salzburger, bair. und St. Galler Überl. eine Rolle. Einzelheiten s. E. DÜMMLER, NA 4 (1879) 118-139; LÖWE, 1953, S. 231.

2. F o r m e n . Vorherrschend sind der Hexameter und das elegische Distichon; sechs Gedichte haben epanaleptische Distichen (carm. 16,34,35,37,90 ix, 98 ii). Zweimal (carm. 54 und 85 ii) finden sich stichische Adonier; ein Hymnus (89xxviii) hat sapph. Strophen (ebenso das nicht von A. verfaßte carm. 121). - Hexametr. Figurengedichte (carmina quadrata figurata) in der Nachfolge des Optatianus Porfyrius sind carm. 6 und 7 (s. D. SCHALLER, Medium Aevum Vivum, Fs. W. Bulst, 1960,

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S. 24-^7; H.B. MEYER, Paschalis Sollemnia, Fs. J.A. Jungmann, 1959, S. 96-107). Ob drei theologische Rhythmi (7/8/9-Silber mit wechselnder Kadenz, 2 davon abecedarisch) aus einer Gothaer Hs. Ende 8. Jh. (MGH Poet. IV 904-910) von A. verfaßt oder nur angeregt sind, ist unentschieden: Formal wären sie ein Fremdkörper innerhalb seiner Dichtung, ebenso wie die (wohl jüngere) Michael-Sequenz (carm. 120). 3. G a t t u n g e n . a) Briefgedichte (carta, cartula) und metrische Briefschlüsse: s.o. III 3; b) Widmungsgedichte anläßlich der Übersendung von Hss. (71II, 72, 73, 761, 81, 82);

c) Panegyrik: 7, 26, 45; d) Consolatio: 9 (auf die Zerstörung von Lindisfarne); e) Bukolik (planctus): 57 ('de cuculo', vgl. W. BULST, ZfdA 86 [1955] 193-196); f) Elegien: 23 (auf seine cellä); 61 (auf eine Nachtigall); g) metr. Fabeln: 49 (D. SCHALLER, in: Das Tier in der Dichtung, hg. v. U. SCHWAB, 1970,S.95-97); h) Rätselgedichte: 5, 63,64; i) geistl. Lehrgedichte: 62 (M. BOAS, Alcuin und Cato, 1937), 69 (Einführung in den Inhalt der Bibel; neu hg. v. H. QUENTIN, Biblia Sacra I, Rom 1926, S.44-50); j) Buchinschriften und Praefationen: 65 bis 68 (Bibelhss.), 77, 78, 79; k) Tituli bei Bildern: 70,711,103,114-117; 1) Inschriften für Kirchen und Gebäude einschl. Epitaphien: 33, 55, 64, 66II(?), 86-114 (z.T. Gefälligkeitsarbeiten für befreundete Äbte u. Bischöfe), 123 (Epitaph für das eigene Grab; vgl. WALLACH, 1968,5.255-265); m) Hymnus: 89 xxviii (s. o. IV 2); n) Geschichtsdichtung: l (s.o. I 3); o) Hagiographische Dichtung: 3 (s. u. IX1). 4. A.s poetisches CEuvre ist das umfänglichste erhaltene der karolingischen Literatur und wird nach seinem geistigen Rang nur von dem -> Theodulfs übertroffen. Allgegenwärtig ist das Vorbild Vergils; ebenso prägend wirkte das biblische Latein, spätantike Buchdichtung (Juvencus, Sedulius, Arator) wie auch die Formelsprache der

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nach England und ins Frankenreich gelangten christlichen Kleindichtungen (Kircheninschriften, Epitaphien) aus Rom und Norditalien. Ovid scheint er nur oberflächlich (aus Florilegien ?) gekannt zu haben, Horaz gar nicht. Nicht nur in seiner epigraphischen Produktion, auch in den Briefgedichten arbeitet er mit einem Fundus von Formeln und Versatzstücken; er bedient sich quer durch die Gattungen einer gewissen geistlichen Topik (Der Topos 'Himmel als Ziel aller irdischen Existenz' begegnet rd. 50mal, fast ebenso oft die 'Bitte um Fürbitte'), was nicht bloß als seelsorgerliche Routine abzutun ist, sondern ein existentielles Bedürfnis des Autors signalisiert. Eine bei Zeitgenossen so nicht anzutreffende Affektivität und Bereitschaft zu (nicht selten humoriger) Gefühlsaussprache charakterisiert vor allem die Briefgedichte an Freunde (auch in der königlichen Familie) und Schüler: carm. 4, 8, 26, 32, 39, 40, 42, 44, 57, 59. V. D o g m a t i s c h e S t r e i t s c h r i f t e n . 1. An der Erörterung der Beschlüsse der Synode von Nicaea (787) zugunsten der Bilderverehrung beteiligte sich A. in England 792 durch Erstattung eines Gutachtens. Wie weit sein Anteil an der Abfassung der offiziellen Protestschrift des Karlshofes, der 'Libri Carolini' (MGH Conc. 2 Suppl.) geht, ist noch umstritten: WALLACH (1968, 5. 169-177, zuletzt DA 29 [1973] 197) neigt dazu, in A. den maßgeblichen Autor zu sehen, während ANN FREEMAN (zuletzt: Speculum 46 [1971] 597-612) Theodulf als Autor zu erweisen sucht, wobei A. lediglich redaktionelle Mitarbeit 793/794 zugefallen sei (Forschungsbericht: E.DAHLHAUS-BERG, Nova Antiquitas et Antiqua Novitas, 1975, S. 169-216). 2. Entscheidenden Anteil hatte A. am dogmatischen Kampf gegen die spanischen Adoptianisten. Aufgrund der Beschlüsse der Frankfurter Synode 794, bei der er vom König Sitz und Stimme erhalten hatte (MEYER, 1959, S. 455^60), verfaßte er im Namen Karls den Brief an Elipandus von Toledo (MGH Conc. II 157-164) und formulierte die antiadoptianistischen Synodalbeschlüsse (ebd., S. 143-157; WALLACH, 1968, S. 147-165). In Tours 797/798 ver-

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faßte er die Widerlegungsschrift 'Adversus haeresin Felicis' und - nach vergeblichen persönlichen Mahnbriefen an Felix von Urgel (epist. 23 v.J. 797?) und Elipandus von Toledo (epist. 166 v.J. 798) - 799 'Adversus Felicem libri VII' und 800 'Adversus Elipandum libri IV (sämtlich PL 101, 87-300; vgl. BISCHOFF, 1967, S. 12-19; W. HEIL, in: Karl d. Gr. II 95-155). Er bestritt die Aachener Disputation (nicht 800, sondern Frühsommer 799 nach HEIL, 1970, S. 54, 70), die zur Unterwerfung des Felix führte. VI. S y s t e m a t i s c h e Theologie. 1. Dogmatisches Hauptwerk ist der Karl 802 gewidmete (epist. 257) manualis libellus 'De fide sanctae et individuae Trinitatis' (PL 101, 13-58), vornehmlich an Augustinscher Trinitätsdialektik orientiert, aber auch an Marius Victorinus (P. HADOT, Archives d'hist. doctr. et litt, du moyen äge 21 [1954] 5-19). Das Werk hatte alsbald große Autorität; die (beträchtliche) Zahl der Hss. ist noch zu ermitteln. 2. 'Quaestiones de Trinitate XXVIII' (PL 101, 57-64) als Lehrbrief an seinen Schüler Fridugis (epist. 289; MEYER, 1959, S. 407), in mindestens 12 (zur Hälfte dt.) Hss. erhalten. 3. Eine Lehre von den drei Seelenkräften auf der Grundlage der Trinitätstheologie (vgl. z.B. PL 101, 641C, 645D, 646D) enthält der Lehrbrief 'De animae ratione ad Eulaliam' (d.i. Gundrada, Verwandte Karls). Überl. s. MGH Epist. IV 473: epist. 309.

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eng an seine Quellen an: Hieronymus, Augustinus, Beda, Chrysostomus (lat.), Ambrosius Autpertus (HAUCK II 143f.; STEGMÜLLER, Rep.II 1081-1104).

VIII. L i t u r g i k . Im Auftrag Karls bemühte sich A. um die Herstellung korrekter liturgischer Texte für Lektionar, Homiliar, Sakramentar (LEVISON, 1946, S. 158-160, ELLARD, 1956, passim). Allerdings kann das sogen. 'Frank. Supplement' zum 'Sacramentarium Gregorianum' (die Aachener Überarbeitung und Ergänzung des von Papst Hadrian 785/86 übersandten Exemplars) nicht mehr als A.s Werk bezeichnet werden, sondern rührt von Benedictus von Aniane her; s. J. DESHUSSES, Le Sacramentaire Gregorien I (Spicilegium Friburgense 16), 1971, S.62 bis 70. IX. H a g i o g r a p h i s c h e s . 1. Auf Wunsch seines ags. Freundes Erzbischof Beornrad (Samuel] von Sens (f 797; vgl. carm. 4, 8) verfaßte A. eine 'Vita Willibrordi', des mit ihm verwandten Friesenmissionars (t 739) und Gründers von Beornrads Kloster Echternach. Im Widmungsbrief (epist. 120) bezeichnet sich A. als Vorsteher einer am Meer gelegenen cellula, in welcher voreinst der Vater des Willibrord, Wilgis, sein Leben beschlossen habe. Demnach befand sich A. um diese Zeit in England, weshalb sich die Datierung auf 790/793 empfiehlt. Die 'Vita Willibrordi' (PL 101, 693-724; AASS Nov. III, 1910, S. 452^57; BHL 8935-39) steht in der (auch ags.: Aldhelm, Beda) Tradition des opus VII. B i b l i s c h e Theologie. geminatum, a. h. A. hat neben der Prosafas1. In den Jahren um 800 ließ A. im Scrip- sung eine inhaltlich identische metrische torium zu Tours mehrere Bibel-Hss. (Pan- Fassung ausgearbeitet, und zwar, wie der dekten) aus unterschiedlichen, von ihm Widmungsbrief erklärt, den libellus in korrigierten Vorlagen herstellen. B. FISCHER Prosa für den paraliturg. Gebrauch, den (in: Karl d.Gr. II 157-175, 216) widerlegt, libellus in Versen für die gebildeten unter daß es eine einheitliche und verbindliche den Mönchen zur privaten Lektüre (qui in Bibelrevision durch A. gegeben habe. secreto cubili inter scholasticos tuos tan2. Exegetische Schriften bzw. Kommen- tummodo ruminari debuisset; vgl. W. LEtare A.s sind zu folgenden bibl. Büchern er- VISON, Aus rhein. u. frank. Frühzeit, 1948, halten: Gn, PS, EC, Ct, Jo, Tit, Phlm, Hbr S.311). 2. Dem befreundeten Abt Rado des (sämtlich in PL 100). Über Fragmente des bisher verlorenen Eph-Kommentars in einer Klosters St. Vaast in Arras zuliebe verfaßte ehemals Reimser Hs. (9.Jh.): I. FRANSEN, A. um 800 nicht nur eine Reihe von KirchenRev. Ben. 81 (1971) 30-59. - A. schloß sich inschriften und einen Hymnus (carm. 89;

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auch als 'Dialogue Saxonis et Franconis' (u.a.) betitelt. Die so aufgelockert dargebotene Lehre von Buchstaben, Silben, Wortarten und Formen beruht stofflich vor allem auf Donat und Priscian. Hoch über diese beiden Autoritäten stellt A.s Werk noch Ende 9. Jh. ->· Notker Balbulus (s. das Zitat bei MANITIUS, LG I 281). Die Zahl der Hss. dürfte bei einem solchen Text der 'Verbrauchsliteratur' höher gewesen sein als heute erkennbar. Über briefliche Ausführungen A.s zur Grammatik s. BOUSSARD, 1972, S. 421 f. 4. ' D e O r t h o g r a p h i a ' (Ausg.: H.KEIL, Grammatici Latini VII, 1880, S. 295-312; X. D i d a k t i s c h e Werke. 1. Ü b e r l i e f e r u n g s. MANITIUS, LG I 280-286; A. MARSILI, Pisa 1952; weitere Hss. bei M.L.W. LAISTNER, A Hand-list of Bede Rep. font. II 178-181. G e s a m t a u s g a b e in PL 101. Manuscripts, Ithaca (N. .) 1943, S. 137 Ü b e r s e t z u n g . J. FREUNDGEN, Alkuins pädagoAnm. 61) ist eine Kompilation vor allem aus gische Schriften (Sammlung d. bedeutendsten pädagogleichnamigen Werken Cassiodors und Begischen Schriften 4), 2 1906. das, deren grob-alphabetische Anordnung 2. Entsprechend dem Appell Karls (MGH übernommen ist. Falsche SchreibgewohnCapit. I Nr. 30, S. 80, 27: ad pernoscenda heiten werden bekämpft (Urgeo non urstudia liberalium artium nostro etiam quos gueo), aber auch differentiae verborum erpossumus invitamus exemplo; wohl 786/90) klärt (Nubit femina viro; vir autem ducit verfaßte A. zu mehreren Disziplinen Lehr- uxorem). Die materialreiche Schrift ist für bücher in z.T. eigener didaktischer Darbie- die A.-Textkritik zu beachten. tung. Sein an Cassiodor und Isidor orien5.'De rhetorica et virtutibus' (Ausg.: tiertes Wissenschaftssystem (M. TH. D'AL- C. HALM, Rhetorici Latini Minores, 1863, VERNY, in: Melanges F. Grat I, Paris 1946, S. 523-550; W. S. HOWELL, The Rhetoric of S. 245-250) durchdringt er durch ein von Alcuin and Charlemagne, New York 1941 Boethius inspiriertes Bildungsverständnis [zit], mit engl. Übers.) in Form einer disputavon der Erlangung höchsten Glücks in der tio zwischen dem Fragen stellenden sapiensapientia, zu der man über die septem tisimus rex Karolus und dem magister Albiphilosophiae gradus (d.h. dieartes) hinauf- nus (793/796?), stofflich weitgehend auf gelange: so programmatisch formuliert in Cicero ('de inv.') und Julius Victor ('Ars der dem Grammatik-Dialog vorangestellten rhetorica', für die Hofbibliothek bezeugt) 'Disputatio de vera philosophia' (PL 101, beruhend, behandelt die traditionellen fünf 849-854; BRUNHÖLZL, in: Karl d. Gr.II Teile der Rhetorik (inventio ausführlich, 32-39; P. COURCELLE, La Consolation de kürzer dispositio, elocutio, memoria, prola Philosophie dans la tradition litteraire, nuntiatio). Indem Karl abschließend ZuParis 1967, S. 33-47, 373-375); ähnlich stimmung erheischt zu dem Gedanken, epist. 280. daß vitae honestas sich mit der Beherrschung 3. Für die G r a m m a t i k wählt A. zwar der Redekunst verbinden müsse, wendet mit dem erotematischen (Frage/Antwort-) sich das Lehrgespräch dem Thema virtus Typ ein traditionelles Mittel der Didaxis, zu, und Albinus erläutert - zunächst nach jedoch verlebendigt er den Dialog, indem Cic. 'de inv.' II 159-165, aber dann vermiter ihn stattfinden läßt zwischen einem telst Gedanken Augustins geistlich weiter14jährigen fränkischen und einem ^jähri- führend (MAHL, 1969, S. 109-115) -die vier gen sächsischen Schüler der schola Albini (aristotelischen) Tugenden (1352: virtutum magistri, der sich selbst gelegentlich ein- quadriga] und deren Unterteilungen. Von schaltet. In den Hss. wird daher das Werk daher wurde der Dialog als Treatise on

epist.296), sondern gab auch der älteren 'Vita Vedasti(s)' des Jonas (7. Jh.) eine zeitgemäße Form (hg. v. KRUSCH, MGH SS rer.Merov. 111414^27). 3. Der 'Vita Richarii', des Patrons von Centula, wo A.s Freund —> Angilben Abt war, ließ er 800/801 eine Überarbeitung zuteil werden (hg. v. KRUSCH, MGH SS rer. Merov. IV 381^01), die er Karl nach Aachen sandte (epist.306). 4. Die 'Vita Martini' (PL 101, Sp. 657-662) ist eine Bearbeitung des Werkes des Sulpicius Severus.

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Kingship' (WALLACH, 1968, S. 29-82) bzw. 'einer der ersten mal. FürstenspiegeF (MAHL, S. 84) interpretiert (Widerspruch von ANTON, 1968, S.87f.). A.s Rhetorik gewann vorübergehende Beliebtheit; über 50 Hss. des 9./10.Jh.s sind erhalten oder bezeugt, doch schon im späteren 9. Jh. bemühte man sich wieder um Ciceros Originaltext (s. WALLACH, S. 89-94). 6. Das Thema der Kardinaltugenden griff A. in seinen letzten Jahren mit zwei Schriften wieder auf: im Lehrbrief 'De a n i m a e ratione' (s.o. VI3; dazu MAHL, S. 116 bis 125) und zuvor im manualis libellus für den comes Wido von der Marca Britanniae, einen Kriegsmann Karls (Widmung: epist.305) 'De v i r t u t i b u s et v i t i i s ' : katalogartig werden hier 18 christliche (paulinische und benediktinische) Tugenden (Quellen: Ps.-Augustinische Homilien; Isidors 'Sententiae') und einige sittliche Verfehlungen dargestellt, sodann die Reihe der octo vitia prindpalia (nach Cassian und Gregor d.Gr.) und deren Besiegung durch die virtutes unter der Führung von prudentia, iustitia, fortitudo, temperantia. Diese Schrift fand große Verbreitung bis ins späte MA und erfuhr ae., me., anord. Bearbeitungen (s. WALLACH, 1968, S.247-251); über eine mhd. Übers, s. -» 'Alkuins Traktat de virt. et vitiis'. Der lat. Text wäre auf der Grundlage von 22 Hss. 9,/ll.Jh. (s. H.M. ROCHAIS, Rev. Mabillon 41 [1951] 78) neu zu edieren. 7. Wie die Rhetorik, mit der gemeinsam sie (als zweiter Teil der Logica) in vielen Hss. überliefert ist, ist auch 'De dialectica' in Form eines Dialogs zwischen dem die Fragen stellenden Carolus und dem lehrenden Albinus verfaßt. Wie das Widmungsgedicht (carm. 77 I v. 6) andeutet, hat A. sein Quellenmaterial aus England mitgebracht. Dazu gehört vor allem die auch von A. fälschlich dem Augustinus zugeschriebene (themistianische) Schrift 'Categoriae decem', die er mit einem besonderen Widmungsgedicht Karl überreicht (carm. 73; aus ca. 30 Hss. hg. von L. MINIO-PALUELLO, Aristoteles Latinus, 11-5: Categoriae, 1961, S.LXXXVII; ebd. S.LXXXIV-VI sind 38 Hss. der 'Dialectica' genannt). Für die Abschnitte Topik (Argumenta), Diffinitiones

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u. Periermeniae sind Boethius und Isidor benützt. 8. Einer der Söhne Karls ist der Gesprächspartner in der ' D i s p u t a t i o regalisetnobilissimiiuvenisPippinicum A l b i n o s c h o l a s t i c o ' (hg. von L.W. DALY/W. SUCHIER, Altercatio Hadriani Augusti et Epicteti Philosophi, Urbana 1939, S. 134-146, aus 10 Hss.; hinzu kommt Paris, Bibl. nat., ms. lat. 2772, f. 106-107V, 9. Jh.). Zuerst stellt Pippin eine Serie von 86 kurzen Fragen zu verschiedenen Lebensbereichen, auf die A. metaphorische Antworten bereit hat (Typ: Quid est ver? - Pictor terrae!}, z.T. Genetiv-Verbindungen, die auf german. Sprachdenken zurückzuweisen scheinen (H. REUSCHEL, Kenningar bei Alkuin, PBB 62 [1938] 143-155). Im zweiten Teil werden Rätselfragen A.s durch Pippin aufgelöst (G. BAESECKE, D. lat.-ahd. Reimgebet, 1948, S.35f.). Gesprächsbücher dieser Art zur Einübung von Sprachgewandtheit und Schlagfertigkeit haben antike Vorbilder, aus denen A. auch geschöpft hat: die sehr verbreiteten 'Vita et Sententiae Secundi Philosophi' (2. Jh.) und die 'Altercatio Hadriani et Epicteti' (3. Jh.), 73 Fragen des Kaisers, die der Philosoph beantwortet (beide hg. von DALY/SUCHIER), ferner die Rätselfragen der 'loca Monachorum' (zahlreiche lat. Hss. seit dem 8. Jh.; hg. von W. SUCHIER, Das mlat. Gespräch Adrian u. Epictetus, 1955, S. 108-123). 9. Nach dem in der Vita (cap. 12) mitgeteilten Schriftenverzeichnis hat A. auch ein Buch 'De m u s i c a' geschrieben, das vereinzelt später bezeugt (BISCHOFF, 1972, S. 405), aber nicht erhalten ist. 10. Astr o n o m i s c h - K o m p u t istisches. Das Zeugnis -»Einhards ('Vita Karoli', c. 25), daß Karl astronomische Kenntnisse von A. zu erlangen ganz besonders bemüht war, wird bestätigt durch eine Korrespondenz mit A. über astronomisch-komputistische Probleme. Eine Hs. des 10. Jh.s (Vat. Regin. lat. 226) stellt die wichtigsten Briefe zusammen (epist. 148,115,126,170,145). Zu den Themen (Kalenderregulierung, Osterberechnung, Gestirnbewegungen) s. MANITIUS I 285 f., wichtigste Autorität ist Beda. Die Schrift 'De saltu lunae ac bissexto' (PL 101, 981-1002; zur Überl. vgl. A. CORDOLIANI,

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'Der Allenfrauenhold'-'Allerley Kriegsrüstung'

Archivum lat. medii aevi 17 [1943] 53) ist nicht von A. verfaßt, sondern von einem Iren der Zeit vor Beda (CH. W. JONES, Bedae Opera de Temporibus, Cambr. [Mass.] 1943, S-375f.). L i t e r a t u r (in Auswahl). 1. B i b l i o g r a p h i e . Rep.font.II 178-184. 2. MANITIUS, LG I 273-288; P. MONCELLE, in: DHGE II 30-40; A.HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands II,51922, S. 129-158, vgl. 839; W. LEVISON, England and the Continent, Oxford 1946 (passim); H. LÖWE, in: WATTENBACH/LEVISON/LÖWE, Geschichtsquellen II 225-236 (vorzügliche Bibliogr.!); Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben, II: Das geistige Leben, hg. v. B. BISCHOFF,21966 (passim); B. BISCHOFF, Mal. Stud. I/II, 1966/67; SZÖVERFFY, Weltl. Dicht. I 440-461; BRUNHÖLZL, LG I 268-286, 546-549. 3. M o n o g r a p h i e n . C.J.B. GASKOIN, A. His Life and his Work, 1904 (Ndr. New York 1966); A. KLEINCLAUSZ, A., Paris 1948; E. SH. DUCKETT, A., Friend of Charlemagne, 1951 {Ndr. Hamden/Conn. 1965); G. ELLARD, Master A., Liturgist, Chicago 1956; H.B. MEYER, A. zwischen Antike u. MA, ZkTh 81 (1959) 306-350, 405-460; H.D. BURGHARDT, Philol. Unters, z. d. Ged. A.s, Diss. (masch.) Heidelberg 1960; J. CHELINI, A., Charlemagne et Saint-Martin de Tours, Rev.Hist.Egl.deFrance47(1961) 19-50; W.EDEI.STEIN, eruditio u. sapientia. Weltbild u. Erziehung in d. Karolingerzeit. Unters, zu A.s Briefen, 1965; L. WALLACH, A. and Charlemagne (Cornell Studies in Classical Philology 32) Ithaca (N.Y.) 21968; H. BARRE/J. DESHUSSES, A la recherche du missel d'A., Ephemerides Liturgicae 82 (1968) 3^4; H. ANTON, Fürstenspiegel u. Herrscherethos in d. Karolingerzeit (Bonner Hist. Forsch. 32), 1968, S. 80-131 u. 449; S. MAHL, Quadriga virtutum (Beih.z.AKG 9), 1969, S. 83-125; W. HEIL, A.studien I. Z. Chronologie u. Bedeutung d. Adoptianismusstreites, 1970; R. CONSTANTINESCU, Melanges d'histoire litteraire carolingienne, Rev. Roumaine d'Histoire 9 (1970) 221-235; B. BISCHOFF/]. BOUSSARD, in: La Scuola nell'Occidente Latino del l'Alto Medioevo (Settimane di Studio ... Spoleto 19), 1972,5.385-452.

DIETER SCHALLER 'Der Allenfrauenhold' Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod. 104, 108™ bis 109rb(-'Liedersaal-Hs.'). Ausgabe. Liedersaal II 165-168 (Nr. 119).

Minnerede von 124 Versen in Monologform, wahrscheinlich aus dem alemannischen Raum. Der Titel stammt von LASSBERG, Liedersaal. Bekenntnis des Dichters, allen Frauen geneigt zu sein - seien sie groß oder klein,

gesprächig, einfältig, tanzfreudig, gelehrt, jung oder alt, blond oder schwarz. Eine aber liebe er vor allen, der er sich, wenn sie ihn nur erhören wollte, ganz zu eigen geben würde. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr. 11.

TILG BRANDIS 'Allerley Kriegsrüstung' betitelt ist eine Bilderhs., die sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet. Es handelt sich um den aus 28 Pergament- und 15 Papierfoliobll. bestehenden ehemaligen cod. 49 der Ambraser Sammlung, der bis heute noch nicht wieder neu katalogisiert wurde. Dt. und lat. Texte erläutern vor allem verschiedene Ausführungen von Streitkarren, die auch unterschiedlich, teils mit Spießen, Sensen und Schwertern, teils mit kleinen Feuerbüchsen armiert sind. Daneben finden sich weitere, meist nur flüchtig gezeichnete Kriegswerkzeuge. Die Hs. eines unbekannten Verf.s könnte vom Ende des 14. Jh.s stammen. Sie ist, was Zeichnungen und Texte angeht, völlig unabhängig von —>· Kyesers 'Bellifortis', der im 15.Jh. einer großen Zahl weiterer, thematisch ähnlicher Bilderhss. als Vorlage diente. An dieser Stelle aber wäre, ebenfalls unabhängig von Kyeser, der erste Teil von München, clm 197 einzuordnen. Es handelt sich um einen Sammelkodex, bestehend aus einer dt. und einer italienischen Ikonographie. Der italienische Teil enthält die berühmte Hs. 'De machinis' des Jacopo Mariano, genannt Taccola, aus Siena. Der für unsere Betrachtung interessantere dt. Teil des Kodex besteht aus 48 Foliobll., auf denen ein unbekannter Verf. um 1420/30 sehr sorgfältig und detailgetreu technische Geräte militärischer und ziviler Verwendbarkeit abgebildet hat. Neben Streitwagen mit Steinbüchsen und Geschützschirmen, bestimmten Städten zugeordneten Hebezeugen für schwere Geschütze und weiterem Kriegsmaterial sind auch Bohrmaschinen, Mühlen und Seilwinden für Brunnen dargestellt. Bemerkenswert ist auf Bl. 23V die Darstellung einer hussitischen Wagenburg: Item daz ist der hussen wagen-

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'Das Almosen' - Alpert von Metz

purgk dar auf dy hussen vechten dy ist gut und gerechtt. Die Datierung der Hs. wird durch den Text auf Bl. 16V erleichtert, der eine auf einem Karren gelagerte und mit einem Holzschirm der Feindsicht entzogene Steinbüchse erläutert: Item den schirm hat her arching vor saß gehabt ... Die Belagerung von Saaz durch Erchinger von Seinsheim hat im September 1421 stattgefunden. L i t e r a t u r . M. JÄHNS, Gesch. d. Kriegswiss., 1889, S.258f.; P. SIXL, Entwicklung u. Gebrauch d. Handfeuerwaffen, Zs. f. hist. Waffenkunde l (1897/99) 228, 248,256,276,278,280 und 2 (1900/02) 166,413,442f.; F.M. FELDHAUS, D. Technik d. Antike u. d. MAs, 1931,S.348ff.

VOLKER SCHMIDTCHEN

Almannus —> Ulmannus 'Das Almosen' Ü b e r l i e f e r u n g . Zusammenstellung bei FISCHER: 8 Hss., davon l verschollen, l unvollst.; die beiden ältesten (Heidelberg, cpg 341 u. Kalocsa Ms. l, jetzt Genf-Coligny, Bibl. Bodmeriana) md., wahrsch. Südböhmen, 1320-1330. A u s g a b e n . GA II 245-248, Nr. 36 (Daz warme almuosen); I.§AROVOL'SKIJ, Sest' svankov, Kiev 1913, S. 31-39 Nr. 2; NGA 153-57, Nr. 8 (zit.); L. RÖHRICH, Erzählungen d. späten MAs u. ihr Weiterleben in Lit. u. Volksdicht, bis z. Gegenwart II, 1967, S. 291-294 (nach NGA); SCHMID, Cod. 408, S. 146-150.

Schwankhaft-didaktisches maere eines unbekannten spätmal. Verfassers (Wien, cod. 2848 nennt -»Heinrich den Teichner) in 134 (bzw. 114 bis 175) Versen über das Thema des Almosens der Minne. Die Frau eines geizigen Bauern kann nur über eines frei verfügen: ihre Minne. Diese gibt sie ze selegeraete (v. 95) einem Bettler als Almosen. Ihr erprügeltes Geständnis kuriert den Geizhals, und sie erhält die Schlüsselgewalt. Dieser Stofftypus (von anderen international bekannten Bettelmannsabenteuern wohl zu unterscheiden) lebt in liedhaftballadesker Form (Erstdruck Nürnberg: Hans Guldenmund, um 1530) und vielfacher Kontamination bis heute in der Volksüberlieferung weiter; man kennt aber keine einzige Prosa-Auflösung.

L i t e r a t u r . FISCHER,Stud., S.296f. (B3); RÖHRICH, S. 474-486 (mit Kat. d. Liedüberl.); J. SUCHOMSKI, 'Delectatio' u. 'Utilitas'. Ein Beitr. zum Verständnis mal. komischer Lit., 1975, S. 197f.

HEDWIG HEGER Alnpeke —> 'Livländische Reimchronik' Alpert von Metz 1. Über A.s Person und Lebensumstände ist nur weniges und dies allein aus seinen Schriften bekannt. Seine Schaffenszeit fällt ins erste Viertel des ll.Jh.s. Den zwischen 1006 und 1017 vollendeten 'De episcopis Mettensibus libellus' schrieb er anscheinend als Mönch von St. Symphorian in Metz, dessen Abt Konstantin er das kleine Werk widmete; als monachus Metensis wird er so auch von -> Sigebert von Gembloux ('De viris ill.', c. 143) geführt. Später, zumindest bei der Abfassung von 'De diversitate temporum' (abgeschlossen zwischen 1021 und 1025), lebte er in der Utrechter Diözese. Nach seiner genauen Kenntnis der Verhältnisse in Niederlothringen ist zu vermuten, daß er sich hier länger aufgehalten hat, vielleicht beheimatet war. Sicher hat er hier unter dem neuen wissenschaftlichen und literarischen Einfluß gestanden, der von Bischof -> Adalbold ausging; dieser wird von A. als omnium nostrae aetatis sapientissimus et Laciali lingua longefacundissimus ('De div. temp.' II 2) gerühmt. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Beide Schriften A.s sind in nur mehr einer Hs. erhalten, die offenbar schon Sigebert von Gembloux benutzte: Hannover, LB, cod. XIIB 712" (= ehemals f. 25-30 d. Wolfenbiitteler Hs. 2° Aug. 76.14), 11. Jh.; Faksimile von C. PIJNACKER HORDIJK, in: Codices graeci et latini photogr. depicti, Suppl. 5, Leiden 1908. Ergänzungen d. Hannov. Hs. nach einem anonymen Exzerpt von 'De div. temp.' I 7 u. II 22-24 bei E. DÜMMLER, Jüd. Proselyten im MA, ZKG l (1877) 446^50. Eine verlorene Hs. von St. Paul in Utrecht ist durch einen von ihr genommenen Auszug in AASS Maii I, 1680, S. 431 f., bezeugt. A u s g a b e n . G. H. PF.RTZ, MGH SS IV 696-723 (= PL 140, 445^190); A. DEDERICH, Des A. v. M. zwei Bücher über versch. Zeitereignisse nebst zwei Bruchstücken über Bischöfe von Metz, 1859 (mit dt. Übers, u. Komm.); A. HULSHOF, mit Einl. v. C. PIJNACKER HORDIJK (Werken, uitgev. door het Hist. Genootschaft gev. te Utrecht, 3. Serie 37), Amsterdam 1916 (zit.). Krit. Ausg. d. hexametrischen 'Vita s. Ansfridi'

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'Alpharts Tod'

in 'De div. temp.' (113) von K. STRECKER, MGH Poetae Vl,S.251f.

3. Der üblich gewordene Titel 'De episcopis Mettensibus libellus' entspricht einer früheren irrigen Annahme, es handle sich bei A.s älterer Schrift um Bruchstücke einer an —> Paulus Diaconus anknüpfenden größeren Geschichte der Bischöfe von Metz. Tatsächlich schrieb A. nur über die Amtszeit Bischof Dietrichs L, vielleicht nur - der Anfang des 'Libellus' fehlt - über dessen letzte Jahre (978-984). Im Mittelpunkt seines Berichts, der sich auf einen ungenannten Vertrauten des Bischofs stützt, steht der Italienzug Ottos II., an dem Dietrich teilnahm. A.s abschließender Widmungsrede folgen in der Hs. Notizen unbekannter Quelle über die Bischöfe Adalbero II. und Dietrich II.

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Annalen d. Hist. Ver. f. d. Niederrhein 155/56 (1954) 67-86;H.PLECHL,NDBI204f.;F.W.N.HuGENHOLTz, Alpertus Mettensis als 'biograaf, Tijdschrift voor geschiedenis 79 (1966) 249-259. F.J. WORSTBROCK

'Alphabetum narrationum' —»Arnold von Lüttich 'Alpharts Tod' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 856: 2. H. d. 15.Jh.s, westmd., urspr. 46 Bll. (es fehlen: Bl. l, 18, 23-34, d.i.: 15 Anfangs-Strr.; l, 1-3; 247, 3-4; ca. 15 Zwischen-Strr.; 248, 1-2; 306, 4; ca. 168 ZwischenStrr.; 307, l; also ca. 198 von 667 Strr.); aufgefunden 1810 von H.B. HUNDSHAGEN in Hanau/Hessen, dann unzugänglich, seit 1867 in Kgl. Bibl. Berlin. 2. A u s g a b e n . F.H. v.o. HAGEN, Heldenbuch I, 1855, S. 281-345; E. MARTIN, Dt. Heldenbuch II, 1866 (Neudr. 1967), S. 1-54 (beide nach der sehr fehlerhaften Abschrift HUNDSHAGENS für v.o. HAGEN, Hanau 1810, seit 1857 Berlin, mgf 785 [467 Strr.]); ZIMMER, S. 123-205 (469 Strr.; zit.). Ü b e r t r a g u n g e n . F.H. v.o. HAGEN, Der Helden Buch I, 1811, T.4, S. 1-69 (bis 1855 einzige Unterlage für 'A.s T.'!); K. SIMROCK, Das Heldenbuch III, 1844, S.81-168; ders., Werke l, 1859, S.93-197; G.L. KLEE, 1880.

4. Das zwei Bücher umfassende bedeutendere Werk 'De diversitate temporum' (zum Titel - 'De diversitate morum' ? - vgl. NIERMEYER), das Bischof -»Burchard von Worms gewidmet ist, betrifft fast ausschließlich die lokale Geschichte der mittleren und südlichen Niederlande zur Zeit der Utrechter Bischöfe Ansfried (995-1010) 3. Von dem in vierzeiligen Strr. gedichteund Adelbold (1010-1026). Vorwiegend auf ten Kleinepos sind 469 von 667 Strr., mithin mündlichen Quellen beruhend, aber auch nur 5/7 erhalten. Hinter der westmd. Spraohne besonderen historiographischen Plan, che des Schreibers schimmert die Sprache stellt es in unverbundener Reihe verschiedenste zeitgeschichtliche Vorgänge und Er- des Originals durch: nicht ostfrk. (EHRISeignisse dar: Adelas und Liutgards Streit MANN, S. 169), nicht bair. (MARTIN, 1866, um Elten, die Normanneneinfälle der Jahre S.XXX; 1892, S.475f.), sondern alem. 1006/07, die Händel der Grafen Balderich (ZIMMER, S. 106-108). Von den 467 Strophen mit erhaltener und Wigmann, den Fall des jüdischen ProSchlußzeile sind 236 Nibelungenstrophen selyten Wizelin, in einem großen Exkurs das Leben Ansfrids, u.a. A.s Vorzüge - (ZIMMER, S. 89-92); bei 231 Strr. fiel der ihm fehlen die des Geschichtsschreibers - Verf. in den leichteren Hildebrandton zuliegen in der Schilderung der einzelnen Be- rück. Der Schluß v. 469, 3/4 da hyen geyn gebenheit und der Personen (I 2-3 die anti- Brysach l'was jne also not/und hat auch dyß thetischen Porträts Adelas und Liutgards, buch eyn ende/vnd heyst Alparts dot zeigt 111 die descriptio Ansfrids, u. a.). Die zahl- deutliche Anlehnung an den Schluß des reichen Anlehnungen an Sallust und Caesar —>· 'Nibelungenliedes', Fassung B: obwohl zeigen, welche literarischen Muster er 'A.s T.'-> 'Dietrichs Flucht' und 'Rabenschlacht' voraussetzt, nahm sich der Verf. suchte. bezüglich Strophe und Stil das ältere NibeL i t e r a t u r . Bibliographie: Rep. font. II 201f.; lungenlied zum Vorbild. Datierung: nicht WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichts1200 (MARTIN), sondern 2.H.d. 13.Jh.s quellen, S. 185 f., 40f., 61 f. - J.F. NIERMEYER, (SCHÖNBACH, S.232) bzw. 1250/1280 (ZiMSchreef A. van Metz over verscheidenheid van tijden of MER, S. 107f.). van zeden?, Miscellanea J. Gessler II, Den Haag 1948, S.952-957; F.W. OEDIGER, Adelas Kampf um Elten, 4. Wie 'Dietrichs Flucht' und 'Raben-

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'Alpharts Tod'

schlacht' gehört .s T.' zu den sog. hist. Dietrichepen. Der Dichter beruft sich Str. 45 formelhaft auf dys dützscb buch, vnd yst eyn alts lyet, Str. 55 das gut lyet [...], als wyr ys vernomen han, jedoch ist eine Sagen- oder Liedvorstufe nicht nachzuweisen. MARTINS Versuch (1866, S. XII-XXII), aus 'A.s T.' ein LJrlied herauszulösen, ist allgemein auf Ablehnung gestoßen. Alphart wird in 'Dietrichs Flucht' mehrmals unter Dietrichs Recken genannt (v. 3010, 5582, 5865, 8309); v. 6323-6382 kehrt er nach erfolgreichem Spähritt zu Dietrich zurück, wird v. 9515-9559 von Pitrung getötet und von Dietrich gerächt, aber 9693-9709 von Reinher erschlagen, 9896-9945 von Dietrich aufgefunden und beklagt. Auch in 'Rabenschlacht' Str. 10 klagt Dietrich um ihn.

Offenbar ist 'A.s T.' ein Sproßepos, das auf Grund der Vorerwähnungen eine eigene Erzählung mit Alphart als Mittelpunkt aufbaut, um der Nachfrage des Publikums nach Dietrichepen nachzukommen. Widersprüche zu Vorerwähnungen werden den Hörer, der die Einzelheiten nicht nachlesen konnte, nicht gestört haben. Schon W. GRIMM (Heldensage, S. 404) bemerkte, daß 'A.s T.' in gewisser Korrelation zur Geschichte von Frau Heichen Söhnen ('Rabenschlacht', Strr. 372-464) steht, wo Orte und Dietrichs Bruder Diether, um Scharphes Tod zu rächen, zu zweit Witege angreifen und von ihm erschlagen werden. Der Kampf zu zweit gegen den einzelnen wird dort den Kindern Orte und Diether zugutegehalten, hier aber den erfahrenen Witege und Heime, die den jugendstarken Alphart gemeinsam angreifen, angelastet: sie werden erlose man (Str. 291), die Gottes Recht brechen (Str. 280), genannt. Damit wird Witege prädestiniert zu dem Kindermord in der 'Rabenschlacht'. Wie er sich dort durch zauberschnelle Flucht der Rache Dietrichs entzieht, so können auch in 'A.s T.' Witege und Heime bei der Flucht des Ermenrichheeres vor dem mühsam angeworbenen Hilfsheer Dietrichs der Rache entgehen. So hat der Verf. seine Dichtung nicht ungeschickt mit 'Dietrichs Flucht' und 'Rabenschlacht' abgestimmt, wobei zu erwägen bleibt, ob er frühere Fassungen als die überlieferten benutzt hat, z.B. das alte Rabenschlachtlied; denn die 'Rabenschlacht'

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schwelgt in blutigen Massenszenen und ihr Ermenrich ist ein zur Hölle bestimmtes Ungeheuer, während 'A.s T.' ihn maßvoll zeichnet und das Ideal ritterlichen Zweikampfes vertritt (DE BOOR, 1940, S. 9f.). Jedenfalls bietet er Varianten zu der in Süddeutschland so beliebten Dietrichepik und ist nicht etwa Nebenquelle der 'Rabenschlacht' (STECHE, S. 144). Die Gestalt des tragisch endenden Helden und die Kampfund Schlachtszenen ließen das Publikum Mängel der Konzeption, Widersprüche und die Geringfügigkeit des Wortschatzes vergessen. Alphart gehört zu den jugendlichen Helden wie Siegfried, Chuchulinn und Achill, denen ein früher Tod bestimmt ist. Solchen Helden wird meist außergewöhnliche Stärke zugeschrieben. Deshalb kann ihr Tod meist nur durch Hinterlist erfolgen. Um seine Unüberwindlichkeit zu attestieren, stellt der Dichter einen siegreichen Zweikampf zwischen A. und Hildebrand voran, der seinen Neffen erproben will. Er benutzte dabei die höfische Vorstufe des -> 'Jüngeren Hildebrandliedes', aus der er auch das Motiv der Namensverweigerung entnahm. Sowohl Witege (222) wie Heime (264) fragen A. nach dem Namen, da sie gelobt haben, nicht mit Dietrichrecken zu kämpfen, beidemal verweigert ihn A. des müst ich mych schämen (265). Das entsprach französischem Ritterehrenkodex und wird von -* Wolfram von Eschenbach beim ParzivalFeirefiz-Kampf wirkungsvoll verwendet, findet sich aber auch noch im 'Jüngeren Hildebrandlied'. Das von BECKER als Gegen-Hildebrandlied rekonstruierte Wolfhartlied ist nicht im Spiele. 5. Der Dichter kehrt die Ritterehre stark hervor, nicht nur bei der Namensverweigerung. Die triuwe und christliche Barmherzigkeit des Helden steht gegen die untriuwe seiner aus materiellen Interessen zu Ermenrich übergetretenen Gegner. Während A. den überwundenen Witege schont, tötet Witege den wehrlosen A. grausam, indem er das Schwert in der Wunde herumdreht. ZIMMER leugnet jede Tragik, da A. freiwillig allein kämpfe (S. 16). Die Tragik besteht aber darin, daß A. an Gottesrecht (Gottesurteil im Zweikampf) und Ritterehre glaubt

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Alphart, Johannes - 'Alsfelder Dirigierrolle'

und sich im Einzelkampf jedem überlegen weiß, aber auf Gegner stößt, denen Überlebenschance vor Ritterehre geht. Es gehört zu den Mängeln der Konzeption, daß der auf Unterhaltung bedachte Dichter das Problem ritterlicher Norm nicht stärker herausstellte. Sein Herz gehörte dem jugendlichen Helden und nicht den utilaristischen Gegnern, und insofern gibt er eine laudatio temporis acti. 'A.sT.' ist etwa gleichzeitig mit -> Werners des Gärtners 'Helmbrecht' und hat in einer Zeit des sinkenden Rittertums die Norm ritterlichen Verhaltens bejaht und im Interregnum mit seiner Vorherrschaft rücksichtloser Interessenvertretung aller gegen alle Dietrichs Gegner Ermenrich zwar kaiser, aber nur Dietrich edel genannt. L i t e r a t u r . E. KETTNER, Unters, über 'A.s T.', Progr. Mühlhausen 1891; O. L. JIRICZEK, D. innere Gesch. d. Alphartliedes, PBB 16 (1892) 115-199; E. MARTIN, Z. Kritik d. Alphartliedes, ebd. 471-476; A. E. SCHÖNBACH, D. Christentum in d. Heldendicht., 1897, S. 209-248; E. KETTNER, D. Einheit d. Alphartliedes, ZfdPh 31 (1899) 24-39, 327-335; R. MANSKY, Unters, über 'A.s T.', Diss. Göttingen 1904; R. KNAPP, D. Problem d. Einheit von 'A.s T.', Diss. Tübingen 1925; SCHNEIDER, Heldensage I 324f.; TH. STECHE, D. Rabenschlachtged., d. Buch von Bern u. d. Entwicklung der Dietrichsage (Dt. Werden 16), 1939; dazu H. DE BOOR, AfdA 59 (1940) 4-14; H. VOGELSANG, Stud. z. Entstehungsgesch. von 'A.s T.', Diss. Bern 1949; E. MAURER, Vollständiges Glossar zu 'A.sT.', Diss. Wien 1952; H. BECKER, Warnlieder II, 1953, S. 5-35; W. HARMS, D. Kampf mit d. Freund oder Verwandten in d. dt. Lit. bis um 1300 (Medium Aevum 1), 1963, S. 53 bis 56; U. ZIMMER, Stud, zu 'A.s T.' nebst einem verbesserten Abdruck der Hs. (GAG 67), 1972, dazu J. HEINZLE, AfdA 85 (1974) 94-99.

HELLMUT ROSENFELD Alphart, Johannes Geb. in Basel, gest. in München am 4.6.1492, Vikar und Visitator der oberdt. franziskanischen Observantenprovinz 1474-77, 1481-84, 1487-90. Als solcher erließ er u.a. Statuten für Riedlers Selhaus in München (gedr. M. BIHL, AFH 14 [1921] 453^55) und die Franziskanerinnen in Kaufbeuren (gedr. R. DERTSCH, Bav. Franc. Ant. V [1961] 32-36). Eine Predigt von ihm, 'Surge vade', ist in verschiedenen Fassungen überliefert (München, cgm 5140, 317V-322V; St. Gallen, Stiftsbibl,

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cod. 1007, S. 423^43; Schaffhausen, StB, Gen. 19, 193r-199v; Stuttgart, LB, theol. et phil. 4° 219, lr-33v). Sie schildert die via mystica in neun hierarchisch geordneten 'Gängen'. - Ein Alphart (Anal. Franc. VIII 785) zugeschriebener kurzer Traktat 'Von der Geduld' muß ihm abgesprochen werden, da er bereits vor 1450 überliefert ist. L i t e r a t u r . Glassbergers Chronik, Anal. Franc. II (1887) 457, 489; ebd. VIII (1946) 784f. ; P. MINGES, Gesch. d. Franziskaner in Bayern, 1886, S. 55 f., 59; J. M. CLARK, Alhart and Alphart, MLR 29 (1934) 440 bis 443; RUH, Bonav. dt., S. 57; die Predigt hg. v. L. VERSCHUEREN, Franzisk. Stud. 15 (1928) 121-125.

K. RUH

'Aisfelder Dirigierrolle' Ü b e r l i e f e r u n g . Mus. d. Stadt Alsfeld, Verschiedenes IV.

Der Text der in Schmalfolio gehaltenen, bislang nicht edierten Hs. stellt eine direkte, aber verschiedentlich bessernde und erweiternde Abschrift aus dem -»· 'Alsfelder Passionsspiel' dar, aus dem er auch die Zusätze der Hand B (s.u.), nicht aber die der Schreiber C und D enthält. Mit einigen Einzelheiten (anfänglicher Gemeindegesang Nu biddenn [wir den billigen geist], Tempus als weitere allegorische Sprechrolle neben Mors, Schlußgesang der Gemeinde In gottes natnen faren myr) weicht er von jeder erhaltenen Redaktion des Alsfelder Spiels ab. Die Hs., vom Aisfelder Redaktor C geschrieben und von B, dem Priester Henrich -> Hültscher, am Schluß mit einem Zusatz versehen, enthält ihrer Funktion entsprechend nur die Regieanweisungen und die jeweils ersten Verse aller Sprechtexte. Ob sie für die Aufführung der Alsfelder Passion von 1511 angefertigt wurde oder eine anderweitig nicht belegte Aufführung repräsentiert, ist angesichts der Abweichungen vom Spieltext nicht sicher zu entscheiden. L i t e r a t u r . E. OTTO, Die Dirigierrolle d. Alsfelder Passionsspiels, Quartalbll. d. hist. Ver. f. d. Großherzogtum Hessen 6,2 (1892) 151-153; E. SCHRÖDER, 'A.D.', AfdA 18 (1892) 299f.; H. LEGBAND, Die 'A.D.', Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskunde NF 3 (1904) 393-^56 (zugleich Diss. Göttingen 1904).

HANSJÜRGEN LINKE

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'Alsfelder PassionsspieP

'Alsfelder PassionsspieP 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Murhardsche Bibl. d. Stadt Kassel u. LB, 2° Ms. Poet. 18. - Frgm. Einzelrollen sowie ein ebenfalls bruchstückhaftes Rollenverzeichnis: Pfarrarch. Alsfeld I (im Museum d. Stadt Aisfeld), Urkunden Nr. 14. 2. A u s g a b e n . A. VILMAR, . .' ZfdA 3 (1843) 480-518 (Auszüge); CHR. W.M. GREIN, D. . .' mit Wörterbuch, 1874; R. FRONING, D. Drama d. MAs (DNL 14,2.3), 1891/92 (Neudr. 1964), S. 547-864 (zit.); dazu die Kollation bei H. LEGBAND, Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskunde NF 3 (1904) 454-456 (zugleich Diss. Göttingen 1904, hier S. 60-62). - Einzelrollen: ZIMMERMANN, S. 14-26. - Rollenverzeichnis: BECKER, S. 484-492. - Neubearbeitung: R. MIRBT [Vorwort] (Münchener Laienspiele 38), 1928.

3. Text. Außer dem vollen Spieltext in oberhessischer Ma. sind vier meist fragmentarische Einzelrollen von Johannes Baptista, primus mercator, Synagoga und Luzifer (die mit Ausnahme der ersten nicht zur erhaltenen Passion, sondern zu ihrer Vorstufe oder ihren Vorstufen gehören) sowie einige Aufführungsmaterialien überliefert: die —>· 'Alsfelder Dirigierrolle', die Ordnung der Spielprozession, der Bühnenplan eines Tages und das umfangreiche Bruchstück eines Rollen- und Darstellerverzeichnisses (vermutlich der Aufführung von 1517), das u.a. Geistliche, Gerichtsbeamte, Studierte und Studenten sowie Angehörige der bürgerlichen Oberschicht als Mitwirkende nennt. Sein Schreiber ist der bedeutendste Redaktor (B) des Spieltextes, der Priester Henrich -» Hültscher. Die Spielhs. weist eine teils durch Kompilation mehrerer Vorlagen, teils durch immer neue Bearbeitung entstandene Textschichtung auf. Der für die Aufführung von 1501 bestimmte Grundbestand des Textes rührt von der Hand A her. Bis 1517 wurde er von mindestens drei, vielleicht von vier Redaktoren (B-D, bzw. E) mit Zusätzen in Form eingefügter kleinerer Blätter und Zettel versehen. Wie die Anweisungen zur Bereitstellung von Personen und Requisiten zeigen, diente das Ms. als Regiebuch. Die Handlung ist auf drei Aufführungstage verteilt. Der erste Tag reicht von der in einer Teufelsversammlung angezettelten Verschwörung gegen das Leben Jesu und von seiner Taufe bis zur Salbung durch Maria Magdalena; der zweite von den Vor-

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bereitungen zum Abendmahl bis zur Verurteilung Jesu und zur Handwaschung Pilati und schließt mit einem Streitgespräch zwischen Synagoga und Ecclesia ab; der dritte beginnt mit Verspottung und Kreuztragung und endet mit dem Missionsbefehl und der Teilung der Jünger. Gelegentlicher spießbürgerlicher Beschränktheit - wie sie sich etwa in der Betulichkeit des Hortulanus oder in der Auseinandersetzung zwischen Synagoga und Ecclesia breitmacht - steht das Interesse am Aufbau eines großräumigen politischen Spannungsfeldes zwischen den Juden, Herodes und Rom (vertreten durch Tiberius und Pilatus) sowie an der Herausarbeitung des nationalen Gegensatzes zwischen der imperialistischen Kolonialmacht und den auf Wahrung ihrer Eigenständigkeit bedachten Eingesessenen gegenüber. Vor allem anderen zogen indessen Juden und Teufel die Aufmerksamkeit der Verfasser und ihres Publikums auf sich. Sie sind einander so angenähert, daß sie mitunter austauschbar werden (Judei vel dyaboli v. 897a). Ähnlich dem ->· 'Frankfurter PassionsspieP ist es hier bei der Darstellung der Juden gelungen, das Phänomen Masse und deren Irrationalität auf die Bühne zu bringen. Darüber hinaus werden die Juden in ihren Vertretern, ihrer Sprache und ihrem Kult einerseits auf verletzende Weise lächerlich gemacht, andererseits dermaßen verteufelt, daß sie nicht nur für Instrumente, sondern geradezu für Genossen der Höllengeister ausgegeben werden. Den sprechendsten Ausdruck findet ihre Teufelsbesessenheit in der drastisch skatologischen Metaphorik des Teufels Milach, der Luzifer ankündigt, er wolle dergestalt in die Hohenpriester einfahren, daß er sie wie seine Latrine be-sitzen werde (v. 220/221). Eine derartige Fäkalkomik, in gleicher Weise auf Juden und Teufel angewandt, hat, ebenso wie die um körperliche Gebrechen bereicherte Häßlichkeit beider, über die vordergründige Belustigung hinaus zum Zweck, die sittliche Mangelhaftigkeit der Gestalten anzuzeigen. Der Veranschaulichung des betrügerischen Wesens der Teufel dient öfter ihr durch Verkleidung bewerkstelligter Gestaltwandel, der ihre Opfer auf der Bühne

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'Alsfelder Passionsspiel'

über die Allgegenwart der Verführer hinwegtäuscht. In der auf diese Weise umgarnten Maria Magdalena wird nicht allein unverwüstliche Vitalität verdächtigt, sondern vor allem höfisch verfeinerte Lebensart als teuflisch inspirierte Verführung zu hoffärtiger Selbstbespiegelung denunziert und das Magdalenenspiel so zu einer in dramatische Aktion übersetzten Bußpredigt gemacht. Dieses Verfahren ist der Ausfluß einer übergreifenden, auf heilspädagogische Exemplarik gerichteten didaktischen Intention, die allen derartigen Spielen innewohnt. In sinnenfällig demonstrativen Szenen hat sie es auf Abschreckung (z.B. Einfangen und rabiate Verschleppung der Verruchten durch die Teufel oder Streit zwischen Engeln und Teufeln um die Seele des Gekreuzigten), Ermahnung (z.B. adhortatives Krähen des Hahns!) und Erweckung von Mitleid im Publikum (z.B. Wendung ad spectatores durch dramatische Figuren, die damit aus der Handlung heraustreten) abgesehen. 4. T h e a t e r und A u f f ü h r u n g . 1501, 1511 und 1517 wurde das Spiel jeweils ganztägig an den drei auf Ostern folgenden Tagen im Freien aufgeführt. 1517 brach man es wegen schlechten Wetters vorzeitig ab. Die Vertagung des Spiels und seine Wiederanknüpfung am folgenden Tage wird teils wie üblich durch Epiloge und Prologe des Proclamators, teils (am Übergang vom 2. zum 3. Tag) durch die Überlappung der (fast unmerklich variierten) Handlungen bewerkstelligt. Der überlieferte Bühnenplan gehört zur Aufführung nur des dritten Tages, doch ist er am Text gemessen auch für sie nicht ganz vollständig. Gespielt wurde offenbar nicht auf einer Gerüstbühne, sondern auf einer ebenerdigen Spielfläche, die jedoch Aufbauten hatte. Die theaterpolizeilichen Funktionen, die in Frankfurt Landsknechte ausübten, fielen in Alsfeld den Teufeln zu. Sie schleppten Zuschauer, die über die Stränge schlugen, zu weiterer Behandlung in die Hölle. Aus dem Text läßt sich für die drei Spieltage die Zahl von 110/120/121 Rollen und nach Abzug der Mehrfachauftritte insgesamt ein Ensemble von mindestens 188

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Darstellern erschließen, doch weist der ordo processionis auf eine zusätzliche, zahlenmäßig nicht erfaßbare größere Menge von Statisten hin. Unter den Rollen fallen die Allegorien der Mors und der Virtus, ein sprechender Mond und ebensolche Sterne sowie ein Fiedler auf, der Maria Magdalena in ihrem Weltleben zum Tanz aufspielt. Die Regie ist - den Erfordernissen weiträumigen Freilichttheaters Rechnung tragend - ganz auf Sinnenfälligkeit, und d.h. wesentlich Augenfälligkeit, abgestellt: Die Furcht einer Person wird gern durch ihren räumlichen Abstand vom Gefürchteten ausgedrückt; Maria Magdalenas Buhlschaft wird durch Hingabe ihres Kränzeis, ihre innere Umkehr durch Wechsel der Kleidung symbolisiert; Nacht kann durch mitgeführte Laternen versinnlicht, Seele durch eine weiße Taube vergegenständlicht werden usw. Die mal. Simultanbühne ermöglicht die Synchronisierung meistens von zwei, gelegentlich aber auch von mehreren parallelen Handlungsabläufen, von denen einer als Redeszene, der (oder die) andere(n) als Pantomime dargestellt und vielfach interpretierend und kontrastierend auf den Dialog bezogen ist/sind. Regie ist also vorwiegend Bewegungs-, Gruppen- und Massenregie. Von allen Passionen der hessischen Spielgruppe weist die Alsfelder den höchsten Anteil an liturgischen Elementen auf. Z.T. wurden sie durch den geistlichen Redaktor B (s.o.3.) erst wieder in das Stück eingeführt. Es beginnt mit dem von Darstellern und Zuschauergemeinde gemeinsam ausgeführten Gesang des Veni sancte Spiritus und schließt am ersten Spieltage mit einem Dankgottesdienst in der Kirche. In den Text selbst sind zahlreiche lat. Responsorien sowie epische Gesänge als Kommentare stummer Handlungen eingelegt. Die Vorwegnahme der Technik des barocken Oratoriums, epischen Chor- und dramatischen Rollengesang miteinander zu verflechten (v. 2424e-l), stellt einen Einzelfall dar. Musik spielt eine hervorragende Rolle. Das . .' ist hier in mehrfacher Hinsicht als Quelle wichtig. Zum einen sind die dt.

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'Alter Kulm'

Gesänge sämtlich, die lau. zu vier Fünfteln mit Noten versehen. Zum anderen bildet das . .', sieht man von zwei vereinzelten Stellen im -> 'Heidelberger PassionsspieP ab, das einzige Stück der hessischen Gruppe, das den jeweiligen musikalischen Stimmausdruck wie das liturgische Drama durch Regieanweisungen festlegt. Zum dritten sind diese selbst für die Erschließung des Aufführungsmodus, vor allem für die Differenzierung des musikalischen Vertrags in Lektions- und Melodiegesang (accentus und concentus] besonders wichtig, gleichwohl noch kaum ausgewertet. 5. Q u e l l e n . Der Text geht wie derjenige der anderen hessischen Passions- und Fronleichnamsspiele über nicht sicher greifbare Zwischenstufen (vielleicht das ->· 'Friedberger Fronleichnamsspiel') hinweg letztlich auf die durch die —> 'Frankfurter Dirigierrolle' repräsentierte Passion zurück, deren Handlungsumfang er stark erweitert. Dabei ist in ihn die -> 'Trierer Marienklage' nahezu wörtlich eingegangen. L i t e r a t u r . K. HELM, Z. Passionsspiel in Hessen, Hess. Bll. f. Vk. 8 (1909) 184-187; E. ZIMMERMANN, D. . .' u. d. Wetterauer Spielgruppe, Arch. f. Hess. Gesch. u. Altertumskunde NF 6 (1909) 1-170 (zugleich Diss. Göttingen 1909); E. BECKER, Nachlese z. . .', ebd. NF 7 (1910) 484-492; A. BÄSCHLIN, D. altdt. Salbenkrämerspiele, Mulhouse 1929 (Diss. Basel 1929), S. 77-80 u.ö; K. DREIMÜLLER, D. Musik d. 'A.P.s', Bd. 1-3, Diss. (masch.) Wien 1936; ders., D. Alsfelder Marienklage, Zs. f. Kirchenmusik 17 (1949) 35-38; ders., D. Musik im geistl. Spiel d. späten dt. MAs dargestellt am . .', Kmjb 34 (1950) 27-34; G. PLOCH, Über d. Sprache d. 'A.P.s', Mitt. d. Gesch.- u. Altertumsvereins d. Stadt Alsfeld, 10. Reihe, Nr. 5 (1963) 92-94; B. THORAN, Stud, zu d. österlichen Spielen d. dt. MAs, Diss. Bochum 1969; R. STEINBACH, D. dt. Oster- u. Passionsspiele d. MAs (Kölner german. Stud.4), 1970, S. 164-174; D. BRETT-EVANS, Von Hrotsvit bis Folz u. Gengenbach, Bd. 2: Rel. u. weltl. Spiele d. SpätMAs (Grundlagen d. Germanistik 18), 1975, S. 84-86.

HANSJÜRGEN LINKE

'Der alte Hahnentanz' ->'Rosenplütsche Fastnachtspiele' 'Alter Kulm' Rechtsbuch des Magdeburger Rechtskreises.

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1. Ü b e r l i e f e r u n g . Zusammengestellt bei HOMEYER, S. 294, dazu noch die Nrr.73, 132-134, 160, 250,254,336,1108. A u s g a b e n . H. STROBAND, D. alte Cölmische Recht, Thorn 1584 (nach HOMEYER Nr. 132); C.K. LEMAN, D. alte kulmische Recht, Berlin 1838 (Neudr. 1969) (zit.), ergänzend ist stets heranzuziehen LABAND (s. Lit.).

2. In der 2. Hälfte des 14.Jh.s - in den Hss. erscheint gelegentlich das Jahr 1394 wird in Kulm das aus Breslau stammende ->· 'Systematische Schöffenrecht' mit seiner ersten Novellenschicht rezipiert und von einem anonymen Verf. durch Auslassungen, Umstellungen und Hinzufügungen einer allerdings nicht tiefgreifenden Umarbeitung unterzogen. Ergänzt wurde bes. das ursprünglich nur wenig umfangreiche 5. Buch, das bereits in Breslau die Überschrift 'iura communia' trug, durch zwei Magdeburger Schöffenurteile für Kulm (V 12, 13), sowie durch Übernahme einer großen Zahl von Artikeln aus dem Landrechtsteil des ->· 'Schwabenspiegels', vermutlich aus einer der Langformen (V 14-72). Die im Text enthaltenen Hinweise auf Magdeburg wurden durch solche auf Kulm ersetzt. In dieser Form fand das Rechtsbuch, sicherlich aufgrund der Oberhofstellung Kulms, als Ergänzung des in der -> 'Kulmer Handfeste' niedergelegten magdeburgischen Rechts im Deutschordensland weite Verbreitung; die —> 'Magdeburger Fragen' sowie —»Eckhardis 'Neun Bücher Magdeburger Rechts' benutzen es als Quelle. 35 erhaltene oder bezeugte Hss., die durchwegs ostmd. Sprachformen aufweisen, belegen den Gebrauch des . .' im 15. und 16. Jh., wobei die Mitüberl. deutlich auf die Verwendung in Gerichts- und Verwaltungspraxis hinweist. Bes. häufig erscheinen eine Sammlung von Erbrechtsregeln sowie verschiedene Urteils- und Verordnungssammlungen, seltener andere Rechtsbücher des Magdeburger Rechtskreises und die 'Kulmer Handfeste'. Wohl erst im 16. Jh. erhielt der . .' eine Glosse, die auch allein überliefert wird; nach ihrer Aussage scheint der . .' im Ordensland alle übrigen Rechtsbücher weitgehend verdrängt zu haben. Er blieb nach mehreren Revisionen als

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'Ein alter Mann verweist dem Minner seine Untreue' - 'Die alte und die neue Minne'

'Jus Culmense' in Westpreußen und Danzig z.T. bis ins 19. Jh. als Statutarrecht gültig, während er in den ostpreußischen Landesteilen 1620 durch das 'Landrecht des Herzogtums Preußen' abgelöst wurde. L i t e r a t u r . O. STOBBE, D. alte kulmer Recht, Zs. f. dt. Recht 17 (1857) 406-439; ders., Gesch. d. dt. Rechtsquellen 1,1860, S.426f.; P. LABAND, D. Magdeburg-Breslauer systematische Schöffenrecht aus d. Mitte d. 14.Jh.s, 1863; E. STEFFENHAGEN, Dt. Rechtsquellen in Preussen v. XIII. bis z. XVI. Jh., 1875; HOMEYER, Rechtsbücher (s.o. L); TH. GOERLITZ, D. Breslauer Rechtsbücher d. 14. Jh.s, ZRG 59 (1939) 136 bis 164; H. KASPERS, Vom Sachsenspiegel z. Code Napoleon. Kleine Rechtsgesch. im Spiegel alter Rechtsbücher, 1961, S.79-81 (mit Faks. d. Drucks von 1584 u. Verzeichnis d. übrigen älteren Drucke).

PETER JOHANEK 'Ein alter Mann verweist dem Minner seine Untreue' Fragment (Schlußteil) einer Minnerede von 81 Versen, überliefert in Gießen, ÜB, cod. 1264 (Nürnberg um 1480). - Der offenbar von Zweifeln und Liebeskummer geplagte Dichter, der sich in einem Wald verirrt hat, läßt sich in seiner jugendlichen Unerfahrenheit von einem alten Mann in Minnefragen belehren und besonders darüber aufklären, daß sich Liebe zu Gott und Hinneigung zur Frau des Herzens sehr wohl miteinander vertragen, wenn der Dienst an beiden in Ehren geschehe. Der Alte führt ihn zu seiner Herberge zurück. Ungedruckt. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.206.

TILG BRANDIS Der Alte Meißner Die -»'Heidelberger Liederhs. C, cpg 848, überliefert drei Strr. unter diesem Namen, den nur die kleine Randschrift auf Bl. 342rb authentisch enthält. Es fehlen Bild, Namenüberschrift und Stropheninitialen; der Name im Autorenregister ist ein moderner Nachtrag. Die Strr. l und 2, die das Thema Freundschaft antithetisch abhandeln, benutzen den Ehrenton -> Reinmars von Zweter, mit Zäsurreim in v. 3 und 6. Str. 3, ein eigenartiges Marienlob, benutzt den Hofton —> Konrads von Würzburg, mit Zäsurreimen in v. l und 2, 5 und 6. Der

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Dichtername dürfte eine adhoc-Bildung sein. Der Name Meißner fällt bei Reinmar in der Ehrenton-Str. 227 (205C; ->Heinrich III., Markgraf von Meißen) sowie bei Konrad in der Hofton-Str.32, 286 (111 C; der —> Meißner der Jenaer Liederhs.) und konnte so von den Schreibern bzw. Redaktoren von C auf späte Nachdichtungen in diesen Tönen übertragen werden. Das Attribut 'alt' dient der Unterscheidung von dem in C voraufgehenden -»· Jungen Meißner; es mag auf einer biographischen Deutung von Str. 3, v. l beruhen. A u s g a b e n . HMS II 224; G. ROETHE, Die Ged. Reinmars von Zweter, 1887 (Nachdr. 1967), Nrr. 249 bis 250. L i t e r a t u r . HMS IV 513; ROETHE (s. Ausg.), S. 122f.; A. FRISCH, Unters, über d. verschiedenen mhd. dichter, welche nach d. überl. d. namen Meissner führen, Diss. Jena 1887, S. 1-4, 15-18; G. OBJARTEL, D. Meißner der Jenaer Lhs. Unters., Ausg., Kommentar (Phil. Stud. u. Qu. 85), 1976, S. 18 f.

GEORG OBJARTEL Der Alte Moringer Das teils mit, teils ohne Verfassersignatur sehr breit überlieferte Gedicht 'Von der Welt Lauf von -»Heinrich dem Teichner hat in der Hs. Straßburg, ÜB, cod. L. germ. 209.8° einen abweichenden Schluß und die abweichende Verfassersignatur A.M.- vermutlich ein auf ->· Heinrich von Morungen bzw. den -> 'Moringer' bezogenes Pseudonym des Bearbeiters. A u s g a b e nach anderen Hss.: H. NIEWÖHNER, D. Ged. Heinrichs d. Teichners III (DTM 48), 1956, Nr. 640; C. HALTAUS/H. FISCHER, D. Ldb. d. Clara Hätzlerin, 1966, Nr. II, 12. Vgl. A. BECKER, D. dt. Hss. d. kaiserl. ÜB u. LB zu Straßburg, 1914, S.78.

B. WACHINGER 'Die alte und die neue Minne' Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod. 104, 200" bis 202vb (-> 'Liedersaal-Hs.'). A u s g a b e . Liedersaal III 83-95 (Nr. 182).

Didaktische Minnerede des selteneren Typs, bei dem das 'Ich' des Dichters eine Frau ist. Von einem Spaziergang abgeirrt trifft diese auf die alte Minne, die ihr ihre Verbitterung über die Welt bekennt und sie zur

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Alter Schulmeister- 'Altalemannische Psalmenübersetzung

neuen Minne, die mehr in der Welt gelte, weiterschickt. Die Ratsuchende läßt sich aber von den Argumenten der von Frau Wandelmut begleiteten neuen Minne nicht überzeugen und kehrt zur alten zurück. Diese gibt die Hoffnung nicht auf und kündigt einen zukünftigen Gerichtstag an. Personifikationsdichtung mit allegorischen Bestandteilen. Die Beschreibung von Behausung und Kleid der Damen beschränkt sich auf die Angabe der kontrastierenden Farben blau bei der alten Minne und topelstein bei der neuen (dieselbe Farbgegenüberstellung auch in ->· 'Das Zelt der Minne'). Die 441 Verse umfassende stilistisch und vom Wortschatz her nicht uninteressante Minnerede dürfte Ende des 14. oder Anfang des 15. Jh.s entstanden sein. In v. 407 wird —> Neidhart von Reuental erwähnt. L i t e r a t u r . K. MATTHAEI, D. 'weltliche Klösterlein' u. d. dt. Minneallegorie, Diss. phil. Marburg 1907, S.24; BRANDIS, Minnereden, Nr.451; W. BLANK, D. dt. Minneallegorie, 1970, S. 88 u. 113; GLIER, Artes amandi, S. 395 u. 408.

TILG BRANDIS

Alter Schulmeister Der Verfasser einer freien Bearbeitung des -»'Vocabularius Ex quo' sagt von sich in der Vorrede, er habe 32 Jahre lang Schulen geleitet (qui rexi scolas triginta duobus annis); danach wurde sein Wörterbuch als 'Vokabular des alten Schulmeisters' benannt ( , Sp. 219). Bekannt sind bisher 7 Hss. und 3 weitere, in denen die Verfasserangabe fehlt (redaktionelle Vorstufe?). Zusammenstellung bei GRUBMÜLLER, S. 154 f. und HÄNGER, S. 8. Die Überlieferung beginnt mit der 2. H. d. 15. Jh.s und ist auf den oberschwäb.-alem. Raum beschränkt. Der Bearbeiter strebt eine 'Verbesserung' des 'Vocabularius Ex quo' an (ex dictis autenücis pro posse melioravi}; er meint damit v. a. eine Erweiterung um grammatischen und sachkundlichen Wissensstoff. Als Quellen dafür sind neben dem schon für die Formulierung der Vorrede benützten -> 'Brevilogus' v. a. die grammatischen Standardwerke herangezogen (Alexander von Villedieu: 'Doctrinale', Eberhard von

Bethune: 'Grecismus', Johannes von Garlandia: 'Equivoca' und 'Synonyma', —> Konrad von Mure: 'Novus Grecismus'). Genauere Untersuchungen stehen noch aus. L i t e r a t u r . F. J. , Teutsche Glossare u, Glossen, AnzfKdVz 6 (1837) 219 und 339; K. GRUBMÜLLER, Vocabularius Ex quo (MTU 17), 1967, S. 154-156; H. HÄNGER, Mhd. Glossare u. Vokabulare in schweizerischen Bibl.n (QF NF 44), 1972, S. 8, 30-32.

KLAUS GRUBMÜLLER Der Alte Stolle -»Stolle 'Altes Tellenlied' -> 'Vom Ursprung der Eidgenossenschaft' 'Alten Weibes List' -» Der Arme Konrad -> 'Schampiflor' 'Alter Zürichkrieg' -> 'Toggenburger Erbschaftskrieg' 'Altalemannische Psalmenübersetzung' Bruchstücke einer ahd. Interlinearversion, 1. Hälfte 9. Jh. I . Ü b e r l i e f e r u n g . Doppelbl. K reis- u. Studienbibl. (früher Lyzealbibl.) Dillingen (Bayern) und zwei Einzelbll. München, cgm 5248, l, beide unabhängig voneinander aus Bucheinbänden des 16. Jh.s abgelöst. Die ältere Zuweisung an die Reichenau (besonders durch BAESECKE: Murbacher Abschrift eines Reichenauer Originals, Anfang 9. Jh.) bezweifelt B. BISCHOFF: über die engere Schriftheimat innerhalb der alem. Grenzen sei nichts auszusagen und der lat. Text wie die in roter Schrift dünner eingetragene ahd. Interlinearversion sei in das mittlere Drittel des 9. Jh.s zu setzen. DAAB nahm die Zeit um 820 an. 2. A u s g a b e n . STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr. XXXVIII (hier auch ältere Ausg.n). U. DAAB, Drei Reichenauer Denkm. d. altalem. Frühzeit (ATB Nr. 57), 1963, S.77-92. Abb.: G. BAESECKE, D. dt. Abrogans, 1930, Tafel VI-VII (Doppelbl. Dillingen, von cgm 5248,1 nurBl.2 v ).

3. E i n o r d n u n g . Die Bruchstücke stehen für ein größeres Psalterübersetzungswerk interlinearer Anordnung, wobei die Formfür-Form-Übertragung vereinzelt durch Artikelsetzung erweitert ist. Erhalten sind PS 107, 7-14; 108, 2-5; 113, 12-18; 114, 1-8; 123, 2-8; 124, 1-5 (vollst.); 128, 7-8; 129, 1-8 (vollst.); 130, l-(2). Es liegt der Normalfall einer vollständigen, schematischen

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'Alcbairische Beichte'

Prosainterlinearversion der ahd. Frühzeit in alem. Schreibdialekt vor. Während KOEGEL, BAESECKE und danach DAAB das Kloster Reichenau als Ausgangspunkt sämtlicher alem. Interlinearversionen vor und nach 800 angenommen hatten, sieht man neuerdings die Möglichkeit zur Entstehung solcher Interlinearversionen an verschiedenen Schreiborten, so daß neben der Reichenau auch andere alem. Klöster der 1. Hälfte des 9.Jh.s in Frage kommen. Gegen die Reichenau könnte das Fehlen von ahd. Psalmenglossen dort sprechen. Die Herkunft des Denkmals muß deshalb offen bleiben. L i t e r a t u r . KOEGEL, LG 12,S.472^77; BAESECKE, 1930, S. 10f.; ders., Unerledigte Vorfragen d. ahd. Textkritik u. Lit.gesch., PBB 69 (1947) 398^09; U. DAAB, Z. Datierungder altalem. Psalmenübers., PBB (Tüb.) 83 (1961/62) 281-301; B. BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 119; S. SONDEREGGER, Ahd. auf d. Reichenau, in: D. Abtei Reichenau (Bodensee-Bibl. 20), 1974, S. 78 f.

STEFAN SONDEREGGER

'Altbairische Beichte' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Orleans, Bibl. Municipale, Hs. 184, S. 328, aus der alten Abtei Fleury, geschrieben wohl spätestens gegen 820 in einem nicht sicher zu lokalisierenden Skriptorium des oberösterr.-salzburgischen Raumes (B. BISCHOFF [1971] 125; ders., Schreibschulen, S.99 Anm.l). Die Hs., die zunächst Schriften Isidors enthält, bietet in ihrem letzten Drittel eine umfängliche Sammlung von Gebeten, darunter auch mit der Überschrift Confessto pura unser bair. Stück. A u s g a b e n . E. MARTENE, Tractatus de antiqua ecclesiae disciplina, 1706, S. 650f.; MSD Nr. LXXVIII A; STEINMEYER, Sprachdenkm. Nr. XLI; BRAUNE, Leseb. Nr. XXII, l".

2. Es handelt sich um den ersten Teil eines Textes, der in seiner von zwei Hss. vertretenen vollständigen Fassung -»· 'Altbairisches Gebet' ('St. Emmeramer G.') genannt wird. Während BAESECKE es aus der von ihm angenommenen frk. Urbeichte ableiten wollte, hat EGGERS mit Recht die Eigenständigkeit des Stückes sowie die Verwurzelung seines altertümlichen, in manchem isolierten Wortschatzes in der süddt.-bair. Kirchensprache hervorgehoben. In ihm ein Zeugnis got. Mission zu erblicken (EGGERS, 1954, S. 144), ist gleichwohl nicht richtig.

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Entgegen allgemeiner Annahme ist dieses Sündenbekenntnis nicht als ein für die Beichte der Gemeindeglieder geschaffenes Formular aufzufassen, vielmehr als die Übertragung eines Gebetes nach Art der in der römisch-fränkischen Liturgie sehr beliebten, vom Zelebranten vor und während der Messe still zu betenden Apologien, wie sie auch (für unser Stück allein in Frage kommend) außerliturgisch zum Gebrauch im täglichen privaten Gebetsleben in vielfacher Variation zur Verfügung standen. Im Unterschied zu den auf die sakramentale Buße abgestimmten Formularen, in denen der Pönitent sein an Gott und alle (zuweilen näher aufgeführten) Heiligen gerichtetes Bekenntnis konkret dem die Beichte abnehmenden Priester zuspricht, ist für diese Texte die Verbindung der allein vor Gott gebrachten Schuldbekenntnisse mit persönlichen Bitten um Erbarmen und Verleihung rechter Einsicht charakteristisch. Die bei STEINMEYER zusammengestellten altdt. Beichttexte, deren Zurückführung auf eine allen gemeinsame Grundfassung nicht möglich ist, dienten in der uns überlieferten Form keineswegs alle dem gleichen Zweck. Soweit sich ihre konkrete Bestimmung überhaupt feststellen läßt, begegnen sie, für die Einzelbeichte gedacht, im Rahmen von Beichtordnungen (so etwa die -»'Fuldaer Beichte') so gut wie als Wortlaut der Offenen Schuld (—>'Benediktbeurer Glauben u. Beichte , -> 'Münchener Gl. u. B.') und spiegeln wechselnde, in Einzelheiten auch schwer durchschaubare, sich erst in allmählicher Entwicklung abklärende kirchliche Praxis; sie zeigen zugleich, was entsprechend für die ähnlichen lat. Texte gilt, wie die zumeist auch bei anderer Gelegenheit einsetzbaren Formeln, aus denen sie sich aufbauen, mannigfach kombiniert und in ihrem durch die Jahrhunderte weitergereichten Bestand im Einzelfall je nach Bedarf unschwer gekürzt oder auch zu langer Kette erweitert werden können. L i t e r a t u r . MSD II 396f.; G.BAESECKE, St. Emmeramer Stud., PBB 46 (1922) 451^55; ders., D. altdt. Beichten, PBB 49 (1925) 268-355; H. EGGERS, Gotischesind. 'A.B.', ZfMaForsch. 22 (1954) 129-144; ders., D. altdt. Beichten 2, PBB (Halle) 80 (1958) 372 bis 403; D. altdt. Beichten 3, PBB (Halle) 81 (1959) 78 bis 102; ders., RL1141-144; I. REIFFENSTEIN, Das Ahd. u. d. irische Mission im obd. Raum, 1958, S. 34-43; J. A. JUNGMANN, D.lat.Bußriten in ihrer geschichtl. Entwicklung, 1932, S. 169-201; ders., Missarum Sollemnia 1,1962, S. 103-106; BISCHOFF, Schreibschulen, S. 99 Anm. l; ders., Frühmal. Stud. 5 (1971) 125.

ACHIM MASSER

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'Altbairisches Gebet' - 'Altdeutsche Ecodus'

'Altbairisches Gebet' ('St. Emmeramer Gebet') 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Prag, SB, MS Tepla cod. l, S. 182-186 (A), aus dem ehem. Prämonstratenserstift Tepl (1197-1950), dorthin aus Oberaltaich (gegr. um 1100), letztlich vielleicht aus St. Emmeram, zumindest aus Regensburger Umkreis stammend und zwischen 828 u. 876, unser Stück wohl nicht nach der Jahrhundertmitte geschrieben (BISCHOFF, Schreibschulen, S. 263f. u. 266; ders., 1971). Die Hs. besteht aus zwei inhaltlich verwandten, doch selbständigen Teilen, einem Pönitentiale sowie einer Sammlung von Gebeten, Segens- u. Beschwörungsformeln, in der auch unser bair. Text enthalten ist. - München, clm 14345, 117r (B), aus St. Emmeram. Die Hs. ist mittelrhein. Ursprungs, etwa im 2. Viertel d. 9. Jh.s geschrieben u. später nach Regensburg verbracht worden; hier erfolgte wohl bald nach 900 der Eintrag des bair. Gebetes, doch vermutlich nicht in St. Emmeram, sondern eher in einem der Regensburger Frauenklöster (BiSCHOFF, 1971, S. 124; ders., Schreibschulen, S. 239). Der Codex enthält die Briefe des Apostels Paulus; auf der Vorderseite des letzten Blattes auf verbliebenem Raum von einem Schreiber das bair. und ein lat. Gebet (dieses abgedr. von STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 312). Beide gehörten bereits jener Vorlage an, der auch A und die 'Altbairische Beichte' entstammen. A u s g a b e n . B. J. DOCEN, Einige Denkm. d. ahd. Lit., 1825, Nr. 6 (Hs. B); PFEIFFER, S.25 f. (Hs. A); MSD Nr. LXXV1II B; STEINMEYER, Sprachdenkm. Nr. XLII (mit Angabe weiterer älterer Ausgaben); BRAUNE, Leseb. Nr. XXII, l b ; Faks. Hs.A bei H. FOERSTER, Mal. Buch- u. Urkundenschriften, 1946, Tafel XII.

2. Das Stück besteht aus zwei Teilen. Den ersten bildet ein nach Anlage wie Wortschatz gleichermaßen interessantes allgemeines Sündenbekenntnis, das man herkömmlich als Beichtformel auffaßt (-»'Altbairische Beichte'). Hieran schließen sich Bitten, in denen Gott um Sündenvergebung, Gnade und Rettung angefleht wird. Sie werden üblicherweise als ein mehr oder weniger einheitliches Gebet begriffen, sind jedoch die Übersetzung von Formeln, die sich in gleicher Reihung auch lat. nachweisen lassen. Genauere Untersuchung steht noch aus. Mögen die beiden Teile, in denen frk. Sprach- bzw. Schreibspuren ungleich verteilt sind, letztlich verschiedenen Ursprungs sein, so sind sie doch aufeinander bezogen und als zusammengehörig überliefert worden. Vor allem die Übertragung des Denkmals ins Slavische zeugt von seiner weiterreichenden Verwendung.

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L i t e r a t u r . F. PFEIFFER, Forsch, u. Kritik auf d. Gebiete d. dt. Alterthums II, WSB 52, 1866, S. 20-38; M. PFANNERER, Altdt. Beicht- und Gebetformel aus einem Cod. d. Stiftes Tepl, Gymn. Progr. Pilsen 1870, S. 3-9; MSD II 397-^02; G. BAESECKE, St. Emmeramer Stud., PBB 46 (1922) 451^55; ders., D. altdt. Beichten, PBB 49 (1925) 268-355; H. EGGERS, Gotisches in d. Altbairischen Beichte, ZfMaForsch. 22 (1954) 129-144; ders.,D. altdt.Beichten,PBB (Halle) 80 (1958) 373^03; 81 (1959) 78-102; I. REIFFENSTEIN, D. Ahd. u. d. irische Mission im obd. Raum, 1958, S. 34-43; BISCHOFF, Schreibschulen I 239, 263 f., 266; ders., Frühmal. Stud. 5,1971, S. 123 f.-Zu d. slav. Übertragungen: W. VONDRÄK, Ahd. Beichtformeln im Altkirchenslawischen u. in d. Freisinger Denkm., Arch. f. slav. Phil. 16 (1894) 118-132; E. FABIAN, D. altkirchenslav. Version d. St. Emmeramer Beichtgebetes, ZfdPh 64 (1939) 155-160.

ACHIM MASSER

'Altdeutsche Exodus' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2721, 159r-183v (W); Klagenfurt, Hs. 6/19 d. Geschichtsver. f. Kärnten aus dem Kloster Millstatt 102r-135r (M), (-> 'Millstätter Hs.'). A u s g a b e n . Wiener Text: H. MASSMANN, Dt. Ged. d. 12.Jh.s (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. III 2), 1837, S. 326-342; HOFFMANN, Fundgr. II 85-101. - Millstätter Text: Millst. Hs. Faks.; J. DIEMER, Genesis u. Exodus n. d. Millstätter Hs., 2 Bde., 1862,1: 119-164 (Text), II: 58-69 (Anm.). - Krit. Text: E. KOSSMANN, D. . .' (QF 57), 1886; E. PAPP (s. Literatur), S. 109 bis 205 (zit.).

2. Zu den Hss. der 'Altdeutschen Exodus' ('A.E.') ->'Altdeutsche Genesis' ('A.G.'). Beide Hss. gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück. W ist unvollständig: es fehlt ein Bl. (v. 1401-1454), und mit v. 1480 (Ende des Bl.s) bricht die Abschrift ab; doch bietet sie den älteren Text. M ist vollständig (3316 vv.): der Text endet mit einem Dank des Dichters an den Hl. Geist. Er hat als eine Abschrift der gemeinsamen Vorlage *WM zu gelten, nicht als Neubearbeitung (wie die M-Fassung der 'A.G.'). Die . .' ist wahrscheinlich in den ersten Jahrzehnten des 12. Jh.s entstanden (Vocr: gegen 1100; PNIOWER: 1120-1130). Nur MENHARDT wollte die Entstehungszeit der . .' bis 1170 (inBayern) hinunter schieben. Die Heimat des Dichters suchte man zunächst in Österreich (speziell Kärnten), LEITZMANN aufgrund von Wortschatzbestimmungen im schwäb.-alem. Sprachraum.

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'Altdeutsche Exodus'

Die Einordnung der . .' in die Literaturgeschichte des 12. Jh.s ist umstritten. Die ältere Forschung hat besonderes Gewicht auf wörtliche Übereinstimmungen zwischen . .' und den -» 'Vorauer Büchern Mosis' ('V.B.M.') gelegt, die aber nach PAPP (S.20 bis 25) entweder durch die gemeinsame Quelle bedingt sind oder auf vorgeprägte Redeweise und einen Vorrat an Reimbindungen weisen, die jedem Dichter der frühmhd. Zeit zur Verfügung standen. Literarische Abhängigkeit des 'Vorauer Moses' von der .E.' (oder umgekehrt, so PNIOWER) ist daher wohl unwahrscheinlich. 3. Grundlage der . .' bildet das Buch Ex des ATs (Israels Knechtschaft in Ägypten bis zum Lobgesang der Juden nach dem Zug durch das Rote Meer). Der Dichter wendet sich im Eingang an den Hl. Geist mit der Bitte um die Gabe der Rede (nach PS 50, 17), verzichtet aber im Gegensatz zu den 'V.B.M.' fast ganz auf die vielfältigen mal. Auslegungsmöglichkeiten des Bibeltextes, obwohl sie ihm nicht unbekannt waren (vgl. vv. 602, 1140 u. 2490). Er konzentriert seine Erzählung auf die dem MA geläufige Beziehung des Buches Ex auf das Streben des Christen aus seiner irdischen Existenz (Knechtschaft in Ägypten) zur himmlischen Herrlichkeit (in das gelobte Land), das er am Schluß auch für sich und seine Hörer bekennt (v. 3297-3301). Durch den Verzicht auf eine Auslegung gewinnt der Erzählstoff eine neue Autonomie. Im allgemeinen hält sich der Dichter der . .' an den Text der lat. Ex. Mißverständnisse der Vorlage sind nicht auszuschließen (z.B. in den vv. 867-884). Selbständige Erweiterungen des Bibeltextes durch den dt. Dichter sind besonders die breite Schilderung des ausziehenden jüdischen Volkes (v. 2871—2938) und der ägyptischen Verfolger (v. 3017-3085) in Form der Heerbeschreibung einerseits, die Darstellung der Frösche (v. 1339-1362), Hundsfliegen (v. 1437-1504) und der Heuschrecken (v. 2151-2180) andererseits. Die Ägypter sind ebenso prächtig wie die Israeliten (v. 2879-2890) ausgerüstet, nur führen sie auch bunte Fahnen und Heerzeichen mit sich. Während die Juden one allerslahte ubermüt (v. 2928) ausziehen, ist das ägyptische Heer von Anfang an zum Untergang bestimmt (v. 3041-3046). PNIOWER, S. 81 ff. hat einzelnes aus -» 'Annolied', des Pfaffen -> Lambrecht 'Alex-

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ander', -» 'Kaiserchronik' und des Pfaffen -> Konrad 'Rolandslied' sowie aus frz. Chansons de geste belegt; ähnlich breit ausgeführte, zusammenhängende Heerbeschreibungen sind jedoch bisher nicht nachgewiesen. PNIOWERS Vermutung, daß sie nicht erhaltener weltlicher Dichtung, möglicherweise mündlich tradierter Heldendichtung nachgebildet seien, besitzt daher einige Wahrscheinlichkeit. Dasselbe Stilmuster benutzt der Dichter der . .' bei der negativen Beschreibung des 'Heeres' der Frösche, Hundsfliegen und Heuschrecken im Kampf gegen die Ägypter (v. 1339-1350).

Nicht genügend gesichert erscheint der Versuch, die . .' aus der Kreuzzugsidee des 12.Jh.s zu interpretieren (GREEN). Zwar versteht die Kreuzzugschronistik und -propaganda den Auszug der Juden aus Ägypten ins Hl. Land als praefiguratio des mal. Kreuzzuges - aber in der . .' fehlt jeder Hinweis auf diese Interpretation der Ereignisse des Buches Ex. Die Bezeichnung der Hundsfliegen als gates rttere (v. 1482) rechtfertigt nicht die Vermutung, daß der Dichter damit bewußt auf die militia Dei des Kreuzzuges Bezug nimmt, zumal dann eher die Juden auf dieses ehrende Appellativ Anspruch gehabt hätten. Zwischen 1120 und 1130 (bei dieser Datierung bleibt auch GREEN), d.h. vor dem zweiten Kreuzzug (1147-49), wäre zudem eine deutsche Dichtung aus Kreuzzugsgeist unwahrscheinlich. 4. E. SCHRÖDER hat vermutet, daß die . .', wie die 'A.G.', in Reimlektionen aufgeteilt, zur Vorlesung im Kloster bestimmt und 'für das Osterfest' (S. 240) gedichtet worden sei. Die abschließenden Verse der . .' sind schwerlich als liturgisch bestimmte Abschlußformel zu interpretieren, gehören vielmehr zum Dank des Dichters gegenüber deme himelisken geiste, der ihm die Erzählung in seiner eigenen Sprache (mit tütiskeme munde) gnädig gewährte. Es ist nicht auszuschließen, daß man die . .' auch vor Laienpublikum vorgetragen hat. 5. Reim- u. Verstechnik sind gegenüber der 'A.G.' fortgeschritten. Die bloßen Endsilbenreime haben deutlich abgenommen. Die metrische Norm ist der Vierheber. Die Füllungsmöglichkeiten bleiben im Rahmen

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'Altdeutsche Genesis'

der sprachlich-rhythmischen Freiheiten, die den frühmhd. Vers auszeichnen. Dreihebige Verse sind zwar immer noch zahlreich doch sind überlange selten geworden, sie treten meist am Ende von Erzählabschnitten auf. L i t e r a t u r . Bibliographie bis 1922: EHRISMANN, LG II l, S. 91. F. VOGT, Über Genesis u. Exodus, PBB 2 (1876) 208-287; 288-314; 315-317; 586-592; O. PNIOWER, D. Abfassungszeit d. . .', ZfdA 33 (1889) 73-97; C. WESLE, Frühmhd. Reimstud., 1925; DE BOOR, Sprachstil I 244-274 u. II 31-76; E. SCHRÖDER, Z. 'Exodus': Termin u. Publicum, ZfdA 72 (1935) 239f.; A. LEITZMANN, Lexikalische Probleme in der frühmhd. geistl. Dicht. (Abh. d. Preuß. Ak. d. Wiss.n, Nr. 18), 1941; ders., Z. Heimatfrage d. Exodus, ZfdA 80 (1944) 162-170; W. BACHOFER, D. Wortschatz d. 'Vorauer Bücher Moses', Diss. (masch.) Hamburg 1961; H. MENHARDT, Z. Herkunft d. Vorauer Hs., PBB (Tüb.) 78 (1956) 394-452; D. H. GREEN, The Millstätter Exodus, A Crusading epic, Cambridge 1966; E. PAPP, D. . .' Unters, u. krit. Text (Medium Aevum 16), 1968; GREEN, The Millstätter Exodus and its biblical source (Medium Aevum 38), 1969, S. 227 bis 238; W. SCHRÖDER, The . .': A crusading epic? MLR 64 (1969) 334-339; H. BLINN, D. . .', Amsterdam 1974 (dazu: W. SCHRÖDER, Beitr. z. Namensforsch. NF 1Ü [19751 208-210).

URSULA HENNIG 'Altdeutsche Genesis' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2721, lr-129v (W); Klagenfurt, Hs. 6/19 d. Geschichtsver. f. Kärnten, ausd. KlosterMillstatt, -84 ( ) -»'MillstätterHs.'; Vorau, Stiftsbibl., cod. 276, 78r-87v (V) ->· 'Vorauer Hs.276'. A u s g a b e n . 'Wiener Genesis': Teilabdr. (v. l bis 4975) durch GRAFF, Diutiska III 40-112; H. MASSMANN, Dt. Ged. d. 12. Jh.s (Bibl. d. ges. Nat.-Lit. III 2), 1837, S. 235-310; HOFFMANN, Fundgr. II 9-84; V. DOLLMAYR, D. 'A.G.' nach d. Wiener Hs. (ATB 31), 1932 (zit.); K. SMITS, D. frühmhd. 'W. G.', 1972. 'Millstätter Genesis': Millst. Hs. Faks.; J. DIEMER, Genesis u. Exodus nach d. Millstätter Hs.,2 Bde., 1862, I: 1-116 (Text), II: 1-58 (Anm.). 'Vorauer Joseph': Vorauer Hs. Faks., Teil I ; P. PIPER, D. Ged. v. Joseph nach d. Wiener u. d. Vorauer Hs., ZfdPh (1888) 257-289, 430-474.

2. W bietet den ältesten und im wesentlichen ursprünglichen Text, M eine jüngere Bearbeitung. Beide Fassungen gehen auf eine gemeinsame Vorlage (*WM) zurück, die außer der'Altdeutschen Genesis'('A.G.') noch den 'Millstätter Reimphysiologus' (-*· Thysiologus') und die ->· 'Altdeutsche Exo-

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dus' ('A.E.') enthielt. Wahrscheinlich war *WM bereits eine Bilderhs. In M sind 'Genesis' u. Thysiologus' mit Illustrationen versehen ; auch W ist als Bilderhs. angelegt, doch sind nur sieben Bilder ausgeführt. Der Zusammenhang zwischen den Illustrationen in W und M ist unsicher, die Annahme, daß M in Raum- u. Bildeinteilung unmittelbar auf W zurückgegriffen habe, sehr zweifelhaft. In V ist nur die Geschichte Josephs ( = W, v. 3446 bis zum Schluß) übernommen; ihr Text ist nicht unmittelbar aus W oder M bzw. *WM abzuleiten, sondern weist auf eine gemeinsame Vorstufe *WMV. Alle drei Hss. sind zuerst in Österreich nachweisbar. Sie sind noch im 12. Jh. entstanden. W gilt als die älteste (1. H. 12. Jh.: DIEMER, DOLLMAYR; 2.H.: HOFFMANN, EHRISMANN, DE BOOR), M als jünger (Mitte d. Jh.s: DIEMER). Die Spätdatierung der Millstätter Illustrationen (1180: MENHARDT; 1180-1200/ 10: Voss) betrifft nicht die Datierung der Texte. V ist ebenfalls noch im 12. Jh. geschrieben. Wenn man sie mit dem Vorauer Propst Bernhard I. (1185-1202) verbindet, ergeben sich die beiden letzten Jahrzehnte des Jh.s als Entstehungszeit (s. u.). Die Hss. gehören in den großen bair.-österr. Sprachraum. Die nähere Bestimmung war in der älteren Forschung nicht umstritten. Für W galt Kärnten als wahrscheinlich, für V Propst Bernhard I. als Auftraggeber. Allein für M hatte LEITZMANN Entstehung 'weiter westlich' vermutet. MENHARDT hat diese Anschauungen zu erschüttern versucht. Er ging dabei von den Illustrationen in M aus, als deren Vorbild er eine byzantinische Oktateuchhs. bestimmte, die Heinrich d. Löwe selbst (1172) aus Konstantinopel nach Regensburg gebracht haben soll. Die Vorlage ""WM wäre danach um 1180 im weifischen Regensburg entstanden, 'mit sehr großer Wahrscheinlichkeit' auch W. Dagegen hat Voss einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Millstätter (wie den Wiener) Illustrationen und der Regensburg-Prüfeninger Malschule zurückgewiesen und ihren Zusammenhang mit der Salzburger Malschule dahingehend spezifiziert, daß sie sehr wohl aus 'provinzieller Produktion' (S. 97) stammen könnten. Sie erwägt ernsthaft die Möglichkeit, daß beide Hss. in Kärnten - der 'eigentlichen Kunstprovinz von Salzburg' (SwARZENSKi, zit. bei Voss, S. 110) - entstanden sind. Die Verbindung der 'Genesis'-Hss. mit dem Literaturbetrieb im weifischen Regensburg und besonders mit Heinrich d. Löwen ist unbeweisbar. MENHARDTS

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'Altdeutsche Genesis'

Vorstellungen über die Uberl. der 'A.G.' orientierten sich an der Rolle, die Bischof Kuno I. von Regensburg (1126-1132), 1105-1126 Abt von Siegburg, für die Übernahme des mfrk. —> 'Annoliedes' in die Regensburger Kaiserchronik gehabt haben könnte. Dementsprechend postulierte er eine mfrk. Vorlage für die 'A.G.', die in den ersten Jahrzehnten des 12.Jh.s in Regensburg umgearbeitet worden sei.

Der Ansatz einer 'mfrk. Genesis' ist weder zeitlich noch sprachlich zu stützen, auch nicht durch HENSCHELS Reimuntersuchungen (s.u.). Die 'A.G.' gehört vielmehr, was Vers, Reim u. Syntax betrifft, an den Beginn der frühmhd. Dichtung. Die Dichtung bietet mit der Erwähnung der Laieninvestitur als üblichem Brauch (v. 287 f.) 1122 als Terminus ante quern. Die genaueren zeitlichen Bestimmungen schwanken zwischen 1060 und 1080. Es spricht nichts gegen die Annahme, daß das Werk nach der Jahrhundertmitte in Österreich entstanden ist. 3. Der Dichter der 'A.G.', ein Geistlicher, nennt sich nicht selbst. Die von SCHERER (S. 7-58) vertretene Auffassung, daß das Werk eine Gemeinschaftsarbeit von sechs Verfassern sei, ist aufgegeben. Die Anonymität des Verf.s entspricht der in der frühmhd. geistl. Dichtung üblichen dienenden Haltung gegenüber dem Stoff und der Auffassung vom geistlichen Sprechen und Ausdeuten. Die textliche Grundlage und den Erzählrahmen für die 'A.G.' bildet das Buch Gn des ATs (von der Weltschöpfung bis zum Tode Josephs). Die Kürzungen und Auslassungen gegenüber dem Bibeltext konzentrieren die Erzählung auf Hauptpersonen und -ereignisse. Die Erweiterungen weisen auf die Erzählintention des Dichters. Die Aufnahme des Lucifersturzes (v. 25-78) geschieht, um die Erschaffung Adams (v. 171-424) als Ersatz für den gefallenen Engel und seinen Ghor zu bezeichnen; sie stellt damit den Menschen in den Mittelpunkt der Heilsgeschichte. Die Schilderung des Paradieses bildet den Kontrast zum Elend menschlichen Lebens nach dem Sündenfall. Die Ausdeutung des Jakobssegens in seiner Konzentration auf die Präfigurationen von Christus und Antichrist spannt den Bogen von Weltschöpfung und Sündenfall bis zum Weltende und Jüngsten Gericht.

Über Charakter und Gewicht der Nebenquellen besteht noch keine Klarheit. Genesiskommentare sind sparsam benutzt (Jakobssegen). Für Lucifersturz und die Erschaffung des Menschen hat man Alcimus Avitus, 'De originali peccato' und Lactanz,

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'De opificio Dei' herangezogen, für die Paradiesschilderung die 'Etymologien' Isidors von Sevilla. Die Versuche, Gattung und Bauform der 'A.G.' zu definieren: 'dichterische Großform, aus den poetischen Gegebenheiten ihrer Zeit zusammengewachsen' ( SCHLAG, 1942); 'gelehrte Atmosphäre, Professorendichtung' (KÜHN) ; Gliederung mit Hilfe der Initialen der hsl. Überl. (SÜNGER) bzw. des sie bestimmenden Geschichtsbildes (HENSING) sind ohne gesichertes Ergebnis geblieben. Die Intentionen des Dichters werden in den eingeschobenen Auslegungen erkennbar. Im Gegensatz zur 'Vorauer Genesis' (—>· 'Vorauer Bücher Mosis') überwiegt die moralische Deutung. Das Interesse des Dichters konzentriert sich auf Sünde, Reue, Beichte und Buße, soweit sie an den exemplarischen Gestalten und Geschehnissen der Genesis erkennbar werden. E. SCHRÖDER teilte die 'A.G.' in 'Reimlektionen' zum Vorlesen im Kloster auf. EHRISMANN hielt den Vortrag 'hauptsächlich vor Laien' für möglich. Einzelne 'Lektionen' lassen sich jedoch nicht abteilen. 4. Alle Hss. bieten den Text in unabgesetzten Versen mit Endreim. Die Reime sind sehr abfällig beurteilt worden (PRETZEL). Endsilbenreime sowie Bindungen von haupttoniger mit schwachtoniger Silbe und weitgehende Assonanzen sind nicht zu leugnen. HENSCHEL (1953 u. 1955) hat versucht, hinter der Überl. 'bessere' mfrk. Reimformen zu erschließen, WESLE und HENNIG haben die Reime der 'A.G.' aus dem Zusammenwirken von Klanggebung, Wortkörper und Wortrhythmus als eigenständige Leistung interpretiert. Auch die Verse fügen sich nicht dem von HEUSLER postulierten Viertaktschema. Neben vielen zu kurzen Versen gibt es lange, wortreiche, in denen Vierhebigkeit nur mit überfüllten Senkungsfeldern erkauft werden kann. Als Grundmuster ist der vierhebige Vers unverkennbar, Überschreitungen und Unterschreitungen dieser 'Norm' werden plausibel, wenn man den Vers als Sinn- und Satzeinheit versteht. Fraglich ist, wieweit er taktmäßig gegliedert werden kann. Nach MAURER wäre die 'A.G.' in 'binnengereim-

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'Altdeutsche Gespräche'

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ten Langzeilen' gedichtet (s. die Ausgabe von SMITS). Sein Langzeilenbegriff gründet allein auf der 'syntaktisch/gedanklichen' Einheit des Reimverspaares und interpretiert übergreifende syntaktische Einheiten als Verdoppelung (oder Verdreifachung) des Grundmusters, wodurch die größeren hypotaktischen Satzfügungen eingeebnet werden. Mit W. SCHRÖDER, HENNIG u. a. ist am Reimpaar als konstitutiver frühmhd. Versform festzuhalten.

of Paradise. A Note on the 'W.G.' and the Anegenge, Euph. 61 (1967) 375-382; U. HENNIG, Unters, z. frühmhd. Metrik am Beispiel d. 'W.G.', 1968; dazu W. SCHRÖDER, AfdA 81 (1970) 11-36; D. HENSING, Z. Gestaltung d. 'W.G.', 1972; B. MURDOCH, The Fall of Man in the EMHG Biblical Epic (GAG 58), 1972; U. HENNIG, Z. Gattungsbestimmung frühmhd. atl. Dicht.n, Stud. z. frühmhd. Lit. (Cambridger Colloquium 1971), 1974, S. 136-150.

L i t e r a t u r , a) Zur Ü b e r l i e f e r u n g : H. MENHARDT, D. Bilder d. Millstätter Genesis u. ihre Verwandten, 1954; H. Voss, Stud. z. illustrierten Millstätter Genesis (MTU 4), 1962; K. SMITS, Überlieferungsprobleme der Wiener u. Millstätter Genesis, Seminar 5 (1969) 54-64. - Weitere Literatur -»'Vorauer Hs. 276'. b) Zum T e x t : Bibliographie bis 1922: EHRISMANN, LG II l, S. 78f. - W. SCHERER, Geistl. Poeten d. dt. Kaiserzeit, 1. H.: Zu Genesis u. Exodus (QF 1), 1874; V. DOLLMAYR, D. Sprache d. 'W.G.' (QF 94), 1903; A. WELLER, D. frühmhd. 'W.G.' nach Quellen, Übersetzungsart, Stil u. Syntax, 1914 (Nachdr. 1967); G. KRÖMER, D. Präpositionen in d. hd. Genesis u. Exodus nach d. versch. Überl.n (1), PBB 39 (1914) 403-523; (2) PBB (Halle) 81 (1959) 323-387; (3) ebd. 82 (1960) 261-300; 83 (1961) 117-150; K. WESLE, Frühmhd. Reimstud., 1925, S. 22-102 (passim); DE BOOR, Sprachstil 1244-274 u. II31-76; U. PRETZEL, Frühgesch. d. dt. Reims I, 1941, S. 161-226; S. BEYSCHLAG, D. 'W.G.' Idee, Stoff u. Form, WSB 220/3, 1942; A. LEITZMANN, Lexikal. Probleme in d. frühmhd. geistl. Dicht. (Abhh. d. Preuß. Ak. d. Wiss., Jg. 1941, phil.-hist. KL, 18), 1942, S. 3-10; F. MAURER, Über Langzeilen u. Langzeilenstrophen in d. ältesten dt. Dicht., Fs. E. Ochs, 1951, S. 31-52 (Dicht, u. Sprache d. MAs, 21971, S. 174-194); H. KÜHN, Gestalten u. Lebenskräfte d. frühmhd. Dicht., DVjs 27 (1953) 1-30 (Dicht, u. Welt im MA, 21969, S. 112-132); S. BEYSCHLAG, Z. Entstehung d. epischen Großform in früher dt. Dicht., WW 5 (1954/55) 6-13; E. HENSCHEL, Mhd. Kleinigkeiten (Z. Heimat d. Dichters d. 'W.G.'), PBB (Halle) 75 (1953) 489f.; ders., Z. Heimat d. Dichters d. W.G., PBB (Halle) 77 (1955) 147-158; R. GRUENTER, D. paradisus d. 'W.G.', Euph. 49 (1955) 121-144; E. HENSCHEL, Weitere Beobachtungen u. Vorschläge z. Text d. 'W.G.', PBB (Halle) 85 (1963) 417^32; MAURER, Rel. Dicht. I 39-47; M. TH. SUNGER, Stud. z. Struktur d. Wiener u. Millstätter Genesis, 1964; W. SCHRÖDER, Z. Begriff d. binnengereimten Langzeile in d. altdt. Versgesch., Fs. J. Quint, 1964, S. 194-202; weiteres zum Thema ders., PBB (Tüb.) 87 (1965) 150 bis 165; PBB (Tüb.) 88 (1967) 249-284; PBB (Tüb.) 93 (1971) 109-138; R. WISBEY, Vollständige Verskonkordanz z. 'W.G.' I, 1967; B. MURDOCH, The Garments

1. D e f i n i t i o n . Unter den 'A.G.', auch 'Ahd. Gesprächsbüchlein' genannt, versteht man seit W. GRIMM 1851 eine Sammlung von 106 Glossen und einfachen Konversationssätzen für den praktischen täglichen Gebrauch auf Reisen aus dem 10. Jh., wobei die ahd. Wörter und Wendungen im Gegensatz zur üblichen Glossierung den Grundtext bilden, an den sich, übergeschrieben oder mit./. [= id est] eingeführt, die vulgärlat.-rom. Übersetzung oder Erklärung anschließt.

URSULA HENNIG 'Altdeutsche Gespräche'

2. Ü b e r l i e f e r u n g . Im frühen 10.Jh. von einer Hand auf Rändern und Leerstellen der ersten Bll. des cod. Paris, Bibl. Nat., lat. 7641, dessen Hauptinhalt das lat.-lat. 'Abavus'-Glossar bildet (f. 1-74', 10. Jh.), eingetragen. Das ursprünglich erste, später entfernte Blatt dieser Hs. befindet sich als f. 50 b im Sammelband cod. Vatic. Regin. Lat. (bzw. Bibl. Vatic. Christ.) 566. Dergestalt sind die 'A.G.', heute auf das Vatikanische Blatt und die Pariser Blätter (f. l r , 2V, 3r) verteilt. Der Pariser cod. überliefert außerdem Exzerpte aus dem ahd. -» 'Tatian' (P, f. 4v-16r), die von anderer Hand des 10. Jh.s geschrieben sind. Das Vatikanische Blatt enthält den ursprünglichen Bibliotheksvermerk CODEX TITULI sei MARCELLI, der sich nach B. BISCHOFF auf S. Marcel in Chalon-sur-Saone oder auf die Bischofskirche von Die (Dep. Dröme) beziehen könnte. Der schmale Schriftstil der 'A.G!' ist ausgesprochen französisch, das Denkmal nach Schrift und ungefährer Bibliotheksheimat zweifellos im nördlichen Frankreich geschrieben, worauf auch ein Ortsverzeichnis der Pariser Hs. mit einer Reiseroute in den Departementen Seine und Marne (f. 23V) weist (Ahd. Gll. V 523 f; BAESECKE). Der vorliegende Text wird als Abschrift einer älteren Vorlage betrachtet. 3. A u s g a b e n . W. GRIMM, 'A.G.' (und Nachtrag), Abhh. Kgl. Akad. d. Wiss. Berlin, phil.-hist. KL, 1851, S. 415-436 u. 235-255 (= Kl. Sehr. 3,1883, S. 472^94 u. 495-515); P. PIPER, Nachträge z. alt. dt. Lit., o.J., S.3-11 (nur Pariser Bll. u. Kasseler GH.); Ahd. Gll.V 517-542 (mit Angaben älterer Editionen); BRAUNE, Leseb., Nr. V2. Bausteine zu einer neuen Ed. nach der

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'Ältere deutsche Habichtslehre' - 'Ältere Hochmeisterchronik'

Hs. lieferte HUISMAN, 1969, S. 272-296. Die Tatianexzerpte, in: E. SIEVERS, Tatian, lat. u. altdt., ^1892, S. 290-292 u. XVII f.

4. E i n o r d n u n g . Der zweisprachige Text ist ein kostbares Stück der ahd. Sprach- und Literaturgeschichte. Der Textsorte nach Zeugnis der nur selten in selbständiger Überlieferung zu belegenden Sprechsprache, die mit einem Teil der Kasseler Gll. (Ahd. Gll. III 9-13) des 9.Jh.s fuldischer Herkunft vergleichbar ist. Kurzsätze und Anredeformen von der Art Gueliche lande cumen ger id est de qua patria und fro min. domnus sind z. T. Gesprächsstücke zwischen Herr und Diener. Es handelt sich um ein zweckgebundenes Reisehandbüchlein, das Wortschatz und Satzmuster für Körperteile, Kleidung, Dienstleistungen in der Herberge, Bekanntschaft und Konversation mit Fremden, Verkehr mit Dienstboten, Reiten und Waffentragen vermittelt. Das Denkmal entstammt einer sprachlichen Kontaktzone Roman.-Westfrk.-Ahd. Mfrk. Züge lassen sich neben niederfrk. Spuren erweisen (SCHÜTZEICHEL), die Orthographie ist stark romanisiert und westfrk. Herkunft nicht auszuschließen (HuiSMAN). Ausgangspunkt wird eine für Romanen bestimmte Textvorlage für Reisen im nachbarsprachlichen Gebiet gewesen sein, die in das 9. Jh. zurückgehen kann. L i t e r a t u r . Ältere Lit. Ahd. Gll. V524;EHR1SMANN, LG 12, S. 264-266; G. BAESECKE, Vor- u. Frühgesch. d. dt.Schrifttu ms II,1953,5.150-154.-R. SCHÜTZEICHEL, D. westfrk. Problem, X. D. Pariser Gespräche, Dt. Wortforschung in europäischen Bezügen 2, 1963, S. 503-505; J.A. HUISMAN, D. Pariser Gespräche, Rhein. Vjbll. 33 (1969) 272-296; B. BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 133; S. SONDEREGGER, Reflexe gesprochener Sprache in d. ahd. Lit., Frühmal. Stud. 5 (1971) 176-192; W. HAUBRICHS, Zur Herkunft d. 'A.G.', ZfdA 101 (1972) 86-103.

STEFAN SONDEREGGER Altenburg -»Kaspar v. A. 'Ältere deutsche Habichtslehre' Verfaßt im 14. Jh. von einem Jägermeister, beschreibt die 'Ä.d.H.' die für Deutschland kennzeichnende Jagd mit dem Habicht, der im Gegensatz zu West- oder Südeuropa

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dem Falken bzw. Sperber vorgezogen wurde. Von 39 kurzen Kapiteln befassen sich die ersten 27 mit Pflege und Abrichtung des Habicht-Weibchens, Nr. 28-36 sind der Habicht-Heilkunde gewidmet, und die letzten drei schildern das Abrichten des Beizwindes, jenes Jagdhundes, der mit dem Habicht zusammenarbeitet. Die 'Ä.d.H.' gilt als bedeutendstes beizjagdliches Werk dt. Sprache (LINDNER, S. 9). Stilistisch schmucklos, wirkt der Text gelegentlich ungelenk, ist in seinem Ausdruck jedoch 'stets klar und kraftvoll'. Noch im 14. Jh. wurde der Traktat vom Verf. des -> 'Beizbüchleins' zur 'Jüngeren deutschen Habichtslehre' umgearbeitet, wobei die Neubearbeitung sich im wesentlichen auf stilistische Umgestaltung beschränkt. - Dagegen hat Eberhard Tappe den Wortlaut der 'Ä.d.H.' 1542 fast unverändert seinem 'Waidwerck und Federspiel' einverleibt, wobei er die ursprüngliche Kapitelfolge nur geringfügig änderte. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 289, 108ra-119rb (nordbair.-ostfrk., 1442); Eberhard Tappe, 'Waidwerck und Federspiel. Von der Häbichen vnnd Falcken natur / art / vnnd eygenthumb / wie mann sie berichten / gewehnen / ätzen vnnd von allen jren kranckheyten soll erledigen', Straßburg: M. Jacob Cammer Lander 1542 (Nachdruck 1887) [hier die Kapitel 3, 8, 10,13 f., 14, 16-19, 21-48, 52-67]. A u s g a b e . K. LINDNER, D. dt. Ha'oichtslehre, 1955, S. 97-135 [synoptischer Abdruck beider Überl.n] L i t e r a t u r . LINDNER, S. 9-37; C. A. WILLEMSEN, Über mal. Quellen z. Gesch. d. Jagd, AKG 39 (1957) 228 f.; D. DALBY, in: Lexicon of the mediaeval German hunt, 1965, S. XXXVI; SCHNEIDER, München II 289f.

G. KEIL 'Ältere Hochmeisterchronik' ('Chronica Prutenorum ab anno MCXC usque ad MCCCXC', 'Chronicon Samilianum', 'Zamehlsche Chronik', 'Alte Preußische Chronik'). Zwischen 1433 und 1440 verfaßte ein Ordensgeistlicher in Preußen eine Chronik, die 1190 einsetzt und die Geschichte des Deutschherrenordens bis 1433 bringt. Für die ältere Zeit benutzte er als Quellen -»Nikolaus von Jeroschin, die ->· 'Livländische Reimchronik', die 'Livländische Chronik' -> Hermanns von Wartberg(e)

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'Die Ältere Judith'

und das Hochmeisterverzeichnis; von der zweiten Hälfte des 14. Jh.s an konnte er sich auf mündliche Überlieferungen sowie Berichte (Relationen) und Urkunden der Ordenskanzlei stützen. Dabei verfuhr er mit seinen Quellen keineswegs einheitlich: Während er die prägnanten Notizen des lat. schreibenden Hermann von Wartberge paraphrasierend übersetzt, sucht er die wortreiche Breite deutscher Reimchroniken kürzend zusammenzudrängen. Das gelingt ihm indessen nur teilweise: Über weite Strecken erzählt er mit den Worten Nikolaus' von Jeroschin, dem er fast drei Viertel seines Werkes verdankt und dessen Verse er unvollständig auflöst; selbst Reime der Vorlage hat er beibehalten. Ü b e r l i e f e r u n g . Ungeachtet ihrer Schwächen galt die 'Ä.H.' als 'handlichste Darstellung' der Ordensgeschichte und wurde in zahlreichen Kommenden benutzt. TOPPEN verzeichnet mehr als 20 Hss.; zehn stammen aus dem 15., sieben aus dem 16. Jh. und fünf sind jünger. Die beste Überl. bietet cod. 1558 der Königsberger ÜB (1. H. d. 15. Jh.s, ostmd).

Selbständiger als die 'Ä.H.' sind ihre Fortsetzungen: Die ' ä l t e s t e Fortsetzung' ist aus einer Darstellung der ersten Kampfhandlungen 1454/55 erwachsen; sie gibt eine knappe Vorgeschichte des 13jährigen Krieges und wird erst von 1452 an ausführlicher. Der Verf. war entschiedener Anhänger des Ordens, seine Sprache ist schlicht, die Schilderung klar, und seine Ausführungen gehören 'zu den schätzenswerthesten Denkmälern der hist. Lit. Preussens im 15. Jh.' Wesentlich kürzer ist die ' z w e i t e Fortsetzung'. Ihr Verf. war Angehöriger einer obd. Bailei; er steht zwischen den Fronten, tadelt Maßnahmen des Hochmeisters, erweist sich aber auch als Gegner des polnischen Königs und damit der preußischen Städte. 1472 schließlich ist die ' d r i t t e Fortsetzung' entstanden, deren Verf., ein ermländischer Geistlicher, den Rahmen kurzer Hochmeisterbiographien dazu benutzt, Aussagen über seine Diözese zu machen. Ausfuhrlich geht er auf die Geschehnisse ein, wie sie die -> 'Chronik vom Pfaffenkrieg' schildert.

Die drei Fortsetzungen sind unabhängig voneinander entstanden; am verbreitetsten war die älteste (4 Hss., drei davon aus dem 15.Jh.); alle drei sind in ostmd. Ma. geschrieben. A u s g a b e . Die 'Ä.H.', hg., eingeleitet u. kommentiert v. M. TOPPEN, Scriptores rerum Prussicarum III, 1866, S. 519-709.

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L i t e r a t u r . LORENZ,GeschichtsquellenII206-210.

G. KEIL 'Die Ältere Judith' 'Die drei Jünglinge im Feuerofen' I. Ü b e r l i e f e r u n g . Einzige Hs.: Vorau, Stiftsbibl., cod.276, 99va-100va(V). A u s g a b e n . Vorauer Hs. Faks.; DIEMER., Dt. Ged., S. 117-123; MSD I, II Nr.XXXVI. XXXVII; 2 WAAG, Dt. Ged. S. 36-43; HENSCHEL/PRETZEL, Vor. Denkm. S. 78-93; MAURER, Rel. Dicht. I 402-407; DE BOOR, Texte I 224-227; H.J. GERNENTZ, Kl. dt. Ged. d. 11. u. 12. Jh.s, 1970, S. 183-189; WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. I 60-67 (zit.).

'Die drei Jünglinge im Feuerofen' ('Jüngl.') und 'Die Ältere Judith' ('ÄJud.') bilden zusammen das Schlußstück einer md. Sammlung frühmhd. geistl. Gedichte, zu der außerdem die -* 'Summa theologiae' ('S.T.') und das -»'Lob Salomons' ('L.S.') gehören (WAAG, 1886, S. 109-119) und die als Ganzes in die -»'Vorauer Handschrift 276' aufgenommen worden ist, wie die Eingrenzung durch Schmuckinitialen zu Anfang der 'S. T.' (97ra) und der -»'Jüngeren Judith' (100va) noch verrät. Innerhalb dieses Komplexes sind 'S.T.' und 'L.S.' jeweils deutlich durch Absatz und größere Initiale ('L.S.' von 'S.T.' auch durch Spatium) abgehoben, während 'Jüngl.' und 'ÄJud.' nahtlos ineinander übergehen. 'ÄJud.' beginnt mitten in der Zeile nach Reimpunkt: das vorausgehende, durch kleinere Initiale als Strophenanfang gekennzeichnete Reimpaar: Der kunic Nabuchodonosor undi sinu abgot l wurain beidu zi Babylonia gilastirot (v. 83 f.) nimmt sich eher wie die Quintessenz von 'Jüngl.' aus. Die überlieferte Kontamination gilt als Schreiberzutat (schon der Vorlage), doch handelt es sich schwerlich um bloß äußerliche Zusammenrückung. Die Herausgeber haben die zwar nachträgliche, aber beabsichtigte Vereinigung teils respektiert, teils rückgängig gemacht. Zwei selbständige Gedichte hat als erster SCHERER in !MSD (1864) angesetzt und die Zustimmung STEINMEYERS, KELLES, EHRISMANNS, STEINGERS, DE BOORS und HENSCHEL/PRETZELS gefunden. Dagegen haben DIEMER (der erste Hg.), HOFMANN, WAAG, WALLNER, MAURER und SCHRÖDER am hsl. Überlie-

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'Die Ältere Judith'

ferten festgehalten. Wie die interpolierte Rede des Burggrafen (Str. VI) ist auch die überlange Str. XIII mit der Engelserscheinung (deren Echtheit seit MSD bezweifelt wird) als Zutat eines auf Integration von 'Jüngl.' und 'ÄJud.' bedachten Bearbeiters anzusehen, der nicht der Vorauer Abschreiber ist. Daß 'Jüngl.' und 'ÄJud.' von Hause aus selbständige Gedichte liedhaften Charakters waren, ist gleichwohl nicht zweifelhaft. II. 'Die drei J ü n g l i n g e im F e u e r ofen' Die Quelle ist Dn 3. Die christliche Umstilisierung der atl. Geschichte zum frühmhd. Liede orientiert sich am Schema der Märtyrerlegende, doch ist der Dichter dabei mit Zurückhaltung und Geschmack verfahren. Er hat die Erzählung gestrafft und die den Rahmen sprengenden Preisgebete und Lobgesänge rigoros zusammengestrichen. Die drei Jünglinge haben im Liede eine aktivere Rolle als in der Quelle, wo nur etwas mit ihnen geschieht. Sie werden nicht denunziert, sondern kommen aus eigener Initiative und mit missionarischem Eifer. Sie wollen nicht bloß ihrem Gott treu bleiben, sondern den Götzen vernichten. Auch die Erscheinung des Engels im Ofen fehlt. Das abschließende Lob des Christengottes (v. 77—82) ist recht geschickt den Heiden in den Mund gelegt. Allegorische Ausdeutungen sind vermieden, und diese Enthaltsamkeit von allem gelehrt-theologischen Aufputz hat dem Liede zum Vorteil gereicht. III.'Die Ä l t e r e J u d i t h ' Judith war für das ganze Mittelalter ein Vorbild an Glaubenseifer: onfiiium ore usque hodie laude digna triumphat, hat -»Honorius im 'Speculum ecclcsiae' (PL 172, 896 D) bezeugt. Aber so sehr sie in dem nach ihr benannten apokryphen atl. Buch als Werkzeug Gottes und ihre Mordtat als auf sein Geheiß geschehend und nur mit seiner Hilfe gelingend hingestellt ist, die Rachegeschichte als solche war weder besonders moralisch noch besonders christlich. Obwohl der Handlungsablauf der Quelle im großen ganzen beibehalten wird, ist im Liede vieles geändert, nicht aus Un-

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kenntnis des Bibeltextes allein, sondern absichtlich. Die Dienerin (abra 'Zofe') heißt nun Ava; der Princeps Ozias ist zu einem namenlosen Burggrafen geworden; der in Jerusalem residierende Hohepriester Eliachim ist durch den Stadtbischof Bebilin ersetzt. Der überlieferte Name der belagerten Stadt, Bethulia, ist dem bekannteren Bathania gewichen. Die Belagerung hat nicht bloß zwanzig Tage, sondern mer danni ein jar (v. 110) gedauert, die Übergabefrist ist von fünf auf drei Tage reduziert, das Verhältnis von Stadtherr und Bürgerschaft deutschen Zuständen angepaßt. Judiths Witwenschaft ist gestrichen: für den Dichter ist sie diz allir schonis wtb (v. 147). Nach der Darstellung der Bibel wird sie dem Holofernes durch die sie aufgreifenden assyrischen Posten zugeführt, ohne daß er sie zuvor gesehen hat. Im Liede ist er es selbst, der sie von weitem erblickt und sogleich in Liebe zu ihr entbrennt. Alles Interesse des Dichters wie der Hörer ist auf das Gegenspiel der beiden Hauptpersonen gerichtet, dessen Ausgewogenheit eine aktivere Judith verlangte. Die biblische fühlt sich als Werkzeug und wartet, daß etwas mit ihr geschieht. Dementsprechend ist es dort Holofernes, der das gemeinsame Mahl als Vorbereitung zur Liebesnacht wünscht, sich vor Freude über Judiths scheinbare Bereitschaft sinnlos betrinkt und so selbst die Voraussetzung für das Gelingen ihrer Mord- und Rachetat schafft. Die Heldin des Liedes wird offiziell zur Frau begehrt; ihr wird nichts Unehrenhaftes zugemutet; sie ist nicht in Gefahr geschändet zu werden. Der listige Anschlag, für dessen Ausführung sie selbst die günstigste Gelegenheit schafft, belastet die legitime Braut mehr als die zur Geliebten einer Nacht Erkorene. Judith wünscht selbst ein besonders üppiges Hochzeitsgelage, und sie ist es, die den Feldherrn und die Seinen trunken macht.

Man ist versucht, an die Gu&run der Atlakvi&a zu denken. Die eifrig verwerteten Anregungen der weltlichen Liedkunst sind mit Händen zu greifen. 'ÄJud.' ist noch so etwas wie ein 'doppelseitiges Ereignislied' im Sinne HEUSLERS. Die Situation, die Belagerung von Bathania, wird nur eben angedeutet. Der Schauplatz wechselt unvermittelt zwischen der israelischen Stadt und dem Lager der Assyrer: die Kommunikation findet an der Mauer statt. Nur Holofernes wird vorgestellt. Die anderen sind einfach da: der Burggraf, der Bürgersprecher, der Bischof Bebilin, selbst Judith. Charakterisiert werden sie durch ihre Taten. Nur den beiden Hauptpersonen ist ein formelhaftes, aber durch seine mehrfache

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'Die Ältere Judith'

Wiederholung einprägsames Attribut beigegeben. Die Handlung verläuft sprunghaft und ermangelt zuweilen der logischen Verknüpfung. Auf das Schicksal des Holofernes ist bereits am Ende der Strr. II und III vorausgedeutet, noch bevor wir etwas von der Heldin erfahren haben (v. 100, 108). Einen anderen Ausgang kann es deshalb nicht geben, weil Holofernes der Widersacher Gottes ist, während Judiths moralisch bedenkliche Tat zum Ziel hat, daz ih disi armin giloubigin l irlosi LOH den heidinin (v. 197 f.). Ein Eingreifen Gottes wird jedoch erst in der Engelserscheinung der hinzugedichteten Str. XIII deutlich. Bis dahin bleibt die religiöse Komponente ziemlich vage. Es wird zwar immer wieder betont, daß Judith zi goti wol digiti, aber das ist formelhaft, und man merkt nicht viel davon. Der Anruf im Augenblick der Tat: nu hilf mir, alwaltintir got (v. 195) ist eigentlich schon alles und den Gebetsleistungen des biblischen Berichts nicht entfernt vergleichbar. Diese Judith dankt ihren Erfolg mehr ihrer weiblichen Verschlagenheit als der Glaubensstärke, aus der die atl. Heldin lebt und handelt. Von einer geistlichen Ausdeutung der Geschichte ist im alten Liede keine Spur. Welche ausschweifenden Möglichkeiten da bestanden, kann man in des -»Hrabanus Maurus 'Expositio in librum Judith' (PL 109, 539-592) nachlesen. IV. B e a r b e i t u n g u n d V e r k n ü p f u n g .

Daß 'ÄJud.' der Schluß fehle (EmusMANN, LG II l, S. 104) oder 'verstümmelt' sei (DE BOOR, LG I 164), kann nur gelten, wenn Str. XIII nicht zum alten Liede gegehörte. Der Hergang der nicht mehr dargestellten Tat ist aus dem Auftrag des Engels zu erschließen. In seinen Worten (v. 203-220) wird alles, was noch zu erzählen war - die Vorbereitung und Ausführung des Mordes und die eilige Flucht aus dem Lager mit dem Kopf des Holofernes als Trophäe -, visionär vorweggenommen. Gegen die Echtheit der überlieferten Schlußstrophe fällt auch der sachliche Widerspruch zwischen dem Befehl des Engels an Judith (v. 205 f.) und dem zuvor berichte-

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ten Stehlen der Waffe (v. 192) ins Gewicht. Sie muß dem Bearbeiter gehören wie die Interpolation aus 'Jüngl.' in Str. VI und das zwischen 'Jüngl.' und 'ÄJud.' eingeschaltete Reimpaar v. 83f., das beide zu verklammern bestimmt ist. Die Möglichkeit zur Verschmelzung der beiden stofflich selbständigen Lieder bot der Name Nabuchodonosor, der beiden Königen zukam, dem babylonischen, der die Jünglinge verbrennen lassen wollte, wie dem assyrischen, der den Holofernes zur Eroberung der Reiche Kleinasiens aussandte. Das gemeinsame Thema ist die Hybris dieses als eine Person verstandenen Nabuchodonosor, der in Gestalt eines Säulengötzen selbst angebetet sein wollte und die seiner Herrschaft widerstrebenden Reiche verwüsten läßt, ut sciat omnis gens quoniam Nabuchodonosor deus terrae est l et praeter ipsum alius non est (Idt 5, 29). Diese superbia wird zweimal zuschanden: das erste Mal an der Glaubenszuversicht dreier israelischer Jünglinge; das zweite Mal, indem ein schwaches Weib seinen gewaltigen Feldhauptmann überlistet und umbringt. Die Tat, vor der das alte Lied abbrach, hat der um den fehlenden Schlußpunkt bemühte Bearbeiter die Heldin nicht mehr auf offener Bühne tun lassen wollen. Er hat sich mit detaillierten Anweisungen im Munde des von ihm eingeführten Engels begnügt, die an ihrer göttlichen Legitimation keinen Zweifel ließen. Indem der Kompilator den Nabuchodonosor des Buches Daniel mit dem des Buches Judith identifizierte, wurden 'Jüngl.' und 'ÄJud.' zu zwei Episoden der Geschichte eines rex injustus, zu dem der wisi Salomon des 'L. S.' das positive Gegenstück war, 'Bild und Gegenbild des berühmtesten und berüchtigsten Königs des Alten Testaments' (HOFMANN, S. 558). V. Form. 'ÄJud.' ist sorgloser gereimt als 'Jüngl.', weist dafür mehr regelmäßige Vierheber auf, die generell sparsamer gefüllt sind, während in 'Jüngl.' silbenreiche und bis zu achthebige Verse mindestens nicht gemieden werden. Der Bearbeiter, der aus beiden Liedern übernahm und beide nachahmte,

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294

'Ältere niederrheinische Marienklage'

verrät sich durch extrem lange und extrem kurze. Was die Taktfüllung anlangt, ist die Hierarchie der Wortarten in 'Jüngl.' strenger beachtet als in 'ÄJud.'. Dagegen scheint die beschwerte Hebung als Kunstmittel nur noch in 'ÄJud.' einigermaßen verständig genutzt zu werden. Die unterschiedliche Akzentuierung von Regelmäßigkeiten ist bezeichnend für die freizügige Handhabung des frühmhd. Reimpaarverses, die prinzipiell nicht in Frage gestellt wird. Die Initialensetzung der Hs. ergibt nach Ausscheidung der Bearbeiterzutaten für 'Jüngl.' sieben Abschnitte von 8 bis 16, für 'ÄJud.' zwölf von 6 bis 14 Versen, die - wie in 'L.S.' und einigen anderen frühmhd. Gedichten - cum grano salis 'Strophen' genannt werden dürfen. Nominale Schmuckmittel und bildkräftige Komposita gibt es in beiden Liedern kaum. Auch die Bevorzugung des Zeilenstils ist ihnen gemeinsam. Des bescheidenen Instrumentariums frühmhd. Syntax, zumal des Satzasyndetons, hat sich der Autor von 'Jüngl.' recht gekonnt bedient. Der 'ÄJud.'-Dichter gab sich mit lockeren, oft undeutlichen Verknüpfungen zufrieden. Stilprägend für 'ÄJud.' sind besonders formelhafte Elemente wie Redeeinführungen, Wahrheitsbeteuerungen, Begleitformeln und Wiederaufnahmen, die ein Indiz für mündliche Komposition und Tradierung und in 'Jüngl.' nur selten anzutreffen sind. Lat. Zitate fehlen (bis auf v. 70f.) ebenso wie paränetische Belehrungen. 'Jüngl.' und 'ÄJud.' sind im frühen 12. Jh. Zeugnisse weitester Annäherung der geistlichen Dichter an die erst viel später wieder literaturwürdig werdende weltliche Erzähltechnik. Der frgm. Überlieferungszustand von 'ÄJud.' könnte auf anfänglich oder zeitweilig mündliche Weitergabe hindeuten. Als Gattungsbestimmung wäre 'geistliche Ballade' für 'ÄJud.' wie für 'Jüngl.' nicht unpassend. VI. L i t e r a t u r . Vollst. Bibliographie bis 1970 in: WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. S. 56-58. - K. HOFMANN, Über d. mhd. Ged. v. Salomon u. Judith, MSB 1871, S. 553-561; A. WAAG, D. Zusammensetzung d. Vorauer Hs., PBB 11 (1886) 109-119; E. SIEVERS, Z. 'ÄJud.', Prager Dt. Stud. 8 (1908) 179-210; A. WALLNER, Pfaffendicht. I.

Salomon u. Judith, PBB 43 (1918) 181-198; H. BIEBRICHER, Zur Metrik d. Ged. 'Memento Mori', 'Ezzos Gesang' u. 'Nabuchodonosor', Diss. Frankfurt 1925, S. 80-133; R. STRÜMPELL, D. Parallelismus als Stilist. Erscheinung i. d. frühmhd. Dicht., PBB 49 (1925) 163-191; DE BOOR, Sprachstil II; H. STEINGER, 'VLII 718-720; U. PRETZEL, Frühgesch. d. dt. Reims, 1941, S. 104-107; W. STAMMLER, Z. staufischen JudithBallade, ZfdPh 70 (1948/49) 32-36; E. HENSCHEL, Z. 'ÄJud.', PBB 73 (1951) 304f. u. 75 (1953) 414-420; H. THOMAS, D. altdt. Strophenbau u. d. unliturg. Sequenz, Fs. Pyritz, 1955, S. 13-20; W. SCHRÖDER, Z. Form d. 'Lob Salomons' genannten frühmhd. Ged., Abh. d. Marburger Gelehrten Ges., Jg. 1971, Nr. 2; ders., D. 'Jüngl.'. D. 'ÄJud.'. Überl. - Stoff - Form, Abh. d. Mainzer Ak. d. Wiss.n u. d. Lit., 1976, Nr. 5.'

W. SCHRÖDER 'Ältere niederrheinische Marienklage' Überlieferung. Hannover, LB, cod. I 81,134v-137r, Perg.,13.Jh. (-» Werner v. Niederrhein); Kölner Druck von 1513. Ausgaben. W. GRIMM, unsir vrowen clage, ZfdA l (1841) 34-39 (Abdruck aus cod. I 81); Kollation: K. KÖHN, ZfdA 34 (1890) 46f.; O. SCHADE (Hg.), Geistl. Ged. d. XIV. u. XV. Jh.s v. Niederrhein, Hannover 1854, S. 208-213 (nach d. Kölner Druck unter Heranziehung v. cod. l 81).

Das mfrk. Gedicht (153 Verse) trägt wie andere Marienklagen in der Hs. den Titel Unsir vrowen clage, ist aber mit der in der Literatur als -»· 'Unserer Frauen Klage' bekannten, viel umfangreicheren Dichtung nicht verwandt. Es stellt sich als eine monologische Klage der Maria dar, in deren Worten sich Leiden und Tod Christi in inniger compassio widerspiegeln. In den letzten drei Strophen wendet sie sich an die Gemeinde (dochtere von Syon, v. 130) und weckt aus dem Leiden die Hoffnung auf neues Leben in der Gnade. Das Gedicht, dem eine kritische Ausgabe nicht zuteil wurde, ist in Reimpaaren abgefaßt, sucht aber die Sequenzform der lat. Vorlage nachzubilden (SEEWALD, S. 23 f.). Die Quelle, der sich der mfrk. Dichter, von wenigen Umstellungen abgesehen, ziemlich eng anschließt, ist die Sequenz Planctus ante nescia Gottfrieds von Breteuil, der 1196 als Subprior von St. Victor starb. Das mfrk. Gedicht ist die älteste Übertragung dieser vielfach benutzten Vor-

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Altfrid von Münster - 'Althochdeutscher Isidor und Monsee-Wiener Fragmente'

läge, hat aber auf die späteren deutschen Marienklagen keinen nachweisbaren Einfluß ausgeübt. Es dürfte Anfang 13. Jh. entstanden sein. .. L i t e r a t u r . A. SCHÖNBACH, Über d. Marienklagen, 1874, S.5-9; A. MÜLLER, D. niederrhein. Marienlob, Diss. Berlin 1907, S. 119-122; G. SEEWALD, D. Manenklage im mlat. Schrifttum u. in den germ. Literaturen d. MAs, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 22-24.

HANS EGGERS 'Der Ältere Physiologus' -»'Physiologus' Altfrid von Münster 1. Dritter Bischof von Mimigernaford/ Münster (seit 839), Verwandter (nepos] des Gründerbischofs —»Liudger (|809), daher wohl gleichfalls friesischer Herkunft. Da er Liudger nicht mehr persönlich kannte (Prolog der Vita), kaum vor 800 geboren. Die Schulbildung erwarb er wahrscheinlich in Utrecht. Als Bischof zugleich Abt des Familienklosters Werden, starb er am 22.4. 849; Grab in Werden. Jüngere Münsterer Überlieferungen über seine bischöfliche Tätigkeit sind historisch wertlos (ÜIEKAMP, S. XVI f.). 2. 'Vita L i u d g e r ' Ü b e r l i e f e r u n g . Leiden, ÜB, cod. Voss. lat. 4° 55, aus Werden (L); Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 4.3 Aug. 4° (W); Gießen, ÜB, cod. 643 (wohl aus L). Die von DIEKAMP, S. XXXII f. beschriebene zweite Wolfenbiittler Hs. (64.6 Heimst.) hat sich als Abschrift des Erstdrucks von 1668 erwiesen (HAUCK, S. 397ff.). Dagegen wurde eine Kopie des verlorenen, textgeschichtlich wichtigen cod. Budecensis (B) in einer Sammelhs. des 17.Jh.s (heute Wolfenbüttel, Staatsarch., cod. VII B 96) entdeckt (HAUCK, S.400ff.). A u s g a b e n : Rep. font. II 202. Zu benutzen: W. DIEKAMP, Die Vitae sancti Liudgeri (D. Geschichtsquellen d. Bisthums Münster 4), 1881, S. 3-53. Die krit. Grundlagen dieser Ausg. sind durch HAUCK, S. 396ff., teilweise überholt.

3. A., der sich in einem Widmungsbrief an die Mönche von Werden selbst nennt, muß auf Grund verschiedener Formulierungen als diktierender Verfasser gelten (HAUCK, S. 341 ff.); die Abfassungszeit ist innerhalb seines Pontifikats nicht näher einzugrenzen. In zwei Büchern behandelt er das Leben Liudgers sowie dessen Wundertaten nach dem Tode, wobei der Schluß

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des 2. Buches möglicherweise unvollendet oder in der Überl. entstellt ist (DIEKAMP, S. XIXf.). Insgesamt ist die Vita eine wertvolle Quelle zur Christianisierung Sachsens in der Sicht der dritten Generation. Als seine Gewährsleute nennt A. im Prolog namentlich mehrere (verstorbene) Verwandte und Gefährten Liudgers, als formales Vorbild diente vor allem -> Alkuins 'Vita Willibrordi' (s. IX 1) (mit wörtlichen Übernahmen), daneben mindestens noch Liudgers 'Vita Gregorii'. Die Sprache ist einfach und gefällig. 4. Benutzt ist A.s Werk vor 864 in der ältesten 'Vita Lebuini', sodann in den jüngeren Viten Liudgers (BHL Nr. 4939-4944), die im 9.-12.Jh. sämtlich in Werden entstanden sind (DIEKAMP, S. 54ff.). L i t e r a t u r . BHL Nr.4937; MANiTius,LGI 702f.; K. HONSELMANN, Die Annahme d. Christentums durch d. Sachsen im Lichte sächs. Quellen d. 9. Jh.s, Westfäl. Zs. 108 (1958) 210; K. HAUCK, Zu geschichtl. Werken Münsterscher Bischöfe, in: Monasterium, Fs. 700jähr. Jubiläum d. Münsterer Domes, 1966, S. 335—426 (grundlegend); B. SENGER, Liudger in der Utrechter Väter-Tradition, in: Studia Westfalica, Fs. A. Schröer, 1973,5.341-353.

RUDOLF SCHIEFFER

'Althochdeutscher Isidor und MonseeWiener Fragmente' Eine Gruppe von zusammengehörigen ahd. Übersetzungen, Ende des 8. Jh.s. 1. I n h a l t und Ü b e r l i e f e r u n g . Zu den ahd. Übersetzungen der Isidor-Gruppe zählen 1. die Übersetzung eines Teils von Isidors v. Sevilla Traktat 'De fide catholica ex veteri et novo testamento contra ludaeos' (= Is) in der Hs.2326 der Bibl. Nat. Paris (= P); 2. die Monsee-Wiener Fragmente (= 'Fragmenta theotisca'; abgekürzt M, F; hier MF); diese befinden sich, abgesehen von zwei Blättern (Ms. 1.20 der Niedersächs. LB Hannover), in Wien, cod. 3093*. Die Bruchstücke der aus dem Kloster Mondsee stammenden Handschriften ?) enthalten Reste einer ahd. Übers, des Matthäus-Evangeliums, einer vermutlich im ausgehenden 8. Jh. entstandenen zweiteiligen Abhandlung (von den ersten Hgg. ENDLICHER und HOFFMANN 'De vocatione gentium' genannt), des Schlusses eines nicht weiter bekannten Textes predigtartigen Charakters, der Predigt LXXVI des Augustinus und der Anfangspartien des oben genannten Traktats des Isidor. Wörter und Sätze aus den Übersetzungen des Matthäus-Evangeliums, des Is-Traktats und der Abhandlung 'De vocatione gentium' sind in das Glossar

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'Althochdeutscher Isidor und Monsee-Wiener Fragmente'

Je der Hs. Oxford, BL Jun. 25 eingegangen. Alle Monseer Texte waren wie der Text des Is-Traktats P zweisprachig (lat.-ahd.) angelegt.

Bei P wie bei MF handelt es sich um Abbzw. Umschriften von bilinguen Vorlagen. Der ahd. Dialekt und die sehr durchdachten und konsequent durchgehaltenen Schreibreglungen der Vorlagen sind kaum verändert in der Abschrift P erhalten. Die Monseer Umschrift bewahrt zwar den ahd. Wortlaut der Vorlagen, die dialektfremden Sprachformen und die Orthographiereglungen der Vorlagen sind jedoch mehr oder weniger konsequent durch bairische Sprachformen und Schreibungen ersetzt worden. 2. E d i t i o n e n . Der ahd. Isidor: G.A. HENCH, D. ahd. Isidor. Facsimile-Ausg. d. Pariser Codex ... mit Einleitung, grammatischer Darstellung u. einem ausführlichen Glossar, Straßburg 1893; H. EGGERS, D. ahd. Isidor. Nach d. Pariser Hs. u. d. Monseer Fragmenten (ATB 63), 1964 (S. IX-XIII zu den älteren Editionen) ; ders., Ein neues Blatt d. Monseer Fragmente, Fs. H. de Boor, 1971, S. 33-38. - Die Monsee-Wiener Fragmente: G.A. HENCH, The Adonsee Fragments, newly collated text with introduction, notes, grammatical treatise and exhaustive glossary and a photolithographic fac-simile, Straßburg 1890 (S. VI-IX z. d. älteren Editionen).

3. Seit der Erstausgabe der Fragmente (i. J. 1834) stand fest, daß die Is-Übersetzung und die übrigen Übersetzungen aus der Monseer ,Hs. sprachlich eng zusammengehören und damit auf gemeinsamen Ursprung weisen. Die Forschung hat, besonders seit HENCHS wissenschaftlich verläßliche Ausgaben vorlagen, die Lösung folgender miteinander verknüpfter F r a g e n angestrebt: Stammen die Originalübersetzungen, auf welche die Monseer Fragmente und die Pariser Abschrift zurückgehen, von einem Übersetzer oder von mehreren? (s. u. 4) - In welchem ahd. Dialekt sind die Übersetzungen abgefaßt worden? (s. u. 5) - Wo und wann sind die Übersetzungen entstanden? (s. u. 6) 4. Das Problem der V e r f a s s e r s c h a f t . In der Frage, ob die Übersetzungen als Werke eines Verfassers oder mehrerer Verfasser zu gelten haben - man hat an einen Lehrer und einen oder mehrere Schüler, aber auch an eine Übersetzerschule gedacht -, schien ein Konsens in der For-

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schung lange nicht erreichbar. Für eine Mehrzahl von Übersetzern traten ein: KELLE, KLEMM, LEITZMANN, SIEVERS, EGGERS, 1960, und KIRSCHSTEIN; sie stützten sich auf unterschiedliche Kriterien (graphematischer, lautlich-morphologischer, schallanalytischer und syntaktischer Natur) und hoben Unterschiede zwischen der Is-Übersetzung und den übrigen Stücken in der Sprachbeherrschung und Übersetzungskunst sowie im Lateinverständnis hervor. Für einen Verfasser aller Übersetzungen sprachen sich STEINMEYER und neuerdings MATZEL (1966, 1970) und DELBONO (1968, 1973) aus. Die Sprache der nichtbair. Vorlagen läßt sich aus MF fast durchweg mit einem hohen Grad an Sicherheit zurückgewinnen. Sie stimmt in ihrer Orthographie und im lautlichen, flexivischen und lexikalischen Bestand fast völlig mit der Sprache des Typus überein, den P bewahrt, und erweist sich somit als die Sprache e i n e r Persönlichkeit. Gestützt wird diese Auffassung durch die in allen Übersetzungen in übereinstimmender Weise von den orthographischen und lautlich-flexivischen Normen feststellbaren Abweichungen, die eher als Inkonsequenzen des Grammatikers, welcher zugleich der Übersetzer war, als durch die Annahme mehrerer Übersetzer zu erklären sind. Auch in Syntax, Stil und Übersetzungstechnik weisen die Übersetzungen zahlreiche und auffällige Übereinstimmungen auf (STEINMEYER, MATZEL, 1970, LIPPERT). Wo dennoch Unterschiede in der Sprachbehandlung und -beherrschung zu beobachten sind (vor allem zwischen dem ahd. Matth. und Is), sind diese gesondert zu erklären (s. dazu u. 7). 5. Die S p r a c h e der Ü b e r s e t z u n g e n in dialektgeographischer Hinsicht. Die Schriften der Is-Gruppe sind die ältesten Zeugnisse einer theologischen Übersetzungsliteratur in deutscher Sprache aus der Zeit Karls d. Gr.; die konsequent durchgeführte Regelung der Orthographie und die Einhaltung grammatischer Normen lassen den Willen zu einer überlegt-gewissenhaften Sprachbehandlung erkennen. Die Orthographie ist auf den ahd. Dialekt des Übersetzers zugeschnitten. Die Frage, wo dieser Dialekt zu lokalisieren ist, ist zu

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'Althochdeutscher Isidor und Monsee-Wiener Fragmente'

trennen von der Frage nach dem Entstehungs- und Herkunftsort der Übersetzungen, denn der Übersetzer kann auch außerhalb seines Dialektbereichs gewirkt haben (s.u.6). Nachdem die These, die Übersetzungen seien sprachlich im südelsässischen Kloster Murbach zu beheimaten, von KIRSCHSTEIN überzeugend entkräftet worden war, standen noch vier Lokalisierungsvorschläge zur Diskussion: 1. Die Sprache ist rheinfränkisch und weist auf einen größeren Umkreis von Mainz. 2. Die Sprache ist südrheinfränkisch und weist entweder nach Metz oder in das deutsche Sprachgebiet nahe der damaligen romanischen Sprachgrenze (St. Avoid, Hornbach). 3. Die Sprache ist 'westfränkisch', nach KIRSCHSTEIN örtlich nicht festlegbar und nur allgemein als Sprache der 'in altem romanischen Sprachgebiet ansässigen Siedler- und Erobererschicht' zu charakterisieren. 4. Die Sprache ist das 'Mittelfränkische der Oberschicht' ( , 1963 und 1967); diese These steht der erstmals von MÜLLENHOFF vertretenen Auffassung nahe, es habe eine Art beschränkter Verkehrssprache des Karolingerhofes existiert, die sich von der mundartlichen Grundlage gelöst habe. Die divergierenden Auffassungen über den dialektgeographischen Charakter der Sprache hat man u.a. damit zu erklären versucht, daß es an ahd. Quellen fehle, die sprachlich mit den Übersetzungen vergleichbar seien. Das trifft jedoch nur eingeschränkt zu. Soweit der Lautstand in dem eigentümlichen Graphemsystem mit Sicherheit zu erkennen ist, weist er in den südrheinfränkischen Bereich. Besonderheiten des Schreibsystems, die aus romanischer Sprachumgebung gedeutet worden sind (zuletzt KIRSCHSTEIN), finden sich verstreut auch in anderen ahd. Quellen des Westsaums; die wichtigste Orthographiereglung des Übersetzers (die Unterscheidung von dentalen Affrikaten und Frikativen) zielt indes auf eine Unterscheidung von Lauten, die eindeutig nur ahd. sind. In der Morphologie (der freien Morpheme und der Flexive) ist ein Nebeneinander von Elementen zu beobachten, die im Alem. Entsprechungen haben, und solchen, die auf nördliche (mittel- und nie-

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derfrk., sogar nordseegerm.) Zusammenhänge weisen. Die erstmals von KÖGEL vorgetragene, in der Folgezeit vereinzelt aufgegriffene und von MATZEL, 1970, zusätzlich begründete Auffassung, die Sprache sei im Bereich des westlichen südrheinfränkischen Lothringens zu lokalisieren (Metz, St.Avoid, Hornbach), versucht der Tatsache Rechnung zu tragen, daß in diesem Bereich das Zusammentreffen südlicher, alemannischer und nördlicher, fränkischer Sprachelemente am ehesten geschichtlich zu erklären ist. 6. E n t s t e h u n g s z e i t und -ort. Von LACHMANN, MÜLLENHOFF und SCHERER (1863, 1874) sind die Übersetzungen mit den kulturellen Bestrebungen, deren Mittelpunkt der Hof Karls d. Gr. war, in Verbindung gebracht worden. Direkte Anhaltspunkte für ihren Entstehungsort konnten bisher noch nicht gewonnen werden, weil u.a. die Suche nach dem Scriptorium, in dem P entstanden ist, erfolglos war (dazu BISCHOFF, 1965 u. 1971; MATZEL, 1970) und weil es noch nicht gelungen ist, den lat. Evangelientext der unmittelbaren Vorlage der ahd. Matthäus-Übersetzung - einen Text des nordfranzösischen Typus (dazu MATZEL, 1965 u. 1970) - identisch wiederzufinden. Man darf aber wohl aus der Verbreitung der Abschriften der Übersetzungen Rückschlüsse auf den Ort ihrer Herkunft ziehen. Dabei sind folgende Daten wichtig: kurz nach 800 Abschrift von P; um 810 Kopien in Mondsee; Einwirkung auf die Vorlage des um 820 entstandenen Murbacher Glossars Je. In das Kloster Mondsee sind die Vorlagen der Übersetzungen aller Wahrscheinlichkeit nach durch fiildebold von Köln gelangt, der als Erzkapellan Karls d. Gr. höchster Kirchenbeamter des Reiches und zugleich Abt von Mondsee (a. 803-813) war. Die rasche Verbreitung der Übersetzungen wird verständlich, wenn man nach dem Vorgang BISCHOFFS, 1965, annimmt, daß sie von der Hofbibliothek ausgingen. Vom Gehalt der übersetzten Schriften aus läßt sich schließen, daß sie in der kirchlichkulturellen Situation des letzten Jahrzehnts des 8. Jh.s von nicht geringer Aktualität waren. Das gilt für das Matthäus-Evangelium als Teil der Heiligen Schrift, für den

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'Althochdeutscher Isidor und Monsee-Wiener Fragmente'

Traktat 'De vocatione gentium', in dem das Recht der barbaricae locutiones vor Gott vertreten wird und der sich darin eng mit einer Bestimmung des Frankfurter Konzils von 794 berührt, und für den Is-Traktat wegen seiner Bedeutung in der Auseinandersetzung mit der Irrlehre der spanischen Adoptianisten: von -»Alkuin (s. V 2) selbst wird der Kirchenvater Isidor den Häretikern entgegengehalten. Träger der Auseinandersetzung mit den Adoptianisten war nur die intellektuelle und geistliche Führungsschicht, der Hof und die mit ihm in Verbindung stehenden Gelehrten (FLECKENSTEIN). In diese Schicht weist auch der literarische Rang der Übersetzungen. Das Können des Übersetzers bewährt sich an theologischen Texten verschiedenartigen Charakters und unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades und hebt sich deutlich von den bis dahin in den Klöstern befolgten Interlineartechniken ab. Für die sorgfältig geregelte Orthographie der Originalübersetzungen ist vonBAESECKEundMATZEL, 1970, ein Zusammenhang mit der Nachricht —»Einhards (Vita Karoli Magni, cap. 29) vermutet worden, wonach Karl d. Gr. u.a. 'den Grund zur grammatischen Beschäftigung mit dem patrius sermo gelegt hat'. Daß in den Übersetzungen der südrheinfränkische Dialekt Lothringens zum Gegenstand grammatischer Reglungen gemacht worden ist, findet möglicherweise seine Erklärung darin, daß die 'Vätersprache' (d.h. die Sprache der Vorfahren) Karls d. Gr. die Sprache von Metz war. Die sehr engen persönlichen Bindungen des Herrschers an Metz, die Stadt seiner Vorfahren, sind bekannt (dazu zuletzt zusammenfassend OEXLE). Ob der Grammatiker und Übersetzer in seiner sprachlichen Heimat Lothringen oder am (bis 794/795 beweglichen) Hof gewirkt hat, ist nicht ermittelt.

7. Würdigung der Ü b e r s e t z u n g s l e i stung. 'Als früheste Denkmäler einer selbständigen Übersetzungsprosa von erstaunlicher Sprachbeherrschung in der Genauigkeit der Übertragung wie in der eigenen Gestaltung' (SONDEREGGER) werden alle Übersetzungen der Isidor-Gruppe erst neuerdings gewürdigt. Während früher stets 'die einsame Höhe der geistigen Leistung' (DE BOOR) des Übersetzers des Is-Traktats betont worden ist, schwankten die Urteile über die Qualität der übrigen übersetzten Texte. Die vergleichende Würdigung aller Übersetzungen muß jedoch unterschied-

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lichen Übersetzungszielen ebenso wie dem unterschiedlichen Charakter der übersetzten lat. Texte Rechnung tragen. Die von STEINMEYER hervorgehobene 'geringere Freiheit des Ausdrucks' im ahd. Matthäus zeigt sich auch in den Bibelzitaten des IsTraktats (RANNOW, FOURQUET) ; sie ist (mit EGGERS, 1963) nicht aus Unvermögen des Übersetzers, sondern aus der 'planvollen Absicht' zu erklären, die Diktion des heiligen Textes zu wahren. Im übrigen sind weder das Matthäus-Evangelium noch die anderen Monseer Stücke indurchwegs enger Anlehnung an Syntax und Stil der lat. Vorlagen übertragen worden; Beispiele für die flexible Kunst des Übersetzers wurden zusammengestellt und behandelt von HAUPT, SEEDORF, WALTHER, SONNLEITHNER, EHRISMANN, EGGERS, 1963, MATZEL, 1970, und LIPPERT. L i t e r a t u r . Ausführlichere Bibliographien bieten K. MATZEL, Unters, z. Verfasserschaft, Sprache u. Herkunft d. ahd. Übersetzungen d.Isidor-Sippe (Rhein. Arch. 75), 1970, S. 15^4 und J. LIPPERT, Beitr. z. Technik u. Syntax ahd. Übersetzungen unter besonderer Berücksichtigung d. Isidorgruppe u. d. ahd. Tatian (Medium Aevum 25), 1974, S. 195-203. B e s c h r e i b u n g e n der H ss. Is: HENCH, 1893 (s.o. 2), S.X-XII; EGGERS (s.o. 2),S.VI-IX; H. FISCHER, Schrifttafeln z. ahd. Leseb., 1966, S. 7*f. -MF: HENCH, 1890 (s. o.2),S. V-XXV; MENHARDT, Hss., S. 877-879; FISCHER (s.o.), S.8*. V e r f a s s e r s c h a f t . KELLE, LG I 95; E.STEINMEYER, Isidor u. Fragmenta Theotisca, in: Unters, u. Quellen z. germ. u. rom. Philologie, J. Kelle dargebracht, l. Teil, Prag 1908, S. 147-163; E. KLEMM, Satzmelodische Unters, z. ahd. Isidor, PBB 37 (1912) l - 78, hier S. 29 bis 31; A. LEITZMANN, Isidor u. Matthäus, PBB 40 (1915) 341-345; E. SIEVERS, Neue ahd. sagverstexte, PBB 52 (1928) 171-208, hier S. 181-183; H. EGGERS, Vollständiges lat.-ahd. Wörterbuch z. ahd. Is-Übers., 1960, S. XIII; B. KIRSCHSTEIN, Sprach!. Unters, z. Herkunft d. ahd. Isidorübers., insbesondere z. 'Murbacher These', PBB (Tüb.) 84 (1962) 5-122, hier S. 16 mit Anm. 43; K. MATZEL, Ein ahd. Grammatiker, Die Sprache 12 (1966) 144-181, hier S. 145; F. DELBONO, Osservazioni sulP 'Isidoro' in antico altotedesco, Studi Medievali 9 (1968) 277-319; MATZEL, 1970 (s.o.), S. 148-377; F. DELBONO, Rez. von Matzel, 1970, Studi Medievali 14 (1973) 536-538, hier S.537; LIPPERT, 1974 (s.o.), passim. S p r a c h e der Ü b e r s e t z u n g e n . Zu den verschiedenen Lokalisierungsvorschlagen s. MATZEL, 1970 (s.o.),S.378-398.-FernerKIRSCHSTEIN (s.o.),S. 8-14; W. MITZKA, Die mfrk. Denkm. d. ahd. Lit., Zs. f.

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'Althochdeutsche Lex Salica'

Mundartforsch. 30 {1963} 31-36; W. BRAUNE/W. MITZKA, Ahd. Grammatik, 121967, §6c. - Zur 'karolingischen Hofsprache': 'MSD, S.XVIII; 3MSD, S. XXIII; K. MATZEL, D. Problem d. 'karlingischen Hofsprache', Fs. H. de Boor, 1971, S. 15-31. - Zum lothringischen Dialekt des Übersetzers: R. KÖGEL, LG I 2, S. 486^93; MATZEL, 1970 (s.o.), S. 398^68. E n t s t e h u n g s z e i t und -ort. K. LACHMANN, Z. d. Nibelungen, Berlin 1836,S. 353 Anm. 2; W.SCHERER, Über d. Ursprung d. dt. Litt., in: Vorträge u. Aufsätze z. Gesch. d. geistigen Lebens in Deutschland u. Österreich, 1874, S. 84f. (vgl. dazu EHRISMANN, 2LG I 286); 3 MSD, S. 350 f.; G. BAESECKE, D. Karlische Renaissance u. d. dt. Schrifttum, DVjs 23 (1949) 142-216, hier S. 147f.; J. FLECKENSTEIN, D. Bildungsreform Karls d. Gr. als Verwirklichung der norma rectitudinis, 1953 (vgl. dazu K. MATZEL, Karl d. Gr. u. d. lingua theodisca, Rhein. Vjbll. 34 [1970] 181-183); K. MATZEL, D. lat. Text d. Matthäus-Evangeliums d. Monseer Fragmente, PBB (Tüb.) 87 (1965) 289-363; B. BISCHOFF, Panorama d. Hss.überl. aus d. Zeit Karls d. Gr., in: Karl d. Gr. Lebenswerk u. Nachleben II, 1965, S. 243 Anm. 71; ders., D. Hofbibl. Karls d. Gr., ebd. S. 42-62; O.E. OEXLE, D. Karolinger u. d. Stadt d. hl. Arnulf, Frühmal. Stud, l (1967) 250-364; MATZEL, 1970 (s. o.), S.82-99; B. BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 131 f. Ü b e r s e t z u n g s l e i s t u n g . M. HAUPT, Wiener Jbb. d. Litt. 67 (1834) 190-198; H. SEEDORF, Über syntaktische Mittel d. Ausdrucks im ahd. Isidor u. verwandten Stücken, 1888; M. RANNOW, Der Satzbau d. ahd. Isidor im Verhältnis z. lat. Vorlage, 1888, S. 8; WALTHER, Bibelübers. III 441-446; STEINMEYER (s.o.), S. 155; EHRISMANN, LG I 283; J. FOURQUET, L'ord re des elements de la phrase en germanique ancien, Paris 1938, S. 124; W. SCHRÖDER, Z. Passivbildung im Ahd.,PBB (Halle) 77(1955) 1-76,hierS.l-53;DEBooR, LG I 33; R. SONNLEITHNER, D. Mondseer Bruchstücke d. ältesten hd. Evangelienübers., Fs. d. Nationalbibl. Wien, 1962, S. 802f.; H. EGGERS, Dt. Sprachgesch. I: Das Ahd., 1963, S.201-208 (dazu jetzt LIPPERT [s.o.], S. 188-193); MATZEL, 1970 (s.o.), S.298-371, bes. S.358-365; LIPPERT (s.o.), passim; S. SONDEREGGER, Ahd. Sprache u. Lit., 1974, S. 102-104.

KLAUS MATZEL 'Althochdeutsche Lex Salica' Bruchstück einer Übersetzung, Anfang 9. Jh. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Doppelbl. von 4 Seiten in der StB Trier aus dem frühen 9.Jh. (Signatur: Ahd. und mhd. Frgm.e Mappe Nr. 4), i. J. 1850 aus dem inneren Deckel der Inkunabel Nr. 1072 (heute Nr. 200') abgelöst, mit Provenienzvermerk des ausgehenden 15. Jh.s auf S. 2 'Codex monasterii scti Maximini archiepi-

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scopi prope Trevirim situati', somit aus dem Trierer Kloster St. Maximin OSB stammend, dessen Bücherkatalog 11. Jh.s unter Nr. 137 - wie LAUFNER entdeckt hat - einen Codex als liber Theutonicus aufführt. Damit dürfte erwiesen sein, daß der frgm. ahd. Text zu einer vollständigen Übers, der 'Lex Salica' gehörte, worauf auch das ahd. verfaßte Titelverzeichnis hinweist. Weitere Textfrgm.e des ursprünglichen Codex konnten bis jetzt nicht gefunden werden. 2. E d i t i o n e n . MSD Nr.LXV (mit lat. Text); STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr. X (mit lat. Text); K. A. ECKHARDT, Pactus legis Salicae II 2,1956, S. 470 bis 474 (lat.-ahd. Paralleltext mit lat. Lesearten); SONDEREGGER, S. 113-122 (diplomat. Text mit Photographic, hier auch Angaben über ältere Abdrucke seit 1850).

3. E i n o r d n u n g . Das Bruchstück enthält die Übers, der karolingischen, 802/803 entstandenen Fassung der lat. 'Lex Salica' (Lex Salica Karolina in 70-Titeln, Textklasse K der seit dem frühen 6. Jh. überlieferten Lex Salica). Der lat. Grundtext enthält viele altfrk. Rechtswörter, obwohl die sog. 'Malbergische Glosse' (westfrk.-volkssprachliche Einschiebsel in z.T. verderbter Überl.) der älteren Fassungen ausgestoßen ist. Die ahd. Übers, stellt den einzigen volkssprachlichen Text einer südgerm.-kontinentalen Lex des FrühMAs dar und wird in der 'Lex-Salica'-Forschung als Textklasse V (nur diese Hs.) bezeichnet. Das Frgm. enthält den Schluß des Titelverzeichnisses (Titel LXI-LXX), Kap. I (De mannire, ahd. her ist fön ment 'Von der Ladung') sowie knapp die Hälfte von Kap. II (De furtis porcorum, ahd. fön diubiu suino 'Vom SchweinediebstahP). Entgegen der älteren Zuweisung des Denkmals nach Fulda oder Aachen ist nach B. BISCHOFF die vorliegende Hs. der Mainzer Schreibschule etwa des 2. Viertels des 9. Jh.s zuzuordnen. Die sprachlichen Kriterien zeigen ein Ahd. des frühen 9. Jh.s. Die Entstehung dieser Übers, ist auf Karls d. Gr. gesetzgeberische und volkssprachliche Impulse zurückzuführen, die schon die lat Neuredaktion von 802/803 bestimmten. Die Übersetzungstechnik zeichnet sich durch flüssige Selbständigkeit gegenüber den Konstruktionen der Vorlage aus, mit Stilelementen der germ. Rechtssprache wie Stabsetzung und figura etymologica. Merowingische Rechtswörter der lat. Vorlage werden z.T. volkssprach-

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'Althochdeutsche Predigtsammlungen A-C'

lieh erneuert. Das Denkmal darf nach Übersetzungskunst und ursprünglichem Umfang als ältestes und bedeutendstes Zeugnis der ahd. Rechtssprache bezeichnet werden. L i t e r a t u r . G. BAESECKE, Vor- u. Frühgesch. d. dt. Schrifttums II, 1950, S. 66f.; R. LAUFNER, Vom Bereich d. Trierer Klosterbibl. St. Maximin im HochMA, Armaria Trevirensia, Beitr. z. Trierer Bibl.gesch., 1960, S. 23, 32-33; S. SONDEREGGER, D. ahd. Lex-SalicaÜbers., Fg. Wolfgang Jungandreas (Schriftenreihe z. Trierischen Landesgesch. u. Vk. 13), 1964, S. 113-122 (hier ältere Lit.); W. BETZ, Karl d. Gr. u. d. lingua theodisca, in: Karl d. Gr., Lebenswerk u. Nachleben II, 1965, S. 303; R. SCHMIDT-WIEGAND, D. Malbergischen Glossen der Lex Salica als Denkmal d. Westfrk., Rhein. Vjbll.33 (1969) 420f.; B. BISCHOFF,Paläograph. Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 106.

STEFAN SONDEREGGER 'Althochdeutsche Predigtsammlungen A-C' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2681, lr-2v (A); 212ra-212vb u. 232rb-235vb (B); München, cgm 5248,3, Bl. l, 2, 5, 6 (A) und Frgm. 1-5 (C); Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Hs. 42561 (olim Kupferstichkabinett 3709 u. 3710) (C). Aus dem 11. Jh. sind in z.T. stark bruchstückhafter Form vierzehn Predigten in bairischer Sprache überliefert, die drei ursprünglichen Sammlungen, A, B und C, angehören. Zwei Predigten der -Gruppe sind auf zwei Blättern erhalten, die in verkehrter Reihenfolge der Wiener Hs. von -> Notkers d. Deutschen Psalmen (cod. 2681) vorgebunden sind. In dieselbe Hs. sind auf Bl. 212 u. 232-235 von einer dort sonst nicht begegnenden Hand die vier Predigten der Sammlung B eingetragen. Weitere Reste der Sammlung A sowie Fragmente der bis dahin unbekannten Sammlung C wurden im 19. Jh. auf Perg.streifen entdeckt, die um 1500 zum Einbinden mehrerer aus Wessobrunn stammender Bücher verwandt worden waren und heute teils in der Bayerischen Staatsbibliothek, teils im Germanischen Nationalmuseum aufbewahrt werden. 2. A u s g a b e n . MSD Nr. LXXXVI; STEINMEYER, Sprachdenkm. Nr. XXX (A), XXXII (B), XXXIII (C) (zit.). Weitere Ausgaben bei MORVAY/GRUBE.

3. Den Schreiber der Sammlung C identifizierte STEINMEYER, S. 180, mit dem der BGruppe, den er zudem derselben Schreibschule zuwies wie den der -Gruppe, wobei er aber gewisse sprachliche Unterschiede zwischen A, B und C feststellte. Somit wären wahrscheinlich an demselben Orte Predigten aus drei verschiedenen Sammlungen ausgeschrieben worden. Alle

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drei Hss. waren nachweislich um 1500 in Wessobrunn, und es spricht nichts gegen Wessobrunn als Entstehungsort der deutschen Texte. 4. Die drei Stücke der -Gruppe handeln von dem Witwenstande, der Reue und dem Fegefeuer. Sie gehen auf eine augustinische und zwei pseudoaugustinische Predigten zurück (-»· Augustinus III. 12. a., vgl. MORVAY/ GRUBE, T 4); dem deutschen Übersetzer lag wahrscheinlich eine lat. Sammlung vor, die Predigten von Caesarius von Arles neben Bearbeitungen von augustinischen enthielt. Die B-Predigten handeln von der Aussendung der siebzig Jünger (Lc 10, 1—9), den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16), dem Gleichnis des Sämanns (Lc 8, 4-14) und der Heilung des Blinden auf dem Weg nach Jerusalem (Lc 18, 31^3). Zugrunde liegen anscheinend Homilien Gregors d. Gr. (MORVAY/GRUBE, T 5). Die drei ersten Predigten der C-Gruppe handeln von der Versuchung Jesu (Mt 4, 1-11), der Begegnung mit dem kanaanäischen Weibe (Mt 15, 21-28) und der Austreibung der bösen Geister (Lc 11, 14-26). Die fünfte beruht auf c. 7 der Benediktinerregel und behandelt die zwölf Staffeln der Demut. Diese Gruppe schöpft anscheinend z. T. aus Homilien Bedas (MoRVAY/GRUBE, T 5). B 2-A entsprechen den Perikopen für Septuagesima, Sexagesima und Quinquagesima, C 1-3 denjenigen für die drei ersten Fastensonntage. Falls eine neue Kompilation beabsichtigt war, sollten die Predigten der Sammlung A wohl als sermones quando volueris am Ende stehen. 5. Trotz Latinismen wie imo selbemo sprechentemo (ipso dicente) wird das Latein ziemlich frei wiedergegeben, z.B. Umbe uuaz scolt du nu decheinen man uueinon, sid tu nu bezzera bist, danne du e uuarest (lam nullum plores, filia, quae melior facto, es quam fueras ante). An manchen Stellen scheint der Deutsche das Original ergänzt zu haben, was sich freilich ohne Kenntnis der Vorlage höchstens vermuten läßt. Wo es z.B. in der vermeintlichen Quelle der ersten B-Predigt heißt: quia praedicatio praevenit et tune ad mentis nostrae habitaculum dominus venit, steht

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Altmann von St. Florian

im deutschen Texte: suenne unseriu muot kiluteret uuerdent mit dera heiligen bredige unte mit demo brunnen dera zahire, dara nah chumet er unte pisizzet siu mit sinemo liebte. Daß es sich an dieser und ähnlichen Stellen um Zutaten eines deutschen Predigers handelt, ist nicht erwiesen, obwohl es naheliegt, an die Ausbildung eines deutschen Predigtstils zu denken. Das beste Zeugnis dafür, daß hinter diesen Übersetzungen ein volkssprachlicher Kanzelstil steckt, ist das Vorkommen von Wendungen, die uns aus der geistlichen Dichtung des 9.Jh.s vertraut sind: in der dritten APredigt begegnet z.B. als Übertragung von omnes sancti qui deo fideliter serviunt der Ausdruck alle gotes holden (vgl. -> 'Ludwigslied' 36), und in der ersten C-Predigt wird von Christus gesagt, daz er sinun pichorare firsenchin mähte (vgl. —> 'Muspilli' 45). Daß diese Predigten für Laien gedacht waren, geht wohl aus der Wiedergabe vom monachus der Benediktinerregel durch mennisco in C 5 hervor. 6. Hinter der gefühlsbetonten Wiedergabe eines eher nüchternen Originals hat man cluniazensischen Geist vermutet, und tatsächlich scheint aus diesen Predigten dieselbe werltuirmanida zu sprechen wie aus der 'Bamberger Beichte' ('Ba. B.'; -> 'Bamberger und Erster Wessobrunner Glauben und Beichte'), die auf dieselbe Vorlage zurückgeht wie die in der Wiener Notkerhs. überlieferte 'Erste Wessobrunner Beichte' ('Wess.B.'), und deren Gegenstück -> 'Himmel und Hölle' ( . u. H.') als Produkt der Hirsauer Bewegung gilt. Nicht nur die starke Betonung von Reue und Buße, sondern auch wörtliche Übereinstimmungen mit der Beichte lassen zumindest an eine gemeinsame Geistesrichtung denken, z.B. der uuola lebendo A2, 5 f. (vgl. wolelibe 'Ba. B.' 146, 34); manige ... kiuuirserota A3, 10f. (vgl. in manigero uuirserunga mines ebenchristenen 'Wess.B.' 143, 23 f.); mit herzen unde mit munde A 4, 24 (vgl. mit herzan nob mit munde 'Ba. B.' 148, 1) u. ä. In der dritten -Predigt wird das Fegefeuer zum Unterschied vom irdischen Feuer (daz zekentlicho fiur) als daz euuige fiur bezeichnet, was offenbar besser zum in . u. H.' geschilderten Höllen-

feuer paßt, und mit demo unziloslichen kibente des helliuuizzis (Cl,4) sind vielleicht diu ureissamen dotbant ( . u. H.' 43) zu vergleichen. L i t e r a t u r . Textgeschichte u. Textkritik: MSD II 418^30; STEINMEYER, S.162f., 166f., 172, 178-180. Zum Inhalt: W. WACKERNAGEL, Altdt. Predigten u. Gebete, Basel 1876 (Nachdr. 1964), S. 326-331; R. CRUEL, Gesch. d. dt. Predigt im MA, 1879, S. 96-110; I. SCHRÖBLER, Zu d. Vorlage d. ahd. Predigtsammlung A, PBB 63 (1939) 271-287; STAMMLER, Prosa, Sp.987, 1067;MoRVAY/GRUBE,Predigtbibliogr.,S.5-8(T4-6).

DAVID R. MCLINTOCK Altmann von St. Florian I. Umfassend gebildet, im gelehrten Recht geschult, erscheint A. als eine der schöpferisch vielseitigsten Gestalten des spätbabenbergischen Österreich. Vermutlich um 1150 geboren, besuchte er unter -> Rahewin die Freisinger Domschule und ging möglicherweise zunächst nach Klosterneuburg. Wo er seine theologischen und kanonistischen Studien vertiefte, entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis. 1212 zum Propst des Chorherrenstifts St. Florian (b. Linz) gewählt, ist A. mehrfach in Urkunden faßbar. Sein Lebensende fällt in die Zeit zwischen dem 27.5.1221 und dem 11.4.1223. A. kennzeichnete seine Werke durch das Akrostichon Alttnan. Neben hagiographischen und theologischen Gedichten kommt im Zusammenhang mit der Frührezeption des gelehrten Rechts vor allem seinen kanonistischen Werken Bedeutung zu. Die etablierte Vorstellung von der Existenz eines A.d.Ä. (Anfang des 13. Jh.s) und eines A.d.J. (Ende des 13. Jh.s), auf die das CEuvre A.s aufgeteilt wurde, konnte jüngst korrigiert werden (STELZER) . II. H a g i o g r a p h i s c h e Werke. 1. 'Vita S. Afrae', eine metrische Bearbeitung der Acta der hl. Afra. Als Prolog sind ein Brief A.s an Rahewin (Datierung daher vor 1177) in Disticha und der Gegenbrief in gereimten Hexametern vorangestellt. Ü b e r l i e f e r u n g . Zwettl, Stiftsbibl., cod. 36, 197vb bis 199va. A u s g a b e . Prolog bei STELZER, Anhang II.

2. 'Passio S. Floriani', eine gewandte Bearbeitung der 'Acta S. Floriani' in 479 Hexa-

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Altmann von St. Florian

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metern; anschließend der kurze 'Ritmus de eodem' in trochäischen Trimetern.

Causae 27-36 des 'Decretum Gratiani'; u. a. wurde Huguccio herangezogen.

Ü b e r l i e f e r u n g . St. Florian, Stiftsbibl.,cod.XI220, 208r-21 l v ('Ritmus': 211V). A u s g a b e . H. PEZ, Scriptores Rerum Austriacarum 1,1721, S. 53-61; 'Ritmus'ebd., S.61 f.

Ü b e r l i e f e r u n g . Wien,cod. 2221,45r-55v; Kremsmünster, Stiftsbibl., cod. l, 429r-440r; Admont, Stiftsbibl., cod. 48,23rb-24vc; München, clm 19488, S. 1-16. A u s g a b e . Vorbereitet von WEIGAND; Proben bei ALTMANN, S.49f., und WEIGAND, S.74f.

2. 'Passio S. Blasii'. Ebenfalls gewandte Bearbeitung der 'Acta S. Blasii' in 845 Hexametern. Ü b e r l i e f er ung. St. Florian.Stiftsbibl.,cod. XI220, 218r-221v. A u s g a b e . Prolog, Incipit, Explicit bei MÜHLBACHER, S. 6 f.

III. T h e o l o g i s c h e Werke. 1. 'Kommentar zum Hohenlied'. In dieser mit über 3000 Hexametern umfangreichsten unter den lat. HL-Dichtungen, in der die HL-Literatur souverän verarbeitet wurde, bietet A. 'überhaupt die literarisch glänzendste Darstellung der ekklesiologisch-moralischen HL-Interpretation des MAs'(RlEDLINGER, S. 150).

Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 1133, V-7T; cod. 2228, 89r-141r. Ausgabe. Proben bei MÜHLBACHER,S. 8-13; RIEDLINGER, S. 145 u. 148ff.

2. 'Carmen de consecratione ecclesiae'. Besingt die mystische Bedeutung der einzelnen Teile des Gotteshauses. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2228, 82r-85v; cod. ser. nov. 3611,64V-67V; Vatikan, cod. lat. 2692,65r-68r. A u s g a b e . MÜHLBACHER, S.373-379.

3. 'Versus de beata Virgine'. Kurze scholastische Deduktion, daß auch der Leib Mariens in den Himmel aufgenommen wurde. Kein Akrostichon. Ü b e r l i e f e r u n g . St.Florian, Stiftsbibl., cod. XI 216, 175V; München, clm 16097, 89v-90r.

IV. K a n o n i s t i s c h e Werke. 1. 'Versus decretales'. Inhaltsangabe der Causae 1-26 des 'Decretum Gratiani' in Hexametern; falls von A. verfaßt (kein Akrostichon), sein ältestes kanonistisches Werk. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2221, 55V-60V; Breslau, ÜB, cod. I. F. 179, f. 8-12. A u s g a b e . Probe bei J.F. v. SCHULTE, WSB 65,1870, S. 29.

2. 'Medulla'. Kanonistischer Ehetraktat in fast 700 Hexametern, ausgehend von den

3. Ordo iudiciarius'. Auf die agierenden Personen ausgerichtet und somit an der rhetorischen Tradition (-»Eilbert von Bremen) orientierte Darstellung des Prozeßverfahrens in fast 800 Hexametern, 1204/5 zu datieren. Ü b e r l i e f e r u n g . Kremsmünster, Sfiftsbibl., cod. l, 416r-428". A u s g a b e . Teile bei ALTMANN, S.49f. u. 55-62.

4. 'Ysagoge iuris'. Systematische Bearbeitung des Kirchenrechts auf der Grundlage des 'Decretum Gratiani' und der Dekretalen bis zur Compilatio IV in mehr als 5000 Hexametern. 'Medulla' und Ordo' wurden eingegliedert und zum Großteil wörtlich übernommen. Die jeweils neu publizierten Kirchenrechtsquellen wurden laufend eingearbeitet; die schichtenweise Entstehung kann anhand der Überl. verfolgt werden. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2228, 5 -8 ; cod. ser. nov. 3611, l'-64v; Vatikan, cod. lat. 2692, lv-65r; St. Florian, Stiftsbibl., cod. XI 720, lr-60v; München, clm 16097, f. 1-89, und clm 16098, f. 1-85. A u s g a b e . Proben bei MÜHLBACHER, S.14ff. u. 18 bis 21; die Titelrubriken bei STELZER, Anhang I. L i t e r a t u r . F. ALTMANN, Über einen Ordo iudiciarius vom Jahre 1204, ZRG Rom. Abt. 10 (1889) 44-71; E. MÜHLBACHER, D. literar. Leistungen d. Stiftes St. Florian bis z. Mitted. 19. Jh.s, 1905, S. 2-21 u. 392-394; A. HUEMER, A. v. St. F., Zs. f. d. österr. Gymnasien 56 (1905) 1057-1064; H. RIEDLINGER, D. Makellosigkeit d. Kirche in d. lat. Hoheliedkommentaren d. MAs (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie u. Theologie d. MAs 38/3), 1958, S. 145-150; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 208f.; Rep. font. II 202f. ; R. WEIGAND, Kanonist. Ehetraktate aus d. 12. Jh., Proceedings of the Third International Congress of Medieval Canon Law, Strasbourg 1968 (Monumenta luris Canonici, Series C: Subsidia 4), 1971, S.74f. ; W. STELZER, A. v. St. F., MIÖG 84 (1976) 60-104.

WINFRIED STELZER 'Altmärkische Glosse zum Sachsenspiegel' -»'Stendaler Glosse'

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'Altniederfränkische Psalmen'

'Altniederfränkische Psalmen' (auch 'Altniederländische landse] Psalmen')

[Oudneder-

1. Ü b e r l i e f e r u n g . Mehrere Frgm.e sowie Wort-j auszüge, die 'Lipsiusschen Glossen', in Abschriften und Drucken des 16./17.Jh.s: (I) PS 1,1-3,5 Leeuwarden,. Prov. Bibl. van Friesland, Ms. 4° 149 (l doppelseitig beschriebenes Bl.), die sog. 'Mfrk. Psalmen'. - (II) PS 18 in: A.VANDER MILII Lingua Belgica ..., Leiden 1612, S. 152-155 (korrupter Abdruck nach einer von J. Lipsius gelieferten Vorlage). - (III) PS 53,7-73,9 Berlin (Ost), Dt. SB, Ms. Diez 4° 90 (32 S.). - (IV) Alphabet. Wortliste, Leiden, ÜB, Ms. Lips. 53 (26 S., mit Anm. des Lipsius). - (V) Glossen, die Lipsius in einem Brief vom 19. Dez. 1598 dem Antwerpener Juristen H. Schottius mitteilte; gedr. in: JUSTI LiPSii Epistolae selectae ad Beigas, Antwerpen 1602, Cent. III, Ep. XLIV, S. 43-54. 2. A u s g a b e n . Erstmals die ganze Uberl. bei M. HEYNE, Kleinere and. Denkm.,21877 (Nachdr. 1970), S. 1-59; W.L. VAN HELTEN, D. altostnfrk. Psalmenfrgm.e, d. Lipsius'schen Glossen u. d. altsüdmfrk. Psalmenfrgm.e, Groningen 1902 (Nachdr. 1969,1971); H.K.J. GOWAN, De Oudnederlandse (Oudnederfrankische) psalmenfrgm.en, Leiden 1957 (Lesetext); R.L. KYES, Old Low Franconian Psalms and Glosses, Ann Arbor 1969 (dipl. Abdruck von II, III, IV); krit. Neuausg. durch L. DE GRAUWE, Een lexikologische Studie ... (s. Lit.), Tweede deel, Proefschr. Gent 1975; angekündigt ist auch die Aufnahme in das 'Corpus der andl. Texte vor dem Jahre 1300' durch M. GYSSELING, An edition of the Old Dutch Texts, Onoma 16 (1971) 174 f.

3. Psalmenfrgm.e und Glossen stammen aus einem alten Psalter, der sich im Besitz des Lütticher Kanonikus Arnold van Wachtendonck (1535-1605) befand und bei diesem von J. Lipsius eingesehen wurde: Vidi Psalterium fetus apud insignem & optimarum artium virum, Arnoldum Wachtendonckium, ... Latinum quidetn, sea inter lineas, ad singula verba, Germanica interpretatione superscriptä (Brief an Schottius, S. 43). Es handelte sich also um eine Psalmeninterlinearversion, die nach Ausweis der über den ganzen Text verstreuten Glossenexzerpte auch noch verschiedene Cantica enthielt. Der zugehörige lat. Text ist nur zu den 'Mfrk. Psalmen', PS 18 und in den Interpretamenten der Glossen tradiert. Wie die einzige authentische Nachricht über den später verlorengegangenen Kodex, so verdanken wir auch alle überlieferten Auszüge direkt oder indirekt Lipsius, der sich

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1591 eine (vollständige?) Abschrift der Psalmen angefertigt hat oder anfertigen ließ. 4. Die . .' stehen, zumindest über ihre Vorlage, in Zusammenhang mit den ältesten Bemühungen um Übersetzung des Psalters ins Dt. Zu ihrer (rekonstruierbaren) lat. Grundlage und Beziehung zu anderen frühmal. Psalmenübersetzungen vgl. QUAK, 1973, S. 3ff. und 119ff.; zur Stellung in der gesamten Psalmentradition zusammenfassend K.E. SCHÖNDORF, Die Tradition d. dt. Psalmenübers., 1967, S. 56-59. Die Entstehungszeit der Psalmen läßt sich, da auf kodikologisch-paläographische Hilfe verzichtet werden muß, nur ungefähr bestimmen. Die altertümliche Sprache hat meist zu einer Datierung ins 9. Jh. geführt, doch weisen manche Spracherscheinungen erst ins 10. Jh. Ein früher Glossenauszug aus PS 55 bezeugt jedenfalls hohes Alter; vgl. H. GÖTZ, PBB (Halle) 81 (1959) 212 bis 214. 5. Die Sprache der . .' birgt, von zahlreichen Emendationsfragen abgesehen, ein spezielles Problem. PS l, 1-3,5 und Glossen aus PS 1-9 werden aufgrund ihrer sprachlichen Sonderstellung, die ins Altsüdmfrk. weist, von der Forschung meist separat als 'Mfrk. Psalmen' behandelt. Unter literaturgeschichtlichem Aspekt erscheint dies keineswegs gerechtfertigt, da die Anfangspsalmen von dem gleichen Bearbeiter und aus dem gleichen Kodex stammen. Der Sachverhalt erklärt sich wohl so, daß ein nfrk. Geistlicher einen ihm vorliegenden mfrk. Psalmentext in seine eigene Sprache umgesetzt hat, dies zu Beginn aber nur sehr unvollkommen, so daß der mfrk. Sprachstand der Vorlage weitgehend erhalten blieb. Mit wachsender Sicherheit der sprachlichen Umarbeitung präsentieren sich die restlichen überlieferten Psalmen, von gelegentlichen mfrk. Einmischungen und einigen 'Saxonismen' oder 'Anglosaxonismen' (DE GRAUWE) abgesehen, in einem seit VAN HELTEN so bezeichneten 'Altostnfrk.'. Die Lokalisierung der Psalmen schwankt zwischen dem altlimburgischen Raum und, mit etwas größerer Wahrscheinlichkeit, dem nördlichen Rheinland (Niederrhein).

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'Altsächsische Genesis'

Unberührt von dieser Streitfrage bleibt historisch ihre Bezeichnung als 'Andl. (Oudnederlandse) Psalmen'. 6. L i t e r a t u r . Bibliographie: C. MINIS, Bibliographie zu d. altmittel- u. anfrk. Psalmen u. Glossen, 1971. - Grammatiken: M. HEYNE, Kl. äs. u. anfrk. Grammatik, 1873; A. BORGELD, De Oudnederfrankische psalmen. Klank- en vormleer, Proefschr. Groningen 1899; VAN HELTEN, 1902 (II.Teil d. Ausg.); COWAN, Esquisse d'une grammaire fonctionelle du Vieux-Neerlandais (Vieux Bas-Francique) ..., Leuv. Bijdr. SO (1961) 1-54; R. L. KYES, Old Low Franconian Phonology, Diss. Univ. of Michigan, Ann Arbor 1964. - Neuere Lit.: COWAN, Oudoostnederfrankisch of oostelijkOudnederlands?, TNTL71 (1953) 161-182; ders., De localisering van het Oudnederfrankisch der psalmenfragmenten, Leuv. Bijdr. 48 (1959) 1-47; W. SANDERS, Zu d. anfrk. Psalmen, ZfdA 97 (1968) 81 bis 107; COWAN, Nogmaals de localisering ..., Leuv. Bijdr. 58 (1969) 114-132; ders., Oudnederfrankische varia, TNTL 87 (1971) 184-203; G. KÖBLER, Verzeichnis d. Übers.gleichungen d. as., anfrk. u. amfrk. Psalmenfrgm.e, 1971; W. SANDERS, Oudnederlands, TNTL 88 (1972) 161-177; KÖBLER, Lat.- and. Wörterbuch, 1972; ders./A. QUAK, And.-lat. Wörterbuch, 1973; QUAK, Stud. z. d. altmittel- u. anfrk. Psalmen u. Glossen, Amsterdam 1973; DE GRAUWE, Een lexikologische Studie in woordgeografisch perspektief van de Wachtendonckse psalmenfragmenten metinbegrip van de glossen van Lipsius, Proefschr. Gent 1975; QUAK, Wortkonkordanz z. d. altmittel- u. anfrk. Psalmen u. Glossen, Amsterdam 1975.

WILLY SANDERS 'Altsächsische Genesis' l.Nach der Traefatio in librum antiquum lingua Saxonica conscriptum' (-»· 'Heliand') soil Ludouicus piissimus Augustus einem sächsischen Dichter den Auftrag erteilt haben, uetus ac nouum Testamentum in Germanicam linguam poetice transferre. Daraus schloß schon SCHMELLER (1840) auch auf eine atl. Dichtung in äs. Sprache. Die Entdeckung von SIEVERS (1875), daß in einem Teil der Caedmon zugeschriebenen ags. 'Genesis' (A) ein Stück davon in Übers, erhalten scheine (B), bestätigte sich 1894 glänzend mit dem Fund der as. Genesis-Frgm.e ('A.G.'). Die in sich uneinheitliche Praefatio ist wahrscheinlich erst in einigem Abstand von den Gedichten entstanden. Die Verf.-Einheit für 'Heliand' und 'A.G.' wurde von Anfang an bestritten und ist durch innere Gründe nicht zu bestä-

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tigen. Neuerdings ist auch der in der Praefatio genannte Auftraggeber unsicher geworden (statt Ludwig d. Fr. Ludwig d. Dt. ? DRÖGEREIT; HAUBRICHS; SIEMES); damit wäre die genaue Datierung ebenfalls offen. 2. Die komputistische Hs. Pakt. Lat. 1447 des Vatikans, aus Mainz, frühes 9. Jh., enthält auf freien Stellen vier Exzerpte äs. Stabreimdicht., eines aus dem 'Heiland', drei mit Stoffen der Gn (hier insges. 337 vv.). Sie sind, wohl im 3. Viertel des 9. Jh.s, von drei Schreibern eingetragen (dazu zuletzt B. BISCHOFF), nicht in lokalisierbarer Buchschrift, sondern mit Einflüssen von Urkundenschrift: trotz enger Beziehungen der Hs. zu Mainz bleibt darum der Eintragungsort zweifelhaft. Nicht zu halten war die Verknüpfung mit der lotharingischen Kanzlei und Werden (DRÖGEREIT) wie zu vor mit Magdeburg (s. MÖLLENBERG). Weitere Rückschlüsse auf die Heimat der 'A.G.' ergeben sich allenfalls aus ihrem engen Verhältnis zum 'Heliand'. BAESECKE verlegte die Entstehung beider Gedichte nach Fulda. Die ags. 'Genesis B' (617 vv., überliefert in der Hs. Junius XI der Bodleian Library, Oxford) ist eine im wesentlichen getreue Übertragung ihrer Vorlage und trägt zu deren Lokalisierung und Datierung nichts bei. Die Art der Umsetzung ist an 26 deckungsgleichen ags. und äs. Versen abzulesen. 3. A u s g a b e n . As. Frgm.e: K. ZANGEMEISTER/W. BRAUNE, Bruchstücke d. äs. Bibeldicht, aus d. Bibliotheca Palatina, Neue Heidelberger Jbb.4 (1894) 205 bis 294 (m. grundleg. Behandl.; auch sep., ohneFaks., 1894); dazu E. SIEVERS, ZfdPh 27 (1895) 534-538; P. PIPER, D. äs. Bibeldicht. (Heliand u. 'A.G.') 1,1897; O. BEHAGHEL, Heliand u. 'A.G.' (ATB 4), 21903 (seit d. 6. Aufl. bearb. v. W. MITZKA; 81965; zit.); F. WILHELM, Bruchstücke d. 'A.G.' (Münchener Texte 2), 1912; E. SIEVERS, Heliand (German. Handbibl. 4), 1878. Titelaufl. vermehrt um ... d. vaticanischen Frgm.e von Heliand u. 'A.G.' (bes. v. E. SCHRÖDER), zuletzt 1935. - Grundleg. Ausg. der ags. 'Genesis B' in G. P. KRAPP, The Junius Ms. (The Anglo-Saxon Poetic Records 1), New York 1931; auch bei PIPER und BEHAGHEL /MITZKA, außerdem bei: E. SIEVERS, D. Heliand u. d. ags. Genesis, 1875.

4. Inhalt und Aufbau des Werkes können nur versuchsweise rekonstruiert werden. Die Frgm.e enthalten Stoffe der Gn vom Paradiesaufenthalt Adams und Evas, mit einem umfangreichen Rückgriff auf Schöpfung und Fall der Engel, über die Erzählung von Kain, mit einem Ausblick auf Enoch und den Antichrist, bis zur Geschichte von Abraham, Loth und dem Untergang Sodoms. Ob die Angaben der Praefatio eine weiterreichende Dichtung über das AT in Auswahl reflektieren, ist unsicher, eine Be-

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'Altsächsische Genesis'

schränkung auf Stoffe der Gn (und Ex?) denkbar. Aus den Anspielungen des 'Heliand' auf das AT sind Inhalt, Umfang (BLÜMEL) und Thema der Dichtung ('Schuld des Geschöpfes und göttliche Strafe', HENTSCHEL) kaum zu gewinnen. Schwache Spuren deuten auf eine Einteilung in Erzählabschnitte, Fitten, hin, wie sie die 'Heliand'-Hs. C aufweist und die Praefatio als Gattungseigentümlichkeit erwähnt. Die mögliche Gliederungsfunktion ist angesichts der Kleinräumigkeit der Frgm.e nicht zu verifizieren. (Ags. Genesis und Exodus sind, jedenfalls nach genuin ae. Brauch, nach Fitten durchgegliedert.) 5. Den Dichter zeichnet seine bes. unabhängige Gestaltung des Stoffes aus; an Quellen und unmittelbaren Vorbildern ist bisher nicht viel Sicheres ermittelt worden. Die auffällige Einordnung des Engelsturzes als Rückgriff in die Sündenfalldarstellung wurde von SIEVERS (1875) auf Alcimus Avitus zurückgeführt; andere Entsprechungen zu Avitus bleiben aber vereinzelt. Beziehungen zu anderen lat. Dichtern (McKiLLOP; MASSMANN; EVANS) sind unsicher, Anknüpfungen an Bibelkommentare (VlCKREY) vereinzelt. - Die meisten Parallelen aus apokrypher Lit. (ROBINSON, McKiLLOP, EVANS ; MASSMANN denkt auch an mündliche Überl.) sind allenfalls geeignet, den Hintergrund der Dichtung etwas aufzuhellen. Nur die Einwirkung der Antichristund Enochlegende ist handgreiflich (vv. 129-150 / 717-738).

Die Vereinzelung der Quellennachweise macht die erstaunliche Eigengestalt des Werkes erst recht deutlich. Sie ist (bes. in der anglistischen Forschung) aus voneinander isoliert betrachteten äs. oder ags. Teilen allein lange Zeit einseitig beurteilt worden. Auseinandersetzungen um die Entlastungsabsicht des Dichters für die Menschen im Sündenfall (BERTHOLD) oder allgemeiner um den Einfluß von germ. Vorstellungsweisen und -gehalten (abgewogen HENTSCHEL; neuerdings EVANS, CHERNISS) ermangelten eines integrierend-korrigierenden Hintergrundes. Für die äs. Teile hat schon BRAUNE (1907) die auf eigene Weise bewußt durchgeführte Absicht betont, die AT-Stoffe nachdichtend mit christlichem Geist zu erfüllen. SCHOTTMANN konnte neuerdings auch die Umgestaltung des Sündenfalls (Verführung der Menschen

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gerade durch ihren Willen, Gott die Treue zu halten: aus mangelnder Einsicht und Festigkeit) vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Theologie deuten: zentral sei das pastorale Anliegen, 'nicht so sehr die Vorgänge der Paradiesgeschichte [zu] interpretieren wie ein mahnendes Exempel für seine Gegenwart' aufzustellen (S. 9). 6. In allen wesentlichen Formmerkmalen aufs engste mit dem 'Heliand' verknüpft, zeigt die 'A.G.' doch überall ihre Sonderart. Sie nimmt an den Besonderheiten der Heliandsprache teil, grenzt sich aber v. a. durch die Wiedergabe des Diphthongs eo (< germ, eu; außer als io/eo auch als ia) ab. - Beobachtungen an Wortgebrauch, Syntax, Formelschatz, Variation und Verskunst ließen - im Widerspruch zur Praefatio - den 'A.G.'-Dichter als Nachahmer des stilprägenden Vorbilds 'Heliand' erscheinen, doch wurde im Verlauf der Diskussion aus dem stümperhaften 'Schüler' (SIEVERS, 1895) mehr und mehr eine selbständigere dichterische Persönlichkeit, die freilich in der formalen und Erzähltechnik nicht so gewandt, weil vielleicht über das unmittelbar nachgeahmte Vorbild hinaus ohne Zusammenhang mit lebendiger Dichtungstradition war. Einfluß der ags. Buchepik glaubte GRÜTERS an Parallelen zum ags. 'Crist nachweisen zu können. Die seit HEUSLER angenommene einseitige Abhängigkeit der äs. von der ags. Epik stößt heute auf Bedenken. Während HOFMANN die Priorität der ags. Bibeldichtung überhaupt anzweifelt, rechnet MANGANELLA neben jener mit einer eigenen äs. Dichtungstradition, für die sie neben dem 'Heliand' auch die 'A.G.' als selbständigen Zeugen erwägt; und EVANS will in der bes. Vorliebe und Stärke des 'A.G.'-Dichters, der Konzentration auf das Seelische, bes. in der Ausführung großer Reden (auf Kosten der äußeren Handlungsabläufe), seine lebendige Verbundenheit mit germanischer Dichtungstradition erkennen. L i t e r a t u r bis 1973 s. J. BELKIN/J. MEIER, Bibliographie z. Otfried von Weißenburg u. z. äs. Bibeldicht. (Heliand u. Genesis), (Bibliographien z. dt. Lit. d. MAs 7), 1975. - J.A. SCHMELLER, Heliand oder d. äs. Evang.-Harm. H, München-Stuttgart-Tübingen 1840; O. BEHAGHEL, Der Heliand u. d. 'A.G.', 1902; O. GRÜ-

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'Altsächsische Homilie Bedas' - 'Altsächsische Psalmen-Fragmente'

TERS, Über einige Beziehungen zw. äs. u. ae. Dicht. (Bonner Beitr. z. Anglistik 17), 1905, S. 1-50; F.N. ROBINSON, A note on the sources of the Old Saxon 'Genesis', Modern Philology 4 (1906) 389-396; W. BRAUNE, Zur 'A.G.', PBB 32 (1907) 1-29; A.D. Me KILLOP, Illustrative notes on Genesis B, JEGP 20 (1921) 28-38; C. MASSMANN, Quellen u. poetische Kunst d. äs. Bibelepen atl. Inhalts ('A.G.'), Diss. (masch.) Bonn 1923; L. BERTHOLD, D. Quellen f. die Grundgedanken v. V. 235-851 d. as.-ags. Genesis, Fs. E. Sievers, 1925, S. 380-401; W. MÖLLENBERG, D. angeblich älteste Magdeburger Kalender, Gesch.-Bll. f. Stadt u. Land Magdeburg 60 (1925) 117-119; R. BLÜMEL.D. atl. Stoff im Heliand u. in d. Genesis, PBB 50 (1927) 305-307; E. HENTSCHEL, D. Mythen von Lucifers Fall u. Satans Rache in d. 'A.G.', 1935; G. BAESECKE, Fulda u. d. äs. Bibelepen, Nd. Mitt. 4 (1948) 5-43 (Wiederabdr. in: G. B., Kl. Sehr. z. ahd. Sprache u. Lit., Bern-München 1966, S.348-376; ferner in: D. Heliand, hg. v. J. EICHHOFF/I. RAUCH [WdF 321], 1973, S.54-92); R. DRÖGEREIT, Werden u. d. Heliand, 1951; D. HOFMANN, D. äs. Bibelepik ein Ableger d. ags. geistl. Epik ? ZfdA 89 (1958/59) 173-190 (Wiederabdr. m. einem Nachtrag in: D. Heliand [WdF 321], 1973, S.315-343); G. MANGANELLA, Le formule dell'antica poesia sassone, Annali dell'Istituto Orientale di Napoli, Sezione Germanica 5 (1962) 73-94; J.M. EVANS, Genesis B and its background, Rev. of English Studies NS 14 (1963) 1-16, 113-123; J.F. VICKREY, Selfsceaft in Genesis B. Anglia 83 (1965) 154-171; W. HAUBRICHS, D. Praefatio d. Heliand, Ndjb 89 (1966) 7-32 (Wiederabdr. in: D. Heliand [WdF 321], 1973, S. 400-435); H. SIEMES, Beitr. z. lit. Bild Kaiser Ludwigs d. Frommen in d. Karolingerzeit, 1966; M.D. CHERNISS, Heroic ideals and the moral climate of Genesis B, Modern Language Quarterly 30 (1969) 479-497; B. BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 128f.; H. SCHOTTMANN, Die Darstellung d. Sündenfalls in d. 'A.G.', Lit.wiss. Jb. NF 13 (1972) 1-11; D. KARTSCHOKE, Bibeldicht., 1975, S. 127 bis 228.

BURKHARD TAEGER 'Altsächsische Homilie Bedas' Ü b e r l i e f e r u n g . Düsseldorf, LB, cod. B 80, f. 153r, Schluß f. 152V. Die Hs. enthält außerdem f. 1-152V lat. Homilien Gregors d. Gr. mit äs. Glossen und f.· 153V 152V die -> 'Essener Heberolle'. A u s g a b e n . MSD Nr.LXX; M. HEYNE, Kleinere and. Denkm., 21877 (Nachdr. 1970), S.65f.; GALLEE, Sprachdenkm., S. 117-119, Faksimilesammlung Nr. IIIc; E. WADSTEIN, Kleinere äs. Sprachdenkm., 1899, Nr. IV (S. 18).

Sprachlich gelungene äs. Bearbeitung des Anfangs einer Allerheiligenpredigt -> Bedas, wo als abgeschlossene Lektion zum 1. Nov.

der Ursprung dieses christlichen Festes geschildert wird. Der Text steht in einer dem Frauenstift Essen gehörigen Hs. und dürfte dort auch wohl im lO./ll.Jh. niedergeschrieben worden sein. Interessant ist, daß eine Erweiterung gegenüber der Vorlage, das Pantheon in Rom sei nicht nur der Maria und allen Märtyrern, sondern auch Gott-Vater geweiht, sich in der —> 'Kaiserchronik' (v. 188 ff.) wiederfindet (F. OHLY, Sage u. Legende in d. Kaiserchronik, 1940,S.39f.).[RuH] L i t e r a t u r . WADSTEIN, S. 126f.; W. FOERSTE, in: RL I 40; J. RATHOFER, in: Kurzer Grundriß d. germ. Phil, bis 1500, II, 1971, S. 246f.; L.E. AHLSSON, D. äs. Bedahomilie, Nd. Mitt. 29 (1973) 30-41; MORVAY/ GRUBE, Predigtbibliogr., S. 4 f.

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WILLY SANDERS 'Altsächsische Psalmen-Fragmente' Ü b e r l i e f e r u n g . Warschau, Nat. Bibl., aus dem Privatbesitz von Dr. Zalewski, 2 Perg.-Doppelbll., 2°. Textbestand. Lat.-as. Text: PS 28; 29, 1-5 (l r v ); 32, 9-22; 33,1-5 (2 rv ); 110, 9 bis zum Schluß; 111,1-7 (der Schluß von vv. 7,8 u. 9 nur lat.) (3 rv ); 114,2 bis zum Schluß; 115 (4 rv ). Gloria patri u. Requiem aeternam nach PS 110. - Lat. Text: Collekten zu PS 27, 28, 32, 114, 115. Paläogr. u. sprach!. Merkmale erlauben eine Datierung der Hs. an den Ausgang des 9. Jh.s. A u s g a b e n . L. ZALEWSKI, Psalterii versionis interlinearis vetusta fragmenta Germanica edidit praefatus est notisque illustravit (Prace komisji jezykowej polskiej akademji umiejetnosciNr.il), Krakau 1923; A. KLECZKOWSKI, Neuentdeckte äs. Psfrgm.e aus d. Karolingerzeit, Krakau 1923-26 (ebd. Nr. 12, I-II); W. KROGMANN, D. Lubliner Psfrgm.e, Nd. Korr.bl. 57 (1950) 49-58.

Die beiden Pergbll., die sich im Einband des Eggesteinschen Druckes Concordia discordantium Canonum, Argentorati 1472, fanden und vermutlich im westl. Nd. aus einem Kodex gelöst wurden, überliefern eine interlineare Verdeutschung mit gewissen Ansätzen zu dt. Wortstellung. Der dt. Text stimmt nicht überall mit dem lat. Grundtext überein, der im großen und ganzen dem Psalterium Gallicanum folgt. Bemerkenswert ist, daß diese Vorlage eine Lesart aufgewiesen haben muß, die sonst nur in ags. Texten zu finden ist (Ps 29,1 gibreidist = dilatasti). Vier festgestellte Schreiberhände und der mitten im Vers (Ps 111) abbrechende dt. Text deuten auf

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'Altsächsische Homilie Bedas' - 'Altsächsische Psalmen-Fragmente'

TERS, Über einige Beziehungen zw. äs. u. ae. Dicht. (Bonner Beitr. z. Anglistik 17), 1905, S. 1-50; F.N. ROBINSON, A note on the sources of the Old Saxon 'Genesis', Modern Philology 4 (1906) 389-396; W. BRAUNE, Zur 'A.G.', PBB 32 (1907) 1-29; A.D. Me KILLOP, Illustrative notes on Genesis B, JEGP 20 (1921) 28-38; C. MASSMANN, Quellen u. poetische Kunst d. äs. Bibelepen atl. Inhalts ('A.G.'), Diss. (masch.) Bonn 1923; L. BERTHOLD, D. Quellen f. die Grundgedanken v. V. 235-851 d. as.-ags. Genesis, Fs. E. Sievers, 1925, S. 380-401; W. MÖLLENBERG, D. angeblich älteste Magdeburger Kalender, Gesch.-Bll. f. Stadt u. Land Magdeburg 60 (1925) 117-119; R. BLÜMEL.D. atl. Stoff im Heliand u. in d. Genesis, PBB 50 (1927) 305-307; E. HENTSCHEL, D. Mythen von Lucifers Fall u. Satans Rache in d. 'A.G.', 1935; G. BAESECKE, Fulda u. d. äs. Bibelepen, Nd. Mitt. 4 (1948) 5-43 (Wiederabdr. in: G. B., Kl. Sehr. z. ahd. Sprache u. Lit., Bern-München 1966, S.348-376; ferner in: D. Heliand, hg. v. J. EICHHOFF/I. RAUCH [WdF 321], 1973, S.54-92); R. DRÖGEREIT, Werden u. d. Heliand, 1951; D. HOFMANN, D. äs. Bibelepik ein Ableger d. ags. geistl. Epik ? ZfdA 89 (1958/59) 173-190 (Wiederabdr. m. einem Nachtrag in: D. Heliand [WdF 321], 1973, S.315-343); G. MANGANELLA, Le formule dell'antica poesia sassone, Annali dell'Istituto Orientale di Napoli, Sezione Germanica 5 (1962) 73-94; J.M. EVANS, Genesis B and its background, Rev. of English Studies NS 14 (1963) 1-16, 113-123; J.F. VICKREY, Selfsceaft in Genesis B. Anglia 83 (1965) 154-171; W. HAUBRICHS, D. Praefatio d. Heliand, Ndjb 89 (1966) 7-32 (Wiederabdr. in: D. Heliand [WdF 321], 1973, S. 400-435); H. SIEMES, Beitr. z. lit. Bild Kaiser Ludwigs d. Frommen in d. Karolingerzeit, 1966; M.D. CHERNISS, Heroic ideals and the moral climate of Genesis B, Modern Language Quarterly 30 (1969) 479-497; B. BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 128f.; H. SCHOTTMANN, Die Darstellung d. Sündenfalls in d. 'A.G.', Lit.wiss. Jb. NF 13 (1972) 1-11; D. KARTSCHOKE, Bibeldicht., 1975, S. 127 bis 228.

BURKHARD TAEGER 'Altsächsische Homilie Bedas' Ü b e r l i e f e r u n g . Düsseldorf, LB, cod. B 80, f. 153r, Schluß f. 152V. Die Hs. enthält außerdem f. 1-152V lat. Homilien Gregors d. Gr. mit äs. Glossen und f.· 153V 152V die -> 'Essener Heberolle'. A u s g a b e n . MSD Nr.LXX; M. HEYNE, Kleinere and. Denkm., 21877 (Nachdr. 1970), S.65f.; GALLEE, Sprachdenkm., S. 117-119, Faksimilesammlung Nr. IIIc; E. WADSTEIN, Kleinere äs. Sprachdenkm., 1899, Nr. IV (S. 18).

Sprachlich gelungene äs. Bearbeitung des Anfangs einer Allerheiligenpredigt -> Bedas, wo als abgeschlossene Lektion zum 1. Nov.

der Ursprung dieses christlichen Festes geschildert wird. Der Text steht in einer dem Frauenstift Essen gehörigen Hs. und dürfte dort auch wohl im lO./ll.Jh. niedergeschrieben worden sein. Interessant ist, daß eine Erweiterung gegenüber der Vorlage, das Pantheon in Rom sei nicht nur der Maria und allen Märtyrern, sondern auch Gott-Vater geweiht, sich in der —> 'Kaiserchronik' (v. 188 ff.) wiederfindet (F. OHLY, Sage u. Legende in d. Kaiserchronik, 1940,S.39f.).[RuH] L i t e r a t u r . WADSTEIN, S. 126f.; W. FOERSTE, in: RL I 40; J. RATHOFER, in: Kurzer Grundriß d. germ. Phil, bis 1500, II, 1971, S. 246f.; L.E. AHLSSON, D. äs. Bedahomilie, Nd. Mitt. 29 (1973) 30-41; MORVAY/ GRUBE, Predigtbibliogr., S. 4 f.

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WILLY SANDERS 'Altsächsische Psalmen-Fragmente' Ü b e r l i e f e r u n g . Warschau, Nat. Bibl., aus dem Privatbesitz von Dr. Zalewski, 2 Perg.-Doppelbll., 2°. Textbestand. Lat.-as. Text: PS 28; 29, 1-5 (l r v ); 32, 9-22; 33,1-5 (2 rv ); 110, 9 bis zum Schluß; 111,1-7 (der Schluß von vv. 7,8 u. 9 nur lat.) (3 rv ); 114,2 bis zum Schluß; 115 (4 rv ). Gloria patri u. Requiem aeternam nach PS 110. - Lat. Text: Collekten zu PS 27, 28, 32, 114, 115. Paläogr. u. sprach!. Merkmale erlauben eine Datierung der Hs. an den Ausgang des 9. Jh.s. A u s g a b e n . L. ZALEWSKI, Psalterii versionis interlinearis vetusta fragmenta Germanica edidit praefatus est notisque illustravit (Prace komisji jezykowej polskiej akademji umiejetnosciNr.il), Krakau 1923; A. KLECZKOWSKI, Neuentdeckte äs. Psfrgm.e aus d. Karolingerzeit, Krakau 1923-26 (ebd. Nr. 12, I-II); W. KROGMANN, D. Lubliner Psfrgm.e, Nd. Korr.bl. 57 (1950) 49-58.

Die beiden Pergbll., die sich im Einband des Eggesteinschen Druckes Concordia discordantium Canonum, Argentorati 1472, fanden und vermutlich im westl. Nd. aus einem Kodex gelöst wurden, überliefern eine interlineare Verdeutschung mit gewissen Ansätzen zu dt. Wortstellung. Der dt. Text stimmt nicht überall mit dem lat. Grundtext überein, der im großen und ganzen dem Psalterium Gallicanum folgt. Bemerkenswert ist, daß diese Vorlage eine Lesart aufgewiesen haben muß, die sonst nur in ags. Texten zu finden ist (Ps 29,1 gibreidist = dilatasti). Vier festgestellte Schreiberhände und der mitten im Vers (Ps 111) abbrechende dt. Text deuten auf

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Meister Altswert

eine Abschrift nach älterer Vorlage, die vermutlich in einem Kloster des Bistums Paderborn entstand. Westfälischer Laut- und Formenstand und eher ostfälischer Wortschatz ergeben eine Mischung, die wohl den verschiedenen Schreibern oder einer verlorengegangenen nd. Vorlage verdankt wird. Doch lassen hd. Einschläge vermuten, daß die 'As.Psfrgm.e' ihren Ausgangspunkt im Räume MainzFulda nahmen. Abwegig ist die von KRIEDTE (S. 8) verfochtene Auffassung, in den 'As. Psfrgm.en' sei eine an den hd. Lautstand angenäherte Fassung eines verlorengegangenen äs. Originals zu sehen, das er zu den -» 'Altniederfränkischen Psalmen' in Beziehung setzte (vgl. auch VOLLMER, 1939, S.37*-44*). LASCHS (S. 236) Annahme einer während des 9. Jh.s im Gebiet Mainz-Fulda entstandenen hd. Version, die dann in Verbindung mit sächs. Klostergründungen stufenweise ins Nd. übertragen wurde, hat alle Wahrscheinlichkeit für sich. Verwandtschaftsbeziehungen sind zwischen den'As.Psfrgm.en'und der Alternativglossierung der —> 'Windberger Interlinearversion zum Psalter' zu konstatieren, und die 'As. Psfrgm.e' enthalten lat. Collekten, die nahezu identisch mit den Windbergischen sind, allerdings bis auf das Gloria patri unübersetzt blieben. L i t e r a t u r . E. ROOTH, Rez. zu Zalewski, Ndjb 51 (1925) 126-128; A. LASCH, Nd. Stud., Fs. C. Borchling, 1932, S. 229-272; KRIEDTE, Bibelfrgm.e, S. 5f. u. 61; H. VOLLMER, BdK II, 1932, S. 22 u. IX, 1939, S. 37* bis44*; K. E. SCHÖNDORF, D. Tradition d. dt. Psalmenübers., 1967, S.50-53; E. A. EBBINGHAUS, A note on the 'Lublin Psalter', Ndjb 90 (1967) 44f. (Kollation); G. KÖBLER, Verz. d. Übersetzungsgleichungen d. äs., altostnfrk. u. altsüdmfrk. Psfrgm.e, 1971.

KURT ERICH SCHÖNDORF Altstetten -> Konrad v. A. Meister Altswert M. A. ist als Verf. von vier Minnereden bekannt. Der Name findet sich freilich nur am Ende der ersten, in einer anderen nennt er sich Nieman. Sprachliche Indizien und die detaillierte Beschreibung von Modeextravaganzen lassen darauf schließen, daß

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er in der 2. Hälfte des 14. Jh.s am Oberrhein (Elsaß) gelebt hat. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 313, 355, 358. Jede der drei nordalem. Hss. überliefert alle vier Ged. als geschlossenes Corpus und in derselben Reihenfolge. A u s g a b e . W. HOLLAND/A. KELLER, M.A., 1850, S. 1-128.

Neben der festen Überlieferung legen sprachliche, stilistische und thematische Gemeinsamkeiten nahe, M. A. nicht nur 'Das alte Schwert' sondern auch den 'Kittel', 'Der Tugenden Schatz' und den 'Spiegel' zuzuschreiben. So wird z.B. am Schluß jedes Werkes kunstvoll bis gekünstelt in anaphorisch gereihten Dreireimgruppen oder Reimpaaren die Dame des Dichters angerufen und gepriesen. Im 'K.' und T.S.' bezeichnet er sie ferner mehrfach als min G, mit dem mittleren Buchstaben ihres Namens, der Margret gelautet haben könnte. Während M. A. in 'D.a.S.' den Dichter im Gespräch mit Frau Venus darstellt und im 'S.' in Minnelehren, -klagen und Frauenpreis eine Traumerzählung einbettet, schildert er im 'K.' und 'T.S.' den Weg des Dichters ins Reich der Personifikationen und seine Rückkehr. Dies geschieht weitgehend den Konventionen der Gattung konform, nur daß die Spaziergangseinleitung mit Motiven aus Märchen und Sage angereichert ist und das Reich der Personifikationen noch stärker auf Paradies und Weltmittelpunkt hin stilisiert ist als sonst; im 'T.S.' ist es zugleich der Venusberg. Die Minnelehre, die direkt verkündet und allegorisch gefaßt wird, ist ganz an den alten höfischen Normen orientiert, ebenso die Haltung des Dichters in allen vier Gedichten. Dennoch verrät gerade die Klage über die falsche nuwe minne (48,23), einschließlich der aufreizenden Kleidermode, einen scharfen Blick für realistische Details und satirisches Potential. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.223,429 bis 431; W. BLANK, D. dt. Minneallegorie, 1970, S. 176-179 u. ö.; GLIER, Artes amandi, S. 216-225 u. ö.

INGEBORG GLIER 'Altväter' -> 'Das Väterbuch' 'Vitas Patrum - Prosaübersetzungen' 'Altzeller Weltchronik' -»'Sächsische Weltchronik'

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Amarcius

Alven ->· Johann von A. Amarcius Lat. Epiker und Satiriker um 1100 1. Von der Person und vom Leben des Amarcius wissen wir fast nichts. Auch sein wirklicher Name ist unbekannt. Amarcius ist ein Pseudonym, mit dem sich der Verf. der 'Sermones' nennt (Serm., Orat. 4) und das sich in erweiterter Form (Sextus Amarcius Gallus Piosistratus) im Incipit des Widmungsbriefes des Werkes an den ebenfalls pseudonymen Candidus Theopystius Alchimus findet. Der Name lautet eigentlich Hamartius und ist von griech. ( ) abzuleiten. Aus seinem Gedicht geht hervor, daß er zu Speyer Beziehungen gehabt hat; ob er dort lebte, bleibt ungewiß. Er war Deutscher und wahrscheinlich Weltgeistlicher und Lehrer, wozu ihn seine aus den 'Sermones' ersichtlichen weitreichenden Kenntnisse und seine gründliche literarische Bildung befähigt hätten. Vermutlich wurde er um die Mitte des 11. Jh.s geboren und starb vielleicht innerhalb der ersten Jahrzehnte des 12., denn sein Gedicht, ein Werk reiferen Alters, ist nach ERDMANN, S. 131 ff., und K. MANITIUS, Ausgabe S. 16f., um 1100 oder wenig später anzusetzen. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Dresden, Sachs. LB, Ms. A 167s (Anf. 13. Jh., aus St. Peter in Merseburg), lr-37v; Kopenhagen, Kgl. Bibl., Ms. Fabr. 81 in 8° (12. u. 13. Jh., aus SS. Cosmas et Damianus in Liesborn), 76v-77r (Fragm.: Serm. IV 87-133). Weitere erschließbare Hss. s. K. MANJTIUS, Ausg. S.39f. A u s g a b e n . M. MANITIUS, 1888; K. MANITIUS (MGH Quellen z. Geistesgesch. d. MAs VI), 1969 (zit.; mit Kommentar).

3. Die 'Sermones', sein einziges uns erhaltenes Werk, sind ein theologisch-moralisches Lehrgedicht, das in 4 Büchern (einschließlich Schlußgebet) 2701 Hexameter umfaßt und dem ein Widmungsbrief von 11 Disticha vorausgeht. Der Titel Sermones ist in der Hs. nicht belegt. Er findet sich nur im Marienfelder Bibliothekskatalog von 1185 (H. DEGERING, Beitr. z. Bibliotheksund Buchwesen, Es. P. Schwenke, 1913, S. 53 ff.) und in -»Hugos von Trimberg 'Registrum multorum auctorum' (hg. v. K. LANGOSCH, 1942) v. 449. Das Gedicht,

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das vom Geiste der kirchlichen Reformideen inspiriert ist und das man der Literatur des Investiturstreits zurechnen kann, behandelt, teilweise in der Form einer Zeitklage (I, l Epilogus de virtutibus patrum et posteriorum viciis) und in satirischer Färbung, das Lehrstück von den Tugenden und Lastern und bekämpft im besonderen die Habsucht, den Luxus und die Sittenlosigkeit der Geistlichen und der weltlichen Großen. Neben anderen verschiedenartigen, als Exempla gefaßten Einlagen (Legenden, Wundererzählungen, längere Invektive gegen die Juden, mythologischer Exkurs über Kulte des Altertums, allegorischmoralische Auslegung der 12 Edelsteine aus Apoll, 19f.) flicht A. seinem Gedicht kleine realistische Szenen aus dem Leben ein, die in deutlichem Anschluß an die Satire des Horaz den Hochmütigen, den Neider, den Schwelger oder den Geizigen im Monolog oder im Zwiegespräch vorführen (sermocinatio der Rhetorik). Hier gelingen dem Verf., dessen lehrhafter Stil im allgemeinen schwerfällig, oft dunkel und der Rhetorik verpflichtet (amplificatio, sententiae) bleibt, lebendige Bilder von individuellem, dichterischem Reiz. Neben Horaz, den A. genau kennt, oft benutzt, zitiert und dem er seine einwandfreie Verstechnik angleicht, sind ihm noch eine beträchtliche Anzahl profaner und christlicher Dichter des lateinischen Altertums geläufig oder bekannt; auch Boethius und die großen lateinischen Kirchenväter bis auf Isidor zitiert er. Besonders vertraut sind ihm die Gedichte des Prudentius, mit denen die literarische Form und das Thema der Sermones in deutlicher Beziehung stehen. Daß er den Bibeltext in vielen seiner Verse zitiert oder paraphrasiert, ist selbstverständlich. 4. Die Nachwirkung der 'Sermones' ist ganz gering. Vielleicht sind sie dem sogen. -»Eupolemius, dem pseudonymen Verf. eines Bibelgedichts und Zeitgenossen des Amarcius, bekannt gewesen. ERDMANN, S. 130, dachte sogar an die Identität der beiden Dichter, die aber aus stilistischen Gründen wohl kaum anzunehmen ist. Soweit wir wissen, haben nur Hugo von Trimberg (fca. 1315) und Dietrich -»Engelhus

323

'Ambraser Heldenbuch'

(t 1434) A. erwähnt oder zitiert, wobei der letztere seine Kenntnis wahrscheinlich nur seiner Lektüre der Schriften Hugos verdankt. Hugo von Trimberg nennt A. in seinem 'Registrum multorum auctorum' v. 349 und spricht v. 438^51e ausführlicher über ihn und die 'Sermones'. In seinem 'Solsequium' zitiert er zwei Halbverse und einen Hexameter aus den 'Sermones' (vgl. K. MANITIUS, Ausg. Serm. II179 und 452 f.), und im 'Renner' v. 9351 nennt er A. unter den von ihm gepriesenen Autoren des Altertums zwischen Horaz, Vergil und Ovid. L i t e r a t u r . WATTENBACH, Geschichtsquellen II 3; M. MANITIUS, Krit. Nachlese aus d. Hs., MIÖG 24 (1903) 185-196; M. MANITIUS, LG 11569-574, III1067; W.B. SEDGWICK, Archivum latinitatis medii aevi 5 (1929-30) 216f.; RABY, Sec. Lat. Poetry I 401-404; LEHMANN, Erf. IV 283-316; G. ROTONDI, Convivium (Raccolta nuova, Torino), 1948, S.929-932; C. ERDMANN, Forsch, z. polit. Ideenwelt d. FrühMAs, 1951, S. 128-134; WATTENBACH/HOLZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen, S. 13 und 4*.

KARL MANITIUS Amberg ->Johann von A.; - > Martin von A. 'Amberger Malerbüchlein' -»'Straßburger Manuskript' 'Ambraser Heldenbuch' 1. Name, E n t s t e h u n g . Die Hs. Wien, cod. Vind. Ser. nov. 2663 war bis 1806 in der 'Kunst- und Wunderkammer' auf Schloß Ambras bei Innsbruck deponiert; sie wird im ältesten Inventar (1596) dieser Sammlung als das holden Puech bezeichnet, und auch die Hs. selbst nennt sich in der vorgebundenen Tabula (Inhaltsverzeichnis) Heldenpuch, obwohl nur ihr Hauptteil 51r bis 214V) den -> 'Heldenbüchern' zuzurechnen ist. In den Urkunden, die das Entstehen der prachtvollen Pergamenths. begleiten, wird der Terminus 'Heldenbuch' noch zweimal (darunter einmal für eine Vorlage, s. u.) von -» Maximilian I. als dem Auftraggeber der Hs. verwendet; wenn einer seiner Ratgeber, Marschall Paul von Liechtenstein und die Innsbrucker Raitkammer u.a. vom Riesenpuech sprechen, dann zielt dieser Ausdruck vielleicht gleichfalls auf den Hauptteil (Riese = Held, Recke: so J. SEEMÜLLER, AfdA 27 [1901] 156), oder auf den großen Umfang (5 + 238 Bll., 46 x 36cm; UNTERKIRCHER; BÄUML,

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1969), sicher jedoch nicht auf die beiden gewappneten Riesen des Titelbildes (so LEITZMANN, S. 147), das erst nach Beendigung der Schreibarbeit zur Hs. kam.

Geschrieben wurde die dreispaltige Hs. von dem furnemen Hans Ried, der seit 1496 in Maximilians Kanzlei urkundlich bezeugt ist; am 7.2.1500 wurde er Zöllner am Eisack bei Bozen. 1504 betraute ihn Maximilian mit der Schreibarbeit an dem Puech in pergamen, nachdem eine 1502 bei Paul von Liechtenstein in Auftrag gegebene Abschrift eines (verlorenen) helldenpuch (an der Etsch) offenbar nicht zustande gekommen war. Ried wurde für seine Schreibarbeit zeitweise vom Zolldienst befreit; 1508 trat er das Amt ab, um sich ganz der Hs. widmen zu können; ab 1512 wurde er wieder in der Innsbrucker Kanzlei verwendet, aus deren Diensten er 1514 aber mengl halben seins gesichts ausschied, um erneut den Zoll am Eisack zu übernehmen. 1515 arbeitete Ried immer noch am . .'; vor dem 7.5.1516 (wahrscheinlich Ende Februar oder Anfang März 1516) ist er gestorben. 1517 signierte der Maler der Randdekorationen den Schlußteil der Hs. auf 215r mit VF (nach UNTERKIRCHER Ulrich Funk d.Ä., nach WIERSCHIN Valentin/ Veit Fiedler). 2. Inhalt, K o n z e p t i o n . Das . .' überliefert (teils frgm.) 25 Titel, darunter 15 Werke als Unika (U): 1. Der —> Stricker, 'Frauenehre' (Hs.d); 2. —»'Moriz von Craün' (U); 3. —> Hartmann von Aue, 'Iwein' (Hs. d); 4. Hartmann von Aue, 'Die Klage' (U); 5. 'Das (zweite) —»Büchlein' (U); 6. —> Heinrich von dem Türlin, 'Der Mantel' (U); 7. Hartmann von Aue, 'Erec'; 8. und 9. -»'Dietrichs Flucht" und 'Rabenschlacht' (Hs. d); 10. und 11. -> 'Nibelungenlied' und 'Die Klage' (Hs. d); 12. -> 'Kudrun' (U); 13. -> 'Biterolf (U); 14. ->'Ortnit' (Hs.A); 15. -»'Wolfdietrich A' (U); 16. 'Die -» böse Frau' (U); 17. -v Herrand von Wildonie, 'Die treue Gattin' (U); 18. ders., 'Der betrogene Gatte' (U); 19. ders., 'Der nackte Kaiser' (U); 20. ders., 'Die Katze' (U); 21. -* Ulrich von Lichtenstein, 'Frauenbuch' (U); 22. -»Werner der Gärtner, 'Helmbrecht' (Hs. A); 23. Der Stricker, 'Pfaffe Amis' (Hs. W); 24. -> Wolfram von Eschenbach, 'Titurel' (Hs.H); 25. -»· 'Priesterkönig Johannes' (U).

Eine Grundkonzeption der Sammlung läßt sich erkennen, wenn auch mit störenden Zufällen und kleinen Verschiebungen im Lauf der langen Entstehungszeit ge-

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'Ambraser Heldenbuch'

rechnet werden muß (WIERSCHIN). Zwei Intentionen scheinen sich zu verschränken: Zum einen variiert das . .' den Typ einer mehrteiligen Sammelhs. (KÜHN), die sich hier in die Teile Höfisches (Nr. 1-7), Heldenepisches (Nr. 8-15) und Kleinepisches (außer Strickers 'Pfaffe Amis') österr. Provenienz (Nr. 16-23) gliedern läßt, wobei die fragm. Nrr. 24 und 25 (auch aus anderen Erwägungen, s. JANOTA) als Anhang anzusehen sind (GLIER). Wird diese Sammelintention primär von einem vorgegebenen Hss.typ gelenkt, so steht hinter dem zweiten Sammelprinzip wohl Maximilians mehrfach dokumentierte Geschichtskonzeption, wonach der stetige Rückgriff auf Geschichte als Möglichkeit persönlicher Selbstvergewisserung, der Repräsentation und der prophylaktischen Sicherung des eigenen Gedächtnisses (vgl. Innsbrucker Grabmal) fungiert: Entsprechend findet sich im . .' keine zeitgenössische Literatur und auch keine modische Rezeption höfischer Romane und Heldenepen, sondern (soweit datierbar) ausschließlich Werke des ausgehenden 12. und des 13. Jh.s (GLIER). Diese Sammelintention, die bewußt nach Altem ausschaute, erklärt auch, warum ausgerechnet eine Sammelhs. des beginnenden 16. Jh.s soviele Unika des 12./13.Jh.s überliefert. Dabei markieren die eindeutig gattungsorientierte Heldenepiksammlung im Mittelteil und der ebenso eindeutig höfisch orientierte, Didaktik und Epik umfassende Eingangsteil die beiden Pole des . .', die auch mit den Statuen des Theoderich und Artus am Grabmal Maximilians korrespondieren. Im dritten Teil des . .' darf man hingegen (in Weiterführung der ansprechenden Vermutungen von KÜHN und GLIER) eine Sammlung von Texten sehen, die bei Recherchen nach alten Werken für die beiden ersten Teile in heimischen Adelsbibliotheken zutage gefördert wurden, so besonders das Korpus mit Texten Herrands und seines Schwiegervaters Ulrich von Lichtenstein, das auf eine literarische Familientradition weist. 3. V o r l a g e n . Das . .' läßt sich weder auf eine einzige Vorlage zurückführen (so ZINGERLE, 1883), noch mit dem 'Helden-

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buch an der Etsch' identifizieren (so LEITZMANN, S. 150). Vielmehr zeigt eine paläographische und kodikologische Untersuchung, daß der heldenepische Mittelteil auf eine Vorlage zurückgeht. Diese darf wohl mit dem 1502 urkundlich genannten helldenpuch (an der Etsch) gleichgesetzt werden. Von diesem hat sich vielleicht noch ein Blattfrgm. erhalten (MENHARDT, 1958, S.320; ZIMMERL). Nach UNTERKIRCHER (Kommentar, S. 9) umfaßte das 'Heldenbuch an der Etsch' auch den ersten Teil des . .', doch lassen sich hier wie im Schlußteil mehrere Arbeitsschichten erkennen, die auf unterschiedliche Vorlagen deuten QANOTA) ; für den Schlußteil gibt MENHARDT (1958, S. 321) Hinweise auf mögliche Vorlagen. Umstritten ist das Alter des 'Heldenbuchs an der Etsch': Die Datierungen schwanken zwischen Anfang 13. Jh.s (K. BARTSCH, Germ. 10 [1865] 49),der 1. Hälfte 14. Jh.s (ZINGERLE, 1883, S. 141) und dem 15.Jh. (BÄUML, 1961,5.31).

WIERSCHIN bestreitet, daß in der Urkunde von 1502 an der Etsch auf helldenpuch zu beziehen sei, und vermutet, daß die Vorlagen für den höfischen und heldenepischen Teil sowie für Nr. 24 und 25 aus Maximilians Bücherschätzen stammten (darunter das verlorene 'Reckenbuch', das Nicolaus Schupf für Erzherzog Sigmund geschrieben hatte). 4. A u s g a b e . . .' Vollst. Faksimile-Ausg. im Originalformat. Kommentar F. UNTERKIRCHER (Codices selecti 43), 1973 (Lit.). L i t e r a t u r . Vgl. F. UNTERKIRCHER, Kommentar (s. Ausg.) u. d. Lit. zu den unter Punkt 2 genannten Werken. Nachfolgend nur eine Auswahl der wichtigsten Titel zum . .' als Ganzem; dort gleichfalls weitere Lit. - D. SCHÖNHERR, D. Schreiber d. Heldenbuchs in d. k. k. Ambraser Sammlung, Arch, f. Gesch. u. Alterthumskunde Tirols l (1864) 100-106 = Germ. 9 (1864) 381-384; O. ZINGERLE, D. Heldenbuch an d. Etsch, ZfdA 27 (1883) 136-142; ders., Z. Gesch. d. Ambraser Hs., AfdA 14 (1888) 291-293; R. ZIMMERL, Hans Rieds Nibelungenkopie, Diss. (masch.) Wien 1930; A. LEITZMANN, D. Ambraser Erecüberl., PBB 59 (1935) 143-234; UNTERKIRCHER, D. . .', D. Schiern 28 (1954) 4-5; H. MENHARDT, D. Heldenbuch an d. Etsch, D. Schiern 32 (1958) 318-321; ders., Verzeichnis d. altdt. lit. Hss., 3, 1961, S. 1469-1478; F. H. BÄUML, Some Aspects of Editing the Unique Ms., orbis litterarum 16 (1961) 27-33; TH.P. THORNTON, D. Schreibgewohnheiten Hans Rieds im . .', ZfdPh 81 (1962) 52-82 (gekürzte Form der Diss. Baltimore 1953); H. KÜHN, Minnesangs Wende (Hermaea NF 1), 2 1967, S. 185f.; BÄUML (Hg.), Kudrun. Die Hs., 1969;

Ambros - Ambrosius

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GLIER, Artes amandi, S. 389-392. - Zwei Aufsätze sind demnächst von J. JANOTA und M. WIERSCHIN zu erwarten.

JOHANNES JANOTA

Ambros In Wien, cod. 2821, der 1466 in bair.österr. Mundart (in Slowenien?) geschrieben wurde, ist auf dem Vorsatzblatt l v ein Rezept für Pferderäude eingetragen, das mit Ambros unterschrieben ist. Es bezieht sich auf Straubfuß und Räppigkeit, die in Meister -»· Albrants Roßarzneibuch als zwei verschiedene Krankheiten betrachtet werden. Da sich auch die empfohlenen Substanzen von den Heilmitteln Albrants unterscheiden, ist A. nicht als eine bloße Verballhornung des Namens Albrant, sondern als selbständiger Autor anzusehen. L i t e r a t u r . G. Eis, Meister Albrants Roßarzneibuch im dt. Osten, 1939; ders., Mitt. aus spätmal. Hss. in süddt. Bibl., Tierärztl. Umschau 18 (1963) 559-562, hier S. 560.

WOLFRAM SCHMITT Ambrosius Heiliger und Kirchenvater Geb. 339 in Trier als römischer Bürger, gest. 397 in Mailand, seit 374 Bischof von Mailand; die bedeutendste Persönlichkeit der abendländischen Kirche seiner Zeit. A u s g a b e n . PL 14-17; CSEL32, 62, 64, 73. Neueste Monographie: F. HOMES DUDDEN, The Life and Times of St. Ambrose, 2 Bde., Oxford 1935. Zur ersten Orientierung: B. ALTANER, Patrologie, 61960, §83, S. 339 bis 351; LThK I 427-430; Diet. Spir. I 425-428.

1. In der deutschsprachigen Rezeption des M As erscheint A. vornehmlich und wiederholt in zwei Bereichen aszetischer Literatur: des Eucharistiesakramentes und der Virginität. Dies läßt sich an der Zitation in Traktat und Predigt ablesen und ergibt sich aus Übertragungen von A.Schriften. Dazu gibt es freilich in der Forschung nicht mehr als einzelne Hinweise. 2. Sehr verbreitet waren verschiedene obd. und nd. Fassungen des Gebets Summe sacerdos zum Sakramentsempfang (PL 17, 829; als Anseimus-Gebet PL 158, 921-925; Missale Romanum: 'accessus altaris') .U.a. hat es -> Johann von Neumarkt nach einer älteren Fassung neu formuliert.

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L i t e r a t u r . J. KLAPPER (Hg.), Gebete d. Hofkanzlers u. d. Prager Kulturkreises (Schriften Johanns v. Neumarkt IV), 1935, S. 124-144 ('Ältere Fassung', Überarbeitung Johanns, lat. Text; die angeführte hsl. Überl. ist nur ein Bruchteil der vorhandenen; s. auch G.Eis,PBB (Tüb.) 81 (1959) 99-106[mitTextausgabe]). Das Gebetbuch Johanns v. Neumarkt schreibt noch ein weiteres Fronleichnamsgebet A. zu: Omnipotent et misericors deus (KLAPPER, S. 115-119), das indes nicht identifiziert ist. Davon weist der Hg. 9 Hss. nach.

3. Des A. Auffassung und Lob der Jungfrauschaft dürften sich vor allem in den zahlreichen Jungfrauenspiegeln des Mittelalters niedergeschlagen haben; doch fehlen genauere Untersuchungen (s. indes M. BERNARDS, Speculum virginium, 1955, Reg. s. v. Ambrosius). Einzelstücke aus seinen Schriften --finden sich u. a. in Bamberg, SB, cod. E VIII18,109r/v, dasselbe Eichstätt, Klosterbibl. St. Walburg, cod. germ. 11, 149v-150r; Berlin, mgo 407, 74r-75v; Hamburg, StB, Bibl. des Past. Dr. Kunhardtl, 101r-119v (BORCHLING, Mnd. Hss.I 112). Das ganze Korpus der JungfrauschaftSchriften des A. übertrug i. J. 1474 der Kartäuser Heinrich -»Dissen von Osnabrück (Autograph in der Philippshs. 626 = Berlin, mgf 1236; ausführliche Beschreibung von DEGERING, Neue Erwerbungen I 66-70). 4. In der deutschen Predigtliteratur wird A. verhältnismäßig selten zitiert und benutzt. A.E. SCHÖNBACH weist zu 4 Epistelpredigten des Priesters -»Konrad die Benutzung von Schriftkommentaren des A. nach (Altdt. Predigten III, Graz 1891, S. 289, 359, 374f., 382); aber die Parallelen sind punktuell und erweisen keinen direkten Zusammenhang. Die Homilien des A. selbst erscheinen auch nur gelegentlich in deutschem Sprachgewand (Donaueschingen, cod. B VI2,20 ra ; Köln, Stadtarch., cod. W4° 159, 128ra; Wien, cod. 3016, 131V; ndl. in Leiden, ÜB, Lett. 251,238 -27 [mit Augustin- und Chrysostomus-Predigten]). Wichtige Referenz ist A. im moraltheologischen Thema des Schweigens (s. Schweigen-Kapitel in 'De officüs' PL 16, 23-184). Wiederholt wird A. von -> Hugo von Trimberg im 'Renner' und noch häufiger von -* Konrad von Ammenhausen im 'Schachzabelbuch' zitiert. 5. Ambrosianische Hymnen, von denen

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Amelung, Nikolaus - 'Amicus und Amelius'

verhältnismäßig wenige für A. gesichert sind (s. SZÖVERFFY, Hymnendicht. 148-68) gehören zu den frühesten Versuchen der deutschsprachigen Aneignung kirchlicher Literatur. In interlinearer Form begegnen sie im frühen 9. Jh. in den -> 'Murbacher Hymnen', Ende des 12. Jh.s in der -»'Millstätter Interlinearversion' zu den ambrosianischen Hymnen. Im Spätmittelalter waren die zahlreich überlieferten Hymnare bzw. Brevier-Texte in deutscher Prosa, besonders zum Verständnis ungelehrter Nonnen und Laienbrüder, zu erbaulicher Lektüre bestimmt. Untersuchungen dazu und damit auch zur deutschsprachigen Tradierung ambrosianischer Hymnen fehlen ; s. jedoch —> 'Hymnare und Hymnenauslegungen in deutscher Sprache' und -> 'Veni redemptor gentium' (deutsch). L i t e r a t u r . STAMMLER, Prosa, Sp.Sllf.

K. RUH

Amelung, Nikolaus Ihm, dem pater Nicolaus Amelungh in Werben, wird im 16. Jh. ein kurzes Register über das Sachsenspiegel-Landrecht zugeschrieben ; überliefert in Halle, ÜB, Ye Nr. 62 Pol., f. 2-6 (1. H. d. 15Jh.s). L i t e r a t u r . HOMEYER, Rechtsbücher, S. *57, 115 (Nr. 504).

HELGARD ULMSCHNEIDER 'Amerikaner Passion' -»'Bozner Passionsspiel (1495)', Hs. A. 'Amicus und Amelius' Alem. Legendendichtung Ü b e r l i e f e r u n g . 2 Perg.-Falzstreifen in Inkunabel N II No 167 (I486) der SB Eichstätt = Doppelbl. mit 38+38 Versen, 2.H. d. 13.Jh.s; hg. v. ROSENFELD, S. 48-50. Der bair. Schreiber schrieb 'A.u.A.' auf ca. 17 ineinandergefaltete Doppelbll. 10 x 9,7cm (das erhaltene Bl. war das 13. Bl.), ein sonst nicht nachweisbares, da zerlesenes Volksbuchformat. 'A.u.A.' ist Dokument einer sonst verlorenen Volksbuchgattung des 13.Jh.s.

1. Exempel der Freundschaftstreue zwischen Graf Amelius und Ritter Amicus, die, wie auch die Namen zeigen, von Geburt an füreinander bestimmt sind. Amicus besteht

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den Gotteskampf für den Freund, während dieser mit dessen Gattin keusches Beilager hält. Später opfert Amelius seine Kinder, um mit ihrem Blut den aussätzigen Amicus zu heilen. Gott lohnt diese Treue durch Wiedererweckung der Kinder. Die auf einem Kreuzzug Gefallenen bestätigt Gott als Heilige, indem er ihre Sarkophage in derselben Kirche vereinigt. Als Heilige werden sie noch heute in Mortara bei Pavia verehrt. Damit wird das Exempel zur Legende, die sich in lat. Sprache im 'Speculum historiale' des -»Vincenz von Beauvais (1. XXIII, c. 166 ff.) bis zur 'Legenda aurea' des ->· Jacobus de Voragine findet. 2. Der alem. Dichter (l.H. d. 13.Jh.s) benutzte nicht die lat. Kurzfassung des Vincenz, sondern eine ausführlichere Fassung, die veröffentlichte. Er hält sich eng an seine lat. Vorlage, wie die beiden Fragmente vom keuschen Beilager und vom Entschluß Amelius' zum Kindesopfer zeigen. Die Eleganz des Latein können die nicht ungeschickten Reimverse nicht erreichen. Gegen die Vorlage betont der Dichter das Erbarmen des Aussätzigen mit dem Vater, der seine Kinder opfern soll. Darauf antwortet auch Gott mit Erbarmen und Heilung. Das erinnert an den 'Armen Heinrich' -» Hartmanns von Aue, dem Gott nach Verzicht auf das Blutopfer der maget Heilung gewährt. 3. Nachwirkung hat . u. A.' wohl nicht gehabt. -»· Konrad von Würzburg griff im 'Engelhard' gemäß v. 212 auf eine lat. Vorlage zurück, als er das Motiv der Freundschaftssage bearbeitete. AuchKunz -> Kistener griff in seinen 'Jakobsbrüdern' (ca. 1350) trotz Kenntnis des 'Engelhard' auf eine lat. Vorlage zurück, ebenso benutzte Andreas —»Kurzmann für seine . u. A.'Verserzählung einen lat. Text. L i t e r a t u r . F.J. , D. Sage von A. u. A., AnzfKdVz 4 (1835) 145-160; E. KÖLBING, Zur Überlieferung d. Sage v. A. u. ., 4 (1877) 270-314; MAC E. LEACH, Amis and Amiloun, London 1937; W. BAUERFELD, D. Sage v. Amis u. Amiles, Diss. Halle 1941; I. REIFFENSTEIN, Konrads v. Würzburg 'Engelhard' (ATB 17), 21963, S. X-XVIII; H. ROSENFELD, Eine neuentdeckte A. u. A.-Verslegende d. 13.Jh.s, PBB (Tüb.) 90 (1968) 43-56.

HELLMUT ROSENFELD

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Amman(n), Jörg- 'Amorbacher (alemannisches) Spiel von Mariae Himmelfahrt'

Amman(n), Jörg J.A. wurde am 16.12.1479 als Stadtarzt in Ravensburg eingestellt (Urk. Nr. 213). Im Pestjahr 1494 verfaßte er in seinem niederalem. Dialekt ein Pestregimen von 36 Seiten, das im Ravensburger Stadtarch. unter der Sign. B 36d aufbewahrt wird. S. 36 gibt er an: ... nach vßwyßung der aller gelerttstenn doctores jn der erczny die halb ich mitt gantzem flyß iber leßen vnd vß dem lattin jn tutzsch gebrachtt... Der Text steht in der Tradition vergleichbarer Regimina (s. K. SUDHOFF, Dr. Ullrich Eilenbog ..., Sudhoffs Arch. 2 [1909] 70f.); er teilt sich in die Abschnitte 10 Zeichen, Luft, Speise und Trank, Übung des Leibes, Aderlaß nach dem Mondstand, Schlaf, seelische Verfassung, Arzneien, humores etc. Ammann bietet inhaltlich wenig Neues; bemerkenswert ist seine gewandte Ausdrucksweise. Weitere Lebensdaten A.s sind noch nicht bekannt. HARTMUT BROSZINSKI 'Von einer Amme' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2796 (geschrieben 1483 von Gabriel Sattler für die Grafen von Zimmern).

Das Gedicht ist vermutlich im 15. Jh. entstanden ; es umfaßt 157 Titurelstrr. und gehört zu der kleinen Gruppe von Minnereden, die in der Tradition -> Hadamars von Laber stehen. Sprachliche Indizien weisen auf bair. Herkunft. Das Verhältnis Dichter-Dame ist hier in die etwas ausgefallene Bildgleichung KindAmme gefaßt, wobei vor allem die erzieherischen und nährenden Funktionen betont werden. Doch sonst variiert diese Rede in der Hauptsache Konzepte der Hohen Minne, die seit dem 12.Jh. gängig sind: Ausschließlichkeit der Beziehung, Verehrung der Frau, die Notwendigkeit von Treue und Heimlichkeit. Auffallend ist, daß wiederholt stark geistliche Obertöne angeschlagen werden und daß an einer Stelle (Str. 78-90) Minnelehre in Fürsten- und Staatslehre übergeht. Wie die Schlußstrophen (Str. 147-157) klar erkennen lassen, beschließt 'Von einer Amme' eine Trias von Minnereden in Titurelstrr. Denn die zentralen Bildgleichungen der beiden in der Hs. voraufgehenden, eben-

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falls nur hier überlieferten Gedichte, -> 'Von einem Schatz' und -»'Die Jagd', werden hier nochmals summarisch eingebracht. Zusammenfassend erscheint dabei das Minneverhältnis sowohl als Schatzsuche wie auch als Jagd auf einen edlen Fasan wie auch als Amme-Kind-Beziehung. Es ist daher anzunehmen, daß alle drei Minnereden vom selben Verfasser stammen. L i t e r a t u r . BRANDIS,Minnereden, Nr.266; GLIER, Artes amandi, S. 252-256.

INGEBORG GLIER

Ammenhausen -> Konrad von A. 'Amorbacher (alemannisches) Spiel von Mariae Himmelfahrt' Ü b e r l i e f e r u n g . Amorbach, Fürstl. Leiningisches Arch., 2 Frgm., die sich zu einem Doppelbl. ungewöhnlich kleinen Formats ergänzen lassen; o. Sign.; spätes 13. Jh., mit Neumen. A u s g a b e . HEYM, S.4-13.

Das lat.-dt. Frgm., dessen dt. Text nach einer alem. Vorlage von zwei md. Schreibern aufgezeichnet wurde, verbindet zwei verschiedene Handlungen miteinander: 1. Die Legende von der Himmelfahrt Mariae entsprechend der kirchlichen Tradition, 2. abweichend von sonstigen Bearbeitungen des Stoffs, einen die Szenenreihe mehrfach unterbrechenden Disput zwischen Ecclesia, Synagoga und Dominus. Das mit dem Geschehen vor dem Tod Marias einsetzende Spiel fordert Darsteller für Maria, Dominus (= Christus), die Judaei, Petrus, die Töchter Jerusalems, mehrere Confessores, Ecclesia und Synagoga. Der dt. Text paraphrasiert den lat. Wortlaut, wobei er erweitert und frei gestaltet. Kennzeichnend für die Bearbeitung ist - mit Ausnahme der Szene, die den Angriff der Juden auf die Leiche Marias enthält - der regelmäßige Wechsel lat. und dt. Passagen. HEYM, S. 44, vermutet daher als Vorlage ein ursprünglich lat. Spiel, das der Liturgie entstammte, in diesem Falle, entsprechend der apokryphen Überlieferung der Legende, dem Festofficium des Assumptionsfestes. Der Angriff der Juden (s.o.), nicht im Officium enthalten und auch im Spiel ohne lat. Kontext, dürfte daher dem lat. Spiel noch nicht zu eigen gewesen sein.

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'Anastasia' - 'Andechser Chronik'

Neben diese Handlungserweiterung tritt das später interpolierte Gespräch zwischen Ecclesia, Synagoga und Dominus, das von einer grundlegend anderen Tendenz als die Dispute zwischen christlicher und jüdischer Religion in späteren Spielen getragen ist und, unter dem Einfluß der Hoheliedmystik verfaßt, zwei um einen Bräutigam (= Christus) werbende, liebende Frauen vorführt. Der sonst so scharf artikulierte Gegensatz Ecclesia/Synagoga wird deutlich gemildert, und in die allegorisch gedeutete Liebe zwischen Ecclesia und Dominus wird auch die von Christus wieder angenommene Synagoga miteinbezogen. Ebenfalls unter dem Aspekt der Liebe zwischen Braut und Bräutigam wird das Verhältnis Marias zu Christus gedeutet, wobei der Text, auch hier dem Hohelied folgend, vor allem die Seligpreisung Mariae breit ausgestaltet. Der Verf. dieses stark literarisch geprägten und für ein gebildetes (Kloster-)Publikum bestimmten Textes war offenbar ein Geistlicher, worauf vor allem theologische Versiertheit, Einfluß der Hoheliedmystik und die Auffassung des Spiels als Allegorie schließen lassen (IV 13f.). Die Dramatisierung des Hohelieds, deren einzige Parallele ein lat. Frgm. aus Regensburg darstellt (um 1200; hg. v. B. BISCHOFF, Mal. Stud., Bd.2, 1967, S. 163f.), weist auf das noch enge Verhältnis zwischen lat. und dt. geistlichen Spielen im 13. und 14. Jh. hin. L i t e r a t u r . R. HEYM, Bruchstück eines geistl. Schauspiels v. Marien Himmelfahrt, ZfdA 52 (1910) 1-56; F. EBBECKE, Unters, z. Innsbrucker Himmelfahrt Mariae, Diss. Marburg 1929, S.82f.; P.-G. VÖLKER, Überlegungen z. Gesch. d. geistl. Spiels im MA, in: Werk-Typ-Situation [Fs. H. Kühn], 1969, S. 252-280, bes. S.261. BERND NEUMANN

'Anastasia' Dt. Legende. Ü b e r l i e f e r u n g . Colmar, StB, Hs. 265, 161r-167v; Freiburg/Br., ÜB, Hs. 490, 197r-197v (Frgm.); Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Hs. 2261, 212r-217r; ebd., Hs. 16567,198r-204v; Zürich, Zentralbibl., Car. C 28, 261V-264V. A u s g a b e . A. BACHMANN/S. SINGER, Dt. Volksbücher aus einer Zürcher Hs. d. 15. Jh.s (StLV 185), 1889, S.337-344 (nur nach der Zürcher Hs.).

A., die Frau des Königs Albrecht von Spanien, ist um das Schicksal ihrer Seele besorgt. Sie sucht einen Einsiedler auf, der sie in geistlichen Dingen unterweist. Zur Übernachtung im Wald schließt dieser sie in einer Höhle ein, vergißt sie aber danach. Sie wird dort 30 Jahre lang von Engeln am Leben gehalten. Nachdem der Einsiedler durch eine himmlische Botschaft an die Gefangene erinnert worden ist, befreit er sie. A. kehrt zu ihrem Mann zurück, der sie unerkannt acht Jahre lang an seinem Hof wohnen läßt. Auf dem Sterbebett verrät sie ihrem Sohne ihre Identität. Nachdem der König vom Schicksal seiner Frau erfahren hat, lebt er fortan in Armut. Viele Wunder geschehen an ihrem Grab. Diese dt. Prosalegende hat keinerlei Ähnlichkeit mit der Vita irgendeiner uns bekannten hl. A., erinnert indes an die ->· 'Alexius'Legende. L i t e r a t u r . BACHMANN /SINGER, S. LXVI.

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Andechser Chronik' Die Chronik des sowohl kirchengeschichtlich als auch politisch bedeutsamen Wallfahrtsortes A. liegt in zwei Redaktionen vor. I. Ü b e r l i e f e r u n g . Zusammenstellung bei BRACKMANN, S. 32-38, und KRAFT, S. 6-17 (älteste Hs.: München, cgm 2928 [v.J. 1429-34]). Hinzu kommen: Augsburg, SB u. StB, 2° cod. 154; Berlin, mgf 1036; München, cgm 393; Stuttgart, LB, cod. HB XIV 20,1. A u s g a b e . KRAFT, 1940, S. 583-600 (nach cgm 2928).

Diese dt. Chronik ist eine Aneinanderreihung von anekdotenartigen Erzählungen, in 19 Kapitel mit Schlußabschnitt gegliedert, zumeist über die bedeutenderen Mitglieder des 1248 ausgestorbenen Geschlechts der Grafen von Andechs, die sich mit den Reliquien und der Kapelle von Andechs in Verbindung bringen lassen. Eine deutliche Tendenz, das bayerische Herzoghaus der Wittelsbacher zu verherrlichen, ist nicht zu verkennen. Dies bildet für KRAFT den Hauptgrund, die Chronik einer dem Herzoghaus sehr nahestehenden Person, wahrscheinlich Johann Fuchsmündel, Kanzler der Herzöge

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Andreae, Johannes

Ernst und Wilhelm, zuzuschreiben. BRACKMANN plädiert wenig überzeugend für einen Klostergeistlichen. Als Entstehungszeit kommt wohl das Jahr 1403 oder die Zeit kurz danach am ehesten in Frage. Da die 'A.C.' hauptsächlich als Propagandaschrift für die Andechser Wallfahrt diente, ist sie im Überlieferungskontext fast immer mit dem positiven Bericht des späteren päpstlichen Legaten Johannes de Eugubio über Andechs und das Schicksal der Reliquien, der Urkunde Ottos vom Bamberg für Andechs, der Scheyrer Fürstentafel u.a. verbunden. Die Hauptmasse der Überlieferung setzt nach einer förderlichen Begutachtung der Reliquien durch ->Nikolaus von Kues i.J. 1451 ein. Besonders die Benediktiner, die das 1438 gegründete Kollegiatsstift 1455 übernahmen, fertigten mehrere Widmungsexemplare für in- und ausländische Adelige an, die mitunter durch Schenkungen entgolten wurden (vgl. BRACKMANN, S.löf.). II. Ü b e r l i e f e r u n g . Red. H a : München, Hauptstaatsarch., Andechs Lit. I. Red. Hb: ebd.; München, cgm 1557; Drucke: GW 1639-1642, HAIN 970.

Diese Chronik, 1472 entstanden, geht auf Redaktion I und einige andere Quellen zurück. Sie ist zunächst auf Lat. verfaßt worden (II a), wurde aber sehr bald ins Dt. übertragen (lib). Es ist das Bestreben des Verf.s, aus den verschiedenen Quellen, die einander bisweilen widersprechen, eine chronologisch geordnete Geschichte des Klosters, beginnend mit dem Jahre 766, zusammenzustellen. Die Drucke von Red.lib, wohl alle vom Kloster selbst in Auftrag gegeben, sollten die bereits florierende Andechser Wallfahrt weiterhin propagieren. Der Wessobrunner Druck von Zeyssenmayr (1515) wurde sogar mit 2018 Exemplaren aufgelegt. Eine weitere Chronik-Hs., deren Redaktionszugehörigkeit ich nicht ermitteln konnte, ist Andechs, Stiftsarch., Ms. 28 (olim 10). L i t e r a t u r . A. BRACKMANN, Die Entstehung d. Andechser Wallfahrt, Abhh. d. Ak. d. Wiss. Berlin 5 (1929); B. KRAFT, Andechser Stud., Oberbayer. Arch, f. vaterländ. Gesch. 73 (1937) u. 74 (1940).

WERNER WILLIAMS-KRAPP

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Andreae, Johannes A. wurde um 1270 in Rifredo im Tale von Mugello geboren. Er studierte in Bologna Grammatik, Theologie und die Rechte und promovierte bei Richardus Malumbra zum Doktor des kanonischen Rechts. Seit 1302 als Lehrer der Dekretalen in Padua, 1309 wieder in Bologna, wurde er seit 1316 als Schlichter in Prozessen bekannt und wirkte als Berichterstatter bei Papst Johannes XII. in Rom. Er starb 1348 an der Pest. Seine zahlreichen juristischen Schriften sind lat. abgefaßt ('Glossa ad Sextum', 'Novella ad Sextum', 'Additiones ad Apparatum Sexti', 'Novella in Decretales Gregorii IX', 'Quaestiones Mercuriales' u.a.). Für die dt. Rechtsliteratur erlangte Bedeutung seine 'Lectura super arboribus consanguinitatis et affinitatis'. Wiegendrucke: Grundtext ohne Erweiterungen GW 1676-1680, mit anon. Erweiterungen GW 1681 bis 1709, erweiterter Text mit Kommentar v. Henricus Greve GW 1710-1713 u. v. Johannes Kyrssmann GW 1714, 1715, verkürzte Bearbeitung GW 1716.

Dieses Büchlein bietet eine vollständige Darstellung der Grade der Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft, die für das kirchliche Eherecht wichtig sind und auch im Erbrecht Beachtung erlangten. In manchen Überlieferungen traten Darstellungen der durch Patenschaft und Adoption begründeten Verwandtschaftsverhältnisse hinzu (Cognatio spiritualis und Cognatio legalis). Die Schrift wurde mehrfach in dt. Sprache bearbeitet, zuerst in 14 dt. Hss. (zusammengestellt bei Eis, S. VIIIf.), später auch in Inkunabeln (GW 1717-1721, 1689 u. 1708; Eis, S. IX) und Frühdrucken (Eis, S. X), die meist mit Zeichnungen (später Holzschnitten) ausgestattet wurden. Unter den in Deutschland hinzugefügten Ergänzungen ist ein Kapitel mit volkstümlichen Verwandtschaftsrätseln bemerkenswert. Die zahlreichen Drucke des lat. Originals stammen ausnahmslos aus Offizinen nördilich der Alpen. Je eine schwedische und tschechische Hs. zeugen für die Weitergabe an die Nachbarländer. L i t e r a t u r . F.C. SAVIGNY, Gesch. d. röm. Rechts im MA, Bd. VI, Heidelberg '1831, S. 98-125; J.F. v. SCHULTE, Gesch. d. Quellen u. d. Lit. d. kanonischen

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'Andreas' - Meister Andreas

Rechts, Bd. II, 1877, S. 205-229; Enciclopedia italiana di scienze, lettere e arte, Bd. 17, S. 225; R. RUDOLF, Arbor consanguinitatis u. Arbor affinitatis, in: G. Eis, Mhd. Schrifttum in d. Slowakei, Preßburg o. J. (1944), S. 58 (über d. Preßburger Hs. mit Faks.); A.M. STICKLER, LThK 5, S. 998; H. Eis, Z. Rezeption d. kanonischen Verwandtschaftsbäume J.A.s, Unters, u. Texte, jur. Diss. Heidelberg 1965; R. STINTZING, Gesch. d. Lit. d. röm.-canonischen Rechts in Deutschland, 1967, S. 151 ff. ; U.GRAY, Das Bild d. Kindes im Spiegel d. altdt. Dicht, u. Lit., phil. Diss. Heidelberg 1973, S. 209 (über Bämlers Inkunabel).

HELKO Eis

'Andreas' Ü b e r l i e f e r u n g . Vierspaltig beschriebenes Pergamentbl. (davon eine Spalte fast ganz abgeschabt) aus d. 2. H. d. 12.Jh.s, beschrieben v. J. LAMBEL, s. Germ. 12 (1867) 76 f. Privatbesit/, schon Ende d. 19. Jh.s verschollen. A u s g a b e n . LAMBEL, S.77-80; KRAUS, Dt. Ged., S. 64-67, 250-259.

Die erhaltenen 113 Verse und Versreste stammen vom Schluß des Gedichts. Sie behandeln die Szenen vor dem Märtyrertod des Apostels; dazwischen v. 10-21 ein Gebet des Autors mit Anrufung des hl. Andreas. KRAUS, S.250ff., notiert z.T. wörtliche Übereinstimmung zu den Virtutes Andreae des Pseudo-Abdias. Genauere Angaben über die Vorlage des Gedichts könnten nur aus der Kenntnis der gesamten AndreasÜberlieferung gemacht werden. Die Reime sprechen für md. Herkunft und für eine Datierung in die 2. H. d. 12. Jh.s

KARL-ERNST GEITH Andreas Ü b e r l i e f e r u n g . Dessau, Zweigstelle d. ÜB u. LB Sachsen-Anhalt, Hs. Pap. Georg 224 (früher 4° 1), geschr. 1442 in Trier; Düsseldorf, Heinrich-Heine-Arch., Perg.-Frgm. Anf. 14. Jh. (v. 61-88, 150-177), hg. v. F. GERSS, ZfdPh 9 (1878) 210-215. Ausgabe. ROSENFELD, S. 140-156.

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tung ist vielmehr in freier Nachfolge des ->· 'Winsbecke' entstanden. Mit dem 'Winsbecke' verbindet sie zunächst die äußere Form: dessen zehnzeilige Strophe jeweils mit der Anrede Sun am Eingang, ist hier zur Gruppe von je sechs mit Sun eingeleiteten Versen vereinfacht (in den Hss. verschiedentlich verdunkelt). Aber auch für das Inhaltliche verdankt A. dem 'Winsbecke' manches, z.B. die Warnung vor den tumben, vor Zwischenträgerei, vor langer Feindschaft, vor übermäßigem Weingenuß, die Mahnung zur Wohltätigkeit, rechtem Schenken, Beherrschen der Zunge, zu rechtem Sprechen und Schweigen usw. Doch hält sich A. dabei von Anlehnungen im Wortlaut frei (bis auf v. 123 f. ~ Winsb. 8,1 f. und v. 285 ~ Winsb. 23,5, wo aber Topos vorliegt). Mit der Rumpfübersetzung der 'Disticha Catonis' (-»'Cato') besteht ebenfalls Berührung, die aber auf einem geflügelten Wort beruhen könnte. Obwohl A. an adelige Verhältnisse denkt, tritt doch das spezifisch Ritterliche stark zurück; nur knapp ist von der Mannhaftigkeit und der Pflege des Waidwerks die Rede, Turnier und Minnedienst fehlen ganz. A. scheut das Derbe und Naturalistische nicht, empfiehlt vor allem häusliche und soziale Tugenden und wird am wärmsten bei dem Memento mori, in dem sich die Zeit der Totentänze ankündigt. Auf Gelehrsamkeit, wie sie Andreas de Rode zeigt, deutet in unserer Dichtung nichts. L i t e r a t u r . H.-F. ROSENFELD, D. väterlichen Lehren des A., ZfdA 93 (1964) 133-139; H. GROSSMANN, Unters, z. 'Filius'-Ged. d. Mag. Andreas de Rode, Mlat. Jb. 8 (1973) 152-232, hier S. 155 f.

H AN s-FRIED RICH ROSENFELD

Meister Andreas Die in cod. 15131 des Germ. Nat. Mus. Nürnberg v. J. 1443 und weiteren Hss. überlieferte dt. Katharinenlegende mit 'Die väterlichen Lehren' des A. (528 vv.) Wunderanhang beruft sich mehrfach auf sind um 1300 im nördl. Ripuarischen unweit eine Vorlage, die mayster Endres, ein kuster des Rheines entstanden, im Wortschatz sich in dem Orden Sant francissen verfaßt hatte. vielfach mit dem -> 'Karlmeinet' berührend. Vgl. ebenda l r , 53r, 78r. Eine Verifizierung Quelle ist nicht, wie H. WALTHER (s. WAL- dieses Verf.s ist noch nicht gelungen. Lit.: THER, Prov. II l, S. XVIIf. u. XXXI) glaubte, P. ASSION, Die Mirakel d. hl. Katharina v. die lat. Spruchsammlung 'Filius' des Ma- Alexandrien, Diss. Heidelberg 1969, S. 75. PETER ASSION gisters -> Andreas de Rode. Die Lehrdich-

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Andreas de Escobar - Andreas von Lappitz, der Krabath

Andreas Capellanus -> Hartlieb, Johannes -» Johann von Konstanz —> 'Warnung an hartherzige Frauen' Andreas de Escobar auch A. Dias, A. Didaci, A. Hispanus, A. von Randulph, A. von Lissabon genannt. Benediktiner, einflußreicher Theologe und Schriftsteller, 1367-1437; seit 1428 Titularerzbischof von Megara. Er griff mit mehreren Schriften in die Streitigkeiten der Konzile von Konstanz und Basel ein. Seine nachhaltigste Wirkung hatte er als Verfasser des 'Lumen confessorum' und vor allem seines 'Modus confitendi' (1429), der seit 1475 immer wieder gedruckt wurde (GW 1769-1814, 1816-1855 a). Eine mnd. Übers, des 'Modus confitendi' findet sich in der Privaths. Calbe, 61r-80r (s. BORCHLING, Mnd. Hss. IV, S. 29-36, bes. S. 31). Sein Einfluß auf andere dt. Beichttraktate bedürfte noch näherer Untersuchung. Das ihm zugeschriebene dt. 'Confessionale generale minimum' (Basel, ÜB, O. IV 15, llr-13r) stellt keine Übersetzung des 'Modus confitendi' dar. L i t e r a t u r . K. HOFMANN, LThK 1515; R. AUBERT, DHGE XV 861 f.

P. EGINO WEIDENHILLER

Andre(as) von Esperdingen In der Hs. London, Brit. Mus., Add. 24946, 209r steht eine gereimte Neujahrsrede v. A.v.E. Der Anfang ist gedruckt bei J. BAECHTOLD, Dt. Hss. aus d. Brit. Mus., 1873, S. 117. L i t e r a t u r . R. PRIEBSCH, Dt. Hss. in England II, 1901,5.218.

WOLFGANG STAMMLER (t)

Andreas von Kolmar war der Verf. eines Malerbüchleins, das in der 1870 verbrannten Hs. A VI Nr. 19 der Straßburger ÜB stand und in einer Abschrift des 19. Jh.s erhalten ist. PLOSS glaubt, die Niederschrift 'in die zweite Hälfte des 14. Jh.s' verlegen zu können. A. war nach PLOSS Maler von Beruf, da seine Rezepte so genau sind, daß sie nur von einem Fachmann herrühren können. Sie handeln z.T. von der Herstellung neuartiger Wasser-

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farben, z.T. folgen sie der älteren Tradition. Das Werk enthält auch Rezepte für das Färben von Tuchen, für die Erzeugung von Seife und für das Hornschmelzen. A. war Elsässer; ob er mit dem Straßburger Maler Andreas Ciamann identisch ist (PLOSS), muß noch immer dahingestellt bleiben. L i t e r a t u r . E. PLOSS, Stud. z. d. altdt. Maler- u. Färberbüchern, Diss. München 1952 (hektographiert).

P. RAINER RUDOLF SDS Andreas von Lappitz, der Krabath 1. Eigentlich Andreas Kuzal, geb. um 1435 als Sohn des kroatischen Adeligen Petrus Kuzal de Lyka. Im Alter von zehn Jahren zur Erlernung der deutschen Sprache in den Dienst der Herren von Wildeshausen in der Steiermark gegeben, machte er den Romzug Kaiser Friedrichs III. 1452 mit. Anschließend trat er in den Dienst Ulrichs von Cilli, nach dessen Ermordung 1456 in den des Ladislaus Postumus bis 1457. Von 1476-89 verwaltete er für Erzbischof Johann von Salzburg Schloß und Stadt Steyr und war 1491—1500 kaiserlicher Hauptmann von Ybbs. A. erwirbt seit 1489 verschiedene Besitzungen und Herrschaftsrechte im westlichen Niederösterreich, u.a. die Burg Lappitz, nach der sich das Geschlecht fortan nennt, und rückt damit in den österreichischen Herrenstand ein. Der 1506 verstorbene A. gehört damit zu der ersten Welle auswärtiger Adelsgeschlechter, die in kaiserlichen Diensten an der Wende vom 15. zum 16. Jh. in den österreichischen Erblanden ansässig wurden. 2. Von A. stammt das Frgm. einer Autobiographie, die in einem 'Lappitzischen Stammes- und Geschlechterbuch' im Archiv der Schallenberger überliefert war. Die Hs. ist nicht mehr feststellbar. A u s g a b e n . WURMBRAND, Collectanea genealogico-historica ex archivo inclytorum Austriae inferioris statuum ut ex aliis privatis scriniis documentisque originalibus excerpta, Wien 1705, S. 63-68. Wiederholt in: Arch. f. Gesch., Statistik, Lit. u. Kunst 7 (Wien 1826) 520-522 u. d. T. 'Des A. Lapiz Zug nach Rom und andere denkwürdige Geschichten' sowie: A. CAESAR, Annales Ducatus Styriae III, Wien 1777, S. 455-458.

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Andreas von Regensburg

Das Frgm. ist offenbar in den späteren Lebensjahren verfaßt und trägt deutlich memoirenhafte Züge. Aufgezeichnet zu einem Unterricht mein Kindern nahmblich mein Söhnen, beschreibt er ausführlich den Romzug Friedrichs III. und die ungarischen Verhältnisse der Jahre 1455-57, bes. die Verteidigung Belgrads gegen die Türken. Es bricht mit dem Tod des Ladislaus Postumus ab.

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nes Stifts in Straubing aufsuchte, nach seinen weiteren historiographischen Plänen, und schließlich wurde sein CEuvre zur wichtigsten Grundlage der bayerischen Historiographie des späteren 15. Jh.s.

2. A r b e i t s w e i s e . C h r o n o l o g i e Nach eigenem Bekenntnis hat A. vom Zeitpunkt seiner Priesterweihe an historische Aufzeichnungen gemacht, um sie zu L i t e r a t u r . V. PREUENHUBER, Annales Styrenses, größeren Darstellungen zu verarbeiten. Sein Ziel war es, durch nucz wegen der gegenNürnberg 1740, S. 130-150, 374; F. K. WISGRILL, Schauplatz d. landessässigen niederösterr. Adels V, wurtigen und auch der chunftigen die Taten Wien 1824, S. 436-440; LORENZ, Geschichtsqueilen der Vorfahren zu beschreiben, damit ihre I 227, II 306; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 358; Rep. Nachkommen zu Iren löblichen werkchen fönt. II 231. werden (LEIDINGER, Ausg., S. PETER JOHANEK erwekcht 10 26 59l ' ). Zu diesem Zweck hat er die ihm erreichbaren Chroniken und historischen Andreas von Regensburg Aufzeichnungen verwertet (exftorare/aus1. Leben. Biographische Quelle ist aus- geplümet) und zusammengefaßt (in hanc schließlich A.s eigenes Werk. Geb. in der formam redegi, ebd., S. 3 bzw. 591). Für diese Arbeit standen ihm die reichen 2. Hälfte des 14. Jh.s vielleicht in Straubing, wo er um 1393 die Schule besuchte. 1401 Bibliotheken der Regensburger Klöster zur trat er in das Augustinerchorherren-Stift Verfügung, die er auch mit Gewinn genutzt St. Mang in Stadtamhof am Fuß der Brücke hat, wie etwa seine Bemerkungen über eine gegenüber Regensburg ein, wurde 1405 in Prüfeninger Hs. der Chronik des -»Frutolf der Pfingstwoche in Eichstätt zum Priester v. Bamberg -Ekkehard v. Aura belegen. A. geweiht und stieg in den dreißiger Jahren hat sich nicht mit der Auswertung erzähoffenbar zum Dekan seines Stifts auf; als lender Quellen begnügt, sondern auch, wo solchen bezeichnet ihn wenigstens der No- es ihm möglich war, die urkundliche Überl. tar Laurencius Wschierobetz, der eine Ab- zu erfassen getrachtet und dabei auch Arschrift der 'A.Chronik' für ihn anfertigte, chivalien durchforscht; jedenfalls fand er während er selbst sich stets Andreas pres- in quodam registro die Urkunde Kaiser byter oder canonicus nennt. Kurz nach 1438 Heinrichs IV. für Obermünster von 1089, dürfte er verstorben sein; die späteste Nach- die er in die 'A.Chronik' inserierte (LEIricht in der Fortsetzung der 'A.Chronik' DINGER, Ausg., S. 50f.). Gerade für die Geschichte seiner eigenen Zeit ist A. mit Erbezieht sich auf den 28. August 1438. Obwohl er Regensburg während seines folg bestrebt gewesen, Urkunden- und Lebens kaum verlassen zu haben scheint Aktenmaterial zu sammeln, das er sich aus und er offenbar keine Rolle in der bischöf- den verschiedensten Quellen zu verschaflichen Verwaltung und Politik spielte, lebte fen wußte; einmal schrieb er sogar das er keineswegs isoliert (s.u. 2). Seine schrift- kaiserliche Schutzprivileg durchreisender stellerische Tätigkeit blieb nicht unbekannt, Zigeuner ab (ebd., S. 319). Überhaupt sondern verschaffte ihm Ansehen weit über charakterisiert ihn ein unermüdliches BeRegensburg hinaus. Versorgte er schon mühen um Information, das sich über die 1422 Bischof Johann II. von Regensburg mit Verwertung schriftlicher Quellen hinaus historisch-politischer Information (s. u. 3), vor allem auch in der Befragung von zuso regte ihn 1425 Herzog Ludwig VII. von fällig in Regensburg anwesenden Fremden Bayern-Ingolstadt zu einer Geschichte der äußert, die er im Besitz besonderen Wissens Herzöge von Bayern an (s.u. 7). Herzog glaubt. So befragt er den englischen DominiErnst von Bayern-München befragte A., kaner Thomas Cardigan über Poitiers, die als dieser ihn 1431 in Angelegenheiten sei- Heimat des hl. Emmeram und Bischof

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Andreas von Regensburg

Richard von Lincoln über Wiclif. Zu seinem historischen Wissen gesellt sich eine gewisse Kenntnis juristischer und staatstheoretischer Literatur, und selbst Werke wie Huguccios Glossar, das 'Rolandslied' des Pfaffen -> Konrad und die lat. Bearbeitung des -*· 'Herzog Ernst' weiß er für seine Zwecke auszubeuten. Dieses ganze Material hat er in umfängliche und sorgfältige Kompilationen verarbeitet, widersprüchliche Meinungen notierend, zumeist seine Quellen zitierend, bestrebt, umfassende Dokumentation des Vergangenen zu geben. Meist hat er an mehreren Werken gleichzeitig gearbeitet. Das Konstanzer Konzil gab wohl den Anstoß zur Zusammenfassung seiner Sammlungen. Er begann mit der'A.Chronik' (1420-22, s. u. 3), widmete sich schon vor deren Abschluß den Arbeiten zum Konzil von Konstanz, seinen Nachwirkungen und den Hussiten (s.u. 4 u. 5) bis 1428. Nebenher lief rastlose Sammelarbeit (s. u. 6). Parallel dazu begann er um 1425 auch die Ausarbeitung der bayerischen Landeschroniken bis 1428 (s.u. 7 u. 8). Dann kehrte er im 'Dialogus' noch einmal zum Hussitenthema zurück (s.u. 9) und widmete sich in den letzten Lebensjahren der Fortsetzung seiner Chroniken.

3.'Chronicapontificumetimperat o r u m R o m a n o r u m ' (von LEIDINGER als . Chronik' bezeichnet) Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg.,S. XVIIIXXXVII (18 Hss., darunter ein Autograph [Wien, cod. 3206], die bis auf eine auch die Fortsetzung enthalten; dazu 8 Bruchstücke und Auszüge, die z.T. auf Hartmann -»Schedel und Aventin zurückgehen). A u s g a b e n . PEZ,Thes. IV 3, S. 273-366 (nach dem Autograph, vollständig bis 1422,ohnedieFortsetzung); J. G. ECCARD, Corpus historicum medii aevi I, Leipzig 1723, S. 1931-2176 (Auslassungen in den älteren Teilen, vollständig von Rudolf von Habsburg an, mit Fortsetzung); G. LEIDINGER, A. v. R. Sämtliche Werke (Quellen u. Erörterungen z. bayer. u. dt. Gesch., NF 1), 1903 (Nachdr. 1969), S. 1-158 (Chronik bis 1422 unter Auslassung rein kompilierter Teile) u. S. 461-501 (Fortsetzung) (zit.).

Die . Chronik' hat A. nach dem Muster der weitverbreiteten Weltchronik des -»Martin von Troppau angelegt. Die Geschichte der einzelnen Päpste und Kaiser wird von Chr. Geb. an in zwei parallelen paginae abgehandelt; dazu tritt, bald dem einen, bald dem anderen Bereich zugeordnet, die Geschichte der Bischöfe von Re-

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gensburg, so daß A. die Geschichte seines Bistums in die der beiden universalen Gewalten einbettet. Bis zum Tode Karls IV. ist das Werk Kompilation. Hauptgrundlage sind Frutolf-Ekkehard, Martin von Troppau und die 'Flores temporum'. Daran anschließend beginnt die eigene Darstellung des A. Die einzelnen Quellen sind nachgewiesen bei LEIDINGER, Ausg. S. XXXI-LX. Die Kontroverse zwischen LEIDINGER, der die Benutzung einer nicht erhaltenen Chronik —> Konrads von Alegenberg annahm, und SCHNEIDER, der dies bestritt, wurde durch IBACH zugunsten des letzteren entschieden. A. hat auch nach Fertigstellung der Chronik weiteres ihm inzwischen zugänglich gewordenes Material eingearbeitet, wie aus den verschiedenen Hss.klassen (A, B, C) hervorgeht. Von allen Werken des A. hat die . Chronik' die weiteste Verbreitung gefunden. Hss. befanden sich in Regensburg selbst (bes. C-Klasse), sind früh in Südbayern und Wien nachweisbar ( -Klasse), aber auch nach Norden und Westen gedrungen, doch kaum über Süddeutschland hinaus. Verschiedentlich sind Privatpersonen als Besitzer (darunter Bischof -»· Bernhard von Kraiburg und zwei Seelsorger) nachweisbar, bevor die Hss. in Klosterbibliotheken gelangten. Die bayerischen Historiographen des 15.Jh.s haben sie benutzt, Hartmann Schedel und Aventin, der A. als bayerischen Livius bezeichnete, sie ebenfalls ausgewertet (s.o.). 1470/71 übersetzte sie der Regensburger Stadtschreiber Leonhard —»Hefft im Auftrag des Stadtkämmerers ins Deutsche.

A. selbst verfertigte noch im Jahre 1422 einen Auszug 'Compendium de condicione civitatis Ratisponensis et de diversis haereticis'. Ü b e r l i e f e r u n g . München, ÜB, cod. 672, 308r bis 324r; München, clm 27070, 84r-100r. A u s g a b e . LEIDINGER, Ausg., S. 693-99 (nur Vorwort u. Kapitelüberschriften).

Dieser Auszug, den er Bischof Johann II. von Regensburg überreichte und der die Abschnitte der 'A.Chronik' enthält, die Regensburg, Konzilien und Häresien behandeln, sollten diesem als Material zur Vorbereitung des Reichstags zur Hussitenfrage dienen, der für den 1. Juli 1422 nach Regensburg einberufen war, dann aber in Nürnberg stattfand. 4. ' C o n c i l i u m C o n s t a n t i e n s e ' . 'Concilium provinciale' Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg., S. LXI bis LXIII (6 Hss., von denen die zwei vollständigen auch das 'C.p.' enthalten).

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Andreas von Regensburg

A u s g a b e . LEIDINGER, Ausg., S. 159-286 bzw. 287 bis 299 (unter Auslassung der bereits anderwärts gedruckten Stücke); über ältere Drucke ebd., S. LX.

Beide Arbeiten sind keine eigentlich historiographischen Werke, sondern Aktensammlungen mit gelegentlich eingefügtem verbindenden Text. Das 'C.C'. stellt eine der umfassendsten und wertvollsten Sammlungen dieser Art dar, da viele Stücke nur hier überliefert sind. A., der selbst das Konzil nicht besuchen konnte, dürfte als Grundstock für die Zusammenstellung eine Sammlung benutzt haben, die vielleicht der spätere Regensburger Bischof Friedrich Parsberger während des Konzils anlegte. Das 'C.p.' gibt die Aktenstücke zur Regensburger Diözesansynode von 1419 wieder, auf der die Statuten der Salzburger Provinzialsynode und damit die Ergebnisse der Konstanzer Reformarbeit in der Diözese Regensburg promulgiert wurden. Entstanden sind beide Sammlungen wohl um 1421/23; die 'A.Chronik' verweist auf sie, das spätest datierte Stück im 'C.C.' stammt vom 23. Mai 1423 (vgl. LEIDINGER, Ausg., S. VI; s. auch u. 5). 5. ' C h r o n i c a H u s i t a r u m ' Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg., S. LXXf. Ausgabe. Ebd., S. 343^59, zu älteren Drucken ebd., S. LXXI.

Einen Titel hat das Werk in den Hss. nicht; die Bezeichnung 'Chronik' ist unangemessen, denn auch die 'Ch.H.' präsentiert sich vor allem als Aktensammlung zu den Hussitenkriegen 1419-1428. Allerdings sind die berichtenden Einschübe hier umfangreicher. Da die 'Ch.H.' in der Überl. stets unmittelbar an 'C.C.' und 'C.p.' anschließt, ist zu erwägen (gegen LEIDINGER), ob nicht auch deren endgültiger Abschluß auf 1428 zu datieren ist. 6. ' D i a r i u m s e x e n n a l e ' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 903, 221r-224" u. 235r-271r (Autograph). A u s g a b e n . A. F. OEFELE, Rerum Boicarum scriptores I, Augsburg 1763, S. 15-30 (von ihm der Titel); LEIDINGER, Ausg., S. 301-342.

Der Münchener clm 903, der das Werk überliefert, gibt als Ganzes einen guten Einblick in die Sammeltätigkeit des A. (vgl.

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die Beschreibung bei LEIDINGER, Ausg., S. LXIV-LXX). Das 'D.s.' reiht tagebuchartig Eintragungen von Nachrichten und Abschriften in dt. und lat. Sprache aneinander, die zum großen Teil in die 'Ch.H.' eingegangen sind. Vor allem in diesen Eintragungen gewinnt man einen Eindruck davon, wie A. zu seinen Informationen gelangte, die er nicht aus Bibliotheken schöpfen konnte. Ähnliche Aufzeichnungen aus den Jahren 1430-35 sind in Paris, Bibl. Nat., cod. lat. 1503, enthalten, im Anschluß an den 'Dialogue' (s.u. 9) (vgl. LEIDINGER, Ausg., S. CX-CXII; Druck: S. 700-711).

7. ' C h r o n i c a de p r i n c i p i b u s t e r r a e Bavarorum' (von LEIDINGER als 'B. Chronik' bezeichnet) Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg.,S. LXXIII bis LXXIX. A u s g a b e n . M. FREHER, Amberg 1602 (benutzt verlorene Hss.); LEIDINGER, Ausg., S. 503-563; Fortsetzung: S. 565-587; zu weiteren älteren Drucken ebd., S. LXXII.

Als sich Herzog Ludwig VII. von BayernIngolstadt 1425 in Regensburg aufhielt, überreichte ihm A. einen von ihm gefertigten Stammbaum der Wittelsbacher. Dieses Werk ist verloren. Der Herzog hatte aber bei dieser Gelegenheit A. aufgefordert, eine Chronik der bayerischen Herzöge zu verfassen. Von ihr nun legte A., wohl noch im selben Jahr, eine erste Fassung vor, die bis 1180 reichte. Er überarbeitete sie in den Jahren bis 1428, führte sie bis 1427 fort und ließ schließlich noch eine Fortsetzung bis 1436 folgen. Das Werk fußt im wesentlichen auf der 'A.Chronik' (die übrigens z.T. die bayer. Geschichte ausführlicher behandelt als die 'B. Chronik'), verarbeitet jedoch eine Reihe von Quellen, die A. inzwischen kennengelernt hatte: die Chronik ->Ottos von Freising, das 'Pantheon' —> Gottfrieds von Viterbo, die 'Scheyerner Fürstentafel', die -»'Kastler Reimchronik' u.a. In der 'B. Chronik' entstand auf Anregung eines Wittelsbachers die erste umfassende Geschichte Bayerns von den Anfängen an, die erste Landeschronik, die Grundlage für alle späteren Versuche auf diesem Gebiet wurde.

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Magister Andreas de Rode

8. ' C h r o n i k von den F ü r s t e n zu Bayern' Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg., LXXXXV-LXXXXVIII (8 Hss., 3 Bruchstücke). A u s g a b e . LEIDINGER, Ausg., S. 589-655.

S.

Noch vor Fertigstellung der 2. Fassung, etwa 1427, begann A. selbst mit einer Übers, der 'B. Chronik' aufgrund der 1. Fassung, die er dann nach der 2. Fassung zu Ende führte (Nachweise bei LEIDINGER, Ausg., S. LXXXIX-LXXXXV). Neuer Stoff wurde nicht eingefügt. Die Überl. zeugt für das Interesse an diesem Werk über das MA hinaus: Fünf Hss. stammen aus dem 16. Jh.; in dieser Zeit entstanden auch zwei weitere Übers, der lat. 'B. Chronik'. Umgekehrt erfuhr die dt. Fassung bereits im 15. Jh. in München eine Rückübers. ins Lat. mit einer Fortsetzung; eine zweite Rückübers. stammt vermutlich von Hartmann Schedel (vgl. LEIDINGER, Ausg., S. LXXXXIV bis CIX). 9. ' D y a l o g u s de heresi b o h e m i c a ' Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg., S. CIX bis CXI. A u s g a b e . LEIDINGER, Ausg., S. 657-691.

Mit diesem Werk greift A., wohl um 1430, noch einmal das Thema auf, das ihn und seine Zeit besonders stark bewegte. In einem Dialog, der bewährten Vermittlungsform didaktischer Literatur, läßt er ratio und animus die Hussitenfrage erörtern. Chronologisch entwickelt er den Lauf der Ereignisse, die zu den Hussitenkriegen geführt haben, klärt Grundbegriffe und versucht auch die hussitischen Lehren möglichst einfach und gemeinverständlich darzustellen. Die Absicht des A., mittels Geschichte zu belehren, hat hier ihren konsequentesten Ausdruck gefunden. 10. Fälschlich zugeschrieben wurde A. die Kompilation 'Fundationes monasteriorum Bavariae'; es handelt sich hierbei um einen Auszug aus der . Chronik', den ein Anonymus verfaßte. Vgl. LEIDINGER, Ausg., S. CXII-CXIV. L i t e r a t u r . J.WAHL, A. v.R., Ein Geschichtsschreiber d. 15.Jh.s, Diss. Göttingen 1882; O. LORENZ, Deutschlands Geschichtsquellen im MA seit d. Mitte d. 13.Jh.s, 21886, S. 189-193; G. LEIDINGER, D. verlorene Chron. Konrads v. Megenberg, Fg. f. K.Th.v. Heigel, 1903, S. 160-174; PH. SCHNEIDER, D. Traktat

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De limitibus parochiarum d. Konrad v. Megenberg u. d. allgem. Chron. d. A. v. R., Hist. Jb. 25 (1904) 703 bis 740; G. LEIDINGER, Kl. Stud, zu A. v. R., Fg. H. Grauert, 1910, S. 111-115; H. IBACH, Leben u. Schriften d. Konrad v. Megenberg, 1938, S. 138-140; E. HERRMANN, A.V.R., DieOberpfalz 46 (1958) 269-272; R. NIEDERLÄNDER, D. 'Chronica Husitarum' d. A. v. R. als eine wesentliche Quelle f.d. Gesch. d. Hussitenkriege, Liber ad magistrum, Fg. J. Spörl, 1964, S. 83-88; H. BRACK, Bayer. Geschichtsverständnis im 15.Jh., Speculum Historiale, hg. v. C. BAUER u.a., 1965, S. 334-345; Rep. fönt. II 233f.; K. TARVAINEN, Z. Wortgestalt in bair. Chron.n d. 15. Jh.s. (Studia Philologica Jyväskyläensia 5), Jyväskylä 1968; H. GLASER, in: Hdb. d. bayer. Gesch. II, hg. v. M. SPINDLER, 1969, S. 756-759.

PETER JOHANEK

Magister Andreas de Rode 1. Das in 5 Hss. und einigen Fragmenten überlieferte mlat. Spruchgedicht 'Filius' (dieser Titel v. 21) bewahrt den Namen des Autors im Mesostichon des v. l: Ad «ova d'uecu redeant et örnare salutis. Auch v. 343 nennt der Verf. sich selbst: Hie finitur opus Andree (zur irrtümlichen Zuweisung an —>· Gottfried bzw. Heinrich von Tirlemont in der Brügger Hs. 548 vgl. GROSSMANN, S. 162 ff.). A. war clericus (v. 16) und Lehrer der Söhne des Grafen Wilhelm IV. von Jülich (1219-1278), dem das Gedicht gewidmet ist (v. 344f.; vgl. GROSSMANN, S. 158 f. u. 165-170). Die Beziehung zu Jülich sowie biographische und - allerdings vage — inhaltliche Kriterien legen nahe, in ihm den zwischen 1274 und 1281 als Notar in der Kanzlei Rudolfs von Habsburg tätigen Andreas von Rode zu erkennen, der für Rudolf um 1275 in Jülich mehrfach diplomatische Aufgaben erfüllte und Verf. einer Urkunden- und Briefmustersammlung ist. Der kgl. Fronhof Rode, im Seelsorgebereich der Kirche von Kaiserswerth gelegen, wo A. in einer Urkunde von 1281 als Werdensis ecclesie (Kollegiatstift St. Suitberg zu Kaiserswerth) prepositus erscheint, dürfte die Heimat des A. gewesen sein. Vielleicht hat er den 1269 (vgl. v. 389 ff.) entstandenen 'Filius' als Scholastikus des Stifts oder als Hauslehrer der Grafensöhne in Jülich verfaßt. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Zusammenstellung, Beschreibung, Untersuchung der Hss., der exzerpierten Überl.

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Andreas von Stuttgart

in Florilegien sowie der Glossen und Scholien: GROSSMANN, Ausg., S. 10-116. Ferner: Würzburg, Bibl. d. Franziskaner-Minoriten, cod. I 130, v.J. 1494, 166' bis 173'. Alle Haupthss. d. 'Filius' sind Sammelhss. mit überwiegend didaktischer Lit. Für die dt. Übers, des 'Filius', von der A, v. 372 spricht, ist ein Textzeuge bislang nicht bekannt. Ausgabe. H. GROSSMANN, Das 'Filius'-Gedicht d. Magisters A.d.R. (ßeih. z. mlat. Jb. 10), 1972.

3. Das Gedicht scheint in zwei Phasen (v. 1-350 u. 351—422) entstanden zu sein. Der Hauptteil gliedert sich in das Prooemium (v. 1-22), die fiktive Vater-SohnLehre (v. 23—342), den dedikatorischen Epilog (v. 343-350). Die Didaxe besteht aus Spruchgut, das auf adelige Leser abgestimmt ist. Je in einen oder mehrere Verse gefaßt versammelt es sich zu mehr oder minder umrissenen Themenkomplexen (Gerechtigkeit, Tugend und Ehre, materielle Güter, Spiel, Prälatenschelte, Maßhalten, Freigebigkeit u.a.); möglicherweise lag eine durch Zusätze entstellte Folge von Abschnitten (Strophen) aus je 10 Versen zugrunde. Der verallgemeinernde Charakter des gnomischen Materials wird durch aktualisierende Wendungen und Anspielungen nur mühsam verdeckt. Nach dem formellen Schluß der vv. 343-350 nimmt sich der zweite Teil wie ein Anhang aus; A. blickt resümierend auf das mit Christi Hilfe vollendete Werk zurück, hebt dessen Verdeutschung für die layci hervor, nennt das Datum der Abfassung, endet mit ausgreifender Dedikation nun an die Gottesmutter. 4. Nach Gattung und Zielsetzung geht das Gedicht nicht von einer gestalteten Vorlage aus. Im einzelnen schöpft der clericus und magister A. vielfach aus biblischen Büchern und dem Missale Romanum, aus -> (Ps.)Catos 'Disticha' und Ovid, schwerer greifbar aus Vergil und Horaz. Die Quellenbezüge reichen von motivischer Übernahme und stilistischer Anlehnung bis zu wörtlichen Zitaten. Die fiktive Vater-SohnEinkleidung der Didaxe schließt an biblisches (Prv l, 8; 2, l u.a.) und römisches (Catos 'Ad filium', 'Disticha Catonis' u.a.) Vorbild an; sie findet sich im MA häufiger mit Proverbial-Literatur verbunden. Mag das Gedicht zunächst nur den Jülicher Gra-

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fensöhnen zugedacht gewesen sein, so spricht nicht zuletzt die deutsche Übers. doch für eine weitergehende Bestimmung, die durch die Überlieferungsgeschichte bestätigt wird. 5. Der 'Filius' ist in zweisilbig reimenden Hexametern (etwa ein Fünftel davon versus leonini) abgefaßt, die in ihrer metrischen Struktur auf den klassischen Elementen aufbauend, im einzelnen regen Gebrauch von den im Mlat. üblichen Variationsmöglichkeiten machen. Durch sie verliert der Vers im Vergleich zur klassischen Norm (Vergil) zugunsten größerer Prosaisierung an Strenge. Im Wortschatz, der freilich stark biblisch-liturgisch eingefärbt ist, hält A. sich an den klassischen Gebrauch; Morphologie und Syntax zeigen typische mlat. Weiterentwicklung. Die bemerkenswerte Fülle und Variation der colores kommt der Wirkung des Werks zustatten. L i t e r a t u r . H. GROSSMANN, Unters, z. 'Filius'Ged. d. Magisters A.d.R., Mlat. Jb. 8 (1973) 152-232. Zu A. als Verf. einer Urkunden- u. Briefmustersammlung: J. F. BÖHMER / O. REDLICH, Die Regesten d. Kaiserreiches VI, 1898, S. 13ff.; H. BRESSLAU / H. W. KLEWITZ, Hdb, d. Urkundenlehre f. Deutschland u. Italien, Bd. 2,21931, S. 273f. (mit weiterer Lit.).

HERBERT GROSSMANN Andreas von Stuttgart Ü b e r l i e f e r u n g . Kopenhagen, Kgl. Bibl., Gamle kongelige samling, cod. 3484, 118vf., 151M54', 155r bis 156' (niederelsäss., 1468).

Erwähnt von Hans -> Suff im Stuttgarter cod. med. et phys. 2° 8 (76vf.), stand Meister A. in Diensten Herzog Eberhards im Bart, war den übrigen herzoglich württembergischen Wundärzten vorgesetzt und bekleidete die Stelle eines Stadt(wund)arztes in Stuttgart, wo er über ein Haus verfügte, in dem Patienten gepflegt werden konnten. Unter seinen Händen verblutete ein Edelmann wegen unsachgemäßer Behandlung. Die —> 'Kopenhagener Wundarznei' beruft sich auf A. v. S. bei drei chirurgischen Verfahren, von denen eines die Behandlung von Muskelatrophie beschreibt, das zweite die Herstellung eines Wundöls lehrt und das dritte - gleichzeitig Meister -»Werner dem Judenarzt zugeschrieben - sich mit

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Andree, Hans - 'Das Anegenge'

der unblutigen Reposition von Unterleibsbrüchen befaßt. Literatur. K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA, 1914-18, H, S. 600; G. Eis/G. KEIL, Nachtr. z. VL, StN 30 (1958) 234. _ „

G. KEIL

Meister Andreas von Überlingen -»Reichlin, Andreas Andreasdichter -»Notker Balbulus Andree, Hans Ü b e r l i e f e r u n g . St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 1164, S. 132-134, 2. H. 15. Jh., westschwäb.; Einblattdruck Augsburg: Günther Zainer, um 1477. A u s g a b e n . P. /W. L. SCHREIBER, Sammlung v. 41 Pestbll. d. XV. Jh.s, Straßburg 1901, Nr. 20, vgl. S. 9, Nr. 31.

H.A. nennt sich als Verf. eines in unregelmäßigen Reimpaaren abgefaßten Pestregimens, das unter Berufung auf die schul zu Pariß (vgl. V. GRÄTER, Der Sinn der höchsten Meister zu Paris, Diss. Bonn 1974) und auf Rhazes zur Prophylaxe Anweisungen für Speise, Aderlaß und allgemeine Hygiene bietet, wie sie in der kurz nach 1348 einsetzenden europäischen Pestliteratur üblich sind. Besonders empfohlen werden Gebete zu den Pestheiligen St. Sebastian und St. Rochus. Da sich der Verf. seiner Heilerfolge rühmt, dürfte H. A., wenn er der Urheber dieser Verse ist, Arzt gewesen sein, und zwar in Konstanz, wo der Name Hans Andres (Andreß, Andraß, Andras) in den Steuerbüchern der Jahre 1418-1460 häufig erscheint. Denselben Text überliefert wörtlich ein Augsburger Einblattdruck (vgl. HEITZ/ SCHREIBER, Nr. 20). Anstelle von H.A. ist hier jedoch als Verf. Hans Tormanita eingesetzt. Gemeint sein könnte am ehesten der als Pestautor hervorgetretene Italiener Johannes von Tornamira (ca. 1329-1395), Professor an der berühmten medizinischen Fakultät von Montpellier (vgl. K. SUDHOFF, Pestschriften nach der Epidemie des 'schwarzen Todes' 1348, Sudhoffs Arch. 5 [1912] 46-53). Da sich in dessen Pestschriften keine Spur des vorliegenden Textes findet, kann angenommen werden, daß aus

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werbetechnischen Gründen der wirkliche Verf. - wie so oft — einem klingenderen Namen weichen mußte (vgl. P. ASSION, Altdt. Fachlit., 1973, S. 147). Daß dieses Regimen Anklang gefunden haben muß, verrät ein weiterer, nun anonymer Einblattdruck aus dem 15. Jh. (vgl. HEITZ/SCHREIBER, Nr. 31), der typische Zersetzungserscheinungen (Aufschwellung, Prosa-Bearbeitung) des Textes aufweist. L i t e r a t u r . B. D. HAAGE, D. gereimte Pestregimen d. Cod. Sang. 1164 u. seine Sippe (Würzburger med. hist. Forsch. 8), 1976.

BERNHARD D. HAAGE

'Das Anegenge' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2696 (Rec. 3176), 90 ra (179 a )-lll rb (221 b ). A u s g a b e n . HAHN, Ged., S. 1-40 u. 135; D. NEUSCHÄFER, Das Textkrit. Stud., diplomat. Abdruck, krit. Ausg., Anmerkungen zum Text (Medium Aevum 8), 1966, S. 96-295; ders., Das .' (Altdt. Texte in krit. Ausg. 1), 1969 (zit.).

2. Die von einem Anonymus verfaßten 3242 Reimverse überliefert nur die Wiener Sammelhs. 2696: ein zweispaltiger Pergamentcod., um 1300 in einem unbekannten Skriptorium des bair.-österr. Sprachraumes nach einer ähnlichen Vorlage zusammengestellt. Reim- und Verskunst haben 1180 als terminus ad quern, die vermutete Benutzung der 'Historia scholastica' des -»Petrus Comestor (SCHRÖDER, S. 47) die Zeit nach 1173 für die Abfassung des Textes fixieren lassen. Sicherere Datierungskriterien fehlen, die Zuordnung zur deutschsprachigen geistlichen Literatur des 12. Jh.s ist jedoch aufgrund der hier abgehandelten Themen und theologischen Quellen nicht ernsthaft anzuzweifeln. Reime, Wortschatz und sprachlich-grammatikalische Eigentümlichkeiten legen mittelbair. Sprachheimat nahe (NEUSCHÄFER, 1969, S. 4). Der Titel beruht auf einer späteren Besserung der handschriftlichen Rubrizierung (89 ); die Kennzeichnung 'jüngeres A.' hebt diese Dichtung in der älteren Forschung von -* Ezzos 'Cantilena' ab. 3. Nach topischer Eingangsbitte um göttlichen Beistand für die folgende rede (v. 7), die menschliche Gelehrsamkeit übersteigt - den tumben wird empfohlen, sie zu gelouben und sich eigener fruchtloser Spekula-

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'Das Anegenge'

tionen zu enthalten -, wird das Thema genauer umrissen (v. 61 ff.): Ausgangspunkt und Ziel des allerbesten gedank.es (v. 27) ist das Heilsmysterium des anegenges - genauer eine anspruchsvollere (v. 48ff.) theologische Reflexion und Paränese über den präszienten Schöpfungs- und Heilsplan Gottes (v. 30ff.). Die Zusammenhänge von Anfangs- (v. 2236), d.h. Schöpfungs-, und Heilstheologie {v. 226) sollen dem gläubigen Hörer auf dem Wege der ars praedicandi nahegebracht werden. Damit kommen so zentrale Probleme christlicher Soteriologie in den Blick wie christozentrische Schöpfungstheologie und -teleologie (v. 397ff.), Trinitätsgeheimms und Appropriationenlehre (v. 129ff., 300ff.), Präszienz Gottes (v. 879ff.), Luzifer (v. 231 ff.), Sündenfall (v. 1231 ff.), Erlösungsentschluß (v. 2254ff.), Satisfaktionslehre (v. 3125ff.) und Erlösungswerk (v. 2817ff.). Dem atl. anegenge (v. 833-2043) schließt sich nach kurzer Überleitung 'De visione Dei' (v. 2044-2229) das theologisch ebenso gewichtige ntl. heil an: die Erlösung durch den ' z w e i t e n Adam' (v. 2230-3233). Dieser theologisch-christozentrische Kern hält das .' zusammen, schließt Schöpfungs- und Heilstheologie in eins (v. 203ff.). Im atl. Hauptteil der Dichtung fußt der biblische Bericht auf Gn l, 1-9, 25, der ntl. Bericht des zweiten Teiles dagegen auf Mt (v. 2467), auch auf (v. 2213) und Lc. Die typologische Verknüpfung beider Teile ist biblisch vorgegeben: l, 1-17; Rm 5, 12-21, Col l, 13-17 u.a.

Exegese und theologisch-dogmatisches Fundament der Dichtung gründen fest in der patristischen und scholastischen Tradition. Die Fülle der berufenen Quellen (v. 260,572, 1214f., 1258,2156 u. a.) schien einen Dichter von profunder theologischer Bildung und Belesenheit nahezulegen; eine irrige Annahme, wie SCHEIDWEILER nachgewiesen hat. Fehlerhafte biblische Zitationen und die sorglose Vermengung kanonischer und apokrypher Quellen lassen eher an jemanden denken, der aus zweiter und dritter Hand theologisches Gemeingut schöpft. Zweifelhaft bleibt RUPP (S. 271 ff.) zufolge auch die Etikettierung 'scholastisch'. Allenfalls könnte man von einer vulgarisatio scholastischer Methoden und scholastischen Gedankengutes sprechen. 4. Der Autor will nicht nur gelehrte Theologie in deutscher Prosa vermitteln, sondern vor allem eine dichterische rede zum Lobe Gottes vorbringen (v. 1-20, 2230ff.); doch kann er den selbst gestellten Anforderungen nur ungenügend gerecht werden. Sein Werk bleibt 'im Grunde form-los' (Rupp, S. 276).

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Die Hs. unterteilt den Text in 56 z.T. überlange Abschnitte, die durch Initialen markiert sind. Die Abschnitte haben lediglich eine äußerliche gliedernde Funktion (NEUSCHÄFER, 1969, S. 6). Alle Aufbauanalysen gehen von thematischen Aspekten aus. Auch wenn man dabei der Dichtung eine theologisch durchsichtige und klare Disposition des Stoffes zuerkennt, wird man eine ebenso einfache und zwingende Formkunst vermissen, die konstitutive tektonische Aufbauelemente als gehaltliche, auch theologisch bedeutsame Strukturen durchschaubar machte. Das rührt offenbar von der gedanklichen Kreisbahn her, die die Dichtung im Ineinander von Schöpfungs- und Heilstheologie vollzieht (NEUSCHÄFER, 1969, S.5). Nicht nur der quantitative Umfang einzelner exegetischer oder dogmatischer Partien läßt 'echte Proportionen' vermissen, der Exkurscharakter (bes. v. 2044 ff.) und noch mehr die vielen variierenden Wiederholungen schon behandelter Themen durchbrechen den einsträngigen klaren Aufbau des Gedichts. Es bleibt abzuwägen, ob dem mangelnde logische Schärfe des Autors, fehlende Stoffbeherrschung oder geringe dichterische Potenz zugrunde liegen, ob dies aus der Entstehungs- und Vortragsform der Dichtung herrührt oder ob dem Prinzip der recapitulatio ein theologischer Sinn im Hinblick auf die typologische Grundstruktur zukommt. Fest steht jedenfalls, daß hier - wie in vielen geistlichen Texten dieser Zeit - die formkünstlerische Gestaltung und der artifizielle Anspruch von Dichtung dem theologisch-paränetischen Zweck untergeordnet bleiben. 5. Der Vorsatz des Dichters, seinen höraeren (Rupp, S. 265: Laien; SCHRÖDER, S. 82: Kloster) diffizile theologische Lehrinhalte verständlich zu machen, war angesichts einer Sprache, die sich erst nach und nach die dazu erforderlichen Ausdrucksmittel (Begriffsinventar, Syntax etc.) schaffen mußte, eine schwierige Aufgabe. Bei der Umsetzung lat. formulierter Lehrmeinungen, Glaubensinhalte, Quellenzeugnisse und kanonischer Dogmen in die Muttersprache ging es darum, ein theologisch ungeschultes Publikum (v. 57 ff.) heilsge-

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Angelbertus

schichtlich zu unterweisen. Dabei bedient sich der als litteratus selbstbewußt auftretende, um das Seelenheil seiner Hörer (v. 48 ff.) besorgte Dichter-Theologe zur Belebung und Veranschaulichung aller rhetorischen Mittel sowie des theologischdenkerischen Hilfsmittels der Analogie, das die theologische, dichterische und auch stilistische Struktur dieser Dichtung (Typologie, Parallelismen, Reihungen u. a.) maßgeblich prägt. Lehrinhalte mußten in einen epischen Vorgang aufgelöst, theologische Abstrakta mit Hilfe von Personifikationen, Allegorien, poetischen Bildern dichterisch verfügbar gemacht werden (v. 187 ff., 833 ff., 2254ff. u.a.). Das konnte nicht immer gelingen und hat zu Brüchen in der Darstellung (v. 1859 ff., 2230 ff.) geführt. In der Handhabung des zeitgemäßen theologisch-didaktischen und -exegetischen Rüstzeuges zeigt sich der Verf. bewandert: er überträgt Theologie in (wenn auch vereinfachte) scholastische disputatio und setzt sich entschieden mit real oder hypothetisch erhobenen Einwänden auseinander (v. 412ff., 498ff., 787ff., 1643f. u.a.), sichert auctoritas und veritas durch viele Quellenberufungen (v. 205, 1228, 1659ff., u.a.), redet die Hörer unvermittelt an (v. 557, 1219, 2250f., u.a.). Nicht nur stilistisch werden so Elemente scholastischer Exegese und Theologie für den Predigtstil der Dichtung nutzbar gemacht, auch die Syntax kann die gelehrte, an lat. Vorbildern orientierte Schulung nicht verleugnen. Antithesen und höchst differenziert gebaute künstliche Satzperioden spiegeln oft den Schwierigkeitsgrad des theologischen Denkens und der Sache unmittelbar wieder, aber auch die etwas mühselige Bewältigung der schwierigen Aufgabe, Theologie und Dichtung, historice- sowie mysüce- bzw. moraliter-Kapitel der Schriftdeutung, in eins zu verflechten (v. 57-88). 6. Der Anteil unreiner Reime liegt deutlich über dem der zeitgenössischen Gedichte (vgl. SCHWICKERT, S. 90). Allerdings sind die Assonanzen leicht und aus der bair.-österr. Mundart des Dichters zu erklären (NEUSCHÄFER, 1966, S.34f.). Vom Vorwurf eines stupiden ReimbindungsTraditionalismus (SCHRÖDER, S. 23) hat

NEUSCHÄFER (S. 42) das 'Anegenge' entlastet. Metrisch genügt das .' den Bauprinzipien des frühmhd. Reimpaarverses (SCHRÖDER, S. 12). Nur ca. 5% der Verse sind unregelmäßiger gebaut, indem die Silbenzahl zwischen 4 und maximal 14, die Hebungszahl zwischen 3 und 8 variiert. Der 4-hebige Typus mit stumpfer oder klingender Kadenz überwiegt weitaus. Gesangähnliche, psalmodierende Vortragsform hat zuletzt NEUSCHÄFER (S. 50) aus stilistischen und formalen Gründen abgewiesen. 7. Engere literarische Beziehungen, Abhängigkeiten oder Einwirkungen, zu anderen deutschsprachigen Denkmälern des 12. und 13. Jh.s sind, abgesehen von vagen thematischen Anklängen an die -> 'Altdt. Genesis', ->Ezzos 'Cantilena', die -» 'Vorauer Sündenklage', die -> 'Summa Theologiae' und auch an andere Dichtungen der Wiener Sammelhs., nicht schlüssig nachzuweisen. L i t e r a t u r . Bibliogr. in: D. NEUSCHÄFER, Das .', 1969, S. 212-214. - E. SCHRÖDER, Das .' (QF 44), 1881; V. TEUBER, Über d. vom Dichter d. .' benutzten Quellen, PBB 24 (1899) 249-360; T. SCHWICKERT, D. Reimkunst d. frühmhd. Ged. Vom himmlischen Jerusalem vgl. mit d. übr. Ged. d. österr. Sprachgebietes von ca. 1130-1160, Diss. Köln 1926; H. DITTMAR, D. Christusbild in d. dt. Dicht, d. Cluniazenserzeit (Erlanger Arb. 1), 1934, S. 28-35; F. SCHEIDWEILER, Stud. z. .', ZfdA 80 (1944) 11^5; H. RUPP, Dt. rel. Dicht.d.ll.u.l2.Jh.s,1958,S.231-279;NEUscHÄFER, 1966 (s. Ausgaben), S. 11-86; B. MURDOCH, The garments of Paradise. A note on the Wiener Genesis and the .', Euph. 61 (1967) 375-382; W. FECHTER, Eine Sammelhs. geistl. Dicht, d. 12. u. 13. Jh.s (Wien 2696), Fs. F. Maurer, 1968, S. 246-261; NEUSCHÄFER, Xlöglichkeiten einer Rückgewinnung d. Ursprüngl. bei einfacher Textüberl. in einer Sammelhs., gezeigt am .*, in: Probleme altgerman. Editionen, 1968, S. 63-71; E. J. MADER, D. Streit d. Töchter Gottes' (Europ. Hochschulschr. I 41), 1971, S. 46-51; B. MURDOCH, The Computer (1971) 35-44; ders., The fall of man in the early middle high german biblical epic (GAG 58), 1972.

PETER-ERICH NEUSER

Angelbertus (Engelbertus) 1. Ein sonst unbekannter Angelbertus nennt sich als Teilnehmer der Schlacht bei Fontenoy im Auxerrois (Besiegung Kaiser Lothars I. durch seine Brüder Ludwig und

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Angilbert von St. Riquier

Karl, 25. Juni 841) und Verf. des 'ritmus', der in einer von 3 Hss. Versus de bella que fuit acta Fontaneto überschrieben ist: Str. 8 ... Angelbertus (L; engelbertus P; hangelbertus F) ego vidi, pugnansque cum aliis l solus de multis remansi prima frontis ade. Gelehrte Elemente des Textes zeigen den Verf. im Besitz einer geistlichen Schulbildung. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . P = Kornik, Bibl. der Polska Akademie Nauk, 124 (9.Jh. Frankreich; vgl. J. ZATHEY, Catalogus Codicum mss. medii aevi Bibl. Cornicensis, Wroclaw 1963, S. 320f.); F = St. Gallen, Stiftsarch., cod. Fabariensis X (9. Jh., aus Pfäfers); L ·= Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 1154 (Ende 9. Jh., aus Limoges, neumiert). P enthält alle 15 Strophen und steht dem Original am nächsten (FARAL); L hat Str. 1-13, F Str. 1-8 und 10. Die starken textlichen Divergenzen rühren von mündlicher Zwischenüberl. her. Als sanglicher Augenzeugenbericht von dem blutigen Bruderkampf scheint dieses Zeitgedicht zunächst von seinem Dichter im Reich Lothars bzw. seines Verbündeten, Pippins II. von Aquitanien, dann aber auch darüber hinaus und von anderen vorgetragen worden zu sein. 3. K r i t i s c h e A u s g a b e n . E. DÜMMLER, MGH Poetae II 137-139; E. MÜLLER, Nithardi Historiarum Libri IIII (MGH SS rer. Germ.), 31907, S. 51-53; E. FARAL, in: Melanges de Philologie offerts a J.-J. Sal-. verda de Grave, Groningen 1933, S. 86-98. Zweisprachige Ausgaben: KUSCH, Einf., S. 82-85; K.LANGOSCH, Lyr. Anthologie d. lat. MAs, 1968, S. 142-145, 349; D. NORBERG, Manuel pratique du latin medieval, Paris 1968, S. 165-172.

4. Die dreizeiligen Strophen von steigenden Fünfzehnsilbern sind eine im 8. und 9.Jh. bevorzugte F o r m der geistlichen Cantica; dasselbe gilt für den Abecedarismus der Strophenanfänge (A-P) als mnemotechnische Vortragshilfe. Die Zugehörigkeit zur G a t t u n g des Planctus erweisen die in Str. 7 auftretenden Reminiszenzen an den (auch in L überlieferten) Planctus des -> Paulinus von Aquileia auf den Tod des dux Hericus bzw. an den biblischen Planctus des David um Saul und Jonathan. 5. Der Dichter beklagt den Bruderzwist als Werk des Teufels (Str. 1) und verwünscht Ort (Str. 7) und Tag (12) des blutigen Ereignisses; er rühmt die Tapferkeit Lothars im Kampf, die am Verrat seines Heeres zuschanden wurde. Die Schlußstrophe gilt der Fürbitte für die Seelen der Toten, deren

Körper zu Tausenden nach qualvollem Sterben von Geiern, Raben und Wölfen (Str. 14: germanische Wal-Tiere ?) zerfleischt wurden. Der Text ist kostbar ebenso durch die erlebnishafte Eindringlichkeit seiner Bilder (Str. 8-9) wie auch durch die Wahl seiner mythologischen und theologischen Stilmittel, die Rückschlüsse auf den Erwartungshorizont eines gebildeten Publikums gegenüber der liedmäßigen Gestaltung eines Zeitereignisses zuläßt. L i t e r a t u r . Bibliographie: Rep. font. II 241. K. STRECKER, Zum Rhythmus von d. Schlacht bei Fontanetum, ZfdA 57 (1920) 177-185; E. FARAL, Les conditions generales de la production litteraire en Europe occidentale pendant les IXC et Xe siecles (Settimane di studio 2: I problemi communi dell' Europa postcarolingia), Spoleto 1955, S. 270-274; WATTENBACH/LEVISON/LÖWE, Geschichtsquellen III 357; SzöVERFFY, Weltl. Dicht. I 556-560.

DIETER SCHALLER Angelus -»· Engel, Johannes Angilben von St. Riquier I.Leben Wichtigste Quellen sind ein Abschnitt in den 'Historiae' seines Sohnes -»Nithard (IV 5), das 'Chronicon Centulense' des Hariulf (|1143), vor allem aber zeitgenössische Gedichte und Briefe, darunter solche von und an A. (s. MGH Epist. IV, Register S. 618 u. 637).

Ein Brief des Papstes Hadrian I. an König Karl v.J. 791 (MGH Epist. V S. 7) bezeugt, daß A. pene ab ipsis infantiae rudimentis am fränkischen Königshof aufgezogen worden ist. Genaueres über seine adlige (west ?-) fränkische Herkunft und sein Geburtsjahr (um 750 ?) ist nicht belegt. Mit seinen Lehrern am Hof, Petrus von Pisa, -> Paulinus von Aquileia und (nach 782) ->· Alkuin verbanden ihn fortan freundschaftliche Beziehungen. Früh gewann er das Vertrauen Karls, der ihn wohl in den achtziger Jahren seinem unmündigen Sohn Pippin als primicerius palatii (Vorsteher der Hofkapelle) des Regnum Italiae beigab. Im folgenden Jahrzehnt wurde er als Hofkapellan Geheimsekretär (secretarius, manualis auricularius) Karls und dreimal als Überbringer wichtiger Missionen zum Papst (792 und 794 zu Hadrian L, 796 zu Leo III.) gesandt.

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Angilben von St. Riquier

Der König lohnte seine Dienste schon 7897 790 mit der bedeutenden Abtei St. Riquier in Centula (bei Abbeville) und stellte große Geldsummen für den Neubau einer Klosterkirche zu Ehren Christi und des Klostergründers, des hl. Richarius, und für andere Bauten sowie kostbare Hss. für die Klosterbibliothek zur Verfügung. Die während A.s Abtszeit erbaute Kirche war einer der mächtigsten Sakralbauten Frankreichs vor dem HochMA (s. H. BERNHARD und E. LEHMANN, in: Karl d. Gr. III 369-383); mit der Zahl seiner 300 Mönche übertraf das Kloster wohl die meisten anderen im Reich. Die geistlichen Würden und Pflichten waren für ihn nicht unvereinbar mit der Entfaltung eines aristokratischen Lebensstils und einer gewissen Sinnenfreude. Alkuin erwähnt tadelnd in zwei Briefen 799 bzw. 801 (epist. 175 u. 237) A.s Vorliebe für Darbietungen von Spielleuten und Mimen (MGH Epist. IV 290 spectacula et diabolica figmenta; ebda. S. 381: de histrionibus, quorum vanitatibüs sciebam non parvum animae suae periculum imminere). Sein uneheliches Verhältnis mit Karls (um 780 geborener) Tochter Bertha (vgl. K. F. WERNER, in: Karl d. Gr. IV 444), aus dem die Söhne -»Nithard (als Laienabt von St. Riquier gefallen 844) und Hartnid hervorgingen, scheint den überall beliebten Mann die Gunst Karls nicht gekostet zu haben, wenn auch nach 800 die persönlichen Kontakte seltener wurden. Er gehörte 811 zu den Testamentszeugen des Kaisers und starb kurz nach ihm, am 18. Febr. 814. Sein Grab in Centula wurde um 1100 geöffnet; Abt Anscherus von St. Riquier (fl!36) verfaßte eine neue, hagiographisch stilisierte Biographie A.s sowie 3 Bücher 'Miracula' (hg. MABILLON, AASS OSB IV l, S. 130-145) und betrieb in Rom A.s Heiligsprechung. Das 'Chronicon Laureshamense' (MGH SS XXI 358; Codex Laureshamensis, ed. K. GLÖCKNER, I, 1929, S.297f.) bezeugt um 1170 die Sage von Einhard und Imma als Umwandlung der Geschichte von A. und Bertha.

II. B r i e f e Lediglich drei kurze Briefe A.s v. J. 798 verdanken ihre Erhaltung inmitten von Briefen Alkuins in einer Salzburger Hs. um 800 (heute: Wien, cod. 795 = CLA 1490) der Tatsache, daß Arn von Salzburg der

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Empfänger war (Ausg. v. E. DÜMMLER, MGH Epist. IV 236f., 246-248 [Nr. 147, 151, 152]). III. ' L i b e l l u s d e e c c l e s i a C e n t u l e n s i ' 1. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Der erste Teil ('Relatio', s. u.) ist nach dem durch Hariulfs 'Chronicon' (um 1090) überlieferten Text hg. v. G. WAITZ, MGH SS XV 174-178, und v. F. LOT, Hariulf, Chronique de l'Abbaye de Saint-Riquier (Collection de Textes ... 17), Paris 1894, S. 57-69; der zweite Teil ('Institutio'), lückenhaft in der Hs. Vat. Regin. lat. 235 (12.Jh.) überliefert, v. LOT ebd., S. 296-306, v. E. BISHOP, Liturgica Historica, Oxford 1918, S. 321-329, jetzt (in Synopse mit den Textresten bei Hariulf) von K. HALLINGER/M. WEGENER/H. FRANK, in: Corpus Consuetudinum Monasticarum, hg. v. K. HALLINGER, 1,1963, S. 283-303. Sowohl Hariulfs Text wie auch der Reginensis beruhen auf einer Hs., die im 11. Jh. dem Kloster Gorze gehörte.

2. Die 'Relatio de perfectione dedicatione reliquiis altaribus Centulensis ecclesiae' gibt einen Rechenschaftsbericht über die wohl 799 erfolgte Weihe der von A. errichteten drei Kirchenbauten (s. o. I 1) und ihre Altäre, registriert genauestens die in ihnen niedergelegten Reliquien, die Kirchengeräte und -schätze und nennt abschließend 200 volumina als Bibliotheksbesitz. Die 'Institutio de diversitate officiorum' regelt die liturgischen Pflichten der in genau bestimmte Gruppen eingeteilten 300 Mönche und 100 pueri nicht nur für die kirchlichen Feste, sondern damit überhaupt nulla dies praetereat absque sacrarum missarum decantatione (HALLINGER, Ausg. S. 293). A.s Klosterorganisation ist als Vorstufe auf dem Weg zu den Reformen des Benedictus von Aniane bemerkenswert. IV. Gedichte 1. A u s g a b e n . Carm. I-V 1-4 hg. v. E. DÜMMLER, MGH Poetae I 355-366. (Die anschließend S. 366-381 noch unter A.s Namen gedruckten Gedichte VI -»'Karolus Rex et Leo Papa' und VII -> 'De Conversione Saxonum' haben andere Verfasser.) Ein weiteres Gedicht (hier = carm. VIII) ebda. S. 75 (danach mit Kommentar von K. NEFF, Die Ged. des Paulus Diaconus, 1908, S. 163f.), zwei andere (hier = carm. IX 1-2) hg. v. K. STRECKER, MGH Poetae IV 915 f. Hinzu kommen von den MGH Poetae I 413^25 als 'Bernowini Carmina' edierten Gedichten vier mit einiger Sicherheit (hier: carm. B VI, B VII, B VIII, B X) und wenigstens vier (hier: carm. B XI, B XIII, B XVIII, B XIX) mit Wahrscheinlichkeit als von A. verfaßte

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Angilbert von St. Riquier

Texte; die übrigen (bis B XXVI) stammen, wenn nicht von ihm selbst, jedenfalls aus 'seinem Kreis' (SCHUMANN, 1931, S. 255). 2. Ü b e r l i e f e r u n g (s. E. DÜMMLER, NA 4 [1875] 140-142). Für carm. II-IV ersetzen Alkuin-Editionen des 17. bzw. 18. Jh.s die verschollenen alten Hss.: für carm. II die des FROBENIUS (1777) aus einer Regensburger Hs., für III und IV die des QUERCETANUS (1617) aus der Alkuin-Hs. von St. Bertin. Auch für carm. I sind wir auf eine Edition des 17. Jhs. 'ex vetusto codice' angewiesen. Erhaltene Hss.: Berlin, StB, Diez B Sant. 66 (Ende 8.Jh.) mit carm. VIII (S. 220 im Facsimile der Hs.: Codices Selecti phototypice impressi 42, 1973, hg. v. B. BISCHOFF); Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 13359 (9.Jh., St. Riquier?) mit carm. IX; München, clm 6413 (10. Jh., Freising) mit carm. II; Vatican. Regin. lat. 235 (12. Jh.) mit carm. IV a (MGH Poetae I 364 adn.) und V 1-3 (welche ebenfalls in dem seinerseits nur durch Editionen des 17. Jh.s erhaltenen 'Chronicon' des Hariulf überliefert sind). Carm. 5 III ist auch in die 'Sylloge Centulensis' der Hs. Leningrad, StB, F XIV l (9. Jh., Corbie) aufgenommen worden (hieraus hg, v. DE Rossi, Inscriptions Christianae Urbis Romae II [1888] 94, vgl. 76). Die Hs. Vat. Regin. lat. 2078 (1. Drittel 9. Jh., Reims?) enthält carm. V l und alle B-Carmina, in denen des öfteren statt der originalen Namen des dichtenden Abtes Angilbertus und seines Klosterpatrons Richarius der Name Bernowinus bzw. (formularmäßig:) ill. eingefälscht ist, wie TRAUBE (1888) erkannt hat. Angesichts seiner Datierung der Hs. (s.o.) engt sich für B. BISCHOFF (Mal.Studien II, 1967, S. 293 f.) der Kreis der in Frage kommenden Bischöfe namens Bernowin ein auf B. von Clermont-Ferrand (~ 811),B.vonLaon(~ 829), B. (t 829), B. von Chartres (829-836).

3. Seine italienischen und angelsächsischen Lehrmeister vermittelten A. die Fertigkeit, lat. daktylische Verse zu verfassen. Ein Poet namens Fiducia nennt Theodulf und A. divini ambo poetae (MGH Poetae I 77:44,17) noch vor 791. Da uns aus diesen Jahren lediglich ein kurzes Briefgedicht in epanaleptischen Distichen an den alten, in seine Heimat Pisa zurückgekehrten Lehrer Petrus (carm. VIII) erhalten ist, kann man aus jenem Zeugnis auf Uberlieferungsverluste schließen. Wieweit sein Beiname Homerus, den er selbst und der Kreis um Karl gebrauchen (Homeriane puer redet ihn Karl 796 brieflich an: MGH Epist. IV13615), auf die Art seines Dichtens abzielte, bleibt unklar. Nach dem Vorbild von Vergils 8. Ecloge schmückt er sein chronologisch an zweite Stelle (wohl 795) zu setzendes

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carm. II mit zwei Serien von Intercalarversen; leitmotivisch zieht sich so durch das Gedicht der Preis Karls: David amat vates, vatorum est gloria David, 9mal wiederkehrend. Die teils panegyrisch, teils affektiv-persönlich stilisierte Dichtung, die sich nacheinander dem König, seinen Söhnen und Töchtern, den Würdenträgern am Hofe und den pueri der Hofschule zuwendet, ist der früheste erhaltene Text jener am Hof auch von Alkuin und -»Theodulf gepflegten Gattung der festlichen Vortragsdichtung, die zugleich auch als 'Zirkulargedicht' unter den Freunden am Hof umzulaufen bestimmt war (SCHALLER, S. 18 bis 36). Auch carm. I (34 Distichen), im Spätjahr 796 dem als Avarenbesieger aus Italien heimkehrenden Pippin in Langres als Begrüßungsgedicht vorgetragen, scheint doppelte Gattungsbestimmung zu haben: Indem Pippins Brüder und Schwestern in freudiger Ungeduld der Erwartung des Heimkehrers lebhaft geschildert und alle vom Dichter zu liebevoller Eintracht ermahnt werden, hat das Gedicht wohl auch die Bestimmung, am Aachener Hof noch seine Leser zu finden und den abwesenden Dichter in freundliche Erinnerung zu bringen. Noch im folgenden Jahrzehnt rühmt ein jüngerer Hofpoet, der sich Naso nennt, Homerus an erster Stelle unter den Dichtern, die bestrebt seien, carminibus Carola studiosis saepe placere (MGH Poetae I 387 v. 86). Für Ludwig den Frommen ließ A. in seinem Scriptorium einen Codex von Augustins 'De doctrina Christiana' herstellen, dem er einen Widmungsprolog (carm. IX l; 15 Distichen) und einen hexametrischen Epilog (1X2) beigab, in denen göttliche Gnade für Ludwig auf Erden wie dereinst im Himmel erfleht wird. Wenn dieser (IX 1,27) als domini et fratris praeclarus amator bezeichnet wird, so ist dies eine allgemein (z.B. Alkuin, carm. 99 X, 10) gebräuchliche Formel für Gottes- und Nächstenliebe und keinesfalls eine Anspielung auf Ludwigs Bruder Pippin, dessen Todesjahr 810 TRAUBE (1891, S. 32) als terminus ante quern daher zu unrecht erwog. Die übrigen Dichtungen A.s sind erwachsen aus seiner Tätigkeit als Abt und be-

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Anker - 'Anleitung, Schießpulver zu bereiten, Büchsen zu laden und zu beschießen'

stimmt durch die asketische und jenseitsbezogene Grundhaltung seiner letzten Lebensphase ; sie gliedern sich nach ihrer Gattungszugehörigkeit in a) Kircheninschriften: III, IV, VI, V2, BVI, BVII, BVIII; BX (dieser Text in 3zeiligen gereimten rhythmischen 15-Silber-Strophen ist als formaler Sonderfall bemerkenswert); b) Epitaphien: IVa (für das Richarius-Grab), V3 und V4 für zwei irische Missionare des 7. Jh.s; BXXII: ein 'literarisches' Epitaph für A. selbst, während das für seine Grabplatte durch Hariulf bezeugte als zweite Hälfte von BXXI sowie in Variationen (Vorstudien?) an BXXII angefügt (v. 31-44) überliefert ist; c) metrische Gebete: die Texte der überlieferten Folge B XI-B XXVI sind (bis auf 3) zehnzeilig, hexametrisch, mit Akrostichon, Telestichon und meist mit einfacher oder dreifacher Mesostichis geschmückt. Inhaltlich überwiegt der Miserere-Typ. B XVIII und XIX scheinen Gebetsfürbitten für den gerade verstorbenen Karl d. Gr. (David) und somit A.s allerletzte Gedichte zu sein. L i t e r a t u r . Bibliographie: Rep. font. II 242f. L. TRAUBE, Karoling. Dicht.n (Sehr.n z. German. Phil. 1), 1888, S. 51-60; ders., Roma nobilis', Abh. d. Bayer. Akad., I. Cl., 19,1891, S. 322-331; LOT, 1894 (s.o. III 1); MANITIUS, LG I 543-547; A. HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands II, 51922, S. 180f. u.ö. (vgl. Reg. S. 840); P. RICHARD, DHGE III 120-123; O. SCHUMANN, "Bernowiniepiscopicarmina",Hist.Vjs. 26 (1931) 225-267; R. R. BEZZOLA, Les origines et la formation de la litterature courtoise en Occident I, Paris 1941, 21958, S. 114-119 u. 330; N. SCIVOLETTO, Angilberto abate di S. Riquier e 'humanitas' carolingia, Giornale Ital. di Filologia 5 (1952) 289-313; WATTENBACH/LEviSON, Geschichtsquellen II 236-240; J. HUBERT, Saint-Riquier et le monachisme, in: II monachesimo nell' alto medioevo (Settimane di Studio ... Spoleto 4), 1957, S. 293-309; H. PELTIER, A. de Saint-Riquier et Adalhard de Corbie, in: Saint Riquier, Etudes concernant l'Abbaye, 1962, S. 6-15; Karl d. Große, Lebenswerk u. Nachleben, hg. v. W. BRAUNFELS, I-IV, 1965, s. Reg.band (V) S. 69; SzöVERFFY, Weltl.Dicht. I 463-470; D. SCHALLER, Vortrags- u. Zirkulardicht, am Hof Karls d. Gr., Mlat. Jb. 6 (1970) 14-36; BRUNHÖLZL, LG I 299-301 u. 550f.

DIETER SCHALLER Anhalt -+ Heinrich von A. Anker Ein Verf. dieses Namens wird aus der Zuweisung in der —> 'Kolmarer Lhs.' (Mün-

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chen, cgm 4997) erschlossen, in der f. 779r bis 780r unter der Überschrift In meister anckers tone 4 Spruchlieder überliefert sind. Im cgm 351, 218v-219r werden Str. 1-2 des 1. Spruchliedes zusammen mit einer abweichenden 3. Str. einem Meister Steinhem zugewiesen (vielleicht der Steinhem aus ->'Bollstatters Spruchsammlung'). Daher ist A. möglicherweise nur der Ton zuzuschreiben, der metrisch und musikalisch die Grundweise variiert, die als Ton Heinrich -»•Frauenlobs überliefert wurde, ihrer Struktur nach jedoch erst im frühen 15. Jh. entstanden sein dürfte. Dies darf auch als Entstehungsdatum der Anker-Texte gelten; terminus ante quem für das 1. Spruchlied ist die Niederschrift des cgm 351 um 1430. BARTSCH, Meisterlieder, hielt A. aufgrund der 'reinen' Reime dieses Textes für einen obd. Meister aus der Mitte des 14. Jh.s, die übrigen 'unreiner' gereimten Texte schrieb er späteren Anonymi zu; keine der Angaben läßt sich ausreichend absichern. Die Texte unterscheiden sich in keiner Hinsicht von der Masse themengleicher anonymer Sprüche des 14.715. Jh.s: I (3 Strr.) Das dreigeteilte Weltgebäude als Analogon zur Dreifaltigkeit, durch deren Wirken Maria Christus geboren hat; II (3 Strr.) Schöpfung und Sündenfall; III (3 Strr.) Preis der Unendlichkeit Gottes und seines Erlösungswerks; IV (5 Strr.) Marienpreis. L i t e r a t u r . BARTSCH, Meisterlieder, S. 181 u. 548-50 (Abdruck I); ders., ADB 1465; RUNGE, Sangesweisen, S. 167; E. SCHUMANN, Stilwandel u. Gestaltveränderung im Meistersang (Göttinger musikwiss. Arbeiten 3), 1972. EVA KlEPE-WlLLMS

'Anlaster eins rosses' —» Schlapperitzin, Cunrat 'Anleitung, Schießpulver zu bereiten, Büchsen zu laden und zu beschießen' Diese Bilderhs., München, cgm 600, stammt aus der 2. Hälfte des 14. Jh.s und ist damit in Europa das bislang nachweislich älteste Werk über die Kunst des Büchsenmeisters aus der Anfangszeit der technischen Entwicklung im Geschützwesen. Der auf Papier geschriebene Kodex besteht aus 22 Folioblättern, von denen die ersten 9

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Anna von Munzingen - 'Annolied'

unter den grob gezeichneten und mit Farben stark ausgemalten Abbildungen jeweils einen erläuternden Text aufweisen, der bei den übrigen fehlt. Es entsteht der Eindruck, als habe die Hs. vom uns unbekannten Verf. nicht mehr vollendet werden können. Abbildungen und Texte handeln von der Pulverherstellung, vom Laden und Beschießen der frühen Büchsen. Weiterhin sind verschiedene Möglichkeiten der Lafettierung und Beweglichmachung von kleineren Büchsen, Orgelgeschütze sowie das zu dieser Zeit noch vorwiegend im Gebrauch befindliche 'Antwerk' wie Hebelwurfgeschütz, Onager, Stand- und Wagenarmbrüste dargestellt. Vgl. auch das —»· 'Feuerwerkbuch von 1420'. L i t e r a t u r . A. ESSENWEIN, Quellen z. Gesch. d. Feuerwaffen, 1877 (Nachdr. Graz 1969), S. 9-11, Tafel I-IX, S. 15; M. JÄHNS, Gesch. d. Kriegswiss., 1889, S. 229-231, 393, 400; F.M. FELDHAUS, Ruhmesblätter d. Technik, 1910, S. 93f., 105f., 116; B. RATHGEN, D. Geschütz im MA, 1928, S. 130; W. HASSENSTEIN, D. Feuerwerkbuch von 1420, 1941, S. 42, 48, 50, 52, 54, 56, 58; F. M. FELDHAUS, D. Maschine im Leben d. Völker, 1954, S. 235; E. EGG, J. JOBE u.a., Kanonen, illustrierte Gesch. d. Artillerie, 1971, S. 11, 14, 17; P. SIXL, Entwicklung u. Gebrauch d. Handfeuerwaffen: Erste Feuerwaffen im 14. Jh., Zs. f. hist. Waffenkunde I (1897/99) 137, 140f., 199f., 223; ders., D. Handfeuerwaffen im 15.Jh., ebd. III (1903/05) 231 bis 234, 285; P. REIMER, D. Geschützprobieren, Zs. f. hist. Waffenkunde II (1900/02) 72; C. A. v. NIDA, D. Steinbüchsen, Zs. f. hist. Waffen- u. Kostümkunde N.F. l (1923/25) 120.

VOLKER SCHMIDTCHEN

Anna von Munzingen A. v. M. ist 1316,1317 und 1327 als Priorin des Dominikanerinnenkonvents in Freiburg (gegr. 1234) urkundlich belegt. Sie stammt aus einer angesehenen Patrizierfamilie, die seit 1300 in Freiburg mehrfach Ratsmitglieder und Bürgermeister stellt. Das Todesdatum ist unbekannt. 1318 verfaßte sie die 'Chronik' von Adelhausen, Berichte über das mystische Leben ihrer Mitschwestern. 1327 ließ sie ein Urbar des Klosterbesitzes anlegen. Ü b e r l i e f e r u n g . Das vermutlich lat. geschriebene Original der 'Chronik' ist nicht erhalten; es gibt nur verschiedene spätere deutschsprachige Bearbeitungen:

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Freiburg, Stadtarch., Hs. 98 (Abschrift d. Johannes Hüll aus Straßburg v. J. 1433); Hs. 107, 268r-287v u. wörtl. übereinstimmend Hs. 108, 199'-212V, ein Excerptum von Johannes -> Meyer aus Straßburg 1482; weiteres z. Uberl. BLANK, S. 52-64.

Die 34 Viten der 'Chronik' A.s v. M. zählen zu den frühesten vergleichbaren mystischen Klosterberichten aus obd. Dominikanerinnenklöstern. Nach dem hagiographischen Schema angelegt, bieten sie Einblick in die heiligmäßige Lebensform und die Mentalität der Schwestern. Völlig introvertiert, zählen nur Gnadengaben, mystische Erfahrungen, Visionen und Askese. L i t e r a t u r . Ausg. d. 'Chronik' durch J. KÖNIG, Freiburger Diözesanarch. 13 (1880) 129-236; darin das Excerptum S. 210-225. - Oberbad. Geschlechterbuch, bearb. v. J. K.v. KNOBLOCH/O. Frh. v. STOTZINGEN, Bd. III, 1919, S. 177-179; E. KREBS, D. Mystik in Adelhausen, Fg. H. Finke, 1904, S. 41-105; F. HEFELE, NDB I 303; W. BLANK, D. Nonnenviten d. 14. Jh.s, Diss. Freiburg/Br. 1962, bes. S. 49-64.

WALTER BLANK Annalista Saxo Nienburg

•Arnold von Berge und

'Annolied' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Erhalten nur in Abdrucken d. 16. u. 17.Jh.s: Vollständiger Text bei M. OPITZ, Incerti Poetae Teutonici Rhythmus de Sancto Annone Colon. Archiepiscopo, Danzig 1639. - Teildruck (AL 2, 1-5, 4) bei B. VULCANIUS, De Literis et Lingua Getarum sive Gothorum, Leiden 1597, S. 61-64. Die Ausgaben gehen offensichtlich auf zwei Hss. zurück, *O und *V (anders KRAUS 1896): *V hat (was bisher übersehen wurde) andere Abschnittsgrenzen, ferner 3 Plusverse nach AL 2,7; der Prolog fehlt. Schon OPITZ spricht daher mit Recht von 2 Hss.; 2 verschiedene Redaktionen (so RESKE 1972) wird man jedoch nicht folgern dürfen. - Bezeugt ist eine 'AL'-Hs. in Breslau, die noch im 15. Jh. mit der Williram-Hs. B vereinigt war. Da OPITZ aus der Williram-Hs. zitiert, dürfte auch *O aus der Breslauer Bibl. stammen (ZARNCKE 1887). 2. A u s g a b e n . M. ROEDIGER, MGH Dt. Chron. I 2, 1895, S. 115-132 (ebd. S. 66-72 über 9 [!] vorausgehende Ausgaben); W. BULST, Das 'AL' (dipl. Abdr. d. Ausg. von Opitz), 1946,31974 (zit.); K. MEISEN, Das 'AL', 1946; F. TSCHIRCH, Frühmal. Deutsch, 1955, S. 99-112; MAURER, Rel. Dicht. II8-45; E. NELLMANN, Das 'AL', mhd. u. nhd., hg., übers, u. komm., 1975.

3. Die Sprache des Textes ist nicht einheitlich. Der Autor galt u.a. als Mittel-

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'Annolied'

franke und als Bayer (letzteres sicher unhaltbar). GIGGLBERGER, 1954, nimmt ein rhfrk. Original an. Hs. *O ist ihrer Meinung nach ostfrk. (12. Jh.) und beruht auf mfrk. Vorlage. - Wahrscheinlichster Abfassungsort ist das Kloster Siegburg, eine Gründung Annos (1064), bevorzugter Aufenthaltsort des Erzbischofs in seinen letzten Lebensjahren, Ruhestätte nach seinem Tode (Dez. 1075). Die Siegburger Mönche dürften besonderes Interesse daran gehabt haben, die Verehrung (nicht: Kanonisation) ihres 'Heiligen' beim weltlichen Adel zu propagieren. Über Köln als immerhin möglichen Abfassungsort s. KNAB, 1962, S. 3. - Datierungsgrundlage ist die Mitteilung AL30, 13, daß jetzt (nu) die Weihung der Könige in Mainz stattfinde. In Frage kommt demnach nur: a) die Zeit zwischen März 1077 (Krönung Rudolfs von Rheinfelden in Mainz) und Dez. 1081 (Krönung Hermanns von Salm in Goslar); b) die Zeit nach der Mainzer Krönung Heinrichs V. (Jan. 1106). Priorität gebührt dem frühen Termin, seitdem THOMAS 1968 wahrscheinlich gemacht hat, daß das 'AL' von den 'Gesta Treverorum' (1101) benutzt wurde. Demnach muß der Autor (gemäß AL 30, 13) auf der Seite des Gegenkönigs — bzw. auf der Seite des Reichsadels stehen. 4. Zentrales Thema ist die preisende Würdigung des 'hl.' Anno. Dieses Ziel wird in einem doppelten Anlauf erreicht. Teil I (2-7) gibt - nach einem Prolog - einen Abriß der Heilsgeschichte, der in raschen Schritten bis zu den Heiligen Kölns und zu Annos Episkopat führt. Teil II (8-33) führt über zahlreiche Stationen der Profangeschichte ebenfalls zu diesem Zielpunkt. Im Zentrum steht hier die Abfolge der vier Weltreiche (nach Dn 7). Der Übergang vom (4.) Römischen zum Deutschen Reich vollzieht sich so, daß Caesar die vier dt. Hauptstämme (die je zu einem der Weltreiche in Verbindung gebracht werden) unterwirft und mit ihrer Hilfe die Alleinherrschaft erringt. Von nun an sind die Deutschen ci Korne lif unti wertsam (28, 18). Eine translatio imperii - ohnehin zur Zeit des 'AL' keine geläufige Vorstellung - erübrigt sich dadurch. Nach Christi Geburt lenkt der Autor auf die Missionsgeschichte über und

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kommt so wieder zu Anno, dem 33. Kölner Bischof (33). Teil III (34-49) berichtet von Annos geistlichen und weltlichen Qualitäten, von Prüfungen und Visionen, vom Tod des 'Heiligen' und von Wundern nach dem Tode. Die dreiteilige Anlage gilt heute nicht mehr (wie im 19. Jh.) als verfehlt; doch sind die Deutungen sehr unterschiedlich. Am einleuchtendsten immer noch ITTENBACH, 1937, der die konsequente Verherrlichung Annos als Krönung von Profan- und Heilsgeschichte herausarbeitet. Auf die Schlüsselstellung von AL2 (der Mensch: eine 'dritte Welt', ein Mikrokosmos, der Geistund Körperwelt in sich vereint) wies schon SCHWIETERING, 1932, hin; HAAS, 1966, verdeutlicht, daß in AL2 von Dualismus keine Rede sein kann. Die auf Augustinus aufbauende Deutung EHRISMANNS ist damit abgewiesen (zweifelnd zu Augustinus schon KNOCH, 1964). Der (oft mißverstandene) Prolog fügt sich ein: Heldendichtung wird — in Abwandlung der Topik des Legendenprologs (seit Sulpicius Severus' Martinsvita) - keineswegs abgelehnt. Der Autor rechnet sich selbst zu ihren eifrigen Hörern (wir borten ie dikke singen 1,1); er betont aber die Priorität geistlicher Thematik. Die weltliche Sphäre hat somit einen gewissen Eigenwert. Das gilt auch nach dem Erscheinen Christi: Das röm.-dt. Imperium wird durch das niuwe künincrichi (31, 15) nicht abgelöst (so KNOCH), sondern geistlich überhöht. Die umstrittene Gattungsfrage wurde von KNAB, 1962, geklärt: Das 'AL' wurzelt in der Entwicklung der Historiographie des RheinMaas-Gebiets. In Bistums- und Klosterchroniken - z.T. auch in Heiligenviten begegnen dort ähnliche Formen weit- und heilsgeschichtlicher Verknüpfung (s. aber RESKE, 1972, S. 28-30). Es entstehen Gebrauchstypen neuer Zielsetzung 'zwischen den Gattungen' (KNAB, S. 112). Die konsequente Dreigliederung des 'AL' kann KNAB freilich nirgends nachweisen. Hierin bleibt das 'AL' singular. 5. Für Einzelheiten sind eine Reihe lat. Quellen nachgewiesen. Die 'griechische' Mikrokosmostheorie (2) beruht auf Johannes Scotus Eriugena (Homilie zum Johan-

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'Annolied'

nesprolog, s. HAAS, 1966). In AL 11-17 ist Hieronymus' Danielkommentar verwertet. Der Alexanderbericht (14/15) zeigt Berührungen mit der 'Historia de preliis' (HlLKA, Der afrz. Prosa-Alexanderroman, 1920, S. XXXVIII-XLI) .Die Nachrichten über Griechen und Trojaner (22/23) stammen aus der 'Aeneis', die Schlachtdarstellungen (25-27. 40) sind Lucan verpflichtet. Kommentare zu Vergil und Lucan scheinen ebenfalls benutzt, außerdem Boethius' 'Consolatio'. Im Annoteil fallen Berührungen mit der 'Vita Annonis' (1105) auf, die sich z. T. über mehrere Abschnitte erstrecken (vgl. Vita II 20f. 23-25 mit AL38-43). Schon WILMANNS, 1886, postulierte daher eine 'ältere Vita'. Ihre Existenz wurde durch ERDMANN, 1938, gesichert: Das (verlorene) Werk Reginhards (Abt von Siegburg 1076-1105) wurde wohl schon bald nach Annos Tod geschrieben; die 'Annalen' -»Lamperts von Hersfeld dürften dabei benutzt worden sein (LüCK, 1973). Vieles aus Teil I und II ist Gemeingut mal. Schriftsteller. Vertraut zeigt sich der Verf. auch mit der Historiographie des RheinMaas-Gebiets. Insgesamt ist er also ein kenntnisreicher Mann. Für manches (z.B. Schwaben- und Bayernsage) ist er unsere älteste Quelle. Die starke Akzentuierung der Mithilfe der Deutschen bei der Errichtung von Caesars Monarchie ist wohl seine eigene Erfindung. 6. Versbau und Reime zeigen noch große Freiheit. - Doppelte Initialen gliedern den Text in 49 Abschnitte unterschiedlicher Länge (6 bis 28 Verse). Die Abschnitte (OriTZ: paragraph) sind mit römischen Zahlen beziffert, was sonst in frühmhd. Texten selten ist. OPITZ übernahm die Zahlen wohl aus der Hs. (in *V fehlten sie offenbar; dort auch andere Abschnittsgrenzen). Die Zählung korrespondiert in AL33,9 mit dem Inhalt (Anno 33. Bischof). Eine weitere Korrespondenz (AL7: Anno 7. hl. Bischof) ist möglich. Die Großgliederung des Textes wäre somit durch Zahlen gestützt (ITTENBACH). Alle sonstigen Spekulationen zur Zahlenkomposition (zuletzt: RESKE, 1972) sind ohne Verbindlichkeit. Die Abschnitte sind in sich geschlossene Einheiten; es wird - trotz z.T. komplizierter

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Syntax - noch nicht kontinuierlich erzählt (WOLF, 1972). MAURER faßt die ungleich langen Abschnitte als Strophen auf; kritisch dazu W. SCHRÖDER, PBB (Tüb.) 88 (1967) 281-283. 7. Weit über den Umkreis von Siegburg und Köln hinaus hat das 'AL' kaum gewirkt. Jedoch fand die Darstellung Caesars und der 'Deutschen' (18-30) Verbreitung und lange Nachwirkung in der Bearbeitung durch die —> 'Kaiserchronik'. Auch der Danieltraum (11-17) wurde übernommen, allerdings durch Umstellungen völlig verändert (hierzu OHLY, 1940). Als Vermittler des Textes wirkte vermutlich Kuno, Abt von Siegburg 1105-26, danach Bischof von Regensburg bis 1132. -Insgesamt sind rund 225 AL-Verse übernommen (vgl. KETTNER, WILMANNS, ROEDIGER). Ein genauer Vergleich wird erschwert durch die Unsicherheit über den ursprünglichen Wortlaut der Kaiserchronik-Passage: Der Heidelberger cpg361 (H) steht dem'AL'z. T. näher als die Vorauer Hs. (V). F. VOGT plädierte deshalb für H (Rez. z. E. Schröder, ZfdPh 26 [1894] 551); E. SCHRÖDER (Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, MGH Dt. Chron. 11,1892) bietet einen Mischtext aus V und H. Eine Neuuntersuchung wäre nötig. - Die früher vehement verfochtene These einer 'älteren Reimchronik' als gemeinsamer Quelle von 'AL' und 'Kaiserchronik' dürfte seit OHLY endgültig als erledigt gelten. L i t e r a t u r . Bibliogr. bis 1958 bei D. KNAB, D. 'AL'. Probleme seiner lit. Einordnung, 1962, S. VII-XXV; ergänzende bibliogr. Angaben (bis 1975} bei E. NELLMANN (s. o. 2), S. 161-170.-E. KETTNER, Unters, über d. 'AL', ZfdPh 9 (1878) 257-337; W. WILMANNS, Über d. 'AL' (Beitr. z. Gesch. d. älteren dt. Lit. 2), 1886; E. KETTNER, Zum 'AL', ZfdPh 19 (1887) 321-338; F. ZARNCKE, Zum 'AL' (Ber. über d. Verhandlungen d. Sachs. Ges. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 39), 1887, S. 283 bis 305; M. ROEDIGER s.o. 2; C. KRAUS, Rez. v. Roediger, Zs. f. d. ösrerr. Gymn. 47 (1896) 226-236; W. WILMANNS, Rez. v. Roediger, AfdA 23 (1897) 346-357; EHRISMANN, LG II l, S. 144-151; SCHWIETERING, LG, S. 93-95; M. ITTENBACH, Dt. Dicht.n d. sal. Kaiserzeit, 1937, S. 10-12, 62-73; ders., Aus d. Frühzeit rhein. Dicht.: D. 'AL', Euph. 39 (1938) 17-28; C. ERDMANN, Stud. z. Brieflit. Deutschlands im 11.Jh., 1938, S. 46; E.F. OHLY, Sage u. Legende in d. Kaiserchronik, 1940, S. 42-51; F. R. WHITESELL, M. Opitz' edition of the

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Anonymus Leobiensis

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'AL', JEGP 43 (1944) 16-22; H. KÜHN, Gestalten u. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . 7 Hss., einige frgm. (Übersicht Lebenskräfte d. frühmhd. Dicht., DVjs 27 (1953) 1-30; bei HAIDER) . 3 Hss. mit kurzer Fortsetzung bis 1347/48 G. GIGGLBERGER, Unters, über d. 'AL', Diss. (masch.) teilweise in dt. Sprache. Würzburg 1954; K. FRITSCHI, D. 'AL', 1957; W. A u s g a b e n . Eine vollständige Ausg. fehlt. PraefaWÖHRLE, Z. Stilbestimmung d. frühmhd. Lit., Diss. tio u. Text ab 935: H. PEZ, Scriptores rerum AustriaZürich 1959, S. 11-29; F. W. OEDIGER, D. Regesten d. carum I, Leipzig 1721, S. 751-972; Text ab 687 als Erzbischöfe von Köln im MA, I, 1954-61, S. 242-338; Recensio D: F. SCHNEIDER, Johannis abbatis VicH. EGGERS, Nachlese z. Frühgesch. d. Wortes Deutsch, toriensis Liber certarum historiarum (MGH SS rer. PBB (Halle) 82, Sonderbd. (1961) 157-173; ders., D. Germ. 35-36), 1909/10. 'AL' - eine Exempeldicht. ?, Fs. L. Wolff, 1962, S. 161 3. Entscheidend für die Bewertung der bis 172; E. NELLMANN, D. Reichsidee in dt. Dicht.n d. Chronik ist ihr Verhältnis zu den Vorlagen. Salier- u. frühen Stauferzeit, 1963, S. 35-81; P. KNOCH, Mit dem Hinweis auf die Grazer Hs. 290 Unters, z. Ideengehalt u. z. Dat. d. 'AL', ZfdPh 83 (1964) 275-301; W. FECHTER, D. 'AL', WW 15 (1965) erschließt ZAHN einen eigentlichen A. L. als 300-308; A. HAAS, D. Mensch als dritte werilt im 'AL', Martinus-Polonus-Anlage mit Leobener ZfdA 95 (1966) 271-281; C. GELLINEK, Daniel's vision Notizen, während er den PEZschen A. L. als of four beasts in twelfth-century German literature, späte Textstufe durch die weitere KompilaGermanic Rev. 41 (1966) 5-26; H. THOMAS, Stud. z. tion mit dem 'Liber certarum historiarum' Trierer Gesch.schreibungd. ll.Jh.s, 1968, S. 119-139; des -> Johann von Viktring betrachtet. M. W. HELLMANN, Fürst, Herrscher u. Fürstengemeinschaft, Diss. Bonn 1969, S. 22-27, 49-57; E. VON SCHNEIDER geht davon aus, daß der so überlieferte Johann-von-Viktring-Text wörtlich REUSNER, D. 'AL': Hist. Situation u. dichter. Antwort, aus der Reinschrift der letzten Redaktion DVjs 45 (1971) 212-236; E. MARSCH, Bibl. Prophetic u. chronograph. Dicht., 1972, S. 10-^2; A. WOLF, des 'Liber cert, hist.' stammen muß und Strophisches, abschnitthaftes u. fortlaufendes Erzähherauszulösen ist; allein darin sieht er die len in früher dt. Epik des MA, Fs. H. Eggers, PBB (Tüb.) Bedeutung der Chronik des Anonymus. 94, Sonderheft (1972) 519-526; H.-F. RESKE, D. 'AL'. LHOTSKY und HAIDER dagegen betonen Aufbau, Überl., Gestaltung, Fs. W. Mohr, 1972, S. 27 die historische Individualität des PEZschen bis 69; D. LÜCK, D. Vita Annonis u. d. Annalen d. LamA. L., der auf wesentlich breiterer Quellenpert v. Hersfeld, Rhein. Vjbll. 37 (1973) 117-140; basis (u.a. -> Otto von Freising und —»AlexJ. WERNER, Das Epos beginnt, Sprachkunst 5 (1974) ander von Roes) seine Chronik abfaßte und 11-16; S. SOLF, D. 'AL'. Textübertragung, Interpretaselber auch auf spätere Geschichtsschreiber tion u. krit. Bericht z. Forschungsstand, in: G. BUSCH (Hg.), Sankt Anno u. seine viel liebe statt [!], 1975, S. gewirkt hat (Thomas -> Ebendorfer). Die 230-330; J. RATHOFER, [D. 'AL'], in: Monumenta Überlieferungslage weist auf eine Herkunft Annonis Köln u. Siegburg. Weltbild u. Kunst im hohen aus dem niederösterr. Raum (Krems, Wien). MA, hg. v. A. LEGNER, 1975, S.75, 86f. Der eigentliche A. L. bleibt weiterhin un-

EBERHARD NELLMANN Anonymus Leobiensis 1. Als Anonymus Leobiensis wird seit 1721 nach seinem Hg. PEZ ein unbekannter Chronist geführt, dessen Verbindung mit dem steiermärkischen Leoben PEZ durch einschlägige Lokalnachrichten der Chronik angezeigt sah. Ihr Titel lautet: 'Chronica ab incarnatione Domini et gesta principum sacerdotum id est summorum pontificum novae legis et etiam imperatorum omnium Romanorum'. Sie behandelt in annalistischer Form Kirchen- und Reichsgeschichte von Christi Geb. bis 1343, wobei der Schwerpunkt deutlich auf der habsburgischen Geschichte liegt.

bekannt. L i t e r a t u r . J. ZAHN, Anonymi Leobiensis Chronicon, Graz 1865; A. FOURNIER, Abt Johann von Viktring u. sein Liber certarum historiarum, 1875, S. 90-92; F. SCHNEIDER, Stud. z. Johann von Viktring, 2. Teil, NA 29 (1904) 394-442; A. LHOTSKY, Z. Anonymus Leobiensis, Fs. R. Heuberger (SchlernSchriften 206), Innsbruck 1960, S. 87-91; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 301-305; S. HAIDER, Unters, z. Chron. d. Anonymus Leobiensis, XIIÖG 72 (1964) 364-381; A. LHOTSKY (Hg.), Thomas Ebendorfer, Chronica Austriae, MGH SS rer. Germ. N.S. 13,1967, S. XXVIII-XXX; Rep. font. II 360f.

EUGEN HILLENBRAND

Anonymus Mellicensis -> Wolfger von Priifening

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'Anrufung der Minne' - 'St. Anselmi Fragen an Maria'

'Anrufung der Minne' Klagegedicht eines Verliebten, der sich am Schluß an die süsse mynn um Hilfe wendet. 58 Reimpaarverse mit dem Titel Dy mynne, überliefert in München, cgm 714 (Nürnberg 1450^60), 74r-75v, fehlerhaft gedr. J.F. ROTH, Idunna u. Hermode, hg. v. GRÄTER, Litterarische Beylagen Nr. 6-7, Breslau 1814, S. 24-25. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr. 61.

TILG BRANDTS 'Ansbert' -»· 'Historia de expeditione Friderici imperatoris' Anseimus Urheber einer rezeptartig geformten Anweisung 'contra pestilenciam'. Sie wurde auf den 3. 8. 1461 datiert und hat sich in einer Abschrift aus der 2. H. des 15. Jh.s im cod. M.ch.q. 16/2, 351V der ÜB Würzburg erhalten. Sie ist pharmakologisch konventionell gehalten und geht mit der gängigen Pestliteratur des SpätMAs inhaltlich weitgehend konform. Die Lebenszeit von A. fällt vermutlich in das 15.Jh. Sein Titel meyster deutet auf einen Wundarzt, der mit maister -»· Anshelmis identisch sein könnte, von dem München, cgm 430,125V ein in der 1. H. des 15. Jh.s aufgezeichnetes Rezept zur Wundheilung überliefert. SUDHOFF lokalisierte sein berufliches Wirkungsfeld in Heidelberg bei einem ungenannten Pfalzgrafen bei Rhein, doch bedarf diese Feststellung, getroffen aufgrund der mehrdeutigen Wendung des pfalczgrefen arczt, einer Sicherung aus anderen Quellen. L i t e r a t u r . K. SUDHOFF, Ein Pestrezept d. Meister A., des Pfalzgrafen Arzt (Pestschriften aus d. ersten 150 Jahren nach d. Epidemie d. 'Schwarzen Todes' 1348, Nr. 86), Arch. f. Gesch. d. Medizin 8 (1915) 254-255 (mit Textwiedergabe); H. THURN, Die Hss. d. Zisterzienserabtei Ebrach, 1970, S. 119-121; SCHNEIDER, München III 238-242.

JOACHIM TELLE 'St. Anselmi Fragen an Maria' Ü b e r l i e f e r u n g . Hss.: Oldenburg, LB, cod. 74, pap., 2. H. 14.Jh. (B); das Fürstenwalder Frgm. (F), pap.,l.H. 16.Jh. (verschollen,s. GRAFFUNDER, S. 131), enthielt v. 45-424; Kopenhagen, Kgl. Bibl., Ms. Thott

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109, pap., 15. Jh. (K); Hamburg, StB u. ÜB, cod. 17 in scrin. Frgm. 15, nd. - Druck: Lübeck um 1495 (L). Eine mfrk. Bearbeitung liegt in vier Drucken (1492 bis 1514) vor (BoRCHLiNG/CuvussEN, Nd. Bibliogr. I Nr. 195,310,442, 559). A u s g a b e n . SCHADE, S. 248-290 (mit Laa.; nach dem Druck v. 1514); A. LÜBBEN (Hg.), Zeno oder d. Legende v. d. hl. drei Königen. Ancelmus vom Leiden Christi, 1869, 31885, S. 103-146 (nach B; zit.). Eine kritische Ausgabe fehlt.

1. I n h a l t und A u f b a u . Das mnd. Gedicht umfaßt in der besten Hs. (B) 1254 Verse. Es ist als Dialog zwischen -»Anselm von Canterbury und Maria gestaltet, die ihm nach inbrünstigen Gebeten in einer Vision erscheint. Anselm bittet um genauen Bericht über Christi Passion; denn de ewangelisten ... en draghen nicht ouer ein (v. 50-52). Anselm bleibt Randfigur. Auf seine nüchternen Fragen antwortet Maria mit eindringlichen Schilderungen des Passionsgeschehens vom Abendmahl bis zur Grablegung. Die compassio Mariae tritt stark hervor (zahlreiche Anklänge an die Marienklagen); sie soll auch die Zuhörer zu vertieftem Mitleiden anregen. Diesem Ziel dient auch das Verfahren des Dichters, der der lat. Quelle, bald kürzend, bald breit ausmalend, folgt, dabei aber die in der Vorlage oft sehr umfangreichen Aussagen Mariae durch Zwischenfragen aufteilt. Dadurch erhält jede Einzelszene verstärkte Eindringlichkeit. Das mnd. Gedicht dürfte in der l.H. d. 14. Jh.s nördlich des Harzes (Braunschweig?) entstanden sein. Die Umsetzung in das Mfrk. folgt dem mnd. Werk sehr genau. Sie ist ohne Eigenwert, hat aber Bedeutung für die Textkritik. 2. Q u e 11 e. Der pseudo-anselmische Dialog 'Interrogatio Sancti Anselmi de Passione Domini', der aus des Oglerius von Trino Traktat (-* 'Bernhardstraktat') Anregungen aufgenommen hat und deshalb frühestens Anf. 13. Jh. entstanden sein kann. Ausgaben: PL 159, Sp. 271-290; SCHADE, 1870; wichtige Ergänzungen: SCHRÖDER, 1872. Eine kritische Ausgabe der vom 13.-17. Jh. in Hss. und zahlreichen Drucken überlieferten 'Interrogatio Anselmi' fehlt. Über Prosaversionen der 'Interrogatio' s. ->·Anselm v. Canterbury; über mndl.

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Anselm von Canterbury

Versfassungen M. J. M. DE HAAN,Twemaal 'Van Zente Ancelmus', OGE 42 (1968) 114-141. L i t e r a t u r . O. SCHADE (Hg.), Geistl. Ged. d. XIV. u. XV. Jh.s v. Niederrhein, 1854, S. 237-248; A. LüuBEN, Ancelmus seal de Passio heten, ZfdPh l (1869) 469—473; O. SCHADE, Interrogatio sancti Anshelmi de passione Domini, 1870, dazu Rez. v. K. SCHRÖDER, Germ. 17 (1872) 231-235; H. JELLINGHAUS, Anseimus, Vom Leiden Christi, Ndjb 7 (1881) 12f. (zur Hs. K); C. WALTHER, St. Anselmi Frage ..., 1890; R. SPRENGER, Ancelmus, Ndjb 17 (1891) 94f.; P. GRAFFUNDER, Zum Anseimus, Ndjb 19 (1893) 155-163 (krit. Laa. aus F) u. 131; W. STAMMLER, Bedeutung d. mnd. Lit., GRM 13 (1925) 422-150, bes. S. 436 Anm. t; RUH, Bonav. dt., S. 30.

HANS EGGERS Anselm von Canterbury 1. Leben. 1033 (oder 1034) zu Aosta in Piemont als Sohn eines langobardischen Adeligen geboren, wird A., angezogen durch den Ruhm des gelehrten Lanfranc, ebenfalls ein Langobarde, Benediktinermönch zu Le Bec in der Normandie, 1063 Prior, 1078 Abt und 1093 als Nachfolger Lanfrancs Erzbischof-Primas von Canterbury. In der Frage der Laieninvestitur und Simonie tritt er für die Rechte der Kirche ein. Er stirbt nach zweimaliger Verbannung am 21.4. 1109. 2. B e d e u t u n g . Inspiriert von der Theologie Augustins und beseelt von einem 'praktisch unbegrenzten Vertrauen' (GiLSON) in die Kraft der Vernunft, versucht A. nach dem Prinzip Credo, ut intelligam eine spekulative Erklärung der Glaubenswahrheiten ohne Berufung auf Schrift und Tradition. Die scholastische Philosophie und Theologie verdankt ihm die methodische Grundlegung ihrer Arbeitsweise ('Vater der Scholastik') und des weiteren eine Fülle von Definitionen, Distinktionen, Termini und Lehraussagen (trinitarisches Grundgesetz, Satisfaktionslehre, ontologischer Gottesbeweis). Die mal. Mystik und Erbauungsliteratur hat durch seine Briefe, Gebete und Meditationen reiche Anregungen erhalten. 1720 wurde A. von Papst Clemens XL zum Kirchenlehrer erhoben. 3. A u s g a b e n . S. Anselmi Opera omnia, PL 158, 141-1208; PL 159, 10-340; S. Anselmi Cantuariensis

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Archiepiscopi Opera omnia 1-VI ad fidem codicum recensuit F.S. SCHMITT, Edinburgi 1938-1961.

4. D e u t s c h e Ü b e r s e t z u n g e n . Nur wenige Schriften A.s wurden ins Dt. übersetzt; die theologischen gar nicht und die asketisch-paränetischen nur teilweise. Rezipiert wurden hingegen, vermittelt über zahlreiche literarische Instanzen, seine Theologie und Lebenslehre. Sie jedoch im deutschsprachigen Schrifttum nachzuweisen, sofern nicht ausdrückliche Zitationen auf die Autorität oder Quelle aufmerksam machen, kostet Mühe. Die zahlreichen Ps.-Anselmiana spiegeln nur insofern eine A.-Rezeption, als sie A.s Autorität als Theologe und geistlicher Lehrer dokumentieren. a) PREGER und RUH haben nachgewiesen, daß —* David von Augsburg in seiner Schrift 'Von der Offenbarung und Erlösung des Menschengeschlechtes' (gedr. PFEIFFER, ZfdA9 [1853] 8-55) 'Cur Deus homo' (PL 158, 359-432; SCHMITT II 37-133) und die 'Epistola de incarnatione Verbi' (PL 158, 259-284; SCHMITT 11-35) benützt. Umfang und Intensität der Übernahme sind jedoch noch nicht untersucht. L i t e r a t u r . PREGER, Mystik I 269f.; D. STÖKKERL, Bruder David v. Augsburg, 1914, S. 215-219; K. RUH, D. trinitarische Spekulation in dt. Mystik u. Scholastik, ZfdPh 72 (1953) 30-39.

b) Ein schönes Zeugnis anonymer Rezeption anselmischer Theologie ist der -»'Zürcher Gratia Dei-Traktat' (hg. STEER, S. 50-71). Dieser Traktat, nachthomasisch, der augustinischen Tradition und der Eckhartschen Mystik verpflichtet, greift in seiner Gnadenlehre auf die Gedankengänge A.s über Wille, Gerechtigkeit und Gnade, wie er sie vor allem in 'De concordia praescientiae et praedestinationis et gratiae Dei cum libero arbitrio' entwickelt hat, zurück. L i t e r a t u r . G. STEER, Scholast. Gnadenlehre in mhd. Sprache (MTU 14), 1966; dazu Rez. von A. ZUMKELLER, Münchener Theol. Zs. 19 (1968) 57.

c) Innerhalb der lat. Scholastik des 14. und 15. Jh.s ist eine Hinwendung zur Theologie A.s zu beobachten. Im Rahmen dieser Rezeption wird A. auch häufig von dt.schreibenden theologischen Autoren zitiert, z.B. von -»Ulrich von Pottenstein (Credo-Auslegung: 'De casu diaboli', 'Cur deus homo'), -»Marquard von Lindau

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Anselm von Canterbury

(Zehn-Gebote-Traktat: 'Deliberoarbitrio', 'De concordia ...'), Konrad -»· Bömlin (Predigten : 'Cur deus homo'), Johannes -> Pauli (Predigten: 'De conceptu virginale') u.a. L i t e r a t u r . P.-G. VÖLKER, D. dt. Schriften d. Franziskaners Konrad Bömlin (MTU 8), 1964, S. 164; R.G. WARNOCK, D. Predigten Johannes Paulis (MTU 26), 1970, S. 149, 157; G. BAPTIST-HLAWATSCH, D. katechet. Werk Ulrichs v. Pottenstein, Diss. (masch.) Würzburg 1975.

d) A.-Berufungen begegnen ganz allgemein in der dt. Predigt- und Traktatliteratur. Zwischen Echtem und Unechtem kann jedoch nicht immer unterschieden werden. Predigtliteratur: Aus den 'Meditationes' schöpft der sog. -> St. Georgener Prediger. Das 'Proslogion' (ontologischer Gottesbeweis) zitieren -> Hermann von Loveia und Meister -»Eckhart. Eine oft erwähnte Autorität ist A. in einer Sammlung dt. Fastenpredigten. Eine Omelia Anshelmi' überliefert Nürnberg, StB, Cent. VI60, 335V-336V. L i t e r a t u r . D. sog. St. Georgener Prediger, hg. v. K. RIEDER (DTM 10), 1908; G. MÜLLER, Scholastikerzitate bei Tauler, DVjS l (1934) 414f.; STAMMLER, Prosa, Sp. 1463.

Traktatliteratur: 'Von den sieben Gaben des Hl. Geistes' nach —* Bonaventuras 'Commentarius in IV libros Sententiarum' (RUH, Bonav. dt., S. 210); 'Anselms Lehre an seine Schwester': Tübingen, ÜB, cod. M. d. 114 (A. v. KELLER, Verz. altdt. Hss., 1890, S.59f.); 'Acht Dinge die Gott wohlgefällig sind': Nürnberg, StB, Cent. VII, 32, 44r-45r. Eine 'Gute Lehre' (8 Stücke): Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 1136, 309r-311v, Ende 15. Jh., nd. Kaum eine theologische Dicta-Sammlung verzichtet auf 'Maister Anshelmus': der was ain so gute phaffe, das er antwurttet, wes man in vragte (München, cgm 5067, 300V): Basel, ÜB, cod. BIX15, 29ra; München, cgm 462,30r; cgm 354,193r-202r;206r209r; München, ÜB, 4° cod. ms. 479, 3r-7r; Nürnberg, StB, Cent. VI, 83, 159r; Paris, Bibl. Nat., Suppl. £ . 3175, STM09r (G. HUET, Cat. des manuscrits allemands de la Bibl. Nat., Paris 1895, Nr. 125, S.59). e) Von den 21 A. zugeschriebenen Meditationen sind nur 3 als authentisch gesichert. Meditatio 2 (III) und l (II) (PL 158, 722-729; SCHMITT III76-83) wurden einmal

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ins Ndl. übersetzt: Würzburg, ÜB, Ms.eh. q. 144, 202r-207r und Meditatio 3 (XI) und l (II) (PL 158, 762-769. 722-725; SCHMITT III 84-91. 76-79) einmal ins Bair.: Melk, Stiftsbibl., cod. 1389 (olim 72), S. 174-197, 1444 geschrieben von Leonhard —»Peuger. 5. Groß ist die Zahl der Ps.-Anselmiana. a) Die seit dem 13. Jh. fälschlich A. zugeschriebene 'Admonitio morienti' (PL 158, 685-688) übte auf die Entwicklung der Sterbebüchlein des SpätMAs einen entscheidenden Einfluß aus. Zudem wurde sie häufig ins Dt. übersetzt. Sie besteht, in Frageform abgefaßt, aus einer Mönchs- und einer Laienreihe, der jeweils eine Große und eine Kleine Mahnung folgt. Eine Übertragung bereits aus dem 13. Jh. bezeugt Hohenfurt, Stiftsbibl., cod. LXII, 46v-47r. Gedruckt sind die folgenden Textfassungen: Basel, ÜB, cod.AI 20,125r/v: F. VETTER, Germ. 32 (1887) 75-76; Graz, ÜB, cod. 396, B1.79 (frgm.): A. JEITTELES, Germ. 22 (1877) 439^40; Innsbruck, ÜB, cod. 712, 167M68', 14.Jh.: A.E. SCHÖNBACH, Stud. z. Gesch. d. dt. Predigten VI, WSB 153, 1906, S.126f.; Hannover, LB, cod. I, 84a: R. BRILL, Ndjb 4 (1914) 41 f.; Den Haag, Kgl. Bibl., cod. 73F28, 182v-185r: Nederl. Archief voor Kerkgesch. 7 (1847) 185-186; P. KATARA, Speygel der Leyen, Helsinki 1952, S. 74f. Seelengärtlein, Faks.Ausg. des cod. Vind. 2702, hg. v. F. DORNHÖFER, Bd. I, 1907, S. 889-893. Bei STAMMLER, RUH und RUDOLF nicht erwähnte hsl. Überl.: Amsterdam, Kgl. Bibl., cod. I F 16,185r-188v; Budapest, Szechenyi-Nat. Bibl., cod. 33, 36r-38v; Darmstadt, LB, cod. 1906, 9V-13V (G. ACHTEN/H. KNAUS, Dt. u. ndl. Gebetbuchhss., 1959, S. 236, vgl. auch S. 119, 162); Freiburg, ÜB, cod. 79, 48V-66V; Graz, ÜB, cod. 1260, 154M58r; Hamburg, StB, Conv. XII, 177r-178r; Harburg, Fürstl. ÖttingenWallersteinsche Bibl., cod. III. 1.4°.29, lr-2v (D. RICHTER, D. dt. Überl. d. Predigten Bertholds v. Regensburg [MTU 21], 1969,5.179 Anm. 52; vgl. auch S. 116); Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 1226, 72v-74' (Ende 14.Jh.);Trier,StB,cod.815 (1344), 133r-134v; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 1189, Nr. 8 (A. LÜBBEN, Ndjb 6 [1880] 70f.); Heimst. 1245, 103V106V; Würzburg, ÜB, cod. M.p.th.120 4, 146r-158T. L i t e r a t u r . W. STAMMLER, Dt. Scholastik, ZfdPh 72 (1953) 5; RUH, Bonav. dt., S.30f.; R. RUDOLF, Ars moriendi (Forschungen z. Vk. 39), Köln-Graz 1957, S. 57-59.

b) Eine der 'allerwichtigsten Quellen des volkssprachlichen Passionstraktats' (RuH, Bonav. dt., S. 30) ist der pseudo-anselmische Dialog 'Interrogatio Sancti Anselmi de PassioneDomini' (PL 159,271-290), von

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Anselm von Canterbury

dem es bereits im 13. Jh. poetische Paraphrasen (—> 'St. Anselmi Fragen an Maria') gibt. Zu gleicher Zeit setzen auch die dt. Prosaübersetzungen und -bearbeitungen ein: STAMMLER erwähnt als erste: Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 1682, 71r-81r (STAMMLER, GRM 13 [1925] 436 Anm. 1). Die reiche ndl., nd. und obd. Überl. des 14. und 15.Jh.s verzeichnen STAMMLER, 1953, S. 6 und RUH, Bonav. dt., S. 30. An neuen Textzeugen kommen hinzu: Berlin, mgo 183, f. 1-32; Heiligenkreuz, Stiftsbibl., cod. 339, f. 113-179; Melk, Stiftsbibl., cod. 55 (olim 178), S.347-368; Nürnberg, StB, Cent. VI, 44, 159M85r; Cent. VI, 46f, 195r-214r; Quedlinburg, Stiftsu. Gymnasialbibl., cod. 141, lr-^60v; Salzburg, Nonnberg, cod. 23 A 22 (XX 40), 97v-lllr; Weimar, LB, Ms. 0.4, -3 (MONTAG, S. 89); Wien, cod. 2969, 154r bis 178V (Textproben bei TRAUNBAUER, S. 294-299). Der Charakter der einzelnen Übers.n und ihr Verhältnis zueinander bleibt noch zu untersuchen. Vom 'Dialogus' abhängig sind die Predigt Nr. 10 des sog. St. Georgener Predigers (RIEDER, 1908, S.28-31), das 'Marienleben' des Kartäusers -»Philipp in der Textausformung der Klosterneuburger Hs. 1242 v. J. 1338, das 'Buch von der Minne Christi' (Nürnberg, StB, Cent. VII, 40, ab 260r) und die ->·'Meditationes vitae Christi'. L i t e r a t u r . L. GAILIT, Philipps Marienleben nach d. Wiener Hss. 2709 u. 2335 sowie nach d. Klosterneuburger Hs. 1242, Diss. München 1935, S. 8f. u. 53-60; F. DE Ros OFMCap., Le planctus Mariae du PseudoAnselme a Suso et a Louis de Grenade, Rev. d'asc. et de myst. 25 (1949) 270-283; K. RUH, Stud, über Heinrich v. St. Gallen u. d. 'Extendit manum'-Passionstraktat, ZSchwKG 47 (1953) 245f.; I. TRAUNBAUER, Beitr. z. myst.-aszet. Schrifttum d. dt. SpätMAs, Diss. Wien 1955, S.294-299, 400f.; U. MONTAG, D. Werk d. hl. Birgitta v. Schweden in obd. Überl. (MTU 18), 1968, S. 89-91; M.J.M. DE HAAN, Twemaal 'Van Zente Ancelmus', OGE 42 (1968) 114-141.

c) Stark verbreitet durch mehrere Übers.n und als Quelle für Passionshistorien und -meditationen war die pseudo-anselmische (-»Eckbert von Schönau) 'Meditatio de humanitate Christi' (PL 158, 748-761), fälschlich auch unter den Werken -> Bernhards von Clairvaux als 'Sermo de vita et

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passione Domini' (PL 184, 953-966) laufend. Der gelegentliche Titel 'Stimulus amoris' ('Gaert der minnen') führte des öfteren zu Verwechslungen mit dem gleichnamigen pseudobonaventuraschen Traktat. Auf die Übers. Vranke Callaerts verweist RUH, Bonav. dt., S. 161. Hier finden sich auch ndl., nd. und obd. Texte zusammengestellt. Sie sind zu ergänzen: Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 422/426, 150r-156r, v.J. 1460; Wien, cod. 12891 (Suppl. 562), lr-30v (nd.); Wien, Schottenstift, cod. 209, 284r-293v, v. J. 1466/67. L i t e r a t u r . A. WiLMARTOSB, Auteurs spirituels et textes devots du moyen age latin, Paris 1932, S. 194; Rez. J.J. LUB, Sinte Augustijns hantboec, von R. LIEVENS, Leuv. Bijdr. 52 (1963) 114.

d) Übersetzungen von 'De mensuratione crucis' (PL 159, 289-302) überliefern: Freiburg, ÜB, cod. 490, 153r-166r; München, cgm 4597, lr-34r; St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 1869, S.427-530. Vgl. OGE 22 (1948) 53-55. e) Aus dem 'Liber de S. Anselmi similitudinibus' wurden die cap. C-CVIII 'De monte humilitatis et septem gradibus eius' (PL 159,665-668; Memorials of St. Anselm, ed. by R. W. SOUTHERN/F. S. SCHMITT OSB, London 1969, S. 81 f.) in der 2. Hälfte des 14.Jh.s ins Alemannische übertragen: Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 278, 40 ^03 (gedr. PH. STRAUCH, Die Offenbarungen der Adelheid —»· Langmann, Straßburg—London 1878, S. 283-284); auch in Zürich, Zentralbibl.,cod. C96,99V-100V. f) 'Anselms Lehre an seine Schwester': Tübingen, ÜB, M.d.114 (A.V.KELLER, Verz. altdt. Hss., 1890, S. 159f.). g) 'Acht Dinge dieGott wohlgefällig sind': Nürnberg, StB, Cent. VII, 32, 44r-45r. h) Zu weiteren Anselm zugeschriebenen Texten -> Eadmer. 6. Der deutschsprachige Gebetsschatz des MAs wurde durch Übers.n anselmischer Orationes stark vermehrt. Die von —»Johann von Neumarkt übersetzten Gebete A.s hat KLAPPER ediert. In Hss. begegnen: Sterbegebet: München, ÜB, 8° cod. ms. 267, 119v-121r; ebd., 8° cod. ms. 266, 46V-47V; Wien, cod. 3017, 71V (HAIMERL, S. 145); Antiphon aus dem Marienpsalter (PL 158, 1046): München, cgm 468, 113M14r; cgm

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Anselm von Eyb - Anselm von Frankenstein

4640,54v-55r; Nürnberg, StB, Cent. VII, 50, 27v-28r; ebd., Will. 19. 8°, 46^7*; München, ÜB, 8° cod. ms. 266, 79V-80V; ebd., 8° cod. ms. 227, 48r/v; Mariengebete: St.Florian, Stiftsbibl., cod. XI, 162, 80 r ff. (im Rahmen eines Gebetbuchs); Gebetsammlungen: Köln, Stadtarch., cod. G. B. 8° 71, 19r-26v; Melk, Stiftsbibl., cod. 235 (olim 639), 81ra-120rb. L i t e r a t u r . A. WILMART, La tradition des prieres de saint Anselme, Rev. Ben. 36 (1924) 52-71; J. KLAPPER, Schriften Johanns v. Neumarkt IV, Gebete d. Hofkanzlers u. d. Prager Kulturkreises, 1935; F.X. HAIMERL, Mal. Frömmigkeit im Spiegel d. Gebetbuchlit. Süddeutschlands, 1952.

GEORG STEER Anselm von Eyb

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Kirche Neustadt/Aisch, Ms. 28. A.s titelloser Bericht darin S. 3-34. Beste Beschreibung der Hs. bei WERMINGHOFF, S.337f.). Der bisher ungedruckte Bericht A.s (Auszüge bei SCHEPSS, S. 21 f.) bietet nicht mehr als eine farblose, lediglich mit den herkömmlichen Führererklärungen ausgestattete Übersicht über die hl. Stätten, an denen Ablaß zu gewinnen sei. Persönliche Eindrücke und Urteile fehlen völlig; nicht einmal die Namen der Reisegefährten werden genannt. Inhaltlich wie sprachlich finden sich Parallelen zu anderen zeitgenössischen Itinerarien: dem Reisebericht des Johann -> Lochner, den schon Jörg —> Pfinzing ausschrieb, dem des Ulrich -»Brunner und des Martin -»Ketzel. L i t e r a t u r . J. CHMEL, Aktenstücke u. Briefe z.

1. Ältester Sohn ->· Ludwigs von Eyb d. Ä., Gesch. d. Hauses Habsburg im Zeitalter Kaiser MaxiBruder -»•Ludwigs von Eyb d.J., Neffe milians l, 1854 (Nachdr. 1968), Bd.I, S.415f.; G. -»Albrechts von Eyb. Geb. am 12.Okt. SCHEPSS, Zu d. Eyb'schen Pilgerfahrten, Zs. d. Dt. Pa1444 erhielt A. eine für einen fränkischen lästina-Vereins 14 (1891) 17-29; F. PRIEBATSCH, Polit. Reichsritter seiner Zeit überdurchschnitt- Correspondenz d. Kurfürsten Albrecht Achilles, 3 Bde., 1894-98 (Publ. aus d. preuß. Staatsarch.n 59, 67, 71), liche Ausbildung: 1458 bezog er die Univer- spez. Bd. II, S. 129 Anm. 2: Ludwigs von Eyb d. Ä. Nosität Erfurt, anschließend für 7 Jahre die tizen über seinen Sohn im 'Familienbuch'; RÖHRICHT, Universität Pavia, die er als Doktor des Pilgerreisen, S. 139f.; A. WERMINGHOFF, Ludwig von kaiserl. Rechts verließ. Nachdem er 1467 Eyb der Ältere (1417-1502), 1919, S. 43-45, 420-422, auf eine 5 Jahre zuvor erworbene Bamberger 439. Domherrenpfründe verzichtet hatte, reiste HELGARD ULMSCHNEIDER er 1468 im Gefolge des württembergischen Grafen Eberhard im Bart ins Hl. Land, wo er am 12. Juli zum Ritter des Hl. Grabes ge- Anselm von Frankenstein schlagen wurde. Durch die Stellung des Va1. A. von Frankenstein ist 1381 in Prag ters im Kontakt zum Brandenburger Kurals Bakkalaureus, 1405 als Anwärter der fürsten Albrecht Achilles und Ritter des Magisterwürde bezeugt; 1409/10 findet er Schwanenordens wurde A. 1471 vom Mainzer Erzbischof Adolf von Nassau zum Bei- sich in Leipzig unter den aus Prag ausgesitzer am kaiserl. Kammergericht ernannt. wanderten Gründern der Universität. BURGleichzeitig im Hofsold Kaiser Friedrichs DACH vermutet in ihm den Urheber oder III. stehend und durch ein Reichslehen wie wenigstens Redaktor einer auf 1404 daein Lehen des Herzogs Sigmund von Öster- tierten Sammlung lat. und dt.-lat. Briefreich-Tirol finanziell gesichert, heiratete A. muster, die nur in verschiedenen abgelei1475 die reiche Schwäbin Ursula von Rap- teten Fassungen erhalten ist. 2. Ü b e r l i e f e r u n g , a) Schlägl (Oberösterr.), Stiftspoltstein. Erst 33jährig starb er am 6. Jan. bibl., cod. Plag. 194 (= P), 58'-63v (erstes Formelbuch) 1477 und wurde in der Familiengrablege u. 106r-145r (zweites Formelbuch); vgl. BURDACH, Heilsbronn beigesetzt. (Sachs.), Gymnasialbibl., 2. A.s Palästina-Reise war Anlaß zur Ab- S. 149-159. b) Schneeberg cod. II 287 ( = S), l'-12v; vgl. BURDACH, S. 159-162. fassung seines Pilgerbuchs für das Morgen- c) Schweidnitz (Schles.), Stadtarch., cod. I 243 ( = Sw), land, einzig überliefert in einer von seinem 13r-20v; vgl. BURDACH, S. 162ff. Vater 1480 in Auftrag gegebenen Hs., die Die Hss. gehen unabhängig voneinander auf dieu.a. auch einen Palästina-Reisebericht selbe Quelle zurück; P und S stehen ihr näher als Sw. seines Bruders Ludwig enthält (Bibl. d. prot. P bietet den vollständigsten, S in ihren Grenzen den

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Anselm von Havelberg

besten Überlieferungsstand. Zum Verhältnis d. Hss. s. BURDACH, S. 135-148. A u s g a b e . Teilausgabe d. ersten Formelbuchs von P. BURDACH, Texte Nr. 53-66; Teilausg. d. zweiten Formelbuchs von P unter Berücksichtigung von S: BURDACH, Texte Nr. 1-30 (sämtl. dt.-lat. Briefe; Nr. 1-19 auch in S), Nr. 67 (auch in S) u. 68-81; Teilausg. von Sw: BURDACH, S. 145ff.

3. Das zweite Formelbuch von P enthält nach einer kurzen Abhandlung zur Epistolartechnik zunächst lat. und dt. gefaßte Briefe bürgerlicher Personengruppen, sodann lat. Briefe von Scholaren, Magistern, geistlichen Personen, schließlich, nun wieder zweisprachig, Briefe adliger Personengruppen. Die Sammlung wird prologartig eröffnet durch das Briefgebet eines Anshelmus an die hl. Katharina (Nr. 67), der rein lat. Mittelteil ähnlich durch ein Briefgebet an die Jungfrau Maria (Nr. 68), dessen Unterzeichner sich Ansbelmus de Frankinsteyn studens Pragensis nennt; im fiktiven Antwortbrief Marias tritt als Adressat wiederum Ansbelmus pragensis auf (Nr. 69; vgl. BURDACH, S. 29). Die innerhalb der Sammlung offenkundige Sonderstellung der Person Anselms wertete BURDACH als Indiz für seine Urheberschaft, und es bestärkte ihn darin die Beobachtung, daß die Ortsnamen, die in den Briefen der Sammlung vorkommen, meist nach Schlesien und vielfach in die Gegend um Frankenstein führen. Die Hs. S, in der sich der größere Teil der dt.-lat. Briefe findet, ist nur in der einleitenden theoretischen Abhandlung umfangreicher; der lat. Mittelteil fehlt ganz. Für diesen aber bietet partielle Parallelüberlieferung das erste Formelbuch von P. Die Beziehungen zwischen den Briefen von P (S) und Sw schließlich gehen über zahlreiche inhaltliche Übereinstimmungen, unzweideutig spezifische, nicht hinaus. Wie weit innerhalb der vier Sammlungen der Kreis zu ziehen ist, in dem A. als Verf., Redaktor, Sammler gelten könnte, ist ohne neue Funde und Nachweise nicht zu ermitteln. Vermutetes vom Wahrscheinlichen scheidend, wird man sich vorerst auf die Texte Nr. 67-69 beschränken müssen, die A.s Namen tragen und aus seiner frühen Studienzeit (um 1380) stammen dürften.

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4. Die Sammlungen sind als Ganzes kultur- und sozialgeschichtlich interessierende Zeugnisse ihrer Zeit, Zeugnisse besonders für den stiltechnischen Horizont kleinerer städtischer Kanzleien im Ausstrahlungsgebiet Prags um 1400. Zumindest die epideiktischen Stücke, gerade auch die Briefgebete A.s weisen stilistisch einen maßgeblichen Einfluß der 'Summa Cancellaria' -» Johanns von Neumarkt auf. Damit sind sie nicht Beispiele frühhumanistischer Beredsamkeit (BuRDACH), sondern belegen nur die anhaltende Breitenwirkung der in der spätstaufischen Kanzlei entwickelten ornamentalen Briefrhetorik. Die dt. Texte streben den lat. Vorlagen bis in deren Sprachbau nach, folgen ihnen anscheinend auch in der Verwendung rhythmischer Satzschlüsse. L i t e r a t u r . K. BURDACH, Schlesisch-böhmische Briefmuster aus d. Wende d. 14.Jh.s [Einleitung u. Texte] (Vom MA z. Reformation 5), 1926; ders., D. Kulturbewegung Böhmens u. Schlesiens an d. Schwelle d. Renaissance, Euph. 27 (1926) 493-521, hier 503 ff. F. J. WORSTBROCK

Anselm von Gembloux ->· Sigebert von G. Anselm von Havelberg I. Leben. Geb. wohl kurz vor 1099, gest. am 12. 8. 1158 bei der Belagerung Mailands durch Barbarossa. Familie und Herkunft sind unbekannt (Hypothesen: Niederrhein, Lothringen, Sachsen). A. war ein Jugendfreund Wibalds von Stablo (s. u. II 4) und als mutmaßlicher Schüler Norberts von Xanten Prämonstratenser. Von Norbert, seit 1126 Erzbischof von Magdeburg, wurde A. 1129 zum Bischof des Grenzbistums Havelberg geweiht. In seinem Bistum hat er sich zwar selten aufgehalten, es jedoch entgegen älterer Forschungsmeinung nicht vernachlässigt (BERGES, S. 39f.). Vornehmlich aber findet man ihn im Gefolge und Dienst der Kaiser Lothar III., Konrad III. und Friedrich I. Höhepunkte der reichspolitischen Tätigkeit waren seine Gesandtschaftsreisen an den oström. Kaiserhof. Die erste datiert 1135/36. Als Legat Kaiser Lothars führte A. Verhandlungen wohl wegen eines Bündnisses gegen das

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aufsteigende Normannenreich Rogers II. auf Sizilien. Über das Ergebnis ist nichts bekannt. A. nutzte diesen Aufenthalt, um sich auch an gelehrten theologischen Diskussionen über Lehre und Ritus der griech. Kirche zu beteiligen ('Anticimenon', Prolog, PL 188, 1140 B), die schließlich zu einer offiziellen von Kaiser Johannes II. Komnenos und dem Patriarchen Leon Stypes gebilligten ('Antic.' II l, 1163 A) öffentlichen Disputation führten. A.s Kontrahent war der Erzbischof Niketas von Nikomedien, ein namhafter, nach A. der damals hervorragendste Gelehrte des Ostens ('Antic.', Prol., 1141 AB; II Prol., 1162CD). Die erste Disputation fand am 10. 4. 1136 in Konstantinopel bei der Kirche der Hagia Eirene statt, die zweite eine Woche später wohl wegen größeren Zulaufs sogar in der Hagia Sophia ('Antic.' II l, 1163 AB; III l, 1209 CD). Als gelehrte und sprachkundige Teilnehmer von lat. Seite nennt A. Jakob von Venedig, Burgundio von Pisa und als seinen Dolmetscher - A. selbst sprach kein Griechisch - Moses von Bergamo ('Antic.' II l, 1163B; zu diesen Personen s. P. CLASSEN, Burgundio von Pisa, 1974, bes. S. 13). Erst etwa 14 Jahre später, um 1149/50, hat A. den Inhalt dieses Gesprächs in seinem Hauptwerk (s. u. II2) aufgezeichnet. Die Jahre um 1150 bilden den bedeutendsten Einschnitt im Leben des Politikers und Diplomaten A.: Er zog sich die Ungnade Konrads III. zu und kehrte erstmals für eine längere Frist an seinen Havelberger Bischofssitz zurück. In der erzwungenen Muße von einem bis zu zwei Jahren hat A. vermutlich alle seine Werke abgefaßt (FiNA, 1956, S. 78 u. 84). Wohl noch unter Konrad III. wieder in den Hofdienst aufgenommen, übernahm A. unter Friedrich I. nochmals eine oder zwei Gesandtschaften an den griech. Kaiser. Vielleicht hat er auf der Rückreise am 9.710.4.1155 in Thessalonich mit Erzbischof Basilius von Achrida ein zweites Mal über den griech.-lat. Gegensatz disputiert. Friedrich I. belohnte A.s Dienste noch 1155 mit seiner Erhebung zum Erzbischof von Ravenna. Die ältere Forschung hat A.s Charakter z. T. sehr ungünstig gezeichnet, seine geistesgeschichtliche Bedeutung kaum erkannt. Mit dem zunehmenden Inter-

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esse an A.s Persönlichkeit und vor allem an seinen Schriften kristallisierte sich durch die Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte das Bild eines fähigen und weltgewandten Politikers, eines hochgebildeten Gelehrten und originellen Denkers heraus. Zum Lebensgang im einzelnen noch immer unentbehrlich DOMBROWSKI und LAUERER, ein Itinerar A.s bei WENTZ; zur Frage d. Gesandtschaftsreisen: DRÄSEKE, SCHMIDT; zur gegenwertigen Beurteilung: BERGES, FINA.

II. W e r k e 1. 'Epistola ... ad Ecbertum abbatem Huysborgensem contra eos qui importune contendunt monasticum ordinem digniorem esse in ecclesia quam canonicum' (der häufig zu findende Titel 'Epistola apologetica pro ordine canonicorum regularium' stammt vom ersten Hg.). Ü b e r l i e f e r u n g . 7 Hss. d. 12-18.Jh.s: Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., Heimst. 494, 12. Jh., 9r-10v (Frgm.); London, Brit. Mus., add. ms. 10094, um 1200, 58ra-66rb; Berlin, SB, theol. fol. 80, 15. Jh., 252v-261r; Magdeburg, Staatsarch., Kop. 746c, 15. Jh., S. 247 bis 273; Paris, Bibl. Nat., nouv. acq. lat. 1250, 15. Jh., 37M7r; St.Florian, Stiftsbibl., cod. XI 728, v.J. 1738, S. 1-59; München, clm 1904, 18. Jh., S. 1-36. A u s g a b e n . E. AMORT, Vetus discipline canonicorum regularium et saecularium, Venetiis 1747, S. 1048-05 (nachMünchen,clm 1904);danach: PL 188, 1117-40 (zit.). C.W. SPIF.KER, D. Bischof A. v. H., Zs. f. d. hist. Theol. 10 (1840) H. 2, S. 95-120 (sehr fehlerhafte Ausg. nach d. Berliner Hs.).

Die Reform alter und das Entstehen neuer Mönchs- und Klerikerorden im HochMA führten zu heftigen Auseinandersetzungen um die gegenseitige Abgrenzung, um die Aufgaben, um Rang und Wert der verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Übertritte von einem Orden in einen anderen waren oft aktuelle Auslöser der Polemiken, so auch für die Streitschrift A.s: Der Propst Peter des Augustiner-Chorherren-Stifts Hamersleben (1138-46) war in das Benediktinerkloster Huysburg übergetreten, dessen Abt Ekbert (1134-55) anscheinend der Wortführer auf seiten der Benediktiner war. Von ihm sind zwei Briefe in dieser Angelegenheit erhalten (gedr. bei ZÖLLNER, FuF 38, S.27f.), verloren ein dritter, mit dem sich A.s 'Epistola' in geschliffener, zuweilen sarkastischer Rhetorik und im Überlegenheitsgefühl eines Vertreters neuer fortschrittlicher Zeitströmungen auseinander-

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setzt. Sowohl mit der historisch-typologischen als auch der kanonistischen und der formal-logischen Argumentationsmethode behandelt A. die Probleme des Ordenswechsels und der Seelsorge, die Armutsfrage, die Vita contemplativa et activa. In der Hauptstreitfrage des geistlichen Vorrangs von Mönchtum oder Kanonie spricht er letzterer als der besseren Vertreterin der Vita apostolica unter dem besonderen Aspekt ihrer größeren utilitas für die Kirche die höhere Dignität zu. 2. Das Hauptwerk 'Anticimenon id est liber contrapositorum sub dialogo conscriptus' wird häufig unter dem Titel 'Dialogi' geführt, der korrekt nur auf das 2. und 3. Buch zutrifft. Ü b e r l i e f e r u n g . 13 Hss. d. 15-18. Jh.s, dazu 2 erschließbare Hss., auf denen die Erstdrucke beruhen. A u s g a b e n . J.L. D'AcHERY, Spicilegium sive collectio veterum aliquot scriptorum 13, Paris 1677, S. 88 bis 252; S. BALUZE/E. MARTENE/L.F.J. DE LA BARRE, Spicilegium ..., Nova editio ... l, Paris 1723, S. 161-207 (meist verschlechternde Textüberarbeitung). Nach d. 2. Ausg. d. Spicilegium: PL 188, 1139-1248. Teilausg. (Buch 1) auf der Grundlage von PL 188 und unter Heranziehung der 2., nicht d. l.Ausg. d. Spicilegium: G. SALET, Anselme de Havelberg, Dialogues, Livre I, Paris 1966 (Sources Chret. 118). Krit. Ausg. vorbereitet von BRAUN.

Theologische Auseinandersetzungen mit einem gelehrten griech. Bischof, der als Leiter einer Gesandtschaft an der Kurie weilte, veranlaßten Papst Eugen III. im März 1149 zu Tusculum, A. mit der Aufzeichnung seines Religionsgesprächs von 1136 zu beauftragen. Die Absicht dürfte weniger auf eine getreue Wiedergabe dieser schon lange zurückliegenden Disputation als vielmehr darauf gerichtet gewesen sein, eine Art 'apologetisches Kompendium vor allem für die Hand des Kontroverstheologen' (FlNA, 1956, S. 97) zu schaffen. Nur das 2. und 3. Buch sind dialogisch abgefaßt und geben sich als Niederschrift des Gesprächsverlaufs von 1136 aus. Diskutiert werden die alten theologischen Differenzen zwischen griech. und röm. Kirche, vor allem die Frage des Ausgangs des Hl. Geistes vom Vater und Sohn (filioque) oder nur vom Vater allein (2.Buch), sodann der päpstliche Primat und Unterschiede sakramentaler Riten besonders bei der Eucharistie

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und der Taufe (3. Buch). Den Tenor der Disputation hat A. im ganzen sehr versöhnlich gestimmt. Mit der Betonung seiner konzilianten Haltung im Gegensatz zum häufig arroganten Auftreten abendländischer Theologen (vgl. bes. 'Antic.' II 21, 1197 BC) übt A. indirekte Kritik an der Art, wie die griech.-röm. Kontroverse bisher von der westlichen Seite geführt wurde. Die Kontrahenten einigen sich denn auch auf für beide Seiten annehmbare Kompromißformeln, und sie beenden ihre Gespräche im gemeinsamen Wunsch nach Wiederherstellung der Glaubenseinheit durch ein Unionskonzil. Zu möglichen griech.Reaktionen auf die Disputation A.s vgl. DRÄSEKE, S. 174-77; ablehnend LAUERER, S.53-55Anm. 11.

Ob es sich bei A.s wichtigstem Text, dem 1. Buch des 'Anticimenon', das unter dem Sondertitel 'Liber de unitate fidei et multiformitate vivendi ab Abel iusto usque ad novissimum electum' seine Ges c h i c h t s p h i l o s o p h i e enthält, um einen ursprünglich selbständigen Traktat handelt und wieweit dann die Verbindung mit den dialogischen Büchern kompositorisch gelang (vgl. FINA, 1956, S. 98 f.), ist eine untergeordnete Frage gegenüber der Intention A.s, die sich in dieser Verknüpfung ausdrückt: die griech.-lat. Differenz nicht bloß unter dem engen Aspekt einer Apologie des lat. Christentums abzuhandeln, sondern der griech. Eigenart im großzügigen Rahmen seiner heilsgeschichtlichen Konzeption als einem Sonderfall in der legitimen Vielfalt historischer Phänomene Verständnis entgegenzubringen. Denn das Kernstück der Geschichtsvorstellung A.s ist der Nachweis, daß die Verschiedenartigkeit der historischen Glaubensformen, wiewohl der Glaube selbst der immer gleiche bleibe, geradezu notwendig für den Fortgang der Weltgeschichte als Heilsgeschichte sei. Bei der Darstellung bedient A. sich durchaus traditioneller Periodisierungsmuster. Er gliedert die Gesamtgeschichte nach den paulinischen drei leges (lex naturalis, lex scripta [= AT], lex christiana [= NT]), unterteilt dann nach dem alten WeltwocheModell der sex aetates, die letzte aetas, die Kirchengeschichte von der Ankunft Christi

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bis zum Jüngsten Tag, dann unter Rückgriff auf die traditionelle Exegese der 7 Siegel der Apokalypse (vgl. KAMLAH, S. 64-70) in 7 status ecdesiae. Dem als die Zeit der Gegenwart verstandenen 4. status gilt das Hauptinteresse, ausgehend von der Kernfrage, die letztlich auch A.s 'Epistola ad Ecbertum' zugrunde liegt, wie nämlich das historisch Neue zu bewerten sei. Ihm und überhaupt der empirischen Geschichte ließ das von Augustin bestimmte vorherrschende geschichtstheologische Weltbild keinen selbständigen Wert (vgl. GRUNDMANN, S. 86f.). Dagegen setzt A. den Entwurf einer dauernden Fort- und Höherentwicklung des Menschengeschlechts, die der Hl. Geist nach Gottes Heilsplan gerade in und mittels der realen Geschichte vorantreibt. A. unternimmt es, diesen F o r t s c h r i t t am Ablauf der biblischen Geschichte (I 3-5), der Kirchengeschichte (I 6-9), besonders aber am Geschehen seiner eigenen Zeit, vornehmlich im Blick auf die neuen religiösen Gemeinschaften (I 10), nachzuweisen. Die Profangeschichte bleibt dabei merkwürdig außer Acht. Dies für seine Zeit ungewöhnlich optimistische Weltbild und das gegenwartsbezogene Interesse lassen in A.s Vorstellungen vom zukünftigen Gang der Geschichte keinen Raum für die sonst im MA beliebten eschatologischen oder chiliastischen Spekulationen. Das gewählte Periodisierungsmodell zwingt A. zwar, überhaupt auf sie einzugehen, doch tut er sie kurz und vage ab (I 11: 5. status) oder behilft sich für die Darstellung der Zeit des Antichrists weitgehend mit Zitaten (I 12: 6. status, wohl nach einem Apokalypsekommentar Haimos von Auxerre [nicht Haimos von Halberstadt]; vgl. PL 117, 1031 C u. 1032 AB), bricht überdies beide Kapitel mit einem uninteressierten et cetera ab. Auch den 7. status, in dem die Weltgeschichte ihr Ende und Ziel erreicht, charakterisiert A. im zusammenfassenden 13. Kap. nur sehr zurückhaltend und allgemein mit Hilfe der biblischen Metaphorik als den Zustand der Vollendung in der ewigen Seligkeit. Nur ein Gesichtspunkt wird hierbei betont: wie nämlich die menschliche Gotteserkenntnis, verstanden

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als Inbegriff der cognitio ventatis, beschaffen sein werde. Zwar erreiche sie ihr höchstmögliches und zulängliches Maß, bleibe aber selbst dann noch aufgrund der menschlichen Kreatürlichkeit beschränkt. In dieser konstitutionellen Schwäche des Menschengeschlechts sieht A. dessen prinzipielle Wandelbarkeit begründet, damit auch eine notwendige Mannigfaltigkeit der Lebensformen, und er erkennt in ihr die Voraussetzung der vom unwandelbaren Gott gelenkten geschichtlichen Entfaltung. Der tiefere Ausgangspunkt seiner Geschichtsphilosophie ist also nicht die theologische Konzeption - kein Bezug auf Sündenfall und Erlösung -, er ist erkenntnistheoretischer Natur. Damit vertrat A. ein geradezu modern anmutendes Geschichtsverständnis. 'Sein Werk ist nicht nur ein wichtiger und beachtenswerter Meilenstein in der Geschichte der Bewußtwerdung des abendländischen Menschen, sondern auch in der Geschichte des Fortschrittsbegriffes' (FiNA, 1958, S. 33). Prägnanteste Darstellung des geschichtstheologischen Systems A.s: GRUNDMANN, S. 92-95. Trotz des zunehmenden Forschungsinteresses sind Quellengeschichte (Benutzung kanonistischer Texte, Abälards: BERGES, S. 45 u. 56; der 'Glossa ordinaria': KAMLAH, S. 66ff.; Gregors von Nazianz, vielleicht -* Hugos von St.Viktor: FUNKENSTEIN, S. 65) und Wirkungsgeschichte (möglicher Einfluß auf -* Joachim von Fiore: GRUNDMANN, S. 95) der Werke A.s noch weitgehend ungeklärt.

3. Der kleine liturgische Tractatus de ordine pronuntiandae letaniae' entstand auf Anregung des Erzbischofs Friedrich I. von Magdeburg (1142-52) und befaßt sich mit der Neuordnung der Allerheiligenlitanei. Die Forschung ist auf ihn bislang nicht näher eingegangen (LAUERER, S. 98-105, bietet wenig mehr als eine Inhaltsangabe). Ausgabe. WINTER, S. 144-55, nach einer verschollenen Hs. aus d. Besitz von B. PEZ. Eine Hs. ist auch sonst noch nicht aufgefunden.

4. Briefe von und an A. finden sich in einer Sammlung Wibalds von Stablo (PH. JAFFE, Bibliotheca rerum Germanicarum I, 1864, Nr. 158,221 [A. an Wibald], 121,122, 159,211 [an A.]). Der wichtige Brief Nr. 221 übers, und erläutert bei PFÄNDNER. Ein

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Anselm von Lüttich

Brief A.s an Petrus Venerabilis von ca. 1154 bei A. BRUEL, Recueil des chartes de l'abbaye de Cluny V, Paris 1894, Nr. 4176. III. U n e c h t e s . Der A. oft zugeschriebene 'Liberde ordine canonicorum' ist in Wahrheit -»Arnos von Reichersberg 'Scutum canonicorum' (vgl. P. CLASSEN, Gerhoch von Reichersberg, 1960, S.445f.; ZÖLLNER, WZUG, S. 216f.). Zur fälschlichen Zuschreibung der Vita Erzbischof Adalberts II. von Mainz an A. s. —»Anselm von Mainz. In der Hs. I C 16 der ÜB Prag findet sich f. 298v-300r ein nachgetragener 'Sermo de sancto spiritu Anshelmi episcopi ad Eugenium papam'; Stil und Inhalt dieser gegen die Griechen gerichteten Schrift über den Ausgang des Hl. Geistes schließen A. als Verf. aus. L i t e r a t u r . Bibliographien: WENTZ, S.33f.; GRABMANN; FINA, 1956, S. 69-74. E. DOMBROWSKI, A. v. H., Diss. Königsberg 1880; F. WINTER, Zur Gesch. d. Bischofs A. v. H., ZKG 5 (1882) 138-55; J. DRÄSEKE, Bischof A. v. H. u. seine Gesandtschaftsreisen nach Byzanz, ZKG 21 (1901) 160-85; J. SCHMIDT, Des Basilius aus Achrida ... bisher unedierte Dialoge, 1901; H. LAUERER, D. theol. Anschauungen d. Bischofs A. v. H., Diss. Erlangen 1911; H. GRUNDMANN, Stud, über Joachim von Fiore, 1927, bes. S. 92-95; K. PFÄNDNER, Ein Brief des Praemonstratenserbischofs A. v. H., Anal. Praemon. 7 (1931) 97-107; G. WENTZ, Germania sacra I 2,1933, S. 33^0; W. KAMLAH, Apokalypse u. Geschichtstheologie, 1935, bes. S. 64-74; J. SPÖRL, Grundformen hochmal. Geschichtsanschauung, 1935, S. 21-31; M. VAN LEE, Les idees d'Anselme de H. sur le de veloppement des dogmes, Anal. Praemon. 14 (1938) 5-35; G. SCHREIBER, A. v. H. u. d. Ostkirche, ZKG 60 (1941) 354-411; ders., Stud, über A.v.H., Anal. Praemon.18 (1942)5-90; J.BEUMER, Ein Religionsgespräch aus d. 12. Jh., ZkTh 73 (1951) 465-82; M. GRABMANN, NDB I 309f.; W. BERGES, A. v. H. in d. Geistesgesch. d. 12. Jh.s, Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 5 (1956) 39-57; K. FINA, A. v. H. Unters, z. Kirchen- u. Geistesgesch. d. 12. Jh.s, Anal. Praemon. 32 (1956) 69-101 u. 193-227; ebd. 33 (1957) 5-30 u. 268-301; ebd. 34 (1958) 13^1; L.F. BARMAN, Reform Ideology in the 'Dialogi' of A. of H., Church History 30 (1961) 379-95; B. TÖPFER, D. kommende Reich d. Friedens, 1964, S. 22-25; W. ZÖLLNER, Ekbert v. Huysberg u. d. Ordensbewegung d. XII. Jh.s, FuF 38 (1964) 25-28; ders., Eine Hamerslebener Sammelhs. d. XV.Jh.s, WZUG 13 (1964) 215-219; A. FUNKENSTEIN, Heilsplan u. natürliche Entwicklung, 1965, S.60-67; G. SEVERING, La discussione degli Ordines' di Anselmo di Havelberg, Bulletino delP Istituto Stör. Ital. par il Medio Evo 78 (1967) 75-122; J. W. BRAUN, Stud. z. Überl. d. Werke A.s v. H., DA 28 (1972) 133-209.

JOHANN WILHELM BRAUN

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Anselm von Lüttich

1. A.s Lebensgeschichte ist nur in spärlichen Zügen bekannt. Geboren etwa im ersten Jahrzehnt des 11. Jh.s als Sohn eines Adligen im Kölner Raum, lebte er später auf Dauer in Lüttich, zunächst wohl zu Studien, seit 1041 als Kanonikus, dann als Dekan von St. Lambert. Er stand in engen Beziehungen zu Bischof Wazo (1042-1048) und dessen Nachfolger Dietwin (1048-1075), den er 1053/54 auf einer Romreise begleitete. 1056 widmete er dem neuen Kölner Erzbischof Anno zu dessen Erhebung in einer zweiten Fassung die bereits vor 1053 auf Anregung seiner Patin Ida, Äbtissin von St. Cäcilia in Köln, entstandenen 'Gesta episcoporum Tungrensium, Traiectensium et Leodiensium'. Da das noch nicht ganz abgeschlossene Werk im gleichen Jahr von einem unbekannten Lütticher Kleriker oder Mönch herausgegeben wurde, ist zu schließen, daß A. ebenfalls schon 1056 starb. 2. Die ursprüngliche, von der Äbtissin Ida veranlaßte Fassung der 'Gesta' ist nicht erhalten. Wie man A.s Widmung an Anno (S. 161 f.) und der Vorrede des anonymen Hg.s (S. 191 f.) entnimmt, stellte sie die Lütticher Bischofsgeschichte insgesamt von den Anfängen bis zum Tod Wazos (1048) dar. In der zweiten, Anno von Köln zugedachten Fassung ersetzte A. seinen Bericht über die ältere Zeit bis auf Remaclus (t670) durch die bis dorthin reichende Lütticher Bischofsgeschichte -> Herigers von Laubach, die er mit einer Kapiteleinteilung versah, sonst aber anscheinend unverändert ließ. A. selbst gehört hier also nur die Darstellung der Zeit von Theodard bis Wazo, und nur dieser Teil seiner 'Gesta' liegt noch vor. 3. Ü b e r l i e f e r u n g . Ihrer zweiten Fassung entsprechend sind A.s 'Gesta' mit denen Herigers auch in der Überl. von vornherein fest verbunden. 14 bekannte Hss. d. 11.-16. Jh.s, die größere Zahl freilich mit gekürztem und/oder interpoliertem Text, dazu einige größere Exzerpte. Vgl. KOEPKE, Ausg., S. 157-161, u. Rep. font. II 367. A u s g a b e n . R. KOEPKE, MGH SS VII 161-234 (zit.); danach PL 139, Sp. 999-1102, u. 142, Sp. 725-764. Zu den älteren Ausgaben vgl. KOEPKE, S. 161. Unbrauchbar die Ausg. von G. WAITZ, MGH SS XIV 107-120, die einer irrtümlich für authentisch gehaltenen von Ägidius von Orval gebotenen kürzeren Version

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Anselm von Mainz

folgt; dazu R. GORGAS, Über d. kürzeren Text v. A.s Gesta pont. Leod., 1890. Eine Neuausg., welche die KOEPKE noch nicht bekannte direkt auf A.s Autograph fußende Hs. N. XII (16. Jh.) der Abtei Averboden berücksichtigte, wäre erwünscht.

4. A.s Darstellung verläuft zunächst, für die ältere Zeit von Theodard (661) an, regestenartig knapp, verweilt fast nur bei Wunderberichten, die wie das übrige Material der Hagiographie der Bischöfe entnommen sind. Für die Umstände des Todes Lamberts zieht er in bewußt kritischer Würdigung den Bericht -»Reginos von Prüm heran (c. 8). Aus Mangel an Nachrichten begnügt er sich für mehr als ein Jahrhundert (746 bis 854) mit der bloßen Nennung von Namen. Von Franco (854-901) an verfügt er über reichlichere und gute Quellen (Regino, —>Folkwin von Laubach u.a.), und von Everaclus (959-971) an kann er sich zunehmend auf das mündliche Zeugnis älterer Zeitgenossen stützen. Völlig selbständig und größter und bedeutendster Teil der 'Gesta' ist die Biographie Wazos. Vor allem hier greift in die Darstellung über ihre regionale Gebundenheit hinaus eine reichsgeschichtliche Betrachtungsweise ein. Mit besonderem Interesse betrachtet A. die bildungsgeschichtlichen Verdienste der Lütticher Bischöfe und den Aufschwung der Domschule (c. 24, 28 f., 32, 40). L i t e r a t u r . Bibliographie: Rep. font. II 367f. S. BALAU, Les sources de l'hist. de Liege, Brüssel 1903, S. 162-172; H. SPROEMBERG, D. Bischöfe v. Lüttich im 11.Jh., 1914, S. 14-53; MANITIUS, LG 11372^375; J. DE GHELLINCK, DHGE III 487-489; R. HUYSMANS, Wazo van Luik in de ideenstrijd zijner dagen, Utrecht 1931, S.3-36 u. 65-70; J.F. NIERMEYER, Onderzoekingen over Luikse en Maastrichtse oorkonden en over de Vita Baldrici episc. Leodiensis, Groningen 1935, S.6-12; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen, S. 143, 146-148, 53*; F.J. SCHMALE, NDBI311. F . J . WORSTBROCK

Anselm von Mainz Der Mainzer Kleriker A. schrieb um 1141/42 eine poetische Vita des frühverstorbenen Erzbischofs Adalbert II. (1138 bis 1141). Sein Seufzer über die Last des Kirchendienstes (cura chori) in Mainz, welche dem Eifer für die philosophia nur

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wenig Raum gönne (v. 65-79), läßt vermuten, daß er dem Domklerus angehörte. Ü b e r l i e f e r u n g . Brüssel, Bibl. Royale, cod. 8892 (12. Jh.), f. 54-76. A u s g a b e . PH. JAFFE, Bibl. rerum Germanicarum, Bd. 3, 1866, S. 565-603 (fälschlich unter dem Namen -» Anselms von Havelberg).

Die Vita verdient vor allem als bildungsgeschichtliches Zeugnis ihrer Zeit Beachtung. Mit unverhülltem Interesse rückt sie die Studien Adalberts in den Mittelpunkt, den Unterricht zuerst in Hildesheim, dann bei Magister Albrich in Reims, in Paris bei Thierry von Chartres, schließlich in Montpellier. Die frz. Schulen zogen ihn, wie seit Beginn des 12.Jh.s viele andere, als die neuen Vororte der Wissenschaften an. Nach A. sind es betont die artes, Logik voran und Rhetorik, dann Recht und Medizin, die den künftigen Bischof dort beschäftigten, nicht die Theologie. A. beruft sich für den größeren Teil der Vita auf mündliche Quellen (vgl. v. 205 bis 211); die kurze Mainzer Amtszeit Adalberts dürfte er selbst miterlebt haben. Seine Darstellung, 1147 meist leoninische Hexameter umfassend, gegliedert in ein proemium und fünf distinctiones, ist indes a limine weniger pragmatisch als rhetorisch-panegyrisch gestimmt. Mit ihren vielfachen descriptiones (v. 130-141 die Grammatik, v. 167-180 die Logik, v. 242-295 die Stadt Reims, usf.) scheint sie einem spezifischen Zug frz. poetischer Mode zu folgen. Glanzstück ist die Beschreibung von Adalberts Mantel und Pferd (v. 188-235) bei der Schilderung seines Aufbruchs nach Reims; sie stünde einem höfischen Roman an. Für die metrische Gestalt der Vita legte A. auf einen in Deutschland zuvor nicht geübten, vielleicht wiederum frz. inspirierten ornatus Wert: Die leoninischen Hexameter durchsetzte er in Abständen von 76 bis 123 Versen mit Partien von je 12 (einmal 14) Hexametern schwierigerer Reimart (tripertiti dactylici, trinini salientes, adonici, collaterales, caudati). L i t e r a t u r . C. WILL, Über d. Person A.s, d. Verf.s d. Vita Adalbert! II. archiepiscopi Moguntini, Forsch, z. Dt. Gesch. 11 (1871) 623-630; A. HOFMEISTER, Stud, über Otto v. Freising I, NA 37 (1911) 98-161, hier S. 129-139; MANITIUS, LG III 681 ff.; RABY, See. Lat.

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'Ansgar' - 'Antelan' ('König Anteloy')

Poetry II 147f.; WATTENBACH/SCHMALE, GeschichtsquellenI133ff. F. J. WORSTBROCK

'Ansgar' Mnd. Prosalegende des 'Apostels des Nordens', geb. 801, gest. 865; 831 Bischof von Hamburg, 847/48 Erzbischof von Hamburg-Bremen. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2673, 6 BlL, frgm., 15.Jh. A u s g a b e . TÖDT, S. 62-74.

Das mnd. A.-Leben ist eine Übersetzung der 'Vita Anskarii', des -»Rimbert, Schüler und Nachfolger A.s. Die 'Vita' liegt in zwei Rezensionen vor. Die Rez. A (3 Hss.) überliefert 'Rimberts Werk in ursprünglicher Fassung' (TRILLMICH, S. 9), während die Rez. B (4 Hss.), entstanden Ende 11. Jh., 'eine Verkürzung und tendenziöse Umgestaltung' (S. 10) darstellt zu dem Zweck, die Ansprüche der Hamburg-Bremer Kirche auf die nordische Kirche zu bewahren. In dieser Angelegenheit hält sich die 'niederdeutsche Erzählung des Lebens Ansgars ... zurück' (TöDT, S. 60). Die Wiener Hs., die nur die Kapitel 9-11, 20-23, 25-27, 37^1 der 'Vita', z.T. frgm., überliefert, stammt aus dem Magdeburger Liebfrauenkloster. TÖDT schließt aus der Auslassung einer Freveltat nordelbingischer Christen, die im lat. Text steht, daß der Übersetzer aus Nordelbingien stammt (S. 61). Er hat 'eine schlichte, treuherzige, gelegentlich packende Darstellung geschaffen' (S. 61 f.), deren Zweck es war, 'in den Klöstern und wohl auch sonst vorgelesen zu werden, wo die Volkssprache gebraucht werden mußte' (TÖDT, S. 61 f., 59).

nischen und Hausrezepten, Auszügen aus der Praktik des Meisters -»Bartholomäus sowie —> Ortolfs von Baierland Arzneibuch (vgl. auch -»Anseimus). L i t e r a t u r . SCHNEIDER, München III 242.

HARTMUT BROSZINSKI 'Antegameratus' -* Frowin von Krakau 'Antelan' ('König Anteloy') Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 15478 [Suppl. 3145] ('LinhartScheubels Heldenbuch', 'WienerPiaristenhs.', Ende 15. Jh., vgl. -> 'Heldenbücher'), 156V (Bild), 157'-159V (Text): eigene Lage, die, wie die anderen Stücke der Hs., zunächst selbständig existiert haben dürfte. A u s g a b e . W. SCHERER, ZfdA 15 (1872) 140-149.

Der .' umfaßt 33 Strr. im Hildebrandston, von denen SCHERER jedoch 5 mit annehmbaren Gründen als Interpolationen ausscheidet. Datierung und Lokalisierung sind unsicher; SCHERER erwägt md. Herkunft und Entstehung Ende 13. oder 14. Jh. Das Kleinepos erzählt, wie Antelan, ein Zwergenkönig ausz schotten lant, von drei Herzoginnen zum Artushof auf abenteure gesandt, im ritterlichen Kampf Parzefal samt seinen Gesellen Gawan und Galleman besiegt. Die Einladung Parzefals, am Artushof zu bleiben, schlägt er aus, um seinen Damen von dem gelungenen Abenteuer berichten zu können. Charakteristika der Darstellung sind Beschreibung und vor allem Dialog; der eigentliche Kampf dagegen wird mit zwei Langzeilen abgetan. Die Zuordnung des .' zu einer bestimmten mal. Gattung fällt schwer. Heldenepisch sind die äußere Form und stilistische Züge, das Personal entstammt der AlexL i t e r a t u r . W.TRILLMICH, Quellend. 9. u. 11.Jh.s andersage und dem Artuskreis. Der Name z. Gesch. d. Hamburgischen Kirche u. d. Reiches, 1961 des Helden ist im Reim als anthelan, sonst (Rimbert, Leben Ansgars: Einleitung S. 3-14 mit Lit. u. jedoch als ant(h)eloy wiedergegeben. Dies früheren Ausg., Text S. 16-133: lat. Rez. A mit Laa. v. erweist seine Identität mit dem ZwergenRez. B, dt. Übers.); A. TÖDT, Eine nd. Hs. über d. Leben könig aus dem Märe -> 'Alexander und A.s, Ndjb 86 (1963) 59-74; W. LAMMERS, A., RGA I Anteloye' und der entsprechenden Episode 346-348. KURT ILLING in -> Ulrichs von Etzenbach 'Alexander', zumal der Name Antelan sich eng mit der Meister Anshelmus Namensform Antalonia in einer zeitlich A. wird in München, cgm 430, 125V (um all diesen Versionen vorangehenden Hs. 1417, mbair.) als Autor eines Pflasters ge- des hebr. Alexanderromans berührt. Ob nannt, damit er hailt allew verhawen hiren der in einem Meisterlied der Kolmarer Hs. ... Die Anweisung ist flankiert von medizi- (BARTSCH, Meisterlieder, Nr. LV, v. 109)

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'Vom Antichrist'

erwähnte her Antelön mit dem Zwerg identisch ist, bleibt zweifelhaft.

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KER, S. 14, bei der zitierten heidnischen Trinität Mahmet, Apoll und Terviganz. Der Traktat erzählt das Leben des AntiL i t e r a t u r . A. LÜTJENS, D. Zwerg in d. dt. Heldenchrist, Zeit, Ort und Umstände seiner Gedicht, d. MAs (German. Abhh. 38), 1911, S.58; F. PFISTER, Alexander und Anteloie, GRM 29 (1941) 81 burt, seine Machtmittel (Wunder, Zauberbis 91, hier S.88f., 91; FISCHER, Stud., S.56 mit Anm. künste, Zeichen, Verführungen durch fal122; X. V.ERTZDORFF, LinhartScheubels Heldenbuch, sche Lehren, Gaben und Marter), schildert Fs. S. Gutenbrunner, 1972, S. 33-46, hier S. 35. die aus ihrer Verbannung hervorbrechenden MANFRED GÜNTER SCHOLZ Völker Gog und Magog und berichtet von den Charaktereigenschaften, die durch La'Antichrist' -»'Linzer Antichrist' ster, vor allem superbia, gekennzeichnet werden. Der Tod des Antichrist wird durch 'Antichrist' (nd.) -> 'Apokalypse' (nd.) Christus herbeigeführt. Eigenständig ist der Verf. vor allem darin, 'Vom Antichrist' (anonyme Prosafassung) daß er die lat. Kompilation zu einer erzählenden Darstellung mit stark moralischÜ b e r l i e f e r u n g . Vier nicht enger miteinander verwandte Sammelhss. des 15. Jh.s enthalten den Traktat; didaktischer Zielsetzung umformt. Dabei sie sind von VÖLKER, S. 23-27 beschrieben. nähert er sich vor allem durch eine extenA u s g a b e . VÖLKER, S.53-115. sive Auslegung der biblischen und patristiDer Traktat vom Leben des Antichrist schen Zitate dem Stil der Predigt an. Gegenist eine Bearbeitung des Abschnittes 'De über dem häresiologischen Aspekt des Antichristo Venture' aus dem sog. -»Pas- Passauer Anonymus gelangt die eschatosauer Anonymus. Der Verf. der mhd. Prosa- logische Erwartung des Jüngsten Tages zu fassung ist ein unbekannter Laie (zur Dis- großer Entfaltung und bestimmt den Gang kussion um die Verfasserschaft -> Heinrichs der Erzählung wie die Deutung des Antivon Mügeln VÖLKER, S. 10-15 und S. 26). christ-Geschehens. Die Voraussetzungen, Aussagen zur Entstehungszeit lassen sich die zum Erscheinen des Antichrist führen, aufgrund fehlender Anhaltspunkte über werden hier wie in der allgemeinen Antiden Verfasser nicht machen. christ-Tradition als spezifisch heilsgeAls direkte Quellen haben 'De ortu et schichtliche Faktoren verstanden; sie führen tempore Antichristi' des Adso von Mon- unmittelbar zur Kritik an der aktuellen Getier-en-Der in der erweiterten Fassung des genwart im moralisierenden, nicht aber -v Albuinus Eremita (PL 40, Sp. 1131 ff. und historisch-deutenden Sinne wie im sog. E. SACKUR, Sibyllinische Texte u. For- deutschen Symbolismus (dazu H. D. RAUH, schungen. Pseudo-Methodius, Adso und die S. 171-178). Die Wirkungsmöglichkeit des Tiburtinische Sibylle, 1898, S. 104-113; Antichrist wird durch das Maß des UnPL 101, Sp. 1289ff.), das 'Elucidarium' des glaubens, nicht durch eine politische Kon-> Honorius Augustodunensis (PL 172, Sp. stellation hervorgerufen. Der Verf. kontaminiert die Danielvision 1136ff.) sowie Isidors von Sevilla 'Etymologiae' (ed. W. M. LINDSAY, Oxford 1911) und die Apokalypse und begründet dies und 'Sententiarum liber III' (PL 83, Sp. durch den Hinweis, daß Gott selbst zweimal 537ff.) zu gelten. Daneben dürfte das 'Com- auf das Kommen des Antichrist habe hinpendium theologicae veritatis' des —>· Hugo weisen lassen darumb ..., das man es dester Ripelin von Straßburg (dazu W. ROLL, baß verstand vnd auch gelaube (Z. 1901-3). Die Antichrist-ra/e -»Friedrichs von Saar- Dies könnte der Grund dafür sein, daß die burg, ZfdA 96 [1967] 284 f.) als bekannt an- Erzählung eine zweimalige Schilderung der gesehen werden. Außerdem scheint der Charaktereigenschaften und Verführungen Verf. des mhd. Prosatextes auch literarische des Antichrist enthält. Das hat zur Folge, Stoffe gekannt und übernommen zu haben daß verschiedene Bibelstellen mehrmals wie etwa denjenigen der Alexandersage. ausgelegt werden, so daß neben der strinEine direkte Entlehnung aus -»Wolframs genten res-Allegorese (durch termini techvon Eschenbach 'Willehalm' vermutet VÖL- nici wie daz ist, bezaichnet oder Glosa ge-

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'Vom Antichrist'

erwähnte her Antelön mit dem Zwerg identisch ist, bleibt zweifelhaft.

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KER, S. 14, bei der zitierten heidnischen Trinität Mahmet, Apoll und Terviganz. Der Traktat erzählt das Leben des AntiL i t e r a t u r . A. LÜTJENS, D. Zwerg in d. dt. Heldenchrist, Zeit, Ort und Umstände seiner Gedicht, d. MAs (German. Abhh. 38), 1911, S.58; F. PFISTER, Alexander und Anteloie, GRM 29 (1941) 81 burt, seine Machtmittel (Wunder, Zauberbis 91, hier S.88f., 91; FISCHER, Stud., S.56 mit Anm. künste, Zeichen, Verführungen durch fal122; X. V.ERTZDORFF, LinhartScheubels Heldenbuch, sche Lehren, Gaben und Marter), schildert Fs. S. Gutenbrunner, 1972, S. 33-46, hier S. 35. die aus ihrer Verbannung hervorbrechenden MANFRED GÜNTER SCHOLZ Völker Gog und Magog und berichtet von den Charaktereigenschaften, die durch La'Antichrist' -»'Linzer Antichrist' ster, vor allem superbia, gekennzeichnet werden. Der Tod des Antichrist wird durch 'Antichrist' (nd.) -> 'Apokalypse' (nd.) Christus herbeigeführt. Eigenständig ist der Verf. vor allem darin, 'Vom Antichrist' (anonyme Prosafassung) daß er die lat. Kompilation zu einer erzählenden Darstellung mit stark moralischÜ b e r l i e f e r u n g . Vier nicht enger miteinander verwandte Sammelhss. des 15. Jh.s enthalten den Traktat; didaktischer Zielsetzung umformt. Dabei sie sind von VÖLKER, S. 23-27 beschrieben. nähert er sich vor allem durch eine extenA u s g a b e . VÖLKER, S.53-115. sive Auslegung der biblischen und patristiDer Traktat vom Leben des Antichrist schen Zitate dem Stil der Predigt an. Gegenist eine Bearbeitung des Abschnittes 'De über dem häresiologischen Aspekt des Antichristo Venture' aus dem sog. -»Pas- Passauer Anonymus gelangt die eschatosauer Anonymus. Der Verf. der mhd. Prosa- logische Erwartung des Jüngsten Tages zu fassung ist ein unbekannter Laie (zur Dis- großer Entfaltung und bestimmt den Gang kussion um die Verfasserschaft -> Heinrichs der Erzählung wie die Deutung des Antivon Mügeln VÖLKER, S. 10-15 und S. 26). christ-Geschehens. Die Voraussetzungen, Aussagen zur Entstehungszeit lassen sich die zum Erscheinen des Antichrist führen, aufgrund fehlender Anhaltspunkte über werden hier wie in der allgemeinen Antiden Verfasser nicht machen. christ-Tradition als spezifisch heilsgeAls direkte Quellen haben 'De ortu et schichtliche Faktoren verstanden; sie führen tempore Antichristi' des Adso von Mon- unmittelbar zur Kritik an der aktuellen Getier-en-Der in der erweiterten Fassung des genwart im moralisierenden, nicht aber -v Albuinus Eremita (PL 40, Sp. 1131 ff. und historisch-deutenden Sinne wie im sog. E. SACKUR, Sibyllinische Texte u. For- deutschen Symbolismus (dazu H. D. RAUH, schungen. Pseudo-Methodius, Adso und die S. 171-178). Die Wirkungsmöglichkeit des Tiburtinische Sibylle, 1898, S. 104-113; Antichrist wird durch das Maß des UnPL 101, Sp. 1289ff.), das 'Elucidarium' des glaubens, nicht durch eine politische Kon-> Honorius Augustodunensis (PL 172, Sp. stellation hervorgerufen. Der Verf. kontaminiert die Danielvision 1136ff.) sowie Isidors von Sevilla 'Etymologiae' (ed. W. M. LINDSAY, Oxford 1911) und die Apokalypse und begründet dies und 'Sententiarum liber III' (PL 83, Sp. durch den Hinweis, daß Gott selbst zweimal 537ff.) zu gelten. Daneben dürfte das 'Com- auf das Kommen des Antichrist habe hinpendium theologicae veritatis' des —>· Hugo weisen lassen darumb ..., das man es dester Ripelin von Straßburg (dazu W. ROLL, baß verstand vnd auch gelaube (Z. 1901-3). Die Antichrist-ra/e -»Friedrichs von Saar- Dies könnte der Grund dafür sein, daß die burg, ZfdA 96 [1967] 284 f.) als bekannt an- Erzählung eine zweimalige Schilderung der gesehen werden. Außerdem scheint der Charaktereigenschaften und Verführungen Verf. des mhd. Prosatextes auch literarische des Antichrist enthält. Das hat zur Folge, Stoffe gekannt und übernommen zu haben daß verschiedene Bibelstellen mehrmals wie etwa denjenigen der Alexandersage. ausgelegt werden, so daß neben der strinEine direkte Entlehnung aus -»Wolframs genten res-Allegorese (durch termini techvon Eschenbach 'Willehalm' vermutet VÖL- nici wie daz ist, bezaichnet oder Glosa ge-

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'Von dem Anticriste' - 'Antichrist-Bildertext'

kennzeichnet) ein additives Auslegungsverfahren erkennbar wird (vgl. etwa die Auslegung des antichristlichen Tieres und dessen Häupter Z. 278 ff., 394 ff., 640ff., 984ff. oder die des Tempels Z. 1270ff. und 1511 ff.). Uneinheitlich ist das Verhältnis von Antichrist und Teufel. Anders als bei Adso stammt hier der Antichrist vom Menschen ab und nicht vom Teufel. Andererseits erscheint er nur als Werkzeug des Teufels (Z. 768-810). Zugleich ist der Gedanke des corpus Antichristi dem Traktat nicht fremd; außer den Juden, die dem falschen Messias als erste verfallen, werden auch alle böß cristen (Z. 225 f.) und alle kätzer (Z. 226) zu den Mitgliedern des corpus Antichristi gezählt.

(Bäume erblühen, Meer ist bewegt, Wetter ändert sich, Tote erstehen auf [v. 263ff.]). Die Wirksamkeit des Antichrist zielt auf zvivel an Gott und der Schöpfung, d.h. auf Abkehr vom Glauben, bis Michael ihn tötet. Die unmittelbare Vorlage ist nicht bekannt. Doch dürfte Adsos von Montier-enDer 'De ortu et tempore Antichristi' in der erweiterten Fassung des -> Albuinus Eremita(PL40,Sp.H31ff.;PL101,Sp.l289ff.) die Grundlage bilden, die bis in Einzelheiten übernommen worden ist.

L i t e r a t u r . P.-G. VÖLKER (Hg.), Vom Antichrist. Eine mhd. Bearb. d. Passauer Anonymus (WPM 6), 1970 (mit Bibliographie S.7-9). - Übersichtlich faßt W.E. PEUCKERT, 'Antichrist', in: Handwörterbuch d. dt. Aberglaubens 1,1931/32, Sp. 479-502 die Tradition zusammen; bes. z. Bildlichkeit d. Antichriststoifes H.D. RAUH, D. Bild d. Antichrist im MA: Von Tyconius zum Deutschen Symbolismus (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie u. Theologie d. MAs 9), 1973.

'Antichrist(Endkrist)-Bildertext'

ANDREAS WANG 'Von dem Anticriste' (bair. Versdichtung) Ü b e r l i e f e r u n g . Pergamentsammelhs., vormals im Besitze von Matthäus Kuppitsch, f. 57r-70r; beschrieben von T. v. KARAJAN, ZfdA 2 (1842) 9, der das Ged. Anf. d. 14.Jh.s datiert. Ausgabe. M. HAUPT, ZfdA 6 (1848) 369-386.

In 634 reimpaarigen Versen im bairischen Dialekt schildert das Gedicht die Herkunft, Wirksamkeit und den Tod des Antichrist. Es beginnt mit der antithetischen Gegenüberstellung der Tugenden Christi und der Laster Antichristi, die in diemüete und hdchvart (v. 12 f.) gipfeln. Wie schon im Eingang so bleibt die Parallelität von Christ und Antichrist für den Gesamtaufbau des Gedichtes bestimmend. Die Herkunft des Antichrist wird als Mischung aus Menschlichem mit Diabolischem gedacht, im Sinne der christlichen Topographie der Geburtsort Babylon als Gegenüberstellung von Bethlehem verstanden. Mit zouberlist (v. 210) bewirkt der Antichrist ähnliche Wunder wie Christus

L i t e r a t u r . K. REUSCHEL, Unters, zu d. dt. Weltgerichtsdicht.n d. XL bis XV.Jh.s, 1. Tl. (2. nicht erschienen), Diss. Leipzig 1895, S. 17-19.

ANDREAS WANG

Der .- .' besteht aus erklärenden Überschriften zu den meist halbseitigen Bilddarstellungen zum Leben des Antichrist und der —> 'Fünfzehn Vorzeichen des Jüngsten Gerichts'. Der unbekannte bairische Verf. hat ihn um 1440-1450 (Kleidertracht) aus verschiedenen Quellen, die er angibt, vorzüglich aber aus dem VII. Buch des 'Compendium theologicae veritatis' des -»Hugo Ripelin von Straßburg kompiliert. Neben dem 'Compendium' (21mal) werden zitiert: Apok., Glosse zur Apok. und zu Daniel, pucb der tugent (des -»Albuinus Eremita 'Exempla de virtutibus') und die 'Legenda aurea'. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n , a) Hss.: Berlin, mgf 733, lr-13v (frgm.); Göttweig,Stiftsbibl.,cod.276, 178 8 (ohne Bilder); München, cgm 426, 51r-83v; St.Gallen, StB, Pfäverser Arch. Bd. XVI, 107vb-120r; Wien, cod. 2838, 163M78V; Würzburg, ÜB, M.ch. f. 116, 187V-203V. b) Chiroxylographische Blockbücher: 2 bzw. 5 Einzelbll. in Paris, Bibl. Sainte Genevieve u. Wien, Albertina (SCHREIBER, S.232f.); Harburg (olitn Maihingen), Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibl., cod. I 2,2°, 24 (H. LEHMANN-HAUPT, Ein vollständiges Exemplar des xylochirographischen Antichrist, Gutenberg-Jb. [1934] 69-71), jetzt Schweinfurt, Sammlung Otto Schäfer: Faksimile-Ausg. hg. v. H.T. MUSPER, D. Antichrist u. d. fünfzehn Zeichen, 1970. •c) Xylographische Blockbücher: undatierte opistographische Ausg.: München,Bayer. SB, Xyl l: D. Buch von dem Entkrist, Faksimile-Druck, hg. v. K. PFISTER, 1925;

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Antonius von Lambsheim - Antonius von Pforr

opistographische Ausg. des Hans Sporer v. J. 1470: München, Bayer. SB, Xyl 2; anopistische Ausg. des Hans Sporer v. J. 1470: Gotha, LB, jetzt Schweinfurt, Sammlung Otto Schäfer. d) Typographische Ausg.n (Drucke): Straßburg (?), um 1482 (GW 2050): Der Enndkrist der StB zu Frankfurt a. Main, Facsimile-Wiedergabe, hg. v. E. KELCHNI·:«, 1891; Straßburg (?), um 1482 (GW 2051, HC 1149); Straßburg (?), um 1482, nd.; Hamburg, StB, AC II 14; Straßburg, 16. Jh., M. Hüpfuff 4° (HC 1150).

Der .'-Text wurde Vorlage für Michel -»Beheims Gedicht 'Von des endecristes leben' (gedr.: Die Ged. d. Michel Beheim, hg. v. H. GILLE/J. SPRIEWALD [DTM LX], 1968, S.550-705). L i t e r a t u r . G. NOLLE, D. Legende v. d. 15 Zeichen, PBB 6 (1879) 454-^56, 467- 69; W. L. SCHREIBER, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois sur metal au XVime siecle, 1902 (Nachdruck 1969), S. 217-233; O. ERICH, RDK I, Sp. 724-729; G. STEER, German. Scholastikforsch. I, Theologie u. Philosophie 45 (1970)

GEORG STEER

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tenzenhaft kurz, formelhaft, gelegentlich gereimt (ein gütt leben lert wol sterben/ein bös leben muß verderben, 216r). Viele lat. Zitate mit Übers. - Traktat: Mitt disen fünf dingen soltv dich der vngedult erweren und solt lernen ander lütt gebresten lyden (223v-224r). - S e q u e n z : Jhs ist dz dz mich gelist/min genist der Jhs ist (224V). Freie, vierteilige Strophen-Sequenz über die Liebe Jesu. Mystische Einflüsse. - Vier geistl. Gedichte. 1. Diß leben ist ein bilger vart: zart (226r). Durch Initialen als Vierzeiler geordnet, doch gegenläufige Reimbindung. Die Anordnung in cod. St. Peter ist gegenüber der Basler Version vorzuziehen, die v. 13-18 mit v. 19-24 vertauscht. 2. Kusche demütt vnd gedultickeitt: bescheidenheit (227r). 7 Vierzeiler; Z. 8 fehlt. 3. Wie snell wie kurtz deß todeß stund: grvnd (227V), 9 Vierzeiler. 4. Wer werben thütt nach hocher minne/ die Jhs ist genant (229 r ).6Achtzeiler.

'Antidotarium Nicolai' -> Nicolaus Salernitanus

L i t e r a t u r. K. NIEBLER, D. Hss. d. Bad. LB in Karlsruhe, Bd. X, l, 1969, S. 26-28.

'Antigameratus' —> Frowin von Krakau

Antonius von Pforr

Antonius (Anthis) von Lambsheim

Nach herrschender Ansicht nennt die Initialenfolge ANTHONYVS V PFOR(E) im 'Buch der Beispiele' ('BdB', S. 54-69) dessen Verfasser bzw. Übersetzer. Für die Richtigkeit der Annahme sprechen die Lebensumstände des Genannten und vergleichbare Erscheinungen in seinem Umkreis, so das Akrostichon in -> Stainhöwels 'Apollonius'.

Leben. Von seinen Lebensdaten ist nur bekannt, was die Karlsruher Hs. davon berichtet. Ein junger, gelehrter Adliger aus Weißenburg kommt 1458 zum fünften Male nach Basel zu den Dominikanerinnen des Maria-Magdalenen-Klosters, um sie geistlich zu unterweisen. Am 5. Okt. Rückkehr nach Straßburg, wo er, an der Pest erkrankt, noch im selben Jahr stirbt. Ü b e r l i e f e r u n g . Karlsruhe, LB, cod. St.Peter pap. 16, geschr. 1458-60 im Steinen-Kloster in Basel, enthält Bl. 214r-223r sechs Briefe des A. v. L. an die Schwestern von St.Maria Magdalena zu den Steinen; Bl. 223V-229V vom selben Verf. ein Traktat, eine Sequenz und vier Gedichte an jene Nonnen. Die übrigen Stücke des Cod. sind Gebete und Betrachtungen. Ma. alem. Das erste Gedicht (Diß leben ist ein bilger van: zart) auch in Basel, ÜB, cod. A. IX. 2., 181r (gedr. bei BINZ, Basel, S. 118). Alles andere unediert.

Werk. Sechs B r i e f e von sehr ungleicher Länge: Keine persönlichen Mitteilungen, sondern ausschließlich zur geistl. Erbauung vor bzw. zwischen seinen Besuchen. Stil sen-

WALTER BLANK

I. Leben. Quellen d. Biographie d. A. v. P. sind Urkunden, Briefe, Protokolle usw. Letzte Zusammenstellung: GEISSLER, 1964.

Anthoni(us) von Pforr(e), 1436 zuerst bezeugt und 1483 in hohem Alter gestorben, entstammt einer in Breisach ansässigen Patrizierfamilie. Er findet sich als Kaplan, Dekan und Kirchherr zunächst am Oberrhein (Jechtingen, Breisach, Endingen, Müllheim). Seit 1472 ist er als Kirchherr von Rottenburg am Neckar, dem Sitz der Erzherzogin Mechthild, nachweisbar. In verschiedenen Verhandlungen tritt er als Rat des Erzherzogs Albrecht von Österreich und dessen Gemahlin Mechthild auf. Die Erz-

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Antonius von Pforr

Herzogin bestimmt ihn 1468 zu einem der 'Executoren' ihres Testaments. Sein 'BdB' widmet A. v. P., wie die Abschnittsinitialen im Eingang (S. 1-31) zeigen, dem Sohn Mechthilds, Graf Eberhard von Württemberg, der - Konrad Summenharts Behauptung von 1496 zufolge - die Übersetzung des opus fabularum perutile ins Deutsche selbst befohlen hat (die Stelle bei HOLLAND, S. 249). 1466 erscheint A. v. P. als Bevollmächtigter Herzog Siegmunds von Tirol am Hof Kaiser Friedrichs III. Daneben vertritt er in mehreren Rechtssachen den Bischof Hermann von Konstanz.

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spricht, befassen sich u.a. mit Herkunft, Übersetzung und Sinn des Buchs (S. 1-21). Das eigentliche buch der by spei der alten wysen von geschlechten der weit (S.S 22 ^; der Titel buch der weißhait etc. im Kolophon des Drucks Ulm 28.5.1483) bilden Geschichten, die der Weise Sendebar auf Bitten des indischen Königs Dißles jeweils — den Bericht vom Prozeß gegen Dimna (S. 62-82) ausgenommen - als byspel, glychnuß, fabel zu fünfzehn allgemein formulierten Fällen (z.B.: ein Intrigant treibt zwei Freunde zum Kampf gegeneinander) erzählt. Ein 'Beispiel' setzt sich gewöhnlich aus einer Geschichte und wiederum eingeII. 'Das Buch der B e i s p i e l e ' legten Erzählungen zusammen. Das Perso1. Ü b e r l i e f e r u n g . 6 Hss., 17 Drucke (zusammennal stellen fast durchweg Tiere, die wie gestellt u. beschrieben durch GEISSLER, 1974, S.33-105). Menschen reden und handeln. Das Werk Von den nachgewiesenen Drucken ist der älteste will belehren (vgl. bes. S. l f.) und tut dies 1480/82, der jüngste 1592. Ob die Entstehung der frünicht allein im Sinne moralischer Besserung, hesten Hss. wesentlich vor 1480 liegt, ist zweifelhaft sondern zu einem guten Teil - hier wirkt (anders zuletzt GEISSLER, 1974, S.20F.). A u s g a b e n . W.L. HOLLAND, Das BdB d. alten Weiseine ursprüngliche Bestimmung zur Fürsen (StLV 56), 1860 (Nachdr. 1969; Text nach dem stenlehre nach - in dem der Förderung der ältesten Druck, Laa. aus 3 Hss. u. 4 weiteren Drucken) Lebensklugheit: die Geschichten zeigen (zit.); F. GEISSLER, A. v. P., Das BdB d. alten Weisen, meist, wie überlegtes oder listiges Handeln I.Teil (Dt. Ak. d. Wiss.n zu Berlin, Inst. f. Orientier nützt, unbedachtes schadet. schung, Veröffentlichung 61), 1964 (Text nach Straß4. Die Sprache des 'BdB' neigt zu Paraburg, Bibl. Nat. et Univ., Ms. 1966); II. Teil, 1974, S. 109 taxe und klammerloser Wortfolge; spezibis 385 (Laa. aller Textzeugen). - Freie Bearbeitung von fisch lat. Konstruktionen treten zurück. Heidelberg, cpg 84 durch H. WEGENER, 1926; FakMit seinem gewandten Prosastil steht A. v. simile d. Lienhart-Holl-Drucks, Ulm, vom 28.5.1483, P. unter den zeitgenössischen Übersetzern, hg. v. R. PAYER VON THURN, 1925; dass. o. Hg., Unterschneidheim 1970. die wie er zum literarischen Umkreis des 2. Das 'BdB' gehört in die Tradition des Württemberger Hofes gehörten, Heinrich indischen Pancatantra, für dessen Verbrei- —» Stainhöwel näher als —> Niclas von Wyle. tung im Abendland der 'Liber parabolarum Inwieweit auch er ganz bestimmten Überantiquorum sapientum nacionum mundi' setzungsprinzipien folgt, ließe sich nur an('Liber Kelilae et Dimnae', 'Directorium hand der Vorlage klären. 5. In den Drucken ist das 'BdB' vielfach vitae humanae') Johanns von Capua (2. H. umgestaltet worden. Die neuen Register 13. Jh.) zunächst der wichtigste Text ist. Die der Ausgaben seit 1484 verraten die Abunmittelbare Vorlage des 'BdB' ist nicht bekannt. A. v. P. dürfte einen lat. Text be- sicht der Bearbeiter, den Geschichtenbenutzt haben. Eine Untersuchung der lat. stand des 'BdB' zu erschließen und die Erzählungen als moralisierte Exempel darzuHss. steht noch aus. bieten. Die Wirkung des 'BdB' auf die Die bekannten lat. Textzeugen bei GEISSLER, 1963, Exempelund Schwanksammlungen des S. 434-447; 1965, S. 7-47. Ausgabe (mit dt. Übers.): 16. Jh.s läßt sich nachweisen in Valentin GEISSLER (Dt. Ak. d. Wiss.n zu Berlin, Inst. f. OrientSchumanns 'Nachtbüchlein' und Hans Wilforschung, Veröffentlichung 52), 1960, (d. i. die Edihelm Kirchhoffs 'Wendunmuth'. Das 'BdB' tion J. DERENBOURGS, 1887-1889, mit den Abweichungen der Ausgabe L. HERVIEUXS, 1899; beide beruhen ist nach späteren Drucken ins Dänische auf Drucken). (Christen Nielssen, 1618), Niederländische (Zacharias Heyns, 1623) und Isländische 3. Die Eingangsteile des 'BdB', das in seiner Anlage völlig dem lat. Text ent- (17. Jh.) übersetzt worden.

405

Antworter, Georg - 'Apokalypse' (mhd. Prosa)

L i t e r a t u r . W.L. HOLLAND, S. 192-260; . FEY, Über d. alte dt. auf Befehl d. Grafen Eberhardt v. Würtenberg abgefasste Übersetzung des Kalilah und Dimnah, Orient u. Occident l (1862) 138-187; PH. STRAUCH, Pfalzgräfm Mechthild in ihren litterarischen Beziehungen, 1883, S. 26f., 64-66; F. PFAFF, A. v. P. und sein BdB der alten Weisen, Schau-ins-Land! 24 (1897) 29-46; J. HERTEL, D. Pancatantra, 1914, S.397f.; W. STAMMLER, Zur Sprachgesch. d. XV. u. XVI. Jh.s, Fs. G. Ehrismann, 1925, S. 182; F. GEISSLER, Über einige europäische Varianten d. 'Pancatantra', FuF 36 (1962) 205-208; ders., Hss. u. Drucke d. 'Directorium vitae humanae' u. d. 'BdB der alten Weisen', Mitt. d. Inst. f. Orientforschung 9 (1963) 433^61; ders., A. v. P., d. Übersetzer d. 'BdB', Zs. f. Württembergische Landesgesch. 23 (1964) 141-156; ders., D. Inkunabeln d. Directorium vitae humanae, Beitr. z. Inkunabelkunde, 3.Folge, l (1965) 7-47; ders., 1974, S. 1-105, 387 52

^ ·

UDO GERDES

Antworter, Georg Geb. um 1430, gest. am 17. 3. 1499 in Würzburg; Minorit, Professor der Theologie und seit 1479 Würzburger Weihbischof. G. A. schrieb 1482 eine dt. 'Belehrung über das Beschwören von Geistern', abschriftlich erhalten im 1470 angelegten cod. theol. 6 (Q. II3) der SB Bamberg. Der Traktat ist als Brief für einen Junker abgefaßt, der über einen Poltergeist geklagt hatte. G. A. bestätigt die Existenz von guten und bösen Geistern und gibt Anweisungen zur Vorbereitung und Durchführung von Geisterbeschwörungen. Dazu werden ein lat. und ein dt. Beschwörungstext mitgeteilt, der erstere vom Verf. erprobt und gepessert. Handelt es sich um eine arme Seele, so soll der herbeizitierte Geist nach Hilfsmöglichkeiten zu seiner Erlösung befragt werden (christl. Nekromantie). Abgewiesen wird die Geisterbeschwörung zum Zweck der Zukunftserforschung, wie sie u.a. eine dt. Beschwörung in Wien, cod. 4773, 48V bis 49V, lehrt. Ein vom Verf. angekündigter Traktat über die Zeichen der guten und bösen Geister ist bisher nicht wieder aufgetaucht. L i t e r a t u r . N. REININGER, Die Weihbischöfe v. Würzburg, 1865, S. 87-95; J. WERLIN, G. A.s Belehrung über d. Beschwören v. Geistern, Neuphil. Mitt. 66 (1965) 210-216 (mit Edition).

PETER ASSION

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Anwil -> Hans von A. 'Apokalypse' (mhd. Prosa) Die Apokalypse wird im MA mehrfach als ein für Laien schwerverständlicher Text vermerkt (VOLLMER, BdK 8 [1938] 16, 22). Trotzdem wurde sie vielfach übertragen: aus naheliegenden Gründen in einer stark eschatologisch ausgerichteten Zeit. Es werden i. F. nur selbständige (bzw. der Forschung als selbständig geltende) .'Übertragungen genannt; die Möglichkeit der Zugehörigkeit zu einer Bibel-, bzw. NT-Übers, ist in den wenigsten Fällen auszuschließen, in einem Fall (7.) mit Sicherheit zu erweisen. Zahlreiche in Hss.katalogen angeführte Texte sind ohne Zuordnung geblieben; sie bleiben hier unerwähnt; s. u. a. auch die von VOLLMER, BdK 8 (1938) 56 Anm. 2 aufgeführten Texte. Allgemeine L i t e r a t u r . STAMMLER, Prosa, Sp. 894-96 (Lit. 1087); WALTHER, Bibelübers., Sp. 127f., 283-286, 549-557, 703f.; H. VOLLMER in Materialien u. BdK.

1. Die ' K ö n i g s b e r g e r A.' ist vorgängig —> Heinrichs von Hesler .'-Dichtung im cod. 891 der Königsberger ÜB, 2ra-31ra, 14. Jh., ostmd., überliefert und fand aus diesem Grunde größere Beachtung. Erwogen wurde der Einfluß der .' Heinrichs auf den Prosatext (BEHAGHEL) bzw. die ausgleichende Hand des Schreibers (CAMPBELL). L i t e r a t u r . O. BEHAGHEL, Zwei dt. Übers.n d. Offenbarung Johannis,ZfdA 22 (1878) 97-142 (128 ff.); F. E. A. CAMPBELL, D. Prosa- , in d. Königsberger Hs. Nr. 891 u. d. A. Heinrichs v. Hesler, Diss. Greifswald 1911 (Textausg. S. 5-40); dass.: Normannia 12 (1913).

2. W a l t h e r s 33. Zweig Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., Add. 15243, 3ra-39r, ca. 1350/70, thür. (L); Augsburg, StB u. SB, cod. 148, 208"-220ra, um 1450, 'schwäb.-frk. Grenzgebiet' (A); Meiningen, Öffentl. Bibl., cod. 57 (olim 46b), 195'M97vb (unvollst.), 1. H. 15.Jh., 'schwäb.frk. Gemisch' (M). A u s g a b e . A. T. HATTO, Eine dt. A. d. 14.Jh.s, BdK 6 (1936) 175-199.

Nach HATTO handelt es sich um einen md. Text aus der Mitte des 14. Jh.s, verwandt mit WALTHERS 31. Zweig (s. 3); VOLLMER stellt 'nahe Berührung' zum dt. Plenar in München, cgm 50 fest.

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'Apokalypse' (nd.)

L i t e r a t u r . WALTHER, Sp. 554-556; VOLLMER, Materialien I l, 1912, S. 41-45; l 2, 1916, S. 107-119 (Beschreibungen von A und M), BdK 5 (1935) 72.

3. W a l t h e r s 31. Zweig Ü b e r l i e f e r u n g . Harburg, Fürstl. Öttingen - Wallersteinische Bibl. (olitn Maihingen), cod. III D l 4° 15, -65 , Mitte 15. Jh., schwäb.; Stuttgart, LB, cod. Bib. 2"35, 116ra-124va, Ende 14.Jh., schwäb.; dazu gehört wohl auch Lindau, StB, cod. P. I 30 (olim 25), lrä-96vb, aus Ulm v. J. 1416.

Das Original wird um 1350 angesetzt (WALTHER, Sp. 550). L i t e r a t u r . WALTHER, Sp. 549-552; HATTO (s.2.), S. 176f. (Beziehungen zu WALTHERS 33. Zweig).

4. W a l t h e r s 32.Zweig Einzig in Harburg (olim Maihingen), cod. III D 14°41, f. 158-193 überliefert. Die Einleitung preist Johans tauffer als Autor! L i t e r a t u r . WALTHER, Sp. 553f., 551 (Textprobe).

5. W a l t h e r s 34.Zweig Eine paraphrasierende Übertragung in Wien, cod. 2975, 123r-149r, v.J. 1465, bair.-österr. L i t e r a t u r . WALTHER, Sp. 556.

6. Trotz Berührungen mit Zweig 33 (s. 2.) spricht VOLLMER (BdK 10 [1940] 18) den 'A.'-Text in Wien, Schottenkloster, cod. 306, 252r-373r, 15. Jh., als selbständige Übersetzung an. 7. Zwei .'-Texte, München, cgm 111 (Cim. 169), um 1500 (A), und cgm 292, um 1423 (B), hat EICHLER synoptisch ediert und auf eine gemeinsame Vorlage zurückgeführt. In der Tat sind die Texte nicht unabhängig voneinander, aber anders, als EICHLER es sich gedacht hat. Der Prachteinband von A, der .'-Holzschnitte Albrecht Dürers (Nürnberg 1498) auf Messingplatten nachgestaltet, weist den Weg: A bietet den selben Text wie der Dürer-Druck, denjenigen der Koburger Bibel, Nürnberg 1483. Der B-Text muß auf Grund seiner Übereinstimmungen mit der -»'Mentel-BibeP von 1465/66 zu deren Vorstufen gehören, was bereits WALTHER, Sp.703 festgestellt hat. Selbständige '.-Texte liegen so in beiden Hss. nicht vor. L i t e r a t u r . WALTHER, Sp. 703 f.; E. EICHLER, Die mhd. A. in d. Münchener Hss. Cgm. 292 u. Cgm. 111, Diss. Greifswald 1910.

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8. Nicht eingeordnet ist das 'A.'-Frgm., das R. PRIEBSCH (Dt. Hss. in England II, 1901, S. 295 f.) aus Nr. 319a des Department of Printed Books in London abgedruckt hat. Auch über den dt. Text der Bilderapokalypse (Faksimile-Ausgabe von P. KRISTELLER, Die .' Älteste Blockbuchausg., 1916, mit lat. Text; dazu TH. MUSPER, Die Urausg. d. .', Die graphischen Künste, NF 2 [1937] 128-136) stehen Untersuchungen aus. STAMMLERS diesbezügliche Angaben (Sp.895f.) sind offensichtlich z.T. falsch (London, Brit. Mus., Add. 15243 - so richtig statt 16243 - gehört nicht hierher, sondern zu WALTHERS 33. Zweig; s. o. 2.) oder mißverständlich. Ein Blockbuch mit dt. Text liegt u.a. Heidelberg, cpg 34, 42V-112V vor. K. RUH 'Apokalypse' (na'.) 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Frgm.e d. 13.-14.Jh.s: Berlin, mgo 345 (B); mgf 737 (Bf); Breslau, ÜB, cod. IV F 88° (Br); ehem. Münster, ÜB, o. Sign. (Kriegsverlust) (M); Trier, StB, Mappe IV, Nr. 1-2 (Tf). - Hss. d. 15. Jh.s: Trier, StB, cod. 1935/1432 (T); London, Brit. Mus., Add. 18310 ( ) ; Hannover, LB, cod. 84a (H); ehem. Lübeck, StB, cod. theol. germ. 60 (Kriegsverlust); Wien, cod. 3002 (W); Lüneburg, StB, cod. theol. 83 in 2° (1); Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 389 (w1) und 1211 (w 2 ); Frankfurt a. M., StB u. ÜB, ms. germ. oct. 40 (f). (Siglen nach PSILANDER und KORLEN.) 2. A u s g a b e n . H. HOFFMANN v. FALLERSLEBEN, Altdt. Bll. I (1836) 283-286 (= Br); H. F. MASSMANN, Hagens Germ. 10 (1853) 125-184 (= B, Bf, Br); H. PSILANDER, Die nd. A. (Uppsala Univ. Arsskrift 2), 1901 (Gesamtausg. auf d. Grundlage von B bzw., wo diese fehlt, von Bf, Br, Tf und T); H. PSILANDER, Hd. u. nd. Frgm.e: A., Antichrist, Leben d. Apostel (Uppsala Univ. Arsskrift 6), 1905 (diplom. Abdr. von B, Bf, Br u. Tf; dort Fehlendes hauptsächlich nach T, aber in normalisierter spätmnd. Orthographie); K. CHRIST, ZfdA 52 (1910) 269-276 (= M); BECKERS [s. Lit.] (= f).

3. Die nd. .', eine rd. 2600 Verse umfassende Reimübers. der Geheimen Offenbarung des Johannes, zählt zu den ältesten und langlebigsten Denkmälern der mnd. Literatur. Die Hss. des wahrscheinlich noch während des 12. Jh.s in Westfalen entstandenen Werkes bezeugen eine gut 300 Jahre anhaltende Beliebtheit im gesamten nd. Raum mit Ausläufern bis nach Thüringen und ins Moselgebiet. Die ursprünglich assonierende Dichtung hat dabei im 15. Jh.

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Apollonius von Mainz - 'Der apostele tat'

zweimal den gewandelten Formansprüchen Rechnung tragende Bearbeitungen gefunden (Hss. W und 1/w1/w2/!). 4. Inhaltlich ist die nd. .' eine recht getreue Wiedergabe des Johanneischen Textes. Ob der Verf. außerdem auch den einen oder anderen Apokalypse-Kommentar, etwa den des ->· Rupert von Deutz oder des -> Richard von St. Victor, benutzt hat, bedürfte noch näherer Untersuchung. Die poetisch recht anspruchslose Dichtung erweist sich stilistisch stark von der frühen rheinischen Geistlichendichtung, besonders von der —> 'Mittelfränkischen ReimbibeP, beeinflußt. 5. In der dem Archetyp der .' am nächsten stehenden, ältesten Hs. B sowie teilweise auch in Tf und T ist der .' noch eine Reihe kleinerer Dichtungen (ein 'Apostelleben' und eine sechsteilige Gedichtkette von den letzten Dingen) voran- bzw. nachgestellt, die man aufgrund unverkennbarer sprachlicher und stilistischer Gemeinsamkeiten seit MASSMANNS editio princeps allgemein ebenfalls als Werke des .'-Dichters ansieht. Während das 'Apostelleben' nur frgm. und ausschließlich in B überliefert ist (noch 398 von ehemals rd. 720 vv.), ist die vollständig erhaltene, insgesamt 480 vv. umfassende Gedichtkette von den letzten Dingen, bestehend aus dem 'Antichrist' (235 vv.) und den enger zusammengehörigen Teilen 'Von der Schöpfung, dem Tod und der Zukunft des Menschen' (46vv.), 'Von der Auferstehung' (66vv.), 'Vom Himmlischen Jerusalem' (56 vv.), 'Vom Baum des Lebens' (16 vv.) und 'Vom Jüngsten Gericht' (59 vv.), sowohl in B als auch in Tf und T enthalten, und zwar in B der .' voran-, in Tf und T ihr hintangestellt. Untersuchungen über Quellen und nächste Verwandte sowohl des 'Apostellebens' als auch der Gedichtkette von den letzten Dingen fehlen so gut wie ganz (einige Andeutungen bei VOLLMER) ; immerhin erscheint der Gedanke ROOTHS (1955, S.58f. Anm.), wonach der .'-Dichter unter dem Einfluß der ihm als Vorbild dienenden rheinischen Geistlichendichtung des 12. Jh.s den Ehrgeiz hatte, für den westfälischen Raum eine Art Gegenstück zur 'Mittelfränkischen ReimbibeP zu schaffen, recht ansprechend.

Darüber hinaus kann vorerst nur allgemein an die weite Verbreitung des Themenkomplexes Antichrist - Jüngstes Gericht Himmlisches Jerusalem usw. in der frühmhd. Dichtung erinnert werden. L i t e r a t u r . F. J. , Ged. über d. Offenbarung Johannis, AnzfKdVz 7 (1838) 498-500; C. BORCHLING, Rez.d. Ausg. PSILANDER 1901, AfdA 29 (1904) 303-308; H. VOLLMER, Neue Beitr. z. Gesch. d. dt. Bibel im MA (BdK VIII), 1938, S. 103-115; E. ROOTH, D. Anteil d. Schweden an d. Erforschung d. Niederdeutschen, Ndjb 67/68 (1943) 1-20, dort S. 10-13; G. KORLEN, Mnd. Texte d. 13. Jh.s (Lunder German. Forschungen 19), 1945, S. 58-62; G. CORDES, Alt- u. mnd. Lit., DPhiA II ('1954), Sp. 385; K. BISCHOFF, Elbostfäl. Stud., 1954, S. 36ff.; ROOTH, Stud. z. nd. A., Zs. f. Mundartforschung 23 (1955) 45-59; H. BECKERS, Neues z. Überl. d. mnd. Reim- ., ZfdA 105 (1976) 263-273.

HARTMUT BECKERS

Apolda ->· Dietrich von A. —»Thomas von A. Apollonius von Mainz Verf. eines dt. 'Regimen contra pestilenciam' in München, cgm 720 (E. 15. Jh.) und Wien, cod. lat. 2976, hg. v. K. SUDHOFF, Sudhoffs Arch. 8 (1915) 253f.; s. ebd. 16 185·

PETER ASSION

'Apostelbuch' -»'Münchner Apostelbuch' 'Apostelleben' (nd.) -> 'Apokalypse' (nd.) 'Der apostele tat' Ostmd. Übersetzung geschichte, Mitte 14. Jh.

der

Apostel-

Ü b e r l i e f e r u n g . Die einzige erhaltene Hs. ist im cod. A 191 des Staatsarch. Königsberg der Prophetenübers. des Claus -> Cranc und der Versparaphrase des -> 'Hiob' beigebunden. A u s g a b e . W. ZIESEMER, Eine ostdt. Apostelgesch. d. 14.Jh.s(ATB24), 1927.

Das Werk gehört in das Vorhaben des Deutschen Ordens, den lateinunkundigen Ordensherren die biblischen Schriften in dt. Übers, vortragen zu lassen. Den zahlreichen Versfassungen, vornehmlich aus dem AT, folgten solche in Prosa: Cranes Propheten, Übers, des Lc, der Evangelien in der 'Catena aurea' des -* Thomas von

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'Apotheke der Schwestern' - 'Appenzeller Reimchronik'

Aquin, 'Der apostele tat' sowie eine Apokalypse (—»-'A.' [mhd. Prosa], 1.) im Anschluß an die des —> Heinrich von Hesler. Der namenlose Übersetzer ( n i c h t Claus Cranc) war jedenfalls Ostpreuße. Er dürfte in den Schreibstuben des Ordens zu suchen sein, wo Vorlagen und Vorbilder zur Verfügung standen. Das Werk hat seinen Wert als Beispiel einer guten, stilistisch selbständigen ostmd. Prosa, besonders im Zusammenhang mit der lutherischen Bibelübersetzung, deren sprachliche und stilistische Vorstufe die Ordensübersetzungen sind. L i t e r a t u r . T.E. KARSTEN (Hg.), D. md. poetische Paraphrase d. Buches Hiob (DTM 21), 1910, S. V-XX (Beschreibung der Hs.); C. SCHRÖDER, Kann d. Franziskaner Nicolaus Cranc als d. Übers, d. md. Apostelgesch. angesehen werden?, Franzisk. Stud. 5 (1918) 265-281; F. KARG, Adversative Adverbien u. Konjunktionen in d. Königsberger Apostelgesch., in: F. K., Syntaktische Stud., 1929, S. 114-183; W. STAMMLER, Apostelgesch. 27 in nautischer Beleuchtung u. d. ostdt. Bibelübers. d. MAs, 1931; E. VALLI, Z. Verfasserfrage d. Königsberger Apostelgesch. (AASF 61), 1947; K. HELM/W. ZIESEMER, D. Lit. d. Dt. Ritterordens, 1951, S. 122-128. - Zu den Prosaübers.: W. ZIESEMER, Stud, z. mal. Bibelübers., Schriften d. Königs berger Gelehrten Ges. 5 (1928) 367-384 (Lc aus Riga S.382f., auch STAMMLER, S. 14f.; 'Catena aurea': E. STEFFENHAGEN, ZfdA 13 [1867] 571 f. zur Hs.).

LUDWIG DENECKE 'Apotheke der Schwestern' Ü b e r l i e f e r u n g . Darmstadt, LB, cod. 1383, 26rv bis 77™ (rip.); Eichstätt, St.Walburg, cod. germ. 11, 153'-268r (obd.); Göttingen, ÜB, cod. theol. 201, 201r-249v (mfrk.); Gent, ÜB, cod. 1301 (mndl.). A u s g a b e . C.C. DE BRUIN, Middelnederlands Geestelijk Proza, Zutphen 1940, S. 222-224 [Teildruck nach Gent 1301].

'A.d.S.' (der susteren apteeke) betitelt sich ein Dialog zwischen einem geistlichen Vater und einer Ordensschwester. Sie fragt ihn um Rat wegen ihrer irdischen Sorgen, Anfechtungen, Hindernisse. Er tröstet und spendet geistliche Arznei in den herkömmlichen Ermahnungen, z.T. recht hausbakken und trivial, ohne mystische Versenkung oder ekstatischen Schwung. Welche Beziehung der . lat. 'Dialogus qui dicitur apotheca spiritualis sive sororum' in der Hs. Münster, ÜB, Ms. 595, 91vff. zum dt. Text hat, bleibt zu untersuchen.

L i t e r a t u r . C. G. N. DE Voovs,MiddeInederlandse Legenden en Exempelen, Groningen-Den Haag 1926, S. 51; STAMMLER, Prosa, Sp. 1025 f.

WOLFGANG STAMMLER (f)/KuRTlLLiNG Appenwiler —> Erhard von A. 'Appenzeller Reimchronik' Die 4142 Verse müssen während des Appenzeller Krieges wohl vor 1405 geschrieben worden sein, da das entscheidende Ereignis, die Schlacht am Stoss, nicht mehr behandelt wird. Der Verf. der Reimchronik ist unbekannt. Allgemein und neuerdings auch aus sprachlichen Gründen (DoERiG, S. 53) wird er in St. Gallen lokalisiert und im Kreis der der Abtei nahestehenden, den Appenzellern feindlich gesinnten Bürger vermutet. Ü b e r l i e f e r u n g . St.Gallen, Stiftsarch., A87, 69' bis 137r, Abschr. 2.H. d. 15.JH.S (gleiche Hd. wie ebd. LA 92, 1473-1487; DOERIG, S.5). A u s g a b e . T. SCHIESS, Reimchron. d. Appenzellerkrieges (1400-1404), Mitt. z. vaterländischen Gesch. 35 (St. Gallen 1919) 1-125 (zit.).

Die Reimchronik befaßt sich mit den recht getreu wiedergegebenen Ereignissen des Appenzeller Befreiungskampfes aus der Herrschaft der St. Galler Äbte in der Zeit von 1400-1404 und stellt eine vorzügliche Quelle für die von Bauernhaß geprägte Stimmung in der st. gallischen Partei dar. Formal ist das Werk unbedeutend: Die Sprache ist wenig gepflegt und grob, gleiche Wendungen und Ausdrücke wiederholen sich laufend; der Versbau ist nachlässig, der Reim oft mühsam. B. BOESCH stellt 'sachliche und sprachliche Ähnlichkeiten' mit Heinrich -> Wittenwilers 'Ring' fest (Fs. W.Henzen, 1965, S. 73). L i t e r a t u r . J. BAECHTOLD, Gesch. d. dt. Lit. in d. Schweiz, Frauenfeld 1892, S.200f.; S. SINGER, Schweizerdeutsch (D. Schweiz im dt. Geistesleben 58), 1928, S. 76-78; ders., D. mal. Lit. d. dt. Schweiz (ebd. 67), 1930, S. 115-117; FELLER/BoN|OUR, Geschichtsschreibung, S. 114f.; DOERIG, D. Reimchron. d. Appenzellerkrieges. Versuch einer Lokalisierung d. Autors derselben, Memoire licence lettres, Fribourg 1968 (masch.); Handbuch d. Schweizer Gesch. I, Zürich 1972, S. 271-280 (zur Sache, m. Lit.).

GUY P. MARCHAL

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Appet, Jakob -Arbeo von Freising

Appet (Abt), Jakob b

1. Ü b e r l i e f e r u n g . Bremen, SB u. ÜB, Ms. b42 , Pap., l.H. 15.Jh. (B); München, cgm 713, Pap., 1460 (M); Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Nr.5339", Pap., 1464-1479 (N);Straßburg, Johanniterbibl., A 94, Perg., 14.Jh., 1870 verbrannt (S). Eine verschollene Hs. s. ZfdA 3 (1843) 191 u. K. BURGER, Buchhändleranzeigen d. 15. Jh.s, Leipzig 1907, Nr. l (Einzelhs.) (Siglen nach GILBERT). 2. A u s g a b e n . C.H. MYLLER, Sammlung dt. Ged. aus d. 12., 13. u. 14.Jh. I, Berlin 1784, S. 213-215 (nach S, einziger Ersatz für die Hs.); N. MEYER/L.F. MOOYER, Altdt. Dichtungen, Quedlinburg-Leipzig 1833, S. 38-43 (nach B); GA I, Nr. 41, S. 297-308 (nach S mit Laa.v.B); NGA I, Nr.24, S. 158-169; R.W. GILBERT, Jacob Appet. D. Ritter underm Zuber, Philadelphia 1943, Diss. Univ. of Pennsylvania, S. 60-88.

3. J.A. ist als Verf. des Schwankes vom 'Ritter unter dem Zuber' ('R.u.Z.') gesichert durch die zuverlässigste Hs. (S), während M den Jakob (ohne Nachnamen) geradezu von dem Dichter trennt und N als Verf. Gregorius Awer namhaft macht, was Willkür des Schreibers sein dürfte, da er für den sonst anonymen Schwank vom —> 'Pfaffen mit der Schnur C' Hans Awer als Verf. oder Schreiber nennt. Gewiß zielt auch der Dichter des ->· 'Reinfried von Braunschweig' (v. 15222) auf unseren Dichter und den 'R.u.Z.' hin, wenn er J.A. als vertraut mit den Listen der Frauen erwähnt, so verschieden dessen Ethos von dem der eifernden 'Reinfried'-Partie ist. 4. Der 'R. u. Z.' erzählt mit dem wohligen Behagen der mhd. Spätzeit volkstümlich und z.T. recht derb, aber nicht ungeschickt die Geschichte von der Frau, die von ihrem Mann mit ihrem Liebhaber belauscht wird, diesen aber noch rechtzeitig vor dem Eintritt des Mannes und seiner Zeugen unter einem Zuber zu verbergen und unter der Vorgabe, sie habe nur im Traume geredet, die Entdeckung dadurch zu verhindern weiß, daß sie selbst scheinbar aus Spott zur Nachforschung auffordert; von einer verständnisvollen Nachbarin wird sie durch einen Feuerlärm schließlich aus ihrer heiklen Lage befreit. 5. Quelle ist wohl das Fablel 'Le cuvier', doch hat J.A. den pikanten Reiz der Erzählung beträchtlich zu steigern verstanden. Wie der 'Reinfried' steht J.A. unter dem (hier freilich mehr äußerlichen) Ein-

fluß von —>· Konrad von Würzburg. Der Schlußteil hat wohl dem Dichter der —> 'Treuen Magd' zum Vorbild gedient. 6. Der Versuch der bisherigen Forschung, das Denkmal durch sprachgeographische Analyse auf einen engen Raum (Nordostschweiz) zu lokalisieren, ist Überforderung der Methode. Ein Textmißverständnis liegt vor in der geographischen Ausdeutung von v. 142f. (GILBERT, S. 20): eins spils si do begunden, l als man jensit Rines tuot. jensit Rines ist klärlich gespielte rhetorische Hypokrisie für 'überall'. Sicherer erfolgt die Lokalisierung über den Familiennamen. 'Abt' weist auf Zürich und das westlich davon liegende Freiamt (GILBERT, S. 25). Die Chronologie ergibt sich aus der Nennung J.A.s durch den Dichter des 'Reinfried von Braunschweig': letztes Viertel des 13.Jh.s. L i t e r a t u r . Bibliographie: FISCHER, Stud., S. 298 Nr. 5; S. SINGER, D. mal. Lit. d. dt. Schweiz, 1930, S.84f.; H. NIEWÖHNER, ZfdPh 65 (1940) 191 (Appet nicht der Dichter); GILBERT, S. 1-59; K.-H. SCHIRMER, Stil- u. Motivuntersuchungen z. mhd. Novelle, 1969, S. 46f., 75, 97, 242; FISCHER, Stud., S. 185f. u. 191; F. FROSCH-FREIBURG, Schwankmären und Fabliaux (GAG 49), 1971, S. 161-169.

HANS-FRIEDRICH ROSENFELD Arbeo von Frei sing A.Leben A. ist der erste einem deutschen Stamme angehörende Schriftsteller. Hauptquellen für sein Leben und seine Persönlichkeit sind die Selbstzeugnisse in seinen beiden Heiligenviten und die Freisinger Urkunden, in denen er als Notar, Zeuge, Aussteller und Empfänger auftritt. A. (Arbio, Arepo, Arpio) hat seinen germ. Namen ('Erbe') gelegentlich selbst latinisiert in Heres (BITTERAUF, Nr. 9b, u. 'Vita Corbiniani', praef.) und - nach dem 'Liber quaestionum hebraicarum' 64,9 des Hieronymus - hebraisiert in Cyrinus ('Vita Haimhrammi' c. 47).

In dem puer parvulus, dem bei einem gefährlichen Sturz vom Steilufer der Passer der in Mais b. Meran beigesetzte hl. Korbinian das Leben rettete und der es dann zum Bischof von Freising gebracht hat ('V. Corb.' c. 40), gibt sich A. ohne Zweifel selbst zu er-

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kennen. Daher gilt das bayer.-langobardische Grenzgebiet von Meran als seine Heimat. Er gehörte der bayer. Adelsfamilie der Huosi an. Unter Bischof Erembert von Freising (739-747/48), den A. seinen nutritor nennt ('V.Corb.' c.30), wurde er wohl in die Freisinger Geistlichkeit aufgenommen. Entscheidende Jahre seiner Ausbildung verbrachte er jedoch im langobardischen Italien (Hofschule von Pavia, Verona, Bobbio?). Ab 754 (BITTERAUF, Nr. 7) ist er als archipresbyter von Freising und Notar der bischöflichen Kanzlei in den von ihm selbst geschriebenen Urkunden nachzuweisen, bis er 763 als Mitglied der Gründerfamilie Abt des huosischen Familienklosters Scharnitz (Klais b. Mittenwald) wurde (BITTERAUF, Nr. 19). Doch schon wenig später trat er die Nachfolge des am 17. Jan. 764 oder 765 verstorbenen Bischofs Josef an, erscheint urkundlich als Bischof erstmals am 17. Mai 765 (BITTERAUF, Nr. 23). Daß noch zu Lebzeiten A.s, der zuletzt am 15. Dez. 782 nachzuweisen ist und am 4. Mai 783 starb, Abt Atto von Schlehdorf das Bistum verwaltete, wird so kurz vor A.s Tod natürliche Gründe (Alter, Krankheit) gehabt haben. Man hat jedoch auch vermutet, Herzog Tassilo von Bayern habe ihn wegen seiner Parteinahme für Karl d. Gr. (BiTTF.RAUF, Nr. 193 b) abgesetzt. In der ausführlichen Darstellung der Konflikte Haimhramms und Korbinians mit den Agilolfingern scheint sich zudem die oppositionelle Haltung des Huosi-Clans auch auf hagiographischem Gebiet zu äußern. Trotzdem ist eine Absetzung A.s wenig wahrscheinlich, da sein Nachfolger Atto ebenfalls zu den Huosi zählt. Sozialgeschichtliche Fragestellungen haben A.s Zugehörigkeit zu dieser Familie - einer der fünf genealogiae der Lex Baiuvariorum - und ihre Auswirkungen besonders hervorgehoben. Seine Herkunft war mitentscheidend für seine Karriere als Abt und Bischof. Sie bestimmte auch das Bild seiner beiden Heiligen: A. wies ihnen Lebensstil, Auftreten und Charakterzüge deutlich aristokratischen Gepräges zu und zeichnete so ein neues Heiligenideal für die Oberschicht, den Typus des 'Adelsheiligen' (BosL). Nur in Umrissen wird A.s bischöfliches Wirken deutlich. Er nahm an den bayer. Synoden von Dingolfing ca. 770 und wohl auch Neuching ca. 772 teil (MGH Conc. H/1 Nr. 15-16). Bald nach seiner Bischofsweihe ließ er die Reliquien des hl. Korbinian aus Mais nach Freising übertragen; eine Schenkung vom 5. Nov. 765 (BITTERAUF, Nr. 24a), die den Heiligen neben Maria als Miteigentümer des Besitzes der Domkirche und damit

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als deren Mitpatron ausweist, setzt ihre Anwesenheit bereits voraus. A. war bemüht, die bischöfliche Gewalt gegenüber dem Eigenkirchenwesen der Klöster durchzusetzen und die bischöflichen Eigenklöster auszubauen. Wie sehr es ihm gelungen ist, Besitz und Rechte seines Bistums zu mehren, lassen die fast 100 aus seiner Bischofszeit erhaltenen Schenkungsurkunden ahnen.

Die Freisinger Schreibschule ist während A.s Amtszeit erstmals als fest bestehende Schule mit einheitlich ausgebildeten Schreibern zu fassen, die eine schlichte frühkarolingische Minuskel verwenden. Die vereinzelt auftretende insulare Schrift blieb ohne direkte Einwirkung auf die Freisinger Schriftentwicklung. Zur Freisinger Dombibliothek, um deren systematischen Ausbau sich zuerst A. bemühte, gehörten damals bereits zahlreiche Schriften der Kirchenväter, vor allem Hieronymus und Gregor, dazu Isidor, Orosius, Heiligenviten, die Kosmographie des Aethicus, doch keine weltlichen antiken Texte. Viele Anregungen - so die zur Abfassung der 'Vita Corbiniani' - verdankte A. offenbar dem Iren Virgil von Salzburg. Als Zeugnis besonderer Art für diese Verbindung darf vielleicht die an Rätseln reiche Kosmographie des Aethicus Ister gelten. Hinter dem Pseudonym Aethicus verbirgt sich nach LÖWES (1951) Untersuchung der seine Leser mit Genuß irreführende Virgil, der sich in dem angeblichen Übersetzer des Werks, dem Kirchenvater Hieronymus (irisch dritte geschrieben), in Wirklichkeit den ahnungslosen A. als Gegenüber wählte - der nannte sich ja hebraisierend Cyrinus. Zur Kontroverse um den Aethicus Ister vgl. BRUNHÖLZL, LG I 63f. u. 517f., der mit einem Ende des 7. Jh.s in Istrien schreibenden und vielleicht aus der Scythia (Rumänien) stammenden Autor rechnen möchte.

Seit den grundlegenden Untersuchungen BAESECKES gilt die Annahme, daß A. um 770 die ahd. Übersetzung des -» 'Abrogans' veranlaßt habe. Bildungsgang, literarisches Interesse, Glossenbenutzung in den Viten, manieristische Neigungen, Romanismen u.a. lassen, trotz mancher offener Fragen, seine Urheberschaft als durchaus plausibel erscheinen. B.Werk I. H e i l i g e n v i t e n 1. Ü b e r l i e f e r u n g , a) 'Vita Corbiniani'. Die authentische Fassung A ist nur in zwei, aber guten Hss. der l. H. d. 9. Jh.s aus Regensburg (London, Brit. Mus., add. 11880) und aus Reichenau (Karlsruhe, LB, cod. Aug. XXXII) überliefert; die erste bricht Anfang c. 47 ab, die zweite umfaßt nur c. 4-37. Die fehlenden

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Schlußkapitel 47 und 48 sind aus der Fassung B zu ergänzen. B, von stilistisch glättender Tendenz, entstand im 1. Drittel d. 10. Jh.s in Freising im Zusammenhang der Wahrung dortiger Besitzansprüche; in einem Einschub nach c. 10 enthält sie das Wunder mit dem Bären, der seit d. 15. Jh. Attribut Korbinians ist. Die 31 erhaltenen Hss. bezeugen die große Verbreitung dieser Fassung, b) 'Vita Haimhrammi'. 9 Hss. d. älteren Fassung A, von denen die dem frühen 9. Jh. angehörende Hs. aus St. Amand (Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 2990 A) A.s Stil am besten bewahrt, während die übrigen Hss. dieser Fassung A.s Latein mit wiederum glättender Tendenz begegnen. 12 Hss. der stilistisch stärker umarbeitenden Fassung B, die im 9.Jh. in Regensburg entstand; von dort auch die älteste, noch der Zeit Ludwigs d. Deutschen angehörende Hs. (St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 556). A u s g a b e n . 'Vita Corbiniani': B. KRUSCH, MGH SS rer. Merov. VI 497-593 u. 594-635 (Fassung B nur hier ediert). 'Vita Haimhrammi': B. KRUSCH, MGH SS rer. Merov. IV 452-524; B. BISCHOFF, Arbeo, Vita et passio s. Haimhrammi martyris, 1953 (mit besseren Lesarten, dt. Übers, u. Nachwort). Beide Vitae: B. KRUSCH, MGH SS rer. Germ., 1920 (mit grundlegenden Einteilungen, zit.).

2. I n h a l t , a) 'Vita Corbiniani'. Wahrscheinlich gallischer Herkunft aus der Gegend von Melun, kam Korbinian, der mit Pippin II. in Verbindung stand und auf seiner zweiten Romreise die Bischofsweihe erhielt, um 716 zur Zeit eines Herzogs Theodo nach Bayern und wirkte als Klosterbischof für den Landesteil des in Freising residierenden Herzogs Grimoald, war also nicht Freisinger Diözesanbischof. Wegen eines Konflikts mit der Herzogin Pilitrud floh er nach Mais/Meran, wurde von Grimoalds Nachfolger Hucbert zurückgerufen und starb bald nach 725. Seinem Wunsch gemäß wurde er in Mais beigesetzt. b) 'Vita Haimhrammi'. Der aus Poitiers stammende fränkische Bischof Haimhramm (haimhraban 'Hausrabe', Emmeram) kam auf dem Weg zur Missionierung der Avaren nach Regensburg, gab aber auf Bitten des dortigen Herzogs Theodo seinen Plan auf und blieb als Klosterbischof in Bayern. Als die Tochter des Herzogs vom Sohn eines Richters schwanger wurde, nahm Haimhramm die Schuld auf sich, um die beiden vor der Strafe des Herzogs zu schützen, wurde aber dann ohne vorherige Untersuchung vom Bruder des Mädchens und dessen Hel-

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fern unter größten Martern entmannt und starb. Später wurden seine Gebeine in die Georgskirche zu Regensburg überführt, die bald den Namen des neuen Patrons annahm: St. Emmeram. Unbestritten ist an dem überaus farbigen Martyrium eigentlich nur der gewaltsame Tod des Heiligen. Unsicher ist, ob die Ermordung Haimhramms zur Einfügung einer besonderen Lex Haimhramm zum Schutz der Bischöfe in das bayerische Stammesrecht (Lex Baiuv. I 10) geführt hat oder ob ein konkretes historisches Ereignis für diesen Passus nicht vorlag. Strittig ist, ob für die Vorgeschichte die Lex Baiuvariorum, die eine Anklage gegen den Bischof bei Unzucht vorsieht, oder spätantike Legendenliteratur A. zur hagiographischen Ausschmückung der Vita angeregt hat. Der bisher meist vertretenen Meinung, es handle sich bei der Vorgeschichte um hagiographisch bedingte literarische Fiktion, wurde sogar die These entgegengestellt, es liege ein echtes Vergehen vor. Schließlich ist auch immer noch umstritten, ob der in beiden Viten erwähnte Herzog Theodo derselbe ist oder nicht. Der Mangel an historisch verwertbaren Angaben in der 'Vita Haimhrammi' macht eine zuverlässige chronologische Einordnung Haimhramms fast unmöglich. Meistgenannte Daten sind 660/70, dann 685/90, um 700 und um 715. S . E n t s t e h u n g und Q u e l l e n Die Abfassung der 'Vita Corb.' steht ursächlich und zeitlich in engstem Zusammenhang mit der 764/65 erfolgten Übertragung Korbinians nach Freising, dessen Domkirche damit endlich ein Ansehen und Schenkungen garantierendes Heiligengrab erhielt. Vorbild hierfür war wohl die Erhebung der Haimhramm-Reliquien und deren Beisetzung in einem Hochgrab durch Bischof Gawibald von Regensburg (739 bis 750/60); zur weiteren Förderung dieses Heiligenkults hat A., sicher in Regensburger Auftrag und gleichfalls um 770, die bisher fehlende 'Vita Haimhr.' nachgeliefert. Sehr unterschiedlich war die Quellenlage, die für A. bei der Abfassung seiner Viten

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und machte so aus der nüchternen Urkunde einen Text mit literarischen Ansprüchen. Er fühlte sich als Literat, nicht als Bürokrat. Noch als Bischof prägte er die Arbeit seiner Kanzlei: Die Urkunden wurden ex ore Heredis episcopi geschrieben; er gab den Schreibern also Weisungen für die Form und Stichworte für den Inhalt. Ausgabe. BITTERAUF, Nr. 7-108. III. Stil. In A.s Viten und Urkunden stehen sich zwei gegensätzliche stilistische Elemente gegenüber: einerseits eine grammatikalische Unbekümmertheit, die sich ihrer formalen Mängel anscheinend auch 4. Im 11. Jh. wurde die 'Vita Haimhrammi' auf Annicht bewußt ist, anderseits eine sprachliche regung -» Arnolds von St. Emmeram durch den Magdeund stilistische Künstelei, die mit allen Efburger Domscholaster -»Meginfried neubearbeitet; fekten rhetorischer Figuren, mit den Klangeine rhythmische Fassung besorgte der Emmeramer mitteln des Cursus und des Reims, mit aufMönch —»Hartwich. Zu einer dt. Übersetzung des wendiger Wortpracht und abstrusen Manie'Vita Corb.' -> 'Korbinian'. Für den Versuch, die 'Vita SS. Marini et rismen bis hin zur Laut- und WortverdreAnniani' bzw. eine ihr zugrundeliegende hung (nach Art der scinderatio fonorum kurze Notiz A. zuzuschreiben, konnten des Grammatikers Vergilius Maro) arbeiüberzeugende Argumente nicht beigebracht tet. Diese Divergenz wird aus A.s Bildungsgang erklärlich. Er war vertraut mit dem werden. romanisierten Vulgärlatein der AlpenroII. U r k u n d e n manen seiner Heimat wie mit dem der In den 7 bis zum Ende von A.s Pontifikat oberitalienischen Umgangssprache und verwendeten Freisinger Urkundenformu- hatte als Kleriker und Notar ständig mit laren lassen sich neben den Merkmalen der dem weitgehend abgenutzten schriftlichen fränkischen Urkunde auch römische und Gebrauchslatein seiner Zeit zu tun. In Italangobardische Elemente, die teilweise lien aber hatte er offensichtlich auch die schon vor A. nach Freising gedrungen wa- Anleitungen zu jenem gekünstelten und ren, sowie insulare Einflüsse feststellen. überladenen Latein kennengelernt, das die Aus A.s Zeit als Notar sind 8 von ihm selbst spätantike Rhetorenausbildung tradierte. verfaßte Urkunden (BITTERAUF, Nr. 7, 8, Nicht zuletzt gab es für A. auch das Vor9 a, 10, 11, 14a, 15, 19) und 2 Traditions- bild des irischen Stils seines Mentors Virgil notizen (Nr. 9b, 16) erhalten. Zu korrigie- von Salzburg. Eine normative Kritik von ren ist BAESECKES Meinung, A. habe 754 A.s Schreibart ist historisch nicht am Platze. (Nr. 7) ein merowingisches UrkundenforL i t e r a t u r . 1. Allgemeines u. Grundlegendes: S. mular und die Datierung nach Regierungs- HERZBERG-FRÄNKEL, D. Salzburger Verbrüderungsjahren Pippins eingeführt und so ein per- buch, NA 12 (1887) 67 f. u. 102-104; S. ABEL/B. SIMSON, sönliches Bekenntnis für den fränkischen Jbb.d.frk. Reichest, 1888,S.56-60 u.459f.; A. HAUCK, König ablegen wollen, das dann Grundlage Kirchengesch. Deutschlands II, 3~41912, S. 245, 435f., für seine Karriere gewesen sei. Dieser Bruch 445, 453ff.; H. STRZEWITZEK, D. Sippenbeziehungen im Kanzleistil hat jedoch keine politischen, d. Freisinger Bischöfe im MA, Beitr. z. altbayer. Kirsondern allein äthetische Gründe, wie KA- chengesch. 16,NF3 (1938) 156-158; BISCHOFF, SchreibS. 59-64; G. BAESECKE, Bischof A.v.F., PBB NOLDT gezeigt hat. A. bediente sich nämlich schulen, 68 (1945/46) 75-134; H. LÖWE, A. v. F., Rhein. Vjbl. einer in Freising schon gebräuchlichen Vor- 15/16 (1950/51) 87-120; ders., Ein lit. Widersacher d. lage, löste deren strenge Form auf, indem er Bonifatius: Virgil v. Salzburg u. d. Kosmographie d. die trockenen Formeln durch metapho- Aethicus Ister (Abh. d. Akad. Mainz, geistes- u. sozialrische Periphrasen und ausgefallene Wen- wiss. Kl.), 1951, Nr. 11; G. BAESECKE, Vor- u. Frühdungen (auch glossae) ersetzte und ergänzte, gesch. d. dt. Schrifttums II 2, 1953, S. 101-136 u. 201

bestand, und nicht zuletzt hierauf beruhen auch die darstellerischen Unterschiede der beiden Viten. Für die 'Vita Corb.', die einen unbestrittenen geschichtlichen Quellenwert hat, konnte A. wahrscheinlich auf Berichte von Zeitgenossen Korbinians zurückgreifen, auch darauf, was ihm einst Bischof Erembert, der Bruder Korbinians, erzählt hatte. Hingegen konnte er über Haimhramm fast nichts in Erfahrung bringen. Zuverlässige Detailkenntnisse werden in dessen Vita eigentlich nur beim Bericht über die Erhebung der Reliquien durch Gawibald sichtbar.

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'Arbogast' (alem. Legende) - 'Arbogast' (alem. Predigt)

bis 203; J. STURM, Bischof A.s v. F. bayer. Verwandte, Zs.f. bayer.Landesgesch. 19 (1956) 568-572; J. A. FISCHER, Bischof A. als Begründer d. geistigen Freising, Frigisinga 39 (1956) Nr. 10 u. 12; K. GAMBER, D. Sakramentar d. Bischofs A. v. F., Münchener Theol. Zs. 9 (1958) 46-58; G. DIEPOLDER, D. Herkunft d. Aribonen,Zs. f. bayer. Landesgesch. 27 (1964) 74-119; F. PRINZ, A. v. F. u. d. Agilolfinger, Zs. f. bayer. Landesgesch. 29 (1966) 580-590; M. SPINDLER (Hg.), Hdb. d. bayer. Gesch. 1,1968,S.431 f.,passim; W. STÖRMER, Adelsgruppen im früh- u. hochmal. Bayern, 1972; H. LÖWE, Salzburg als Zentrum lit. Schaffens im 8. Jh., Mitt. d. Ges. f. Salzburger Landeskunde 115 (1975) 99-143; F. BRUNHÖLZL, Gesch. d. lat. Lit. d. MAs I, 1976, S. 236-239. 2. Zu den Viten: L. STEINBERGER,Zu A.s Vita Corb., NA 40 (1915) 245-248; J. SCHLECHT (Hg.), Wiss. Fg. z. 1200jähr. Jubiläum d. hl. Korbinian, 1924; L. STEINBERGER, Zu A.s Vita Corb., Beitr. z. bayer. Kirchengesch. 31 (1925) 65-76; S. RIEZLER, Gesch. Bayerns I, 2 1927, S. 181-184, 187-191, 328-330; J. L. D. SKILES, The Latinity of Arbeo's Vita s. Corb. (...), Diss. Chicago 1938; H. CLAUSSEN, Heiligengräber im Frankenreich, Diss. (masch.) Marburg 1950, S. 108-124; WATTENBACH/LEVISON/LÖWE, Geschichtsquellen I 144f.; W. MÜLLER, Flüchtlinge auf karoling. Straßen in Franken u. d. Oberpfalz, Arch. f. Gesch. v. Oberfranken 36 (1954) 44-62 (zur 'Vita Haimhr.'); I. ZIBERMAYR, Noricum, Baiern u. Österr., 31972, bes. S. 98-121, 150 -157, 224-226; E. KLEBEL, Z. Gesch. d. Herzogs Theodo, Verhandl. d. Hist. Ver. f. Oberpfalz u. Regensburg 99 (1958) 165-205; K. BOSL, D. Adelsheilige, in: Speculum Historiale, Fs. J. Spörl, 1965, S. 167-187; F. GRAUS, Volk, Herrscher u. Heiliger im Reich d. Merowinger, 1965, S. 121-124; F. PRINZ, Frühes Mönchtum im Frankenreich, 1965, bes. S. 379-394; F. PRINZ, Heiligenkult u. Adelsherrschaft im Spiegel merov. Hagiographie, HZ 204 (1967) 529-544; S. BENKER, D. (Freisinger) Dom im ersten Jahrtausend, in: Fs. z. 1200jähr. Jubiläum d. Translation d. hl. Korbinian, hg. v. J. A. FISCHER, 1967, S. I^t3; C. v. BRAITENBERG, D. hl. Corbinian u. d. Castrum Maiense, Der Schiern 42 (1968) 91-105; G. MAYR, Z. Todeszeit d. hl. Emmeram u. z. frühen Gesch. d. Klosters Herrenchiemsee, Zs. f. bayer. Landesgesch. 34 (1971) 358-373; W. STÖRMER, Früher Adel II (Monographien z. Gesch. d. MAs 6,2), 1973, S. 476-478; J. A. FISCHER, D. Translation d. hl. Korbinian i. J. 768, Bavaria Christiana, Fs. A. W. Ziegler, Beitr. z. altbayer. Kirchengesch. 27 (1973) 53-75. Zur 'Vita Marini et Anniani': R. BAUERREISS, D. Vita ss. Marini et Anniani u. Bischof A. v. F., Stud. Mitt. OSB 51 (1933) 37-49; M. MAIER, D. Vita ss. Marini et Anniani in ihrer kürzeren Fassung - Unters, u. Text, Beitr. z. altbayer. Kirchengesch. 23 (1963) 87-100. 3. Zu den Urkunden: M. FASTLINGER, D. wirtsch. Bedeutung d. bayer. Klöster i. d. Zeit d. Agilolfinger,

1903; TH. BITTERAUF (Hg.), D. Traditionen d. Hochstifts FreisingI (Quellen u. Frört, z. bayer. u. dt. Gesch., NF 4), 1905; A. KANOLDT, Stud. z. Formular d. ältesten Freisinger Schenkungsurkunden 743-782, Diss. (masch.) Würzburg 1950; H. WOLFRAM, Intitulatio I (MIÖG Erg. bd. 21), 1967, S. 163, 166-170, 177-183; H. FICHTENAU, 'Politische' Datierungen im frühen MA, in: Intitulatio II, hg. v. H. WOLFRAM (MIÖG Erg. bd. 24), 1973, S. 477f. u. 486f.

HARALD WUNDER Arberg ->· Graf Peter von A. 'Arbogast' (alem. Legende) Ü b e r l i e f e r u n g . Aufstellung bei KUNZE, S. 304; FIRSCHING, S. 27f. Hinzu kommt: Rottenburg/N., Priesterseminar, Hs. 11, 170vb-172". A u s g a b e . PFLEGER, S. 304—307 (nach Heidelberg, cpg!44).

Eine im Überlieferungskontext der 'Elsässischen Legenda aurea' (-> Jacobus de Voragine) stehende Prosalegende des Straßburger Bischofs (seit ca. 550) ist eine abbreviierte Übers, der bei GRAESSE, Leg. Aur., S. 881-883, abgedruckten Vita. L i t e r a t u r . L. PFLEGER, Z. altdt. Legendenlit. d. Elsasses, Straßburger Diözesanbl. 29 (1910) 298-313; K. KUNZE, Uberl. u. Bestand d. Elsässischen Legenda Aurea, ZfdA 99 (1970) 265-309, hier S. 295; K. FIRSCHING, D. dt. Bearbeitungen d. Kilianslegende unter bes. Berücksichtigung dt. Legendarhss. d. MAs (Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg 26), 1973.

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Arbogast' (alem. Predigt) Eine in der Hs. 712 II, 313r-316v der Colmarer StB (Mitte 15. Jh., aus dem Kloster Unterlinden) überlieferte A.-Predigt (ed. BARTH, S. 93-96; nicht beiMORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr.), erläutert im einleitenden Teil anhand eines Bibelspruches (Ps 91, 13) die Tugenden des Heiligen; eine knappe Nacherzählung der A.-Vita bildet den zweiten Teil. Auf 324r der Hs. vermerkt die Unterlindener Nonne -»Dorothea von Kippenheim, daß sie disz buch vsz dem latin zu tutzsch geschriben hätte. Ob sich das auf diese Predigt beziehen läßt, ist noch ungeklärt. L i t e r a t u r . M. BARTH, Der hl. A., Arch. f. elsäss. Kirchengesch. 14 (1939/40) 92f.

WERNER WILLIAMS-KRAPP

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Archilaus - Archipoeta

'Arbor amoris' -»'Minnebaum' Archilaus Ein maister Archilaus gilt als Verf. einer Prosaschrift 'Von der kunst alchimi', die der cgm 309 in München im Rahmen einer 'translacio multorum documentorum' (43r bis 102r) in einer Niederschrift aus der 1. H. des 15. Jh.s überliefert. Untersuchungen über Urheber und Text dieser alchemistischen summe fehlen. Vermutlich bietet sich in dem Archilaus-'corpus' eine dt. Übers, von lat. Schriften des SpätMAs ('De arte alchimie' u.a.), die von unbekannten Fachautoren dem aus der Turba Philosophorum' als alchemistische Autorität bekannten Vorsokratiker Arisleus (< griech. Archelaos) zugeschrieben wurden. Auch bei den alchemistischen Texten von Magister Archylaus in München, cgm 3741 (16. Jh.), dürfte es sich um eine Übers, von derartigen mlat. Pseudepigraphen handeln. L i t e r a t u r . K . SCHNEIDER, München II, S. 287-291; THORNDIKE/KIBRE, Inc., passim; - J. RUSKA, Turba Philosophorum. Ein Beitr. z. Gesch. d. Alchemie (Quellen u. Stud. z. Gesch. d. Naturwiss. u. d. Medizin I), 1931; H. BUNTZ, D. europ. Alchimie v. 13. bis z. 18. Jh., in: E. E. PLOSS (u. a.), Alchimia. Ideologie u. Technologie, 1970, S. 125-127 (Textprobe aus cgm 3741).

JOACHIM TELLE Archipoeta 1. Leben. Über den A. weiß man nur, was sich seinen Gedichten entnehmen läßt. Sein Beiname ist als Überschrift in der wichtigsten Hs. (Go) überliefert, sein Geburtsname jedoch unbekannt (zu anderen Trägern des Namens Archipoeta s. KREFELD, S. 19 f.). Die 10 Gedichte, die ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden können, zeigen ihn etwa 1161-1167 in der Umgebung Reinaids von Dassel, des Kanzlers Friedrich Barbarossas; eines der Gedichte ist an den Kaiser selbst gerichtet. Aufgrund dieser Beziehungen mag man ihn, auch wenn sich die Frage seiner Nationalität nicht mit Gewißheit beantworten läßt, der deutschen Kulturwelt zurechnen. Reinald gegenüber nennt sich der A. poeta tuus (IV 3, l, VI 41) und vates tuus (II 87, IV 6,1), so als gehöre er als Dichter dem Kanzler an. Als den

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'Dichter' stellt er sich wie zur Angabe seines Amtes oder Berufs auch sonst vor (poeta: IV 25,2, VI11 u.a.; vates: II56, VI11 u.a.). Die Bezeichnung vates vatum (II 59) kann eine Umschreibung für Archipoeta sein. Der A. zählte in diesen Jahren zur iuventus (X 5, 1), war ein 'junger Mann' wohl eher nach der landläufigen Auffassung des Wortes als nach der gelehrten, welche die iuventus vom 28. bis zum 50. Lebensjahr reichen läßt (anders KREFELD, S.21). Seine Äußerung, daß er alt genug sei, um für sich selbst zu sprechen (I 35, 3f.), muß nicht besagen, daß er 'noch sehr jugendlich aussah' (SCHUMANN, *VL I 109). So kann man sein Geburtsjahr in die Zeit zwischen 1130 und 1140 setzen. Er war von ritterlicher Abkunft (ortus ex militibus IV 18, 2), hatte es aber vorgezogen, sich dem Studium oder geradezu der Dichtkunst zuzuwenden (malui Virgilium sequi IV 18, 4). Einmal nennt er sich scolaris (IV 18,1). Seine Ausbildung ist nach dem Zeugnis seiner Dichtung vorzüglich gewesen. Er kennt die römischen Autoren und die Dichtung von Zeitgenossen (Hugo Primas), verfügt über die Vulgata und zeigt sich auch theologisch gebildet (Ged. I). Sein Vorhaben, Medizin zu studieren, mußte er wegen Erkrankung in Salerno aufgeben (Ged. VI). Die Verbindung zu Reinald führte ihn an verschiedene Stellen des Reiches (Vienne, Köln, Novara, Pavia); eigene Unrast (vgl. X Str. 4 f.) trieb ihn darüber hinaus zu weiteren Wanderungen, von denen er mitunter mittellos zu Reinald zurückkehrte. Falls seine Rolle als Dichter des Kanzlers wirklich eine Art Amt war (man nennt ihn häufig 'Hofdichter'), brachte es ihm an regelmäßigen Zuwendungen vielleicht nicht viel mehr ein als die Kost an der Tafel des Gönners. Sie scheint ihm nicht durchweg zugesagt zu haben (X 13,4). Guten Wein und genügend zu essen brauchte er, um dichten zu können (X Str. 16-19). Er suchte Anregung in entSpannung des Spiels (X Str. 10) und in entsprechender Gesellschaft, die offensichtlich nicht die gute war: quero mei similes et adiungor pravis (X3,4). Mehrmals klagt er über Armut und ungenügende Kleidung. Alle Gedichte außer den beiden letzten enthalten Bitten um Geschenke. Man darf

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schließen, daß über den bloßen Unterhalt hinaus, der seinen Bedürfnissen nicht genügte, seine Einkünfte in gelegentlichen Gaben bestanden. Diese waren allerdings zum Teil erheblich. Ein Geldgeschenk Reinaids erlaubte ihm zum Beispiel, sich und einen armen Priester den Sommer über durchzubringen (IV 30, l f.); es erfüllte ihm den ritterlichen Wunsch, selbst freigebig zu sein (IV Str. 31 f.). Andererseits beklagt er, daß niedere Unterhaltungskünstler besser aufgenommen und reicher beschenkt würden als der Dichter (IV Str. 23-25). In den Selbstäußerungen des A. bleibt ungewiß, wie stark Witz, Ironie, poetisches Herkommen oder einfach Übertreibung mitspielen. Wenn man ihm glauben darf, war seine Gesundheit schlecht (III 18 f., V Str. 21, VI 8-14). Er klagt besonders über Husten und fühlt sich dem Sterben nahe. Vielleicht ist das Verstummen des Dichters nach 1167 mit einem frühen Tod zu erklären. Dieser kann ihn auch, zusammen mit Reinald und einem großen Teil des deutschen Heeres, im August 1167 bei der Seuche vor Rom ereilt haben. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Von den Ged. I-IX sind I in drei, IV, VII, IX in zwei, die übrigen in nur einer Hs. überliefert; X ('Beichte') gehört dagegen zu den am reichsten bezeugten Gedichten d. MAs (41 Textzeugen, z.T. aber nur wenige oder einzelne Strophen). Wichtigste Hs.: Göttingen, ÜB, cod. philol. 170,2. H. 12. Jh. (Ged. I-VIII; Überschr. z. II-VIII Archipoeta, bei l vielleicht beim Binden abgeschnitten). Die Klammer zwischen I-VIII und IX-X, die beide nirgends unter dem Namen des A. überliefert sind, stellt die Brüsseler Hs. Bibl. Royale 2067-73 (12./13. Jh., aus Stablo) her, die Ged. VII (1,1-5,3) aus der Göttinger Reihe und zuvor Ged. IX und X enthält. Den Gedichten geht hier eine ars dictaminis voraus, die Beziehungen zu Reinald zeigt (GRIMM, Ausg., S. 20 u. 34; dazu M. BRINI SAVORELLi, Rivista critica di storia della filosofia 20 [1965] 182-230, bes. S. 190f.). Zur Überl. insgesamt: KREFELD; für Ged. X: BISCHOFF, CB, Bd. I 3, S. 8-20. 3. A u s g a b e n . J. GRIMM, S. 189-211 (-·= Kl. Sehr. III 49-73); M. MANITIUS, D. Ged. d. A. (Münchener Texte 6),21929; K. LANGOSCH, Hymnen u. Vagantenlieder, 1954, S. 219-277; H. WATENPHUL/H. KREFELD, 1958 (zit.); dazu W. BULST, AfdA 72 (1961) 156-159; N. FICKERMANN, PBB (Tüb.) 82 (1962) 173-184; D. SCHALLER, Gnomon 32 (1960) 656-660; K. LANGOSCH, Mlat. Jb. 4 (1967) 294ff. - Nr.X: CB 191. Ü b e r s e t z u n g e n . B. SCHMEIDLER, D. Ged. d. A.,

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1911; K. LANGOSCH, Ausg.; J. EBERLE, D. Ged. d. A., 1966. Nr. X ist häufig übertragen, u. a. v. L. LAISTNER, Carmina Burana, hg. v. E. BROST, 51974 v. W. BULST, S.26-42; weiter s. CB, Bd. I 3, S. 11 f. 4. Chronologie. Äußerste Grenzen sind die Wahl Reinaids zum Erzbischof von Köln 1159 und sein Tod im August 1167. Die Datierung der Ged. ist, mit Ausnahme von II, in vielem unsicher, soweit überhaupt möglich. Daten nach KREFELD, Kommentar: III gilt als vielleicht frühestes Ged.; VII: Allerheiligen 1162 (1163? 1164?), Oberitalien; IV: Frühherbst 1163; IX: Okt. 1163, Novara; X: Spätherbst 1163, Pavia; II: Ende Juni/Anfang Juli 1164, Vienne; V: 2.H. (l.Nov.?) 1164, Köln; I, VI, VIII: unbestimmt ( V I : Italien). Zu den Grundlagen der Chronologie vgl. bes. SCHMEIDLER, 1911, S. 379-390, u. MEYER, 1914, wegen z.T. abweichender Daten u.a. auch BRINKMANN, 1925, S. 105-109, und LANGOSCH, Ausg., S. 314-317. 5. Z u s c h r e i b u n g e n . Da der A. vermutlich mehr als die bekannten 10 Ged. hinterlassen hat, versucht man, ihm weitere zuzuschreiben. CB191a wird von LAISTNER (s.o. 3., Übers.n) für echt gehalten (dagegen z.B. SCHMEIDLER, 1911, S.369); M. BUCHNER, Zs. d. Aachener Gesch. ver.s 47 (1925) 246-253: Urbs Aquensis (Anal. hymn. 55, 225); SCHUMANN, 'VLI118; CB 42; BISCHOFF, CB, Bd. 13, S.9: Raptor met pillei (— WALTHER, Initia 16413), ferner (mündlich) u.a. die Kleidersatire CB 220a, die deutlich auf ein entsprechendes Gedicht des Primas (WALTHER, Initia 9027) Bezug nimmt.

6. T h e m a t i k . In den Gedichten, die eine Bitte enthalten (I-VII, vermutlich auch VIII), tritt diese gewöhnlich nicht als das Hauptanliegen hervor, sondern zusätzlich als Bitte um Entgelt für eine im Gedicht erbrachte poetische Leistung, die überwiegend im Lob Reinaids besteht (III, VI, VII), einmal in einer Predigt vor einer geistl. Versammlung (I) über Erlösung und Gericht, Buße und tätige Nächstenliebe - der letzte Punkt leitet elegant zur Bitte über. Selbst wenn er seinem Gönner etwas abschlägt (IV: Ablehnung des Barbarossa-Epos) oder ihn tadelt (V: 'Vision' zu Reinaids Verhalten in einem Besitzstreit), hindert das den A. nicht, eine Bitte einzuflechten. Um Wiedereinsetzung in das alte Verhältnis wirbt die 'Jonasbeichte' (H). Sie geht auf ein ernstliches Zerwürfnis mit Reinald zurück, dessen Ursache Liebesabenteuer des A. waren: Wie Jonas vor Gottes Angesicht, so floh der Dichter vor Reinald und wurde vom Meerungeheuer — selbstverschuldeter äußerster Armut- verschlungen; reuevoll bittet er um

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Aufnahme, gelobt poetrias inauditas und Besserung seines Wandels. Im Gegensatz zu dem fast verzweifelten Drängen dieses Gedichtes steht der freie Schwung der 'Beichte' (X). Das Bekenntnis der Sünden - Fleischeslust, Spiel und Trunk - ist ein hinreißendes Bekenntnis zu den Sünden. (Mit ähnlicher Unbedenklichkeit äußert er am Ende der Bittpredigt [I 45] eine höchst diesseitige Gesinnung.) Der Dichter zeigt zwar Reue und erklärt sich für gebessert, doch steht dies in unlösbarem Widerspruch zu dem, was er vorher - mit bitterem Unterton? - als seine Natur geschildert hat: der gute Vorsatz der Beichte zum Vorsatz des Meum est proposition. Der 'Kaiserhymnus' (IX), in dem der A. sich als Sänger des staufischen Reichsgedankens zeigt, steht im Kreis der übrigen Gedichte mit ihrer sehr persönlich gebundenen Thematik für sich. Der A. äußert sich in seinem außergewöhnlich persönlich bezogenen und persönlich sprechenden Werk vielfach auch über die eigene Dichtung. Sie wird als eine Gabe entboten (IX 4 u. 6), die einer Gegengabe wert ist (II 59f. u. 74f.; VI 41 f.; VII Str. 2 u. 11). Daß der A. auf dem hohen Rang seiner Dichtungen besteht, geht aus den Strr. IV 23 ff. hervor, wo er sich gegen die leccatores und mimt absetzt, vor allem aus den feierlichen Strr. IX 20f., in denen er der Stadt Novara Unsterblichkeit durch sein Gedicht verheißt. Seine Dichtung ist eine Frucht sorgfältiger Arbeit (IV Str. 9), er verdankt sie aber vornehmlich der Inspiration (IV Strr. 7f. u. 13-15; X Str. 10 u. 16-19). Sie ist vergleichbar der Sehergabe der Propheten (IV 7,3 f.) oder wird einfach facundia genannt, um die man beten muß (IV 33,4). Als wichtiges Medium seiner Inspiration preist er den Wein (IV Str. 12-15). 7. Der A. bevorzugt einfache und geläufige Formen. Gesucht (und wahrscheinlich scherzhaft gemeint) sind die Hexameter III 5-23. Es erscheinen sowohl rhythmische als auch metrische Verse. Unter den rhythmischen Formen überwiegt die Vagantenstrophe (Ged. IV, V, IX, X); Ged. VII ist in einem der Vagantenzeile ähnlichen Vers (zweimal 7 xx) in dreizeiligen Strophen ge-

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dichtet; das Frgm. VIII ist eine Stabatmater-Strophe; in Ged. I ist der Zehnsilber verwendet, der sich z.B. bei Abälard und seinem Schüler Hilarius findet; die fallenden Achtsilber mit Tiradenreim in Ged. II können auf das Vorbild des Primas zurückgehen. Unter den verschiedenen Arten gereimter Hexameter in Ged. III und VI fallen die leoninischen Verse III 5-23 auf, die jeweils auf ein einsilbiges Reimwort ausgehen - eine Eigenart, die sich, wenn auch nicht wie hier als strenge Manier, in zahlreichen Versen des Primas findet. In VII Str. 11 ist ausdrücklich von der M u s i k die Rede, einer wichtigen Komponente nahezu aller rhythmischen Dichtung. Es scheint, daß der Dichter (die Stelle ist leider verderbt) die Melodie zum fertigen Gedicht erfunden hat (... imposuit melodiam musicam. Vgl. KLOPSCH, 1967, S. 167 bis 171). Der A. zeigt sich in seinen Dichtungen als Meister in der Beherrschung der lat. Sprache. Die Wortfolge hat natürlichen Lauf, Enjambement ist gemieden. Scheinbar mühelos fügt sich die Sprache den Temperamenten des Dichters. Sie meidet alles Übertriebene und Gewaltsame, ohne doch einmal eine witzige Neubildung zu scheuen (IV 5,2 nane als Adverb zu nanus 'Zwerg'). Bestimmte Spracheigenheiten, aus denen man romanische Volkszugehörigkeit hat erschließen wollen (z.B. III 21 die Reimbindung verecundo: precumdo), können auf den Einfluß der maßgeblichen und vorbildlichen mlat. Dichtung Frankreichs zurückzuführen sein. Worte der Bibel und der Liturgie werden beim A. wie auch sonst in der weltlichen mlat. Dichtung in Anklängen, Anspielungen und Parodien zur Erzielung vielfältiger Wirkungen benützt. Es ist ihm eigentümlich, daß er die Zitate so gut wie nie im genauen Wortlaut bringt, sondern in ungewöhnlichem Maße dem eigenen Ausdruck einschmilzt (reichliche Nachweise bei KREFELD, Kommentar; dazu HECKENBACH). Nicht so häufig, aber mit derselben Freiheit benutzt er die röm. Dichter (bes. Horaz, Ovid, Vergil, Persius). Die rhetorischen Mittel und Topoi erscheinen nicht aufgesetzt; sie stehen im Fluß der Gedanken

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und der Rede wie deren natürliche Elemente (Untersuchungen zu den rhetorischen Mitteln u.a.: CURTIUS, WAGNER). Obgleich die Gedichte den Eindruck einer ungezwungenen gedanklichen Ordnung machen, hat man doch versucht, einen A u f b a u nach Zahlenverhältnissen in ihnen zu finden. Vgl. STACH, S. 17-23, dagegen CURTIUS, S. 109; K. LANGOSCH, Zur 'Komposition' beim A., DVjs 21 (1943) 417^36; LANGOSCH, 1967; HECKENBACH, S. 153f. 8. Von der reichen N a c h w i r k u n g der 'Beichte' (X) zeugt die Überl.; gerade mit den Entstellungen, Adaptierungen und Umdichtungen, die sie erfuhr, zeigt sie wirkliches Leben, das weit über das Ende des Mittelalters hinausreicht (vgl. BISCHOFF, CB, Bd. I 3, S. 11-15 u. 19f.; KREFELD, S. 39-44; die Stellen im 'Dolopathos' und bei Andreas Capellanus können nach ZWIERLEIN [1973] nicht auf X 8, l zurückgeführt werden). Spuren des übrigen Werkes sind spärlich und unsicher (vgl. KREFELD, S. 44 f.). Der am Anfang mit I Str. 8 fast gleichlautende Text bei KREFELD (S. 88) wurde von HECKENBACH (S. 151 f.) mit Benützung eines kölnischen Antiphonars aus dem 14. Jh. als Antiphon gedeutet; das Stück wäre dann eher Vorbild für den A. als Nachahmung. Der Eintrag in der Münchener Hs. clm 6292, 124V, stammt aus dem 12. Jh. und 'könnte gleichzeitig mit dem Archipoeta sein' (BISCHOFF mündlich). 9. F o r s c h u n g s g e s c h i c h t e . Der A. erhielt 1843 durch J.GRIMM seinen Platz in der Weltliteratur.GRIMM dachte allerdings noch an einen 'Dichterfürsten', in dessen Person der A., der Primas und der sagenhafte 'Golias' vereinigt waren. Die Grundlagen für die Erklärung und genauere Datierung wurden von SCHMEIDLER 1911 (mit Ausg. der 'Beichte' auf breiter Über!.) und MEYER 1914 geboten, von MANITIUS 1913 die - im ganzen unbefriedigende - erste krit. Ausg. Nach zahlreichen Beiträgen zur Textgestaltung und Erklärung (insbesondere zu II STRECKER, 1926; zu V FRENKEN, 1929) erschien 1933 SCHUMANNS umfassender Artikel in iVL. Der Frage der Volkszugehörigkeit des A. wurden besonders zwischen 1934 und 1936 zahlreiche sich widersprechende Aufsätze gewidmet (vgl. STACH, S. 12). LANGOSCH räumte mit mehr als 10 Beiträgen seit 1943 dem A. einen bedeutenden Platz in seiner Arbeit ein und wandte sich immer wieder der Frage der Komposition zu. 1949 erneuerte VINAY den Versuch, den A., Primas und 'Golias' als eine Person zu deuten. 1958 erschien die große kommentierte Ausg. von

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WATENPHUL/KREFELD, deren Schwächen, die zu einem großen Teil auf den widrigen Umständen ihres Zustandekommens beruhen, in wichtigen Rezensionen aufgezeigt wurden (s.o. 3.). Der oft erörterten Frage des Vagantentums des A., in der SCHUMANN bereits eine vorsichtige Haltung eingenommen hatte, widmete NAUMANN 1969 eine temperamentvolle Erörterung. Die jüngere Forschung trug vorwiegend Erklärungen von Einzelfragen bei. Eine wirklich befriedigende Ausg. steht noch aus. L i t e r a t u r . J. GRIMM, Gedichte d. MAs auf König Friedrich I. (Abh. d. Akad. d. Wiss. Berlin 1843), 1845, S. 143-211 (= Kl. Schr.n III, 1866,S. 1-99);B.SCHMEIDLER, Zum A., Hist.Vjs.14 (1911) 367-395 u. 612; W. MEYER, D. Kölner A., GGN 1914, S. 99-115; H. BRINKMANN, D. Dichterpersönlichkeit des A., GRM 13 (1925) 102-119; K. STRECKER, D. zweite Beichte d. A., Fs. H. Degering, 1926, S.244-252; G. FRENKEN, D. Erzpoet u. d. Kloster St. Martin in Köln, Jb. d. Kölnischen Gesch.ver.s 11 (1929) 130-135; O. SCHUMANN, A., : VL I 107-119; W. STACH, Salve mundi domine!, Berr. üb. d. Verh. d. Sachs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Kl. 91/3, 1939; E.R. CURTIUS, Der A. u. d. Stil. d. mal. Dichtung, RF 54 (1940) 105-164; K. LANGOSCH, Polit. Dicht, um Kaiser Friedrich Barbarossa, 1943; G. VINAY, Ugo Primate e PA., Cultura neolatina 9 (1949) 5^0; B. BISCHOFF, NDB I 336f.; K. LANGOSCH, A., 'VL V 55-60; H. WATENPHUL/H. KREFELD, Die Ged. d. A., Einführung, Text, Kommentar, 1958; H. J. MOSER, Kommerslieder vom MA bis z. Rokoko, Dt. Sängerschaft 63 (1958) 272-285; R. B. C. HUYGENS, Die Ged. von Gillebert, Sacris erudiri 13 (1962) 519-525 (zu X); F. J. E. RABY, Turris Alethie and the Ecloga Theoduli, Medium Aevum 34 (1965) 226-229; K. LANGOSCH, Zur 'Bittpredigt' d. A., Mlat. Jb. 4 (1967) 155-160; P. KLOPSCH, Acyrus, ebd., 167 bis 171; ders., Zu 'Kaiserhymnus' u. 'Beichte' d. A., ebd., 161-166; W. HECKENBACH, Zur Parodie beim A., ebd., 145-154; P. KLOPSCH, Der A., Der altsprachl. Unterricht, Reihe XII 4 (1969) 31^47; H. NAUMANN, Gab es eine Vaganten-Dichtung, ebd., 69-105; D. KUJPER, Archipoetica duo, Mlat. Jb. 7 (1972) 126f.; O. ZWIERLEIN, Antike Motive beim A. u. im 'Ligurinus' ebd., 102-124 (Nachtrag: Mlat. Jb. 9 [1973] 313); F. WAGNER, Colores rhetorici in d. 'Vagantenbeichte' d. A., Mlat. Jb. 10 (1975) 100-105.

GÜNTER BERNT Aribo (Arbeo, Arbon, Arpeo, Arpio) Musiktheoretiker des 11. Jh.s. 1. Leben. Leben und Wirken A.s sind in tiefes Dunkel gehüllt. Der Mangel an zweifelsfreien Quellen hat zu den verschiedensten Vermutungen Anlaß gegeben. MENDEL, REISSMANN und FETIS nehmen die Niederlande, KORNMÜLLER, EITNER und RIEMANN Frank-

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reich, WAGNER, URSPRUNG und BRONARSKI Süddeutschland als Heimat A.s an. Der Hinweis EITNERS und RIEMANNS, die sein Sterbejahr mit 1078 angeben, beruht augenscheinlich auf einer Verwechslung mit dem Todesjahr Ellenhards, Bischofs von Freising (1052-1078), dem A. seinen Musiktraktat dedizierte. Nach der Auffassung FELLERERS, der sich auf die bei C. MEICHELBECK (Historia Frisingensis, Bd. l, Augsburg 1724, S. 62) begegnende Herkunftsbezeichnung 'Aribo Frisingensis' stützt, war A. in Freising gebürtig, erhielt seine Ausbildung im Kloster St. Emmeram bei Regensburg, stand zu —> Wilhelm, Abt von Hirsau (1068-1091), in persönlicher Freundschaft und starb als Scholasticus, d.h. als Vorsteher der Domschule, in Freising. Nach der Anschauung SMITS VAN WAESBERGHES, der auf die bei GERBERT (Scriptores II 289) sich findende Herkunftsangabe -> Engelberts von Admont 'Aribo Aurelianensis' verweist, stammte A. aus Orleans oder aber auch aus Lüttich (fläm. Luik), wurde im Kloster St. Jakob bei Lüttich erzogen, hielt sich 1050-1080 möglicherweise in Rom, in Monte Cassino und, zum Studium des guidonischen 'Micrologus', in Arezzo auf, wirkte 1060-1070 als Magister an der Domschule in Lüttich, war nach 1070 Scholasticus in Orleans und unterhielt zu Wilhelm von Hirsau eine wissenschaftliche Beziehung. Von KREPS und RAWSKI werden alle Mutmaßungen der vorgenannten Art als reine Hypothesen zurückgewiesen. Die auf die Herkunft hindeutenden Bezeichnungen . von Freising', . d'Orleans' oder . van Luik' bestehen ebensowenig zu Recht wie die im MA nur bei Engelbert von Admont am vorerwähnten Ort vorkommende, auf den Beruf hinweisende Benennung 'Scholasticus'.

2. Werk. A. ist der Verfasser einer Abhandlung 'De musica'. Die Schrift muß nach dem Amtsantritt Wilhelms von Hirsau, der als Abt erwähnt ist, aber noch zu Lebzeiten Ellenhards, der als Widmungsträger genannt wird, somit zwischen 1068 und 1078 entstanden sein. Ü b e r l i e f e r u n g . Vollst. Hss.: Salzburg, St.Peter, cod. a V2, 12. Jh., 114v-145r; Rochester (N.Y.),Sibley Musical Library of the Eastman School of Music, Admont 494, 12.Jh., aus Admont, llr-42r (wohl Abschrift d. Salzburger Hs.). Dazu u. zu weiteren Hss. mit nur einzelnen Abschnitten: SMITS VAN WAESBERGHE (Ausg.), S.I-XV. Uberl. von Auszügen ferner St.Florian, Stiftsbibl., cod. XI 35, 12.Jh., l r/v ; Basel, ÜB, cod. F IX 54, 13./14.Jh„ 4 V ; Gent, ÜB, cod. 70, v. J. 1503/04, 56V. A u s g a b e n . GERBERT, Scriptores II 197-230; danach PL 150, Sp.1307-1346; J. SMITS VAN WAESBERGHE, Aribonis De Musica (Corpus SS. de Musica 2), Rom 1951. Möglicherweise muß dem Kreis der Musiktheoretiker um A. oder ihm selbst auch der 'Commentarius

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anonymus in Micrologum Guidonis Aretini' zugeschrieben werden; Ausg.: C. VIVELL, WSB 185/5,1917 (vgl. ders., Ein anonymer Kommentar z. Micrologus d. Guido d'Arezzo, Stud. Mitt. OSB 35 [1914] 56-80); SMITS VAN WAESBERGHE, Musicologia medii aevi l, Amsterdam 1957, S. 99-173.

A.s Musikschrift gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste (GERBERT, S. 197 bis 215) seine eigene Musiklehre, der zweite (S. 215-230) einen Kommentar zum 15.Kapitel des 'Micrologus' Guidos von Arezzo, betitelt 'Utilis expositio super obscuras Guidonis sententias', zum Inhalt hat. Im einzelnen ist in der Musikschrift, in der Plato, Boethius, Guido von Arezzo und Wilhelm von Hirsau als Gewährsmänner genannt werden, von den Tonarten, den Tonabständen, der Melodik, der Rhythmik und dem gregorianischen Gesang sowie von der Mensur des Monochords, der Glocken und der Orgelpfeifen, die A. stolz Aribunculina fistulamm mensura nennt, die Rede. Was die Tonarten angeht, so stellt A. der bereits bei -»· Otker von Regensburg (GERBERT, Scriptores I 348) und Wilhelm von Hirsau (GERBERT, Scriptores II 164) begegnenden vierteiligen Darstellung (quadripartita figura) eine verbesserte und schneller überschaubare gegenüber, die er caprea ('Zicklein', 'Reh' oder 'Gemse') nennt. Was die Tonabstände betrifft, so unterscheidet A. zwischen Intervallschritten und Intervallsprüngen und weist auf ihre Bedeutung für den Charakter einer Melodie hin. Der von P.WAGNER im gregorianischen Gesangsrepertoire festgestellte Gegensatz zwischen dem sog. romanischen und germanischen Choraldialekt findet in der Darlegung A.s, der die vornehmlich schrittweise einhergehende Melodik der südlichen Völker (Langobarden) der hauptsächlich sprungweise verlaufenden Melodik der nördlichen Völker gegenüberstellt, einen nachdrücklichen Beleg. Als Zeichen für die Rhythmik, d.h. für die Dauer der Neumen, führt A. die drei Buchstaben c, t, m (celeritas, tarditas, mediocritas) auf, die dem legendären römischen Sänger Romanus (7. Jh.) zugeschrieben und nach ihm als Romanus-Buchstaben bezeichnet worden sind. Gegen Ende seines Traktats kommt A. auf ethische und ästhetische Aspekte der

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'Aristoteles und Phyllis'

Musik zu sprechen, trennt scharf zwischen der geistlichen und der weltlichen Musik und unterscheidet ausdrücklich zwischen dem musicus naturalis und musicus artificialis, d.h. dem unausgebildeten und dem ausgebildeten Musiker. A. erweist sich als ein überaus kritischer, gleichermaßen von neupythagoreisch-neuplatonischem . wie von christlich-theologischem Denken beeinflußter Musiktheoretiker. Sein Bestreben, die Zusammenhänge zwischen der Musik und dem Universum zu entdecken und zu enträtseln, macht ihn zu einem der namhaftesten Vertreter mal. Musiksymbolik und Musikallegorik. L i t e r a t u r . Auswahlbibliographie: SMITS VAN WAESBERGHE (Ausg.), S. XXVIIf. H.MENDEL/A. REISSMANN, Musikal. Konversationslexikon, Bd. l, 1870, S. 285; F.J. FETIS, Histoire generate de la musique, Bd.4, Paris 1874, S. 547; ders., Biographie universelle des musiciens, Bd. l, Paris 2 1889, S. 132; U. KORNMÜLLER, D. alten Musiktheoretiker, Kmjb 2 (1887) 18-21; R. EITNER, Biograph.bibliograph. Quellenlexikon d. Musiker u. Musikgelehrten, Bd. l, 1889, S. 191; H. ABERT, D. Musikanschauung d. MAs u. ihre Grundlagen, 1905, S. 169 bis 171, 183, 231 u.ö.; S. WANTZLOEBEN, D. Monochord als Instrument u. als System, 1911, S.82-86; P. WAGNER, Einf. in d. gregorianischen Melodien, Bd.2: Neumenkunde, 21912, S.367; H. RIEMANN, Gesch. d. Musiktheorie v. 9. bis 19. Jh., 1898, S. 58 u. 160; ders., Hdb. d. Musikgesch., Bd.I 2, 1919, S. 176; O. URSPRUNG, Freisings mal. Musikgesch., in: Fg. z. 1200jähr. Jubiläum d. hl. Corbinian, hg. v. J. SCHLECHT, 1924, S. 245-278; K.G. FELLERER, Beitr. z. Musikgesch. Freisings, 1926, S. 26-43; L. BRONARSKI, D. Quadripartita figura in d. mal. Musiktheorie, in: Fs. P. Wagner, 1926, S. 27-43; A. AUDA, La musique et les musiciens de l'ancien pays de Liege, Brüssel 1930, S. 26; J. SMITS VAN WAESBERGHE, Muziekgeschiedenis d. Middeleeuwen, Tl. l, Tilburg 1936-1939, S.23-107; ders., Some Music Treatises and their Interrelation. A School of Liege, Musica Disciplina 3 (1949) 25-31 u. 95-118; ders., The Theory of Music from the Carolingian Era up to 1400, Bd. l (Repertoire International des Sources Musicales B III 1), 1961, S.27, 31 u.ö.; J. KREPS, Aribon de Liege, une Legende, Rev. Beige de Musicologie 2 (1948) 138-143; C.H.RAWSKi, Notes on Aribo Scholasticus, in: Natalicia Musicologica, Fs. K. Jeppesen, Kopenhagen 1962, S. 19-29.

HEINRICH HUSCHEN Aribo von Freising -> Aribo Aribo Scholasticus —»Aribo

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Arigo —> Schlüsselfelder, Heinrich 'Meister Aristoteles' -> Raber, Vigil (C.II.21) 'Aristoteles der Heide' -»Raber, Vigil (C.II.21)

'Aristoteles und Phyllis' 1. Das Motiv des Weisen, der auf allen Vieren ein Weib auf sich reiten läßt, ist orientalisch (Pancatantra), die Übertragung auf Aristoteles abendländisch; seit dem 14. Jh. gehört es zu den bildlichen Darstellungen der Weibermacht (STAMMLER). -»Jacobs von Vitry 'Exempla' (1230) repräsentieren die ältere lat. Fassung, in der Alexanders Gattin die Verführerin ist, während es in Henri d'Andeli's elegant-geistreicher afrz. Darstellung die indische Geliebte ist, bei der der Welteroberer 'sich verliegt'. 2. 'A.u.Ph.' (B), rhfrk., ca. 1200, Frgm. von 204 vv. Die selbe Hs. enthielt auch die älteste Fassung von —»Hartmanns von Aue 'Armen Heinrich' (E). Perg.-Streifen aus Kloster Benediktbeuern, jetzt München, cgm 5249 (29b, 2/3, alem., 2. Viertel d. 13. Jh.s; hg. v. ROSENFELD, 1970, S. 326-331.

B macht Aristoteles, der literarischen Tradition entsprechend, zum Schulmeister des jungen Alexander, der die Zerstreutheit seines Schülers der jungen Geliebten anrechnet, sich von dieser aber selbst umgarnen und lächerlich machen läßt. Die lat. Vorlage ist reizvoll als schwankhafte Novelle nacherzählt. Den Namen Phyllis entnahm B Ovids 'Heroidum epistolae' (thrak. Königstochter, die, verlassen, sich tötet). B nahm sich Hartmanns von Aue 'Erec' als Vorbild. Dadurch, daß Phyllis arme um an s'men tot ist, wird sie zur Gattin mit süezem lanclibe, wie die maget im 'Armen Heinrich' Hartmanns. 3. 'A.u.Ph.' (S), alem. Bearbeitung von B (H. ROSENFELD), ca. 1287 (JOSEPHSON, S. 69), 554 w. Ü b e r l i e f e r u n g . Regensburg, Jesuitenbibl., 14. Jh., 1809 verschollen (r); Straßburg, Johanniterbibl., 14. Jh., 1870 verbrannt (S); Karlsruhe, LB, cod. 408, 83" bis 87vb (k), 15. Jh.; vgl. FISCHER, Stud., S. 298f. A u s g a b e n . Mhd.: C. H. MYLLER, Sammlung dt. Ged. aus d. 12., 13. u. 14. Jh., Bd. 3, Berlin 1785,

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S. 17-21; GA I 21-35 (zit.); J.L. CAMPION, Modern Philology 14 (1915/16) 351-356; JOSEPHSON, S. 71 bis 87; DE BOOR, Texte 12, S. 1418-1425 (nach GA); NGA I 234-243; R.M. KULLY/H. RUPP (Hgg.), Der münch mit dem genßlein. 13 mhd. Verserzählungen. Aus dem Cod. Karlsruhe 408, 1972, S. 112-127; SCHMID, Cod. 408, S. 348-362 (k).

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ihre Illustration, DVjs 43 (1969) 69f.; H. ROSENFELD, 'A.u.Ph.', ZfdPh 89 (1970) 321-336; B. WACHINGER, Zur Rezeption Gottfrieds v. Straßburg im 13.Jh., in: Dt. Lit. d. späten MAs. Hamburger Colloquium 1973, 1975,5.77-82.

HELLMUT ROSENFELD

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S hat literarische Anleihen aus —»GottI n h a l t : 1. Leben. 2. Werk.3. A. im mittelalterlichen frieds von Straßburg 'Tristan' ( . u. Ph.', Europa. 4. Die A.-Rezeption in Deutschland. 5. A. in v. 207-222, 238-252, 270-284, 310-319 = der deutschen Literatur des Mittelalters: I. ÜberTristan' 957-970, 10966-980, 10992 bis setzungen ins Deutsche. II. A.-Erwähnungen und 11006, 842-851) u.a.; der Regensburger -Zitate. 6. Literatur. Schreiber hat diese Entlehnungen z.T. be1. Leben. A. wurde 384/83 in Stageira merkt und getilgt (H.-F. RosENFELD/VLI auf der thrakischen Chalkidike geboren 125). Der Dichter erzählt das kokette Spiel ('der Stagirit'). Er war Schüler Platons und gut, die 'Tristan'-Zitation indiziert wohl pa- seit 367/66 bis zu Platons Tod 348/47 Mitrodistische Absicht (WACHINGER) . Das Reit- glied der Akademie. Im Jahre 343 berief ihn spiel ist nur Rache, von Fortführung der Philipp von Makedonien zum Erzieher AlexLiebe wird nichts gesagt. Das letzte Wort anders. 335 oder 334 gründete er in Athen behält Aristoteles, der auf der Insel Galicia die sog. 'Peripatetische Schule'. Nach Alexein Buch von ungetriuwen wip und Frauen- anders Tod (323) der Gottlosigkeit angetrug schreibt. klagt, ging er auf sein Landgut nach Chalkis 4. Die mhd. Dichtungen werden zur Po- auf Euböa, wo er 322/21 starb. pularisierung des Motivs beigetragen haÜber Leben und Werk des A. informierte man sich ben. Jedoch geht die Darstellung in ->· Ulim späten MA vor allem an Hand von Walter Burleys richs von Etzenbach 'Alexandreis' (etwa (1275-1337) 'Liber de vita et moribus philosophorum gleichzeitig mit S) v. 23415-23528 auf eine poetarumque veterum' (Ausgabe: H. KNUST [Hg.], lat. Fassung zurück. Der König verliegt sich Gualteri Burlaei Über ... [StLV 177], 1886; zu A. bei der Königin Candacis, was sein Lehrer S. 234-251), der um die Mitte des 15. Jh.s (1452?) durch (hier: Aristander) tadelt, worauf Candacis Hans -»Lobenzweig ins Dt. übers, wurde (Ausgabe: ihn recht unmotiviert zum Ritt verführt. R. WEDLER, Walter Burleys 'Liber de vita ..." in zwei Sonst finden sich seit Ausgang des 13.Jh.s dt. Bearbeitungen des SpätMAs, Diss. Heidelberg Gestaltungen des Motivs, z. B. in —» 'Rein- 1969, zu A. S. 303-310.) Eine weitere Übers, schuf der Augsburger Buchfried von Braunschweig', bei -»· Hugo von drucker Anton ->Sorg (vgl. WEDLER, S. 102-107), der Langenstein, Heinrich -> Frauenlob, —*· Hu- diese 1490 in seiner eigenen Offizin herausbrachte go von Montfort, —> Oswald von Wolken- (G W 5793). stein, -»Heinrich dem Teichner und um Zu dem, was man über das Leben des A. wußte, ge1400 im Fastnachtspiel (SPRINGER), endlich hörte für das späte MA auch die Gesch. von —> . und Phyllis', die in Lit. und bildender Kunst (STAMMLER bei Hans Sachs. L i t e r a t u r . H. PAUL, Ulrich v. Eschenbach u. seine Alexandreis, Diss. Berlin 1914, S. 144-148; F. MOTH, A.-sagnet eller Elskovs magt, Kopenhagen-Oslo 1916; A. BORC.ELD, A. en Phyllis, Groningen 1922; A. LEITZMANN, Zu v. d. Hagens Gesamtabenteuer, PBB 48 (1924) 49-52; G. JOSEPHSON, D. mhd. Versnovelle von 'A.u.Ph.', Diss. Heidelberg 1934; W. STAMMLER, Aristoteles, in: Reallexikon z. dt. Kunstgesch. I, Sp. 1027-1040; J. STOROST, Monumentum Bambergense, Fs. B. Kraft, 1955, S. 298-348; O. SPRINGER, A philosopher in distress. A propos of a newly discovered medieval German version of 'Aristotle and Phyllis', Miami Linguistics Series 1 (1968), Fs. E. H. Sehrt, S. 203-218; H. FRüHMORGEN-Voss, Mhd. weltl. Lit. u.

1962, S. 12^4) des MAs immer wieder dargestellt wurde.

2. Werk. Das Werk des A. umfaßt - mit Ausnahme der Mathematik - praktisch alle Bereiche menschlichen Wissens. G e s a m t a u s g a b e . I. BEKKER (Hg.), Aristotelis opera. Edidit Academia Regia Borussica, 5 Bde., 1831 bis 1870 (Bd. 5 = H. BONITZ, Index Aristotelicus). Ü b e r s e t z u n g e n . Aristoteles. Die Lehrschriften, hg. ... von P. GOHLKE, 1947ff. (mit großer Vorsicht zu benutzen); Übers, einzelner Werke durch R. ROLFES in der 'Philosophischen Bibl.' u. durch E. GRUMACH u. a. in der 'Bibl. der Alten Welt', Zürich. Seit 1962 er-

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scheint die *Dt. A.-Gesamtausgabe', begründet durch E. GRUMACH (t), hg. von H. FLASHAR. I n d i c e s : BONITZ (s. o.); TH. P. KIERNAN, AristotleDictionary, New York 1962.

3. A r i s t o t e l e s im mal. E u r o p a . Von den Schriften des A. waren bis zum 12. Jh., im wesentlichen in der Übersetzung und Kommentierung des —»Boethius, nur die 'Kategorien' und 'De interpretatione' bekannt, die zusammen mit der 'Isagoge' des Porphyrius (233-304 n. Chr.), einer Einleitung zu den 'Kategorien', zu der Boethius noch einen Kommentar schrieb, als 'logica vetus' bezeichnet wurden. Im Laufe des 12.Jh.s trat durch neue Übersetzungen die sog. 'logica nova' ('Analytica priora', 'Analytica posteriora', Topica', 'De sophisticis elenchis') hinzu, womit das gesamte Organon' des A. in lat. Sprache vorlag. In der Folgezeit wurden bis hnde des 13. Jh.s auch die restlichen dem lat. MA zugänglichen Werke übertragen. Die Rezeption des A. im HochMA erfolgte dabei einerseits direkt durch Übers.n aus dem Griechischen, andererseits auf dem Weg über die arabisch-jüdische Philosophie. Die Verbindung dieser beiden Traditionen war eine der Voraussetzungen für die Entstehung eines spezifisch mal. Aristotelismus, der zwischen dem 'reinen' A. und arabisch-jüdischen aristotelischen (i. F. ar.) Traditionen nur selten unterschied. A u s g a b e der mal. lat. Übers.n im Rahmen des 'Corpus Philosophorum Medii Aevi': 'Aristoteles Latinus' hg. v. L. MINIO-PALUELLO u. a., Brügge/Paris 1939ff.; bisher erschienen Edd. der folgenden Texte: 'Kategorien', 'De interpretatione', 'Analytiken', 'Topik', 'Physik', 'De Mundo', 'De Generatione Animalium', 'Metaphysik', 'Politik', 'Poetik', 'Nikomachische Ethik'. - Lit. zu d. Übers.n bei , 1973, S. 317, u. LOHR, 1969,5.417-431.

Neben den Werken des A. wurden im M A auch die griechischen, arabischen und jüdischen Kommentare zu seinen Schriften übersetzt. A u s g a b e der Übers.n der g r i e c h i s c h e n Kommentare: 'Corpus Latinum Commentariorum in Aristotelem Graecorum', hg. G. VERBEKE u. a., Löwen/ Paris/Leiden 1961 ff.; der a r a b i s c h e n Kommentare: 'Corpus Commentariorum Averrois in Aristotelem', hg. H.A. WOLFSON, D. BANETH, F.H. FOBES u.a. (The Medieval Academy of America Publication No. 54ff.), Cambridge (Mass.) 1949ff.; 'Avicenna Latinus', hg. G. VERBEKE, S. VAN RIET u.a., Löwen/Leiden 1968 ff.

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Die im MA selbst entstandenen A.-Kommentare (und andere Hilfsmittel zum A.Studium) sind trotz energischer Bemühungen der Forschung (so vor allem den zahlreichen Arbeiten GRABMANNS [s. GRABMANN, 1956, S. 10-35]) noch weitgehend unaufgearbeitet; ein genaueres Bild des mal. Aristotelismus wird zu beträchtlichen Teilen von ihrer Erschließung und Interpretation abhängen. Verzeichnisse der Kommentare: LOHR, 1967-1974; SMET ('De anima'); ZIMMERMANN ('Metaphysik' und 'Physik').

Die sehr intensive Beschäftigung mit dem Werk des Stagiriten, die dem Aristotelismus im MA zu seiner reichsten Blüte überhaupt verhalf, wurde aber nur dadurch möglich, daß es gelang, A. trotz erheblicher Widersprüche zwischen seinen Lehren und denen des Christentums in das mal.-christliche Weltbild mit einzubeziehen. Einem noch 'eklektischen', vor allem von Avicenna beeinflußten Aristotelismus folgte so als entscheidende Leistung der mal. A.-Rezeption die 'Synthetisierung' des A. durch Albert d. Gr. (dessen Aristotelismus stark neuplatonisch bestimmt ist, —> Albertus Magnus und ->Ps. Dionysius Areopagita), vgl. LOHR, 1967, S.338 bis 345, und vor allem durch Thomas von Aquin (vgl. LOHR, 1973, S. 159-172), dessen 'Interpretatio christiana' A. endgültig zum bedeutendsten Philosophen des MA werden ließ. Parallel zu den Bemühungen Alberts und Thomas' verlief die Entwicklung radikaler, mit dem Christentum nicht mehr zu vereinbarender Positionen in Gestalt des 'heterodoxen' Aristotelismus eines Siger von Brabant (vgl. VAN STEENBERGHEN, 1931/1942) und Boetius von Dacia. Ihre Lehren waren einer der Gründe für das Pariser A.-Verbot des Jahres 1277 (vgl. GRABMANN, 1941; VAN STEENBERGHEN, 21970, S.230-238), das die Entwicklung des Aristotelismus für das nächste halbe Jh. stark behinderte.

Die Erhebung A.s zur Autorität in nahezu allen Fragen (GRABMANN, 1936, S.63-102), besonders auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften (s. u.), führte seit dem 13. Jh. zur Entstehung zahlreicher A.-Florilegien, so der 'Auctoritates Aristotelis' (J. HAMESSE [Hg.], Les 'Auct. Arist.' ... [Philosophes Medievaux 17], Löwen/Paris 1974; Wörterbuch dazu: dies., Auct. Arist. I: Concordance II: Index verborum [Travaux publics par le Centre de Traitement Electronique des Documents de l'Universite

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Catholique de Louvain II, l + 2], 1972 u. 1974) und dazu, daß man ihm zahlreiche weitere Werke unterschob (vgl. BIRKENMAJER), die oft weite Verbreitung fanden.

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scheint auch in der dt. sprachigen Literatur des MAs vorzuherrschen. I. Ü b e r s e t z u n g e n ins Deutsche. Nach den frühen Übertragungen ->Notkers beschäftigte man sich in Deutschland Als Ausfluß seiner Erziehertätigkeit sah man beierst im 15. Jh. etwas intensiver mit der Verspielsweise die erst im frühen MA im Nahen Osten entstandenen -> 'Secreta secretorum' an, die einen andeutschung der Werke des A. geblichen Brief des A. an Alexander und medizinischEin gewisses Interesse am g a n z e n A. diätetische Regeln enthalten. - Hierhin gehören auch lassen dt. T i t e l v e r z e i c h n i s s e seiner die erst im MA entstandenen Troblemata Aristotelis Werke vermuten, die u. a. in Berlin, mgo 3, ac Philosophorum medicorumque complurium ad -2 , 15. Jh., und Vorau, Stiftsbibl., cod. varias quaestiones cognoscendas' (auch: Troblemata 59, 4r-4\ v. J. 1470 enthalten sind. Aristotelis determinantia multas quaestiones de variis Eine Übers, der 'Politik' liegt unter dem corporum humanorum dispositionibus valde audientiTitel 'Von der regeronge der stede' (-> 'Fürbus suaves'), eine naturkundliche und vor allem medistenspiegel V. d. R. S.') vor in der Hs. Berlin, zinische Praecepta-Sammlung, die auch ins Dt. übersetzt wurde (s. u. - nicht zu verwechseln mit den anti- mgq 1255, 159 Bll., ripuar., 1. H. 15.Jh.; ken ps.-aristotelischen Troblemata', vgl. H. FLASHAR eine freie Bearbeitung dieses Werkes steht [Hg.], A., Problemata physica [A., Werke in dt. in der Hs. Karlsruhe, LB, cod. Karlsruhe Übers.n, Bd. 19], 1962, S. 375) und andere Spuria. 380, 226r-284r, mnd., v. J. 1459, vgl. LEH4. Die A r i s t o t e l e s - R e z e p t i o n in MANN, S. 579. D e u t s c h l a n d . Abgesehen von der überraGrößeres Interesse bestand offenbar an ragenden Gestalt Alberts d. Gr. brachte Übersetzungen der dem A. zugeschriebenen Deutschland im MA keine A.-Kommentae c o n o m i c a', die dt. in einer freien Betoren von europäischem Rang hervor; 'der arbeitung in 23 Kapiteln vorliegen in den dt. Aristotelismus des 14. und 15.Jh.s Hss. Berlin, mgq 796, 118V-130V, v. J. 1464, scheint mehr empfangend als gebend ge- Titel: 'Von der Hussorg'; Göttingen, SB, wesen zu sein' (GRABMANN, 1956, S.222). ms. philos. 21, 2r-12v, v. J. 1463 und Harburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Für das 13. Jh. wäre allenfalls -> Arnoldus Saxo zu V V nennen (dessen Verarbeitung zahlreicher naturwissen- Bibl., III l f. 41, 177 -186 (am Ende unschaftlicher Schriften des A. - überwiegend auf der vollständig), 2. H. 15. Jh.; der Text ist nach Basis der neuen Übers.n - für Albertus Magnus wich- diesen Hss. ediert bei C.D.M. COSSAR, tig wurde, vgl. ROSE, S.447-454), für das 14. Jh. The German Translations of the Pseudo-»Thomas v. Erfurt, der einen Kategorien- und einen Bernhardine 'Epistola de cura rei familiaris' Perihermeneiaskommentar verfaßte und dessen 'Novi (GAG 166), 1975, S.290-308. Neben A. modi significandi' einen Gipfelpunkt der modistischen werden auch Isidor, Cato, Salomo, Homer Sprachtheorie bezeichnen; Theoderich von Erfurt und Parisianus als Autoritäten bzw. Quel(LoHR, 1973, S. 154f.), der einen 'heterodoxen' Aristolen aufgeführt. Davon verschieden ist die telismus (auch als 'lat. Averroismus' bezeichnet) vertrat ; -> Marsilius vonInghen,derder 'nominalistischen' Übers, des Johann -> Gottfried aus OdernRichtung in der Tradition des Wilhelm von Occam zuheim v. J. 1491 (nur Buch I), überliefert in zurechnen ist. Die gleiche Position vertrat Albert v. den Hss. Berlin, mgq 1477, 69r-73r und Sachsen (HEIDINGSFELDER; LOHR, 1967, S.348-352), Heidelberg, cpg 451, 74r-88v (vgl. WORSTder auch den naturwissenschaftlichen Bereich der BROCK, S.45-81, hier S. 62). Lehren Occams aufgriff. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Das ausgehende 14. und das 15. Jh. sind in Deutschps.ar. T r o b l e m a t a ' , die in dt. Sprache in land gekennzeichnet durch die Auseinandersetzungen mehreren Hss. (Erlangen, ÜB, cod. B 291 zwischen den Vertretern der 'via antiqua', die A. wei[Irm. 1491], 173r-237v; München, cgm terhin im Sinne des Thomas und Alberts auslegen, und r v denen der 'via moderna", die den Nominalismus popu- 4876, 230 -237 , v. J. 1508; cgm 7877, r r larisieren; vgl. RITTER, LANG, ISERLOH. 170 -227 , Anf. 16.Jh.; Paris, Bibl. Nat., 5. A r i s t o t e l e s in der d e u t s c h e n Ms. allem. 162, 149M98V, 15.Jh.; Wien, L i t e r a t u r des MAs. Das gleiche über- cod. 11168,166r-201v, v. J. 1570, mit andewiegend rezeptive Verhalten gegenüber rem Übersetzer) und in sechs Drucken dem Werk des A. und dem Aristotelismus (GW 2462-2467, v. J. 1492-1500) vorliegen.

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Eine bisher nicht näher untersuchte (Teil- ?) Übersetzung der dem A. zugeschriebenen 'Physiognomica' überliefert die Hs. Wien, Schottenkloster, cod. 209,276v-281r, v.J. 1462. Alle bisher genannten Übersetzungen werden an Bedeutung weit übertroffen von den Verdeutschungen der ps.ar. ->'Secreta secretorum', die schon gegen Ende des IS.Jh.s durch -> Hildegard von Hürnheim übersetzt wurden; s. auch ->'Dindimus Buch' und -»Johannes von Indersdorf; vgl. die verschiedenen Artikel über -> Fürstenspiegel. In den Umkreis der Ps.-Aristotelica gehört auch ein noch unedierter kurzer Dialog zwischen A. und Platon, den die Hs. Den Haag, Koninkl. Bibl., 133 H 21,295va-295vb, 2. H. 15. Jh., überliefert (BRETHAUER, S. 163). II. A r i s t o t e l e s - E r w ä h n u n g e n und -Zitate. Weit zahlreicher und gewichtiger als die wenigen, schmal überlieferten und fast ausnahmslos sehr späten Übersetzungen sind in der dt. Literatur des MAs die Stellen, die sich mit Person und Lehre des A. beschäftigen. Nicht selten wird dabei der Name des Stagiriten nur deshalb genannt, weil seine Autorität nahezu alles beglaubigen konnte; von einer tiefergehenden Kenntnis oder gar Auseinandersetzung mit dem Werk des A. wird man dabei nur in wenigen Fällen sprechen können. a) Das ganze MA hindurch ist A. die Autorität, Summus philosophorum, die bedeutendste antike Geistesgröße überhaupt, so z.B. bei -»Eberhard v. Cersne ('Der Minne Regel', ed. F. X. WÖBER, 1861, v. 550-568); —»Heinrich v. Mügeln (Die kleineren Dicht.n I 2, ed. K. STACKMANN [DTM 51], 1959, Nr. VII 2 [282]); Hans -»Folz (Meisterlieder, ed. A. L. MAYER [DTM 12], 1908, Nr. 103) und in einem Meisterlied der Kolmarer Hs. (BARTSCH, Meisterlieder Nr. 28, v. 27-38). Als der hohe meister oder der natürlich meister erscheint er bei -»Thomasin v. Zerklaere ('Welscher Gast', ed.H.RücKERT,1832, v. 6409-6417,6493-6497), bei —> Hugo von Langenstein ('Martina', ed. A. v. KELLER [StLV 38], 1856, S. 10692), bei -» Heinrich dem Teichner (ed. H. NIEWÖHNER [DTM 44, 46, 48], 1953/1954/1956, Nr. 440, v. 64ff., 88f.), in -> Seifrieds 'Alexander' (ed. P. GEREKE [DTM 36], 1932, v. 42-50), bei —»Ulrich v. Pottenstein (Cyrillus-Fabeln dt., Hs. Wien, cod. 12645, l", 15. Jh.) und bei -»Thüring v. Ringoltingen ('Melusine', ed. K. SCHNEIDER [TspMA

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9], 1958, S. 36); als 'weisen Mann' ruft ihn der Spruchdichter -> Boppe an (F. PFAFF, Die große Heidelberger Liederhs., I. Teil, 1909, Sp. 1409). Die Klugheit des A. wünschen sich -> Hugo v. Montfort (ed. J. WACKERNELL, Innsbruck 1881, Nr. XXXIII, v. 29ff.), der -» Harder ('Frauenkranz', ed. T. BRANDIS, 1964, v. 257-266), der Verf. der ->'Minneburg' (ed. H. PYRITZ [DTM 43], 1950, v. 3356) und der des niederrheinischen 'Lob(es) der Frauen' (ed. W. BRAUNS/G. THIELE [DTM 41], 1938, Nr. 25, v. 1-5); im ->'Wartburgkrieg' rufen Wolfram und Klingsorden A. als Zeugen für die eigene Gelehrsamkeit an (ed. K. SIMROCK, 1858, Str. 108). Als vollendeten Beherrscher der 'Septem Artes' präsentieren ihn Heinrich von Mügeln (a.a.O.), das 'Meisterlied vom Pfennig' (BARTSCH, Meisterlieder, Nr. 78, v. 18-20) und die 4. bayerische Fortsetzung der ^'Sächsischen Weltchronik' (MGH Dt. Chr. II 573). Die Tradition der 'Secreta secretorum' spielt hier eine besondere Rolle: A. unterrichtet Alexander in den 'Septem Artes' in -> Rudolfs von Ems 'Alexander' (ed. V. JUNK [StLV 272, 274], 1928/29, v. 2156ff.) und im 'RitterspiegeF des Johannes -» Rothe (ed. H. NEUMANN [ATB 38], 1936, v. 2621 ff.). Immer wieder beklagt man den Tod des A.: so Hugo v. Montfort (Lied Nr. XV, v. 72 ff.), -»Johann v. Tepl ('Ackermann', ed. G. JUNGBLUTH, 1969, c. 30, S. 121) oder eines der Meisterlieder der Kolmarer Hs. (ed. BARTSCH, S. 27); Michel -»Beheim gibt zu bedenken, daß selbst dem A. die kunst im Tode nicht nachgefolgt sei (Ged., ed. H. GILLE/!. SPRIEWALD [DTM 60, 64, 65], 1968/1970/1972, Nr.447, v. 83-87).

Die Einbeziehung des A. in das mal. Weltbild geht dabei soweit, daß er - in Fortsetzung spätantiker und byzantinischer Traditionen und in Auswirkung der Bestrebungen des Albertus Magnus und Thomas von Aquin - als Christ vor dem Christentum bezeichnet werden kann: Schon im 'Alexander' des -»Ulrich v. Etzenbach (ed. W. TOISCHER [StLV 183], 1888, v. 1633 f.) bewist A. dem Alexander gnuoc... von gote, während -> Heinrich v. Neustadt ('Von Gottes Zukunft', ed. S. SINGER [DTM7], 1906, v. 4802-4810) noch die Frage diskutiert, ob A. wirklich verdammt worden sei. Der Kölner Dominikaner Lambertus de Monte im 15. Jh. widmete ihr einen eigenen Traktat (vgl. GRABMANN, 1936, S. 92-100; BISCHOFF, S. 269; Lambert bejaht die Errettung des A., während die Franziskaner sie fast allgemein ablehnten). —»Tauler ruft den A. (neben Platon und Proculus) als Zeugen für die christlichen Heilsnachrichten auf (Predigten, ed. F. VETTER [DTM 11], 1910, S. 347); -»Seuse bezeichnet ihn als tugendhaft heidenschen meister, der im Gange der Natur Gott gefunden habe (ed. K. BIHLMEYER, 1907, S. 171), und in der -»'Pilgerfahrt des träumenden Mönchs' diskutiert

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'Gottes Gnade' mit A. über das 'wunderbare Brot' der Eucharistie (ed. A. BÖMER [DTM 25], 1915, v. 2794 bis 3184; ed. A. MEIJBOOM, Diss. Amsterdam, Bonn u. Leipzig 1925, v. 2996-3382). Als christlichen Moralisten präsentiert ihn die Hs. Kolmar, Bibl. de la Ville 268, 158V, Mitte 15. Jh., und Michel Beheim stellt gar fest, auch ein A. könne die wirdikeit der Gottesmutter nicht hinreichend beschreiben (Nr.435, v. 18-23). Hierhin gehört schließlich auch, daß sich ein Prediger des 14. Jh. als Bruder -» Aristotiles bezeichnen kann. Die wenigen Äußerungen, in denen A. als 'blinder Heide' erscheint (—»Hugo v. Trimberg, 'Renner', ed. G. EHRISMANN [StLV 247, 248, 252, 256], 1908/1909/ 1911, v. 8447-8458 - wo festgehalten wird, die weisen Heiden seien an maniger stat blind -, —»Hane der Karmelit im 'Paradisus anime intelligentis', ed. PH. STRAUCH [DTM 30], 1919, S. 128, vgl. die JosTEs'sche Sammlung, ed. F. JosTES/K. RUH, 21972 [DN], S.40 [gleicher Text] u. Hs. Nürnberg, StB, Cent. VII 29, 36r-36v, 15. Jh.), fallen demgegenüber kaum ins Gewicht.

Neben diesen Zeugnissen einer mehr an der Person des Stagiriten orientierten A.Rezeption finden wir vom 14. Jh. an in dt. Texten eine immer intensiver werdende Beschäftigung mit dem Werk des A. Freilich werden dabei im allgemeinen nur Teilaspekte des Opus Aristotelicum' erfaßt, und allzuoft bemüht man den Stagiriten auch hier nur, um eigene Meinungen oder Lehren mit seiner Autorität abzusichern. b) Als L o g i k e r erscheint er schon bei Thomasin v. Zerklaere, der ihn mit anderen Philosophen in das Gefolge der dialectics einordnet ('Welscher Gast', v. 8941 bis 8945) und später bei -» Brun v. Schönebeck ('Hohes Lied', ed. A. FISCHER [StLV 198], 1893, v. 10559ff.) und Heinrich v. Mügeln (Die kleineren Dicht.n, Nr. VII, 2 [282]); in die gleiche Richtung gehen ein - durch Thomas v. Aquin vermitteltes - 'De anima'-Zitat des -»Giselher v. Slatheim ('Par. an.', S.90f.) und ein Passus in der 'Pilgerfahrt des träumenden Mönchs' (v. 1617ff. bzw. v. 1851 ff.). Im Fastnachtsspiel 'Von den sieben Meistern' steht A. als einer der sieben für die Logik (ed. KELLER, Fsp., Nr.96, S.74010~14; vgl. auch RUPPRICH, LG 1284). - Als Weisen, der sich über Ursprung und Zweck der Sprache Gedanken macht, führt ihn Hugo von Trimberg einmal vor ('Renner', v.22217ff.).

c) Wichtiger war dem MA aber der Ethiker A., dessen Lehren zur Bekräftigung christlicher Sittenlehren herangezogen werden konnten. Dies gilt im besonderen für die geistliche Literatur und hier vor allem für die dem Dominikanerorden angehörenden

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Autoren, in dem die ar. Tradition des Thomas lebendig blieb. Mit den ethischen Normen des A. setzt sich Meister -> Eckhart auseinander, der, wie seine A.-Zitate bezeugen (vgl. Dt. Werke I, 1958, S.532, 534, 539; II, 1971, S.769f., 778f.; V, 1963, S.554, 556f.; Lat. Werke 1,1964, S. 721-724), über eine sehr ausgebreitete Kenntnis der Schriften des Stagiriten verfügte, obwohl sein Weltbild sich mit dem des A. nur peripher berührt (LOSSKY, S.371 u. passim). - Am häufigsten zit. Eckhart 'De anima', es folgen (abnehmende Häufigkeit) Zitate aus der 'Metaphysik', der 'Physik', der 'Nikomachischen Ethik' und 'De generatione et corruptione'. A.-Zitate finden sich aber auch bei Tauler (Predigten, S.34721) und bei Seuse (ed. BIHLMEYER, S. 17l12, 4281,51012,52211); letzterer ließ die Urhs. seiner Werke 'letzter Hand', das sog. 'Exemplar', auch mit einem Bild des A. ausstatten (BIHLMEYER, S. 2, Abb. 1; vgl. S.46 fr f.). Mehrere A.-Zitate enthält der 'Paradisus anime' (S. 69s4; 9034; 11822; 13538), wobei sich etwa Eckhart -» Rübe sein A.-Zitat tugint ist di da vollinbrengit den de si bait, und sin were guit machit (S. 6934f') nicht direkt aus A. ('Physica' VII, text. 17) sondern aus Thomas ('Summa theol. II, I, q. 110, a. 3) holt (vgl. 'Par. an.', S. XXXI V). Den Ethiker A. zit. schließlich die Sammlung von JOSTES QOSTES/RUH, S. 6422~2*), der Augustinereremit -> Johann v. Vippach ('Catharina divina', Hs. Göttingen, SB, cod. philol. 21, 12M30V, v. J.1463), dessen Ordensbruder Gottschalk -> Hollen in seinen Predigten und die 'Pilgerfahrt des träumenden Mönchs' (v. 4620ff. bzw. 4743ff.). Ein noch ungedruckter bayerischer Traktat des 15. Jh.s ehrt den Philosophen gar mit dem Prädikat der sitlich maister (Hs. Schaffhausen, StB, ms. Gen. 19, 91r, 15. Jh.). Der Ethiker A. begegnet aber auch in der weltlichen Lit., so etwa bei Hugo v. Trimberg ('Renner', v. 22709 bis 22716; vgl. v. 11525-11532). Mit A.-Zitaten bekämpfen sich die Personifikationen von 'Tugend' und 'Natur' in Heinrichs von Mügeln 'Der Meide Kranz' v. J. 1409 (ed. W. JAHR, Diss. Leipzig 1908, v. 1366ff.); Johannes Rothe zieht den Ethiker A. in seinem 'RitterSpiegel' ebenso heran (v. 1785-1788) wie -> Markus v. Weida in seinem 'Ehespiegel' (ed. A. VAN DER LEE, Quellen u. Forsch, z. Erbauungslit. d. SpätMAs ... I, 1972,5.77).

d) Engstens verknüpft mit der Ethik des A. und im MA sehr populär war seine Seelenlehre. Sein Werk 'De anima' wurde im späten MA ungewöhnlich häufig kommentiert (vgl. SMET, GIELE/VAN STEENBERGHEN/BAZÄN und den Kommentar des Johannes ->Wenck von Herrenberg). Auch in dt. Sprache begegnen 'De anima'-Traktate, die meist aus A. schöpfen, so ->· Kon-

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rads von Megenberg 'Von der sei' (ed. G. STEER [WPM 2], 1966) und des Johannes Wenck 'Büchlein von der Seele' (ed. G. STEER [WPM 3], 1967). Zitate aus 'De anima' sind in der dt. geistlichen Literatur häufiger als aus jedem anderen Werk des A. 'De anima'-Zitate finden sich z.B. bei Brun v. Schönebeck ('Hohes Lied', v. 6957ff., 7169ff.), bei Meister Eckhart (s.o.), in der Sammlung von JOSTES (S. 47*ff·), bei Johannes v. Tepl, der den Tod aus 'De anima' zitieren läßt ('Ackermann', c. XXII), bei Johannes Rothe, der den maister A. als Autorität für die Meinung anführt, die Seele sei viel edler als der Leib ('RitterspiegeP, v. 1417-1420) und bei Joh. Gottfried (WORSTBROCK, S. 79f.).

Daß man den griechischen Philosophen aber auch als Zeugen für die eigene pessimistische Weltsicht anführen konnte, belegt Hugo v. Trimberg (A. auf dem Totenbett, 'Renner' v. 24381-24388). In die nämliche Richtung geht das in den 'Artes moriendi' immer wieder auftauchende Zitat aus der 'Nikomachischen Ethik' III Omnium terribilium mors corporis est terribilissima (RUDOLF, S. 69ff.), gegen das etwa -> Nikolaus v. Dinkelsbühl in seinem - auch ins Dt. übersetzten - 'Speculum artis bene moriendi' Einspruch erhebt, indem er feststellt, der Tod der Seele sei noch viel schrecklicher (RUDOLF, S. 75).

Die ar. Lehre von der tabula rasa ('De anima' III, 4) begegnet - nach Thomas' Vorgang (S. th. III, q. 9, a. 1) in der mal. dt. Literatur recht häufig. Lat. erscheint sie bei Meister Eckhart ('Liber parabol. Genesis' n. 32, Lat. Werke I, 1964, S. 501), dt. bei Tauler (mndl.: G. I. LIEFTINCK, De middelnederlandse Tauler Hss., Groningen 1936, S.220f.), bei Heinrich v. Mügeln (Die kl. Dicht.n, Nr. XIII, 3 [316]); Johannes Rothe bringt die tafiln, do in geschriben ist nicht in Verse ('Ritterspiegel', v. 105-108); Hans Folz nennt sie ('Meisterlieder', Nr. 103, S. 390), und noch Johannes Barth verweist in seinem 1505 gedruckten 'Weiberspieger darauf (Bl. CHIa).

e) Neben dem Philosophen A. schien dem MA nicht zuletzt der S t a a t s d e n k e r A. von einiger Bedeutung (Übers, der 'Politik': s.o.). Mitunter legt man ihm aus der 'Politik' stammende Weisheiten in den Mund: so der Teichner (Nr. 407, v. 54-57), so Johannes Rothe ('Ritterspiegel', v. 3057 bis 3064) oder Tilemann -> Elhen, der in der 'Limburger Chronik' (MGH Dt. Chr. IV l, S. 27, 34) aus A. selbst ('Politik' I 1.4) und aus des Aegidius Romanus 'De regimine principum' (-»'Fürstenspiegel nach Aegidius Romanus') Aristotelisches zitiert.

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Wohl wegen seiner Verbindung mit Alexander hielt man A. gelegentlich auch selbst für einen bedeutenden Staatsmann, so etwa für einen der 'Ratsleute' der Römer (Jansen —> Enenkel, 'Weltchronik', Prosa nach v. 20942, MGH Dt. Chr. III l, S. 400). Damit einher geht die Heranziehung des A. durch Chronisten, die historische Ereignisse moralisch begründen wollen, wie etwa Tilemann Elhen (MGH Dt. Chr. IV l, S. 37,40,50,51) oder Jakob -·· Unrest (MGH SSN.S.XI, S.125).

f) Am populärsten war im MA aber nicht die Ethik oder Logik des A., sondern seine P ä d a g o g i k . Sie fand ihren literarischen Ausdruck namentlich in den 'Secreta secretorum' und deren dt. Übers, (s. o.) sowie in den ar. Weisheitsworten, insbesondere in den im 15. Jh. mehrfach verdeutschten -> 'Documenta Aristotelis ad Alexandrum Magnum'. Die 'Secreta' dienten dabei als Quelle für die Erzieher- und Ratgeber-Rolle des A. in den mal. dt. Alexander-Epen. In der gleichen Rolle tritt uns A. auch in einem Gedicht Peter -> Suchenwirts ('Aristotiles ret', in: P. S.s Werke a. d. 14.Jh., ed. A. PRIMISSER, 1827, Nr. XXXVIII, S. 112-116 u. S. 298 f.) und im anonymen nd. -»· 'Joseps Sündenspiegel' entgegen. g) Eng verbunden mit dem Pädagogen A. ist die medizinische und naturwissenschaftliche Autorität. Als medizinische Koryphäe bezeichnen ihn z.B. Ulrich v. Etzenbach ('Alexander', Anhang v. 574-577), Lodewijk van Velthem im 'Spiegel historiael' (ed. H. VAN DER LINDEN/P. DE KEYSER/A. VAN LOEY, Brüssel 1938, 6. Buch, v. 1514-1518) und Vigil -> Raber im Spiel 'Doctors apotegg' von 1531 (Fastnachtspiele, ed. O.ZINGERLE, II, 1886, S. 132-174). Auf die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des A. berufen sich u.a. Hugo von Trimberg ('Renner', v. 19269-19276, 19295-19299, 20288ff.), Michel Beheim in mehreren seiner Gedichte (Nr. 130, v. 141-143; 301, v. 365-369; 388, v. 21-33; 444, v. 255) und Hans Folz in seinen 'Meisterliedern' (Nr. 75, v. 208). Die Elementenlehre des A. demonstrieren Thomasin v. Zerklaere im 'Welschen Gast' (v. 2277K. - ohne Nennung des A.) und Brun v. Schönebeck ('Hohes Lied', v. 7122ff.). Aus des A. Buch 'von den thyern' soll eine zoologische Abhandlung 'vom Raben' stammen, die in den dt. 'Gesta Romanorum' steht (ed. A. v. KELLER, 1841, S. 144, Nr. 98); als astronomische Autorität erscheint er in der 'Deutschen Sphära' des Konrad v. Megenberg (ed. O. MATTHAEI [DTM 23], 1912, S. 17). Von Aristoteles, dem alhohissten Philosophen geht eine 'naturwissenschaftliche' nd. Abhandlung vom Paradies und von der Erschaffung Adams aus (Hs. Lon-

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don, Brit. Mus., Add. 15697, 9r-13r, v. J.1443), und sogar in die dominikanische Predigt dringt die Naturlehre des A. ein: ->Florentius v. Utrecht führt A. als Zeugen für die Transsubstantiation auf ('Par. an.', S. 135).

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bis 67; G. RHODE, Bibliogr. d. dt. A.-Übers, von Beginn d. Buchdrucks bis 1964 (Bibliogr. Beitr. I), 1964; W. , Hdb. d. Gesch. d. Philosophie, I, 1964, S. 214 bis 264 (A.), II, 1973, S.316-338 (Aristotelismus); J. HIRSCHBERGER, Gesch d. Philosophie. Altertum u. 8 h) Von der Anerkennung des A. als medi- MA, 1965, S. 426^33, 463 f., 464-526, 531-535; zinisch-naturwissenschaftliche Autorität bis 1. DURING, .', Pauly's Realenzyklopädie d. classihin zu der Vermutung, daß es beim Erwerb schen Alrertumswiss.n ... hg. v. K. ZIEGLER, Suppl. Bd. XI, 1968, Sp. 159-336; P. MORAUX (Hg.), A. in d. dieser seiner Kenntnisse nicht mit rechten neueren Forsch. (WdF LXI), 1968 (darin S. 314-338: Dingen zugegangen sein könne, war es für L. MINIO-PALUELLO, D. ar. Tradition in d. Geistesdas MA nur ein kleiner Schritt: A. wird zum gesch.), vgl. außerdem die weiteren A. gewidmeten Z a u b e r e r und W a h r s a g e r . WdF-Bde. CCVI, CCVIII u. CCXXIV-CCXXVI; F. VAN STEENBERGHEN, 'Aristotelismus', Hist. WörterAls Magier erscheint er neben Vergil im 'Wartburgbuch d. Philosophie, hg. v. J. RITTER, I, 1971, Sp.508 krieg' (Str. 162) und im 'Buch aller verbotenen Kunst' bis 517. - Eine A.-Bibliographie (ca. 160 S.) wird unter des Johannes -> Hartlieb v. J. 1466 (ed. D. ULM, 1914, Leitung von P. MORAUX am A.-Archiv Berlin vorbereiS. 59). Daneben taucht er auch in Wahrsagebüchlein tet; sie wird auch eine Rubrik 'Nachleben' enthalten. auf, wie in dem u. a. in der Hs. Heidelberg, cpg 3, 14. Jh. II. L i t e r a t u r zu e i n z e l n e n A b s c h n i t t e n . überlieferten (vgl. BOLTE, S.317f.) und in Johann I.Leben:!. DURING, Aristotle in the ancient biographi—> Lichtenbergers 'Pronosticatio' von 1487 (lat.) und cal tradition (Studia Graeca et Latina Gothoburgendesselben Tractica' von 1499 (lat.; beide Werke oft und sia 5), Göteborg 1957; W. STAMMLER, D. Philosoph auch in dt. Übers, wiederaufgelegt); als Wahrsager erals Liebhaber, in: W. ST., Wort u. Bild, 1962, S. 12-44. scheint er schließlich in dem in der Hs. Gotha, LB, 2. W e r k : W. JÄGER, A. Grundlegung einer Gesch. Chart. A. 558, 15. Jh. überlieferten Fechtbüchlein; vgl. seiner Entwicklung, 1923 (Nachdr. 1955); I. DURING, BOLTE, S. 311 Anm.l. A. Darstellung u. Interpretation seines Denkens (Bibl. i) In bezug auf ihre Bedeutung für die A.- d. Klass. Altertumswiss.n N.F.I [2]), 1966; G. E. R. Rezeption noch kaum erfaßt sind die sehr LLOYD, Aristotle, Cambridge 1968. - 3. A. im mal. zahlreichen, überwiegend recht knappen E u r o p a : Allg. Lit.: Die zahlreichen Arbeiten M. Sprüche und Lehren, die in dt. Hss. des MAs GRABMANNS sind verzeichnet in: M.G., Mal. Geistesunter dem Namen des A. gehen. Dabei han- leben III, 1956, S. 10-35; F. VAN STEENBERGHEN, La delt es sich meist um Teile von Spruch- philosophic au 13e siecle, Löwen 1966; C. H. LOHR, reihen oder in Traktate 'eingebaute' A.- Aristotle in the West: Some recent books, Traditio 25 Zitate oder Lehren, die nicht selten den (1969) 417-431; F.2 VAN STEENBERGHEN, Aristotle in 'Secreta secretorum' entstammen (vgl. auch the West, Löwen 1970. - Lit. zu den A.-Übers.n: GRABMANN, Forsch, über d. lat. A.-Übers.n d. 13. Jh.s -»'Autoritäten' [gereimt]). (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie d. MAs XVII, H. 5-6), Überl. z.B. Augsburg, SB u. StB, 952, 15V, Anf. 1916 (Nachdr. 1963); S.D. WINGATE, The medieval 16.Jh.; Berlin, mgq 164, 198r, v. J. 1489 (vgl. RUH, latin versions of the aristotelian scientific corpus ..., Bonav. dt., S. 112); Graz, ÜB, cod. 568, 204r-204v, v. London 1931; B. SCHNEIDER, D. mal. griech.-lat. J. 1403; Heidelberg, cpg 98,199r-200r, 15. Jh.; cpg 157, Übers.n d.ar. Rhetorik (Peripatoi2), 1971; s. außerdem 150r, v. J. 1429; cpg 575, 19rff., 15. Jh.; Karlsruhe, LB, die bei , Bd. 2, S. 317 genannte Lit. - Albert d. Gr. St. Peter Perg. 102, 7r, 14. Jh. (vgl. SPAMER, 1910, u. A.: F. PELSTER, Beitr. z. A.benutzung A.s d. Gr., PhiS. 243); Köln, Hist. Arch. W 8° 52, , 16. Jh.; München, losoph. Jb. 47 (1934) 55-64; M. GRABMANN, Die A.cgm 6967, 209r, v. J. 1470 (vgl. SCHMIDT, S. 118-120); Kommentare des Heinrich v. Brüssel u. d. Einfluß A.s Nürnberg, StB, Cent. VI. 60, 163r, 181r, 208', 2. H. d. Gr. auf die mal. A.erklärung, MSB 1943, H. 10, 15. Jh.; Solg. ms. 8. 8°, 3r, 15.Jh.; Schaffhausen, StB, 1944; G. WIELAND, Unters, z. Seinsbegriff im Metams. Gen. 19, 91r, 15.Jh.; Straßburg, ÜB, L. germ. 295, physikkommentar A.s d. Gr. (Beitr. z. Gesch. d. Philos. 274r, 493r, 519V, 15. Jh. (vgl. RUH, Bonav. dt., S. 167); u. Theol. d. MAs, N.F.7), 1972 (Lit.). - Thomas v. L. germ. 662,188 -188 , v. J. 1440 (entspricht Basel, ÜB, Aquin u. A.: GRABMANN, D. A.-Kommentare des Th. B IX 15, 278ra, 14. Jh. u. O I 19, 38rb, 15. Jh., vgl. SPA- v. Aq., in: Mal. Geistesleben I, 1926, S.266-313; MER, 1909, S. 351); Wien, Schottenkl., cod. 209, 308r E. GILSON, Le Thomisme (Etudes de philosophic mebis 313V, Mitte 15. Jh. (wohl aus den 'Secreta'). dievale 1), Paris 1947; P. MORAUX, Aristote et Saint 6. L i t e r a t u r . I. A l l g e m e i n e s : K. PRAECHTER Th.d'Aq., Löwen/Paris 1957; N. USHIDA, Etüde (Hg.), D. Philosophie d. Altertums, in: F. ÜBERWEG, comparative de la psychologic d'Aristote, d'Avicenne Grundriß d. Gesch. der Philosophie I, 131953, bes. et de St. Th. d'Aq., Tokio 1968; s. außerdem die bei S. 347-404 u. 10 -124*; F. DIRLMEIER, Z. gegenwärti, Bd. 2, S. 386 genannte Lit. - Averroismus: gen Stand der A.-Forsch., Wiener Stud. 76 (1963) 54 K. WERNER, Der A. in d. christl.-peripatet. Psychologie

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Bruder Aristotiles - Der arme Hartmann

d. späteren MAs, WSB 98/1, 1881, S. 175-320. - Mal. A.-Kommentare: A.J.C.P. SMET, Initia commentariorum, quaestionum et tractatuum latinorum in Aristotelis libros De anima, saeculis XIII, XIV, XV editorum. Pro manuscripto, Löwen 1963; C.H. LOHR, Medieval Latin Aristotle Commentaries, Traditio 23 (1967) 313 bis 413; 24 (1968) 149-245; 26 (1970) 135-216; 27 (1971) 251-351; 28 (1972) 281-396; 29 (1973) 93-197; 30 (1974) 119-144; A. ZIMMERMANN, Verzeichnis ungedruckter Kommentare z. Metaphysik u. Physik des A. aus d. Zeit von etwa 1250-1350, I (Stud. u. Texte z. Geistesgesch. d. MAs 9), 1971. - Heterodoxer Aristotelismus: F. VAN STEENBERGHEN, Siger de Brabant d'apres ses oeuvres inedits, 2 Bde., Löwen 1931/1942. A.-Verbote: GRABMANN, I Papi del Duecento e l'Aristotelismo I: I divieti ecclesiastic! di Aristotele sotto Innocenzo III e Gregorio IX (Misc. Historiae Pontificiae V, coll. n. 7), Rom 1941. - A. als Autorität: M. GRABMANN, A. im Werturteil des MAs, in: Mal. Geistesleben II, 1936, S. 63-102 (Lit.). - A. zugeschriebene Werke: A. BIRKENMAJER, Classement des ouvrages attribues ä Aristote par le moyen-lge latin (Prolegomena in Aristotelemlatinum l),Krakau 1932.-4. A.-Rez e p t i o n in D e u t s c h l a n d : Allg. Lit.: F. EHRLE, D. Sentenzenkommentar Peters v. Candia, des Pisaner Papstes Alexander IV,.., 1925; GRABMANN, D. Anteil Dtld.s am Aristotelismus d. MAs, in: Mal. Geistesleben III, 1956, S.219-231. - Einzelnes: V. ROSE, Aristoteles de lapidibus u. Arnoldus Saxo, ZfdA 18 (1875) 321^55; G. RITTER, Stud. z. Spätscholastik II: Via antiqua u. via moderna an d. dt. Univ.n d. 15.Jh.s, HSB 1922/7; G. HEIDINGSFELDER, Albert v. Sachsen ..., (Beitr. z. Gesch. d. Philos. d. MAs 22, H. 3-4),21927; A. LANG, Heinrich Totting v. Oyta (Beitr. z. Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs 33, H.4-5), 1937 (z. Wiener Univ.); E. ISERLOH, D. Nominalismus ..., in: Hdb. d. Kirchengesch., hg. H. JEDIN III 2,1968, S. 425-438. - 5. A. in der dt. Lit. des MAs: I) Ü b e r s e t z u n g e n : P. LEHMANN, Gerwin v. Hameln u. d. Andreasbibl. in Braunschweig, ZfB 52 (1935) 565-586; STAMMLER, Prosa, Sp.l020f., 1042,1044;G. Eis, Mal. Fachprosa d.Artes, in: DPhiA2!!, 1960, Sp. 1123-1216, hier Sp. 1123,1149, 1209f.; F.J. WORSTBROCK, Z. Einbürgerung d. Übers, antiker Autoren im dt. Humanismus, ZfdA 99 (1970) 45-81. - A. u. Platon - Dialog: K. BRETHAUER, Texte aus d. Umkreis Meister Eckharts im Haag, ZfdA 92 (1963) 158-164.-II) A . - E r w ä h n u n g e n u n d Z i t a t e : Inhalt u. Aufbau dieses Abschnitts entstammen größtenteils einem ungedruckten Aufsatz von W. STAMMLER, A. in der Volksphantasie d. dt. MAs, 1960/61, Ms. im Stammler-Nachlaß (Dr. E. Roth, Hösbach/ Bahnhof), a) A. als Autorität: W. STAMMLER, A. u. d. Septem Artes Liberales im MA, in: Fs. H. Lützeler, 1962, S. 196-214. - A. als Christ: GRABMANN, Mal. Geistesleben II, 1936, S. 92-100; B. BISCHOFF, Eine mal. Ovid-Legende, Hist. Jb. 71 (1952) 268-273, hier S. 269 (Lit.). - c) A. als Ethiker: V. LOSSKY, Theologie negative et connaissance de Dieu chez Maitre Eckhart

(Etudes de Philosophie Medievale 48), 1960, S.371 et passim; E. VON IVANKA, Vom Platonismus z. Theorie d. Mystik, in: Altdt. u. altndl. Mystik, hg. v. K. Run (WdF 23), 1964, S.35-71, hier bes. S.35ff., 39ff. d) A.s Seelenlehre: SMET s. o. 3 (Kommentare); R. RUDOLF, Ars moriendi (Forschungen z. Vk. 39), Köln/Graz 1957; G. STEER (Hg.), Johannes Wenck v. Herrenberg, Von der sei (WPM 3), 1967, S. 14; M. GIELE/F. VAN STEENBERGHEN/B. BAZÄN (Hgg.), Trois commentaires anonymes sur le traite de l'ame d'Aristote, Philosophes medievaux XI, Löwen/Paris 1971. - f) A. als Pädagoge: W. HERTZ, A. in den Alexanderdicht.n d. MAs (Abh. d. philos.-philol. Kl. d. Bayer. Ak. d. Wiss.), 1892/1, S. 1-104; R.A. WISBEY, Die A.rede bei Walter v. Chatillon u. Rudolf v. Ems, in: R. A.W., D. Alexanderlied R.s v. E. (Phil. Stud. u. Qu. 31), 1966, S. 100 bis 108. -g) A. als naturwiss. u. medizinische Autorität: L. THORNDIKE, A History of Magic and Experimental Science,4 Bde., New York/London 1923-1934, passim, s. Reg.; W. KROLL, Z. Gesch. der ar. Zoologie, WSB 218/2, 1940; Fs. G. Eis, 1968, passim (s. Reg.). - h) A. als Zauberer u. Wahrsager: J. BOLTE (Hg.), Georg Wickrams Werke, 4. Bd. (StLV 230), 1903, S. 311, 317f.; L. THORNDIKE (s.o.), passim; G. Eis (Hg.), Wahrsagetexte d. späten MAs (TspMA 1), 1956, S. 14. - i) A.-Sprüche: A. SPAMER, Z. Uberl. d. Pfeifferscheri Eckeharttexte(PBB34(1909)307-420,hierS.351;ders., Über d. Zersetzung u. Vererbung in d. dt. Mystikertexten, Diss. Gießen 1910, S. 243; W. SCHMIDT (Hg.), Die 24 Alten Ottos v. Passau (Palaestra 212), 1938, S. 118 bis 120.

VOLKER HONEMANN

Pseudo-Aristoteles ->· 'Secreta secretorum' Bruder Aristotiles Prediger des 14.Jh.s, nur bekannt durch Zitate in der Hs. Berlin, mgq 191, 360r bis 361r, 365r-366r (um 1400), die einen bilderreichen Ausdruck und die Neigung zum Exempel zeigen. Gedr. F. PFEIFFER, Germ. 3 (1859) 234; W. STAMMLER, ZfdPh 55 (1930) 291 f. (nur kurzes Dictum). WOLFGANG STAMMLER (f) 'Aristotilis Heimlichkeit* -> 'Secreta secretorum' Der arme Hartmann l. ich arme Hartman (H.) nennt sich (mit dem m/ser-Epitheton der Demutsformel) v. 3737 der Verf. einer rede... von deme heiligen gelouben (v. 3738; vgl. v. 58 [= 'RGl']) und eines darin zitierten (v. 1627-40), ver-

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Der arme Hartmann

lorenen 'Jüngsten Gericht'. H. besitzt Latein- und theologische Kenntnisse, scheint sich aber nicht zu den pfäffen und pristern zu rechnen (v. 16; 1115 f.); er zählt daher zu den ersten dt. religiösen Laiendichtern. Daß er Konvers-(Laien-)bruder war, ist eine (allerdings naheliegende) Hypothese. H. schreibt ze lere den tumben (v. 22): für einen auch bei anderen geistlichen frühmhd. Dichtungen zu erschließenden Kreis religiös interessierter adliger Laien, am ehesten zur Vorlesung vor Konversbrüdern. 2. Die Datierung der 'RGl' schwankt zwischen 1140/60. Zur Datierung evtl. vor der —> 'Kaiserchronik' s. u. 9. H.s Sprache wurde aus Wortschatz und Reimgebrauch als md. (VON DER LEYEN), thüringisch (BRUCH), rheinfränkisch (G. THIELE, ZfdA 77 [1940] 64f.) bestimmt; westmd. Eigenheiten überwiegen. 3. Ü b e r l i e f e r u n g . Straßburger Hs. aus Molsheim, um 1187, rhfrk. Schreibart, l'-9v, 1870 verbrannt. Bl. 8 mit ca. 400 vv. fehlte, daher in allen Editionen Sprung von v. 3225 auf v. 3625. 4. A u s g a b e n . H. F. MASSMANN, Dt. Ged. d. 12. Jh.s u. d. nächstverwandten Zeit, Quedlinburg u. Leipzig 1837 (Neudr. 1969), S. 1^2 (sehr gewissenhaft; vgl. E. SCHRÖDER, GGN [1928] 148-160, bes. 153); F. VON DER LEYEN, Des a. H. 'RGl'. Eine dt. Reimpredigt d. 12. Jh.s (German. Abhh. 14), 1897 (starke Texteingriffe; Annahme eines Interpolators); MAURER II 573-628(s. u. 7).

5. Die 'RGl' ist der äußeren Struktur nach eine Auslegung (vgl. v. 23 f.) der damals nur in der Sonntagsliturgie (v. 14) gebräuchlichen nizäno-konstantinopolitanischen Fassung des 'Credo'. Durch Prolog (v. 1-54; Begründung des Vorhabens; Gebet z. Hl. Geist) und Epilog (v. 3709-3800; Bitt- und Lobgebet zu Christus) gerahmt, gliedert sie sich nach den jeweils auch lat. zitierten 'Credo'-Artikeln. Hauptteile: I Pater v.55 bis 178 - II Filius v. 179-1641 - III Spiritus Sanctus v. 1642-3630 - IV 'Schlußartikel' v. 3631-3708. Detailliertes Gliederungsschema RUPP, S. 173-177. H. bietet geläufiges Gedankengut, jedochverglichen mit lat. 'Credo'-Exegesen - in eigenständiger Auswahl und Anordnung. Die 'RGl' ist durch den Gedanken bestimmt, daß dem credendum, der Zuwendung des othmutigen Gottes zum Menschen in Schöp-

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fung, Erlösung und Sakramenten (T. I -+- II), das credere entsprechen solle, d.h. die durch das Wirken des Hl. Geistes in der Seele und der Kirche initiierte geloubige (fides; RUPP, S. 185), getruwe (spes; RUPP, S. 193), tätig auf Gottes ere bedachte (caritas; RUPP, S. 186) Zuwendung des Menschen zu Gott (T. III + IV; prologartiger Neuansatz von III: v. 1649-56). Dieses (überwiegende) moralisch-paränetische Anliegen durchkreuzt die (in lat. Auslegungen selten verlassene) dogmatische Ebene des 'Credo' als des konzentriertesten Kerygmas der Heilswahrheiten. Eine Verbindung von theologisch-klerikaler Dogmatik und religiös-laikaler Lebensorientierung lag vom Stand des Autors und des Zielpublikums nahe. Schon die vv. 1-12 bringen das Gottesminne- und Gehorsamsgebot direkt mit dem Heilsstand des Menschen (gote geeichenot) in Verbindung; der Artikel ascendit in ccelum gliedert sich in das Bild des Pantokrators einerseits (v, 1448-80) und die entsprechende Huldigung seiner holden andererseits (v. 1481-1542; vgl. v. 75-124 mit 125-178) usw. Aus solcher Grundkonzeption erklärt sich die auffällige Knappheit von Teil I und IV und das große Gewicht von II und III: Der intensivsten Gottesnähe in Jesus entspricht die intensivste Hingabe des Menschen im Befolgen der Räte des Hl. Geistes.

6. Gegenüber der lange herrschenden Deutung der 'RGl' als reiner contemptusrawwi//-Dichtung eines an seiner Sündhaftigkeit leidenden 'asketischen Fanatikers' (DE BOOR, LG I 182) betonen vor allem RUPP und WEBER den Optimistischen Zug' gläubiger Zuversicht. Aus der Einsicht des Menschen in seine conditio als eines sündigen und begnadeten Wesens folgen die Haltungen der othmute u n d des getruwens; stärker als auf streng asketische Forderungen (v. 2991 ff., 3170ff.), die nicht für alle verbindlich sind (vgl. v. 3132), wird auf die Gesinnung in dem herzen innicliche (v. 594 u. ö.) abgehoben. Der dritte Rat des Hl. Geistes wird zwar in Form einer 'Sündenklage' exemplifiziert; weit mehr Raum aber als das confiteor(v. 1769-1836) nimmt die (im Genre verankerte) vertrauende Berufung auf die Rettung je dreier männlicher und weiblicher Erzsünder ein (v. 1837-2357). Die Darstellung dieser Exempel wiederum ist auf die Kontrastierung extrem 'armer' mit extrem 'erbarmten' Lebensstadien verdichtet, usw. Wenn dem vielzitierten Bild des luxuriösen Ritters (v. 2406-98) unmittelbar H.s noch öfter zitierte Variation des memento mori folgt, ergibt sich

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Der arme Konrad

als Fazit nicht Weltentsagung, vielmehr die Warnung, in der werlt zu luzzil des sceffere zu gedenken (v. 2470f.) und so in ubirmut (v. 2548-56) und unmaze (v. 2495) von der warheite abzustehen (v. 272).

7. Diese Korrespondenzen bestimmen die weithin in blockhaft-symmetrischen Entsprechungen bestehende und durch Refrain, überlange Zeilen usw. markierte formale Struktur der 'RGl' bis in die Parallelisierung einzelner Kola und die Verwendung antithetischer Wortpaare hinein. Statt wie bisher in paarweise gereimten Kurzversen (ca. 65% reine Reime) gab MAURER auch die 'RGl' in 'binnengereimten Langzeilen' und 'ungleichzeiligen (Laissen-)Strophen' (meist 5-11 Zeilen) heraus (ablehnend W. SCHRÖDER, PBB [Tüb.] 93 [1971] 109-138). H. stellt sich in die Tradition des sermo humilis (v. 424 f.: ich und andre tumberi). Einerseits undekorative Sprache, Vorliebe für Wiederholung fester Formeln und eines eng begrenzten Adjektiv-Vorrats, andererseits Wechsel von Darlegung, Erzählung, Schilderung, Gebet, Klage in Ich- und Selbstanklage in DuForm (v. 2388ff.), Distanzierung des Autors von der Hörerschaft (/>, tu v. 13, 64) und Einbeziehung in sie (wir, uns v. 1128ff. u.ö.) kennzeichnen den sachlichen, nicht uneindringlichen Stil der genremäßig schwer einzuordnenden 'RGl' (vgl. U. HENNIG, in: Stud. z. frühmhd. Lit. [Cambridger Colloquium], 1974, S. 147-149; RUPP : 'gereimter Traktat').

8. Die 'RGl' ist überwiegend dem im liturgischen und homiletischen Bereich vermittelten elementaren Form- und Gedankengut verpflichtet (NAUMANN), kaum dem theologisch-gelehrten Schrifttum. Die direkte Herkunft der relativ zahlreichen lat. Einschübe ist großenteils unbekannt. An unmittelbaren Quellen konnte über die Bibel und liturgische Texte hinaus immerhin auch eine lat. poetische Vorlage (Hildebert von Lavardin, 'De s. Maria Aegyptiaca') und zugleich ihre sehr überlegte Um- und Eingestaltung in der 'RGl' nachgewiesen werden (KUNZE). 9. VON DER LEYENS Argumente für eine Wirkung der 'RGl' auf die 'Kaiserchronik' sind in ihrer Allgemeinheit nicht beweiskräftig. Dasselbe gilt für von I. OCHS aufgewiesene Parallelen zu -» Wolframs 'Willehalm' (W.s 'Willehalm'-Eingang im Lichte frühmhd. geistl. Dichtungen, 1968, S. 15, 56,58,111). L i t e r a t u r . Bibliographie bei MAURER, Rel. Dicht. II569-572. - GRÜNEWALD, Lat. Einschiebsel, S.21-25;

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J. BRUCH, Z. Sprache d. 'RGl' d. a.H. Lautlehre, Formenlehre u. Wortschatz nach d. Reimen (Prager dt. Stud. 17), Prag 1910; W. SCHRÖDER, D. Geist v. Cluny u. d. Anfänge d. frühmhd. Schrifttums, PBB 72 (1950) 321-386, bes. 333-343; H. RUPP, Dt. rel. Dicht.n. d. l l . u . 12.Jh.s, Bern-München 1958 (21971), S. 134 bis 216; H. H. WEBER, Stud. z. dt. Marienlegende d. MAs am Beispiel d. Theophilus, Diss. Hamburg 1966, S. 24-40; K. KUNZE, Stud. z. Legende d. hl. Maria Aegyptiaca im dt. Sprachgebiet (Phil. Stud. u. Qu. 49), 1969, S. 55-58 u. Reg.; G. MEISSBURGER, Grundlagen z. Verständnis d. dt. Mönchsdicht, im 11. u. 12. Jh., 1970, S. 192-196 u. Reg.; D. WALCH, Caritas. Z. Rezeption d. 'mandatum novum' in altdt. Texten (GAG 62), 1973, S. 51-58, 69f.; B. NAUMANN, Ein- u. Ausgänge frühmhd. Ged. u. d. Predigt d. 12.Jh.s, in: Stud. z. frühmhd. Lit. (Cambridger Colloquium), 1974, S.37-57; H. WENZEL, Frauendienst u. Gottesdienst (Phil. Stud. u. Qu.74), 1974.

KONRAD KUNZE

Der arme Konrad In dem Donaueschinger cod. 104 nennt sich als Dichter des schwankhaften Märes Trau Metze' der arme Kuonrat, während die gesamte jüngere Überl. ihn (irrtümlicherweise, weil sich die Handlung in Würzburg abspielt) als —» Konrad von Würzburg angibt. Nach NIEWÖHNER (*VL V 534f.) ein Nordelsässer oder Rheinpfälzer, nach FISCHER (wegen genauer Lokalkenntnisse) ein Würzburger (S. 197). Unter dem Epitethon arm verbirgt sich vielleicht die verdeckte Lohnheische eines wandernden Berufsliteraten; vgl. die Trunkheische im Epilog (Liedersaal II, v. 475 ff.). FISCHERS Datierungshypothese: 2. Hälfte d. 14.Jh.s (S. 197). Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod. 104, (-+'Liedersaal-Hs.'), 166ra-169ra; München, cgm 379, 45V-52V; Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, cod. b IV 3, 51" bis 60V; München, cgm 270, 85v-92r; Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Hs. des Valentin Holl (Paul-WolfgangMerkelsche Familienstiftung), 84v-86r. A u s g a b e n . Liedersaal II 637-651 (nach Donaueschingen); G A I 193-205 (nach Liedersaal); I. SAROVOL'SKIJ, Sest' svankov, Kiev 1913, Nr. 3, S. 40-67; NGA I 70-83.

Als ein Rendezvous zwischen einer verheirateten Frau und einem Domprobst scheitert, besorgt die alte Kupplerin als Liebhaber für die Frau versehentlich deren Mann. Diese rettet sich listig, indem sie ihn mit Vorwürfen über seine Absichten über-

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Arnald von Villanova

häuft. Der Text war Quelle des Fasnachtspiels -»'Domherr und Kupplerin'. Motivverwandt ist das Schwankmäre —»· 'Schampiflor'. L i t e r a t u r . M. LANDAU, D. Quellen d. Dekameron, 1869,21884 (Nachdr. 1971), S. 88; W. STEHMANN, D. mhd. Novelle vom Studentenabenteuer (Palaestra 67), 1909, S. 179f.; B. BARTH, Liebe u. Ehe im afrz. Fablel u. in d. mhd. Novelle (Palaestra 97), 1910, S. 264f.; K. HUFELAND, D. dt. Schwankdicht, d. Spä'tMAs (Basler Stud. 32), 1966, S. 117f.; FISCHER, Stud., S. 164 Anm. 98, 197, 332 Nr. 72, 432f.

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Armut des Geistes' -»· 'TaulerCantilenen' Arnald von Villanova

Das literarische Werk des berühmten Katalanen, der 1311 auf einer Seereise nach Genua starb, umfaßt mehr als 40 Titel, zu denen etwa das Doppelte an untergeschobenen Schriften kommt. Der Einfluß auf die dt. Fachprosa des SpätMAs war nachhaltig, ist in seinem Umfang aber noch nicht abgegrenzt. 1. Das zeigt sich deutlich am 'Regimen s a n i t a t i s a d regem Aragonum', das zu den bestgesicherten Schriften des Katalanen zählt. Der Text war in span, und ital. Übersetzungen verbreitet, hat sich dt. aber erst in zwei Kapiteln (2,18) der 'Regel der Gesundheit' nachweisen lassen, wo er frgm. einer Bearbeitung der 'Gesundheitslehre' -> Konrads von Eichstätt eingesprengt ist (STRAUSS, S. 13-15; KOCH/KEIL, S.361). 2. Nachhaltiger war der Einfluß des 'Liber de vinis', der in Afrika entstand, 1358 ins Hebräische übersetzt wurde und auch in altdt. Fassungen umlief. Eine ndfrk. Übertragung stammt spätestens aus den Jahren um 1400 und wurde gegen 1450 - vielleicht im ndsächs. Grenzgebiet - überarbeitet und gestrafft. Die hd. Version -»•Wilhelms von Hirnkofen bietet wie die ndfrk. Fassung nur eine Teilübers., erlangte ihre weitreichende Bedeutung indessen durch die Drucke: der Eßlinger Erstausgabe von 1478 folgten zehn Inkunabeln und bis 1550 mindest ebensoviele Frühdrucke. Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., Loan 29/332, 2. H. 14.Jh., nordnd.sächs. mit ndfrk. Einschlag (P);

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Leiden, ÜB, Bibl. publica lat. 2557, ndfrk., um 1425; Zutphen (Z); Gent, ÜB, Hs. 1457, i72M77v, südwestgelderländisch, 2.H. 15.Jh. (G); die 21 HirnkofenDrucke verzeichnet SUDHOFF, S. 134-138; vgl. KLEBS, S. 57f. (GW 2537-2547). Ausgaben.DAEMS,S.94-99(Z);BRAEKMAN,1968, S. 105-133 (G); BRAEKMAN, 1974, S. 283-318 (P); SIGERIST gibt das Faksimile des Eßlinger Erstdrucks von 1478.

3. Zu den verbreitetsten Pseudoarnaldica zählt die 'Epistula ad Ricardum d e v i r t u t e qu er cu s', die-ausgangs des 14. Jh.s wahrscheinlich in Deutschland verfaßt - ab 1413 in zahlreichen Abschriften begegnet und 1496 in Memmingen unter die Presse kam; bisher sind 32 lat. Textzeugen des 15. und 16. Jh.s gebucht. Der kleine WunderdrogenTraktat befaßt sich mit Pharmakologie und Magie von Eiche und Eichenmistel; er wurde mehrfach ins Deutsche übersetzt, vom Kompilator des -> 'Eichentraktats' ausgeschrieben und läßt sich in vorerst sechs altdt. Fassungen belegen. Ü b e r l i e f e r u n g . 1. l a t e i n i s c h e : 9. Hss. bei THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp. 125, 1191, 1358. Weitere lat. Überl. [großenteils mitgeteilt von L. GARCI'A BALLESTER]: Berlin, mlf 174, 171r-172v; mlf 926, 322V bis 323"; Breslau, ÜB, I F 334, 292v-293r; III F 20,138r bis 140r; III F 30, 283V-284V; Deventer, StB, Hs. I, 107, 258rv; Graz, ÜB, Hs. 1609, 306r-308v; Heidelberg [z. Zt. Rom, Bibl. Apostolica Vaticana], cpl 1123, 166r bis 167V (um 1530); cpl 1279,182M83r [bietet nur das erste Kap.]; Kopenhagen, Kgl. Bibl., gamle kongelige Sämling, 1658 in 4°, 136'-13T; Leiden, ÜB, Vossianus chym. in 8° 6, 133r-135v; Leipzig, ÜB, 841, 7V-8V; München, clm 4634, 151r-152r; clm 5613, 212v-213r; clm 5905, 42r-43v; clm 7660, 212v-214r; Prag, ÜB, cod. 1144, 142M43V; Prag, Metr.-Kap., cod. 1518, 168r bis 169V; Stuttgart, LB, cod. HB XII 5, 122r-123r [Anfang abweichend, Text umgestellt]; Upsala, ÜB, C 180, 324IV; Wien, cod. 9530, 65r-68r; Zürich, Zentralbibl., A 161, 84V-85V; 'Tractatus descriptionum morborum', Memmingen: Albrecht Kunne 1496, b 4r (GW 8255). 2. d e u t s c h e : [Übers. A:] Hamburg, ÜB, cod. med. 801, S. 273-278 (ndalem., 1500); [Übers. B:] Göttingen, SB, cod. hist. nat. 42, 40r-43v (nürnbergisch, um 1500); [Übers. C:] Leipzig, C. 278, 229V-230V (hd., 1. H. 15. Jh.); [Übers. D:] Utrecht, ÜB, 237 (olim l H 14), 35rv (nordnd.sächs. mit ndfrk. Einschlag, 2. H. 14.Jh.); [Übers. E (briefl. H. BROSZINSKI):] Kassel, Murhardsche Bibl., cod. med. 8° 2, 29V-31V (Kröpelin, um 1510); [F:] eine Bearbeitung liegt vor in Hs. 1,107 (olim 111 E 5) der StB Deventer, 258v-259r (Deventer, 1474). A u s g a b e n . KNAPP, S. 40-45 (Übersetzung A);

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Arno von Reichersberg

TELLE, S. 44—50 (Übers. B zusammen mit der von L. SCHUBA ebd. erstellten Edition des lat. Textes auf Grundlage von cpl 1123). Eine Ausg. von D und F wird durch R. JANSEN-SIEBEN vorbereitet.

4. Aufs dt. Schrifttum ausgestrahlt hat auch die nicht minder verbreitete pseudoarnaldische 'Epistula de sanguine', die den greisen Arnald sein Geheimnis vom destillierten Menschenblut einem Freunde preisgeben läßt. Der fingierte Brief hat mehrere ähnliche Texte beeinflußt, darunter den lat. 'Blutkraut-Traktat', der wie die 'Epistel' eine Elemententrennung fordert und in Anton ->· Trutmanns 'Arzneibuch' dem fingierten Schreiben angehängt ist. Ü b e r l i e f e r u n g . 12 (19) Hss. der 'Epistula de sanguine' (14. und 15. Jh.) verzeichnet ROMSWINKEL, S. 14f. Zu den späteren Druckausg.n vgl. PAYNE, S. 432. - Der 'Blutkraut-Traktat' ist in Hs. XI 61 in 8° der Berner Burgerbibl., 18V-19V, erhalten. A u s g a b e n . PAYNE, S. 433-^35 (eine Hs. des frühen 15.Jh.s); SUTTERER, S. 89-93 ('Epistula' und 'Blutkraut-Traktat' aus Anton Trutmanns 'Arzneibuch'). ROMSWINKEL bereitet eine Edition der 'Epistula' vor.

Die hier freigelegten Traditionsstränge machen nur einen Bruchteil der dt. A.-v.-V.Überlieferung aus. Vieles ist noch nicht gesichtet, und manches hat erst bei zufälligem Hinsehen sich als arnaldisch entpuppt. Kennzeichnend für die schwierige Zuweisung sind die A.-Artikel der ersten Auflage des VL, die unsern Autor als 'Arnald von Montpellier' bzw. 'Meister Arnulf führen, ohne in ihm den berühmten Katalanen zu erkennen (Eis). L i t e r a t u r . J.F. PAYNE, A.d.V.N. on the Therapeutic Use of Human Blood, Janus 8 (1903) 432-435, 477-483; K. SUDHOFF, Dt. med. Inkunabeln, 1908; A. C. K.LEBS, Incunabula scientifica et medica, Osiris 4 (1938) 1-359 ;H.E.SiGERisT(Hg.), The Earliest Printed Book on Wine, by A. of V., New York 1943; A. KNAPP, Thomas v. Wasserburg, ein obd. Wundarzt u. Apotheker d. 15.Jh.s, Diss. (masch.) München 1954; W. F. DAEMS, Ein mnd. Frgm. d. 'Liber de vinis' d. A. v. V., Janus 47 (1958) 87-100; G. Eis, Artikel, d. im VL zu streichen sind, Archiv 198 (1961) 38-40; P. STRAUSS, A.v. V. dt. unter bes. Berücksichtigung d. 'Regel d. Gesundheit', Diss. Heidelberg 1963 [1965]; M. P. KOCH/G. KEIL, D. spätmal. Gesundheitslehre d. 'Herrn Arnaldus von Mumpelier', Sudhoffs Arch. 50 (1966) 361-374; W. L. BRAEKMAN, A Middle Dutch Version of A.v.V.s 'Liber de vinis', Janus 55 (1968) 96-133; KEIL, Zauberpflanzen u. Wunderdrogentraktate, Leuv. Bijdr. 57 (1968) 165-175, hier S. 175; J. TELLE, Altdt.

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Eichentraktate aus med. Hss., Centaurus 13 (1968) 37-61; H. J. ROMSWINKEL, 'De sanguine humano destillato'. Med.-alchem. Texte d. 14. Jh.s über destilliertes Menschenblut, Diss. Bonn 1974; W. L. BRAEKMAN, Het 'Liber de vinis' van A. d. V. in het Mnl., VMKVA (1974) 275-318; R. SUTTERER, Trutmanns 'Arzneibuch', Diss. Bonn 1976; A. de V. Opera omnia ed. L. GARCIA BALLESTER, J. A. PANIAGUA et M. R. McVAUGH, Iff., Granada u. Barcelona 1975ff.

G. KEIL Arno von Reichersberg 1. Leben. Geb. um 1100 in Polling (Obb.). Über Herkunft und Stand der Familie ist nichts Genaueres bekannt. Alle namentlich genannten Brüder A.s wählten den geistlichen Stand. Er selbst trat um 1124, dem ältesten Bruder -»Gerhoch folgend, in das Chorherrenstift Rottenbuch ein. 1132 wurde Gerhoch von Erzbischof Konrad von Salzburg als Propst nach Reichersberg berufen; A. zog gleichfalls dorthin und bekleidete das Amt des Dekans. Er wird der getreue Mitstreiter seines Bruders in den Kämpfen um die Reform des Klerus und in den christologischen Auseinandersetzungen. In der Öffentlichkeit erscheint A. als aktiver Kämpfer in der Zeit des Dogmenstreites mit Folmar von Triefenstein über die Christus als Menschensohn zukommende Verehrung (s. CLASSEN, S. 248-272). Nach Gerhochs Tod 1169 wird er von den Mitbrüdern zum Propst gewählt (Reichersberger Annalen, MGH SS XVII 490). Ein Brief Papst Alexanders III. (ibid. 496 f.) bestätigt A. Standhaftigkeit im katholischen Glauben, ohne jedoch die Position der Reichersberger in dem Dogmenstreit direkt zu rechtfertigen. Nach sechs Amtsjahren starb A. am 30.1.1175. 2. Werke. Die enge Zusammenarbeit mit dem Bruder findet in A.s literarischem Schaffen ihren Niederschlag. Er selbst bezeichnet sich dabei mit übertriebener Bescheidenheit als nur ausführendes Organ Gerhochs. In der Liste der Werke A.s bei CLASSEN, S. 325-348, wird daher auch das 'Hexaemeron' zu den 'unter Gerhochs Mitwirkung verfaßten Werken' gezählt.

a) A.s erstes, um 1146 entstandenes Werk, das 'Scutum canonicorum', entstammt dem Streit um die Reform des

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Arno von Reichersberg

Klerus. Wenn A. die vorbildliche Lebensweise der Regularkanoniker herausstellt und gegen die Überheblichkeit der Zisterzienser und Prämonstratenser zu Felde zieht, so erkennt er doch die Verdienste der Mönche an und ist eher auf einen Ausgleich zwischen der Vita activa und contemplativa bedacht. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 633, 26v-61r; St. Florian, Stiftsbibl., cod. 82, 102r-108v (unvollständig). A u s g a b e n . DUELLIUS, Miscellanea I, 1723, S. 3-54 (= PL 194, Sp. 1489-1528). Eine etwas veränderte Fassung des 'Scutum', welcher der Prolog, in dem A. sich selbst nennt, sowie der Schluß fehlen (PL 188, Sp. 1091-1118), wurde -»Anselm von Havelberg zugeschrieben, doch ist die Identität mit dem 'Scutum' A.s unzweifelhaft.

b) Zwischen 1145 und 1150 redigierte A. 35 von Gerhoch gehaltene Predigten (Wien, cod. 1558). In einem einleitenden Traktat beschreibt er die Schwierigkeiten der Übertragung vom gesprochenen zum geschriebenen Wort (Auszug bei CLASSEN, S. 429f.). c) Die Abfassungszeit des 'Exameron Arnonis' liegt ungefähr zwischen 1150 und 1160. Es ist das umfangreichste Hexaemeron des MAs vor Bonaventura. In der Auslegung werden die sechs Schöpfungstage und der Sabbat auf die sieben Geistesgaben (Is 11, 2-3) bezogen. A. führt seine Erklärung im Blick auf die drei Personen der Trinität nach drei Schriftsinnen durch, dem sensus litteralis, allegoricus (physicalis et moralis) und tropologicus. Aufsteigend vom wörtlichen Sinn der Schilderung des Sechstagewerks gelangt A. beim tropologischen zu dem für ihn vornehmsten Sinn: Christus. In den naturphilosophischen Abschnitten, besonders in den Teilen des sensus litteralis, benützt A. die 'Clavis physicae' des -> Honorius Augustodunensis. Bei der tropologischen Erklärung, in der das Wirken des Hl. Geistes im Heilsgeschehen beschrieben wird, zeigt sich A., wie die Reichersberger auch in vielen anderen Werken, von der Geschichtstheologie -»Ruperts von Deutz beeinflußt; er exzerpiert aus dessen Schriften ganze Teile.

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ein Hymnus, der Christus als Schöpfer preist und im ganzen als geraffte Rekapitulation des Hexaemeron anzusehen ist. A u s g a b e , H . PFEIFFER/B. CERNIK, Catalogue Codd. mss. qui in bibliotheca can. reg. S. Augustini Claustroneoburgi asservantur, Bd. 2, 1931, S.97f.

e) Aus dem Streit mit Folmar von Triefenstein stammt der zwischen 1163 und 1165 verfaßte 'Apologeticus contra Folmarum'. Das zentrale Problem der Auseinandersetzung ist die Frage der Einheit der beiden Naturen Christi und, damit verbunden, die nach der ihm als Menschensohn zukommenden Verehrung. A. verteidigt die Auffassung der Reichersberger, daß der Mensch Christus wahrhaft Gott sei und doch die menschliche Natur nicht etwa nur angenommen habe. Den Lehrsatz minor patre secundum humanitatem legt er so aus, daß er auf den Menschen Jesus Christus nicht den allgemeinen Begriff hutnanitas bezogen sehen will: Die Bezeichnung homo assumptus weise bereits auf die Besonderheit der menschlichen Natur Christi hin. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 1439, eine 1616 angefertigte Abschrift einer verlorenen Raittenhaslacher Hs., die auch einen Anhang von Briefen Folmars, Gerhochs und anderer enthielt. A u s g a b e n . PL 194, Sp. 1529-38 (nur Prolog, Widmungsbrief und Anfang d. Schrift), nach P. STEVART, Tomus singularis insignium auctorum, Ingolstadt 1616, S. 422-426, dem noch die verlorene Hs. vorlag; vollst. Ausg. nach d. Abschrift von 1616 von C. WEICHERT, Arnonis Reicherspergensis Apologeticus contra Folmarum, 1888.

Ü b e r l i e f e r u n g . Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 336 (12.Jh.), lr-153r.

f) Als ein unter Beteiligung A.s geschriebenes Werk ist Gerhochs 'De investigatione Antichristi' zu nennen; A. bezeichnet es im Hexaemeron als nostrum opus. A.s Anteile liegen vor allem im zweiten Buch dieser Schrift, in dessen naturkundlichen Komponenten. 3. A.s Ausführungen über das Wirken des Heiligen Geistes in der Geschichte zeigen Anklänge an die Geschichtstheologie Joachims von Fiore. Eine unmittelbare Beziehung besteht indes nicht. A.s Werk hatte wie das seines Bruders keine erkennbare Nachwirkung auf die Theologie des MAs.

d) Im Anschluß an das Hexaemeron findet sich in der Klosterneuburger Hs. (153r/v)

L i t e r a t u r . J. BACH, Dogmengeschichte d. MAs vom christologischen Standpunkt, Bd. l, 1873, S.443

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Meister Arnold von Aachen - Arnold von Berge und Nienburg

bis 451, Bd. 2,1875, S. 582-722; E. M. BUYTAERT, The Apologeticus of A. of R., Franciscan Studies (1951) 49-67; J. Mois, D. Stift Rottenbuch i. d. Kirchenreform d. XI.-XII. Jh.s, 1953, S. 86-91 u. 118-121; P. CLASSEN, Gerhoch von Reichersberg, 1960; I. PERI, D. Hexaemeron A.s v. R., Jb. d. Stiftes Klosterneuburg N.F. 10

Eckharts und Johannes -* Taulers. Sie greift gerne zu volkstümlicher Bildhaf tigkeit: 'Gott pflügt die Seele, und Deine frommen Gedanken und inbrünstige Liebe legst Du als fest gebundene Garbe auf Gottes Wagen'. Singular ist die Nennung Philos von Alexandrien (der wise Jude F//ö), der zwar zu den Vätern der spekulativen Mystik gehört, aber, etwa ungleich Proclus, keine Zitatentradition in deutschen Texten aufzuweisen hat. L i t e r a t u r . PREGER, Mystik II 128f.; W. MUSCHG, Die Mystik in d. Schweiz, 1935, S. 185f. - Zum Inhalt u. z. Gesch. d. Hs. s. M. SCHMIDT, Rudolf v. Biberach Die siben strassen zu got (Spicilegium Bonaventurianum VI), Quaracchi 1969, S. 54*-66*.

K. RUH Arnoldus Saxo 1. A., Verfasser einer der ersten Enzyklopädien des 13. Jh.s, war nach dem von ihm selbst geführten Beinamen Saxo Niedersachse. Im Prologus zum 2. Buch tritt er in der Oxforder Hs. (19r: Postquam completus est a me Arnoldo Luca ...) als Arnoldus Lucas auf, so auch im Titeleintrag lapidarius Arnoldi Luce ... eines Erfurter Bibliothekskatalogs des 15.Jh.s (Mal. Bibl. Kat. II 20525), der ihn also nicht, wie LEHMANN (S. 61) wollte, nach Loccum (Luca) verweist. A. ist allein durch sein Werk bekannt. Nach dessen Quellen stand ihm eine größere moderne Bibliothek zur Verfügung. Er selbst war arm, wie er beklagt (S.9(?~6). Seine Schaffenszeit fällt entsprechend der Datierung seines Werks (s. u.) ins 2. Viertel des 13.Jh.s. 2. Der Titel 'Liber de f...bus (RosE, S. 336, liest finibus, LEHMANN, S. 61, nachj Mal. Bibl. Kat. II 3723f' wohl treffend floribus) rerum naturalium' in der Erfurter Hs. (l r ), kaum authentisch, bezeichnet die

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Enzyklopädie nur unvollständig. Sie gliedert sich in 5 Bücher, denen jeweils ein prologus vorangeht. Das erste, De celo et mundo, behandelt in 5 libri speciales Metaphysik und Kosmologie, Astronomie, Elementenlehre und Botanik, Metereologie und physische Erdkunde, Mineralogie. Das zweite, De naturis animalium, unterteilt wiederum in 5 libri speciales, hat die Physiologie des Menschen, der Vierfüßer, der Vögel, der Fische, der Reptilien zum Gegenstand. Das kleinere dritte Buch, De virtute universali, bespricht ungewöhnliche Eigenschaften des Menschen und wunderbare Kräfte der übrigen Kreatur, vor allem abergläubisch vermeinte Wirkungen von Tieren, Pflanzen, Steinen. Das vierte Buch, De virtutibus lapidum, beschreibt in seinem ersten Teil alphabetisch geordnet 81 Steine und deren Kräfte, im zweiten Arten geschnittener Steine (Siegel) und deren Kräfte. Das umfangreiche fünfte Buch schließlich, De moralibus, bietet eine in 5 libri speciales gegliederte Ethik. Die hier nach den Hss. gebotene Reihenfolge der 5 Bücher weicht von der Chronologie ihrer Entstehung ab. Laut A.s eigener Aussage im Prologus zum dritten Buch (De virt. univ.) ist dieses nach dem vierten, dem Steinbuch, verfaßt; STANGE ordnete entsprechend gegen die Überlieferung. Der Prologus zum 5. Buch, A.s letztes, vielleicht redaktionelles Wort zur Sache, gibt dem Ganzen indes die von den Hss. vertretene Ordnung. 3. Ü b e r l i e f e r u n g . Erfurt, Amplon. oct. 77, 14.Jh. (einzige vollst. Hs.); Lüneburg, Theol. 4° 20, 13.Jh., 89r-114r (Bücher 2 u. 3, zweiter Teil des 4.); Oxford, Bodl., ms. lat. misc. e. 34,13./14. Jh., lr-32v u. 34r-35v (Bücher 1-3, ohne die beiden ersten libri spec, von Buch l, Index auctorum); München, clm 19901,15. Jh., 89r-98r (Buch 3); Cambridge (Mass.), Havard Coll. Libr., ms. Riant 89, 13./14.Jh., 256'-272r (Buch 5). Sonderüberl. von Buch 4 (De virt. lap.): Erlangen, ÜB, cod. 388, 14. Jh., 147r-157r; Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 7475,13. Jh., 125r-140v; Prag, ÜB, cod. XI. C. 2,15. Jh., 238"-250r. Vgl. ROSE, S. 336. Das Collegium univ. Erfordiensis besaß nach d. Katalog d. 15. Jh.s eine Hs. d. Bücher 2-4 (?) und, gesondert, d. 5. Buches (vgl. Mal. Bibl. Kat. II 1398f u. 20525"28), d. Mainzer Dombibl. nach d. Katalog von 1654 eine Hs. d. 2. Buchs (vgl. F. FALK, D. ehemal. Dombibl. zu Mainz, 1897, S. 151). Ausgabe. Die Encyklopädie d. A.S., hg. v. E. STANGE, Progr. Erfurt 1905-07 (nach-d. Erfurter Hs.); Auszüge bei ROSE, S. 424-54.

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Arnoldi, Heinrich, von Alfeld

4. A.s Enzyklopädie ist, bis auf die Prologe, ohne jede eigene Zutat aus wörtlichen, häufig gekürzten Exzerpten kompiliert. Immerhin geht er so vor, daß er, wo über eine Sache verschiedene Meinungen bestehn, auch die Kommentatoren heranzieht. Seine Quellen hat er vor den ca. 1430 ausgezogenen Textstellen jeweils genannt, insgesamt 25 Autoren mit zusammen 80 Schriften. Im 5. Buch führen Cicero und Seneca, dessen 'Liber de moribus' (Ps. Seneca), vollständig aufgenommen, das Gesamtwerk beschließt. Im übrigen aber steht mit einem Drittel der Auszüge allen voran (Ps.) Aristoteles, den A. in griech.- und arab.-lat. Übers, benutzt. Die jüngste, die er kennt, ist die von 'De animalibus', die Michael Scotus um 1220 verfaßte. Sie bietet für A.s Werk den terminus post quem. 5. Spricht A. zum einen von einer geistlichen und moralischen Zielsetzung seiner Arbeit - Verachtung des Irdischen, Wegweisung zum guten Handeln usf. -, so doch auch von dessen praktischer Aufgabe, anderen für ihre schriftstellerische Arbeit das Wissensgut der auctoritates geordnet und bequem zugänglich zu machen, und so hat sein Werk auch gewirkt. Es gehört zu den Quellen des Vinzenz von Beauvais, der A. im 'Speculum naturale' (um 125Q), bes. in Buch 8, vielfach nennt und exzerpiert, trotz THORNDIKES Einspruch auch zu den Quellen -> Albertus' Magnus in 'De mineralibus' und 'De animalibus'. Für ->· Bartholomäus Anglicus bedürfte ROSES (S. 340-44) und STANCES (S. 65f.) Annahme eines Einflusses neuer Prüfung; für Thomas von Cantimpre ist sie nicht aufrechtzuerhalten. A.s Werk wurde durch größere und bedeutendere Enzyklopädien bald in seiner Wirkung beeinträchtigt und verdrängt. Sein Name fällt noch einmal im 'Hortus sanitatis'(15.Jh.) (STANGE, S. 5). 6. Im Prologus zu Buch l bemerkt A., daß er zuvor bereits einen sermo de libris philosophorum, ebenfalls ein Kompendium aus Exzerpten, und ferner ein Florilegium aus 190 medizinischen Schriften angefertigt habe. Beide sind, wenn nicht verloren, bislang nicht identifiziert (vgl. G. KENTENIG, Die philolog. Hss. d. StB zu Trier, 1931, S.36f. [zu cod. 1105, f. 217-248]).

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L i t e r a t u r . V. ROSE, Aristoteles de lapidibus u. A. S., ZfdA 18 (1875) 321-455; E. STANGE, A. S., Diss. Halle 1885; M. STEINSCHNEIDER, Die hebr. Übers.n d. MAs, 1893, S. 957 f.; A. BIRKENMAJER, Le role joue par les medicins et les naturalistes dans la reception d'Aristote au XII' et XIIIe siecles, Warschau 1930, S. llf.; LEHMANN, Mitt. IV 6-63 u. 84; M. GRABMANN, Methoden u. Hilfsmittel d. Aristotelesstudiums im MA, MSB 1939/5, S. 109-111; E.O. VON LIPPMANN, Chemisches u. Alchimistisches aus d. Encyklopädie des A. S., Janus 44 (1940) 1-9; L. THORNDIKE, A History of Magic and Experimental Science, Bd. 2, New York 1947, S. 430-432 u. 469f.; C. HÜNEMÖRDER, D. Gesch. d. Fischbücher von Aristoteles bis z. Ende d. 17.Jh.s, Dt. Schiffahrtsarchiv l (1975) 187-200, hier S. 189 f. F.J. WORSTBROCK

Arnoldi, Heinrich, von Alfeld 1. Geb. 1407 in Alfeld. Nach einem Aufenthalt an der Kurie in Rom Notar auf dem Basler Konzil, Eintritt in das dortige Kartäuserkloster St. Margarethental. 1436 Profeß, 1449 Prior, 1480 Resignation wegen schwerer Krankheit, gest. 5.6.1487. Biographische Würdigungen: a) durch den Abschreiber seiner Chronik der Basler Kartause, b) durch deren Fortsetzer (1526), c) durch seinen Nachfolger im Priorenamt. 2. Unter A.s Leitung wird die Kartause zu einem Mittelpunkt mönchischer Geistigkeit. Zeugnis davon gibt eine große Zahl von Hss. In ca. 35 Hss., teilweise Autographen, ist er als Verf. nachweisbar: Basel, ÜB, cod. A II 32; III 22; V4, 26, 54; VII 30, 68; VIII 2, 11, 18, 19, 21; IX 6, 27, 34, 35; 69,71,83,94,96; 25,72; 10; 19; 12, 24, 36; XI 9, 13, 14, 18, 20, 22.

3. Sein Nachfolger, Prior J. Louber, gliedert das Gesamtwerk in 5 Teile, denen hier jeweils ausgewählte Titel zugeordnet werden : a) Schriften zur Christologie ('De passione Domini'; 'De vita Christi'; 'De mysterio redemptionis humanae dialogus inter Jesum et Mariam'). b) Schriften zur Mariologie ('De conceptione BMV; 'Lectiones et officia de visitatione BMV; 'Sermo de compassione BMV; 'Meditationes ad BMV). c) u. d) Gebete und Meditationen zum Kirchenjahr, Winterteil, Sommerteil ('Meditationes et orationes de sanctis'; 'Meditationes de martyribus et confessoribus'; 'Lectiones et collectae de festis s. Margarethae').

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Priester Arnolt

e) Schriften zur klösterlichen Erziehung und zu aktuellen Anlässen ('De humilitate'; 'De modo perveniendi ad veram et perfectam dei et proximi dilectionem'; 'Litania contra Turcos'; 'Chronica fundationis Carthusiae in Basilia minori'). 4. A. stellt dem scholastischen Denken das mönchische gegenüber, das sich der theologia mystica in Meditation und Gebet zuwendet. Besondere Darstellungsformen wie Meditatio, Soliloquium, Sermo, Dialogus und Epistola sollen a.uch dem Leser bzw. Hörer unmittelbares religiöses Erleben vermitteln. Diese Textfunktion erlaubt dem Kompilator einen großzügigen Umgang mit der Tradition in Zuweisung und Genauigkeit. 5. Nur wenige Werke wurden durch den D r u c k einem größeren Leserkreis zugänglich: a) 'De modo perveniendi ad ... dilectionem': vor Dez. 1472 (GW 2511), Köln 1534 und München 1603 unter den Werken von -»Dionysius dem Kartäuser; mit dem richtigen Verfassernamen hg. v. B. PEZ, Regensburg 1724; Paris 1570 eine frz. Übers, durch den Kartäuser Jean de Billy, b) 'Litania contra Turcos': o.O. um 1480 (GW 2510), Straßburg 1533. c) 'De septem festivitatibus gloriosae virginis Mariae': o. O. um 1498 (GW 2509). d) 'De conceptione immaculata Virg. Mariae': Anvers 1527. e) 'Chronica fundationis Carthusiae in Basilea minori' 1401-1480: hg. v. W. VISCHER/ A. STERN, Basler Chron.n , 1872, S. 239 bis 306. 6. L i t e r a t u r . Basler Chron.n I, S.239-306, 508 bis510; C. NICKLES, La Chartreuse du Val Ste. Marguerite a Bale, Porrentruy 1903; NDBI 390; A. BRUCKNER, Scriptoria medii aevi Helvetica 9, 1964, S. 81-94; DHGE IV 590; Diet. Spir. I 892f.; LThK V 174f.

EUGEN HILLENBRAND Meister Arnolfus ->· Arnald von Villanova Priester Arnolt

1. In zwei frühmhd. Gedichten nennt der Verfasser sich Arnolt: ein ewart do, l Arnolt was er geheizen ('Juliana' v. 4f.) und ein priester der hiez Arnolth ('SiebenzahP v. 919). Die Identität der beiden kann weder eindeutig bewiesen noch widerlegt werden

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(dafür SCHÖNBACH, S. 458f.; BARTSCH; SCHRÖDER; PRETZEL, S. 132; GEITH, 1965, S. 199 f.; dagegen: ROSENFELD, 1VL V 60f.; ders., 1967; DE BOOR, LG I 201). Für den ewart Arnolt konnte GEITH, 1965, S. 153 bis 157 auf den praepositus Arnoldus (t 1163) des Prämonstratenserklosters Schäftlarn verweisen, denn die hl. Juliane, die seit 1140 Patronin des Schäftlarner Frauenkonvents war, ist eine im dt. Sprachgebiet sehr seltene Heilige (GEITH, 1969, S. 57). Wenn ewart als Weltgeistlicher zu interpretieren ist, dann wäre das Gedicht vor 1158, als Arnolt zum praepositus gewählt wurde, verfaßt. Der Dialekt beider Gedichte ist bair. (SCHÖNBACH, S. 449^53; POLZER VAN KOL, S. 97-100; GEITH, 1965, S. 127-144), aber nichts in der 'SiebenzahP gestattet, etwas Näheres über Persönlichkeit oder Herkunft des Verfassers auszusagen. 2.'Juliane' Ü b e r l i e f e r u n g . Graz, ÜB, cod. 1501 (ursprünglich aus dem Frauenkloster des Augustiner-Chorherrenstifts Seckau/Steiermark), 12.Jh. Das Ged. wurde wohl kurz nach 1335 meist auf den Rändern von Bl. 95r-134r in steifer Schrift von einer Nonne eingetragen. In ders. Hs. ist auch —»Heinrichs 'Litanei' überliefert. A u s g a b e n . SCHÖNBACH, S.491-517; GEITH, S.205 bis 258; MAURER, Rel. Dicht. III 10-51 (zit.).

Die Legende (628 vv.) berichtet vom Leben der hl. Juliane, die den Heidengöttern ihres Vaters abschwor und den ihr verlobten Grafen Aulesius nur dann heiraten wollte, wenn er sich zum Christentum bekehrte. Ins Gefängnis geworfen, widerstand sie den Versuchungen des Teufels und erlitt mit frouden (v. 594) ihr Martyrium. Die lat. Vorlage (diu puoch v. 18), die A. benützte und an einigen Stellen auch kürzte oder selbst erweiterte (z.B. Prolog 1-14; 272-85; 302-13; 383-88; 497-508; dazu GEITH, 1965, S. 184-198) scheint der Fassung nahe gestanden zu haben, die in Deutschland durch die Hss. München, clm 4554, clm 2570, clm 22240 und clm 27127 vertreten ist (GEITH, 1965, S. 60; 114-116). ROSENFELD, X VL V 60 f. und auch DE BOOR, LG I 201 f. wollen die 'Juliane' sehr viel später als um die Mitte des 12. Jh.s ansetzen, weil sie für die lange Szene zwischen der Heiligen und dem Teufel (v. 280-489)

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Priester Arnolt

den Einfluß des mal. Teufelsspiels annehmen. Der Dialog ist aber in dieser Form ein festerTeil der lat.Legendentradition (GEITH, 1965, S. 188-191). Die Reimtechnik ist primitiver als bei der 'SiebenzahP. Wenn beide Gedichte von einem Verfasser stammen, dann müßte die Legende wohl das frühere Werk sein (vgl. GEITH, 1965, S. 158-173). 3. 'Von der S i e b e n z a h P ('Loblied auf den Hl. Geist') Ü b e r l i e f e r u n g . Vorau, Stiftsbibl., cod. 276,129vb bis 133vb (V). A u s g a b e n . Vorauer Hs. Faks. - DiK.viiiR, Dt. Ged., S. 331-157; H. POL/ER VAN KOL, P.A.s Ged. v. d. Siebenzahl (Sprache und Dicht. 13), 1913; MAURER, Rel. Dicht. III 57-85. Teilweise auch bei MSD I 174 bis 177 (v. 820-885) und P. GANZ, Geistl. Dicht, d. IZ.Jh.s, 1960, S. 31-45 (v. 1-209, 306-325, 486-549, 820-955).

Das Gedicht ist in Reimpaarstrophen abgefaßt und hat 955 Verse. Für die Datierung sind die Übereinstimmungen von v. 640-695 mit der -»'Kaiserchronik' (v. 605 bis 642) wichtig. Man kann die 'Siebenzahl' entweder früher (so EHRISMANN, S. 70; STEINGER, J VL I 128; DE BOOR, LG I 178) oder mit MAURER, S. 54 später ansetzen. Auch eine gemeinsame Quelle für die z.T. formelhaften Parallelen wäre denkbar (RoEDIGER; MENHARDT, S. 444f.). Es ist charakteristisch für das assoziativornamentale Denken des 12. Jh.s, daß A.s 'Loblied auf den Hl. Geist* zu einem Gedicht über die 'Siebenzahl' wird, die ja den Hl. Geist symbolisiert (Augustinus, 'De civitate Dei', 1. XI, cap. 31). A. geht aus von den sieben Gaben des Hl. Geistes (Is 11, 2-3) und reiht dann Septenare aneinander - wie die sieben Bitten des Vaterunsers, die sieben Siegel der Apokalypse, die Siebenzahl im Makrokosmos und Mikrokosmos, die sieben artes liberales, die sieben Zeichen bei der Geburt Christi -, die schließlich in einem siebenstrophigen Hymnus gipfeln. Der Dichter ist stolz auf sein Wissen und wendet sich selbstbewußt an sein Publikum, die vil tumpen leigen (v. 937). Trotzdem scheint seine Gelehrsamkeit im wesentlichen aus Gemeinplätzen der mal. Theologie und Wissenschaft zu bestehen. Eine bestimmte Quelle ist nicht bekannt, aber eine Aufreihung von

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Siebenzahlen findet sich schon bei Augustinus, 'De sermone domini' II, cap. 21 (PL 34, 1285); einzelnes bei Beda, 'De temporum ratione' (PL 90, 294-578), -»Honorius Augustodunensis, 'In Pentecosten' (PL 172, 959-966) und -»Werner von St. Blasien, 'Sermo de nativitate domini' (PL 157, 785 bis 788). SCHERER hielt die 'Siebenzahl' für ein aus acht verschiedenen Stücken kompiliertes Machwerk (S. 81-89; ähnlich auch MSD II 269-271; SCHRÖDER). Die Septenare mögen uns heute disparat erscheinen, aber die Häufung von Analogien ist hier zu einem Gestaltungsprinzip geworden, das geeignet ist, die Allgegenwart und Allmacht des Hl. Geistes zu demonstrieren. MOHR hat versucht zu zeigen, daß dem Strophenbau ein symmetrisches Zahlenschema zugrunde liegt. Auch wenn man ihm nicht beistimmt, so lassen sich doch deutlich zusammenhängende Gruppen von sieben Strophen erkennen, z. B. 7-13, 14 bis 20, 21-27, 40-46 und der Hymnus Str. 52-57, dessen Strophen alle mit Nu lobe wir oder Nu loben dich beginnen. Möglicherweise wurde das Gedicht für die mittachen in der osteren wochen (v. 938f.), den 'krummen Mittwoch' der Karwoche, verfaßt (MOHR, S. 351). L i t e r a t u r . 1. 'Juliane'. A. SCHÖNBACH, Mittheilungen aus altdt. Hss. 5. Stück: P.A.s Legende v. St. Juliana, WSB 101/1, 1882, S. 445-536 (Rez. v. E. SCHRÖDER, DLZ [1883] 555-557); K. BARTSCH, Zu P.A.s Juliana, Germ. 28 (1883) 257-267; R.SPRENGER, Zu A.s Juliane, Germ. 30 (1885) 75-78; E. BRUNÖHLER, Über einige lat., engl., frz. u. dt. Fassungen d. Juliana Legende,Diss.Bonnl912;EHRiSMANN,LGIIl,S.159f.; K. WESLE, Frühmhd. Reimstud., 1925, S.45 Anm. l, 46 et passim; U. PRETZEL, Friihgesch. d. dt. Reims (Palaestra 220), 1941, S. 128-133; K.-E. GEITH, P.A.s Legende v. d. Hl. Juliana, Diss. Freiburg/Br. 1965 (Rez. v. H. ROSENFELD, ZfdPh 86 [1967] 455-457); ders., Ein dt. Ged. aus dem Kloster Schäftlarn, Anal. Praemonstratensia 45 (1969) 56-64; ders., D. Edition d. Juliana-Legende d. P.A., in: Probleme altgerman. Editionen (Dt. Forschungsgemeinschaft, Forschungsbericht 13), 1968, S. 72-80; W. BERSCHIN, Z. lat. u. dt. Juliana-Legende, StudiMedievali 14 (1973) 1003-1012; MAURER, Rel. Dicht. III 5-9 (mit weiterer Lit.). 2. 'Siebenzahl'. W. SCHERER, Geistl. Poeten d. dt. Kaiserzeit (QF 7), 1875, S. 81-89; SCHÖNBACH, S. 459 bis 487 (s.o. 1); BARTSCH, S.265-267 (s.o. 1); A. WAAG, D. Zusammensetzung d. Vorauer Hs., PBB 11 (1886) 77-158; M. ROEDIGER, D. Annolied (MGH Dt.

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Arnpeck, Veit

Chron. I) 1895, S. 77; A. HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands IV, 1903, S.511; EHRISMANN, LG II l, S.70-74; WESLE, S.21 u. 37 (s.o. 1); DE BOOR, Über Brechung im Frühmhd., in: Germanica. Fs. E. Sievers, 1925, S.478-503 (Kl. Sehr. II 246-266, bes. 264ff.); R. STROPPEL, Liturgie u. geistl. Dicht, zwischen 1050 u. 1300 (Dt. Forschungen 17), 1927, S. 179-181; PRETZEL, S. 150-157 (s.o. 1); DE BOOR, 4LG I 178f.; K. RANKE, Volkskundliches zu P. A.s Ged. v. d. Siebenzahl, ZfdPh 71 (1951/52) 343-365; M.P. BÜTTEL, Religious Ideology and Christian Humanism in German Cluniac Verse, 1948, S. 165-172; H. MENHARDT, D. Herkunft d. Vorauer Hs., PBB (Tüb.) 78 (1956) 444 bis 446; W. MOHR, Vorstud. z. Aufbau v. P. A.s 'Loblied auf den Hl. Geist' ('SiebenzahP), Fs. F. Maurer, 1963, S. 320-351; B. TILLMANNS, D. sieben Gaben d. Hl. Geistes in d. dt. Lit. d. MAs ..., Diss. (masch.) Kiel 1963, S. 75-78; MAURER, Rel. Dicht. III 53-56 (mit weiterer Lit.).

PETER GANZ Arnpeck, Veit 1. Leben Quelle sind im wesentlichen die gelegentlichen autobiographischen Bemerkungen im Werk, die jedoch zum Teil durch urkundliche Belege zu stützen sind.

Geb. zwischen 1435 und 1440 in Freising (nicht in Landshut, wie Aventin überliefert), wo sein Vater Christoph Schuster war. Nach einem Besuch der Schule in Amberg 1453 studierte er 1454-57 in Wien, war 1465 Kaplan in Amberg und hatte seit 1468 verschiedene Seelsorgpfründen (Frühmesser, Pfarrgesell, Pfarrer) in Landshut und Freising inne. Nach Angabe eines Indersdorfer Nekrologs starb er 1496, wohl in Landshut, von wo aus er am 1. Jan. 1495 Bischof Sixtus von Freising seine 'Chronica Baioariorum' widmete. Am 22. Sept. 1495 hat er noch am Begräbnis des Abtes von Weihenstephan teilgenommen. 2. Die historiographischen Werke A.s sind in ihrer überlieferten Form in seinen letzten Lebensjahren entstanden oder doch abgeschlossen worden. Der Umfang des CEuvres und die Zahl der verarbeiteten Quellen lassen auf längere Vorarbeiten schließen; die Eingangsworte der 'Chronik der Bayern' verlegen den Beginn der Niederschrift in die Regierungszeit Friedrichs III. nach der Wahl Maximilians zum römischen König (9.4.1486-19.8.1493).

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3. ' C h r o n i c a B a i o a r i o r u m ' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 2230 (Autograph, im 16. Jh. im Besitz Aventins und Wiguleus Hundts); München, clm 1212 (Abschrift des Autographs); eine weitere Abschrift von 1721 ist verschollen. A u s g a b e n . G . W . LEIBNIZ, Scriptores rerum Brunsvicensium III, Hannover 1711, S.660-675 (Teile); PEZ, Thes. III 3, S. 1-472; G. LEIDINGER, Veit A. Sämtliche Chroniken (Quellen u. Erörterungen z. bayer. u. dt. Gesch. NF 3), 1915, S. 1^*43 (zit.).

Das in 5 Bücher gegliederte Werk bietet die Geschichte Bayerns von den Anfängen bis in die Jahre nach 1490. Die ersten 4 Bücher führen sie, ausgehend von einer Landesbeschreibung und eingehender Behandlung der Herkunftssagen (wobei sich A., -»Aeneas Silvius und Hartmann -> Schedel folgend, für die Abkunft von den Bojern entscheidet, aber auch andere Überlieferungen berücksichtigt) bis 1180. Das 5. Buch ist ganz den Wittelsbachern gewidmet, von der Mitte des 13. Jh.s an gibt die dynastische Genealogie mit ihrer Teilung in die Teilfürstentümer Niederbayern, Pfalz und Oberbayern die Grundlage der Gliederung. Am 4. Buch scheint A. bereits 1487 gearbeitet, im Herbst 1493 das 5. begonnen zu haben. Das Autograph läßt auf Umarbeitungen (bes. des 1. Buchs) schließen; auch nach Abschluß und Widmung (s.o. 1) hat A. noch Zusätze gemacht. Diese Entstehungsgeschichte hängt wohl mit A.s Art der Quellenbenutzung zusammen. Das Rückgrat der Darstellung bilden die Landeschroniken des -»Andreas von Regensburg, -> Hans Ebrans von Wildenberg und Ulrich -» Fuetrers. A. hat jedoch darüber hinaus weiteres Quellenmaterial zusammengetragen und in einer mosaikartigen Technik zu einer Gesamtkompilation verarbeitet. Manches davon war auch seinen Vorgängern bekannt, er übertrifft sie aber bei weitem an Quellenkenntnis (LEIDINGER, Ausg., S. XXIX-LV, konnte 69 Titel nachweisen, Ergänzungen bei JAROSCHKA, LHOTSKY und RIEDMANN). Auch zeigen sich Unterschiede in der Bevorzugung bestimmter Quellengruppen. So hat er neben der großen Chronistik etwa des -> Otto von Freising und -»Frutolf von Bamberg-Ekkehard von Aura die einheimische Hagiographie und Klostergeschichtsschreibung in reichem

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Arnpeck, Veit

Maße ausgewertet. Das setzt eine umfangreiche Sammeltätigkeit voraus, die gelegentliche Bemerkungen in seinen Werken andeuten (bes. Ausg., S. 1096 u. 19010) und die auch durch eine von ihm geschriebene Hs. (Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 205; s. u. 6) belegt wird. Sie erstreckte sich offenbar vor allem auf die Bibliotheken geistlicher Institutionen der Diözesen Freising und Regensburg. Die Nachrichten dieser regionalen Quellen ergänzte A. durch den Stoff, der ihm aus den seit den achtziger Jahren in verstärktem Maß im Druck erscheinenden historischen Werken zuströmte (u.a. 'Germania' des Tacitus, 'Europa' und 'Historia Bohemica' des Aeneas Silvius, die 'Ungarische Geschichte' des Johann Thurocz). Die Verwertung solcher Neuerscheinungen, bes. der 'Klosterneuburger Tafeln' (1491; Ladislaus -»Suntheim) und der 'Weltchronik' Hartmann Schedels (1493), die ihm die Einbettung der bayerischen in die allgemeine Geschichte gestatteten, dürften die Umarbeitungen der 'Ch.B.' veranlaßt haben. Das Bemühen, die Quellen möglichst vollständig zu erfassen, und das auffällige Interesse für die Frühgeschichte stellen A. in die Nähe der historiographischen Bemühungen des Frühhumanismus, obwohl persönliche Verbindungen, etwa zum Augsburger Kreis, nicht nachweisbar sind, ebensowenig wie zum niederbayerischen Hof in Landshut. Der Priester A. schrieb die nach kompilatorischer Technik, Erfassung und thematischer Gliederung bedeutendste bayerische Landeschronik des MAs wie alle seine lat. Werke für litterati im weiteren, für die geistliche Welt Freisings im engeren Sinne. Das bezeugen die Widmung, die Betonung des freisingischen Standpunkts bei der Darstellung der politischen Geschichte und die Intention des Autors, sein Werk solle zur Aufheiterung und Erholung des Geistes nach den Mühen der Seelsorge dienen. Größere Verbreitung hat die 'Ch.B.' nicht gefunden, erlangte aber als Quelle für Aventin und Wiguleus Hundt Bedeutung. 4. ' C h r o n i k der B a y e r n ' Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. LEIDINGER, Ausg., S. LXV bis LXXIV (11 Hss.); dazu kommt die Hs. 118. 17.24

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des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, die im Gegensatz zur übrigen Uberl. A.s Namen mehrfach nennt und damit seine Verfasserschaft sichert; vgl. LEIDINGER, 1936. A u s g a b e n . L. WESTENRIEDER, in: Beyträge z. vaterländischen Historie II, München 1789, S. 87-104 (Teile, Esaias Vipacher zugeschrieben); M.V.FREYBERG, Sammlung hist. Sehr.n u. Urk. I, Stuttgart 1827, S. 5-198; LEIDINGER, Ausg., S. 447-705.

Wie Andreas von Regensburg hat auch A. eine dt. Fassung seiner Landeschronik vorgelegt, die jedoch keine Übers., sondern eine Bearbeitung darstellt. Die Anordnung des Stoffes entspricht der 'Ch.B.'. Beide Werke entstanden offenbar nebeneinander, doch war die dt. Fassung bereits 1493 abgeschlossen. A. hat z.T. seinen lat. Text wörtlich übersetzt, auf weite Strecken jedoch den Stoff stark gerafft, ihn andererseits aus weiteren, bes. deutschsprachigen Quellen ergänzt. Er schuf damit, deutlich nach dem Vorbild Hans Ebrans, eine popularisierende und unterhaltende Version seiner Landeschronik für Laienkreise. Die hsl. Rezeption der Chronik, die durch einen Anonymus eine Fortsetzung bis 1506 erhielt, vollzog sich im wesentlichen um 1700, doch blieb ihr Verf. unbekannt. Sie wurde daher lange als 'Bayerische Chronik eines Ungenannten' bezeichnet (FREYBERG, s.o. Ausg.), und es wurden verschiedene Zuweisungen versucht. SCHMELLER vermutete als erster A. als Verf., den endgültigen Nachweis dafür führte dann LEIDINGER, 1936.

5. ' C h r o n i c o n A u s t r i a c u m ' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 2230 (Autograph); München, clm 1213. A u s g a b e n . H. PEZ, Scriptores rerum Austriacarum I, Leipzig 1721, S. 1165-1925; LEIDINGER, Ausg., S.709-845.

Umfaßt die österr. Geschichte von der Urzeit bis 1488; war wohl Ende 1494 abgeschlossen. Hauptquellen sind der sog. 2. lat. Auszug der 'Chronik von den 95 Herrschaften' Leopold -> Stainreuters und die 'Klosterneuburger Tafeln'. Hinzu tritt ein guter Teil des auch in der 'Ch.B.' verarbeiteten Materials. Allerdings fehlen spezifisch österr. Quellen, soweit sie A. nicht im Druck vorlagen; seine Sammeltätigkeit blieb auf bayer. Klosterbibliotheken beschränkt. Auch eigene Beobachtungen sind selten. Der Wert der Kompilation liegt daher hauptsächlich in der Vermittlung sonst

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'Arnsteiner Mariengebet'

verlorener Quellen (vor allem für die Schlacht von Sempach). A.s Wiener Aufenthalt mag die Anregung zur Abfassung gegeben haben. Sicher konnte er aber auch gerade im Freisinger Domkapitel, dessen Mitglieder im 15. Jh. der Wiener Universität besonders eng verbunden waren, auf lebhaftes Interesse für diese Arbeit rechnen. 6. ' L i b e r de gestis e p i s c o p o r u m Frisingensium' Überlieferung. München, Ordinariatsarch., B5, 63-158, 42r-82v. A u s g a b e n . M. v. DEUTINGER, Beyträge z. Gesch., Topographie u. Statistik d. Erzbisthums München u. Freising, III, 1851, S. 473-553; LEIDINGER, Ausg., S.849-914.

Dieses als letztes abgeschlossene Werk A.s behandelt die Geschichte der Bischöfe von Freising von Korbinian bis 1495, im wesentlichen auf der Grundlage des Freisinger 'Codex traditionum' in der Abschrift, die der sog. Conradus Sacrista 1187 gefertigt und mit chronikalischen Notizen versehen hatte, die bis ins SpätMA fortgesetzt wurden. A. hat in der Wolfenbütteler Hs. Heimst. 205 eine eigenhändige Abschrift dieser Quelle angelegt (der Codex enthält noch —»Ottos von Freising — Rahewins 'Gesta Friderici' und die 'Historia Friderici') und bereits hier eine Fortsetzung von 1381 an angefügt (Ausgabe: MGH SS XXIV 328-331), die später z.T. wörtlich in das größere Werk übernommen wurde. 7. A. erwähnt in der 'Ch.B.' verschiedentlich einen von ihm zusammengestellten 'Libellus de fundationibus monasteriorum in Bavaria'. Ein solches Werk ist nicht erhalten; LEIDINGER (Ausg., S. CXXV-CXXVH) vermutete, daß A. hier eine 1388 entstandene und von ihm nachweislich benutzte Sammlung von Gründungsgeschichten bayer. Klöster gemeint habe, die er möglicherweise aus weiteren Quellen ergänzte. Eine Gründungsgeschichte des Klosters Weihenstephan, die der Freisinger Bischofschronik in der Hs. vorausgeht (29r-33r), wollte DEUTINGER (S.466; s.o.6, Ausg.n) A. zuweisen, eine Annahme, die LEIDINGER (Ausg., S. CXXVII) zurückwies und J. STABER neuerdings, allerdings mit schwachen Argumenten, zu stützen versuchte. L i t e r a t u r . K.F. JOETZE, Veit Arnpekch, ein Vorläufer Aventins, Verhh. d. Hist. Ver. f. Niederbayern 29 (1893) 45-128; G. LEIDINGER, Über d. Schr.n d. bayer. Chronisten V. A., Diss. München 1893; A. CHROUST,

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Monumenta Palaeographica H/10, Taf. 9 (Faks. von München, clm 2230); G. LEIDINGER, V.A.s 'Chronik der Bayern', MSB 1936/5; J. STABER, V. A. u. d. Gründungsgesch. von Weihenstephan, Stud. Mitt. OSB 66 (1955) 51-57; W. JAROSCHKA, Unbekannte Ulrichsu. Maximiliansüberl.n u. ihre Verwertung bei bayer. u. österr. Historiographien, MIÖG 65 (1957) 98-105; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 408 f.; Rep. font. II 403 f.; K. TARVAINEN, Z. Wortgestalt in bair. Chron.n d. 15.Jh.s (Studia Philologica Jyväskyläensia 5), Jyväskylä 1968; H. GLASER, in: Hdb. d. Bayer. Gesch. II, hg. v. M. SPINDLER, 1969, S.761-63; J. RIEDMANN, D. Fortsetzung der Flores temporum durch Johann Spies, Prior d. Augustiner-Eremiten in Rattenberg, WSB 266, 1970, S. 20-23; E. SCHRANZHOFER, D. Bild d. Babenberger in d. österr. Geschichtsschreibung d. 15-Jh.s, Österreich in Gesch. u. Lit. 20 (1976) 178 f.

PETER JOHANEK 'Arnsteiner Mariengebet' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wiesbaden, Staatsarch., Hs. C 8, 2. H. 12 Jh., Provenienz Kloster Arnstein/Lahn (daher der Titel 'A.M.'), 129V (Z.4)-135V (Z.15) als vorletzter Text im Anschluß an ein lat. Psalterium (1 -11 ) und fundamentale lat. liturgische Texte (bis 129V). Die ersten 80 und letzten 14 vv. aus unbekannten Gründen radiert, ebenso ein unmittelbar anschließendes, sicher dt. Ged. mit lat. Titel 'De Spiritu Sancto'. E. PAPP, Z. Überl. d. 'A.M.', in: WAAG/ SCHRÖDER, S. 250-254. 2. A u s g a b e n . MAURER I 438-452 (Faks. 134" u. 135r Abb. 18; vollständiger Apparat. Diese Ed. in Form von 'binnengereimten Langzeilen' blieb nicht unwidersprochen, vgl. W. SCHRÖDER, Fs. J. Quint, 1964, hier S. 201 f.); WAAG/SCHRÖDER 171-183 (zit.; ebd. ältere Ausg.n, wobei fehlen: K. WALTER, Kmjb 21 [1908] 130-142; P. WERNER, Anal. Praemon. 34 [1958] 253-273, mit Übers.; H. J. GERNENTZ, Kleinere dt. Ged. d. 11. u. 12. Jh.s, 1970, S. 225-234, 260).

3. Als Verfasserin (v. 219) des allgemein Mitte 12. Jh. datierten, im Umkreis prämonstratensischer Marienfrömmigkeit entstandenen, wohl zum Gebrauch in einer (klösterlichen) Gebetsgemeinschaft bestimmten 'A.M.' erwog MÜLLENHOFF ('MSD, S. 433) Gräfin Guda von Arnstein (nach 1179), Inkluse beim Prämonstratenser-Kloster Arnstein, in das 1139 ihr Gatte LudwigHI. (1109-1185) seine Stammburg verwandelt hatte und in dem er als Konverse lebte. Als Alternative kommt Entstehung des Gebets in einem der noch unter Ludwig III. von Arnstein aus gegründeten Nonnenklöster in Frage, nach dem mittelrheinischen Dialekt des Gedichts und der Hs. (SCHÜTZEICHEL)

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Arnulf von Löwen

am ehesten Beselich (gegr. vor 1163; dagegen DENECKE, ^LIII 245-247) oder Arnstein selbst, falls es, wie N. BACKMUND (Monasticon Praemonstratense 1,1949, S. 151 f.) vermutet, Doppelkloster war. 4. Auf einen hymnischen Manenpreis (bis v. 31) folgen vier gängige Prophetien und Präfigurationen der jungfräulichen Geburt (bis v. 77); v. 78-119 schließen den heilsgeschichtlich fundierten Preis ab und leiten mit dem Verweis auf Marias menschliche Tugenden logisch (v. 120!) zu einer Bitte über. Dieser Teil II (ab v. 120) umfaßt a) in der Ich-Form ein dreigestuftes Gebet um Marias Hilfe (bis v. 205) und eine Anrufung Christi (bis v. 225); b) in der Wir-Form ein Gebet frei nach dem 'Salve Regina' (bis v. 261), ein Fürbittgebet für die weiblichen Stände (bis v. 279) und - wieder in Ich-Form - für die eigenen Anverwandten (bis v. 291). Der Schluß nimmt unter Zitation des 'Ave Maria' und 'Salve Regina' (H. BRINKMANN, Fs. H. Moser, 1974, S. 11 f.) das hymnische Lob des Anfangs wieder auf und wird daher bisweilen als eigener Teil III gewertet (weitere Gliederungsversuche: JOERSS, S. 31-35, MAURER, S. 435-437).

5. Literatur-und frömmigkeitsgeschichtlich ist das 'A.M.' hauptsächlich dadurch gekennzeichnet, daß neben dem heilsgeschichtlichen Privileg Marias ausdrücklich (vgl. v. 114) auf ihre moralischen Qualitäten abgehoben wird (vgl. auch die Umfunktionierung der marianischen Typen Sara, Anna, Esther, Judith zu moralischen Vorbildern der Beterin, v. 156-167). Hier kann sowohl der imitatio-Gedanke ansetzen (v. 168-170) wie der eines 'humanisierten' Vertrauens (v. 235). Damit gibt Teil II (innerhalb eines in Teil I und III dominierenden, herkömmlichen kollektiv-liturgischen Rahmens) erstmals in dt. Mariendichtung persönlichemotionaler Frömmigkeit Ausdruck. 6. Das 'A.M.' schließt sich weder formal noch inhaltlich einer bestimmten Vorlage an. Inhaltlich lebt es aus einem Fundus vorwiegend hymnischer Reminiszenzen. Die Aufteilung in Preis und Bitte war in 'Ave Maria' und 'Salve Regina' vorgezeichnet. Ausgesprochen lehrhafte (v. 16f.), ja apologetische Züge (v. 30 f.) können durch die Predigt inspiriert sein. 7. Die neutralste genremäßige Benennung des wohl am ehesten durch das Muster der Sequenz inspirierten 'A.M.' ist 'unsangliches Reimgebet' (H. FROMM, 2 RLII281). Vortrag in Lektionsweise erwog KARHOF.

500

Die ursprünglich 53 Abschnitte wechseln ohne Regel in Verszahl (4-12) und -länge, ohne damit schon einen Leich (so zuletzt MAURER, S. 435) zu bilden. Die Schwierigkeiten rhythmisch-metrischer Interpretation frühmhd. Dichtung (freie Taktfüllung oder [hier eher] unterschiedliche Taktzahl ?) werden am 'A.M.' exemplarisch deutlich (vgl. W. SCHRÖDER, ZfdA 94 [1965] 212; U. PRETZEL, DPhiA III2412,2415 f.). Variation und Bewegtheit kennzeichnen auch den syntaktischen Bau: Das 'A.M.' weist neben einfachen Hauptsätzen (56%) die kompliziertesten syntaktischen Fügungen vergleichbarer frühmhd. Dichtungen auf. Nur etwa die Hälfte der Reime sind rein. L i t e r a t u r . Bibliographie: WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged., S. 171 f. (bis 1970). - L. JOERSS, Das 'A.M.' u. d. Sequenzen d. MAs, Diss. Marburg 1920; R. SCHÜTZEICHEL, Z. einigen Schreibungen d. 'A.M.', Nass. Annalen 66 (1955) 270f.; ders., ebd. 67 (1956) 33-74 u. 77 (1966) 401 f.; H. G. JANTSCH, Stud. z. Symbolischen in frühmhd. Lit., 1959, S. 180-190; MAURER, Rel. Dicht. I 433-437; G. KARHOF, D. Abschnitt als Vortragsform. Seine strukturbildende Funktion u. Bedeutg. f. d. Chronologie, Diss. Münster 1967 [1968], S. 43f., 51 f., 80; H. Zurr, Satzgestaltung in frühmhd. Endreimdicht.n, Habil.-Schrift (masch.) Freiburg/Br. 1971,1 194-203, II 405-428, III 262-277; G. M. SCHÄFER, Unters, z. dt.sprachigen Marienlyrik im 12. u. 13. Jh. (GAG 48), 1971, S. 24-31, 41-44.

KONRAD KUNZE Arnt van Vorschelen -> 'Vaterunsererklärung Adonay' Arnulf von Löwen 1. Der aus Löwen gebürtige Zisterzienser A. wurde 1240 als Subprior des Klosters Villers in Brabant zu dessen Abt gewählt. 1248 zog er sich aus seinem Amt zurück, um sich den Studien und der Betrachtung hinzugeben ; er starb noch im gleichen Jahr. Die 'Chronica Villariensis monasterii' (hg. v. G. WAITZ, MGH SS XXV 195-219) berichtet am Ende ihres ersten Teils (c.25-30), als dessen Verfasser A. lange Zeit fälschlich angesehen wurde, ausführlich über seine Person und sein Wirken als Abt, weist ihm dabei auch unter dem Titel 'Excerptum speculi caritatis' eine sonst nicht bekannte metrische Bearbeitung der 'Summa depoeni-

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'De arte bersandi'

tentia' des Raymundus von Penyafort zu. Namhaft und durch den cod. 4459-70 der Brüsseler Bibl.Royale (aus Villers, v.J. 1320, 150r-153r Oratio quam fecit domnus Arnulfus de Lovanio quintus deeimus abbas Villariensis) verläßlich bezeugt ist A. als Dichter des Liedzyklus 'Ad singula membra Christi patientis', der in der Überlieferung irrig auch unter dem Namen Bernhards von Clairvaux geht (z.B. Berlin, SB, cod. Hamilton 348, 151v-153r; so auch PL 184, Sp. 1319-24). 2. Der Zyklus, der sich mit jeweils fünf rhythmischen Strophen betrachtend an die Füße, Knie, Hände, die Seite und das Antlitz des leidenden Christus richtet, folgt in der Art seines Aufbaus der seit PS. Laktanz' 'Carmen de passione domini' (v. 40-50; PL 7, Sp. 285 B) auch in geistlicher Passionsdichtung geübten Technik der vertikalen descriptio personae extrinseca, freilich in einer umgekehrten, von den Füßen zum Haupt aufsteigenden Reihe der Teile; die aufschauende Blickrichtung entspricht der in der Eingangsstrophe eingenommenen Haltung flehender Proskynese (Ecce, tibi me prosterno). A.s Leidensmeditation, welche die leibhafte Gegenwart des Gekreuzigten zu suggerieren trachtet (I 1,6-8), über den Schmerz sündenbewußten und reuigen Mitleidens zu sehnsüchtiger Versenkung in die erlösende Süße der Passion führt, wurzelt in der Art ihrer Frömmigkeit in der Zisterziensermystik. 3. Der fünfteilige Zyklus erfuhr in der Überlieferung Erweiterungen um eine Strophengruppe 'Ad pectus' und eine 'Ad cor' (inc. Summt regis cor, aveto); letztere ist als ursprünglich selbständiges Lied herauszulösen und dürfte trotz wiederholten Einspruchs vor allem belgischer Forscher den Prämonstratenser -»Hermann Josef von Steinfeld zum Verf. haben. Die Strophengruppe 'Ad faciem' (ine. Salve, lesu reverende} erscheint vielfach mit einer bekannteren anderen ersten Halbstrophe: Salve, caput cruentatum ...; in dieser Form liegt sie Paul Gerhardts Haupt voll Blut und Wunden' zugrunde. 4. A u s g a b e n . G.M. DREVES/C. BLUME, Ein Jahrtausend Lat. Hymnendichtung 1,1909, S. 323-327 (zit.). Ältere Ausg.n bei CHEVALIER 18073, 17989, 17992, 17984,17985-87,18164 ('Ad pectus'), 19737 ('Ad cor'), 17846 (Salve caput cruentatum). L i t e r a t u r . E. DE MOREAU, L'abbaye de Villers-enBrabant aux XII e et XIIP siecles, Brüssel 1909, S. 62f.;

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DHGE IV 611 f.; D. A. STRACKE, Arnulf van Leuven O. Cist. versus gclukz. Hermann Jozef P. Praem., OGE 24 (1950) 27-50 u. 133-169; ders., Over het 'Ave, mundi salutare' in het diets, OGE 24 (1950) 409-419; J. RAMACKERS, Beitr. z. Gesch. d. Abtei Steinfeld I, Zs. d\ Aachener Gesch.vereins 64/5 (1951/52) 176-181; D. A. STRACKE, Gelukz. Hermann-Jozef versus Arnulfus Abbas Lovaniensis, OGE 27 (1953) 201-205; SzöVERFFY, Hymnendicht. II 232. F.J.WORSTBROCK

Arnulf von Lüttich -» Arnold von L. 'De arte bersandi' Dem deutschen Ritter Guicennas zugeschriebener mlat. Traktat des 13. Jh.s über die Jagd auf Rotwild. Ü b e r l i e f e r u n g . Rom, Bibl. Vat., Vat. lat. 5366; ebd., Reg. lat. 1227; Chantilly, Musee Conde, lat. 368; New Haven (Conn.), Yale University Library. Ausgaben. K. LINDNER, De arte bersandi (Quellen u. Stud. z. Gesch. d. Jagd I), 1954; 2. Aufl. u. d. Titel: De arte bersandi u. Neptalym cervus emissus, 1966 (mit dt. Übers.); G. TILANDER, Guicennas de arte bersandi (Cynegetica III), Uppsala 1956 (mit frz. Übers.).

'De arte bersandi' ist die einzige mal. didaktische Abhandlung über die Jagd auf Rotwild in lat. Sprache. Sie wurde veranlaßt und vermutlich auch verfaßt von einem deutschen Ritter, dessen Namen die Texte geringfügig abweichend in den Formen Guicennas und Guicennans überliefern. Dieser erfreute sich wegen seines jagdlichen Könnens großer Wertschätzung im Kreis des hohen Adels zur Zeit -» Friedrichs II. von Hohenstaufen und könnte mit dem 1230 als Guizenardus erscheinenden Konrad von Lützelhard identisch gewesen sein. Die Entstehung des Traktats dürfte in die erste Hälfte des 13. Jh.s zu verlegen sein. Die erhaltene Partie des 'Liber de arte bersandi' zerfällt in einen Prolog und drei Teile, von denen der erste (Abschnitt 2 u. 3) das jagdliche Können eines Pirschjägers, der zweite (Abschnitt 4-9) die Abrichtung der Hunde und der dritte unvollständige (Abschnitt 10-14) die eigentliche Jagd behandelt. Unter Pirschen verstand man im MA eine Drückjagd mit Schußwaffen unter Verwendung von Hunden zur Vorsuche, von berittenen Treibern und von Schützen

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Meister von Arth - Arwiler, Peter

zu Fuß. Als Schußwaffe fand die Armbrust Verwendung. Auf Hochwild wurde mit Pfeilen, auf Vögel mit Bolzen geschossen. Die kultur-und jagdgeschichtlich aufschlußreiche Abhandlung bricht in allen Hss. an der gleichen Stelle mitten im Satz ab. Auf die spätere Zeit übte der 'Liber Guicennantis' keine nachhaltige Wirkung aus. In der europäischen Jagdliteratur finden wir ihn bis zum Ende des 16.Jh.s zweimal erwähnt. Weder scheint das Werk eine weite Verbreitung im MA gehabt zu haben, noch erfolgte - im Gegensatz zu den zahlreichen vergleichbaren Traktaten auf dem Gebiet der Beizjagd - eine zeitgenössische Übersetzung in eine lebende Sprache. KURT LINDNER Meister von Arth Alem. Wundarzt des 15.Jh.s, war von Anton -»Trutmann (um 1490) als Autor medikamentöser oder chirurgischer Texte zitiert worden. Das Blatt, das die Eintragung enthielt (Bern, Burgerbibl., Hs. XI. 61 in 8°, f. 136), ist seit 1905 verloren. L i t e r a t u r . C. BRUNNER, Die Verwundeten in den Kriegen der alten Eidgenossenschaft, II, 1905, S. 412; R. SUTTERER, Anton Trutmanns Arzneibuch, Diss. Bonn 1976. G. KEIL

A. will Geschehnisse, die hie zu Weyssenburg vnd nahe dabey in diesem landt geschehen synt, darstellen. Als Einleitung dient ihm eine Bearbeitung des 6. Kapitels der Chronik des Jakob -»Twinger von Königshofen, das als alphabetisches Register der Gesamtchronik angelegt war (Heidelberg, cpg 116, -9 , ungedruckt). Die eigenen Aufzeichnungen betreffen Ereignisse von 1431-1471, die jedoch nicht chronologisch angeordnet sind, sondern sich zum weitaus überwiegenden Teil als die Beschreibung einzelner Fehdekomplexe (u. a. die Mainzer Stiftfehde) darbieten. Für dieses Verfahren mag wieder die Darstellung Twingers im 5. c. seiner Chronik als Vorbild gedient haben. Am ausführlichsten wird der 'Weissenburger Krieg', der Konflikt um die Einführung der Bursfelder Reform sowie zwischen Kloster und Reichsstadt einerseits und Kurfürst Friedrich dem Siegreichen andererseits behandelt. L i t e r a t u r . LORENZ, Geschichtsquellen I 52f.; R. REUSS, De scriptoribus rerum Alsaticarum historicis, 1897, S.63f.; G. HERTZOG, Friedrich I. d. Siegreiche, Kurfürst v. d. Pfalz, nach zeitgenössischen Schriften, Mitt. d. Hist. Ver.s d. Pfalz 37/38 (1918) 117-128; W. STAMMLER, A., E., NDB1403 f. ;Rep. fönt. II 410f.; Dt. Reichstagsakten unter KaiserFriedrich III., 8. Abt., 1. Hälfte, hg. v. I. MOST-KOLBE (= Dt. Reichstagsakten Bd. 22,1), 1973, S. 125-245.

PETER JOHANEK

'Von Artus' -> 'König Artus' Hörn' 'Artzthännimann' -> Raber, Vigil (C. II. 21.) Artzt, Eikhart Bürger zu Weißenburg (Elsaß), nennt sich als Verfasser historischer Aufzeichnungen, die er 1440 begonnen hat und als cronick bezeichnet. Weitere Daten zur Biographie fehlen. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 116, 10r-71v. A u s g a b e n . A. WÜRDTWEIN, Nova subsidia diplomatics X, Heidelberg 1783, S.323-336 (Bruchstück); J. , . .s von Weissenburg Gesch. seiner Zeit, Badisches Arch. 2 (1827) 210-306 (ordnet die Aufzeichnungenchronologisch, modernisiertdieOrthographie); C. HOFMANN, E.A.s Chronik von Weissenburg, in: Quellen u. Erörterungen z. Bayer, u. Dt. Gesch. II, 1862, S. 145-208 (bietet 10M6r u. 70 -7 in der Anordnung der Hs.); ders., E. A. vom Weissenburger Krieg, ebd., III 260-301 (46V-69V, als 'Vorwort' wird die Verfassernotiz 18r vorangestellt).

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Arwiler, Peter Eine einzelne Predigt, Nr. 38 der Sammlung, wird im cod. theol. 2065 der Hamburger SB u. ÜB (aus dem Agnes-Augustinerchorfrauenkloster in Trier, geschrieben um 1500 von Schwester Katharina Gürdeler, moselfrk.) einem Pater Arwiler zugeschrieben: In dem hilgen gloriosen dage van pynxsten pf arwiler 300V-304V. Es handelt sich um Peter (von) Ahrweiler, den Rektor des Klosters von 1486-1515, der auch ein lat. Brevier, Trier, StB, cod. 385/1047, geschrieben hat (s. R. LAUFNER, Die Bibl. von St.Agneten an der Weberbach in Trier im 15. u. 16. Jh., Kurtrierisches Jb. 9 [1969] 124 u. 127). Die Pfingstpredigt ohne Textwort handelt vom Empfang des Hl. Geistes im Herzen der Gläubigen, wozu Lauterkeit, Demut und

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'Arzenibuoch Ipocratis' - 'Die Ärzte'

Sanftmut gehört, und wie man das Feuer des Hl. Geistes bewahren kann. Der Autor bedient sich im 2. Teil der allegorischen Predigtweise in der -»•Marquard von Lindau-Tradition. r/, _ K. RUH 'Arzenibuoch Ipocratis' Ü b e r l i e f e r u n g . Bamberg, SB, cod. EVII 19 (= Hist. 146), vorderes u. hinteres Schutzbl. (um 1150, nördl. rheinfrk.) ( = B ) ; Zürich, Zentralbibl., cod. C58/275, 44va-[47rb] (um 1200, alem.) (= Z); Heidelberg, cpg 214, 6V-15V (Speyer, 1321, bietet einige Exzerpte) (=S); Karlsruhe, LB, cod. St. Georgen 73, 203r-2l6r (Villingen, 2. H. 14. Jh., versprengte Rezepte) (G). A u s g a b e n . F. PFEIFFER, Zwei dt. Arzneibücher aus d. 12. u. 13. Jh., WSB 42, 1863, S. 110-200, hier S. 118-127 (Z); R. PRIEBSCH, Dt. Prosafrgm.e d. Xll.Jh.s, I, MLR 10 (1915) 203-221 (B); WILHELM, Denkm. I 53-58, II 244-249 (Z und B).

Heimat des . .' ist der alem. Raum. Das straff gebaute Rezeptar ist im 11., spätestens zu Beginn des 12. Jh.s kompiliert worden, ordnet die Indikationen anatomisch und umfaßt mindestens 60 Heilanweisungen. Ursprung des Materials ist die frühmal. Rezeptliteratur; als Quelle haben sich Plinius, Pseudo-Plinius, PseudoApuleius, Sextus Placitus, Marcellus Empiricus, Cassius Felix, Gargilius Martialis, Priscian, 'Dioscurides alphabeticus', Pseudo-Demokrit und Pseudo-Petrocellus nachweisen lassen. Im Gegensatz zum gleich alten —»· 'Innsbrucker Arzneibuch' bietet das . .' einen einheitlich deutschen Text, der lediglich bei Fachbezeichnungen wenige gräkolat. Termini beibehält. Schlichter, klarer Stil sicherte dem bündigen Rezeptar rasche Verbreitung bis in mitteldt. Gebiet (B, vgl. S), doch erwies sich seit Ausgang des 12. Jh.s der -»'Bartholomäus' als erdrückende Übermacht, die den kleineren Konkurrenten trotz aller Modernisierungen und Zutaten schnell verdrängte: Aus dem SpätMA sind vom Textbestand des . .' nur einige versprengte Splitter erhalten (TELLE). L i t e r a t u r . WILHELM (s.o.),II 137-153,249-254; W. SCHMITT/G. KEIL, Nachtr. z. VL,StN 39 (1967) 80-83; J. TELLE, Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S.76f., 102 (S und G). _ T,

G. KEIL

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'Die Ärzte' Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 466, 90M04r. Ausgabe. KELLER, Fsp. III 1088-1098.

1. V e r f a s s e r f r a g e . Während KELLER, S. 1083 und DEMME diese legendäre Erzählung den Werken Hans -»Rosenplüts zurechnen, lehnen ROETHE, NIEWÖHNER und FISCHER dessen Autorschaft ab. 2.1 n h alt. Die drei Ärzte Ippocras, Galienus und Orienes erfahren von den Wundern Jesu. Orienes geht nach Jerusalem, um Jesus zu sehen. In der Herberge erzählt der Wirt von der Predigt- und Heiltätigkeit Jesu und von den zwölf Jüngern. Bei einer Begegnung bedeutet Jesus dem Arzt, daß es nicht auf irgendeine Salbe, sondern auf den Glauben ankomme. Daraufhin kehrt der Heide - Wunder vollbringend - nach Griechenland zurück. Am Ende bereitet ihm Gott den Ion in seiner ewikait (v. l bis 273). Der König von Griechenland sendet nach dem weisen Sant dyonisius aus Konstantinopel, damit dieser ihm die Ursachen des Erdbebens am Karfreitag nenne. Dyonisius berichtet, daß einst im Lande des Herodes ein Kind geboren worden sei, das mag wol mit rechte Got sein. Daraufhin befiehlt der König die Errichtung eines Altars dem vnbekannten Got. Nachdem Paulus hinzugekommen ist und die Lebens- und Leidensgeschichte und von der Auferstehung Christi erzählt hat, lassen sich der König, dyonisius und elf tausend Menschen taufen. Den Juden wird Rache geschworen (v. 274-407). Der König läßt Kaiser Vespasian in Rom von der Freveltat der Juden berichten. Als dieser bei der Nennung des Namens Gottes von den websen ... in seiner nasen befreit wird, bricht er gegen die Juden auf, erobert Jerusalem und rächt damit den Tod Christi an dessen Feinden (v. 408—445). 3. Q u e 11 e n. Für die l. und 2. Episode sind keine Vorlagen zu ermitteln, allenfalls biblische Anregungen (Mt 2, 1-12; Act 17, 16-34). Die 3. Episode ist eine Variante des 'Rache'feldzugs Kaiser Vespasians ('Vindica Salvatoris'), verkürzt wiedergegeben nach der 'Legenda aurea' des —> Jacobus de Voragine, GRAESSE, Leg. aur., c. 67 (Jacobus minor), n. 2, S. 299f.

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'Asanger Aderlaßbüchlein' - Asilo von Würzburg

4. Stil. Die 445 Reimpaarverse sind anspruchslos. Eine szenische Darstellung erscheint wegen der z.T. recht lebendigen Dialoge nicht ausgeschlossen. Die zweimalige gleichlautende Antwort Jesu auf die Rede des Orienes (v. 216-221, 250-253) läßt den formalen Gestaltungswillen des Verfassers erkennen. L i t e r a t u r . G. ROETHE, ADB 29, S.224 u. 232; J.DEMME, Stud, über H. Rosenplüt, Diss. Münster i. W. 1906, S.7 (Nr. XIII), 14, 35; H. NIEWÖHNER, 'VLIII1103; FISCHER, Stud., S. 154 Anm. 58.

KURT ILLING 'Des Arztes Vasnacht' —»· 'Rosenplüt'sehe Fastnachtspiele' 'Asanger Aderlaßbüchlein'

Quelle. Darauf folgen zahlreiche Mittel zur Behandlung kranker Pferde,die der spätmal. Schulmedizin entnommen sind. Der 2. Teil ist eine Bearbeitung von -> Albrants Roßarzneibuch mit Einschaltung zusätzlicher Rezepte und zahlreicher Erläuterungen. Dabei berücksichtigt A. mindestens 2 verschiedene Fassungen. Der 3. Teil enthält weitere Anleitungen zur Behandlung kranker Pferde, die Albrant-Materialien verwerten. Nach Eis stimmen die Texte A.s mit dem böhmisch-schlesischenÜberlieferungszweigvon Albrants Roßarzneibuch überein. L i t e r a t u r . G. Eis, Eine roßarzneikundl. Hs. in Görlitz aus d. J. 1473, Neues Lausitzisches Magazin 116 (1940) 53-57; ders., Zum Roisarzneibuch Meister Albrants, Beitr. z. Gesch. d. Veterinärmedizin 3 (1941) 331-340.

P. RAINER RUDOLF SDS

Ärztliches Vademecum handlichen Formats (Schriesheim b. Heidelberg, Sammlung Eis, Hs. 22), das in Südböhmen zwischen 1516 und 1530 angelegt wurde und aus einem Kern sowie zwei Nachtragsabschnitten besteht. Der Verfasser des spätmittelalterlichen Textkerns sah im Aderlaß die wichtigste Methode heilkundlichen Handelns und baute sein Kompilat ausschließlich aus solchen Versatzstücken auf, die mittel- oder unmittelbar sich auf den Aderlaß beziehen und vor- wie spätsalernitanischen Vorlagen verpflichtet sind; einige Exzerpte entstammen jüngeren auch landessprachigen Quellen (-»Ortolf von Baierland). A u s g a b e n . Literatur.J.WERLIN,Med.Monatsschr. 15 (1961) 762-766 (ohne den zweiten Nachtrag); G. Eis/W. SCHMITT, D. Asanger Aderlaß- u. Rezeptbüchlein (1516-1531), 1967. - Kommentar: G. Eis/ G. KEIL, 'A.A.', StN 43 (1971) 377-380.

G. KEIL Aschel, Wolfgang Hs. A. III. I. 23 d. Bibl. d. Oberlausitzischen Gesellschaft in Görlitz, enthält 3 Pferdebücher, die 1473 von A., Kornschreiber in Neumarkt (wahrscheinlich in der Oberpfalz), geschrieben wurden.

A.s Kompilation besteht aus ursprünglich 2 Teilen, dem ein dritter angefügt wurde. Dem 1. Teil diente bei den Kennzeichen guter Pferde die lat. 'Marstallerei' des Laurentius Rusius (Mitte 14. Jh.) als

Aschringer, Thomas ->· 'Benediktinerregeln' (deutsch) Asilo von Würzburg 1. Der Verf. der meist anonym überlieferten Rhythmimachie 'Quinque genera inequalitatis' war dem clm 14836, 4V, zufolge quidam ex der o Wirzhiburgensi; der Pariser cod. lat. 7377 C, 17V, fügt hinzu nomine asilo und bestätigt in der marginalen Zuschrift Asilo dicor ego, cut si tria grammata tollo, A remanebit et O. quid erit prestantius illo ? glaubwürdig A.s Verfasserschaft. Seine Schaffenszeit bestimmt sich nach der -»Hermanns von Reichenau (gest. 1054), an dessen Rhythmimachie A. anknüpft; terminus ante quem seiner Schrift ist deren Überlieferung im 1077 entstandenen cod. Vaticanus lat. 3101. Über A.s Person ist sonst nichts bekannt. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Mindestens 10 Hss. d. 11. bis 15.Jh.s. Vgl. WAPPLER, S.2f.; THORNDIKE/KIBRE, Inc., S. 1247f. Ausgabe. WAPPLER, S. 14-17 (nach München, clm 14836).

3. A.s Schrift ist eine Anleitung zur rithmimachia (eigentlich 'arithmomachia'; vgl. P. VOSSEN, Der Libellus Scolasticus des Walther von Speyer, 1962, S. 124f.), jenem 'Zahlenkampf', der, angeblich von Boethius im Gefängnis erdacht, nach den in Boethius' 'De institutione arithmetica' (2,

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'Asinarius' - 'Athala'

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3. Zugrunde liegt dem .' das Märchen vom Tierbräutigam, dessen erster Teil. Der anonyme Dichter hat eine mündliche Überl. in schriftliterarische Form gegossen, eine knappe Märchenprosa zu einer Versnovelle ausgestaltet und so schon im Umfang um ein Vielfaches aufgeschwellt. Die Handlung, die an zwei Königshöfen spielt und von zwei Königskindern und deren Eltern getragen wird, erfuhr dabei eine breite Ausmalung des höfischen Elements: Schilderung der Kunst des Zitherspiels, der Tafeletikette, der Kavaliersmanieren des Eselsprinzen u.a. m. Entsprach der Dichter mit solchen Zügen wie schon mit der Liebesgeschichte selbst dem Geschmack eines höfischen Publikums, so paßt dazu auch die L i t e r a t u r . E. WAPPLER, Bemerkungen zurRhythmomachie, Zs. f. Mathematik u. Physik, Hist.-lit. Abt., ovidische Tönung, für die bereits die ele37 (1892) 1-17; N. BUBNOV, Gerberti opera mathemagische Form bezeichnend ist, und wohl auch tica, 1899, S. XIX, XLVI, LI, LXXVI. die antike Mythologie (Jupiter und die GötF. J. WORSTBROCK ter, Lucina und Venus, Hesperus und Phoebus), die allein verwendet wird. Ovidi'Asinarius' sches tut sich in der Neigung zu erotischer Mlat. Verserzählung. Schilderung kund, die durchaus das Pi1. Ü b e r l i e f e r u n g . 18 bekannte Textzeugen d. kante sucht, ohne doch die Grenzen des Ge14.-15. Jh.s, davon 2 Frgm.e; 2 verloren; mindestens 2 weitere Nachweise in mal. Bibliothekskatalogen. fälligen zu verlassen. Die Dichtung, die in der Form Hiat, EliVgl. LANGOSCH, Ausg. 1929, S. 1-9; ders., Neue Überl. sion und Reim meidet, Allitteration und d. .", Orbis mediaevalis (Fs. A. Blaschka), 1970, Wortspiel liebt, übte, wie die hsl. VerbreiS. 123-144 (mit zusammenfassender Analysed. Überl.). A u s g a b e n . BoLTE/PoLiVKA, S. 154-165; K. LANtung zeigt, ihren Reiz aus und hatte, auch GOSCH, Asinarius u. Rapularius (Slg. mlat. Texte 10), in Italien und Frankreich, ihre Leser;nach 1929 (zit.); ders., Waltharius, Ruodlieb, Märchen- dem Zeugnis Hugos von Trimberg fand sie epen, 21960, S.333-357 (mit dt. Übers.). sogar (s.o.) Eingang in die Schule. 2. Die 201 Distichen umfassende ErzähL i t e r a t u r . J. BoLTE/G. POLIVKA, Anmerkungen lung, aus der die Brüder Grimm das 144. zu d. Kinder- u. Hausmärchen d. Brüder Grimm, Bd. 3, der 'Kinder- und Hausmärchen', 'Das Ese- 1918,5.152-166. KARL LANGOSCH lein', gewannen, wird in den Hss., die einen Titel angeben, übereinstimmend Asinarius genannt, so auch von -»Hugo von Trim- 'Äsop' -»Boner, Ulrich -»Gerhard von berg im 'Registrum multorum auctorum' Minden -»'Leipziger Ä.' -»'Magdeburger (v. 718); nur im Explicit der Heidelberger Ä.' -»'Nürnberger Prosaäsop' -»StainhöHs. Salmansw. VIII 29 b (v. J. 1452) heißt wel, Heinrich sie asinarius vel diadema - sicher eine Erweiterung des Schreibers Conradus Wor- 'Athala' heym bzw. seiner Vorlage. Die Art der hsl. Alem. Prosalegende. Verbreitung des .' weist auf süddt. HerÜ b e r l i e f e r u n g . Aufstellung bei KUNZE, S. 304; kunft. Terminus ante quem ist die ErwähFIRSCHING, S. 28. Hinzu kommen: Mainz, StB, Hs. nung bei Hugo von Trimberg (1280); das I, 49, 16vb-18va; Rottenburg/N., Priesterseminar, Hs. betont höfische Milieu der Handlung aber II, llvb-12vb. rückt den .' höher hinauf bis in die Zeit A u s g a b e n . J. SCHILTER, Die älteste Teutsche ... um 1200. Ob der Dichter mit dem des elsäss. u. Strassburgische Chronicke v. Jacob v. Königs-»'Rapularius' übereinstimmt, ist fraglich. hofen, Straßburg 1698, S. 520-523 (nach Gießen, ÜB, 40 ff.) dargestellten Zahlenproportionen auf zwei Spielbrettern zu je achtmal acht Feldern ausgetragen wurde (vgl. R.PEIPER, Abh. z. Gesch. d. Mathematik 3 [1880] 203ff.). Das Spiel diente der arithmetischen Übung, wohl auch als seriöser Ersatz des inkriminierten Würfelspiels (vgl. MANITIUS, LG II 340). 4. A., nach WAPPLERS (S.2) Feststellung abhängig von -» Hermanns von Reichenau 'De conflictu rithmimachie', war die Quelle zahlreicher späterer Rhythmimachien, u. a. der des -»Odo und -»Frutolfs von Bamberg, zumindest mittelbar noch der 'Arithmomachia' Abraham Rieses von 1562, der ersten deutschen (vgl. WAPPLER, S. 3-11).

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'Athis und Prophilias'

Hs. 642); nach SCHILTER: J. SCHEIBLE, D. Schaltjahr IV, Stuttgart 1847, S. 542-547; D. Sagen d. Elsasses, gesammelt v. A. STÖBER, hg. v. C. MÜNDEL, 1896, II, S. 188-193, 343; PFLEGER, S.310-313 (nach Heidelberg, cpg 144).

Eine im Überlieferungskontext der 'Elsässischen Legenda aurea' (-> Jacobus de Voragine) stehende Prosalegende der ersten Äbtissin des von ihrem Vater gegründeten St. Stephans-Klosters in Straßburg, Athala (t 741), Nichte der hl. Ottilia, geht auf eine kurze lat. Vita zurück, die BARTH (S. 159) aus dem cpl 463,3 (153r/v) des Vatikans zitiert. Die von Sebastian -> Brant in seiner Ausgabe von -> 'Der Heiligen Leben' enthaltenen A.-Legende ist mit der o.g. Fassung nicht verwandt. L i t e r a t u r . L. PFLEGER, Z. altdt. Legendenlit. d. Elsasses, Straßburger Diözesanbll. 29 (1910) 298-313; M. BARTH, D. Legende u. Verehrung d. hl. Attala, Arch. f. elsäss. Kirchengesch. 2 (1927) 89-206, hier S. 159 bis 161; K. KUNZE, Überl. u. Bestand d. Elsässischen Legenda aurea, ZfdA 99 (1970) 265-310, hier S. 266, 294f., 304; K. FIRSCHING, D. dt. Bearbeitungen d. Kilianslegende unter bes. Berücksichtigung dt. Legendarhss. d. MAs (Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg 26), 1973; W. WILLIAMS-KRAPP, Stud, zu 'Der Heiligen Leben', ZfdA 105 (1976) 274-303, hier S. 299.

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Athis und Prophilias' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Frgm.e von drei Hss. sind erhalten. 1. Berlin, rngq 846: AA* BCC* DEF. Bll. einer zweispaltigen Pergamenths. d. 13.Jh.s; Dialekt: hessisch (ABDEF sind seit 1945 verschollen). 2. Berlin, Mus. f. dt. Gesch., Inv. Nr. Do 63/1037: A b ~ e Bruchstücke einer zweispaltigen Pergamenths. d. 14.Jh.s, Dialekt: md. mit ndd. Formen. 3. Berlin, SB, Grimm Nachlaß 197 (Beilage): A**. Obere Blatthälfte einer zweispaltigen Pergamenths. d. 14. Jh.s; Dialekt: rheinf *.(?). 2. A u s g a b e n . Faks. von A** bei G. KÖNNECKE, Bilderatlas, 21895, S.55; GRAFF, Diutiska I 1-22 (ABDF); TH. J. LACOMBLET, Arch. f. d. Gesch. d. Niederrheins l (1832) 15-27 (CE); W.GRIMM, . u. P.', 1846; ders., . u. P.', weitere Bruchstücke, 1852 (abgedr. in Kl. Sehr. III, 1883, S. 212-345); C. VON KRAUS, Mhd. Übungsbuch, '1912, S.72-91, 244-247; 2 1926, S. 63-82, 276-279.

3. Anfang und Ende des Gedichts, von dem wir rund 1550 Verse besitzen, fehlen in den Fragmenten; wir kennen auch den Namen des Dichters nicht. Reime und Wort-

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schatz verweisen ins Westmd. (Hessische? WALDNER, bes. S. 123-132). Für die Datierung gibt der Text selbst kaum Hinweise. Auch die frz. Vorlage, 'Li Romanz d'Athis et Prophilias' des Alixandre (hg. v. A. HILKA, Ges. f. rom. Lit. 29 [1914] und 40 [1916]), kann nur grob in das letzte Viertel des 12. Jh.s datiert werden, möglicherweise allerdings vor Chretiens 'Cliges' (W. FOERSTER, Randglossen z. Athisroman [Athis u. Cliges] ZfromPh 36 [1912] 727-736; C. LUTTRELL, The Creation of the First Arthurian Romance, London 1974, S. 38 bis 44). Metrik und Reimtechnik verbieten einen zu frühen Ansatz (vgl. EHRISMANN, LG II2, l, S. 115), aber vom Einfluß -»Hartmanns von Aue ist im 'A.u.P.' nichts zu spüren (LEITZMANN, :VL I 146), und auch zum Hof Hermanns von Thüringen lassen sich keine Beziehungen aus den erhaltenen Fragmenten ableiten (RUH, S. 90). Aus stilistischen Gründen hat man den Roman schon seit LACHMANN zeitlich an —>· Herbort von Fritzlar und -> Ottes 'Eraclius' herangerückt und ihn deshalb 'um 1210' angesetzt (K. LACHMANN, Anm. zu den Nibelungen, 1836, S. 69; ders., Briefe an Moriz Haupt, 1892, S. 95 [4. März 1843]; GRIMM, 1846, S. 32f.; LEITZMANN, *VL I 146). Nur EHRISMANN, der in dem Dichter einen 'Meister der geblümten Rede' sah, plädierte für 'eher nach 1215' (S. 114). Jedenfalls war der Dichter gebildet und beherrschte nicht nur die frz. Sprache, sondern hatte auch Latein gelernt, wie die flektierten Namensformen z.B. Veneris der gotinne (D 117) beweisen (weitere Beispiele bei EHRISMANN, S. 115). -> Heinrich von Freiberg erwähnt im Prolog zur 'Ritterfahrt Johanns von Michaelsberg' (Z. 26-29), daß Athis und Profilias nach ritterschefte strebten, l mit steten triuwen lebten, l in ritterlicher werdikeit und scheint auch selbst das Gedicht gekannt zu haben (EHRISMANN, S. 112). 4. Die Frgm.e lassen sich in vier mehr oder weniger zusammenhängende Gruppen ordnen: 1. A A b ~ e schildern, wie Athis, der sich in einer Höhle an der Stadtmauer Roms verborgen hatte, einen Mord beobachtet und in seiner Verzweiflung darüber, daß sein Freund Prophilias ihn in Rom nicht erkannt hatte, beschließt, sich selbst an-

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'Athis und Prophilias'

zuklagen, um in Rom zum Tode verurteilt zu werden. Prophilias erkennt den am Pranger ausgestellten Freund und nimmt das Verbrechen auf sich. Nachdem die wirklichen Mörder entdeckt worden sind, wird Prophilias befreit, und die Freunde gehen zusammen zu dem Vater des Prophilias. 2. A* A** B C: Gayte, die Schwester des Prophilias, ist dem König Bilas versprochen, wird aber von Liebe zu Athis ergriffen. Trotzdem will ihr Vater Evas sein gegebenes Wort nicht brechen und übergibt Bilas seine Tochter. Prophilias und Athis greifen Bilas aus dem Hinterhalt an und besiegen ihn. 3. C* D: Festliche Hochzeitsfeier von Athis und Gayte. 4. E F: Neue Kämpfe vor Athen. 5. Man hat den Eindruck, daß das deutsche Gedicht sehr viel kürzer gewesen sein muß als der frz. Roman. Auf jeden Fall behandelt der Dichter seine Vorlage mit großer Freiheit: er kürzt, erweitert aber auch und fügt Eigenes hinzu, so die Totenklage des Athis (A 20-65), die Beschreibung des Fahnenwagens (A* 153-168), die Bewaffnung des Prophilias (B 19-76) und die Klage des Theseus an der Seite seines sterbenden Sohnes (F 1^3). Der Erzählstil verbindet die rhetorische Technik frz. Romane mit der "Wiederholung älterer formelhafter Elemente (vgl. EHRISMANN, S. 115). Die Kunst des Dichters konzentriert sich darauf, seine Welt zu verobjektivieren, sei es durch die Beschreibung von Personen oder Gegenständen, sei es durch Selbstdarstellung der Handelnden in Monolog oder dialogischer Rede. In A 20-65 wird die Totenklage zur Lamentatio über die menschliche Existenz, und aus dem persönlichen Leid des Theseus erklingt, rhetorisch-antithetisch durchgeformt, die Klage über den Verfall der Ritterlichkeit (F 1-43). Solche Stellen in den Bruchstücken lassen ahnen, wie bedeutend das ganze Werk gewesen sein muß. In seiner Darstellung betont der Dichter die Wirklichkeit der antiken Welt. vmme Korne was iz so gestalt sagt er A 125 und fügt historische Elemente in seine Erzählung ein, die in seiner Vorlage fehlen. So findet, im Gegensatz zum frz. Athisroman (Z. 8741 f.), die Hochzeit im Tempel der Venus statt (C* 101-105). Aber das, was

der Dichter über das antike Rom weiß, vermischt sich für ihn mit der zeitgenössischen Wirklichkeit: in Rom ist man nach den franzzoischen siten gekleidet (D 160) und der caroccio (C 93) so wie die Vielzahl der consule (A 150-156, 166 f.) passen ins mal. Italien, aber nicht in das alte Rom. Auch die enthusiastische Schilderung der römischen Gerechtigkeit (A 125-139) spiegelt wohl das Wiederaufleben des römischen Rechts im 12. Jh. wieder. In den Worten des sterbenden Peritheus (F 50-132) kommt dann aber ein geradezu antikes Lebensgefühl zum Ausdruck, und es scheint fast, als sei es dem Dichter gelungen, die Schranken des mal. Geschichtsbildes zu durchbrechen (FRANZ, S. 59f.). 6. Bis heute sind die Frgm.e recht stiefmütterlich behandelt worden. GRIMMS Einleitung ist immer noch grundlegend, und wichtige Beobachtungen stehen in den Literaturgeschichten von EHRISMANN, SCHWIETERING und DE BOOR. Eine zusammenfassende Arbeit fehlt jedoch, und auch die MERTZsche Dissertation hat ihr Thema nicht erschöpft. Eine kommentierte Neuausgabe könnte die Bedeutung des Gedichts in seinem Kontext erschließen. L i t e r a t u r . W. GRIMM, D. Sage v. . u. P.', ZfdA 12 (1865) 185-203 (abgedr. in Kl. Sehr. III, 1883, S. 346 bis 366); ders., Brief an F. Pfeiffer, Germ. 12 (1867) 379f.; E. SCHRÖDER, DLZ [1882] 571; K. ZWIERZINA, Mhd.Stud.,ZfdA 44(1900) 347;45 (1901) 38;F.SARAN, Dt. Verslehre, 1907, S.265; R. MERTZ, D. dt. Bruchstücke v. . u. P.' in ihrem Verhältnis z. afrz. Roman, Diss. Straßburg 1914 (besprochen von E. SCHRÖDER, AfdA 38 [1918/19] 170f.); E. SCHRÖDER, Reimstud. I u. II, GGN (1918) 419f.; EHRISMANN, LG II 2, l, S. 112 bis 117; G. CORDES, Z. Sprache Eilhards v. Oberg, 1939, S. 15; SCHWIETERING, LG, S. 147; DE BOOR, LG II 22f., 27, 56-59; K. RUH, Höfische Epik 1,1967, S. 90; H. HORNUNG, D. Frgm.e v. . u. P.', Arch. f. d. Gesch. d. Buchwesens 10 (1969) 679-684; H. FRANZ, D. Bild Griechenlands in d. mhd. epischen Erzählungen vor 1250,1970, S.36,49f., 59f., 226,334f., 338,376f.; H. WALDNER, D. Sprache v. A. u. P., Diss. Jena 1970.

PETER GANZ Attinger, Konrad -> Öttinger, Konrad 'Auctor vetus de beneficiis' -> Eike von Repgow Auer, Christannus ->· Schmieher, Peter

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Auer, Hans - 'Das Auge'

Auer, Hans -> 'Der Pfaffe mit der Schnur A' Auer, Hans nennt sich als Verf. eines Liedes über die Schlacht bei Ragaz (1446): zu lucern ein gut gselle, Hans Ower ist er s genant (Str. 24). Vermutlich der aus Basel und ursprünglich Schaffhausen stammende, 1442 und 1443 als knecht des Luzerner Ratsherrn Nikiaus Wanner und 1445/46 als Stadtläufer bezeugte Hans Ower. Ü b e r l i e f e r u n g . St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 645, S. 503-509 (aus dem Besitz Aegidius Tschudis) und überarbeitet Zürich, Zentralbibl., Ms. A 60, S. 494f. (Urschrift von Tschudis Chronicon, Bd. II, gedruckt 1736, S.463f.). A u s g a b e n . LILIENCRON, Hist. Volkslieder I 397 bis 400; L. TOBLER, Schweiz. Volkslieder II, Fraucnfeld 1884, S. 36-39 (11 von 24 Strr.); O. v. GREYERZ, Hist. Volkslieder d. dt. Schweiz, 1922, S.46f. (9 Strr.); TH. CRAMER, D. kleineren Liederdichter d. 14. u. 15. Jh.s (in Vorbereitung).

Das Lied berichtet im Hildebrandston Vorgeschichte und Verlauf der Schlacht, mit Lobpreis der Verbündeten, Heiligenanrufung und Namensnennung. L i t e r a t u r . TH. v. LIEBENAU, Anz. f. Schweiz. Gesch. NF l (1870-73) 279f. u. 2 (1874-1877) 164f., 304; Hist.-Biogr. Lexikon der Schweiz. I 474; V. SCHLUMPF, Die frumen edlen puren, 1969, S. 82-84; U.MÜLLER, Unters. (Reg.).

MAX WEHRLI Auer, Johannes predigte 1484 am St. Ägidiustag, mutmaßlich in Nürnberg, über die Gerechtigkeit und die 7 Ursachen der menschlichen Sündhaftigkeit (cod. Eis 114, 110r-lllr). Die Identität dieses Predigers mit dem meister hanns awer, genannt am Schluß der Hs. n1 (Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 5339a), des —> 'Pfaffen mit der Schnur A' ist möglich, aber wenig wahrscheinlich. WALTHER, S. 73, schreibt aus undurchsichtigen Gründen die Predigt Auer ab und Johannes -* Zolner zu ('bei genauem Lesen auf Bl. 110r erweist sich nämlich ...'). Indes steht am Schluß der Predigt: Johannes Auer am St. Egydius tag hat diez gepredigt jm 1484 jar.

L i t e r a t u r . P. RENNER, Spätmal. Klosterpredigten aus Nürnberg, AKG 41 (1959) 201-217, S. 206 u. 210; H. WALTHER, Prediger u. Predigten aus Cod. 114 der Sammlung Eis, AFH 38 (1968) 71-97, S. 73.

K. RUH

Auer, Magdalena Äbtissin von Frauenchiemsee (1467-94), verfaßte tagebuchartige Aufzeichnungen, erhalten im cod. 74 des Münchener Hauptstaatsarch. L i t e r a t u r . E. GEISS, Relation d. Äbtissin Ursula d. Pfäffingerin v. Frauenchiemsee, Oberbayer. Arch. 8 (1847) 225; G. Eis, PBB (Tüb.) 83 (1961) 171.

P. RAINER RUDOLF SDS Auerbach -+ Johannes von A. Auerbach, Johannes -> Urbach, Johannes 'Von der Auferstehung' (nd.) -»•'Apokalypse' (nd.) Aufkirchen, Lorenz Nürnberger Dominikaner, 1487 Kursor, 1508 Prior des Konvents Eichstätt, 1509-15 Provinzial der süddt. Provinz Teutonia, predigte im Nürnberger Katharinenkloster. Eine 1487 von den Nonnen nachgeschriebene Predigt überliefert cod. D 231 der Züricher Zentralbibl., 233r. L i t e r a t u r . P. v. LOE, Statistisches über d. Ordensprovinz Teutonia, Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. Dominikanerordens in Dtld. l (1907) 16^3; G. LÖHR, Aus spätmal. Klosterpredigten, ZSchwKG 38 (1944) 35, 203; G. KEIL, PBB (Tüb.) 83 (1961) 171 f.

PETER ASSION 'Das Auge' Dieses höfische Märe existiert in 2 Fassungen (CuRSCHMANN: gemeinsame Quelle). Fassung B: ->Herrand von Wildonie, 'Die treue Gattin' (Diu getriu kone). An dieser Stelle wird nur die anonym überlieferte Fassung A behandelt. Ü b e r l i e f e r u n g . Straßburg, ehemalige StB, cod. A94 der Johanniterbibl., Bl.57-59 (1870 verbrannt); Donaueschingen, cod. 104 (->'Liedersaal-Hs.'), 19rb22ra; Dresden, Sachs. LB, Msc. M 67, 176V-180V. A u s g a b e n . C. H. MYLLER, Sammlung dt. Ged. aus d. XIL, XIII. u. XIV. Jh. III, nach 1785, S. XXXII bis

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'Augsburger Bibelhandschrift'

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Katholischen Briefen) von einer zweiten und die Paulinischen Briefe sowie das —> 'Evangelium Nicodemi' von einer dritten Hand. Die drei Hände sind nach WALTHER zugleich Repräsentanten versch. ÜbersetEin häßlicher Ritter verliert im Kampf zungen: 1. Hand = Zweig 7, 2. Hand — ein Auge, fürchtet sich vor der Verachtung Zweig 8, 3. Hand = Zweig 9. Die unten seiner Frau und bleibt ihr fern. Um ihm die aufgeführten Greifswalder Dissertationen Rückkehr zu ermöglichen, sticht sie sich haben die Frage der Ausscheidung der selbst ein Auge aus. Übersetzungstypen nicht aufgegriffen, doch Enstehungszeit wohl I.Hälfte des 13. Jh.s. ist BISEWSKI der Ansicht, daß schon für DE BOOR hebt auf die unhöfischen Elemente Perikopen, Apokalypse und Kathol. Briefe (Häßlichkeit, Selbstverstümmelung) des im 'verschiedene Urheber' anzunehmen sind höfischen Milieu spielenden Textes ab. (S. 114). Quelle ist ein bei Andreas Capellanus ange2. Die Geschichte der Augsburger Textführter Minnecasus (ed. E. TROJEL, Nachdr. sammlung läßt sich über zwei Jahrhunderte München 1964, S. 287 f.), der auch 'in Hand- hin verfolgen. Die Einsiedler Hs. cod. 10 lung übersetzt' (CURSCHMANN) im 'Ille et (um 1400 nach WALTHER, Sp. 375) erweitert Galeron' des Gautier d'Arras erscheint, die einzelnen, z.T. umgestellten Texte um hier und in den dt. Fassungen aus der Min- Vorreden, die denjenigen der -> 'Mentelnesphäre ins Lob der Gattentreue umge- Bibel' entsprechen. Mit dem AT des 2. formt, im .' zum rein stofflichen Exem- WALTHERschen Übersetzungszweiges verpel, ohne Reste der höfisch-kasuistischen bunden erscheint die ntl. Textsammlung in Konzeption, reduziert ist. den Bibelhss. Berlin, mgq 1989 (olim DietDie knappe Fassung in der Straßburger richsteinische Bibl. zu Nikolsburg), Mitte Hs. (276 vv.) wird in den jüngeren Hss. er- 15. Jh., Nürnberg, StB, cod. Cent. 41-43 weitert: in Donaueschingen 104 (446 vv.) (NT 43) (aus dem Katharinenkloster v.J. stark mit Moralisationen durchsetzt, rückt 1430-43) und Weimar, LB, cod. Fol. 3-8 sie in die Nähe des exemplarischen Märes. (NT 8) (aus einem Pforzheimer NonnenL i t e r a t u r . B. BARTH, Liebe u. Ehe im afrz. Fablel kloster, wahrscheinlich St. Magdalenen); u. in d. mhd. Novelle (Palaestra 97), 1910, S. 270f.; letztere Hs. ist nach VOLLMER (BdK 8, H. NIEWÖHNER, D. Inhalt v. Lassbergs Liedersaal-Hs., S. 67 Anm. 5) wahrscheinlich eine Abschrift PBB 66 (1942) 181; DE BOOR, LG III l, S.248f.; M. der Nürnberger Hs. Nur das NT überlieCURSCHMANN. Z. literarhist, Stellung Herrands v. fern Stuttgart, LB, cod. Bibl. 15, v. J. 1435 Wildonie, DVjs 40 (1966) 71-75; FISCHER, Stud., S. 99, (Schreiber Johannes Viler de Koburg) und 114, 299 Nr. 7, 387. Gotha, LB, cod. Fol. 11 (im Auftrag von WERNER WILLIAMS-KRAPP Pfalzgraf Ottheinrich illuminierte Prachths. v.J. 1530/32). 'Augensegen' -> 'Münchner Augensegen' Einzelne Bücher scheinen ihre besondere Geschichte zu haben: Die Paulinischen Augheim -> Brunwart von A. Briefe haben nach VOLLMER (BdK 6, S. 202) auf die Zainer-Bibel (Augsburg 1473), 'Augsburger Bibelhandschrift' Nachfolgedruck der Mentel-Bibel, einge1. Die Bibeltexte in cod. 3 der Augsburger wirkt; die Perikopen sind neue Bindungen StB (v. J. 1350 und wenig später) gehören zu eingegangen (darüber wenig klar und im WALTHERS Zweig 7-9. Die Hs. in östl. einzelnen fehlerhaft WALTHER, Sp.375). Schwäbisch enthält die vier Evangelien, L i t e r a t u r . WALTHER, Bibelübers., S. 356-358; M. Apokalypse, Katholische Briefe, Perikopen- BISEWSKI, D. mhd. Übers, d. Perikopenbuchs, d. Apobuch von einer ersten und frühesten Hand kalypse u. d. Katholischen Briefe in d. Augsburger Hs., (dat. 1350, f. 250vb), die Apostelgeschichte Diss. Greifswald 1908; K. WINCKLER, D. mhd. Übers, (in der Hs. verbunden an 2. Stelle nach den d. Paulinischen Briefe in d. Augsburger Hs., Diss. Evangelien, f. 92ra-123vb, urspr. nach den Greifswald 1908; K. ZIMMERMANN, D. mhd. ApostelXXXIV (nach Straßburg); Liedersaal I 161-172 Nr. 27 (nach Donaueschingen); GA I 249-256 Nr. 12 (nach Liedersaal mit Laa. von Straßburg); K. SCHÄDEL/F. KOHLRAUSCH, Mhd. Elementarbuch, 21866, S. 245, 252 Nr. 15a (nach GA); NGA I 244-250.

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'Augsburger Gebet' - 'Augsburger Georgspiel'

gesch. in d. Augsburger Hs,, Diss. Greifswald 1908; F. FELKE, D. mhd. Übers, d. vier Evangelien in d. Augsburger Hs., Diss. Greifswald 1909; VOLLMER, BdK, s. Hss.Reg. Bd. 10, S. 55*ff. „ „ K. RUH

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Bevölkerungsschichten (Bürger-Ritter-König) diese Gefahr abzuwenden, dargestellt, im zweiten die Rettung der Stadt durch den hl. Georg und die Bekehrung der heidnischen Bevölkerung. Die legendarische Vorlage des Spielautors 'Augsburger Gebet' dürfte im wesentlichen der Redaktion der Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 3851, l r , aus dem 'Legendaaurea' des -»Jacobus de Voragine Augsburger Domstift, spätes 9.Jh.; Sammlung von (GRAESSE, Leg. aur. Nr. 56) entsprochen Bußordnungen, kanonistischen Schriften u.a., an ihrer haben, wobei jedoch zusätzlich Motive aus Spitze (nachträglich ?) das Gebet, erst lat., dann ahd. München, clm 14473 (Eingreifen Georgs im Aufgrund des Schriftcharakters denkt BISCHOFF, 1971, göttlichen Auftrag, Aufzählung der von den an lothringische Herkunft der Hs. A u s g a b e n . J.A. SCHMELLER, AnzfKdVz 2 (1833) Heiden verehrten Götter, Gebet Georgs vor 176; MSD Nr. XIV; STEINMEYER, Sprachdenkm. Nr. dem Drachenkampf) mit eingeflossen sind. XVIII (dort Zusammenstellung der älteren Ausgaben); Daneben ist das Spiel deutlich der TradiBRAUNE, Leseb. Nr. XXXVII, l; Faksimile bei PETZET/ tion des geistlichen Schauspiels verpflichtet GLAUNING, Deutsche Schrifttafeln 1,1910, Tafel X. (Beratungsszenen, Teufelsauftritt, compasDas seiner Sprache nach rheinfrk. Gebet sio-Appell der Mütter in Anlehnung an die ist in vier anspruchslosen Otfridschen Reim- Marienklagen). Der Spieltext zeichnet sich durch selbpaaren abgefaßt. Ohne poetischen Reiz, ist es lediglich eine möglichst getreue Über- ständige Behandlung des Stoffs aus: Georg tragung der in der Hs. vom gleichen Schrei- spricht den Heiden das Symbolum vor und ber unmittelbar vorweg aufgezeichneten erklärt die Sakramente der Taufe und Gebetsformel Deus cui proprium, in der Beichte in ihrer heilstheologischen BedeuSündenvergebung erfleht wird. In ihrer tung; der Dialog zwischen Georg und der heute gebräuchlichen, textlich etwas erwei- Königstochter Elia - in der Legende nur terten Form gehört sie u. a. zu den der Aller- wenige Zeilen — macht hier etwa ein Viertel heiligenlitanei zugeordneten Orationen. Die des Gesamttextes aus. Solche Zusätze und von unserem Denkmal gebotene Fassung Erweiterungen gehen meist nicht in ihrer stimmt zum Text des Sacramentarium Gre- spielimmanenten Funktion auf, sondern gorianum (Das Sacr. Greg, nach dem Aache- sind deutlich als religiöse Unterweisungen ner Urexemplar, hg. von H. LIETZMANN, des Publikums zu erkennen. 1921, Nr.201,12). Im Spiel wird der hl. Georg, der durch das Symbol der Kreuzesfahne als ChristusL i t e r a t u r . MSD II 88f.; BISCHOFF, Schreibschulen typus gekennzeichnet ist, in seiner doppelI 14; ders., Frühmal. Stud. 5 (1971) 117. ten Funktion als Vorbild und Nothelfer der ACHIM MASSER sündigen Menschheit vorgestellt. Daneben wird eine bürgerliche Ethik vermittelt, die 'Augsburger Georgspiel' in Anlehnung an die scholastische Glaubens- und Tugendlehre die rechtliche Ü b e r l i e f e r u n g . Augsburg, SB u. StB, 4° cod H27, 90 -135 , kurz vor 1486, schwäb.,Lesehs.; RegieanweiGleichstellung der Bürger gegenüber dem sungen lassen auf ein Aufführungsexemplar als Vorlage Adel sowie die Gleichheit aller Menschen schließen. Eine Aufführung ist nicht belegt. vor dem Tod betont. A u s g a b e n . GREIFF, S. 171-191; KELLER, Fsp. 2. A u f f ü h r u n g . Das Ensemble umfaßte Nachlese, S. 130-182 Nr. 126; UKENA, S. 361^51. 32 Personen sowie die Statistengruppe 1. Text. Das Spiel (ca. 1500 vv.) drama- 'Volk'; hinzu kam die Darstellung des Dratisiert Georgs Kampf gegen den Drachen chen. Die Handlung des Spiels verlangte und läßt sein Martyrium unberücksichtigt: eine Simultanbühne mit etwa neun BühnenIm ersten Handlungsteil werden die Bedro- ständen, wobei der Stand des Königs zweihung der heidnischen Stadt durch den Dra- geteilt war. Da Georg den Weg zum Schauchen und der Versuch der Bewohner, durch platz des Drachenkampfes zu Pferde zudas Auslosen von Menschenopfern aus allen rücklegt und auch reitend kämpft, ist wahr-

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'Augsburger Liederbuch'

scheinlich zu ebener Erde gespielt worden. Zur Kennzeichnung der Stadt wurde eine praktikable Mauer errichtet. Vor und während des Drachenkampfes verläuft die Handlung simultan: Während Georg mit Elia spricht und dann den Drachen bekämpft, beobachten Bürger der Stadt das Geschehen von der Mauer aus (Zeitraffereffekt). L i t e r a t u r . B. GREIFF, Ein Spiel v. S. Georg, Germ, l (1856) 165-171; KELLER, Fsp. Nachlese, S.331 f.; V. MICHELS, Stud, über d. ältesten dt. Fastnachtspiele (QF 77), Straßburg 1896, S.9-11; R. KINDINGER, D. Drachenkampf mit dt. Volksspiel. Diss. (masch.) Wien 1939; G. SIMON, D. erste dt. Fastnachtspieltradition (German. Abhh. 240), 1970, S.20-22; M. SCHWARZ, D. hl. Georg - Miles Christi u. Drachentöter. Wandlungen seines lit. Bildes in Deutschland v. d. Anfängen bis in d. Neuzeit, Diss. Köln 1972; E. UKENA, D. dt. Mirakelspiele d. SpätMAs. Stud. u. Texte, Bern-Frankfurt 1975, S. 97-132; H. BIERMANN, D. deutschsprachigen Legendenspiele d. späten MAs u. d. frühen Neuzeit, Diss. Köln 1975.

HEINRICH BIERMANN

'Augsburger Liederbuch' 1. Die in Augsburg angelegte Hs. München, cgm 379 ist, wie andere schwäb. Sammelhss. dieser Art und Zeit, aus den Privatinteressen eines bürgerlichen Haushalts erwachsen (vgl. -»· Hätzlerin, Klara, -»•Kebicz, Jakob, ferner Berlin, mgq 1107, dazu H. FISCHER, ZfdA91 [1962] 236-254). Genau genommen trifft die Bezeichnung 'Liederbuch' nur den lyrischen Teil der Hs. (99r-165v; abgeschlossen am 15. Juli 1454: 147V); andererseits entspricht es diesem Gebrauchstyp, daß das Interesse des (unbekannten) Sammlers sich auf Kleindichtung aller Art erstreckt (so daß u.a. auch die Liedreihe nicht durchwegs unvermischt bleibt): Mären, Minnereden, didaktische wie obszöne Reden, Kurzgnomik und - bezeichnend für seinen Bildungsstand - lat./dt. (satirische) Gedichte. Dazu tritt weiterhin (bis 1487 oder wenig später) v.a. Chronikalisches (vorwiegend Prosa). Dieser Zusammenhang, und dazu vor allem das völlige Fehlen von Melodieaufzeichnungen, unterscheidet das 'A.Ldb.' grundsätzlich von dem etwa gleichzeitigen -»'Lochamer-Ldb.', das im übrigen die meisten Parallelüberlieferungen (7) auf weist.

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Der Hauptfaszikel der Hs., in dessen Schlußteil die Lieder stehen, ist fast ganz von einem 'm. k.' (147V) geschrieben, der, obwohl manches dagegen spricht, als Lohnschreiber gilt und ebensowenig wie die zweimal von ihm apostrophierte 'Stac(r?)talin' bisher identifiziert ist. A u s g a b e n . J. HOLTE, Ein A. Ldb. v. Jahre 1454, Alemannia 18 (1890) 97-127,203-237 (in der ursprünglichen Reihenfolge [Lagenverbund!]; gegenwärtigen krit. Ansprüchen nicht mehr genügend). Über Ausgaben einzelner Texte und (anderweit erhaltener) Melodien unterrichtet SEIDEL.

2. Einschließlich dreier Dubletten umfaßt die Sammlung 97 weltliche Lieder, fast ausnahmslos Liebeslieder der verschiedensten Situations- bzw. Rollentypen und ihrer Mischformen (thematisch profiliert sind v. a. Abschied, einschließlich dreier Tagelieder, Zerwürfnis und Neujahr bzw. Liebesklage, Werbung und Schönheitspreis). Dazu kommt ein abschließender Liebesbrief eines Mädchens in Prosa - Pendant zu der einleitenden (gereimten) salutado eines Mannes. Diese Rahmenvorstellung des direkten Privatverkehrs ist auch sonst öfter gegenwärtig, wozu nicht zuletzt der relativ hohe Anteil an Mädchenliedern (7 Nrr.) beiträgt (direkte Scheltreplik Nr. 30 : 35; das Pflänzchen Wohlgemut als 'Brief-Beilage in Nr. 46). Auswahl oder Gliederung des Materials bestimmt sie jedoch nicht, und, abgesehen von Einzelfällen (Hans -> Heselloher, der zugleich die Gattung Neidhart vertritt), scheinen auch andere Ordnungsprinzipien keine Rolle zu spielen. Es überwiegen einfache Bauformen (auffallend häufig mit Kehrreim oder Körnern). Der meisterliche Sangspruch erscheint nur in den Randzonen: -»Harder (Nr.3) bzw. -> Muskatblüt (Nr. 93,94), letzterer im Rahmen einer auch episch-dialogisch weitenden Schlußsteigerung (—> 'Kerenstein-Ballade', 'Buhler, Spieler und Trinker', priapeischer Schwank). Vor allem in den Rollenliedern bleibt auch die Aussage meist einfach, d.h. formelhaft 'höfisch'. Originelle und konsequent durchgeführte metaphorische Einkleidungen sind selten (u.a. eine kaufmännische Abrechnung: Nr. 88). 3. Die ganz überwiegend anonymen bzw. anonym überlieferten Texte (darunter 64 Unica) stammen im Wesentlichen aus der Zeit vom späten 14. Jh. bis zur Gegenwart

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'Augsburger Marienklage' - 'Augsburger Osterspiel'

des Sammlers. Daß er sich, wie im Fall der Minnereden (s. LEIDERER, S.34-39), z.T. auf ältere Anthologien stützte, bleibt allenfalls zu vermuten (Nr. 71-74 = Nr.5,4, -, 3 im Liedverzeichnis cgm 5919). Anderes ist Streugut aus Autorensammlungen (-»· Mönch von Salzburg, -> Oswald von Wolkenstein). L i t e r a t u r . Beschreibungen der Hs.: R. LEIDERER (Hg.), Zwölf Minnereden d. Cgm 270 (TspMA 27), 1972, S. 10-25; SCHNEIDER, München II 96-115. K. J. SEIDEL, Der Cgm 379 d. Bayer. Staatsbibl. u. d. 'A.Ldb.' von 1454, Diss. München 1972 (detaillierte Materialaufnahme zum Ldb.).

MICHAEL CURSCHMANN 'Augsburger Marienklage' Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 109, 161M63V, v. J. 1516 (aus Augsburg); cpg 639, 175r-176v, 15. Jh.; Weimar, LB, Hs. 0/72, Bl. 45, v. J. 1436; Donaueschingen, cod. 106, 37v-40r, 14./15.JH. (aus Inzigkofen, s. BANZ); Berlin, mgq 1131, 7r-8v, 15. Jh. - Erweiterte Fassung: Kremsmünster, Stiftsbibl., cod. 393, 55r-67v, v. J. 1498/99 (aus dem Benediktinerkloster Wiblingen); München, cgm 5134, 53r-55v, 1. H. 15. Jh.; Chur, Kantonsbibl., cod. B l (olim 53 a), 64v-67r, 15. Jh. A u s g a b e n . WACKERNAGEL, KLII354f. Nr.512 (nach cpg 109); ebd. S.612f. Nr.799 (nach Weimar, Hs. 0/72; sog. 'Weimarer Marienklage'); S. MAYR, Zwei Marienklagen, Progr. Kremsmünster 1882, S. 29 bis 32, 37-59 (nach Kremsmünster, Hs. 393; sog. 'Wiblinger Marienklage').

Die Bezeichnung des 132 Verse (11 Strr. zu je 6 Reimpaaren) umfassenden Gedichts als 'A.M.' ist in zweifacher Weise irreführend. Der Ortsname ist nach dem Schreibort der von WACKERNAGEL, S.354f., benutzten Hs. gewählt. Dieselbe Dichtung liegt aber auch in der sog. 'Weimarer Marienklage' (WACKERNAGEL, S. 612 f.) und in der Donaueschinger Version vor, ferner in stark erweiterter Fassung (772 Verse) in der sog. 'Wiblinger Marienklage'. Das Gedicht beginnt mit den Worten Maria dag diu was so groz, kann aber nicht eigentlich als Marienklage bezeichnet werden. Es ist vielmehr eine epische Darstellung des Geschehens unter dem Kreuz, in die umfangreiche Klageworte Marias eingebettet sind. Das Gedicht ist von geringem poetischen Wert. Eine einheitliche Quelle liegt mit Sicherheit nicht vor. Der Verfasser benutzt Elemente aus dem -» 'Bernhards-

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traktat', die aber vielleicht schon in deutscher Sprache vorgeformt waren, wie es bei den ebenfalls verwendeten Versikeln aus deutschen Marienklagen sicher der Fall ist. In den Hss. aus Augsburg, Donaueschingen, Kremsmünster und Chur ist das Gedicht mit einer ebenfalls llstrophigen Passionserzählung {-> 'Passionsgedicht Do Christ mit sinen jungern az') verbunden, die, wie Anlage und Reimtechnik beweisen, von demselben Verfasser stammt. Die mit sehr wenigen Ausnahmen einsilbigen Reime sind - von einigen Assonanzen abgesehen - bemerkenswert rein und setzen noch den mhd. Lautstand voraus. Allerdings läßt der Verfasser Kontraktionen zu, z.B. leit.-geseit (gesaget), wip:lit (lidet). Der Reimtechnik nach dürfte das Gedicht noch dem 13. Jh. angehören und in Oberdeutschland entstanden sein. Die erweiterte Fassung gehört dagegen frühestens dem 14. Jh. an. L i t e r a t u r . A.E, SCHÖNBACH, Über d. Marienklagen, 1874, S. 50; R. BANZ, Christus u. d. Minnende Seele, 1908, S. 20f. Anm. 1; G. SEEWALD, D. Marienklage im mlat. Schrifttum u. in d. germ. Literaturen d. MAs, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 129.

HANS EGGERS 'Augsburger Oster spiel' Ü b e r l i e f e r u n g . Feldkirch, Kapuzinerkloster, ms. Liturg. l rtr.m (1972 vonLIPPHARDTentdeckt);Pap.,8°, 2. H. d. 16. Jh.s, 169 Bll. Inhalt: Abschrift eines Processionale d. 15. Jh.s für eine der beiden großen Augsburger Kirchen; 37v-50r: Lustracio Altarium am Gründonnerstag mit Aufzählung aller 19 Altäre, darunter die für Augsburg charakteristischen S. Blasius, S. Simpertus, S. Udalricus. Auf Augsburg weist auch die Allerheiligenlitanei 109r-lllr. Vorbesitzer: Macharius ab Herbstheim est uerus possessor huius libri. Anno Domini 1.5.9,8. (Vorsatzbl.). A u s g a b e (mit Faks.): W. LIPPHARDT, D. neuaufgefundene Osterspiel-Hs. d. Kapuzinerklosters Feldkirch (Jb. d. Vorarlberger Landesmuseums-Ver.), Bregenz 1975.

Das . .' ist ein deutsches Osterspiel (mit lat. und dt. Zwischengesängen) von 383 Versen, von denen 41 Zeilen auf lat., 34 auf dt. Text gesungen werden. Während die lat. Gesänge dem in Deutschland üblichen Schema der Auferstehungsfeier der 3. Stufe (Magdalenen-Spiel) entsprechen, wobei auch die Str. Omnipotens pater altissime (v. 38-41) die Verbindung zum

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'Augsburger Passionsspiel'

Mercatorspiel mit seiner lat. Zehnsilblerstr. schlägt, sind die dt. Gesangsstrr. mit einer Ausnahme lauter Klagestrr. der drei Marien, der Maria Magdalena und des Johannes, die mit Text und Melodie nur in dieser Fassung vorkommen. Die Ausnahme ist eine zu singende Übersetzung der lat. Str. Vere vidi Dominum vivere, die auch sonst vorkommt. Alle Gesänge sind mit gut lesbaren rhombischen Noten auf 4 Linien aufgezeichnet. Es ist bemerkenswert, daß das . .' sowohl in den dt. Cantat-Strr. als auch in den Dicit-Versen nur selten Berührungen mit anderen mal. Osterspielen zeigt (z.B. v. 131—134 Den yr suochen, der ist nit hie... = -> 'Villinger Passionsspiel', v. 70, 2-70, 10; v. 136-139 Wier glauben euch ihr Engel fein ... = —>· 'Regensburger OsterspieP; v. 163-165 -*· Treiburger Fronleichnamsspiel', v. 1926-1929; v. 339f., Joannes, Joannes, wie ist dir so gach ... = -> 'Luzerner OsterspieP, v. 10 585f.). Das Spiel wird eröffnet vom Silete-Gesang des Engels und seiner 28 vv. umfassenden Präfatio desselben. Der Engel beendet auch das Spiel mit der 12 vv. umfassenden Conclusio, an deren Ende er alle zum Ostergesang -^'Christ ist erstanden' aufruft. Es enthält die Wehklage der Frauen, die Visitatio Sepulchri, die Magdalenenszene, die Sequenz 'Victimae paschali', den Wettlauf der Jünger (mit komischen Elementen) und die Thomasszene. Die Mundart weist nach Augsburg. Aufführungsort war die Kirche, für welche das Prozessionale bestimmt war, in dem das Spiel steht, vermutlich die Abteikirche St. Ulrich und Afra in Augsburg oder der Augsburger Dom. .„. T

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ihretwegen ratschlagen die Juden über Jesus, der währenddessen mit seinen Jüngern in Bethanien weilt und bei Simon Leprosus von Maria Magdalena gesalbt wird. Das Stück endet in zwei Alternativschlüssen, repräsentiert also zumindest zwei verschiedene Aufführungen. Der kurze erste bietet nur die Auferstehung Christi sowie das Erwachen und die Flucht der Grabwächter. Der ausführliche andere enthält die Szenen von Höllenfahrt, Auferstehung, Erscheinung Christi vor Maria und deren Einsetzung als Fürbitterin, Geleitung der Altväter ins Paradies, visitatio sepulchri und Erwachen der Grabwächter. 2. Die dogmatische Korrektheit der Reihenfolge von descensus und Auferstehung, die das Stück mit der -»'Frankfurter Dirigierrolle', dem —* 'Osnabrücker Oster-' und dem -> 'Künzelsauer FronleichnamsspieP teilt, ist ihrer Seltenheit wegen bemerkenswert. Mit dramatischer Ironie ist die Ahnungslosigkeit der noch im Augenblick ihrer nahenden Niederlage großsprecherischen Teufel, mit tragischer Ironie die Muttersorge Marias gestaltet, die den Sohn, wie schon im Passionstraktat —»Heinrichs von St. Gallen, der damit auf das -* 'Brixener' und -> 'Egerer Passionsspiel' einwirkte, ausgerechnet dem Schütze Judas' anbefiehlt, und das unmittelbar nachdem dieser ihn gerade verraten hat. Ohne daß Präfigurationen wie im -> 'Heidelberger Passionsspiel' dargestellt würden, werden doch präfigurativem Denken entsprechend AT und NT heilsgeschichtlich miteinander verknüpft, wenn der Judaslohn in denselben dreißig Silberlingen besteht, die voreinst für den Verkauf Josephs bezahlt wurden. Die Verurteilung Jesu vollzieht WALTHER LIPPHARDT sich in Formen zeitgenössischer und einheimischer Gerichtspraxis - mit Stabbre'Augsburger Passionsspiel' chen und öffentlicher Ausrufung des Urteils durch einen Büttel - und entspricht damit Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 4370, schwäb., 15. Jh., aus St. Ulrich u. Afra zu Augsburg. in dieser Szene deutlicher als vielfach sonst Ausgabe. A. HARTMANN, D. Oberammergauer der allgemeinen Tendenz zur Verwischung Passionsspiel in seiner ältesten Gestalt zum ersten Male der Grenze zwischen gespielter Wirklichhg., 1880, S. 1-100. keit und Publikumsrealität. Das auch ander1. Der Anfang der Hs. ist verloren. Das weit im Stück durch dieses Verfahren Spiel beginnt mitten in einer Szene, die auf praktizierte Illusionstheater, durch das sich die nicht erhaltene Darstellung der Auf er- das volkssprachige geistliche Schauspiel weckung des Lazarus Bezug nimmt. U.a. grundlegend von der symbolischen Reprä-

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'Augsburger Sachsenspiegel' - 'Augsburger (südbairisches) Heiligkreuzspiel'

sentation der liturgischen Feiern und ihrer schauspielerischen Distanzhaltung unterscheidet, macht es gelegentlich nötig, der dadurch geradezu herausgeforderten Verwechslung von Spiel und Wirklichkeit vorzubeugen. Wie im —> 'Berliner (rheinischen) Osterspiel' wird das Publikum vorsorglich eigens darauf hingewiesen, daß der mit stain vnd b&cbsen veranstaltete Donner bei Christi Auferstehung niemandem ein Leid tun werde, weil er nicht Wirklichkeit, sondern nur vorgetäuschte Wirklichkeit sei. 3. Wie der Text mit seinen nicht viel mehr als zweieinhalbtausend Versen im Vergleich etwa zu den über 8000 des -> 'Alsfelder Passionsspiels' einen nur bescheidenen Umfang hat, so auch die bloß eintägige Inszenierung. Mit 11, bzw. - nämlich bei Darstellung des ausführlicheren zweiten Schlusses - mit 13 Bühnenständen und einem Ensemble von 69, bzw. 88 Mitwirkenden hält sich die Aufführung eher im Rahmen eines großen Oster- als eines Passionsspiels. 4. Textlich berührt sich das Drama mit den Tiroler Passionsspielen - ob direkt oder durch das -» 'Egerer Passionsspiel' vermittelt, bleibt offen. Seinerseits übt es eine noch andauernde Nachwirkung aus, stellt es doch einen der beiden Grundtexte des 1634 gelobten Oberammergauer Passionsspiels dar. (Der andere ist die Passion von 1566 des Augsburger Meistersängers Sebastian Wild.) L i t e r a t u r . H A R T M A N N (s.o. Ausg.); J.E. WACKERNELL, Altdt. Passionsspiele aus Tirol (Quellen u. Forsch, z. Gesch., Lit. u. Sprache Österreichs u. seiner Kronländer. 1), Graz 1897, S.CXXV-CCXXI; dazu krit. K. RUH, Stud, über Heinrich v. St. Gallen u. d. 'Extendit manum'-Passionstraktat, ZSchwKG 47 (1953) 251 bis 261, bes. 259ff.; B. THORAN, Stud, zu d. österlichen Spielen d. dt. MAs, Diss. Bochum 1969; R. STEINBACH, D. dt. Oster- u. Passionsspiele d. MAs (Kölner german. Stud. 4), 1970,5.205-215.

HANSJÜRGEN LINKE

'Augsburger Sachsenspiegel' Ü b e r l i e f e r u n g . Gießen, ÜB, cod. 972, 62r-67r ( = A); ebd., 93v-98r (=B), Vorbesitzer war Konrad Peutinger; Free Library of Philadelphia, Frederick Lewis Collection 69 (= De Ricci-Wilson 163), 122V bis 133 V (=C). Ausgaben. Deutschenspiegel u. 'A.S.', hg. v. K. A. ECKHARDT u. A. HÜBNER ( = MGH, Frontes iuris ger-

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manici antiqui, Nova Series III), 21933 (Abdruck parallel z. Text d. Deutschenspiegels nach A u. B); K. A. ECKHARDT, Studia iuris Teutonici. Deutschenspiegel (= Bibliotheca Rerum Historicarum. Studia III), 1971, S. 127-148 (Paralleldruck von A u. B, als P, u. P2 bezeichnet).

In Augsburg erfolgte in den Jahren 1265/76 eine Bearbeitung der ersten obd. Sachsenspiegelübers. (-»Eike von Repgow) unter starker Benutzung von Augsburger Gewohnheitsrecht, von der nur 33 Artikel erhalten sind. Zusammen mit dem —> 'DeutschenspiegeP gehört der 'A.S.' zu den Quellen des Urschwabenspiegels (-> 'SchwabenSpiegel'). L i t e r a t u r . Vgl. die Ausg.n; HOMEYER, Rechtsbücher, S.* 16; H.-J. BECKER, Eine unbekannte Hs. d. Schwaben- u. 'A.S.s', ZRG 88 (1971) 190-197 (mit Proben aus C).

PETER JOHANEK

'Augsburger Städtechroniken' s. Nachträge 'Augsburger (südbairisches) Heiligkreuzspiel' Überlieferung.Augsburg,SBu.StB,4°cod.H.27, 47r-89y, tirol., ca. 2000 Verse. Die Hs. wurde kurz vor 1494 fertiggestellt. Obwohl sie vermutlich als Lesens, diente, lassen Rücksichten auf bühnentechnische Gegebenheiten sowie Anweisungen an den Regisseur darauf schließen, daß der Text ursprünglich für eine Aufführung konzipiert wurde. Zwei Textlücken nach v. 64,8 und 121,21 sind offensichtlich durch Blattverlust entstanden. Der ebenfalls verlorene Anfang läßt sich nach den Angaben v. 89,18-23 rekonstruieren: Das Spiel wurde mit einer Teufelsversammlung eröffnet. A u s g a b e n . KELLER, Fsp. Nachlese, S.54-122 (Nr. 125) (zit.); UKENA, S. 453-559.

I.Text. Die Handlung ist auf zwei Spieltage verteilt; am ersten wird die Kreuzauffindung (Sieg Constantins über Maxentius und Auffindung des Kreuzes Christi durch die hl. Helena), am zweiten die Kreuzerhöhung (Raub des Kreuzes durch den Perserkönig Costras; Sieg des Kaisers Eraclius über Costras und Rückführung des Kreuzes nach Jerusalem) dargestellt. Im Spiel soll zum einen der heilsgeschichtliche Prozeß der allmählichen Durchsetzung des Christentums in der Historic dargestellt werden; die Handlung setzt daher erst mit Konstantin d. Gr. ein und läßt die gesamte Vorgeschichte des Kreuzesholzes ebenso

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Augustijn

unberücksichtigt wie das Martyrium des Judas-Quiriacus. Zum anderen wird besonders in den Kampfszenen die Überlegenheit dessen, der sich dem Schutz des Kreuzes anvertraut, demonstriert, um so das Vertrauen des Zuschauers in die Allmacht Gottes zu festigen. 2. A u f f ü h r u n g . Beide Spieltage sind für dasselbe 'Ensemble' von ca. 50 Darstellern eingerichtet; hinzu kommen Musikanten und Statisten. Die Handlung verlangt eine Simultanbühne mit etwa 12 Bühnenständen für jeden Spieltag. Da die Wege zwischen den einzelnen Orten (loca) mehrfach zu Pferde zurückgelegt werden, ist eine geräumige Bühne zu ebener Erde anzunehmen. Die Textangaben lassen auf eine unterschiedliche Beschaffenheit der einzelnen Stände schließen: Während an einigen Stellen Aufbauten errichtet wurden, z.B. die Brücke für den Kampf zwischen Costras und Eraclius, verlangten andere Stände Versatzstücke (Tische, Stühle, Altar etc.) und Versenkungen oder wenigstens Vertiefungen (zur Ausgrabung der Kreuze und der heiligen Nägel), die zu Beginn des Spiels mit Sträuchern und Gehölz überdeckt waren. Während der Aufführung wurden zusätzliche Veränderungen der Bühne vorgenommen: Die Sträucher werden bei der Kreuzauffindung abgeholzt, und Costras läßt seinen Palast errichten. Jede Tagesaufführung wird durch eine Eingangsprozession eingeleitet, bei der Pfeifer und Trompeter aufspielen. Instrumentalmusik wird auch im Rahmen der eigentlichen Spielhandlung verwendet. 3. Quellen. Da alle wesentlichen Motive des Spiels in der Heiligkreuzlegende des -> Jacobus de Voragine vorgegeben sind, kann die 'Legenda aurea' (GRAESSE, Leg. aur., Nr.LXVIII u. CXXXVII) zumindest als mittelbare Quelle des Spielautors angesehen werden. Mit den zahlreichen Boten- und Beratungsszenen sowie den Auftritten der Teufel fügt sich das Spiel in die Tradition des geistlichen Schauspiels ein. Eine Verbindung zu dem später entstandenen 'Luzerner HeiligkreuzspieP von Renward —> Cysat sowie dem 'Zuger Heiligkreuzspiel' von Wilhelm Stapfer besteht nicht.

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L i t e r a t u r . KELLER, Fsp. Nachlese, S.331; V. MICHELS, Stud, über d. ältesten dt. Fastnachtsspiele (QF77), 1896, S. 10; G. SIMON, D. erste dt. Fastnachtspieltradition, 1970, S. 20-22; E. UKENA, D. dt. Mirakelspiele d. SpätMAs. Stud. u. Texte, Bern-Frankfurt 1975, S. 223-251; H. BIERMANN, Die dt. sprachigen Legendenspiele d. späten MAs u. d. frühen Neuzeit, Diss. Köln 1975.

HEINRICH BIERMANN

'Augsburger Totentanz' -> 'Eine Vermahnung der geistlichen und weltlichen Stände Deutschlands' Augustijn Verfasser des Märe 'Der Herzog von Braunschweig'. Ü b e r l i e f e r u n g . Ashburnham-Place, Coll. Barrois Nr. 486, lv-20r [verschollen]. Die illustr. Hs. wurde i. J. 1463 geschrieben, sie enthält außerdem Abschriften von 'Loher und Maller' der -> Elisabeth v. NassauSaarbrücken und der 'Königin von Frankreich' von -> Schondoch. Der Schreiber nennt sich bruaer Johan ze Wortnsze. Beschreibung der Hs. bei PRIEBSCH, S.3-4. Eine vollständige A u s g a b e fehlt; ausführliche Proben mit verbindender Inhaltsangabe bietet PRIEBSCH, S. 197-219. Sprache und Reime weisen auf ein ndl. Original, das unbeholfen ins Hd. umgesetzt wurde.

Der Dichter nennt sich zwar selbst in den Schlußversen: Dyß hait gedieht Augustijn/ ouermytz des konings bede, aber sonst ist von ihm nichts bezeugt. Der Name A. dürfte sich eher auf den Dichter des ndl. Originals als auf den hd. Bearbeiter beziehen. Die Vermutung, daß wir es hier mit dem ndl. Märensprecher und Hofdichter Augustijnken van Dordt (2. Hälfte 14. Jh.) zu tun haben (FISCHER, S. 191), läßt sich vom Gedicht selbst her nicht bestätigen. Aber offenbar gehörte A. immerhin zu den Berufsdichtern (FISCHER, S. 215). Das nicht sehr kunstvolle Gedicht mit ca. 2000 Versen behandelt die abenteuerliche Geschichte eines Herzogs von Braunschweig, der dem König von Spanien zum Erfolg gegen den maurischen König von Aragonien verhilft, dann aber auch die Liebe der Gemahlin des Königs, der inzwischen Christin gewordenen Tochter des Maurenkönigs, gewinnt. Während der Herzog sich mit der geliebten Königin nach Venedig begibt, werden beide in Spanien für tot gehalten. Nach einem glücklichen

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Augustinus

Jahr macht die Königin sich Vorwürfe wegen der nachlassenden ritterlichen Tätigkeit des Herzogs. Sie entflieht heimlich und gelangt nach Übersee. Es folgt des Herzogs abenteuerliche Suche nach der Geliebten, wobei er zuerst sein väterliches Erbe, dann, nach dem Tode des Königs, den spanischen Königsthron und schließlich zum zweiten Male, jetzt für immer, die Königin gewinnt. Dieses Märe ordnet FISCHER, S. 99, den Vertretern des Themenkreises 'Ritterliche Aventiure' zu, weil es 'den durch das bekannte Brautwerbungsschema vorgebildeten Linien' (Bewährung von Rittertüchtigkeit und Minnetreue) folgt. Beziehungen zwischen diesem Gedicht und dem mndl. 'Gloriant', das zu den 'Abelen Speien' (2. H. 14. Jh.) gehört und ebenfalls von einem Herzog von Braunschweig berichtet, der nach einer abenteuerlichen Brautwerbung die Tochter eines Heidenfürsten gewinnt, lassen sich über die Namens- und Motivparallele hinaus nicht nachweisen. L i t e r a t u r . R. PRIEBSCH, Dt. Hss. in England I, 1896, S.3-4, S. 197-219; J. v. MIERLO, Geschiedenis van de Letterkunde der Nederlanden II, Brüssel 1940, S. 54f.; FISCHER, Stud., S. 58, 67, 99, 190f., 215, 240, 300, 388.

ROBERT LECLERCQ

Augustinus Heiliger und Kirchenvater

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benutzt A.s Theologie und Aszese; gelegentlich ist freilich Pelagianisches beigemischt (s.u. III. 10 u. 15). Abgesehen von den wenigen Übersetzungsproben in ahd. Zeit (s. u. III. 12 a) fallen die A.-Übertragungen frühestens in die 2. Hälfte des 14. Jh.s, zur Hauptsache ins 15. Jh. und darüber hinaus. Sie treffen so mit dem bekannten Aufschwung des Augustinismus unter Führung der AugustinerOrdensgemeinschaften zusammen, doch ist ein genereller Zusammenhang nicht zu beobachten, vielmehr primär festzuhalten, daß der umschriebene Zeitraum zugleich derjenige der Väter- und Kirchenlehrer-Übertragungen schlechthin ist, und dies im Rahmen einer Expansion der volkssprachlichen geistlichen Prosa, die ihresgleichen sucht. So kann allenfalls einzelnes dem erneuerten, z.T. humanistisch orientierten Augustinismus zugeordnet werden: sicher trifft dies zu für die 'Soliloquien'-Übertragung ->· Johanns von Neumarkt (s. u. III. 3 a) und die Predigten zu den Eremiten, die -»Jordan von Quedlinburg propagierte (s. u. III. 12 b), und eine 'De civitate Dei'-Übertragung (s. u. II. 3) scheint erst möglich, wo das Verhältnis von Antike und Christentum, Cicero und Augustin, diskutiert wird (s. F.J. WORSTBROCK, Z. Einbürgerung d. Übers, antiker Autoren im dt. Humanismus, ZfdA 99 [1970] 68f.).

A u s g a b e n . PL 32-47 (auf Grund der MaurinerEdition 1679-1700); CSEL 26 Teilbde, 1896-1974; dt. Übers.: Bibl. d. Kirchenväter, 12 Bde, 1911-35.

Heuristisch ist mit Ausnahme mndl. Übertragungen, die DE VREESE zusammengestellt (aber nicht beschrieben und nur in Ausnahmefällen identifiziert) hat, den zerstreuten Angaben bei BORCHLING, alle ohne Identifizierung, und einigen Hinweisen von STAMMLER und RUH für den deutschsprachigen A. kaum etwas geleistet. Das Folgende beruht auf gelegentlich und unsystematisch eingebrachten Materialien und kann keinen Anspruch auf volle Repräsentanz, geschweige denn auf Vollständigkeit erheben.

I. Die zahlreichen ins Mhd. übertragenen Schriften A.s sind in der überwiegenden Mehrheit unauthentische Opuscula. Dem Illiteratus, der den großen Kirchenvater in der Volkssprache las und hörte, war somit der 'eigentliche' A. weitgehend vorenthalten. Was er indes las, war immerhin mehrheitlich 'augustinisch': die Großzahl der übertragenen unechten Werke steht in augustinischer Tradition, verwertet und

II. A u t h e n t i s c h e S c h r i f t e n 1. Die 'Confessiones' erscheinen mhd. nur als Bruchstück eines Auszugs des -»Vinzenz von Beauvais im 'Speculum historiale' lib. XVIII, c. 53-99. Erhalten ist ein Doppelbl. der ÜB München (2° cod. ms. 750, 14. Jh., md.), das 1865 HOFMANN bestimmte und edierte; die später von LEHMANN / GLAUNING bekannt gemachten Doppel- und Einzelbll., die erst den 'Speculum

Geb. 13.11.354 in Tagaste (Numidien), 384 Lehrer der Rhetorik in Mailand, 386 Bekehrung, 387 Taufe durch Ambrosius, 391 Priesterweihe, 395 Bischof von Hippo, gest. 28.8.430.

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Augustinus

historiale'-Kontext der 'Bekenntnisse' ergaben, sind 1944 verbrannt. L i t e r a t u r . C. HOFMANN, Bruchstücke einer mhd. Übers, d. Confessiones S. Augustins, MSB 1865/1, S. 307-315; P. LEHMANN/O. GLAUNING, Mal. Hss.bruchstücke d. ÜB u. d. Georgianum zu München (ZfB Beih.72), 1940, S. 148-151; KORNRUMPF/VÖLKER, München, S. 107f.

Trotz des Fehlens einer eigentlichen Übertragung ist die deutschsprachige Rezeption der 'Confessiones' nicht unbedeutend : sie spiegelt sich in einer recht breiten Zitation (s.u. IV. 1). 2. 'De sancta virginitate' (PL 40,395-428) liegt in einer mndl. Übertragung mit dem Titel 'Boec vander joncfrouscap' vor; s. DE VREESE, S. 354. 3. Nach dem Zeugnis des Trithemius übersetzte Johann -> Gottfried, der dem humanistischen Kreis um Friedrich von Dalberg angehörte, in den späten 80er Jahren des 15.Jh.s 12 Bücher 'De civitate Dei' (nicht überliefert); s. WORSTBROCK (s. o. I), S. 58 ff. Über mndl. Einzelstücke aus 'De civitate Dei's. DE VREESE, S. 364. 4. 'Regeln' -> 'Augustinerregeln'. III. U n a u t h e n t i s c h e S c h r i f t e n Nach Verbreitung und Beliebtheit stehen 'Manuale', 'Soliloquia', 'Meditationes', alle aus dem späten 12. Jh., an der Spitze. Thematisch und stilistisch dürfen diese Schriften als spezifisch augustinisch gelten. Charakteristisch für sie ist die theozentrische Spiritualität und die innige, z.T. affektive Gebetshaltung (s. DThC I 2, Sp. 2289; A. WILMART, Studia Anselmiana 20 [1948] 91 f.). Verbreitet war auch das 'Speculum peccatoris', das auf -> Hugos von St. Viktor 'De modo orandi' beruht (s. Diet. spir. I 1134). Ich stelle diese Gruppe breit überlieferter Schriften voran und lasse die übrigen in alphabetischer Anordnung folgen. 1. Das 'Manuale' (PL 40, 951-968) liegt in verschiedenen obd. und in zwei mndl. Fassungen vor. A. Obd. Fassungen. a. Vollständige Übertragung in 37 Kap., ine. Wanne wir in die mittel der stricke geseczet sint so verkalten wir lihtiklich, in Berlin, mgo 58,79r-130v; mgo 478, lll v bis

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148r; mgq 175,187r-205v; Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 646,7r-86v; Nürnberg, StB, Cent. VI55, lr-37r. b. Kurzform in 10 Kap., ine. Von des wegen das wir in mitle der striken syent so werdent wir offt vnd dik l&w und kalt, in Heidelberg, cpg 643, lr-56v; Karlsruhe, LB, Georg. 79, 272v-292r; München, cgm 456, lM4r; St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 975, S. 3-120; Solothurn, Zentralbibl., cod. S. 435, lM5r; Wien, cod. 2840,314vb-327vb. c. Übertragung von Wolfgang —»Walcher OSB, vor 1500; s. W. HÖVER, Der Übersetzer W.W. (t 1518), Abt v. St. Peter in Salzburg, Euph. 62 (1968) 143-148, z. St. 148. Inc. Wir weren leicht kalt in der hymelischen pegir wann wir sein mitten vntter den vällen vnd stricken. d. Übertragung von Ludwig -»Moser O. Carth., um 1500, Druck: Michael Furter, Basel 1507, Vj r -Bbvij r . Inc. Sytmals wir enmitten vnder den stricken gesetzt sind, so erkalten wie lichtlich. Nicht einzuordnen vermag ich: Gießen, ÜB, cod. 799, 87r-119r; Wien, Schottenkloster, cod. 220 (olim 71), 29r-72v. B. Die beiden mndl. Übertragungen sind vorbildlich in synoptischer Anordnung, zusammen mit ihrem nächststehenden lat. Text, hg. von J.J. LUB, Sinte Augustijns hantboec, 2 Teile, Assen 1962. a. Fassung A mit 24 Hss. (LuB, S. 8 f., 22-69) und je 4 rip. und nd. Ausläufer (ebd. S. 16-18), dazu Drucke um 1500,1513,1519, um 1525 (ebd. S. 18f.). Titel: 'Sinte Augustijns hantboec'. Diese Fassung scheint mir nicht unabhängig zu sein von der obd. Fassung a. b. Fassung B aus dem 14. Jh. mit 3 Hss. (LuB, S.69-73). Titel: 'Sente Augustijns waerde vanden scouwene ons heren Jhesus Kersts ofte vanden waerde gods, dat men den gods sone heeten'. 2. 'Meditationes' (PL 40, 901-942) a. 'von der lieb der petrachtung' in München, cgm 70,86r-148r und Salzburg, Nonnberg, cod. 23 B 8, 65r-109v nach einer lat. Fassung, die in PL 40, 899/900 f. beschrieben ist (c. 11-37). b. Dieselbe lat. Fassung scheint dem mndl. 'boeck der ynnigher bedinghe' zugrunde zu liegen: Rotterdam, Gemeente

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Augustinus

Bibl., cod. 96E 8, 2r-56r; Rijsenburg, Groot Seminarie, cod. 54, 179ra-202ra; Druck: GW Nr. 2976. c. 'Betrachtungen des gotlichen Augustini' in 40 Kap., ine. Herre mein got, gib meinem herczen das es dich beger, in Heidelberg, cpg 205, 15v-133r (14.Jh.); cpg 436, 53va-99rb. d. Druck Johann Otmar, Reutlingen ca. 1492/95 (GW Nr. 2975). e. Über einzelne Stücke s. DE VREESE, S. 355 (mndl.) u. BORCHLING I 255; II 21; III 248. - Die 'betrachtynghe sunte Augustine' in Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl, Aug. 16 Theol. 8°, lMlr (BORCHLING III 175) beginnen mit Med. c. 13. 3. 'Soliloquia animae ad deum' (PL 40, 863-898) a. Übertragung —»· Johanns von Neumarkt um 1355 mit 17 bekannten Hss. Ausgaben: H. SATTLER, Graz 1904; J. KLAPPER, Schriften J.s v. N., 1. Buch der Liebkosung, 1930. b. Mndl. Übertragung mit Ausläufern ins Mnd. und Ripuarische; 15 Hss. bei DE VREESE, S. 363f., weitere 2 bei BORCHLING, IV 27; Drucke v. J. 1514 u. ca. 1540 (NijHOFF/KRONENBERG, Nederlandsche Bibliographie van 1500-1540, 's-Gravenhaage 1923-1940, Nr. 154/155); Ausgabe (nach dem unvollständigen Text in Utrecht, ÜB, cod. 1688) H. E. MOLTZER, Die enighe sprake ende vereneghinge die sunte Augustinus hadde mit God (Bibliotheek van Middelnederlandsche Letterkunde 44), Groningen 1890, S. 37-70. 4. Vom 'Speculum peccatoris' (PL 40, 983-992) liegen verschiedene mhd. Übertragungen vor, die indes ohne nähere Untersuchungen schwer auseinanderzuhalten sind. STAMMLER, Prosa, Sp. 860 schreibt eine —»Johann von Speyer zu, weil sie in Melk, Stiftsbibl., cod. 570 (olim 140) zusammen mit verschiedenen bezeugten Übertragungen Johanns überliefert ist. Derselbe Text in Melk, Stiftsbibl., cod. 1651 (olim 664) und Wien, Schottenkloster, cod. 134. Verschieden davon ist sicher der 'Spec. pecc.'-Text in München, cgm 432, Nürnberg, StB, Cent. VI 43d u. Cent. VI 82. Weitere mhd. 'Spec. pecc.'-Hss. bei W. STAMMLER, Frau Welt, Freiburg i. d. Schweiz 1959, S. 90 Anm. 31; E. WEIDENHIL-

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LER, Unters, z. dt.sprachigen katechet. Lit. d. späten MAs (MTU 10), 1965, S. 235; U. MONTAG, D. Werk d. hl. Birgitta v. Schweden in obd. Überl. (MTU 18), 1968, S. 67. Eine mndl. Übertragung - vielleicht sind es mehrere-mit mnd. und mfrk. Ausläufern hat zahlreiche Textzeugen aufzuweisen; s. W. DE VREESE, Beschrijving der Hss. van Jan van Ruusbroec's Werken, Gent 1900, S. 188 u. 424 Anm. l; H. BECKERS, Leuv. Bijdr. 60 (1971) 253f.; dazu cod. Ruh o.S., 189r-205v (rip.). 5. 'De diligendo Deo' (PL 40, 847-864) Als Verfasser gilt heute Alcher von Clairvaux (Diet. Spir. 1295). Eine mndl. Übertragung 'Sunte Augustijns gedachten', deren Hss. H. BECKERS, Leuv. Bijdr. 60 (1971) 249-251 zusammengestellt hat, wird Dire van Herxen (1381 bis 1457), dem zweiten Rektor des Zwoller Fraterhauses, zugeschrieben (J. DESCHAMPS, De dietse kollatieboeken van D. v. H., Handelingen van het 23e Vlaams Filologen-Congres, Brüssel 1959, S. 186 bis 193). Originalnah liegt sie in Utrecht, ÜB, cod. 3 L 3,179^-187^ (v. J. 1445) vor. Auch hier gibt es Umschriften ins mfrk. und nd. Grenzgebiet: Hamburg, SB u. ÜB, theol. 2074, 2r-34r (BORCHLING I 128) und Essen, Arch. d. Münsterkirche o. S., 175v-227r (bei BECKERS unter Vorbehalt der Identität mit der Utrechter Hs.). 6. 'De duodecim abusionum gradibus' (PL 40, 1079-1088), Schrift eines irländischen Autors des 7. Jh.s. Übers, von Jakob —»Weiglin, aber unter dem Namen -> Cyprians. Druck Reutlingen 1492 (GW Nr. 2935). 7. 'Epistola ad Monicam' (— —> Adaiger, 'Admonitio ad Nonsuidam reclusam, PL 134,915-938). Übertragung des Johannes -»Jack, Prediger in Biberach, in Berlin, mgf 1045,16r-24v. 8. 'De fide ad Petrum sive de regula verae fidei (PL 40, 753-780), Fulgentius de Ruspe zugeschrieben (DThC I 2, Sp. 2309). Übersetzung des 14,Jh.s, 'buchlin von dem glauben' (40 Kap.), in Heidelberg, cpg 411, 73r-89v. Inc. Ov solt daz vestiklichen halten vnd zweyfel mit niht daran. 9. 'De interior! domi', in der Regel -» Bernhard von Clairvaux (PL 184,507-552)

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Augustinus

zugeschrieben, erscheint als Werk Augustins unter dem Titel 'Boke van der samwitticheyt' entsprechend dem lat. Titel 'De conscientia aedificanda'; s. BORCHLING I 255, II21, III 248; DE VREESE, S. 359. 10. 'De mysterio trinitatis et incarnationis' (PL 39, 2196-98) gilt als pelagianisch (DThC XII 680). Bearbeitung in Reimpaarversen mit dem Titel 'Red des heiligen lerer sand Augustin wider die Juden vnd all ander vngelewbig lewt'. Es handelt sich um zwei Stücke. Das zweite folgt Paulus Diaconus, 'Homilarius de sanctis hominibus XII. In annuntiatione beatae Mariae vel potius in adventu domini' (PL 95,1470—75). Überl. in Berlin, mgf 1107, 514ra-516vb bis 523rb, v. J. 1387 (bair.) und Wien, ser. nov. 89 [Suppl. 2572], 2 -1 -29 (bair.). 1. Teil (zit. nach der Berliner Hs.): 300 vv. Inc. A/5 wir lesen daz ez geschah/daz der vil heilig Moyses sprach/hör Israhel gates gepot. Voran geht ein Prolog, in beiden Hss. verschieden: B: Wer mit Juden well disputieren/vnd christlichen gelauben ziren (22vv.); W: Anuang vnd ende, herre lesu cristlAller guten ding der du bist. 2. Teil: 370 vv. 'Ein andrew red sand augustein'. Inc. Mir ist zu ew ir iuden gacb/mit frag ich ew nu vmb vach.

11. 'De scala paradisi' (PL 40, 997-1004), häufig auch Bernhard von Clairvaux zugeschrieben (PL 184, 475^84); als wirklicher Autor gilt Guigo II. O. Carth. (f 1137) (DThC I 2, Sp. 2310). Verschiedene Übertragungen : a. 'Die laiter in das paradiß', ine. Als ich uff ain zyt etwas mit minen henden was arbaitten. Übersetzung von Thomas —»Finck (schlecht vß dem latin gezogen durch mich Thomam finck anno Ixxxv [1485]) in München, cgm 6940, 336va bis 342rb und Berlin, mgo 574,30V-50V, v. J. 1491 (ohne Nennung des Übersetzers). b. 'Büchly genant des paradyß leyttern', ine. A/5 ich eins tags in liplicher hant arbeyt geübet. Übersetzung von Ludwig —> Moser, Druck Michael Furter, Basel 1507, M if-O vij v . c. Als Bernhards Werk in St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 998, S. 245-266 v. J. 1460. Inc. Du ich ains tages was bekomret myt ainem liplichen werk der hende. d. 'Die leeder des paradijs dat sunte

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Augustijn ghemaect heeft', mndl. Übertragung; s. DE VREESE, S. 354. 12. Sermones a. Die Rezeption von Augustin-Predigten ins Deutsche ist so alt wie die dt. Literatur. Am Anfang steht das Fragment von sermo LXXVI des Isidor-Übersetzers (-»· 'Althochdeutscher Isidor und Monsee-Wiener Fragmente') um 800 in der Monseer Hs. Wien, cod. 3093*; aus dem 11. Jh. stammen Fragmente zu drei Predigten in -> 'Ahd. Predigtsammlungen A-C', STEINMEYER, Sprachdenkm. XXX (s. MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S. 5f. [T 4]); vom 12. Jh. an zieht sich Augustinisches durch die ganze dt. Predigtliteratur, zitiert und noch häufiger unzitiert. b. Als Predigtsammlung A.s begegnen volkssprachlich vor allem die 'Sermones ad Fratres in eremo' (PL 40, 1235-1358). Eine Gruppe von 23 Sermones hat -»Jordan von Quedlinburg, zusammen mit ändern augustinischen Schriften und Beiträgen zur Vita A.s, um 1320 in Paris zusammengestellt: 'Collectanea Augustiniana' (Autograph in Paris, Arsenalbibl., Ms. 251); s. R. LIEVENS, Jordanus van Quedlinburg in de Nederlanden, Gent 1958, S. 5 f. Auf dieser Sammlung beruht eine mndl. Übertragung des 15. Jh.s mit mnd. Ausläufern: s. DE VREESE, S. 360f., LIEVENS, S. 55, 217f. Bezogen auf die PL-Edition handelt es sich um die Predigten 45, 5, 26, 44, 14-20, 22, 2-4, 6-13; sie sind nach Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 2283/84 einzeln aufgeführt bei G. L. LIEFTINCK, De middelnederlandsche TaulerHss., Groningen 1936, S. 3-5. Eine Gruppe von 16 Wüstenväter-Predigten, die bis auf eine zur Jordanischen Sammlung gehört (2, 3, 6-13, 15,19, 20, 43 und 2 nicht zu identifizierende), enthält die elsäßische Hs. Berlin, mgq 190,224r-259v. Einzelne Predigten in Eichstätt, Ordinariatsarch., cod. 55, 112rb-114vb; München, cgm 215, 95ra-97vb; Nürnberg, StB, Cent. VI 60, 310V-315V (sermo 15); Melk, Stiftsbibl., cod. 1752 (olim 651), 135M44V (sermo 2); Düsseldorf, Heine-Arch., C 25, 179va-180vb (sermo 61) (weitere Hss. bei DE VREESE, S. 360). c. Die 'Predigt' über die zehn Jungfrauen in Berlin, mgo 576, 254r-257r folgt der

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Augustinus

(echten) Quaestio LIX de decem virginibus, n. 1-3 (PL 40, 44-47). d. Sammlungen von mndl. A.- mit ändern Väter-Predigten bieten Den Haag, Kgl. Bibl., cod. 75 E 12,75 E 13 und Leiden, ÜB, Lett. 336. Mehr als knappste Katalogsangaben liegen darüber nicht vor. Dasselbe gilt von den bei DE VREF.SE, S. 361, angezeigten mndl. Einzelpredigten A.s. e. Augustinisches und pseudoaugustinisches Predigtgut findet sich auch in den Lektionen der dt. Breviere. So vermittelt das westfäl. Brevier Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.Bibl., Aug. 58.4,8° (hg. E. ROOTH, Nd. Breviertexte d. 14. Jh.s aus Westfalen, Lund 1969; -»'Breviertexte aus Westfalen') die Sermones 31,103 (echt), 194, 370 (unecht); s. Nachweis ROOTH, S. 164. 13. 'De triplici habitaculo' (PL 40, 991 bis 998) übertrug Lud wig -> Moser O. Carth. ins Alem., 'Tractat von den dryen wonungen', Druck Michael Furter, Basel 1507, Rj r -LVij v . 14. Gleichfalls von Ludwig Moser übersetzt wurde 'De vanitate saeculi' (PL 40, 1213 f. + 'De rectitudine catholicae conversationis' n. 21-23, PL 40,1183-86), ebd. G f-H IV, Tractat von diser weit üppikeit'. Voran gingen Übertragungen in Karlsruhe, LB, Blas. 84, 108r-113r, v. J. 1477, 'Von den uppikeiten diser weit' und in Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, cod. b VI 5, 185r-190v, 'Von der eitlkait der weit'. Ein Druck Johan Otmar, Augsburg o.J. (HC Nr. 2081), gehört nach GW III 136 (hier unter dem i r r i g e n Titel 'De contemptu mundi') ins 16. Jh. 15. 'De vita Christiana' (PL 40, 1031^6), eine pelagianische Schrift (DThC I 2, Sp. 2309), liegt in 3 Fassungen vor: a. 'Buchlin von einem cristenlichen leben', übersetzt von einem Jeronimus, ine. Ich, Augustinus der erst und leczte sunder, in Karlsruhe, LB, Blas. 84, 119r-143r, v.J. 1477 (am Schluß Jeronimus transtulit). b. 'Buch des cristenlichen lebens', ine. Ich erster vnd letster sunder, in Berlin, mgo 574, lr-30v, v. J. 1491. Eine freie, kürzende Bearbeitung. c. Über eine partielle mndl. Übers, s. DE VREESE, S. 354; R. LIEVENS, MiddelnederlandseHss. in Oost-Europa, Gent 1963, S. 81.

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16. A. zugeschriebene Gebete A. geht auch durch die lat. und damit dt. Gebetsbücher hindurch, die fast durchwegs auf jenen beruhen. Bei längeren Stükken sind vielfach die gebetsartigen Kapitel aus den 'Soliloquia' oder 'Meditationes' (s. III. 2.3.) Vorlagen, so 'Sol.' c. 32 u. 37 in Berlin, mgo 556, 98r-112v-115r, c. 37 in Berlin, mgo 568, 133V-139V u. ö. (nach der Übertragung Johanns v. Neumarkt), 'Med.' c. 40 (Trinitatsgebet) zahlreich in mndl. Hss. (DE VREESE, S. 348). -* Johann von Neumarkt hat verschiedene Gebete bzw. gebetsartige Stücke A.s in seine Gebetssammlung (Schriften IV, hg. v. J. KLAPPER, 1935) aufgenommen, so das bereits erwähnte 37. Kap. der 'Soliloquia' (S. 92-95). Die übrigen sind nicht identifiziert: ein umfangreiches Gebet von vnsers herren martir (KL., S. 27-57) und drei Gebete vor und zum Empfang des Altarsakraments (S. 101-107, 115-117, 233-235). Ein Gebet an Maria und Johannes Evang. (S. 154-158) wird in der Sammlung A. zugeschrieben, steht jedoch unter den Werken -»Anselms von Canterbury. Alle diese Gebete sind auch außerhalb der Sammlung nachzuweisen. Eine große Zahl von A.-Gebeten in mndl. Hss. stellt DE VREESE S. 347-352 zusammen. Ein ähnlicher Bestand gilt für Niederdeutschland (s. BORCHLING). Am breitesten im gesamten ndl.-nd. Raum ist der A. zugeschriebene 'Psalter' (PL 40, 1135-38) überliefert: DE VREESE, S. 362f.; BORCHLING I 113, 182, III 57, 70, 213, 245; P. HAGEN, Die dt. theol. Hss. d. Lübecker Stadtbibl., 1922, S. 35, 37, 43, 46, 52, 59. Mühseliger ist die Orientierung über den Bestand von A.-Gebeten in hochdt. Gebetsbüchern; s. in erster Linie F. X. HAIMERL, Mal. Frömmigkeit im Spiegel der Gebetsbuchliteratur Süddeutschlands, 1952, Reg. Anweisungen über richtiges Beten nach A., oft verbunden mit Pater-noster-Erklärungen, so Würzburg, ÜB, M. eh. q. 23, 47r bis 53r oder Stuttgart, LB, theol. et phil. 2° 11, 95r-103v, beruhen zumeist auf 'De sermone Domini in monte' II, n. 10-14 (PL 34, 1274 f.) und Epist. 130 ad Probam n. 22 (PL 33, 502f.). Schaffhausen, StB, Gen. 19, 31r-37r beruft sich auf eine Fastenpredigt.

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Augustinus

IV. Die A.-Ziration in deutschsprachigen Texten des MAs ist, was nicht überraschen kann, umfassender als irgendeines ändern Kirchenlehrers; interessant ist nur, daß ihr die Rezeption durch Übertragungen zumal echter Werke (s. II.) in keiner Weise entspricht. Das A:-Bild des deutschen Illiteratus muß so wesentlich durch A.-Zitation bestimmt worden sein. Thematisch stehen Fragen um das Wesen der Seele und nach ihren Kräften, nach Gott und der Trinität, das spirituelle Leben des Menschen (Gebet, Meditation und Contemplation) im Vordergrund; darüber hinaus gibt es kaum einen Bereich theologischer Lehre und religiöser Praxis, für den A. nicht in Anspruch genommen wird. - Da die A.-Zitation noch nie Gegenstand einer Untersuchung gewesen ist, müssen hier wenige Hinweise einen äußerst breiten und differenzierten Bereich abdecken. 1. Am faßbarsten ist die A.-Zitation im Bereich der deutschen Mystik. Bei Meister —> Eckhart, dessen deutsche Werke weit über 100 A.-Zitate enthalten, überwiegt die Anführung von Stellen aus den 'Confessiones' und 'De trinitate' (s. Liste der Autorenzitate und Quellentexte in der Ausgabe QUINTS). Dabei - und dies gilt für die deutsche Mystik insgemein - ist die stilistische Umformung von lat. Quellentexten in die spezifische 'Sprache', d. i. in Terminologie und Diktion Eckharts charakteristisch. Sie ist am besten zu beobachten beim ausführlichen A.-Zitat aus 'De vera religione' (J. QUINT, Die dt. Werke V, S. 111, 22-112, 24); s. dazu Anm. 20 bei QUINT (S. 124f.) und G. v. SIEGROTH, Versuch einer exakten Stilistik f. Meister Eckhart, Johannes Tauler u. Heinrich Seuse, Diss. Würzburg 1977. -> Tauler nennt A., laut Namenverzeichnis der VETTERschen Ausgabe, 42 mal, dazu kommt zweifelsohne eine große Anzahl von nicht indizierten A.-Zitaten. Am durchschlagendsten ist augustinische Spiritualität in der 1. Predigt (Über die dreifache Geburt Gottes). Weniger A. als Bernhard von Clairvaux und Bonaventura verpflichtet ist Heinrich -> Seuse. Eine breite 'Confessiones'-Zitation ist in der —» 'Rede von den 15 Graden' (= 'Dat Boec der Minnen')

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nachgewiesen; s. Ausgabe v. J. M. WILLEUMIER-SCHALIJ, Leiden 1946, S. LXIVff. Aus einer ungewöhnlich großen Anzahl von A.-Schriften - vielleicht in einem Florilegium gesammelt - zitiert -»Rudolf von Biberach in den 'Sieben Straßen zu Gott' (hochalem. Übertragung, hg. von M. SCHMIDT, Quaracchi 1969); dominant ist indes die pseudoaugustinische Schrift 'De spiritu et anima' (PL 40, 779-932) mit 30 Zitationen. Stark verbreitet sind A.-Worte über die Seele in der Form von Antworten auf Fragen eines 'Jüngers' bzw. (in versch. Texten) eines 'Sohnes'. Sie entsprechen nach Inhalt und Diktion Mystikeraussagen und sind auch durchwegs in Mystiker-Hss. überliefert. Gedruckt: F. JOSTES, Meister Eckhart u. seine Jünger, Freiburg (Schweiz) 1895, S. 567-573, mit einer Vorfrage S. 561 ~6; eine ndl. Fassung bei K. DE GHELDERE, Diesce Rime, Brugge 1876, S. 47 f.; zur Überlieferung s. JOSTES, Neudruck RUH, 1972, S. 210. Andere Aussagen A.s über die Seele enthalten Stuttgart, LB, theol. et phil. 8° 27, -5 . Als primäre Quelle dieser und ähnlicher Ausführungen kommt neben dem ungemein beliebten pseudoaugustinischen Büchlein 'De spiritu et anima' vor allem 'De quantitate animae' (PL 33, 1035-80) in Frage, nachgewiesen für Trier, StB., cod. 1935/1432, 4ra-4vb (n. 3 u. 4). Eine ganze Sammlung von A.-Sprüchen enthält die Einsiedler Mystikerhs. 278, S. 225a-251a. Stuttgart, LB, Brev. 88,85V-86V bringt einen kleinen Auszug aus dem 7. Buch 'De trinitate', andere fragen mit A. 'Was ist Gott' (PH. STRAUCH, PBB 49 [1925] 357 u. ö.) oder erörtern mit A. den rechten adel, der demjenigen zukommt, der in der Liebe Gottes steht (STAMMLER, Prosa, Sp.911). 2. Außerhalb der verhältnismäßig gut edierten bzw. beschriebenen Mystikertexte und -hss. fällt der Nachweis der A.-Zitation im geistlichen Prosaschrifttum wegen der weitgehend fehlenden Editionen und Untersuchungen schwer. Sie dürfte indes nicht geringer sein als im Umkreis der deutschen Mystik. Zumal exegetische Schriften zitieren laufend Augustin. Ein Beispiel sind —> Ulrichs v. Pottenstein 'Katechetische Auslegungen', wo im 2. Kap. der 'Credo'-Aus-

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Augustin von Hammerstetten

legung A. 26mal zitiert wird. Rechnet man diese Zahl für das Gesamtwerk hoch, so erhält man ca. 1500 Zitationen. 3. Im Bereich der Versliteratur bieten vor allem didaktische Großwerke Väter- und Lehrerzitation. —> Thomasin von Zerclaere vertritt im 'Welschen gast', moraltheologisch abgewandelt, Vorstellungen der 'Civitas dei' A.s (s. H.TESKE. Th. v. Z. Der Mann u. sein Werk, 1933, S. 172ff. u. ö.), wenn auch kaum aus erster Hand. Im 'Renner' zitiert -> Hugo von Trimberg ZOmal A., z.T. über viele Verse hinweg, zweimal (15 3161 ff., 18 555 ff.) aus dem 'Enchiridion'. Unter den zitierten theologischen Autoritäten steht A. an erster Stelle. Dasselbe gilt für -> Konrads von Ammenhausen 'Schachzabelbuch' (und die übrigen Schachbücher). Hier überwiegt die Zitation aus 'De civitate dei'; u.a. werden bekannte Geschichten des römischen Altertums wie diejenige vom Seeräuber Diomedes (2496ff.) oder von der Lucretia (3495 ff.) nach dem 'Gottesstaat' erzählt. L i t e r a t u r . Ausgaben mhd. A.-Texte und Spezielles dazu sind im jeweiligen Zusammenhang verzeichnet. Bibliographie: C. ANDRESEN, Bibliographia Augustiniana, 1962,1973. Zur Einführung: E. GILSON, Introduction a l'ötude de S. Augustin, 31949; dt. Ausgabe: Der Hl. Augustin. Eine Einführung in seine Lehre, 1930. -H. Frh. v. CAMPENHAUSEN, Lat. Kirchenväter, 1960, S. 151-222. - Die umfassendste Information gibt immer noch E. PORTALIE im DThC I 2, Sp. 2268-2472. Zur mhd., mnd. und mndl. A.-Adaptation: BOUGHLING, Mnd. Hss.; W. DE VREESE, Sint Augustinus in het Middelnederlandsch uit de Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Miscellanea Augustiniana. Gedenkboek 1930, S. 341-373; STAMMLER,Prosa, Sp. 909-911, 970; RUH, Bonav. dt., S. 26f., 187 u. Reg.

K. RUH

Augustin von Alfeld —> 'Klarissenregel' Augustin von Hammerstetten Vermutlich aus Hammerstetten in Bairisch-Schwaben, begegnet er erstmals als kaiserlicher Söldner 1462 beim Aufstand der Wiener gegen Friedrich III. Er fällt verwundet in die Hand der Wiener und wird von ihnen mit dem Tode bedroht. 1490 wechselt er offenbar seinen Dienstherrn (mit Schutzbrief der kaiserlichen Registratur) und tritt in die Kanzlei des

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sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen ein. Diesem widmet er 1496 in Torgau sein Hauptwerk, und 1497 gehört er als Cancellarius zu Friedrichs Gefolge in Wien. Danach verliert sich seine Spur. Die Hs.M279 der Sachs. LB in Dresden gilt als Autograph des 'Hirsches mit dem goldenen Gehörn', Torgau 1496. Zwei weitere Hss. aus A.s Besitz mit einigen Zusätzen seiner Hand sind Gotha, LB, B 50, Michael —»Beheims 'Buch v. d. Wienern', und Gotha, B 271, eine Sammel-Hs. (-> Heinrich d. Teichner, -»Konrad v. Würzburg, ->Suchenwirt). Hierin eine 240 Verse-Widmung an den Kurfürsten v. Sachsen und dessen Bruder.

Die 1496 verfaßte Prosadichtung Hystori vom Hirs mit den guldin ghurn und der Fürstin vom pronnen gilt als eine Art Schlüsselroman auf das Liebesverhältnis des Kurfürsten Friedrich von Sachsen mit Gräfin Amelie von Schwarzburg. Inhalt ist ein Streitgespräch eines Ritters mit einer hochgestellten Dame, die er wehklagend und mit aufgelöstem Haar auf einer paradiesischen Wiese bei einer Quelle mitten in der Wildnis gefunden hatte. Nur zögernd entdeckt sie ihm, daß sie ain alten kranken mann als Gemahl habe und sie trotz ihres Reichtums sexuell nicht befriedigt sei. Des Ritters spontanes Anerbieten weist sie jedoch empört zurück. Daraus entwickelt sich ein mehr oder weniger traditionelles Minnewerbungsgespräch: sie zeigt sich spröde, macht den Männern allgemein Vorwürfe wegen Ruhmsucht, Treulosigkeit und daß sie nicht verschwiegen sein könnten, schließlich stellt sie Forderungen zur Erprobung. Er dagegen versichert seine Dienstwilligkeit bis zum äußersten, er ordnet sich in die Reihe der Minnemärtyrer ein, die seit Adam durch Frauen betrogen wurden (Salomon, Aristoteles, Samson, Kaiser Claudius, David, Paris, Hector und Achill). Auf ihr Gebot unternimmt er eine Reise ins Hl. Land. Erst nach seiner Rückkehr schenkt sie ihm ihr Vertrauen, schickt ihn aber zuvor zur Vervollkommnung an königliche und fürstliche Höfe, bis sie ihn von dort zurückrufe. Die Rahmenerzählung bedient sich des Schemasder Minneallegorien (bes. in Anlehnung an —>Altswert und -»Hermann von Sachsenheim). Im Traumeingang zeigt sich dem Ritter ein Hirsch mit goldenem Ge-

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'Augustinerregeln'

weih. Bei der Verfolgung verliert er zwar dessen Spur, findet nach Überwindung einer felsigen Wildnis aber jenen zentralen locus amoenus mit der klagenden Fürstin, die bis in Gestalt und Gebärde (in den personifizierten Tugenden der Minneallegorien) ebenfalls vorgeformt ist. Eine detaillierte Wiederholung des Traumgeschehens bei der Beschreibung der Wirklichkeit zeigt den weitgehenden Funktionsverlust der gebrauchten Topoi an. Die Abfassung in Prosa weist auf den Übergang der rede zum Roman hin. L i t e r a t u r . E. BUSSE, A. v. H., Diss. Marburg 1902 (mit Abdr. d.'Hystori' u. A.s Hss.-Zusätzen); GLIER, Artes amandi, S.357f.

WALTER BLANK

'Augustinerregeln' (mhd.) 1. Die regula recepta besteht aus dem ersten Satz des Ordo Monasterii (O.M.) oder Regula secunda (Ante omnia, fratres carissimi, diligatur deus, deinde proximus, quia ista praecepta sunt principaliter nobis data) und dem Text des Praeceptum (i.F. Pr.) oder Regula tertia (ad servos Dei: Haec sunt, quae ut observetis praecipimus in monasterio constituti). Nach L. VERHEYEN wurden sowohl der aus dem Kreise des Kirchenvaters stammende O.M. als auch das von -»Augustin selbst verfaßte Pr. ursprünglich für Männer geschrieben. Die erstere, kürzere Regel ist eine richtige Mönchsregel mit konkreten Vorschriften für das gemeinschaftliche Leben in Gebet und Arbeit, während letztere die allgemeinen grundlegenden Normen und die gemeinschaftliche Gesinnung auf der Grundlage der obersten Augustinischen Grundsätze der Gottes- und Nächstenliebe betont. Die beiden Regeln traten schon sehr früh zusammen auf; die regula recepta ist wahrscheinlich am Ende des ll.Jh.s in Nordfrankreich entstanden. Die vielleicht noch zu Augustins Lebzeiten in einem Nonnenkloster erfolgte weibliche Adaptation des Pr. (Regularis Informatio) wurde schon früh mit der Epistola 211 an die Klosterfrauen von Hippo (Objurgatio) verbunden, was zu der in der Humanistenzeit aufkommenden (censura Erasmi) und bis in unsere Zeit weiterlebenden Ansicht

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geführt hat, die .' sei ursprünglich für Frauen bestimmt gewesen und später für Männer adaptiert worden (aber schon im MA nennt die Marienborner Auslegung eine weibliche und eine männliche Regel). 2. Von der'A.',dieseit dem 11. Jh. Grundlage vieler Ordensgemeinschaften - Augustinerchorherren (1059), Augustinereremiten (1256), Prämonstratenser, Dominikaner, 7 Ritterorden, zahlreicher weiblicher Orden und Kongregationen (Augustinerinnen) - wurde, muß es viele Übersetzungen gegeben haben, zumal diese, wie aus Angaben in mehreren Hss. und aus deren Texteinteilung hervorgeht, auch vorgelesen wurden. Die hier genannten Hss. können nur einen Teil der vor allem in heute noch bestehenden Klöstern und Stiften und in kleineren Archiven bewahrten Texte darstellen. Diese lassen sich nicht immer genau identifizieren. a) Die älteste Übersetzung - aus dem bair. Prämonstratenserkloster Schäftlarn (2. H. 14. Jh.) - verdeutscht sowohl den O.M. (ohne den großen ersten Abschnitt über das officium divinum) als das Pr. (vgl. SCHRÖDER, S. 279). b) Ein deutscher Text des Praeceptum (für Männer) bzw. der Regularis Informatio (für Frauen) liegt vor in Heidelberg, cpg 453 (für Frauen [i.F.Fr.], 15.Jh.); Trier, Diözesanarch., cod. 45 (Fr., 2. H. 15. Jh., südpaderbornisch); München, clm 5654 und 5667 (für Männer [i. F. M.], 15.Jh., bair., Dießen); Nürnberg, StB, Amb.67, 4° (Fr., 15.Jh.); Überlingen, Stadtarch., cod. 2 (Fr., 15.Jh.); Vorau, Stiftsbibl., cod. 155 (Fr., 2.H. 15. Jh., Kirchberg/Wechsel); London, Brit. Mus, Add. 18311 (Fr., 1512, Dillingen); Münster, Bisch. Arch., G 316 (M., 16. Jh., nd.); Münster, Altertumsver, cod. 126 (Fr., um 1600, nd.). Dieser Text ist verwandt mit der älteren Fassung in Düsseldorf, Heine-Arch., früher A 177 (M., 15. Jh., ndfrk., Büderich), die ebenso wie wahrscheinlich Trier 45 (s. o.) auf eine mndl. Fassung zurückgeht.

c) Die ältestüberlieferte Verdeutschung der Regula recepta stammt aus dem Nürnberger Katharinenkloster, wo sie gemain regel genannt wird: Nürnberg, StB, Cent. VI, 46 (um 1400). Andere Übersetzungen finden sich in Wien, cod. 2700 (Fr., Anf. 15.Jh., S.Jakob); Villa Nova/Pennsylvania (M., 1431, Indersdorf); Straßburg, ÜB, cod. lat. 80 (um 1456); Melk, Stiftsbibl., cod. 235; Wien, cod. 2966 (Fr., 15. Jh.); Freiburg, ÜB, cod. 40 (bruder

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'Augustinerregeln'

undswestern, 15. Jh.); Berlin, mgq 1073 (M., 1509, md.); Bonn, Kreisbibl., cod 768 (M., 16. Jh., ndrh.-rip., Marienforst) ; Vorau, Stiftsbibl., cod 357 (M., 15. Jh.; vgl. auch cod. 249 - M., 15. Jh. -, und cod. 81). Verdeutschungen der 'gemeinen Regel' dürften auch enthalten sein in: Donaueschingen, cod. 293 (1484), Karlsruhe, LB, cod. 1223 (1501, von Tilman Lymperger, für das Freiburger Annenkloster), Berlin, mgq 1590 (Fr., 16.Jh., obd., Neiße), München, clm 7847 (M., 1507, Indersdorf); cgm 148 (M., 1577, Gars); Mainz, StB, cod. IV 68 (Fr., 16. Jh., ndfrk.); Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl., Heimst. 1189 (M., 16. Jh., nd.).

Die deutschen Übersetzungen treten allein oder in Verbindung mit dem lat. Regeltext auf, dessen Varianten sie oft widerspiegeln, und weisen unterschiedliche Kapitel- und Abschnitteinteilungen auf. Es scheint zahlreiche selbständige Verdeutschungen gegeben zu haben: Schäftlarn, Dießen, Freiburg, Überlingen, Indersdorf (Villa Nova) und Trier stellen voneinander unabhängige Übersetzungen dar - für die Sprachgeschichte und für die Erforschung des spätmal. (Ordens)wortschatzes interessantes Vergleichsmaterial. Im Rheinland und in Niederdeutschland sind Beziehungen zu den Niederlanden unverkennbar und ist mit mittelbarem und unmittelbarem Einfluß mndl. Vorlagen zu rechnen : die Erneuerung durch die Windesheimer Kongregation ist hier nicht ohne Folgen geblieben. Die Übersetzungsart der Verdeutschungen ist durchaus unterschiedlich und reicht von interlinearartigen Umsetzungen (z. B. Schäftlarn, Dießen) zu syntaktisch freien Textwiedergaben (Berlin, mgq 1073). 3. Von den beiden nach dem 11. Jh. entstandenen Auslegungen der .', der wohl von -> Hugo von Sankt Victor stammenden Expositio in regulam beati Augustini und der um 1270 verfaßten Expositio von -»· Humbertus de Romanis, war die erstere in Deutschland nicht nur sehr verbreitet, sondern sie ist auch weitaus häufiger ins Deutsche übersetzt worden als letztere. a) Eine Übersetzung ins Alem. der Auslegung Hugos von St. Victor aus dem 13. Jh. ist in der Züricher Hs. Rh 99 b enthalten und ist somit älter als der älteste dt. Regeltext (Auszug bei J. WERNER, Aus Zürcher Hss., 1919, S.53f.). Diese betutunge, glose oder außlegunge rindet sich auch, gelegentlich zusammen mit oder nach der gemeinen

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Regel, in Berlin, mgq 1254 (alem., 14. Jh.); Karlsruhe. LB, St. Peter pap. 43 (alem., Ende 15.Jh.); Kopenhagen, Kgl. Bibl., Ny kgl. S. 2914, 4° (15.Jh.); Darmstadt, LB, cod. 983 (rip., 15.Jh.); Donaueschingen, cod. 425 (15. Jh.); Berlin, mgq 1261 (rip., 15. Jh., zweimal); Den Haag, Kgl. Bibl., cod. 130 E 10 (nd., Anf. 16.Jh.). Darmstadt und Berlin sind verwandt und gehen wohl auf eine mndl. Vorlage zurück; auch Den Haag weist ndl. Beeinflussung auf. Eine Kürzung liegt in der um 1400 entstandenen Hs., Nürnberg, StB, Cent. VI, 46 (Katharinenkloster) vor; eine frgm. überlieferte nd. Auslegung aus Marienborn macht von Hugos Kommentar ausgiebig Gebrauch. b) Aus Nürnberg, StB, Cent. VI, 46e (Mitte 15. Jh., Katharinenkloster; Druck HC 9030, ident. mit Prag, ÜB, cod. XVI.D. 18, 2ra-171va) stammt auch eine Übersetzung der Expositio von Humbertus, auf dessen Text auch der Auszug - Traktat gegen den Eigenbesitz im Kloster - im Altenhohauer Codex, München, cgm 432 (2. H. 15. Jh./vgl. Basel, ÜB, cod. A X 137) beruht. U. SCHÜLKE (Konrads Büchlein v. d. geistl. Gemaheischaft [MTU 31], 1970, S. 46) verweist auf Melk, Stiftsbibl., cod. 235 und München, cgm 3971. 4. Neben Auszügen aus der .', wie z.B. in Wien, cod. 2700 und Den Haag, Kgl. Bibl., cod. 130 E 10, sind auch die Satzungen und Statuten der Augustinerchorherren und der Dominikaner bzw. der Augustinerinnen und Dominikanerinnen zu nennen, die zusammen mit der Regel die Verfassung dieser Orden bilden und oft mit der Regel verwechselt werden. In den Hss. treten sie häufig mit einer Regelverdeutschung auf, u.a. in: Wien, cod. 2700 und 15103 (Dominikanerinnen); Berlin, mgq 1590; Heidelberg, cpg 453; Nürnberg, StB, Cent. VI, 46; München, cgm 4488; Mainz, StB, cod. VI 68. Die Windesheimer Statuten sind zu finden in Berlin, mgq 1940 (St.Agnes, Xanten); Koblenz, Staatsarch. Depot d. Augusta-Gymnasiums, Hs.232 (Gräfrath/Solingen); Gaesdonck, Coll. Aug. 5; Düsseldorf, Heine-Arch., cod. A 177; Münster, Altertumsver., cod. 126.

5. Weitere Hss. (15.Jh.), die eine dt. Übersetzung einer Gestalt der .' enthalten:

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Aurifaber, Johannes

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Berlin, mgo 565 (v.J. 1459); Bern, Burgerbibl., cod. A 53; Dillingen, Kreis- und Studienbibl., cod. XV 129; Dülmen, Augustinerkloster; St.Florian, Stiftsbibl., cod. XI49 u. XI172 (16. Jh.); Marburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibl., cod. IIIl 8°37; Karlsruhe, LB, St. Peter pap. 43 (mit Hugos Glossen); Klagenfurt, Studienbibl., cod. 68; Lübeck, StB, theol. germ. 56; Mainz, StB, cod. II261; Melk, Stiftsbibl., cod. 72; Nürnberg, Germ. Nat.Mus., cod. 2858 und 7069; Prag, ÜB, cod. X. A. 26.

Feestnummer 1956, S. 17-37; STAMMLER, Prosa, Sp. 917f. (Hugo), 970f. (Regula); W. DE VREESE, Sint Augustinus in het Middelnederlands, Miscellanea Augustiniana, Gedenkboec 1930, S. 341-373 (auch in W. DE VREESE, Over Handschriften en Handschriftenkunde bijeengebracht door P. J. H. VERMEEREN, Z wolle 1962,5.85-114). &LBERT DE SMET

6. In BORCHLINGS Reiseberichten sind die wenig zählenden mnd. Regeltexte erfaßt; für das ndl. Sprachgebiet konnte W. DE VREESE 1930 nicht weniger als 41 mndl. Hss. verzeichnen (älteste Hs. von 1357, 2 aus dem 14., 16 aus dem 15., 16 aus dem 16. Jh.), die meistens auch den Regelkommentar des Hugo von St. Victor enthalten.

Aunpekh, Georg, von Peuerbach -> Peuerbach, Georg

Aulon -»Scherrenmüller, Bartholomäus

Aurifaber, Johannes

Nominalistischer Sprachtheoretiker. 1. Johannes A. war um 1330 in Erfurt und Halberstadt als Magister tätig. Über seine Lebensumstände ist weiteres nicht bekannt. Wie PINBORG (1967, S. 142-145) gegenüber L i t e r a t u r . 1. L a t e i n i s c h e T e x t e . a) AugustinerGRABMANN nachwies, ist er von einem regel: P. SCHRÖDER, D. Augustinerchorherrenregel. jüngeren Magister gleichen Namens zu unEntstehung, krit. Text u. Einführung d. Regel, Arch. f. Urkundenforsch. 9 (1926) 272-306 (Regula secunda terscheiden, der Ende des H.Jh.s in Paris u. tertia); L. VERHEYEN, La regle de Saint Augustin, bezeugt ist. Seine radikale Kritik an der I-II, Paris 1967 (ausführliche Darstellung d. ForExistenz der modi significandi, die er 1332 schungsgesch. u. d. Uberl. mit krit. Text v. Objurgatio, (oder wenig früher) in einer zwischen ihm O. M. u. Pr.; dt. Übers, bei: URS VON BALTHASAR, D. und anderen Erfurter Magistern geführten großen Ordensregeln, Einsiedeln 1948); b) Hugo von Disputation formulierte, stellt eine entscheiSankt Victor: PL 176, Sp. 881-924; F. BARON, Hugues dende Wende in der Entwicklung der mal. de Saint Victor: Contribution a un nouvel examen de Sprachtheorie dar. Die Erfurter Disputason oeuvre, Traditio 15 (1959) 283-285; c) Humbertus tion, seine eigenen Thesen und Argumente de Romanis: J. J. BERTHIER, H. d. R., quinti Praedicatorum magistri generalis, Opera de vita regular! I, und die der Opponenten, hat A. selbst rediRom 1888, S.43-633; vgl. dazu F. HEINTKE, Humbert giert und in der 'Determinatio de modis von Romans, d. fünfte Ordensmeister d. Dominikaner significandi' niedergelegt. Sie ist die für die (Hist. Stud. 222), 1933, S. 84-89. Kenntnis und Beurteilung seiner wissen2. A u s g a b e n mhd. und m n d l . Ü b e r s e t z u n schaftlichen Position wichtigste Schrift. gen, a) Augustinerregel: F. WILHELM, D. Schäfftlarer Von geringerem Belang ist der kleine TracA., Münchener Mus. l (1911) 103-117; S.C. SELMER, tatus de demonstratione'. Bezeugt, aber An unrecorded Old German Augustinian Rule, The bislang nicht aufgetaucht ist ein KommenGermanic Review 12 (1937) 113-131; L. HEDBERG, tar zu den 'Parva logica1 (Aristoteles). Epistola de vita et passione domini nostri u. Regula Augustini in mnd. Fassungen. Diözesanarch. Trier, Ms. 45 (Lunder German. Forschungen 29), 1954; b) Expositio: K. DE FLOU, De Bedudinghe naden sinne van Sunte Augustyns Regule, Gent 1901 (Expositio von Hugo von Sankt Victor nach Hs. Brügge, StB 385 [1407] u. die .' nach Paris, Ars. 8217; Gent, UB, cod. 607; Leiden, UB, Mij 606; Oudenaarde, Stadtarch.); M. RIEMER, Eine nd. Erklärung d. .', Geschichtsbll. f. Stadt u. Land Magdeburg 39 (1904) 30-55. 3. F o r s c h u n g s l i t e r a t u r . BoRCHLiNG,Mnd.Hss., Reg.; G. DE SMET, Z. Wortschatz d. mnd. Augustinerregel, Diözesanarch. Trier Ms. 45, Nd. Mitt. 12 (1956) 5-13; ders., Over de woordvoorraad van de Qudenaardse versies van de R.A., Handelingen van de Geschied- en Oudheidkundige Kring van Oudenaarde,

2. Ü b e r l i e f e r u n g . Einzige Hs. der 'Determinatio': Erfurt, Wiss.Bibl., cod. 4° 276, v.J. 1333 (1332?), 136" bis 137vb. Vgl. PINBORG, 1967, S. 152-172; dort auch Beschreibung d. Überl. modistischer Gegenschriften, die A.s Argumente referieren. 'Tractatus de demonstratione': München, clm 33, 45"; Harburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibl., cod. I. 2. 8° 10, 123r-127r. A u s g a b e d. 'Determinatio': PINBORG, 1967, S. 215 bis 232.

3. A. faßte in der Erfurter Disputation seinen Angriff gegen die Modisten in eine durch ein einleitendes Sophisma charakterisierte Gattung der wissenschaftlichen Aus-

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'Aus des vaters ewigkeit' - Auslasser, Veit

einandersetzung, die bei den Artisten üblich geworden war. In der Sache bestreitet er den modi significandi als den angeblich universellen Formen der Sprache sowohl die Existenz als auch jegliche methodische Zuträglichkeit: Sie sind nur willkürlich aufgestellte Relationen zwischen voces und res, nicht etwas, das den voces angehört. Diese Kritik hat eine ockhamistisch inspirierte Sprachauffassung zur Grundlage, nach welcher das natürliche Zeichen einer res allein der Begriff (conceptus) ist, das Wort (vox) aber nur ein sekundäres Etikett, das der Beliebigkeit und freien Veränderlichkeit unterliegt. Bedeutungen bestehen danach rein mental, prinzipiell unabhängig von der Art ihrer sprachlichen Repräsentation. Grammatik, deren Gegenstand die dergestalt 'bedeutungslosen' und arbiträren voces sind, kann niemals eine allgemeine, sondern nur die der jeweiligen Einzelsprachen sein. 4. A.s Stellungsnahme bezog sich auf die Position der Modisten, wie sie in den 'Novi modi significandi' des —»Thomas von Erfurt vertreten war. Entsprechend ihrer grundsätzlichen Bedeutung aber gewann sie rasch ein breiteres als das lokale Schulinteresse, zog Gegner und Anhänger an. Der namhafteste ihrer bislang bekannten Anhänger ist Peter von Ailly, der A.s 'Determinatio' für seine eigenen 'Destructiones modorum significandi' benutzte. L i t e r a t u r . M. GRABMANN, Thomas v. Erfurt u. d. Sprachlogik d. mal. Aristotelismus, MSB 1943/2, S. 53-55; LEHMANN, Mitt. VIII 19; J. PINBORG, D. Entwicklung d. Sprachtheorie im MA (Beitr. z. Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs 42), 1967, S. 137-212 (grundlegend); ders., D. Erfurter Tradition im Sprachdenken d. MAs, in: Universalismus u. Partikularismus im MA (Miscellanea Mediaevalia 5), 1968, S. 173-185; ders., Logik u. Semantik im MA, 1972, S. 126. F.J. WORSTBROCK

'Aurons Pfennig' -> 'Wartburgkrieg' 'Aus des vaters ewigkeit sein wir her geflossen' Geistliches, der Mystik nahestehendes Lied in 3 Strr., mutmaßlich noch dem 14. Jh. angehörig, überliefert in Breslau, ÜB, cod. I. O. 113, f. 7, 15. Jh. (nach J. KLAPPER, ZfdA 50 [1908] 199f. erst Anfang des 17.

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Jh.s), hg. v. BARTSCH, Erlösung, S. 307 (Nr. XXVIII), dazu S. LXV; WACKERNAGEL, KL II 392 (Nr. 539), FR. v. D. LEYEN, Dt. Dichtung d. MAs, 1962, S. 894, Kommentar S. 1060 f. Formal ist das Lied ohne höhere Kunst (zahlreiche unreine Reime). Seine Beliebtheit in neuerer Zeit - es fehlt kaum in einer nhd. Anthologie geistlicher Lieder des MAs - dürfte es dem ansprechenden Adler-Bild zu Beginn von Str. 2 und 3 verdanken ; am nächsten steht diesem -* David von Augsburg, in: F. PFEIFFER, Dt. Mystiker d. 14.Jh.s I, 1845, S. 349, 5 f. (s. auch G. LÜERS, Die Sprache d. dt. Mystik, 1926, S. 126f.). __ _ K. RUH Auslasser, Veit (Vitus) Geistlicher des Klosters Ebersberg bei München, stammte aus Vomp bei Schwaz in Tirol. Er fertigte i. J. 1479 für sich selber, mit 'treuherziger Aufrichtigkeit' (FISCHER, 1924, S. 163) ein Herbar mit 198 Bildern an. Dieses Herbar ist ein Teil (83r-198v) des sog. Ebersberger Kodex, der im Besitz des Jesuitenklosters Ebersberg war und nach der Säkularisation in die Staatsbibl. München kam (clm 5905). Die Hs. (pap. 4°), laut FISCHER, 1925, gänzlich vom Besitzer und Schreiber V. A. zusammengestellt, hat folgenden Inhalt: 1. -> 'Macer Floridus de viribus herbarum'; 2. —»Arnald von Villanova: 'Epistola de arbore quercino'; 3. Medizinische Rezepte; 4. V. A.s 'Herbarius': f. 83-92 Namensverzeichnis der im Herbarius enthaltenen lat. und dt. Pflanzennamen, von FISCHER, 1925, 5. 2-6 veröffentlicht; 94V Herbarius iste depictus est per fratrem Vitum Auslasser de Fumpp prope Swaz monachum p(ro)fessum prespiterum monasterii St.Sebastiani in Ebersperg anno dorn. 1479 (FISCHER, 1925, S. 7); 95r-198v Pflanzenbeschreibungen, von FISCHER, 1925, S. 7-23, veröffentlicht. Nach FISCHER, der über V.A.s Biographie nicht mehr feststellen konnte als aus der Eintragung auf f. 94V hervorgeht, besaß der Mönch-Botaniker originelle Kenntnis besonders der Charakterflora des bayerischen Alpenvorlandes. Er hatte zunächst vor, das Material alphabetisch anzuordnen,

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'Auslegung der Blätter und Blumen' - 'Auslegung des Vaterunsers'

gab diese Absicht bald auf, um dann die Pflanzen nach der Natur etwa nach dem Schema Frühlings-, Sommer- und Herbstblüher abzubilden. Zu den Bildern schrieb er alle ihm damals bekannten mlat. und dt. Pflanzennamen. Vor allem diese Fülle von Pflanzensynonymen macht den Wert des Werkes aus. FISCHER untersuchte a) Quellen und Vorbilder für die Pflanzendarstellungen (1925, S. 24-27), b) Quellen der Pflanzenglossen des Vitus Auslasser (S. 27-31). L i t e r a t u r . H. FISCHER, Vitus A., d. erste dt. Florist, u. sein Kräuterbuch v.J. 1479, Ber. d. dt. botan. Ges. 42 (1924) 156-163; ders., Vitus A., d. erste bayr. Botaniker, u. d. Beziehungen seines Herbars v. 1479 zu d. Anfängen d. bayr. Botanik, Ber. d. bayer. botan, Ges. 18/1 (1925) 1-31; ders., Mal. Pflanzenkunde (Münchener Drucke), 1929 (Zusammenfassungen S.56 bis 59 u. 121 f.).

WILLEM FRANS DAEMS

'Auslegung der Blätter und Blumen' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 488 (Würzburg um 1530), 313V-322V, 327v-328r.

Eine noch ungedruckte volkstümliche Blumen- und Blätterallegorese in Prosa mit dem Titel: 'Auslegung vnnd creatur der pletter vnnd plumlein so der bulschafft fast dinstlich'. In enger Anlehnung an die Gebrauchssphäre wird hier das im 15. Jh. so beliebte Tragen von Blumen und Laub bei Liebenden systematisch abgehandelt. 48 Vertreter der einheimischen Flora werden abschnittsweise ausgelegt, wobei jeweils entweder deren Eigenschaften oder Farben oder Namen oder auch Einzelbuchstaben herangezogen werden. Der offene Text (Anfang und Schluß werden nicht hervorgehoben) läßt z.T. Gruppenbildungen erkennen (l bis 9: Bäume und Sträucher; 21-32: kleine Pflanzen und Blumen). In bezug auf Anordnung, Auswahl und Auslegung der Pflanzen bestehen engere, aber noch ungeklärte Beziehungen zu dem in derselben Hs. überlieferten -»'Was allerlei Blätter bedeuten'. Entstanden ist der Text wohl im obd. Raum (noch in der 2. H. desl5.Jh.s?).

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L i t e r a t u r . K. GEUTHER, Stud. z. Liederbuch der Klara Hätzlerin, 1899, S. 111-113; M. RHEINHEIMER, Rheinische Minnereden (GAG 144), 1975, S. 58-60, 69-73, 223 f.

MELITTA RHEINHEIMER 'Auslegung des Vaterunsers' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Innsbruck, ÜB, Hs. 652, 72' bis 74r, 12.Jh., bair. (I); zusammen mit -+ 'Von der Siebenzahl', einem Bauschema zum Vaterunser (76', s. WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. I 74), Zusammenstellungen von weiteren Septenaren und lat. und dt. Rezepten (ed. I.V. ZINGERLE, Germ. 12 (1867) 463^69) in einer früher selbständigen Lage. - Klagenfurt, Kärtner Landesarch., Hs. 6/19 (-> 'Millstätter Hs.') 164V-167V (K). Zur Hs. s. A. KRACHER (Millst. Hs. Faks.). 2. A u s g a b e n , a. Millst. Hs. Faks. - b. dipl. Abdrucke. I: F.J. , AnzfKdVz 8 (1839) 39-^4; K: T.G. V.KARAJAN, Dt. Sprachdenkm. d. 12.Jh.s, 1846, S. 67-70. - c. krit. Editionen. Leiths. I: MSD I, II Nr.XLIII; MAURER, Rel. Dicht. I 332-343 (mit dipl. Abdrucken beider Hss.). - Leiths. K: 2 WAAG, Dt. Ged., S. 43-52; H.J. GERNENTZ, Kleinere dt. Ged. d. 11. u. 12.Jh.s, 1970, S. 125-132; WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. I 75-85 (zit.). Beide Hss. haben gemeinsame Fehler (MSD II 259). K. bewahrt eine ältere Gestalt und in der Regel den besseren Text; I zeigt geregelteren Versbau. In I ist (von anderer Hand) der Name Chunrat überliefert (72r), den man auf den Dichter beziehen kann. Ob das Gedicht vom gleichen Verfasser stammt wie das mit ihm zusammen überlieferte Gedicht 'Von der Siebenzahl' (KELLE), ist unsicher (STACKMANN, 1VL IV 202; MAURER, S. 327).

3. Der Dichter fügt zu den drei aus der traditionellen Vaterunserexegese stammenden Septenaren (I: Vaterunserbitten, III: Seligpreisungen der Bergpredigt, IV: sieben Gaben des hl. Geistes) zwei weitere hinzu (II: sieben Siegel = Lebensstationen Christi, V: sieben Patriarchen des AT). Die Septenare II, III und V sind absteigend gereiht (z. B. von David zu Adam), darin der Exegese des Paschasius Ratbertus, Anselms von Laon u.a. entsprechend. Auch die Vaterunserbitten sind als absteigende Reihe aufzufassen. Der Gaben-Septenar IV beginnt in aufsteigender Folge mit gotes vorhte (v. 25,78) und endet mit wistuom (v. 31,221). SCHUPP (1964, S. 57) sieht die Begründung dafür im Gesetz der übergreifenden Form, die das Gedicht in die Polarität von minne und vorhte (v. 3, 9 u. ö.) einspannt und in der Aufzählung, nicht aber in der Hierarchie,

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Aussee, Michael

dem timor Domini die erste Stelle einräumt (v. 26). Die geraden Strophen von Str. 6 bis 18 enthalten die Bitten und ihre Auslegungen, die ungeraden von Str. 7 bis 19 setzen die übrigen vier Septenare in Beziehung dazu (Wortbrücken). Die Septenare sind in den Strophenpaaren nicht streng geschieden, vielmehr ist zu den vier Septenaren der ungeraden Strophen jeweils die Formulierung des Bitten-Septenars herübergezogen, was zu Abwandlungen der Tradition führen kann (z.B. Str. 7). Die virtuose Komposition zeigt sich besonders in Str. 13, in der die drei augustinischen Auslegungen der Brotbitte mit den vier übrigen Septenaren in nur 12 Zeilen verbunden sind. Die blockhafte Ordnung verzahnt auch die fünf Strophen der 'Einleitung' durch Anreihung des Gleichartigen (SCHUPP, 1964, S. 18-24). Die Einteilung der Bitten in drei und vier in der abschließenden Str. 20 entspricht augustinischer Tradition. Zwischen den Strr. 5 bis 19 sind allein in I lat. Zusätze eingeschoben, die nur z.T. nachgewiesen sind (s. MSD II 257-262, PFÄLTZER, S. 170 bis 174, SCHUPP, 1964, S. 16). Nicht alle sind im Text verarbeitet; ob sie zum ursprünglichen Plan des Dichters gehören oder als ergänzende Anmerkungen von einem Späteren stammen, ist ungewiß. 4. MSD (II 264 f.) hatten Abhängigkeit von Predigt 66 des —»'Speculum ecclesiae' (ed. MELLBOURN) und dem Traktat 'De quinque septenis' -> Hugos von St. Victor angenommen und davon ausgehend die Entstehung des Gedichts kaum vor dem vierten oder fünften Jahrzehnt des 12. Jh.s angesetzt. Gegen die Quellenbestimmung erhob SCHUPP (1964, S. 17) Einwände und suchte weitgehende Selbständigkeit der Komposition zu erweisen; PFÄLTZER erwog (S. 162-169) Einfluß der Predigten -> Gottfrieds von Admont (Abt 1138-1165). Zeitlicher Ansatz und Provenienz des Gedichts bleiben ungesichert; Entstehung im bair.-österr. Raum, von wo die Hss. stammen, vor der Mitte des 12. Jh.s ist wahrscheinlich. 5. Strophischer Aufbau ist durch doppelte Überlieferung gesichert. Jede Str. besteht aus 12 Kurzzeilen, nur die vierte hat

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14. Die Ansetzung von 'binnengereimten Langzeilen' (MAURER, S. 328 f.) erregt schon wegen der zahlreichen Brechungssysteme Bedenken. Die Tendenz zur volkonigen Bindung der Reime ist sehr deutlich; Assonanzen und Endsilbenreime treten demgegenüber zurück. L i t e r a t u r . Vollständige Bibliographie bis 1970 in: WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. I 68f. - MSD II 256 bis 265; M. ITTENBACH, Dt. Dicht.n d. salischen Kaiserzeit u. verwandte Denkm., 1937, S. 106-111; N. PFÄLTZER, D. dt. Vaterunser-Auslegungen v. d. Anfängen bis ins 12. Jh., Diss. Frankfurt 1959, S. 74-182; V. SCHUPP, D. 'A.d. V.' u. ihre Bauform, DU 11 (1959) H. 2, S. 25-34; B. TILLMANNS, D. sieben Gaben d. hl. Geistes in d. dt. Lit. d. MAs, Diss. (masch.) Kiel 1963, S. 31-47; V. SCHUPP, Septenar und Bauform. Stud. z. 'A.d.V.', zu 'De VII Sigillis' u. z. 'Palästinalied' Walthers von der Vogelweide (Phil. Stud. u. Qu. 22), 1964, S. 14-58, 158-181; MAURER (s. o. 2.), S. 327-331; D. WALCH, Caritas. Z. Rezeption d. 'mandatum novum' in aldt. Texten (GAG 62), 1973, S. 42, 68; B. NAUMANN, Ein- u. Ausgänge frühmhd. Ged. u. d. Predigt d. 12. Jh.s, in: Stud. z. frühmhd. Lit. (Cambridger Colloquium), 1974, S. 37-57.

EDGAR PAPP

Aussee (Awsee, Auße), Michael 1. Geb. in Hall i. Tirol als Sohn des begüterten Haller Bürgers Heinrich Aussee. Er urkundet 1416, lebt dann etliche Jahre außer Landes. 1426/27 erscheint er als Prior des Stiftes Wüten. 1430 wird er zum Pfarrer in Ampaß bestellt, wo er am 7. Sept. 1443 stirbt. Zu erwähnen sind seine freundschaftlichen Beziehungen zu Herzog Friedrich mit der leeren Tasche, der ihn öfters in Ampaß besuchte. Auch andere Mitglieder der herzoglichen Familie waren mehrfach seine Gäste. Quellen d. Biographie: Innsbruck, Stiftsarch. Wüten, Urk. Lade LIII A, Nr. 1-2; LIII B, Nr. 9; XLV B, Nr. 1-2.

2. Aussee schrieb vor seinem Wiltener Priorat, tunc temporis in exilio, eine die Jahre 1115-1120 umfassende Gründungsgeschichte des Prämonstratenserordens (opusculum ... de exordio, plantacione, loco, nomine, habitu, regula, postulacione, intytulacione et conformacione ordinis premonstratensis). Aus der gleichen Zeit stammt ein vom Generalkapitel seines Ordens approbierter feierlicher Ritus, den er

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Aussee, Michael

dem timor Domini die erste Stelle einräumt (v. 26). Die geraden Strophen von Str. 6 bis 18 enthalten die Bitten und ihre Auslegungen, die ungeraden von Str. 7 bis 19 setzen die übrigen vier Septenare in Beziehung dazu (Wortbrücken). Die Septenare sind in den Strophenpaaren nicht streng geschieden, vielmehr ist zu den vier Septenaren der ungeraden Strophen jeweils die Formulierung des Bitten-Septenars herübergezogen, was zu Abwandlungen der Tradition führen kann (z.B. Str. 7). Die virtuose Komposition zeigt sich besonders in Str. 13, in der die drei augustinischen Auslegungen der Brotbitte mit den vier übrigen Septenaren in nur 12 Zeilen verbunden sind. Die blockhafte Ordnung verzahnt auch die fünf Strophen der 'Einleitung' durch Anreihung des Gleichartigen (SCHUPP, 1964, S. 18-24). Die Einteilung der Bitten in drei und vier in der abschließenden Str. 20 entspricht augustinischer Tradition. Zwischen den Strr. 5 bis 19 sind allein in I lat. Zusätze eingeschoben, die nur z.T. nachgewiesen sind (s. MSD II 257-262, PFÄLTZER, S. 170 bis 174, SCHUPP, 1964, S. 16). Nicht alle sind im Text verarbeitet; ob sie zum ursprünglichen Plan des Dichters gehören oder als ergänzende Anmerkungen von einem Späteren stammen, ist ungewiß. 4. MSD (II 264 f.) hatten Abhängigkeit von Predigt 66 des —»'Speculum ecclesiae' (ed. MELLBOURN) und dem Traktat 'De quinque septenis' -> Hugos von St. Victor angenommen und davon ausgehend die Entstehung des Gedichts kaum vor dem vierten oder fünften Jahrzehnt des 12. Jh.s angesetzt. Gegen die Quellenbestimmung erhob SCHUPP (1964, S. 17) Einwände und suchte weitgehende Selbständigkeit der Komposition zu erweisen; PFÄLTZER erwog (S. 162-169) Einfluß der Predigten -> Gottfrieds von Admont (Abt 1138-1165). Zeitlicher Ansatz und Provenienz des Gedichts bleiben ungesichert; Entstehung im bair.-österr. Raum, von wo die Hss. stammen, vor der Mitte des 12. Jh.s ist wahrscheinlich. 5. Strophischer Aufbau ist durch doppelte Überlieferung gesichert. Jede Str. besteht aus 12 Kurzzeilen, nur die vierte hat

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14. Die Ansetzung von 'binnengereimten Langzeilen' (MAURER, S. 328 f.) erregt schon wegen der zahlreichen Brechungssysteme Bedenken. Die Tendenz zur volkonigen Bindung der Reime ist sehr deutlich; Assonanzen und Endsilbenreime treten demgegenüber zurück. L i t e r a t u r . Vollständige Bibliographie bis 1970 in: WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. I 68f. - MSD II 256 bis 265; M. ITTENBACH, Dt. Dicht.n d. salischen Kaiserzeit u. verwandte Denkm., 1937, S. 106-111; N. PFÄLTZER, D. dt. Vaterunser-Auslegungen v. d. Anfängen bis ins 12. Jh., Diss. Frankfurt 1959, S. 74-182; V. SCHUPP, D. 'A.d. V.' u. ihre Bauform, DU 11 (1959) H. 2, S. 25-34; B. TILLMANNS, D. sieben Gaben d. hl. Geistes in d. dt. Lit. d. MAs, Diss. (masch.) Kiel 1963, S. 31-47; V. SCHUPP, Septenar und Bauform. Stud. z. 'A.d.V.', zu 'De VII Sigillis' u. z. 'Palästinalied' Walthers von der Vogelweide (Phil. Stud. u. Qu. 22), 1964, S. 14-58, 158-181; MAURER (s. o. 2.), S. 327-331; D. WALCH, Caritas. Z. Rezeption d. 'mandatum novum' in aldt. Texten (GAG 62), 1973, S. 42, 68; B. NAUMANN, Ein- u. Ausgänge frühmhd. Ged. u. d. Predigt d. 12. Jh.s, in: Stud. z. frühmhd. Lit. (Cambridger Colloquium), 1974, S. 37-57.

EDGAR PAPP

Aussee (Awsee, Auße), Michael 1. Geb. in Hall i. Tirol als Sohn des begüterten Haller Bürgers Heinrich Aussee. Er urkundet 1416, lebt dann etliche Jahre außer Landes. 1426/27 erscheint er als Prior des Stiftes Wüten. 1430 wird er zum Pfarrer in Ampaß bestellt, wo er am 7. Sept. 1443 stirbt. Zu erwähnen sind seine freundschaftlichen Beziehungen zu Herzog Friedrich mit der leeren Tasche, der ihn öfters in Ampaß besuchte. Auch andere Mitglieder der herzoglichen Familie waren mehrfach seine Gäste. Quellen d. Biographie: Innsbruck, Stiftsarch. Wüten, Urk. Lade LIII A, Nr. 1-2; LIII B, Nr. 9; XLV B, Nr. 1-2.

2. Aussee schrieb vor seinem Wiltener Priorat, tunc temporis in exilio, eine die Jahre 1115-1120 umfassende Gründungsgeschichte des Prämonstratenserordens (opusculum ... de exordio, plantacione, loco, nomine, habitu, regula, postulacione, intytulacione et conformacione ordinis premonstratensis). Aus der gleichen Zeit stammt ein vom Generalkapitel seines Ordens approbierter feierlicher Ritus, den er

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'Autoritäten'

für die Profeß der Kanoniker zusammenstellte. Überlieferung. Innsbruck, ÜB, cod. 120 (15. Jh.), 72ra-80va (Gründungsgesch.), 81ra-94ra (Profeßritus). L i t e r a t u r . S. WIMMER, Chronolog. Verz. d. Mitglieder d. Prämonstratenserstiftes Wüten, S. 12, und M. A. DANIEL, Chron. d. Äbte d. Prämonstratenserstiftes Wüten von Abt Marquard bis Abt Johannes IV., 1576, S. 332-343 (unsign. Mss. Innsbruck, Stiftsarch. Wüten); MGH Necr. III 68.

F. STEINEGGER/F. J. WORSTBROCK 'Autoritäten' (gereimt) Darunter sind einprägsame, überwiegend geistlich-asketische Zwei- und Vierzeiler des SpätMAs verstanden, die zur Verstärkung ihrer Lehre anerkannten Autoritäten (Gott, Propheten, Philosophen, Dichtern) in den Mund gelegt wurden. Die Überlieferung erfolgt zumeist in Gruppen, wobei einmalige Sammlungen ohne Nachwirkung neben mehrfach überlieferten stehen.

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gesch. 3 (1890) 362; Zürich, Zentralbibl., cod. C 108, 66V; s. a. -»'Bollstatters Spruchsammlung' (II, Nr. 2-13) und EULING, 1908, S. 159; zu einer Überl. auf einem Wandbild (Augsburg) s. wieder WUTTKE, S. 171 f. 2. Eine Vierzeiler-Sammlung (ca. 20), ine. Gott der herre spricht: Wer getaufft ist vnd in rechtem glauben statt l vnd wer mich vnd sein nechsten lieb hatt l vnd hie laydet durch mich vngemach vnd pein / der wirdet behalten vnd ewig bey mir sein. Aus der Hs. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 2.4. Aug. 2°, 211ra-212vb, hg. v. EULING, 1908, S. 154-158 (Nr.790-811). Weitere Überl.: -»· 'Bollstatters Spruchsammlung' (I, Nr. 1-21); Basel, ÜB, cod. A IX 2, 89r/v; ebd., A XI 59,187M88V; München, ÜB, 8" cod. ms. 226, 546V-549V; Wien, cod. 4120, 33V; Zürich, Zentralbibl., cod. A 130,207v-211r; ebd., C 108, 65v-66r; Einblattdruck 'Spiegel des Todes' des Hans Hauser, Ulm, 15. Jh., s. C. DODGSON, Catalogue of early German and Flemisch woodcuts, Bd. 2, London 1911, S. 21 (Nr. 242); bei der Überl. im Reisebüchlein von 1584 (EULING, 1905, S. 329 Anm. 2) handelt es sich um den Druck einer Freihartspredigt, s. GOEDEKE, Grundriß II 8 (Nr. 23).

3. Eine Vierzeiler-Sammlung (ca. 30-35), inc. Salomon : Aller weishait fundament / ist daz man got minnet und erkennt l und ane bettet ainen got l und darzuo Unika (soweit bisher zu übersehen) finden sich z.B. behelt sein gebot. Aus der Hs. München, cgm 523, im -»'Rostocker Liederbuch', hg. v. RANKE u. MÜLLERra rb 127 -l28 , hg. v. PFEIFFER, S. 142-144 (Nr. 44/15fr' BLATTAU, Nr. 12 (übers, aus den 'Quinquagtnta bona bis 70); aus der Hs. Oldenburg i. O.,LB, cod. Cim I 73, proverbialia documenta philosophorum et sapien17'-21 v (nd.),hg.v.A.LüBBEN,Mitt.ausnd.Hss.,1874, tium', hg. v. MORAWSKI, S. 17-28, vgl. WALTHER, S. 1-3; aus der Hs. Uppsala, ÜB, cod. H. 122, 97r-98r Initia, Nr. 10030) und mehrfach an Wänden oder Ge(nd.), hg. v. ROOTH, S. 51 f. (Nr. 22-34). Die Lesarten stühl mal. Ratsstuben, s. TRIER, S. 173 ff., 187ff. mit der Hs. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 535.16 Lit., 220ff. und F. NIELANDER, Ndjb 48 (1922) 39^3; Novi, 5 -52' (nd.) (= Peter van Zirns Hs.) verzeichnet s.a. PFEIFFER, S. 140-142 (Nr. 1^4/1"14) aus der Hs. FRANKE, S. 21, die auch S. 24 f. weitere Überl. erschließt. München, cgm 523, 126ra-127rb mit einzelnen ParalVollständiger, aber unübersichtlich sind ROOTHS Hinlelen in Basel, ÜB, cod. EIV l, 143r (hg. v. W. WACKERNAGEL, D. altdt. Hss. der ÜB Basel, 1836, S. 36) und weise S. 53f.; dazu einige Aufschlüsse: die fälschROOTH, S. 49-51 (Nr. 1-21) aus der Hs. Uppsala, ÜB, lich bezeichnete 'Wiener Hs.' (s. W. GRIMM, Kleinere Schriften, Bd. 4,1887, S. 27f.) ist offenkundig identisch cod. H. 122, 95r-96v. mit der Überl. Graz, ÜB, cod. 568,204r/v; bei der 'InnsHäufiger überliefert sind drei Sammlun- brucker Hs.' handelt es sich um Teil 2 des cod. 961 der gen, deren Zusammenhalt unbezweifelbar dortigen ÜB, hier 15r-17v (vgl. I. v. ZINGERLE, WSB 66, ist, wenn auch im einzelnen mannigfache, 1870, S.283ff. mit Anm.; A. EMMERT, AnzfKdVz 7 im Genre dieser Kleindichtung übliche Va- [1838] 570); London, Brit. Mus., cod. Add. 16581 riationen in Umfang, Reihenfolge und Text- -> 'Bollstatters Spruchsammlung' (I, Nr. 22-44); zur gestalt zu beobachten sind und auch die Überl. im 'Reyßbuch' s.o.r unter 2. - Weitere Überl.: 5241,6'-9 ; Bad Windsheim, Ratsbibl., Autoritäten nicht immer namentlich ge- München, cgm r r cod. 75, 231 -232 ; Berlin (West), Kunstgewerbemus., nannt werden. Diese Sammlungen sind: Wirkteppich, Ende 15. Jh. (3 Frgm.e, 2 seit 1945 ver1. Eine Zweizeiler-Sammlung (meist 12), ine. häufig loren), s. B. KURTH, D. dt. Bildteppiche d. MAs, Seneca: Hett sunde nicht sunden namen l Dennoch Bd. l, Wien 1926, S. 190 und Tafel 316ab; LUITPOLD wolt ich mich der sunden schämen. Mit der 'Histori Hzg. in Bayern, D. frk. Bildwirkerei, 1926, Textband Herculis' des Nürnbergers Schwenter, hg. v. WUTTKE, S. 85 f., Tafel 56. - Einzelne Sprüche sind recht populär S. 27f. Weitere Überl. erschlossen und z. T. hg. ebd., geworden und finden sich zahlreich verstreut über den S. 170-174; außerdem: Augsburg, SB u. StB, 4° cod. ganzen dt. Sprachraum, einschließlich des Ndl., auch H 27, 15M6r; Donaueschingen, cod. A III 54, 39r/v; als Inschriften. Einzelüberl. in Hss. ist oft als SchreiSt. Gallen, Stiftsbibl., cod. 969, S. 40; Wien, cod. 2967, bervers katalogisiert worden. Nachweise für das Ndl. s. vorerst ROOTH, S. 54. 128M29r, hg. v. A. E. SCHÖNBACH, Vjs. f. Litteratur-

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Ava

Hauptthema der I.Sammlung ist die menschliche 'Gerechtigkeit', die von den Autoritäten als christliche Tugend bekräftigt wird; 'Ungerechtigkeit' ist Sünde. In der 2. und 3. Sammlung geht es um göttliches Gericht und ewige Seligkeit, auf die hin der Mensch sein irdisches Leben ausrichten soll. Die Überlieferung der 1. und 3. Spruchreihe auch in der Ikonographie legt die Vermutung nahe, daß diese aneinandergereihten Autoritätensprüche aus der ikonographischen Tradition der Prophetenreihe in der Weltgerichtsdarstellung geflossen sind (TRIER, S. 136 ff.). Inhaltlich schließt sich die mehr diesseitig-soziale Tendenz der I.Sammlung enger an diese Tradition an als die mehr jenseitig-individualistische der 2. und 3. Sammlung. Lebensfähig sind die Sprüche jedoch auch ohne die von außen kommende Zweckbestimmung, wie die fast nur literarische Überlieferung zeigt. Die Lehre der anerkannten Autorität ist eine Grundlage mal. Denkens und Wertens von immer neuer Aktualität. Vätersprüche und -zitate finden sich in ähnlich kleinteiligen Sammlungen verschiedentlich, meist in Prosa und auch lat. (z.B. des Defensor 'Liber scintillarum', hg. v. H.M. ROCHAIS, CG 117/1, S. 1-308; RUH, Bonav. dt., Reg. Dicta/Sprüche von Vätern und Meistern; MORAWSKI, S.XXXVIlIff.; -> 'Idsteiner Sprüche der Väter'). Sie mögen als Typus ebenso hinter unseren Spruchketten stehen wie der einfache volkssprachliche Vierzeiler geistlich-asketischen Inhalts seit dem 14. Jh. ohne namentliche Zuweisung (EuuNG, 1905,5.321-23).

Das verarbeitete Gedankengut ist, soweit Quellen feststellbar, entweder biblisch (Ps, Prv, Sir - vgl. C. SCHULZE, D. biblischen Sprichwörter d. dt. Sprache, 1860) oder aus -»Freidanks 'Bescheidenheit' entlehnt, dessen Name auch in die Reihe der Autoritäten mitaufgenommen worden ist keineswegs immer richtig plaziert, wie auch die übrigen Zuweisungen ganz unzuverlässig sind. L i t e r a t u r . F. PFEIFFER, Über Bernhard Freidank, Germ. 2 (1857) 129-163, bes. 140-144, wieder in F. P., Freie Forschung, 1867, S. 220-272, 240-245; K. EuLING, D. Prianiel bis Hans Rosenplüt (German. Abhh. 25), 1905, S. 320-323; ders., Kleinere mhd. Erzählungen, Fabeln u. Lehrged. II. D. Wolfenbüttler Hs. 2.4. Aug. 2° (DTM 14), 1908; E. ROOTH, Mnd. Reimsprüche aus Uppsala, Ndjb 49 (1923) 49-54; J. MORAWSKI, Les Diz et proverbes des Sages (Universite de

Paris, Bibliotheque de la Faculte des lettres, 2C serie, 2), Paris 1924; R. FRANKE, Peter van Zirns Hs. (German. Stud. 127), 1932; E. TRIER, D. Propheten d. Kölner Rathauses, Diss. (masch.) Bonn 1952; D. WUTTKE, D. Histori Herculis des ... Pangratz Bernhaubt, gen. Schwenter (Beihh. z. AKG 7), 1964.

ARNE HOLTORF/KURT GÄRTNER

Ava I.Leben. Frau Ava, die erste mit Namen bekannte deutsche Dichterin, nennt sich am Schluß des 'Jüngsten Gerichts' als Mutter zweier Söhne (v. 394), diu sageten ir disen sin, I michel mandunge was under in (v. 395f.). Den Tod einer Ava inclusa i. J. 1127 vermelden die Melker Annalen und verwandte österr. Klosterchroniken (DIEMER, S.XIVf.; SCHERER, S.76). Die Verbreitung dieser Mitteilung läßt darauf schließen, daß die inclusa eine bekannte Persönlichkeit war, und die Forschung zögerte nicht, sie mit der Dichterin Ava zu identifizieren und ihr Wirken in der Umgebung des Klosters Melk anzusiedeln. Aus ihren biographischen Angaben ergibt sich weiter, daß sie einst in der Welt gelebt und sich später in ein Kloster zurückgezogen hat. DIEMERS Zuweisung von weiteren frühmhd. Gedichten zu einer Dichterfamilie der Frau Ava (S. XVI bis XXXVIII), SCHERERS Zerstückelung der Werke in sechs Gedichte von vier verschiedenen Verfassern (S. 64-77) und DE BOORS Unterscheidung zweier ineinanderfließender Stilarten, die auf eine Gemeinschaftsarbeit von Mutter und Sohn hinweisen (S. 151-182), konnten der Kritik nicht standhalten (KIENAST, 1937, S.7-11; WESENICK; GREINEMANN, S. 2-4). II. Werk. In geschlossenem Korpus (s. u.) sind überliefert: 'Johannes' ('Joh.'), 446 Kurzverse; 'Leben Jesu' ('L. J.'), mit einem abschließenden Teil über 'Die sieben Gaben des Hl. Geistes', 2418 vv.; 'Der Antichrist' ('Ant.'), 118 vv.; 'Jüngstes Gericht' ('J. G.'), 406 vv. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Vorau, Stiftsbibl., cod. 276, 115va-125ra (V) (->'Vorauer Hs. 276'); ohne den 'Joh.'; nach fol. 116 fehlt ein Blatt ('L.J.' v. 405-669 nur in Hs. G); die Autornennung ('J.G.' v. 393—406) nur in V. - Görlitz, Bibl. der Oberlausitzischen Ges. d. Wiss., cod. 10, lra-24rb (G), 14.Jh., bair., bebildert; verschollen. Zur Hs. K. HELM, PBB 24 (1899) 90-92; H. MEN-

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Ava

HARDT, PBB (Tub.) 78 (1956) 429f.; ders., PBB (Tub.) 81(1959) 111-115. 2. A u s g a b e n , a. Vorauer Hs. Faks., 115va-125ra. b. Dipl. Textabdruck von V: DIEMER, Dt.Ged., S. 229 bis 292; vonG:H. HOFFMANN,Fundgrubenl 127-204.c. Gesamtausgaben: P. PIPER, ZfdPh 19 (1887) 129 bis 196, 275-318; F. MAURER, Rel. Dicht. II 381-513 (mit dipl. Text von G nach HOFFMANN und PIPER) (zit., Verszählung nach PIPER) ; F. MAURER, D. Dicht.n d. Frau A. (ATB 66), 1966 (mit dem vorigen identisch, aber ohne den dipl. Text).

3. T e x t k r i t i k . Die jüngere Hs. G paßt den Text den Formprinzipien ihrer Zeit an durch Herstellung des reinen Reims, Auffüllung oder Kürzung der Verse und Umstellungen oder Einfügungen von Flickworten oder -versen. Die nur in G überlieferten Teile lassen sich daher nicht mit Sicherheit herstellen. KIENASTS Studien zum Hss.-Verhältnis mündeten in dem Ergebnis, daß beide Hss. einer bereits interpolierten und zum Teil verderbten Bearbeitung des ursprünglichen Textes angehören und daß sie nicht aus derselben Vorlage abgeschrieben sind (1937, S. 3-5). In Auseinandersetzung mit KIENAST erarbeitete MASSER (S. 126-143) eine neue Textfassung der Verkündigungsszenen in 'Joh.' und 'L. J.'. 4. Q u e 11 e n. KIENAST hat als erster durch seine Quellenuntersuchungen der Frage der Verfassereinheit neue Argumente hinzugewonnen. In den epischen Werken ('Joh.' und 'L.J.') folge Ava in erster Linie den Evangelien unter Hinzuziehung der gebräuchlichsten Kommentare. Die Quelle der 'Sieben Gaben' sieht KIENAST im 'St. -» Trudperter Hohenlied' (1940, S. 93-97), die des 'Ant.' in der -> 'Altdt. Genesis' und in Adsos 'Libellus de Antichristo', die des 'J.G.' in geläufigem Predigtgut und in einer dem ->· Petrus Damiani nahestehenden Fassung des Gedichts von den —>· 'Fünfzehn Vorzeichen des Jüngsten Gerichts' (1937, S. 27-34). Das Auswahlprinzip in 'Joh.' und 'L.J.' sei das äußere Wachstum der Kirche. Daß weder die einzelnen Evangelien noch eine Evangelienharmonie die direkten Quellen des 'L.J.' sind, stellten GREINEMANN und MASSER fest und wiesen nach, daß sich Avas Auswahl und Anordnung bis zu den Angaben über die zeitliche Distanz der Geschehnisse mit wenigen Ausnahmen nach den Perikopen der Sonn- und Festtage des

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Weihnächte- und Osterfestkreises richten (GREINEMANN, S. 129-135; MASSER, S. 32 bis 46). MASSER denkt an ein Lektionar oder Brevier als Leitfaden. 5. Die Einheit der Dichtungen der Frau Ava beruht auf ihrer Überlieferung und ihrem Inhalt. Das in beiden Hss. zusammenhängend überlieferte Werk (mit der Sonderstellung des 'Joh.') überspannt die Pole Heilsankündigung durch Johannes und Christus als Richter in der Parusie, d. h. Anfang und Ende der christlichen Kirche. Diese Geschichte der Kirche spiegelt sich für Frau Ava wider im Ablauf des Kirchenjahres, das wie ihre Gedichte in der Spannung zwischen Heilserwartung und Endzeiterwartung steht. III. Die e i n z e l n e n D i c h t u n g e n 1. ' J o h a n n e s ' . In Anlehnung an Lc 1.5 wird die kurze Zeitangabe zu einem Prooemium für den ganzen Zyklus erweitert, das als Thema ankündigt: wie die zit aneviench l daz die alte e zergiench (v. 3 f.) und damit einen heilsgeschichtlichen Orientierungspunkt setzt. Die Geschichte des Johannes ist nicht mit derjenigen Jesu verknüpft, sondern eine in sich abgeschlossene Darstellung auf der Basis der Evangelien. Zu einer Wiederholung im 'L.J.' kommt es nur in der Verkündigungsszene, die im 'Joh.' stärker unter biblisch-historischem Aspekt steht, im 'L.J.' mehr die heilsgeschichtliche Bedeutung von Menschwerdung und jungfräulicher Empfängnis betont (MASSER, S. 126-143). 2. 'Leben Jesu' und 'Sieben Gaben des Hl. Geistes'. Berichte über Christi Wunder und Lehrtätigkeit treten ganz zurück. Im Vordergrund stehen die biblischen Tatsachenberichte in Anlehnung an die Perikopen der Sonntage und Feste. Vermeintliche Rückschritte im Kirchenjahr bei der Perikopenauswahl erklärt MASSER damit, daß Frau Ava jeweils auch die Lebensjahre Christi berücksichtigt und die Perikopen auf drei Lebensjahre verteilt, dabei aber immer die Perikopen der Zeitspanne von Pfingsten bis zum Ende des Kirchenjahres ausläßt. Man kann aus diesem Befund und aus der Konzentrierung der Erzählung auf den Passionsbericht folgern, daß entspre-

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Ava

chend der Thematik der Perikopen das besondere Anliegen Frau Avas in der Darstellung der Göttlichkeit Christi und seines Heilsauftrages liegt. Allegorische Ausdeutung schimmert nur an wenigen Stellen durch, z.B. in der Ausdeutung der Geschenke und des Weges der hl. drei Könige (v. 262-272), in der Deutung des Kreuzes (v. 1595-1600) und des Blutes (v. 1649 bis 1658). Die verkürzende, an den Stil von -»Ezzos 'Cantilena' erinnernde Reihung von Wundertaten begegnet nur einmal in v. 923-936. Sonst liebt die Dichterin die breitere Auffächerung der Erzählabschnitte. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt den Frauengestalten, vor allem den Büßerinnen. Erweiterungen gegenüber den Evangelien stammen aus Predigt und Kommentar. Ob eine Osterfeier in der Passionsszene und das Nikodemus-Evangelium für den Descensus benutzt wurden, ist umstritten. In dem Gedicht über den Hl. Geist (v. 2269-2418) verbindet Frau Ava, an augustinische Tradition anknüpfend, die sieben Gaben des Hl. Geistes mit den sieben Seligpreisungen der Bergpredigt. Das Stück wächst organisch aus dem Pfingstbericht des 'L.J.' (v. 2137-2164), in dem schon die Gaben erwähnt werden, und aus dem Predigtauftrag an die Jünger und der Berufung der Evangelisten (v. 2193-2268) heraus. Die beiden Septenare sind verbunden mit den vier Elementen (v. 2279—2336), den drei Seelenkräften gehuht, wille, vernunst (v. 2337-2398) und den proprietates-Eezeichnungen gewalt (v. 2355), wistuom (v. 2364), guote (v. 2370) und einer Anzahl von (klösterlichen ?) Tugenden. Eine überzeugende Strukturuntersuchung steht noch aus. 3. ' A n t i c h r i s t ' . Der Eingang des Gedichts (v. 1-62) entspricht weitgehend der Parusierede Jesu Mt 24.1 ff. Die Perikope Mt24.15-35 ist die des letzten Sonntags im Kirchenjahr, ein weiterer Hinweis auf die im Ablauf des Kirchenjahrs begründete Struktur des Gedichtzyklus. Zusammenhang mit dem Segen über Dan und der Ausdeutung auf den Antichrist in der 'Altdt. Genesis' (v. 5668-5741) ist nicht von der Hand zu weisen. Adso scheint Ava ferner zu stehen (s. GREINEMANN, S. 163-165). 4. 'D äs J ü n g s t e Gerich t'. Jüngster Tag

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und Krone des ewigen Lebens sind die Themen, die im Eingang angekündigt werden. Der Darstellung der 15 Vorzeichen des Jüngsten Gerichts (v. 19-162) folgt der Gerichtstag selbst mit dem Jubel der Erwählten. Das katechetische Anliegen der Dichterin und der Bezug auf die eigene Lebensgestaltung und Tugendhaltung treten hier besonders hervor; die gedankliche Nähe zum vierten Kapitel der 'BenediktinerregeP (Qua sunt instrumenta bonorum operum) ist auffallend. Mystische Wendungen finden sich gelegentlich in v. 327-392. Die Anspielungen auf die sieben Eigenschaften des verklärten Leibes (v. 327-366; ob auch die sieben Eigenschaften der verklärten Seele dort vorkommen, ist unsicher) lassen vermuten, daß Zahlensymbolik im Spiel ist. IV. Zur F o r m Die von MAURER postulierte Gliederung in 'ungleichzeilige Langzeilenstrophen', die sich auf die Initialensetzung beruft, bedarf kritischer Überprüfung durch eine Analyse der Gliederungsprinzipien der Hss. (s. SCHRÖDER, 1967, S.279f. und 1971, S. 114 bis 116). Der behauptete Langzeilencharakter der Gedichte Frau Avas wird häufig erst durch die Interpunktion MAURERS erzeugt (z.B. 'Joh.' v. 19ff., 'L.J.' v. 1619E, 'J. G.'v. 179 ff.) .Brechungssysteme sind in den deutlich zum Vierhebigkeitsprinzip mit geregelter Alternation tendierenden Versen keine Ausnahme, besonders in den dogmatischen Partien des Werks. In den erzählenden Teilen herrscht der für das Frühmhd. typische blockartig-parataktische Bau von kurzen Hauptsätzen, der, häufig durch anaphorische Partikel oder Pronomina fortgeführt (DE BOOR), mit seinem Kolonbogen oft das Reimpaar überspannt. Eine genauere Untersuchung der Reime, besonders der dialektalen Eigenheiten (md. Formen?, z.B. 'L.J.' v. 443f., 1615f.), fehlt ebenso wie eine genaue metrische Analyse beider Textzeugen. Im Vergleich mit ihren biblischen Vorlagen gibt Frau Ava veranschaulichenden Erweiterungen breiteren Raum, was nicht allein auf den Gesetzen metrischer Umformung, sondern auf bewußtem Stilwillen

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'Ave maris stella'

beruht: Verstärkung des Gebärdenausdrucks und der Bewegungstätigkeit, tautologische Variationen, Häufung von Zeitangaben, stärkere Bildhaftigkeit durch Einfügung von beschreibenden Elementen, häufige propter-nos-Formeln zur Verdeutlichung heilsgeschichtlicher Gehalte sind die augenfälligsten Zeichen. V. L i t e r a t u r . W. SCHERER, Geisel. Poeten d. dt. Kaiserzeit, 2. Heft (QF 7), 1875, S. 64-77; H. DE BOOR, Frühmhd. Stud., 1926, S. 151-182; R. KIENAST, A.Stud. I, ZfdA 74 (1937) 1-36, II, 277-308 u. A.-Stud. III, ZfdA 77 (1940) 85-104; B. TILLMANNS, D.sieben Gaben d. hl. Geistes in d. dt. Lit. d. MAs, Diss. (raasch.) Kiel 1962,5.49-56; R. WOELFERT, Wandel d. rel. Epik zwischen 1100 u. 1200 dargestellt an Frau A.s 'L. J.' u. d. Kindheit Jesu d. Konrad v. Fussesbrunnen, Diss. Tübingen 1963; G. WESENICK, Frühmhd. Dicht, d. 12. Jh.s aus d. Wachau: Frau A.s Ged., Diss. (masch.) Wien 1963; M. WEHRLI, Sacra poesis. Bibelepik als europ. Tradition, Fs. F. Maurer, 1963, S. 262-283, wieder in: M. W., Formen mal. Erzählung, 1969, S. 51-71; F. MAURER, Rel. Dicht. I 27-30 und II 371-380 (mit weiterer Lit. bis ca. 1964) (kritisch z. Maurers 'binnengereimter Langzeile' u. z. d. 'ungleichzeiligen Strophen' W. SCHRÖDER, PBB [Tüb.] 87 [1965] 150 bis 165, 88 [1967] 249-284, 93 [1971] 109-138); E. GREINEMANN OSB, Die Ged. d. Frau A. Unters, z. Quellenfrage, Diss. Freiburg i.Br. 1967; A. MASSER, Bibel, Apokryphen u. Legenden. Geburt u. Kindheit Jesu in d. rel. Epik d. dt. MAs, 1969; D. WALCH, Caritas. Z. Rezeption d. 'mandatum novum 1 in altdt. Texten (GAG 62), 1973, S. 69-71; B. NAUMANN, Ein- u. Ausgänge frühmhd. Ged. u. d. Predigt d. 12. Jh.s, in: Stud. z. frühmhd. Lit. (Cambridger Colloquium), 1974, S. 37 bis 57.

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Der Hymnus hat zwei verschiedene Melodien, die in den Quellen getrennt oder miteinander auftreten, die phrygische (STÄBLEIN, Mel. 149) und die dorische (ebd., Mel. 67). Beide sind seit dem frühen 12. Jh. nachweisbar. Die zweite, die auch für einige der dt. Übersetzungen gewählt wurde, ist hauptsächlich durch die Zisterzienser überall hin verbreitet. Älteste Quelle dafür ist die St.-Martial-Hs. (Paris, Bibl. Nat., lat. 1139,49V, um 1100), wo sie zu einem Marienlied in provenzalischer Sprache gehört, das auf den lat. Hymnus zurückgeht (STÄBLEIN, 519f.).

Die Wirkung des Hymnus in der lat. Literatur bezeugen u.a. die Sequenz -> 'Ave praeclara maris stella' und einige Glossenlieder und -gedichte (MoNE, Hymnen II, Nr. 496-500; vgl. auch WALTHER, Initia, Nr. 32-35). A u s g a b e . Anal. hymn. 51, Nr. 123, S. 140-142. L i t e r a t u r . CHEVALIER, Nr. 1889; P. WAGNER, Le due melodie dell' inno . m. st.', Rassegna gregoriana l (1902) 73-75; U. SESINI, Poesia e musica nella latinita cristiana dal III al X secolo, Torino 1949, S. 153-155; A. DAL Zorro, Ricerche sull' autore dell' . m. st.', Aevum 25 (1951) 494-503; B. STÄBLEIN, Monumenta monodica medii aevi, Bd. I, Hymnen (I), 1956, Nr. 67/1-4, Nr. 149/1-4; H. BRINKMANN, Voraussetzungen u. Struktur rel. Lyrik im MA, Mlat. Jb. 3 (1966) 37-54, bes. 43-46.

Übersetzungen und Paraphrasen. Der Beliebtheit des Hymnus und seiner Melodie entsprechen die vielen Übersetzungen und Paraphrasierungen in deutscher und niederländischer Sprache. Nachgewiesen sind bisher: 1. [Ave] mers Sterne gotes müter heiligiu, EDGAR PAPP Interlinearversion der Millstätter Psalmen und Hymnen (-> 'Hymnare u. Hymnenaus'Ave Maria' —*· 'Goldenes Ave Maria' legungen in dt. Spr.'), Ende 12. Jh., Ausg. -> 'Marien Rosenkranz N. TÖRNQVIST, Cod. Pal. Vind. 2682, Bd. 2 (Lunder germanist. Forschungen 7), Lund'Ave maris stella' (deutsch) Kopenhagen 1937, Nr. 52. Der lat. Marienhymnus Ave maris stella 2. Heiliger mers sterne, dinen friunde, Dei mater alma ist in Europa weit verbrei- Glossengedicht in Reimpaaren, Mainz, StB, tet. Älteste Quelle des Textes ist eine St. Karth. 599, f. 162 (14.Jh.), Ausg. MONE, Galler Ambrosius-Hs. des 9. Jh.s (St. Gallen, Hymnen II 227 f. Stiftsbibl., ms. 95), in liturg. Hymnaren 3. Ik grozt dy meres sterne, Wolfenbüttel, nicht vor dem 10. Jh. Das Ged. besteht aus Hzg.-Aug.-BibL, Heimst. 632, f. 90V (14. Jh., 4zeiligen Strr. mit dem seltenen Metrum mit Melodie), Ausg. G. MILCHSACK, Hymni des trochäischen Senars (6'6'6'6') ohne et sequentiae, 1886, S. 135.; vgl. dazu R. durchgehenden Reim. Die 7 ursprünglichen STEPHAN, ZfdA 87 (1956/57) 150 f. Strr. schließen die Doxologie ein. Die haupt4. Ave meres sterne vom -> Mönch von sächliche Verwendung ist in allen Quellen Salzburg (Ende 14. Jh.), München, cgm 715, die für das Fest Mariae Verkündigung. f. 149r-150v (mit Melodie), Ausg. F.V.

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'Ave praeclara maris stella'

SPECHTLER, Die geistl. Lieder d. Mönchs von Salzburg (QFNF51), 1972, Nr. G15. 5. Bis grüst stern im mere von Heinrich ->· Laufenberg (Anf. 15.Jh.), Ausg. WAKKERNAGEL, KL II, Nr. 757. 6. Ave marts stella, bis grast ein stern im mer, lat.-dt. Glossenlied (1443) von Heinrich -> Laufenberg, Ausg. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 778. 7. Grüesset seist aus meressteren: München, cgm 858, f. 112rv, um 1450, Ausg. B. GILLITZER, Die Tegernseer Hymnen des cgm 858 (Forschungen zur bair. Mundartkunde 2), 1942, Nr. l (vgl. -> 'Hymnare u. ...'). 8. Ghegruet sijstu sterre des meeres, Prosa: Venedig, Bibl. Nat. Marciana, Codd. Ital. cl. I, cod. 35 (15.Jh.), Ausg. , Hymnen II 218. Hierher gehören vermutlich auch G. ACHTEN/H. KNAUS, Dt. u. ndl. Gebetbuchhss. d. Hess. Landes- u. Hochschulbibl. Darmstadt, 1959, Nr. 42, 61r (Lit.) und A. VIZKELETY, Beschreibendes Verz. der altdt. Hss. in ungar. Bibl. II, 1973, Nr.9, 6. 9. Got grüße dich lichter meres stern: Köln, Hs. d. Bibl. d. ehem. Marzellen-Gymnasiums (15.Jh.), f. 66b/90b, Ausg. HOFFMANN, KL, S.284f.; WACKERNAGEL, KLII, Nr. 887. 10. Jesu muter des mer ein stern, strophische Paraphrase: Melk, Stiftsbibl., cod. 55 (olim D 15), f. 282-283 (15. Jh.), Ausg. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 888. 11. Gegrüsst bis des mer es stern, Prosa, mit Melodie: Wien, cod. 3079, f. 185r-186r, geschrieben 1477 (-> 'Hymnare u. ...'). 12. O du stern des meres in der 'Auslegung der Hymnen' (Ende 15.Jh., vgl. -> 'Hymnare u. ...'). 13. Gegräßt syest mores stern im —> '[H]ortulus animae', Straßburg 1501, Ausg. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1077. 14. Pys grüest ein stern des mors, von P. Tritonius im 'Hymnarius von Sigmundslust' (gedruckt 1524; vgl. -> 'Hymnare u. ...'), Ausg. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1357. 15. In einigen Gebetbüchern sind Prosaübertragungen des Hymnus eingefügt in den 'Cursus von unserer Frauen', so München, cgm 87, f. 45V^6V; cgm 97, f. 58r-59r; cgm 105, f. 36v-37r.

16. Ave maris stella ich grües, Glossenlied von Hans Sachs, Berlin, mgq 414, 21v-23r, Ausg. F.H. ELLIS, The early Meisterlieder of H. S., Bloomington 1974, Nr. 16. Nur bei Nr. 4 und 11 dieser Liste ist die Melodie in Verbindung mit dem dt. Text überliefert. Nr. 3, 5, 7, 13 und 14 zeigen in 4 dreihebigen Versen mit weiblicher Endung den Zusammenhang mit dem lat. trochäischen Senar und sind daher sicher auch nach der Melodie des lat. Hymnus gesungen worden. Denkbar wäre dies aber auch bei den Vierhebern von Nr. 9, die sich an die ambrosianische Str. (8888) anlehnen; denn ein ndl. Marienlied dieses Metrums hat ebenfalls die Melodie des Ave maris stella übernommen, s. E. BRUNING/ M. VELDHUYZEN/H. WAGENAAR-NOLTHENIUS, Het geestelijk Lied van Noord-Nederland in de 15. Eeuw (Monumenta musica Neerlandica 7), Amsterdam 1963, S.182f. L i t e r a t u r s. Ausgaben; ferner BÄUMKER, KL II, Nr 7

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WALTHER LIPPHARDT

'Ave praeclara maris stella' (deutsch) Die lat. Sequenz von -»Hermann von Reichenau zum Fest Mariae Himmelfahrt besteht aus 16 ungleichen Strr. (= 7 Versikelpaare, umgeben von Einleitungs- und Schlußversikel). Mehrere Kommentare, darunter einer von -> Caesarius von Heisterbach, bezeugen die Bedeutung der Sequenz. Ü b e r l i e f e r u n g . Älteste Quelle der weit verbreiteten Sequenz ist das Antiphonar von St. Peter in Salzburg aus dem 11. Jh., vgl. Vollst. Faks.-Ausg. des cod. Vind. ser. nova 2700 d. Österr. Nationalbibl. (Codices selecti 21), Graz 1969-1973. Ausgabe. Anal. hymn. 50, Nr. 241. L i t e r a t u r . CHEVALIER Nr. 2045; H. BRINKMANN, Voraussetzungen u. Struktur rel. Lyrik im MA, Mlat. Jb. 3 (1966) 37-54, bes. 46-52; R. B. C. HUYGENS, Deux commentaires sur la sequence .p.m.s.', Citeaux 20 (1969) 108-169.

Deutsche Übersetzungen und Paraphrasen dieser besonders in Deutschland und Böhmen sehr beliebten Mariensequenz finden sich seit dem 12. Jh., mehrfach mit Beigabe der Melodie: 1. Ave vil liechtiu maris stella^· 'Mariensequenz aus Muri' (eine der Hss. hat Neumen!).

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'Ave praeclara maris Stella'

2. Ave du vil sconiu maris stellet —>· 'Mariensequenz aus St. Lambrecht (Seckau)'. 3. Ich gruess dich gerne meres sterne lucerne vom —> Mönch von Salzburg, 10 Hss., davon 6 mit Melodie. Ausgabe. F. V. SPECHTLER, Die geistl. Lieder d. Mönchs von Salzburg (QF NF 51), 1972, Nr. G 6.

4. Bis grüst maria schöner merstern von Heinrich -»Laufenberg. Ausgabe. WACKERNAGEL, KL H, Nr. 763.

5. Ich [Variante: Goi] grusse dich lawtir sternglancz, paraphrasierend-glossierendes Reimpaargedicht. Ü b e r l i e f e r u n g . Breslau, ÜB, ms. I. O. 49, 107V bis 110V (vor 1424); Berlin, mgo 137, 127r-133v; Heidelberg, cpg356,96v-103r; Paris, Bibl. Nat., Ms. allem. 150 (Supplem. fran?. 633), 336r-342r; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bib!., 2.4. Aug. 2°, 200r-202r; eine Straßburger Hs. vgl. K. BARTSCH, Beitr. z. Quellenkunde d. altdt. Lit., 1886, S. 176. Ausgaben. J. KLAPPER, Altdt. Texte aus Breslau, ZfdA 50 (1908) 189-197; K. EULING, Kleinere mhd. Erzählungen, Fabeln u. Lehrged. II. Die Wolfenbüttler Hs. 2.4. Aug. 2° (DTM 14), 1908, S. 139-143.

6. Ich grüß dich (Variante: Gegrotet sistu) gerne meres sterne (: verne : derne). Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgo 137 (datiert 1444), 134r-135r; Münster, Staatsarch., Altertumsverein Münster (Dep.) Ms. Nr. 41, 2v-25r; Berlin, mgo 280 (Ldb. d. Anna v. Köln), 115M23V (mit Melodie); Braunschweig, StB, Frgm. 55; Dresden, LB, cod. M 27 b, 33v-36r. A u s g a b e n . B. HÖLSCHER, Nd. geistl. Lieder u. Sprüche, Zs. f. Vaterland. Gesch. u. Alterthumskunde 18, NF 8 (1857) 302-311, dort S. 303-306; L. HANSELMANN, Braunschweigische Fündlinge X, Ndjb 16 (1891) 71-73; H. SUOLAHTI, Die Mariensequenz im Ldb. d. Anna v. Köln, Neuphil. Mitt. 12 (1910) 1-14; W. SALMEN/J. KOEPP, Ldb. d. Anna v. Köln (Denkmäler rheinischer Musik 4), 1954, S. 37-39.

In der Münsteraner Hs. ist diese Übertragung versikelweise eingebaut in einen lat. Kommentar zur Sequenz; diesen sowie einen weiteren (rein lat.) Kommentar zur Sequenz -» 'Lauda Sion salvatorem' hat Albertus, Dekan der Kaiandbruderschaft zu St. Marien Osnabrück, i. J. 1445 verfaßt oder kompiliert. Als Autor der Übertragung kommt er nicht in Frage. L i t e r a t u r . Zu Albertus: HÖLSCHER (s. Ausg.); F. JOSTES, Ndjb 11 (1885) 87; O. PAUL, 'VL I 30.

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7. Goi grüß dich du schöner stern das [!] mers und des thrones, freie Reimverse: Kalocza, MS 300 (früher 213), 45M8V. 8. Gruesset seist aus du dar er meres steren, Prosa: München, cgm 858, Bl.205 bis 206. Ausgabe. B. GILLITZER, Die Tegernseer Hymnen des Cgm 858, 1942, S. 62-64, 136f. (vgl. -> 'Hymnare u. Hymnenauslegungen in deutscher Sprache').

9. Ave du chlarr meres stern in daz liecht der diet, Prosa: München, cgm 87 (datiert 1442), 116r-119v. 10. Goi groitze dich clair sterne des mers gotlich uffgeganen, Prosa: Berlin, mgo 380, 223V-224V; Budapest, Ungar. Ak. d. Wiss., K 540, 57v-59r; Darmstadt, Hess. LB, 1903, 214V-216V; alle Ende 15. Jh. 11. Du pist grust Maria ein uberchlarer stern des meres götleich aufgegangen, Prosa: München, cgm 105, 45v^*7r. 12. Maria gegrotet systu vorschynende sterne des meres gotlyken upgegaen, Prosa, nach einem hsl. Gebetbuch (Hildesheim 1511, Privatbesitz) hg. von , Hymnen II 358 f. 13. Eine Prosaübersetzung in einer 1494 von Knoblochtzer in Heidelberg gedruckten Hymnensammlung (-»· 'Hymnare u. ...'), Anfang und Versikel IV nach dem Text des Mönchs von Salzburg (s. o. 3); ein als Variation angebotener Anfang klingt an Nr. 6 (s. o.) an. Ausg. durch B. WACHINGER vorbereitet. 14. Ave durchlüchte stern des mers on füchte von Sebastian -> Brant. Ü b e r l i e f e r u n g . Einblattdrucke von ca. 1496 und ca. 1512; Hs. Basel, ÜB, A XI 65, 182r-187v (1. H. 16. Jh.); M.Vehe, Ein New Gesangb&chlin Geystlicher Lieder, Leipzig 1537, 64b-69a (alle mit Melodie). Ausgabe. Sebastian Brant, Narrenschiff, hg. v. F. ZARNCKE, 1854 (Nachdr. 1961 u. 1964), S. 163f. (vgl. S. 472); WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1333; Faksimile der Flugblätter: P. HEITZ, Flugblätter des S. Brant, 1915, Nr. 15 u. 16. L i t e r a t u r s.o.; ferner: M.C. PFLEGER, Unters, am dt. geistl. Lied d. 13. bis lö.Jh.s, Diss. Berlin 1937, S. 42-44, 62-67; H. BRINKMANN, 'A.pr.m.st.' in dt. Wiedergabe, Stud, zur dt. Lit. u. Sprache des MAs, Fs. H. Moser, 1974, S. 8-30.

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'Ave vivens hostia' - Avicenna

'Ave vivens hostia' (deutsch) Der lat. Corpus-Christi-Hymnus stammt vom englischen Franziskaner Johannes Peckham, Erzbischof von Canterbury (gest. 1292). A u s g a b e n u. L i t e r a t u r . Anal. hymn. 31, S. 111 bis 114, ergänzend 50, S. 597f.; CHEVALIER Nr. 2278; SZÖVERFFY, Hymnendicht. II 266-270.

Rahmen des Fronleichnamsfestes. Keine Übertragung, sondern den Wechsel von lat. Strophen des . v. h.' mit dt. Strophen eines anderen Liedes (WACKERNAGEL, KL II, Nr. 842) überliefert die -> 'Crailsheimer Schulordnung'. L i t e r a t u r . BÄUMKER, KL I 708-711; J. JANOTA, Stud. z. Funktion u. Typus d. dt. geistl. Liedes im MA (MTU 23), 1968, S. 61, 211-213.

Deutsche Übertragungen: 1. —»Mönch von Salzburg, mit Strophenvarianten, die aus der lat. Überlieferung erklärbar sind, überliefert in 5 Hss. (davon 3 mit Melodie) und einer etwas abweichenden Fassung Nürnberg, StB, Cent. VII 38, 225r-229v.

Aversa (Nicolaus von A.) -> Nicolaus Salernitanus

A u s g a b e . F. V. SPECHTLER, Die geistl. Lieder d. Mönchs von Salzburg (QF NF 51), 1972, Nr. G 39, S. 301-312.

Avicenna

2. 'Tegernseer Hymnenübersetzungen' (-> 'Hymnare und Hymnenauslegungen in deutscher Sprache'): München, cgm 858, 153r-155r. A u s g a b e . B. GILLITZER, Die Tegernseer Hymnen des Cgm. 858 (Forsch, z. bair. Mundartkunde 2), 1942,5.48-50,131 f.

3. Eine Übertragung in einer Hs. des 15. Jh.s aus Ebersberg: München, clm6034, 83r-84r (mit Noten). Auf sie gehen die verschiedenen in katholischen Gesangbüchern des 16. Jh.s überlieferten Fassungen in einzelnen Strr. oder Anklängen zurück. Ausgabe. HOFFMANN, KL, Nr. 151; vgl. damit WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1273 (bes. Str. 4, 6 und 7), ferner Nr. 1270, 1274-76. L i t e r a t u r . R. STEPHAN, D. Lieder d. Ebersberger Hs., jetzt Clm 6034, JbLH 2 (1956) 98-104, dort S. 98 bis 100.

4. Eine Übertragung im Anhang zu Ludwig -> Mosers 'Guldin Spiegel des Sunders', gedruckt Basel 1497, vermutlich von Moser verfaßt. Ausgabe. WACKERNAGEL, KL H, Nr. 1071.

Wie das lat. Original sind die Übertragungen, die alle die Strophenform nachzuahmen suchen, häufig zusammen mit Dreifaltigkeitshymnen und dem -» Tange lingua gloriosi' überliefert und haben ihre Funktion als nichtliturg. Lied innerhalb der Hl. Messe (Kommunionlied), wie das Mainzer Cantional von 1605/27 noch zeigt, und im

FRANZ VIKTOR SPECHTLER

Avianus -* Stainhöwel, Heinrich

_Abü CA1T al-Husain ibn cAbd Allah ibn Sinä - latinisiert Avicenna - wurde 980 bei Buchara geboren und starb 57jährig. Seine Wirkung auf die dt. Fachprosa geht vom 'Kitäb al-Qänün fT 't-tibb' aus, der die arabische Medizin systematisierend zusammenfaßt und als 'Canon medicinae' vor 1187 durch Gerhard von Cremona übersetzt wurde. Auf der lat. Übersetzung Gerhards und seiner Schule fußen zahlreiche Derivattexte, die neben dem direkten Einfluß vielfach verschlungene und gebrochene Überlieferungslinien ergeben. Für die deutschsprachige Fachliteratur ist diese Tradition noch nicht aufgedeckt, doch verläuft sie vielsträngig und in mehreren Etappen, wie folgende Beispiele zeigen: 1. Frühen A.-Einfluß läßt -> Ortolfs von Baierland 'Arzneibuch' erkennen (2. H. 13. Jh.), das eine Salben-Rezeptur des 'Canon' aus der —> Roger-'Glosse' entlehnt (Kap. 147). 2. Die landessprachige A.-Rezeption setzt jedoch erst später ein, und zwar im 14. Jh., wo das weitgehend dem 'Canon' (I, III und IV) verpflichtete 'Urregimen' -»Konrads von Eichstätt zunächst frgm. (Tränkisches Arzneibuch') ins Deutsche übertragen wird, um seit dem 15. Jh. in mehreren Übersetzungen die altdt. Diätetik zu beherrschen. 3. Für Technik und Stellenwahl des Aderlasses wurde der '24-Paragraphen-Text' maßgebend, der auf dem Phlebotomie-Abschnitt des 'Canon' (I, f. IV, c.20) fußt und

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'Awroham owinu' - Axspitz, Konrad

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wiederholt vernichtete, und schließlich, von Nimrod in den Feuerofen geworfen, von Gott gerettet wurde, woraufhin dt heidenschaft ein ende nahm (Z. 469f). Die letzte Str. ("116) dürfte Zutat des Schreibers Isak sein, der sich auch am Ende der vorhergehenden Stücke nannte (ROLL). Als Vorlage wird die heilige schrift (Z. 112) genannt. Das jüdische Publikum wird am Schluß mit kinder (= bne Jisroel) und mit ir man mit uwern wiben (Z. 471 ff.) angeredet. Eine genaue Unters, der (Reim-Jsprache des offenbar gut überlieferten Gedichts steht aus. Merkmale sind: (si) buten (Z.84, L i t e r a t u r . K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirur352), enpern: gern(e) (359 f.) im weibl. gie im MA, 1914-18, I 171-183, 186-196; A. SCHMID, Conrad Türsts iatro-mathematisches GesundheitsReim; n - lose Inf.: zu(o):tu(on) (159/61, büchlein für d. Berner Schultheißen Rudolf v. Erlach, 453f.), hende:senden (397f.), vgl. 480/3; Bern 1947, S.47-51, 72-75; G. KEIL, über: Menhardt, (mhd.) mere ihetfaere (207 f., 465 f.), (mhd.) Hss., AfdA 76 (1965) 100-143, hier S. 126; M. P. KOCH / her:mer (86f.); (mhd.) gelazen: kosen G. KEIL, D. spätmal. Gesundheitslehre d. 'Herrn Ar(l89 f.); do :vru(o) (378 f.); vorburnen (229, noldus v. Mumpelier', Sudhoffs Arch. 50 (1966) 361 437); man :von dan (209f.). bis 374, hier S.370; KEIL, Ortolfs 'Arzneibuch', SudDie Str. ist anscheinend eine Abwandlung hoffs Arch. 53 (1969) 119-152, hier S. 134; M. ULLder Kudrunstr., die 4. Zeile ist um den AnMANN, D. Medizin im Islam, 1970, S. 152-157; CH. vers kürzer: 4 w ( m ) + 3 m a / 4w(m) + HAGENMEYER, D. Ordnung d. Gesundheit' für Rudolf v. Hohenberg, Diss. Heidelberg 1972 [1973], S. 107 bis 3 m a / 4 w (m) + 4 w b / 6 w b . Sie ist ander117 · G. KEIL weitig nicht bekannt. Verglichen mit ändern jidd. strophischen Texten (—»'Dukus Horant', —»· 'Schmuelbuch') ist die VersbehandAwer, Cristannus -> Sehnlicher, Peter lung altertümlich (einsilbige Takte, meist Awer, Gregorius -> Appet, Jacob regelmäßige Alternation). Awer, Hans -»'Der Pfaffe mit der Schnur A'

in mehreren Übersetzungen sowie Bearbeitungen dem landessprachigen Praktiker zur Verfügung stand. Er begegnet in zahlreichen Arzneibüchern seit dem 14. Jh. (Konrad ->Türst, -> Johann van Segnen, Konrad -> Braem; Ordnung der Gesundheit' II110 -137, 'Regel der Gesundheit', S. 84, 'Büchlein der Gesundheit' 77*; alle drei —> Konrad von Eichstätt) und wurde zum namengebenden Bestandteil des ärztlichen Vademecums im SpätMA (-> 'Asanger Aderlaßbüchlein', -> 'Bairisches Aderlaßbüchlein', -> 'Genter Aderlaßbüchlein', -* 'Haager Aderlaßbüchlein').

'Awroham owinu' ('Unser Vater Abraham') Altjidd. Legendenerzählung in ursprünglich 115 Strr. Ü b e r l i e f e r u n g . Cambridge, ÜB, cod. T. S. 10. K. 22, v. J. 1382/3, S. 12-33; ein Blatt (14a) fehlt. A u s g a b e n . -»'Cambridger Hs. v. 1382/3'; S. A. BIRNBAUM, Old Yiddish or Middle High German?, The Journal of Jewish Studies 12 (1961) 30f.; ders., The Field of Yiddish II, Den Haag 1965, S. 2f.; ders., Die jiddische Sprache, 1974, S. 64-68 (Teilabdrucke in lautgetreuer Umschrift); eine angemessene Ausgabe (Transkription, Vorlagenvergleich) fehlt.

Der Titel ist überliefert. Er ordnet die Erzählung in eine hebr. Midrasch- (Legenden-) Tradition ein, an die sich der Verf. eng anlehnte (FuKS u.a.). Nach 15 Strr. traditionellem Gotteslob ist in 99 Strr. erzählt, wie Abraham die hölzernen Götzenbilder seines Vaters, eines Holzschnitzers,

L i t e r a t u r . W. ROLL, Z. d. ersten drei Texten d. Cambridger Hs. v. 1382/3, ZfdA 104 (1975) 54-68.

WALTER ROLL Axspitz, Konrad 1. Ein vom Meistergesang vielbenutzter Spruchton —»Konrads von Würzburg (K. v. W.), ine. Aspis ein wurm geheizen ist, heißt in den -> 'Meisterliederhss.' des 15. und frühen 16.Jh.s agspiss, auspis, augspitz·, axspitz oder abgespitzter don, häufig mit dem Zusatz cunrades von wirczburg. L i t e r a t u r . Ausg. der echten Strr.: E. SCHRÖDER (Hg.), Kleinere Dichtungen K.s v. W. III, 21959, Nr. 25; Übersicht über die spätmal. Überl.: G. MAYER, Probleme d. Sangspruchüberl., Diss. München 1974, S. 18-20, 22f., 31-36.

Dem Ton widerfuhr die nicht gerade häufige Ehre, auch Gegenstand des Dichtens zu werden: In einem geistl. Meisterlied, über-

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Ayrer, Marx

liefert in der um 1430 geschriebenen Hs. Basel, ÜB, O IV 28, 40r-41v, gilt die ganze erste Strophe dem Preis dieses Tons (ine. Agspiss du maisterlicher dan}. A b d r u c k : K. BARTSCH, Beitr. z. Quellenkunde der altdt. Lit., 1886, S. 290; MAYER (s.o.), S. 100 (Erläuterungen S. 100-102); zum Typus vgl. BARTSCH, Meisterlieder, S. 254f. (Nr. XXXI, Str. 3).

2. Im späteren Meistergesang wurde der Tonname gelegentlich als Familienname des Tonautors aufgefaßt, so von Benedict von Watt in der Hs. Weimar, LB, Fol. 421.32, Bl. 9r (In der gülden rej weiß Cunrat Axspitz von Würzburg) und in Erlangen, ÜB, B 83, Bl.529r und 561r; ähnlich Nürnberg, StB, Will. III.792, Bl.34rv (um 1700). Die Nürnberger Meistersinger-Protokolle (hg. v. K. DRESCHER [StLV 213/214], 1897) kennen diese Verwechslung nicht (vgl. bes. 197). Zwei Nürnberger Meistersinger aber überliefern ein Lied, in dem der Tonname sogar zum Textautor geworden ist: Ü b e r l i e f e r u n g . Hs. des Wolf Bauttner (1564 bis 1634): Weimar, LB, Fol. 418, S. 466, Überschrift: im langen ton Conrats Axspitz burgers in Würzburg (in der gleichen Hs. noch zwei ähnliche Lieder, die Friedrich —> Stolle und dem —> Tannhäuser in den Mund gelegt sind); Hs. des Benedict von Watt (1569-1616): Weimar, LB, Fol. 421.34, Bl. 3V, nur 1. Str., Überschrift: Der lang than Conrad von Würtzburg. A u s g a b e . K. GOEDEKE, Germ. 28 (1883) 41f.

Der fiktive Autor (Cunrat Axspitz bin ich genante) berichtet, wie er nach dem Auftreten —> Regenbogens beim Herzog (!) von Würzburg mit seinem Geigenspiel keinen Erfolg mehr hatte, worauf er seine Geige zerschlug und bei Regenbogen den Meistergesang lernte. Entstanden ist das Lied kaum vor dem 16. Jh.; der Ton ist bisher sonst nicht nachweisbar. Voraussetzung des Liedes war außer dem Tonnamen die verbreitete Polemik der Sangspruchdichter und Meistersänger gegen die Instrumentalmusik und die

im späteren Meistergesang fest etablierte Tradition, daß K. v. W. Geiger gewesen sei. Diese Tradition ist erstmals nachweisbar in einem Meisterlied (Ende 15. Jh. ?) in der radweiß/jarwyse des -»Liebe von Giengen, überliefert in der Hans Sachs-Hs. Berlin, mgq 414, Bl. 367r-368r und in der Hs. Heidelberg, cpg 680, Bl. 42 (43)v-44 (45)r, gedruckt HMS IV 887f. u. von A. HOLTZMANN, Germ. 5 (1860) 217f. Auf dieser Meinung beruht ohne Zweifel auch die Namensform Conrad Geiger (aus Würzburg) u.a. bei J.C. Wagenseil, Buch von der Meister-Singer Holdseligen Kunst (1697), hg. v. H. BRUNNER (Litterae 38), 1975, S. 503. Unsicher ist dagegen der Ursprung der von Wagenseil angeführten Variante Conrad Jäger (belegt schon 1562: F.STREINZ, Die Singschule in Iglau [Veröff. d. Collegium Carolinum, Hist.-philol. Reihe 2], 1958, S. 99). L i t e r a t u r . H.BRUNNER, Die alten Meister (MTU 54), 1975, bes. S. 119 Anm.178; briefl. Mitteilungen von H. BRUNNER u. J. RETTELBACH.

B. WACHINGER Ayrer, Marx

Der in Nürnberg geborene M.A. wurde am 5. Juli 1477 an der Univ. Ingolstadt immatrikuliert und hat sich später in verschiedenen deutschen Städten als Buchdrucker betätigt. Er begann 1483 in Nürnberg zu drucken, 1490 ging er nach Regensburg, 1492 nach Bamberg, 1496 nach Ingolstadt, 1498 nach Erfurt und schließlich 1502 nach Frankfurt/Oder. Als Verf. ist er mit einem dt. Almanach für Bamberg auf das Jahr 1483 hervorgetreten (Bamberg: Johann Sensenschmidt, um 1483). Der Einblattdruck bringt u.a. die Mondphasen und Hinweise für den Aderlaß. L i t e r a t u r . Einblattdrucke, S. 100, Nr. 398; GW Nr. 3143; F. GELDNER, Die dt. Inkunabeldrucker. Ein Handbuch d. dt. Buchdrucker d. XV. Jh.s nach Druckorten, Bd. 1,1968, S. 53-55,176, 217f., 265.

WOLFRAM SCHMITT Ayslinger -> Eislinger, Ulrich

B aus nd. Vorlage erklären lassen; die obd. Zeugen gehören zudem, wie sich aus zwei Meister Babiloth allen gemeinsamen Textvertauschungen erVerfasser der 'Cronica Allexandri des gibt, sämtlich der gleichen Klasse an. B.s Chronik ist eine im Detail gelegentlich grossen konigs', der ersten dt. Alexanderkürzende, von sprachlichen MißverständChronik in Prosa (Inc.: In gottes namen wil nissen nicht freie Übersetzung der auf Erzich heben an und schreiben von Allexandro bischof Leos 'Nativitas et victoria Alexanwas ich gelesen ban]. Außer dem Namen, dri Magni regis' fußenden 'Historia de preden allein die subscriptio der Dresdner Hs. liis'. Bis über die Mitte (Stuttgart: 184r) M55 fol. v. J. 1470 überliefert, ist über ihn 2 nichts bekannt. (STAMMLERS Erwähnung folgt sie der Orosius-Rezension' (J , ed. eines meister Wichwolt als Verfasser der A. HILKA, 1920),3 dann der stärker moraliChronik [Sp. 1042] beruht offensichtlich auf sierenden Rez. J (ed. K. STEFFENS, 1975). Die darin enthaltenen Verse (zwei Grabeinem Versehen.) schriften und ein Mahngedicht über AlexÜ b e r l i e f e r u n g . 9 Hss., sämtlich 15.Jh.s. Eine anders Laster) sind lat. übernommen. Gröweitere des die Chronik abschließenden 'Mardocheusßere Abweichungen zeigt der Briefwechsel briefs' und einen nd. Druck (Lübeck, Lukas Brandis, mit Dindimus (Stuttgart: 185r-197r), und in um 1478) beschreibt SCHMIDTGALL, S. 11-39; die dort die Jugendgeschichte ist ein Vortrag des als verloren bezeichnete Gothaer Hs. befindet sich Aristoteles über die Pflichten des Fürsten wieder am alten Ort, die als verschollen übergangene Hs. Cheltenham jetzt in Lordon, Library of Univ. eingeschoben (Stuttgart: 123V-128V, ed. College, Ms. germ. 7. Dazu: Straßburg, Bibl. Nat. et HERZOG I 50-58), der aus der 'Epistola Univ., ms. 2119 (früher L. germ. 195.2°), 184V-210V, Aristotilis ad Alexandrum' schöpft; die nach 1411;Coburg,LB,Ms.Sche. 16,101r-166r, 15. Jh. Einkleidung erinnert an die 'Alexandreis' - Die 'Collatio Alexandri cum Dindimo' außerdem Walters von Chätillon (ed. W. MÜLDENER, r r Heidelberg, cpg 172, 108 -132 und St. Gallen, Stifts1863, v. 27-186). Die auf moralisierende bibl.,Ms. 628,S. 809-815, beide 15. Jh. (vgl. STAMMLER, Belehrung zielende Zusammenstellung der Sp.1043). Quellen wird man kaum dem unselbständig A u s g a b e . Synopt. Abdruck des ersten Drittels nach r r und wenig sprachgewandt übersetzenden der Stuttgarter (LB, cod. H.B. X 22, 112 -230 ; Abdruck bis 159V) und Dresdner Hs. (l r -77 v ; bis 32r) bei Meister B. zutrauen (anders BRUMMACK, HERZOG. Die von SCHMIDTGALL angekündigte Ausg. S. 25 f.); entsprechende lat. Mischtexte (Paist nicht erschienen. Ein kurzer Ausschnitt aus D auch ris, Bibl. Nat., cod. nouv. acqu. lat. 174, vgl. bei J. ERBEN, Ostmd. Chrestomathie, 1961, S.60f. Ross) wären zu vergleichen. Die älteste datierte Hs. (München, cgm Aus der Zahl und der Verbreitung der 267) stammt v. J. 1448, doch ist die Kölner Hss. läßt sich einiger Erfolg der Chronik im W* 3 aus paläographischen und überliefe- 15. Jh. erschließen, ehe sie dann von Johanrungsgeschichtlichen Gründen früher anzu- nes -»Hartliebs nur wenig jüngerem Alexsetzen, so daß sich als Entstehungszeit der anderbuch (1444) verdrängt wurde; beAnfang des 15. Jh.s ergibt. Trotz ganz über- reits der einzige (nd.) B.-Druck wurde aus wiegend obd. Überlieferung (2md., l mfrk. ihm erweitert. Hs.) nimmt SCHMIDTGALL md./nd. Original L i t e r a t u r . A. AUSFELD, Die Orosius-Recension d. an, da sich einige dem Archetypus zuzuwei- Historia Alexandri Magni de preliis u. B.s Alexandersende Textverderbnisse am plausibelsten chron., Fs. d. Bad. Gymnasien, 1886, S.97-120; Babenhausen, Philipp -»Bebenhausen, Ph.

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'Von der Babylonischen Gefangenschaft' -'Baculus iudicii'

S. HERZOG, Die Alexanderchron. d. Meister B., Progr. Stuttgart 1897 u. 1903; F.F. SIGGELKOW, Stud. z. mnd. Volksbüchern, Ndjb 55 (1929) 40-65; F. PFISTER, Stud. z. spätmal, dt. Alexandergesch.n, ZfdA 79 (1942) 114-121; G. GARY, The Medieval Alexander, Cambridge 1956, S. 51, 245 f.; STAMMLER, Prosa, Sp. 1042f.; G. SCHMIDTGALL, Vorstud. zu einer Gesamtausg. d. Alexandergesch. d. Meister B., Diss. FU Berlin 1961; J. BRUMMACK, Die Darstellung d. Orients in d. dt. Alexandergesch.n d. MAs (Phil. Stud. u. Qu. 29), 1966, S.25f., 59f., 82, 87; D. J. A. Ross, Illustrated Medieval Alexander-Books, Cambridge 1971, S. 8; H. BUNTZ, Die dt. Alexanderdichtung d. MAs (Sammlung Metzlcr 123), 1973, S. 34.

HANS HUGO STEINHOFF 'Von der Babylonischen Gefangenschaft' Ü b e r l i e f e r u n g . St.Paul/Kärnten, Stiftsbibl., eingebunden in Hs. 371.4, f.258. Frgm., l Bl., 12. Jh., 129 Kurzverse. Die gleiche Hs. enthält auf einem urspr. DoppelblattFrgm.e von Priester-»· Adelbrechts 'Johannes Baptista' und von -»'St. Veit': versprengte Reste einer aus Bayern stammenden frühmhd. Sammelhs. Zur Hs. KRAUS, Dt. Ged., S. 112f. und ZfdA 50 (1908) 328-331; MENHARDT, S. 77-94. A u s g a b e n . F. J. , AnzfKdVz 8 (1839) 55-58; C. v. KRAUS, ZfdA 50 (1908) 331-333; LEITZMANN, Ged., S. 10-12; MAURER, Rel. Dicht. I 422^t25 (zit., Verszählung nach . Die Angaben über MONES Zählung in der Randleiste bei MAURER beziehen sich bis v. 46 auf die b-Verse, ab v. 50 auf die a-Verse der MAURERschen Ausg.).

Der Anfang des Gedichts ist nicht überliefert. Wegen der fehlenden Schlußformel ist es mutmaßlich auch am Ende unvollständig, zudem sind in der letzten Spalte der Hs. zehn Zeilen unbeschrieben. Der Typus der babylonischen Gefangenschaft ist moralisch als Zeichen der gefallenen Menschheit ausgedeutet, die 70 Jahre der Gefangenschaft werden auf die 70 Tage der Fastenzeit bezogen (v. 43-75, 94-107). Die depositio des Alleluja-Rufes am Beginn der Fastenzeit findet ausdrückliche Erwähnung (v. 45-52). Das Gedicht dürfte daher mit dem Sonntag Septuagesima in Verbindung zu bringen sein, zumal einzelne Stellen an die Liturgie dieses Tages anklingen (Ps 17, 2-7, PS 30,17 f.). Anstelle des Alleluja-Lobes soll der Mensch Gottes Gnade erbitten und Demut zeigen (v. 49-52). Dieser Gedanke stimmt mit dem Inhalt des Traktus des Septuagesima-Offiziums (Ps 129,1-4) über-

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ein, der an die Stelle des Alleluja nach dem Graduale tritt. Predigthaftes (Anreden, l.Pers. PL) und Ermahnungen bestimmen den Stil. Der Versbau ist unregelmäßig, die Reime zeigen Tendenz zu Stammsilbenbindung (nur acht gestützte Endsilbenreime). Über den Aufbau ist Sicheres nicht auszumachen: MAURER gliedert nach der Gedankenführung, an drei Stellen gegen die Hs., in 'binnengereimte Langzeilenstrophen' und vermutet Anlehnung an die Form der 'unliturgischen Sequenz' (vgl. H. THOMAS, Der altdt. Strophenbau u. d. unliturg. Sequenz, Fg. H. Pyritz, 1955, S. 14-20). Mundart: Moselfrk. mit Spuren obd. Bearbeitung (WESLE), jedoch nicht vom Verf. der -> 'Mittelfränkischen Reimbibel' (MITTER). Zeit: etwa Mitte des 12. Jh.s. L i t e r a t u r . K. WESLE, Zur 'B.C.', AfdA 43 (1924) 164; R. STROPPEL, Liturgie u. geistl. Dicht, zw. 1050 u. 1300, 1927, S.69f.; O. MITTER, Unters, über d. frühmhd. Bruchstück v. d. 'B.C.' u. sein Verhältnis z. mfrk. Reimbibel, PBB 60 (1936) 258-305; H. MENHARDT, Zur Herkunft d. Maria-Saaler Bruchstücke d. 'B.G.', PBB (Tüb.) 82 (1960) 91-94; MAURER (s.o. Ausg.), S. 418-421 (mit weiterer Lit.).

EDGAR PAPP 'Baculus iudicii' ('Regimen seu b. i. secularis in Franckenford') Ü b e r l i e f e r u n g . Frankfurt/M., Stadtarch., A 79 Gesetze 12, lr-12T. Ausgabe. J.G. THOMAS, Der Oberhof zu Frankfurt am Main, Frankfurt/M. 1841, S. 222-254.

In zwei Phasen ca. 1400 und 1420/30 niedergeschrieben. Der ältere Teil liegt reinschriftlich vor (f. 1-5; 9), der jüngere als Entwurf (f. 6-8; 10-11). Die Artikelzählung von J. Fichard (16. Jh.), die beide Teile vermischt, wurde von THOMAS übernommen. Aufzeichnung der Verfassung und Verfahrensweise des Frankfurter Schöffengerichts, zuständig für Privatrechtsstreitigkeiten und Klagen um Frevel. Der 'B.' dürfte sowohl als Nachschlagewerk für die am Prozeß beteiligten Amtsträger als auch zur Beratung Rechtssuchender gedient haben. Der oder die Verfasser gehörten vermutlich dem Stadtregiment an, u.U. als Stadtschreiber. Übernahmen aus dem 'B.' finden sich in den Frankfurter Gerichtsordnungen des 16.

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'Bairisches Aderlaßbüchlein'-Baldemann, Otto

und 17. Jh.s, den 'Reformationen' von 1509, 1578 und 1611. Literatur. H. GOING, Die Rezeption d. röm. Rechts in Frankfurt am Main, 1939.

ELSBET ORTH 'Baltisches Aderlaßbüchlein' Angelegt vor 1480 im bair.-ostfrk. Raum. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg558,27v-30r (Regensburg, um 1485) A u s g a b e . H . HABERNICKEL, Der Aderlaßabschnitt d. Cod. Pal. Germ. 558. Quellenkrit. Unters, zu einem bair. 'Aderlaßbüchlein' d. SpätMAs, germ. Lizentiatsabh. (masch.) Nijmwegen 1976.

Das 'B.A.' zeigt dieselbe kleinfeldrige Fügung praxisbezogener Versatzstücke, wie sie für ärztliche Taschenbücher gemeinhin gilt. (-> 'AsangerA.',-> 'Genter A.',-> 'Haager A.'). Allerdings kontrastieren mit den winzigen Textsplittern einige Ortolf-Kapitel, die als monolithischer Block in das Gewirr kleiner Textscherben eingelassen sind. Der Verfasser hat das . .' aus -»Ortolf von Baierland heraus entwickelt: er geht vom aderlaßbezogenen Kapitel 73 aus, läßt die drei Purgier-Kapitel (22-24) folgen und bringt erst im Anschluß an das 'Arzneibuch'-Exzerpt Textsplitter unterschiedlicher Herkunft: Nennenswert sind einige 'Verworfene Tage' ('dies Aegyptiaci' und Beiwerk); die Blutschau-Regeln gehören zur Gruppe B, die Galgant-Tugenden kommen von Henrik —> Harpestraeng ('Latinske Urtebog', c. 1), und Beachtung verdienen das Schröpfstellen-Schema sowie die Avicenna-Entsprechungen; gängiges Versgut stammt aus dem Umkreis des 'Salernitanischen Gesundheitsgedichts' (-»'Regimen sanitatis Salernitanum'). Der Verfasser des . .' hat wahrscheinlich nicht übersetzt, sondern aus landessprachig umlaufenden Fassungen exzerpiert, deren Versatzstücke er in kleinflächiger Fügung zu einem neuen Ganzen zusammenschweißt. Sein Kompilat zielt auf die Bedürfnisse ärztlicher Praxis, war als Nachschlagewerk für die Schnellinformation gedacht und sollte als Taschen- oder Gürtelbuch den Arzt ans Krankenbett begleiten. G. KEIL

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'Bairisches Färbebüchlein' Älteste Sammlung einheimischer Färbevorschriften, angelegt vor 1330 wahrscheinlich in Tirol. Ü b e r l i e f e r u n g . Innsbruck,ÜB, cod. 355 (aus dem Stift Stams im Oberinntal), 83V, 100v-101r (südbair., um 1330); München, cgm 317, 119™-"» (ostmittelbair., Anf. 15.Jh.); cgm 720, 224v-230r (südbair., 15.Jh.) (Streuüberl.); cgm 824, 66r-72r (mittelbair., 15.Jh.) (Streuüberl.); Einzelrezepte in: Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 3227a (bair., md.; um 1390), und ebd., cod. 9715, 312r-321v (bair., um 1400), sowie im -> 'Nürnberger Kunstbuch' (c. 93, 96f., 99). Ausgabe. E. PLOSS, Ein Buch v. alten Farben, 1962, S. 50, 98-100,102,126-129,133,156a, 164; ders., Die Färberei in d. germ. Hauswirtschaft, ZfdPh 75 (1956) 1-22, hier S. 21 f. (Auszüge).

Verwendet werden meist wasserunlösliche Mineralfarben, die der Verfasser oder Kompilator geschickt mit wasserlöslichen Pflanzenfarbstoffen kombiniert. Zweifellos hat er 'etwas vom Fach verstanden' (Pi,oss, 1962, S.99b). Einen Teil seiner Pigmente (indich, presilig) bezog er aus dem Levantehandel, doch greift er auch auf den Tiroler Bergbau zurück (perchweis [= bercweiz, 'Zinkspate']) und benutzt wiederholt einheimische Pflanzen (aychephel, attichpleter, vom paizzelpaum die obere rinde, massalterein laup). Auffällig in seiner Sprache sind archaische Formen (diu nom. f., aphel, zindlot [= zindeloht, 'ausgefranst', 'gezähnelt'], hevelein als Diminutiv mit - ItnStaffelsuffix), die - falls sie nicht aus dem Alem. stammen - auf eine ältere Sprachschicht weisen und wahrscheinlich machen, daß die Entstehung der Färberezepte ins 13. Jh. zurückreicht. L i t e r a t u r . E. PLOSS, Stud, zu d. dt. Maler- u. Färberbüchern d. MAs, Diss. (masch.) München 1952, S. 33, 163 (Anm. 135, 138), 188-191.

G. KEIL Baldemann, Otto 1. B. verfaßte eine dt. Umdichtung des in leoninischen Hexametern gedichteten 'Ritmaticum querulosum et lamentosum dictamen de modernis cursibus et defectibus regni ac imperii Romanorum' des —»· Lupold von Bebenburg (Domherr in Würzburg, 1353-1363 Fürstbischof von Bamberg) mit dem Titel: 'Von dem Romschen Riche eyn

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Balderer, Simon

clage' (v. 2). Über ihn kennen wir nur sein eigenes Zeugnis: Von karlstat Otte Balteman (7), der dise derbermeliche clage am 29.9.1341 beendete (501-506), und die Bestätigung durch Lupold -»·Homburg, der mit seiner 'rede ... von des Ryches clage' (vor Juli 1348) B.s Gedicht bearbeitet hat und am Schluß Otte Waldeman nennt, worüber in der Hs., dem Hausbuch des -»Michael de Leone, nachträglich clericus plebanus in Ostheym prope Osschafenburg (von Michael de Leone?) eingefügt wurde; die Verfolgung der hier aufgezeigten Spuren (Karlstadt, Ostheim/Astheim, Aschaffenburg) blieb ohne Ergebnis (s. VALLI, S. 11 f.). Seine Sprache trägt ost- und rhfrk. Gepräge (s. VALLI, S. 31-46). Auf Grund dieser Zeugnisse wie der Qualität seines Gedichtes kann man schließen, daß B. über eine klerikale Bildung verfügte, aber auch mit dt. (allegorischer) Dichtung seiner Zeit gut vertraut war. Da das 'Ritmaticum' kaum vor 1340 entstanden ist (KEYSER, S. 119), könnte B.s Verdeutschung sogar von Lupold von Bebenburg veranlaßt sein. Dessen Beziehungen zu Michael de Leone wie die Überlieferung verweisen B. in den Kreis der 'litterati' um Michael de Leone (KEYSER, S. 118-135). 2. Ü b e r l i e f e r u n g. Würzburg, ÜB, cod. M.p.mi.f.6, fol., 14. Jh., der 'Liber manualis Michaelis de Leone'; 37V-39V das 'Ritmaticum', 40M2V B.s 'Klage'; Faksimile von 40r bei BELL/GUDDE vor S.275. Zur Hs. s. A. RULAND, Die Würzburger Hs. d. k. ÜB zu München, 1851, S. 59-66; H. GRAUERT, Magister Heinrich d. Poet in Würzburg u. d. römische Kurie (Abhh. d. bayer. Akad. d. Wiss., phil.-philol. u. hist. Kl. 27), 1925, S.444-446; vgl. VALLI, S. 9f. (s. Ausg.). 3. A u s g a b e n . J.M. PETER, Allegorisches Ged. auf d. Verfall d. hl. römischen Reiches, Progr. d. Gymnasiums zu Münnerstadt, Würzburg (1842) ('Ritmaticum' ohne Glossen, B.s Ged.); A. SENGER, Lupold v. Bebenberg, 1905, S. 149-177 ('Ritmaticum' und Glossen, B.s Ged.); C.H. BELL/E.G. GUDDE, The Poems of Lupold Homburg (University of California Publications in Modern Philology, Vol.27, Nr.4), BerkeleyLos Angeles 1945 ('Ritmaticum' ohne Glossen S. 266 bis 270, B.s Ged. S. 275-293, Homburgs Ged. S. 199 bis 218); E. VALLI, O.B. VOn dem ramschen riebeeyn clage (Annales Academiae scientiarum Fennicae, Ser. B, Tom. 111,1),Helsinki 1957,S.77-93 (B.sGed.S.77-93; maßgebende Ausg.); s. dazu K. RUH, PBB (Tüb.) 83 (1962) 398^00.

4. I n h a l t . Der Dichter fällt beim Studium der Kaiser und Könige des römischen

Reiches in Schlaf und gelangt im Traum zum Thron einer schönen Frau, die er für die Gottesmutter hält, sich ihm aber als daz romisch riebe zu erkennen gibt (156). Sie rühmt ihm die Zeiten ihres Wohlergehens bei den früheren Kaisern - von Caesar über Karl den Gr. bis zu Heinrich II. (162-326) als Vorbild und beklagt den anschließenden Niedergang des Reiches, die Untätigkeit der Fürsten und der Tutschen allgemein, die ihr fatirlant verkommen lassen, mit der Warnung, daß sie sich wie einst von den Griechen auch von Thutscherlande abwenden könne. 5. Der Umfang von B.s Klage ist in einem Vorspruch (8 vv.), der wie der Nachspruch (6 vv.) auch in der Hs. abgesetzt ist, genau angegeben: 246 rime (4 f.); das eigentliche Gedicht hat tatsächlich 492 vv. (diese richtige Verszählung zeigt nur die Ausgabe von BELL/GUDDE), ist nahezu dreimal so lang wie das 'Ritmaticum' (180vv.). B. hat die allegorischen Stilzüge des 'Ritmaticum' entsprechend der dt. Tradition der Minneallegorien ausgeweitet. Seine typischen Merkmale der geblümten Rede berühren sich noch enger als die des 'Ritmaticum' mit der -»· 'Minneburg', die dem gleichen Kulturraum (auch zeitlich!) angehört. Die gleiche stilistische Grundlage des lat. und dt. Gedichts bildet einen interessanten Fall zur Bewertung der allegorischen Literatur zumal vor dem Hintergrund hochgestellter Gönner u n d 'litterati', die ihre literarische Tätigkeit nicht ohne politische Absichten (Lupold von Bebenburg, Lupold Hornburg) betrieben. L i t e r a t u r . Vgl. die oben zit. Lit., vor allem VALLI; ferner: K. ZWIERZINA, Lupold Homburgs Ged., Wien 1914, S. 118-120; P. KEYSER, Michael de Leone (t 1355) u. seine lit. Sammlung (Veröffentlichungen d. Ges. f. frk. Gesch., Reihe 9, Darstellungen Bd. 21), 1966.

DIETRICH HUSCHENBETT Baldemar von Peterweil Dirigierrolle'

'Frankfurter

Balderer, Simon Unter seinem Namen erscheint in ->'Bollstatters Spruchsammlung', Hs. London, Brit. Mus., Add. 16581, 190r, ein

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Balderich von Trier-Balduinus

achtzeiliger Stadtratsspruch (abgedr. von R. PRIEBSCH,! VLI 158), in welchem die führende Rolle, die die Weisheit der Alten im städtischen Rat spielen sollte, mit der Anmaßung und Unerfahrenheit der jungen Räte prägnant und wirkungsvoll konfrontiert wird. L i t e r a t u r . K.GÄRTNER, Das Stadtratsged. Heinrichs v. Rang, Jb. d. Aalener Gesch.- u. Altertumsver.s 1976 (mit Textabdruck).

KURT GÄRTNER Balderich von Trier 1. Biographische Quellen sind c.22 und 26 seiner 'Gesta Alberonis', Briefe Wibalds von Stablo (PH. JAFFE, Bibl. rer. Germ. 1,1864, S. 164f. u. 529), Urkunden (s. MGH SS VIII 235; H. BEYER, Urkb. z. Gesch. d. ... mittelrhein. Territorien I, 1860, Nr.568, 584, 588).

Der aus Florennes (Diöz. Lüttich) stammende B. war als Rechtsgelehrter an der Kurie tätig, bevor ihn 1147 Erzbischof Albero von Trier, der ihn in Paris bei einem Treffen mit Papst Eugen III. kennenlernte, beeindruckt von seinen rhetorischen und juristischen Fähigkeiten, als Domscholaster nach Trier berief. Auch Wibald von Stablo bewunderte in einem Brief von 1148 seine Geistesgaben und gelehrte Bildung. B. gehörte bis zu Alberos Tod (1152) zu dessen engeren Vertrauten. 1155 erscheint er urkundlich als Propst von St. Simeon. Als solcher ist er zuletzt 1157 bezeugt.

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B.s biographisches Interesse gilt nicht einem Mann von besonderen geistlichen Tugenden, sondern einem der stärksten Verfechter gregorianischer Kirchenpolitik und dessen, wie er c. l betont, fast einzigartiger Größe. Alberos Kampf für die libertas ecclesiae ist das Thema der Vita von Anbeginn. Gegen den Brauch der Gattung, aber dramaturgisch wirkungsvoll setzt sie, statt auf Herkunft und Jugend des Helden einzugehen, mit einer bis ins Jahr 1111 führenden Rückschau auf den Investiturstreit ein, um zu diesem Zeitpunkt der neuen Ohnmacht des Reformpapsttums dann die Person Alberos einzuführen, den damaligen Archidiakon in Metz, welcher im dortigen Bischofsstreit als einziger unter allen zur päpstlichen Sache gestanden habe. Der folgende Aufstieg Alberos zum Kirchenfürsten im Rahmen seiner mit Geschick und Verwegenheit geführten Politik (c. 4-10), die wenn nötig gewaltsame Durchsetzung und Vermehrung der Trierer Herrschaftsrechte (c. 12-21), Waffenglanz (c. 25) und materielle Repräsentation der Macht (c. 23 u. 26) sind Gegenstand beifälliger und bewundernder Schilderung, ohne daß B. Bedenken von selten des ideellen Anspruchs der Kirchenreform beschäftigten. Gegen Schluß, vor der Darstellung von Alberos Lebensende, entwirft B. ein Porträt des eigentümlichen Mannes, das in der Beobachtung individueller Züge beeindruckt (c.26).

Ü b e r l i e f e r u n g . Trier, StB, cod. 1387, Ende 12. Jh.; Abschrift davon cod. 1388, 16. Jh. Ausgaben. G. WAITZ, MGH SS VIII 243-260; danach PL 154, Sp. 1307-1338. Mit dt. Übers.: KALLFELZ, S. 550-617.

L i t e r a t u r . MANITIUS, LG III 695f.; H.KALLFELZ, Lebensbeschreibungen einiger Bischöfe d. 10.-12.Jh.s (Freiherr v. Stein-Gedächtnisausg., Bd.22), 1973, S. l bis 32, bes. 27-31, u. 545-549 (mit Bibliogr.); WATTENBACH/SCHMALE, Geschichtsquellen I 348 f. (mit Bibliogr.). F.J. WORSTBROCK

Die Abfassung der 'Gesta' folgte Alberos Tod, nach B.s persönlicher Verehrung und seinem Gebet für den Verstorbenen (c.29) zu schließen, vermutlich ohne weiten Abstand. B. stützte sich für die Zeit bis 1145 anscheinend vor allem auf die anonymen 'Gesta Alberonis metrica' (vgl. MANITIUS, LG III 694), daneben auf authentische Dokumente, von denen er zwei im Wortlaut zitiert (c. 2 und 10); über die Jahre 1147 bis Anfang 1152 konnte er aus eigener Anschauung berichten.

Balduinus I.B. ist der sonst nicht bezeugte Verfasser eines 'Liber dictaminum'. Die Mustersalutationes seines Traktats nennen Papst Eugen III. (1145-53), König Konrad III. (1138-52), die Bischöfe Eberhard von Salzburg (1147-64) und Roman von Gurk (l 132-61). Danach wäre die Entstehung des Werks in die Jahre 1147-52 zu setzen, sein geistlicher Verfasser in einem Kloster der Erzdiözese Salzburg anzusiedeln.

2. 'Gesta A l b e r o n i s '

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Balduin von Ninove

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2. Ü b e r l i e f e r u n g . Graz, ÜB, cod. 1515, l'-20r, 12. Jh.; Budapest, Bibl. Nat. Szechenyi, cod. Clmae 10, l r -ll r , 12. Jh. In beiden Hss. folgt dem 'Liber' B.s der 'Liber dictaminum' Bernhards von Bologna. Vgl. DURZSA, Ausg., S.7f. A u s g a b e . S. DURZSA, Baldwin! Liber dictaminum (Magistri artium, Collana di studi e testi 3), Bologna 1970.

Ausg.n. Sämtliche Appendices der Chronik in der Ausg. v. J. DE SMET, Corpus Chronicarum Flandriae II, Brüssel 1841, S. 587-746.

seit 1884 in Averbode (s. ROCKWELL, S. 15f.). Den bisherigen Hgg. war nur die Überl. im cod. 7652 (17. Jh.) der Bibl. Royale Brüssel bekannt. Eine weitere Hs. (ex auctographo ipsiusaucthoris): Brüssel,Bibl. Royale, cod. II 3596 (v.J. 1726). A u s g a b e . O. HOI.DER-EGGER, MGH SS XXV 521-546 (zit.); ebd., S.519f. Bibliographie d. älteren

L i t e r a t u r . G. LIENHARDT,Spiritus Literarius Norbertinus, Augsburg 1771, S.91 f.; A. POTTHAST, Bibliotheca Historica Medii Aevi,21896,1132, II1086; W. W. ROCKWELL, Liber Miraculorum Ninivensium S. Cornelii Papae, 1925, S. 15f., S.53-115; P. GORISSEN, Sigeberti Gemblacensis chronographiae auctarium Affligemense, Brüssel 1952, S.32-34; Rep. font. II 440;

2. Die Chronik, nicht zu verwechseln mit einer anderen, auch 'Chronica Hannoniae' genannten 'Chronica Balduini' (vgl. POTTHAST I 259), ist eine bis z. J. 1294 reichende, 3. B. bietet das älteste bekannte Beispiel B. zugeschriebene Kompilation; zur Grundeiner selbständigen Aneignung der ober- lage hat sie den Ende des 12. Jh.s gleichfalls italienischen Ars dictaminis in Deutschland. in Ninove verfaßten 'Liber Miraculorum Er orientiert sich an der durch die 'Rationes S. CornehT (hg. v. ROCKWELL, S. 53-115) dictandi' und das Werk Bernhards von mit der in ihm enthaltenen 'Fundatio NiniBologna repräsentierten jüngeren Bologne- vensis abbatiae' und der 'Historia persecuser Schule, gliedert nach deren Vorgang die tionis Ecclesiae Ninivensis'. Nur der letzte Epistola in Salutatio, Exordium, Narratio, Teil dürfte von B.s Hand sein. Da die LePetitio, Conclusio, gliedert entsprechend bensdaten B.s freilich nicht feststehen und auch den Traktat. Der Erörterung der fünf manches dafür spricht, daß er die Chronik Teile folgen nach gleichem Bologneser Vor- nur bis 1254 geführt hat, gehört ihm mögbild Anweisungen über Variationen des licherweise schon der Text vom Ende des Briefaufbaus, über Satzgliederung, Wort- 12. Jh.s an. Die mit dem Jahre 1294 plötzstellung, stilistische Vitia. B.s Abhängigkeit lich abbrechende Chronik erhielt im 13./ von den Italienern hat ihre Grenze in der 14. Jh. mehrere Nachträge, die sämtlich lobesonderen Bestimmung seines Buchs. Es kale Ereignisse betreffen. 3. B. ging es anscheinend weniger um eine richtet sich nicht an die dictatores seculares, sondern ausschließlich an die claustrales. Weltchronik großen Zuschnitts als um eine Das entscheidende Gebiet der Exordia kon- Chronik zum klösterlichen Hausgebrauch: zentriert er daher ganz auf geistliche Maxi- In die Aneinanderreihung der Päpste und men und Argumente. Der geistliche Stand- Kaiser verwob er die Geschichte Flanderns punkt bekundet sich ebenso im Verzicht und vor allem die seines Ordens und seines auf eine rhetorische Ornatus-Lehre, wie sie Klosters. So bietet er ungewöhnlich viele Einzelheiten aus der 'Vita Norberti' (AASS die Bologneser Schule bot. Juni I 819-858), läßt bei der Darstellung der L i t e r a t u r . J. LOSERTH, Formelbücher d. Grazer Gründung und Geschichte Ninoves den ÜB, NA 22 (1897) 299f,; C. H. HASKINS, Studies in Äbten, den Schenkungen, Bauten und WeiMediaeval Culture, Oxford 1929, S. 189; F. QUADLBAUER, Die antike Theorie d. genera dicendi im lat. MA, hen beachtlichen Raum. Er berücksichtigt WSB241/2, 1962,5.273. aber auch die Gründungsgeschichte anderer Prämonstratenser-Abteien. Neben dem F.J.WORSTBROCK Anonymus Laudunensis (s. MGH SS XXVI 443-457) ist B.s Chronik die einzige Quelle Balduin von Ninove des Ordens, die für diesen den Papst GrePrämonstratenser der flämischen Abtei gor VIII. beansprucht. B. schildert auch eine Ninove im 13. Jh. Urkundlich kaum belegt, sonst nicht belegte Kreuzfahrt unter Fühist er nur als Verfasser einer Weltchronik, rung einiger Prämonstratenser aus dem Jahre 1227. Zu B.s zahlreichen Quellen vgl. der 'Chronicon', bekannt. HOLDER-EGGER, Ausg., S. 517-519. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Die Originalhs. befindet sich

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Balthasar von Bühl-Balther von Säckingen

N. BACKMUND, Die mal. Gesch.schreibet d. Prämonstratenserordens, Averbode 1972, S. 224-232.

NORBERT BACKMUND 'Balthasar' -> 'Nabuchodonosor' Balthasar von Bühl (Bühel, Büchel) B. hat nach Ausweis der 1566 beendeten 'Zimmernschen Chronik' Lobsprüche auf -»· Johannes Werner d. Ä. von Zimmern verfaßt. Eine Wappenrede von 64 Versen, durch Akrostichon dem Freiherrn gewidmet, ist (wahrscheinlich aus Zimmernschen Archivalien stammend) unter den Nachträgen zur Chronik erhalten (BARACK I 461 f.). Von den an gleicher Stelle erwähnten Reimbriefen an Johannes Werner ist nichts überliefert, doch teilt der Chronist einen zeitgenössischen Reimbrief mit, in dem u.a. auch B.s Name auftaucht (ebd., S. 583-586). B. gehörte dem niederen Adel an. Er stammt aus Bühl (bei Tübingen), wo er mehrfach urkundlich belegt ist, und scheint zumindest zeitweise im Dienst der Freiherren von Zimmern gestanden zu haben. 1483 begleitet er, schon als älterer Mann, Johannes Werner auf der Pilgerreise nach Palästina, die Felix -»Fabri beschrieben hat. 1502 ist er gestorben. L i t e r a t u r . K.A. BARACK (Hg.), Zimmerische Chron., 4 Bde., 21881/2, s. Reg. 'Bühel' (Neuausg.: H. DECKER-HAUFF, Die Chron. d. Grafen v. Zimmern, 6 Bde., 1964ff., bisher 3 Bde.); D. HASSLER (Hg.), Fratris Felicis Fabri Evagatorium, 3 Bde. (StLV 2-4), 1843-1849, Bd.I 85; RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 161 u. 165; Der Landkreis Tübingen, Amtl. Kreisbeschreibung, hg. v. d. Staatl. Archivverwaltung Baden-Württemberg, II, 1972, S. 87 f.

FRIEDER SCHANZE Balthasar von Heilbronn Ü b e r l i e f e r u n g . Text: A = Hs. des Valentin Holl (Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Merkeische Familienstiftung, ca. 1525), 111'; B = Bergreihen, gedruckt 1531 u.ö.; Melodie: Tonangabe in St.Gallen, cod. 530, 100r (dt. Orgeltabulatur). A u s g a ben. A und B :UHLAND, Volkslieder, Nr. 157. Nur B: K. GOEDEKE/]. TITTMANN, Ldb. aus d. 16. Jh., 1867, Nr. 109; R. v. LILIENCRON, Dt. Leben im Volkslied um 1530 (DNL 13), o.J. (1884), Nr. 129; Bergreihen, hg. v. G. HEILFURTH u.a. (Md. Forschungen 16), 1959, Nr. I 57 (zit).

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In der Verfasserstrophe des zu seiner Zeit wahrscheinlich sehr beliebten Liedes Fuchs wild bin ich nennt sich in Fassung B der reyter Balthas von Haylprunn, der um 1500 gelebt haben dürfte. Die Fassung A hat an entsprechender Stelle nur ain guter praßler. Das 5str. Lied schildert die schlechte Lage eines Soldknechtes, die durch eigene Armut und den Haß der Bauern bedingt ist. Das Schlüsselwort fuchswild, das im Refrain wiederkehrt, deutet LILIENCRON, S. 376, als 'geächtet wie der Fuchs im Wald', GRIMMS Dt. Wörterbuch 4.1, Sp.357f. als 'fuchsteufelswild'. JÜRGEN DITTMAR Balther von Säckingen 1. Nachrichten über die Person B.s bietet vorerst nur der Prologus zur 'Vita s. Fridolini', dem einzigen unter seinem Namen überlieferten Werk. Sollte sich die von KOCH, S. 44-49, diskutierte Annahme seiner Identität mit Bischof Balderich von Speyer (970-986) sichern lassen, wäre er freilich eine gut bekannte Gestalt.

B., der sich selbst als Hörigen des Klosters Säckingen bekennt (Prologus, KOCH, S. 2914 ~l 5 ), war von niedriger Herkunft und mittellos. Als Säckinger Mönch ging er zur Verbesserung seiner Bildung nach St. Gallen, sah sich jedoch aufgrund seiner Armut gezwungen, die Studien dort abzubrechen und als Fahrender (socius gyrovagorum, KOCH, S.2811) seinen Unterhalt zu suchen. Nach vierjähriger Wanderschaft, die ihn durch ganz Gallien führte, kehrte er nach Säckingen zurück. Hier schrieb er die 'Vita s. Fridolini' nach einer Hs., die er auf dem Rückweg in die Heimat im Kloster Helera (Eller a. d. Mosel) kennengelernt haben will, aus dem Gedächtnis nieder und übermittelte sie seinem früheren St. Galler Lehrer Notker mit dem an ihn gerichteten Prologus. Der als doctrina sophie famosissimus gerühmte Adressat kann, da das Jahr 925, Zeitpunkt der Ungarneinfälle in Säckingen, für B. schon weiter zurückliegt (KocH, S. 2918), nicht -* Notker Balbulus (f 912), sondern nur -> Notker II. (Medicus, f 975) oder -»Notker der Deutsche (f 1022) sein. Um welchen von beiden es sich handelt, entzieht sich, sofern man nicht von der Identität B.s mit Balderich von Speyer ausgehen will, der sicheren Entscheidung.

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Baltzer

2. Ü b e r l i e f e r u n g . Karlsruhe, Landesarch., cod. 361, Ende 12. Jh., 33r-45v; Basel, ÜB, cod. E. II. 4, 15. Jh., 138r-151r. Eine verlorene St. Galler Hs. liegt der Ausg. von COLGANUS zugrunde, eine weitere verlorene der Editio princeps. Ältester Textzeuge ist ein Zürcher Frgm. (Staatsarch., AG. 19, Frgm. 17) aus dem frühen 12.Jh., das den Prologus enthält; vgl. KOCH, S.129f. Zu weiteren Frgm.n KOCH, S. 36 f. A u s g a b e n . Editio princeps: [Basel, um 1483/85] GW 3225. J. COLGANUS, AASS Hiberniae I, Löwen 1645, S.481-488; , S.4-17; B.KRUSCH, MGH SS rer. Merov. III 350-369 (zit.). Krit. Ausg. d. Prologus bei KOCH, S.28-31 (zit.).

3. B.s Bericht von der Auffindung seiner Quelle wurde für die historische Kritik zum Anstoß, die 'Vita s. Fridolini' als bloße Fälschung im Interesse durchsichtiger wirtschaftlicher und rechtlicher Ansprüche des Klosters Säckingen zu betrachten. Die Tendenz B.s, aus den Umständen der Gründung Säckingens durch Fridolin königlich verliehene Eigentumsrechte nachzuweisen, läßt sich in der Tat nicht verkennen (vgl. c. 19,21 u. 23). Seine Vita ist indes nicht allein am Maßstab der Urkundlichkeit ihrer Mitteilungen zu messen. Mit der großen Zahl ihrer legendarischen Motive bindet sie sich an die Gattungstradition, stellt sich in der Beschreibung der virtutes und der miracula des Heiligen als ein der Erbauung und dem Kult verpflichtetes Werk dar. 4. V.J. 1432 datiert eine von Johann Gerster, Bürger in Säckingen, geschriebene Hs. (St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 598), die S.502a bis 541a eine freilich ältere, durchweg getreue alem. Übersetzung (Prosa, Eingang in Reimpaaren) von B.s Fridolin-Vita enthält. Eine Bearbeitung dieser Übersetzung erschien um 1480 in einem mit 60 Holzschnitten ausgestatteten Basler Druck (GW3226). Ausgabe.

, S.99-111 (nach d. Basler Druck).

Eine weitere, anscheinend selbständige dt. Übersetzung überliefert der cod. 240, 75ra-79rb, der Stiftsbibl. Einsiedeln. Eine kurze dt. Fridolin-Vita erscheint auch in einigen Straßburger Drucken von -»'Der Heiligen Leben' (WILLIAMS-KRAPP, S. 300). Im Überlieferungskontext der 'Elsässischen Legenda aurea' (—»Jacobus de Voragine) (München, cgm 343, 166rb-167ra) findet sich schließlich eine dt. Übersetzung eines Auszugs der Vita, der auch in der lat. Über-

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lieferung, u.a. in Hss. der 'Legenda aurea', gesondert erscheint, der Erzählung von der Vergabung eines Teils des Tals Glarus durch Urso an Fridolin und des Mirakels von Fridolins Beschwörung des toten Urso. Eine Untersuchung der dt. Übersetzungen, schon ihrer Datierung und Entstehungsumstände, fehlt. L i t e r a t u r . F.J. , Quellenslg. d. bad.Landesgesch. 1,1848, S. 1-17 u. 99-111; F. WILHELM, Antike u. MA, PBB 33 (1908) 286-339, hier S.311-313 u. 325f.; M. KOCH, Sankt Fridolin u. sein Biograph B., Zürich 1959 (mit ausführl. Bibliographie S. 162-165); Rep. fönt. II 442; F. JEHLE, Gesch. d. Stadt Säckingen, Archivausg. I, Säckingen 1969, S.25-31. Zu den dt. Übers.n: , S.3f.; C. BENZINGER, Die Fridolin-Legende nach einem Ulmer Druck d. Job. Zainer (Stud. z. dt. Kunstgeschichte 166), 1913; K. KUNZE, Uberl. u. Bestand d. elsäss. Legenda aurea, ZfdA 99 (1970) 265-309, hier S. 307; W. WILLIAMSKRAPP, Stud. z. 'Der Heiligen Leben', ZfdA 105 (1976) 274-303, hier S. 300. F.J. WORSTBROCK

Baltzer Der sonst unbekannte Dichter erscheint unter variierenden Namensformen in drei mit einander verwandten Dichterkatalogen: 1. Hans ->Folz (f!513) nennt ihn unter Sangspruchdichtern und frühen Meistersingern: Die Meisterlieder d. H. F., hg. v. A.L. MAYER (DTM 12), 1908, Nr. 94, v. 52 (Baltzer; Lesart E: Boltzer; in der von MAYER übersehenen späten Aufzeichnung Berlin, mgq 410, 317V: Polster}. 2. Konrad -> Nachtigall (f 1484/85), dessen wahrscheinlich älterer Katalog verstorbener Meistersinger mit Folz' Lied vermutlich über eine gemeinsame Vorlage eng verwandt ist, nennt ihn Polster, s. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1311, Str. 2. 3. Die Namensform Polster findet sich auch in der Prosaauflösung von Nachtigalls Lied in der Vorrede des Magdeburger Meistersingers Valentin Voigt (1487 bis nach 1558) zu seiner Hs. Jena, ÜB, Ms. El. fol. 100 (abgeschlossen 1558), gedr. W.E. TENZEL, Monatl. Unterredungen 3 (1691) 931-935: hier 933, vgl. auch HMS IV 892 und F. HÜLSSE, Gesch. bll. f. Stadt u. Land Magdeburg 21 (1886) 65-67. HORST BRUNNER

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'Bamberger Blutsegen'-'Bamberger Glaube und Beichte'

'Bamberger Arzneibuch' -> 'Arzenibuoch Ipocratis' 'Bamberger Blutsegen Crist unte iudas spiliten mit spieza' Zwei (SiEVERS: drei) spätahd. Zaubersegen, überliefert f. 139rb der Hs. Bamberg, SB, Misc. Med. 6 (früher L. III. 9), 12. Jh., zwischen Exzerpten einer lat. Rezeptsammlung ('Liber pauperum'); ostfrk. Der erste (Prosa-)Teil beruft eine Verwundung Jesu durch Judas, die JACOBY aus dem 'Evangelium infantiae arabicum' (ed. C. TISCHENDORF, Evangelia apocrypha, 21876, S. 181 bis 209) herleiten möchte, während STEINMEYER Verbindungen zu denLonginussegen sieht (-»· 'Abdinghofer Blutsegen') und annimmt, daß 'Judas an die Stelle des Juden Longinus getreten' sei (S. 379; im —> 'Straßburger Blutsegen' lauten die Namen Genzan und Jordan). Die zusätzliche Anspielung auf den Stillstand des Jordan bei Christi Taufe (->· 'Ad fluxum sanguinis narium') veranlaßte EBERMANN und SIEVERS, den Prosasegen zu teilen. Der aus drei Reimpaaren bestehende zweite Segen berührt sich eng mit dem Trierer -> 'Ad catarrum die', doch fehlt dort der abschließende Prosaanhang, der vielleicht als ein eigener Segen gelten kann. L i t e r a t u r . Faksmile: G. Eis, Altdt. Hss., 1949, S.52f.-F.LEiTSCHUH,AfdA15(1889)216(Erstveröff.); O. EBERMANN, Blut-u. Wundsegen (Palaestra 24), 1903, S.44f.; Ahd. GH. IV 378-381 (Beschreibung d. Hs.); A. JACOBY, Der Bamberger blutsegen, ZfdA 54 (1913) 200-209; WILHELM, Denkm., A S.50, B S. 127-129; STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 377-380 (Nr. LXIX); E. SIEVERS, Dt. Sagversdicht., 1924, S.20; MILLER, Charms, S. 104-106; BRAUNE, Leseb., S. 90f. (Nr. XXXI, 6a), 174.

HANS HUGO STEINHOFF 'Bamberger und Erster Wessobrunner Glaube und Beichte' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 'Ba.Gl.u.B.': München, clm 4460, 103M11V. 'Wess. Gl.u.B.': Wien, cod. 2681, 103rb-107vb. A u s g a b e n . MSD, Nr. XCI, XC; STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr. XXVIII (zit.).

2. Der Sammelcodex clm 4460, der einst den Dominikanern in Bamberg gehörte, besteht aus vier Hss. Die zweite, aus dem

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12. Jh., ist von unsicherer Herkunft. Sie enthält nur zwei Stücke: ein ausführliches dt. Glaubens- und Beichtformular und eine Schilderung von -> 'Himmel und Hölle', beide von derselben Hand eingetragen, doch scheinen gewisse orthographische Unterschiede auf verschiedene Vorlagen (STEINMEYER, S. 154) oder auf Schreiberwechsel in einer gemeinsamen Vorlage zu deuten. Die Sprache wird meist als ostfrk. angesprochen, da ausgeprägte Merkmale anderer Dialekte fehlen. Einige Alemannismen im 'Glauben' (ders., S. 152) sprechen zumindest für ein südwestliches Vorstadium in der Überlieferung. 'Ba.Gl. u. B.' könnte dann auch noch nach dem 11. Jh. entstanden sein. Berührungen in Stil und Wortschatz machen es so gut wie sicher, daß beide Stücke das Werk eines Verfassers sind. 3. Der Wessobrunner Text, eine bairische Fassung desselben Formulars, die in der Wiener Notkerhs. (12. Jh.) überliefert ist, gilt allgemein als eine kürzende Redaktion für Frauen. Das streng Theologische ist fortgelassen, männliche Pronominalendungen sind durch weibliche ersetzt. Manche Abweichungen beruhen auf Mißverständnissen. Einer Lücke in der Hs. ist der Schluß der 'Beichte' sowie vielleicht auch eine bairische Fassung von 'Himmel und Hölle' zum Opfer gefallen. 4. Der 'Glaube' lehnt sich stark an das Athanasianische Symbolum an, und im Schlußteil wird nebst der Erwähnung des Jüngsten Gerichts die kirchliche Bußlehre stark betont. In der 'Beichte' werden nach einer gebetsartigen Einleitung die zu beichtenden Sünden in neun (statt der üblichen sieben) Abschnitten aufgeführt. An erster Stelle steht ubermuot (superbia), dann folgen uppigiu guotlichi (vana gloria), nid (invidia), sunthaftiu unfroude (tristitia), trägheit (acedia), zorn (ira), scazgtrida (avaritia), gitigi uberezzines (ventris ingluvies] und aller slahte huor (luxuria). An der Spitze steht jeweils die Hauptsünde, auf die dann deren Erscheinungsformen folgen. Das Prinzip der Zuordnung ist nicht immer klar. Besonders umfangreich sind die Abschnitte über Habgier und Gefräßigkeit: jene erstreckt sich über den persönlichen

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'Bamberger Rechenbuch 1483'

Geiz hinaus auf das Geschäftsleben, das Rechtswesen und die Pflichten des Christen gegenüber Kirche und Mitmenschen; diese, zu aller werltlicM ausgeweitet, umfaßt sogar das Erzählen von lugispellen, das Singen von huorlieden und scantsangen, die Freude an der Jagd und 'alle Weltminne'. EHRISMANN hat diese Stelle mit einer Predigt des Honorius verglichen, wo der weltlich gesinnte Priester als civis Babylonis gekennzeichnet wird (PL 172, Sp.1098). Hier kommt wohl nicht so sehr absolute Weltfeindlichkeit als Sorge um die Reinheit des Priesteramtes zum Ausdruck: Teilnahme an der Jagd wie das Begehren nach rechtmäßiger Ehe (gtrrida rehtis gihtleiches), das den Sünden der Unzucht beigezählt wird, sind ja nur bedingt sündhaft, nämlich beim Kleriker. Dem Sündenkatalog schließt sich ein längeres Verzeichnis nicht geübter Tugenden an, und das Stück endet mit einem inbrünstigen Gebet. Aus den angeführten und anderen Stellen scheint hervorzugehen, daß die Beichte ursprünglich für den Klerus bestimmt war; die Wessobrunner Fassung zeigt aber, daß sie auch einer Frauengemeinde angepaßt werden konnte. 5. Unter den altdt. Beichten nimmt sie eine Sonderstellung ein. Wegen ihrer Lange war sie für den täglichen gottesdienstlichen Gebrauch nicht geeignet. Für BAESECKE war sie 'keine beichte mehr', für EGGERS ein 'systematisch ausgebildeter BeichtspiegeP. PÖRNBACHER rechnet mit ihrer Verwendung als eine Art Offene Schuld', die an bestimmten Tagen, vornehmlich am Gründonnerstag, dem Bischof nachgesprochen wurde, aber auch als 'Reuegebet eines einzelnen oder einer Gemeinde vor Gott um der Beschauung willen'. 6. Nicht zu trennen von dem Verwendungszweck ist die Frage nach dem Verhältnis der 'Beichte' zu 'Himmel und Hölle', dessen Gattungsbestimmung ebenfalls nicht geklärt ist. Beide Denkmäler haben eine Anzahl seltener, z.T. sonst nicht belegter Wörter gemein, sowie denselben antithetischen Aufbau, der Tugenden und Laster gegenüberstellt. Den Ansatz zur Behandlung des Themas Himmel und Hölle enthält schon der Schlußteil des 'Glaubens'. Daß die Jenseitsschilderung aus der 'Beichte' er-

wuchs und nicht umgekehrt (wie EHRISMANN, LG I 331 meinte), beweist die gelegentliche Verschmelzung zweier in dieser nahe beieinander vorkommender Ausdrücke zu einem Nominalglied (etwa zorn und ursinnigheit zu der ursinnigliche zorn). Die ungewöhnliche sprachschöpferische Kraft des Verfassers, der alle Möglichkeiten der Wortbildung wahrzunehmen weiß, erinnert an -> Notker, nur ging es ihm eher um die feine Nuancierung von Begriffen als um deren genaueFestlegung.Trotz gelegentlicher Latinismen läßt er sich eher von seinem deutschen als von lateinischem Sprachgefühl leiten; so kann sich etwa ein Wortspiel wie nu fliuh ih ... ci demo uile miltin barme der diner alemahtigün irbarmide einstellen, für das ein lat. Vorbild schwerlich vorhanden war. L i t e r a t u r . Textgesch. u. Textkritik: STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 148-152. Zum Inhalt: W. WACKERNAGEL, Altdt. Pred., Basel 1876, S.324f.; P. SPROCKHOFF, Altdt. Katechetik, Diss. Berlin 1912, S. 64-74; EHRISMANN, LGI327-331, II l, S. 136f.;G. BAESECKE, Die altdt. Beichten, PBB 49 (1925) 346; W. WÖHRLE, Zur Stilbestimmung d. frühmhd. Dicht., Diss. Zürich 1959, S.30-46; H. EGGERS, Die altdt. Beichten 3, PBB (Halle) 81 (1959) 90; H. PÖRNBACHER, 'Ba. Gl. u. B.' u. d. kirchl. Bußlehre im 11. Jh., Fs. M. Spindler, 1969, S.99-114.

DAVID R. MCLINTOCK 'Bamberger Rechenbuch 1483' Das 'B.R. 83' gilt als das früheste vollständig erhaltene gedruckte Rechenbuch in dt. Sprache. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Drei bisher bekannte Exemplare des Bamberger Druckes von 1483: Augsburg, StB (unvollst.); Zürich, ZentralbibL; Zwickau, Ratsschulbibl. (HAIN 13713), lassen auf eine Verbreitung im gesamten süddt. Raum schließen. Faksimiledruck nach dem Zürcher Exemplar, mit einem Nachwort von J.J. BURCKHARDT, 1966.

2. Verfasser. Der Kolophon weist den Drucker Heinrich Petzensteiner als Verfasser aus. Dennoch wurde die Hypothese aufgestellt (UNGER) und seither kritiklos tradiert (CANTOR, VOGEL, W. GÜNTHER, BURCKHARDT), daß Ulrich ->· Wagner der Verfasser des 'B.R. 83' sein müsse, da er das gleichfalls von Petzensteiner gedruckte 'B.R. 82' verfaßt habe. Diese Argumenta-

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'Bamberger Rechenbuch 1483'

tion erscheint wenig überzeugend; die Aufgaben beider Werke sind zudem völlig verschieden. - Angesichts der Quellenlage können dem Verfasser des 'B.R. 83' ohnehin nur herausgeberische Verdienste zugesprochen werden. 3. Inhalt. Oberflächlich betrachtet entspricht der Aufbau des 'B.R. 83' dem des -> 'Algorismus Ratisbonensis' (i.F. 'A.R.'): nacheinander werden das schriftliche Rechnen mit den positiven ganzen Zahlen einschließlich 0, das Rechnen mit den positiven Brüchen und praktische kaufmännische Aufgaben behandelt. Es gibt jedoch entscheidende Unterschiede. Während im 'A.R.' die beiden theoretischen Teile gegenüber dem praktischen Teil mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs ausmachen, umfassen die entsprechenden Kapitel im 'B.R. 83' nur etwa ein Fünftel des Ganzen. - Das Wurzelziehen wird nicht behandelt, vermutlich weil es für das kaufmännische Rechnen nicht relevant ist. 'Verdoppeln' und 'Halbieren' werden bei den ganzen Zahlen nicht mehr als besondere Rechenarten aufgeführt; bei der Bruchrechnung erinnert noch eine kurze Bemerkung über das 'Mediren' an die frühere Praxis. - Anders als im 'A.R.' beginnt die Bruchrechnung mit der Multiplikation; das erinnert an italienische Rechenbücher wie etwa die 'Arithmetica' des Piero Borghi von 1484. - Während der 'A.R.' ein ganzes Kapitel über das Gleichnamigmachen von Brüchen enthält, wird dieses im 'B.R. 83' rein schematisch (multiplicir in creucz) bei der Addition und bei der Substraktion abgehandelt. Im Mittelpunkt des 'B.R. 83' steht eindeutig das k a u f m ä n n i s c h e Rechnen. Einem ausführlichen Kapitel über die gülden Regel (Dreisatz) folgt Vom Wechsel (Umrechnung von Geldsorten), Vom Stich (Warentausch), Von Tollet (Berechnungen mit mehrfach benannten Zahlen durch eine Hilfstafel, in der die verschiedenen Einheiten zunächst besonders berechnet werden), Galt Rechnung (Preisberechnung für ungemünztes Gold), Von Gewicht (Umrechnung der örtlich verschiedenen Gewichtsmaße), um nur einige zu nennen. Das umfangreichste Kapitel, Von Gesellschaft, be-

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handelt nicht nur den Zusammenschluß mehrerer Partner zu einem Geschäft, sondern auch Entschädigungen von Gläubigern und Aufteilung von Erbschaften. Auch einige Beispiele aus der Unterhaltungsmathematik finden sich hier und da. Den Schluß des Buches bilden umfangreiche Tabellen über Münzen, Maße und Gewichte, sowie Tabellen, welche die Preisberechnungen für Gold und Silber erleichtern. 4. Quellen. Während der Inhalt des 'B.R. 83' bereits mehrfach ausführlich beschrieben wurde (MÜLLER, CANTOR, W. GÜNTHER), ist der Quellenfrage bisher nur RATH nachgegangen, welcher aufgrund von Gemeinsamkeiten eine Abhängigkeit des 'B.R. 83' vom 'A.R.' und einen Zusammenhang mit der Wiener Hs. 3029, die gleichfalls ein dt. Rechenbuch enthält, vermutet. Durch RATHS Untersuchungen ist die Behauptung CANTORS, das 'B.R. 83' sei in Kaufmannskreisen entstanden, relativiert worden, jedoch wurde in der Folgezeit der Einfluß des 'A.R.' überschätzt (VOGEL). Als Hauptquelle des 'B.R. 83' muß eine bisher unedierte dt. Abhandlung über das Rechnen angesehen werden, die vor 1450 entstanden ist und von der Hand des anonymen Verfassers des 'A.R.' in cod. St.Florian XI. 619 überliefert ist. Ein eventueller Zusammenhang mit anderen dt. Rechentraktaten und Aufgabensammlungen, die in St.Emmeramer Hss. begegnen, bleibt zu prüfen (vgl. ZIMMERMANN). Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das 'B.R. 83' nur zum geringsten Teil eine schöpferische Eigenleistung darstellt, sondern weitgehend Bekanntes und Bewährtes wiedergibt. Gerade dadurch aber vermittelt es einen ausgezeichneten Einblick in das Rechenverhalten und das Wirtschaftsleben seiner Zeit. L i t e r a t u r . J.G. WELLER, Brem- u. Verdische Bibl. 2 (1756) 243; PANZER, Annalen, Zus. Nr. 190 b; J. MÜLLER, Die ältesten dt. Rechenbücher, Dt. Bll. f. erziehenden Unterr. (1879) 69-88; S. GÜNTHER, Gesch. d. math. Unterrichts, 1887; F. UNGER, Die Methoden d. prakt. Arithmetik, 1888; M. CANTOR, Vorlesungen über d. Gesch. d. Math. II,21913; E. RATH, Über ein dt. Rechenbuch aus d. 15. Jh., Bibl. Mathematica, 3.Folge, 13 (1912/13) 17-22; VOGEL, Das älteste dt. gedruckte

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Bämler, Johann — Bannholtzer, Valentin

Rechenbuch Bamberg 1482, in: Gymnasium u. Wiss., Fg. z. Hundertjahrfeier d. Maximiliangymn. München, 1949, S.231-277; ders., Die Practica d. 'A.R.', 1954; W. GÜNTHER, Das 'B.R.' von 1483, Sachs. Heimatbll. 6 (1960) 355-364; BURCKHARDT (s. Ausg.); M. ZIMMERMANN, Das 'B.R.' u. seine Quellen (in Vorbereitung) .

MONIKA ZIMMERMANN

Bämler, Johann Geb. in Augsburg, gest. um 1503; 1450 in Rom, seit 1453 in Augsburg als Schreiber nachweisbar, 1477 als Drucker, 1487 als Buchbinder, auch Buchhändler genannt. B. rubrizierte zwischen 1466 und 1468, durch hsl. Einträge bezeugt, Werke der Straßburger Drucker H. Eggestein (Biblia - GW 4205) und Joh. Mentelin (Thomas de Aquino - HAIN 1454 und Augustinus GW 2883). Seit 1472 als Buchdrucker tätig: etwa 120 Ausgaben, bes. deutschsprachige Werke; 'Histori vom grossen Alexander' (GW 883 a u. 884), Johannes ->Niders '24 goldene Harfen' (HAIN 11846 u. 11847), -> 'Der Heiligen Leben' (HAIN 9970, 9971 u. 9973), -»· 'Plenarien' (HC 2318 u. 2320), -»Konrads von Megenberg 'Buch der Natur' (HAIN 4042 u. 4043), 'Buch der Kunst geistlich zu werden' (->Konrad; GW 5666, 5667 u. 5668), 'Melusine' (->Thüring von Ringoltingen; HAIN 11064), großenteils mit Holzschnitten geschmückt. Letzter datierter Druck vom B.April 1495. 1504 steuert schon seine Witwe. Sein Schwiegersohn war der Buchdrucker Lucas Zeissenmayer. Die Bämlersche 'Kaiser- und Papstchronik' vom Okt. 1476 (GW 3163, nachgedruckt von A. Sorg, 1480 - GW 3164 und J. Schönsperger, 1487 - GW 3165) ist großenteils Kompilation. Sie enthält das 2. und 3. Kap. der Chronik des Straßburger Kapitelherrn Jakob -> Twinger von Königshofen (t 1420), die 'Reformation des Kaisers Sigmund' (-»'Reformatio Sigismundi') und die 'Reformation des Kaisers Friedrich', Entlehnungen aus der 'Deutschen Chronik' des Heinrich —> Stainhöwel und aus dem Bericht eines unbekannten Autors über das Konzil von Konstanz. Die redaktionelle Tätigkeit B.s muß noch eingehend untersucht werden. L i t e r a t u r . Chron. dt. St. VIII 192, 214-219, 225; W.BOEHM, F.Reisers Reformation d. Kaisers Sigmund,

1876, S. 6-8; W. MORRIS, On the artistic qualities of the woodcutbooks of Ulm and Augsburg in the 15'h century, Bibliographica 1 (1895) 437-455; A. SCHRAMM, Der Bilderschmuck der Frühdrucke III, 1921; V. v. KLEMPERER, J.B., d. Augsburger Drucker, als Rubrikator, Gutenberg-Jb. 2 (1927) 50-52, 3 (1928) 105-106; 2 RL I 158-162; H.H.ScHMiD, Augsburger Einzelformschnitt u. Buchillustration im 15. Jh., Arch. f. Gesch. d. Buchwesens l (1958) 274-276; F. GELDNER, Die dt. Inkunabeldrucker l, 1968, S. 138; ders., Ein Probesatz d. 'Buchs der Kunst, dadurch der weltliche Mensch mag geistlich werden' (Augsburg: Johann Bämler, 1476), Gutenberg-Jb. 45 (1970) 108-113; NDB I 521.

FERDINAND GELDNER Bannholtzer, Valentin Der Name ist nur von zwei Einblattdrukken her bekannt: I. Der Junckfrowen marie vnd muter gottes ein früntlichen grüß zu lob vnd er im salne [!] gedütsch: [Straßburg, Johannes Grüninger um 1500], (München, SB, Einbl. III 48). Unter dem Titel ein großer Holzschnitt (auch im Brit. Mus. London vorhanden) : Madonna mit Kind zwischen der hl. Katharina und Barbara. Der Text besteht aus zwei Teilen: a) 20 vierzeilige Strr. in drei Spalten mit jeweils ein bis vier vorangestellten Worten aus der Antiphon -»· 'Salve regina' (WACKERNAGEL, KL I, Nr. 157), zu dem das dt. Gedicht eine Übersetzung und Glossierung darstellt. Inc.: Got grieß dich der barmhertzigkeit. b) Unten in kleinerem Druck in 4 Spalten ein Marienlob in 24 Reimpaaren. Inc.: Got grieß dich hymel kinigin. Zwischen beiden Texten in der Mitte: Got myn Wegwyser II Valentinus Bannholtzer, L i t e r a t u r . Einblattdrucke, Nr.405; Faksimile: W. COHN, Einblattdrucke d. Straßburger Druckerei Johannes Grüninger (Einblattdrucke d. 15. Jh.s 92), 1937, Nr. 11. Zum Holzschnitt: R.W. BREDNICH, Ein Beitr. z. volkskundl. Interpretation ikonographischer Quellen, Fs. G. Heilfurth, 1969, S.299-316, dort S. 302f. und Tafel IV, Abb. 9.

II. Ad honorem Sancte Anne exortatio attenta riccmatice coadunata: [Nürnberg] 1507, (Wien, Albertina). Unter der Titelzeile großer Holzschnitt von Wolf Traut: hl. Anna Selbdritt und drei kerzentragende Engel. Text in drei Kolumnen zu je sieben vierzeiligen Strr., nach jeder Str. Aue maria, am Kolumnenende dafür Pater noster. Text-

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'Barbara'

inc.: Veneranda domino, o felix mater anna. Unter dem Text: Valentinus Bannholtzer Deus viaticus meus: Anno domini. M. CCCCC. vij. Unten vier quadratische Holzschnitte: Verkündigung, Geburt, Darbringung, die drei Weisen. Faksimile: M. GEISBERG (Hg.), Der dt. EinblattHolzschnitt in d. ersten Hälfte d. 16. Jh.s., 1923-1929, Nr. 29, 26 = Nr. 1409; vgl. H. SCHMIDT (Hg.), Bilderkatalog zu Max Geisberg, Der dt. Einblatt-Holzschnitt, 1929, Nr. 1409. - Das Blatt befand sich Ursprung!, in Wien, cod. 3301, f. 274, vgl. J. CHMEL (Hg.), Der österr. Geschichtsforscher, Bd. l, Wien 1838, S. 98-121, hier S. 109.

ROLF WILHELM BREDNICH

'Barbara' ->· 'Der maget kröne' ->· Meffreth von Meißen 'Barbara' A. V e r s l e g e n d e n I. 'Barbaren Passie' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 478, 58r-63r, Anf. 15. Jh., nordbair, mit md. Anklängen; Dessau, ÜB u. LB, Hs. Georg, quart.4, 43r-50v, 15.Jh., md.; Uppsala, ÜB, cod. C 497, 41V-42V, 15. Jh., md., Frgm. (SCHADE, v. 1-48). D r u c k e u. Ausgaben.Inkunabel-Frgm.,thüring.obersächs. (?) (Exemplar Berlin, SB, Inc. 1588, 10); Marienburg, J. Karweysse, ca. 1500; rip.: Köln, J.Koelhoff d.J. 1498 (2 Drucke, GW 3334 u. 3335); Köln, Henrich von Nuyss 1513, ed. O. SCHADE, Barbara Passie, in: Geistl. Ged. d. 14. u. 15. Jh.s vom Niederrhein, 1854, S.30-69 (Nuyss = A, Koelhoff = B); dazu A. SCHÖNBACH, AfdA 6 (1880) 172; Köln, S. Kruffter um 1520 (BORCHLING/CLAUSSEN, Nd. Bibliogr., Nr.682); überarb. nd. Fassung: Magdeburg, Simon Koch gen. Mentzer 1500 (GW 3336), ed. PH. WEGENER, Drei mnd. Ged. d. 15. Jh.s mit krit. Bemerkungen, Jb. d. Pädagogiums z. Kloster Unserer Lieben Frauen in Magdeburg (1878) 1-7 (Anm. S.24-26).

HÜBENER versuchte das Verhältnis der Textzeugen (die ihr nur teilweise bekannt waren) zueinander zu bestimmen, konnte jedoch im Rahmen eines VL-Artikels keine Nachweise geben, wodurch die (wohl notwendige) Überprüfung erschwert ist. Nach HÜBENER bieten die nahe, aber nicht direkt verwandten Hss. München, cgm 478 und Dessau gegenüber den Drucken einen schlechteren, unvollständigeren Text, wobei cgm 478 eine 'mystisch' beeinflußte Bearbeitung erfuhr. 8 nur hier überlieferte Prologverse ed. G. Eis, ZfdA 72 (1935) 93 f.

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Textlich für sich steht die frgm. Inkunabel (und Marienburg ?), die gegenüber den restlichen Drucken keine Umstellungen der Geschehnisfolge enthält. Die anderen Drucke gehen auf eine 'wahrscheinlich md.' Vorlage zurück. Sie wurde einmal für die (fast identischen) Kölner Drucke bearbeitet, an die sich Lübeck anschließt, zum anderen für den Magdeburger Druck. Hier erfuhr der Text durch Beiziehung der lat. Fassung im Anhang der 'Legenda aurea' (—»Jacobus de Voragine) (GRAESSE, Leg. aur., Nr. 202) 'inhaltlich entscheidend erweiternde Zusätze' (z.B. SCHADE, v. 47-130) und (in einer weiteren - woraus erschlossenen ? - Redaktion) 'eine sehr gute Übersetzung in das Magdeburger nd. Idiom' und 'geringfügige gelehrte Zutaten' (z.B. das Regenmirakel, WEGENER, v. 487-502; das v. 496 in der Doppelformel begegnende Fremdwort beeke ofte reuere reicht für den Schluß auf eine hier benutzte 'höfische, vielleicht ndl. Vorlage' nicht aus). 2. Die Textzeugen bieten verschiedene (topische) Prologe. Die Kölner Fassung verspricht für die Lektüre der Legende einen Ablaß und Schutz für den, der sie mit sich trägt. Die Legende (SCHADE 419 vv., WEGENER 532 vv.) konzentriert sich wohl in engem Anschluß an die lat. Vorlage (zo duitsche beduten SCHADE, v. 28 [recht beduten WEGENER, v. 18]) auf den schlichten Bericht des äußeren Geschehnisablaufs. Die Vorlage ist unter den zahlreichen, noch nicht erfaßten lat. Kurzredaktionen der 'Passio Barbarae' BHL Nr. 913 zu suchen (vgl. ZfdA 99 [1970] 305f.; BHL Nr.914-917), zu denen auch GRAESSE, Nr.202 (s.o.) = SCHADE, S. 40-43, zählt. Die Überlieferungslage erschwert eine Bestimmung von Entstehungszeit (2. Hälfte 14. Jh. ?) und -ort (md.). HÜBENER hält es nach der Kölner Fassung nicht für unwahrscheinlich, daß das Prinzip der Silbenzählung (7 Silben bei stumpfem wie klingendem Versende) innegehalten wurde. Metrisch entspräche der Text den formalen Regeln von —* Nikolaus von Jeroschin und —> Heinrich von Hesler. HÜBENER zieht daher u.a. Entstehung im Deutschorden in Erwägung, vgl. auch L. BUSSE, * VL I 450. Weitere Untersuchungen sollten den Zusammenhang mit den oft parallel über-

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'Die Bärenjagd'-Barfüßer von Basel

lieferten Verslegenden von -> 'Dorothea', -» 'Margareta' und -> 'Katharina von Alexandrien' beachten; s. -> 'Passienbüchlein von den vier Hauptjungfrauen'. L i t e r a t u r . H. DEGERING/J.M. HUSUNG, Die Katharinen-Passie (Seltene Drucke d. Staatsbibl. 2), 1928, S. 10-57; E. HÜBENER, 'VL I 162-166; M.W.B. LOCKWOOD, A Manuscript in the Rylands Library and Flemish-Dutch and Low-German Accounts of the Life and Miracles of Saint Barbara, Bulletin of the John Rylands Library 36 (1953) 23-37; G. Eis, J. Kirchschlags Predigt z. Barbaratag 1486, PBB (Tüb.) 81 (1959) 196-200; B. DE GAIFFIER, La legende de sainte Barbe par Jean de Wackerzeele, Anal. Boll. 77 (1959) 5-41 (allgemein); V. SACK, Ein Ged. des 'anderpoeten Samuel Karoch v. Lichtenberg' z. Feier d. Barbaratags in d. Kölner Kartause (um 1486/89), Fs. O. Herding z. 65. Geburtstag (1977).

II. Klosterneuburg, Stiftsbibl., Hs.1079, 71b-80a (Ende 15. Jh.), bair., noch unediert und ununtersucht. Die genannte Hs. enthält auch eine ->· 'Margareta'- und -> 'Dorothea'-Verslegende. Inc. und Expl. bei J. DIEMER, Kleinere Beitr. z. älteren dt. Sprache u. Lit. VI, WSB11, 1853, S. 45f. III. St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 592. Noch unediert und ununtersucht ist eine von K. KUNZE, ZfdA 99 (1970) 273 angezeigte, in eine Hs. (Mitte 15. Jh.) der elsässischen Prosaübers. der 'Legendaaurea' (-»Jacobus de Voragine) S. 66-85 eingeschobene hochalemannische Verslegende von sant barblen. Inc.: in gottes namen billich werd / in himel dort vna hie vfferd l och willen ban ze sagen hie l waz gelitten het vnd wie l sant barbra nach der geschrift... IV. Bisher unberücksichtigt ist auch eine Fassung m der Hs. 240 (67rb-68rb) der Engelberger Stiftsbibl. Inc.: Sant Barbara du edels vas l werd du als ich las l vol fugenden beliben l Als ich ban geschriben. B. P r o s a l e g e n d e Eine 'B.'-Prosalegende ist überliefert in der Hs. 645 der Neustädter Gymnasialbibl., Prag (heutiger Aufbewahrungsort unbekannt), 47r-94v; abgedruckt von J. STROHSCHNEIDER, Mfrk. Prosalegenden, Progr. Prag (1892) 11-26 und ebd. (1893) 3-16. STROHSCHNEIDER (1892, S. 4) konnte für diese Vita keine Quelle ermitteln. ELISABETH REUTER

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'Die Bärenjagd' Die 'B.' ist als moralisch-exemplarisches Märe und in zwei 6/spe/-Fassungen ('B.' I und 'B.' II; nach FISCHER) erhalten. Ü b e r l i e f e r u n g . Märenfassung: Dresden,LB,cod. M67, 186r-189r (d6), 210 vv. - 'B.' I: München, ÜB, 2° cod. ms. 731, 104rb/vb (E; Hs. des ->Michael de Leone), 75 vv., Schluß fehlt. 'B.' II (96 vv.): Dresden, LB, cod. M 68, 32v-33r (d); Innsbruck, Tiroler Landesmus. Ferdinandeum, Hs. FB 32001,12ra/va (i); Wien, cod. 2885,16ra/vb (w) (Siglen nach FISCHER). A u s g a b e n . 'B.' II: U. SCHWAB, Der Endkrist d. Friedrich v. Saarburg u. d. ändern Inedita des Cod. Vind. 2885 (Quaderni della Sezione Germanica degli Annali I), Neapel 1964, S.68-70 (nur nach w); Faks. in: N.R. WOLF (Hg.), Sammlung kleinerer dt. Ged. Vollst. Faksimile-Ausg. d. Cod. FB 32001 d. Tiroler Landesmus. Ferdinandeum (Codices selecti 29), Graz 1972; eine Edition nach D ist angekündigt (vgl. Jb. f. Internat. Germanistik II/2 [1970] 90 Nr. 1575).

Die Geschichte wurde aus zwei ursprünglich selbständigen Motiven zusammengesetzt (vgl. SCHWAB, S. 67; dort auch weitere Gestaltungen der beiden Motive; zu ergänzen wäre Ulrich -> Boners 'Edelstein' Nr. 73 [ed. BENECKE, S.245-248, ed. PFEIFFER, S. 128-130]). Ein Mann verkauft das Fell eines noch nicht erlegten Bären, wird aber auf der Jagd von diesem jämmerlich zugerichtet und erhält dadurch die gebührende Lehre. In 'B' I tritt an die Stelle des Fellverkaufs ein Freundschaftsversprechen, das durch die Begegnung mit dem Bären auf Probe gestellt wird. L i t e r a t u r . FISCHER, Stud., S.76 Anm.177; S.269 Anm 77

· ·

ULLA WILLIAMS

Barfüßer von Basel Von ihm (ein barfuoze von Basel) ist in Berlin, mgq!91, 362r/v, alem., um 1400 (gedr. F. PFEIFFER, Germ. 3 [1858] 230) das Exzerpt eines Predigtstücks über den Sakramentsempfang überliefert: es gibt Leute, die enpfähent unsern herrn alse röwe (roh), andere gesotten, die dritten gebraten, was auf verschiedene Verhaltensweisen beim und nach dem Sakramentsempfang ausgelegt wird. Identität mit dem Franziskaner -> Schölzelin ist möglich, aber nicht beweisbar. K. RUH

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Barfüßer-Lesemeister-Bart, Konrad

Barfüßer-Lesemeister Ü b e r l i e f e r t von ihm ist eine einzige Predigt, Nr. 62 des -> Taradisus anime intelligentis' (hg. v. PH. STRAUCH [DTM 30], 1919, S. 131-133) in Oxford, Bibl. Bodleiana, cod. Laud. Misc. 479,106V-108V, md., Mitte 14.Jh.; Hamburg, StB u. ÜB, cod. theol. 2057, 160M63", md., Mitte 14.Jh.; Kassel, LB, cod. theol. 11,17r, aus Cist.Abt. Otterberg (Pfalz), v. J. 1341 (Teilstück = 'Par. an. int.', S. 13233-13313; s. H. ZUCHHOLD, Des Nikolaus v. Landau Sermone [Hermaea 2], 1905, S. 94-%; dass. auch in der von J. QUINT (Hss. funde I 218-221) entdeckten Parallelhs. Stuttgart, LB, cod. theol. et philos. Q. 88, 15. Jh.

Die Überlieferung weist den B.-L. der I.Hälfte des 14.Jh.s zu. Die Predigt über das Textwort 'Ecce nova facio omnia' (Apo25,5) verdient Interesse, weil sie inmitten des Erfurter Corpus dominikanischer Predigten, dem 'Par. an. int.', erscheint und der Sammler sich in der Zusammenstellung der Themata entschieden von der Doktrin des Franziskaners distanziert: hi an disime sermon lent ein barfuzzin lesemeistir wi sich dt sele haldin sal di ein glich nochvolgin wil habin der di in deme ewigin lebene sin. abir di brudere und lesemeistere in predigere ordine inhaldin nicht einis wortis daz her sezzit und sprichit daz daz allir hohiste were und diz groiste der seligin in himmilriche daz si minne. ez ist bekentnisse, sprechin di predigere, und habin wor (S. 637-73). In der Kontroversfrage der beiden Orden, ob die Seligkeit mehr in der Erkenntnis oder in der Liebe bzw. dem Willen liege (s. Duns Scotus, 4 Sent. dist. 49,1,4, n. 4; zahlreiche Hinweise zu dieser Frage bei J. QUINT [Hg.], Meister Eckhart. Predigten II, 1971, S. 3638ffmit Anm. l [S. 364] u. S. 49515ff' mit Anm. 30 [S. 511]), konnte sich der Kritiker auf die -»Giselher von Slatheim zugeschriebene Predigt Nr.41 seiner Sammlung berufen, die als Ganzes dieser Frage gewidmet ist. PREGER verstand diese Polemik als unmittelbar auf den B.-L. sowie, sehr viel präziser, den Autor des Traktats ->· 'Vorsmak des ewigen lebennes' (teilweise hg. v. F. PFEIFFER, ZfdA 8 [1851] 422-452, einschlägige Stelle 44625 bis 44838) bezogen; man wird aber eher an die hinter den deutschen Texten stehende Autorität (Scotus ?) denken müssen. L i t e r a t u r . PREGER, Mystik II 154-160; J.M. CLARK, The Great German Mystics. Eckhart, Tauler

and Suso, Oxford 1949, S. 102-104; RUH, Bonav. dt., S.52f.; L. SEPPÄNEN, Stud. z. Terminologie des Taradisus anime intelligentis', Helsinki 1964, passim; K.-H. WITTE, 'Vorsmak des ewigen lebennes', Würzburger Prosastudien l (Medium Aevum 13), 1968, S. 148-198, bes. 175-178. T/r _,

K. RUH

'Barlaam und Josaphat' (altjiddisch) -> 'Ben ha- melech weha-nosir' 'Barlaam und Josaphat' -* Otto II. von Freising; -> Rudolf von Ems Bart, Hans -»· Mandeville, John Bart, Heinrich -»Barz, H. Bart, Konrad 1. Conradus Bart(h) (auch Part, Roi, Vatt) wird von J. JAEGER, Series abbatum et religiosorum exempti monasterii Ebracensis, Cistercienser-Chronik 14 (1902) 137, zusammen mit dem presbyter Engelhardus (ob -> Engelhart von Ebrach ?) für die Zeit von 1238 bis 1244 als Konventuale und sacerdos des fränkischen Cistercienserklosters Ebrach unter Abt Alardus genannt. Die erst zu Beginn des 15. Jh.s einsetzende hsl. Überlieferung seines Werkes läßt ihn jedoch im 14. Jh. vermuten, zumal JAEGERS Quellen (ausd. 17-18. Jh.; s. ebd., S. 129 f.) verschiedentlich unzuverlässig sind. Mit der Seelsorge ländlicher Bevölkerung - wohl in und um Ebrach - betraut (im Prolog seiner Schrift nennt er sich selbst plebanus in rure), verfaßte B. noch vor 1400 den 'Aequipollarius'. 2. ' A e q u i p o l l a r i u s ' Ü b e r l i e f e r u n g . Admont, Stiftsbibl., cod. 543, f. 1-24; Altenburg,Stiftsbibl.,cod. AB 15B 13, f. 22-85; Bamberg,SB, cod. QIV 18, f. 1-56; Graz, ÜB, cod. 604, f. 465-522; cod. 641, f. 95-147 (ohne Prolog); cod. 648, f. 241-277 (Prolog am Schluß); cod. 967, f. 11-146 (Roi statt Bart); München, clm 3236, f. 107-189 (unvollst.) ; clm 3420, f. 1-81; clm 3433, f. 1-61; clm 5613, f. 83-145 (Vatt)· clm 5932, f. 1-120 (Vatt); clm 7761 (Vatt); clm 8236, f. 188-224; clm 11739, f. 60-158; clm 11740, f. 1-107; clm 11741, f. 1-90; clm 18042, f. 127-170 (Vatt); clm 23689, f. 137-172; clm 24824, f. 1-95; Wien, Schottenkloster, cod. 115 (früher: 51. d. 4), f. 1-46; Würzburg, ÜB, cod. M.ch.q.161,

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'Bartfelder Rollenverzeichnis eines Osterspiels'

f. 146-223; Vorau, Stiftsbibl., cod. 107, f. 94-153. Alle Hss. entstammen dem 15. Jh.

Das noch ungedruckte und bislang kaum bekannte Werk ist eine als Hilfsmittel für den Landprediger intendierte umfangreiche Sammlung lat. Sonn- und Festtagspredigten für die Zeit von Advent bis zum Sonntag nach Trinitatis, der ein kurzer, die Wirksamkeit exemplarischer Erzählungen betonender Prolog vorausgeht (ine.: Quoniam exempla plus movent quam verba ..., fast wörtlich nach dem Prolog von Humbertus de Romanis'De habundanciaexemplorum'; s. WELTER, L'exemplum, S.72). In Übereinstimmung mit der dort geäußerten Absicht des Verf.s bietet jeder sermo zunächst einen Evangelientext (evangelium), dem sich Auslegung (expositio) und Erläuterungen (thema sermonis, auch: glossa) anschließen. Im Sinne mal.-typologischer Exegese (s. dazu D. HARMENING, 'Spiegel der Gesundheit', Würzburger Diözesangeschichtsbll. 37/38 [1975] 177-197) steht jede von B. referierte und theologisch interpretierte ntl. Begebenheit als Antitypus (figura) für eine jeweils als Typus folgende Geschichte des AT (historia), deren präfigurative Bedeutung für das ntl. Geschehnis in einer meist kurz gehaltenen allegoria erläutert wird. In Anlehnung an eine im —»'Speculum humanae salvationis', in der 'Concordantia caritatum' (-* Ulrich von Lilienfeld) oder in der -> 'Biblia pauperum' zu beobachtende Erweiterung des 'engeren' (nur auf den Bibeltext fixierten) Typologiebegriffes auf Außerbiblisches fügt sich daran ein zumeist dem -> 'Physiologus' entnommenes Beispiel aus der Naturgeschichte (naturale) und - wonach B. sein Werk benannte - die aequipollencia, eine allegorische Ausdeutung des naturale in bezug auf den jeweiligen Typus bzw. Antitypus mit nachfolgender Morallehre, an. Dem zugedachten Zweck entsprechend (michi soli et pro rurensibus et rudis [!] hominibus Hbellum super dominicas compilare [Prolog]) ist die Sprache des 'Aequipollarius' einprägsam einfach; die Diktion erinnert an die scholastische Quaestionen-Literatur. - Aus der Überlieferung läßt sich relativ große Beliebtheit der Sammlung im 15. Jh. in Süddeutschland und Österreich erkennen.

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L i t e r a t u r . J.E. WEIS-LIEBERSDORF, Das Kirchenjahr in 156 gotischen Federzeichnungen (Stud. z. dt. Kunstgesch. 160), 1913, S. 15; J.B. SCHNEYER, Beobachtungen zu lat. Sermoneshss. der SB München, MSB 1958/8, S. 27, 29, 69, 91; ders., Wegweiser zu lat. Predigtreihen d. MAs (Bayer. Ak. d. Wiss., Veröff. d. Kommission f. d. Herausgabe ungedruckter Texte aus d. mal. Geisteswelt 1), 1958, S.52, 219, 234, 255, 258, 436 (Haupteintrag).

HANS D. OPPEL 'Bartfelder Rollenverzeichnis eines Osterspiels' Ü b e r l i e f e r u n g . Ehemals Stadtarch. Bardejov/ CSSR (früher Bartfeld [Bartfaj/Ungarn), Einzelbl. (ohne Signatur), Mitte 15. Jh. (aufgrund urkundlicher Bezeugung der Mitspieler); gegenwärtiger Aufbewahrungsort nicht feststellbar. A u s g a b e . E. ABEL, Das Schauspielwesen zu Bartfeld im XV. u. XVI.Jh., Ungarische Revue 4 (1884) 649-675, hier S. 659-661.

Text. Zu 54 Rollen eines umfangreichen Osterspiels (mit Teufels- und Krämerspiel) trug der Schreiber des 'B.R.' bei 37 Rollen auch die Namen der Darsteller ein — nicht etwa Vaganten, sondern ausnahmslos Einwohner Bartfelds (auch die Darsteller von Medicus und Paustirbalg!); 17 Rollen waren zum Zeitpunkt der Niederschrift noch unbesetzt (u.a. Rubin und die animae der 'Ständesatire'). Aus den Rollenangaben läßt sich relativ genau der Szenenablauf des Osterspiels rekonstruieren (ausführlich bei ABEL, S. 663-667). Auffallend gegenüber anderen vergleichbaren Spielen (—> 'Innsbrucker [thüringisches]', -> 'Wiener [schlesisches] Osterspiel') ist die Erweiterung des Spielpersonals: Frau und Sohn des Caiphas treten auf; die Zahl der Juden in Caiphas' Gefolge hat sich auf acht erhöht; in der 'Ständesatire' werden 11 animae vorgeführt (darunter brasiator [Bierbrauer], balneator, pellifex, mercator, rusticus, vetula); dem Medicus des Krämerspiels ist neben seiner Frau auch eine Tochter beigesellt. Ob die geplante Aufführung zustande kam, ist unbekannt, da der Spieltext selbst nicht überliefert ist, doch lassen sich in Bartfeld mehrere Aufführungen geistlicher Spiele nachweisen (1497 Oster- und Weihnachts-, 1512 u. 1516 Passionsspiel). L i t e r a t u r . ABEL (s.o.);B. VON PUKANSZKY,Gesch. d. dt. Schrifttums in Ungarn I (Deutschtum u. Ausland

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'Bartholomäus'

34-36), 1931, S.93f.; J. ERNYEY/G. KARSAI (KURZWEIL), Dt. Volksschauspiele aus d. oberungarischen Bergstädten II l, Budapest 1938, S. 116f.

BERND NEUMANN 'Bartholomäus' I. Wie -> 'Innsbrucker Arzneibuch', -» 'Benediktbeurer Rezeptar' und -* 'Arzembuoch Ipocratis' gehört der 'B.' zur frühen dt. Rezeptliteratur; er ist jedoch später - erst ausgangs des 12.Jh.s - entstanden, fußt teils auf Salerner Quellen und durchbricht den Rahmen eines Rezeptbuchs, indem er Texte der Traktatliteratur einbegreift. Auch stammt er im Gegensatz zu den drei obd. Arzneibüchern nicht aus dem süddeutschen, sondern aus mitteldeutschem Raum, was den starken nd. Überlieferungsflügel verständlich macht. II. Der V e r f a s s e r - wahrscheinlich Klerikerarzt - überblickt das lat. Fachschrifttum, beherrscht die einheimische Fachsprache und erweist sich als Meister dt. Prosa, indem er frei übersetzt, geschickt kompiliert, straff aufbaut und den gemeinsprachlichen Tendenzen der Blütezeit folgt: durch seinen schlichten, aber klaren, von Provinzialismen freien Stil sicherte er dem Arzneibuch weiteste Verbreitung und machte den Text zu einem der wirkungsmächtigsten Denkmäler altdt. Fachprosa, wenn nicht zum wirkungsmächtigsten überhaupt. III. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . 33 Hss. verzeichnet HAUPT, 1872, S.517-519; GRAETER, 1917, S. 10f., kennt über 50 Textzeugen; Eis (1960, Sp. 1187) hatte mehr als 90 Hss. notiert, und inzwischen ist es sicher, daß die Überl. die ZOOer-Grenze übersteigt (KEIL, 1963, S.432f.; vgl. TELLE, 1972, S. 144). Gedruckt wurden zahlreiche Textzeugen,· eine krit. Ausg. indessen fehlt: F. PFEIFFER, Zwei dt. Arzneibücher aus d. 12. u. 13. Jh., WSB 42, 1863, S. 100-200 (München, cgm 92); A. BIRLINGER, Aus einem elsaeszischen Arzneibuche d. XlV.Jh.s, Alemania 10 (1882) 219-232 (Streuüberl.); J.H. GALLEE, [Das Utrechter] Mnd. Arzneibuch, Ndjb 15 (1889) 105-149 (Streuüberl.) ; F. V.OEFELE, Angebliche Practica d. Bartholomaeus v. Salerno, Neuenahr 1894 (Privatdruck) ('Nd. B.'); C. KüLZ/E. KÜLZ-TROSSE [Hgg.], Das Breslauer Arzneibuch. R. 291 der StB, 1908, S. 116-138; R. PRIEBSCH, Dt. Prosafrgm.e d. XII. Jh.s II: Bruchstücke d. sogenannten Practica d. Meisters B., MLR 11 (1916) 321-334 (Kärntner Frgtn.) (zit.); CH. GRAETER, Ein Leipziger dt. B., Diss. Leipzig 1917 (zwei Überl.n in

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einer Hs.); S. NORRBOM [Hg.], Das Gothaer mnd. Arzneibuch (Mnd. Arzneibücher 1), 1921 ('Düdesche Arstedie', 'Mnd. Bartholomäus' u. d. 'Kleine Arzneibuch'); P. HAUBERG,EnmiddelalderligdanskLaegebog, Kopenhagen 1927 (dän. Übers.); E. WINDLER, Das Bremer mnd. Arzneibuch d. Arnoldus Doneldey (Mnd. Denkm. 7), 1932; W.L. WARDALE, Albrecht van Borgunnien's treatise on medicine (St. Andrew univ. publ. 38), London 1936, dazu A. LASCH, AfdA 56 (1937) 35-38; ders., The 'Excerpta Ipocratis vnde Bartholomei'of Göttingen MS. hist, nat.51, Nd. Mitt. 10 (1954) 5-23; G. KEIL, Die 'Cirurgia' Peters v. Ulm, 1961 (Streuüberl.), dazu WARDALE, Nd. Mitt. 16/18 (1960/ 62) 199-209; A. LINDGREN, Ein Stockholmer mnd. Arzneibuch (AUS, Stockh. german. Forsch. 5), Stockholm 1967 (umfangreiche Streuüberl.), dazu G. MELLBOURN, Nd. Mitt. 23 (1967) 111-117, u. KEIL, StN 44 (1972) 238-262; H. WISWE, Der 'kurze Harntraktat' in einer nd. Fassung, Nd. Korresp.bl. 77 (1970) 56-60; B.D. HAAGE, Das Arzneibuch d. Erhart Hesel (GAG 88), 1972; WARDALE, Der mhd. B. Krit.-kommentierter Text eines mal. Arzneibuchs auf Grund d. Londoner Hss. (Veröff. Internat. Ges. Gesch. Pharm., N.F.), voraussichtlich 1978.

IV. Die Q u e l l e n entstammen zwei Literaturbezirken, die der Verfasser im Vorwort umreißt: Er stützt sich auf vorsalernitanische Texte, wie sie im 10. und 11. Jh. auch in Salern noch verwendet wurden, und benutzt darüber hinaus Salerner Kompendien, die sich am 'Corpus Constantini' orientieren und unter denen die 'Practica Bartholomaei' (-> Bartholomäus Salernitanus) eine besondere Rolle spielt. Unerwähnt bleiben Vertreter der Traktat- und Briefliteratur, die der Verfasser gleichfalls bearbeitete, und seine Anspielung auf Wort-für-Wort-Übersetzung erweist sich genauso als Fiktion wie sein Hinweis auf eine geschlossene lat. Vorlage: Ebensowenig wie er den 'Kurzen Harntraktat' mit den selben Worten ... en tivschen getichtit hat, in denen er ihn zv der latine vorfand, hat er aus nur einer Vorlage geschöpft, und wenn derartige Texte wie der-* 'Geier-Oder der -VVerbena-Traktat' aus seiner Feder stammen, hat er nicht bloß übersetzt, sondern selbständig Neues geschaffen. 1. Im wesentlichen fußt der 'B.' auf Texten frühmal. Rezeptliteratur. Als Quellen haben sich Plinius, Marcellus Empiricus, Sextus Placitus, Pseudo-Priscian, PseudoApuleius, Pseudo-Petrocellus sowie weitere Rezeptare des FrühMAs nachweisen lassen.

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'Bartholomäus'

Außerdem finden sich Splitter vorsalernitanischer Briefliteratur. 2. Ein zweiter Quellbezirk umgreift Salerner Schriften des 11. und 12.Jh.s: Der Verfasser des 'B.' hat Kenntnis vom 'Corpus Constantini' und benutzt davon abhängige Kompendien, wie sie beispielsweise in 'De aegritudinum curatione' vorliegen. Besonders beeindruckt hat ihn die Tractica Bartholomaei', auf die er im Titel anspielt und aus der er einige Rezepte entnimmt. Als Ganzes hat er den Salerner Quellen jedoch nur den 'Kurzen Harntraktat' entlehnt, jene prägnante Uroskopie, die auf Maurus zurückgeht und zwischen 1160 und 1170 entstand. V. Beim A u f b a u des Arzneibuchs scheint der Verfasser salernitanischen Kompendien gefolgt zu sein, indem er einen anatomisch gegliederten Kern in die Mitte stellt und ihn durch zusätzliche Traktate flankiert. Er beginnt mit einem (1.) allgemeinen Abschnitt, bestehend aus Komplexionenlehre und Uroskopie, läßt (2.) nach Heilanzeigen geordnete Rezepte a capite ad calcem folgen und schließt (3.) den 'Antiochus-BrieP sowie zwei pharmazeutische Traktate an. Das Rezeptbuch ist kleinfeldrig kompiliert, bringt die Vorschriften in lockerer Fügung und hat die Indikationsgruppen nur andeutungsweise zu diagnostisch bestimmten Kapiteln ausgebaut: in diesem Fall hält sich der Verfasser nicht an die Struktur salernitanischer Vorbilder. VI. Beachtenswert ist die eigene Leistung: Der Verfasser steht seinen Quellen frei gegenüber, folgt ihnen selten über größere Strecken, kürzt und erweitert nach eigenem Ermessen und meistert sprachlich auch schwierige Inhalte. Beim Aufbau der Traktate gelingt ihm dichte Fügung, während sein therapeutischer Kernabschnitt auf der Stufe eines Rezeptars verharrt: er reiht die einzelnen Formeln locker aneinander und hat sie nicht zu übergreifenden Texteinheiten verschweißt. Zu klären bleibt die Frage, ob der 'B.'Verfasser bloß kompiliert und übersetzt hat oder ob er darüber hinaus als Autor selbständiger Textabschnitte anzusprechen ist. Die Fähigkeit zu schöpferischer Leistung

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stellt er zuweilen unter Beweis, wenn sein Redigieren die Grenze eigenständiger Gestaltung streift: kennzeichnend ist die Umformung des 'Kurzen Harntraktats', dessen Prolog er zur Elementenlehre und dessen Eingangsparagraphen er zum Komplexionentext umgestaltet hat. Auf diesem Hintergrund gewinnen zwei Traktate des Schlußabschnittes Bedeutung, die als Wunderdrogentraktate angelegt sind, schon in den ältesten Überlieferungen begegnen und sich auf St. Hieronymus bzw. den 'Macer' berufen. Beide bemühen ihre Gewährsleute zu unrecht: Der 'Verbena-Traktat' hat den 'Macer' allenfalls als formales Vorbild benutzt, und der 'Geier-Traktat' ist durch den frühmal. 'De-vulture'-Text nur thematisch beeinflußt. Im übrigen zeigen die Traktate weitgehende Selbständigkeit, und es liegt auf der Hand, daß der 'B.'-Verfasser sie eigenständig konzipierte. VII. Beeindruckend ist die W i r k u n g : Die 'B.'-Überlieferung setzt um 1200 ein, erfaßt den ganzen dt. Sprachraum, hat in Fremdsprachen ausgestrahlt und erreicht durch Streuung die Zahl von mehr als 200 Textzeugen. Schon um 1200 hat sich der hd. Flügel abgetrennt, der sich durch eine Lücke im Harntraktat von der nd. Tradition unterscheidet (KEIL, 1963, S. 449; KEIL, 1969, S.25). Diese nd. Überlieferung muß demnach alt sein; sie beruht auf einer Umschrift, die ins ausgehende 12. oder 13. Jh. zurückreicht, auch wenn ihre Textzeugen erst Ende des 14. Jh.s greifbar werden. 1. Kennzeichnend für den 'B.' ist der östliche Schwerpunkt r ä u m l i c h e r Verbreitung: Der älteste Textzeuge stammt aus Kärnten, während die beiden ändern Hss. des 13. Jh.s mittelbair. (Tegernsee) bzw. ostmd. Mundart (Thüringen) zeigen. Ostlastig ist auch der nd. Flügel: den zahlreichen sächsischen und ostelbischen Hss. steht ein einziger niederfrk. Textzeuge gegenüber. Mit Ausnahme des ndl. Raumes wurden indessen alle ändern dt. Sprachlandschaften erfaßt: nach 1300 läßt sich der 'B.' auch im alem. und westmd. Mundartgebiet belegen. 2. Mit der räumlichen korreliert die zeitliche Wirkungskomponente: Auffällig ist die Schnelligkeit, mit der das Arznei-

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'Bartholomäus'

buch von Thüringen (?) aus nach Norden und Süden vorstößt: Um 1200 schon läßt sich der Text fürKärnten belegen (PRIEBSCH, 1916), und zur gleichen Zeit überspringt er die hd.-nd. Sprachgrenze. Ab 1300 beherrscht er die dt. Medizinliteratur, und nach 1400 erst beginnt er der Konkurrenz von -» Ortolfs 'Arzneibuch' zu weichen. Indessen bleibt er für die landessprachige Materia medica auch im 15. Jh. maßgebend (TELLE, 1972, S. 144) und gewinnt über die Hausbuch-Literatur Anschluß an die Neuzeit. 3. Kennzeichnend für den 'B.' ist die S treu Überlieferung: In keiner der Hss. blieb die ursprüngliche Textgestalt gewahrt. Das gilt schon für die Textzeugen des 13. Jh.s, von denen einer fragmentarisch ist und die ändern zwei sowohl Auslassungen wie Umstellungen und Zusätze zeigen. Gut ist die äußere Vollständigkeit einiger Abschriften des 14. Jh.s (beispielsweise London, Brit. Mus., cod. Add. 16892, vgl. PRIEBSCH, 1916, S. 328), doch überwiegen nach 1300 Auszüge und versprengte Rezepte, deren Herauslösung aus dem Textverband strukturbedingt ist und von Integrationsschwächen zeugt: Obwohl der 'B.'-Verfasser die Kapitelstruktur Salerner Kompendien kennt, ahmt er sie nur andeutungsweise nach und reiht die Rezepte zu lose gefügten Gruppen, ohne sie in übergreifende Textstrukturen einzubinden. Dieses Festhalten an der Integrationsstufe des Rezeptars entspricht klostermedizinischer Praxis (W. HIRTH, Med.hist. Journal 12 [1977]), hat aber zu strukturellen Schwächen geführt und den zersetzenden Kräften der Überlieferung zahlreiche Angriffspunkte geboten: Die Rezepte wurden in alle Winde zerstreut, begegnen einzeln oder in Gruppen, sind oft als Bausteine ändern Sammlungen eingefügt (-> 'Düdesche Arstedie', Erhart -»Hesel), und nicht selten haben Schreiber unterschiedliche Überlieferungsstränge des 'B.' verflochten (-> 'Breslauer Arzneibuch', —»· 'Bremer Arzneibuch', 'Leipziger Bartholomäus'). Interessant ist die Kombination von 'echtem' und 'unechtem' Bartholomäus, wie sie sich durch das 'PracticaBartholomaei'-Exzerpt im 'Niederdeutschen Bartholomäus' ergibt.

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Durch das Zerfleddern des Rezeptars wurden die größeren Texteinheiten des Arzneibuchs - die drei Traktate und der 'Antiochus-Brief - freigesetzt: Losgelöst aus dem Textverband haben sie ihre eigene Wirkung aufzuweisen, die vor allem beim Harntraktat ausgeprägt ist (KEIL, 1969; WISWE, 1970; HIRTH, 1977), aber auch beim 'Geier-Traktat' zu weitverzweigter Sonderüberlieferung führte. 4. Diese Streuüberlieferung mündete gelegentlich in fremdsprachige Ü b e r s e t z u n gen. Wir kennen den 'B.' in lat., dänischer und böhmischer Gewandung, doch wurde er nie als Ganzes übersetzt, sondern immer nur in Teilen übertragen. Ausgedehnt ist nur die dänische Fassung (HAUBERG, 1927); das tschechische Exzerpt (Eis, 1954, S. 246-250) beschränkt sich auf wenige Splitter, und ins Lat. wurde bloß der Harntraktat übersetzt: Nachgewiesen sind zwei Rückübersetzungen, die beide zum hd. Überlieferungsflügel gehören und in spätmal. Abschriften erhalten sind; zumindest die ältere stammt aus der Zeit vor 1400 (KEIL, 1963; KEIL, 1969, S.20-29; KEIL, 1970, S. 141-149). L i t e r a t u r . J. HAUPT, Ueber d. md. Arzneibuch d. Meisters B., WSB 71, 1872, S.451-565 (grundlegend; mit Abdruck von Teilen mehrerer Überl.n, vor allem Wien, cod. 2524); F. WII.LEKE, Das [Bremer mnd.] Arzneibuch d. Arnoldus Doneldey (Forsch, u. Funde III 5), 1912; CH. GRAETER (1917, s. Ausg.n) (richtungweisende Quelienunters.); W. KASSUN, Das Utrechter mnd. Arzneibuch gramm. u. exeget. untersucht, Diss. [masch.] Hamburg 1922; A. ELVERT, Sprache u. Quellen d. Wolfenbüttler Heilkräuter- u. Arzneibuches, Diss. [masch.] Hamburg 1923 (Cod. Guelf. 23.3 Aug.); H. REUTERCRONA, De medellägtyska läkeböckerna, Stud. mod. sprakvetensk. 12 (1934) 1-18; G. Eis, Hss.Stud. z. med. Lit. d. SpätMAs, Sudhoffs Arch. 38 (1954) 233-266, bes. 240-250; ders., Mal. Fachprosa d. Artes, in: DPhiA II1103-1215, hierSp.H87;ders./R.RUDOLF, Altdt. Schrifttum im Nordkarpatenraum, 21960, S.57; KEIL, Die mlat. Übers, vom Harntraktat d. 'B.', Sudhoffs Arch. 47 (1963) 417-455; H. ALSTERMARK, Frowein, B., von E. Bartholomäus von Greiz -»Magister Bartholomäus Bartholomäus van der Lake

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Bartholomäus von Montagna

von Moers andererseits stattfanden. Dabei scheint er sich eines besonders guten Verhältnisses zum Herzog erfreut zu haben, der ihn mit Geldgeschenken und dem Bischofshof in Soest als Familienlehen ausstattete, nachdem Soest an Kleve gekommen war (1444). Über B.s Familie ist nur bekannt, daß er mindestens drei Söhne und eine Tochter hatte, an die nach seinem Tode um die Mitte des Jahres 1468 das klevesche Lehen fiel. 2. In den Jahren der Soester Fehde verfaßte B. ein Kriegstagebuch, das unter der Bezeichnung 'De historia van der Soistschen vede' während der Reformation (1533) vermutlich von dem Prädikanten und Coadjutor Johann Pollius überarbeitet wurde und dem Bürgermeister von Soest Johann von Esbeck zugedacht war, um diesen von der Schädlichkeit kölnisch-katholischer Politik für seine Stadt zu überzeugen. Damit wurde die ohnehin schon stark subjektive und nur das Interesse Soests beachtende Tendenz des Werkes noch verstärkt. Die nur in (allerdings zahlreichen) Abschriften überlieferte Chronik gliedert sich in drei Teile, deren erster, der die Vorgeschichte der Fehde von 1438-44 schildert, offensichtlich erst nachträglich und zusammenhängend niedergeschrieben wurde. Der 2. Teil reicht bis 1447 und überliefert in echter Tagebuchform die Ereignisse bis zum Höhepunkt der Fehde mit der Belagerung Soests, über die dann der dritte Teil, den lediglich eine Handschriftengruppe aufweist, ausführlich berichtet. Trotz des engen, nur auf seine Heimatstadt bezogenen Horizontes handelt es sich bei B.s Kriegstagebuch um eine der besten und detailliertesten Quellen zur Soester Fehde, die von zahlreichen späteren Geschichtsschreibern immer wieder herangezogen wurde; vgl. -»Vrischemei.

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Bartholomäus von Montagna (Bartolomeo Montagnafna]) 1. Geboren vor 1400 in Montagna, lehrte B. an den Universitäten Bologna sowie (ab 1422) Padua Medizin und starb gegen 1460 in Padua, nachdem er sich schon 1441 von seinen Unterrichtsverpflichtungen zurückgezogen hatte. Seinen Ruhm verdankt er scharfer Beobachtungsgabe, die er durch Fallstudien sowie Leichen-Sektionen schulte und die ihm überragenden Heilerfolg bescherte: Es schien, als sei er in der Lage, selbst incredibiles depellere morbos et vitae exanimos reddere paene viros. 2. Unter seinen Werken, die teilweise bis ins 17. Jh. immer wieder aufgelegt wurden, sind die 'Consilia medica' von 1436 am wichtigsten: sie bieten 305 Krankengeschichten und werden durch die 'Consilia sex et trecenta' ergänzt. Bedeutung erlangten gleichfalls die drei Bücher 'De balneorum varietate, facultate et usu' sowie das 'Antidotarium', das von 1497 bis 1665 mehrfach aufgelegt wurde und auch landessprachig überliefert ist. 3. Die deutschsprachige Ü b e r s e t z u n g des ' A n t i d o t a r i u m ' ist im ersten Faszikel des cgm 3724 (5r-13v) überliefert, der um 1490 in München angelegt wurde und auch Teile der Vorlage enthält. Diese lat. Vorstufe (16r; 22r-24r = 2. Faszikel) bietet aus dem 'Antidotarium' nur einen Auszug, indem sie bloß ein Viertel der Vorschriften berücksichtigt und nach der Arzneimittelform reiht (Salben; Pflaster; Pulver; Wässer und Öle). - Bearbeiter und zugleich Übersetzer war vielleicht der Dunger, ein bairischer Wundarzt des 15. Jh.s, der vermutlich in München wirkte und den schmerzenden Arm von hern Bernhart Pientzenawer dem ritter mit Hasenschmalz kurierte. A u s g a b e . BRACHVOGEL, S.81-94.

L i t e r a t u r . HANSEN/JosTES, S.XIIHXLI; W.-H. DEUS, Die Soester Fehde. Fs. d. Stadt Soest z. 500. Jahrestage d. Beendigung der Soester Fehde am 27.4.1449, 1949; H. ROTHERT (Hg.), Das älteste Bürgerbuch d. Stadt Soest 1302-1449,1958.

L i t e r a t u r . E. GURLT, Gesch. d. Chirurgie I, 1898, S.880-883; M. NEUBURGER/]. L. PAGEL, Handbuch d. Gesch. d. Medizin I, 1902, S.676; M. NEUBURGER, Gesch. d. Medizin II l, 1911, S.442,507f.; J. L. PAGEL/ W. HABERLING, B.M., in: Biograph. Lexikon d. hervorragenden Ärzte aller Zeiten u. Völker IV, 21932, S.245; G. BRACHVOGEL, Das 'Münchner Salbenbuch' Diss. München 1973, S.22-26, 32f.

THOMAS SANDFUCHS

G. KEIL

A u s g a b e . Chron. dt. St. 21 (Soest), hg. v. J. HANSEN/F. JOSTES, 1889,5.1-171.

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Bartholomäus von Montfort-Bartholomäus von Pisa

Bartholomäus von Montfort Die Schriftensammlung des -> Juden von Salms läßt auf das 'Decretarium' von Johannes -> Jacobi einen chirurgischen Text folgen, der im Erlanger Kodex (Hs. 1376) auf Bl. 134r beginnt und bis 141V, vielleicht bis 159r reicht. Er ist, wie zahlreiche Romanismen zeigen, aus dem Französischen bzw. aus einer an Gallizismen reichen Vorlage übersetzt und beginnt mit einem chirurgischen Antidotar, dem sich nach mehreren Einschüben ein pathologisch gegliederter Abschnitt anschließt. Als Verfasser nennt sich Bartholomeus von Montfort (momfart)ain wunden maister(l34T, 134va/b), der nach französischem Stil praktiziert (ein meyster artznige sol nust mitt der hant wirchen jn banden, dan alleyn er sal vnder wißen sin knecht diß zu dhune, want zu großen herren daß ir nutz ist vnd jre Ion groß ist), vielleicht am College de St. Cöme zu Paris ausgebildet wurde (der naturlich meister ... wirt kunt nach der schryfft vnd dem menschen als i[s]t gematurt ist) und sich scharf von den 'chirurgiens-barbiers' absetzt (die scherrer ...en weßent nust von naturlicher kunst, vnd höret zu jn nust zu kummen wane buren vnd grob volck). Trotzdem übernimmt er Verfahren aus der Laienmedizin, beispielsweise ein Pflaster von einem ungarischen Mönch (134b das selbe plaster leret mich ein monch vß vngerne). SUDHOFF ( J VL V27f.) hatB. v. M. zu Graf Simon von Montfort in Beziehung gesetzt, als dessen Leibwundarzt Wilhelm Burgensis praktizierte. Mein Hinweis auf —»Bartholomäus von Montagna hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich, obwohl Montagna Ungarn bereiste. Noch abwegiger ist es, B. v. M. wegen seines ungarischen Gewährsmanns mit Bartholomaeus Squarcialupis de Plumbino ineinszusetzen oder mit dem Zipser Pest-Autor Bartholomäus von Münsterberg (Monstriberg) (vgl.E.ScHULTHEiss, Beitr. z. Gesch. d. Pharm. 13 [1961] 28 f., 14 [1962] 28f.;G.Eis, Anschnitt 14 [1962],Heft 3, S. 9-11; CH. HAGENMEYER, Südostforsch. 24 [1965] 241-250). L i t e r a t u r . G. KEIL, Die 'Cirurgia' Peters v. Ulm, 1961,5.140. G>KEIL

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Bartholomäus von Münsterberg -»Bartholomäus von Montfort Bartholomäus von Pisa (oder San Concordio) 1. Um 1260 (vielleicht 1262) in San Concordio bei Pisa als Angehöriger der Familie der Granchi geboren, trat er bereits im jugendlichen Alter zu Pisa bei S. Caterina Vergine e Martire in den Dominikanerorden ein. Zugeschrieben wird ihm ein Studium in Bologna und Paris, jedenfalls ist er seit 1291 als Lektor seines Ordens u.a. in Anagni, Todi, Rom, Arezzo, Florenz, Pistoia, S. Giminiano und vor allem in Pisa tätig, wo er am 2. oder 11.7.1347 stirbt. Mit dieser Lehrtätigkeit im Zusammenhang steht ein weitausgebreitetes literarisches CEuvre in lat. Sprache (vgl. KAEPPELI), von dem nur die 'Summa de casibus conscientiae' eine deutschsprachige Rezeption gefunden hat. 2. 'Summa de casibus conscientiae' (auch 'Summa Pisana', 'Pisanella', 'Magistruccia' oder 'Bartholomaea') Das Werk gehört zur Gattung der Beichtsummen und war 1338 fertiggestellt (dieses Datum in mehreren alten Hss., z.B. Parma, Bibl. Palatina, cod. 11137). Als Motiv der Abfassung nennt B. die Notwendigkeit, die 'Summa confessorum' des —> Johannes von Freiburg durch Verarbeitung des seit deren Erscheinen publizierten Kirchenrechts (Liber Sextus, Clementinen, Extravaganten) und der neueren kanonistischen Literatur (v. a. Johannes -»Andreae) den veränderten Verhältnissen anzupassen. Er verläßt dabei die systematische Gliederung des Stoffes und ordnet die Stichworte aus kanonischem Recht und Morallehre in alphabetischer Reihenfolge. Dabei konnten ihm die Tabula' des Johannes v. F. und die 'Summa' des Franziskaners Monaldus (abgefaßt vor 1274) als Vorbild dienen. Die Substanz der 'Summa confessorum' des Johannes wird dabei übernommen, oft der Text wörtlich wiedergegeben; der Stoff wird jedoch stark gestrafft, die Diskussion der Autoritäten reduziert. Die 'Pisana' ist somit stärker auf die Bedürfnisse der Beichtpraxis zugeschnitten, das Ziel der Vollständigkeit tritt demgegenüber zurück. Durch die häufige Zitierung der 'Secunda secundae' des Thomas von Aquin kommt ihr auch eine bedeutende Stellung in der Thomasrezeption zu. Den Erfolg des Werkes - Vorbild und Grundlage fast aller späteren Beichtsummen bezeugen über 600 Hss. und sieben Inkunabeldrucke.

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Bartholomaeus Salernitanus

Offenbar noch im 14. Jh. erfolgte eine Übertragung ins Italienische (24 Hss.); eine spanische Übersetzung ist durch einen Druck von 1482 bekannt.

3. D e u t s c h s p r a c h i g e R e z e p t i o n Ü b e r l i e f e r u n g . Bremen, StB u. ÜB, cod. a 23 von 1456 (B); Stuttgart, LB, cod. HB VI 93, l-309r (S). Eine A u s g a b e fehlt; Proben bei W. STAMMLER, Prosa d. dt. Gotik, 1933, S. 86f. (3 Abschnitte nach S).

Beide Hss. stammen aus dem md. Sprachgebiet und sind um die Mitte des 15. Jh.s entstanden. Sie geben keine Hinweise auf Verfasser und Zeitpunkt der Übertragung, die die Reihenfolge der Stichworte in der lat. Vorlage beibehält.

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lerns gehört. Der Text wurde mehrfach kommentiert und hat ins Salerner Korpus 'De aegritudinum curatione' (2. H. 12. Jh.) mit zahlreichen Kapiteln Eingang gefunden (Traktat II und III). Ü b e r l i e f e r u n g . 13 lat. Textzeugen verzeichnen THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp.773, 1080, 1375. Zur Überl. der dt. Fassungen vgl. die zitierten Stichwörter. A u s g a b e des lat. Textes: S. DE RENZI (Hg.), Collectio Salernitana I-V, Neapel 1852-1859, Neudr. (Bibl. stör. med. II1-5) Bologna 1967, IV 321-406, vgl. II 81-385, 737-767.

'Vortreffliche' Beobachtung und übersichtliche Diagnostik gaben dem Werk auch für den landessprachigen Arzt Bedeutung: Die Hss. bedürfen noch eingehender Untersuchung. Erste Anklänge im dt. Schrifttum finden sich Der Schreiber von S brach mitten in der Übertragung vor 1200 beim -> 'Bartholomäus', dessen des Artikels monachus ab. Der Übersetzer hat offenbar Titel auf die 'Practica Bartholomaei' abzuvor allem in den Zitaten der Autoritäten Kürzungen heben scheint, doch kommt es zur Übervorgenommen und eine Reihe von Artikeln unübersetzung einzelner Abschnitte erst im 13. Jh., setzt gelassen. Stichproben ergeben, daß S am Schluß wobei der 3. Traktat mit seinen anatomisch für die lat. Artikel mercato, meretrix, meritum, metus, gereihten morbi particulares im Vordermilitia, miserabilis persona, missa, mollifies nur die Abschnitte vordienst, ritterschaft, torstige person und grund steht. messe hat. In B folgt auf scismai'abetretunge unmittel2. Die dt. medizinische Fachprosa ist von bar die Übersetzung des Stichworts uxor, so daß fast zahlreichen B.-Exzerpten durchsetzt, deren 60 Artikel übersprungen werden. Überlieferung wahrscheinlich weiter streut, Die schmale Überlieferung deutet den ge- als die bisher erfaßten Textzeugen erkennen ringen Erfolg der Übertragung an, die der lassen. a) Am Anfang deutschsprachiger B.-ReSumme des Bruder -> Berthold (von Freiburg) offenbar keine Konkurrenz zu machen zeption steht -»Ortolf von Baierland, der vermochte. Da der Übersetzer anders als den 5.Teil (liparzeme) seines 'Arzneibuchs' dieser bei seiner Bearbeitung der 'Summa weitgehend aus 'Practica'-Exzerpten zuconfessorum' auf eine Neuordnung der Ar- sammenfügt. tikel verzichtete, war die Übersetzung als b) Ausgedehnten Gebrauch von der Abecedar nicht mehr anwendbar, ein Man- 'Practica Bartholomaei' machte im 14. Jh. gel, dem offenbar auch die in B enthaltenen ein sächsischer Kompilator, der sein ReRegister nicht abzuhelfen vermochten. zeptar vor allem dem hd. 'Bartholomäus' entlehnte ('Mnd. ->Bartholomäus'), daL i t e r a t u r . Vgl. KAEPPELI, Scriptores, S. 157-168; neben aber auch mehrere Kapitel (37-49) W. SCHMIDT, PBB (Tüb.) 86 (1964) 351 f. (z.Hs.S). aus dem echten B. übernahm (CH. GRAETER, PETER JOHANEK Ein Leipziger dt. Bartholomäus, Diss. Leipzig 1917, S. 1-7). Bartholomäus von Reichersberg -»Hoyer, c) 'Practica'-Versatzstücke begegnen dargenannt Schirmer, B. über hinaus in mehreren Kompilaten des SpätMAs, beispielsweise im -> 'Bremer ArzBartholomaeus Salernitanus neibuch' oder bei —> Albrecht van Borgun1. B. S., Schüler Konstantins von Afrika, nien. Vielleicht ist auch das eigenartige verfaßte in der Mitte des 12. Jh.s ein medi- haupt-sucht-Kapitel Erhart -»Hesels auf zinisches Lehrbuch, das sich in drei Trak- B. S. zurückzuführen. - Gleichlautende B.tate gliedert, auf die ärztliche Praxis zielt Exzerpte im -»'Liber Avicenne' (c. 7-30) ( ' P r a c t i c a B a r t h o l o m a e i ' ) und zu den und im -»'Medisch Vademecum' aus Hewirkungsmächtigsten Schriften Hochsa- verlee zeugen von einer 'Praktika'-Über-

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Bartoldus von München-Basilius der Große

setzung, die eine Vielzahl therapeutischer Kapitel umfaßte und schon zu Beginn des 14. Jh.s im Süden der Niederlande entstand. L i t e r a t u r . W. BRAEKMAN, Een Mnl. medisch vademecum uit het hs. van de Norbertijnerabdij te Heverlee, VMKVA (1971) 287-338, bes. 290.

G. KEIL Bartoldus von München Wundarzt des 15.Jh.s, mit Johann -> Schenk von Würzburg Kriegschirurg beim Kampf gegen die Türken (1480 vor Rottenmann in der Steiermark). Schenk nahm von B. eine längere dt. Anweisung zur Behandlung von Pfeilschußwunden ('De sagita') in seine 'Cyrurgia' von 1481 auf, zu der er bezeugt: So han ich daz gelert vnde gesehen von meyster bartoldus von monchen, do wir zu dem roden man lagen widder dem durcken. Hg. v. K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA 2 (1918) 571. PETER ASSION Bartolus von Saxoferrato -> Möhlen, Albert Bartscherer -* Johannes B. Barz, Heinrich Der Name dieses Meistersingers findet sich zuerst in der 1517/18 von Hans Sachs geschriebenen Hs. Berlin, mgq 414, in einer Tonangabe (346V: Heinrich Parcz langer don). In Töneregistern des 16. und 17. Jh.s erscheint B. - stets mit der Angabe 'von Frankfurt' - unter den 'Alten Nachdichtern', vgl. K.J.SCHRÖER, German. Stud. (Suppl. zur Germ.) 2 (1875) 222 (1590; Päetz) und F.STREINZ, Der Iglauer Meistergesang, 1958, S. 100 (1562) und 156 (1613; Partsch bzw. Heinrich Partsch), ferner G. MÜNZER, Das Singebuch d. Adam Puschman, 1906, S. 22 (Heinrich Bartes). Demnach hat B. vermutlich um 1500 gelebt. Archivalisch ist er bisher nicht nachgewiesen. Gedichte B.' sind anscheinend nicht erhalten. Sein Name ist im 16. und 17. Jh. mit einem einzigen Ton, dem 37reimigen Langen Ton, verknüpft (metrisches Schema gedr. bei F. H. ELLIS, PMLA 61 [1946] 969; die ungedr. Melodieüberl. verzeichnet R. STAIGER, Benedict von Watt, 1914, S.82f. unter Bart, Heinr., dazu kommt Puschmans Aufzeichnung in Dresden, LB, cod. M 6, 408"-409V; die Niederschrift in Pusch-

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mans 'Singebuch' ist mit dieser Hs. verschollen). Durch die zahlreichen Pausenreime (vier in jedem Stollen, zwei im Abgesang) zeigt der Ton Verwandtschaft mit zeitgenössischen Tönen wie Konrad —> Nachtigalls Goldenem Ton, -vFolz' Kettenton, —»Drabolts Goldener Tagweise, ->Singers Freiem Ton und Lienhard -»Nunenbecks Chorweise und Straßweise; 'klassisches' Vorbild dieses Tönetyps war Heinrich -»Frauenlobs Goldener Ton. Hans Sachs hat B.' sonst wenig gebrauchten Langen Ton fünfmal verwendet, vgl. E. GEIGER, Der Meistergesang d. Hans Sachs, Bern 1956.

HORST BRUNNER Basilius der Große 1. Eine mhd. Fassung des dem Kirchenvater Basilius von Cäsarea (329/31-379; Ausg.: PG 29-32 [gr.-lat.]) zugeschriebenen Traktats 'De laude solitariae vitae' (gedruckt unter den Werken des -> Petrus Damiani PL 145, Sp.246D-251B) begegnet in den Hss. Köln, Hist. Arch., cod. G.B. 2 136 (1. H. 15.Jh., 16V-19", Titel: 'von eynsiedelichem leben'); München, cgm 828 (v. J. 1480, 153'-16 ); Wien, cod. 2840 (Mitte 16. Jh., [unvollst.]); mndl. Fassung Haag, Kgl. Bibl., cod.73 H16 (v. J. 1471, 166v-176r, Titel: 'van den eynliken leven'), 133 F 27 (Mitte 15. Jh., 94r-99' [unvollst.]); weitere Hss. DE VRF.ESF. l 219. - Abdruck: J. VAN VLOTF.N, Verzameling nederlandsche Prozastukken, o.O. 1851, S. 330-332 (Teilabdruck nach Hs. Haag 73 H 16).

2. Die zuletzt genannte Hs. enthält auf Bl. 163r-166r ein weiteres Werk des B. mit dem Titel 'wie voel nutter dattet is in eyne guede vergaderinghe te sijn dan alleyne', wobei es sich um eine Übersetzung von Interrogatio 7 der 'Regulae fusius tractatae' (Quod vita agenda sit cum Us, qui eodem animo impulsi, Deo placere sibi proponunt et quod difficile simulque periculosum sit, solitarium vivere, PG 31, Sp. 927B-934C) handeln dürfte. - Ein Teil der Interrogatio 5 aus den gleichen Regulae (PG 31, Sp. 919B) findet sich verdeutscht im letzten Abschnitt der 'Ler von der aygen erkantnus', einer mhd. Übersetzung der 'Spiritualis philosophia' des -> Johann von Kastl; Überlieferung WAGNER, S. 58-69, Abdruck ebd., S. 173. 3. Zwei Lübecker Hss. des 15. Jh.s, StB, Ms. theol. germ. 24, 37r-38v und Ms. theol. germ. 65 (HAGEN, S. 53) bringen ein Stück'Von der Verleumdung' (nach B.), das mit der (unechten ? - siehe PG 31, Sp. 43^9) Homilie 'Adversus eos qui per calumniam dicunt dici a nobis deos tres' (PG 31, Sp. 43-49 identisch sein könnte.

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'Basler Predigten'-'Basler Rezepte'

L i t e r a t u r . W. DE VREESE, De handschriften van Jan van Ruusbroec's werken 1,1900; P. HAGEN, Die dt. theologischen Hss. d. Lübeckischen StB, 1922; R. WAGNER, Ein nücz und schone ler von der aygen erkantnuß (MTU39),1972.

VOLKER HONEMANN

'Basler Fastnachtspiel' ->· 'Basler Teufelsspiel-Fragment' 'Basler Predigten' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Basel, ÜB, cod. G 2 II 58, 253r bis 281r (Ba); Berlin, mgq 1486 (in größerer Sammlung) (B); zu Teilüberl.n vgl. MERTENS, 1971, S.38-43; MoRVAY/GRUBE,S.23f. (dort wird München,cgm 531, 81vb-83ra irrtümlich dieser Sammlung zugeordnet). 2. A u s g a b e n . W. WACKERNAGEL, Die altdt. Hss. d. Basler DB, Basel 1836, S. 21-25 (Nr. 6 nach Ba); ders., Altdt. Pred., S. 43-60 (Nr. 1-5, 8-10 nach Ba); V. MERTENS, in: Würzburger Prosastud. I (Medium Aevum 13), 1968, S. 102-121 (Nr. 6 krit.); ders., Das Predigtbuch d. Priesters Konrad (MTU 33), 1971, S.250-281 (Nr. 1-5, 8-11 krit.).

3. Obwohl beide Hss. erst der 2. Hälfte des 14. Jh.s angehören, sind die 10 Sermones, wie ihre Beziehungen zu älteren Sammlungen nahelegen, wohl noch im 12. Jh. im obd. (bair. ?) Raum entstanden. Ba gibt einen Auszug aus einer vollständigen Sammlung (Vorlage von B): \-A Commune Sanctorum, 5 Kirchweih, 6 Jüngstes Gericht, 7 zehn Marienlegenden (Übers.n aus dem —> 'Magnum Legendarium Austriacum'); 8 und 9 Mariae Himmelfahrt, 10 Mariae Geburt, 11 Petri Kettenfeier. 4. Für die Predigten des Commune Sanctorum sind keine unmittelbaren Quellen nachweisbar, für die anderen Predigten sind es lat. Homilien und Schriftkommentare, als Zwischenstufen werden lat. Predigten anzusetzen sein. Nr. 6 enthält eine nur hier nachweisbare Fassung der FünfzehnZeichen-Legende, die der im 'Jüngsten Gericht' der Frau ->· Ava nahesteht (MERTENS, 1968, S. 115-121). 5. Thematische Zusammenstellung und Bearbeitungstendenzen weisen auf den gegenüber der ursprünglichen Bestimmung veränderten Zweck: nicht mehr Hilfe für die Predigtvorbereitung, sondern erbauliche Lektüre. Kennzeichnend dafür ist die Kürzung von typisch homiletischen Formteilen wie lat. Zitaten, Anfang und Schluß.

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L i t e r a t u r . MERTENS, 1971 (s. Ausg.), S. 23-27, 49-52, 301-308; MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr.,

s. 23 f. (T 29).

VOLKER MERTENS

'Basler Rezepte' Drei noch vor 800 in Fulda von verschiedenen ags. Händen auf f. 17r der jetzt in Basel, ÜB, aufbewahrten Hs. F. III. 15 a (Isidor, 'De ordine creaturarum') eingetragene Rezepte, die ersten beiden zweispaltig hintereinander, das dritte langzeilig darunter, aber wohl vor dem zweiten geschrieben (KOEGEL) ; f. 17V-18V folgen der älteste Fuldaer Bibliothekskatalog und lat. Blutsegen. Der 1. Text ist lat., die beiden anderen sind die ältesten Denkmäler dt. medizinischer Prosa und wohl die ältesten zusammenhängenden dt. Texte überhaupt. Das lat. Stück enthält ein Fiebermittel (anders STEINMEYER, S.41: ein 'Trank wider Epilepsie'), das an ihn anschließende eine auf mehr als den doppelten Umfang erweiterte, im einzelnen abweichende Nachbildung des gleichen Rezepts in ostfrk. Mundart (mit bair. Einschlag). Das kürzere dritte überliefert unter der Überschrift uuidhar cancur ein Rezept gegen Hautgeschwüre, die mit einem Gemisch aus gebranntem Salz, Seife und Austerschalen (aostorscala^ia)} gerieben werden sollen unz d$z iz blöde. Aus Parallelen bei -» Albertus Magnus, 'De animalibus', und einer arab. Quelle 14. Jh.s hat Eis (1951, S. 23 ff.) gefolgert, daß es bei Pferden angewendet worden sei. Die ags.-bair. Sprachmischung des 3. Rezepts wurde entweder mit einer ags. Vorlage (WACKERNAGEL, SCHERER in MSD, EHRISMANN) oder als mißglückter Versuch eines ags. Schreibers erklärt, einen hd. Text aufzuzeichnen (KOEGEL, STEINMEYER, HEFFNER). BAESECKE glaubte die Annahme einer ags. Quelle durch Parallelen aus Rezepten des ins 9. Jh. zurückreichenden 'Laecebok' (ed. G. LEONHARDI, Bibl. d. ags. Prosa 6,1905, S. 1-109) erhärten zu können, doch hat Eis (1951) dies mit dem Hinweis entkräftet, daß dort gerade die für den Fuldaer Text charakteristischen Stellen fehlen (Austerschalen, Reibevorschrift). Mit Berufung auf die antike Auster-

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'Basler Sammlung lateinischer Gedichte'

schalentherapie (Plinius, Hist. nat. XXXII 21, 64 f.) spricht Eis sich für eine lat. Vorlage aus, die in Baiern übertragen und dann von einem ags. Mönch mit Interesse 'an der medizinischen Literatur Deutschlands' kopiert worden sei (S.26f.). Daß eine lat. Quelle insulare Tradition nicht ausschließt, lehrt indessen die Provenienz des lat. Blutsegens f. 18r (zu ihm zuletzt A.A. BARB, Fs. G. Eis, 1968, S. 485^93). Einige über STEINMEYER hinausführende Textbesserungen hat - in erneutem Rekurs auf das 'Laecebok', aber ohne Ansatz einer ags. Vorlage - HEFFNER gewinnen können. L i t e r a t u r . Faksimile: M. ENNECCERUS, Die ältesten dt. Sprachdenkm., 1897, Taf.17; G. Eis, Altdt. Hss., 1949, S. 26f. - H. HOFFMANN (VON FALLERSLEBEN), Vindemia Basiliensis, Basel 1834 (Erstveröff.); W. WACKERNAGEL, Die altdt. Hss. d. Basler ÜB, Basel 1836, S.8f.; MSD l 222f. (Nr.62); II 356f.; KOEGEL, LG I 2, S. 497-499; STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 39 bis42 (Nr. VII); EHRISMANN, LG 1362f.; G. BAESECKE, Der Vocabularius Sti. Galli, 1933, S. 114-118; R.-M.S. HEFFNER, The third Basel recipe, JEGP 46 (1947) 248 bis 253; Eis, Austernschalen, Stud. z. altdt. Fachprosa, 1951, S. 11-29; I. SCHRÖBLER, Fulda u. d. ahd. Lit., Lit.-wiss. Jb. d. Görres-Ges. NF l (1960) 7f.; B. BISCHOFF, Paläograph. Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 112.

HANS-HUGO STEINHOFF 'Basler Sammlung lateinischer Gedichte' 1. Florilegienartige Textsammlung von 68 Stücken, die ein anonymer Basler Kleriker Ende des 13.Jh.s ohne erkennbare Systematik zusammenstellte, überliefert im cod. D.IV.4 der ÜB Basel (Konvolut von Einzelhss. des 13. und 14. Jh.s), 69r-80r. Der Schreiber ist gewiß nicht, wie WERNER, 1908 (S. 452 u. 495f.), anzunehmen scheint, stets auch der Autor jener zahlreichen Carmina der Sammlung, die allein in ihr überkommen sind. Möglicherweise hat er einzelnes selbst verfaßt, doch nahm er sicher auch Texte anderer zeitgenössischer Autoren mit auf (s. u. 3). Einiges weist dabei auf den Basler Dominikanerkonvent hin, aus dessen Bibliothek die Hs. auch stammt (WERNER, 1908, S.452f.). Zur Datierung der Hs. s. WERNER, 1908, S. 452, und 1909, S. 167 (Vor 1291'). Ausgabe. WERNER, 1908, S.454-^95 (s.Lit.).

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2. Die Sammlung enthält zu mehr als einem Viertel auch andernorts überlieferte Texte: Hymnen (Nr. 19, 36,39,61), moralistische (Nr. 22 u. 27) und erotische (Nr. 28 [= CB 178] und, Walther von Chatillon gehörig, 29) Carmina, Hildeberts von Tours Hermaphroditus-Epigramm (Nr. 57), zwei Streitgedichte (Nr. 24 u. 26), darunter das bekannte Taurum sol intraverat, dann als umfangreichste Dichtung —> Embrichos von Mainz 'Vita Mahumeti' (frgm.); hinzu kommen Beispielreihen und Merkverse (Nr. 18, 37, 52), Computusverse (Nr. 59, 66) sowie Prosastücke (Nr. 38 ein Exzerpt aus Flavius Josephus über die Germanen, Nr. 60 eine Aufzählung der vier Teufelstöchter) und ein Brief Friedrichs von Thüringen an König Enzio von 1270 (Nr.52a). Für alles übrige lat. Versgut der Hs., auch für den einzigen dt. Text, ein Reimgebet an Maria Magdalena (Nr. 35), ist weitere Überlieferung nicht bekannt. Dieser besondere eigene Bestand der Basler Hs. umfaßt zu einem kleineren Teil geistliche, vielleicht auch liturgische Dichtungen (Nr. 34,43, 62, 63), darunter in auffälliger Zahl Weihnachtslieder und -rufe (Nr. 1-3, 30, 31, 35, 37, 41). Unter den weltlichen Texten, die bisweilen sehr kunstvolle Strophenformen verwenden (Nr. 20,21,25,27,35,40), zeigen viele einen Zusammenhang mit Basel. Eine Reihe von namentlich angesprochenen, erhofften oder auch wirklichen Mäzenen (Nr.4 und 14 Bischof von Basel; Nr.6 ein Dr. decretorum Egidius; Nr. 7 der Kantor des Münsterstiftes Dietrich am Orte, auch als Mäzen —> Konrads von Würzburg bekannt; Nr. 8 Johannes von Wilon; Nr. 16 und 44 Peter Reich, seit 1286 Basler Bischof; Nr. 32 ein frater Conradus; Nr. 47 ein nobilis Henricus) verweisen auf den Bischofshof (vgl. auch Nr. 11 und 42), das Stadtpatriziat und die Ordensgeistlichkeit als Publikumskreis dieser Dichtungen. Gleiches gilt auch für die Texte, die sich auf politische Zeitereignisse des ausgehenden 13. Jh.s in Basel (Nr. 5,10,15) und auf Vorgänge aus der Zeitgeschichte beziehen (Nr. 49 Wahl Rudolfs I. von Habsburg zum deutschen König 1273; Nr. 48 Konflikt zwischen Rudolf I. und Ottokar II. von Böhmen 1278), die z.T. besonders aus Basler Sicht interes-

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'Basler Teufelsspiel-Fragment'

sant waren (Nr. 9 Wahl des Mainzer Erzbischofs Heinrich von Isny 1285, der zuvor Bischof von Basel gewesen war; Nr. 55 und 56 Epitaphe auf Hartmann von Habsburg, der 1281 im Oberrhein ertrank). Wer die Autoren all dieser Texte waren, läßt sich nur vermuten (s. u. 4). In einigen Fällen ergeben sich Hinweise auf den literarischen Standort des jeweiligen Dichters (Nr. 12,13, 20,23,45). Auch autobiographische Einzelheiten (Nr. 4 Bitte um Wiedererlangung einer Pfründe; Nr. 54 Bitte um eine Pfründe in Rappoltsweiler/Oberelsaß) und lokale Hinweise (Nr. 65 Schilderung eines Brandes von Breisach) finden sich. 3. Als Anhalt für die Datierung der einzelnen Texte der Sammlung können die Stücke dienen, die eindeutig auf historische Personen und Ereignisse zu beziehen sind (Nr. 49: 1273; Nr. 44: 1274/75; Nr. 15: 1274 oder 1286; Nr. 48:1278; Nr. 55 und 56: 1281; Nr.9: 1286). Danach dürften die Texte der Basler Hs., sieht man von der Gruppe der älteren und andernorts überlieferten ab, aus der zweiten Hälfte des 13. Jh.s stammen. Der Großteil davon wird wohl sogar in den rund zwanzig Jahren zwischen 1270 und 1290 entstanden sein. Die Autoren sind mit Sicherheit im oberrheinischen und schweizerischen Einzugsgebiet Basels sowie in der Stadt selbst zu lokalisieren. Ihren unterschiedlichen sozialen Status lassen die Verse erschließen. Fahrende sind ebenso vertreten wie Kleriker und Ordensgeistliche. Ein Teil der Verse dürfte sicher von dem Lektor des Basler Dominikanerklosters namens ->· Heinrich stammen, der in den 70er und 80er Jahren des 13. Jh.s wirkte und zugleich als Arzt tätig war (vgl. MGH SS XVII 24441f- und DA 28 [1972] 459). Von ihm sind etliche lat. Verse bekannt (hg. MGH SS XVII 239f.). Für seine Autorschaft spricht neben formalen und thematischen Berührungspunkten zwischen den von ihm belegten Versen und Stücken der Basler Sammlung vor allem die Herkunft der Hs. aus dem Dominikanerkloster (s. o. 1). Texte aus der Basler Sammlung könnten auch von dem Prior Henricus des Basler Predigerkonventes stammen, der laut -> Colmarer Dominikanerchronisten rithmos Theutonicos bonis mulierculis ac devoüs verfaßt hat

(MGH SS XVII 23336r); ihm wäre dann vielleicht das dt. Reimgebet (Nr. 35) zuzuschreiben. Eine Lokalisierung der Basler Gedichtsammlung im Konvent der Dominikaner erscheint insgesamt als plausible Hypothese. Das Bruchstück (Nr. 48) über den Konflikt Rudolfs I. von Habsburg mit dem Böhmenkönig Ottokar II. dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit aus -> Konrads von Mure nahezu völlig verloren gegangenem Epos 'De victoria regis Rudolfi contra Odeacrum regem Bohemorum' stammen (vgl. KLEINSCHMIDT, S.313ff.). Die Form der Dichtungen in der Basler Sammlung spiegelt ein vielfältiges Repertoire und ist z.T. sehr kunstvoll (Akrotelesticha, komplizierte Reimtechniken und Strophenformen). Insgesamt überwiegt der Hexameter, vor allem in leoninischer Form, aber auch eine Reihe von Texten in Vagantenstrophe findet sich. Die Sammlung dürfte insgesamt einen repräsentativen Querschnitt von Themen und Formen bieten, die im deutschen Südwesten des ausgehenden 13. Jh.s im Bereich lat. Dichtung aktuell waren. Etliche Texte sind offenkundig nur Fragmente (Nr. 13,27,48,50). Sie verweisen zusammen mit dem Befund eines augenscheinlichen Schreiberinteresses für artifizielle Textformen darauf, daß der Zweck der Zusammenstellung die Anlage einer Mustersammlung war. Zum Teil wird für die Aufnahme eines Textes auch lokales Interesse des Schreibers oder sogar ein Autorenkontakt maßgebend gewesen sein. L i t e r a t u r . J. J. WERNER, Poetische Versuche u. Sammlungen eines Basler Klerikers aus d. Ende d. 13.Jh.s, GGN 1908, S.444-4%; ders., Zur mlat. Spruchdichtung, RF 26 (1909) 167-180 (zur Hs.); RABY, Sec. Lat. Poetry II 279-282; G. BONER, Das Predigerkloster in Basel von d. Gründung bis z. Klosterreform 1233-1429, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskunde 33 (1934) 195-303 u. 34 (1935) 107-241 (zum Basler Dominikanerkonvent) ; TH. LATZKE, Der Topos Mantelgedicht, Mlat. Jb. 6 (1970) 109-131, hier S.129f.; E. KLEINSCHMIDT, Herrscherdarstellung (Bibl. Germanica 17), 1974, S. 155-160 (zu Nr.48).

ERICH KLEINSCHMIDT 'Basler Teufelsspiel-Fragment' Ü b e r l i e f e r u n g . Dieses Frgm. ist in einem gemischten Hss.-Konvolut der ÜB Basel, Sig. N.1.2, Nr. 91, enthalten.

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'Basler Totentanz'-Bassenhaimer, Johannes

A u s g a b e n . G. BINZ, ZfdPh 32 (1900) 58-63; F. CHRIST-KUTTER, Frühe Schweizerspiele (Altdt. Übungstexte 19), Bern 1963 (u.d.T. 'Basler Fastnachtspiel').

BINZ datiert die Hs. auf das zweite Drittel des 15. Jh.s. Das Fragment umfaßt nur 154 Verszeilen. Seine Sprache hat baslerischelsässischen Einschlag. Es scheint sich um die Kopie aus einem größeren geistlichen Spiel (Osterspiel, Passionsspiel) zu handeln. Das Spiel beginnt in der Hölle, wo Luzifer seine Teufel ausschickt, um die leergewordene Hölle mit Sündern wieder aufzufüllen. Einer der bekanntesten Sünder in zeitgenössischen Ständesatiren ist der Wucherer. Hier ist er zentrale Figur. Es fällt auf, daß er nicht, wie in zeitgenössischen Spielen üblich, seine Sünden selbst aufzählt, sondern in realistischem Dialog mit seinen Leibeigenen vorgestellt wird (Einfluß aus frz. oder ital. Sprachraum?). L i t e r a t u r . W. CREIZENACH, Gesch. d. neueren Dramas, 1911; RUPPRICH, LG, S.283f.; R.M. KULLY, Die Ständesatire im dt. geistl. Schauspiel d. ausgehenden MAs, Basel 1966.

FRIEDERIKE CHRIST-KUTTER 'Basler Totentanz' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Friedhofmauer des Dominikanerklosters zu Großbasel, ca. 1440, 1805 abgebrochen; Text hg. v. H. FRÖHLICH, Lobspruch an d. Statt Basel, Basel 1581; ders., Zwen Totentäntz, Basel 1588; J.J. MERIAN, Todtentanz, Basel 1621 u.ö.; Hs. des E.Büchel, 1773 (Kupferstickkab. Basel A102) u.a.; Kreuzgang des Dominikanerklosters Klingental zu Kleinbasel, ca. 1450, 1860 zerstört; Text in Hs. des E. Büchel, 1766 (Kupferstickkab. Basel A106). - Beide Texte krit. hg. v.MASSMANN, T. I-XII.

2. 'Großbasier Totentanz'. Der wohl als Bilderbogen verbreitete sogen. -»'Würzburger Totentanz', der nach der Bußpredigt eines Dominikaners 24 neu verstorbene Standesvertreter im Reigentanz mit verwesten Toten (Armseelenqual) zeigte, wurde anläßlich des Pestjahres 1439 für Großbasel um 15 Vertreter der Stadtkultur erweitert. Trennung des Reigens in Einzelpaare macht wahrscheinlich, daß eine hsl. Buchvorlage in Art des Totentanzblockbuches München, cod. xyl. Mon. Nr. 39 die Vorlage bildete. Bild und Vers des Kaisers spielen auf Kaiser Sigismund (f 1437) an. Grundlage der Verse bildet der 'Würzburger T.', je-

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doch mit mancherlei Varianten. Bei notwendig werdenden Restaurationen wurden ebenfalls Textänderungen vorgenommen, einige im Anschluß an den -> 'Berner Totentanz' ; der Bildrestaurator von 1568, Klauber, stellte sich selbst in Bild und Vers an den Schluß. Bild und Text waren Jahrhunderte lang weltberühmt und klangen als 'Tod von Basel' in Volkslied und Kunstdichtung wieder. 3. ' K l e i n b a s i e r Totentanz'. Der T. im Klingentaler Kreuzgang war der Öffentlichkeit entzogen und blieb deshalb unbekannt. Er geht wahrscheinlich auf die gleiche Buchvorlage zurück wie der Großbasier, bewahrt aber deren Text (und damit den Text des 'Würzburger T.s.') konservativer und hat z.B. statt des Krämers noch die Begine. Infolge Umbauten ist einiges weggefallen. Unsicher bleibt, ob die Dominikanerpredigerszene des Anfangs weggelassen wurde, weil die Nonnen sich 1429-1477 dem Dominikanerorden entzogen, oder ob dies ebenfalls durch Umbauten verschuldet ist. L i t e r a t u r . H.F. MASSMANN, Die Baseler Totentänze, Stuttgart 1847; R. RIGGENBACH, in: Die Kunstdenkm. d. Schweiz 46, Basel 1961, S. 95-114 (Klingental) ; 52,Basel 1966, S. 290-314 (Großbasel); H. ROSENFELD, Der Totentanz als europ. Phänomen, AKG 48 (1966) 54-83; ders., Der mal. Totentanz, 31974, S. 103 bis 117

·

HELLMUT ROSENFELD

Bassenhaimer (Passenhaimer, Passenhanner), Johannes schrieb 1426 einen Jerusalem-'Pilgerführer' in dienst ains fursten von oster eich, der über mer für, der sich im wesentlichen auf Hygiene- und Diätvorschriften, Entfernungsangaben und Aufzählung von Sehenswürdigkeiten und Eintrittsgeldern beschränkt; HERSCHEL (1854) vermutet für Herzog Albrecht IV., der 1398 reiste RÖHRICHT/MEISNER für Herzog Ludwig III. von der Pfalz, der 1426 reiste - und bezweifelt, daß B. selbst pilgerte. Dagegen machte B. offensichtlich eine Romreise, worüber er 1430 ein Itinerar anfertigte (ich hanns passenhanner). B. scheint im Besitz der 1415 geschriebenen 'Iwein'-Hs. (f) (-»Hartmann von Aue) gewesen zu sein (Dresden, LB, cod. M 65),

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'Der Bauern Lob'

an deren Ende er die Itinerarien eintrug und außerdem - der Schrift nach zu urteilen im Vorderdeckel und auf Bl. l r zwei dt. Reimpaargedichte, darunter —> 'Die Graserin' (HERSCHEL, 1855; BRANDIS, Minnereden, Nr. 23 und S. 227). Den Schluß (89V) bildet ein Spruch (Fabel) von Thomas —> Maisterl von Laa, den er ZK dienst... dem passenhaimer gemacht hat. Hs. Dresden, LB, M 65, v. J. 1415, Pap. in 2°, 85V bis 88 ('Pilgerführer'), 88r-89r {'Romreise'). Ausgabe fehlt; Auszüge bei HERSCHEL, AnzfKdVz, N.F. 10 (1863) 319-322. L i t e r a t u r . HERSCHEL, Johann Passenhanner, Serapeum 15 (1854) 232-234; ders., Der Kampf gegen d. Romantik, Serapeum 16 (1855) 13-16; TOBLER, Bibliogr. geogr. Palaest., S. 46; RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S.471 f. u. 569; F. SCHNORR VON CAROLSFELD, Katalog d. Hss. d. Kgl. öffentl. Bibl.n zu Dresden II, 1883, S.465f.; K. BARTSCH, Germ. 31 (1886) 235 (z. Hs.); RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., Nr. 291; RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 43 Anm.86 u. S. 105. r

DIETRICH HUSCHENBETT Bast -* Gast 'Die Bauern Beichte' -> 'Umgangene Buße' 'Der Bauern Kirchweih' -> 'Die Wette' 'Der Bauern Lob' I. Reimpaarspruch um 1450

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BARACK, v. 12414-19, -*· 'Reformatio Sigismundi', KOLLER, S. 282) durch, daß Gott im Anfang nur den edlen Ackermann geschaffen habe, daß alle Stände in allen ihren Bedürfnissen von der Arbeit des Bauern abhingen, daß der Bauer sogar Vogel und Wurm ernähre, daß man den Kaiser ihm gleichsetzen solle und mancher Herr nicht wert sei, ein Bauernknecht zu sein, alles in der Absicht, dem Bauernstand die Achtung zu zollen, die seiner ökonomischen Notwendigkeit entspricht. Die Wiener Fassung, auf 173 vv. erweitert (hauptsächlich durch Aufzählungen), fügt dem Thema keine neuen Gedanken hinzu. Beide Fassungen dürften für bäuerliches Publikum bestimmt gewesen sein. H. Reimpaarspruch vor 1493 Ü b e r l i e f e r u n g , a) gedruckt 1493 in Bamberg durch Hans Sporer, SB München; b) gedruckt um 1495 in Bamberg durch Johann Pfeyl, SB Bamberg und SB München (geringfügig veränderter Nachdruck von a); c) gedruckt 1497 in Erfurt durch Hans Sporer, Brit. Mus. London (Nachdruck von a). Lit. /.urÜberl.: GW III 3732-3734; F. GELDNER, Die Buchdruckerkunst im alten Bamberg, 1964, S.62f., 68f., Nr.64 u. Nr. 158; M. v. HASE, Hans Sporer u. seine Erfurter Zeit (1494-1500), Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 7 (1967) 1141-1152, Nr. 8. A b d r u c k . W. v.TETTAU, Über einige bis jetzt unbekannte Erfurter Drucke aus d. 15. Jh., 1870, S.151-157.

Der anonyme Verfasser der Reimpaardichtung (198 vv., freie Versfüllung), dem Wortschatz nach wohl ebenfalls ein Oberdeutscher, läßt neben der Absicht, das Prestige des Bauernstandes zu heben, wofür er die gleichen Argumente ins Feld führt wie Spruch I, zwei weitere Tendenzen erkennen : Abwertung des Adels - dazu dient die Erzählung der gewaltsamen und unrechtDie Reimpaardichtung (in cgm 128 vv., mäßigen Errichtung der Adelsherrschaft freie Versfüllung, wegen der vielen Rosen- durch Nimrod (Gn 10, 8-10) - und Warplüt-Texte in dieser Hs. früher ebenfalls nung vor der Landflucht, die aus arbeit—»Rosenplüt zugeschrieben) muß vor der samen Bauern oft gottlose Müßiggänger Mitte des 15.Jh.s (Datierung der Hs.) ent- mache. Dies und die lange Schilderung der standen sein. Der anonyme Verfasser, dem Marktszenen zwischen Städtern und Bauer, Wortschatz nach wohl ein Oberdeutscher, wobei dieser - entgegen der Aufwertungsder sich selbst als landfahrenden Nutz- tendenz - die aus Schwank und Satire benießer bäuerlicher Mildtätigkeit darstellt, kannten Rollen des armen Hungerleiders, spielt das traditionelle Repertoire des The- des derb-komischen Tölpels und des pfiffimas (vgl. z.B. ->Heinrich der Teichner, gen Betrügers zu spielen hat, lassen verNIEWÖHNER, Nr. 642, -> 'Des Teufels Netz', muten, daß der Verfasser im Stadtbürger-

Ü b e r l i e f e r u n g und A b d r u c k e , a) München, cgm 714, 23r-24v u. 37r-38r. Abdruck: J.BöLTE,Der Bauer im dt. Lied (Acta Germanica 13), 1890, Anhang I, S. 109-112; Quellen z. Gesch. d. dt. Bauernstandes im MA, ges. u. hg. v. G. FRANZ, 1967, S. 549-552. b) Wien, cod. 3007, 239V-242V. Abdruck: F. RANKE, Ein schlesisches Bauernlob aus d. 15. Jh., Schles. Bll., Ausg. C, Mitt. d. Schles. Ges. f. Vk. 3 (1941) 50-56 (wieder in: Kleinere Sehr., 1971, S. 88-93).

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'Der Bauer als Pfründner'-Bauernfeind

turn zu suchen ist und ein Publikum gleicher Herkunft vielleicht mehr unterhalten als belehren wollte. Nicht Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse, sondern Erhaltung und Ausnutzung des Bauernstandes auf der moralischen Basis größerer sozialer Achtung war das utopische Programm der wenigen Schriften dieser Art aus dem 15. Jh. Ihre Wirkung im einzelnen ist zwar nicht mehr erkennbar, insgesamt aber dürften sie den späteren sozialen Unruhen vorgearbeitet haben, legten sie doch den Gedanken der tatsächlichen Angleichung der sozialen Rolle an das geforderte Prestige mehr als nahe. L i t e r a t u r . F. MARTINI, Das Bauerntum im dt. Schrifttum von d. Anfängen bis z. 16. Jh. (DVjs Buchreihe 27), 1944, S.226f.; W. STEINITZ, Dt. Volkslieder demokratischen Charakters aus 6 Jahrhunderten, Bd. I (Veröff. d. Inst. f. dt. Vk. 4/1), 1954, S.9-11.

EVA KIEPE-WILLMS 'Der Bauer als Pfründner' 'Das Lied von dem reichen Bauern' nennt ein Teil der Drucke das in einem noch nicht identifizierten, der Steigweise Hans -> Bogners ähnlichen Meisterton abgefaßte 9str. Lied, das in der Fassung des mgq495 durch eine Unsinnsstrophe erweitert ist, in der sich Hensle Narr als Autor nennt. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . 1. Berlin, mgq 495, 23r-26v (Kuppitsch's Hs., obd., Ende 15./Anf. 16. Jh.); hg. v. , AnzfKdVz 8 (1839) 78-83 (Fehldeutung der Str.form); danach LAPPENBERG, S. 282 bis 287. - 2. Berlin, mgo 517, 53r-59r (bair., Ende 15./Anf. 16. Jh.); hg. v. WERBOW, S. 324-329. - Dazu Liedflugschriften von ca.1520-ca.1580. - 3. Straßburg [Math. Hupfuff] (Berlin, SB, Yd 8351); hg. v. ADELUNG, Magazin f. d. dt. Spr. II/l (1783) 152-157; danach F.K. v. ERLACH, Die Volkslieder d. Deutschen II, Mannheim 1834, S. 65-70. - 4. a) Nürnberg, Jobst Gutknecht (Zwickau, Ratsschulbibl. 30.5.22, 27; Weimar 14,6: 60e, 58), hg. v. M. A. PFEIFFER, Das Weimarer Ldb. (Hundertdruck Nr. 28 u. 29), 1918-1920, S. 338-343; SCHADE, S. 372-377 hat Mischtext mit mgq 495. b) Nürnberg, Kunigund Hergotin (Berlin, SB, Yd 7821, 25). - c) Nürnberg, Val. Neuber (versch. Aufl.: Rom, Vat.-Pal. VI. 181, 59; Berlin, SB, Yd7831,66 u. 8346). d) Augsburg, Val. Schönigk (Wien?).

Ein reicher Bauer hat sich eine Klosterpfründe gekauft, soll aber wie ein Laienbruder arbeiten. Als er das nicht tut, wollen ihn die Mönche loswerden. Sie stellen ihm

mehrere Aufgaben, die er wider Erwarten ausführt, und zwar auf so grobianische Weise, daß sie ihm schließlich angsterfüllt sein Geld zurückgeben. Dieser Erzählrahmen mit deutlich antiklerikaler Tendenz verbindet drei nach Umfang und Drastik eine Klimax bildende Schwankepisoden, deren letzte mit dem Rahmen eng verknüpft ist. Die zweite (=MOT, K 1425) und dritte finden sich auch im -»'Ulenspiegel' als Nr. 64 und 89 des Drucks von 1515 sowie als zusammenhängende Erweiterung in der ndl. und der davon abhängigen engl. Prosaübers. des -> 'Bruder Rausch'. Entgegen der früher behaupteten stoffgeschichtlichen Zentralstellung des 'Ulenspiegel' hält WERBOW Herkunft der 'Rausch'-Zusätze aus dem Lied für möglich. Wahrscheinlich ist das Lied auch die Quelle des 'Ulenspiegel'. - Hans Sachs hat das Lied 1548 in ein 3str. Meisterlied in der Mönchweise Paul Kreleins umgesetzt (Sämtl. Fabeln u. Schwanke, hg. v. E.GOETZE u. K.DRESCHER, Bd. IV, 1903, Nr. 488). L i t e r a t u r . J.M. LAPPENBERG, Dr. Thomas Murners Ulenspiegel, 1854, S. 281-287; O. SCHADE, Bruder Rausch, Weim. Jb. 5 (1856) 357-414; R. PRIEBSCH, Die Grundfabel u. Entwicklungsgesch. d. Dicht, von Bruder Rausch, Fs. J. v. Kelle (Prager dt. Stud. 8), 1908, S. 423-434; ders., Bruder Rausch (Zwickauer Faksimiledrucke 28), 1919, S.31 u. 37f.; A. STIEFEL, Neue Beitr. z. Quellenkunde Hans Sachsischer Fabeln u. Schwanke, Stud. z. vgl. Lit.gesch. 8 (1908) 293-295; E. KADLEC, Unters, z. Volksbuch von Ulenspiegel (Prager dt. Stud. 26), 1916 (Nachdr. 1973), S.99f.; S. N. WERBOW, The Wealthy Peasant and his Benefice', Fs. L. Wolff, 1962, S. 321-329.

FRIEDER SCHANZE 'Der Bauern Ruckfasnacht' sehe Fastnachtspiele'

'Rosenplüt-

Bauernfeind Ein Einzelblatt im Stadtarchiv Frankfurt/ Main (Reichssache 1/5213) enthält ein hist.politisches Lied, von einem Jacobus dem Frankfurter Stadtschreiber Nicolaus Uffsteiner (urk. 1431-70) gewidmet (ine. Eberhart von vrbach Ist ein mann). Die Datierung auf die 2. Hälfte des Jahres 1449 ergibt sich aus dem Vergleich der im Liede ge-

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'Die Bauernhochzeit' - 'Bauernpraktik'

nannten Ritter mit den Angehörigen des Fürstenbundes unter Albrecht von Brandenburg-Ansbach (-> 'Markgrafenkrieg') und Erzbischof Dietrich von Mainz, die zu Beginn des süddeutschen Städtekrieges den schwäbischen und fränkischen Reichsstädten absagten (Chron. dt. St. II [Nürnberg], 1864, S. 420-424). Der Dichter verbirgt sich hinter dem Pseudonym Burenfiendt. Er sieht das Recht allein auf Seiten des Adels, den er auffordert, die geizigen und überheblichen Städter (filczgeburen) wegen ihres Übermutes zu strafen. Das Lied besteht aus 13 ungleichversigen Fünfzeilern (Reimpaar mit abschließender Waisenterzine), in etwa der -> 'Lindenschmidt'-Strophe vergleichbar. A u s g a b e n . R. WÜLCKER, Lied d. Ritter wider d. Städte, Germ. 16 (1871) 438-442; K. STEIFF/G. MEHRING, Geschichtl. Lieder u. Sprüche Württembergs, 1912, S. 29-32.

HELMUT WEINACHT 'Die Bauernhochzeit' nennt der Herausgeber WIESSNER die beiden inhaltlich sich nahe berührenden Schwanke 'Meier Betz' ('MB') und 'Metzen hochzit' ('Mhz'). Ein Verfasser ist nicht bekannt. Geschrieben sind beide Werke im 14. Jh., vermutlich im schwäbisch-alemannischen Grenzraum. Von den Hss. H und S des 'MB' gebührt H (Liederbuch der Klara -»Hätzlerin) der Vorzug (1471 abgeschlossen). Die Hs. von 'Mhz' ist Nr. 104 der Hofbibl. zu Donaueschingen, 14. Jh. (-»'Liedersaalhs.'). 'MB' bildet die Grundlage für die vergröbernde Bearbeitung von 'Mhz'. Der in derbem Tone geschilderte Inhalt betrifft die Hochzeit des Bauernburschen Betz ('Mhz': Bärschi) mit der Dirne Metz (Metzi). Die Stationen sind Werbung, Eheberatung, Eheschließung (On schuoler und on pfäffen), Kirchgang, Raufen des Bräutigams, Geschenke, Hochzeitsfresserei, Gaben an die Braut, Raub der Braut, wilder Streit unter den Gästen, der durch Schiedsleute beigelegt wird. Die Überlieferung zeugt von reichem Nachleben bis ins 16. Jh., bes. in Heinrich -»· Wittenwilers 'Ring', aber auch im Fasnachtsspiel.

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Text, Über!., Stoffgeschichte in: E.WiESSNER, Der Bauernhochzeitsschwank, 'MB' u. 'Mhz' (ATB 48), 1956 (rait Lit.). Zu den Namenreihen: B.BOESCH, Die Namenwelt in Wittenwilers 'Ring' u. seiner Quelle, in: Namenforschung, Fs. A.Bach, 1965, S. 127-159. FISCHER, Stud., Reg.; S.300f. (Bibliogr.).

BRUNO BOESCH 'Bauernpraktik' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . In disetn biechlein wirt gefunden der Pauren Practick unnd regel, Augsburg 1508; Faks.-druck hg. v. G. HELLMANN, 1896; Text bei ROSENFELD, 1962, S. 11-13; Nachdrucke u. Bearbeitungen: 1512, 1513, 1514, 1517/18, 1518, 1520, 1535, 1540 (in Reimen), 1543 (Faks. hg. v. ROSENFELD, 1963) u.a.; verwandte Texte: 'Neujahrsprognose', in München, cgm 398,29r-30r; 'Esdras Weissagung', hg. v. G. Eis, Wahrsagetexte d. SpätMAs (TspMA 1), 1956, S. 66-68; 'Gallapfelprophezeiung', ebd., S. 69. - Eine Nürnberger Hs. der 'B.' von 1490 (so Eis, 1961) existiert nicht.

2. Die 'B.', seit 1508 in zahllosen Drucken verbreitet, ist eine kompendiumartige Häufung verschiedenartigster Wetterprognosen in dt. Prosa für ein gehobenes, aber am bäuerlichen Leben interessiertes Stadtpublikum. Der anonyme Kompilator arbeitete, wie aftermontag (II 3) für Dienstag erweist, in Ostschwaben (Augsburg). Im Gegensatz zu Leonhard -»Reynman ('Von warer erkanntnuss des Wetters', Augsburg 1505; Faks.-druck hg. v. HELLMANN, 1891), der meist metereologische Beobachtungen zusammenstellt, bringt'B.'volkstümlich-abergläubische Wetterprognosen. Gelegentliche Quellenberufungen sowie ein Hexameterzitat erweisen, daß der Verfasser vorwiegend nach Schriftquellen arbeitete. 3. Die 'B.' beginnt mit einer Jahresweissagung aus den Winden am Christtag; Verwandtes findet sich in Dodekaeteridenlisten des Altertums und MAs. Abschnitt II bringt eine Jahreswetterprognose je nach dem Wochentag des Weihnachtsfestes. Dasselbe brachte für Neujahr schon der schottische Kirchenvater Beda venerabilis (t 735) in seiner 'Prognostica temporum'. Seit ca. 1120 wird das meist auf den Weihnachtstag übertragen, jedoch blieben viele Texte, so auch cgm 398 und 'Esdras Prophezeiung', bei der Neujahrsprognose. Daß das Wetter der 12 Rauchnächte (Christtag bis Epiphanias) das Wetter der 12 Monate vorausbe-

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Baumann, Michael

stimme (III1/2), wird speziell als derpauren practick bezeichnet und gehört zu geläufigem Aberglauben. Es wird z.B. in einem Beichtmerkzettel des Klosters Scheyern 1468 gerügt, hat aber auch gewisse antike Parallelen. Das vom Wind der Rauchnächte Gesagte (III 3) ist Kompilation, da teils politische, teils Fruchtbarkeitsprognosen daran geknüpft werden. Eine weitere bäuerliche Prognose aus Wind und Sonne der zwölften Rauchnacht (III4) entstammt einer bairischen Vorlage (bair. ließen, ließtag, oberist = Dreikönig usw.). 4. Wirklich volkstümlich sind die eigentlichen Bauernregeln (III 5-15), die von kirchlichen Festen als Lostagen abgeleiteten Wetterbestimmungen für die Monate und das Jahr. Sie finden sich auch im gereimten Schlußkapitel Reynmans v. 3 ff. und später im 'Züricher Bauernkalender' von 1574. Daran schließt sich III 16 eine Prognose nach der Mondkonstellation des Christtages und III 17 betonter christlicher Aberglaube über das Viehfüttern zur Christnacht, Neujahr, Dreikönig im Namen Christi, das dem vich glücklich hall das jar (hall von bair. balden 'neigen') .Die Prophezeiung aus den Galläpfeln am Michelstag (III17) findet sich ebenso bei Reynman, aber auch einzeln (s. Eis, S.69). Bei der Voraussage aus dem Wetter des Jakobstages (III 18) beruft sich die 'B.' auf einen alten Bauern. Vielleicht ist es die einzige vom Verfasser mündlich übernommene Praktik (dabei wird schwäb. sunst für angesäuerte Milch gebraucht). Der alte und bis heute unausrottbare Glaube an die wetterbestimmende Kraft des Mondes kommt in einer Jahresprognose aus der Mondkonstellation der Christnacht (III 16) zum Ausdruck. 5. Bei den Betrachtungen über Wolken-, Sonnen-, Mondfärbung und Rückschlüssen auf die Witterung IV2 beruft sich die 'B.' auf Solinus und Petrus (beide nicht identifizierbar). Jedoch geht das alles mittelbar auf Vergils 'Georgica' I 424-435, 441-464 zurück. Bei der anschließenden Aufführung der 12 guten Freitage, an denen Fasten und Beten besonderes Heil bringen (V 1-3), beruft sich die 'B.' auf Clemens von Rom. Der Text ist eine Übersetzung aus dem Lat., wie es z.B. der cod. Vat. lat. 3838 (12. Jh.) bietet.

6. Schweizer Bearbeitungen der 'B.' 1517 bis 1520 nennen erstmals einen Heiny von Ure, Gründer einer Pilgerherberge auf dem St. Gotthard im 13./14. Jh., als eine Art Gewährsmann, spätere dt. Ausgaben sogar als Verfasser, natürlich ohne jeden Grund. Für einen wirklichen Landwirt wäre die 'B.' mit ihren aus verschiedenen Quellen entnommenen und sich widersprechenden Prognosen völlig unbrauchbar. Die kompilatorisch zusammengesetzte 'B.' ist das erfolgreichste Volksbuch des Frühhumanismus mit seinem Interesse für Volkstümliches (vgl. das 'Narrenschiff' von Sebastian —>· Brant, 1494) und seinem noch recht unkritischen Ausschöpfen der literarischen Tradition. L i t e r a t u r . G.HELLMANN,Metereologische Volksbücher, 1891, S.24-37; V. STEGEMANN, in: Handwörterb. d. dt. Aberglaubens I, 1927, Sp. 941-948; ders., Bauernregeln, ebd., Sp. 948-954; G. Eis, 'B.', PBB (Tüb.) 83 (1961/62) 172; H. ROSENFELD, Kalender, Einblattkalender, Bauernkalender u. Bauernpraktik, Bayer. Jb. f. Vk. (1962) 7-24; ders., Bauernkalender u. Mandlkalender als lit. Phänomen u. ihr Verhältnis z. 'B.', Gutenberg-Jb. (1963) 88-96; ders., Die Titelholzschnitte d. 'B.' von 1508-1600 als soziolog. Selbstinterpretation, Fs. J.Benzing, 1964, S.373-389.

HELLMUT ROSENFELD 'Vom Baum des Lebens' (nd.) -»'Apokalypse' (nd.) Baumann, Michael B. war Konventbruder des Zisterzienserklosters Bronnbach im Taubertal. Er verfaßte 1478 für Graf Johann III. von Wertheim eine dt. naturkundliche Enzyklopädie, das 'Buch von der natur vnd eygenschafft der dingk', erhalten in der einzigen Hs. Wertheim, Fürstl. Löwenstein-WertheimFreudenbergsches Archiv, o. S. An lat. Quellen wurden verarbeitet: der 'Liber de natura rerum' Buch I-XVIII des -* Thomas von Cantimpre (3ra-192rb), 'De proprietatibus rerum' Buch I und II des -»Bartholomäus Anglicus (192rb-204rb), der 'Commentarius in Symbolum Apostolorum' des Rufinus Tyrannius von Aquileia (204va-207rb) und die Eucharistiegebete aus dem -»· 'Hieronymusbrief des Eusebius (207va-209vb). B.s Fähigkeit, ganz verschiedenartige Sinn-

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'Baumgarten geistlicher Herzen'

komplexe mit eigensprachlichen Mitteln neu zu gestalten, ist beachtlich. Sein Übersetzungswerk zählt zu den bedeutsamen Zeugnissen der 'Deutschen Scholastik'. L i t e r a t u r . REUSS, Kurze Beschreibung merkwürdiger altdt. Hss. in unterfrk. Bibl.n, Arch. d. hist. Ver.s von Unterfranken u. Aschaffenburg 8 (1844) 153; G. Eis, Mal. Fachlit. (Sammlung Metzler D14), 1962, S.5f.; G.STEER, Die Gottes- u. Engellehre des Bartholomäus Anglicus in d. Übertragung des M.B., in: Würzburger Prosastud. I (Medium Aevum 13), 1968, S. 81-101; P. ASSION, Altdt. Fachlit. (Grundlagen d. Germanistik 13), 1973, S. 57. _ _

GEORG STEER

Baumburg -» Ulrich von B. 'Baumgarten geistlicher Herzen' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 6 Hss. des 13. bis 15. Jh.s, von denen 2 mit über 200 Kapiteln fast das ganze Corpus (L, M1), 2 über die Hälfte (B, M 3) und 2 kleinere, teils zusammenhängende Corpusteile (M 2, H) enthalten. Dazu 26 Hss. mit Streugutüberl. von l bis 16 'BgH'Kapiteln. Corpus-Hss.: 1. München, cgm 6247 (L), kurz nach 1300, ostschwäb., 214 Kap., lr-225v; 2. cgm 210 (M 1), Ende 14. Jh., mittelbair., 222 Kap., lr-94r; 3. Basel, ÜB, cod. A IV 45 (B), I.Teil um 1400, ostschwäb., 162 Kap., lr-59v; 4. München, cgm 354 (M 2), Ende 14. Jh., 2. Teil ostschwäb., 29 Kap., passim; 5. Heidelberg, cpg567 (H), von 1439, ostschwäb., 16 Kap., passim ; 6. München, cgm 400 (M 3), von 1491, ostschwäb., 131 Kap., lr-198r, stark überarbeitet. 2. A u s g a b e n . H. UNGER, Geistlicher Herzen Bavngart (MTU 24), 1969 (zit.) [Gesamtausg. außer Kap. 202/203 = -> Davids von Augsburg 'Sieben Vorregeln der Tugend' und Kap. 205: die sog. 'Klosterpredigten' ->Bertholds von Regensburg]. Kap. 32, 74, 81 auch ed. bei RUH, Franzisk. Schrifttum I, S. 148-154.

3. Nach Überlieferung, Sprachform und Inhalt weist der 'BgH' ins Ostschwäbische der Augsburger Gegend. Das Original dürfte zwischen 1270 und 1290 im Kreise der Mitbrüder bzw. Schüler des Franziskaners David von Augsburg entstanden sein. 4. Das als lockeres Corpus überlieferte Werk mit gereimter allegorischer Vorrede enthält über 200 Texte verschiedenster Länge: Gebete, Predigten, Traktate bzw. Exzerpte und Neukompositionen bereits anderweitig vorhandener Stücke zur Unterweisung im geistlichen Leben, die, in Kapitel-Ketten bzw. Einzelkapitel verstreut, teils

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allgemeine Grundsätze christlicher Lebensund Sittenlehre betreffen (z.B. Kap.26/27 'Gerechtigkeit', Kap. 50-53 'Wahrheit', Kap. 57/58 'Gebet'), teils mit spezieller Thematik für Ordensleute bestimmt sind (z.B. Kap.6 Von geistlichem leben ..., Kap. 11 Wie du vollehertest vnder diner regel). Im Zentrum steht die Frage nach Heil oder Unheil des Einzelnen. Dabei werden die traditionellen Wege und aszetischen Mittel allgemein christlicher und besonders franzisk. Frömmigkeit aufgezeigt. So behandelt z.B. Kap. 28 Minne, swenne si vnsvber wirf den in der franzisk. Literatur beliebten Gegensatz zwischen sinnlicher und geistlicher Liebe. Als Aufbauprinzip fungiert 'nicht die systematisch getrennte Behandlung von Tugenden und Lastern', sondern gemäß dem Dualismus Gut-Böse 'die fast durchgehende Präsenz beider Sphären' (UNGER, S. 143). Das Aszetisch-Praktische überwiegt weitaus gegenüber dem Mystisch-Kontemplativen (letzteres vor allem Kap. 198-200). 5. Geistesgeschichtlich steht der 'BgH' als erstes aszetisch-mystisches Erbauungsbuch in dt. Sprache (Run, Franzisk. Schrifttum, S. 147) im Bereich der frühen franzisk. Frömmigkeit des obd. Raumes (Augsburg). Zahlreiche Kapitel sind Exzerpte bzw. Umformungen aus lat. und dt. Traktaten Davids von Augsburg sowie aus Predigten Bertholds von Regensburg. Weiterer motivgeschichtlicher Einzugsbereich ist das lat. Kirchenlehrer-Schrifttum: Augustinus, Gregor der Große, bes. -> Bernhard von Clairvaux (s. dort 2.d). Die Licht-, Feuer-, Wasser-, Liebes- und Kampfmetaphorik weist auf den Bildschatz der abendländischen Mystik hin. Auffallend, wenngleich ohne bisher festgestellte direkte Einflüsse, ist die syntaktisch-stilistische Vielfalt des Werkes. 6. Die Anreden und Bezugnahmen auf weibliche Religiösen stehen zu vereinzelt (Kap.74, 142 u.a.), um mit Sicherheit auf die Abfassung des 'BgH' für Frauenorden zu verweisen. Doch ist ein Zusammenhang mit der franzisk. Frauenklöster-Seelsorge naheliegend (SCHÖNBACH, S. 101). Als Erbauungsbuch für Adepten geistlichen Lebens franzisk. Spiritualität konzipiert, wurde der 'BgH' in cgm 400 für Laien umgearbeitet.

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'Baumgartenberger Formularius'-'Baumgartenberger Johannes Baptista'

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L i t e r a t u r . A.E. SCHÖNBACH, Stud. z. Gesch. d. altdt. Predigt, WSB 153/4, 1906; D. STÖCKERL, Bruder David v. Augsburg. Hin dt. Mystiker aus d. Franziskanerorden (Veröffentl. aus d. Kirchenhist. Seminar München IV 4), 1914, S.258-280; K. RUH, David v. Augsburg u. die Entstehung eines franzisk. Schrifttums in dt. Sprache, in: Augusta 955-1955. Forschungen'u. Stud. z. Kultur- u. Wirtschaftsgesch. Augsburgs, 1955, S.75f., überarb. in: Verba Vitae et Salutis 1959, S.8; H. UNGER, s.o. 2. TT

stützt sich in den drei ersten Teilen wesentlich auf die 'Summa dictaminum' -»· Ludolfs von Hildesheim, für die Musterbriefe, unter denen sich die aus den Codices epistolares König Rudolfs bekannten finden, auf Formularien magnorum dictatorum (S. 86). Als Kompilation repräsentiert es bewußt eine Norm, formam dictaminis prosaici, ut modernis placuit ususque presentis temporis approbavit (S.l).

'Baumgartenberger Formularius'

L i t e r a t u r . L. ROCKINGER, Über Briefsteller u. Formelbücher in Deutschland während d. MAs, 1861, S.25-28; ders., Briefsteller u. formelbücher d. 11. bis 14.jh.s, Bd.2, 1863, S.713-838; H. BAERWALD, Das Baumgartenberger Formelbuch, 1866; P. SCHEFFERBOICHORST, Die ersten Beziehungen zwischen Habsburg u. Ungarn; zur Kritik d. Baumgartenberger Formelbuches, MIÖG10 (1889) 81-89; LHOTSKY, Quellenkünde, S.80f. F.J. WORSTBROCK

HELGA UNGER

1. Anfang des 14. Jh.s verfaßte ein unbekannter Zisterzienser des Klosters Baumgartenberg bei Linz (vgl. S.71 domus nostra scilicet Paungartenperg] einen großangelegten 'Formularius de modo prosandi'. Der jüngste in den Mustern aufgeführte Brief datiert von 1290, die jüngste Urkunde von 1302. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 409, 9r-61r, 14.Jh.; Zwettl, Stiftsbibl, cod. 295, 73r-157r, 14.Jh.; dazu, nach LHOTSKYS Hinweis: Oxford, Bibl. Bodl., cod. lat. misc. 68, 27r-74v, 14. Jh. (aus Admont). - Unvollst. Hss.: München, clm 2697, lr-40v, 14.Jh., u. ebd., 4 -50"; Vorau, Stiftsbibl., cod. 326, 224r-343v, 15. Jh. — Kürzende Redaktion: München, clm 16125, lr-117v, 14. Jh. Die Zwettler und die Münchener Hss. bieten als abschließenden Teil des 'F.' einen weitverbreiteten Ordo iudiciarius' (hg. v. ROCKINGER, Bd. 2, Nr. XVIII). A u s g a b e n . ROCKINGER,S.724-838,Teilausg.nach clm 2697; BAERWALD, S. 1-409, nach d. Wiener cod. 409 (zit.). Eine vollständige Darstellung der Uberl. und eine entsprechend fundierte Ausg. fehlen.

3. Der T.' behandelt nach einer trivialen allgemeinen Einleitung über das Dictamen prosaicum zunächst die fünf Teile des Briefes, erläutert die Salutatio dabei anhand einer umfangreichen, wie üblich ständisch gegliederten Mustertafel. Es folgen eine Anleitung zur Anfertigung von Urkunden und anderen Notariatssachen in fürstlichen Kanzleien, eine Lehre von den Privilegien, eine Sammlung von Exordia und Proverbia mit theoretischer Einführung, schließlich ein Corpus von fast 240 Musterbriefen (päpstliche, kaiserliche, Privilegien, Briefe anderer aus allen Ständen) vornehmlich aus der Zeit Rudolfs von Habsburg. Das Werk ist, was eine Quellenuntersuchung freilich noch im einzelnen zu dokumentieren hätte, durchweg kompiliert,

'Baumgartenberger Johannes Baptista' Ü b e r l i e f e r u n g . Hs. 317 der Studienbibl. Linz aus dem Kloster Baumgartenberg; das Bruchstück auf dem letzten Bl. dieser Hs. A u s g a b e n . KRAUS, S.12-15, 101-111; MAURER, S. 134-139 (dort auch die älteren Ausg.n).

Von dem ursprünglichen Gedicht, das von KRAUS, S. 104, auf Grund der Überlieferungsverhältnisse auf 200—250 vv. veranschlagt wird, sind noch 77 vv. erhalten. Sie handeln vor allem von dem Streit der Jünger des Johannes mit den Juden über die Reinigung (Jo 3, 25), von der Szene zwischen Johannes und Jesus (Jol,29ff.) und von den Jesusworten über Elias (Mtl7, 10-13). Die Anordnung des Stoffes und gewisse Berührungen mit theologischen Schriften (Fingergestus des Täufers; vgl. PL 107, 966 D) weisen darauf hin, daß es dem Autor weniger um eine Vita des Johannes als um die Darstellung theologischer Aussagen ging. Die in der Hs. zu Beginn der Sinnab,schnitte stehenden römischen Zahlen VII bis .XII (KRAUS, S. 104) werden von MAURER, S. 124, als Strophenbezeichnungen interpretiert, die Verse als 'binnengereimte Langzeilen' aufgefaßt (doch vgl. SCHRÖDER, S. 276). Der Autor hat das -»· 'Ezzolied' benutzt; die vv. 1-4 sind in die -» 'Kaiserchronik' aufgenommen worden (vgl. 'Kehr.' v. 4047-4050). Das Gedicht ist wahrscheinlich auch in Baumgartenberg entstanden. Einzi-

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Baumgartner, Steffan - 'De beatitudine'

ger Anhaltspunkt für die Datierung ist die Benutzung durch die 'Kaiserchronik'. Die entwickelte Reimtechnik (MAURER, S. 135) spricht für eine Entstehung nicht lange vor diesem Werk. L i t e r a t u r . KRAUS,Dt.Ged.,S. 101-111;MAURER, Rel. Dicht. II 135 (mit weiterer Lit.); dazu Rez. v. W. SCHRÖDER, PBB (Tüb.) 88 (1967) 276.

KARL-ERNST GEITH Baumgartner, Steffan unternahm 1498 unter Herzog Heinrich von Sachsen eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, worüber er einen Bericht (mit Abbildungen) verfaßte. Ü b e r l i e f e r u n g . Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Nr. 369, 38 Bll. mit 8 Abbildungen. Ausgabe fehlt. Inhaltsangabe und einiges Aktenmaterial bei RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 518 bis 521 und RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 195-199. L i t e r a t u r . TOBLER, Bibliogr. geogr. Palaest., S. 62; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., Nr. 457; V. CRAMER, Der Ritterschlag am Hl. Grabe, in: Das Hl. Land in Vergangenheit u. Gegenwart II, hg. v. V. CRAMER u. G.MEINERTZ, 1940, S. 137-199 (Titelblatt d. Berichts).

DIETRICH HUSCHENBETT Baumholz, Albrecht ist nur bekannt durch ein 17str. Lied in Heinrich -»Frauenlobs Vergessenem Ton, überliefert u. d. T. 'Die keisserin von Rom' in der Hans-Sachs-Hs. von 1517/18 (Berlin, mgq 414, 439r-442v). Der Autor nennt sich im Schluß der letzten Strophe: spricht Albrecht Paumholcz. 1. Das Lied ist strophische Bearbeitung einer Reimpaarerzählung -> Rosenplüts (hg. KELLER, Fsp. III 1139-1149), hinter der ein weit verbreitetes Marienmirakel steht (TuBACH, Ind. ex. 1898). Die Abhängigkeit B.s von Rosenplüt erweist sich in der Übernahme ganzer Verse und einiger Reime. I n h a l t . Die Gemahlin des Kaisers Octavianus wird in dessen Abwesenheit von ihrem Schwager begehrt. Abgewiesen, verleumdet er sie bei dem zurückkehrenden Kaiser, der sie umzubringen befiehlt. Im Wald wird sie durch einen Grafen gerettet; in dessen Haus widerfährt ihr aber Ähnliches, der abgewiesene Bruder des Grafen ermordet heimlich das ihr anvertraute Kind. Auf einer wilden Insel ausgesetzt, erscheint ihr im Traum Maria und weist ihr eine Heilpflanze, mit der sie ihre vom Aussatz befallenen Verleumder heilt. Nachdem sie in Ehren wieder aufgenommen ist, begibt sie sich in ein Kloster.

B. hat die ca. 460 Verse Rosenplüts auf etwa die Hälfte reduziert (255). Die Kürzungen betreffen vor allem Redepartien, in denen Rosenplüt Bildung zeigt (Katalog von Steinen, Exempelgestalten); am Handlungsverlauf, der der -> 'Crescentia'-Legende entspricht, ist nur minimal geändert. 2. Lebenszeit und Herkunft B.s lassen sich aus Quelle und Überlieferung in etwa erschließen. Rosenplüts Erzählung ist nicht datierbar, doch wird B.s Lied kaum älter sein als die älteste der 9 bekannten Überlieferungen (Dresden, LB, cod. M 50, zwischen 1460 und 1480). B.s Lebenszeit wäre also etwa auf die 2. Hälfte des 15. Jh.s bis Anfang des 16. Jh.s einzugrenzen. - Als seine Heimat wird Nürnberg anzusehen sein; denn daher stammen die meisten der namentlich genannten jüngeren Autoren der Hs. (-»'Meisterliederhss.'). Archivalisch nachzuweisen ist er dort allerdings nicht. A u s g a b e . A. WALLENSKJÖLD,Lecontedelafemme chaste convoitee par son beau-frere (Acta soc. scient. fennicae 34,1), Helsinki 1907, S. 161-169. L i t e r a t u r . WALLENSKJÖLD, S.58f. Allgemein zum Stoff außerdem noch K. BAASCH, Die Crescentialegende in d. dt. Dicht, d. MAs (German. Abhh. 20), 1968.

FRIEDER SCHANZE 'Beaflor' -> 'Mai und Beaflor' 'De beatitudine' (deutsch) Ein pseudothomasisches Opusculum mit gängiger scholastischer Doktrin zur Seligkeitslehre, das vorwiegend auf seelsorgerisch-praktische Wirkung abzielt. 1. Ü b e r l i e f e r u n g , a) mndl.: Zusammenstellung, Wertung u. Beschreibung von Textzeugnissen bei BRECHT, S.9-15; dazu vervollständigend R. LIEVENS, TNTL 90 (1975) 380 f. b) obd.: Übers, des Benediktiners Thomas -»Finck, München, cgm 6940, 204ra228vb und Harburg (olim Maihingen), Fürstl. Oettingen-WallersteinscheBibl.,cod. Ill 18° 13, lr-87r;Übers, des Kartäusers Ludwig ->Moser, Basel, ÜB, 2. Bd. des Michael-Furter-Drucks, Basel 1507, M 4V-X 7r. c) md. Fragment, Mainz, StB, cod. 321, 279r-290v. 2. A u s g a b e n , a) lat.: Thomae Aquinatis Opera omnia stud, ac lab. ST.E.FRETTE, vol. 28, Parisiis 1875, S. 404-^35; Thomae Aquinatis Opuscula theologica etphilosophica, vol.2,Parmael885,S. 292-307. b) ndl.: J. VAN DE VYVERE, De Gelukzaligheid des hemels. Uit de kleinere geschriften van S. Thomas van Aquino -

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Bebenhausen, Philipp

56e Verhandeling, Antwerpen 1929 (Vita vera n. 2). c) mndl.-lat. Synopse: bei BRECHT, S. 63-147. d) Textproben aus den Übertragungen von Ludwig Moser und Thomas Finck sowie dem Mainzer Fragment: bei BRECHT, S. 153-162, S. 170-182, S. 204-206.

3. Die gelungene Vermischung von scholastischem und asketischem Gedankengut und der affektive Schreibstil mögen dazu beigetragen haben, daß dieses Opusculum Ende des 15.Jh.s im dt. und ndl. Sprachraum übersetzt und bearbeitet worden ist, um es Lateinunkundigen zu erschließen. Die eben genannten Kriterien widersprechen allerdings einer Autorschaft des hl. Thomas von Aquin ebenso wie die nahezu ausschließliche Verbreitung der lat. Fassung um 1490 (MEERSSEMAN) nördlich der Alpen und das Fehlen des Titels in den Katalogen und Opuscula-Codices des 13. und 14.Jh.s und im verbindlichen Thomas-Werkregister des Bartholomäus von Capua. Der Autor des Werkchens könnte Dominikaner sein, vor allem weil Studium und natürliche Gaben hoch eingeschätzt werden. 4. Die Leistung des Verfassers ist nicht vorrangig nach den Lehraussagen zur beatitudo zu beurteilen, sondern nach der formalen und kommunikativen Aufbereitung überkommener theologischer Lehrmeinungen. Unter dem Einfluß der AristotelesRezeption, welche die Seligkeits- von der Vollkommenheitslehre her entwickelt, ist zugleich mit 'De beatitudine' das Opusculum -> 'De divinis moribus' entstanden. Zwei Schriften, die funktionell aufeinander bezogen sind: Der Nachvollzug göttlicher Vollkommenheit auf einer via perfectionis endet nicht im vergleichsweise unzulänglichen Zustand der unio mystica, sondern führt darüber hinaus zur unmittelbaren Vereinigung der Seele mit Gott in der ewigen Seligkeit. In eindringlicher Sprache entfaltet 'De beatitudine' das Wesen der ewigen Glückseligkeit, die Dei cognitio, dilectio, fruitio, unio, laus, gratiarum actio und congratulatio bedeutet - sieben Elemente, die als septiformis gratia definiert sind. Diese sieben Säulen ewiger Seligkeit zeigen sich in der Textarchitektur als sieben Kapitel, unterteilt in drei Baubestandteile, in denen das aristotelisch-thomasische Kausalitätenprinzip angewendet ist: das Haus

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Gottes - die Glückseligkeit - ist darauf begründet. 5. Die Motivationen für Übertragungen bzw. Bearbeitungen sind durch die obd. Übersetzer dargelegt. Moser überträgt werkgetreu - humanistischer Übersetzertradition verpflichtet -, da mit sich andere menschen, die das latin nicht verstunden noch lesen können, sich deren auch frbwen vnd gegen gott zu heyl vnd behaltnüsße ir sele genyessen mögen. Finck zerstört radikal die kunstvolle thematische Disposition der Vorlage, funktioniert anspruchsvolle theologische Lehrmeinung um in einsichtige Darlegungen für die Nonnenseelsorge von flissiger bitt wegen ainer gaistlichen person der ich schuldig bin, guts ze rauten. L i t e r a t u r . R. P. MANDONNET, Des ecrits authentiques de saint Thomas d'Aquin, Fribourg 2 1910; P. G. MEERSSEMAN, A propos deux ecrits a S. Thomas, Rev. Thomiste 35 (1930) 564-575; ders., Historische Inleiding, zu: J. VAN DE VYVERE, 1929 (s. Ausg.n, S.5-25; M. GRABMANN, Die Werke d. hl. Thomas v. Aquin, 1949; ST. AXTERS, in: Scholastiek Lexicon, Antwerpen 1937, S. 49-51; K. RUH, Thomas v. Aquin in mhd. Sprache, Basler Theol. Zs. 7 (1951) 341-365; ders., Bonav. dt., S. 157, 258f.; J. BRECHT, Die pseudothomasischen Opuscula 'De divinis moribus' u. 'De beatitudine' (MTU40),1973.

JOSEF BRECHT Beatrix von Inzigkofen -> 'Das Buch mit den farbigen Tuchblättern der B. von I.' Bebenburg -> Lupold von B. Bebenhausen, Philipp Ü b e r l i e f e r u n g . Kassel, LB u. MurhardscheBibl., cod. 4° Ms. theol. 94, 64r-293r.

DieHs. v. J. 1470, die aus der Pfarrkirche St. Peter in Fritzlar stammt, enthält neben einer lat. Sammlung dt. Sonn- und Festtagspredigten für das Kirchenjahr (64r-144v, Dominica prima bis Dominica XXHI) sowie Heiligenpredigten (145 -293 ), geschrieben von Philipp Babinhusen. Ob es sich dabei auch um den Verfasser dieser Predigtsammlung oder aber - wie bei den sich anschließenden ->· Eckhart-Predigten (293T bis

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'Bebenhauser Legendär'

309 ) - nur um den Schreiber handelt, ist aus der Hs. nicht eindeutig zu ersehen. Die meist recht kurz und leicht verständlich gehaltenen Ansprachen sind offensichtlich an ein weltliches Publikum gerichtet. In den Heiligenpredigten beschränkt sich der Prediger weitgehend auf eine Nacherzählung der jeweiligen Heiligenlegende, und auch in den Sonntagspredigten nimmt die Wiedergabe des vorgeschriebenen Evangelienabschnittes einen verhältnismäßig großen Raum ein. Die daran anschließende Deutung greift jeweils einige wenige Gedanken aus dem Text auf, die punktweise abgehandelt werden, oder stellt auch nur eine einzelne Lehre heraus. Die Festtagsansprachen sind etwas ausführlicher, aber ähnlich einfach angelegt. Nach Inhalt und Struktur, in der moralischen Grundtendenz und der lehrhaften Vermittlung der auf einfachste Form gebrachten traditionellen Kirchenlehre und Textauslegung lassen sich die Predigten dieser Sammlung mit den Glossen der im 15. Jh. weit verbreiteten Plenarien vergleichen. L i t e r a t u r . E. SIEVERS, Predigten von Meister Eckart, ZfdA 15 (1872) 438; R. CRUEL, Gesch. d. dt. Predigt im MA, 1879, S. 529-532.

DAGMAR LADISCH-GRUBE 'Bebenhau ser Legendär' Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 257 (m), 1439 im Zist.-Kloster Bebenhauscn geschrieben; Marburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibl., cod. III, l, 2°, 15 (h), 1470 von Eberharten Koburger Guldin schriber von Forchhain in Ehingen geschrieben (109r); Rottenburg/N., Priesterseminar, Hs. 11, geschr. 1464 evtl. in Ehingen bei Rottenb. (r), enthält Verena (285r-286r) und Gallus (286r-286v). A u s g a b e n . Bisher nur einzelne Legenden: F. WILHELM, St. Afra, Reimlegende, krit. bearb., in: Analecta germanica, Fs. H. Paul, 1906, S. 167f. (Afra); ders., 1907 (s. Lit.), S.217-219 (Remigius), S.37*-39a (Thomas ap.); HIRSCH, S. 165f. (Ulrich); TRIER, S.65f. (Jodocus); K. KUNZE, Die Legende d. hl. Maria Aegyptiaca. Ein Beispiel hagiograph. Überl., 1977, Nr.5-6 (M. Aeg., mit lat. Vorlage); FIRSCHING, S. 105f. (Kilian).

Von WILHELM, 1907, nach m betitelte Sammlung von 84 Heiligenlegenden und 14 Predigten zu den hohen Festen des Kirchen-

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jahres; Titel nach dem Explicit Passionate sanctorum das lidin und die marter der hailigen martrer (m 113V, h 109r), nach dem Incipit von m der hailigen lesen durch das gantz jär. Von daher und aufgrund der vorgesehenen, aber nicht ausgeführten Illustrierung von m kann WILHELMS Bezeichnung 'Legendär' trotz der eindeutig homiletischen Züge der meisten Stücke (s.u.) vertreten werden. Ob die Sammlung in Bebenhausen entstand, ist fraglich. Entstehungszeit wohl nicht vor dem 15. Jh. Der Legendenbestand (nach dem Kirchenjahr geordnet, Andreas bis Katharina, Katalog bei FIRSCHING) umfaßt durchweg allgemein bekannte Heilige; am 'regionalsten' : Odilia, Jodocus, Ulrich, Kilian, Pantaleon, Afra, Gallus, Otmar. Die Legenden in r bilden einen Anhang zur 'Elsässischen Legenda aurea' (-*· Jacobus de Voragine). Die (meist sehr kurzen) Texte beginnen in der Regel als Homilie (vgl. auch die Anrede lieben kint h89 r u.ö.) mit einem lat. Bibelzitat, das auf den Tagesheiligen bezogen wird; dann folgt die auffallend streng auf das Faktische beschränkte, nach Pre: digtart mit lat. Einschüben durchsetzte und bisweilen nur stichwortartig resümierende Legende. Vielleicht ist diese Knappheit weniger auf den 'schauderhaften Zustand' der Überlieferung (WILHELM) als auf bewußte (zisterziensische ?) Ausklammerung jeder Rhetorik zurückzuführen. Die Quellenfrage ist erst Stichprobenhaft geklärt. Afra, Maria Aegyptiaca, Kosmas und Damian, Kilian (nicht aber z.B. Juliana, Agnes, Lambertus) sind direkte Übers.n aus einer noch unedierten Sammlung lat. Legenden für die Lesung in der zweiten Nokturn (12. Jh.; Hss.: ZfdPh 88 [1969] 46), die auch Vorlage für das -> 'Buch der Märtyrer' war (daher die mehrfach festgestellten inhaltlichen Übereinstimmungen v. 'B.L.', 'Buch der Märtyrer' und dem Prosalegendar -»'Der Heiligen Leben', das als eine Hauptquelle das 'Buch der Märtyrer' heranzog). Der (bisher erst bei Maria Aeg. und Kilian erfolgte und auf breiterer Basis wünschenswerte) Vergleich mit der Vorlage ergab als Übersetzungstendenz deutliche Aufwertung des monastischen Lebens und mariologisches Interesse.

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Bebo von Bamberg

L i t e r a t u r . F. WILHELM, Dt. Legenden u. Legendare, 1907, S. 213-234; A. HIRSCH, Die dt. Prosabearb. d. Leg. v. hl. Ulrich, 1915, S. 162-166; J. TRIER, Der hl. Jodocus. Sein Leben u. seine Verehrung, Breslau 1924, S. 63-66; K. KUNZE, Stud. z. Leg. d. hl. Maria Aeg. im dt. Sprachgebiet (Phil. Stud. u. Qu. 49), 1969, S. 98-101 u. Reg.; K. FIRSCHING, Die dt. Bearbeitungen d. Kiliansleg. unter bes. Berücksichtigung dt. Legendarhss. d. MAs, 1973,5.104-108.

KONRAD KUNZE Bebo von Bamberg 1. B. übergab i.J. 1021 Kaiser Heinrich II. eine von eigener Hand geschriebene Bearbeitung von Hieronymus' Isaias-Kommentar. Zum Nutzen der weniger gelehrten Leser kürzte er das Werk des Kirchenvaters an schwierigen Stellen, erweiterte es aber auch bisweilen mit Zitaten aus Gregor d. Gr., Augustin und ändern Vätern. Neben einem Prolog, in dem er auf sein damals schon höheres Alter anspielt (egritudo senilis corporis), fügte er zwei kleine Dedikationsgedichte und ein großes Widmungsschreiben bei, aus dem zu schließen ist, daß er Bamberger Diakon war. BAUERREISS' Erwägung einer Identität mit dem Mönch Peppo von Seeon hat keinen überzeugenden Anhaltspunkt bei B. selbst. Dem IsaiasKommentar ging B.s Abschrift der letzten acht Bücher von Gregors 'Moralia', die er im Auftrag des Kaisers besorgte und ihm ebenfalls widmete, vielleicht noch voraus. Von B.s anscheinend umfangreicherer Tätigkeit als Schreiber, Bearbeiter und, nach seinem Bericht im Prolog zum Isaias-Kommentar, auch Verfasser exegetischer Werke sind weitere Zeugnisse nicht erhalten. 2. Ü b e r l i e f e r u n g , a) Isaias-Komm.: Bamberg, SB, cod. Bibl. 78, Autograph, v.J. 1021. lr-7r Widmungsbrief an Heinrich II., T erstes Ged., 8r Prolog, 255r (am Ende d. Komm.s) zweites Ged. Zeitgenöss. Abschrift: Bamberg, SB, cod. Bibl. 79, doch ohne den Widmungsbrief und die Verse; vgl. STRECKER, Ausg., S. 399 Anm. b) Abschrift der 'Moralia': Bamberg, SB, cod. Bibl. 43, Autograph. 172v-173r Widmungsbrief an Heinrich II.; B., der sich hier nicht nennt, ist als Schreiber bzw. Verf. nur durch Schriftvergleich gesichert. A u s g a b e n . Widmungsbriefe u. Ged.: HIRSCH, S. 547-554; PH. JAFFE, Bibl. rer. Germ. V, 1869, S. 484 bis 497 (zit.). Die Ged. auch bei K. STRECKER, MGH Poet. Lat. V l, S.399.

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3. Das umfängliche Widmungsschreiben zum Isaias-Kommentar wiegt als Dokument zur Geschichte Heinrichs II. und der Bamberger Kirche, aber auch als Beispiel der Herrscherdarstellung im frühen 11. Jh. Nach einer rhetorisch abundanten Einleitung über Haupt und Glieder des Staates wirbt B. um Heinrichs Unterstützung gegen Bestrebungen, die kirchlichen Amtsrechte der Diakone zugunsten der Priester einzuschränken, wendet sich dann rühmend und ratend dem Kaiser selbst zu. Er würdigt dessen energische Arbeit an der Festigung der Reichsgewalt, sieht aber nach langen Jahren einer vornehmlich mit den Waffen durchgesetzten Politik den Zeitpunkt gekommen, auf die notwendige Verbindung von fortitude und consilium im Handeln des Herrschers hinzuweisen. Er stellt sie als ein in den Gaben des Hl. Geistes beschlossenes Ideal dar, beschreibt dann die sieben Tugenden in ihrem Zusammenhang als den Inbegriff jener firmitas mentis des Herrschers, ohne die keine firmitas regni sei. Als Motiv seiner Widmung gibt B. die Erinnerung an ein Ereignis an, das er im letzten Teil des Briefes aus eigenem Erleben eingehend schildert: die Bamberger Osterfeierlichkeiten des Vorjahres (1020), an denen auch der Papst und die Metropoliten von Aquileja und Ravenna teilnahmen. Der Brief schließt mit einem Herrscherlob in 9 leoninischen Hexametern. Ein zweites Gedicht, 14 leoninische Hexameter am Ende der Hs., rühmt Heinrichs Verdienste um den Landfrieden. Der kleinere Widmungsbrief zur Hs. der 'Moralia' beschränkt sich auf ein allgemeineres Herrscherlob, dessen Motive sich gleichermaßen in der Widmung des IsaiasKommentars finden. 4. B.s Briefprosa zeigt einen ausgearbeiteten Stil, der rhetorischen Glanz und klangliche Wirkung sucht. Hervortretende Merkmale sind das Isocolon, der Reim und jene Art der freieren Wortwiederholung, welche die Ars dictaminis des 12.Jh.s als 'modus per coniunctionem' kennt (Adalbertus Samaritanus, Henricus Francigena). B.s Schilderung des Bamberger Osterfestes von 1020 wurde von —»Adalbert von Bamberg als Quelle in der 'Vita Heinrici' genutzt.

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Beck, Heinrich - Beck, Konrad

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L i t e r a t u r . S. HIRSCH, Jbb. d. Dt. Reichs unter Heinrich II., 1862, S. 545-554; MANITIUS, LG II 706708; R. BAUERREISS, Seeon in Oberbayern, Stud. Mitt. OSB 50 (1932) 529-555, hier S. 533-535; WATTENBACH/ HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen I 216 f. u. 284; STEGMÜLLER, Rep. 3353.

in cod. L16, 16V-34V der ÜB Freiburg i.d. Schweiz, in Frage kommen. Sie hat dasselbe Schriftwort (Rm 5, 10) als Prologtextwort und dieselbe Darstellungsform wie B.s Passionstraktat.

F. J. WORSTBROCK

L i t e r a t u r . R. FRAUENFELDER, Ein Kreis von Gottesfreunden im spätmal. Schaffhausen, Beitr. z. vaterländ. Gesch. 3 (1936) 77-85; M. CURSCHMANN, Der Miinchener Oswald u. d. dt. spielmännische Epik (MTU16), 1964, S. 201 f.; STAMMLER, Prosa, Sp. 774.

Beck, Heinrich

Verfasser einer Passionshistorie, die augenscheinlich als Original in Schaffhausen, StB, cod. gen. 10, lr-64r v. J. 1472 überliefert ist: Hainricus Beck pro tempore socius diuinorum et capellanus in scaffusa familiariter pro simplidbus cristi deuote wlgarisauit committens se pio correctors anno domini 1472 (64 r ). Nach dem Jahrzeitbuch der St. Johann-Kirche stammte B. aus Bregenz und war Kapellan am St. Nikolaus-Altar der Schaffhauser Stadtkirche St. Johann. B. muß um 1496 herum in den Franziskanerorden eingetreten sein, denn er ist zwischen 1496 und 1520 in verschiedenen Häusern des 1. Ordens als Prediger bezeugt (s. Anal. Franc. VIII, Reg. s.u. Beck, Heinricus). Er starb 1523 im Heilbronner Konvent (Anal. Franc. VI 276). Die Passionserzählung des H.B. benutzt eine mit zahlreichen (ca. 180) Väterzitaten erweiterte Evangelienkonkordanz. Von den Vätern wird Chrysostomus am häufigsten genannt (38mal), hierauf Augustin (26mal) und Beda (24mal); mehrfach erscheint der maister in historia ('Historia scholastica' des Petrus Comestor), die jüngste Autorität ist Nikolaus von Lyra). Der Stoff ist in 4 Teile mit je 3 Artikeln aufgegliedert, der Evangelientext durch rote Unterstreichung besonders hervorgehoben. Nutzanwendungen und emotionale Compassio-Haltung fehlen zwar nicht, treten indes stark zurück zugunsten theologischer Auslegung. Dem entspricht, daß die Passionsmystik Bernhards von Clairvaux und Bonaventuras unberücksichtigt bleibt. Noch weniger ist der Traktat mit FRAUENFELDER, dem sich CURSCHMANN anschließt, in die Nähe der deutschen Mystik zu rücken. Als lat. Vorlage könnte eine Historia passionis 'Qui inimici essemus', überliefert

K. RUH Beck, Konrad

Bürger aus Mengen (Württemberg), geb. 16.10.1437, gest. 22.7.1512, unternahm zahlreiche Pilgerreisen, verfaßte eine Reisebeschreibung einer Pilgerreise nach Jerusalem, eine Familienchronik und schrieb in einem Familienbuch Traktate und Novellen auf. 1. B e r i c h t der P i l g e r r e i s e n a c h Jer u s a l e m (7.4.-15.10.1483). Cünratt beck von mengen reiste mit Hans Trucksäsß zu waltpurg dem Jüngeren, den er seinen gnädigen herrn nennt, d.h. er reiste zumindest zeitweilig in der gleichen Gesellschaft wie Felix —> Fabri, der als Kaplan des Truchseß 1483 eine zweite Jerusalem-Reise unternahm und als Teilnehmer auch Conrad B. nennt (Einzelheiten wären zu untersuchen). Hs. Kalocsa, Erzbischöfl. Bibl., Nr. 384, 30 Bll., schwäb., beschrieben u. hg. von J. SZEGZARDI, Beck Konrad zarandokkönyve a XV. szazadbol, Budapest 1916; über die Entstehung der Hs. gibt ein beigelegter lat. Bericht von Hieronymus Beck (Enkel des K.B.) Auskunft, der 1522 selbst eine Jerusalem-Reise unternahm; vgl. A. VlZKELETY, Beschreibendes Verzeichnis d. altdt. Hss. in ungar. Bibl.n II, 1973, S. 216f., Nr.77. L i t e r a t u r . RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 501; RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 161; hier S. 112 u. 165f. wird ein anderer K.B. erwähnt, der 1436 oder 1440 nach Jerusalem pilgerte u. auch einen Bericht hinterlassen haben soll.

2. Die F a m i l i e n c h r o n i k im Familienbuch (Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 747) reicht von 1467 bis 1511 und wurde von seinen Söhnen Hans und Marcus (von Leopoldsdorf) sowie seinem Enkel Hieronymus bis 1571 fortgesetzt. Darin erwähnt er auch die Jerusalem-Reise (nur dies kennt RÖHRICHT).

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Becker, Eg(g)eling - Beckmesser, Sixt

A u s g a b e . H.J. ZEIBIG, Die Familien-Chron. der Beck v. Leopoldsdorf, Arch. f. Kunde österr. Gesch.Quellen 8 (1852) 209-229.

3. Im F a m i l i e n b u c h trug er ihn interessierende Stoffe - nach den Angaben ZEIBIGS - teilweise eigenhändig ein: Kalender von 1464 bis 1500, Anleitung zur Sterndeuterei und medizinische Traktate, 'Melusina' des Turing von Ruggeltingen von bern (->· Thüring von Ringoltingen), epistelfrancisci petrarche von ... ainer frawen grissel gehaissen (-> Stainhöwels 'Griseldis'), Losbuch, Traktate über Ehe, Planeten und die vier Temperamente. L i t e r a t u r . U. HESS, Heinrich Steinhöwels 'Griseldis'(MTU 43), 1975, Reg.

DIETRICH HUSCHENBETT Becker, Eg(g)eling (Engelinus) Theologe des 15. Jh.s. 1.Lebe n. E.B. aus Braunschweig (gest. 1481) studierte und lehrte in Erfurt (Winter 1440/41 immatrikuliert, 1442 Bacc. art., 1445 Mag. art., 1449/50 Bacc. theol.), wo er ab 1451 die bleibende Freundschaft Gabriel —> Biels fand. Die Erfurter Zeit wurde unterbrochen durch einen Studienaufenthalt an der Univ. Köln (zusammen mit Biel immatrikuliert am 25.5.1453 als Kleriker der Halberstadter Diözese). Nachdem B. und Biel gemeinsam im Herbst 1457 in Erfurt (KLEINEIDAM, S. 161) Lizentiaten der Theologie geworden waren, kam B. 1458 nach Mainz (vgl. TRITHEMIUS, 1494), sicher wiederum auf Empfehlung Biels, der dort seit Weihnachten 1457 Domprediger war. Als erster Inhaber eines theologischen Lektorats am Mainzer Dom hielt B. Vorlesungen für den Mainzer Klerus ab. Die erste Vorlesung, begonnen am 3.3.1458 (erschlossen aus den Zitaten bei FRANZ, S. 542 und 544-546), war seine 'Expositio canonis missae'. In Mainz trat B. in Beziehungen zu den Kartäusern. Er wird als Präbendar der Kartäuser von St. Michael bei Mainz und von St. Maria bei Straßburg bezeichnet (FRANZ, S.540 Anm.4). In Straßburg ist B. ab Jan. 1478 belegt. B. und der ihm befreundete Straßburger Prediger Johannes -»· Geiler von Kaisersberg sprachen sich 1479 im

Mainzer Prozeß —>· Johanns von Wesel gegen dessen Verurteilung aus. B. hatte bereits in Erfurt zusammen mit Johann studiert. Als B. 1481 in Straßburg starb, hinterließ er seine Bibliothek der Univ. Erfurt. 2. Werke. B.s umfangreiche 'Expositio canonis missae' (Köln, Hist. Archiv, cod. GB fol. 99, geschrieben 1464 im Kloster St. Alban bei Mainz; Frankfurt, ÜB, Ms. Bartholomei 93, geschrieben 1470), fast ein Kompendium der Moraltheologie und Dogmatik, geht in dieser inhaltlichen Breite über die spätmal. Meßerklärungen hinaus, wobei B. die theologische Tradition ausgiebig zitiert. Bedeutung hat B.s Meßerklärung dadurch erlangt, daß sie größtenteils in die 'Canonis missae expositio' Biels übernommen wurde und deren Grundlage bildet. An Predigten sind das Fragment eines 'Sermo... ad clerum... in vigilia assumpcionis gloriose virginis Marie' aus der Mainzer Zeit und ein im Straßburger Kartäuserkonvent gehaltener 'Sermo de sancto Anthonio abbate' erhalten (beide in Mainz, StB, Fragmentenmappe). L i t e r a t u r . J. TRITHEMIUS, De scriptoribus ecclesiasticis (1494), in: Opera historica, Frankfurt 1601, I 373f.; ders., Catalogus illustrium virorum (1495), in: ebd. I 373f.; A. FRANZ, Die Messe im dt. MA, 1902, S. 538-555; E. ISERI.OH, NDB I, 1953, S. 714f. (Lit.); E. KLEINEIDAM, Universitas Studiorum Erffordensis I, 1964, S. 159-161; E. J. DEMPSEY DOUGLASS, Justification in Late Medieval Preaching, Leiden 1966.

ULRICH BUBENHEIMER Becker, Peter -> 'Zerbster Ratschronik' Beckmesser, Sixt Meistersinger. N a m e und Leben. Ein Familienname B. existiert nicht. Georg Hager (1552-1634) und die Steyrer Meisterliederhs. von 1586 (Wien, cod. Ser. nov. 12.635) schreiben stets BeckMes(s)erer. B. hieß also Beck ('Bäcker') und war Messerer (Messerschmied) von Beruf (ROSENFELD, 1953, S.272f.). Hans Sachs, Schulkunst 1527, nennt B. als siebten, Hans ->· Folz, der 1459 in Nürnberg Bürgerrecht erhielt, und Sachs' Lehrer -» Nunnenbeck, der aus Augsburg (ROSENFELD, 1974, S. 262) nach Nürnberg kam und 1514 Bür-

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Becker, Eg(g)eling - Beckmesser, Sixt

A u s g a b e . H.J. ZEIBIG, Die Familien-Chron. der Beck v. Leopoldsdorf, Arch. f. Kunde österr. Gesch.Quellen 8 (1852) 209-229.

3. Im F a m i l i e n b u c h trug er ihn interessierende Stoffe - nach den Angaben ZEIBIGS - teilweise eigenhändig ein: Kalender von 1464 bis 1500, Anleitung zur Sterndeuterei und medizinische Traktate, 'Melusina' des Turing von Ruggeltingen von bern (->· Thüring von Ringoltingen), epistelfrancisci petrarche von ... ainer frawen grissel gehaissen (-> Stainhöwels 'Griseldis'), Losbuch, Traktate über Ehe, Planeten und die vier Temperamente. L i t e r a t u r . U. HESS, Heinrich Steinhöwels 'Griseldis'(MTU 43), 1975, Reg.

DIETRICH HUSCHENBETT Becker, Eg(g)eling (Engelinus) Theologe des 15. Jh.s. 1.Lebe n. E.B. aus Braunschweig (gest. 1481) studierte und lehrte in Erfurt (Winter 1440/41 immatrikuliert, 1442 Bacc. art., 1445 Mag. art., 1449/50 Bacc. theol.), wo er ab 1451 die bleibende Freundschaft Gabriel —> Biels fand. Die Erfurter Zeit wurde unterbrochen durch einen Studienaufenthalt an der Univ. Köln (zusammen mit Biel immatrikuliert am 25.5.1453 als Kleriker der Halberstadter Diözese). Nachdem B. und Biel gemeinsam im Herbst 1457 in Erfurt (KLEINEIDAM, S. 161) Lizentiaten der Theologie geworden waren, kam B. 1458 nach Mainz (vgl. TRITHEMIUS, 1494), sicher wiederum auf Empfehlung Biels, der dort seit Weihnachten 1457 Domprediger war. Als erster Inhaber eines theologischen Lektorats am Mainzer Dom hielt B. Vorlesungen für den Mainzer Klerus ab. Die erste Vorlesung, begonnen am 3.3.1458 (erschlossen aus den Zitaten bei FRANZ, S. 542 und 544-546), war seine 'Expositio canonis missae'. In Mainz trat B. in Beziehungen zu den Kartäusern. Er wird als Präbendar der Kartäuser von St. Michael bei Mainz und von St. Maria bei Straßburg bezeichnet (FRANZ, S.540 Anm.4). In Straßburg ist B. ab Jan. 1478 belegt. B. und der ihm befreundete Straßburger Prediger Johannes -»· Geiler von Kaisersberg sprachen sich 1479 im

Mainzer Prozeß —>· Johanns von Wesel gegen dessen Verurteilung aus. B. hatte bereits in Erfurt zusammen mit Johann studiert. Als B. 1481 in Straßburg starb, hinterließ er seine Bibliothek der Univ. Erfurt. 2. Werke. B.s umfangreiche 'Expositio canonis missae' (Köln, Hist. Archiv, cod. GB fol. 99, geschrieben 1464 im Kloster St. Alban bei Mainz; Frankfurt, ÜB, Ms. Bartholomei 93, geschrieben 1470), fast ein Kompendium der Moraltheologie und Dogmatik, geht in dieser inhaltlichen Breite über die spätmal. Meßerklärungen hinaus, wobei B. die theologische Tradition ausgiebig zitiert. Bedeutung hat B.s Meßerklärung dadurch erlangt, daß sie größtenteils in die 'Canonis missae expositio' Biels übernommen wurde und deren Grundlage bildet. An Predigten sind das Fragment eines 'Sermo... ad clerum... in vigilia assumpcionis gloriose virginis Marie' aus der Mainzer Zeit und ein im Straßburger Kartäuserkonvent gehaltener 'Sermo de sancto Anthonio abbate' erhalten (beide in Mainz, StB, Fragmentenmappe). L i t e r a t u r . J. TRITHEMIUS, De scriptoribus ecclesiasticis (1494), in: Opera historica, Frankfurt 1601, I 373f.; ders., Catalogus illustrium virorum (1495), in: ebd. I 373f.; A. FRANZ, Die Messe im dt. MA, 1902, S. 538-555; E. ISERI.OH, NDB I, 1953, S. 714f. (Lit.); E. KLEINEIDAM, Universitas Studiorum Erffordensis I, 1964, S. 159-161; E. J. DEMPSEY DOUGLASS, Justification in Late Medieval Preaching, Leiden 1966.

ULRICH BUBENHEIMER Becker, Peter -> 'Zerbster Ratschronik' Beckmesser, Sixt Meistersinger. N a m e und Leben. Ein Familienname B. existiert nicht. Georg Hager (1552-1634) und die Steyrer Meisterliederhs. von 1586 (Wien, cod. Ser. nov. 12.635) schreiben stets BeckMes(s)erer. B. hieß also Beck ('Bäcker') und war Messerer (Messerschmied) von Beruf (ROSENFELD, 1953, S.272f.). Hans Sachs, Schulkunst 1527, nennt B. als siebten, Hans ->· Folz, der 1459 in Nürnberg Bürgerrecht erhielt, und Sachs' Lehrer -» Nunnenbeck, der aus Augsburg (ROSENFELD, 1974, S. 262) nach Nürnberg kam und 1514 Bür-

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Beda

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gerrecht erhielt, als 11.712. der 12 alten Meister (Gründer ?) der Nürnberger Singschule. B. war somit vielleicht älter als letztere und gehört jedenfalls dem 15. Jh. an.

stattdessen den aus Wagenseil entnommenen Namen B. ein, der damit völlig zu Unrecht zum Inbegriff des kleinlichen Kritikasters wurde.

Das Nürnberger Bürgerbuch (seit 1370), Handwerkerbuch (seit 1382), Taufgeläutbuch (seit 1439), Briefbuch (seit 1455) und sonstige Archivalien kennen keinen Sixt B. oder Beck. Somit kann B. nur als Geselle in Nürnberg gewesen sein. Jedoch sind 1480 bis zum 17. Jh. Messerer namens Beck in Nürnberg nachzuweisen, die mit ihm verwandt sein mögen. Vielleicht war B. als Meister in Windsheim an der Aisch ansässig, da (lt. Nürnb. Briefb. 134,187) 1549 dort ein Sixt Beck (möglicherweise sein Sohn) ansässig war (Rückfrage in W. von 1952 blieb bis heute unbeantwortet), während 1539 in Nürnberg die Witwe des Sixt Beck erwähnt wird (Libr. lit. 43, 58); sie war wohl zu Nürnberger Verwandten übergesiedelt.

L i t e r a t u r . K.J. SCHRÖER, Meistersinger in Österreich, German. Stud. 2 (1875) 197-239; R. GENEE, Hans Sachs u. seine Zeit, 1894; C. MEY, Der Meistergesang in Gesch. u. Kunst, 1901; R. STAIGER, Benedict v. Watt, 1914, S. 82 f.; C.H. BELL, Georg Hager, a Meistersinger of Nürnberg 1552-1634, 4 Bde. (Univ. of California Publ. in Modern Philology 29-32), 1947; H. ROSENFELD, Der hist. Meistersinger S.B. u. d. Meistergesang, Euph. 47 (1953) 271-280; ders., NDB I 729f.; ders., Vorreformatorischer u. nachreformatorischer Meistersang, Stud. z. dt. Lit. u. Sprache d. MAs, Fs. H. Moser, 1974,5.253-271.

L i e d e r . Der einzige erhaltene Text B.s ist sein im Gülden Ton gedichtetes Neujahrslied Freut euch, ir werden cristenleut, drei SOzeilige Strr. in der Hs. Berlin, mgf 414, 268r-269r (erstmals gedruckt von ROSENFELD, 1953, S. 275-278). In feierlicher Zusammenschau werden Erlösungssehnsucht der Alten, Erlösungsbeschluß der Gottheit, Verkündigung, Odburt und Anbetung der Könige zu einem eindrucksvollen vorreformatorischen Neujahrslobpreis auf Maria gestaltet. Außer dem Güldenen Ton (später auch Überzarter Ton genannt) sind den späteren Meistersingern noch zwei Töne B.s bekannt: Corweise und Neuer Ton (nicht 'Maienton', so SCHRÖER, S. 222). Die Melodieüberlieferung aller Töne verzeichnet STAIGER, S. 82 f.; die Melodie des Neuen Tons ist abgedruckt bei GENEE, S. 403 f. und MEY, S. 197. N a c h w i r k u n g . Sachs'Schulkunst 1527 sagt, B. sein tön lieblich erhalle, rühmt also B.s Melodien. B.s Töne werden mehrfach benutzt, u.a. von Hans Sachs und Georg Hager. Jakob Ayrer dichtet 1605 sein 'Von der Juden Straf über das Leiden Christi' (Bautners Meisterliederhs. Nürnberg, StB, Will. III. 782) in B.s Güldenem Ton. Erneut bekannt wurde B.s Name durch Richard Wagners 'Meistersinger von Nürnberg' (1870). Noch der zweite hsl. Entwurf 1861 nannte den 'beckmessernden' Merker nach dem Wiener Musikkritiker Dr. Hanslick 'Hans Lick'. Die endgültige Fassung setzte

HELLMUT ROSENFELD Beda 1. Geboren 672/73, seit früher Jugend im Kloster Wearmouth erzogen, später in das Kloster Jarrow übergewechselt, wo B. bis zu seinem Tode i.J. 735 als Lehrer und Schriftsteller tätig war. B.s sehr umfangreiches CEuvre(AusgabePL90-95, die exegetischen, homiletischen und rhythmischen Werke jetzt im Corpus Christianorum, Series Latina, 118A-122, Turnholt 1955-1969, weitere Ausg.n s. Rep. font. II 469-473) umspannt nahezu alle Wissensbereiche: Er verfaßte, teils für den Schulbetrieb, Abhandlungen über Metrik, Rhetorik, Orthographie, Musik, Naturlehre, Chronologie; mit seiner 'Historia ecclesiastica gentis Anglorum' (wichtigste E d i t i o n : C. PLUMMER [Hg.], Venerabilis Bedae Opera Historica I, Oxford 1896, S.5-363) legte B. das Fundament für die mal. engl. Historiographie; daneben schrieb er geistliche Werke (Kommentare zu einzelnen Büchern der Bibel, Predigten, Heiligenviten etc.).

B.s bedeutender Einfluß auf das Geistesleben des MAs ist bisher nur unzureichend erforscht; dies gilt insbesondere für seine Einwirkung auf die dt. Literatur des MAs. 2. G l o s s e n . Von einer intensiven Beschäftigung mit dem Werk B.s schon in ahd. Zeit zeugen die zahlreichen Hss. seiner Werke, in die dt. Glossen eingetragen wurden (Ahd. GH. II 44-49; V 23 f. und die IV 766 genannten Stellen). 3. H o m i l i e n . a) Der früheste geschlossene Text ist die wohl in das 9.710. Jh. (CoRDES/HoLTHAUSEN, S. 257: Wende zum II. Jh.) zu setzende Übertragung des Eingangs einer der Allerheiligenpredigten (PL

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Beda

94, Sp. 452D-453A) ins As. (Hs. Düsseldorf, LB, cod. B. 80 4°, 153r, 9./10. Jh. [ ?]) (-> 'Altsächsische Homilie Bedas'). Ausgabe. MSD I, Nr.70, S.233; weitere Edd. s. MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S.4f. (T3).

b) Mehrere Stücke der -> 'Althochdeutschen Predigtsammlungen A-C' übersetzen bzw. paraphrasieren Teile von B.-Homilien: Die Wiener Bruchstücke (Wien, cod. 2681, 234va-235va, 11. Jh.) bringen ein längeres Zitat aus der Homilie 'In dominica Sexagesimae' (PL 94, Sp. 347B). Ausgabe. MSDI,Nr.86B,S.27918-27; weitereEdd. bei MORVAY/GRUBE, S.7 (T5), wo der B.-Einschub versehentlich nicht erwähnt ist.

Die zweite Predigt der Münchener Bruchstücke (München, cgm5248,3, f.2 rb4 -3 va7 , 11. Jh. (s. MSD II 428 und STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 179)) schöpft aus der Homilie 'In dominica secunda Quadragesimae' (PL 94, Sp. 102-105).

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-»Jacobus de Voragine) auf eine ältere Vita zurück, -> 'Visio Fursei'. 7. Einen Abschnitt der ' H i s t o r i a eccles i a s t i c a ' gibt auch ein Exempel wieder (Ut quidam a mortuis resurgens, multa et tremenda et desideranda quae viderat narraverit, PL 95, Sp.247-252), das in der Hs. Köln, Hist. Arch., cod. G.B.80108, 29v-30r, 2. Hälfte des 15. Jh.s, überliefert ist. 8. 'De m e d i t a t i o n e p a s s i o n i s Christi' (unecht; sicherlich eine Schrift des 12. Jh.s). Der meist unter B.s Namen (oder - seltener - dem des -*· Bernhard von Clairvaux) laufende Traktat 'De meditatione passionis Christi per septem diei horas' (PL 94, Sp. 561-568) hat maßgeblichen Anteil an der Passionsfrömmigkeit des Hochund SpätMAs. Er wurde wohl im 14. Jh. zum ersten Mal ins Dt. übersetzt.

Dt. Fassungen des 14. und 15. Jh.s z.B. in den Hss. Heidelberg, cpg411, 53r-67r, 14. Jh.; Berlin, mgo 282, 36r-59v, 15.Jh.; Donaueschingen, cod. 365, 84M02V, v. J. 1473; Göttingen, StB, cod. theol. 123, 105r-126v, Ausgabe. MSD I, Nr.86C, S.2815-2827. 15. Jh.; erweiterte mndl. Fassung z. B. Rotterdam, OudDie - sehr frgm. erhaltene - dritte Predigt heidkundig Museum, Nr. 1659,3r-52v, Anf. 15. Jh., da(gleiche Hs., f.3vb8-4vb16) benutzt Teile zu u. zum Werk selbst DANIELS, S. 191-195. - Ein in einer der Predigten B.s über Lei l, 14 (PL 94, der Hs. Karlsruhe, LB, cod. Ettenheimmünster 5,112V, Anf. 14. Jh. (Nachtrag, 14 Zeilen) stehender Text dürfte Sp.513D-514B). entgegen RICHTER, S. 52, nichts mit B.s Werk zu tun Ausgabe. MSD I, Nr.86C, S.2828-28316. - Die haben. lat. Texte der Predigten auch bei MSD II 425-428; A u s g a b e nach der Rotterdamer Hs., DANIELS, weitere Ausg.n u. Lit. bei MORVAY/GRUBE, S.7f. (T6). S.206-235 (mit lat. Paralleltext).

c) Eine der Predigten B.s von der Kirchweihe wurde in der 2. Hälfte des 15.Jh.s durch -» Nikolaus von Nürnberg übersetzt; A u s g a b e n s. MORVAY/GRUBE, S. 188 (T 187). 4. B.s ' C o m m e n d a t i o ' zu seinem Apokalypse-Kommentar (PL 92, Sp. 633-636) liegt in dt. Fassung vor in der Hs. Bamberg, SB, cod. E. III. 24 (Hist. 153), 139r-141r, Anfang 15. Jh. 5. Auszüge aus verschiedenen c o m p u t i s t i s c h e n und einem m e d i z i n i s c h e n Werk enthält die Hs. Manchester, John Rylands Library, lat. 95 (Crawford 105), lr-2v, 13./14.Jh., alem., g e d r u c k t bei R. PRIEBSCH, Dt. Hss. in England I, 1896, S.338-343. 6. F u r s e u s - V i s i o n . Die in der 'Historia ecclesiastica' enthaltene Furseus-Vision (PL 95, Sp. 145-149) geht wie deren dt. Fassungen (diese über die 'Legenda aurea' des

9. 'De septem v e r b i s d o m i n i in c r u c e'. Sehr großer Beliebtheit erfreute sich auch in dt. Sprache das dem ersamen priester beda zugeschriebene Gebet 'De septem verbis domini in cruce' (PL 94, Sp. 561 f.). Ü b e r l i e f e r u n g z.B. Berlin, mgo562, 34r-35v, 15. Jh., ostmd.; mgo487, 185r-188v, 15. Jh., ripuar.; München, cgm 79, 24r-29r, 15. Jh., mittelrhein.; ÜB, 8° cod. Ms. 277,182V-184V, l.H. 15. Jh., nordbair.; Solothurn, Zentralbibl., cod. S 693, 93r-96v, v. J. 1432, alem. Zu der sehr reichen mndl. Überl. s. MEERTENS II 111-114 u. VI 11, Nr.8; A u s g a b e d. ndl. Textes ebd. II Ulf.

10. Zum E i n f l u ß B.s auf d e u t s c h e W e r k e des MAs können hier nur einige Beispiele gegeben werden, die darauf hinzuweisen scheinen, daß B.s Schriften im SpätMA nur noch relativ selten benützt wurden: Sein Kommentar zu Markus wird im —> 'Heliand' verwendet; -»Otfrid von Weißenburg hält sich in

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'Bedeutung der acht Farben' (I) - 'Bedeutung der Blätter und Blumen'

Fragen der Orthographie vor allem an B.s 'De arte metrica' und benützt den Kommentar zu Lucas; die -»· 'Sächsische Beichte' ist in das sog. Poenitentiale (Ps.-) B.s eingeschoben; liturgische Äußerungen B.s ('Deofficiis') werden im sog. Brief Ruodperts von St. Gallen verwendet (vgl. EHRISMANN, LG l 442t.); der -> 'Linzer Antichrist' benützt ihn als Quelle; —»Heinrich von Melk beruft sich auf ihn; die bair. Prosafassung des -» Oswald' entnimmt den Schluß B.; Meister —» Eckhart zitiert B. sehr selten (s. Lat. Werke 1,1964, S. 729; Dt. Werke I, 1958, S.541; II, 1971, S.782); -»Tauler nennt ihn in seinen Predigten nur zweimal (ed. VETTER, 1910,5.279,323). 11. L i t e r a t u r . 1. A l l g e m e i n e s : a) Bibliographien: W.F. BOLTON, A Bede-Bibliography 19351960,Traditio 18 (1962) 437-445; gute Auswahlbibliogr. bei BLAIR (s.u.) und bei T.J.M. VAN ELS, The Kassel manuscript of Bede's 'Historia ecclesiastica gentis Anglorum' and its Old English material, Assen 1972. - b) Lexikonartikel: F.J.E. RABY, DHGE VII 395-402; F. VERNET, Diet. Spir. I 1322-1329; H. HUSCHEN, MGG I 1491-1493. - c) Darstellungen: K. WERNER, B. d. Ehrwürdige u. seine Zeit, Wien 21881; MANITIUS, LG I 70-87 u. 730 (Reg.), II 832f. (Reg.), III 1093 (Reg.); A.H. THOMPSON (Hg.), Bede, his life, times and writings. Essays in commemoration of the 12th centenary of his death, Oxford 1935; H. SCHREIBER, B. in buchgeschichtl. Betrachtung, ZfB 53 (1936) 625-652; ders., B. Venerabilis u. d. mal. Bildung, Stud.Mitt.OSB55 (1937) 1-15; F. OHLY, Hohelied-Stud., 1958, S. 64-70, 316 (Reg.); P.H. BLAIR, The world of Bede, London 1970; U. SCHWAB, AER-AEFTER. Das Memento Mori B.s als christl. Kontrafaktur. Eine philol. Interpretation, Studi di Letteratura tedesca. In memoria di Sergio Lupi, Florenz 1972, S. 5-134; BRUNHÖLZL, LG I 207-227 u. passim. - 2. Beda u. die dt. Lit.: M. MEERTENS, De godsvrucht in de Nederlanden II, o. 0.1931, S. 111-114; VI, o.0.1934,S. ll;B.-Heftder Zs. f. dt. Geistesgesch. l (1935) H. 6; L. M. DANIELS, Van den Seven Ghetijden der Passien Onses Heren, OGE 16 (1942) 191-195; STAMMLER, Prosa, Sp. 767, 769, 777f., 914 u. Reg., 1969, Sp. 14; D. RICHTER, Die dt. Uberl. d. Predigten Bertholds v. Regensburg (MTU 21), 1969, S. 52; L. E. AHLSSON, Die äs. B.-Homilie, Nd. Mitt. 29 (1973) 30-41; G. CORDES/P. HOLTHAUSEN, Altnd. Elementarbuch, 1973, S. 16, 19, 257.

VOLKER HONEMANN 'Bedeutung der acht Farben" (I) Ü b e r l i e f e r u n g . Görlitz, Oberlausitz. Bibl. d. Wiss., Anton-Nachlaß 189 (Abschr. d. 18. Jh.s), lr-3r. A u s g a b e . [K.G. v.] A[NTON], in: Dt. Museum [hg. v. H.C. ], Leipzig 1776, Bd.2, S. 1025-1032.

Lehrgespräch zwischen Dichter und Frau Liebe über die allegorische Bedeutung der acht Minnefarben. Der in der Ich-Form

erzählende Dichter wird von Frau Liebe in ihr Gemach geführt und über die dort zur Ausstattung verwendeten Farben belehrt (Rot = Frucht der Liebe; [Gelb ?]; Weiß = Keuschheit, Hoffnung; Grün = Beginn der Liebe; Schwarz = Schwierigkeiten, Trennung; Blau = Beständigkeit; Braun = Verschwiegenheit; Grau = Geduld, Demut; Gold und Gelb = Erwerbung des Himmels, der ewigen Seligkeit). Verbunden mit der Erläuterung der Minnefarben ist die traditionelle Polemik gegen deren mißbräuchliches Tragen. Die Rahmenhandlung ist nur oberflächlich mit der Farbenallegorese verbunden und schließt unmittelbar mit dieser ab. Die Auslegung der Farben entspricht den seit dem 14. Jh. im (ober)dt. Raum ausgebildeten Farbenkonventionen in der Minnepraxis (Ausnahmen: Rot, Gold und Gelb), desgl. die Bedeutung der scharlachrot gekleideten Personifikation. Das Gedicht (9 Meistersangstrr.; 120 vv.) wurde von ANTON in einer heute nicht mehr auffindbaren Kopie des 15. Jh.s (Titel 'Cando amatoria') vorgefunden und weist Textverderbnisse auf. L i t e r a t u r . J.G. BÜSCHING/F.H. v. D. HAGEN, Lit. Grundriß z. Gesch. d. Dt. Poesie von d. ältesten Zeit bis in d. 16. Jh., Berlin 1812, S. 319; W. GLOTH, Das Spiel von d. sieben Farben (Teutonia 1), 1902, S. 63, 71 Anm.12, S. 87; W. SEELMANN, Farbentracht, Ndjb28 (1902) 120, 122; H. NIEWÖHNER, Die sechs Farben, 1 VL1603; M. RHEINHEIMER, Rhein. Minnereden (GAG 144), 1975, S.222.

MELITTA RHEINHEIMER

'Bedeutung der acht Farben' (II) 16 Reimpaarverse über die Bedeutung der Minnefarben (für jede Farbe und die entsprechende Minnetugend 2 Verse), eingetragen in die astronomisch-medizinische Sammelhs. Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 747, 24V (2. Hälfte d. 15. Jh.s). Ausgabe. J.M. WAGNER, AnzfKdVz NF 8 (1861) 233. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.378.

TILO BRANDIS 'Bedeutung der Blätter und Blumen' Ü b e r l i e f e r u n g . Trier, StB, cod.H20/128a (moselfrk. Mitte LS.Jh.), 31r-34v.

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'Bedeutung der Buchstaben' - Beez, Andreas

Ausgabe. [J.] GRIMM, Altdt. Wälder I, 1966 (Reprograf. Neudr. d. Ausg. Cassel 1813), S. 144-158.

Blätter- und Blumenallegorese in Prosa mit dem Titel: 'Von der bäume bletter'. Abschnittsweise und systematisch werden in enger Anlehnung an die Gebrauchssphäre 36 Pflanzen auf ihre Bedeutung für die Minnepraxis ausgelegt (Ansatzpunkte der Allegorese: Eigenschaften, Farben, Namen, Einzelbuchstaben). Hierbei liegt das Hauptinteresse auf den Blumen (vgl. Nr. 12-23). Im Gegensatz zu verwandten Texten (s.u.) ist der Schluß ausdrücklich gekennzeichnet durch eine moralische Wendung, in der gegen das täuschende Tragen von Farben, Blättern und Blumen (manches, das sich erzeiget blae und warlich inwendig swartze und groe) polemisiert wird. Entstehungszeit dieser auf obd. Quellen (vgl. ->· 'Auslegung der Blätter und Blumen', ->· 'Was allerlei Blätter bedeuten') beruhenden Pflanzenallegorese ist wohl die 1. Hälfte deslS.Jh.s. L i t e r a t u r . GRIMM, S. 131-144; HALTAUS, Hätzlerin, S. LV; W. WACKERNAGEL, Kleinere Schriften l, 1872, S. 231-238 u. passim; K. GEUTHER, Stud. z. Liederbuch d. Klara Hätzlerin, 1899, S.35, 110-113; G. ROETHE, Niederrhein. Minnekatechese, Fs. d. Hansischen Gesch.ver.s, 1900, S. 165f.; R. PRIEBSCH, Aus dt. Hss. d. kgl. Bibl. zu Brüssel (Forts.), ZfdPh 38 (1906) 229; H. NIEWÖHNER, Minnereden u. -allegorien, 'VLIII 422 Anm.62; M. RHEINHEIMER, Rhein. Minnereden (GAG 144), 1975, S.59f., 71-73, 222f.

MELITTA RHEINHEIMER 'Bedeutung der Buchstaben' Spätestens im 12. Jh. entstandener mantischer Text, der die Buchstaben des Alphabets mit einzelnen zukunftsbezogenen Aussagen in Beziehung setzt, zu gebrauchen nach einem Traum und danach erfolgtem Aufschlagen eines Buches. Zum ersten dort gefundenen Buchstaben soll in dem mantischen ABC die Bedeutung gesucht werden. Die dt. einsetzende, im 15. Jh. auch mit lat. Textzeugen vertretene Überlieferung leitet sich wohl aus der Antike her, wo die Verwendung des Alphabets zu magisch-mantischem Tun geläufig war. Der ältesten Niederschrift in der Hs. Wien, cod. 2245, 83V (Ende 12.Jh.), hg. v. E. STEINMEYER, ZfdA 17 (1874) 84, fehlen die einleitenden Anweisungen zum

Losverfahren. Die Einleitung ist vorhanden bei den dt. Fassungen Donaueschingen, cod.793, 42" (15. Jh.) und Graz, ÜB, cod.41/85 4° (15. Jh.) sowie den lat. Gotha, LB, cod. chart. B53 8°, 177" (15.Jh.) und St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 692, S.491 (15. Jh.). Alle fünf und eine ae. Fassung neu hg. v. WILHELM, Denkm., S. 113, 210 bis 213. L i t e r a t u r . W. GRIMM, Über dt. Runen, Göttingen 1821, S.316f. ; A.E. SCHÖNBACH, B. d. B., ZfdA34 (1890) 1-6; F. DORNSEIFF, Das Alphabet in Mystik u. Magie, 1922, S. 20-29.

PETER ASSION

'Bedeutung der Farben' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 1940% 13rv (1481). A u s g a b e . K. STEJSKAL, Hadamars von Laber Jagd, Wien 1880, S. 198-199 (nur v. 1-27).

Frgm. eines mnd. Farbenauslegungsgedichtes von 63 Reimpaarversen. Deutung der weißen und grauen Farbe auf Minnetugenden. Von der grünen Farbe ist nur die Überschrift erhalten. Der Wortschatz entstammt z.T. der geistlichen Dichtung. L i t e r a t u r . G. ROETHE, Niederrhein. Minnekatechese, Fs. des Hansischen Gesch.ver.s, 1900, S. 162; W. GLOTH, Das Spiel v. d. sieben Farben, 1902, S. 75; BRANDIS, Minnereden, Nr. 371 mit weiterer Lit.

TILG BRANDIS 'Bedeutung der Farben und des Laubes' Frgm. einer mnd. Blumenallegorese von 114 Reimpaarversen in der ripuar. Sammelhs. didaktischer Reden Wien, cod. 2940* von 1481, 25r-26v. Die Farben der Blumen und Blätter werden einzeln auf Minnetugenden ausgedeutet. Eine Rahmenerzählung fehlt. Ungedruckt. L i t e r a t u r . G. ROETHE, Niederrhein. Minnekatechese, Fs. des Hansischen Gesch.ver.s, 1900, S. 165; W. SEELMANN, Farbentracht, Ndjb 28 (1902) 120; BRANDis.Minnereden, Nr. 380; GLIER, Artes amandi, S.279Anm.219.

TILG BRANDIS

Beeck -»· Heinrich von B. Beez, Andreas Magister und Pfarrer in Füssen. Das Ms. allem. 164 der Bibl. Nat. Paris (um 1500), Bl. 296, enthält das Rezept eines Trankes gegen die Pest unter B.s Namen. P. RAINER RUDOLF SDS

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'Befreiung der Altväter' - 'Beginchen von Paris'

'Befreiung der Altväter' Ü b e r l i e f e r u n g . Dessau, Zweigstelle der ÜB u. LB Sachsen-Anhalt, Hs. 24. 8° (ehemals Georg. 4°, 4), 130V-138V; Wien, cod. 3007,118v-125r. A u s g a b e . ZATOCIL, S. 80-88.

Der Titel dieses wohl im 15. Jh. entstandenen Gedichts (326vv.) lehnt sich an die (später nachgetragene) Überschrift in der Dessauer Hs. an (Wie got die altu&ter uß der hellen gelöset hadt). Das Werk bietet in knapper Form den Z.Teil des -»'Evangelium Nicodemi', den 'Descensus Christi ad inferos' - einen Bericht von der Höllenfahrt Christi durch die vom Tode erweckten Söhne Simeons, Leukios und Charinos-, in den der erste Abschnitt der Kreuzesholzerzählung (Seths Wanderung zum Paradies, sein Gespräch mit dem Engel, seine Paradiesesschau und seine Rückkehr) eingeflochten ist. Die Verbindung dieser beiden Stoffe war sicher bereits in der Vorlage des dt. Gedichts vollzogen. ZATO&L vermutet obersächsische Entstehung. L i t e r a t u r . L. ZATotiL, Befreiung d. Altväter, Sbornik Praci Filosoficke Fakulty Brnenske University (Brunn 1965) D 12, S. 75-93.

WERNER WILLIAMS-KRAPP 'Beginchen von Paris' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Dem mndl. Original am nächsten steht der Wiegendruck Delft, Chr. Snellaert (?), um 1489/95 [D]; von ihm abhängig sind die Drucke Antwerpen, H. Verdusse, 1605 [A1] und Antwerpen, P. Stroobant, um 1660 [A2]. Einen guten, ins Mnd. umgeschriebenen Text enthält ferner die Hs. Hamburg, SB u. ÜB, Conv. 5, vom Ende des 15. Jh.s [H]. Textlich stark umgeformt sind demgegenüber zwei von einander unabhängige westnd. und westmd. Bearbeitungen, von denen die erstere in der um 1470 entstandenen Hs. Oldenburg, LB, Cim. 1,73 [O], die andere in vier Kölner Frühdrucken (Heinrich von Neuß, um 1510 [B]; ders., um 1512 [K]; Servais Kruffter, um 1530 [P]; Anton Keyser, um 1550) überliefert ist (Siglen nach SEGEBRECHT). Über die Stellung zweier seit 1945 verschollener mnd. Hss. aus der Lübecker StB (Ms. theol. germ. 45 und 66) lassen sich, da diese nie hg. oder kollationiert worden sind, keine Angaben machen. 2. A u s g a b e n . J. VAN VLOTEN, Algemeene Konst en Letterbode voor het jaer 1853, U. Deel, S. 50-55 (D); C.P. SERRURE, Baghijnken van Parijs (Maetschappij der Vlaemsche Bibliophilen, 3e Serie, Werken voor de leden alleen bestemd, Nr. VII), Gent 1860 (A 1 ); O. SCHADE, Geistl. Ged. d. 14. u. 15.Jh.s vom

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Niederrhem, 1854, S.333-360 (K); A. LÜBBEN, Mnd. Ged. aus Hss., 1868, S. 1-20 (O); R. SEGEBRECHT, Von dem Beginchen zu Paris, Diss. (masch.) Hamburg 1920 (H u. krit.); A. AMPE, Dat Baghijnken van Parijs, OGE 28 (1954) 277-316 (mit Rekonstruktionstext); W. NIEKERKEN, Ndjb 82 (1959) 99-112 (H).

3. Thema des in den verschiedenen Fassungen zwischen 116 und 138 vierzeilige Strophen umfassenden Gedichts ist der Preis der inbrünstigen mystischen Jesusminne eines demütig-schlichten Mädchens. Um sich ganz ihrer innigen Liebe zum gekreuzigten Heiland hingeben zu können, entsagt die Tochter einer vornehmen Pariser Familie allen ihr in reicher Fülle zu Gebote stehenden Herrlichkeiten der Welt und tritt in einen Beginenkonvent ein. Die Teilnahme an den konventionellen Formen des Beginenlebens, gemeinsamer Feier des Gottesdienstes und werktäglicher Arbeit, weist sie jedoch zurück, um sich in unablässiger stiller Andacht ganz in Christi Erlösungswerk und die einzelnen Stationen seines Lebens und Leidens hineinversenken und seiner grenzenlosen Liebe mit gleicher unbedingter Hingabe des Herzens antworten zu können. Sieben Jahre lang in so inbrünstiger Liebesverzückung versunken, daß sie während all dieser Zeit keiner irdischen Nahrung bedarf und die sieben Jahre ihr lediglich wie ein Tag vorkommen, wird sie schließlich der Erscheinung Christi, ihres göttlichen Geliebten, gewürdigt und von ihm nach einer letzten, glänzend bestandenen Erprobung ihrer hingebungsvoll-demütigen Liebe in die himmlische Herrlichkeit heimgeholt. Ihr verklärter Tod läßt die anderen Beginen die Vorbildhaftigkeit der zu Lebzeiten Verkannten begreifen und erweckt auch in ihrer weltstolzen Mutter die Sehnsucht nach dem jenseitigen Leben. 4. Als Verherrlichung ganz aus den Kräften eines schlichten Gemüts erwachsener mystischer Gottesliebe spiegelt das 'B. v. P.' den Geist der spätmal, ndl. und nd. Beginenhöfe und Schwesternhäuser, in deren Umkreis der Text zu Anfang des 15. Jh.s entstanden sein dürfte. Die gedankliche Aussage des Textes verbindet sich dabei mit der Erzähltechnik, dem Sprachstil und der rhythmisch-metrischen Form zu wirkungsvoller künstlerischer Einheit.

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'Beginchen von Paris'

Erzähltechnisch bestimmendes Strukturelement ist die Gestaltung des Geschehens nicht in Form des epischen Berichts, sondern in Form der dramatischen Rede, und zwar dergestalt, daß sich das Gedicht im wesentlichen aus drei großen Zwiegesprächen aufbaut. In jedem überwindet die Begine sich in ihrer Schwere steigernde Versuchungen, sie vom Weg unbedingter Versenkung in die Jesusliebe abzubringen. Im ersten großen Dialog widersteht sie allen von ihrer Mutter in geschickter Steigerung vorgebrachten Verlockungen zu den Freuden der Welt. Viel tiefgreifender sind die beiden folgenden Versuchungen, in denen es um zentrale Probleme des religiösen Lebens selbst geht. So tritt die Versuchung im zweiten großen Zwiegespräch als Forderung nach klösterlichem Gehorsam, nach Teilnahme am Gottesdienst und an der werktäglichen Arbeit, an die junge Begine heran. Die schwerste Versuchung, darauf folgend aber auch die krönende Erfüllung, enthält das abschließende dritte große Zwiegespräch, in dem Christus selbst der in siebenjähriger Kontemplation zur Vollendung herangereiften Begine gegenübertritt. Dabei besteht sie auch die letzte und schwerste Probe, die der Demut, indem sie die von Christus selbst ihr angebotene Aufnahme in seine himmlische Herrlichkeit ausschlägt und sich wie bisher ausschließlich liebender Versenkung in Christi Kreuz und Leid hingeben will. Nach einem letzten glühend-überschwenglichen Bekenntnis ihrer unbedingten und dennoch demütig-schlichten Liebe wird ihr daraufhin die endgültige Vereinigung mit dem himmlischen Geliebten zuteil. 5. Zusammen mit der für volkstümliche erzählende Lieder typischen Kombination epischer und dramatischer Struktur deutet die Dreigliederung mit Achtergewicht bei der Handlungsführung bereits darauf hin, daß die poetische Technik des 'B. v. P.' stark aus volkstümlichen Dichtungstraditionen gespeist wird. Dies erweist sich in noch stärkerem Maße anhand des Sprachstils und der rhythmisch-metrischen Gestalt des Gedichts. Die Strophenform ist die vierzeilige, durch Wechsel von viertaktig-vollen reimlosen mit viertaktig-klingenden reimtragenden Versen sowie durch lebendige

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Freiheit der Taktfüllung gekennzeichnete Volksballadenstrophe. Charakteristische Merkmale des Sprachstils sind der Gebrauch wiederkehrender, mehrfach durch Reimstellung zusätzlich herausgehobener Leitwörter (minne, mijn alderliefste lief; arm, liden, we, rouwe, droefnisse, not, blot, dot usw.) und die (besonders beim Wechsel von Rede und Gegenrede auffällige) wörtliche oder leicht variierte Wiederaufnahme ganzer Sätze oder Satzteile sowie der darüberhinaus für das ganze Gedicht kennzeichnende syntaktische Gleichlauf einander folgender oder auf einander bezogener Strophen. Die dadurch erzeugte Stilisierung der Sprache ergibt, zusammen mit einer auf eindringlichen Gefühlsausdruck und ausdrucksstarke Sinnbildlichkeit abzielenden, gleichwohl von natürlicher Schlichtheit geprägten Wortwahl, eine sprachliche Form, in der die Aussage des Textes auf überzeugende Weise zum Ausdruck kommt. 6. Die vermutlich zu Anfang oder um die Mitte des 15. Jh.s in holländischen Beginenkreisen nach unbekannter Quelle entstandene Dichtung stellt zweifellos eine der schönsten Schöpfungen jener geistlichen Lyrik dar, die in den ndl. und nd. Beginenkonventen und Schwesternhäusern seit -*Hadewijchs Tagen gepflegt wurde. In der Schilderung der demütig-hingebungsvollen Jesusminne des Pariser Beginchens verkörpert sich das höchste Ideal einer fern von den großen Gedankengebäuden der gelehrtspekulativen Mystik ganz auf innig-schlichtes Aufgehen der liebenden Seele in Gott ausgerichteten Frauenmystik. Es verwundert daher nicht, daß der Text außer in den Niederlanden auch im benachbarten nd. und westmd. Gebiet Verbreitung gefunden hat. Die überlieferten Textfassungen, die zweifellos nur einen Bruchteil des einst Vorhandenen ausmachen (von den vorauszusetzenden mndl. Hss. hat sich keine einzige erhalten!), weisen z.T. recht erhebliche Unterschiede im Wortlaut und im Strophenbestand auf, wie dies für Texte mit sich kreuzender schriftlicher und mündlicher Überlieferung gattungsspezifisch ist. Außer solchen bei der Texttradierung meist unbewußt zustande kommenden Änderungen hat der Text aber auch zweimal bewußt vor-

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Beham, Lazarus - Beheim, Michel

genommene, auf gesteigerte Reimkunst hinzielende Umarbeitungen erfahren (Hs. O und Kölner Drucke); bei diesen Umdichtungen der ursprünglich xaxa gereimten in abab gereimte Strophen ist freilich die ursprüngliche schöne Ausgewogenheit von Form und Inhalt, wie sie in D und H bewahrt ist, allzu oft stilistisch unbeholfenem, inhaltlich leerem Reimgeklingel geopfert worden. L i t e r a t u r . S.o. 2 (Ausgaben); außerdem: T. SCHWICKERT, Das Gedicht von d. 'B. v. P.', Jb. d. Kölner Gesch.vereins 16 (1934) 78-107; W. STAMMLER, Stud. z. Gesch. d. Mystik in Norddeutschland (11922), neu bearb. in: Altdt. u. altndl. Mystik, hg. v. K. RUH, (WdF 23), 1964, S. 386-436, dort S. 402.

HARTMUT BECKERS Behaim -> Albert Böheim Beham, Lazarus L.B. stammt aus Sulzbach und nennt sich selbst practicus in quadrivio. Von ihm ging ein 72 Blätter umfassendes, astronomischastrologisches Handbüchlein mit kalendarischen Tabellen und zahlreichen Holzschnitten in den Druck, das überwiegend in dt. Sprache abgefaßt ist (Köln: Nikolaus Götz, um 1476; HAIN 9728, GW 3766). Der Schlußteil, 55r-72r, der eine eigene Abhandlung über die Wirkungen der Tierkreiszeichen und Planeten darstellt, ist auch hsl. überliefert. Die Fassung der Münchner ÜB, 4° cod. ms. 745, 66ra-86va (geschr. 1482/83 in Rosenheim), ist eine Abschrift aus der Inkunabel (Hye vahet an ein puch von der astronomien vnd von der speren lauff, auch der zaichen vnd auch von den VII planeten). Die Überlieferung in München, cgm 328, 122r-138r (2.H.d.l5. Jh.s) bringt im Gegensatz zu den beiden anderen Textzeugen den Planeten- vor dem Tierkreisteil (Von den würckungen der 7 planneten vnd der 12 zaichen. Hie hebt sich an ain buch von der astromey [!] vnd von der spern lauf). Der Verfasser gibt als seine Quellen u.a. Alcabitius, Abenragel und das (dem Ptolemäus zugeschriebene) 'Centiloquium' an. L i t e r a t u r . SCHNEIDER, München II 335-342, bes. S. 339; KORNRUMPF/VÖLKER, München, S. 175-182, bes. S. 177; E. ZINNER, Verzeichnis d. astronomischen Hss. d. dt. Kulturgebietes, 1925, Nr. 1208-1210.

WOLFRAM SCHMITT

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Der Beheim Prediger des 14.Jh.s, uns nur bekannt durch kleine Auszüge in Berlin, mgq 191, 358V, 361r-362v. 364r/v (um 1400). Sie enthalten nichts Mystisches, sondern beschäftigen sich mit dogmatischen (Engelslehre, Hl. Geist) und katechetischen (Reue, Buße, Beichte) Fragen. Hg. v. F. PFEIFFER, Germ. 3 (1858) 227. WOLFGANG STAMMLER! Beheim, Michel 1. Leben. Quellen zur Biographie B.s sind vor allem seine Gedichte (bes. das zusammenfassende Herkunfts- und Karriere-Lied 24; vgl. auch Lied 327; 328; 329), die jedoch trotz ihres geringen Stilisierungsgrades (vgl. dagegen: —»Oswald von Wolkenstein!) nur mit der bei dichterisch geformten Selbstaussagen notwendigen Vorsicht verwertet werden dürfen; ferner eigenhändige Eintragungen in Hs.A, 315V sowie einige Abrechnungsnotizen (bisher 7: SALMEN, 1957/58; PIETZSCH, 1966, S.SOf.; GILLE/SPRIEWALD, Ausg. l, S.XV1II Anm. 6). Größere biographische Darstellungen versuchten vor allem KARAJAN (Ausg. 1843; fast ausschließlich durch Nacherzählung der Gedichte) und GILLE (1910, S.4-8). Zu den verschiedenen Schreibweisen des Namens vgl. GILLE/SPRIEWALD I, S. XVII Anm. 1.

B. wurde nach eigener, nicht ganz eindeutiger Auskunft (Hs.A) am Michaelstag 1416 oder 1421 (KARAJAN, Ausg. 1843, S. XXVI - mit nicht völlig überzeugender Argumentation: 27.September 1416) geboren, und zwar - nach Angabe in seinen Gedichten - in Sülzbach bei Weinsberg/ Nordwürttemberg als Sohn eines Webers. Er war zuerst gleichfalls Weber, wurde dann aber vom Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg (f 1448) offenbar als Dichter und Sänger 'entdeckt' und in Dienst genommen. Nach dessen Tod stand B. in wechselnden Dienstverhältnissen, und zwar - wieder nach Auskunft seiner Gedichte - vor allem beim Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach und dessen angeheiratetem Neffen König Christian I. von Dänemark, bei den Wittelsbacher Herzögen Albrecht III. (t 1460) und wohl auch IV. von Bayern, bei Graf Ulrich II. von Cilli (t 1456), bei den untereinander verfeindeten Habsburgern: König Ladislaus Postumus von Böhmen und Un-

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Beheim, Michel

garn (fl457), Herzog Albrecht VI. von Österreich (t 1463) und Kaiser Friedrich III. (wohl bis spätestens Weihnachten 1466: vgl. Lied 93; GILLE, 1910, S. 7), sowie schließlich bei Graf Eberhard V. von Württemberg und bei dem Wittelsbacher Pfalzgrafen Friedrich I. dem Siegreichen (f 1476). Rechnungsurkunden zeigen außerdem, daß B. auch von Städten (Augsburg, Wien, Nördlingen) entlohnt wurde. Wie CASPART, 1877, aufgrund zweier Steinfunde in Sülzbach (Wappenstein, Sühnekreuz - beide noch bzw. wieder in Sülzbach, wenn auch mit veränderter Aufstellung) vermutet, war B. später schulteis in seinem Geburtsort und kam dort ca. 1474/78 durch Mord um (das vielzitierte Todesdatum 1474 ist unbeweisbar!). Nach seiner Mitteilung in Hs.A hatte B. mindestens 4 Kinder (ein 5. Geburtseintrag bricht in der Mitte ab). Im Dienste seiner verschiedenen Herren hat B. wichtige Ereignisse seiner Zeit als Beobachter miterlebt und als Dichter erzählt. Er unterstützte und propagierte die teilweise völlig gegensätzlichen Standpunkte und Interessen fast aller seiner Brotherren, und er trat z. B. auch trotz seiner poetischen Agitation gegen die süddeutschen Reichsstädte dennoch später dort auf, In der Schlußstrophe seiner 'Pfälzischen Reimchronik' sagt B. dazu ausdrücklich, daß seine Kunst 'nach Brot' gehe und jedem Zahlenden zur Verfügung stehe; hierin äußert sich wohl weniger - wie immer wieder behauptet wurde - Charakterlosigkeit, sondern eher ehrlich ausgesprochene Einsicht in die wirtschaftliche Situation, in der er als lohnabhängiger Berufsdichter mit wechselnden Engagements stand. Die Abhängigkeit von einem breiten, immer wieder wechselnden Publikum hat wohl auch die leichte Verstehbarkeit namentlich seiner Erzählgedichte bewirkt bzw. erzwungen (vgl. MÜLLER, Beobachtungen, 1974). Die Vorstellung von B. als königlichem Ratgeber und 'Mentor' (GiLLE, 1910, S. 99) ist wohl zu romantisch. Keinesfalls darf B. zu den Meistersingern im eigentlichen Sinn gerechnet werden, da er weder dauernder Stadtbürger noch jemals Angehöriger einer Singschule war; in Themen, Stil und Kunstauffassung zeigt er dagegen manche Beziehung zum Meistersang. Als Vorbilder nennt B. ausdrücklich -> Muskatblüt, den er vielleicht bei Konrad von Weinsberg kennenlernte (Lied 358; 425), ->Heinrich von Mügeln (102; vgl. auch u. 5a) ferner den -»Harder, -»Lesch und -»Hülzing (425); als Kunstkenner preist er u.a. -»Püterich von Reichertshausen (102). B. zeigt großen Stolz auf seine Kunst und sein Wissen und betont immer wieder die gesanges usirdichait (23); seine Verachtung und sein Tadel gelten ungebildeten Zuhörern und

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Sängern (60-67), vor allem solchen, die fremde Werke als eigene ausgeben (102; zu B.s Stellung zur Instrumentalmusik vgl. PETZSCH, DVjs 1967). Die Gedichte beweisen, daß B. sich tatsächlich eine respektable Bildung, vor allem in theologischer Hinsicht, angeeignet hat. Ferner dokumentiert der Besitzereintrag B.s in eine Hs. des 'Doctrinale puerorum', der vielbenützten versifizierten lat. Grammatik des Alexander de Villa Dei von etwa 1200 (Hs. Halle Za2 [früher: Wernigerode Za2], vgl. E. FÖRSTEMANN, Die Gräflich-Stolbergische Bibl. in Wernigerode, 1866, S. 74), daß er sich offenbar ums Lateinische bemüht hat (Hinweis von F.SCHANZE).

2. Chronologie. Von den Liedern lassen sich zumeist nur diejenigen mit aktuellpolitischem Inhalt genauer datieren: sie sind größtenteils wohl zwischen 1449 und 1466 entstanden (GiLLE, 1910; MÜLLER, Unters., 1974); in die pfälzische Zeit (ca. 1467-1474) fallen nach Ausweis der Überschrift die zu einem Buch zusammengefaßten Lieder 'Von der Liebhabung Gottes' (125-147). Die 3 Reimchroniken sind aufgrund ihres Inhaltes zu datieren auf etwa 1462/6 ('Buch von den Wienern' [= 'BvdW']), 1464/6 ('Buch von der Stadt Triest' [= 'BvdST']) und nach 1471 ('Pfälzische Reimchronik' [='PfR']). Die gesamte Schaffenszeit B.s wird etwa die Jahre 1440 bis 1474 umfassen. 3. Ü b e r l i e f e r u n g . Obwohl B. ausschließlich singbare Strophendichtungen verfaßte, sind die Lieder und Chroniken in der Überl. deutlich getrennt. Die weitgehend thematische Gruppierung der Lieder innerhalb der Hss. (vgl. GILLE/SPRIEWALD I, S.XLIX-LV) sowie die Zusammenfassung einiger geistlicher Liedgruppen zu einem 'Buch' (mit teilweise separater Überl.) geht sicherlich auf B. selbst zurück. Die Lieder (vgl. GILLE/SPRIEWALD) sind überliefert in 3 'Gesamt'Hss. (A = Heidelberg, cpg 312; B = München, cgm 291; C = Heidelberg, cpg 334), in 4 Teil-Hss. (D = Heidelberg, cpg 382: 'Büchlein von den sieben Todsünden' in der verkerten weise; E = Heidelberg, cpg 351: 'Büchlein von den Engeln', 'Büchlein von der Kindheit Christi' [beachte dazu aber die widersprüchlichen Überschriften in E!] und andere geistl. Lieder in der oster weise; F = Berlin, mgq 1402: Teilabschrift aus B, etwa 1495; G = Heidelberg, cpg 375: einzige Überl. seines 'Buches von der Liebhabung Gottes'), sowie in 2 Sammel-Hss. (a = Dresden, LB, cod. M 180: 9 geistl. Lieder B.s, zu einem evtl. weiteren vgl. GILLE/SPRIEWALD I, S. XXXIX-XLII; b = Berlin, mgq 414: Sammlung des Hans Sachs [-» 'Meisterliederhss.'], von B. nur das geistl. Lied 284). Von diesen Hss. sind A und C zum größten Teil Autographe B.s, Hs. B wurde

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Beheim, Michel

offenbar von ihm durchkorrigiert; E und G wurden zwar von GiLLE/SpRiEWALD als Autographe angezweifelt, aber beide Hss. stammen doch wohl von B. selbst (KRATOCHWILL). Auf eine vermißte B.-Hs. der ÜB München (2° cod. ms. 737) verweisen KORNRUMPF/ VÖLKER, München, S. 107. Die unterschiedlichen Textfassungen mancher Lieder in den 'authentischen' Hss. ABC können nur von B. selbst stammen, beweisen also eindeutig die Existenz von Autorenvarianten; der Eintrag der 'Karriere-Strophen' von Lied 24 in Hs. A, 24V (mit Rasuren, Streichungen, Änderungen, Ergänzungen) zeigt z.B. mit sonst im MA kaum anzutreffender Eindeutigkeit, wie ein Dichter seinen Text den gewandelten Umständen anpaßte (vgl. GILLE/ SPRIEWALD I, S.XLVI-LXVII; MÜLLER, Unters., S.277-292). Ungewöhnlich sind die teilweise ausführlichen Überschriften, die mitunter an (autobiographische) razos erinnern (z.B.: 309 ab; 387; 438). Von den Reimchroniken sind jeweils nur in l Hs. überliefert das 'BvdST' (Hs. des Schweinfurter Gymnasiums, o. Sign., im 2. Weltkrieg zerstört) und die 'PfR' (Heidelberg, cpg 335; laut HOFMANN [Ausg. 1863, S.316] von Beheim durchkorrigiert); das 'BvdW in 3 mal. Hss. (wovon Heidelberg, cpg 386 seit KARAJAN, Ausg. 1843, als Autograph gilt) und 2 Abschriften des 18./19.Jh.s (PETZSCH in GILLE/SPRIEWALD III l, S. 484f.; ders., 1972, S.271-274). 4. A u s g a b e n . Nachdem lange Zeit nur wenige (laut GILLE/SPRIEWALD I, S.XVIII Anm.2: 66 von 452), vor allem politische und religiöse Lieder an verstreuten Orten ediert vorlagen, ist das lyrische Gesamtwerk B.s jetzt erstmals zugänglich durch die neue Ausgabe (zit.) von H. GILLE/I. SPRIEWALD, Die Ged. des M.B. (DTM 60, 64, 65), 1968-1972 (in Bd.III l die Melodien bearbeitet von PETZSCH; in Bd. III 2 Wortverzeichnis von M. E. FRITZE) ; dort auch die Nachweise früherer Veröffentlichungen; fast alle politischen Lieder finden sich jetzt außerdem bei U. MÜLLER, Polit. Lyrik d. dt. MAs. Texte II (GAG 84), 1974. - Das 'BvdST' wurde bereits zweimal ediert (H. OERTEL, Progr. Schweinfurt 1916; GILLE/SPRIEWALD III 353 bis 450); die einzige Ausg. des 'BvdW' stammt von TH.G. VON KARAJAN (M.B.s 'BvdW', Wien 1843), während von der 'PfR' nur Teilveröffentlichungen vorliegen (C. HOFMANN, Quellen u. Erörterungen z. Bayer, u. dt. Gesch. III l, 1863: Buch II u. III; K. CHRIST, ZurBaugesch. d. Heidelberger Schlosses, 1884 u. K. WASSMANNSDORFF, Die Erziehung Friedrichs d. Siegreichen, 1886: jeweils Auszüge aus I); eine kommentierte Gesamtausg. der 'PfR' (als Salzburger Diss. von D. KRATOCHWILL vor dem Abschluß) und ein Kommentar zum 'BvdW' sind dringend notwendig.

5. Werk. B.s Gesamtwerk ist, vor allem bedingt durch die lange fehlenden Editionen, noch nicht aufgearbeitet. Nur zu den Teilbereichen der politischen Lieder, zum 'BvdST' und zu den Melodien liegen meh-

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rere Untersuchungen vor (vgl. Bibliographie) ; erstaunlich ist, daß die geistlichen Lieder B.s (trotz teilweise früher Veröffentlichung durch WACKERNAGEL, KL II 666-689 = Nr. 859-889) noch kaum untersucht wurden. Bisherige negative Beurteilungen B.s erscheinen jedenfalls vorschnell. Die Lieder und Chroniken sind stilistisch ähnlich: klare, anschauliche Sprache, obd.ostfrk. gefärbt, manchmal mit Neigung zur Derbheit; weitgehendes Fehlen von komplizierten Ausdrücken und Bildern; Überspielen der Vers- und Strophengrenzen (vgl. SPRIEWALD, 1962); chronologisch fortlaufende Berichte in allen erzählenden Gedichten; starke Vorliebe für Bilder und Fabeln (meist ausdrücklich zweigeteilt in exempel und g/os) in den Liedern; viele didaktische Elemente; deutliches Bemühen um gute Verständlichkeit beim Publikum. a. Die 452 Lieder (nach der Zählung von GILLE/SPRIEWALD) sind in 11 Weisen gedichtet und umfassen mitunter bis zu 1000 Versen (99; 104; 328). Sie zerfallen thematisch in folgende, hier etwa quantitativ geordnete Gruppen: 1. religiöse Lieder (die Hauptmasse der Lieder), darunter viele Erzählungen wichtiger heilsgeschichtlicher Stationen (Schöpfung, Sündenfall, Geburt und Jugend Christi), teilweise der Bibelparaphrase sich nähernd; 2. Lieder zu allgemeinen Fragen der Moral und Ethik; 3. politische Lieder (Erzähl-, Mahn-, Scheit-, Preislieder; oft autobiographisch gefärbt; wechselnde Tendenzen, aber antihussitisch und - trotz aller Kritik - adelsfreundlich; häufige Verwendungen von Exempeln und Prophezeiungen: vgl. GILLE, 1910, und die chronologische Übersicht bei MÜLLER, Unters., S. 246-267); 4. (von 3. oft schwer zu trennen): autobiographische Lieder; 5. Liebeslieder (z.B. Klagelieder, 'Sommer'und 'Winter'-Lieder, beschreibende Preislieder) ; 6. Lieder zur Kunstauffassung und -ausübung. Zur thematischen Gruppierung in der Überlieferung s. o. 3. Quellen: In den politischen Liedern erzählt B. oft Selbsterlebtes und berichtet weniger aus zweiter Hand; Vorlagenbenutzung ist erkennbar bei 104; 99 (dazu besonders: G.C. CONDURATU, 1903); 96 (Versifizierung einer Predigt des -> Nikolaus von DinkelsbühlRedaktors: briefl. Hinweis von . ); vgl.

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aber auch 327. Für den größten Teil der geistlichen Lieder wird man direkte Quellen und Vorlagen annehmen müssen. Bisher bekannt sind: Thomas -> Peuntners 'Büchlein von der LiebhabungGottes' (2. Fassung) für B.s gleichnamiges Liederbuch (125-147); ein Antichristleben nach -»Hugo von Straßburg (gedr. bei E. KELCHNER, Der Enndkrist d. StB zu Frankfurt a.M., 1891, -»'Antichrist [Endkrist]-Bildertext') für 'Der antikrist' (355); auf beides verweist G. STEER, German. Scholastikforschung I, Theologie u. Philosophie 45 (1970) 220 Anm. 104; -»Heinrichs von Langenstein 'Erchantnuzz der sund' (2. Teil) für das 'Büchlein von den sieben Todsünden' (164—202) sowie eine diesem zugeschriebene Vision für die geistlich-politischen Lieder 108 und 109; beides bei: TH. HOMANN, Discretio spirituum. Texte u. Unters, z. 'Unterscheidung der Geister' bei Heinrich v. Langenstein, Diss. Würzburg 1972, S. 221 u. 232 (jetzt MTU 63); Irmhart -*Ösers Übers, von Rabbi Samuels Epistel (hg. von M. MARSMANN, Die Epistel des R.S., Diss. [masch.] München 1971) und Heinrichs von Mügeln ProsaTraktat 'Von der Juden Irrsall und Irem ungelawben' (Wien, cod. 2846, 119r-127v, zur Autorschaft s. A. BERGELER, ZfdA 80 [1944] 177-184) für die 'contra-Iudeos'-Lieder 208-226 bzw. 227-234 (briefl. Hinweis von K. H. KELLER, der an einer Diss. über die dt. Rezeption des Rabbi Samuel arbeitet). Die bisher bekannten Quellen für B.s Lieder stammen also zumeist aus dem österr. Raum; weitere solche Quellen sind zu vermuten.

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grafen und unter Verwendung der 1469 vollendeten Prosachronik des -» Matthias von Kemnat sowie - wie sich jetzt erwies (KRATOCHWILL) - der 'Chronik von den Fürsten zu Baiern' des -»Andreas von Regensburg (1428/29) verfaßte, sind die Herkunft der pfalzgräflichen Familie (Buch I, mit einem Lob Heidelbergs) sowie - in Buch II und III - die von B. zum kleineren Teil selbst miterlebten Kämpfe Pfalzgraf Friedrichs I. seit 1455 bis zum 26.8.1471 (Vorrücken des pfalzgräflichen Heeres vor Schloß Landsberg).

6. M e t r i k und Musik. Beheims Verse sind nach dem Prinzip der Silbenzählung gebaut; bei versuchsweiser Zugrundelegung eines iambisch-alternierenden Rhythmus ergeben sich, entgegen den Untersuchungen von KÜHN (1907), nicht selten Verstöße gegen die natürliche Wortbetonung, die aber im musikalischen Vortrag weniger hervortreten. Für die angstweise der Chroniken läßt B. ausdrücklich (Vor-)Lesen und Vorsingen zu (vgl. PETZSCH, 1972); ähnliches gilt auch für das 'Buch von der Liebhabung Gottes' (vgl. 112, 97-116). Die Lieder wurden sonst meist gesungen - ob nur von B. (vgl. den 'Situationsbericht' von Lied 323) oder auch von anderen, ist nicht mehr zu klären. Alle 11 Liedweisen (in den Hss. ABCEGa; nach Art der Meistersinger beb. Die 3 R e i m c h r o n i k e n berichten nannt) und die Weise der Reimchroniken, - wie die politischen Erzähllieder - in d. h. - entgegen einer weitverbreiteten Meichronologischem Fortgang teils selbster- nung - alle Melodien zu B.s Texten, sind lebte, teils nur gehörte Ereignisse der Zeit; überliefert (vgl. PETZSCH in GILLE/SPRIEsie sind, trotz vieler stilistischer Entspre- WALD III l, S.457f.). Die Begabung des chungen, nicht nur in der Überlieferung, Komponisten B. (oft im ausdrücklichen sondern auch durch die nur ihnen gemein- Gegensatz zum Dichter B.) wurde seit der same Strophenform und Melodie (angst- Erstveröffentlichung der 11 Lied weisen durch G. MÜNZER (Singebuch des Adam weise} von den Liedern deutlich getrennt. Puschman, 1906, Nachdr. 1970) von der Im 'BvdW' berichtet B. als kaisertreuer MitbeteiligForschung stets hoch eingeschätzt; seinen ter und Parteigänger und mit deutlicher Betonung mit einfachen Mitteln (Wiederholungen) seiner eigenen Person von der neunwöchigen Belagegearbeiteten einstimmigen Melodien fehlt rung der kaiserlichen Burg in Wien durch die mit der Melismenreichtum des späteren MeiHerzog Albrecht VI. verbündeten Wiener (Herbst 1462) stersangs; sie zeigen oft deutliche Korresund von den folgenden Verhandlungen bis zur Aussöhnung zwischen Friedrich III. und der Stadt im pondenzen zum Text (KÜHN; PETZSCH, auf Frühjahr 1465; besonders hervorzuheben sind die von dessen eingehende Untersuchungen verB. erwähnten Reaktionen der Wiener gegenüber seiner wiesen sei). Dichtung (326, 10-330, 31; 342, 6-345, 26). 7. N a c h w i r k u n g . Als ein den TradiDas 'BvdST' erzählt aufgrund von Mitteilungen tionen des MAs (PETZSCH, DVjs 1967, S. des Augenzeugen Veit Perlin, eines Vertrauten des 53-60) fest verpflichteter Dichter und MusiTriester Hauptmanns Kosiak, die Belagerung des ker konnte B., wenn überhaupt, nur innerkaisertreuen Triest durch Venedig 1463 (ausführlicher halb des Meistersangs fortwirken. Als DichKommentar bei GILLE, 1958/9). ter hatte B. dort, soweit man bisher weiß, Inhalt der 'PfR' (vgl. dazu LAUER, 1958, S. 222-226), die B. nach eigener Auskunft im Auftrag des Pfalzkeine Nachwirkung, wohl aber als Musiker

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'Die Beichte einer Frau'

(durch seine hofweise und verkerte weise], wie die Spätüberlieferung bzw. Erwähnung seiner Melodien in Meistersingerhss. und -Protokollen des 15.-17.Jh.s zeigt (vgl. die Übersicht bei PETZSCH in GILLE/SPRIEWALD III l, S. 458-460). Zum Humanismus und zur Renaissance finden sich bei B. kaum Beziehungen. Die Spur einer neuzeitlichen Rezeption liegt vor bei Ernst August Hagen, Norica, das sind nürnbergische Novellen als alter Zeit, 1829 u.ö. L i t e r a t u r (in Auswahl; vollst, bis 1965 bzw. 1971 bei GILLE/SPRIEWALD/PETZSCH, Ausg. l, S. IX-XV u. III l, S. 455f.). TH. G. v. KARAJAN, Zehn Ged. M.B.s z. Gesch. Österreichs u. Ungerns [!], Quellen u. Forschungen z. vaterländ. Gesch., Lit. u. Kunst l (1849) 1-65; K. BARTSCH, ADB II 280f.; J. CASPART, M.B.s Lebensende, Germ. 22 (1877) 412-420; G.G. CONDURATU, M.B.s Ged. über d. Woiwoden Wlad II. Drakul, Diss. Leipzig, Bukarest 1903; A. KÜHN, Rhythmik u. Melodik M.B.s, 1907; H. GILLE, Die hist. u. polit. Ged. M.B.s (Palaestra 96), 1910; K. GUDEWILL, MGG l (1949/51) 1570-1572; A. ALTPETER, Die Stilisierung d. Autobiographischen bei Oswald v. Wolkenstein u. seinen Zeitgenossen Hugo v. Montfort, Muskatplüt u. M.B., Diss. (masch.) Tübingen 1949; H. ROSENFELD, NDBII6 f.; W. SALMEN, Zur Biographie Muskatblüts u. B.s, ZfdA 88 (1957/58) 160; H. GILLE, Die hsl. Überl. der Ged. M.B.s, PBB (Halle) 79 (1957) 234-301 [Verzeichnis nach Hs. A]; E. LAUER, M.B., ein Heidelberger Meistersinger, Ruperto-Carola 23 (1958) 220-227; H. GILLE, M.B.s Ged. 'Von der statt Triest', ZfdPh 77 (1958) 259-281; 78 (1959) 50-71 u. 291-309; 82 (1963) 90f. u. 420; 84 (1965) 478f.; J. STRIEDTER, Die Erzählung vom walachischen Vojewoden Drakula in d. russ. u. dt. Überl., Zs. f. slav. Phil. 29 (1959/60) 398-427, dort S. 406; W. SALMEN, Der fahrende Musiker im europ. MA (Die Musik im alten u. neuen Europa 4), 1960 [zum Grundsätzlichen]· I. SPRIEWALD, Grundzüge d. Werkes von M. B., WZUH 10 (1961) 947-950; dies., Über d. Zusammenhang d. Gattungen in d. dt. Reimdicht, d. 15. u. 16.Jh.s, FuF 36 (1962) 340-343; J.S. LUR'E, Povest' o Dracule [russisch = Erzählung von Dracula], Moskau-Leningrad 1964; G. PIETZSCH, Fürsten u. fürstl. Musiker im mal. Köln (Beitr. z. rhein. Musikgesch. 66), 1966; M. DE SZOMBATHELY, 'von der statt triest' (Archeografo Triestino, Serie 4, Bd. 27/28, 1965/66), Triest 1967; SPRIEWALD, Die Ausg. der Ged. des M.B., WZUG15 (1966) 577-580; CH. PETZSCH, Zur Notierungsweise im Beheimkodex cgm 291, AfMW 23 (1966) 252-273; ders., Text-FormKorrespondenzen im mal. Strophenlied. Zur Hofweise M.B.s, DVjs 41 (1967) 27-60; ders., M.B.s reimreiche 'sieht gülden weise', Musikforschung 20 (1967) 44-55; ders., Frühlingsreien als Vortragsform u. seine Bedeutung im Bispel, DVjs 45 (1971) 35-79; ders.,

Parat- (Barant-) Weise, Bar u. Barform, AfMW 28 (1971) 33^13; ders., Nachrichten z. Volksmusik (...), Studia musicologica 13 (1971) 233-239; ders., M.B.s 'BvdW'. Zum Gesangsvortrag eines spätmal, chronikalischen Ged., Anz. d. philos.-hist. Kl. d. Österr. Ak. d. Wiss. 109 (1972) 266-315; ders., Neue Aspekte z. Liede d. MAs, Studia musicologica 15 (1973) 187-200; MÜLLER, Unters., Reg.; ders., Beobachtungen u. Überlegungen über d. Zusammenhang von Stand, Werk, Publikum u. Überl. mhd. Dichter: Oswald v. Wolkenstein u. M .B. - ein Vergleich, in: E. KÜHEBACHER (Hg.), Oswald v. Wolkenstein (Innsbrucker Beitr. z. Kulturwiss.,German.Reihel),1974,S. 167-181 ;D.KRATOCHWILL, Salzburger Diss. über d. 'Pfalz. Reimchronik' (soll 1977 abgeschlossen werden).

ULRICH MÜLLER 'Die Beichte' -* 'Die zwei Beichten A' 'Die Beichte einer Frau' Ü b e r l i e f e r u n g . 19 Hss. (s. BRANDIS, Minnereden, Nr. 340). A u s g a b e n . HALTAUS, Hätzlerin, S. 115-122; BRAUNS/THIELE, Minnereden II 33^2 (zit.).

Die älteste Überlieferung der beliebten und verbreiteten 'B.e.F.' (356 vv.) stammt aus dem ersten Drittel des 15. Jh.s. Der Verfasser ist unbekannt, gehört aber vermutlich in den obd. Sprachraum. In Form einer Beichte, der der Dichter heimlich lauscht, wird der Gegensatz von klerikalem Denken und ritterlich-weltlicher Liebesauffassung in amüsanter Weise überspielt. Ein Kleriker bezichtigt eine Frau der Sünde, weil sie ein außereheliches Liebesverhältnis (bulschafft) habe. Sie weiß sich jedoch geschickt zu verteidigen und den Gegner davon zu überzeugen, daß bulschafft im Einklang mit christlichen Geboten stehe. Dies gelingt ihr freilich nur, indem sie die Doppelbedeutung von Minne (caritas, amor) verwischt, wodurch sie sich scheinbar den gegnerischen Standpunkt zu eigen macht und ihn entkräftet. Dieser gewandten Beredsamkeit zeigt sich der Vertreter des Klerus nicht gewachsen. In aller Einfältigkeit erteilt er der Frau schließlich nicht nur das benedicere, sondern bekennt, er habe sie zu Unrecht der Sünde geziehen. Diese ironische Umkehrung der Ausgangspositionen zeigt den Triumph der Frau,

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'Die Beichte der zwölf Frauen' - 'Die beiden Freier'

deren Auffassung eine nachdrückliche Bestätigung durch den Dichter erfährt. Das Werk steht thematisch in deutlicher Beziehung zu einer Reihe spätmal. Streitgedichte, die in vielfacher Variation die weltliche Liebe gegen Einwände von klerikaler Seite zu verteidigen suchen. Auch formal weist es Elemente des Streitgedichts auf. Inhaltlich ist es verwandt mit der Versnovelle ->'Pfaffe und Ehebrecherin' (NGA, Nr. 5, S. 47f.). L i t e r a t u r . GLIER, Artes amandi, Reg.; I. KASTEN, Stud, zu Thematik u. Form d. mhd. Streitged.s, Diss. Hamburg 1973, S. 175-177 u. S. 180f.

INGRID KASTEN 'Die Beichte der zwölf Frauen' Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., Ms. Add. 24946, 138r-141r. Ausgabe. FISCHER, Märendicht., S.520-526 (Text, 226vv.),560f. (Anm.).

Zwölf unzufriedene Ehefrauen biederer Handwerker, die in ihrem Beruf aufgehen, klagen in der Beichte ihre Misere. Der Beichtiger weiß Rat und Abhilfe, indem er sich selbst als Ausweg in der Not anpreist. Die Frauen akzeptieren freudig diese 'Buße'. Die Beichten folgen beziehungslos aufeinander. Verbindende Elemente sind allein die für jede gleiche Ausgangssituation und die Person des Beichtigers. Der Text bezieht seinen Reiz aus der Doppeldeutigkeit der Sprache, indem Ausdrücke des handwerklichen Lebens auf den Bereich der sexuellen Wünsche und Erfahrungen bezogen werden. FISCHER rechnet die 'Beichte' nicht mehr zur Gattung Märe. Er reiht sie unter die "Revuen' - inszenierte Reihum-Äußerungen verschiedener Unterredner zu einem bestimmten Thema' (S. 73) ein. L i t e r a t u r . FISCHER,Stud., S. 73.

KURT ILLING 'Vom Beichten' nachtspiele'

'Rosenplütsche Fast-

'Beichttraktat Es sind vil menschen, den ir peicht wenig oder gar nichts hilft' Ü b e r l i e f e r u n g , zusammengestellt bei WEIDENMILLER, S.234f. und VÖLKER, S. 14. Dazu kommen

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noch: Nürnberg, StB, Cent. VI, 43e, 9; VI, 99, l; VII, 39, 15; Karlsruhe, LB, cod. St.Peter, pap. 18. Drucke: GW III 3769-3776.

Die sehr verbreitete, anonym überlieferte Beichtlehre geht auf eine lat. Vorlage zurück: Quia circa confessionem sacramentalem faciendum (s. München, cgm 568). Im ersten Abschnitt werden die drei Stücke der Beichte, nämlich Reue, Bekenntnis und Genugtuung behandelt. Daran schließt sich eine Gewissenserforschung, die auch selbständig überliefert ist: Nun wenn ein mensch peichten wil, so sol er nit unbedachtlich für den priester gan. Den Abschluß bildet ein Sündenkatalog (-»Hugo von Straßburg, 'Compendium' III, c. 30-40). L i t e r a t u r . STAMMLER, Prosa, Sp. 817; P.G. VÖLKER, Die dt. Schriften d. Franziskaners Konrad Bömlin (MTU 8), 1964, S. 14; E. WEIDENHILLER, Unters, z. dt. sprachigen katechet. Lit. d. späten MAs (MTU 10), 1965, S. 234f.

EGINO WEIDENHILLER 'Die beiden Freier' Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, Hs. 104 (LASSBERGS -> 'Liedersaal-.Hs.'), 165rb-166ra, alem. (Konstanz), um 1433 (1) [Sigle nach FISCHER, Stud.]. A u s g a b e n . Liedersaal II 627-631 (Nr. 165), ('Von der Weiber Leichtsinn'); FISCHER, Märendicht., S. 516-519 (Nr. A 12) (zit.).

Das 144 Verse umfassende Reimpaargedicht weist FISCHER der verhältnismäßig breiten 'Übergangszone zwischen Märe und Bispel' (Stud., S. 76) zu. Diese Zuordnung gründet auf dem quantitativ schmalen und zudem handlungsarmen Erzählteil (vv. 8-94); er berichtet von der Werbung zweier Freier um eine edle, mit allen Vorzügen ausgestattete Dame, die nach einigem Hinhalten nicht den zuchtvollen Dienst des tugendhaften Liebhabers honoriert, sondern dem Ungestüm des kecken Galans erliegt. Flankiert wird diese epische Partie von einem kurzen Promythion (Warnung, dem ungeslahten zu dienen) und einem ausführlichen, auffällig theologisch eingefärbten Epimythion, das aus dem Blickwinkel einer besseren Vergangenheit die Verkehrung des weiblichen Standes und dessen Abfall von der alten wibe ere (v. 109) beklagt.

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'Die beiden Schwestern' - Beier, Dorothea

L i t e r a t u r . FISCHER, Stud., S. 77; ders., Märendicht., S. 560.

JOHANNES JANOTA 'Die beiden Schwestern' Lehrgedicht aus dem Bereich der Minneschuldichtungen gegen die unstandesgemäße Liebe. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 488 (Ebenreuter-Hs.), 89V-92V; Dessau, ÜB u. LB, cod. Georg 150 8°, 193r197V; München, cgm 5919, 248r-251v; Prag, ÜB, cod. X A 12 (-> Hätzlerin-Hs., 1470/71), 69v-72r und in der verlorenen Hs. L. Bechsteins. A u s g a b e . HALTAUS, Hätzlerin, S. 163-165 Nr. II 18.

Streitgespräch (160 vv.) zweier Ritterstöchter über die Frage, ob man einen Bürgerlichen lieben darf. Die Ältere verteidigt einen Gesellen aus der Stadt, der ihr vor dem Fenster Ständchen bringe und immer heiter sei, wird aber von der Jüngeren, die einen weit herumgekommenen (er ist zu Preußen wohl bekannt) Ritter liebt, scharf zurechtgewiesen. Während der Ritter nach Ehren jage und für die Geliebte das Schwert gebrauche, habe der Bürgerliche seine Schramme sicher nicht im Streite, sondern im Hühnerstall erworben. Die Ältere läßt sich schließlich überzeugen und wird von der dazukommenden Frau Minne, die sich als der Liebe Schulmeisterin vorstellt, durch milde Schläge auf die Hand gestraft. L i t e r a t u r . H. JANTZEN, Gesch. d. dt. Streitged.s im MA (German. Abhh. 13), Breslau 1896, S. 45; BRANDIS, Minnereden, Nr. 414; W. BLANK, Die dt. Minneallegorie, 1970, S. 62 Anm. 52; I. KASTEN, Stud, z. Thematik u. Form d. mhd. Streitged.s, Diss. Hamburg 1973, S. 91-94.

TILG BRANDIS

'Die beiden ungleichen Liebhaber' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2705 (bair.-österr. um 1280; älteste überlieferte Kleinepiksammlung), 155va bis 155vb. A u s g a b e . A. MIHM, Aus d. Frühzeit d. weltl. Rede, PBB (Tüb.) 87 (1965) 416.

Eine der ältesten Reimpaarreden mit Minnethematik, wahrscheinlich im bairischen Sprachgebiet entstanden. Der Stoff ist in mlat. Streitgedichten und bei Andreas Capellanus vorgeprägt (s. KASTEN) : Der Dichter legt einer Dame die Frage vor, ob sie

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einen reichen Lebemann oder einen armen, aufrichtigen Freier als Liebhaber vorziehen würde. Er rät ihr, den Armen zu wählen, beklagt jedoch, daß höher muot ohne Reichtum nicht mehr geachtet sei. Der Aufbau ist auffallend symmetrisch. Jeder Liebhaber wird mit 22 Versen vorgestellt. Prolog und Epilog umfassen je 14 Verse. Bemerkenswert ist die Prologwendung : Liebiv frowe ich will iv ... teilen ein spil, die ähnlich im Epilog wieder aufgenommen wird. Offensichtlich liegt hier eine der wenigen mhd. Reminiszenzen an die afrz. Gattung der 'jeux partis' vor. L i t e r a t u r . MIHM, S. 410; GLIER, Artes amandi, S. 55f.; U. PETERS, Cour d'amour - Minnehof, ZfdA 101 (1972) 125 f.; I.KASTEN, Stud, zu Thematik u. Form d. mhd. Streitged.s, Diss. Hamburg 1973, S. 32-38.

AREND MIHM Beier, Dorothea Schlesische Visionärin in der 2. Hälfte des 15.Jh.s. Nach dem 'Catalogue abbatum Saganensium' (hg. von STENZEL), dem wir alle biographischen Angaben über D.B. (Eeyerynne, Behir] verdanken, lebte sie nach dem Tode ihres Gatten, des Schusters Jakob Beier, im Steinhaus an der Pforte des Augustinerchorherrenklosters Sagan und vertraute zwischen 1457 und 1464 die ihr in der Entrückung (raptus) zuteil gewordenen Visionen dem Abt Simon Arnoldi (14511468) an. Dieser schrieb ihre Gesichte lateinisch nieder und gab dem so entstandenen Buch den Titel 'Liber spiritualis gracie'. Die letzten Lebensjahre verbrachte Dorothea im Spital vor Freystadt in gravi exilio et paupertate. Das Totenbuch von Sagan erwähnt sie zum I.Januar: Obiit Dorothea Beyerynne, Hedwigis filia eius. Das von Abt Arnoldi geschriebene Visionenbuch, im 'Catalogue' niger libellus genannt, galt schon STENZEL als verloren. Nach KLAPPER ist indes 'vor kurzem' eine Saganer Abschrift aufgefunden worden. Ihr Aufenthaltsort war nicht zu ermitteln (ÜB Breslau ?), auch gestatten die knappen Hinweise KLAPPERS, der sie wohl als einziger eingesehen hat, weder eine inhaltliche noch formale Charakterisierung der Visio-

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'Belehrung eines jungen Mannes' - 'Ben ha-melech weha-nosir'

nen. Der 'Catalogue' schließt sie an diejenigen der -»Birgitta von Schweden an (in modum sancte Brigitte); sie sollen die Visionärin ad altissimum gradum contemplationis geführt haben. Von den Frauen früherer Zeiten, denen mystische Schau zuteil geworden ist, etwa -»· Gertrud der Großen, ->· Mechthild von Hackeborn oder Birgitta von Schweden, trennen D.B. Stand und Bildung; sie soll selbst des Lesens nicht mächtig gewesen sein. Eher dürfte sie mit Agnes -> Blannbekin zu vergleichen sein. L i t e r a t u r . G. A. STENZEL (Hg.), Catalogue abbaturn Saganensium, in: Scriptores rerum Silesiacarum I, Breslau 1835, S.325f.; J. KLAPPER, Dt. Schlesier d. MAs nach schlesischen Klosterhss. (Hist. Kommission f. Schlesien), 1937, S. 30f.

K. RUH

'Beizbüchlein' -»'Jüngere deutsche Habichtslehre' 'Belehrung eines jungen Mannes' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 488 (Ebenreuter-Hs), 106M08r; Prag, ÜB, cod. X A 12 (->Hätzlerin-Hs., 1470/71), 89V-90V und in der verlorenen Hs. L. Bechsteins. A u s g a b e . HALTAUS, Hätzlerin, S. 179 Nr.II24.

Aufzählung der Minnetugenden, die ein junger Mann aufweisen sollte. Lehrhafte Rede einer Frau (66 Reimpaarverse) in der Form einer Ermahnung an das Du des Geliebten, z.T. im Stil der Catones. Vielleicht Fragment aus einer größeren Minnerede.

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empfachen wellen an Iren lesten zeitten. Sie entstammen nicht der 'Summa', da diese keinen Abschnitt über die Sterbesakramente enthält. - Das zweite Exemplum, von ainem ritter den sein hauß fraw irett an dem wirdigen sacrament der heilligen öllung (128M29r bzw. 177M78V) soll aus Beleths puoch der sacramenten genommen sein, womit wohl weder die 'Summa' noch eines der Beleth bis vor kurzem fälschlich zugeschriebenen Werke (vgl. DHGE VII 517 f. und Diet. Spin, fasc. LII-LIII, Sp. 285 f.) gemeint ist. VOLKER HONEMANN 'Belial' -»Jacobus de Theramo Bemmelberg -»Reinhard von B. 'Ben ha-melech weha-nosir' ('Königssohn und frommer Asket') Altjiddische Übersetzung der hebräischen Version von 'Barlaam und Josaphat'. Etwa 2 Drittel (rd. 5180 Vers- und 240 Prosazeilen) des ursprünglichen Textes sind als Abschrift überliefert in der Hs. München, SB, cod. hebr. 347 (Wasserzeichen: 2. H. d. 15Jh.s), Bl. 1-85 u. 110; Bl. 86-109 folgt vom selben Schreiber eine -»'Megilass Ester'. Die Ma. des Schreibers weist wie die des unbekannten Verfassers Merkmale des Alem. auf. Eine krit. gereinigte u. kommentierte A u s g a b e bereitet DREESSEN vor; Textproben bieten WINTER/ WÜNSCHE, S. 556f., STAERK, Sp. 58-62 (in hebr. Quadratschrift) u. DREESSEN, S. 225-233.

Der erhaltene Text (Kap. 9-35) enthält fast lückenlos die aus vielgestaltigem weisL i t e r a t u r . K. GEUTHER, Stud. z. Ldb. d. Klara heitlichem Erzählgut (Parabeln, Fabeln, Hätzlerin, 1899, S. 114; BRANDIS, Minnereden, Nr. 317. Anekdoten, Sentenzen u.a.) überwiegend TILG BRANDIS orientalischer Herkunft zusammengestellte Unterweisung des jungen küniks durch den Beleih, Johannes gaislichen und endet wie die Vorlage mit Dem maister hanns beleih - 12. Jh., Ver- dem Abschied der beiden voneinander. Wie fasser des weitverbreiteten liturgischen dieser Schluß unterscheidet sich auch die in Traktats 'Summa de divinis officiis' (auch der Hs. nicht erhaltene Vorgeschichte (die 'De ecclesiasticis officiis', unzureichende Gottlosigkeit des Königs; Geburt, Jugend Ausgabe PL 202, Sp. 9-166) - schreiben die und Erziehung des Prinzen; seine erste Bewohl unmittelbar voneinander abhängigen, kanntschaft mit der Welt und der von aus Tegernsee stammenden Münchener seinem Vater bekämpften Lehre) in ihrer Hss. cgm 385 (3. Viertel 15. Jh., 128r-129r) Ausgestaltung von den auf dem lat. Text und cgm 776 (vom Jahr 1488, 177r-178v) fußenden Barlaam-Fassungen. zwei Exempla zu, die von denen handeln, Quelle des altjiddischen Werks ist der die das sacrament der heiligen öllung nit hebräische 'Ssefer ben ha-melech weha-

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Papst Benedikt XII. - 'Benediktbeurer Gebet zum Meßopfer'

nasir' ('Prinz und Derwisch'), der um die Mitte des 13. Jh.s in Spanien von Abraham ihn Chisdai nach einer arabischen Vorlage (s. PERI, Anhang) verfaßt wurde. Die altjiddische Übersetzung bezeugt das Bemühen um eine getreue Wiedergabe der stilistisch anspruchsvollen Makamen der Quelle, deren lyrische Teile Spruch genannt werden. Bei der Umsetzung der Reimprosa scheint sich der Einfluß des mhd. Reimpaarverses geltend gemacht zu haben; von den mhd. Barlaam-Bearbeitungen hatte der Übersetzer jedoch offenbar keine Kenntnis. Die erstmals 1769 bei Beierhöfer in Frankfurt/Main herausgebrachte Prosaübersetzung ins Westjidische von Eisak Homburg aus Offenbach (WiNTER/WÜNSCHE, S. 554-556) zeigt keinerlei Beeinflussung durch die hsl. Fassung. L i t e r a t u r . W.A. MEISEL, Prinz u. Derwisch, oder die Makamen Ibn-Chisdai's, Pest 21860; J. WINTER/ A. WÜNSCHE, Die Jüd. Lit. seit Abschluß d. Kanons III, 1896 (Nachdr. 1965); W. STAERK, Ois di alt-jidische oizress fun der minchener meluchischcr bibliothek (Schriftn fun jidischn wisnschaftlechn institut, Bd. l, Filologische serie, l [Landau-Buch]), Wilna 1926, Sp. 55-58, bes. 55-57; M. ERIK, Di geschichte fun der jidischer literatur... Warschau 1928, S. 173f. u. 333-335; H. PERI (PFLAUM), Der Religionsdisput der BarlaamLegende, ein Motiv abendländ. Dicht. (Acta Salmanticensia. Filosofia y Letras. Tom. XIV, num. 3), Salamanca 1959; W.-O. DREESSEN, Die altjidd. Bearbeitung d. Barlaam-Stoffes, ZfdPh (Sonderbd. 1974) 218-

WuLFPapst Benedikt XII.

DREESSEN

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78r-88r), Darmstadt, LB, cod. 1927 (um 1490, lr-llr), 1934 (um 1540, 14r-20r) und Aachen, StB, Nr. 64 (15. Jh., 46r-54r); weitere Hss. ACHTEN/KNAUS, S. 239. B. XII. soll weiterhin der Verfasser eines Cursus von Christi Marter sein, den die Wiener Hs. Ser. nov. 3257 (um 1500, 61r-88v) überliefert. Wiederholt wird ihm das außerordentlich verbreitete Anima-Christi-Gebet (CHEVALIER Nr. 1090 mit Nachträgen Bd. V 32) zugesprochen, so in der Darmstädter Hs. 1964 (um 1460/70, 169v-170r); zur mndl. Überl. MEERTENS III 29-32; VI 21, Nr. 35. D r u c k der dt. Fassung KLAPPER VI, Nr. 107, S. 366. L i t e r a t u r . CHEVALIER I-VI; M. MEERTENS, De Godsvrucht in de Nederlanden I-VI, 1930-1934; W. STAMMLER, Prosa d. dt. Gotik, 1933; J. KLAPPER, Schriften Johanns v. Neumarkt, IV. Teil, 1935; G. ACHTEN/H. KNAUS, Dt. u. ndl. Gebetbuchhss. d. hess. LB u. Hochschulbibl. Darmstadt, 1959; KORNRUMPF/ VÖLKER, München.

VOLKER HONEMANN 'Benediktbeurer Gebet zum Meßopfer' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4616, 54"-54va, aus Benediktbeuren, im Anschluß an -»· 'Benediktbeurer Ratschläge und Gebete' (ed. WILHELM, Denkm., Nr. XXXIII). A u s g a b e n . K. ROTH, Denkm. d. dt. Sprache vom 8.-14.Jh., München 1840, S. 46f. ; J.A. SCHMELLER, ZfdA 8 (1851) 117-119; MSD 1,11 Nr. XLVI; 2 WAAG, Dt. Ged., S. 170-173; MAURER, Rel. Dicht. II 318-321 (mit dipl. Abdruck); WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. II 229-231 (zit.).

Das Gedicht (bairisch, 12. Jh., 2. Hälfte ?) Dem Papst B. XII. (1334-1342) schreibt die Münchener Hs. ÜB 4° 489 (2. Hälfte knüpft frei an Worte der Opfermesse an. 15. Jh., 118V-119V) ein bei der Wandlung zu Christi Gottmenschheit und die Gemeinschaft der Menschen mit Christus im Meßsprechendes Passionsgebet mit Ablaß zu. opfer als Heil für die Christenheit und die Weitere Überl. (oft anonym) z.B. München, cgm 84 Einzelseele stehen im Zentrum des Ge(15.JH., 333v-335r), Nürnberg, StB, cod. Cent. VII, 62 (15.Jh., 8 ), Wien, cod. Ser. nov. 2601 (Anfang dichts, das sich an Gott Vater als oberestiu 16. Jh., 160r-162r) und die bei KORNRUMPF/VÖLKER, magenchraft (v. 1) wendet. Die einzelnen S. 159 genannten Hss.; die reiche mndl. Uberl. bei liturgischen Bezüge hat STROPPEL nachgeMEERTENS VI 4, Nr. 14 und 20, Nr. 32a. - D r u c k e . wiesen ; dabei überwiegen solche auf Gebete KLAPPER IV, Nr. 40, S. 212f. (mit lat. Fassung); des Kanons unter Einschluß der Präfation STAMMLER, S.53f.; MEERTENS 1144f. (s. EHRISMANN, LG II l, S. 171 Anm. 3). EntVon B. XII. angeblich i.J. 1349 (!) ver- gegen älterer Forschung (SCHMELLER, faßte Tagzeiten vom Altarsakrament (CHE- FRANZ), die es als Meßgesang des Volkes VALIER Nr. 28656) enthalten die Hss. Berlin, ansah, ist das Gebet in die Nähe der mgo 38 (15. Jh., 75r-80v), mgo 451 (15. Jh., Volksgebete in elevatione corporis Christi

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'Benediktbeurer Glauben und Beichten' I-III - 'Benediktbeurer Ratschläge und Gebete'

zu rücken (s. JUNGMANN II266-269, die Belege sind allerdings jünger). Das Aufkommen dieser Gebete hängt zusammen mit der Elevation der Hostie bei der Wandlung, die seit dem 12. Jh. von Frankreich her üblich wird. In zeitlicher und inhaltlicher Nähe zum 'B.G.' stehen zwei dt. Gebete (ed. STEINMEYER, ZfdA 17 [1874] 425-427 und 18 [1875] 455f.), die ebenfalls mit einer Anrufung Gottes beginnen und wie das 'B. G.' (v. 77-81) das Wandlungsgeschehen erwähnen. Die Vorschläge zu strophischer Gliederung bei MSD ('Leich'), 2 WAAG und MAURER (Lied in 'ungleichzeiligen Langzeilenstrophen') sind nicht in der Überlieferung begründet. Reimtechnik und Versbau sind fortgeschritten. L i t e r a t u r . Vollst. Bibliographie bis 1970 in: WAAG/SCHRÖDER, Dt. Ged. II 227. - A. FRANZ, Die Messe im dt. MA, 1902, S. 686-688; R. STROPPEL, Liturgie u. geistl. Dicht, zw. 1050 u. 1300, 1927, S. 97-105,195; J. A. JUNGMANN, Missarum sollemnia I, II, 51962; MAURER, Rel. Dicht. II 316f.

EDGAR PAPP 'Benediktbeurer Glauben und Beichten" I-III Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4636, 107v-108r (I), 12. Jh., am Ende der mittleren von drei zusammengebundenen Predigthss. - clm 4552, 150V (II), ll./ 12.Jh.; die Hs. enthält eine in zwei Hälften nach dem Kirchenjahr durchlaufende Predigtsammlung; die Beichte auf der urspr. freigebliebenen Rückseite des letzten Bl. des ersten Teiles; - cgm 39, lr-3v (III), 12.Jh., am Anfang der als —»'Speculum ecclesiae' bekannten dt. Predigtsammlung. Alle drei Codices stammen aus Benediktbeuren. A u s g a b e n . J.C. v.ARET!N,Beytr. z.Gesch. u.Lit. l (1803) 5, 81-84 (II); B.J. DOCEN, Miscellaneen z. Gesch. d. teutschen Lit. l (1807) 8-15 (I u. III); MSD Nr. LXXXVI1; XCIV; XCVI; STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr. LII; LIII; LX (mit Angabe weiterer älterer Ausg.n).

Im Rahmen der weitverzweigten Überlieferung jener süddt. Beichttexte, die man einer großen Familie *RH (-*· 'Reichenauer Beichte') zurechnet (BAESECKE, EGGERS), gehören die Bened. Stücke zu einer trotz augenscheinlicher Gemeinsamkeiten doch deutlich eigenständigen Gruppe von Formularen. Sie sind eng verwandt mit -»'Wes-

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sobrunner Gl. u. B. , besonders aber mit -> 'Münchner Gl. u. B.'. Charakteristisch ist u.a. der stark erweiterte Kreis derer, denen der Pönitent seine Beichte namentlich zuspricht, sind Art und Abfolge der aufgezählten Sünden. Der Beichte vorauf geht eine dt. Professio fidei (in II allerdings nicht mit abgeschrieben). Das Verhältnis dieser auch in einigen anderen Formularen vorhandenen dt. Glaubensbekenntnisse untereinander bedarf noch näherer Bestimmung. III bringt - in sprachlich wie stilistisch bemerkenswert gereifter Ausprägung - darüber hinaus weitere Ermahnungen und verdeutschte Orationen und beweist damit insgesamt sehr deutlich seine Verwendung als Offene Schuld am Ende der Vormesse. Die Beichten dieser Gruppe, von denen keine unmittelbar aus der anderen geflossen ist, sind instruktive Beispiele für die Variationsmöglichkeit, die sich unter Einfluß schwer überschaubarer Querverbindungen bei der Neuformulierung überkommener und sich prinzipiell gleichbleibender Schemata ergibt. L i t e r a t u r . MSD II 430-438; 449f.; 451-455; G. BAESECKE, Die altdt. Beichten, PBB 49 (1925) 268-355; EHRISMANN, LG I 325f.; 332; 333f.; H. EGGERS, RL I 141-144; ders., Die altdt. Beichten I, PBB (Halle) 77 (1955) 89-123; II, ebd. 80 (1958) 372^03 (bes. 388-394); III, ebd. 81 (1959) 78-122 (bes. 110-121); J.A. JUNGMANN, Missarum Sollemnia 1,1962, S. 631 f.

ACHIM MASSER 'Benediktbeurer Osterspiel' Burana'

'Carmina

'(Großes) Benediktbeurer ->· 'Carmina Burana'

PassionsspieP

'(Kleines) Benediktbeurer -> 'Carmina Burana'

Passionsspiel'

'Benediktbeurer Ratschläge und Gebete' In München, clm 4616, einer aus mehreren selbständigen Teilen des 12.713. Jh.s bestehenden Sammelhs. aus Benediktbeuren, ist in den Text der 'Ars praedicandi' des —> Alanus ab Insulis Bl. 52va-54va eine kleine Sammlung dt. (bair.) Stücke eingeschoben, die Bl. 54"-54va mit einem gereimten Gebet über das Meßopfer schließt (—»'Benediktbeurer Gebet zum Meßopfer').

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'Benediktbeurer Rezeptar'

A u s g a b e n (der Prosastücke). J.A. SCHMELLER, ZfdA 8 (1851) 114-117; PIPER, Geistl. Dicht. II 122-125; WILHELM, Denkm., Nr. XXXIII; Faksimile (teilw.) bei E. PETZET/O. GLAUNING, Dt. Schrifttafeln H, 1911, Taf. XXIII.

Die vorausgehenden Prosatexte bringen zunächst eine für die mal. Volksfrömmigkeit interessante, am Ende aus weiterem Wissen noch ergänzte Aufzählung von sieben Erzengeln und ihrer jeweils besonderen Hilfe (die lat. Fassung hiervon - in leicht verderbter Form - aus einer Hs. des 9./10.Jh.s abgedruckt bei F. CABROL, Dictionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie, Bd. I 2, Paris 1907, Sp. 2089). Es folgen Anweisungen zum Spenden von Almosen für eine glückliche Reise, für das Seelenheil und - verbunden mit einem Gebet zu den Gliedern Christi - für Hilfe in Notlagen; sie gehören in den Rahmen süddt. Gebetstexte, wie sie teilweise wörtlich und in größeren Sammlungen auch anderwärts begegnen (—> 'Gebete und Benediktionen von Muri'). L i t e r a t u r . WILHELM, Denkm., Kommentar, S. 193 bis!96;EHRiSMANN,LGII l, S. 170; STAMMLER, Prosa, Sp.836f.

ACHIM MASSER

'Benediktbeurer Rezeptar' 1. Übersetzt vor 1200 im bairischen Raum, repräsentieren die Formeln des 'B. R.s' einen Textbestand, der neben dem -> 'Innsbrukker Arzneibuch' und -»'Arzenibuoch Ipocratis' die älteste obd. Rezeptsammlung ausmacht und durch Streuüberlieferung Anschluß ans medizinische Hausbuch der frühen Neuzeit gewann. Die Textzeugen stammen vor allem aus süddeutschem Gebiet. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . München,Bayer. Hauptstaatsarch., Benediktb. Kl. Lit. 32,17V-23V, 13. Jh., aus Benediktbeuren; Nürnberg, StB, cod. Amb. 55.4°, 1465, nürnbergisch (Streuüberl. wie alle folgenden Texte); Solothurn, Zentralbibl., cod. S.386, v.J. 1464, aus Ravensburg; Wien, cod. 2817,1370/90, schwäb.; ebd., cod. 2967, 2. H. 15. Jh., bair.; Memmingen, StB, cod. 2.40,2.Drittel 15. Jh., ostschwäb.; München, cgm 725, 2. H. 15. Jh., bair.; cgm 407, Ende 15. Jh., aus Augsburg; Göttingen, cod. hist. nat. 42, nürnbergisch, um 1500; Johannes Schöner, 'Arzneibüchlein', Nürnberg 1528, mit 8 zusätzlichen Ausgaben des 16.Jh.s; Oswald Gäbelkover, 'Arzneibuch', Tübingen 1589, mit zahl-

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reichen Nachdrucken (auch engl. und ndfrk.) des 16. und 17.Jh.s. Ausgabe. H. FISCHER, Mhd. Receptare aus bayer. Klöstern u. ihre Heilpflanzen, Mitt. Bayer, bot. Ges. z. Erforsch, heim. Flora IV 6 (1926) 69-75 (nach dem ältesten Textzeugen; nicht ganz fehlerfrei).

3. Aufbauend auf frühmal. Rezeptliteratur zeigt das 'B.R.' Übereinstimmungen mit dem -»· 'Bartholomäus', mit Meister -»Berchtolds Rezeptsammlung sowie mit den frühen Arzneibüchern des obd. Raums, wobei die Entsprechungen aus Quellengemeinschaft resultieren. Als Endquellen sind Marcellus Empiricus, Sextus Placitus und Pseudo-Apuleius belegt; einzelne Formeln kehren bei Pseudo-Petrocellus sowie in den 'St. Galler Rezeptaren' wieder. 4. Im ältesten Textzeugen des 13.Jh.s umfaßt das Rezeptar 57 Formeln, von denen zwei tierheilkundlich ausgerichtet sind, die übrigen humanmedizinische Indikationsstellung zeigen. Locker gefügt und ohne anatomische Ordnung sind die Rezepte oft nach thematischen Gesichtspunkten gereiht und zu Indikationsgruppen zusammengefaßt. Die jüngere Streuüberlieferung hat sie im 14. Jh. einer 'Thesaurus-pauperum'Übersetzung eingegliedert, wo sie als Textschleppe auf die Rezeptblöcke folgen und nach der Heilanzeige geordnet sind. Dabei begegnen einige zusätzliche Anweisungen, die im Benediktbeurer Kodex fehlen und den Verdacht nahelegen, daß der älteste Textzeuge des 13.Jh.s den ursprünglichen Rezeptbestand nicht mehr vollständig bringt. Die anatomische Rezeptfolge bei den Streuüberlieferungen läßt zugleich Zweifel an der Ursprünglichkeit seiner Gliederung aufkommen. 5. Erfolg und Wirkdauer des 'B. R.s' sind durch seine Satelliten-Rolle bedingt: Mitgeschleppt in den Fugen der 'Thesauruspauperum'-Überlieferung konnten sich einzelne seiner Anweisungen über ein halbes Jahrtausend im landessprachigen Rezeptschrifttum halten, ohne der Konkurrenz -»Ortolfs von Baierland oder des 'Bartholomäus' zu erliegen. L i t e r a t u r . W.-H. HEIN, Ein süddt. Rezept d.MAs, Bei«. Gesch. Pharm. 5 (1953) 21-23; G. KEIL, Eine mlat. Übers, vom Harntraktat d. 'Bartholomäus'. Unters, z. frühen dt. Rezeptlit., Sudhoffs Arch. 47 (1963)

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'Benediktbeurer Weihnachtsspiel'

417-455, hier S. 435f.; G. KEIL, Die dt. med. Lit. im MA, in: Verh. XX. Internat. Kongr. Gesch. Med., 1968, S.647-654; J. TELLE, Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S. 103, 141-143, 227, 250, 256 u.ö.

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unbestimmt verlangt, daß die genaue Anzahl der Repetitionen und damit der Umfang des Gesamttextes nicht zu ermitteln ist; hier und da ist die eindeutige RollenG. KEIL zuweisung der Textpartien unterblieben; der flüchtig und unzuverlässig arbeitende Schreiber h 1 des Buranus hat zudem ver'Benediktbeurer Weihnachtsspiel' schiedentlich Rubriken, ja sogar Textteile I. Überlieferung. II Faksimile. II. Ausgaben. IV. übersprungen und, z.T. durch Abirren des Textgestaltung. V. Text. 1. Komposition. 2. 'Prophe- Auges in der Vorlage, sinnwidrige TextumtenspieP (i. f. 'P.'). 3.'Weihnachtsspiel' (i.f. 'W.'). 4. 'Lustellungen verschuldet. Das alles hat in den dus de Rege Aegypti' (i.f. 'L.'). VI. Künstlerische Form. verschiedenen Ausgaben zu teilweise abVII. Theater und Aufführung. - Literatur. weichenden Emendationen geführt. Vor I . Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4660 (Codex Bu allem aber sind sowohl bei Editoren als ranus; -> 'Carmina Burana'), 99r-104\ Z. 20 (3. Wort) auch bei Interpreten die Meinungen dar= CB 227; 105r, Z. 13-106" = CB 228. Frühes 13. Jh. über geteilt, ob das Stück CB 228 - dem Geschrieben, rubriziert und mit Initialen versehen von YOUNG den unglücklich gewählten, der 1 1 1 6 h . CB 227 teilweise neumiert von n (wohl = h ) und n , r r und zwar 99 -102 mit Ausnahme weniger Verse ganz, leichten Verständigung halber hier gleich104r teilweise, 104V nur ein incipit, 102"-103V gar nicht wohl beibehaltenen Titel 'Ludus de Rege Aegypti' gegeben hat (s.o. III, Bd. 2, S. 463) (Einzelheiten BISCHOFF, 1970 [s.u. III.], 13, S. 100). CB 228 nicht neumiert. ein selbständiges (möglicherweise frgm.) II. F a k s i m i l e . Carmina Burana, hg. v. BISCHOFF, Spiel oder ein Bestandteil des . W.' ist. 1967. V. Text. - 1. K o m p o s i t i o n . Der AufIII. A u s g a b e n . J.A. S[CHMELLER], Carmina Bubau des Spiels wird durch zwei Charakrana (StLV 16), 1847, S. 80-95; E. DU MERIL, Origines teristika bestimmt: durch das Streben nach latines du theatre moderne, Paris 1849, S. 187-213; G. Erweiterung des herkömmlichen Sachbev. ZEZSCHWITZ, Das mal. Drama vom Ende d. röm. reichs der Weihnachtsspiele und durch Kaisertums dt. Nation u. von d. Erscheinung d. Antigroße Souveränität im Umgang mit überchrists, 1877, S. 242-248 (nur 'L.'); R. FRONING, Das kommenen Spielpartien. Drama d. MAs (DNL 14,3), 1892 (Neudr. 1964), S. 875-901; K. YOUNG, The Drama of the Medieval Über den üblichen Stoffkreis hinaus Church II, Oxford 1933 (Neudr. 1962, 1967), S. 172- werden die Grenzen des Spiels vorzüglich an 190, dazu S. 463-468 ('L.'); H. KUSCH, Einführung seinen Rändern ausgedehnt. (Doch gibt es in d. lat. MA I: Dichtung, 1957, S.416^t55 ('W.'), auch Erweiterungen in seinem Innern.) Dem S. 456-469 ('L.'), lat. Texte nach YOUNG mit parallel Anfang des eigentlichen 'W.s' geht ein Prolaufender dt. Übers.; K. LANGOSCH, Geistl. Spiele, phetenspiel voraus; dem Weihnachtsge1957 (Nachdr. 1961), S. 131-177 (mit parallel laufender dt. Nachdichtung); O. ScHUMANNf/B. BISCHOFF, schehen, das sonst mit der Verkündigung Carmina Burana I 3: Die Trink- u. Spielerlieder, d. der bereits erfolgten Christgeburt einsetzt, geistl. Dramen, Nachträge, 1970 (zit.), Nr. 227, S. 86- sind ferner in drei knappen Szenen die Bot104; Nr. 228, S. 104-111 ('L.'). Dieser Text übernom- schaft Gabriels an Maria, deren Besuch bei men in C. FISCHER/H. KUHN/G. BERNT, Carmina Elisabeth und die pantomimisch in Szene Burana, Die Ged. des Codex Buranus lat. u. dt., Zürich- gesetzte Geburt selbst vorangestellt. Der München 1974, S. 654-699 (mit parallel laufender dt. Spielschluß ist um den sogenannten 'L.' und Nachdicht.). - Ital. Übers.: E. FRANZESCHINI, Teatro den Tod Herodes' erweitert. Zwischen latino medievale, Mailand 1960, S. 209-229. diesen rahmenden Komplexen werden das IV. T e x t g e s t a l t u n g . Das berühmteste Erscheinen des Sterns von Bethlehem, die und am häufigsten erörterte mlat. Weih- Suche der drei Weisen nach dem dadurch nachtsspiel des dt. MAs ist zugleich das um- angekündigten Neugeborenen, das Herostrittenste. Die Ursache hierfür liegt in der des- und das Hirtenspiel, die Anbetung der Eigenart seiner Überlieferung. Nicht immer Könige und der bethlehemitische Kindernämlich läßt sich ein nur mit seinem Incipit mord dargestellt. angegebener Text mit Sicherheit vervollFreiheit in der Behandlung dieser traständigen; Textwiederholungen werden so ditionellen Spielteile zeigt sich textlich in

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'Benediktbeurer Weihnachtsspiel'

dem Streben, ungeachtet der auch zu beobachtenden Bewahrung biblisch-liturgischer Passagen nach Möglichkeit doch eigene Wege zu gehen, inhaltlich in der Umordnung und Umgestaltung von Handlungsreihen. So sind etwa die Szenen von der Verkündigung der Christgeburt und der Anbetung der Hirten umgestellt und in der Unterredung zwischen Herodes und den scribae die letzteren entgegen der sonstigen Gepflogenheit durch den archisynagogus und sein Gefolge jüdischer Statisten ersetzt. Ebenfalls vom Üblichen abweichend ist die Partie vom anfänglichen Botenspiel bis zum Empfang der magi durch Herodes (v. 169a-217) sowie dessen hier auf zwei Szenen verteilte Beratung mit den Schriftgelehrten (v. 193 a-209, 258 a-267) gestaltet. Je nachdem, ob man die Zugehörigkeit von CB 228 anerkennt oder nicht, ergibt sich ein zwei- oder dreiteiliger Spielaufbau aus den Komplexen 'P.' - 'W.' - ggf. 'L.' (s.u. V 4). 2. 'Prophetenspiel'. Es stellt hier wie überall da, wo es sonst noch vorkommt, insofern einen Sonderfall geistlicher Dramatik dar, als es nicht auf biblischen und liturgischen oder allenfalls legendarischen Quellen beruht, sondern auf einer pseudoaugustinischen Predigt, die man im MA für echt hielt: 'Contra ludaeos, Paganos et Arianos sermo de symbolo' (PL 42, Sp. 1117ff., Kap. 11-18). Nachdem Isaias, Daniel, Sibylle, Aaron und Balaam die jungfräuliche Geburt Christi prophezeit haben und vom Archisynagogus mit seinen Juden darob verspottet worden sind, interpelliert der Knabenbischof an Augustinus, dessen Autorität die Streitfrage entscheiden soll. Die sich daraus entwickelnde Disputation zwischen ihm und den Juden - zumindest unter mittelbarem Einfluß des ebenfalls pseudoaugustinischen 'De altercatione Ecclesiae et Synagogae dialogue' (PL 42, Sp. 1131-1140) entstanden - endet, ohne daß die Debattengegner ihren Standpunkt aufgegeben hätten. Deshalb versucht Augustinus nun, sie durch Anschauung zu überzeugen, indem er ihnen das 'W.' als Beweis für die Richtigkeit der Prophetien vorführen und also wie in Frankfurt (-»'Frankfurter Dirigier rolle', —> 'Frankfurter Passions-

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spiel') Theater auf dem Theater spielen läßt. Dabei fällt auf, daß der Archisynagogus und die Judenschaft zugleich als Beteiligte und als Zuschauer der Veranstaltung, an der sie selbst mitwirken, fungieren, daß sie mithin als Zeitgenossen sowohl Herodes' als auch Augustins auftreten, ja sogar noch darüber hinaus offenkundig als Vertreter der Juden in der Gegenwart, will sagen zur Zeit der Aufführung des Spiels im hohen MA, angesehen werden. Dieser eigentümliche Zug ist kein naiver Anachronismus, sondern der (auch in den einleitenden Prophetenszenen der Frankfurter Passionsspiele so wiederkehrende) Ausdruck einer gewollten Aufhebung der Zeit, durch die ebenso die Zeitlosigkeit der Wahrheit Christi wie die unverminderte Aktualität der durch sein Erscheinen in der Welt unumgänglich gewordenen religiösen Entscheidung jedes einzelnen demonstriert werden soll. Der gleichen didaktischen Intention sind die Neuerungen im Dreikönigs- und im Hirtenspiel entsprungen. 3. 'Weihnachtsspiel'. Die HauptfigurendesDreikönigs-(Magier-)Spielssind, anders als sonst, nur nebenbei Könige, in erster Linie dagegen magi: Weise, genauer, Sternkundige. Durch das Erscheinen des Sterns von Bethlehem, der aus der Ordnung der Natur fällt, sind sie an die Grenzen ihrer Wissenschaft und des Wissens überhaupt geführt und so, an einem Kreuzweg (quadruvium) ihrer Existenz angelangt, vor die Entscheidung des Glaubens gestellt. Noch prägnanter ist die durch die Verleiblichung Christi auf Erden geschaffene Situation im H i r t e n s p i e l herausgearbeitet. In ihm wird eine dreimalige Verkündigung der Christgeburt nötig, weil sich jeweils nach dem verkündigenden Engel der Teufel einmischt und die Engelsbotschaft für Lug und Trug erklärt. Von den Worten beider hin- und hergerissen, geben die Hirten ein anschauliches Beispiel für die Situation des Menschen, der, zwischen himmlischen und höllischen Mächten stehend und von beiden umworben, sichtbar in die Entscheidung gestellt ist. Hier wird weniger der Zustand des Zweifels (in der Weise mal. Psychologie durch figurale Gestaltung) dargestellt, als vielmehr durch

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'Benediktbeurer Weihnachtsspiel'

Ausweitung der transzendenten Dimension der kosmische, durch Einführung des transzendenten Gegenspielers Christi darüber hinaus der heilsgeschichtliche Charakter des Weihnachtsgeschehens hervorgehoben. Dieser heilspädagogischen Demonstrationsabsicht ist auch das H e r o d e s s p i e l untergeordnet. Seine Zentralgestalt überbietet den Herodes aller anderen dt. Weihnachtsspiele der Zeit an Hybris, wenn er sich nicht nur, wie im -> 'Bilsener Weihnachtsspiel', über alle Reiche der Erde, sondern schlankweg über quicquid mundus continet, celum, terrain, mare Herrscher glaubt. So singular wie die Gestalt ist auch die Darstellung ihres Schicksals. Von Würmern zerfressen sinkt Herodes nach dem bethlehemitischen Kindermord tot vom Thron in die Arme einer Schar frohlockender Teufel. Die Quellen für dieses Ende des Tyrannen sind wiederum außerbiblisch: Josephus Flavius, 'Antiquitates ludaicae' (lib. XVII, cap. VI, 5), Beda, 'Martyriologium' (PL 94, Sp. 1144), Petrus Comestor, 'Historia Scholastica' (PL 198, Sp. 1546). Die Pantomime dieses gräßlichen Todes übersetzt direktes memento mor'i und indirekte Bußpredigt ins Mimisch-Szenische. Ihre schaubar gemachte Vergänglichkeitsmahnung demonstriert die Hinfälligkeit der Macht und des Menschen und erinnert zugleich an die Strafe, die gegebenenfalls im Jenseits seiner harrt. 4. 'Ludus de Rege A e g y p t i ' (CB 228). Seine Zugehörigkeit zum . W.' (CB 227) wird zum einen wegen der Eigenart der hsl. Überlieferung, zum anderen wegen Störungen in der Tradierung des Textinhalts angezweifelt. Zwar von der gleichen Hand geschrieben wie das 'W.', das f. 104V mitten in der (ursprünglich) dritt- (jetzt viert-) letzten Zeile endet, beginnt er f. 105r, Z. 13 mit einer dreizeiligen Initiale, wie sie sonst üblicherweise den Anfang eines neues Textes markiert. Die ursprüngliche Lücke zwischen CB 227 und 228 wurde nachträglich durch das Preislied Fange vox Adonis des -»Marners (CB 6*) ausgefüllt. Die Trennung der Texte will als Argument für ihre Nicht-Zusammengehörigkeit jedoch wenig besagen; der Text des unmittelbar auf den 'L.' folgenden 'Großen Benediktbeurer Pas-

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sionsspiels' (CB 16*; -»'Carmina Burana') ist zwischen f. 110r und lll r durch die spätere Eintragung von -» Freidank-Versen auf dem ursprünglich frei gelassenen f. 110V auf ähnliche Weise auseinandergerissen. Schwerer scheinen da schon die inhaltlichen Unstimmigkeiten ins Gewicht zu fallen. Doch verlieren auch sie ihre Beweiskraft, sobald man erkennt, daß sie lediglich auf dem Ausfall einiger weniger Rubriken und eines Textstücks beruhen, die sich aus dem Kontext dem Wortlaut nach zwar nur vereinzelt und vermutungsweise, dem Inhalt nach jedoch mit Bestimmtheit rekonstruieren lassen. Danach bildet der 'L.', zunächst für sich betrachtet, ein sinnvolles und planvoll gebautes Ganzes. In ihm stehen sich zwei Hälften, denen jeweils eine Einleitung vorangestellt ist, antithetisch gegenüber. Zunächst treten der rex Egypti und der rex Babilonis mit ihren jeweiligen comitatus gemeinsam auf und ergehen sich alle zusammen in Weltfreude, die sich in Frühlings- und Liebeslust manifestiert, bekennen sich vor allem aber zum Polytheismus. Danach stellt die erste Spielhälfte Schicksal und Entscheidung des ägyptischen Königs dar: (1) Das Erscheinen der auf der Flucht vor Herodes befindlichen heiligen Familie in Ägypten läßt dort die heidnischen Götzenbilder zusammenstürzen; (2) der wiederholte Versuch ihrer Wiederaufrichtung scheitert; (3) daraufhin bekehrt sich der rex Egypti freiwillig zu Christus. Das Beharren des Babylonierkönigs auf der eingangs gepriesenen Vielgötterei leitet zur zweiten Spielhälfte über. In ihr vollzieht sich nunmehr sein Schicksal ebenfalls in einem allerdings entgegengesetzt verlaufenden Dreischritt: (1) In einer ausgefallenen, aber sicher zu rekonstruierenden Szene tritt der Antichrist mit seinem Gefolge von hypocritae in Erscheinung und heischt Unterwerfung; (2) der Versuch des Königs von Babylon, diesen Herrschaftsanspruch abzuweisen, scheitert; (3) gewaltsam bekehrt, erkennt der Besiegte den Antichrist an. Der Schluß des 'L.' ersetzt überraschend den rex Babilonis durch Herodes, kontrastiert nunmehr diesen mit dem Ägypterkönig und endet in der Prophezeiung jenes fürchter-

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'Benediktbeurer Weihnachtsspiel'

lichen Todes, der Herodes in der Schlußpantomime des 'B. W.' dann tatsächlich ereilt. Die vielfältigen Beziehungen des 'L.' zum 'W.' liegen auf der Hand. Wurde im Hirtenspiel gezeigt, daß das Auftreten Christi die Menschen vor die Entscheidung stellt, so verdeutlicht das gegensätzliche Verhalten der beiden Herrscher im 'L.', wie sich an ihm die Geister scheiden. An diesem Paradigma wird dann das Verhalten Herodes' gemessen. Das Wüten des Tyrannen, der in die geistige Deszendenz des dem Antichrist verfallenen Babylonierkönigs eingereiht wird, bekommt dadurch überindividuelle Bedeutung und gewinnt seinerseits Züge der Antichrist-Herrschaft. Damit wieder ist klar der Eintritt in die heilsgeschichtliche Endzeit markiert. Die Absicht Augustins, seine jüdischen Opponenten aus dem Prophetenspiel durch den Augenschein zu überzeugen, wird weitergeführt, indem nicht nur wie im 'W.' die Wahrheit der jungfräulichen Geburt des Gottessohnes ad oculos demonstriert, sondern im Schicksal der dem Antichrist anheimfallenden Babylonier darüber hinaus zur Umkehr mahnend anschaulich gemacht wird, welche buchstäblich verheerenden Folgen es hat, wenn man sich, wie die hierin den Babyloniern gleichenden Juden, dieser Wahrheit widersetzt. Von der gedanklichen Konzeption her besteht also überhaupt kein Anlaß, die Zugehörigkeit des sogenannten 'L.' zum 'B. W.' in Zweifel zu ziehen. Die theologische Argumentation erhält durch seine Einfügung eine weitere, anderweit nicht vorhandene Dimension - die eschatologische -, die dramatische Komposition gewinnt an Ausgewogenheit und Geschlossenheit, insofern der sogenannte 'L.' die Fortsetzung der im 'P.' zwischen Christen und Juden entfachten Disputation mit anderen Mitteln darstellt. Sein bekanntes kompilatorisches Verfahren, das sich in der Herübernahme von Frühlings-, Liebes- und Lobliedern aus den ->· 'Carmina Burana' und den -> 'Carmina Cantabrigiensia' sowie in Anleihen bei anderen Dreikönigsspielen und dem Tegernseer —»· 'Ludus de Antichristo' zeigt, ist kein Argument für seine behauptete Sonder-

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artung; das Stück CB 227 verfährt hier der Art wie dem Umfang nach nicht anders, wenn es, über die Beibehaltung biblischliturgischer Texte hinaus, bei der Weihnachtssequenz Laetabundus, beim Weihnachtshymnus Beata viscera, bei Osterfeiern und anderen Weihnachtsspielen, bei pseudo-augustinischen Sermonen (für die akrostichische Sibyllenweissagung [PL 42, Sp. 1126] und das Gleichnis der Jungfrauengeburt [PL 39, Sp. 2197]), bei Vergil und Ovid, Prudentius und Aristoteles (in der Übers, des Boethius) zahlreich borgt. Die Störungen in der Überlieferung schließlich insbesondere die Verwirrung in der Reihenfolge der Ereignisse, von der nicht nur der 'L.' allein, sondern auch schon der Schluß des Weihnachts- (Herodes-) Spiels erfaßt ist (Tod Herodes' - Flucht nach Ägypten!), lassen sich durch eine vom wenig sorgfältigen Abschreiber nicht bemerkte Unordnung der Vorlage und .einen erst dadurch möglich gewordenen Augensprung beim Kopieren erklären und also heilen. Demnach folgen in der Schlußpartie des 'B. W.' aufeinander der bethlehemitische Kindermord, die (vom Schreiber falsch eingeordnete) Flucht nach Ägypten, der sogenannte 'L.', der Tod Herodes' mit der anschließenden Krönung des Archelaus und die (vom Kopisten durch Verwechslung gleichlautender Textanfänge unterschlagene) Rückrufung der heiligen Familie aus Ägypten. VI. K ü n s t l e r i s c h e Form. Die auf den ersten Blick hervorstechende Eigenart des 'B. W.' ist sein Streben, sich von Überkommenem weitgehend zu lösen. Sie zeigt sich in der Komposition und der inhaltlichthematischen Bereicherung (s. o. V l und V 4), in der sprachlichen Form und der musikalischen Gestaltung. Soweit das Spiel neumiert ist, weist es nicht weniger als 19 verschiedene nichtliturgische Melodien auf, wobei gleichgebauten Strophen unterschiedliche Melodien unterlegt sind. Wie es in seiner musikalischen Form auf ständige Abwechslung bedacht ist, so auch in Rhythmus und Klang der Verse. Von allen lat. Weihnachtsspielen auf dt. Boden weist es die größte Vielfalt an Metren, Reim- und Strophenformen auf. Um so überraschender ist die keineswegs

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'Benediktinerregel'

unbeträchtliche Traditionsverhaftung des Stücks, die sich bei näherem Hinsehen neben der Tendenz zur Neuerung behauptet. Da gibt es im Bereich der Darstellung Pantomimen und in die dramatische Handlung eingreifende Gesänge eines neutralen Chors, wie sie beide stilistisch der Feier und nicht dem Spiel eigentümlich sind. Da sind ferner nicht wenige liturgische Partien bewahrt. Nimmt man dazu dann noch die literarischen Übernahmen (s.o. V 4), so wird deutlich, daß die künstlerische Leistung des Verfassers unseres Spiels keinesfalls allein, vielleicht nicht einmal vorrangig in der textlichen und musikalischen Neuschöpfung liegt. Entscheidend ist vielmehr die Neukonzeption, der auch überkommene und anderswoher bezogene Elemente dienstbar gemacht werden, indem sie in den neuen Kontext eingeschmolzen und dabei nach Bedarf mit anderem als dem ursprünglichen Sinn aufgeladen werden. VII. T h e a t e r und A u f f ü h r u n g . Wie in seiner Textgestalt, so weicht das Stück auch in seinem theatralischen Charakter von allen anderen lat. Weihnachtsspielen im Bereich der dt. Reichskirche ab. Im Vergleich zu ihnen ist der Inszenierungsaufwand beträchtlich. Für das 'P.' werden 12-14 Darsteller, für das 'W.' zusätzlich 19 weitere und für den sogenannten 'L.' noch einmal 16, insgesamt also 47-^49 Mitwirkende benötigt; dazu kommt dann noch der Chor. Statt der üblichen drei Bühnenstände sind deren neun bis zehn erforderlich. Ob die Bühne innerhalb oder außerhalb der Kirche aufgeschlagen war, läßt sich der Ortsangabe in fronte ecdesie, die in der einleitenden Rubrik steht, nicht entnehmen. Das Auftreten des episcopus puerorum im 'P.' weist auf eine Aufführung am Tage der Unschuldigen Kinder (28. XII.) hin. L i t e r a t u r . Bibliographie: B. BISCHOFF, 1970 (s.o. III) I 3, S. 100,110. - E. WILKEN, Gesch. d. geistl. Spiele in Deutschland, 1872, S. 20-25; E. MICHAEL, Gesch. d. dt. Volkes IV 4, 1906, S. 419-424; H. CRAIG, The Origin of the Old Testament Plays, Modern Philology 10 (1912/13) 486f.; T. STEMMLER, Liturg. Feiern u. geistl. Spiele (Buchreihe d. Anglia 15), 1970, S. 92-96, 257/258 u.ö.; W.F. MICHAEL, Kurzer Grundriß d. germ. Phil, bis 1500, II, 1971, S. 587f.; ders., Das dt. Drama d. MAs (Grundriß d. germ. Phil. 20), Berlin-

New York 1971, S. 48-50; G. BERNT in: C. FISCHER/ H. KUHN/G. BERNT (s.o. III), S. 963-967; D. BRETTEVANS, Von Hrotsvit bis Folz u. Gengenbach I: Von d. liturg. Feier z. volkssprachl. Spiel (Grundlagen d. Germanistik 15), 1975, S. 72-76; Hj. LINKE, Der Schluß d. mlat. Weihnachtsspiels aus Benediktbeuern, ZfdPh 94 (1975), Sonderheft 'Mal. dt. Drama', S. 1-22.

HANSJÜRGEN LINKE

'Benediktinerregel' (deutsch) I. Zur 'Regula Benedicti'. -II. Ahd. III. Mhd. Übertragungen der 'B.'. I. Zur 'Regula Benedicti' 1. Benedikt von Nursia (Norcia), geb. um 480, der sich von Rom in die Sabinerberge zurückzog und dort, in Subiaco, nach einem längeren Einsiedlerleben eine Mönchsgemeinde in zwölf Gemeinschaften um sich scharte, die er um 530 auf den Monte Cassino führte, schrieb seine Mönchsregel im Zusammenhang mit der Gründung und dem Aufbau des Mutterklosters. Die Vita Benedicti im 2. Buch von Gregors d. Großen 'Dialogi' (PL66,Sp. 125-204), einzige Quelle für Leben und Wirken Benedikts, gestattet keine genaue Datierung, und das trifft auch für sämtliche Lebensdaten des Ordensstifters zu. Als Todesdatum gilt der 21. März 547, aber auch 550-553. Die Benedikt-Vita aus Gregors 'Dialogen' erscheint seit dem 15. Jh. auch in volkssprachlichen Bearbeitungen, u.a. in: Basel, ÜB, cod. A IX 23; Darmstadt, LB, cod. 447; Melk, Stiftsbibl., cod. 1752 (olim 651); Osnabrück, ehem. Staatsarch., cod. 21 (s. BORCHLING, Mnd. Hss. I 305); St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 588, cod. 1004; St. Gallen, StB, cod. 360; Wien, cod. 2968; s. auch Dialogi-Ubertragungen (-»Gregor d. Große).

2. Wichtigste und eigentlichste Quelle der 'B.' ist das Bibelwort, das den gesamten Text durchtränkt und bestimmt. Von den Kirchenvätern spielt nur Augustin eine größere Rolle; dazu tritt der Einfluß von Cassians 'Collationes patrum', die auch als Tischlesung und Lektüre empfohlen werden (c. 424; 73 ), sowie der älteren Regeln des Pachomius und Basilius. Das Verhältnis der 'B.' zur 'Regula Magistri' (PL 88, Sp. 932-1052) wird immer noch kontrovers gesehen und behandelt. Nach A. DE VOGÜE ist die 'Regula Magistri' älter als die 'B.'; der Ordensgründer sei ihr besonders im Vorwort und c. 1-2, 4-7, aber

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auch im Aufbau der c. 1-66, konzeptionell in der Vorstellung des Klosters als dominici scola servitü mit dem Abt an Stelle des göttlichen Herrn und in der uneingeschränkten Gehorsamspflicht verpflichtet. 3. Für die Textgeschichte, von TRAUBE eröffnet und grundgelegt, ist wichtig, daß sich Karl d. Große i. J. 787 in Montecassino eine Abschrift der Regel verfertigen ließ, die zwar nicht mehr auf das Original, aber eine gute Kopie des Originals zurückgeht. Diese selbst verbrannte 896 in Teano, wohin sie von Montecassino zum Schütze vor den Sarazenen gebracht wurde. Auch der für Karl besorgte Codex, der als Grundlage für die von Abt Benedikt von Aniane (um 750-821) durchzuführende Klosterreform im karolingischen Reich gedacht war, ist nicht mehr erhalten, hat aber im von Reichenauer Mönchen i.J. 817 kopierten cod. Sangallensis 914 einen getreuen Vertreter. Dieser gilt als der authentischste Text der 'B.'. Er liegt auch der CSEL-Ausgabe HANSLIKS zugrunde. Die unübersehbare Zahl der 'B.'-Hss. HANSLIK hat gegen 300 Hss. kollationiert wird in drei Hauptgruppen gegliedert: den textus purus (mit Sang. 914), textus interpolatus (mit dem Oxforder cod. Haiton 48, um 700, dem ältestem erhaltenen Text überhaupt; zu dieser Gruppe gehört auch der Sangallensis 916 mit der ahd. 'B.', s. II1) und textus receptus (eine 'Vulgata'-Fassung, seit dem 8. Jh. tradiert). Genealogisch unterschied HANSLIK sieben Klassen. Die Text- und Überlieferungsgeschichte kann noch längst nicht als abgeschlossen gelten. 4. Eine Würdigung der Bedeutung und Wirkung der 'B.' kann hier nicht versucht werden. Eine Spiegelung davon bieten die zahlreichen Regelerklärungen, u.a. in älterer Zeit von Paulus Diaconus (jetzt Hildemar von Corbie zugeschrieben), Benedikt von Aniane (s.o. 3), Smaragdus von SaintMihiel, —> Hildegard von Bingen, im SpätMA von -»Johannes von Kastl (mit dt. Übers, in München, cgm 374, aus dem frühen 15.Jh.). Auch die volkssprachlichen Fassungen der 'B.' haben einen unverächtlichen Stellenwert in der Aufnahme und spirituellen Wirkung der 'Regula Benedicti'. Die älteste, aus dem frühen 9. Jh., ist die

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unten behandelte 'Ahd. B.'. Ihr folgt die ags. Aethelwolds in der I.Hälfte des 10.Jh.s (hg. v. A. SCHRÖER [Bibl. d. ags. Prosa 2], 2 1964); Neufassung um 1200, 'WinteneyVersion', für Nonnen (hg. v. A. SCHRÖER, 1888; Nachdr. mit einem Anhang von M. GRETSCH, 1976). Die romanischen Literaturen nehmen die 'B.' vom 13. Jh. an auf (s. G. GRÖBER, Grundriß der roman. Philol. 11,1902,5.986). Ausgaben. E.A. LÖWE, Regula S. Benedicti, Oxford 1929 [textus interpolatus nach der Oxforder Hs.]; R. HANSLIK, Benedicti Regula (CSEL 75), Wien 1960 [textus purus nach Sang. 914]; P. BASILIUS STEIDLE, D ie Benedictusregel. Lateinisch-deutsch, 1963; A. DE VOGÜE/J. NEUFVILLE, La regle de Saint Benoit, vol. I-III, Paris 1972. L i t e r a t u r . Bibliographie: Bulletin d'histoire benedictine (Beilage zur Rev. Ben., seit 1907); A. ALBAREDA, Bibliografia de la Regla benedictina, Monserrat 1933; R. BAUERREISS, Stud.Mitt.OSB 58 (1940) 3-20. L. TRAUBE, Textgesch. d. Regula S. Benedicti (Abhh. d. K. Bayer. Akad. d. Wissensch. HI/21, Abh. 3), 1898; 2. Aufl. v. H. PLENKERS 1910; C. BUTLER, Benedictine Monachism,2London 1924; dt. Übers.: Das benediktinische Mönchtum, 1925; Diet. Spir. I (1937) 13711409; I. HERWEGEN, Sinn u. Geist d. 'B.', Einsiedeln 1944; ders., Der hl. Benedikt,41951; S. BRECHTER, Benedikt, Vater d. Abendlandes, 1947; A. DE VOGÜE, La communaute et l'abbe dans la Regle de S. Benoit, Paris 1961; BRUNHÖLZL, LG I 47-50, 513-515. - Übersicht über die wichtigsten hist. Kommentare: Diet. Spir. I 1383 f., 1409.

K. RUH

II. ' A l t h o c h d e u t s c h e B e n e d i k t i n e r regel' Interlinearversion, Anfang des 9. Jh.s I . Ü b e r l i e f e r u n g . Cod. 916 der Stiftsbibl. St. Gallen enthält als Hauptinhalt S. 2-159 den lat. Regeltext in karolingischer Minuskel mit der durch mehrere Schreiber eingefügten ahd. Interlinearversion (i. F. 'A.B.') in feiner, steiler Kursive. Die ahd. Interlinearversion setzt mit dem Prolog ein und reicht, auf größere Teile hin freilich nicht vollständig ausgestaltet, bis zum Anfang von Kap. 67, während der Schluß (bis Kap.73) nicht mehr übersetzt ist. Der Prolog und die ersten 14 Kapitel sowie Kap.31 weisen fast keine Auslassungen im ahd. Text auf, ab Kap. 15 wird die Übersetzung aber lückenhafter und beschränkt sich von der Mitte des zweitletzten Kap. 65 bis zum Schluß auf Glossierungen einzelner Wörter oder Wendungen. Die Nähe der interlinearen Übersetzung zu ihrer glossenhaften Vorstufe ist offenkundig. Sowohl der lat. interpolierte Text der Hs. als auch die ahd. Interlinearversion sind innert Jahrzehnten um und nach 800 im Scriptorium des Klo-

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stets St. Gallen geschrieben worden (HANSLIK, BISCHOFF, NEUFVILLE). St. Gallen bildet einen Sammelpunkt der hsl. Regeliiberlieferung für ganz verschiedene Textklassen (reiner Text: Sang. 914, 915, beide 9. Jh., interpolierter Text: unser Sang. 916, Frgm.e im Sang. 110 [9.Jh.]). Außerdem sind zwei weitere Regelhss. des ehemaligen St. Galler Bestandes bekannt: Die eine, Abschrift von Sang. 916, mit der etwas abweichenden ahd. Interlinearversion, hat M. GOLDAST 1606 (Alamannicarum rerum scriptores II 94-112) für seine Editio princeps in Form einer lat.-ahd. Wortliste benutzt; die Hs. ist bis zum ausgehenden 17.Jh. für die StB St. Gallen bezeugt, seither aber verschollen ( TENSTEIN mit ausführlicher Forschungsgeschichte). Die andere, in der offenbar nur der Prolog ahd. glossiert war und die noch weitere katechetische Stücke in ahd. Übersetzung enthielt, ist durch stifts-st.-gallische Bibliothekaraufzeichnungen des 17. und 18. Jh.s hinreichend bezeugt; sie wurde 1760 an Martin Gerbert in St. Blasien ausgeliehen und ging dort im Klosterbrand von 1768 verloren (HERTENSTEIN mit älterer Lit.). Während die lat. Fassung im erhaltenen Sang. 916 eine westliche, in Gallien beheimatete interpolierte Textklasse repräsentiert, beruht die ahd. Interlinearversion offenbar zusätzlich auf einem anderen Text derselben Klasse; doch kann der ahd. Text in cod.916 nicht völlig vom lat. Text daselbst getrennt werden (NEUHOLD). 2. Ausgaben. STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr. XXXVI (hier S. 282 über ältere Editionen); U. DAAB, Die 'A.B.' des Cod. Sang. 916 (ATB 50), 1959 (mit ahd. u. lat. Glossar), vgl. dazu die Rez. H. MENHARDT, PBB (Tüb.) 81 (1959) 221-225.

3. E i n o r d n u n g . Während die Niederschrift der vorliegenden Hs. eindeutig St. Gallen zusteht, knüpfen sich an die unbekannte Vorlage oder Vorstufe der ahd .Übersetzung weitreichende {aber unbewiesene, wohl auch unbeweisbare) Spekulationen, die aus allgemein literatur- und kulturgeschichtlichen Gründen das Kloster Reichenau als Heimat des Denkmals betrachten. Die Annahme, alle frühahd. Übersetzungen im alem. Raum seien monogenetisch von der Reichenau ausgegangen, läßt sich aber nicht erhärten, schon gar nicht von der Schriftheimat der Denkmäler her (BISCHOFF). Außerdem zeigen sich enge Übereinstimmungen zwischen den ältesten St. Galler Glossen des Sang. 70 (Paulinische Briefe) der Siftsbibl. (und Frgm.bl. StB) St. Gallen, Ende 8. Jh., und . B.' (SONDEREGGER, 1970). Nimmt man die bedeutende Stellung St. Gallens in der lat. Regelüberlieferung und ihrer ahd. Übersetzung hinzu,

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liegen somit gute Gründe vor, auch die Entstehung der ahd. Interlinearversion nicht vom Überlieferungsort zu trennen. Sprache und Schrift weisen in das frühe 9. Jh. 'A.B.' stellt die umfangreichste Interlinearversion des Ahd., sozusagen das klassische Beispiel dafür, dar. Es handelt sich um den Normalfall einer schematischen Form-für-Form-Übersetzung des lat. Textes, der dem Verständnis des z.T. recht schwierigen Lateins der Regel dienen soll, wobei die Grundsprache aber gelegentlich mißverstanden wird. Nur die in die Regel eingestreuten Bibelzitate sind zumeist freier und packender übersetzt; sie weisen z.T. Stabstilisierungen auf. Der Wortschatz baut sich in seiner christlichen Begrifflichkeit mittels der auf dem lat. Vorbild beruhenden, aber mit volkssprachlichen Lexemen gebildeten Lehnprägungen (z.B. providentia, ahd. forascauwunga für 'Vorschauung') auf. Er zeigt dadurch zusammen mit den ältesten ahd. Glossen und Glossaren um 800 den Beginn der für die Geschichte des deutschen Wortschatzes so wichtigen Latinisierungs- oder Europäisierungsbewegung(BETZ, 1949). Auf M. GOLDASTS Titel 'Keronis Monachi S. Galli interpretatio vocabulorum barbaricorum (id est Alamannicorum) in Regulam S. Benedict! Abbatis' seiner Editio princeps von 1606 (s.o.) geht die in der älteren Germanistik des 17. bis frühen 19. Jh.s immer wieder genährte Ansicht von einem Verfasser namens Kero zurück. Schon vor Mitte des 16. Jh.s spricht VADIAN von einem berühmten St. Galler Konventualen Kerolt, und die St.Galler Stiftsbibliothekare des 17. und 18.Jh.s tragen seit Jodocus METZLER (gest. 1639) die Ansicht von einem frühahd. Übersetzer Kero/Kerolt weiter. Das Mißverständnis dürfte auf einem Schreibereintrag im verschollenen St. Galler Cod. der 'A.B.', den GOLDAST benutzte, beruhen (HERTENSTEIN). L i t e r a t u r . Bibliographie: S. SONDEREGGER, Ahd. auf d. Reichenau, in: Die Abtei Reichenau (BodenseeBibl. 20), 1974, S.71 f. - Beschreibung der Hs.: STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 281-289; HANSLIK, Ausg., 1960 (s.o. I), S. XLVIIf. - Abb. der Hs.: G. BAESECKE, Der dt. Abrogans, 1930, Tafel III-V u. danach (Taf. IV) G. Eis, Altdt. Hss., 1949, Tafel 7; H. FISCHER, Schrifttafeln z. ahd. Lesebuch, 1966, Tafel 3; SONDEREGGER, Ahd. in St.Gallen (Bibliotheca Sangallensis 6), 1970, Abb. 11. - Ältere Lit. bei EHRISMANN, LG 2I 266f.; W. BETZ, Die Heimat d. 'A.B.', PBB 65 (1941) 182-185; ders., Deutsch u. Lateinisch, Die Lehnbildungen d. 'A.B.', 1949; BAESECKE, Unerledigte Vorfragen d. ahd.

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'BenediktinerregeP

Textkritik u. Lit.gesch., PBB 69 (1947) 372-384; H. NEUHOLD, Die ahd. Interlinearversion der 'B.' u. ihre lat. Vorlage, Diss. (masch.) Wien 1956 (Kurzreferat H. MENHARDT, PBB [Tüb.] 81 [1959] 223-225); H. IBACH, Zu Wortschatz u. Begriffswelt d. 'A.B.', PBB (Halle) 78 (1956) 1-110; 79 (1957) 106-185; 80 (1958) 190-271; 81 (1959) 123-173; 82 (1960/61) 371-473; U. DAAB, Die Schreiber d. 'A.B.' im cod. Sang. 916, PBB (Tüb.) 80 (1958) 379-403; SONDEREGGER, 1970, S. 64-69; G. KÖBLER, Verzeichnis d. Übersetzungsgleichungen der 'A.B.' (Göttinger Stud. z. Rechtsgesch., Sonderband), 1970; B. BISCHOFF, Paläographische Fragen dt. Denkm. d. Karolingerzeit, Frühmal. Stud. 5 (1971) 108; B. HERTENSTEIN, Joachim v. Watt (Vadianus), Bartholomäus Schobinger, Melchior Goldast (Das Ahd. v. St. Gallen 3), 1975, S. 160f., 185-194 u.ö.

STEFAN SONDEREGGER III. ' M i t t e l h o c h d e u t s c h e Ü b e r t r a gungen der B e n e d i k t i n e r r e g e l ' Zahlreiche Übersetzungen vom 12. bis zum 15. Jh. sind erhalten, einige davon ediert. A. Edierte Fassungen. 1. ('Zwiefaltener B.') Stuttgart, LB, cod. theol. et phil. 4° 230 aus der Abtei Zwiefalten, Mitte 12. Jh., schwäb., Interlinearversion; ed. C. SELMER, Middle High German Translations of the Regula Sancti Benedict! (The Medieval Academy of America 17), Cambridge (Mass.) 1933 (Nachdr. 1970), S. 13-47. 2. Hohenfurt (Vyssi Brod)/Bohmen, ehem. Stiftsbibl., cod. 30, 1. Hälfte 13. Jh., ostmd.; ed. W. SCHERER, ZfdA 16 (1873) 224-279; SELMER, S. 48-88. 3. Engelberg/Schweiz, Stiftsbibl., cod. 72, Mitte 13. Jh., alem.; ed. J.B. TROXLER, Der Geschichtsfreund 39 (1884) 1-72; SELMER, S.89-128. 4. München, cgm 91 aus dem Stift Asbach, Mitte 13. Jh., bair. mit md. Einschlägen. Dieselbe Fassung auch inAdmont, Stiftsbibl., cod. 624, Ende 13. Jh., bair.; ed. SELMER, S. 129-166 (Asbach) u. S. 206-244 (Admont); SELMER behandelt diese beiden Übersetzungen vollkommen getrennt. 5. München, cgm 90 aus dem Stift Raitenhaslach, 2.H. 13.Jh., bair.; ed. A. SCHÖNBACH, WSB 98 (1881) 913-980; SELMER, S.167-205. 6. Oxford, Bodleian Library, cod. Laud. Misc. 237 aus dem Stift Eberbach, Anf.

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14.Jh., rhfrk., für Benediktinerinnen; ed. E. SIEVERS, Oxforder Benedictinerregel, 1887; SELMER, S. 245-278. 7. München, cgm 36 aus Altomünster, v.J. 1388, bair.; ed. SELMER, S. 279-332. 8. London, Univ. College Library, Ms. Ger. 12 aus Ottobeuren, Ende 14. Jh., schwäb.; ed. SELMER, The London Benedictine Rule (Stud. Mitt. OSB Erg.heft 11), 1936. 9. Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 4486a, 14.Jh., rhfrk.; ed. M.C. SULLIVAN, A Middle High German Benedictine Rule (Regulae Benedict! Studia Supplementa 4), 1976. 10. Wilhering, Stiftsbibl., cod. 14, Anf. 15.Jh., bair.; ed. E. BOETTCHER-LANGE, A Middle High German Benedictine Rule, Latrobe (Pennsylvania) 1942. 11. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Guelf. 71. 22.Aug. fol., Mitte 15.Jh., nd.; ed. E. A. KOCK, Die Wolf en bütteler mnd. Versionen der Benediktinerregel, Lund 1903. 12. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Guelf. 29. 3.Aug. 4°, 2.H. 15.Jh., nd.; ed. KOCK (s. o.ll.). 13. Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 2485, v.J. 1372, ndl.; ed. T. COUN, De middelnederlandse vertalingen van de 'Regula Sancti Benedict!', Diss. Löwen 1976, S. 437-637. 14. Beuron, Bibl. d. Erzabtei, cod. 39, Ende 15.Jh., ndl.; ed. P.E. WEBBER, Ms. Archabbey Beuron No. 39, Diss. Bryn Mawr College 1972. B. N o c h n i c h t e d i e r t e Texte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Aarau, Kantonsbibl., cod. W 4° 10; Admont, Stiftsbibl., cod. 538; ebd., cod. 757, diese -»Johann v. Speyer zugeschriebene Fassung in Melk, Stiftsbibl., codd. 140; 407; 786; Basel, ÜB, cod. A IX 23; Bamberg, SB, codd. Ed. H. 2; Ed. II. 18; Berlin, mgq 555, mgq 1569; Budapest, Nat. Bibl., cod. Germ. 5; Cheltenham, Bibliotheca Phillippica, Ms. 1244; Donaueschingen, cod. 420; Ebstorf, Stiftsbibl., cod. VI, 11; Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 663; Engelberg, Stiftsbibl., cod. 301; St.Gallen, Stiftsbibl., codd. 920; 997; 1140; 1333; Heidelberg, ÜB, cod. Salem VII, 2; Karlsruhe, LB, cod. Karlsr. 1020; Kremsmünster, Stiftsbibl., codd. 285; 393; 404; London, Brit. Mus., Mss. Add. 16902, Add. 30078; München, cgm 153, cgm 418, cgm 422, dieselbe Fassung in cgm 423, cgm 471, cgm 639, cgm 746, cgm 799, cgm 800, cgm 801, cgm 802, cgm 803, cgm 804, cgm 805, cgm 829, cgm 4616, cgm 4698; Stuft-

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Der von Berau - 'Berchta'

gart, LB, cod. HB I 66; ebd., Ms. Hist. Fol. 417; Trier, StB,cod.l256;St.Walburg/Eichstätt,Klosterbibl.,cod. germ. 6; Wien, cod. 12911; Würzburg, ÜB, cod. M.p. th.f. 121; Zürich, Zentralbibl., Ms. Rh. 192. Eine Zusammenstellung und Gruppierung der ndl. Hss. bietet CouNl976(s.o. A.B.). Öfter sind auch die '12 Staffeln der Demut' des 7. Kap. der Regel, z.T. in veränderter Reihenfolge, deutsch überliefert; s. RUH, Bonav. dt., S. 256. Ferner: Heidelberg, cpg 439; Nürnberg, StB, cod. Cent. IV 30; Cent.VI 54. Ebenso im Ndl., s. COUN 1976 (o. A. 13.), S.401-416 (mit Textproben).

C. Ein Einfluß der dt. 'B.' auf die mal. Literatur läßt sich kaum nachweisen. SELMER 1947 und 1947/48 sieht in der lat. Regel eine Quelle für das anonyme Gedicht 'Ain gemaine lere' (14. Jh.). 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Prag, Knihovna Narodniho musea, Ms. X A 12 (-> Hätzlerin, Klara), 100 vv. (H); Leipzig, ÜB, cod. 1590, 55 vv. (L); Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl., cod. Guelf. 2.4. Aug. 2°, 45 vv., (W); Chicago, Newberry Library, Ms. Inc. 1699, 20 vv. (N) (Siglen nach SELMER, 1947). 2. A u s g a b e n . HALTAUS, Hätzlerin II 61 (H); K. EULING, Hs. 1590 d. Leipziger ÜB, Germ. 33 (1888) 162-164 (E); ders., Kleinere mhd. Erzählungen, Fabeln u. Lehrged. II (DTM 14), 1908 (nur die Varianten von W gegenüber H auf S.XVf.); C. SELMER, An unpublished MHG poem of the Chicago Newberry Library and Ms. H of the Liederbuch der Klara Hätzlerin, JEGP 43 (1944) 170-172 (N); ders., The anonymous late-MGH poem 'Ain gemaine lere' and the Benedictine rule, JEGP 46 (1947) 28-37 (auf S.30-36 Paralleldruck von H und L, Varianten und Verskonkordanz von W und N sowie Abdr. d. lat. Quelle).

3. Quelle dürfte das 4.Kapitel der Regel (Quae sunt instrumenta bonorum operum) sein, das in seiner Form von infinitivisch formulierten Lebensregeln sich vom übrigen Text abhebt. In Fassung H begegnen diese Anweisungen im Imperativ Singular nach einer Einleitung eines Ichs (Mensch, wilt du leben cristenlichj So hör vnd merck mich v. l f.), wobei die Reihenfolge gegenüber der Quelle geändert ist (vgl. die Konkordanz bei SELMER, 1947). 4. Auffälligstes Strukturelement sind die adjektivischen Reime auf -lieh; in H enden von 100 Versen nur sechs mit anderen Wörtern. Inhaltlich läßt sich ein Aufbau, somit auch ein Prinzip der Änderung der Abfolge der Anweisungen gegenüber der Quelle, nicht erkennen. Die Verse bzw. manchmal zusammengehörige Verspaare, durchweg

Hauptsätze (Ausnahme v. 1), centoartig aneinandergereiht, geben allgemeine Regeln für ein christliches Leben; dies dürfte auch der Grund sein, daß L, W und N weit kürzere Fassungen überliefern, ohne daß der Eindruck von Fragmenten entsteht. 5. SELMER, 1947/48, möchte dieses Gedicht ohne Angabe von Gründen dem —»Mönch von Salzburg zuschreiben. L i t e r a t u r . V. KAEFERBECK, Drei alte dt. Ubers.nd. Benedictiner-Regel, Progr. Ober-Gymnasium Graz (1868) 1-26; L. LAISTNER, Die Vocale d. Verbalendungen in d. Zwiefaltener B., PBB 7 (1880) 548-581; M. KONZELMANN, Die Engelberger B., Diss. Zürich 1919; A. LEITZMANN, Der Wortschatz d. Engelberger B., PBB 44 (1920) 483-495; K. RAUS, Eine dt. Übers, d. B. in einem Admonter Kodex d. 15. Jh.s, Diss. Innsbruck 1934;C. SELMER, Das 4. Kapitel d. B. ind. mhd. Lit., Stud.Mitt.OSB 61 (1947/48) 40-45; ders./F.J. BLOCH, Die Interlinearversion d. Zwiefalter B. d. 12. Jh.s,ebd.,S. 150-154; STAMMLER, Prosa,Sp. 967f.; SELMER, Die Bedeutung d. mhd. Übers, d. 'B.' f. d. dt. Sprachgesch., Stud.Mitt.OSB 63 (1961) 17-21; T. COUN, De Middelnederlandse Hss. van de Regula S. Benedict! uit de Abdij de Vorst (Brüssel) (Handelingen van het XXIVe Vlaams Filologencongres), Antwerpen 1973, S.271-276.

NORBERT RICHARD WOLF Bengedans, Johannes -+ Beugedantz, J. Bentz, Klaus -> 'Gegrüßet sistu ane we' Der von Berau (Berowe) ist der Autor von zwei mystischen Dicta im Berliner mgo 69, 17r und 221r/v (um 1400, aus Straßburg), das vor allem —>Seuse-Texte überliefert. STAMMLER vermutet ohne Verbindlichkeit, daß mit dem Herkunftsnamen Berau im Kreis Waldshut (Diözese Konstanz) gemeint sei. L i t e r a t u r . W. STAMMLER, Stud. z. dt. Mystik, ZfdPh 55 (1930) 294f.: zur Hs.: P.G. VÖLKER, Die dt. Schriften d. Franziskaners Konrad Bömlin (MTU 8), 1964, S. 109-115.

K. RUH

'Berchta' Schwankhaft-komisches maere eines unbekannten spätmal. Verfassers in nur 74 (bis 79) Versen mit einem kindlichen Mißverstehen als Thema. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2885, 17vb-18rb (w; Innsbruck 1393); Innsbruck, Ferdinandeum, FB 32001,

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Meister Berchtold

13rb-13va (i; Gebiet Innsbruck-Brixen 1456); Dresden, LB, cod. M 68, 17 "-17™ (d; ostschwäb. [Augsburg?] 1447). A u s g a b e n . GA III Nr. 54, S. 29-35 (zit.); F.D. GRÄTER, Das Mer von der Stempen (nach w), Bragur7 (1802) Abt. l, S. 192-195; M. HAUPT, Von Berhten mit der langen nase (nach d), Altdt. Bll. l (1836) 105-107; Faks. Ausg. von i: Sammlung kleinerer dt. Ged. Einf. N.R. WOLF (Codices selecti 29), Graz 1972; geplant in NGA Nr. 63.

Ein Hauswirt heißt am Neujahrsabend alle tüchtig zulangen, damit sie von Berchta (in der Redaktion wi ist Berhta durch die stemp ersetzt) nicht getreten würden. (Nach dem Volksglauben hat die mythische Unholdin mit ihrem Gefolge in den Rauhnächten ihre Umgangszeit, weshalb am Perhten-Tag brauchtümlich bestimmte Speisen vorgeschrieben sind.) Ob das Ungeheuer vielleicht wie ein Pfaffe aussehe, fragt das Kind; denn eine solche Berchta sei mit Stoßen und Treten schon einmal über die Mutter gekommen - was die Mutter als Kindergeschwätz und der Vater mit klugem Schweigen abtut. Bemerkenswert der Prolog (v. 1-13) mit Verspottung der üblichen Quellenberufungen und der Epilog (ab v. 64) mit scherzhaftem Lehrsatz. L i t e r a t u r . Bibliogr.: FISCHER, Stud., S.302 (B 14); SCHWARZ, Perhta, in: Handwörterbuch d. dt. Aberglaubens 6, 1934/35, Sp. 1478-1492.

HEDWIG HEGER Berchtold -> auch Berthold Meister Berchtold Die unter maister Berchtolds Namen zu einem Buch vereinten Texte sind in einer Abschrift des späten 14.Jh.s erhalten und wurden wahrscheinlich um 1350 durch einen Benediktinermönch B. zu St. Georgen in Villingen kompiliert. Ü b e r l i e f e r u n g . Karlsruhe, LB, cod. St.Georgen 73,168r-218" ('B.sRezeptar': 203r-216r).-Eine Ausg. d. 'Rezeptars' bereitet U. OTT-VOIGTLÄNDER vor (Diss. Würzburg).

Die M.B.-Texte umfassen vier Abteilungen, von denen die erste in Anlehnung an Avicenna den '24-Paragraphen-Text' sowie andere Laßschriften bringt, die zweite ein Sammellunar und Prognostiken bietet, die

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dritte das -> 'Schwarzwälder Kräuterbuch' anfügt und die vierte eine 'Abhandlung über Krankheiten' folgen läßt. Zusätzliche Kurztexte sind in den Kompositionsfugen eingestreut. Am interessantesten ist die 'Abhandlung über Krankheiten', die sich als Rezeptar erweist ('Berchtolds Rezeptar'), nach Indikationsgruppen gegliedert ist und eine anatomische Reihung 'vom Scheitel bis zur Sohle' zeigt. Sie besteht aus zumindest zwei Textkernen, die sich durch strukturelle Verwerfung gegeneinander abheben und auf das Verschmelzen ursprünglich selbständiger Rezeptgruppen schließen lassen. Quellengemeinschaf t mit dem-* 'Bartholomäus', dem -> 'Arzenibuoch Ipocratis', dem -> 'Innsbruck-Prüler Kräuterbuch' sowie dem -> 'Benediktbeurer Rezeptar' weist auf frühmal. Herkunft, und die kompilative Struktur von B.s Kompilat macht einen langen deutschsprachigen Traditionsweg wahrscheinlich, auf den auch versprengte Rezeptformeln in einer 'Thesaurus'-Ubersetzung des 14.Jh.s deuten (TELLE, 1972, S. 102f.). Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir in 'B.s Rezeptar' einen Formelbestand greifen, der in die Reihe früher obd. Arzneibücher gehört und dessen Übersetzung in die Zeit vor 1300 zurückreicht. Freilich zeigen nicht alle Abschnitte gleiches Alter: Jünger erscheinen die Anweisungen zur Weinpflege, die den humanmedizinischen Rezepten folgen und ihre Entsprechung in einem bairischen Kompilat des ausgehenden 15.Jh.s finden (Harburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibh, cod. III 2.8° 34, T-12T, vgl. Sudhoffs Arch. 45 [1961] 113-115). L i t e r a t u r . G. Eis, Nachricht über eine altdt. Sammelhs. aus Villingen, Med. Mschr. 15 (1961) 474 bis 478 (mit Teilabdr. von Abschnitt 1); P. STRAUSS, Arnald v. Villanova dt. unter bes. Berücksichtigung d. 'Regel d. Gesundheit', Diss. Heidelberg 1963, S. 18; dazu: M.P. KocH/G. KEIL, Die spätmal. Gesundheitslehre d. 'Herrn Arnoldus v. Mumpelier', Sudhoffs Arch. 50 (1966) 361-374, hier S. 362-364; J. TELLE, Erfabelte Rezeptautoren, Med. Mschr. 23 (1969) 117 bis 121, hier S.119b (mit Exzerpt aus 'B.s Rezeptar'); ders., Beitr. z. mantischen Fachlit. d. MAs, StN 42 (1970) 180-206 (mit Ausg. von Abschnitt 2); ders., Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S. 98-104. G.KEIL

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Berchtold von Engelberg

Berchtold von Engelberg I. Leben. B. folgte 1178 Abt -»· Frowin in der Leitung des Klosters Engelberg. Für die Zeit vor seiner Erhebung zum Abt läßt sich die Wendung amice et reverende presbyter Berchtolde in einem Werk Frowins nur ungenügend auswerten. In der 'Apologia' (Engelberg, cod. 358, 20V) erwähnt B. seine Romfahrt; die Urkunden lassen als Datum die Jahre um 1190 vermuten. Der Bericht der 'Annales s. Blasii in Silva Nigra et Engelbergenses' (cod. 9; vgl. WATTENBACH/SCHMALE, Geschichtsquellen I 320f.), B. habe noch an seinem Todestag (3. 11. 1197) das Meßopfer gefeiert, läßt auf ein plötzliches Ableben des noch nicht bejahrten Abtes schließen. Darauf weisen auch Verse im cod. 14, die bemerken, der Auftraggeber B. habe die Vollendung der Hs. nicht mehr erlebt. Sichere Auskunft über das Wirken B.s geben in der Engelberger Bibliothek die Widmungsverse einzelner Hss. Die Werke, die B. der Aufzeichnung für würdig hielt, zeigen ihn in der Nachfolge Frowins; sie stammen von Kirchenvätern oder antiken Autoren. Auch die Maler- und Schreiberschule des Klosters führte er weiter. Unter ihm schuf der sog. 'Engelberger Meister' (auch 'Berchtold-Meister'), ein anonymer Kalligraph und Miniator, das Wertvollste im Scriptorium der Abtei. Der Übergang vom spätromanischen zum gotischen Stil beweist dabei Offenheit für Anregungen der Zeit. Aus den Klosterannalen und Urkunden ergibt sich, daß B. die Unabhängigkeit und die wirtschaftlichen Grundlagen seines Hauses zu sichern wußte; Papst und Bischof bestätigten Besitz und Patronatsrechte. Der Abt des abgelegenen Stifts genoß offenbar weiteres Ansehen: Er wirkte mit hohen Prälaten als Zeuge in einem Rechtsfall. Ebenso hoch stand er in der Achtung seiner Mönche. Die Annalen rühmen, er habe sich vor Gott und den Menschen bewährt. Bald nach seinem Tod wurde er als Seliger verehrt. Legenden sprachen ihm die Gabe der Wunder und Weissagung zu. II. Werk. Literarisch trat B. selbst nur mit der 'Apologia contra errorem Burchardi

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abbatis S. Joannis in ThurtaP (heutiger Titel) hervor, in der er die kirchliche Lehre über den Aufenthalt aller vor dem Erlösungstod Christi verstorbenen Gerechten in der Hölle verteidigte. Ü b e r l i e f e r u n g . Engelberg, Stiftsbibl., cod. 18, 123", 12. Jh. (Einleitung); cod. 358, lr-24r, v. J. 1648 (Abschrift des aus cod. 18 herausgeschnittenen Originals, das nach Einsiedeln gelangte, dort aber heute fehlt). A u s g a b e . CAVELTI, S. 153-175.

1. Den Anlaß zu B.s Schrift boten zwei Briefe Burchards an ihn; sie stehen der 'Apologia' unter dem Titel 'Error' voran. Den ersten Brief widerlegte B. in einem nicht erhaltenen Schreiben; auf neue Beweise Burchards im zweiten Brief antwortete er in der 'Apologia'. Die literarische Fehde brach damit aber auch ab. Beide Verfasser schrieben für einen weiteren Leserkreis. Mit Briefen, die erhalten sind (s. CAVELTI, S. 8-10), griff auch Abt Hugo von Schaffhausen ein. Die Hs. vermerkt zu Beginn des Traktats, Burchard habe vor seinem Tod den Irrtum eingesehen und bereut. 2. B. wirft dem Gegner zunächst mangelnde Logik vor, klärt dann wichtige Begriffe ab und widerlegt aus Bibel, Väterschriften und Liturgie die Beweise Burchards. Der Abwehr folgt die eigene Lehre mit Argumenten aus Worten Christi und des Apostels Paulus. Um Burchard jeden Ausweg zu verlegen, verstärkt B. den Autoritätsbeweis durch neue Bibel- und Väterzitate, besondern aus Augustinus und Gregor d. Gr. Er schließt mit einer versöhnenden Mahnung und Entschuldigung.

Der Lehrgehalt des Traktats erfaßt über die Streitfrage hinaus Teile der Soteriologie, Erbsündenlehre und Christologie. Bekämpft wird Burchards Irrtum nicht nur im Wortsinn seiner Thesen, sondern mehr noch in seinen Folgerungen, da sie die Wirkung der Heilstat Christi einschränken. Hier nähert sich B. den Lehren Anselms und Bernhards, deren Werke in der Bibliothek des Klosters standen. Mit Bernhard verwirft er Sätze Abälards über die Erbsünde. Die Vorliebe für Autoritätsbeweise führt den Verfasser zwar nicht zu neuen dogmatischen Einsichten, läßt ihn aber das Verhältnis von Autorität und Vernunft genau prüfen: Die Vernunft ist dem Glauben nicht gleichwertig, sondern setzt ihn voraus; der Vernunft-

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Berchtold von Kremsmünster

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erhalten hat sich von ihm aus späterer Zeit ein Sermo auf diesen Heiligen sowie eine Agapitus-Legende. Vorbereitet wurden B.s historiographischen Arbeiten durch die wohl vom Cellerar Sigmar angeregte Güterfestlegung des Stiftes von 1299, die erst 1304 in der Niederschrift des Stift-Urbars durch B. in einer brauchbaren Übersicht vorlag (hg. v. K. SCHIFFMANN, in: Österr. Urbare, III. Abt., 3. Bd., II.Teil, 1913, S.94-277), sowie die nach sachlichen und chronologischen Gesichtspunkten geordnete Niederschrift der Stiftsprivilegien (Kopialbuch für die Urkunden v. 777-1313, hg. v. TH. HAGN, Urk.buch von Kremsmünster, 1847). 2. Die 'Geschichtsquellen von Kremsmünster', mit denen B. erst nach 1315 begann, sind anonym überliefert. Als den Verfasser der 'Narratio de Ecclesia CremsL i t e r a t u r . R. DURRER, Die Schreiber- u. Malermunstrensi' bezeichnete zuerst Simon RETschule v. Engelberg, Anz. f. Schweizer Altertumskde. TENBACHER (Annales monasterii CremifaNF3 (1901) 122-145; S. CAVELTI, Die Streitschrift d. sei. Abtes B. v. E., in: Angelomontana, Gossau (St.Gallen) nensis, Salzburg 1677, S. 21) den Kremsmün1914, S. 1-175; DHGE VIII 969; F. GÜTERBOCK, Engel- sterer Mönch und Priester Bernardus Noribergs Gründung u. erste Blüte 1120-1223, Zürich 1948, cus, den als Geschichtsschreiber zuerst S. 57-59 u. 83f.; A. BRUCKNER, Scriptoria medii aevi Johannes Turmair (Aventinus) namhaft Helvetica VIII, Genf 1950, S. 46-49 u. 54-61; B. BIgemacht hatte, freilich nur mit Bezug auf SCHOFF, in: NDB II 153f.; G. HEER, Aus d. Vergandie 'Passio Quirini' (LEIDINGER, 1917). genheit v. Kloster u. Tal Engelberg 1120-1970, EngelRETTENBACHERS Annahme wurde von H. berg 1975, S. 33-36. PEZ und anderen übernommen, daneben SlGISBERT BECK jedoch auch der Cellerar Sigmar als Autor Berchtold von Kremsmünster genannt (u.a. von LOSERTH). Erst NEUI. Leben. Geb. vor 1270, wurde B. schon MÜLLER konnte B. als Schreiber und Autor in den 1280er Jahren Benediktinermönch bestimmen. von Kremsmünster (Oberösterr.), am 23.5. 3. Nicht in Kremsmünster, sondern wohl 1290 in Passau Diakon und erhielt i. J. 1300 in Passau entstanden sind die auch sonst die Priesterweihe. Seit 1292 war er im selbständig überlieferten ersten Teile der Scriptorium seines Klosters als Schreiber, Geschichtsquellen von Kremsmünster, die Rubrikator, Korrektor, wahrscheinlich 'Historia ecclesiae Laureacensis', von auch Miniator tätig und zuletzt wohl selbst WAITZ als 'Historia episcoporum Patavienals Leiter der Schreibschule. Seine Hand er- sium et ducum Bavariae' bezeichnet, aus scheint in etwa 68 größtenteils heute noch dem Jahre 1253 oder bald danach (WAITZ, in Kremsmünster befindlichen Hss. Er war S. 617-619); der zugehörige Katalog der Kustos der Stiftskirche, eine Zeitlang wohl Herzöge von Bayern wurde vor 29.9.1253 auch Scholasticus; vorübergehend war er (WAITZ, S. 625-627), der zugehörige Pasauch auswärts tätig. 1319 reiste er nach sauer Bischofskatalog (WAITZ, S. 619-622) Avignon. Er starb wahrscheinlich vor No- vor 10.4.1254 verfaßt, doch scheint diesem eine etwas ältere Aufzeichnung (von vor vember 1326. 1250) zugrundezuliegen. Es ist möglich, daß II. Werke. 1. B.s erste literarische Tätigkeit ist für diese Schriften sowie die nur bis zu Bischof 1300 nachzuweisen: Er verfaßte ein nicht Altmann reichenden 'Notae de episcopis erhaltenes Reim-Offizium für das Fest des Pataviensibus' (WAITZ, S. 623 f.) auf den hl.Agapitus, Patrons von Kremsmünster; Passauer Domdekan -> Albert Böheim, von

beweis liefert den sicheren Schluß aus einer geoffenbarten Wahrheit. 3. In der Methode hält sich B. an die Beweisformen der Scholastik; gerne deutet er den Wortlaut aus, Antithesen prägt er oft ironisch. Als persönlicher Beitrag B.s können Hinweise auf eigene Erlebnisse gelten, aber noch mehr die Aussagen über Maria und allgemein der mystische Zug vieler Abschnitte, besonders wo die Würde Christi behandelt wird. Stil und Sprache der 'Apologia' bleiben traditionell; dem Ausdruck fehlt die Eleganz, doch ist er bilderreich, lebhaft, oft emotional. Ein endgültiges Urteil über Abhängigkeit und eigene Leistung B.s setzt weitere Studien über den Einfluß frühscholastischer Autoren auf sein Schaffen voraus.

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Bereith, Johann

dem sich ähnliche Schriften erhalten haben, zurückgehen. 4. Von B. selbst stammt die 'Historia Cremifanensis' (Autograph: Wien, cod. 610; WAITZ, S. 628-636), eine Geschichte Kremsmünsters von der Gründung bis zu Abt Friedrich von Aich, die B. unter Verwertung zahlreicher weiterer Quellen, darunter auch der alten aus Passau stammenden Kataloge zu den 'Historiae' (Autograph: Kremsmünster, cod. 401, jetzt Schatzkasten 3; WAITZ, S.651-676), umarbeitete und wesentlich erweiterte. Sie bestehen aus Trologus', 'De ordine episcoporum Laureacensium' (bis 1321), 'De ordine ducum Wawarie sive regum' (bis 1314), 'De origine et ordine ducum Austrie' (bis 1308, neu angelegt) und 'De kathalogo abbatum' (später bis in das 15. Jh. fortgesetzt; WAITZ, S. 676-678). Den Höhepunkt der historiographischen Tätigkeit B.s bildet die z.T. gleichzeitig entstandene 'Narratio de ecclesia Cremsmunstrensi' (WAITZ, S. 638-651), mehr Klosterbeschreibung als -geschichte, eingeteilt in zwei Abschnitte: 'De constructione' (über die Gründung) und 'De ruina' (über Niedergang und Gegenwart des Klosters). Hier zeigt B. seine enge Vertrautheit mit der historischen und theologischen Literatur, seine gute philologische Schulung und poetische Begabung; mit Hilfe der Allegorie sucht er die Geschichte zu deuten und ihren Sinn lehrhaft zu demonstrieren (KASTNER) . Auch in den Kremsmünsterer Annalencodex (Wien, cod. 375) trug B. zahlreiche Notizen über Heilige, zur Geschichte des Klosters, über die Bischöfe von Passau und die Herzöge von Bayern ein ('Auctarium Cremifanense'). III. Nachleben. Schon die 'Vita sancti Maximilian!' (um 1291) schöpfte wörtlich aus der 'Historia ecclesiae Laureacensis'. Im 15. Jh. hat -> Andreas von Regensburg wohl nur eine noch nicht agnoszierte Quelle der 'Narratio', nicht jedoch diese selbst benützt. Stark verwertet hat Thomas ->· Ebendorfer die Kremsmünsterer Geschichtsquellen im 'Cathalogus presulum Laureacensium', dagegen nur wenig in der 'Cronica Austrie'. Ebenso haben Ritter Hans -»Ebran von Wildenberg in der 'Chronik

von den Fürsten aus Bayern', Ulrich —>· Fuetrer in der 'Bayerischen Chronik', besonders aber Veit -> Arnpeck in der lat. und dt. bayerischen Chronik als auch in der lat. österreichischen Chronik diese Quellen verwertet, während sie Aventin im wesentlichen aus Arnpeck übernahm. A u s g a b e n . J. LOSERTH, Die Geschichtsquellen v. Kremsmünster, 1872; G. WAITZ, Historiae Patavienses et Cremifanenses, MGH SS XXV 610-678; W. WATTENBACH, Auctarium Cremifanense, MGH SS IX 550554. A b b i l d u n g e n . LOSERTH, 1895, TafelI u. II nach S.446; Monumenta palaeographica, hg. v. A.CHROUST, Serie II, Lief. XI, 1912, Taf. 8. L i t e r a t u r . E. DÜMMLER, Pilgrim v. Passau u. d. Erzbistum Lorch, 1854, S. 132-138; G. WAITZ, Sigmar u. Bernhard v. Kremsmünster, Forschungen z. dt. Gesch. 20 (1880) 605-616; J. LOSERTH, Sigmar u. B. v. K., Arch. f. österr. Gesch. 81 (1895) 349-446; J. WIDEMANN, Die Passauer Annalen, Hist. Jb. 17 (1896) 499503; A. ALTINGER, Bernhard oder Sigmar?, MIÖG 19 (1898) 233-243; J.WIDEMANN, Die Passauer Gesch.schreibung bis z. Anf. d. IS.Jh.s, Hist. Jb. 20 (1899) bes. S. 348-352; L. OBLINGER, Angelus Rumpier, Abt v. Formbach, u. d. ihm zugeschriebenen hist. Kollektaneen, Archival. Zs. NF 11 (1904) 51 u. 57f.; B. PÖSINGER, Die Rechtsstellung d. Klosters Kremsmünster, Arch. f. Gesch. d. Diözese Linz 3 (1906) bes. S. 14-46; G. LEIDINGER, Unters, z. Passauer Gesch.Schreibung d. MAs, MSB 1915, 9. Abh., S.39-45, 66, 124f.; ders., Bernardus Noricus, ebd. 1917,4. Abh.; W. NEUMÜLLER, Bernardus Noricus v. Kremsmünster, 1947; ders., Zur mal. Bibliotheksgesch. Kremsmünsters, Fs. zum 400jährigen Bestände d. öffentl. Obergymnasiums d. Benediktiner zu Kremsmünster, 1949, S.281-291; ders. u. K. HOLTER, Die mal. Bibliotheksverzeichnisse d. Stiftes Kremsmünster, 1950; P. UIBLEIN, Stud. z. Passauer Gesch.schreibung d. MAs, Arch. f. österr. Gesch. 121 (1956) 129-134 u. 155-160; A. KELLNER, Musikgesch. d. Stiftes Kremsmünster, 1958, S. 89 f.; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 284-287; A. KELLNER, Profeßbuch d. Stiftes Kremsmünster, 1968, S. 121 f.; J. KASTNER, Die 'Narratio de ecclesia Cremsmunstrensi'. Welt u. Gesch. d. Klosters als Spiegel der Heilsgesch., Ostbairische Grenzmarken 13 (1971) 246-256; Rep. font. IV 488 f.

PAUL UIBLEIN Magister Berchtold von Maulbronn -»· Blumentrost, Berthold Bereith, Johann (Johann Bereit von Jüterbog) 1. Leben. B.s Biographie ist durch Archivalien des Stadtarchivs Görlitz gut doku-

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Berengosus von St. Maximin

mentiert. Zu Anfang des 15. Jh.s in Jüterbog geboren, studierte er 1425/27 in Leipzig und erwarb den Grad eines baccalaureus artium. Seit 1432/33 Bürger in Görlitz, verheiratet mit Katharina Menzel, der Tochter eines Görlitzer Ratsherrn, bringt er es als Kaufmann durch Tuch-, Woll- und Waidhandel zu außerordentlichem Wohlstand. Mit der Übernahme des Stadtschreiberamts, das er von 1436-63 inne hat, gewinnt er Einfluß in der städtischen Politik und Verwaltung, 1441 wird er Ratmann, 1449 Schöppe, 1469 Bürgermeister. In diesen Ämtern hat er die Reorganisation der städtischen Verwaltung und die Sanierung der durch die Hussitenkriege zerrütteten Finanzen durchgesetzt; sein diplomatisches Geschick verschaffte Görlitz eine führende Stellung im lausitzischen Sechsstädtebund. 1450 unternahm er eine Romreise, kurz vor dem 8. August ist er in Görlitz verstorben. 2. ' G ö r l i t z e r A n n a l e n ' Ü b e r l i e f e r u n g . Görlitz, Stadtarch., Varia 59, lr-4v. A u s g a b e . [G. KÖHLER,] Des B. von Jeuterbog Goerlitzer Annalen (Scriptores rerurn Lusaticarum NF I),Goerlitz 1839, S. 215-226.

Der 1448 niedergeschriebene kurze Bericht B.s über die Geschicke von Görlitz seit Beginn der Hussitenwirren muß ganz aus seiner Stellung als Stadtschreiber und städtischer Politiker verstanden werden. Er ist in der Überlieferung verbunden mit Aufzeichnungen über Finanzen und Verwaltungsakte und umreißt die Lage der Stadt zwischen den Bedrängnissen durch Hussiten und Landadel, sowie den Repressalien auswärtiger Gläubiger. B. schreibt nicht als Historiker - die Bezeichnung 'Annalen' für seine Aufzeichnungen ist daher irreführend -, sondern er legt Rechenschaft ab über die erfolgreichen Maßnahmen des Rats in der Ordnung der städtischen Finanzen und in der 'auswärtigen' Politik, die unter der Leitidee stehen, daß zur Erhaltung der Wirtschaftskraft ungestörter Handel ermöglicht werden muß. L i t e r a t u r . LORENZ, Geschichtsquellen II 119; W. LIPPLRT, Beitr. z. Lebensgesch. d. Görlitzer Geschichtsschreibers J.B. v. Jüterbogk, Neues Lausitzisches Magazin 77 (1901) 131-139; R. JECHT, Quellen z.

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Gesch. d. Stadt Görlitz bis 1600,1909, S. 174-176; Rep. fönt. II 489.

PETER JOHANEK Berengarius de Landora -»'Lumen animae' Berengosus (Berengoz) von St. Maximin (Trier) 1. B. ist in der Zeit von 1107 bis 1125 mehrfach als Abt von St. Maximin bei Trier bezeugt (H. BEYER, Urkb. z. Gesch. d. ... mittelrhein. Territorien I, 1860, Nr. 412, 414, 452 u.a.). Die Urkunden dokumentieren seine energischen und erfolgreichen Bemühungen bei Heinrich V., dem Kloster die unter Heinrich IV. entzogenen Güter und Gerechtsame zurückzugewinnen. Seine Person ist sonst nur noch aus seinen Schriften bekannt. 2. Ausgaben. Die heutige Kenntnis der Schriften des B. beruht auf der Ausgabe, die der Kartäuser Christoph, Prior von St. Alban bei Trier, nach einer Hs. seines Klosters 1555 in Köln drucken ließ. Abdruck der Kölner Ausgabe in der Bibliotheca Patrum 12, Lyon 1677, und danach PL 160, Sp.955-1036.

3. Im Mittelpunkt der deutlich trierisch (vgl. bes. III 2) gefärbten Schrift 'De laude et inventione s. crucis' steht die Legende der Kreuzauffindung durch Helena, die angeblich aus Trier stammende Mutter Kaiser Konstantins I. Zunächst, im 1. Buch, handelt B. nach vornehmlich typologischer Methode, ausgehend von Ereignissen aus der Geschichte Josephs, dann Isaaks und Moses, über die heilsgeschichtliche Bedeutung des Kreuzes Christi. Im Blick auf die Legende der Kreuzauffindung schreitet er dabei mit Selbstverständlichkeit vielfach von der biblischen zur halbbiblischen Typologie. Das 2. Buch erzählt die Legende, schließt mit einem bekrönenden Elogium auf das Kreuz und einigen predigtartigen Kapiteln. Das wohl erst nachträglich verfaßte 3. Buch berichtet ausgreifender über Helenas Herkunft, ihre Ehe mit Konstantius, insbesondere, und hier nicht in sachlichem Einklang mit dem 2. Buch, über Aussatz, Bekehrung und Heilung Konstantins nach der Silvester legende; den Schluß bildet eine typologische Vergleichung Konstantins mit Naaman und Giezi.

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'Bergfried der Minne' - 'Beringer'

B.' legendarische Quellen sind bislang nicht erkundet. Die Untersuchung seiner Rolle als Vermittler wäre nicht zuletzt im Hinblick auf offene stoffgeschichtliche Fragen in den frühen dt. Versionen der Helena- und Silvesterlegende von Interesse. Vgl. -»'Trierer Silvester' und Silvester-Legende in der —> 'Kaiserchronik'.

4. Thema der zweiten Schrift des B., des 'Liber de mysterio ligni dominici et de luce visibili et invisibili', der nach Ausweis mehrfacher Anrede an die fratres anscheinend aus Vorträgen im Kloster hervorging, ist Christus als das ewige Licht, das seit Anbeginn der Zeiten die Welt erleuchtet. Den Hauptteil bildet eine anaphorisch reihende (Haec est ilia lux quae ...) Kette von nahezu 150 Beispielen, welche die wunderbare Erleuchtung der Patriarchen des Alten Bundes durch das Verbum Dei dartun. Gegen Ende (ab Sp.1006) geht B., bewegt vom Investiturstreit, auf das Verhältnis von Sacerdotium und Regnum ein: Wie Christus die sacerdotalis und die regia persona in sich vereinigt habe, sei auch das einträchtige Zusammenwirken von Papst und Kaiser unabdingbar. Einem Vorrang der einen oder der anderen Gewalt spricht B. nicht das Wort, vielmehr einem Verhältnis der Gegenseitigkeit. 5. Von den erhaltenen Predigten gehören vier in ein Commune sanctorum ('In natali martyrum', 'De uno confessore' u.a.), die fünfte ist für Kirchweih verfaßt. In ihnen treten B.' Stileigentümlichkeiten am stärksten hervor: Durchgehender zwei- und mehrsilbiger Prosareim, Satzparallelismus und Isokolie, anaphorische Reihen. L i t e r a t u r . J. MARX, Gesch. d. Erzstifts Trier II l, 1860, S. 95-102; R. CEILLIER, Histoire generale des auteurs ecclesiastiques XIV l, Paris 21882, S.238f.; A. HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands III, 1896, S. 962 bis 964; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen I 175; M. MÄKLER, in: Diet. spir. I 1452 f. „ T ,VT

F.J.WORSTBROCK

'Bergfried der Minne' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 284 (ripuar., um 1375); Wien, cod. 2940" (mnd., v.J. 1481). A u s g a b e n . F. v. D. HAGEN, HagensGerm.7 (1846) 328-336 (zit.); F. PFEIFFER, Altdt. Übungsbuch, 1866, S. 165 168.

Den Titel dieser mfrk. Minnerede nennt der Verfasser selbst (67, 2), betont hingegen

verschweigt er den eigenen Namen (67-69). Die Rede dürfte um die Mitte des 14. Jh.s entstanden sein und hat Typenmerkmale sowohl mit obd. (Natureingang mit BergFluß-Variante) wie auch mit mndl. Minnereden (Kreuzreimgruppen, Motiv des allegorischen Häuserbauens) gemeinsam. Neben Minneklage und Frauenpreis enthält sie eine etwas ausführlichere Minnelehre, die allegorisch an den vier tragenden Säulen eines Hauses systematisiert wird. Demnach sollen Heimlichkeit, Ehrlichkeit, Treue und Beständigkeit das Haus der Liebe vor Zweifel und falscher Minne schützen, eine Mahnung, die abschließend und summarisch zudem direkt ans Publikum gerichtet wird. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr. 358; W. BLANK, Die dt. Minneallegorie, 1970, S. 96,160; GLIER, Artes amandi, S. 263-266.

INGEBORG GLIER Beringen -* Heinrich von B. 'Beringer' Ü b e r l i e f e r u n g . '(D)ie historien von dem ritter beringer', o. Dr. [Matthias Brant], Straßburg [14]95, GW 3869; COP. 951; W. L. SCHREIBER, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XV siecle V, 1910, Nr. 3427; Exemplar: Nürnberg, Germ. Nat. Mus. (77401). A u s g a b e . K. SCHORBACH, Die historien von d. ritter B. (Seltene Drucke in Nachbildungen I), 1893 [Faksimile]. - Nhd. Übertragung: H. FISCHER, Schwankerzählungen d. dt. MAs, 1967, S. 47-54.

Entstehungszeit dieses schwankhaften Märes nach SCHORBACH Ende des 14. Jh.s, nach SCHRÖDER ein Jh. früher. Der Text wurde von Brant nicht in Versen abgesetzt, sondern fortlaufend wie Prosa gedruckt, was Unsicherheit bei der Verszählung zur Folge hat. 408 oder 409 Verse sind überliefert, weitere 9 bzw. 10 Verse verloren. Der geizige und faule Ritter B. prahlt mit erfundenen Turnierbravouren. Bei der nächsten Turnierreise besiegt ihn seine als Ritter verkleidete Frau, allerdings heimlich im Wald, wohin sich B. aus Furcht zurückgezogen hat, und zwingt ihn, ihr Hinterteil dreimal zu küssen. Als B. später seine Frau wieder mit Grobheiten belästigen will, droht sie mit ihrem 'Freund' 'Ritter Wienant

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Beringer, Heinrich - Beris, Johannes

von Bosland mit der langen Arskrinne', der ihm damals so hart zugesetzt habe. Kaum als Kritik des Rittertums konzipiert (so FROSCH), sondern Variation des Themas vom ehelichen Kräftemessen unter Nutzung des Prahler-Motivs. LIEBRECHT wies auf stoffliche Parallelen in einem mongolischen Märchen hin. Nicht nur der Stoff, sondern auch der Name begegnet in einem frz. Fabliau ('Berengier au lonc CuP I von Guerin und 'Berengier au lonc CuP II; dort nennt sich die Frau B.); FROSCH schreibt dem Fabliau die Priorität zu und vermutet mündliche Vermittlung. L i t e r a t u r . T. BENFEY, Nachtrag zu S. 117, Orient u. Occident l (1862) 136-138; F. LIEBRECHT, Beitr. z. Zusammenhang indischer u. europ. Märchen u. Sagen, ebd., S. 116; Rez. zu Schorbachs Ausg.: E. SCHRÖDER, Euph. 2 (1895) 825 f. u. R. M. WERNER, AfdA 21 (1895) 145-147; A. STIEFEL, 'Ritter B.' u. seine Quelle, ZfdA 39 (1895) 426-429; FISCHER, Stud., passim; F. FROSCH, Schwankmären u. Fabliaux, Diss. Tübingen 1972 (auch GAG 49), S. 62-68.

WERNER WILLIAMS-KRAPP Beringer, Heinrich Wahrscheinlich identisch mit dem wohl seiner Herkunft aus Plön(e) (Holstein oder Neumark?) wegen so genannten Mitglied des Kartäuserklosters Marienparadies in Carthaus/Westpreußen Heinrich Plöne. 1421-1429 leitete er das Filialkloster Marienkrone bei Rügenwalde und war 14341444 Prior in Marienparadies; gest. 1444. Verfasser der 'Ermahnung des Karthäusers'. Original unbekannt, jedoch in Entwurf und Endfassung überliefert (gedr.: HIRSCH, S.450-465, zu trennen S. 454 unten) : Denkschrift an den Hochmeister des Deutschen Ordens Paul von Rußdorf über die Mißstände im Ordensland Preußen mit Vorschlägen zur Reform, u. a. der Landesverwaltung, des Ordens und der Priesterschaft, 1427 oder 1428 überreicht. Als Quelle diente neben den 'Revelationes' der hl. —»Birgitta von Schweden ein wahrscheinlich vom Kulmer Bischof Johannes : Margenau auf dem preußischen Provinzialkonzil zu Elbing 1427 gehaltener 'Sermo ad clerum' (Ms.: Sammelbd. der StB Danzig, Ms. Mar. Q 27, f. 254-263; Druck: GÜNTHER, S.94-111).

In die preußische Chronistik fand die . d. K.' Eingang über die Danziger Tradition des 16. Jh.s, jedoch stets Entwurf und Endfassung gemeinsam in Hss. und Drukken, z.B. WAISSEL und HARTKNOCH. Alte Drucke. M. WAISSEL, Chronica alter preusscher... Historien, Königsberg 1599, fol. 162ff.; CH. HARTKNOCH, Preuß. Kirchenhistoria, Frankfurt/ M. 1686, fol. 215 ff. L i t e r a t u r . TH. HIRSCH, Die Danziger Chron., in: SS rerum Prussicarum IV, 1870 (Nachdr. 1965), S.448-450; O. GÜNTHER, Eine Predigt vom preuß. Provinzialkonzil in Elbing 1427 u. d. 'Ermahnung des Carthäusers', Zs. d. Westpreuß. Gesch.ver.s 59 (1919) 71-111; B. CARSTENN, in: Altpreuß. Biographie, hg. v. CH. KROLLMANN, 1,1941, S.51f.

UDO ARNOLD Beris, Johannes (Bires, Baris, Paris) Moselfränkischer Wundarzt, jn Lottringen gesessen, nicht ferne von Metz, wirkte in der I.Hälfte des 15.Jh.s und unterrichtete —> Heinrich von Pfalzpeunt, der in seiner 'Wündarznei' mehrere Verfahren des Lothringer Meisters bringt und ihn allen ändern Chirurgen seiner Zeit vorzieht. Die dt.sprachige 'Practica chirurgiae' des Lothringers enttäuscht jedoch, da sie trotz aller praktischen Erfahrung fachlich nur wenig bietet. Sie gliedert den Stoff in drei Teile, wobei sie mit allgemeiner Chirurgie und Materia medica einsetzt, eine spezielle Wundbehandlung in topographischer Ordnung folgen läßt und einige Kapitel zu besonderen Themen anschließt. Ü b e r l i e f e r u n g . Metz, StB, cod. 176, 54r-61r (moselfrk., Mitte 15.Jh.). Mehrere Drucke einer geringfügig erweiterten Fassung unter dem Titel 'Ein new Wund Artzney Meister Johans von Parisijs', z.B. Straßburg [1540?], Nürnberg 1549, Frankfurt a. M. 1549 und 1552. - Streuüberl. einzelner, teilweise abweichender Verfahren in der 'Wündarznei' Heinrichs von Pfalzpeunt sowie in Tfalzgraf Ludwigs Sammlung' (z.B. Heidelberg, cpg264,20"; cpg 266, 80r; cpg 267,64rv,73rv,238v-239v). A u s g a b e . K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA II (Stud. Gesch. Med. 12), 1918, S.515-530.

J.B. vermeidet blutige Eingriffe soweit wie möglich, was bis zum Einschränken der Wundnaht und Ablehnen des Wiederbrechens schief zusammengewachsener Frakturen führt: Statt dessen empfiehlt er die

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'Berliner Fragmente eines Rosengartenspiels' - 'Berliner Liederhandschrift mgf 922'

Richtigstellung mit Quengel und erstarrendem Verband. Er sägt Pfeilschäfte ab und läßt die Stümpfe herauseitern; bei Schußverletzungen zeigt er sich als erster Anhänger der Vergiftungstheorie und sucht das Pulver aus dem Schußkanal hinauszutreiben, indem er die vis repulsiva zweier Krauter nutzt. Das eingedrungene Geschoß als solches bleibt unerwähnt. - Interessant ist sein Eintreten für seltenen Verbandwechsel: in dieser Hinsicht nimmt er die Bestrebungen Cesare Magatis (f 1647) vorweg. In späten Überlieferungen wird J.B. als Hans von Paris vorgestellt, was der Vermutung Auftrieb gab, er habe seine Ausbildung in Paris erhalten. Von der Pariser Chirurgie findet sich bei ihm indessen gar nichts; dagegen ist sein topographisches Schema spezieller Wundbehandlung der -> Roger-'Chirurgie' verhaftet, die für deutsche Wundärzte lange Zeit maßgebend blieb und den Verdacht nahelegt, daß Meister B. über die Grenzen Deutschlands kaum hinauskam. Innerhalb Deutschlands ist sein Einfluß indessen groß: er strahlt aus über Heinrich von Pfalzpeunt, hat die Vergiftungs-Theorie von Schußwunden geprägt, und Pfalzpeunts Werturteil über den Lothringer Wundarzt mag bewirkt haben, daß dessen kleine Tractica' als 'Neu Wundarznei' im 16. Jh. mehrfach aufgelegt wurde. G. KEIL Kapellan Berld -»Köditz, Friedrich 'Berliner Fragmente eines Rosengartenspiels' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 800. 6 Bll. mit 9 Zeichnungen. A u s g a b e . W. GRIMM, Bruchstücke einer Bearbeitung d. Rosengartens, ZfdA 11 (1859) 243-252 ( = Kleinere Schriften IV, 1887, S. 468-476). GRIMM bietet den Text in falscher Reihenfolge; es ist zu ordnen: f.4, 5, 1-3, 6 (PHILIPP, S.XX).

Durch Aufführungsnachrichten von Wesel (1380, 1395) und Windsheim (1429) wissen wir, daß die Beliebtheit der Heldenepik, insbesondere des Dietrich-Kreises, bereits im ausgehenden 14. und frühen 15. Jh. zu Dramatisierungen der -»'Rosengarten'Dichtung führte. Die beiden allein erhal-

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tenen Texte solcher Spiele wurden jedoch erst im frühen 16.Jh. niedergeschrieben: das von Vigil -> Raber aufgezeichnete Tiroler 'recken spiP 1511 (O. ZINGERLE, Sterzinger Spiele, Wien 1886, Nr. 9), die 'Berliner Bruchstücke eines RosengartenSpiels' 1533. Beide Stücke gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück, die aus dem gedruckten Straßburger Heldenbuch (-> 'Heldenbücher') abgeleitet ist. Während das vollständig erhaltene Tiroler Spiel nur sechs der zwölf Zweikämpfe bietet, muß das Berliner ursprünglich mehr enthalten haben; denn bereits die Fragmente lassen acht Kampfpaarungen erkennen, von denen drei mit solchen des Tiroler Stücks übereinstimmen. Wie das Berliner Stück konzipiert war, ob als Fastnachtsspiel wie in Tirol oder als Maispiel wie - möglicherweise in Wesel, ist seinen Resten nicht zu entnehmen. Literatur. GRIMM (s.o.), S.252f. (bzw. Kl. Schr.n IV 476-478); B. PHILIPP, Zum Rosengarten, 1879, S. XX, LIV/LV; dazu [E.] STEINMEYER, AfdA 6 (1880) 229-235. ··

HANSJURGEN LINKE

'Berliner Liederhandschrift mgf 922' Im 1. Viertel des 15. Jh.s am nördlichen Niederrhein von verschiedenen Schreibern in dt.-ndl. Mischsprache aufgezeichnete Sammlung von 86 Liebesliedern (Sigle x), als Faszikel 7 (50r-70v: Nr. 1-71) und 10 (131r-134v: Nr. 72-86, davon 12 mit untextiert voranstehenden Melodienotationen versehen) Bestandteil eines zur gleichen Zeit und im gleichen Raum vor allem aus Minnereden planvoll zusammengestellten, thematisch einheitlich ausgerichteten Sammelbandes. A u s g a b e n . 1. Texte u. Melodien: M. LANG, Zwischen Minnesang u. Volkslied. Die Weisen bearb. v. [J.] MÜLLER-BLATTAU (Stud. z. Volksliedforschung 1), 1941. - 2. Ausgewählte Texte: H. NAUMANN/G. WEYDT, Herbst d. Minnesangs, 1936, Nr. 26,40,41,55, 64,65,82,83,133 (= Nr. 36,26,80,7, 81,75, 82,76, 88 III); KLD 38. Namenlos: (= Nr.5,13,25, 36, 62); DE BOOR, Texte, S. 1662f. (= Nr. 62); E. u. H. KIEPE, Epochen d. dt. Lyrik 2,1972,S.222f. ( = Nr.l6).-3. Melodien (ohne Teilausg.n): E. JAMMERS, Dt. Lieder um 1400, Acta musicologica 28 (1956) 28-54, hier: 37^8; R.J. TAYLOR, The Art of the Minnesinger, 1968, I 158-165, II 245-257 u. 293 f.

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'Berliner (niederrheinisches) Passionsspiel-Fragment' - 'Berliner (rheinisches) Osterspiel'

Das nach sprachlichem Befund und als Sammlungstyp mit der —»'Haager Liederhs.', hinsichtlich der textlosen Notenbeigaben und der Bevorzugung von Refrainliedern auch mit der Gruuthuseschen Hs. in lockerer Beziehung stehende Liedercorpus enthält bis auf drei anderwärtig bezeugte Texte - darunter die in ihrer Authentizität umstrittenen -»Reinmar-Strr. MF 185, 27 (Nr. 24) sowie das -> Tannhäuser-Lied IX (Nr. 54) - ausschließlich Unika, die nach Inhalt und Motivik teils der obd.-md. Minnesangnachblüte des 13. und 14. Jh.s zuzurechnen sind (u.a. mehrere kunstvoll gebaute Tanzlieder), teils auf das bürgerliche 'Gesellschaftslied' des 15.Jh.s hinführen (Sehnsuchtsklagen, Scheide- und Neujahrslieder). Einziger Autorname der Sammlung ist der in einer Liednachschrift (Nr. 39) genannte -» Hintze Jan te Borghe, ihr liedgeschichtlich bedeutsamstes Dokument die Hermann —» Damen gewidmete Totenklage (Nr. 26). L i t e r a t u r . E. MARTIN, Mittelrheinische u. ndl. Ged. in einer Berliner Hs., ZfdA 13 (1867) 348-377, hier: 373f. u. 376f.; M. LANG, Ein Reinmarfund, PBB 59 (1935) 453 f.; BRAUNS/THIELE, Minnereden, S.XXIXXVII, 257; C. v. KRAUS, Zu d. Liedern d. Berliner Hs. Germ. Fol. 922 (Abhh. d. Bayer. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Abt. NF 21), 1942; M. RAMONDT, Problemen in en om het Haagse Liederenhs., TNTL 63 (1944) 63-81, hier: 74-80; J. MÜLLER-BLATTAU, Ein Nachtrag zu M. Lang, Zwischen Minnesang u. Volkslied, Jb. Volkslied 8 (1951) 137-141; F. GENNRICH, Mal. Lieder mit textloser Melodie, AfMW 9 (1952) 120-136, hier: 130-136; GLIER, Artes amandi, S. 279-283 u.ö.; A. HOLTORF, Neujahrswünsche im Liebesliede d. ausgehenden MAs (GAG 20), 1973, S. 5 u.ö.; M. RHEINHEIMER, Rheinische Minnereden (GAG 144), 1975, S. 16-21 u.ö.

HELMUT LOMNITZER 'Berliner (niederrheinisches) PassionsspielFragment' Ü b e r l i e f e r u n g . Ehemals Berlin, mgq 1479,59V bis 60 . Seit dem 2. Weltkrieg verschollen. A u s g a b e . DEGERING, Neue Erwerbungen II 78f. (Teilabdr.). r

Ein ripuarischer Schreiber des 15.Jh.s trug in -»Hermanns von Bruychoyfen 'Heroldsbuch des Jülichschen St. Hubertusordens' Verse einer geistlichen Dichtung ein (Jesus vor Pilatus, Barrabas wird frei-

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gebeten), die von DEGERING, S. 78, als 'Szene aus einem Passionsspiel' identifiziert werden konnten. L i t e r a t u r . DEGERING, Germ. Hss. II 242; B. NEUMANN, Mal. Schauspiel am Niederrhein, ZfdPh 94 (1975), Sonderheft'Mal. dt.Drama',S.150f. mit Anm.

BERND NEUMANN 'Berliner (rheinisches) Alexiusspiel-Fragment'-»'Alexius' (VIII.) 'Berliner (rheinisches) OsterspieP 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 1219, lr-28r. Ausgabe. H. RUEFF, Das rhein. Osterspiel d. Berliner Hs. Ms. Germ. fol. 1219. Mit Unters, z. Textgesch. d. dt. Osterspiels (Abhh. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, phil.-hist. Kl. NF 18, 1), 1925.

2. Das rheinhessische, möglicherweise in Mainz entstandene Spiel, das die Ereignisse von Christi Auferstehung bis zu seiner Erscheinung vor dem ungläubigen Thomas darstellt, ist in der Osteroktave 1460 von seinem Schreiber Helffricus in eine Papierhs. in Schmalfolio-Format eingetragen worden, die auch das Bruchstück eines 'Alexiusspiels' (-> 'Alexius' VIII.) enthält (29r-32v). Teilweise, nämlich im Bereich der alten (para-)liturgischen lat. Texte einer Osterfeier des Typs III (und, soweit vorhanden, auch ihrer Eindeutschungen), hat er Notenlinien vorgezeichnet, aber mit zwei Ausnahmen nicht ausgefüllt. Unter den dt. Osterspielen nimmt das Stück in vieler Hinsicht eine Sonderstellung ein. Mit 2285 Versen - wobei die vielfach nur mit ihrem Incipit angegebenen lat. Gesänge noch nicht mitgezählt sind - ist es das bei weitem umfangreichste von ihnen. Zu den Szenen, die es gegenüber den vorausgehenden Osterspielen neu hinzugefügt hat, gehören u. a. die Einsetzung Petri als Apostelfürst und die Erteilung des Missionsauftrags an die Jünger. Zum erstenmal auch begegnet das hier aus einem Gemisch von Hebräisch, Jiddisch, Latein, Griechisch, Deutsch und purem Unsinn fabrizierte Kauderwelsch des Gesangs der Judenschule. Im Aufbau mit seiner Szenenspaltung und -Verflechtung, seiner rhythmischen Phrasierung und dramatisch-theologischen Intensivierung hat das Spiel nichts

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'Berliner (rheinisches) Osterspiel'

Vergleichbares neben sich. Überkommenem gegenüber verhält es sich unterschiedlich, teils konservativ, teils aber auch eigenwillig verändernd. So heißt im Krämerspiel der Knecht - der, wie seinesgleichen in der —> 'Wiener Rubinrolle' und im -> 'Erlauer Osterspiel (Erlau III)', die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit aufhebend, mitten aus dem Publikum heraus angeworben wird - nicht wie sonst Rubin, sondern Smackfol, sein quacksalbernder Herr nicht Ypocras, sondern Gump recht. Stilistisch stehen vorausweisende Elemente einträchtig neben traditionsgeheiligten. Einerseits tritt die Allegorie der Consciencia auf, und der Auferstehungsdonner wird durch Böllerschüsse dermaßen wirklichkeitsgetreu nachgeahmt, daß der Precursor ähnlich wie im —> 'Augsburger Passionsspiel' die Zuschauer über die illusionistische Realitätsvortäuschung aufklären und vorbeugend beruhigen muß; andererseits hält das Spiel daneben an der realitätsfernen Darstellungsweise der (para-)liturgischen Osterfeiern fest. Maria Magdalena beispielsweise ist in der Hortulanus-Szene zu ihrem - notierten - Ausruf Raboni gleich auch der philologische Kommentar quod dicitur magister (ebenfalls unter Noten), den zum Grabe laufenden Jüngern Petrus und Johannes der von ihnen in der 3. Person berichtende epische Text Currebant duo simul selbst in den Mund gelegt. Der von einem Kleriker dargestellte Christus tritt in kirchlichen Gewändern (indutus dalmatica) auf und wird beim descensus ad inferos prozessionsartig von kerzentragenden Engeln geleitet. Neben solcher kultischen Feierlichkeit findet sich wieder eine Genre-Szene, die es nirgendwo sonst in den dt. Osterspielen gibt: eine Weinprobe im Wirtshaus zu Emmaus, deren anfänglich fachmännisches Verkosten sich alsbald in zunehmende Trunkenheit verwandelt und endlich in einer weinseligen Sauf-'Arie' des Wirtsknechtes Baldoff gipfelt. Mit seinen zahlreichen und ausführlichen Szenenanweisungen, die im wesentlichen den Bühnenaufbau, die Bewegungs- und Geräuschregie und auch noch relativ häufig, wenngleich schon nicht mehr so konsequent wie in den Feiern, die Stimmführung be-

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treffen, bildet der Text eine Ausnahme unter den dt. Osterspielen, die mit solchen Angaben im Vergleich zu den hierin sehr beredten lat. Feiern recht sparsam sind und gewöhnlich nur gerade das Unübliche ausdrücklich vermerken. Daneben enthält er wie sie die im volkssprachigen Drama des MAs überwiegenden sogenannten 'gesprochenen Regieanweisungen', d.h. solche, die im Rollentext latent sind und vom Regisseur aus ihm herausgelesen werden müssen. 3. In seiner geistlichen Wirkungsabsicht zielt das Spiel auf die Erweckung von compassio mit Christi Leiden und auf religiöse Paränese der Zuschauenden. Das MitLeiden wird geradezu als geistliches Verdienst angesehen, das Sündenbefreiung und Ablaß bewirkt: daz [= Christi Martern und Tod] belffet alle beweynen czart './so werden uch uwer sonde vergeben/und solt hernach ewiclich leben (v. 706-708; vgl. v. 2277a-2279). Ähnlich dem nahezu gleichzeitigen -»· 'Redentiner Osterspiel' wird hier der von innerer Beteiligung begleiteten Teilnahme auch der nur zuschauenden Gläubigen am geistlichen Spiel die gleiche Wirkung zugesprochen wie der priesterlichen Absolution im Bußsakrament. Die Paränese bedient sich eines Instruments, das in den dt. Osterspielen einzig dasteht: einer abschließenden Bußpredigt durch den Conclusor. Sie beginnt, nachdem der eigentliche Spieltext auf f. 26r endet und das untere Drittel der Seite (25 Zeilen) leer gelassen ist, am Anfang einer neuen Seite (26V). Der Conclusor plädiert darin unter Berufung auf Aristoteles eindringlich dafür, der Vernunft als Wurzel der Tugend und somit Bedingung für Erlösung und Seelenheil zu folgen, und setzt umgekehrt die Sünde, da auf Sinnlichkeit beruhend, mit Unvernunft gleich. In dieser Entgegensetzung von fleischentsprossener Leidenschaft und geistentstammter Vernunft, welche die gleiche Opposition in Miltons 'Paradise Lost' vorwegnimmt, offenbart sich die asketische und diesseits verwerf ende Grundhaltung des Verfassers. Für ihn ist der Mensch (nach dem Sündenfall) schon durch seine bloße Existenz eine Beleidigung Gottes, weil ihn seine sinnlich-körperliche Natur zu fortwährender Verfehlung verleitet. Seine habi-

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'Berliner Rosengärtlein' - 'Berliner Schöffenrecht'

tuelle Sündhaftigkeit fordert daher eine perpetuierliche Buße. Einzig der Büßer wird als Gott wohlgefällig anerkannt und so das schlechte Gewissen zum religiösen Dauerzustand erhoben. Von den vielen Eigentümlichkeiten, die das Stück unter seinen Artverwandten einzigartig machen, ist dies die merkwürdigste: daß die spätmal. Verdüsterung von Weltbild und Lebensgefühl, die sich innerhalb der geistlichen Dramatik gewöhnlich in den eschatologischen, insbesondere den Antichrist- und Weltgerichtsspielen niederschlägt, hier sogar das Ostergeschehen überschattet: als wir, han vor gehört/in der czweier [Emmaus-]jungern wort:/'mane nobiscum domine\/daruß so soln wir leren me/und so/n sprechen: 'verlybe by uns, lieber herrejherumb so bidden wir inneclich sere;/want iß wirt uff dißer erden l alczuhant abent werden? l ja verwor die nacht des dodes kompt czyt vor czyt! (v. 2138-2146). Die Verfinsterung der Welt, mit den Mitteln allegorisierender Schriftauslegung eindrücklich gemacht, bewirkt, daß an die Stelle des hergebrachten (und hergehörigen) Auferstehungsjubels das memento mori tritt. Ungeachtet des abschließenden Gemeindegesangs Crist der ist erstanden ist damit die Osterfreude in ihr Gegenteil verkehrt. 4. L i t e r a t u r . RUEFF (s.o.), S.1-61 (dazu E.SCHRÖDER, GRM 13 [1925] 391 f.; F. P[IQUET], Rev. Germanique 17 [1926] 217 f.; TH. FRINGS, Arch. 122 [1927] 280; F. MAURER, Lit.bl. f. germ. u. rom. Phil. 52 [1931] 24-26); A. BÄSCHLIN, Die altdt. Salbenlcrämerspiele, Diss. Basel 1929, Mulhouse 1929, S.52-55 u.ö.; Hj. LINKE, Bauformen geistl. Dramen d. späten MAs, Fs. F. Tschirch, 1972, S. 204-209, 223-225; R. WIMMER, Deutsch u. Latein im Osterspiel (MTU 48), 1974, S. 188-204 u.ö. .. IT T

HAN s JÜRGEN LINKE

'Berliner Rosengärtlein'

Allegorische Andachtsübung auf den Allerheiligentag. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgo 63, 33V-39V (nach 1489, vermutlich aus einem Straßburger Nonnenkloster). A u s g a b e . SCHMIDTKE, S. 623-629.

In diesem Text wird von der Vorstellung eines Rosengärtleins in einer kostbaren Schale ausgegangen; die Einzeldinge, be-

sonders die Blumen, werden auf Einzelheiten des körperlichen Leidens Christi bezogen ; zu jedem Einzelding werden Gebetsleistungen empfohlen. Die an das 'Rosengärtlein' anschließenden Andachtsübungen ('Goldene Krone' 39V-^1V, 'Geistliche Orgel' 41V-^14V) dürften ebenfalls den Verfasser des 'B.R.' zum Autor haben. L i t e r a t u r . K. SCHMIDT, Der lüstliche Wiirtzgarte. Ein Beitrag z. Gesch. d. dt. Mystik im SpätMA, Diss. Greifswald 1932, S.69 u.ö.; W. STAMMLER, Der allegorische Garten, in: W. S., Wort u. Bild, 1962, S. 106 bis 116, spez. S. 115; D. SCHMIDTKE, Stud. z. emblematischen Erbauungslit. d. SpätMAs. Am Beispiel d. Gartenallegorie, Habil.schrift (masch.) FU Berlin 1972, S.70L, 161 f. u.ö.

DIETRICH SCHMIDTKE 'Berliner Rubinszene' -> 'Berliner (thüringisches) Osterspiel-Fragment' 'Berliner Schöffenrecht'

Systematisches Rechtsbuch des Sachsenspiegelkreises (-»Eike von Repgow), überliefert als 3. Buch des Berliner Stadtbuches, neben den Einnahmen der Stadt (I.Buch), ihren Privilegien (2.Buch), Strafurteilen (4.Buch) u.a. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, Stadtarch.,Stadtbuch von 1398. A u s g a b e . P. CLAUSWITZ, Das Berlinische Stadtbuch aus d. Ende d. XIV. Jh.s, 1883.

Das 'BSchR' hat eine (von der des 'Sachsenspiegels' abhängige) Reimvorrede von 38 Versen, eine allgemeine Einleitung und 5 geselle: umme schuld und schaden, umme erve und erbgut, umme handheftige daet, umme frouwen und joden rechticheit und, von einem anderen Verfasser angefügt, umme allerhande recht, dat in den vir gesellen vor nicht is geschreven. Unter der Überschrift utgelogen recht steil hir wird das in Berlin geltende Recht zusammengestellt, überwiegend 'Sachsenspiegel'-Landrecht, ergänzt durch Brandenburger Gewohnheitsrecht, wo dieses vom Recht des 'Sachsenspiegels' abweicht (Brandenburg ist Oberhof für Berlin). Nachgewiesen sind ferner die Benutzung des 'Magdeburger Weichbildrechtes'(-»-'Magdeburger Rechtsbücher'), der Buch'schen Glosse zum 'Sach-

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'Berliner (thüringisches) Osterspiel-Fragment' - 'Berliner Totentanz'

senspiegeF und des 'Richtsteig Landrechts' (-»Johann von Buch). Literatur. E. FIDICIN, Hist.-diplomat. Beitr. z. Gesch. d. Stadt Berlin I-V, Berlin 1837; L. E. HEYDEMANN.DieElemented. Joachimischen Constitution v.J. 1527, Berlin 1841; G. SELLO, Die Gerichtsverfassung u. d. Schöffenrecht Berlins bis z. Mitte d. 15. Jh.s, Märkische Forschungen 15 (1881) 1-129, 17 (1882) 57-71; E. STEFFENHAGEN, Der Einfluß der Buch'schen Glosse auf die späteren Denkm. II: Das Berliner Stadtbuch, WSB 131,1894; J. SEEBOTH, Das Privatrecht d. Berliner Stadtbuches v. Ende d. 14. Jh.s (Einzelschriften der hist. Kommission f. d. Provinzen Brandenburg u. d. Reichshauptstadt Berlin 2), 1928; HOMEYER, Rechtsbücher, S.* 14.

INGEBORG BUCHHOLZ-JOHANEK 'Berliner (thüringisches) Osterspiel-Fragment' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 757, 4r-5v. A u s g a b e . W. SEELMANN, ZfdA 63 (1926) 262-267 (unter dem irreführenden Titel 'Das Berliner Bruchstück einer Rubinscene').

Das Bruchstück besteht aus einem für eine Spielhs. ungewöhnlich kleinformatigen Pergamentdoppelblatt, das einmal das innerste einer Lage gewesen sein muß. Die Sprache des im 14. Jh. aufgezeichneten Textes weist nach dem Eichsfeld. Die Verse sind nicht abgesetzt, aber durch Verspunkte voneinander getrennt; die Spielanweisungen erscheinen in Rotschrift; den lat. Gesängen sind Neumen übergeschrieben. Die Antiphon Maria Magdalena et alia Maria ferebant diluculo aromata (v. 62f.), aus deren Vorhandensein der Herausgeber SEELMANN Schlüsse auf eine Vorlage des Spiels zieht (S. 258), ist in volkssprachigen Spielen so einzigartig nicht, wie er meint: Das Osterspiel von Origny-Ste.-Benoite und das -> 'Egerer PassionsspieP enthalten sie auch. Im übrigen scheint das Stück zusammen mit dem -> 'Innsbrucker (thüringischen) Osterspiel' auf eine gemeinsame Vorlage zurückzugehen. Der Text beginnt mit der Suche des mercator nach seinem Knecht Rubin. Ihm schließt sich der sogen. Schalkstreit an. In der darauf folgenden Ausrufung des Quacksalbers durch Rubin regiert die Lust an der verkehrten Welt, in der Logik und Naturgesetz keine Geltung haben. Indem die

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Künste des nur am Körperlichen kurierenden Wanderarztes als Kurpfuscherei diskreditiert werden, rückt dieser selbst und die durch ihn repräsentierte nur diesseitige Welt von nun an in die Stelle einer kontrastierenden Opposition zum Seelenarzt Christus und zur Heilswelt ein. Nach dem Aufbruch der drei Marien zur visitatio sepulchri und ihrer Einkehr beim Salbenkrämer, der ihnen sein vielseitiges Warenangebot anpreist, bricht die Überlieferung ab. SEELMANN hat das Verlorene wenigstens zum Teil zu rekonstruieren versucht (S.260/261). L i t e r a t u r . R. HÖPFNER, Unters, z. Innsbrucker, Berliner u. Wiener Osterspiel (German. Abhh. 45), 1913, S. 46-57, 129-141, 157f.; SEELMANN (s.o.), S. 257-262; R. STEINBACH, Die dt. Oster- u. Passionsspiele d. MAs (Kölner german. Stud. 4), 1970, S. 26f.; R. WIMMER, Deutsch u. Latein im Osterspiel (MTU 48), 1974, S. 41-50, 80-99, 135.

HANSJÜRGEN LINKE 'Berliner Totentanz' Ü b e r l i e f e r u n g . Schriftfeld unter dem Totentanzfries im nördlichen Teil der Turmvorhalle der Marienkirche zu Berlin. Text (z.T. unleserlich oder zerstört) hg. v. W. LÜBKE, 1861; TH. PRÜFER, 1876, 1883; krit. hg. v. SEELMANN, S.95-108; W. KROGMANN, 1937 (mit Übers.).

Der Totentanz gehört zur Bußliteratur, zeigt den nächtlichen Tanz der verwesten Toten mit den neu Verstorbenen in Ständerevue (Armseelenqual), eingeleitet von einer Bußpredigt. Der 'B.T.' in der Stadtpfarrkirche, wohl im Pestjahr 1484 gemalt (ROSENFELD), hat jedoch einen Franziskaner als Prediger und die franziskanische Trennung von Geistlichen und Laien. Vorbild für Bild und Text war offenbar der verlorene Totentanz in der Hamburger Franziskanerkirche (1473/74?). Dabei gibt es viele Anklänge an den -»'Lübecker Totentanz' (1463) mit dem Dominikaner als Prediger, jedoch sind dessen Anklänge an die frz. 'Danse macabre' beseitigt. Der Text ist im Sinne des Kleinbürgertums bearbeitet, zeigt viel Mitgefühl mit den Armen und flicht häufig den Hilferuf an den gekreuzigten Sündenheiland ein, dessen Bild (wahrscheinlich bereits vorher vorhanden) in den Mittelpunkt der Komposition gestellt wurde.

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'Berliner Weingartenpredigt' - 'Berliner WeltgerichtsspieP

L itera tu r. A. LÜBBEN, Der 'B.T.', Jb. d. Ver.s f. nd. Sprachforschung 3 (1877) 178-181; R. SPRINGER, Zum 'B.T.', ebd. 4 (1878) 105f.; W.SEELMANN, Der 'B.T.', ebd. 21 (1896) 81-94; R. A. TH. KRAUSE, Die Totentänze in d. Marienkirchen zu Lübeck u. zu Berlin, Zs. d. Ver.s f. Lübecker Gesch. u. Altertumskde. 9 (1907) 334-351; H. ROSENFELD, Der mal. Totentanz, 3 1974, S. 204-214.

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fach mit Müller zusammenarbeitenden anonymen Augsburger Meister. H. WEGENER, Beschreibende Verzeichnisse d. Miniaturen-Hss. d. Preuß. Staatsbibl. V, 1928, S. 110-112; H. LEHMANN-HAUPT, Schwab. Federzeichnungen, Stud. z. Buchillustration Augsburgs im 15. Jh., 1929, S. 98-127.

HELLMUT ROSENFELD 'Berliner Weingartenpredigt' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgo 605, 69r-72v (3. Viertel d. 15.Jh.s, westschwäb.)

Die Predigt hat Mt 20, l zum 'Thema'; es handelt sich um eine skizzenhaft angedeutete Weinbauallegorie. Die 'B.W.' findet sich innerhalb einer im wesentlichen homogenen Sammlung von Lesepredigten (?), die zumindest am Beginn in der Folge des Kirchenjahrs angeordnet ist (die 'W.P.' ist der Septuagesimazeit zugeordnet). Die Predigten der Berliner Hs. verraten eine gewisse rhetorische Schulung und schlagen gelegentlich den Ton einer dogmatisch unbedenklichen affektiven Mystik an. Aus der gleichen Sammlung, die im übrigen auch Fremdgut (u.a. —>Thomas von Kempen) enthält, hat STEER eine Predigt —> 'Von der Gnade Gottes' publiziert. L i t e r a t u r . G. STEER, Scholastische Gnadenlehre in mhd. Sprache (MTU 14), 1966, S. 28 f., 32,122-125; D. SCHMIDTKE, Stud. z. emblematischen Erbauungslit. d. SpärMAs. Am Beispiel d. Gartenallegorie, Habil.schr. (masch.) FU Berlin 1972, S.717; ders., Lastervögelserien, Arch. f. d. Stud. d. neueren Sprachen u. Literaturen 212 (1975) 244 Anm. 13.

DIETRICH SCHMIDTKE 'Berliner Weltgerichtsspiel' I . Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 722,2r-41v, 1510 vv. (B). Die untere Diagonalhälfte von Bl. 33 fehlt; die dadurch verschieden stark beschädigten vv. 1231-1284 lassen sich nach 'Bern' v. 770-821 oder S 742-792 ergänzen. Nicht ediert.

Die Hs. ist 1482 von dem seit 1466 in Augsburg als gewerbsmäßiger Schreiber tätigen Conrad Müller aus Öttingen geschrieben; dieser war vorher in der Kanzlei der Grafen von Öttingen, in Höchstedt und den Niederlanden tätig. Die 53 gerahmten Illustrationen stammen von einem mehr-

2. Das 'B.W.' gehört zu den an Mt 25, 31-46 anknüpfenden Spielen wie das -+ 'Berner W.' ('Bern'), -» 'Churer W.' (C), -»· 'Donaueschinger W.' (D), -»'Kopenhagener W.' (K), -»'Münchner W.' (M), -»'Schaffhauser W.' (S). Wie in 'Bern', K, M, S gehen die Reden von Joel, Sophonias, Gregorius, Hiob (ursprünglich nur Zitat durch Gregorius), Salomon (v. 1-194), Hieronymus, dem wie in -> Jacobus' de Voragine 'Legenda aurea' die -> 'Fünfzehn Vorzeichen des Jüngsten Gerichts' in den Mund gelegt werden (v. 195-330), sowie die Weckrufe von vier Engeln voran, ehe Christus zum Gericht aufruft und sein Urteil fällt über Gerechte (sechs Werke der Barmherzigkeit) und Ungerechte (v. 457-763). Nach sieben vergeblichen Bitten der Verdammten um Strafminderung (v. 764—991) und vergeblicher Fürbitte von Maria und Johannes dem Täufer (v. 1177—1266) und Widerreden zwischen Teufel und Verdammten (v. 1267-1368) schließt das Spiel mit Lobpreisungen der zwölf Apostel, darunter Paulus und Johannes der Täufer (v. 1369-1458), und Schlußreden Christi (v. 1459-1510). Gegenüber der (durch 'Bern' und S treuer bewahrten) kürzeren Urfassung der 2. Hälfte des 14. Jh.s sind die Dialoge vermehrt und erweitert sowie Streitgespräche zwischen der Welt und Christus (v. 503-534) und zwischen Seele und Leib (v. 991-1176) eingeschoben. B repräsentiert also eine selbständige Bearbeitung der durch 'Bern' und S bewahrten Urfassung. 3. Der Augsburger Schreiber von 1482 hat seine Schweizer Vorlage meist in schwäbischeOrthographieumgesetzt:dieDiphthongierung ist durchgeführt, für link heißt es konsequent glink, nichts erscheint 273 als nichtzit und oft a als au, z.B. v. 186 aubent, v. 635 fraushait, v. 766 lauße, v. 970 raut, v. 1021 waufen, v. 1853 gaust.

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Bern von Reichenau

L i t e r a t u r . F.J. , Schauspiele d. MAs I, Karlsruhe 1846, S. 264-301 ('Rheinauer' = 'Schaffhauser W.'); K. REUSCHEL, Die dt. Weltgerichtsspiele d. MAs u. d. Reformationszeit, 1906, S. 98-102.

HELLMUT ROSENFELD Berit -»· Köditz, Friedrich Bern (Berno) von Reichenau I. Leben. Geb. um 978, gest. 7. 6. 1048. Die wichtigsten Quellen seiner Biographie sind seine Briefe und die Chronik -»Hermanns von Reichenau. Wahrscheinlich Deutscher und vermutlich Sproß einer adeligen Familie ist B. zuerst als Mönch in Prüm nachweisbar; für einen in der Forschung verschiedentlich angenommenen Aufenthalt in St. Gallen und Fleury (vgl. ERDMANN, S. 112) lassen sich keine sicheren Beweise beibringen (vgl. OESCH, S. 28-32). 1008 berief ihn Heinrich II. als Nachfolger des reformeifrigen, aber glücklosen Abtes Immo, der 984-1006 dem Kloster Gorze und seit 1006 dem Kloster Reichenau vorgestanden hatte. Während der 40jährigen Amtszeit B.s, der die anfangs reformfeindlichen Mönche allmählich umzustimmen und später kraftvoll zu regieren verstand, erlebte Reichenau seine höchste Blüte. B. begleitete Heinrich II. auf dessen erstem (1014) und drittem Romzug (1022) und war bei der Kaiserkrönung am 14. 2. 1014 zugegen. In Rom fand er Gelegenheit zur Erweiterung und Vertiefung seiner liturgischen und musikalischen Kenntnisse. Das Verhältnis zu Konrad II., bei dessen Kaiserkrönung am 26. 3. 1027 in Rom B. gleichfalls zu den Anwesenden zählte, war kühl, wenn nicht unfreundlich. Während der Regierungszeit Konrads II., der kein Freund der Kirchen und Klöster war, sah er sich gezwungen, klostereigene Güter gegen die Besitzansprüche Graf Wolfrats II. von Altshausen zu verteidigen (1027) und um das 1031 von Papst Johannes H. erneut bestätigte Privileg der Reichenauer Äbte, bei der Meßfeier bischöfliche Gewänder zu tragen, gegen Bischof Warmann von Konstanz einen Rechtsstreit zu führen (1032). Heinrich III., der zu B. bereits in freundschaftlichen Beziehungen stand, als er Herzog von Schwaben geworden war (1038),

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besuchte auf seinem ersten Umritt im Reich 1040 die Reichenau und bestätigte dabei urkundlich den Besitzstand des Klosters. Kaiser und Abt begegneten sich 1043 auf der Synode von Konstanz, zuletzt am Markustag (24. 4.) 1048 anläßlich der Weihe des unter B. errichteten Markuschores in Mittelzell. Im Markuschor fand B. seine letzte Ruhestätte. Theologe, Dichter, Musiker, Liturgieexperte und Hagiograph, gehörte B. zu den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Als Abt war er ein entschiedener Anhänger der Reformbewegung, ohne sich dabei fest einem der Reformkreise, Cluny oder Gorze, zuzuordnen (vgl. SCHMALE, 1961, S. 7), zeigte sich aber auch aufgeschlossen gegenüber Neuerungen der Liturgie, förderte mit Nachdruck Baukunst und Malerei seines Klosters; unter ihm wurde das Westwerk des Münsters fertiggestellt, besaß die Reichenauer Malerschule abendländischen Rang. Das Schicksal des Reichs war in nicht geringerem Maße als dasjenige der Kirche Gegenstand seiner Sorge, und er bekannte sich mehrfach eindeutig nachdrücklich zur Reichsidee und zur Kaiserpolitik. II. Werk. B. entfaltete eine beachtliche schriftstellerische Tätigkeit. Er hinterließ musiktheoretische und liturgisch-theologische Schriften, eine Heiligenvita, Predigten, Briefe sowie liturgische Dichtungen. Seine Werke sind in zahlreichen Hss. größtenteils des ll./ 12. Jh.s überkommen. Er selbst sammelte nach 1027 seine Schriften, Predigten und Briefe in einem Codex, den er 1043 Heinrich III. überreichte. Dieser Widmungscodex ist nicht erhalten, hat aber wahrscheinlich den Magdeburger Centuriatoren bei der Abfassung der Centuria XI, also der Kirchengeschichte des 11. Jh.s, zur Verfügung gestanden. Im cod. 898 der Stiftsbibl. St. Gallen liegt vermutlich eine frgm. Abschrift des Widmungscodex vor. Magdeb. Centuriatoren: M. FLACIUS ILLYRICUS, J. WIGAND u.a., Historia integram ecclesiae Christi... ideam secundum centurias complectens per aliquot viros in urbe Magdeburgica congesta XI, Basel 1567.

Zu der von A. DUCH wiederaufgefundenen Schrift 'De nigromantia seu divinatione daemonum contemnenda', die sich gegen

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Bern von Reichenau

L i t e r a t u r . F.J. , Schauspiele d. MAs I, Karlsruhe 1846, S. 264-301 ('Rheinauer' = 'Schaffhauser W.'); K. REUSCHEL, Die dt. Weltgerichtsspiele d. MAs u. d. Reformationszeit, 1906, S. 98-102.

HELLMUT ROSENFELD Berit -»· Köditz, Friedrich Bern (Berno) von Reichenau I. Leben. Geb. um 978, gest. 7. 6. 1048. Die wichtigsten Quellen seiner Biographie sind seine Briefe und die Chronik -»Hermanns von Reichenau. Wahrscheinlich Deutscher und vermutlich Sproß einer adeligen Familie ist B. zuerst als Mönch in Prüm nachweisbar; für einen in der Forschung verschiedentlich angenommenen Aufenthalt in St. Gallen und Fleury (vgl. ERDMANN, S. 112) lassen sich keine sicheren Beweise beibringen (vgl. OESCH, S. 28-32). 1008 berief ihn Heinrich II. als Nachfolger des reformeifrigen, aber glücklosen Abtes Immo, der 984-1006 dem Kloster Gorze und seit 1006 dem Kloster Reichenau vorgestanden hatte. Während der 40jährigen Amtszeit B.s, der die anfangs reformfeindlichen Mönche allmählich umzustimmen und später kraftvoll zu regieren verstand, erlebte Reichenau seine höchste Blüte. B. begleitete Heinrich II. auf dessen erstem (1014) und drittem Romzug (1022) und war bei der Kaiserkrönung am 14. 2. 1014 zugegen. In Rom fand er Gelegenheit zur Erweiterung und Vertiefung seiner liturgischen und musikalischen Kenntnisse. Das Verhältnis zu Konrad II., bei dessen Kaiserkrönung am 26. 3. 1027 in Rom B. gleichfalls zu den Anwesenden zählte, war kühl, wenn nicht unfreundlich. Während der Regierungszeit Konrads II., der kein Freund der Kirchen und Klöster war, sah er sich gezwungen, klostereigene Güter gegen die Besitzansprüche Graf Wolfrats II. von Altshausen zu verteidigen (1027) und um das 1031 von Papst Johannes H. erneut bestätigte Privileg der Reichenauer Äbte, bei der Meßfeier bischöfliche Gewänder zu tragen, gegen Bischof Warmann von Konstanz einen Rechtsstreit zu führen (1032). Heinrich III., der zu B. bereits in freundschaftlichen Beziehungen stand, als er Herzog von Schwaben geworden war (1038),

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besuchte auf seinem ersten Umritt im Reich 1040 die Reichenau und bestätigte dabei urkundlich den Besitzstand des Klosters. Kaiser und Abt begegneten sich 1043 auf der Synode von Konstanz, zuletzt am Markustag (24. 4.) 1048 anläßlich der Weihe des unter B. errichteten Markuschores in Mittelzell. Im Markuschor fand B. seine letzte Ruhestätte. Theologe, Dichter, Musiker, Liturgieexperte und Hagiograph, gehörte B. zu den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Als Abt war er ein entschiedener Anhänger der Reformbewegung, ohne sich dabei fest einem der Reformkreise, Cluny oder Gorze, zuzuordnen (vgl. SCHMALE, 1961, S. 7), zeigte sich aber auch aufgeschlossen gegenüber Neuerungen der Liturgie, förderte mit Nachdruck Baukunst und Malerei seines Klosters; unter ihm wurde das Westwerk des Münsters fertiggestellt, besaß die Reichenauer Malerschule abendländischen Rang. Das Schicksal des Reichs war in nicht geringerem Maße als dasjenige der Kirche Gegenstand seiner Sorge, und er bekannte sich mehrfach eindeutig nachdrücklich zur Reichsidee und zur Kaiserpolitik. II. Werk. B. entfaltete eine beachtliche schriftstellerische Tätigkeit. Er hinterließ musiktheoretische und liturgisch-theologische Schriften, eine Heiligenvita, Predigten, Briefe sowie liturgische Dichtungen. Seine Werke sind in zahlreichen Hss. größtenteils des ll./ 12. Jh.s überkommen. Er selbst sammelte nach 1027 seine Schriften, Predigten und Briefe in einem Codex, den er 1043 Heinrich III. überreichte. Dieser Widmungscodex ist nicht erhalten, hat aber wahrscheinlich den Magdeburger Centuriatoren bei der Abfassung der Centuria XI, also der Kirchengeschichte des 11. Jh.s, zur Verfügung gestanden. Im cod. 898 der Stiftsbibl. St. Gallen liegt vermutlich eine frgm. Abschrift des Widmungscodex vor. Magdeb. Centuriatoren: M. FLACIUS ILLYRICUS, J. WIGAND u.a., Historia integram ecclesiae Christi... ideam secundum centurias complectens per aliquot viros in urbe Magdeburgica congesta XI, Basel 1567.

Zu der von A. DUCH wiederaufgefundenen Schrift 'De nigromantia seu divinatione daemonum contemnenda', die sich gegen

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Bern von Reichenau

Ketzergruppen der Zeit richtet, vgl. OESCH, S. 57. Zu dem verlorenen brieflichen Fürstenspiegel 'De vera laude regis, epistola ad Heinricum secundum' vgl. ERDMANN, S. 118. Zu weiteren verlorenen Schriften vgl. OESCH, S. 48f., 58 und 76f. 1. M u s i k t h e o r e t i s c h e S c h r i f t e n Ü b e r l i e f e r u n g , a) Trologus in tonarium seu musica Bernonis': Rom, Bibl. Vaticana, cod. pal. lat. 1344, 11.Jh., lv-19r; München, clm 18937, 11.Jh., 261r-278v; London, Brit. Mus., cod. Arund. 77,11. Jh., 87V-91V. Weitere 9 Hss. und 18 Frgm.e d. 11-18. Jh.s. Dazu und zu verlorenen Hss. vgl. OESCH, S.43-46. b) 'Tonanus': Rom, Bibl. Vaticana, cod. pal. lat. 1344, 11.Jh., 19r-33v; München, clm 18937, 11.Jh., 279r-295r. Weitere 9 Hss. und 4 Frgm.e d. 11-15. Jh.s; vgl. OESCH, S. 46f. c) 'De consona tonorum diversitate": St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 898, 11. Jh., S. 2-10. A u s g a b e n , a) 'Prologus': GERBERT, SS de mus. II 62-79; PL 142, Sp. 1097-1116; P. BOHN, Monatsh. f. Musikgesch. 9 (1877) 223-226. - b) Tonarius': GERBERT, SS de mus. II 79-91; PL 142, Sp. 1115-1130. c) 'De cons. ton. div.': GERBERT, SS de mus. II114-117; PL 142, Sp. 1155-1158.

Der Trologus', der als musiktheoretisches Hauptwerk B.s gilt und seinem Freund und Gönner Erzbischof Piligrim von Köln gewidmet ist, handelt von den Tonabständen und den Tonarten sowie von der Vertonung geistlicher Texte und der Vortragsweise kirchlicher Gesänge. Als Gewährsmänner sind in der Schrift, die infolge der antiken Tonbezeichnung und Tetrachordeinteilung altertümliche Züge trägt und bisweilen allegorische Ausdeutungen (4 Finaltöne = 4 Evangelien u.a.) enthält, Ptolemaios, Boethius, —> Regino von Prüm, Hucbald von St.Amand u.a. erwähnt. Im 'Tonarius' finden sich die gebräuchlichsten liturgischen Gesänge jener Zeit in der Reihenfolge ihrer Tonarten aufgeführt. Der Traktat 'De consona tonorum diversitate', der zwei musikkundigen Reichenauer Mitbrüdern, Purchard und Kerung, gewidmet ist, hat nochmals die Tonarten zum Gegenstand, deren Ordnungszahlen von l bis 8 wiederum Gelegenheit zur Allegorese bieten. 2. L i t u r g i s c h - t h e o l o g i s c h e Schriften a) Der zwischen 1024 und 1032 entstandene Traktat 'De quibusdam rebus ad

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missae officium pertinentibus' (auch: 'De officio missae') ist eine auf Hieronymus, Augustin, Hilarius von Poitiers, Leo I., Benedikt und besonders Gregor den Gr. sich stützende Schrift über die Entstehung der einzelnen Meßteile. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, SBPreuß. Kulturbes.,cod. theol. lat. 702,12. Jh.,72v-76r (Frgm.);Erfurt, StB, cod. Amplon. qu. 128; ebd., cod. Amplon. qu. 131; Oxford, Bodl. Libr., cod. Rawlinson A 365; Wien, cod. 1001, 12. Jh.,69r-74r (Frgm.); Wolfenbüttel.Hzg.-Aug.-BibL, cod.131.Gud. lat. 2°, 72V-85V. Ausgabe. PL 142, Sp. 1055-1080.

b) Um 1027 entstand die kleinere Aribo von Mainz gewidmete Schrift 'Qualiter adventus Domini celebretur, quando nativitas Domini feria secunda evenerit'. Sie handelt unter Berufung auf Gregor den Gr., Beda, Amalar von Metz und —»Adalbold von Utrecht über die Abgrenzung des Adventsfestkreises vom Weihnachtsfestkreis. Überlieferung. 4 Hss. d. 11. u. 12. Jh.s bei MANITIUS, LG II 66. Hinzukommen: Wien, cod. 701, 12. Jh., 138V-140V; ebd., cod. 1836, 12.Jh., 78v-79r (Frgm.); München, clm 27300, 11. Jh., 61r-66r (Frgm.). Ausgaben. PL 142,Sp. 1079-1086;PH. JAFFE,Bibl. rer. Germ. III, 1866, S.365-371 (die Antwort Aribos: S. 371 f.).

c) Ebenfalls um 1027 entstanden und Aribo von Mainz gewidmet ist die als Dialog zwischen Kerung und B. abgefaßte Schrift über die Quatember-Festtage 'Qualiter quatuor temporum jejunia per sua sabbata sint observanda'. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4622, ll./12.Jh., 168r-177v; clm 14477, 11./12.JH., 74r-83r; clm 14708, ll./12.Jh., 19'-23r;clm27300,11. Jh.,67v-68r (Frgm.). A u s g a b e n . PL 142, Sp. 1085-1088; PH. JAFFE (wie 2. b), S. 372 (nur die Widmung).

d) Um 1040 entstand 'De varia psalmorum atque cantuum modulatione', eine Schrift über die zwischen den römischen und den gallikanischen liturgischen Büchern bestehenden Textdifferenzen bei Psalmen, Hymnen, Antiphonen, Responsorien sowie über mögliche Textkorrekturen. B.s Gewährsmänner sind hier Origenes, Eusebius von Cäsarea, Benedikt und Gregor der Gr. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, ÜB, cod. IX 20, 11. Jh., 69r-82r; vgl. ferner OESCH, S. 54.

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Bern von Reichenau

Ausgaben. GERBERT, SS de mus. II 91-114; danach PL 142, Sp. 1131-1154.

e) Nur fragmentarisch erhalten ist eine zwischen 1039 und 1048 entstandene Schrift über Almosen, Fasten und Gebet mit einleitenden Widmungsversen an Heinrich III. Ü b e r l i e f e r u n g . Montpellier, Bibl. de la Faculte de Medicine, cod. H303, 11. Jh., 2V^T. A u s g a b e n . B. DE VREGILLE, Fragment d'un traite de la priere dedie par B. de R. a Henri III. roi de Germanie, Rev. de moyen age latin 2 (1946) 261-268; SCHMALE, 1961, S. 68 f.

3. 'Vita s. Udalrici' Ü b e r l i e f e r u n g . 50 bekannte Hss. d. ll.-15.Jh.s, zum größeren Teil in Legendensammlungen und Legendaren, dazu 6 Frgm.e; vgl. WOLF, S.27-40, 54f. u. 60-63. A u s g a b e n . J. A. SCHMELLER, St.Ulrichs Leben lat. beschrieben durch B. v. R., 1844; PL 142, Sp.11831204; K.-E. GEITH, Albert v. Augsburg: Das Leben d. hl.Ulrich, 1971, S.23-78 (nach Basel, ÜB, cod. BIII 32).

Die um 1020/1030 im Auftrag des Abts Fridebold von St. Ulrich und Afra in Augsburg verfaßte 'Vita s. Udalrici' fußt auf der Ulrichsvita —>· Gerhards von Augsburg und der unvollendeten Bearbeitung -»-Geb(e)hards. Gegenüber dem mit biographischem Interesse schildernden Gerhard strebt B. ein Heiligenbild von typischer Vorbildlichkeit an. Seine Darstellung, welche die akzidentellen, lokalen, alltäglichen Züge der Vorlage reduziert, den Stoff summarisch behandelt, um gleichzeitig mit biblischen Analogien, mit Visionen und Wundern seine exemplarisch-erbauliche Qualität auszuarbeiten, wurde die Quelle fast aller der zahlreichen späteren, meist kürzenden Fassungen der Ulrichslegende, auch der ersten dt. Fassung des getreu nachdichtenden —> Albert von Augsburg. 4. Predigten Von B.s Predigten sind 10 erhalten, sämtlich Festtagspredigten, darunter je eine zu den vier Marienfesten; über 6 weitere besteht nur dürftige Kenntnis aus den Magdeburger Centuriatoren (vgl. DUCH, S. 433 bis 435). Die spärlich überlieferten Predigten sind bislang fast unbeachtet geblieben und haben nicht einmal ein editorisches Interesse gefunden. Überlieferung. 8 Predigten im cod. 898 d. Stiftsbibl. St. Gallen ;Parallelüberl. zu 'DeMatthia Apostolo'

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Stuttgart, Württ. LB, cod. H. B. XIV, 24r-26r, zu 'De s. Marco' Karlsruhe, Bad. LB, cod. Aug. 84, 145r-147r. Zwei weitere Predigten Heidelberg, ÜB, cod. IX 20, 61r-65v. A u s g a b e n . 'De Matthia Apostolo': GERBERT, SS de mus. II122-124. 'DeconceptioneMariae' und 'De natali Domini': A. SANDERUS, Bibl. Belgica Manuscripta I, Insulis 1641 (Nachdr. Brüssel 1972), S. 244-256.

5. L i t u r g i s c h e D i c h t u n g e n B.s liturgische Dichtung umfaßt a) drei Hymnen (zu Epiphanias, Maria Reinigung, Quadragesima), b) einen Tropus zu Epiphanias, c) drei Sequenzen (auf den hl. Ulrich, den hl. Gereon, den hl. Wilibrord), d) ein Officium s. Udalrici', bestehend aus Antiphonen, Responsorien, Orationen und der Präfation zur Messe, e) ein ähnlich angelegtes Officium s. Meginradi'. Ü b e r l i e f e r u n g . St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 898, 11. Jh., 10r-19v, 25r-28v, 38r-39v (a-d); Bologna, Bibl. Comunale, cod. A/43, 18.Jh. (a-d); St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 54, v.J. 1507, 135r-v, 179v-180r, 203r-204r (c). Die Gereon-Sequenz auch in Köln, Mus. Archiep., cod. VI 2, v. J. 1273, u. cod. VI 5, v. J. 1424. MeinradOffizium: Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 611, um 1300, 163V-167V. A u s g a b e n . GERBERT, SS de mus. II117-122 (d, b, a, c); G.M. DREVES/C. BLUME, Ein Jahrtausend lat. Hymnendichtung 1,1909, S. 142-146 (a und c); R. MOLITOR, Die Musik in d. Reichenau, in: Die Kultur d. Abtei Reichenau II, 1925, S.809f. (Responsorium aus e mit Melodie). Die Melodien von B.s liturgischen Dichtungen sind mit Ausnahme der des Responsoriums aus e noch unveröffentlicht.

6. B r i e f e Ü b e r l i e f e r u n g . Die Überl. der erhaltenen Briefe, 27 einschließlich der Widmungsbriefe, davon 6 frgm., ist in über 35 Hss. d. 11.-15. Jh.s verstreut, einer (Nr. 30) nur in dt. Übers, aus der Chronik des Gallus -»Öhem (hg. v. K. BRANDI, 1893) bekannt. Vgl. SCHMALE, 1961,5.8-12. A u s g a b e . SCHMALE, 1961, S.17-78.

B.s Briefe dokumentieren seine weitreichenden persönlichen Beziehungen, die sich bis nach Köln und Magdeburg, Lausanne und Parma erstreckten, dokumentieren zugleich seine gelehrten Neigungen und einen Wesenszug der Anhänglichkeit wie der geistlichen Fürsorglichkeit gegenüber den Freunden. Auch der Reformabt B. spricht vornehmlich aus den Briefen. Von besonderem Interesse sind die Briefe an

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Heinrich II. und vor allem Heinrich III., Briefe, die mit Überzeugung den ideellen und praktischen Herrschaftsanspruch des Königs unterstützen, keineswegs Zeugnisse nur höfischer Panegyrik sind, wie SCHMALE, 1961 (S. 6), gegen ERDMANN betont. L i t e r a t u r . Allgemein zu Person und Werk: P. BLANCHARD, Notes sur les ceuvres attribues a Bernon de Reichenau, Rev. Ben. 29 (1912) 98-107; MANITIUS, LG II 61-71; A. DUCH, Eine verlorene Hs. d. Schr.n B.s v. R. in d. Magdeburger Centimen, ZKG 4 (1934) 417 bis 435; P. VOLK, in: DHGE VIII 861 f.; K. HALLINGER, Gorze-Kluny (Studia Anselmiana 22-25), 1950/51, S. 611-614; C. ERDMANN, B. v. R. u. Heinrich III., in: C. E., Forschungen z. polit. Ideenwelt d. FrühMAs, 1951, S.112-119; F.-J. SCHMALE, in: LThK II 258f.; Rep. font. II517; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHM ALE, Geschichtsquellen I 224-229 u.ö., III 74*f.; F.-J. SCHMALE, Die Reichenauer Weltchronistik, in: Die Abtei Reichenau, hg. v. H. MAURER, 1974, S. 125-158, bes. S. 128-131; W. ERDMANN/A. ZETTLER, Zur Baugesch. d. Marienmünsters zu Reichenau-Mittelzell, ebd., S. 481-522, bes. S. 515-520. Zur Musiktheorie: Abbe CHUSTAIN, Essay sur la tradition du chant eccl. depuis S.Gregoire, suivi d'un tonal inedit de Bernon de Reichenau, Toulouse 1867; W. BRAMBACH, Das Tonsystem u. d. Tonarten d. christl. Abendlandes im MA, mit einer Wiederherstellung d. Musiktheorie Bernos, 1881; G. PIETZSCH, Die Musik im Erziehungs- u. Bildungsideal d. ausgehenden Altertums u. frühen MAs, 1931, S.132f.; H.ENGEL, 'VL I 204-208 (mit Bibliogr.); O. HOMBURGER, Die Widmungsseite v. B.s Tonadus', in: Form u. Inhalt, Fs. O. Schmidt, 1950, S. 43-50; H. OESCH, B. u. Hermann v. R. als Musiktheoretiker, 1961; J. SMITS VAN WAESBERGHE, The Theory of Music from the Carolingian Era up to 1400, Bd. l (Rep. Internat, des Sources Musicales, B III 1), 1961, S. 32,35,38 u.ö.; P. FISCHER, The Theory of Music from the Carolingian Era up to 1400, Bd. 2 (ebd., B III 2), 1968, S. 29, 39, 60 u.ö. Zu den liturg. u. theolog. Schriften: K. BEYERLE, Aus d. liturg. Leben d. Reichenau, in: Die Kultur d. Abtei Reichenau 1,1925, S.342-437; J. A. JUNGMANN, Missarum Sollemnia I, 31952, S.458 u. 461; H. DE LUBAC, Exegese medievale, II l, Paris 1961, S.9-98. Zur 'Vita s. Udalrici': W. WOLF, Von d. Ulrichsvita z. Ulrichslegende, Diss. München 1967, S. 75-106. Zur liturg. Dichtung: H. OESCH (wie oben), S.7882; SZÖVERFFY, Hymnendicht. I 370-372. Zu den Briefen: F.-J. SCHMALE, Zu d. Briefen B.s v. R., ZKG 68 (1957) 67-95; ders., Die Briefe d. Abtes B.

v. R., 1961.

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Bernardus a Bessa - Meister Bernart

HEINRICH HUSCHEN

Bernardus a Bessa Italienischer Franziskaner, I.Hälfte des 13.Jh.s.

Ihm, dem nicht näher bekannten 'comes et socius' -> Bonaventuras, wird von den Quaracchi-Editoren das 'Speculum disciplinae ad novitios' zugeschrieben (VIII, S. XLVIb), das in der hsl. Tradition zumeist als eine Schrift Bonaventuras, aber auch —> Davids von Augsburg galt. Das 'Speculum' ist wie Bonaventuras 'Regula novitiorum' (s. 2. C. a.) und Davids 'Formula de compositione hominis exterioris ad novitios' (s. 2. a.) ins Deutsche übertragen worden : von einem Leipziger Dominikaner im Auftrag der sächsischen Landesmutter Sidonia, der Gemahlin Albrechts I. von Sachsen (Melcher-Lotter-Druck, Leipzig 1510, s. WELLER, Rep.typ., Nr.540, S.63f.). Die Schrift, auch hier Bonaventura zugeschrieben - Titel: Der spygel der tzucht voll treflicher lere vnnd Spruche des heiigen Bonauenture - dürfte von allem Anfang an für den Druck bestimmt worden sein. A u s g a b e des lat. 'Speculum': Opera omnia... edita studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura... (Quaracchi), 1882-1902, VIII 583-622; dazu S. XCVXCVIII; Selecta pro instruendis fratribus Ord. min. scripta S. Bonaventurae, Quaracchi31942, S.275-422. L i t e r a t u r . RUH, Bonav. dt., S. 283f.

K. RUH

Bernardus Noricus ->· Berchtold von Kremsmünster Meister Bernart Die Hs. Köln, ÜB u. StB, cod. G.B. 8° 153 bringt f. 19r-24v eine Aufzählung von Ablässen, die in den römischen Stationskirchen (Fasten- und Adventszeit, an bestimmten Festen) gewonnen werden können. Als Verfasser wird angegeben: unser selicher meister bernart. Da die Hs. aus dem Dominikanerinnenkloster St. Gertrud in Köln stammt und in der ersten Hälfte des 16. Jh.s geschrieben sein dürfte, könnte es sich um den Dominikaner Bernhard von Luxemburg handeln (gest. 1535), der in dieser Zeit Prior des Konvents in Köln war und Schriften über den Ablaß verfaßte. L i t e r a t u r . STAMMLER, Prosa, Sp. 822. Zu Bernhard v. Luxenburg: LThK II 245; N. PAULUS, Gesch. d. Ablasses am Ausgange d. MAs, 1923, S. 70; ders., Die dt. Dominikaner im Kampf gg. Luther, 1903, S. 106 bis 110.

EGINO WEIDENHILLER

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'Bernauerin' - Berner (Johannes ?)

'Bernauerin' Eine erst im 18. Jh. aufgezeichnete Volksballade, die im 15. Jh. entstanden ist und auf ein historisches Ereignis des Jahres 1435 zurückgeht. Agnes Bernauer war die Tochter eines Baders in Augsburg, mit der sich Herzog Albrecht III. von Bayern-München heimlich vermählte. Sein Vater, der regierende Herzog Ernst, mißbilligte diese unebenbürtige Verbindung aus staatsrechtlichen Gründen. Da er seinen Sohn nicht zu einer Trennung von Agnes veranlassen konnte, klagte er sie der Zauberei und der heimtückischen Ermordung seines Neffen an und ließ sie am 12. 10. 1435 in der Donau bei Straubing ertränken. Die frühesten Zeugnisse für die Existenz einer Volksballade über dieses Ereignis finden sich in zeitgenössischen Chroniken; -* Sundheim berichtet: de qua [Agnes] cantatur adhuc hodie [1488/1501] pulchrum carmen (in: A.F. OEFELE, Rerum Boicarum Scriptores II, Augsburg 1763, S. 570). Der Humanist Caspar Brusch äußert sich 155l/ 52 über das Bestehen einer vetus cantio und zitiert daraus zwei Zeilen: Ach Herr sand Peter hülf mir aus! Ich wil dir bauen ain Staines haus. (Petri LAMBECII Hamburgensis Commentariorum de Augustissima Bibliotheca Caesarea Vindobonensi, Bd. l, Editio altera opera et studio Adami Francisci KOLLARII, Wien 1766, Sp. 637). Dieses Zitat kann auch als Beweis für die Kontinuität der Volksballade vom 15. bis ins 19. Jh. gelten, denn auch die späteren Aufzeichnungen weisen fast sämtlich ähnliche Zeilen auf. Das Lied als ganzes ist erst später überliefert, in Aufzeichnungen aus der mündlichen Tradition (erstmals 1785 mit der Nachricht, daß das Lied um 1650 in Bayern verboten war) und in Flugschriften (nach 1752). Gegenüber den Chronikberichten weist es einige Umgestaltungen und Zusätze auf, wie z.B. das Angebot einer reichen Belohnung für den Verzicht Agnes' auf Albrecht, das Anrufen Marias oder eines Heiligen, ihr aus dem Wasser herauszuhelfen, sowie die Gestalt des Henkers, der sie zur Frau nehmen will, um sie dadurch

nach altem Rechtsbrauch vom Tode zu retten. Das Lied ist in seiner Überlieferung auf das deutsche Sprachgebiet beschränkt und hier vor allem im Südosten verbreitet. Der Agnes-Bernauer-Stoff ist immer wieder in lyrischen, epischen und dramatischen Dichtungen bearbeitet worden (z.B. H. Sachs 1546, H. v. Hoffmannswaldau 1680, Graf A. v, Törring 1780, J. Körner, 1821, M. Meyr 1852, F. Hebbel 1855). In die Nähe der alten Volksballade führt C. Orffs Oper 'Die Bernauerin', 1946. L i t e r a t u r . DV 3, 1954, Nr.65, S. 194-210 (mit weiteren Lit.angaben).

HEINKE BINDER Bernd pilgerte 1463 nach Jerusalem und verfaßte über seine Reise einen Bericht, der mit dem Besuch des Toten Meeres endet. B. nennt sich am Schluß koster bernt. Nach seinen Angaben könnte er Franziskaner gewesen sein. Er kannte Münster - war er Küster im dortigen Konvent? Seine nd. Sprache weist auf das westliche Münsterland. Weitere Nachrichten fehlen. Ü b e r l i e f e r u n g . Hs. B 12283 der gräfl. Merveldtschen Bibl. auf Schloß Westerwinkel bei Münster, Pap., 15./16.Jh., 305r-352v (die Hs. enthält 268r-270v und 270v-286r 'geistige Wallfahrten' nach Jerusalem bzw. Rom; als Besitzerin der Hs. nennt sich eine sorora anna magdalena zum kley). A u s g a b e . A. STROICK, Der Bericht des Koster B. über seine Pilgerfahrt ins Hl. Land aus d. Jahre 1463, Westfäl. Zs. 90 (1934) 89-111; danach H. LAHRKAMP, Mal. Jerusalemfahrten u. Orientreisen westfäl. Pilger u. Kreuzritter, Westfäl. Zs. 106 (1956) 331-334.

DIETRICH HUSCHENBETT Berner (Johannes?) Im cod. St. Georgen LXXIII der Bad. LB in Karlsruhe, der in Villingen im Schwarzwald geschrieben wurde, werden unter den im 15. Jh. eingetragenen Texten zwei kurze medizinische Verordnungen von B. angeführt. Die eine, Des Berners koretyf [corrosivum], 109V, dient dem Aufätzen eines Schadens, den man offen halten will. Die andere, Byllulo [pillule] fytii [!], lll r , lehrt die Anfertigung von Pillen, die Schutz vor der Pest gewähren und auch zur Behandlung von Harngrieß und Stuhlverstopfung

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'Berner Marienklage' - 'Berner Weltgerichtsspiel'

nützlich sein sollen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Autor identisch ist mit dem phisicus Johannes B., der i.J. 1427 ein lat. Regimen für Abt Kaspar von Tegernsee verfaßt hat (München, clm 19701, 54r-61v). Vielleicht haben wir auch in dem für das Jahr 1440 als Basler Konzilsarzt nachgewiesenen Johannes Berner in medicina licentiatus dieselbe Persönlichkeit vor uns. L i t e r a t u r . Catalogue codicum Latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis II 3, 1878, S. 271; K. BAAS, Gesundheitspflege im mal. Basel (Zürcher medizingeschichtl. Abhh. 6), 1926, S.46; G. Eis, Nachricht über eine altdt. Sammelhs. aus Villingen, Med. Mschr. 15 (1961) 474-478, hier S.475f.; THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp.1091.

WOLFRAM SCHMITT 'Berner Marienklage' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq979, aus SchloßSpiez am Thuner See, Anf. 15. Jh., Pap., 104v-108r (Berner 'Gregorius'-Hs.).

Die 'B.M.' ist in 156 vv. überliefert, doch enthält der Text einige Lücken. Sie besteht aus zwei Klagemonologen (nach Christi Gefangennahme v. 5-34, und unter dem Kreuz v. 39-138), denen je vier einführende Verse vorausgehen. In einem Schlußgebet (v. 139-158) wendet sich der Dichter um Fürbitte an die himelsche küngin. Die alem. 'B.M.', deren Original noch aus dem 14. Jh. stammen dürfte, zeigt sich beeinflußt von dem weit verbreiteten Gedicht —> 'Unser vrouwen klage', nahm aber auch andere Anregungen auf, so besonders den Passus über die fünf (nicht sieben!) Leiden Mariae (v. 87-114), der dann ausmündet in eine Aufforderung zum Mitleiden und ein Hilfeversprechen für alle, die sie bei ihrem Leiden anrufen. L i t e r a t u r . B. HiDBER/H.PAUL, PBB 3 (1876) 365-370 (Ausg.); G. SEEWALD, Die Marienklage im mlat. Schrifttum u. in d. germ. Lit. d. MAs, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 129.

HANS EGGERS 'Berner Totentanz' Ü b e r l i e f e r u n g . Friedhofsmauer des Dominikanerklosters Bern, 1516/17 von Nikiaus Manuel gemalt, 1660 zerstört. Kopie (Bild, Text) v. A. Kauw, 1649 (Hist. Mus. Basel, Inv.-Nr. 882), Text gedr. GRÜN-

EISEN, S. 324-338, Faks. ZINSLI, S. 51-63; Textkopie v. H. Kiener, 1576, gedr. BAECHTOLD, S. 1-20; FLURI, S. 218-265; v. H. FRÖHLICH, Zwen Todtentänz, 1588; krit. hg. v. H. F. MASSMANN, Die Baseler Todtentänze, Stuttgart 1847, T. I-XII.

Manuel hat die Sonderung in Einzelpaare, wie sie infolge Buchvorlage bereits im —»'Basler Totentanz' begann, durch Arkadenrahmen betont. Durch Voranstellung von Sündenfall, Moses, Kruzifixus und den Bußprediger am Schluß wurde der heilsgeschichtliche Rahmen betont. Für Manuels Verse gab der 'Basler T.' die Grundlage, jedoch wurden einige Verse Manuels bei der Restauration in das Basler Gemälde übernommen. Die Verse üben starke Kritik an kirchlichen Mißständen und bereiten so die Reformation vor. Deutlich ist der Einfluß des ->· 'Mittelrheinischen Totentanzes' (wohl durch den Druck München 1510) im Wortlaut, in der franziskanischen Trennung von Geistlichen und Laien, in der Ausrüstung der Todesgestalten mit Musikinstrumenten ; dem Hilferuf an Maria entspricht bei Manuel die Anrufung Christi. L i t e r a t u r . C. GRÜNEISEN, Nikiaus Manuel, Stuttgart u. Tübingen 1837; J. BAECHTOLD, Nikiaus Manuel, Frauenfeld 1878; A. FLURI, Nikiaus Manuels Totentanz in Bild u. Wort, Neues Berner Taschenbuch auf 1901 (1900) 119-266; P. ZINSLI, Der 'B.T.' des Nikiaus Manuel (Berner Heimatbücher 54/55), 1953; L. Mo|ON, Frz. Kirche. Der einstige Totentanz, in: Kunstdenkm. d. Schweiz 58 [Kanton Bern V], Basel 1969, S. 70-83; H. ROSENFELD, Der mal. Totentanz, 3 1974, S. 263-283.

HELLMUT ROSENFELD 'Berner Weltgerichtsspiel' Ü b e r l i e f e r u n g . Bern, Burgerbibl., Hist. Helv. 50, S. 305-330,1007 vv. ('Bern'), geschrieben Luzern 1465; hg. v. STAMMLER (s. Lit.).

Das 'B.W.' gehört zu den an Mt 25,31-46 anknüpfenden Spielen wie das ->· 'Berliner W.' (B), -»'Donaueschinger W.' (D), -»'Kopenhagener (alemannisches) W.' (K), -> 'Schaffhauser (früher 'Rheinauer') W.' (S). Wie in B, K, S gehen die Reden von Joel, Sophonias, Gregorius, Hiob (ursprünglich nur Zitat durch Gregorius), Hieronymus (mit -> 'Fünfzehn Vorzeichen des Jüngsten Gerichts', die aus -* Jacobus' de Voragine 'Legenda aurea' entnommen sind), und von

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Bernger von Horheim

vier Engeln voran (v. 1-346). Christi Urteil über Gerechte (sechs Werke der Barmherzigkeit) und Ungerechte folgen sechs vergebliche Bitten der Verdammten um Strafminderung, Christi Endurteil, Luzifers Antwort und Wehruf der Verdammten. Der in D fehlende Schlußteil (v. 718-1007) bringt die vergebliche Fürbitte Marias und Johannes', erneute Wehrufe der Verdammten, Lobpreisungen der zwölf Apostel (darunter Paulus und Thateus) und Christi Schlußwort. Der Wortlaut stimmt fast immer zu D (das nur die Hauptszene v. 347-717 hat) und K; beide haben jedoch zwei in 'Bern' zwischen 495/496 ausgefallene Verse (= S 467f.). Der Wortlaut stimmt im ganzen auch zu S, dem jedoch Joels Rede und die Lobpreisungen der zwölf Apostel fehlen; B hat größere Einschübe. Somit steht 'Bern' bezüglich Vollständigkeit, Wortlaut und Mundart (Westschweiz bzw. Luzern) der Urfassung aus der 2. Hälfte des 14. Jh.s ziemlich nahe. L i t e r a t u r . W. STAMMLER, 'Berner W.' (TspMA 15), 1962, S. 7f., 39-65.

HELLMUT ROSENFELD 'Der Berner und der Wunderer' ->'Wunderer F Bernger von Horheim Mhd. Lyriker, Ende 12. Jh. 1. Ü b e r l i e f e r u n g , a) -»'Weingartner Liederhandschrift' (Sigle B, Stuttgart, LB, cod. HB XIII, 1) Nr. 15, S. 77-79: 13 Strr. b) -»'Heidelberger Liederhandschrift C' (Sigle C, Heidelberg, cpg 848) am Beginn der 17. Lage als Nr. 52, recte 55, 178M79': 17 Strr. Die Miniaturen (B: S. 76, C: f. 178r) entsprechen sich in beiden Hss. in der Grundstruktur, sind aber in der Einzelausführung verschieden (B: der eine Schriftrolle hochhaltende Sänger steht vor der trauernden (?) Dame, C: ein schwerttragender Ritter reicht unter einem Blütenbaum einer Dame mit Hündchen die Hand). Miniatur und Text gehören in C zum Grundstock. Die Wappen unterscheiden sich in beiden Hss. nur durch die Farbgebung (B: roter Schild, 4 silberne Lilien, C: blauer Schild, 4 goldene Lilien). Auch die Schreibform der Namen differiert nur leicht (B: Bernger von Horneim, C: Bernge von Horhein).

2. Mit dem Dichter in Verbindung gebracht werden zwei Zeugennennungen in

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italienischen Urkunden Philipps von Schwaben, ausgestellt im Jan. 1196 in Gonzaga (Berengerius de Orehem) und am 3.5.1196 in Arezzo (Berlengerius de Oreim). Diese Zeugnisse passen zur stilgeschichtlichen Position des Dichters, die auch zur Einordnung in den Hss. stimmt: In B zwischen ->· Ulrich von Gutenburg und —> Heinrich von Morungen, in C vor -> Albrecht von Johansdorf, -»Engelhart von Adelnburg und ->· Bligger von Steinach. Kontrovers ist eine weitere zeitgeschichtliche Fixierung des Dichters. Der in 114,21 erwähnte Tod eines Königs, der eine Heerfahrt nach Apulien auslöst, kann sich beziehen auf: Wilhelm II. von Sizilien und Apulien (gest. 1189) oder Tancred von Sizilien (gest. 1194). Auf beider Tod folgten jeweils staufische Kriegszüge nach Italien. Zu den urkundlichen Erwähnungen B.s würde die spätere Heerfahrt passen (GRIMME, S. 21, anders HAUPT, MF und WALLNER, 1VL I 198). Für die Heimatfrage wurden erwogen: Horrem bei Aachen (WACKERNAGEL, Afrz. Lieder, 1846, S. 201, der fehlenden nordrhein. Dialektformen wegen schon von HAUPT, MF, verworfen), Horheim nördl. Waldshut (GRIMME, S. 20, dagegen SCHULTE, Sp. 263), weiter ein nordbair. Geschlecht 'von Horheim' (bezeugt im 12. Jh. in Urkunden des Klosters Au/Inn, HAUPT, MF), das heutige Harheim nördl. Frankfurt (vertreten von SCHÖNBACH, S. 103f. u.a. wegen md. Sprachspuren, z.B. hoffen, 114,18, e wilent, 115,4 und Reimen wie 114,21 ff. oder 114,5, so auch DE BOOR, LG II 259) und ein Horheim bei Vaihingen/Enz (HAUPT, MF), für das sprechen könnte, daß in beiden Urkunden die Zeugenreihe von einem comes Gotefridus de Veingen (Vaihingen), also möglicherweise dem Dienstherrn B.s, eröffnet wird (so WALLNER, Sp. 198f.). GRIMME (S. 22) schloß aus der spärlichen Beurkundung B.s angesichts sonstiger reicher Zeugenbelege gerade aus dem süddt. Raum, daß er bald nach den zwei einzigen urkundlichen Daten (1196) in noch jugendlichem Alter gestorben sei. 3. B. wird literarhistorisch der sog. Hausenschule zugeordnet (neben Kaiser -»Heinrich VI. von Hohenstaufen, Bligger

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Bernhard von Breidenbach

von Steinach, Ulrich von Gutenburg, -> Otto von Botenlauben). DE BOOR (LG II 259) charakterisiert ihn im Vergleich zu dem 'echten Dichter' -> Friedrich von Hausen als 'bloßen Könner'. B. erweist sich aber in der Themenwahl und der sprachlich-formalen Durchführung seiner Lieder als ein Dichter von eigenem Profil. Seine Lieder sind Minneklagen, die durch motivliche, thematische oder formale Eigenheiten bes. ausgeprägt sind, am wenigsten noch 112, l, das wie -> Heinrich von Veldeke 58,35 an Tristans Minnetrank anknüpft, oder 113,33 mit dem Eingangsmotiv der Lieder als Boten. Mit 113,1 eröffnet B. in der Form der Minneklage die Gattung des mhd. Lügenliedes (spätere Beispiele etwa bei -»Reinmar von Zweter, Strr. 159, 160 oder -* Marner, XIV 12); das Abschiedslied 114, 21 bezieht die persönliche Erfahrungswelt (Italienzug) ins Gedicht ein (s. auch Hausen). Das resignative Rückblickslied 115,3 und die kunstvoll gereimte Str. 115,27 fehlen in der Hs. B, vielleicht, weil sie nach Form und Inhalt einer anderen (späteren) Schaffensperiode angehören. 4. Formal steht B. ganz in der Tradition des rheinischen Minnesangs: seine Lieder haben durchweg stollige Struktur, drei sind durchgereimt, angereimten Abgesang zeigt 114,21. Nach der Interpretation von MF sind alle Lieder vierhebig, vier davon daktylisch, alternierend nur 112, l und 115,2. Der Reim wird souverän gehandhabt, vgl. v. a. 115, 27. - Für unecht gilt die mutmaßlich unvollständige Str. 113,25. 5. Kontrafakturen nach provenzal.-frz. Vorbildern glaubte die Forschung bei 112, l (nach Chrestien de Troyes), 113,1 (u.a. nach Bertran de Born), 114,21 (u.a. nach Conon de Bethune) und 115,27 (nach Gace Brule) erkennen zu können. Ausgabe. MF 112,1-115,33 (zit.);G.ScHWEiKLE, Die mhd. Minnelyrik I: Die frühe Minnelyrik. Texte u. Übertragungen, Einführung u. Kommentar, 1977. L i t e r a t u r s. TERVOOREN, Bibliogr., Nr. 570-571. Dazu ergänzend: F. GRIMME, Gesch. d. Minnesinger I, 1897 (dazu Rez. v. A. SCHULTE, Lit. bl. f. germ. u. rom. Philol. 18 [1897] 260-266, hier 263); A. SCHÖNBACH, Beitr. z. Erklärung altdt. Dichtwerke. 1. Stück: Die älteren Minnesänger, WSB 141, 1899, S. 98-104; I. FRANK, Trouveres et Minnesänger, 1952; U. AARBURG,

Melodien z. frühen dt. Minnesang, ZfdA 87 (1956/57) 24-45, überarb. Wiederabdr. in: WdF 15, 1961, S. 378-421; J. BUMKE, Ministerialität u. Ritterdichtung, 1976, S. 60 u. Anm. 336.

GÜNTHER SCHWEIKLE Bernhard -> auch Bernardus, Bernart Bernhard von Breidenbach B., ecclesiae Moguntinae decanus et camerarius, protonotarius apostolicus, Dr. iur., um 1440 geb., gest. am 5.5.1497 in Mainz, begleitete 1493 den jungen Grafen Johannes von Solms und dessen Lehensmann und Beschützer, Ritter Philipp von Bicken, zusammen mit dem Utrechter Zeichner und Drucker Erhard Reuwich auf einer Pilgerreise nach Jerusalem (zur Vorgeschichte s. UHLHORN); bei der Rückkehr über den Sinai und Kairo stirbt der Graf in Alexandrien. Diese Reise ist Grundlage für die folgenden Werke: 1. Die unter B.s Namen in vielen europäischen Sprachen gedruckte Reisebeschreibung (zuerst 1486 in Mainz bei Reuwich lat. und dt.) gehört wegen der kenntnisreichen und genauen Schilderung von Land und Städten, namentlich wegen der beigegebenen, vorzüglich gezeichneten und gedruckten Reuwichschen Illustrationen und Skizzen, die vorbildlich wurden (s. LEHM ANN-HAUPT, SCHRAMM), zu den berühmtesten der Zeit (12 Drucke zwischen 1486-1522, dazu noch Drucke oder Auszüge des Textes ohne Illustrationen). Ü b e r l i e f e r u n g . Hss.: Alle hsl. Zeugnisse (diese bei RÖHRICHT, Bibl., S. 132) scheinen Exzerpte oder Abschriften von Drucken zu sein. - Drucke mit Illustrationen (DAVIES, S. 1-40): 1. Dr.: opus transmarine peregrinationis ad venerandum et gloriosum sepulcrum domtnicum in Iherusalem..., am 11.2.1486 bei Reuwich in Mainz (lat., GW 5075); 2. Dr.: fart über mer zu de heiligen grab vnsers herren ihesu cristi gen Jerusalem...., am 21.6.1486 bei Reu wich in Mainz (dt., G W 5077); ferner lat. Dr.: Speyer 1490 (GW 5076) und 1502 bei Drach; dt. Dr.: Augsburg 1488 bei Sorg (GW 5078), 1502 (GW 5078 Add.), ca. 1505 (Speyer bei Drach?); ndl. Dr.: Mainz 1488 bei Reuwich (GW 5081); frz. Dr.: Lyon 1488 bei Topic u. Heremberg (GW 5080) u. 1489 bei Ortuin (?) (GW 5079), Paris 1517 u. 1522 bei Higmann für Regnault; span. Dr.: Zaragoza 1498 bei P. Hurus (GW 5082). - Drucke ohne Illustration {DAVIES, S.XVIII-XX): lat.: Wittenberg 1536 (Aus-

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zug); dt.: in Feyrabends Reyssbuch, Frankfurt 1584, S. 50-122 und 1609 (bei J. Sauer für F.R. Roth), S.91-226; Straßburg 1612, Nürnberg 1659; poln.: Krakau 1610.

B.s Verfasserschaft ist bestritten worden (Martin Röth/Roth/Rad: TOBLER; Paul Walther: RÖHRICHT). Anlaß dazu bot die Tatsache, daß sich B.s Reisegesellschaft in Jerusalem Paul Walther aus Guglingen (vgl. SOLLWECK, S. 303 f. Anm. 1) und Felix —»Fabri aus Ulm (dieser zeitweilig) anschlössen, die ebenfalls umfangreiche Berichte verfaßten - Fabri rühmt mehrfach die Genauigkeit von B.s Bericht ('Evagatorium' I 347 u. 353) und dessen Übereinstimmung mit seiner eigenen Beschreibung ('Evag.' II 18). Es ist möglich, daß diese Berichte Einfluß auf B. hatten, zumal Walther von B. gebeten wurde, ihn nach dem Sinai (St. Katharina) zu begleiten (SOLLWECK, S. 177); auch Fabri ('Evag.' I 142, 383, II 108 u. ö.) erwähnt Walther. Andererseits können die übereinstimmenden Teile der Berichte durch die Benutzung der gleichen Quellen bei der Ausarbeitung hervorgerufen sein (Untersuchungen fehlen). Für B. steht fest, daß diese sorgfältig war: er beauftragte damit den Pforzheimer Dominikaner Martin Rad (über ihn LÖHR), seit 1484 Rat der Theologischen Fakultät Mainz (Fabri bezeichnet ihn 'Evag.' I 347, 353 und II 18 als den Verf.), der selbst nicht an der Reise teilnahm (DAVIES, S. VI; lag Fabri B.s Bericht bereits vor?). Dazu stimmt, daß DAVIES (S.IX-XI) für 10 der 21 Kapitel Quellen nachweisen kann, weitere findet Wis. 2. B. verfaßte für den Grafen Ludwig von Hanau-Lichtenberg, der 1484 nach Jerusalempilgerte, Reiseinstruktionen auf deutsch. Ü b e r l i e f e r u n g . Hs. im Arch. Darmstadt. Ausgabe. RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 120-145.

3. Ungeklärt sind die Beziehungen B.s zu dem 1484 bei Peter Schöffer erschienenen lat. 'Herbarius Maguntie impressus', vor allem zu dem (ersten) dt. 'Herbarius zu teutsch' (-»'Gart der Gesundheit'), der am 28.3.1485 gleichfalls bei P. Schöffer in Mainz herauskam. Hier erklärt der Anonymus im Vorwort (2V), daß er einen maier von vernunfft und hant subtiel un behende mit

auf die Reise genommen habe, die ihn u. a. über Jerusalem, den Sinai bis ans Rote Meer führte. Man schloß daher auf B. und Reuwich; ablehnend: DAVIES (S.II), RÖHRICHT (Pilgerreisen, S. 164f.: 'Buchhändlerspekulation'); W. ECKERT (LThKII 238 f.) dagegen hält B. für den Herausgeber. Im 76. Kapitel nennt sich der Frankfurter Arzt Johan von Cube (-»· Wonnecke, Johann, vonCaub). Faksimile-Ausgabe: Hortus sanitatis, München 1924. L i t e r a t u r . TOBLER,Bibliogr.geogr.Palaest.,S.55; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 132-136; M. SOLLWECK (Hg.), Fratris Pauli Waltheri Guglingensis itinerarium in terram sanctam et ad sanctam Catharinam (StLV 192), 1892; RÖHRICHT, Pilgerreisen, S.164f.; ders., Die Palästinakarte B.s v. B., Zs. d. Dt. PalästinaVer.s 24 (1900) 130-135; H. W. DAVIES, B. v. Breydenbach and his Journey to the Holy Land 1483-84, A Bibliography, London 1911; H. LEHMANN-HAUPT, Die Holzschnitte d. Breydenbachschen Pilgerfahrt als Vorbilder gezeichneter Hss.illustration, Gutenberg-Jb. (1929) 152-163; A. SCHRAMM, Der Bilderschmuck d. Frühdrucke, Bd. 15, Die Drucker in Mainz, 1932; F. UHLHORN, Zur Gesch. d. Breidenbachschen Pilgerfahrt, Gutenberg-Jb. (1934) 107-111; O. CLEMEN, Weitere Beitr. z. Gesch. d. Buchdrucks u. d. Buchgewerbes II, Eine Wittenberger Ausg. d. Reisewerks von B. v.B., Gutenberg-Jb. (1942) 119f. u. 124f.; R. OEHME, Die Palästinakarte aus B.s v. B. Reise ins Hl. Land 1486, Fg. G. Leyh, 1950,5.70-83 ( = 75. Beih. z. ZfB); G. M. LÖHR, Die Dominikaner an d. Univ. Heidelberg, AFP 21 (1951) 277; H.-J. LEPSZY, Die Reiseberichte d. MAs u. d. Reformationszeit, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 90, 95 f. u. 263; M. Wis, Zur Bedeutung d. mal. Palästina-Pilgerberichte f. Wortforschung u. Quellenkunde, Neuphil. Mitt. 66 (1965) 275f.; Rep. font. II 499.

DIETRICH HUSCHENBETT Bernhard von Clairvaux 1. Geb. Schloß Fontaine bei Dijon um 1090, gest. in Clairvaux (Aube) am 20. Aug. 1153, hl. Kirchenlehrer und Abt. B. trat 1112 in das Zisterzienserkloster Citeaux ein und wurde 1115 als Abt zur Gründung des Tochterklosters Clairvaux ausgesandt. B. stand in Verbindung oder Auseinandersetzung mit den großen Theologen seiner Zeit (Hugo von St. Viktor, Wilhelm von Champeaux, Petrus Abaelardus, Gilbert von Poitiers), bezog im Papstschisma Stellung für Innozenz II. gegen Anaklet II. B.s Einfluß und Be-

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gener Prediger (Nr. 41) und im 'Baumgarten geistlicher Herzen' (Kap. 41). Hss., die mehrere Übertragungen von B.s Predigten in dt. Sprache enthalten, sind selten, z.B. Colmar, StB, cod. 212 (71711), London, Univ. College, Ms. Germ. 11 (s. LÜDERS, S. 156-184) und München, cgm 5130. Die B.-Rezeption in Form von mhd., mnd. und Eine mndl., wohl um 1450 entstandene mndl. Übertragungen und Bearbeitungen seiner echten Sammlung von 92 B.-Predigten ist häufig und unechten Schriften ist bislang nur in Ansätzen geüberl. und wurde auch ins Mnd. übernomsichtet oder systematisch erfaßt worden. Das gilt auch men, Zusammenstellung der Hss. (24) und für den Einfluß seiner Schriften auf die dt. Literatur; es der frühen Drucke bei J. DESCHAMPS, S. können darum zur Zeit nur Hinweise gegeben werden. Insgesamt gesehen scheinen mehr mndl. als dt. Über255 f.; ebenfalls in Leiden, ÜB, Letterk. 328, tragungen vorzuliegen, vgl. DE VREESE, 1931, S. 214 Düsseldorf, Bibl. d. Kgl. Gymnasiums (s. (mehr als 200 mndl. Hss.). H. WILLEMSEN, DieHss. d. Gymnasialbibl., Stud. z. niederrhein. Gesch., Fs. z. Feier d. 2. Die deutschsprachige Ü b e r l i e f e r u n g Einzugs in d. neue Schulgebäude d. kgl. Gymnasiums, 1906, S. 25-31), vermutlich der e c h t e n Schriften. 'Sermones super Cantica Canticorum' auch in einer Hs. des Klosters Vinnenberg (Opera Bd. I und II): a) Bair. Übertr. in 5 (s. A. BÖHMER, ZfB 26 [1909] 346). Andere vollst, und 2 frgm. Hss. (s. HÖVER, S. 5-51), mndl. Predigtsammlungen enthalten Camdie in Zusammenhang mit dem Wirken bridge, ÜB, cod. Dd. IV. 59; Cuyck, Kreuz-> Bernhards von Waging in Tegernsee steht. herrenkloster St. Agatha, cod. 17; Den b) Auszüge in Gießen, ÜB, cod. 879 (Teil- Haag, Kgl. Bibl., codd. 71 H24 u. 73 F23; druck s. MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., Haarlem, Bischöfl. Museum, cod. 73; MonS. 146). c) Mnd. in Düsseldorf, LB u. StB, nikendam, Gemeentearchief, cod. 155 (s. cod. B 42. d) Häufig überl. ist das sog. 'Seel- MIKKERS, 1956). Häufig sind Einzelpredigten: 'In laudibus gerät' B.s, das auch Aufnahme in den St. —»Georgener Prediger (Nr. 84) und den virginis matris' (Opera IV 13-58): London, -> 'Baumgarten geistlicher Herzen' (Kap. Brit. Mus., Add. 15103; Stuttgart, LB, HB 68) gefunden hat; Quelle ist Sermo 43. Zur VII52; zur mndl. Überl. s. RUH, Bonav. dt., mndl. Überl. vgl. A. AMPE, OGE 42 (1968) S. 224, auch in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 4236 323 f. e) Mndl. Übersetzungen größeren Um- bis 4239. 'In adventu Domini' (Opera IV fangs sind erst aus dem 16. und 17. Jh. be- 161-196): s. LÜDERS, S. 157f. 'In vigilia kannt (s. die Hss. Brüssel, Kgl. Bibl., codd. nativitatis Domini' (Opera IV 197-244): s. 364,3401, II2964, II2972, IV 226). Sonst be- LÜDERS, S. 171, auch in Frankfurt, Dt. Bibl., gegnen nur Einzelstücke: Sermo 26 in einer Ms. Barth. 58. 'In Quadragesima* (Opera häufig überlieferten Predigtensammlung IV 353-380): Berlin, mgo 574. 'De psalmo (s.u.); Sermo 43 (Auszüge) in Westmalle, Qui habitat' (Opera IV 383-492): Berlin, Trappistenkloster, Liturgeia A 15; Auszüge mgq 1396; mndl. in Berlin, mgq 1122; aus Sermo l als Een ander prologus op Cuyck, Kreuzherrenkloster St. Agatha, cod. cantica canticorum des sog. 'Vertaler van 9; Den Haag, Kgl. Bibl., codd. 70 H 4 u. 70 1360' (hg. v. C.H. EBBINGE WUBBEN, Over H5; Zwolle, Overijssels Museum, Emmamndl. vertalingen van het Oude Testament, nuelshuizen 1. 'In cena Domini' (Opera V 67-72): Salzburg, St. Peter, cod. b VIII 31. 1903, S. 88f.). 'Liber ad milites templi de laude novae 'In resurrectione Domini' (Opera V 73-111): militiae' (Opera III 213-239): Niederalem. Köln, Hist. Arch., cod. W2° 169. 'Dominica Übertr. des Job Vender aus dem Anfang IV post pentecosten' (Opera V 202-205): des 15. Jh.s in Wien, cod. 5099 (Autograph). Brüssel, Kgl. Bibl., cod. II 1278. 'Dominica 'De consideratione ad Eugenium Papam' VI post pentecosten' (Opera V 206-213): (Opera III 393-493): vielfach überl. kurzer Basel, ÜB, cod. A XI 65. 'Dominica in kaAuszug von lib. V, c. 13 f., auch im St. Geor- lendris novembris' (Opera V 304-326): Den

deutungprägten entscheidend sein Zeitalter; seine Nachwirkung beruht besonders auf der von ihm wesentlich geformten Christusund Brautmystik, aber auch auf der weiten Verbreitung seiner zahlreichen aszetischen Schriften.

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Haag, Kgl. Bibl., cod. 70 H 5. 'In dedicatione ecclesiae' (Opera V 370-398): Köln, Hist. Arch., cod. G. B. 8° 103. 'In natali S. Andreae' (Opera V 427-440): s. LÜDERS, S. 156, auch in Colmar, StB, cod. 199 (7171). 'Sermo XLV de diversis' (Opera VI 1,263 bis 266): Nürnberg, StB, Cent. VI, 60; München, cgm 215. 'Sermo XCVI de diversis' (Opera VI l, 355-360): Harburg, Fürstl. Öttingen-Wallersteinsche Bibl., cod. III l 4° 23. 'Parabola de conflictu duorum regum' (Opera VI 2,267-273): Dessau, ÜB u. LB, Georg. 3.4°; Dresden, LB, cod. k 281; Nürnberg,StB, Cent. VI,43 d ; Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl., cod. Heimst. 704; zur mndl. Überl. s. J. DESCHAMPS, S. 256 (3 Hss.), auch in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. II 1278. 3. Die deutschsprachige Ü b e r l i e f e r u n g der B. z u g e s c h r i e b e n e n Schriften. Zusammenstellung bei JANAUSCHEK, S. IV bis XIV (ca. 180 Werke). Auch die deutschsprachige und mndl. Überl. ist entsprechend reich: 'De contemplando Deo' und 'Epistola ad fratres de Monte Dei' des -»Wilhelm von St. Thierry, von denen dt. und mndl. Übersetzungen (letztere nur in Auszügen) vorliegen. 'Expositio super Evangelium in coena Domini' (PL 184, Sp. 879-954) des Oglerius von Trino: Zwei Predigten in der Übers. Heinrich -> Hallers (hg. v. E. BAUER [WPM 7], 1969). 'De doctrina cordis' des -»· Gerhard von Lüttich, zur Überl. s. SCHNEIDER, München III 291 f., weiterhin Eichstätt, Klosterbibl. St. Walburg, cod. germ. 7; mndl. in Köln, Dombibl., cod. 248. 'De contemptu mundi' des Bernhard von Morlas (= Bernhard von Cluny), hg. v. TH. WRIGHT, The Anglo-Latin satirical poets and epigrammatists of the twelfth century, Bd. II (Rerum Britannicarum medii aevi scrip tores 59), London 1872 (Nachdr. 1964), S. 3-102; krit. Ausg. v. C. H. HUSKIER, 1929: Wien, cod. 4118 (s. Johann ->· Hauser), vgl. Budapest, ÜB, cod. Germ. 2 (s. VIZKELETY, Altdt. Hss. II 74). 'Tractatus de vitae ordine et morum institutione' (PL 184, Sp. 559-584) des Johannes von Fruttuaria: mndl. in Amster-

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dam, ÜB, cod. I G 21; Monnikendam, Gemeentearchief, cod. 155; Nijmegen, ÜB, cod. 188. 'De cura et modo rei familiaris' ('De gubernatione familiae', 'Epistola ad Raimundum') (PL 182, Sp. 647-651): COSSAR weist 24 Hss. nach und druckt 11 Fassungen ab, darunter die Übers.n des -> Peter (Wiechs) von Rosenheim (?) und des ->· Niclas von Wyle (8. Translatio). Den dt. Hss. ist hinzuzufügen: München, cgm 5234, clm 7746; Salzburg, St. Peter, cod. b V 33, b VI5, b XII 3. Stark benutzt wurde der Text in der sog. 'Haussorge', s. -> Aristoteles 5 I (3 Hss., Abdruck COSSAR, S. 290-308). Zur mndl. Überl. s. COSSAR, S. 328. 'Formula honestae vitae' (PL 184, Sp. 1167-1172) (Zuschreibung an Bernhard Silvestris umstritten): Berlin, mgq 194, mgq 1584, mgo 565, mgo 595; Eichstätt, Klosterbibl. St. Walburg, cod. germ. 7; Hamburg, SB u. ÜB, cod. theol. 890; Karlsruhe, LB, cod. St. Peter pap. 44, St. Blasien 84; Köln, Hist. Arch., cod. W 4° 135; Leningrad, SB, cod. Q. v. I. 2; München, cgm 447, cgm 458; Nürnberg, StB, cod. Cent. VI, 59, Cent. VII, 39; Salzburg, St. Peter, cod. a III 24, b IV18, b V 5; St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 998; Stuttgart, LB, cod. theol. et phil. oct. 21. Mndl. in Oxford, Bodleiana, Ms. Marshall 127 (hg. v. R. PRIEBSCH, Tijdschr. voor nederl. taal- en letterkunde 14 [1895] 20-25). 'Meditationes piissimae de cognitione humanae conditionis' ('De interiore homine') (PL 184, Sp. 485-508): Berlin, mgq 1526, mgo 478; Hamburg, StB, Bibl. des Pastors Kunhardt II; Salzburg, St. Peter, cod. b III8; St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 975; Solothurn, Zentralbibl., cod. S 435; Stuttgart, LB, cod. theol. et phil. oct. 27; Wien, cod. 2840. Zur mndl. Überl. s. W. DE VREESE, 1900, S. 296 u. 364, weiterhin in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 4151-55 und cod. II112; Lilie, ÜB, cod. 206; Utrecht, ÜB, cod. V G 33 'Tractatus de interiori domo' ('De conscientia aedificanda') (PL 184, Sp. 507-552): Berlin, mgq 199, mgo 137; Nürnberg, StB, cod. Cent. VI, 55, Cent. VI, 58. Vielleicht enthält auch die deutschsprachige Überl. von Ps.-Augustins 'Manuale' einige Kap. des 'Tractatus' wie die mndl. Überl. (s.

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LUB, Bd. l, S. 12) (-»· Augustinus III l B). Zu den mndl. Übers.n des Tractatus' s. DE VREESE,1900,S.217f.u.S.467,RuH,Bonav. dt., S. 183, weiterhin in Haarlem, Bischöfl. Museum, codd: 82, 83,99; Löwen, ÜB, cod. G 222; Nijmegen, Albertinum, Bibl. Praedicatorum, cod. 4. Ps.-Bedas 'De meditationepassionis Christi per septem diei horas' (PL 94, Sp. 561 bis 568) erscheint auch unter B.s Namen, zur Überl. s. D. RICHTER, Die dt. Überl. d. Predigten Bertholds v. Regensburg (MTU 21), 1969, S. 52f., weiterhin in Göttingen, SB u. ÜB, cod. 123; Calbe (Privatbesitz, s. BORCHLING, Mnd. Hss. IV 35f.); mndl. in Warschau, Nat.Bibl., cod. O. I. 3 (früher Petersburg, Kaiserl. Bibl.). Tractatus de caritate' (PL 184, Sp. 583 bis 597): mndl. in Monnikendam, Gemeentearchif, cod. 155. Auf die zahllosen kleineren Stücke, die unter B.s Namen überliefert werden, das sind Sprüche, Dicta, Gebete, Rosenkränze, Passionsbetrachtungen, Predigten, Lehren, Gespräche, Ablässe, Hymnen usw., kann hier nur allgemein hingewiesen werden. Beispielhaft seien so häufig überlieferte Texte genannt wie —»'Die Goldene Kette St. Bernhards', das Gebet zu den Gliedern Christi (PL 184, Sp. 1319-1324), gedruckte Fassungen bei BARTSCH, Erlösung, S. 225-236 und B. GILLITZER, Die Tegernseer Hymnen d. Cgm 858, 1942, S. 24-34, der 'Jubilus rhythmicus de nomine Jesu' (->'Jesu dulcis memoria' [deutsch]), oder die 'Acht Verse St. Bernhards' (CHEVALIER 27912), gedruckt bei W. STAMMLER, Spätlese d. MAs II (TspMA 19), 1965, S. 13 f. Zur häufig Überl. Allegorie 'Von einem geistlichen Kloster' s. G. BAUER, Claustrum animae, Bd. l, 1973, S. 23 f. (Abdruck des Textes, Hinweis auf rund 60 Hss.) (-»·'Herzkloster-Allegorie').

4. Obwohl die Bedeutung der (echten und unechten) Schriften B.s für die geistliche und weltliche dt. Literatur unbestritten ist, fehlt es an näheren Untersuchungen (s. BERNARDS, S. 19ff.). Vielfach ist es nicht gelungen, über allgemeine Hinweise auf den 'Geist des Zeitalters' oder auf das durch B. geschaffene neue 'Frömmigkeitserlebnis' hinauszukommen. Das gilt insbesondere für die zahlreichen, im Anschluß an SCHWIETERING entstandenen Untersuchungen zu den Werken ->· Wolframs von Eschenbach und -»Gottfrieds von Straßburg. Es muß betont werden, daß SCHWIETERING seine Arbeiten nicht im Sinne eines Quellennach-

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weises verstanden wissen wollte, unter Verweis auf B. wollte er den religiösen Hintergrund dieser Werke verdeutlichen. Die Schwierigkeit, präzise Quellennachweise für den Einfluß B.s zu führen, gilt auch für die geistliche dt. Literatur. So ist die Töchterstreitallegorie des ->· 'Anegenge' sicher nicht direkt von B. abhängig; mit MÄDER, S. 77f., ist Michel -»Beheims Gedicht Nr. 283 (hg. v. H. GILLE/I. SPRIEWALD, Bd. II [DTM 54], 1970, S. 451-465) als die erste Bearbeitung anzusprechen, die unmittelbar auf B.s Predigt 'In annuntiatione dominica' Sermo I (Opera V 13-29) beruht. Aber trotz weitgehend fehlender stringenter Beweisführung ist anderseits unvorstellbar, daß die Brautmystik des -»'St. Trudperter Hohenliedes', der -» Mechthild von Magdeburg, der —> 'Rede von den 15 Graden' oder der zahlreichen Nonnenviten ohne das Bernhardische Schrifttum, insbesondere den Hoheliedkommentar, entstanden sein könnte. Und wenn man auch versucht hat, die Unterschiede zwischen der Mystik B.s und Meister —> Eckharts hervorzuheben ('affektive' versus 'spekulative' Mystik), ist festzuhalten, daß der Einfluß B.s bei den 'Schülern' —> Tauler und —»·Seuse deutlich greifbar ist, z.B. in den zahlreichen Zitaten (bei Seuse insbesondere im 'Büchlein der ewigen Weisheit'). Zitatreichtum aus B.s Schriften findet sich z.B. auch bei den Autoren des -» 'Paradisus animae intelligentis'. Eindrucksvoll zeigt sich der Einfluß B.s für die deutschsprachigen Predigten; als frühe Beispiele sind etwa zu verzeichnen MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S. 25 (-»•'Zürcher Predigten' Nr. 5) und S. 62 ('Innsbrucker Johannespredigt'). FRÜHWALD hat versucht, aufgrund von Auszügen und Zitaten aus B.s Werk die Sammlung des St. Georgener Predigers als Zisterzienserarbeit zu erweisen. Eine solche Zuweisung wird zweifelhaft, wenn man sie mit anderen, ähnlich gelagerten Fällen vergleicht. Der 'Baumgarten geistlicher Herzen', entstanden im franziskanischen Augsburger Kreis um -> David von Augsburg, enthält weitaus umfangreichere und gewichtigere Zitate aus B.s Schriften. - Es ist eine ungelöste Frage, ob der Einfluß der unechten Schriften nicht den der echten B.s übertrifft. Zu verweisen

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ist auf den im 'Tractatus in laudibus S. Dei genetricis' eingeschlossenen 'Planctus Mariae' (der Verfasser ist Oglerius von Trino), der schon früh eine dt. Bearbeitung erfahren hat (sog. -> 'Bernhardstraktat') und zum Vorbild für viele dt. und mndl. Marienklagen geworden ist. Auf die Benutzung von 'De cura et modo rei familiaris' in Heinrich -»Wittenwilers 'Ring' (v. 5019-5200) weist COSSAR, S. 333, hin. Für den Bereich der mndl. Literatur ist zu verweisen auf den Aufsatz von VAN MIERLO, speziell für Ruusbroec auf AMPE, für den bedeutenden Einfluß B.s auf die Devotio Moderna s. MIKKERS, 1953. 5. L i t e r a t u r . Ausgaben: PL 182-185; Opera, Bd. Iff. Edd. J. LECLERCQ, C. H. TALBOT, H. M. ROCHAIS, 1957ff. -Bibliographie: L. JANAUSCHEK, Bibliographia Bernardina (Kenia Bernardina 4), Wien 1891 (Nachdr. 1959); J. DE LA CROIX BOUTON, Bibliographie Bernardine 1891-1957, Paris 1958. - M. BERNARDS, Der Stand d. B.forschung, B. v. C., Internat. Bernhardkongreß Mainz 1953, hg. u. eingel. v. J. LORTZ, 1955, S. 3-43. W. DE VREESE, De hss. van Jan van Ruusbroec's werken, Teil 1-2 (Uitgaven der Koninklijke Vlaamsche Academic VI. Reeks 23), Gent 1900-1902; ders., De verstrooiing onzer hss. en oude boeken over den aardbodem, Bibliotheekleven 16 (1931) 199-222, Wiederabdr. in DE V., Over hss. en hss.künde. Tien codicologische Studien, hg. v. P. J. H. VERMEEREN, Zwolle 1962, S.116-138;J. SCHWIETERING, Der Tristan Gottfrieds v. Straßburg u.d. Bernhardische Mystik (Abhh. d. Preußischen Ak. d. Wiss.n, Phil. hist. Kl., Jg. 1943, Nr. 5), 1943; ders., Parzivals Schuld, ZfdA 81 (1944) 44-68 (die beiden Aufsätze auch in J. SCH., Mystik u. höf. Dicht, im HochMA, 1962, S. 1-70 u. in J. SCH., Philol. Schriften, 1969, S. 339-384); A. AMPE, Bernardus en Ruusbroec, OGE 27 (1953) 143-179; J. VAN MIERLO, De hl. Bernardus in de middelnederlandse letterkunde, OGE 27 (1953) 231-258; E. MIKKERS, S. Bernardus en de Moderne Devotie, Citeaux in de Nederlanden 4 (1953) 149-185; ders., Een 15e-eeuwse vertaling van St. Bernardus' preken De Diversis en van pseudobernardijnse werken, Citeaux in de Nederlanden 7 (1956) 45-49; RUH, Bonav. dt., S. 29 f.; G. Eis, Fasciculus myrrhae, Leuv. Bijdr. 49 (1960) 90-96 (Wiederabdr. in G. E., Altgerman. Beitr. z. geistl. Gebrauchen'!., 1974, S. 133-137) ;STAMMLER,Prosa;E.LÜDERS,ZurUberl.d. St. Georgener Predigten III: l, StN 32 (1960) 123-187; J. J. LUB, S. Augustijns hantboec, 2 Bde., Assen 1962; W. FRÜHWALD, Der St. Georgener Prediger (QF NF 9), 1963; K. CHR. J. W. DE VRIES, De mariaklachten (Zwolse drukken en herdrukken 48), 1964; J. BUMKE, Die Wolfram v. Eschenbach Forschung seit 1945,1970 (s. Reg.); J. DESCHAMPS, Middelnederlandse Hss. uit Europese en Amerikaanse bibliotheken, Tentoonstelling. Catalogus. 2. herziene dr. Brüssel 1972 ('1970);

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E. J. MÄDER, Der Streit d. 'Töchter Gottes' (Europ. Hochschulschriften I 41), 1971; W. HÖVER, Theologia Mystica in altbair. Übertr. (MTU 36), 1971; C. D. M. COSSAR, The German Translations of the PseudoBernhardine 'Epistola de cura rei familiaris' (GAG 166), 1975. „.. W7

WERNER HOVER

Bernhard von der Geist I. Leben. B., Angehöriger des münsterländischen Rittergeschlechts von der Geist, das von 1154-1717 beurkundet ist und als Stammburg das Haus Geist bei Oelde (Kreis Beckum) besaß, war Kleriker, wie sich aus seinem 'Palpanista' mehrfach ergibt, und nach Ausweis zahlreicher Urkunden zwischen 1228 und 1246 (s. R. WILMANNS, Westfäl. Urk.buch III, 1871; F. PHILIPPI, Osnabrücker Urk.buch H, 1896) notarius beim Bischof von Münster. Die langen Kämpfe des Bischofs mit den Friesen, auf die er im 'Palpanista' anspielt, hat er vielleicht als Teilnehmer erlebt. Bezeugt ist B. in Urkunden von 1243 und 1246 als magister (in der ersten dazu als scriptor ecclesie) am Stift St. Mauritz (vgl. auch die 'Dialogismi'), wo er das Kanonikat erhielt, auf das er länger, als ihm lieb war, hatte warten müssen. Nach 1246 schied er aus dem bischöflichen Dienst, verbrachte in St. Mauritz, das schon durch seine Lage auf dem Lande das Privatleben in Muße genießen ließ, seinen Lebensabend und dichtete hier, glücklich über seine Freiheit, den 'Palpanista' (ceperat residere apud dictam ecclesiam sancti Mauricii in praebenda sua, ubi edidit hunc librum, Incipit des Drucks von 1504). Hier starb er nach dem Nekrolog von St. Mauritz (Obiit Bernhardus palpanista vates et poeta, huius ecdesie canonicus et frater noster pie memorie) an einem 2. Oktober. II. Werke. 1. 'Dialogismi V e r i t a t i s , A d u l a t o ris, l u s t i c i a e ' Ü b e r l i e f e r u n g . Karlsruhe. LB, cod. 354, lv-4r. Ausgabe. M. FLACIUS ILLYRICUS (Hg.), Varia doctorum piorumque virorum de corrupto ecclesiae statu poemata, Basel 1557, S. 15-19. Die von FLACIUS nach unbekannter Uberl. gebotene Fassung ist unvollst, (eine Lücke sicher vor v. 72, vgl. RICHTER, S.46) und auch sonst nicht zuverlässig.

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Die 88 meist leoninisch gereimten Hexameter der 'Dialogismi' sind nicht direkt als B.s Werk bezeugt, werden ihm aber sicher zu Recht zugeschrieben: Sie setzen dieselben Lebensumstände des Verfassers voraus wie der 'Palpanista' (hier wie dort ist, z.T. mit denselben Worten, die Rede davon, daß der Dichter ein armer Lehrer war, der nicht zu schmeicheln verstand und es deshalb nicht zu Reichtum brachte), stimmen mit ihm in Form, Sprache und Stil vielfach überein und haben 22 Verse ganz oder teilweise mit ihm gemeinsam. Wegen des Inhalts sind sie vor dem 'Palpanista' anzusetzen: B. bittet noch unbefriedigt um das Kanonikat, während er später sich in zufriedener Stimmung befindet und das Thema für ein allgemeineres Interesse erweitert. Auch die Form spricht dafür: fast ein Sechstel der Verse ist ohne Reim. Der Streit zwischen Adulator und Veritas beginnt mit deren Klage, sie sei unbeliebt; die Welt fröne vor allem wegen der Schmeichelei, die an den Höfen herrsche, nur noch dem Laster (v. 1-53). Er gibt ihr darauf zu bedenken, daß man allein durch Schmeichelei vorwärts komme und der Schützling von St. Mauritius nur so hätte dessen Kanonikus werden und zu Reichtum gelangen können (v. 54-82). Die Wahrheit besteht darauf, daß der Rechtschaffene nicht von ihr weichen dürfe (v. 83-85), und wird vom Schmeichler verwünscht und verjagt (v. 86-88). 2. ' P a l p a n i s t a ' Ü b e r l i e f e r u n g . 22 vollst. Hss. d. 13.-15.Jh.s; vgl. RICHTER, S. 12-32, u. WALTHER, Initia, 16942 u. 9974; hinzu kommt Rom, Bibl. Vat., cod. Pal. lat. 1024, 64r-80r. - Teilüberl. in Florilegien: Berlin, cod. theol. lat. fol. 381, 171V (ca. 60 vv.); Bonn, ÜB, cod. S 220, 219V-222V (170 vv.); Göttingen, ÜB, cod. philol. 130 im 'Poleticon' (17 vv., s. RICHTER, S. 32f.) und im 'Florilegium' (17 u. 21 vv., s. RICHTER, S.34f.); Lüneburg, Ratsbibl., cod. theol, 2° 11, 184r (9 vv.); Trier, StB, cod. 1898, 80V (8 vv., s. F. BRUNHÖLZL, Mlat. Jb. 3 [1966] 167); Lilienfeld, Stiftsbibl., cod. 137,219r (57 vv.). A u s g a b e n . Erstausg. [Utrecht, um 1473], GW 4079; danach Köln 1504 (ein vielfach genannter Druck von 1501 existiert nicht) und die von C. DAUMIUS besorgte Ausg. Cygneae 1660; vgl. RICHTER, S.36-40.

Der Titel des wohl 1007 Hexameter umfassenden Gedichts ist seltener mit o (Palponista) als mit a überliefert; Palponius hat

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nur Hugo von Trimberg, und zwar neben Palpanista ('Registrum' v. 637). Abgefaßt ist es zwischen 1246 (s. o. I) und 1280, dem Datum von Hugos 'Registrum'. Das Streitgedicht handelt nur im ersten Teil, der freilich fast zwei Drittel des Ganzen umfaßt, von der Schmeichelei. Der geistliche Dichter, der in der Ichform auftritt oder sich curio nennt, und der Höfling (quidam de stirpite miles, aulicola) streiten über das Leben der Herren und ihrer Untergebenen am Hof (der Höfling am Ende des ersten Teils: De geminis vitis fuerant exordia litis). Der Dichter freut sich, dem Hofleben entronnen zu sein, und schilt es, weil es die Seele verderbe. Der ergraute Höfling aber, der schon 16 Lustren am Hofe dient, preist es; Er strebe danach, Geld zu gewinnen, und das gebe ihm die Kraft zu allen Diensten und Verstellungen; so erhalte er alles, was er haben wolle. Als ihn der Geistliche vor der sicheren Strafe warnt, entwickelt der Höfling eine regelrechte Theorie des Schmeicheins (Quis sit adulandi modus et mentes laqueandi); sie nimmt die Hälfte des Gedichts ein und sprengt mit ihrer geschlossenen Rede die Form des Streitgedichts. Zunächst empfiehlt er, sich einen dummen Herrn zu suchen und Verschiedenes an ihm zu loben, lehrt bei jeder seiner Eigenschaften, was man hervorheben muß, auch wenn es sich um einen hohen Geistlichen handelt, lehrt etwa auch, wie man Körperkräfte und Charakterwerte rühmen oder erfinden, Träume günstig auslegen und den Herrn gut unterhalten muß. Ausführlich geht er auf Ratschläge für den Herrn ein, Schulden loszuwerden, aus Wirtshausprügelei oder Bestrafung wegen Landfriedensbruch u.a. Geld zu schlagen. Als der Redende bemerkt, wie es den Zuhörenden schaudert und wie er aufseufzt, schließt er mit dem Rat, seinen Worten zu folgen; dadurch werde er reich werden.

Im zweiten Teil, der sich schon durch die andere Reimart abhebt (Caudati statt Leonini), auch durch den lebhaften Wechsel von Rede und Gegenrede, geht es um das Leben der Fürsten, in der ersten Hälfte um ihre Sorgen wegen der Treulosigkeit der Untergebenen, die auf Unruhen sinnen, wegen der bedrängenden Bittsteller bei Festen, im Krieg wegen Mangel an Geld für die Bewaffnung und nach dessen Ende wegen der Beseitigung der Schäden, Verteilung der Geschenke und der Beute u.dgl. In der zweiten Hälfte, die den körperlichen Drangsalen gewidmet ist, werden die Herren angeklagt, daß ihr Gaumen überreizt sei, es bei ihnen sehr spät oder sehr früh schlecht zubereitete Kost gebe oder nach einem Tag

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schöner Unterhaltung der nächste unter der Geldforderung der Mimen zu leiden habe. Dagegen weist der Höfling auf den Pomp der Feste, die Berechtigung von seinesgleichen, nach Anstrengungen Gaben zu fordern u.dgl.; niemand könne die Vorteile des Hoflebens aussagen. Doch pflichtet der Höfling schließlich dem Dichter bei, ohne daß klar wird, was ihn dazu veranlaßt. 3. Den schlichten Stil, den B. nach den sechs Schlußversen absichtlich gewählt hat (Simplicibus ... simpliciter mea carmina scripsi), charakterisieren einfache Mittel, rhetorische Figuren, besonders mehrfache Bestimmungen, Wortwiederholungen und Parallelismus, auch Wortspiele, Antithesen, Asyndesen, Anapher und Allitteration; hinzu kommt die Vorliebe für bildhaften Ausdruck. Die Sprache ist im allgemeinen klar und flüssig, nicht rein antikisierend, sondern mit mal. Eigenheiten versehen (aulicola, detunicare, fatualis, momimus, scurrisonus ...), die Schilderung recht lebendig und anschaulich. Die Satire gegen Fürsten und Hofleben belebt B. nicht etwa nur durch den Streitdialog, weit mehr dadurch, daß er möglichst Situationen aus dem Leben darstellt, mit kräftigen Farben malt und verschiedene Menschentypen vorführt wie den überheblichen Kaufmann, den reichen Handwerker und begüterten Meier, den eingebildeten hohen Geistlichen und den verschuldeten Fürsten. Seine dichterische Kraft ist nicht groß, wie schon die Reimtechnik (s. LANGOSCH, Hist. Vjschr. 30 [1936] 507) oder die inkonsequente Dialogführung belegen. So ragt sein Werk nicht über den guten Durchschnitt hinaus und besitzt seinen Wert vor allem im Kulturhistorischen; das nicht kleine Bild, mit dem er die damaligen Zustände schildert, beruht offensichtlich zum großen Teil auf eigenen Erlebnissen. Daher ist es auch verständlich, daß der 'Palpanista' im MA recht verbreitet war; das bezeugt die Zahl der Hss. und Drucke, auch die Einreihung in die Schulautoren bei —> Hugo von Trimberg, der ihn auch im 'Renner' (v. 649-712) verwertet hat. L i t e r a t u r . J. RICHTER, Prolegomena zu einer Ausg. d. Palpanista B.s v. d. G., Diss. Münster 1905; A. BöMER, Das lit. Leben in Münster bis z. endgültigen

Rezeption d. Humanismus, in: Aus d. geistigen Leben u. Schaffen in Westfalen, 1906, S.68-73; H. WALTHER, Das Streitgedicht in d. lat. Lit. d. MAs, 1920, S. 155.

KARL LANGOSCH Bernhard von Gordon Führender Mediziner Montpelliers an der Wende zum 14. Jh. (1283 bis etwa 1308), hat das dt. Fachschrifttum vor allem durch sein Hauptwerk, das 1303 abgeschlossene 'Lilium medicinae' beeinflußt. Noch nicht gesichtete Übersetzungen sind in den Wiener codd. 2864 (wahrscheinlich Prag, um 1400) und 15036 erhalten ( -52 ; md., Anf. 15. Jh.; nur Buch 2 u. 3); der Einfluß des 'Lilium' zeigt sich darüber hinaus in der spätmal. Lepraschau. L i t e r a t u r . H. CARLOWITZ, Der Lepraabschnitt aus B. v. G.s [!] 'Lilium medicinae' in mal. dt. Übers., Diss. Leipzig 1913; E. WICKERSHEIMER, in: Dictionnaire biographique des medecins en France au moyen age, I, Paris 1936, S.75f.; L. DULIEU, La medecine a Montpellier, I, Avignon 1975, S. 199f.; G. KEIL, Rez. zu H. Menhardt,Hss., Nd. Mitt. 15 (1959 [1962]) 73; AfdA 76 (1965) 131; ders., Rez. zu Ausg. Konrad v. Würzburg, von« P. Gereke/I. Reiffenstein, Leuv. Bijdr. 57 (1968) 127-129; V. MERTENS, Noch einmal: Das Heu im 'Armen Heinrich', ZfdA 104 (1975) 293-306, hier S.298 f.

G. KEIL Bernhard von Hildesheim I. Leben. B., von Geburt Sachse (Sigebert von Gembloux, 'Catalogue de viris illustribus' c. 166, hg. v. R. WITTE, 1974, S. 101,1140), war Schüler Adalberts von Konstanz (MGH Lib. de lite II 4628ff·) und vielleicht —»Meinhards von Bamberg. Unter Bischof Rumold von Konstanz (1051-1069) übte B. das Amt des Domscholasters in Konstanz aus und war in dieser Funktion vermutlich seit 1072, sicher seit 1076 in Hil4esheim tätig (MGH Lib. de lite II 4436f·). Mit dem Übertritt des Bischofs Udo von Hildesheim von der päpstlichen auf die kaiserliche Seite (Anfang 1085) dürfte der Weggang B.s, der im Lauf der Jahre ein eifriger Anhänger Papst Gregors VII. geworden war, aus Hildesheim zusammenhängen (nach Mai 1085). B. trat in ein sächsisches Kloster ein und ist als Mönch 1088 gestorben (MGH SS V 4488 ff ·). Daß dieses Kloster

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Corvey gewesen sei, ist eine Erfindung des Johannes Trithemius (Liber de scriptoribus ecclesiasticis, c. 348 [1494], f.52v). II. Werke. B. verfügte über solide Kenntnisse des Kirchenrechts und der Kirchenväter, die er in seinen Schriften häufig kommentarlos aneinanderreiht. Dazu kommt eine teilweise schwülstige Sprache, so daß seine Werke einen schwerfälligen Eindruck machen. 1. 'De d a m n a t i o n e s c i s m a t i c o r u m epistola secunda'

ten. Ausgehend von der Mainzer Synode 1085 charakterisiert B. dann die königlichen Gegenbischöfe als Ketzer und Eindringlinge in die Kirche, die die Sakramente nicht wirksam verwalten können (c. 31-46).

A u s g a b e . F. THANER, MGH Lib. de lite I 471 bis 516; zur Überl. ebd., S.472.

A. REINKE, Die Schuldialektik im Investiturstreit (Forschungen z. Kirchen- u. Geistesgesch. 11), 1937, S.38 bis 40; C. ERDMANN, Stud. z. Brieflit. Deutschlands im 11. Jh. (Schr.n d. Reichsinstituts für alt. dt. Gesch.kde [MGH] 1), 1938, S.196-224; H. WEISWEILER, Studi Gregoriani 4 (1952) 136-138; J. AUTENRIETH, Die Domschule v. Konstanz z. Zt. d. Investiturstreits (Forschungen z. Kirchen- u. Geistesgesch. N.F. 3), 1956, S. 135-142; H.-G. KRAUSE, Das Papstwahldekret von 1059 u. seine Rolle im Investiturstreit, Studi Gregoriani 7 (1960) 176-181.

3. ' H i l d e s h e i m e r B r i e f s a m m l u n g ' A u s g a b e . C. ERDMANN/N. FICKERMANN, MGH, Die Briefe d. dt. Kaiserzeit V 15-106; zur Überl. ebd., S. 1-6.

Von den 30 bekannten Hildesheimer Briefen aus den Jahren 1065 bis etwa 1085 ist für neun Briefe Bischof Hezilos von HilAusgabe. F. THANER, MGH Lib. de lite II 29-47; desheim (H. 4, 8,12,13,23-25,47,53) und zur Überl. ebd., S. 3. für drei Lehrerbriefe (H. 50, 52, 59) B. als Dieser Brief aus dem Jahr 1076 an Adal- Verfasser anzunehmen, wie ERDMANN, S. bert von Konstanz enthält die ausführliche 210-224, nachgewiesen hat. Ferner ist das Stellungnahme B.s zu zwei Problemen, um Material für die gesamte Hildesheimer deren Beantwortung er von Adalbert und Briefsammlung, die 60 Schreiben derselben -»Bernold von St.Blasien gebeten worden Zeit umfaßt, entweder von B. oder in seiwar (MGH Lib. de lite II27f.). Die Antwort nem Kreis zusammengetragen worden. B.s auf die erste Frage, ob Gregor VII. die 4. Der sogenannte sächsische Bericht Bischöfe, die ihm in Worms den Gehorsam über die Tagung von Gerstungen-Berka aufgekündigt hatten, ohne förmliches Ver- (1085), der zum Jahr 1085 vom Annalista fahren habe exkommunizieren können, ist Saxo (-> Arnold von Berge und Nienburg) nicht eindeutig: er weist auf die Beachtung (MGH SS VI 721-723) und den 'Magdeder einschlägigen Canones hin und gibt der burger Annalen' (MGH SS XVI176 f.) überVerurteilung durch eine Synode den Vor- liefert wird, dürfte von B. geschrieben worrang (c.4-22). Die zweite Frage betrifft die den sein. Dafür sprechen Stilparallelen zu Gültigkeit der von Simonisten und Exkom- den Hildesheimer Briefen und viele Übermunizierten gespendeten Sakramente. De- einstimmungen mit dem 'Liber canonum'. ren Geltung macht B. davon abhängig, ob Seine Abfassungszeit liegt kurz nach derder Empfänger die Vergehen des Priesters, jenigen des 'Liber canonum'. der das Sakrament spendet, kennt oder L i t e r a t u r . Außer der Rep. font. II 506 genannten nicht (c.23-43). Lit.: G. MEYER VON KNONAU, Jbb. d. Dt. Reiches unter 2. ' L i b e r c a n o n u m c o n t r a Heinri- Heinrich IV. u. Heinrich V., II, 1894, S.709-711; IV, 1903, S.25-35; A. FAUSER, Die Publizisten d. Investicum q u a r t u m ' turstreites. Persönlichkeiten u. Ideen, 1935, S.41-45; Die Schrift ist im Mai 1085 als Auftragsarbeit der auf der Synode von Mainz (Anfang 1085) exkommunizierten gregorianischen Bischöfe verfaßt worden und dem Erzbischof Hartwig von Magdeburg gewidmet. In einem ersten Abschnitt (c. 1-12) wird die These, daß der Verkehr mit Gebannten ausgeschlossen sei, entwickelt; in einem zweiten Teil (c. 13-25) versucht B. die Exkommunikation Heinrichs IV. zu rechtfertigen und die Argumente seiner Anhänger dagegen durch Hinweise vornehmlich aus der Kirchengeschichte zu entkräf-

DETLEV JASPER Bernhard von Konstanz Hildesheim

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Bernhard von Kraiburg

Bernhard von Kraiburg

I. Leben. B. stammt aus Kraiburg am Inn. Der von ihm selbst nie gebrauchte Vatersname Kramer kann auf bürgerliche Abstammung hindeuten. Die Wiener Universitätsmatrikel nennt ihn 1442 als Doktor des kanonischen Rechts. Sein Geburtsjahr wird daher zwischen 1410 und 1420 anzusetzen sein. Urkundlich ist ein Kanonikat B.s nachweisbar sowie die Propstwürde des Klosters Friesach in Kärnten, die er allerdings nur als Pfründe besaß. In seinem fingierten Klagebrief an den hl. Ruprecht vom 1.9.1454 beklagt sich B. über die Mühsal seiner Salzburger Amtsführung, quod per septennium, quo tuts nunc et ultra inhiavi laboribus. Man nimmt daher seinen Amtsantritt in Salzburg i. J. 1447 an. Seine Amtsstellung war nach seinen eigenen Worten die eines cancellarius (auch secretarius, cancellariae obsecutor humilis, humilis servitor und prothonotarius) an der erzbischöflichen Kanzlei. Im Auftrag seiner Vorgesetzten verhandelte er mit Geschick in den Auseinandersetzungen um die Klosterreform des -> Nikolaus von Kues, in den Händeln des Herzogs Sigismund von Tirol mit dem Bistum Brixen, in der Fehde des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz. 1467 zum Bischof von Chiemsee geweiht, erfüllte er dieses Amt bis zu seinem Tod 1477. Neben seinen Reden, Predigten und Briefen hält eine große Bibliothek sein Andenken wach. P. RUF hat ihre Bestände ausfindig gemacht und in ihrer BeschreibungB. als einender ersten Exlibristen nachgewiesen. II. S c h r i f t e n . 1. B.s Schriften zur Rhetorik sind von Interesse für die Entwicklung der frühhumanistischen Kanzleisprache. Sein ältestes, nur bruchstückhaft erhaltenes Werk, das vor 1442 entstandene 'Conceptum pro scientie rhetorice agressione' (einzige bekannte Hs.: München, clm 19835, 286r bis 295r; Auszug gedr. bei JOACHIMSOHN, S. 21 f.) steht in der 'Formulare'-Überlieferung und belegt die häufige Verbindung von Jurisprudenz und Briefkunst. Der nur bis zum Kapitel 'Salutatio' erhaltene Traktat enthält auch die üblichen Synonymenlisten und Anleitungen zur Wortbildung,

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die zu stilistischem Ornatus verhelfen sollen. B.s zweiter Schrift zu diesem Thema, dem Brief mit dem Titel 'De obiectione eum de Deo plurali numero usum fuisse' (Wien, cod. 4975, 9r-llv; gedr. bei JOACHIMSOHN, S. 22-26, und BAUER, S. 135-140), war ein Schreiben B.s vorausgegangen, in dem er bei den Visitatoren, welche die Kusanische Klosterreform durchführen sollten (Bulle Papst Nikolaus' V. vom 24.12.1450), um Nachsicht für die Nonnenklöster gebeten und darin nach humanistischer Schreibart unversehens einmal den Plural dei gebraucht hatte (Wien, cod. 4975, 7r-8r; Melk, Stiftsbibl., cod. 896 (olim G. 23); gedr. bei PEZ, Thes. VI3, S.360f.). Johann ->· Schlitpacher aus Melk, der unter den Visitatoren war, wandte sich scharf gegen diesen Sprachgebrauch, und B. sah sich veranlaßt, sich gegen den Vorwurf der Ketzerei zu verteidigen. Er benutzte in seinem Schreiben dazu Elemente nominalistischer Sprachtheorie und die Spekulation des Nikolaus von Kues über die Pluralität in der Teilnahme am Göttlichen. 2. Die amtlichen theologischen Gelegenheitsschriften B.s bestehen aus der kirchengeschichtlich interessierenden Korrespondenz um die Klosterreform des Cusanus sowie aus Ansprachen und Predigten, unter denen jene erhalten sind, deren rhetorische Beispielhaftigkeit die Niederschrift lohnte. Erwähnung verdient die Begrüßungsansprache an Nikolaus von Kues auf der Provinzialsynode vom 3.2.1451 (Überl. und Druck s. JOACHIMSOHN, S. 6 Anm. 3), deren Salzburger Exemplar (Studienbibl., cod. M I 398, 209r-212v) B.s Autograph ist; sie verbindet Predigt und Preisrede. Von Belang sind ferner zwei dt. Berichte B.s von 1456 (München, clm27063,131vundl32r;gedr. bei JOACHIMSOHN, S. 34-36) über die Entsetzung des von den Türken belagerten Belgrad durch das Heer des Johannes von Capestrano. B.s klarer und mit Genauigkeit berichtender Stil, im Laut- und Wortstand bairisch, zeigt Einflüsse ostmd. Schreibgewohnheiten sowie eine am Lateinischen geschulte Syntax. 3. Die literarischen Briefe B.s bezeugen am deutlichsten den Einfluß des Frühhumanismus. Weit verbreitet (10 erhaltene Hss.;

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Bernhard von der Mark — Bernhard von Peisern

wahrscheinl. Autograph Wien, cod. 3704, 243r-247v) war sein Klagebrief über den Fall von Konstantinopel (gedr. bei PEZ, Thes. VI 3, S. 362-367); er verbindet die Zeitklage mit dem humanistischen Anliegen der Rettung der antiken Kulturgüter. Der zweite große Brief befaßt sich mit dem von wilden Gerüchten entstellten Ableben des jungen Königs Ladislaus Postumus i. J. 1457 (Wien, cod. 3520, und München, clm 4016; Ausg. von CHMEL, WSB 5,1850, S.663 bis 666); er vereinigt rhetorisches Herrscherporträt, Planctus und Laudatio funebris. Der dritte literarische Brief B.s schließt sich an das aktuelle Vorbild -»Petrarcas an. B. richtete ihn an den hl. Ruprecht, schrieb eine fingierte Antwort des Heiligen und schickte beide mit einem Begleitschreiben an Ruprecht Kreuzl, den ihm befreundeten Abt von St. Peter in Salzburg (Budapest, Nationalmus., cod. 1560 fol. misc., 40r-47v; gedr. von JOACHIMSOHN, S. 27-34). III. B.s Schriften zeugen für die rhetorische Kultur der kirchlichen Kanzleien im bayerischen Raum des 15. Jh.s, aber auch für die Ausstrahlung des Denkens des Nikolaus von Kues im Frühhumanismus. Einem der drei Unterredner seines philosophischen Dialogs 'De possest' gab Nikolaus den Namen seines geschätzten Freundes und geistigen Mitstreiters B. L i t e r a t u r . A.M. KOBOLT, Bayr. Gelehrten-Lexicon, Landshut 1795, S. 85; ADB II 418; P. JOACHIMSOHN, B. v. K., Progr. Nürnberg 1901; H. RUPPRICH, Die Frühzeit d. Humanismus u. d. Renaissance in Deutschland (DLE, Reihe Humanismus u. Renaissance 1), 1938, S. 31; P. RUF, Eine altbayr. Gelehrtenbibl., Fs. E. Stollreither, 1950, S.219-239; NDB II 116; LThK II 244; F. BABINGER, Der Quellenwert d. Berichte über d. Entsatz von Belgrad am 21./22.Juli 1456, MSB 1957/6, S. 10 u. 34-36; W. M. Bauer, Die Schr.n d. B. v. K., ein Beitrag z. Entwicklung d. frühhumanist. Rhetorik in Österr., Sprachkunst 2 (1971) 117-172.

bald Trevirensis oder Treviranus geschrieben wird. Sein Hauptwerk, die 'Epistola', nimmt zu einem Brief des Thomas von Bologna Stellung. Der Verfasser gibt sich als Anhänger -»Arnalds von Villanova ('Rosarius'); daneben zitiert er Geber, Avicenna, Morienus, Hermes, Alexander Graecus u.a. Neben lat. Texten finden sich unter seinem Namen auch deutsche, so das 'Buch mit der Sackpfeife' (Bamberg, SB, cod. LIII 28, 16.Jh.), das anderwärts Paracelsus zugeschrieben wird, und 'Von bereitung deß philosophischen steyns' und ein 'Symbolum' (Kassel, Murhardsche Bibl., Ms. ehem. 4° 33). K. SUDHOFF, Paracelsus-Hss., 1898, S. 736, 738; L. THORNDIKE, A History of Magic and Experimental Science III, 1934, S. 611-617 (Verz. d. Hss.).

P. RAINER RUDOLF SDS Bernhard von München In Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 147699, 209r steht eine um 1500 eingetragene Vorschrift zur Behandlung alter und neuer Schäden mit einem Pflaster, das die Überschrift Bernhardus appotecker von München trägt. Der Text enthält sowohl schulmedizinische als auch empirisch-magische Elemente. Der Apotheker B. v. M. ist bisher noch nicht in Münchner Archivalien aufgetaucht. Vielleicht sind demselben Verfasser auch Heilmittel für Krebs und Verstopfung zuzuschreiben, die in Heidelberg, cpg 260 aus dem 16. Jh. überliefert sind (Ain gut purgatz von Bernhart, 61v/62r; Für den kreps von Bernhart, 89V). L i t e r a t u r . G.Eis, Mitt. über fünf unbekannte Rezeptautoren d. 15. Jh.s.Med.Mschr. 15 (1961) 839-842, hier S. 840.

WOLFRAM SCHMITT

WERNER M. BAUER Bernhard von Peisern (Pyzdri) Bernhard von Luxemburg -* Meister Bernart Bernhard von der Mark Alchemist in der 2. Hälfte des 14.Jh.s. Seine Herkunft aus Treviso oder Trier ist unsicher, da sein Beiname bald Trevisanus,

1. Aus Peisern (Pyzdri) an der Warthe stammend, versah er von 1389 (nicht 1398) bis 1419 das Stadtschreiberamt in Posen und findet sich 1405/06 unter den Schöffen. Neben der Abfassung des 'Posener Rechtsbuchs' geht auf ihn die Anlage des ersten Stadtbuchs i. J. 1398 zurück, in dem auch

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Bernhard von Rostock - Bernhard von Uissigheim

das Fragment einer lat. Stadtchronik enthalten ist, die er 1417 im Auftrage des Rats propter memoriam iuvenum niederzuschreiben begann. 2. 'Posener R e c h t s b u c h ' Ü b e r l i e f e r u n g . Poznen, Archiwum Panstwowe Miasta Poznania i Wojewodztwa Poznanskiego, collect. 51, 12r-90v. A u s g a b e fehlt. Auszüge bei GOERLITZ, S. 186-196.

Ausgehend von der ältesten Form des Breslauer -»· 'Systematischen Schöffenrechts', das vermutlich über Glogau vermittelt wurde (-»'Glogauer Rechtsbuch'), gliederte B. den darin enthaltenen Rechtsstoff in vier Bücher (I: Verfassung, Gerichtsbarkeit, Rechtsgang; II: Straf recht; III: Erbrecht; IV: Schuldrecht und Familienrecht; insgesamt 163Vi Kapitel) und ergänzte sie um ZllVi Kapitel aus einem unsystematischen Krakauer Vorläufer der ->· 'Magdeburger Fragen'. Weitere 17 Kapitel entstammen der Posener Rechtspraxis. Das Rechtsbuch wurde bis 1427 in den Büchern II-IV fortlaufend durch für Posen ergangene Magdeburger Schöffensprüche sowie durch den Einschub des 5. Buchs des —> 'Meissener Rechtsbuchs' ergänzt. Als umfassende Vereinigung von MagdeburgBreslauer und Magdeburg-Krakauer Recht stellt das Rechtsbuch ein wichtiges Zeugnis für die seit den achtziger Jahren des 14. Jh.s verstärkt einsetzende Verbreitung der Rechtsliteratur der Oberhöfe Breslau und Krakau nach Norden dar. L i t e r a t u r . A. WARSCHAUER, Die Stadtschreiber v. Posen u. ihre Chron., Zs. d. hist. Ges. f. Posen 3 (1888) 425f.; ders., Stadtbuch v. Posen I: Die mal. Magistratsliste. Die ältesten Protokollbücher u. Rechnungen, 1892, bes. S.*120; TH. GOERLITZ, Das Rechtsbuch d. Stadt Posen, insbes. seine Verwandtschaft mit anderen dt. Rechtshss., ZRG Germ. Abt. 60 (1940) 143-196.

PETER JOHANEK Bernhard von Rostock Im cod. F.4, 209r-212v der Schloßbibl. Berleburg ist ein Pestregimen schätz der wijßheit vnd der kunst verborgenlich überliefert, das von drei Straßburger Ärzten, darunter von B. v. R. gegen 1360 für den Rat der Stadt verfaßt worden ist. Die Hs. stammt aus der 2. Hälfte des 15. Jh.s. Das

Regimen zeigt den konventionellen Aufbau; der 21 l r beginnende Teil Dy suche der pestilentie vnd die behudung dar vor gehörte vermutlich ursprünglich nicht dazu. L i t e r a t u r . K. SUDHOFF, Pestschriften ausd. ersten 150 Jahren nach d. Epidemie d. 'Schwarzen Todes' 1348, Sudhoffs Arch. 16 (1924 [1925]) 12-20.

HARTMUT BROSZINSKI Bernhard von Schwalbach -»Girnant von Seh. Bernhard von Stencz Sein Vorname weist in der Literatur auch die Schreibungen Bern(n)ard auf. Bekannt sind von ihm nur zwei vierzeilige Widmungsgedichte an Friedrich III. (Ad divum Fredericum Romanorum Imperatorem) und ein Kalendarium, das die Jahre 1482-1500 umfaßt. Beide sind in der Hs. Wien, cod. 2683 (Philol. 212), die Ende des 15. Jh.s datiert ist, überliefert. Das Kalendarium enthält Neu- und Vollmondtafeln (13V—22V) und Tabellen der Sonnen- und Mondfinsternisse für die Jahre 1482-1500 (23V-24V), Angaben der günstigsten Tage für das Aderlassen und die Purgation (25v-31r), sowie astrologische Angaben. L i t e r a t u r . F. SAXL, Verzeichnis astrol. u. mythol. illustr. Hss. d. lat. MAs II. Die Hss. d. Nat.-Bibl. in Wien, HSB, phil.-hist. Kl. 15 (1924/25), 1927, S. 110f.; MENHARDT, Hss. l 109 f.

ERHART KAHLE Bernhard von Uissigheim 1. Als Verfasser des Gedichts vom 'Würzburger Städtekrieg' nennt sich B. von Ussigkheim (Hss.-Kl. B, v. 1012). LILIENCRON wies ihn dem westschweizerischen Geschlecht 'von Utzingen' zu. Näher aber liegt eine Identifizierung mit einem Angehörigen des fränkischen Geschlechts der Herren von Uissigheim, die im 13. und 14. Jh. als Würzburger Domkanoniker und Lehenträger bezeugt sind, obwohl sich ein B. v. U. um 1400 bislang nicht urkundlich nachweisen läßt. Der von LILIENCRON bei der Zuweisung herangezogene Reim in v. 1012/ 13 auf gelingen bleibt auch durch die im

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Bernhard von Utrecht

15. Jh. belegte Form Ussinken für Uissigheim gewahrt. 2. ' W ü r z b u r g e r Städtekrieg' Ü b e r l i e f e r u n g . Zusammengestellt von LILIENCRON, Hist. Volkslieder 1195, sowie MSB 1870; sie bedarf jedoch einiger Korrekturen: A. 1. Hamburg, SB u. ÜB, cod. Hist. 52 f., 189-254 (verschollen); 2. München, ÜB, cod. ms. 4° 494, 2'-50r. B. l Druck v.J. 1527; 2. Würzburg, ÜB, cod. M.ch.q. 147, 88r-97v. C. 1. 'Stiebersche Hs.' (verschollen; repräsentiert durch Druck bei REINHARD) ; 2. 'Hs. der Beckschen Buchhandlung' (verschollen);3. 'Hs. des Ver.s f. frk. Gesch., Würzburg' (nicht feststellbar); 4. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-BibL, cod. Guelf. 16 Blankenburg, 271r ff. A u s g a b e . J.P. REINHARD, Beyträge zu der Historic Frankenlandes II, Bayreuth 1761, S.261-328; LILIENCRON, Hist. Volkslieder I 164-195, Nr.40.

Das Werk besteht aus 2216 Versen in Reimpaaren und behandelt den Konflikt zwischen Bischof Gerhard von Schwarzburg und der Stadt Würzburg am Ende des 14. Jh.s. Unter der aus den beiden letzten Jahrhunderten des MAs reich überlieferten historischen Kleindichtung stellt es das umfangreichste Beispiel seiner Art dar. Der Hauptteil des Gedichts ist deutlich in zwei Teile geschieden, die offenbar zu verschiedenen Zeiten entstanden sind: 1. Schilderung des Bürgeraufruhrs von 1397 (v. 1-854). 2. Kurze Überleitung mit Kritik an König Wenzel, der Würzburg für kurze Zeit Reichsfreiheit verlieh (v. 855-1010), zur Darstellung der Schlacht bei Bergtheim 1400, die mit der Niederlage der Bürgerschaft endete und das Ende der städtischen Autonomiebestrebungen bedeutete (v. 1011 bis 1946). Daran schließen sich verschiedene Anhänge, von denen einer (v. 1989-2178) ursprünglich wohl ein selbständiges Spottlied darstellte, das die Bergtheimer Schlacht mit einem Wildbad verglich. Nur in der Hss.-Klasse C ist ein bürgerfreundlicher Epilog angefügt (v. 2178 a-u). Der Verfasser des Hauptteils, B. v. U., offenbar ein Kenner deutschsprachiger Literatur (v. 1158 Anspielung auf -»Neidhart), schreibt als Gegner der Bürger, deren Aktivitäten er mit scharfer Satire geißelt, und als Vertreter des mit dem Bischof verbündeten Stiftsadels, dessen Verdienste in v. 1723-38 hervorgehoben werden. Dies und die genaue Kenntnis der Würzburger Verhältnisse lassen ebenfalls als Verfasser

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einen Angehörigen der fränkischen Ritterschaft vermuten. 3. Die Überlieferung gehört ganz dem 16. Jh. an. Durch die Ereignisse des Bauernkriegs, in dem sich die Stadt Würzburg wieder auf seiten der Aufständischen befand, erlangte das Gedicht erneute Aktualität und konnte, durch den Druck verbreitet, den wiederum Unterlegenen als politisches Exempel vorgehalten werden. L i t e r a t u r . LILIENCRON, Hist. Volkslieder l 161164; R. v. LILIENCRON, Nachträge z. Nr.40 d. hist. Volkslieder u. zu d. Bruchstücken d. Simon'schen Reimchron. bei Lorenz Fries, MSB 1870/11, S. 373-385; EHRISMANN, LG II 2,2, S. 525-527.

PETER JOHANEK Bernhard von Utrecht 1. Als den Verfasser des anscheinend ältesten und verbreitetsten Kommentars zur 'Ecloga' des -»Theodulus nennt sich der Utrechter Kleriker Bernardus, Lehrer an der Domschule unter Bischof Konrad (1076 bis 1099), dem er sein Werk widmete. -»Sigebert von Gembloux zählt ihn um 1111/1112 in 'De viris illustribus' (PL 160, Sp. 586) unter die namhaften Autoren seiner Zeit. Weitere Daten zur Bestimmung von B.s Lebenszeit und Lebensgang liegen nicht vor. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . 9 bekannte Hss., darunter 6 des 12.Jh.s; vgl. HUYGENS, 1970, S.8f. Eine Analyse der nicht einheitlichen, teilweise auch fragmentarischen Überl. steht noch aus. A u s g a b e n . B.s Widmungsbrief an Bischof Konrad und die Einleitung (Accessus) zum Kommentar bei HUYGENS, 1970, S.55-69; Auszüge bei E. MARTENE/ U. DURAND, Amplissima Collectio I, Paris 1724, Sp. 512, und FREY, S. 14-19; dazu s. HUYGENS, 1970, S. 7. Eine vollst. Ausg. bislang nur maschinenschriftlich: M. Y. JACOBS, Bernard's Commentum in Theodolum, Chapel Hill 1963. Krit. Ausg. demnächst von HUYGENS.

3. Die 'Ecloga', ein nach dem Formvorbild Vergils (ecl. 3) gedichteter Singwettstreit zwischen Pseustis ('Lügner'), der Stoffe des antiken Mythos, und Alithia ('Wahrheit'), die jeweils vergleichsfähige biblische Stoffe vorträgt, war im 11. Jh. ein neben -> 'Cato' und Avian der Elementarlektüre dienendes eingeführtes Schulbuch. B.s Kommentar erwuchs, wie er im Brief an Bischof Konrad ausführt, der eigenen

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Bernhard von Utrecht

Lehrpraxis. Daß er nicht ein biblisches oder antikes Buch, sondern eines, das allenfalls zwei Jahrhunderte zählte, zum Gegenstand der Auslegung machte, war freilich ohne Beispiel. Er selbst sah Anlaß, einer möglichen grundsätzlichen Kritik vorsorglich in einem Exkurs entgegenzutreten: Alter sei kein geeignetes Kriterium der Wertung, die christliche 'Ecloga' antiken Werken durchaus ebenbürtig; die Bibel, aus der sie schöpfe, werde durch sie nicht verletzt. 4. Der Kommentar gliedert sich in eine allgemeine Einleitung (Accessus), in die umfangreiche eigentliche Textauslegung und in einen dritten Teil, der lexikalischen Erläuterungen gewidmet ist. Der Einleitung liegt zunächst das Accessus-Schema der antiqui mit seinen sieben, dann das der moderni mit seinen vier Punkten zugrunde. B. ordnet die beiden Arten des Accessus dabei nicht gleich, bestimmt ihr Verhältnis zueinander vielmehr nach einem geschichtstheoretischen Kriterium, das auch in seiner Verteidigung der 'Ecloga' mitspielt: Von den moderni gilt: quanta tempore posteriores, tanto indagatione sunt discretiores (S. 66); ihr Accessus geht methodisch über den der antiqui hinaus, ohne diesen doch abzulösen. Die Einleitung, die viel allgemeines Wissensgut bietet (u.a. ein Kompendium der lit. Gattungslehre), schließt mit Angaben zur Methode der Auslegung, die B. ähnlich schon am Ende des Widmungsbriefes erläuterte: Die Auslegung soll dreifach erfolgen, ad literam et allegorice et plerisque in locis moraliter (S. 56). Es ist B.s Überzeugung, daß nicht anders als biblische auch heidnische Texte die Erkundung, quid sub littera lateat, mit Erkenntnisgewinn belohnen. 5. Dem Programm entspricht die Durchführung. Zunächst erläutert B. bei den Pseustis- (mytholog. fabulae) wie bei den Alithia-Strophen (historiae des AT) jeweils den in der 'Ecloga' oft nur andeutenden Wortlaut, geht dann zur meist zweifachen Allegorese über, fabulae und historiae sind gleichermaßen indes nur der moralischen Auslegung offen. Die Ebene des heilsgeschichtlichen Sinns bleibt den historiae vorbehalten ; ihr steht bei den fabulae die euhemeristische Erklärung gegenüber.

Die Unterschiede des exegetischen Vokabulars, die man bemerkt hat (KLINCK, S. 183), mystisce und physice bei der Mythenallegorese, allegorice und moraliter bei der Bibelauslegung, entsprechen dabei nur verschiedenen terminologischen Traditionen; mystisce und physice dürften für B. auf Fulgentius ('Expos. Virgil, cont.') zurückgehen.

Erstaunlich ist, daß Thema und Struktur der 'Ecloga', die dialogische Parallelisierung von Mythos und Bibel, die B. in der Einleitung zwar einläßlich bespricht, für die Auslegung des Textes selbst bedeutungslos, ja gänzlich außer Acht bleiben. Darin äußert sich eine beträchtliche Verselbständigung des Kommentars, dessen vernehmliches Interesse, gemessen an der durchgehend größeren Ausführlichkeit und Intensität der Auslegung, beim Mythos liegt, seiner moralischen Deutung als similitudo vitae. 6. Hauptquellen B.s sind Isidor, Fulgentius, der Vergilkommentator Servius. Er selbst wurde reichlich exzerpiert von ->· Konrad von Hirsau in dessen 'Dialogus super auctores'. Seine weitere Wirkungsgeschichte harrt noch der Untersuchung. L i t e r a t u r . J. FREY, Über d. mal. Ged. Theoduli ecloga u. d. Kommentar d. Bernardus Ultraiectensis, 1904; M. MANITIUS, Geschichtliches aus mal. Bibl.katalogen, NA 32 (1907) 549-709, hierS.696 (unkrit.); J. OSTERNACHER, Rekonstruktion d. Theodulhs. B.s v. U., Progr. Urfahr b. Linz 1915, S.7-36; MANITIUS, LG III 194-196; E. R. CURTIUS, Europ. Lit. u. lat. MA, 2 1954, S.59-61 u. 266; R.B.C. HUYGENS, Notes sur le Dialogus super auctores de Conrad de Hirsau et le Commentaire sur Theodule de B. d' U., Latomus 13 (1954) 420-428; K. HEITMANN, Typen der Deformierung antiker Mythen im MA, Roman. Jb. 13 (1963) 45-77, hier S.51f.; H.SILVESTRE, 'Quanto iuniores, tanto perspicaciores' in: Recueil commemoratif du Xe Anniversaire de la Faculte de Philos. et Lettre de PUniv. LovaniumdeKinshasa,Louvain-Paris 1968, S.231-255, hier S.233f.; R. KLINCK, Die lat. Etymologie d. MAs (Medium Aevum 17), 1970,5.169-184 u. 186f.;R.B.C. HUYGENS, Accessus ad Auctores, B.d'U., Conrad d'Hirsau, Leiden 1970; G.GLAUCHE, Schullektüre im MA (Münchner Beitr. z. Mediävistik u. RenaissanceForschung 5), 1970, S. 53. F. J. WORSTBROCK

Bernhard von Utzingen Uissigheim

•Bernhard von

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Bernhard von Waging

Bernhard von Waging I. Leben. Geb. um 1400 in Waging (bei Traunstein). Baccalaureus art. in Wien. Um 1430 Eintritt in das Augustinerchorherrenstift zu Indersdorf, 1446 Übertritt in das Benediktinerkloster S.Quirin zu Tegernsee (Profeß 8.12.1447), dort Prior von 1452 bis 1465. Seit etwa 1468 Beichtvater der Nonnen des Benediktinerinnenklosters Bergen bei Eichstätt. Gest. am 2.8.1472 in Bergen. Unter den bedeutenden Tegernseern Äbten Kaspar Ayndorffer (1426-1461) und Konrad Airimschmalz (1461-1492) entwikkelte sich B. zur führenden geistigen und politischen Persönlichkeit. Seit dem Besuch des —»Nikolaus von Kues in Tegernsee (1452) stand er mit diesem im Briefwechsel und lieferte einen wesentlichen Beitrag zur Kontroverse über die mystische Theologie. Er unterstützte Nikolaus bei der Reform der Klöster der Brixener Diözese. Er hatte enge Verbindungen zu Johannes —>· Schlitpacher (von Weilheim) (1403-1482), Prior von Melk, zu Peter von Schaumberg, Kardinal von Augsburg (1424-1469), und -> Johann von Eich, Bischof von Eichstätt (1445 bis 1464), im Rahmen der süddeutschen Klosterreform. Bedeutsam war seine Tätigkeit bei den Unionsbestrebungen der Melker-, Kastler- und Bursfelder Observanz. B. ist viel gereist; eine Aufzählung von Orten, die er zwischen 1454 und 1464 besucht hat, bei REDLICH, S. 91 Anm.2. Ein Itinerar wäre wünschenswert. - B.s Übersiedlung nach Bergen wird kaum vor 1468 erfolgt sein. Noch 1467 werden Briefe an ihn nach Tegernsee geschickt (s. München, clm 19697, f.!78 r ~ v u. 179V bis 180r), auch sind Konventansprachen in Tegernsee aus d.J. 1467 überliefert (s.u. II, Nr.21).

II. Werke. Anzahl, Datierung u. Überl. der Werke B.s sind vielfach unerforscht, die meisten Arbeiten zudem ungedruckt; es kann hier nur eine vorläufige Übersicht geboten werden. - Die Tegernseer Überl. zeigt folgende Arbeitsweise: B. ließ zunächst nach Diktat oder Konzept eine vorläufige Reinschrift herstellen (überwiegend von einem Schreiber, der namentlich noch nicht identifiziert werden konnte), die er dann - oft sehr intensiv - korrigierte. Solche korrigierten Hss. werden bei der folgenden Zusammenstellung durch den Vermerk 'Korrekturhs.' hervorgehoben.

1. 'Laudatorium doctae ignorantiae necnon invitatorium ad amorem eiusdem'

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Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f.!45r-147v (alte Zählung: f.!39r-141v); clm 14213, f.!40v-142r; clm 18591, f.94r-97r; clm 18600, .189 -19 ; clm 18711, f.!0r-12r; Melk, Stiftsbibl., cod.650 (356 G. 16), f. 230r-232v (Hs. verschollen); cod. 1405 (427 H. 46), f. 191V-193V; die bei LINDNER, S. 88 aufgeführte Hs. Melk, Stiftsbibl., cod. H. 115 existiert nicht. Die Hs. Wien, cod. 3538, enthält den Traktat nicht, fehlerhafte Angabe bei J. UEBINGER, Die Gotteslehre d. Nicolaus Cusanus, 1888, S. 69 Anm. l, übernommen von VANSTEENBERGHE, S. 163. Ausgabe. VANSTEENBERGHE,S. 163-168 (nachclm 18600).

Entstanden 1451/52. - B. hatte 1451 die Schrift des Nikolaus von Kues 'De docta ignorantia' gelesen. Zum Inhalt s. VANSTEENBERGHE, S. 4-15. 2. 'Acta visitationis et reformationis parthenonis S. Mariae Suneburgensis', ein 1455 mit den übrigen Visitatoren für Nikolaus von Kues verfaßter Bericht. Ü b e r l i e f e r u n g . 'Missivbuch' des Klosters Sonnenburg (Innsbruck, Landesregierungsarch., Hs. 2336, f. 197-208) in dt. Übers., s. A.JÄGER, Der Streit d. Cardinais von Cusa mit d. Herzoge Sigmund von Österreich als Grafen von Tirol, Bd. l, Innsbruck 1861, S. 131-135; ferner H.HALLAUER, Eine Visitation d. Nikolaus von Kues im Benediktinerinnenkloster Sonnenburg, Mitt. u. Forschungsbeitr. d. Cusanus-Ges. 4 (1964) 104-125, bes. Anm. 65.

3. 'Epistola seu tractatus contra illicitum carnium esum monachorum ordinis S. Benedict!' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 3116, f.79r-125v; clm 4396, f.63r-118r; clm 4789, f.!67r-212v (frgm., Anfang u. Schluß fehlen); clm 5951, f.64r-143v; clm 7008, f. 160ra-185rb; clm 7066, f. 178r-211v; clm 18564, f. 50r-88v; clm 18600, f. 260r-310v; clm 19608, f. 74r bis 100V (Korrekturhs.); Eichstätt, SB u. ÜB, cod. 366, f. 2-58; London, Brit. Mus., cod. Add. 21146, f. 1-56; Melk, Stiftsbibl., cod. 960 (1-A.l), p. 351-403; Wien, cod. 3595, f. 142r-179v. - Der im Melker Bibl.katalog (Bd. l, Wien 1889) auf S. 2 unter Nr. 7 (zu cod. 960) aufgeführte Traktat 'Lamentationes et threni super excidio ac desolatione conversationis et vitae monasticae' (Titel fingiert) bildet nur den Schlußteil der 'Epistola', als Einzelwerk verzeichnet bei LINDNER, S. 89.

Entstanden 1456. - Geschrieben für P. Martin Imler im Kloster Wiblingen. 4. 'Responsio ad quaedam argumenta contra aliqua dicta in quaestione de esu carnium monachorum O.S.B.'

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Bernhard von Waging

Johannes Schlitpacher hatte einige Einwände gegen B.s Traktat formuliert, Brief vom 27.8.1458 an B., überl. in Melk, Stiftsbibl., cod. 960 (l - A.l), p.405f. PEZ (1725), praefatio unter Nr.2, hat die 'Responsio' in einem Tegernseer Codex gesehen, heute nicht mehr auffindbar. - Die im Melker Bibl.katalog S. 2, Nr. 8, B. zugeschriebene 'Brevis confirmatio conclusionum in tractatu contra illicitum carnium esum' (übernommen von LINDNER, S. 89), überliefert in Melk, Stiftsbibl., cod. 960 (l - A.l), p.404 (Titelfingiert),stammt nicht von B., sondern vermutlich von Johannes Schlitpacher (kurze Zusammenfassung verschiedener Einwände).

5. 'Dialogus more didascalico per quendam editus de esu et abstinentia carnium professorum regulae S.Benedict! fortium et sanorum' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f,136r-144r (alte Zählung: f.!30r-138r); clm 7008, f.!86ra-191va; clm 18548b, f.240r-246v; Melk, Stiftsbibl., cod. 990 (793-0.30),f.l09r-115v.

Entstehungszeit unbekannt. — Dialog zwischen einem Magister und einem Discipulus. 6. 'De materia eucharistiae sacramenti tractatus epistolaris' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm4404, f. 163r-169v; clm 5951, f.!44r-155r; clm 7008, f.220va-228va; clm 7066, f.96r-102v; clm 18564, f.93r-98v.

Entstanden nach REDLICH, S. 109,1456. Adressat sind die Mönche von S.Ulrich und Afra in Augsburg. 7. 'Tractatus de morte necnon de praeparatione ad mortem seu speculum mortis' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 3115, f.l'-141r; clm 4404, f.lr-162'; clm 7008, f.3vb-77ra; clm 9737, f.84ra-170vb; clm 18596, f.96T-213r (Korrekturhs.); clm 18599, f. 2r-166r; Melk, Stiftsbibl., cod. 650 (356 G. 16), f.llr-140v (Hs. verschollen).

Entstanden nach RUDOLF, S. 92, 1458. Vermutlich bezieht er sich auf PEZ (1725), praefatio unter Nr. 5, wo die heute verschollene Melker Hs. als i. J. 1458 geschrieben erscheint. - Zum Inhalt des in vier Teile gegliederten Werkes s. RUDOLF, S. 92 bis 95. 8. 'Defensorium laudatorii doctae ignorantiae' Überlieferung. München, clm 4403, f.!48r-156v (alte Zählung: f. 142r-150v); clm 18591, f.80r-93v;

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clm 18600, f.!92r-199r; Melk, Stiftsbibl., cod. 650 (356 - G. 16), f.236r-243v (Hs. verschollen); cod. 862 (843 - P.33), f.HOr-118r (Hs. verschollen); die bei LINDNER, S. 88, aufgeführten Melker Hss. cod. H. 115 u. cod. J. 53 existieren nicht. Ausgabe. VANSTEENBERGHE, S.169-188 (nach clm 18600).

Entstanden 1459. - B. antwortete damit auf Schriften des -»Vinzenz von Aggsbach, der sich 1453 und später aus einer affektivantiintellektualistischen Haltung heraus (im Anschluß an -»Hugo von Balma) gegen Johannes —> Gerson und seine Verteidiger, insbesondere B. und Marquard Sprenger aus München, richtete. Zur Kontroverse s. VANSTEENBERGHE und ROSSMANN, S. 389 bis 408. 9. 'De cognoscendo Deum' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 3033, f.83 ra bis 112vb; clm 4403, f.!83r-219v (alte Zählung: f. 177r bis 213V); clm 18591, f. 2r-79r (Korrekturhs.); clm 18600, f. 127r-188v (Korrekturhs.); Melk, Stiftsbibl., cod. 650 (356-G. 16), f. 184r-226r (Hs. verschollen); Wien, cod. 3595, f. 180r-238v. - Das Verhältnis der beiden Korrekturhss. ist folgendermaßen: B. ließ zwei vorläufige Reinschriften anfertigen und korrigierte den Text in clm 18600, dessen Korrekturen dann in clm 18591 übertragen wurden. In einem zweiten Arbeitsgang korrigierte er erneut den clm 18600; diese Korrekturen finden sich nicht mehr im clm 18591. A u s g a b e . GRABMANN, 1921, S. 129-135: Einzelausg. des c.9 (nach clm 18600, f.!53v-157r).

Entstanden 1459. - Das 17 Kapitel umfassende Werk bietet eine ausführliche Widerlegung der Thesen des Vinzenz von Aggsbach. Vinzenz unterzog das Werk einer Kritik in einem Brief an Johannes Schlitpacher vom 15.12.1459 (abgedr. bei PEZ, Thes. VI 3, S. 349-353). 10. 'Consolatorium seu remediarium tribulatorum' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f.!02r-128r (alte Zählung: f.96r-122r); clm 7007, f. 109ra-137va; clm 18548b, f.!25r-162r; clm 18600, f.201r-219r (Korrekturhs.).

Entstanden 1461. Zur Textgeschichte s. AUER und HÖVER, S. 174ff. - Gewidmet Bischof Johann von Eich. Umfaßt einen Prolog und 9 Kapitel. 11. 'Exhortatio commendatoria simul quod ad bonum initiatoria eius, cui ista

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scripta specialiter sunt facta' (in elm 18548b von der Hand des Tegernseer Bibliothekars Ambrosius Schwerzenbeck der Titel zugefügt: Tractatus de consecratione monialium'). r

v

Ü b e r l i e f e r u n g . München, elm 4403, f.85 -101 (alte Zählung: f.77r-93v); elm 7007, f.l43ra-160ra; clml8548b, f.!73r-182r.

Entstanden 1461. - Gewidmet der Äbtissin Barbara des Benediktinerinnenklosters Bergen bei Eichstätt. 12. Ordinarium missae practicum' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 7007, f.2ra-109rb; clm 18548b, f.2r-100r. Die Abschnitte 'Praeparatorium ad missam per gratiam et ad communionem' (clm 18548", f.52r-55r u. 59v-60r) u. Titulo vel intentione sacrificium altaris a sacerdote debet offerri' (f. 60V bis 61') sind einzeln überliefert in clm 7066, f. 102v-109r u. clm 18564, f.H3r-119r (in beiden Hss. erweitert um das Versgedicht 'Forme vivendi, quo tendas, prefice finem' des Johannes Schlitpacher) sowie in clm 18964, f.3 r -ll r . Auszüge aus Teil 2 u. 3 in clm 14973, f.!69r bis 190r.

Entstanden 1461/62. - Gewidmet Bischof Johann von Eich. Das Werk ist in vier Teile gegliedert: a) Prolog (clm 18548", f.2r-3r); b) 'Praeparatoria in ordinarium de missa celebranda' (3r-38r); c) 'Formula communis per simplicibus ad celebrandum seu communicandum se disponendi' (39r—76r); d) Ordinarium missae cum practica in ea servanda' (78r-100r). Zum Inhalt s. FRANZ. 13. 'Speculum (seu monitorium) pastorum et animarum rectorum' r

v

Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f.9 -31 (alte Zählung: f. lr-23v); clm 7007, f. 168vb-169ra (Prolog) u. f.218ra-231ra (Text); clm 18548", f.lllv-124v.

Entstanden 1462. - B. hatte Bischof Johann von Eich 1461 aufgesucht, der den Ordensleuten vorwarf, sich zu wenig um die Seelsorge zu kümmern. B. verteidigt sich mit diesem dem Bischof gewidmeten Traktat.

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vom 8.12.1462) B.s Ausführungen im 'Speculum pastorum' widersprochen. Zur Kontroverse s. WILPERT (1953). 15. 'Declaratio huius passus regulae S. Benedict! In omnibus omnes magistram sequatur regularrf Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 18565, f.257r bis 259r.

Gerichtet an Konrad Airimschmalz, Abt von Tegernsee seit 1461. 16. 'Confessionale seu tractatus de confessione' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 3116, f.lr-36"; clm 4783, f.!21r-138r (frgm.); clm 5951, f.l r ^U r ; clm 7008, f.!97ra-212ra; clm 7066, f.H9r-153r; clm 18564, f. -30 . - Dem Traktat sind in der Regel mehrere Anhänge beigefügt, die ihm wohl ursprünglich zugehören (Reihenfolge u. Blattangaben nach clm 18564): a) 'Confessio compendiosa' (31r-33r); b) 'Absolutio in anno iubileo' (33V-34V); c) 'Confessio brevis' (37r-44v); d) 'De casibus excommunicationis maioris' (45r—47r)· Diese Anhänge sind in wechselnder Reihenfolge und unterschiedlichem Umfang auch enthalten in: München, clm 3116, f.36v-47r; clm 5951, f.41v-63v; clm 7008, f.212ra-218vb; clm 7066, f. 153r-166v.

Entstehungszeit unbekannt. - Enthält eine Aufzählung von Verstößen gegen die Zehn Gebote sowie eine Beschreibung der Hauptsünden wie superbia, acedia etc. 17. 'De forma servanda in excommunicando et qualiter sententia excommunitionis in subditos ferenda sit' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 18564, f. 47V bis 49 . V

18. 'De spiritualibus sentimentis et perfectione spirituale'

Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f.41r-78r (alte Zählung: f.33r-69r); clm 7007, f. 176vb-210ra; clml8548 b , f.!92r-219y.

Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 18598, f.3r-205r; clm 18600, f.3'-126r (Korrekturhs.); Melk, Stiftsbibl., cod. 733 (353 - G. 13), p. 1-405 (Korrekturhs.); die bei LINDNER, S. 88, aufgeführte Melker Hs. K. 62 existiert nicht. Ausgabe. PEZ, Bibl. asc. V, 1724, S. 1-404; es handelt sich um die 1617 entstandene Bearbeitung des Werkes durch den Kartäuser Anton Volmar, der stilistisch änderte, insbesondere Kürzungen vornahm (es fehlen gänzlich: Prolog, aus Teil l c. l, 7, 8, 9, 16, aus Teil 2 c. 10).

Entstanden 1463. - Johann von Eich hatte in einer kurzen Abhandlung (Begleitbrief

Entstanden ca. 1463/64. Dies ergibt sich aus folgendem: In Teil l, c. l, bezieht sich B.

14. 'Defensorium speculi pastorum'

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auf den 1459 entstandenen Traktat 'De cognoscendo Deum' (s.o. Nr.9). In clm 18598 steht am Ende von Teil 2, c. 29 (197V) Amen 1464 (durchgestrichen) sequitur aliud capitulum. Auch in clm 18600 ist hier (121r) eine Arbeitsunterbrechung erkennbar. Die hinzugefügten Schlußkapitel entstammen im wesentlichen dem Traktat 'De lumine increato' des -»Johannes von Kastl, s. SUDBRACK II 3 und 208. Das Werk ist vielleicht Johannes Schlitpacher, dem langjährigen Vermittler im Streit um die mystische Theologie, gewidmet. Die Melker Hs. ist in Tegernsee entstanden (p. 1-276 vermutlich von Oswald Nott geschrieben, p. 277-405 von dem Hauptschreiber der 'Korrekturhss.') und zeigt Korrekturen von B.s Hand auf, so daß an ein Dedikationsexemplar zu denken ist. Der clm 18600 weist jedoch dieselben Korrekturen auf. Das Werk umfaßt einen Prolog und zwei Teile (Teil l mit 16 c., Teil 2 mit 32 c.). Im Vordergrund steht die praktische Erfahrung der via unitiva ad Deum (vgl. GRABMANN, 1946, S.91 ff.). Der 2.Teil bietet überwiegend eine Übersetzung von -> 'Das Buch von geistlicher Armut', auf die SUDBRACK II, S. 3 Anm., zuerst hingewiesen hat. In Tegernsee war eine Hs. von diesem Werk vorhanden, geschrieben 1455 (jetzt cgm 781). Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß B. selbst diesen Text übersetzt hat. Zum Verhältnis B.s zu dt. Texten s. auch u. Nr. 23. 19. 'Epistola de quadam visione cuiusdam virginis' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f.!29r-135v (alte Zählung: f. 123r-129v).

Anonym und undatiert überliefert. Das Werk stammt vielleicht von B., da der clm 4403 fast ausschließlich seine Arbeiten enthält und der Text thematisch mit dem Traktat 'De spiritualibus sentimentis' (s. o. Nr. 18) zu verbinden ist. 20. 'Remediarius contra pusillanimes et scrupulosos' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 4403, f.!62r-181r (alte Zählung: f. 156r-174r); clm 6977, f.227ra-242rb; clm 18600, f. 220r-251r; clm 21640, f. 275ra-295rb. Nach AUER, S. 317, enthält der clm 7714, f. 96r-100v

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Exzerpte. Dieser Traktat 'XII remedia contra temptationes huius temporis' (häufig überliefert) stammt jedoch nicht von B., sondern vermutlich von Johannes Schlitpacher (Widmung in clm 20171, f. 63V Domino Conrado abbate in tegernse auf eo absente patri priori ibidem). Ausgabe. PEZ, Bibl. asc. VII, 1725, S. 447-525.

Entstanden 1464/65. - Der Adressat ist unsicher. Die Hss. clm 4403,6977 und 21640 bieten einen Prolog, wonach der Traktat dem Generalvikar Johannes Goldner in Regensburg gewidmet ist. In clm 18600 fehlt dieser Prolog, enthält aber ein (den 'Remediarius' nicht ausdrücklich erwähnendes) Widmungsschreiben an Propst Franziskus Schlick in Regensburg (251r, abgedruckt bei PEZ, S.445f.). Ambrosius Schwerzenbeck sah diesen als Adressaten an und ergänzte den Namen in der Zuschreibung auf 220r des clm 18600 ad quendam doctor em decretorum canonicum ratispone durch den Zusatz magistrum franciscum schlick, AUER, S. 316, hält beide Zuweisungen für unrichtig; ausgehend von einer unklaren Formulierung bei PEZ (1725), praefatio, nimmt er Johann von Eich als ursprünglichen Empfänger an. 21, Predigten Ü b e r l i e f e r u n g . Das Predigtwerk B.s (Ansprachen vor dem Tegernseer Konvent) liegt im wesentlichen in zwei Sammelhss. vor: München, clm 18572, f. 1'-34 (A); lr-316v: eine nicht immer richtig geordnete Sammlung von 71 'Sermones de tempore et de sanctis", 317 -34 : 7 'Collationes in professionem fratris' (bzw. fratrum}. Die Predigten umfassen den Zeitraum von 1451-59. München, clm 18591, f.H3r-163r (B): 22 'Sermones de tempore'. B überschneidet sich nicht mit A und bietet offensichtlich Predigten der sechziger Jahre (datierte Predigten stammen von 1467). Von den in A und B enthaltenen Predigten haben sich verstreut in den Hss. München, clm 18987 (C), clm 19857 (D) und clm 19819 (E) zahlreiche 'Korrekturhss.', wohl korrigierte Konzepte, erhalten. Diese Hss. bieten oft die in A und B überwiegend fehlenden Datierungen. Es entsprechen sich: A 3r-6v = E 313V-314V (frgm.); A 10"-14V = D 220r-225r; A 17r-19v = C 121r-124v (von 1456); A 20r-24r = D 113r-118r; A 47V-50V = D 109M12" (von 1455); A 51r-57v = C 281v-288r; A 67v-72r = C 214'-22 (von 1453); A 83V-86V = D 149r-152v (von 1457); A 128r-132v = C 80r-87r; A 160v-165r = C 208r-213v; A 191r-196v = D 20'-25V; A 213r-216v = C 36r-42r (von 1453); A 245r-247" = D 37r-39v u. 40' (von 1456); A 262V-264V = D 41r-45v (von 1458); A 264v-268r = C 100r-104r (von 1459);

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296 -303 = C222r-229v (von 1457);B151r-153v = C 23r-28v (von 1467); B 159v-161r = C 28V-31V (von 1467). - C und D enthalten Predigten aus B ohne Korrekturen: B 113r-117r = C 230r-234r; B 123r-125r = D 127r-129r; B 161v-163r = C 31v-34r. Darüber hinaus werden nur durch D und E Predigten überliefert, die sicher von B. stammen, s. D 2r-6v, 8'-19r, 119r-126v, 158r-161v; E 307r-313r. Das Sondergut von C ist erst dann feststellbar, wenn die Predigten Ulrichs von Landau ermittelt sind, die hier mit denen B.s gemischt erscheinen. - Sonstige Parallelüberl.: München, clm 1470, f. -77 , nach dem Kirchenjahr geordnete Auswahl aus A (geschrieben 1516); München, clm 7746, f.34MOv (datiert 1455) = A 281r-288v. - Nach Mal. Bibl. Kat. I 428, 41 enthält die Hs. Tübingen, Kgl. Wilhelmsstift, cod. Gb. 204 eine 'exhortatio in die cinerum'. - Die beiden in München, clm 19608, f. 149r-160v überlieferten Predigten stammen wahrscheinlich nicht von B.

22. Briefe Hauptquelle ist die Tegernseer Briefhs. München, clm 19697, die zahlreiche Briefe von B. überliefert. Eine genaue Analyse fehlt; häufige Hinweise bei THOMA und REDLICH. Enthält u.a. den von LINDNER, S. 89, vermißten Brief an Johannes IV., Abt von Melk, aus d. J. 1464 (157T) mit den beigefügten 'Avisamenta per regulari observantia et reformatione ordinis monachorum nigrorum' (158r-161r). Gedruckt liegen vor: a) 8 Briefe an Nikolaus von Kues aus den Jahren 1454 bis 1455, hg. von VANSTEENBERGHE (nach clm 19697, f. 50r-68r), S. 123ff. (in dt. Übers, bei W.OEHL, Dt. Mystikerbriefe d. MAs 1100-1550, 1931, S.559f. [Auszug]); S. 130-133 (bei OEHL, S.561-566), auch in Melk, Stiftsbibl., cod. 1605 (59 - B. 24), f.64v-65v; S.136f.;S.137f.;S.143-148;S.151f.;S.155f.;S.158f. Hierzu s. die Korrekturen von J.KOCH, CusanusTexte. Briefwechsel d. Nikolaus von Cues. I.Sammlung, 1944, HSB 1942/43, 2. Abh., S. 107-110. b) 'Epistola encyclica de obitu Caspari Ayndorffer' (1461), hg. von PEZ, Bibl. asc. VIII, 1725, S. 589-595, vermutlich nach Melk, Stiftsbibl., cod. 1918 (783 - 0.19), f.58v-59". Zum Stil dieses Briefes s. K. POLHEIM, Die lat. Reimprosa, 1925, S. 456. c) Brief an Johannes Schlitpacher (1461), hg. von K. MEICHELBECK, Historia frisingensis II l, 1729, S.254ff. ( = clm 19697, f.!54 r ~ v ), auch bei PEZ, Bibl. asc. VIII 595-600, vermutlich nach Melk, cod. 1918, f.59v-60". d) Brief an Erzbischof Johannes von Freising (1461), hg. von MEICHELBECK, S. 252 f. (= clm 19697, f. 133r). e) Brief an Abt Konrad Airimschmalz (1463) (= clm 19697, f. 152v-153r), hg. von REDLICH, S. 203ff. f) 'Avisamenta super reformatione generali ordinis nigrorum monachorum S. Benedict! provinciae Salisburgensis', gerichtet an Erzbischof Burchard von Salzburg 1464 (= clm 19697, f.!64r bis 165V), hg. von REDLICH, S. 205-210. g) Zwei Briefe an Johannes Schlitpacher von 1459, hg. von PEZ, Thes.

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VI 3, S. 346f. u. 347f. nach Melk, Stiftsbibl., cod. 1767 (426-H.45), p.380f. u. p.382f. Weitere, ungedruckte Briefüberl.: München, clm 19866, f.204r-209r (Brief an Paul Amann aus Augsburg) ; Melk, Stiftsbibl., cod. 1767 (426 - H. 45), p. 381 u. p. 417-424 (Briefe an Johannes Schlitpacher). - Die Hs. Melk, Stiftsbibl., cod. K.78 existiert nicht (aufgeführt bei LINDNER, S. 90). Die ebd. genannte Hs. Melk, Stiftsbibl., cod. 815 (403 - H. 14) enthält keine Briefe B.s, sicher Verwechslung mit cod. 1767.

23. Deutschsprachige Übersetzungen Im Umkreis, vielleicht auf Veranlassung B.s, hat ein -> Tegernseer Anonymus zahlreiche Werke, die z.T. eine Rolle bei der Kontroverse über die mystische Theologie spielten, übersetzt. Zu Einzelheiten s. HöVER. B. las offensichtlich ungern dt. Texte. Nikolaus von Kues hatte (wahrscheinlich 1454) B. seine dt. Augsburger Vaterunser-Erklärung von 1440 geschickt. B. fragt 1455 nach paler noster in latino etc. ? Nikolaus antwortet am 28.7.1455 Pater noster non habeo in latino etc., schreibt aber anschließend seinen lat. Vaterunser-Katechismus (die Texte bei VANSTEENBERGHE, S.151, 158 u. 160). Vgl. Cusanus-Texte. I. Predigten. 6. Die Auslegung d. Vaterunsers in vier Predigten, hg. u. untersucht von J. KOCH u. H. TESKE, 1940 (HSB 1938/39,4. Abh.), S. 187f.

(24.) 'Strictilogium de mystica theologia' Ü b e r l i e f e r u n g . München,clm 19114,f. 154r-155v. Ausgabe. WILPERT, 1954, S.274ff.

Entstanden ca. 1460. - WILPERT sah B. als Verfasser an. Diese These ist nach den überzeugenden Argumenten von ROSSMANN, S. 406f., nicht haltbar; vermutlich verfaßt von Konrad von Geisenfeld. L i t e r a t u r . Ältere Werk Verzeichnisse: Ambrosius Schwerzenbeck, Bibl.katalog von Tegernsee aus d.J. 1483/84 (München, clm 1925, f.20 v ); PEZ, Bibl. asc. VII, 1725, praefatio sub X; P. LINDNER, Familia S. Quirini in Tegernsee, Oberbayerisches Arch. 50 (1897) 18-130 (bes. S. 82-90). A. FRANZ, Die Messe im dt. MA.1902 (Nachdr. 1963), S.566-577; E.VANSTEENBERGHE, Autour de la docte ignorance. Une controverse sur la theologie mystique au XVe siecle (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie d. MAs 14,2-4), 1915; M.GRABMANN, Bayer. Benediktinermystik am Ausgang d. MAs, Benediktinische Monatsschr. 2 (1920) 196-202; ders., Die Erklärung d. B. v. W. O.S.B, z. Schlußkapitel von Bonaventuras Itinerarium mentis in Deum, Franzisk. Stud. 8 (1921) 125-135; F.X. THOMA, Petrus v. Rosenheim O.S.B., Stud. Mitt. OSB 45 (1927) 94-222 (bes. S. 178-194); A. AUER, Johannes v. Dambach u. d. Trostbücher vom 11. bis z.

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Bernhardin von Siena

16. Jh. (Beitr. z. Gesch. d. Philosophie d. MAs 27,1-2), 1928, S. 309-320; V. REDLICH, Tegernsee u. d. dt. Geistesgesch. im 15. Jh. (Schr.reihe z. Bayer. Landesgesch. 9), 1931; R.MOLITOR, Aus d. Rechtsgesch. benediktinischer Verbände II, 1932, S. 1-36; Nikolaus von Kues, Über den Beryll, übers, von K.FLEISCHMANN (Schr.n d. Nikolaus v. Cues in dt. Übers. 2 = Philosophische Bibl. 217), 1938, S.45-64; GRABMANN, B. v. W. (f 1472), Prior von Tegernsee, ein bayerischer Benediktinermystiker d. 15.Jh.s, Stud. Mitt. OSB 60 (1946) 82-98; P. WILPERT, Vita contemplative u. activa. Eine Kontroverse d. 15. Jh.s, Fs. für Bischof Dr. Simon Konrad Landersdorfer, 1953, S. 209 bis 227; ders., B. v. W. Reformer vor d. Reformation, Fg. für Seine Kgl. Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayern, 1954, S.260-276; R.RUDOLF, Ars moriendi, 1957, S. 92-95; J. SUDBRACK, Die geistl. Theologie d. Johannes v. Kastl (Beitr. z. Gesch. d. alten Mönchstums u. d. Benediktinerordens 27,1-2), 1966-67; J. ANGERER, Die Bräuche d. Abtei Tegernsee unter Abt Kaspar Ayndorffer (1426-1461), verbunden mit einer textkrit. Edition d. Consuetudines Tegernseenses (Stud. Mitt. OSB, Erg. Bd. 18), 1968; W. HÖVER, Theologia Mystica in altbair. Übertragung (MTU 36), 1971; H. ROSSMANN, Der Magister Marquard Sprenger in München u. seine Kontroversschriften z. Konzil von Basel u. z. mystischen Theologie, Fs. für J. Auer, 1975,5.350-411. .... w,

WERNER HOVER

Bernhardin von Siena 1. Geb. 1380 in Massa-Marittima (Toscana) aus dem Geschlechte der Allizeschi, gest. 1444 in Aquila, kanonisiert 1450, Franziskaner der Observanz und einer deren eifrigsten Verfechter. Als Volksprediger seit 1417 genoß er in Italien einen ähnlichen Ruhm wie —> Berthold von Regensburg in Deutschland. Er predigte wie dieser wegen des Andrangs der Zuhörer oft im Freien, so in Siena auf der Piazza grande, und wie bei diesem beruhen die volkssprachlich überlieferten Predigten auf Nachschriften, während die lat. authentisch sind. Letztere empfahlen sich als MaterialSammlungen für Prediger und haben einen durchaus gelehrt-scholastischen Charakter. A u s g a b e der lat. Werke. S. Bernardini Senensis Opera omnia, ed. PP Collegii S. Bonaventurae (Quaracchi), I-IX, 1950-65. B i b l i o g r a p h i e u n d E i n f ü h r e n d e s . Diet. Spir. I 1518-1521 ;P. LORENZO DI FONGO OFM, Breve rassegna Bernardiana, Miscellanea Franciscana 47 (1947) 232 bis 242; H. SCHMIDT, B.-Lit. 1939^9, Franzisk. Stud. 32 (1950) 388-418; Bibliotheca Sanctorum III, 1962,

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Sp. 1294-1321; jährliche Bibliogr. in: Bibliographia Franciscana. Collectanea Franciscana. Die beste Monographie ist immer noch P. THUREAUDANGIN, S. Bernardin de Sienne, Paris 1896, dt. v. A. GÖTZELMANN, 21926.

2. Eine nicht unbedeutende Vita des Heiligen entstand zwischen 1453 und 1457 im Rookloster bei Brüssel (s. BOEREN, S. 94), ed. B. DE GAIFFIER, Anal. Boll. 71 (1953) 282-322. Inwiefern dt. Viten, u.a. München, cgm 4290 (16. Jh.), auf sie zurückgehen, wäre zu untersuchen. Die hochalem. Vita in St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 589, S. 105-126, 2. Hälfte 15.Jh., benutzt jedenfalls nicht sie, sondern die Vita des Antonin von Florenz im sehr verbreiteten 'Chronicon' (III, tit. 24, c. 5,234r bis 237V des Koburger-Druckes Nürnberg 1484) mit demselben Initium 'Apparuit gratia'. Textproben in: RUH, Franzisk. Schrifttum I 76-78. In die Nachträge der großen dt. Legendare (-»'Elsässische Legenda aurea', -»'Der Heiligen Leben') ist B. nicht aufgenommen worden. 3. a) Häufig gelesen und benutzt im dt.ndl. Sprachgebiet wurde Sermo LVI des Evangelium Aeternum 'De sanctissima passione et mysteriis crucis' (Op. omn. V 68-166). Das verraten schon die Ergebnisse von Zufallsfunden. Vorrede und pars I (S. 68-83) übersetzt ein Anonymus in Nürnberg, StB, Cent. VII 27, 48r-73v aus dem Katharinenkloster Nürnberg: predigt von dem heiligen leiden von dem selligen prüder Bernhardino des ordens der mynnern prüder. Denselben Text dürfte Berlin, mgo 362, l r ff. überliefern. So viel man sieht, hält sich der Übersetzer genau an den Text, er übernimmt auch die gelehrte Disposition und Zitation (-> Alexander-von-Hales-Zitate). Sehr viel freier ist die Benutzung des Sermo LVI in Karlsruhe, LB, St. Georg 95, 314V-334V, v. J. 1499: Von dem lüden Ihesu Christi setztf) Bernhardinus. in dem tractat setzet} er LXX lyden vnd inwendiger lyden. B. zugeschrieben wird im alten Register der Hs. ein Passionstraktat, der lernung das lyden vnsers lieben heren zu betrachten verspricht: St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 973, S. 406-475, v.J. 1498. Die Materie wird in 12 Körbe und 5 Gerstenbrote (Joh. 6,13)

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Bernhardin von Siena

gegliedert; die Körbe sind die einzelnen Artikel, die 5 Brote die Wunden Christi, mit denen die Seele gespeist wird. Inwieweit auch hier der Passionssermon LVI benutzt ist, bedürfte einer genaueren Untersuchung. Sicher ist der 3. Teil des Traktats -*· 'Von dreierlei Abgründen' B.s Sermo LVI verpflichtet. b) Etwas besser als über die deutschsprachige Rezeption des Sermo LVI sind wir dank SPAAPEN und BOHREN über B. in den Niederlanden informiert, die der Heilige selbst 1408 und 1439 besucht haben soll. BOEREN macht 7 Texte namhaft, wovon indes die Nrr. I und VII nicht mehr greifbar sind; drei davon, II, III, IV, sind als Übertragungen, zwei V, VI, als Bearbeitungen anzusprechen. Zu den letzteren tritt eine weitere in Hertogenbosch, Bibl. Prov. Genootschap, cod. 644 (s. SPAAPEN, S. 181 bis 185). Nicht geklärt scheint mir das Verhältnis des 'Bundeken van myrren' in Darmstadt, LB, cod. 3136, 23v-27r u. Brüssel, Bibl. royale, Ms. 3057-58, 2M9V zu ihrer Vorlage zu sein. Der Hinweis der Darmstädter Hs. ewich eewangieliwn weist auf B. (s. P. MAXIMILIANUS, Franciscaans Leven 42 [1959] 191), BOEREN nennt die 'Arbor vitae crucifixae' des -»Hubertinus de Casale als Vorlage, die nun freilich wiederum zu den bevorzugten Quellen B.s gehört. L i t e r a t u r . B. SPAAPEN SJ, Middeleeuwse Passiemystiek I, OGE 35 (1961) 167-185; P.C. BOEREN, Sint Bernardinus in de Nederlanden, in: Dr. L. Reypens-Album, 1964, S. 93-104.

4. B.s Paternoster-Auslegung, 'Sermo VI de Dominica oratione' (Op. omn. I 62-72) liegt der dt. Fassung in Bamberg, SB, cod. hist. 148% 129r-141v, v.J. 1517 (thüringisch) zugrunde; ed. RUH, Franzisk. Schrifttum II (im Druck). Der Vorlagetext ist nur leicht gekürzt, vor allem um D ispositionsschemata und Zitate. Der gelehrte, auf theologisches Verständnis ausgerichtete Text ist indes erhalten. Dennoch versichert der Übersetzer im Vorwort, er hätte die Schrift vmb der andacht der leyen czu masse vorduczschet. 5. Unsicher ist B.s Autorschaft des 'Speculum peccatorum de contemptu mundi' (Op. omn. Venetiis 1745, III 437-440; bei P.D. PACETTI, De S. Bernardini Senensis operibus ratio criticae editionis, Quaracchi 1947, S. 95 ff., wird das 'Speculum' als opus

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dubium eingestuft; es wurde auch häufig -»· Nikolaus von Dinkelbühl zugeschrieben, s. A. MADRE, N. v. D., 1965, S. 297). Hsl. ist es obd. in Zürich, Zentralbibl., cod C 20, 140vb-149vb und Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Nr. 18526,153 r-175v, nd. in Magdeburg, Dombibl., cod. 81, 96r-98v, ndl. in Aachen, StB, cod. 59 überliefert; dazu kommt ein obd. und nd. Druck: o. J. u. O. (um 1490) HAIN 16150, Serapeum 13 (1852) 223, bzw. Simon-Mentzer-Druck Magdeburg 1493 (W. STAMMLER, GRM 13 [1925] 437 A. 3). Über das Verhältnis dieser Texte untereinander läßt sich ohne nähere Untersuchung nichts ausmachen; Hinweise bei W. STAMMLER, Frau Welt, 1959, S. 52 Anm. 165. Wenn ich richtig sehe, ist die ganze deutschsprachige Überlieferung anonym. Gehört der Züricher Text mit C. MOHLBERG (Katalog der Hss. der Zentralbibl. Zürich II, 1951, S. 21) tatsächlich dem ausgehenden 14. Jh. an, so läge hier ein stringenter Beweis vor, daß das 'Speculum peccatorum' nicht von B. sein kann. Hinweise auf Inhalt u. lat. Überl. bei R. RUDOLF, Ars moriendi, 1957, S. 31.

6. Außerordentlich verbreitet im gesamten dt.-ndl. Sprachgebiet ist in dt. Gebetsbüchern die Übertragung des Gebets 'Vom süssen Namen Jesu' bone Jesu'. A u s g a b e n . M. MF.F.RTENS, De godsvrucht in de Nederlanden I, Antwerpen 1930, S. 109f.; RUH, Franzisk. Schrifttum II (im Druck). - Lat. Text: A. WILMART OSB, Le 'Jubilus' dit de S. Bernard, Roma 1944, S. 267f. Ü b e r l i e f e r u n g . MEERTENS VI, 1934,5.75 (sub 7): F. X. HAIMERL, Mal. Frömmigkeit im Spiegel d. Gebetbuchlit. Süddeutschlands, 1952, S. 81, 83, 85, 88, 127, 143 u. fast in jedem Hss.Katalog; s. u. a. G. ACHTEN/H. KNAUS, Dt. u. ndl. Gebetbuchhss. der Hess. LB u. Hochschulbibl. Darmstadt, 1959, S. 53, 110, 271, 299, 313.

In der hsl. Tradition wird das Gebet Bernhard von Clairvaux, Richard Rolle, Vincent Ferrer, vor allem aber B. zugeschrieben; letzteres gilt zumal für die dt. Fassungen. Daß B. zu den eifrigsten Förderern des Jesunamenskultes gehört - er ist der Schöpfer des JHS-Emblems und erscheint mit ihm häufig in der Ikonographie -, ist ein starkes Argument für seine Autorschaft, aber auch eines für die Zuschreibung

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'Bernhardstraktat' - Berninck, Hendrik

an seine Person. PACETTI (s. o. 5), S. 101 f. weist das Gebet den opera dubia zu. K. RUH 'Bernhardstraktat' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 1494, zwei allseitig unter geringfügigem Textverlust beschnittene Perg.Bll., 1. H. 13. Jh., 'B.' auf Bl. l r v ,44 + 49 vv. (Kriegsverlust). Abdruck: SCHRÖDER, S. 251-253.

2. Das frgm. überlieferte Gedicht, das wohl im ersten Drittel des 13.Jh.s entstanden ist, gilt als eine der ältesten deutschen Marienklagen (i.F. Mkl.). Mit —»'Unser vrouwen klage' teilt es die durch die Quelle (s. u. 3) veranlaßte Besonderheit, daß die Klage als Antwort der glorifizierten Maria an einen Fragenden (din chneht) stilisiert ist. Diese Einleitung fehlt den meisten Mkl. Mit der Nagelung Christi an das Kreuz (drinagel v. B 35; fehlt in der lat. Vorlage!) bricht das Fragment ab, dessen Verfasser bestrebt ist, die Anspielungen der Vorlage zu erläutern, ohne breit zu werden, und der in der Darstellung der compassio Mariae den starken Gefühlston der Vorlage noch eindringlicher zu gestalten sucht. 3. Quelle. SCHRÖDER nannte irrtümlich die sog. 'Interrogatio Anselmi' (-»'St.Anselmi Fragen an Maria') als Vorlage des Gedichts, beruhend auf einem Irrtum G. MILCHSACKS, Unser vrouwen klage, PBB 5 (1878) 294, den dieser aber schon PBB 7 (1880) 201 f. berichtigt hatte. Die Quelle ist vielmehr der sog. 'Tractatus beati Bernardi de planctu beatae Mariae' (Inc. Quis dabit capiti meo aquam). Als den wirklichen Verfasser dieses 'B.s' hat BARRE den Abt Oglerius von Trino (1136-1214, seit 1205 Abt des Zisterzienserklosters S. Maria de Locedio bei Trino im Piemont) ermittelt. Es handelt sich um einen von Oglerius selbst vorgenommenen Auszug aus der 11. Predigt seines Werkes 'In laudibus Sanctae dei genetricis', das vor 1205 entstand. Statt 'B.' wäre demnach hinfort die Bezeichnung Oglerius'-Traktat' angemessener. Oglerius hat über den 'B.' hinaus eine deutschsprachige Rezeption: Heinrich -> Haller übersetzte die Homilien 9 und 13 der 'Expositio super Evangelium in Cena Domini1 (hg. v. G. BAUER, Zisterzienser-Predigten [WPM7], 1969; dort, S. 10-17, über Oglerius und sein Werk).

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4. Sprache, Form. Die Sprache der Hs. ist bair. gefärbt. Für SCHRÖDERS Annahme, das Original stamme aus obd. Gebiet, fehlen Anhaltspunkte, es sei denn, man wollte den altertümlichen Reim gebot: gemarteröt B 7f. dafür in Anspruch nehmen. Die Reime sind rein, die Metrik fällt durch vielsilbig gefüllte Senkungen auf. L i t e r a t u r . E. SCHRÖDER, Frgm. einer frühen Bearbeitung d. Interrogatio Anshelmi, ZfdA 68 (1931) 249-254. - Zur lat. Quelle: H. BARRE, Le 'Planctus Mariae' attribue ä S. Bernard, Rev. Asc. Myst. 28 (1952) 243-266; K.CH.J.W. DE VRiES,DeMariaklachten, Z wolle 1964, bes. S. 59-64. - Ausg.n d. lat. Textes: PL 182, Sp. 1133-1142 (Fassung C, Inc. Quis umquam regnans in coelo sursum); W. MUSHACKE, Altprovenzalische Mkl. d. XIII. Jh.s (Romanische Bibl. 3), 1890, S. 41-50 (Fassung B); DE VRIES, S. 277-292 (Fassung A); G. SEEWALD, Die Mkl. im mlat. Schrifttum ... Diss. (masch.) Hamburg 1953, S. 144-157 (mit zahlreichen Interpolationen, die z. T. aus der 'Interrogatio Anselmi' stammen). _ TT

HANS EGGERS

Bernhart, Pfarrer zu Strassgang ->Öser, Irmhart Berninck, Hendrik Leben. Biographische Quellen sind vor allem die franziskanischen Chroniken und einige offizielle Dokumente. Hendrik (Henne, Henricus) B. wurde ca. 1396 zu Münster geboren und starb 1492 als fast Hundertjähriger zu Hamm. Nach seinem Eintritt in den Franziskanerorden der kölnischen Observantenprovinz verblieb er länger als 40 Jahre in den Niederlanden. Als Socius S. Bernardini - ein Empfehlungstitel, der ihm vermutlich vom Heiligen selbst nach einer persönlichen Begegnung in St.-Omaars verliehen worden ist - gründete er Observantenklöster zu Gouda (von St.-Omaars aus 1439), Leiden (1445) und Antwerpen (1448). Vom Kapitel in Gouda (1456) bis zum Stiftskapitel in Koblenz (1459) war er Vicarius provincialis. Für den Zeitraum 1459-1475 fehlt uns jede Auskunft über ihn. Von 1475 bis 1477 Guardian zu Boetendaal (bei Brüssel). Den letzten Teil seines Lebens verbrachte er in Hamm. Er genoß einen ausgezeichneten Ruf als Prediger. Werk. Von B. kennen wir ein ndl. Reportatum 'Vander schoenheit ende edelheit

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Bernold von St. Blasien

der sielen', eine Predigt anläßlich einer Kirchweihe in Brüssel i. J. 1475, überliefert in Gent, ÜB, cod. 902, 228r-233v, hg. von M. VERJANS, Neerlandia Seraphica (1936) 46-47, 90-96. Ein weiteres Werk, Onser liever vrouwen doernen crone', wurde zusammen mit dem anonymen 'Die keyserlike crone ons heren' postum herausgegeben (Antwerpen, Hendr. Eckert van Homberch, 1514 und 1518; Leiden, Jan Severszoon, 1515; Antwerpen, Willem Vorsterman, ca. 1538). Außerdem verfügen wir noch über Dokumente, die sich auf B.s offizielle Verbindungen mit Behörden in Leiden und Antwerpen beziehen. L i t e r a t u r . B. wurde fast ausschließlich in Werken allgemeinen Charakters behandelt. Vgl. B. DE TROEYER, Bio-Bibliographia Franciscans Neerlandica, Bd. Ante Saeculum XVI, I, 1974, S. 128-138 (biographisch mit umfassenden Lit.-angaben) und Bd. Saeculi XVI, II, 1970, Nr. 18 bis a-d (bibliographisch).

BENJAMIN DE TROEYER Bernkopf, gen. Frauenzucht -> Frauenzucht, gen. B. Berno -»Bern Bernold von St. Blasien 1. Bernold (Bernaldus), Historiker, Polemiker, Kanonist und Liturgiker, wurde wahrscheinlich um 1050 geboren und starb am 16. 9. 1100 im Allerheiligenkloster zu Schaffhausen. Er scheint Schwabe gewesen zu sein; allerdings bleibt unbewiesen, ob er mit dem im Schaffhausener Diplom von 1093 (F.L. BAUMANN, Quellen z. Schweiz. Gesch. III l, Basel 1883, S. 35 f.) erwähnten Bernold von Hochdorf (Schwab. Alb) identisch ist. Eine gegnerische Erwiderung im Briefwechsel 'De incontinentia sacerdotum' macht B. zum unehelichen Sohn eines Priesters (MGH Lib. de lite II 12). Er wurde in der Domschule von Konstanz erzogen; seine Lehrer waren Adalbert und der Kanonist und propäpstliche Polemiker -> Bernhard, später Scholaster von Hildesheim, mit dem B. in Briefwechsel blieb; beider Meister wird in B.s Chronik gedacht (MGH SS V 436 u. 448). Nach der Exkommunikation Bischof Ottos von Konstanz durch Gregor VII. (1075) polemisierte B. als propäpstl. Mitglied der Domschule in seinen frühesten Schriften gegen die Priesterehe und erläuterte die Reformdekrete des Papstes. 1079 wohnte er der Fastensynode in Rom bei, als die endgültige Verdammung der eucharisü-

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schen Irrlehre Berengars von Tours ausgesprochen wurde ('De veritate corporis et sanguinis Domini', WEISWEILER, Ausg., S. 91), und begegnete dort dem berühmten gregorianischen Kanonisten Bischof Anselm II. von Lucca, den er später in seinen Werken zitierte ('Micrologus', PL 151, Sp. 988B; Fragment, MGH Lib. de lite II 150). Zum Priester geweiht wurde er am 21.12.1084 vom päpstl. Legaten Odo von Ostia, dem späteren Urban II., von dem er Sondervollmachten zur Wiederaufnahme Exkommunizierter erhielt (B. handelt von dieser Vollmacht in 'De presbyteris', MGH Lib. de lite II 142f.). Bald nach 1085 bezeichnete B. sich als ultimus fratrum de sancto Blasio (ebd., S. 95) und etwa 1091 zog er nach Allerheiligen, Schaffhausen; so nahm er an der Klosterreformbewegung in Süddeutschland teil, die er in seiner Chronik besonders in St. Blasien im Schwarzwald, St. Aurelius, gen. Hirsaugia, und Scafkusin (S. 439) ansiedelt. Sein Briefwechsel beleuchtet auch seine Verbindung mit dem wichtigen Reformzentrum Rottenbuch (Lib. de lite II 142), dessen Dekan, der bekannte -»Manegold von Lautenbach, in seiner Polemik von B.s Schriften ausgiebigen Gebrauch machte.

2. B. ist der einzige Autor des späten 11. Jh.s, dessen Arbeitsweise sich genau bestimmen läßt: Glossen von seiner Hand in Codices aus dem ehem. Besitz der Dombibl. von Konstanz sind von AUTENRIETH (1956) identifiziert und ihre Verbindung mit dem Apparat des B.sehen Korpus erwiesen worden. B.s Auszüge und Glossen (wahrscheinlich in Sentenzensammlungen wie die im cod. 13 der StB Selestat hineinkopiert) lieferten Material für einen umfangreichen Kreis päpstlicher Polemiker in Deutschland (z. B. Bernhard von Hildesheim, Manegold, Erzbischof Gebhard von Salzburg). Seine Hauptstudien galten dem kanonischen Recht, einem Gebiet, auf dem die Dombibl. von Konstanz besonders reich bestückt war. Das einflußreichste Ergebnis seiner Forschungen war die kurze Auswahl von Kanones über Exkommunikation, welche als Anhang zur 74-Titelsammlung in der süddt. Version in Umlauf war (der sog. 'Schwäbische Anhang', B. zugeschrieben von AUTENRIETH, 1958). Probleme der Interpretation der Kanones und der Harmonisierung widersprüchlicher auctoritates Aufgaben, die ihm die Kontroverse über die Gültigkeit der Sakramente Exkommunizierter stellte - löste B. durch die Anwendung von Regeln, die die Abaelardsche 'Sie et Non'-Methode ('De fontibus iuris eccle-

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Bernold von Kaisersheim

siastici', Lib. de lite II 123-141) antizipieren, indem er eine Rangordnung von auctoritates erstellte (in der Reihenfolge ihrer Bedeutung: Canones apostolorum, päpstliche Dekrete, Ökumenische Konzilien, Provinzialsynoden, Kirchenväter) und den historischen Kontext jedes Kanons in Betracht zog. Vor allem betonte er die päpstliche 'Macht, Kanones abzumildern und zu ändern' (ebd., S. 140). 3. Hochachtung vor der Autorität der Päpste (auctores canonurri) ist der Schlüssel zu B.s Werken. Sein Traktat gegen Berengars eucharistische Lehre hält sich nicht lange mit theologischen Argumenten auf, ihm kommt es darauf an, den Beweis zu führen, daß Berengars Lehren von einer Reihe von Päpsten verworfen worden waren. In seiner Arbeit über die Liturgie, das meistkopierte seiner Werke, unterschiedlich betitelt als 'Micrologus de ecclesiasticis observationibus', 'De divinis officiis', Ordo Romanus' (lange Zeit Ivo von Chartres zugewiesen, aber wieder für B. reklamiert von BÄUMER), ist er bemüht, die Rotnana consuetude zu verbreiten, daß jede Entscheidung des apostol. Stuhles von der ganzen Kirche befolgt werden müsse (PL 151, Sp. 998B). Das Anliegen seiner Streitschriften (frühe Beispiele des aus dem 12. Jh. bekannten Genre der theologischen Briefliteratur) ist die Verteidigung päpstlicher Maßnahmen oder die Erläuterung päpstlicher Anordnungen für die Kirche in Deutschland: Verteidigung der Entscheidungen der gregorianischen Synode von Quedlinburg, 1085 ('Apologeticae rationes', Lib. de Lite II 95-101); Angriff gegen die Investitur ('De emptione aecclesiarum', ebd., S. 107f.); Verteidigung Bischof Gebhards III. von Konstanz, der auf Befehl Gregors VII. zu Lebzeiten des gegenpäpstlichen Bischof Otto eingesetzt worden war ('Pro Gebhardo epistola apologetica', ebd., S. 108-111). Ein Libellusfragment in der 'Collectio II librorum", das dem Papst das universale Recht zur Bischofs- und Abtsernennung zuschreibt, ist möglicherweise auch das Werk B.s (RYAN).

4. B.s umfangreichste Arbeit, die Chronik, die von der Schöpfung bis zum Todesjahr des Verfassers reicht (1100), ist der Form nach eine Fortsetzung der Chronik -»Hermanns des Lahmen von Reichenau und weist bedeutsame Ähnlichkeiten mit der parallelen Fortsetzung -> Bertholds von Reichenau auf. B.s Werk in der Anordnung seines Autographs (jetzt clm 432) ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die verschiedenen historiographischen Arbeitsverfahren des späten 11. Jh.s: Ein Nekrolog und einige chronologische Angaben (l v ), eine Papst-

liste (10r; auch in anderen B.schen Hss., z. B. Selestat, cod. 13, Engelberg, Stiftsbibl., cod. 52), eine Universalchronik gestützt auf Bedas 'De sex aetatibus mundi' und verwandte Werke (12V), gefolgt von Hermanns Chronik mit zahlreichen Interpolationen zur Kirchengeschichte, oft mit gregorianischer Tendenz. Die ausführlicheren Annalen ab 1073 (53V) kündigen B.s Unabhängigkeit von den früheren Chroniken an; ab ungefähr 1083 (58V) scheinen die Ereignisse unmittelbar aufgezeichnet worden zu sein. Die Hauptanliegen der Chronik sind wie die der Streitschriften der Fortgang der Klosterreform in Deutschland (mit bes. Hinweis auf Abt -> Wilhelm von Hirsau) und die Gefahren des Umgangs mit Exkommunizierten. Besonderer Nachdruck liegt auch auf den Erfolgen der milites sancti Petri, d. i. des weltlichen Adels in der päpstlichen Partei, im Bürgerkrieg gegen Heinrich IV. 5. A u s g a b e n , a) Chronik: MGH SS V 385-467 (Neuausg. in Vorbereitung), b) Streitschriften: MGH Lib. de lite II 1-168, III 597-602 (B.sche Fragmente). c) 'Micrologus': PL 151, Sp. 978-1022. d) H. WEISWEILER, Die vollständige Kampfschrift B.s v. St. B. gegen Berengar, Scholastik 12 (1937) 58-93. L i t e r a t u r . E. STRELAU, Leben u. Werke d. Mönchs B., 1889; S. BÄUMER, Der Micrologus, ein Werk B.s v. Konstanz, NA 18 (1893) 429-446; MANITIUS, LG III 30f., 37-39, 404-407; O. GREULICH, Die kirchenpolit. Stellung B.s, Hist. Jb. 55 (1935) 1-54; A. VAN HOVE, Een inleiding tot de brennen van het Kerkelijk Recht, in: Miscellanea historica in honorem Alberti de Meyer, 1946, S. 358-371; H. WEISWEILER, Die päpstl. Gewalt in den Schriften B.s, Studi Gregoriani 4 (1952) 129 bis 147; J. AUTENRIETH, Die Domschule von Konstanz zur Zeit d. Investiturstreits, 1956; dies., B. v. Konstanz u. d. erweiterte 74-Titelslg., DA 14 (1958) 375-387; J.J. RYAN, Bernold of Constance and an Anonymous Libellus de Lite ..., Archivum Hist. Pontificiae 4 (1966) 9-24; Rep. font. II518f.; WATTENBACH/HOLTZMANN/ SCHMALE, Geschichtsquellen II 521-528 u. III 126* f. u. 157* f. T c „

L S. ROBINSON

Bernold von Kaisersheim (Kaisheim) 1. Bruder Bernold, Zisterzienser des Klosters Kaisersheim (d. i. Kaisheim b. Donauwörth), verfaßte 1310 ein Predigtmagazin 'Themata de tempore et de sanctis', 1312 eine 'Summa prosaici dictaminis'. Seine Autorschaft und die Entstehungsdaten der

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Bertha von Vilich

beiden Werke werden durch ihn selbst jeweils in den Prologen bezeugt. Über B.s Person und Lebensumstände liegt Näheres nicht vor.

Senecae', den biblischen Weisheitsbüchern, c) Musterbriefe (ohne Salutationes) für die Amtsgeschäfte eines Abts, abschließend mit einer Sammlung von 'articuli in visitationibus statuendi', die einen praktischen 2. ' T h e m a t a de t e m p o r e et de Kanon der Klosterzucht darstellt, d) 'Privisanctis' legia', e) Formulare für den Bereich des Ü b e r l i e f e r u n g . Die 'Themata' kannte man biskirchlichen Ordo iudiciarius'. Die 'Summa' lang nur aus drei Inkunabeln, in denen sie unter dem verdient ein mindestens gleiches rechtsTitel 'Distinctiones de tempore et de sanctis quarum und kulturgeschichtliches wie ein literarideclarationes ex compendio theologice veritatis lucisches Interesse. Der Stil der Formulare dissime capiuntur' zusammen mit dem 'Compendium stützt sich auf das habituelle Schmuckretheologicae veritatis' des -»Hugo Ripelin von Straßpertoire der zeitgenössischen Ars dictamiburg (Ps. Albertus Magnus) erschienen: GW 596 (Nürnberg, um 1470/72), 600 (Ulm, um 1478/81), 601 nis, gehört der Gattung an. (Deventer, um 1480). Nachweis einer Innsbrucker (ÜB, cod. 779) und einer Krakauer (ÜB, cod. 5568) Hs. nun bei STEER, S. 204 Anm. 2. Nach B.s Prolog (... sequentia themata ... compilaui) ist 'Themata', nicht 'Distinctiones', als Titelstichwort anzusetzen. Ein Incipitarium der 'Themata' bei SCHNEYER, Rep. I 462-472.

Die Themata' stellen eine Einrichtung von Hugos 'Compendium' für die Sonnund Festtagspredigten des gesamten Kirchenjahres dar. In den Predigtbeispielen, die sie bieten, für jeden Sonn- und Festtag mindestens zwei, stammen das thema (Bibelwort) und dessen distinctio jeweils von B.; die Ausführung (prosecutio) des thema distinctum bestreitet dann ein bestimmter Abschnitt des 'Compendium', auf den mit Angabe von Buch und Kapitel verwiesen wird. Die eigentliche Leistung B.s, dem sich das 'Compendium' als ein libellus totus predicabilis entdeckte, besteht in der auf den kirchlichen Kalender abgestimmten Anordnung des gegebenen Stoffes und in der Auffindung kompatibler Themata. 3. ' S u m m a p r o s a i c i d i c t a m i n i s ' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 5542, 14.Jh.,71r123r. A u s g a b e . L. ROCKINGER, Briefsteller u. formelbücher d. eilften bis vierzehnten jh.s II, 1863, S. 839926 (mit Kürzungen).

B.s 'Summa' ist eine reine, auf jede theoretische Beigabe verzichtende Formularsammlung, angelegt zur Unterweisung im offiziellen Schriftverkehr einer Klosterkanzlei. Sie gliedert sich in fünf Teile: a) 'Salutationes ad diverses status', b) 'Proverbia sive Exordia', darunter Gruppen von sententiae aus den Dekretalen, den 'Proverbia

L i t e r a t u r . C. DE VISCH, Bibliotheca scriptorum sacri Ordinis Cisterciensis, Douai 1649, S. 52; R. CRUEL, Gesch. d. dt. Predigt, 1879, S. 455; O. GRILLNBERGER, Briefsteller u. Formelbücher im CistercienserOrden, Mitt. d. Ges. f. dt. Erziehungs- u. Schulgesch. 8 (1898) 97-126; B. GRIESSER, Der rhythm. Satzschluß bei d. Cisterciensern, Cistercienser-Chronik 31 (1919) 74; G. STEER, Hugo Ripelin von Straßburg, Habil. sehr, (masch.) Würzburg 1974, S. 204. F.J.WORSTBROCK

Bernold von Konstanz St. Blasien

• Bernold

von

Bernowin ->· Angilbert von St. Riquier Berowe -> Der von Berau Bertha von Vilich Lebenszeugnisse bietet neben B.s eigenem Werk die zwischen 1110 und 1123 verfaßte 'Vita Wolfhelmi' -»Konrads von Brauweiler (MGH SS XII 181-195, bes. c.2 und 25).

Die aus einem adligen Hause im Kölnischen stammende B., Schwester Abt Wolfhelms von Brauweiler (1065-1091), schrieb als Stiftsdame des Klosters Vilich (b. Beuel a. Rhein), in dem sie erzogen worden war und eine beachtliche Bildung erworben hatte, bald nach dem Tode Kaiser Heinrichs III. (5. 10. 1056) eine Vita der ersten Vilicher Äbtissin Adelheid (f um 1015). Ü b e r l i e f e r u n g . Brüssel, Bibl. Royale, cod. 98100,13.Jh., 220r-223v; ebd., cod. 1638-49,15./16. Jh., 137r-142v (ohne die Prologe). A u s g a b e n . AASS Febr. I 715-721 (ohne den Prolog an die Vilicher Nonnen); O. HOLDER-EGGER, MGH SS XV 754-763 (zit.).

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Berthold

Zu einer gedruckten dt. Übers, aus dem 18. Jh. s. GROETEKEN, S. 18 u. 175.

Die mit einem Anschreiben und einer Widmungsvorrede an Erzbischof Anno II. von Köln sowie mit einem Vorwort an die Vilicher Nonnen versehene 'Vita Adelheidis' erzählt c. 3-7 die Lebensgeschichte der Heiligen; c. 8-13 folgen Miracula. Quellen sind die mündlichen Mitteilungen älterer Nonnen, besonders Engilrads, der Kammerfrau Adelheids, bisweilen auch Urkunden des Klosters. B. legte die Vita vor Veröffentlichung den Vilicher Nonnen vor, um sich die Treue ihres Berichts bestätigen zu lassen. Leitender Gesichtspunkt der Darstellung, der sich schon eingangs im auffälligen Verweilen bei Familie und Herkunft (summae nobilitatis genealogia) Adelheids zeigt, ist der Adelscharakter der Heiligen: Leben und Taten der nobilissima virgo bieten ein Vorbild adelig-geistlicher Existenz. Adelheids Nachfolgerin wird in ähnlichem Lichte gesehen, nicht minder als ihre Tugend dabei auch ihre anziehende äußere Erscheinung als Zeichen einer nobilis natura gewertet (c. 7). Die korrekte, nie prätentiöse Sprache der Vita ist durch das sorgfältig und durchgehend geübte Mittel des - meist mehrsilbigen - Reims gehoben. L i t e r a t u r . MANITIUS, LG II 469f.; A. GROETEKEN, Die hl. Äbtissin Adelheid v. Vilich, 21956; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen II 6684

F.J.WORSTBROCK

Berthold -»auch Berchtold Berthold 1. Nach eigenen Angaben Priester des Dominikanerordens; genauere Daten über seine Lebenszeit fehlen. Die ihm später zugeschriebenen Namen Hünlin und Teuto sind sicher falsch. B. verfaßte 'Das andaechtig zeitglöcklein des lebens und leidens Christi, nach den 24 stunden ausgeteilt', das später als Auftragsarbeit (oder von ihm selbst) u. d. T. 'Horologium devotionis circa vitam Christi' wörtlich ins Lat. übersetzt wurde. Angaben über die Lebenszeit B.s sind verknüpft mit der Frage, ob der Verfasser des 'Zeitglöckleins' identisch ist mit Bruder -> Berthold (von Frei-

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burg), dem Autor der dt. 'Rechtssumme'. Für eine gemeinsame Verfasserschaft sprechen die Übereinstimmungen in den Prologen des 'Horologium' und der 'Rechtssumme'. Die breite, aber sehr späte Überlieferung des 'Zeitglöckleins' (15.Jh./Anfang 16. Jh.) und inhaltliche Kriterien lassen, Identität der beiden Verfasser vorausgesetzt, die Mitte des 14.Jh.s als früheste Entstehungszeit zu. Dem Werk angemessener aber isteineDatierunginder2.Hälftedes!5.Jh.s. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . KAEPPELI, Scriptores I, Nr. 670f.; S. 241f.; hinzu kommen: Berlin, mgq 1817 (v. J. 1506), mgo 703 (um 1490); Drucke: Ulm, Dinckmut 1493, HAIN 16280; frz. Übers, von Johannes Quintinus, COP. 5013f.; Catalogue General de livres imprimes de la Bibliotheque Nationale XII, 1924, Sp. 163f.; Catalogue of books printed in the XVth century now in the British Museum III, 1963, S. 754.

3. In einer längeren Vorrede zum 'Zeitglöcklein' werden Titel, Inhalt und Einteilung mit Anweisungen für Devotionspraktiken erläutert. Quellen waren für B. die Evangelien und betrachtungen andaechtiger lerer und anderer andaechtigen gelaubigen. B.s Werk ist nicht als Vorläufer der Mystik anzusehen (s. r VL I 223), sondern setzt bereits deren Ausbildung, zumal das Werk —»Seuses, voraus. Auf B. selbst geht die Anregung zurück, die Hss. zu bebildern. Die lat. Übersetzung des ursprünglich dt. Textes wurde nach Ausweis des Prologs angeregt, weil derartige dt. Erbauungsbücher die Erwartungen Gebildeter nicht erfüllten. Eine neuzeitliche Bearbeitung erfuhr das 'Zeitglöcklein' durch A. SCHAUENBERGS 'Vierundzwanzig Betrachtungen über die Geheimnisse der Menschwerdung, des bitteren Leidens und der vier letzten Dinge. Nach dem 'Zeitglöcklein' des Fr. Berthold, O. Pr.', Diilmen i. Westf. 1921. L i t e r a t u r . E. VOUILLIEME, Der Buchdruck Kölns bis z. Ende d. 15. Jh.s, 1903, S. 107f.; O. GEIGER, Stud, über Bruder B., Freiburger Diözesan-Arch. 48 (1920) 154 [mit alt. Lit.]; E.WEIL, Der Ulmer Holzschnitt im 15. Jh., 1923, S. 88 u. S. 136 Anm. 11; W.L. SCHREIBER, Handb. d. Holz- u. Metallschnitte d. XV. Jh.s, l, 2, 1926; STAMMLER, Prosa, Sp.772; H. O. LAMPERT, Beschreibung von 23 bei Degering nicht mehr erfaßten Hss. d. ehem. Preuß. SB Berlin, Magisterarbeit (masch.) Tübingen 1970, S. 70-74; H. KUNZE, Gesch. d. Buchillustration in Deutschland, 2 Bde., 1975,1 228 u. 273; O. MAZAL, Buchkunst d. Gotik, 1975, S. 164-188.

HELMUT WECK

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Priester Berthold - Berthold von Bombach

Priester Berthold verfaßte wahrscheinlich um 1440 für eine Nonne des braunschweigischen Klosters Wöltingerode eine Andacht in lat.-nd. Mischsprache, die sich durch Schwung der Rede wie Anschaulichkeit der Bilder auszeichnet. Erhalten in Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl., cod. Heimst. 1144, f. 149vff. L i t e r a t u r . HENRICI, Sprachmischung in älterer Dichtung Deutschlands, 1913, S. 25.

WOLFGANG STAMMLER f Berthold von Bombach Verfasser des 'Leben der sei. Luitgart von Wittichen'. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod.118, 4r-88v (um 1400); ebd., cod. 119, S. 1-169, Bearbeitung der alten Vita v.J. 1745, mit einem Bericht über die Ausgrabung des Leichnams der Seligen i.J. 1629 (S. 170-174) und 25 farbigen Illustrationen. A u s g a b e n . F.J. , Leben d. sei. Luitgart, d. Stifterin v. Wittichen von d. Pfarrer B. v. B., Quellensammlungd.BadischenLandesgesch. 3 (1863)438—468; A. GUILLET/G. HERTZKA, Das Leben d. Hl. Luitgard v. Wittichen, aus d. Mhd. übertr. v. J. WÜRTH, Stein a. Rhein 1976 [mit den Illustrationen aus Donaueschingen, cod. 119].

2. B. v. B. (über Emmendingen i. Breisgau), neuerdings, WÜRTH, S. 155 Anm.4, urkdl. 1326, 1343, 1345 (als Leutpriester ?) nachgewiesen, schrieb das Leben der Luitgart (1291-1348) bald nach deren Tod, jedenfalls vor 1356 (erster Zusatz von anderer Hand, s. c. 86). Er bekundet die warhait seines Berichts mit dem Umstand, daß ihm dem armen priester... die salig muter haimlich ward und ihm den Ursprung irs salgen lebens, vnd wie sy gott darzu zwang, vnd all ir haimlikait verborgen, die gott mit ir hatt gewurckt, ihm offenbarte (c.81), also mit Ohrenzeugenschaft. Daß er auch ihr Beichtiger und Seelenführer gewesen ist, geht aus dem Text nicht hervor. Er scheint auch ihren Tod nicht miterlebt zu haben, denn dieser wird nur in den Schlußbetrachtungen erwähnt, nicht als Lebensabschluß und -erfüllung dargestellt. Schriftliche Unterlagen aus der Feder der Luitgart sind höchst unwahrscheinlich, Aufzeichnungen von Mitschwestern nach ihrem Tode hingegen nicht auszuschließen (s. , a S.439 ).

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3. B. schildert in schlichter, aber keineswegs ungeübter Art - er ist literatus, kennt jedenfalls das volkssprachliche erbaulichaszetische Schrifttum seiner Zeit - das Leben der Luitgart (Lüppart), die es als Bauerntochter aus Schenkenzell im Hochschwarzwald (unweit Alpirsbach) unternahm, in einem verlorenen Seitental der Kinzig ein Kloster zu errichten (Franziskanerinnen, seit 1402 Klarissen), ohne Mittel und ohne Bildung, sola fide, im Gnadenstand der Armut und Demut, und der Gelingen beschieden war. Fraglos dürfen die entscheidenden Stationen des Luitgart-Lebens, Herkunft, Eintritt in die Beginensiedlung Wolfach, Klausnerinnenleben, Stiftung und Bau des Klosters Wittichen (Wickten), Bettelfahrten in alemannischen Gauen und darüber hinaus, in der Darstellung B.s Authentizität beanspruchen. Desungeachtet liegt die 'Wahrheit', die der Verfasser in Anspruch nimmt, nicht in der Faktizität des Berichts, sondern in dessen Heilsvermittlung. Wie andere Schwestern-Viten der Zeit (Christine -* Ebner, Adelheid -> Langmann) oder die Selbstdarstellung Heinrich -> Seuses vermittelt B. aszetisch-mystische Lehre in der Form einer legendären Vita. Die Wunder, angefangen von der schmerzlosen Geburt (Maria!) (c.2) über die Gnadengaben des Kindes mit dem schiefen Hals (Vogelwunder c. 12), den Auftrag zum Klosterbau (c.27, 28), das Holzwunder (c.35), die Begegnungen mit Christus in verschiedenen Gestalten (als Tischgenosse c.42, als Wegbegleiter c.55, 56; als armer Pilger c.74) bis zur Gabe der Prophetic (c.58), sind legendärer Tradition verpflichtet. Indes ist das individuelle Kolorit (Kindheitsanekdoten, Bauarbeiten der Schwestern, Bettelfahrten) bedeutend größer als in anderen Schwesternviten - darin, aber auch typologisch, der franziskanischen Vitenschreibung der Frühzeit verwandt. B. ist besonders beeindruckt, daß diesem armen verschmechten menschen gegen alle Widerstände, Spott und Hohn gelang, was zu diesen Zeiten den Herren und Vermögenden vorbehalten blieb, ein Kloster zu zu bauen (c. 4,29,32,81). Er wage es auszusprechen, daß, seit Christus auf Erden ging, ein größeres Wunder nie geschehen sei

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Bertholdus Capellanus

(c. 32): eine, zeitgeschichtlich gesehen, wahrhaft auszeichnende Bemerkung, stellt sie doch das 'wahre, echte' Wunder - ein armes, schwaches Weib baut ein Kloster über alle Mirakel. 4. Kap. 51 berichtet, daß Luitgart, nachdem sie mit Gott, der seine Kinder verderben lasse, gehadert hat, in neuer Zuversicht ein Lied, Ich lobe des vaters anevang gesungen habe. Es ist erst als Nachtrag des 17. Jh.s (Donaueschingen, cod. 119, 9 -9 ) überliefert und darf, auch in einer ursprünglicheren Gestalt, nicht als authentisch angesehen werden. L i t e r a t u r (gesamthaft überholt bzw. wissenschaftlich unzulänglich). A.JUNDT, Les amis de Dieu au quattorzieme siecle, Paris 1879, S.35-37; M. DE VILLERMONT, Une Sainte ignoree: Luitgarde de Wittichen, Etudes franciscaines 13 (1905) 147-158, 297-308; 416-432; 515-531; L. HEIZMANN, Das Frauenklösterchen Wittichen, 1925; R. DOLD, Gottesfreunde am Oberrhein, 1949,5.43-58.

K.. KUH

Bertholdus Capellanus

1. Hofkaplan und Vertrauter des Landgrafen Ludwig IV. von Thüringen, verfaßte vermutlich bald nach dessen Tod und Begräbnis (1227/28) eine annalistisch angelegte, seit HOLDER-EGGER 'Gesta Ludowici' genannte Ludwigsbiographie, die als eines der zuverlässigsten Werke thüringischer Geschichtsschreibung gilt und in der er sich unter dem am 24.6.1227 von Schmalkalden zum Kreuzzug aufbrechenden Gefolge selbst nennt (MGH SS XXX 611 lof ·). 2. Obwohl B.s 'Gesta' nicht direkt überliefert sind, lassen sich ihr Umfang, ihr inhaltlicher Bestand und z.T. auch ihr Wortlaut auf Grund folgender Quellen mit hinreichender Sicherheit rekonstruieren: 1. 'Cronica Reinhardsbrunnensis', kompiliert um die Mitte des 14. Jh.s (Ausg. O. HOLDER-EGGER, MGH SS XXX [1896] 490 bis 656). In ihren zweiten Hauptteil sind große Partien von B.s Urfassung eingegangen, und zwar auf dem Umweg über eine verlorene, doch sicher erweisbare, vom Reinhardsbrunner Chronisten weitgehend wörtlich ausgeschriebene lat. 'Vita Ludowici', deren Verfasser, ein nicht näher bekannter Reinhardsbrunner Mönch, wohl nicht lange nach 1308 im wesentlichen B.s 'Gesta' exzerpiert, umgruppiert und mit einigen neuen Zutaten unterschiedlicher Pro-

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venienz angereichert, daneben aus ->· Dietrichs von Apolda 'Vita S. Elisabeth' und ihren Reinhardsbrunner Zusätzen geschöpft hatte. - 2. 'Das Leben des Heiligen Ludwig' von Friedrich -»Köditz (Ausg. H. RÜCKERT, 1851). Vorlage dieser zwischen 1314 und 1323 entstandenen Übersetzung aus dem Lat. war entgegen Köditz, der sie unmittelbar und zur Gänze auf Ludwigs capellan Berit zurückführt, die verlorene 'Vita Ludowici'. Der Vergleich der dt. Fassung mit der entsprechenden 'Cronica'Überlieferung erweist deren Treue auch im Bereich der ursprünglichen Berthold-Bestandteile. - 3. 'Vita S. Elisabeth' von -»Dietrich von Apolda, begonnen 1289 (Ausg. J. BASNAGE, Thesaurus monumentorum ecclesiasticorum et historicorum IV [1725] 116-152). Da alle Übernahmen aus B.s 'Gesta' gemäß Dietrichs hagiographischem Interesse rhetorisch-stilistisch aufgeputzt und um legendarische Züge vermehrt erscheinen, der Kompilator der 'Vita Ludowici' nach Ausweis ihrer beiden Ableitungen aber stets dann, wenn er bei B. und Dietrich dasselbe über seinen Helden vorfand, der 'Vita S. Elisabeth' gefolgt ist, erlaubt diese lediglich Rückschlüsse auf Einzelheiten des Sachgehalts, nicht auf den Wortlaut von B.s Bericht. 3. Die von den maßgeblichen historischen Untersuchungen zur thüringischen Landesgeschichte geleistete Quellenkritik läßt erkennen, daß den 'Gesta' B.s der einheitliche Charakter offizieller Geschichtsschreibung eines Augenzeugen zukommt: reich an genauen und durchweg glaubwürdigen Nachrichten über die politischen Vorgänge zur Zeit Ludwigs (mit zunehmender Ausführlichkeit im Zeitraum 1218-1227), bei aller Anteilnahme am persönlichen Schicksal des Landgrafen bemüht um größtmögliche Objektivität, frei von sagen- und legendenhaftem Beiwerk auch in Bezug auf die hl. Elisabeth, gekleidet in ein sprachliches Gewand, das einfach und sachgemäß ist und sich jedes stilistischen Schwulstes enthält. L i t e r a t u r . K. WENCK, Die Entstehung d. Reinhardsbrunner Geschichtsbücher, 1878; G. BOERNER, Zur Kritik d. Quellen f. d. Gesch. d. hl. Elisabeth, NA 13 (1888) 431-515, hier 475-500; O. HOLDER-EGGER,

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Bruder Berthold (von Freiburg)

Stud. z. Thüringischen Geschichtsquellen II-II1, NA 20 (1895) 569-637,21 (1896) 235-297; H. PATZE, Die Entstehung d. Landesherrschaft in Thüringen I (Md. Forschungen 22), 1962, S. 262-271; ders., Landesgeschichtsschreibung in Thüringen, Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 16/17 (1968) 95-168, hier 110-118. fT T

HELMUT LOMNITZER

Bruder Berthold (von Freiburg) 1. Autor. Alle bisherigen Überlegungen zur Biographie gehen aus von den Angaben B.s im Prolog der 'Summa Johannis' (i.F. 'SJ')- Er nennt sich dort prüder Perchtolt vnd priester und betont mehrmals seine Zugehörigkeit zum Dominikanerorden. Sein Werk hat er auf Drängen des hern bansen von Aur saugen, dez andachtigen ritters verfaßt (die Formen Au/Ow sowie Aur/Auer wechseln je nach stemmatischer Stellung und landschaftlicher Verteilung der Hss.). Seine Bemerkung, daß er die von ihm früher eifrig gepflegte Predigt nun aufgegeben und einez ainsidels leben angenommen habe, deutet darauf hin, daß die 'SJ' gegen Ende seines Lebens entstand. Diese dürftigen Hinweise müssen durch inhaltliche Gründe und die Überlieferungslage ergänzt werden. Gestützt auf die Datierung der damals bekannten Hss. setzte die ältere Forschung die Lebenszeit B.s um 1400 an (vgl. STANKA, S.9-11). Erstmals SCHULTE nahm aus inhaltlichen Gründen eine Entstehung der 'SJ' kurz vor der Wende zum 14. Jh. an, eine Datierung, die durch GEIGER untermauert wurde, indem er B. mit einem 1304 als Nachfolger des -> Johannes von Freiburg im Freiburger Dominikanerkonvent wirkenden Lektor identifizierte und auf ein Rittergeschlecht von Au bei Freiburg hinwies. Diese Datierung hat sich in der Forschung weithin durchgesetzt (STANKA, TRUSEN) und zu der Benennung B. von Freiburg geführt. Eine Spätdatierung unter Beibehaltung der Annahme, die 'SJ' sei in Freiburg entstanden, vertrat KOLLER, z.T. mit inhaltlichen Argumenten und mit dem Hinweis auf den Konventualen und späteren Komtur des Freiburger Johanniterhauses Hans von Au (1373-1408), dem als Angehörigen eines Ritterordens die Anrede andachtig zukäme (allerdings ist bei der Formulierung des Prologs, vor allem, wenn man sich für eine Frühdatierung entscheidet, kaum an eine Titulatur im strengen Sinn zu denken). Er kommt jedoch als Anreger des Werks nicht in Frage, da inzwischen eine auf 1390 (Innsbruck, ÜB, cod.549) datierte Hs. bekannt wurde und der Prolog Hans von Au(er) als verstorben bezeichnet.

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Mit Nachdruck sei betont, daß weder das Werk in Freiburg entstanden sein, noch der Autor von dort stammen muß. Vorläufige Ergebnisse von Untersuchungen der Sprache der 'SJ' deuten vielmehr auf Bayern als Herkunftsgebiet des Verfassers. Bei der Häufigkeit des Namens Berthold und der Vielzahl der Au(er) genannten Adelsgeschlechter wird jedem Identifizierungsversuch etwas Hypothetisches anhaften. Immerhin sei auf einige andere literarisch tätige Träger des Namens B. aus dem Dominikanerorden hingewiesen. Textliche Übereinstimmungen ergeben sich zwischen den Prologen der 'SJ' und des 'Horologium', der lat. Übersetzung des Zeitglöckleins des Bruder —> Berthold, dessen Datierung jedoch ebenfalls ganz unsicher ist. Ein Berthold,Lektor im Dominikanerkloster Wimpfen, wird als Verfasser eines 'Hortus spiritualis' genannt (Upsala, ÜB, cod. C78, 91y-120r). Ein 'De passione Christi' betiteltes Werk eines Dominikaners Berthold ist in München, clm 22353 und 23946 enthalten. Schließlich ist ein Berthold bekannt, der 1292 als Lektor im Dominikanerkonvent Nürnberg wirkte und eine Bearbeitung von 'De laudibus sanctae crucis' des -»Hrabanus Maurus verfaßte. Die Tendenz der Bearbeitung und die Arbeitstechnik des Autors (mosaikartiges Zusammensetzen von Sätzen der Vorlage) sind der des Verfassers der 'SJ' verwandt (vgl. H. G. MÜLLER, Hrabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis, Ratingen 1973, S. 145-156). Ob die genannten Werke mit der Person Bruder B.s in Verbindung gebracht werden können, wie dies die ältere Forschung, v.a. GEIGER, z.T. bereits getan hat, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen. Zur zeitlichen Einordnung des Autors werden die Ergebnisse der Vorlagenbestimmung heranzuziehen sein (s.u.).

2. Die d e u t s c h e ' S u m m a J o h a n n i s ' Ü b e r l i e f e r u n g . 80 hsl. Textzeugen (der älteste von 1390) und 12Drucke von 1472-1518. Zusammenstellung bei KAEPPELI, Scriptores, S.238 f.; zu streichen ist Köln, Hist. Arch., cod. W386*; bei Heidelberg, cpg 149 handelt es sich lediglich um Falzstreifen; Lambach, Stiftsbibl., cod. Pap. 194 ist heute Berlin, mgq 1860. Hinzu kommen noch: Berlin, mgf 1116; mgq 1973; Freiburg, Priesterseminar, cod. ms. 6; Herzogenburg, Stiftsbibl., cod. 334/1; Kalocsa, Erzbischöfl. Bibl., Ms. 320; München, cgm 5934; cgm 6014; Zwettl, Stiftsbibl., cod. 186. Außerdem sind bis jetzt sieben Hss. mit Exzerpten aus der 'SJ' bekannt: Berlin, mgf 1287, 2r-25v; Köln, Hist. Arch., cod. W 4° 206", 185'-192V; München, cgm 632, 114ra-114vb; cgm 5255, 169V170'; clm 8884, 140 4 ", 143vb; clm 14237 (bei KAEPPELI, S.239 als cgm bezeichnet); Solothurn, Zentralbibl., cod. S I 243, 124r-126v; 163r-164v, 174r. Es handelt sich dabei um Zufallsfunde, eine planmä-

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Bruder Berthold (von Freiburg)

ßige Erfassung der Exzerpte ist bislang nicht erfolgt. Zu den bei KAEPPELI, S. 239, erfaßten Drucken sind noch zwei des Adam Petri, Basel 1518, zu ergänzen (einer davon nd.).

Die Überlieferung läßt sich in drei Hss.Gruppen bzw. Fassungen (A, B, C) gliedern, wobei das Verhältnis von A (4 Hss., l Exzerpt, 4 Drucke) zu B (54 Hss., 8 Drucke) noch unklar ist, während C (22 Hss.) auf der Grundlage von B durch Kontamination mit A entstand. Verschiedene Hss. wechseln auch die Vorlage. Die hsl. Verbreitung hat ihren Schwerpunkt im obd. Sprachgebiet, näherhin im bairisch-österreichischen. Das alemannische Gebiet ist ebenfalls gut vertreten, die häufige Verwendung der 'SJ' wird hier gerade durch die Überlieferung der —> 'Rechtsabecedarien' bezeugt. Aus Mittel- und Niederdeutschland sind nur schwache Überlieferungsspuren erhalten, was jedoch vielleicht den schlechteren Überlieferungsbedingungen zur Last zu legen ist. Jedenfalls lassen die drei nd. Drucke, die nicht auf die der B-Fassung zugehörigen obd. Drucke zurückgehen, sondern die AFassung repräsentieren, auf eine weitere Verbreitung schließen. Gerade die A-Fassung zeigt mit der Hs. s'Gravenhage 74 A 49 (aus Dillenburg) auch den nördlichsten Ausläufer der hsl. Überlieferung. In Bibliothekskatalogen ist die 'SJ' auch für das Deutschordensland belegt. D r u c k . Auszüge bei GEIGER und STANKA, passim (die als 'SJ' bezeichneten Stücke bei W. STAMMLER, Prosa d. dt. Gotik, 1933, S.84f. und P. LEHMANN/O. GLAUMING, 72. Beiheft zum ZfB (1940) 151-154 stammen aus 'Der Tugenden Buch'). Eine überlieferungskrit. Ed. wird von der Würzburger Forschergruppe 'Prosa des deutschen MAs' vorbereitet.

Die 'SJ' ist eine deutschsprachige Bearbeitung der 'Summa confessorum' des Johannes von Freiburg in etwa 700 alphabetisch angeordneten Sach- und Verweisartikeln. Der in den Hss. am häufigsten verwendete Titel lautet Summa Johannis oder Summa Jobannis des decrets; in der wissenschaftlichen Literatur wird sie häufig als 'Rechtssumme' bezeichnet. Eine Überprüfung der Vorlagen, die etwa 20% des Textbestandes der 'SJ' erfaßte, ergab, daß sie fast ausschließlich auf dem

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Werk des Johannes beruht und B. nur verhältnismäßig wenige Zusätze machte. An einigen Stellen sind auch die in den 'Statuta summae confessorum ex libro VI° decretalium' des Johannes von Freiburg niedergelegten Ergänzungen herangezogen worden, wogegen die spätere Rechtsentwicklung nicht mehr berücksichtigt wurde. Vor allem scheint auch die 'Summa de casibus conscientiae' des Dominikaners —»Bartholomäus von Pisa (1338), die von ihrem Verfasser dazu bestimmt war, das Werk des Johannes zu ersetzen und rasch Verbreitung fand, nicht ausgewertet worden zu sein. Sprechen diese Tatsachen für eine Datierung zwischen 1300 und 1340, so ist auf der anderen Seite das späte Einsetzen der Überlieferung zu berücksichtigen. Weiterführende Argumente sind nur von einer eingehenden Untersuchung aller inhaltlichen Abweichungen von der Vorlage zu erwarten (vgl. die Ansätze bei KOLLER, S. 122-125 und ihre Kritik durch TRUSEN, S. 101-105). B. hat nicht geschlossene Quästionen seiner Vorlage bearbeitet, sondern aus allen Teilen der 'Summa confessorum' Material für das von ihm entworfene Stichwortschema zusammengeholt, mosaikartig zusammengesetzt und zum größten Teil wörtlich übersetzt. Eine lat. Zwischenstufe als Grundlage der Übertragung (GEIGER, S. 35 bis 39, vermutete geradezu eine der abecedarischen Abbreviaturen der 'Summa confessorum' als unmittelbare Vorlage) hat sich bislang nicht feststellen lassen. Die von Johannes von Freiburg vorgenommene Kennzeichnung der Herkunft der einzelnen Rechtssätze unter Zitierung der Autoritäten hat B. beibehalten, wenn er auch in der Wiedergabe nicht immer korrekt war. Erhalten sind die Zitate in den Fassungen B und C, die überhaupt gegen Ende des Werks stark zu lat. Einschüben neigen und im ganzen umfangreicher sind, während der zu Kürzungen neigende Redaktor der A-Fassung die Zitate fast ganz gestrichen hat. Die Leistung B.s beruht jedoch nicht allein auf der Übertragung und der Umarbeitung der systematisch angeordneten Quästionen der Vorlage in ein Abecedarium, sondern auch in seiner Synthese des Rechts-

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Bruder Berthold (von Freiburg)

Stoffes für ein anderes Publikum. Umfaßte die 'Summa confessorum' die gesamte dem forum internum, der Beichtpraxis, zugehörige Rechtsmaterie, dargestellt für Priester, die zumindest über rudimentäre Kenntnisse des kanonischen Rechts verfügten, so hat B. allen Rechtsstoff ausgeschieden, der nur die Rechtsverhältnisse der Kleriker betraf (so z.B. das gesamte Weiherecht) und deutliche Schwerpunkte in der Moraltheologie und dort gesetzt, wo das kanonische Recht in das Leben der Laien eingriff. So kommt es beispielsweise, daß Thomas von Aquin gegenüber den kirchenrechtlichen Autoritäten viel stärker hervortritt, als das in der 'Summa confessorum' der Fall war. Das Resultat gehört nicht mehr der Gattung Beichtsumme an, sondern kann eher allgemein als S i t t e n b u c h für ein Laien publikum (BERG) bezeichnet werden, womit auch die von B. im Prolog ausgesprochene Intention, das zu schreiben, daz den leuten aller nutzest ist ze wizzen am zutreffendsten umschrieben ist. 3. B e n u t z e r s c h i c h t e n . W i r k u n g s geschichte. V e r b r e i t u n g . In der 'SJ' waren somit zwei Hauptelemente vereinigt: moraltheologische Definitionen und kirchenrechtliche Kasuistik, die am stärksten den Charakter der Vorlage widerspiegelt. Davon wird die Rezeption bestimmt. Der größte Teil der nach ihrer Provenienz bestimmbaren Hss. war ursprünglich in Laienbesitz, nur in einigen wenigen Fällen waren Klöster und Weltgeistliche als Vorbesitzer nachzuweisen; in einem Teil der sonst nicht bestimmbaren Überlieferung waren sie sogar mit Sicherheit als Vorbesitzer auszuschließen. Dennoch muß das Werk auch in diesen Kreisen verbreitet und benutzt worden sein. Das bezeugt einmal die Aussage der Hs. Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 362, 232V, daß auch siecht priester die in latein villeicht als vil nicht verneinen als not war das sy dar aus nemmen wie si sich vnd ander menschen vnderweisen vnd halten schölten; zum anderen ist gerade bei den bisher bekannten Exzerpten eine Benutzung durch Geistliche wahrscheinlich zu machen. Die 'SJ' erscheint hier im Zusammenhang mit katechetischer und Erbauungsliteratur und so wird sie etwa auch im

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Vorwort zum Druck von 1518 aufgefaßt (vgl. STANKA, S. 17f.). Kleriker und Laien fanden hier eine allgemeine Richtschnur christlichen Lebens, was zu erchantnüss seiner seil sälichait wes er schuldig ist vnd wie er sich halten sol in christenlicher Ordnung. Sehr viel schärfer läßt sich eine andere Funktion der 'SJ' in der hsl. Überlieferung fassen, die auch die Verlagsanzeige Anton ->Sorgs von 1480 hervorhebt: ihre Verwendung als R e c h t s b u c h . Das zeigt zunächst die Mitüberlieferung; häufig ist die 'SJ' mit anderen dt. Texten der Rechtspraxis (—> 'Schwabenspiegel', 'Belial' [-»Jacobus von Theramo], Oberbayrisches Landrecht', ->Ruprecht von Freising u.a.) in einer Hs. verbunden. In vielen Fällen ist für den ursprünglichen Besitzer eine Tätigkeit in der Gerichtspraxis nachzuweisen. Am deutlichsten aber drückt sich diese Einschätzung der 'SJ' darin aus, daß sie neben 'Sachsenspiegel' (-»Eike von Repgow) und 'SchwabenSpiegel' in die großen 'Rechtsabecedarien' des 15. Jh.s eingearbeitet wurde. Wie die beiden Spiegelrechte das weltliche Recht, verkörperte die 'SJ' für die Kompilatoren das geistliche Recht, soweit es auf die Laienwelt Bezug nahm. Es ist bezeichnend, daß gerade die Stichworte rein theologischen Inhalts hier keine Aufnahme fanden. In ihrer Verwendung als Rechtsbuch hat die 'SJ' einen bedeutenden Beitrag zur Rezeption des kanonischen Rechts, bes. zu seiner Einschmelzung in die dt. Rechtsbücher geleistet. L i t e r a t u r . J.F. SCHULTE, Die Gesch. d. Quellen u. Lit. d. canonischen Rechts II, 1877, S.423; die übrige ältere Lit. vgl. in den beiden folgenden Titeln. O. GEIGER, Stud, über Bruder B., Freiburger Diözesanarch. 21 (1920) 1-54; R. STANKA, Die Summa des B. v. F., 1937; H. KOLLER, Die Entstehungszeit d. Summa des B. v. F., MIÖG 67 (1959) 117-134; K. BERG, Der Tugenden Blich, 1964, bes. S. 10-28; KAEPPELI, Scriptores I 238f.; W.TRUSEN, Forum internum u. gelehrtes Recht im SpätMA, ZRG Kan. Abt. 57 (1971) 83-126; A. LAUFS u.a., Das Wimpfener Rechtsbuch, ZRG Germ. Abt. 89 (1972) 175-211; H.-W. STRÄTZ, Treu u. Glauben I, 1974, S. 64-70; H. WECK, Die Uberl. d. 'Rechtssumme' Bruder B.s, Diss. (masch.) Würzburg 1977; H. ULMSCHNEIDER, Die 'SJ' d. Dominikaners B. in mal. dt. Rechtsbüchern (im Erscheinen); M. HAMM, Das Verhältnis d. Rechtssumme z. Summa Confesso-

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Berthold von Herbolzheim - Berthold von Holle

rum d. Joh. v. Freiburg. Zur Arbeitsweise d. Bruder B. (im Erscheinen).

PETER JOHANEK

Berthold von Herbolzheim Die Herren von Herbolzheim (30km nördl. von Freiburg i. Br.) waren Ministerialen der Herzöge von Zähringen. B., sonst nicht nachgewiesen, verfaßte nach dem Zeugnis ->· Rudolfs von Ems ('Alexander' v. 15772-82) dem edelen Zäringcere, wohl Herzog Berthold V. (1186-1218), eine Alexanderdichtung. Rudolf lobt das formale Können und die verständige Darstellung (nahm B. sich —> Hartmann von Aue zum Vorbild?), tadelt aber als Historiograph die schmale Stoffgrundlage. Die Dichtung ist verschollen. SCHRÖDER vermutete in ihr eine höfische Bearbeitung von -> Lambrechts Werk, DENECKE eine Vorstufe zum 'Basler Alexander'. ERTZDORFF erinnerte an die Reichsund Territorialpolitik des Herzogs, um sein Interesse am Alexanderstoff zu erklären. STAMMLER meinte, ein Freiburger Bildteppich von ca. 1330 lasse vielleicht auf das Fortleben von B.s Dichtung in oberrheinischen Adels- und Patrizierkreisen schließen. L i t e r a t u r . E. HEYCK, Gesch. d. Herzoge v. Zähringen, 1891; A. KRIEGER, Topographisches Wörterbuch d. Großherzogtums Baden I, 21904, S. 936; E. SCHRÖDER, Rudolf v. Ems u. sein Literaturkreis, ZfdA 67 (1930) 228-230; L. DENECKE, Ritterdichter u. Heidengötter, 1930, S. 22-27 u. 159; W. STAMMLER, Wort u. Bild, 1962, S. 74-76 u. Abb. 9; X. v. ERTZDORFF, Rudolf v. Ems, 1967, S. 398 f.

WERNER FECHTER Berthold von Holle Verfasser von drei, nur frgm. erhaltenen, höfischen Ritterepen, mal. Usus entsprechend nach dem Helden benannt: 'Demantin', 'Darifant', 'Crane'. 1. Biographisches. Die Identität des Dichters mit einem von drei Angehörigen aus dem adligen, im Hildesheimischen und Lüneburgischen bezeugten Geschlecht von Holle kann nicht gesichert werden. In Frage kommen in erster Linie der dritte Sohn Dietrichs von Holle, Berthold (urk. bez. 1251-70), und sein freilich namenlos bezeugter Vetter (urk. 1235-47). Beziehungen

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bestanden zum jungen Herzog Johann von Braunschweig, dem Urenkel Heinrichs des Löwen, der, anscheinend mündlich, den Stoff des 'Crane' vermittelte (Cr. v. 25 ff.). Er regierte 1252-77. 'Crane' ist wohl Bertholds späteste Dichtung (Cr. v. 2138 verweist auf 'Demantin') und vor 1267 anzusetzen (Näheres bei V.MALSEN-TILBORCH,S. 1-4). 2. Ü b e r l i e f e r u n g . 'Demantin': Dessau,LB,Georg 225.8°, 15. Jh. (11761 vv., fast vollst. Text), u. 2Frgm.e (Heidelberg, Kiel; Rostock verschollen); 'Darifant': Kebenhavn, Kgl. bibl., cod. NKS 173,4°, Perg., 14. Jh. (Frgm., 265 vv.); 'Crane': Pommersfelden, Schloßbibl., cod. 2949,5, dat. 1470 (4736 vv., fast vollst. Text), und 3 Frgm.e (Minden, Göttingen, Wolfenbüttel). (Näheres bei v. MALSEN-TILBORCH S. 4-9 m. Lit.) 3. A u s g a b e n . [Werke] hg. v. K. BARTSCH, 1858, 2 1967; ders., 'Demantin' (StLV 123), 1875.

4. Eine literarische Quelle konnte bisher für keines der Epen namhaft gemacht werden. Daß es eine solche, in Frankreich, gegeben hat, ist ebenso wenig wie die Vermittlung mündlich tradierter Erzählstoffe auszuschließen. Große Wirkung haben die Dichtungen nach Ausweis der erhaltenen Hss. nicht ausgeübt. Die Prosaumschrift des 'Crane', die im 15. Jh. unternommen wurde, ist nur einmal frgm. erhalten (Teildr. v. J. BOLTE, Zum Crane B.s v. H., Ndjb 18 [1892] 115-19); 1444 wurde in Lübeck auf der horch das Fastnachtsspiel kran valke vnde (stare~) aufgeführt. Das Stichwort für die Stoffbenutzung scheint 'Freundestreue' gewesen zu sein (E. H. FISCHER, Lübecker Theater u. Theaterleben, 1932, S. 135). Eine Reihe von Bemerkungen im 'Demantin' und 'Crane' zum Thema Dichter-Publikum (zusammengestellt bei v. MALSEN-TILBORCH, S. 141 Anm. 30; vgl. BARTSCHS Anm. zu Cr. v. 1726) scheint auch in der Abundanz des Topischen Kritik des Publikums an Bertholds 'ausladender' Erzählweise widerzuspiegeln. B. war seiner Herkunft nach Niedersachse, doch ist sein CEuvre in einer nd.-hd. Mischform abgefaßt (am besten von URBANEK untersucht), die kunstsprachlichen Charakter besitzt und wenig mit einer 'ritterlichen Standessprache' am Weifenhof (URBANEK) zu tun hat. Die Sprache sucht offenbar nicht den literatursprachlichen md. Ausgleich, sondern befleißigt sich

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Berthold von Moosburg

schlichter, bes. im 'Crane', um Zurückdrängung von eindeutig mundartlicher Lautung und Lexik. 5. B. ist durch seine künstlerische Mediokrität ein instruktives Beispiel für nachklassische Möglichkeiten des ritterlichen Aventiurenromans. Er kennt die äußeren Bau- und Lebensgesetze des klassischen Artusepos, aber nicht mehr die inneren Bedingungen, denen sie ihre Existenz verdanken. Artus, als das Handlung initiierende, selbst nicht handelnde Zentrum, fehlt bei ihm, die Konfrontation des Protagonisten mit der Gawan-Norm ist der spannungslosen Verdoppelung des Helden gewichen (Demantin-Firganant im 'Dem.'), der 'doppelte cursus' wird durch Aneinanderbinden zweier Handlungsstänge erreicht, wobei die 'Krisis' nicht aus dem Helden selbst, sondern aus zufälligem äußeren Anlaß hervorgeht, die zeichenhafte Welt des Wunderbaren ist ebenso zurückgedrängt wie die eigene Zeit- und Raumgesetzlichkeit des klassischen Epos. Dabei bleibt aber die Einpassung in einen geographischen Raum (Crane ist ungarischer Königssohn, Demantin beim König von England usw.) funktionslos, neue Wirklichkeit entsteht nicht. Denn wenn auch wie bei —* Rudolf von Ems Realhistorie in Einzelzügen sichtbar wird, so dient sie nicht dazu, den Helden in ihrer Wirklichkeit agieren zu lassen, sondern der Zeit des Interregnums das Bild des idealen Fürsten nur um so eindrücklicher entgegenstellen zu können. Der Appell, früher die Handlung und ihre Sinnstruktur selbst, führt nun ein didaktisches Eigenleben (Zwergenkönig Comandion, Fürstenspiegelelemente). Sprache und Motivik rechnen mit Kenntnis und Erwartungsrahmen des Publikums (der Hörer darf sich erinnert fühlen: Sperberpreis und Bildersaal im 'Dem.', Acurteis-Episode — Schwestern vom Schwarzen Dorn im 'Cr.'.) und bezeichnen daher die Idealität in abgekürzter Formel. Erzählerisch und kompositorisch sind 'Dem.' u. 'Cr.' nicht gleichwertig; 'Cr.' zeigt ein höheres Maß an poetischer Integrationsfähigkeit als das Erstlingswerk. Von den literarischen Einflüssen, die frühere Forschung namhaft gemacht hat,

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um die Position B.s zu bezeichnen, ist nicht viel zu halten. B. kannte viel (Nennung -»•Wolframs 'Dem', v. 4834, 11670) und brachte es in Allusionen und Adaptationen zur Geltung, ohne daß man ihn festlegen könnte. Allein Rudolfs von Ems 'Wilhelm' scheint, auch in seiner Betonung von Maß und Haltung, dem 'Crane' zum Vorbild gedient zu haben. Zeittypisch ist, daß auch Elemente anderer Gattungen (Wolframs 'Willehalm': Massenschlachten; Spielmännisches) unbefangen in die höfische Erzählwelt aufgenommen werden. All das hebt eine gewisse, auch geographisch bestimmte, Isolierung nicht auf. L i t e r a t u r . F.URBANEK,Dersprachl.u.lit.Standort B.s v. H ...,Diss. (masch.) Bonn 1952; DE BOOR, LG II 211-213; G. v. MAI.SEN-TILBORCH, Repräsentation u. Reduktion (MTU 44), 1973 (m. vollst. Bibliographie zu B.: S. 185-187).

HANS FROMM

Berthold von Konstanz Reichenau

Berthold von

Berthold der Marner -»Dietrich von Apolda Berthold von Moosburg D o m i n i k a n e r theolog e. 1. B. stammt wahrscheinlich aus Moosburg a. d. Isar. Wann er Dominikaner wurde, läßt sich nicht feststellen. Nach einer Randnotiz im cod. F.IV.30 der ÜB Basel schrieb er um 1318 einen Kommentar zu den aristotelischen 'Metereologica'. 1327 war er Lesemeister in Regensburg, 1335-1343 Lesemeister und Beginenseelsorger in Köln. Nach der Vertreibung der Dominikaner aus der Stadt 1346 ist er 1348 in Nürnberg als Vicarius Fratrum Praedicatorum bezeugt. 1350 berichten die Nonnen Adelheid -» Langmann und Christina ->Ebner(in) unabhängig voneinander über einen Besuch B.s im Kloster Engeltal bei Nürnberg und eine Messe, die er dort gehalten hat. Von 1353 an ist er wieder in Köln nachweisbar, zuletzt am 11.3.1361. Zeitpunkt und Ort seines Todes sind unbekannt. 2. Von B.s Werken ist anscheinend nur seine 'Expositio elementationis Procli' erhalten.

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Betthold von Regensburg

Ü b e r l i e f e r u n g . Rom, Bibl. Vaticana, cod. Vat. lat. 2192, v. J. 1431; Oxford, Bibl. Bodleiana, cod. Balliol 224 B, v. J. 1444; vgl. ECKERT, S. 124-126.

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tus Merkelini Saxonis qui habuit sororem fratris Perchtoldi magni predicatoris a. d. l .2.82. Der Eintrag seines eigenen Todestages unter dem Datum 1272 lautet: XIX. K. ]. [= 14. Dez.] O. fr. perhtoldus magnus predicator.

B.s Kommentar liegt die Proklosübersetzung Wilhelms von Moerbeke aus dem Möglicherweise studierte B. in MagdeJahre 1268 zugrunde. Seine Proklosauffassung, stark von -* PS. Dionysius bestimmt, burg: SCHÖNBACH, 1907/1908, S. 14f., ist im einzelnen oft schwer erkennbar, da macht darauf aufmerksam, daß seine naturder Kommentar weithin ein Gewebe aus wissenschaftlichen Kenntnisse hauptsächZitaten darstellt. Wichtigste Autoritäten lich 'De proprietatibus rerum' von -» Barneben PS. Dionysius sind PS. Hermes Tris- tholomaeus Anglicus entstammen, der Lekmegistus, -> Alanus ab Insulis, -»Albertus tor in der 1228 geschaffenen Studienanstalt Magnus, —> Dietrich von Freiberg. Der war. -> David von Augsburg war B.s socius, Kommentar, ganz auf den Gedanken der sein Assistent; die Vermutung, daß er sein Einheit (Gottes, der Dinge, der Seele) ab- Lehrer gewesen sei, entstammt einem Begestellt, versucht neuplatonisches und christ- gleitbrief, den David mit seiner 'Composiliches Gedankengut zu einem Weltbild zu tio exterioris hominis' an B. geschickt haben verschmelzen, arbeitet deshalb mit einer soll. RIEDER, 1901, S. 11-15 hat aber geprovidentia naturalis und einer providentia zeigt, daß nur 20 der 370 bekannten Hss. voluntaria, deutet die Proklischen du als der 'Compositio',, und zwar späte, den in ideae seu causae primordiales. Emanatio Frage kommenden Begleitbrief enthalten, versteht er a) als originales, d.h. innertrini- zuerst mit der Inscriptio ßs, dann Berth oder tarisch, b) als causalis, d.h. als creatio. Bernardo, endlich Bertholdo. Da der Thomismus im DominikanerZuverlässigere Auskunft über B.s Leben orden schon im Laufe des 14. Jh.s zur erhalten wir erst ab 1240, als er nach verSchuldoktrin wurde, konnte B. im Orden schiedenen Chronisten in Augsburg predigte. keinen Einfluß gewinnen. Doch darf seine Vor 1253 predigte er in Böhmen, im Nov. Arbeit als Wegbereitung für den Albertinis- 1253 in Landshut, im Jan. 1254 und wiemus im 15. Jh. an der Kölner Universität ge- der im Jan. 1255 in Speyer, 1255 in Colmar. In demselben Jahr zog er zum ersten Mal sehen werden. L i t e r a t u r . W. RUBCZYNSKI, Studja neoplatonski, durch die Schweiz, wo wir von seinen TätigPrzeglad Filosoficzny 3 (1900) 41-69; E. KREBS, Meikeiten in Konstanz, Winterthur, Zug, Thun, ster Dietrich (Theodericus de Vriberg), 1906, S. 50 u. Zürich hören, und reiste dann in die Steier216; M. GRABMANN, Mal. Geistesleben I, 1926, u. II, mark. Überall predigte er vor Menschen1936, Reg.; W. ECKERT, B. v. M., Philos. Jb. 65 (1957) mengen, deren Größe sicher übertreibend 120-133; KAEPPELI, Scriptores I 240. WILLEHAD P. ECKERT bis auf 200000 Menschen geschätzt wurde. Er ließ oft eine Kanzel vor der Kirche oder sogar auf offenem Feld aufbauen, stellte mit Berthold von Regensburg einer kleinen Fahne fest, aus welcher Rich1. Leben. B. wurde ca. 1210 geboren. tung der Wind wehte, und bat seine Hörer, Über Geburtsort und -datum, Familie und sich nach dem Wind zu setzen. Eine 1447 Ausbildung wissen wir nichts Sicheres. datierte kolorierte Federzeichnung soll B. Spätere Chronisten (z.B. —»Andreas von Regensauf solch einer Kanzel darstellen (Vorderburg, Sämtliche Werke, 21969, S. 62) behaupten, er sei blatt von Wien, cod. 2829). Urban IV. bein Regensburg geboren, aber die Aussage seines zuverstimmte ihn und -» Albertus Magnus 1263 lässigen Zeitgenossen -> Hermann von Altaich de domo als Kreuzprediger gegen die Häretiker, worRatisponensi (MGH SS 17, S. 395) ist zweideutig. Die auf B. Deutschland (1263/64), Frankreich Todestage einer angeblichen Schwester und ihres Man(wo er mit König Ludwig IX. sprach) und nes stehen in demselben Necrologium Minoritarum die Schweiz durchwanderte. Näher datierte Ratisponensium (früher München, clm 13030, jetzt Nachrichten hören wir erst wieder 1271, als clm 1004), in dem sein eigener Todestag eingetragen ihm die Todesstunde Davids von Augsburg ist: 6. ]d. ]unij O. Elisabet sechsin [nicht lechsin] soror fratrisperchtoldia°.d. 1.2.93....D. V.J.Oct.ltemobigeoffenbart worden sein soll. Er starb 1272

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Betthold von Regensburg

Ü b e r l i e f e r u n g . Rom, Bibl. Vaticana, cod. Vat. lat. 2192, v. J. 1431; Oxford, Bibl. Bodleiana, cod. Balliol 224 B, v. J. 1444; vgl. ECKERT, S. 124-126.

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tus Merkelini Saxonis qui habuit sororem fratris Perchtoldi magni predicatoris a. d. l .2.82. Der Eintrag seines eigenen Todestages unter dem Datum 1272 lautet: XIX. K. ]. [= 14. Dez.] O. fr. perhtoldus magnus predicator.

B.s Kommentar liegt die Proklosübersetzung Wilhelms von Moerbeke aus dem Möglicherweise studierte B. in MagdeJahre 1268 zugrunde. Seine Proklosauffassung, stark von -* PS. Dionysius bestimmt, burg: SCHÖNBACH, 1907/1908, S. 14f., ist im einzelnen oft schwer erkennbar, da macht darauf aufmerksam, daß seine naturder Kommentar weithin ein Gewebe aus wissenschaftlichen Kenntnisse hauptsächZitaten darstellt. Wichtigste Autoritäten lich 'De proprietatibus rerum' von -» Barneben PS. Dionysius sind PS. Hermes Tris- tholomaeus Anglicus entstammen, der Lekmegistus, -> Alanus ab Insulis, -»Albertus tor in der 1228 geschaffenen Studienanstalt Magnus, —> Dietrich von Freiberg. Der war. -> David von Augsburg war B.s socius, Kommentar, ganz auf den Gedanken der sein Assistent; die Vermutung, daß er sein Einheit (Gottes, der Dinge, der Seele) ab- Lehrer gewesen sei, entstammt einem Begestellt, versucht neuplatonisches und christ- gleitbrief, den David mit seiner 'Composiliches Gedankengut zu einem Weltbild zu tio exterioris hominis' an B. geschickt haben verschmelzen, arbeitet deshalb mit einer soll. RIEDER, 1901, S. 11-15 hat aber geprovidentia naturalis und einer providentia zeigt, daß nur 20 der 370 bekannten Hss. voluntaria, deutet die Proklischen du als der 'Compositio',, und zwar späte, den in ideae seu causae primordiales. Emanatio Frage kommenden Begleitbrief enthalten, versteht er a) als originales, d.h. innertrini- zuerst mit der Inscriptio ßs, dann Berth oder tarisch, b) als causalis, d.h. als creatio. Bernardo, endlich Bertholdo. Da der Thomismus im DominikanerZuverlässigere Auskunft über B.s Leben orden schon im Laufe des 14. Jh.s zur erhalten wir erst ab 1240, als er nach verSchuldoktrin wurde, konnte B. im Orden schiedenen Chronisten in Augsburg predigte. keinen Einfluß gewinnen. Doch darf seine Vor 1253 predigte er in Böhmen, im Nov. Arbeit als Wegbereitung für den Albertinis- 1253 in Landshut, im Jan. 1254 und wiemus im 15. Jh. an der Kölner Universität ge- der im Jan. 1255 in Speyer, 1255 in Colmar. In demselben Jahr zog er zum ersten Mal sehen werden. L i t e r a t u r . W. RUBCZYNSKI, Studja neoplatonski, durch die Schweiz, wo wir von seinen TätigPrzeglad Filosoficzny 3 (1900) 41-69; E. KREBS, Meikeiten in Konstanz, Winterthur, Zug, Thun, ster Dietrich (Theodericus de Vriberg), 1906, S. 50 u. Zürich hören, und reiste dann in die Steier216; M. GRABMANN, Mal. Geistesleben I, 1926, u. II, mark. Überall predigte er vor Menschen1936, Reg.; W. ECKERT, B. v. M., Philos. Jb. 65 (1957) mengen, deren Größe sicher übertreibend 120-133; KAEPPELI, Scriptores I 240. WILLEHAD P. ECKERT bis auf 200000 Menschen geschätzt wurde. Er ließ oft eine Kanzel vor der Kirche oder sogar auf offenem Feld aufbauen, stellte mit Berthold von Regensburg einer kleinen Fahne fest, aus welcher Rich1. Leben. B. wurde ca. 1210 geboren. tung der Wind wehte, und bat seine Hörer, Über Geburtsort und -datum, Familie und sich nach dem Wind zu setzen. Eine 1447 Ausbildung wissen wir nichts Sicheres. datierte kolorierte Federzeichnung soll B. Spätere Chronisten (z.B. —»Andreas von Regensauf solch einer Kanzel darstellen (Vorderburg, Sämtliche Werke, 21969, S. 62) behaupten, er sei blatt von Wien, cod. 2829). Urban IV. bein Regensburg geboren, aber die Aussage seines zuverstimmte ihn und -» Albertus Magnus 1263 lässigen Zeitgenossen -> Hermann von Altaich de domo als Kreuzprediger gegen die Häretiker, worRatisponensi (MGH SS 17, S. 395) ist zweideutig. Die auf B. Deutschland (1263/64), Frankreich Todestage einer angeblichen Schwester und ihres Man(wo er mit König Ludwig IX. sprach) und nes stehen in demselben Necrologium Minoritarum die Schweiz durchwanderte. Näher datierte Ratisponensium (früher München, clm 13030, jetzt Nachrichten hören wir erst wieder 1271, als clm 1004), in dem sein eigener Todestag eingetragen ihm die Todesstunde Davids von Augsburg ist: 6. ]d. ]unij O. Elisabet sechsin [nicht lechsin] soror fratrisperchtoldia°.d. 1.2.93....D. V.J.Oct.ltemobigeoffenbart worden sein soll. Er starb 1272

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und wurde in Regensburg begraben (WADDING, 1931, S. 407). B. war nicht nur als Prediger bekannt. Man rief ihn auch, um Familien-, Kirchenoder Regierungsstreitigkeiten zu schlichten. In dieser Rolle tritt er in der ältesten seinen Namen erwähnenden Urkunde auf, als er, David und zwei andere mit der Visitation des Frauenklosters Niedermünster in Regensburg beauftragt wurden (PS I, S. XX; SCHÖNBACH, 1907/1908, S. 7-9). Im Auftrag Alexanders IV. predigten B. und drei andere Geistliche 1257-1258 das Kreuz gegen Herzog Boleslav von Schlesien, der Bischof Thomas von Breslau gefangengenommen hatte, und bewegten den Herzog, barfuß von Goldberg nach Breslau zu wandern, um den Bischof um Vergebung anzuflehen (RIEDER, S. 19-22). Inwiefern diese Berichte wahr sind, ist nicht immer genau festzustellen. Sicher bleibt aber, daß B. während und lange nach seinem Leben hohen Ruhm genoß. Sogar Wunder sagte man ihm nach. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Von den verschiedenen Schriften B.s, die ältere Kirchenhistoriker erwähnen (s. JAKOB, 1880, S. 12), kennen wir heute nur seine lat. und dt. Predigten. Die lat. P r e d i g t e n bestehen aus 5 Sammlungen: 'RusticanusdeDominicis' = 'RdD', 'Rusticanus de Sanctis' = 'RdS', 'Commune Sanctorum Rusticani' — 'CSR', 'Sermones ad Religiosos et quosdam alios' = 'SR' und 'Sermones speciales et extravagantes' — 'SS'. Die ersten 3 Sammlungen sind authentisch und wurden 1250—1255 in der angegebenen Reihenfolge zusammengestellt. Aus Rückverweisen wird klar, daß sie eine Sammlung bilden; einige Hss. des 'RdD' enthalten eine Vorrede B.s, in der er erklärt, daß er die Sermone aufschreiben mußte, ... quod, cum predicarem eos in popolo, quidam simplices elend religiosi... voluerunt notari sibi illa, que poterant capere, et sic multa falsa notaverunt ... Die Echtheit der Predigten in 'SR' und 'SS' dagegen ist oft fraglich und die Anzahl variiert von Hs. zu Hs. (SCHÖNBACH, 1906, Studie5). Hinzu kommen verstreut Sermone in anderen Hss., teils B. zugeschrieben, aber sicher unecht, teils anonym oder anderen zugeschrieben, aber aus inneren Gründen als bertholdisch anzuerkennen.

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CASUTT zählt 55,124,75, 87 und 48 Predigten in den 5 Sammlungen und registriert in seiner Monographie 259 erhaltene Hss. mit lat. Sermonen von B (CASUTT, 1961, s. auch JAKOB, Teil V). Einige Monate vor CASUTTS Tod 1967 war die Zahl auf 302 gestiegen (briefliche Mitteilung des Verstorbenen).

Die d e u t s c h e n P r e d i g t e n sind nicht authentisch, wie schon GRIMM erkannte (s. S.248 = S.352). Sie wurden wohl ca. 1275 als Lesestücke von demselben Minoritenkreis redigiert wie der -»'DeutschenspiegeP und der -»· 'Schwabenspiegel' (SCHÖNBACH, 1906, Studie 6, S. l; HÜBNER, S. 100; RUH, Bonav. dt., S. 97). Wir kennen 8 Haupthss. sowie etwa 18-20 mit einzelnen Predigten. Dazu kommen die Meßpredigt (s. u.) und kürzere, B. zugeschriebene, aber meist unechte Stücke. Die genaueste Liste bringt RUH im Anhang zum Nachdr. der PS-Ausgabe (S. 700-712). Mehrere Sermone sind in einer kürzeren und einer längeren Fassung erhalten, z.B. PS VIII: XLVI1I, XIX :LVI. RICHTER, 1968, teilt die dt. Predigten in 3 Gruppen: *X enthält die längeren Predigten; *Y bringt die kürzeren Stücke; *Z besteht aus den 'Klosterpredigten' (PS LXVI-LXXI) und erscheint u. a. in München, cgm 176, in 3 der 6 Hss. des -> 'Baumgartens geistlicher Herzen', in Frgm. cgm 5250 und in vollständigem Umfang in der Teilsammlung YIV, die somit eine Mischsammlung bildet (Z-l = Y-113, Z-2 = Y-114 usw.). *Z bietet die ältesten dt. Zeugnisse B.s. RICHTER nennt auch eine 'Streuüberlieferung', Predigten, die z.T. mit Stücken der *X-, *Y- oder *ZGruppe und z.T. vereinzelt in meist jüngeren Sammelhss. erscheinen und von dem Nachleben bertholdischen Gutes zeugen. Ein Beispiel ist 'Vom geistlichen Wege', das in wenigstens 10 verschiedenen Fassungen als X—45, Y-6a, Z-7 = PS LXX, Nr. 4 beim -»Schweizer Prediger (= K. RIEDER, Der sog. St. Georgener Prediger [DTM 10], 1908, Nr. 1-35, 76-86) und sonst vereinzelt auftritt; die 10 Texte vertreten 4 verschiedene dt. Bearbeitungen des lat. 'SR' 11 (s. RICHTER, 1968, S. 166-169). Zu der Streuüberl. gehört auch 'Von den Zeichen der Messe' = PS II, Anhang A18, das in mehrfachen Fassungen in ca. 35 Hss. zu finden ist, u.a. in der Sammlung des Schweizer Predigers und in den -> 'Weingartner Predigten'. Diedt. Predigten sind Bearbeitungen lat. Stoffes; keine ist die direkte Übers, einer bekannten lat. Predigt B.s. Erst wenn Geschichte und Echtheit der lat. Sermone feststehen und ein Sachindex vorliegt, werden

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Berthold von Regensburg

wir Entstehung und Anzahl der dt. Predigten bestimmen können. 3. A us gäbe n. P. HoETZLgabl882den ersten und bis jetzt einzigen Band von B.s lat. Predigten heraus. Dieser enthält den 4. Sermon aus 'RdS' und 20 Predigten aus 'SS' nach Erlangen, DB, Hs. 407. Zwei lat. Stücke erschienen bei A.FRANZ, Die Messe im dt. MA., 1902, S. 741-750, und weitere, auch Auszüge, verstreut in SCHÖNBACHS Studien; aber das meiste authentische lat. Gut B.s ruht noch in den Hss. Aus CASÜTTS Nachlaß, jetzt in München, ediert TH. PAYR den ersten Band. 1824 veröffentlichte C. KLING 12 dt. Predigten im Original und Teile von 28 in nhd. Übers, aus Heidelberg, cpg 24, und zwar eher nach modernen Methoden als normalisiert. Die 'vollständige' Ausg. von B.s dt. Predigten erschien in zwei Bänden, 11862 von F. PFEIFFER mit 36 drastisch sprachlich normalisierten Sermonen und II 1880 von J. STROBL mit den Predigten XXXVII-LXXI, Lesarten zu beiden Bänden (S.300 bis 670) und 3 Anhängen mit teils echten bertholdischen Stücken (Nachdr. m. Vorwort u. Anhang von K. RUH, 1965; zit. als PS); STROBL normalisierte wenig, wofür man ihn stark rügte (z.B. K. BARTSCH, GGA [1881] 140182 u. Beitr. z. Quellenkunde d. altdt. Lit. [1886] 107156).Zwischen 1880und 1968 erschienen nur verstreute Stücke und Frgm.e (vgl. RICHTER, 1969, S. 287f.). 1968 brachte RICHTER eine Neuausg. der 6 'Klosterpredigten' nebst 2 anderen Stücken, die er dazu rechnet, heraus, das eine bessere Fassung von Z-l = PS II, Anhang A3 1 " 19 und das andere Z-2 = PS II, Anhang C 2 ohne das nicht dazugehörige Gleichnis Der tievel tuot sam diu spinne; 1969 bot er ein Dutzend Stücke der Streuüberl. Druckbereit, aber noch nicht erschienen sind K. RUH, Franzisk. Stud. II mit 3 neuen bertholdischen Predigten und ein Band TspMA von F.BANTA mit Überlieferungsgruppe Y"1, die 6-9 bisher unveröffentlichte Berthold-Stücke enthält. Es gibt 2 nhd. Übertragungen von dt. Predigten: 'Die Predigten d. Franziskaners B. v. R.' (F. GÖBEL, 5 1929) und eine altertümelnde 'Umsetzung' von 19 Stücken, 'B.s v. R. dt. Predigten' (O. BRANDT, 1924).

4. A u f b a u , Stil, Sprache. Die lat. Predigten bestehen gewöhnlich aus Textspruch, Satz aus der Epistel zum Tage, historia und Disposition. Zitate sind genau. Wir hören weniger aus dem Alltag, viel über kanonisches Recht und kirchliche Tradition, wobei 19 Kirchenväter erwähnt werden (SCHÖNBACH, 1906, Studie 5, S. 9 f.). D ie Sprache ist ein ungeziertes Mlat. mit dt. Einfluß, die Gedanken aber sind klar ausgedrückt. Man spürt die Hand eines Verfassers. Der Aufbau der meisten dt. Predigten zeigt eine Art Zahlenstruktur, die gewöhnlich leicht zu verfolgen ist, doch manchmal

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unklar bzw. unvollständig bleibt; vgl. PS 4 'Die siben planeten', die 7 Tugenden darstellen, PS 13 'Von zwelf scharn hern Josue', die auszogen, um Gott an 7 sündigen Stämmen zu rächen, oder den komplizierten und nicht ganz geglückten Aufbau in PS 21 'Von der e'. Bibel, Kirchenväter und klassische Schriftsteller werden frei zitiert, besonders Augustin, Gregorius, Bernhard von Clairvaux, Seneca, Aristoteles. B.s Stil ist einfach, aber lebendig; er verwendet Mären und Beispiele aus dem Alltag und der Natur, seltener rhetorische Mittel. Das Satzgefüge ist locker, die Gedanken nicht immer logisch ausgeführt. Eine allen verständliche Sprache wird erstrebt; wir lesen verschiedene Ausdrücke für denselben Begriff (vgl. PS I 54616"18) und stoßen oft auf die Frage: Verstet ir min tiutsche? Bei den lat. Predigten haben wir den Eindruck, daß der Bibelfeste, der Belesene, andere Geistliche und Prediger angesprochen werden, bei den dt. Predigten (außer den 'Klosterpredigten') eher die einfachen Menschen. L i t e r a t u r . Ausführliche Bibliographie bei RICHTER, 1969, S. 286-292. Die folgende Liste beschränkt sich auf die wichtigsten Publikationen und Ergänzungen zu Richter. - C. KLING, B.s d. Franziskaners dt. Predigten, Berlin 1824; J. GRIMM, Wiener Jbb. d. Lit. 32 (1824) 194-257 = Kl. Schr.n IV, 1869, S.296-360 [Rez. von KLING, der die Germanistik auf B. aufmerksam gemacht hat]; F. PFEIFFER (Bd. I) u. J. STROBL (Bd. II), B. v. R. Vollst. Ausg. seiner dt. Predigten, 1862 u. 1880, Nachdr. von K. RUH, 1965 [mit Vorwort u. Anhang] (zit. als PS); C. HOFMANN, Neue Zeugnisse über B. v. R., MSB, 1867, II374-394,459; G. JAKOB, Die lat. Reden d. seligen B. v. R., 1880; A. SCHÖNBACH, AfdA 7 (1881) 337-401 [Rez. von PSII u. von JAKOB]; ders., Stud. z. Gesch. d. altdt. Predigt: 2. Zeugnisse B.s v. R. zur Vk., WSB 142,1900, VII; 3. Das Wirken B.s v. R. gegen d. Ketzer, WSB 147, 1904, V; 4-6. Die Überl. d. Werke B.s v. R. I-III, WSB 151/152/153, 1905/1906/ 1906, II/VII/IV; 7-8. Über Leben, Bildung u. Persönlichkeit B.s v. R. I-II, WSB 154/155, 1907/1908, I/V, Nachdr. in 2 Bänden 1968 [alle weitschweifig aber grundlegend]; K. RIEDER, Das Leben B.s v. R., 1901 [beste Biographie]; L. WADDING, Bertholdus Ratisponensis, in: Annales minorum IV, 31931, S.402-407 [Sammlung von Berichten u. Legenden aus Chronisten u. älteren Kirchenhistorikern]; A. HÜBNER, Vorstud. z. Ausg. d. Buches d. Könige (GGA, phil.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 2), 1932 [eingehende Stilist, u. sprachl. Unters, d. Beziehungen zw. d. Schwabenspiegel u. B.s dt. Predigten]; F.-M. HENQUINET, B. d. R., DHGE VIII980 bis 987 [bündige Bewertung von B. u. seinen Predigten,

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Berthold von Reichenau

gute Bibliographie]; L. CASUTT, Die Hss. mit lat. Predigten B.s v. R. O. Min., 1961; ders., ZSchwKG 56 (1962) 73-112, 215-261 [Freiburger/Ue. Hs. 117/1 + II wurde erst nach B.s Tod redigiert, war nicht seine Reise-Kollektion]; D. RICHTER, B. v. R.: Dt. Predigten (WPM 5), 1968; ders., Die dt. Überl. d. Predigten B.s v. R. (MTU 21), 1969; F. BANTA, Traditio 25 (1969) 472 bis 479 [Forschungsbericht]; S. DIETRICH, Zur Echtheit d. dt. Predigten B.s v. R. Versuch u. formkrit. Studie, Diss. (masch.) Freiburg/Ue. 1970; H. RAGOTZKY, Stud, z. Wolfram-Rezeption (Stud. z. Poetik u. Gesch. d. Lit. 20), 1971, S. 146-148 [Verhältnis von -+ Albrechts 'Jüngerem Titurel' 6249-6254 zu PS XI 157f.]; H. STAHLEDER, Arbeit in d. mal. Gesellschaft, 1972, S. 158-317; F. BANTA, AfdA 83 (1972) 29-35 [Rez. von Richter 1969]; S. DIETRICH, ZSchwKG 67 (1973) 169-257 [gliedert d. Predigten nach Incipit und Explicit in Sonntagspredigten, Heiligenpredigten, allg. Heiligenpredigten u. Varia, vermag aber nichts Neues über ihr Verhältnis zu den lat. Predigten festzustellen]; K. RUH, ZfdA 103 (1974) 140-144 [Frgm. einer bisher unbekannten, jetzt verschollenen bertholdischen Hs., die zur X-Gruppe gehört, aber zu einem ändern Zweig als AB oder Ha].

FRANK G. BANTA Berthold von Reichenau B., Schüler -> Hermanns des Lahmen von Reichenau und von diesem mit dem Abschluß seiner Chronik betraut, wurde um 1030 geboren. -»Bernold von St.Blasien meldet seinen Tod z. 11.3.1088. -»Wolfger von Prüfening kennt ihn als Verfasser einer Biographie Hermanns und einer Chronik (E. ETTLINGER, Der sog. Anonymus Mellicensis, 1896, S. 85), der zu entnehmen ist, daß B. 1075 Rom besuchte. Ü b e r l i e f e r u n g . Die pietätvolle Biographie Hermanns, die 1055/56 entstand, und die Chronik, die zu den wichtigsten Quellen der Zeit zählt, treten nur vereint und, mit einer Ausnahme (Hs.Muri-Sarnen 10), anonym auf. Die Chronik reicht in den Überl.n bald bis 1066, bald bis 1079 oder 1080 und bildet nach der Biographie Hermanns stets den F.ndteil einer Weltchronik, die bis 1054 aus Beda, dem sog. 'Chronicon Suevicum universale' (Reichenauer Kaiserchronik=Konzept Hermanns d. L.) und den letzten 10 Jahresberichten der Chronik Hermanns besteht. Zu den Hss. s. DUCH, S. 185-188, u. WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen II 514 u. III156*. A u s g a b e n . G.H. PERTZ, MGH SS V (1844) 264-326; G. WAITZ, MGH SS XIII (1881) 730-732 (Fassung bis 1066).

Die Chronik gibt Probleme auf, die noch nicht endgültig gelöst sind: Gegenüber den

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übrigen Überlieferungen bietet die kürzeste einen auch in sich knapperen Text, der jedoch als Epitome des umfangreicheren entstanden und dessen Endjahr zufällig sein könnte. Ein Vergleich der vollständigen Rez. mit der Chronik Bernolds von St.Blasien stellt in beiden Werken identische Teile fest, die bis ca. 1075 reichen. Man erkennt darin ältere, auch sonst nachweisbare Annalen, die als königstreu gelten. Die großen chronikalischen Jahresberichte seit 1075 treten dagegen in leidenschaftlicher und pleonastischer Sprache für Gregor VII. und Rudolf von Rheinfelden gegen Heinrich IV. ein. Während man lange nur die Annalen B. zuwies, den Rest aber einem Verfasser, den MEYER v. KNONAU 'Schwäbischer Annalist' nannte, hat SCHMEIDLER durch Stilvergleich mit der Vita Hermanns B. als Verfasser des jüngeren Teils zu beweisen gesucht, der wie Bernold ältere Annalen benutzte, in denen DUCH die Fortsetzung der 'Reichenauer Kaiserchronik' sah. Aber einerseits sind Vita (Kürze, Alter) und Annalen (einfachere Sprache) kaum für einen Stilvergleich mit den chronikalischen Teilen geeignet, andererseits ist von verschiedenen Tendenzen insofern kaum zu sprechen, als auch die Annalen eindeutige Reformgesinnung zeigen, die seit 1075 nur verschärft wird und hier mit dem Ausbruch des Streits zwischen Gregor VII. und Heinrich IV., der Feindschaft zwischen diesem und dem Kloster Reichenau sowie dem Abfall Rudolfs von Rheinfelden von Heinrich zu begründen ist. Daher scheint es möglich, daß derselbe B. zunächst Annalen schrieb, die er nach 1075 unter dem Eindruck der Ereignisse in entschiedenerer Tendenz überarbeitete und fortsetzte. L i t e r a t u r . G. MEYER v. KNONAU, Jbb. d. dt. Reiches unter Heinrich IV., Bd. 2, 1894, S. 905ff.; MANITIUS, LG III403 f.; B. SCHMEIDLER, B. als Verf. d. nach ihm benannten Annalen, Arch. f. Urk.forsch. 15 (1938) 159-234; A. DUCH, in: H. OESCH, Berno u. Hermann v. Reichenau als Musiktheoretiker, 1961, S. 184 bis 203; Rep. font. II 522f.; WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen II 514-521 u. III 156* f. ;F.-J. SCHMALE, DieReichenauer Weltchronistik, in: H. MAURER (Hg.), Die Abtei Reichenau, 1974, S. 125-158; O. PRINZ, Mittelalterliches im Wortschatz d. Annalen B.s, DA 30 (1974) 488-504.

FRANZ-JOSEF SCHMALE

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Berthold von Wiesbaden - Berthold von Zwiefalten

Berthold Steinmar von Klingenau -> Steinmar, B.

Berthold von Wiesbaden Nicht näher bekannter Franziskaner des frühen 15. Jh.s, von dem eine Sammlung von Heiligenpredigten überliefert ist: München, clm 9001, v. J. 1428 (Berthold de Wisbaden de conuentu Maguntinensis collectura sermonum de Sanctis). Dieselbe Sammlung befindet sich mutmaßlich in den Münchener Hss. clm 15326, 4751, 11463.

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A u s g a b e n . F.O. ABEL, MGH SS X 96-124 (unbrauchbar); E. KöNiG/K.O. MÜLLER, Schwab. Chroniken d. Stauferzeit 2,1941, S. 136-286; L. WALLACH, Berthold of Zwiefalten's Chronicle. Reconstructed and edited with an Introduction and Notes, Traditio 13 (1957) 153-248 (zit.). Zum Verhältnis der Ausg. von KÖNIG/MÜLLER zu der WALLACHS vgl. M. MILLER u. H. DANNENBAUER, Traditio 13 (1957) 153 ff., u. K. Bosi. (Hg.), in: Gesellschaft, Kultur, Lit. Beitr. L. Wallach gewidmet, 1975, S. VII f.

3. Die teilweise in Reimprosa geschriebene Chronik entstand in der Hauptsache zwischen Mai 1137 und Ende 1139. Von L i t e r a t u r . F. LANDMANN, Zum Predigtwesen d. 1139 bis ungefähr 1147 fügte B. einige Straßburger Franziskanerprovinz in d. letzten Zeit d. Zusätze ein, insbesondere einen Anhang (c. MAs, Franzisk. Stud. 15 (1928) 102. 51-53) in Form eines eigenen RechtfertiK. RUH gungsberichts über die ehrliche Verwendung von Klostergut, in dem er sich auch als Berthold von Ziegenhals —»Jodocus B. den Verfasser der Chronik nennt. Das Werk von Z. enthält eine Beschreibung der Zwiefalter Besitzungen nach Art eines Traditionsbuchs, die Geschichte der 1089 von Hirsau Berthold von Zwiefalten aus erfolgten Gründung des Klosters unter 1. Geb. um 1090, gest. nach 1169. B.s dem Schutz der Grafen von Achalm sowie gleichnamiger Vater besaß Güter in Grü- den genannten Anhang. Es geht näher u.a. ningen (bei Riedlingen a. d. Donau) und auf den Investiturstreit (mit scharfer Stelin Reutenhalden, einem heute verschwun- lungnahme gegen Heinrich IV.) und auf die denen Dorf bei Marienberg (Landkreis Streitigkeiten zwischen Weifen und StauReutlingen), die er dem Kloster Zwiefalten fern ein, mehrfach auf die fortwährenden Schenkte; damit dürfte auch B.s Geburtsort Auseinandersetzungen des Klosters selbst näher bestimmt sein. Über seine Bildung mit Mitgliedern des höheren und niederen und Sprachkenntnisse vgl. WALLACH in der Adels und mit den eigenen weifischen VögEinleitung zur Ausgabe. B. war Mönch ten und Beschützern. Im übrigen bietet es in Zwiefalten, 1139-1169 mit mehreren viel Material für schwäbische Wüstungen; Unterbrechungen dort Abt. Unter Verwer- manche der topographischen Namen, die tung einer älteren Materialsammlung seines erwähnt sind, erscheinen heute als FlurVorgängers Abt Ulrich verfaßte er 1137-39 namen. den 'Liber de constructione monasterii 4. Über soziale, ökonomische und politiZwivildensis', eine der lebendigsten Klo- sche Verhältnisse seiner Zeit schreibt B. oft sterchroniken ihrer Zeit. Das unvollständig als Augenzeuge. Für seine Traditionslisten überlieferte Werk wurde von WALLACH auf der Zwiefalter Besitzungen verwertet er der Grundlage neuer Handschriftenfunde auch Privaturkunden, päpstliche Privilegien rekonstruiert. und urkundliche Einträge in Zwiefalter 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Die bis 1590 nachweisbare Hss., die er im Archiv und in der Bibliothek Originalhs. ist seit ihrer Benutzung durch M. CRUSIUS vorfand. Er kannte und benutzte größere für seine 'Annales Suevici' II (Frankfurt 1595) ver- historische Werke: die Chronik —> Bertholds schollen. WALLACHS Rekonstruktion beruht auf 4 vervon Reichenau, -> Frutolf-Ekkehards lorenen und 7 erhaltenen Hss. des 16.-17. Jh.s sowie auf Weltchronik sowie die Chroniken -»Hergedruckten Auszügen in CRUSIUS' 'Annales Suevici' manns von Reichenau und —»Bernolds von und dessen hsl. Auszügen in seinem Handexemplar von St.Blasien. Von der apologetischen LiteKaspar Bruschius' 'Monasteriorum Germaniae praeratur des Investiturstreites zitiert er Bonizos cipuorum ac maxime illustrium Centuria Prima' (Ingolstadt 1551). von Sutri 'Liber ad amicum'. Seine Kenntnis

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Bertram von Ahlen

des patristischen Schrifttums ist nachgewiesen durch direkte und indirekte Zitate von Hieronymus-Briefen, Isidors 'Etymologiae', Gregors d. Gr. 'Moralia', 'Dialogi', 'Homiliae XL in Evangelia' und Rufms 'Historia ecclesiastica'. Eine lokale Quellengruppe stellen die von ihm verwerteten Zwiefalter Geschichtsquellen dar: die 'Annales Zwifaltenses', zwei translationes von Reliquien des 12. Jh.s, das ältere Zwiefalter Necrologium und die oben erwähnte von Abt Ulrich zusammengestellte historische Materialsammlung zur Geschichte Zwiefaltens. Die Benutzung der Chronik B.s ist nachweisbar in —> Ottos von Freising 'Gesta Friderici' (I 20), in den 'Casus' des Klosters Petershausen und im jüngeren Zwiefalter Nekrologium. B- selbst korrespondierte mit -> Hildegard von Bingen. L i t e r a t u r . L. WALLACH, Stud. z. Chron. B.s v. Z., Stud. Mitt. OSB 51 (1933) 83-101 u. 183-195; ders., Eine neue Textüberl. B.s v. Z., Stud. Mitt. OSB 53 (1935) 211-213; ders., La Chronique de B. de Z., Rev. Ben. 50 (1938) 141-146; WATTENBACH/SCHMALE, Geschichtsquellen I 314-318.

LUITPOLD WALLACH Bertram von Ahlen 1. Der Herkunftsname (Bertrammus, Bertrannus deAlen) bezieht sich auf Ahlen i. Westf. Urkundlich nachgewiesen sind nur sein Lektorat im Franziskanerkloster Münster/Westf. zwischen 1307-1315 sowie seine Anwesenheit beim Provinzialkapitel der Kölner Ordensprovinz in Fulda am 10./11. Mai 1315. - Seine Schrift 'De laude Domini novi saeculi' widmete er Gerhardus de Pomerio, 1304-1309 Provinzial der Kölner Ordensprovinz. Seine drei bekannt gewordenen Werke sind noch ungedruckt. Analyse und Auszüge von 'De laude Domini' bei BIHL, S. 32-^8. 2. Werk. a. 'De l a u d e D o m i n i n o v i s a e c u l i ' Ü b e r l i e f e r u n g . Straßburg, ÜB und LB, cod. lat. 122, 4r-56v, aus dem Augustinerchorherrenstift Marienwald zu Frenswegen, frühes 15.Jh.; Brüssel, Kgl. Bibl., Ms. 1368 (893-98), 164M72V, um 1450; Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 18211,79r-95v; Prag, Metro-

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politankapitel, Ms. 1580, 26'^0r; Utrecht, ÜB, Ms. 79,4°, 117r-135v, frühes 15. Jh.

Im engen Anschluß an die Lektüre der Schriften (Pseudo-)Dionysius' - den der Autor mehrfach divinus und divinissimus nennt - entwirft B. eine Lehre von der Gottesschau als Hymnodie auf den unaussprechbaren, nur per abnegationem faßbaren Gott. Zum Titel s. ohne rechte Klarheit BIHL, S. 27. B. verwendet vor allem 'De divinis nominibus' und 'De mystica theologia', kommentierend Augustin, Wilhelm von St. Thierry und Robert Grosseteste (Lincolensis). In der Kontroverse über die wahre mystische Theologie zwischen den Benediktinern von Tegernsee und den Kartäusern von Aggsbach (-»Bernhard von Waging, -» Vinzenz von Aggsbach) erwähnt Vinzenz B.s Schrift mit Zustimmung. Sie ist unter den alten Bibliotheksbeständen der Kartause nachzuweisen. Auch Gerson scheint sie gekannt zu haben. b. 'De i n v e s t i g a t i o n e per creaturas'

Creatoris

Ü b e r l i e f e r u n g . Magdeburg, ehem. StB, cod. XII 2° 154 (alias 12), 218ra-237ra (Verbleib unbekannt), 15. Jh. Weitere 7 Hss. in Erfurt, Prag, Görlitz, Trier und Hannover (s. BIHL, S. 14-16). Die letztere, StB, 4°40 (6), 128r-177v, schreibt den Traktat Berthold Kule, OFM zu - nicht ganz zu Unrecht, weil dieser B.s Schrift überarbeitet und erweitert hat.

Die Schrift beruht, wie schon die im Titel angegebene Thematik verrät, auf Bonaventuras 'Itinerarium mentis in Deum', das teils kommentiert, teils mit naturkundlichen und -philosophischen Autoritäten erweitert wird. Ausgabe und nähere Untersuchung stehen noch aus; Hinweise in der Einleitung zum 'Itinerarium', Ed. Quaracchi V, S. XXVI f. c. 'Excerpta de 15 Quodlibet ex I et II parte Summae Henrici de Gandavo et 10 Quodlibet Godofridi et tribus Jacobi' Ü b e r l i e f e r u n g . Rom, Bibl. Vaticana, cod. lat. 12995, 2r-86v (früher, i.J. 1381, im S. Franziskus-Konvent Assisi); Oxford, Bibl. Bodl., Balliol Coll. Ms. 58, f. 71 ff., 15. Jh.; eine weitere Hs. befand sich um 1500 in S. Domenico, Bologna (darüber und weitere Hinweise BIHL, S. 21 f. sowie O. LOTTIN OSB, Bulletin de theologie ancienne et medievale 3, Bruxelles 1964, S.265*f.

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'Der beschlossen gart des rosenkrantz marie' - 'Die besessene Nonne Agnes'

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Die Auszüge aus Quaestionen der Zeitgenossen Heinrich von Gent (f 1293), Gottfried von Fontaines (nach 1303) und Jakobus von Viterbo (f!308) sind alphabetisiert, dienten also der raschen Verfügbarkeit philosophischer und theologischer Fragestellungen.

Nat.-Mus. v. 4. Juli bis 17. Sept., Nürnberg 1961, S.56-60 (Nr.25); K.J. KLINKHAMMER, Adolf v. Essen u. seine Werke (Frankfurter Theol. Stud. 13), 1972, S. 133; K. ILLING, Alberts d. Großen 'Super Missam' Traktat in mhd. Übertragungen (MTU 53), 1975, S. 29f., 54f. (mit weiterer Lit.).

3. Die Bedeutung B.s v. A. liegt in der Vermittlung der mystischen spekulativen Theologie des Pseudodionysius und Bonaventuras im Zeitalter der deutschen Mystik. Direkte Einflüsse auf -> Eckhart oder -»Seuse (der das 'Itinerarium' in seiner 'Vita' benutzte) sind freilich nicht nachzuweisen.

Besenfelder

L i t e r a t u r . M. BiHLOFM, Fr. Bertramus v. Ahlen, OFM. Ein Mystiker u. Scholastiker, c. 1315, AFH 40 (1947) 3-48.

K. RUH

'Der beschlossen marie'

gart des rosenkrantz

Das umfangreiche zweibändige Werk (1. Bd.: Buch 1-5,2. Bd.: Buch 6-11) enthält Belehrungen über die Wahrheiten des christlichen Glaubens und die Übungen der Frömmigkeit. Dabei stehen der Rosenkranz, sein Nutzen und die Rosenkranzbruderschaft im Vordergrund. Der 'beschlossen gart' wurde i. J. 1505 von F. Peypus in der Werkstatt des Dr. Ulrich Finder in Nürnberg gedruckt (R. PROCTOR, An Index of German Books 1501-1520 in the British Museum [Holland Press Bibliographies 3], London 21954, Nr. 11030).

Wegen der Ausstattung mit über tausend Holzschnitten ist das Werk von großer kunsthistorischer Bedeutung (VOLLMER). Die Texte sind noch kaum untersucht. Das 'Rosengertlin' des -»Adolf von Essen wird im 1. Buch in dem Kapitel maria rosa manigvaltenglich ... und in dem Kapitel Christus rosa ein roß (KLINKHAMMER) verwendet. Im 11. Buch wird in der Abhandlung über Messe und Eucharistie ausführlich der eucharistische Doppeltraktat 'Super missam' des -»Albertus Magnus (V. 2) zitiert. L i t e r a t u r . H. VOLLMER, Die Illustratoren des 'Beschlossen gart des rosenkranz mariae', Repertorium f. Kunstwiss. 31 (1908) 18-36, 144-158; vgl. dazu: Meister um Albrecht Dürer, Ausstellung im Germ.

KURT ILLING

B. schrieb eine Chronik des südwestdeutschen Raums in den beiden ersten Dritteln des 15. Jh.s. Das anscheinend vor allem vom Adel hoch geschätzte Werk ist verloren; schon im 16. Jh. waren nur noch größere Teile erhalten, die Graf Proben Christoph von Zimmern für seine 1566 beendete 'Zimmernsche Chronik' benutzte. Dort sind folgende biographische Angaben über B. mitgeteilt (BARACK IV 144): Er war seit 1423 Amtmann in seinem Geburtsort Horb, 1452/3 legte er ein Urbar für das Kloster Alpirsbach an, war danach Hofund Küchenschreiber im Dienst der Erzherzogin Mechthild in Rottenburg und zuletzt drei Jahre Vogt des Klosters Kirchberg. Ca. 1470 ist er in Horb gestorben. L i t e r a t u r . L. UHLAND, Die Pfalzgrafen v. Tübingen, Germ, l (1856) 5 u. Anm.; K.A. BARACK (Hg.), Zimmerische Chronik, 4 Bde. 21881/2, s. Reg. (Neuausg.: H. DECKER-HAUFF, Die Chron. der Grafen v. Zimmern, 6 Bde., 1964ff., bisher 3 Bde); B.R. JENNY, Graf Proben Christoph v. Zimmern, 1959, S. 148-150.

FRIEDER SCHANZE 'Die besessene Nonne Agnes' Ü b e r l i e f e r u n g . Bamberg, SB, cod. Lit. 178 (Ed VIII 6), 247r-338r; St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 969, S. 131-215; cod. 973, S. 225-^04; Wien, cod. 3006, lr-73r.

Ein offensichtlich für Nonnen verfaßter und überlieferter Lesetext des 15. Jh.s. Laut Anweisung in der aus einer hessischen Kartause stammenden Wiener Hs. sollte er alle jair czu mynstin eyn mail in der Schwesternversammlung vorgelesen werden zur besszerunge vwirsz lebinsz. Eine Nonne ist vom Teufel besessen. Durch Beschwörung wird dieser gezwungen, aus dem Munde der Besessenen den anderen Schwestern auf ihre Fragen zu antworten und zu verraten, durch welche Sünden und Schwächen Klosterfrauen am

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Beßnitzer, Ulrich - 'Die Beständige und die Wankelmütige'

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leichtesten zu Fall kämen und wie sie den Anfechtungen entgehen könnten. - Eingekleidet in diese Erzählung enthält der Text eine breit angelegte moralische Ermahnung, in der die Nonnen vor Leichtfertigkeit, Eitelkeit, Mißgunst etc. gewarnt werden, weil all das dem Teufel diene; dagegen sei er machtlos gegenüber eifriger Andacht, rückhaltloser Beichte und wahrer Demut. In der Bamberger Hs., die vielleicht aus dem Nürnberger Klarissenkloster stammt, steht am Schluß des Textes der Name fr. Johannes De lindenfels vicarius provincialis. Dieser urkundlich vielfach bezeugte Johannes Heilmann von Lindenfels, OFM war 1475-77 Guardian in Nürnberg, später auch in Basel, Kaisersberg und Mainz. Er war viermal vicarius provincialis der Straßburger Ordensprovinz und ist auf seinen Visitationsreisen viel herumgekommen. Er starb 1503 in Mainz. Es ist möglich, daß er der Verfasser des Textes ist.

Anlage und Ausführung den Nürnberger und Augsburger Zeughausinventaren von Konrad Gürtler 1462 bzw. Hans Gossenbrott 1463 verwandt und kann als Vorläufer der berühmten, von Bartlme Freysleben im Auftrag Kaiser -> Maximilians I. erstellten und von Jörg Kölderer illustrierten Zeugbücher angesehen werden. ('Innsbrucker Zeughaus mit seinen Waffen' und 'Die Zeughäuser Maximilians I.', beide v. J. 1518). Ob B. ein Büchsen-oder Zeugmeister gewesen ist oder, wie Kölderer, lediglich als Illustrator fungierte, bleibt offen.

L i t e r a t u r . RUH, Bonav. dt., S. 127,171. Zum mutmaß!. Verf.: Anal. Franc. II (1887) 515-518 (s. auch Reg.); ebd. VI (1917) 265,289; ebd. VIII (1946) 817f. (s. auch Reg.); Bav. Franc. Ant. 2 o. J. [1956?] 346; Alem. Franc. Ant. 14 (1970) 162; G. KEIL, PBB (Tüb.) 83 (1961) 193 f.

VOLKER SCHMIDTCHEN

DAGMAR LADISCH-GRUBE

Beßnitzer, Ulrich wird im Titel einer Bilderhs. vom Ende des 15. Jh.s (heutiger cpg 130 der Heidelberger ÜB) als Verfasser bezeichnet: Der Gezewg mit seinem zugehorunge. Ich Virich Beßnitzer zu landshut vnderstande den in Ordnung gebracht. Wan wa vnd und wie auch der sovil der seyen klarlichen wißen hiebernach auffdas kurzist begriffen auffgemerkt hab. Diese Hs. stellt ein reich illustriertes Inventarverzeichnis des Landshuter Zeughauses dar. Ein auf dem Titelblatt abgebildetes schweres Geschütz trägt die Jahreszahl 1489. Die sorgfältig und im Bemühen um einen möglichst genauen Maßstab ausgeführten farbigen Abbildungen zeigen Belagerungs- und Feldgeschütze, Mörser, Handbüchsen, Kalibergrößen, Lafetten, Hebezeuge, Geschosse unterschiedlichster Formen und weiteres Zubehör, das seinerzeit im Landshuter Zeughaus eingelagert worden war. Die Hs. ist in ihrer

L i t e r a t u r . A. v. ESSENWEIN, Quellen z. Gesch. d. Feuerwaffen, 1877, S. 49; M. JÄHNS, Gesch. d. Kriegswiss., 1889, S. 412; P. SIXL, Entwicklung u. Gebrauch d. Handfeuerwaffen: Die Handfeuerwaffen im 15.Jh., Zs. f. hist. Waffenkunde l (1889) 281 f., 300-303; ders., Urkundliche Nachrichten über Vorkommen u. Verbreitung der Handfeuerwaffen, ebd. 2 (1900) 117, 442; B. RATHGEN, Das Geschütz im MA, 1928, S.78, 336, 434.

'Die Beständige und die Wankelmütige' Ü b e r l i e f e r u n g . Bechsteins Hs.; Berlin, mgf 488; Dessau, ÜB u. LB, cod. Georg 150 8°; Heidelberg, cpg 313; Lana, Schloßbibl, cod. XXIII D 33; München, cgm 439; cgm 713 (zweimal überliefert, einmal in umgearbeiteter Form); Prag, ÜB, cod. X A 12; Stuttgart, LB, cod. 4° 69; Wien, cod. 2959. A u s g a b e . HALTAUS, Hätzlerin II 8, S. 138-143.

Da das Gedicht in keiner Hs. vor der Mitte des 15.Jh.s auftaucht, dann aber ungewöhnlich breit überliefert ist, wird es in der ersten Hälfte des 15. Jh.s entstanden sein. Es gehört zu den Minnereden vom Typ 'belauschtes Streitgespräch', d.h. im Hauptteil argumentiert eine Frau für unwandelbare Treue zu einem Mann, die andere für die Annehmlichkeiten möglichst vieler Liebschaften. Beide berufen sich mit Namen und Zitat auf -»Hadamar von Laber (v. 162-168 auf Str. 550, v. 187-196 auf Str. 223). Im Streit selbst fällt keine Entscheidung, doch da der Dichter im Würfelspiel schließlich der Beständigen zufällt und da er durchweg ihre Partei ergreift, wird eindeutig gewertet, ganz im Sinne der Gattung, der triuwe als eine der Kardinaltugenden gilt.

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'Beständigkeit und Wankelmut' - 'Bestrafte Untreue'

L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.405; W. BLANK, Die dt. Minneallegorie, 1970, S.48; GLIER, Artes amandi, S.348f.

INGEBORG GLIER 'Beständigkeit und Wankelmut' Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod. 104 (->'Liedersaal-Hs.'), 150rb-151va; Heidelberg, cpg 313, 328r-332r. A u s g a b e . Liedersaal 2, S. 433^39, Nr. 139.

Minnerede von 232 Versen, auch 'Stete und Unstete' genannt. Lehrhafter Monolog der Frau Minne, in dem sie den Vorwurf, die Unsteten zu begünstigen, zurückweist und eine Mahnung an die Wankelmütigen und ein Lob für die Beständigen anschließt. Selbstdarstellung der personifizierten Minne ähnlich den Verteidigungsreden in den Minnegerichtsdarstellungen —> 'Die Minne vor Gericht' und 'Minne vor Gericht' von Peter ->· Suchenwirt. L i t e r a t u r . K. MATTHAEI, Das 'weltliche Klösterlein' u. d. dt. Minneallegorie, Diss. Marburg 1907, S. 15; BRANDIS, Minnereden, Nr.332; W. BLANK, Die dt. Minneallegorie, 1970, S. 61-62.

TILG BRANDIS 'Bestraftes Mißtrauen' ('Frauenbeständigkeit') Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 341. A u s g a b e n . GA II 109-121; NGA I 185-191.

Ein Ritter in Österreich hat eine tugendhafte Frau, möchte aber ihre Treue auf die Probe stellen. Er beauftragt damit seinen Knappen, dem sie schließlich zum Schein ein Stelldichein verspricht, um ihn durch ihre Kammerfrauen gründlich verprügeln zu lassen. Als der Ehemann der Vereinbarung gemäß statt des Knappen zur verabredeten Stunde erscheint, empfängt er die Prügel und ist für alle Zukunft von der Treue seiner Frau überzeugt. Die moralisierten Schwanke um das Thema 'Treueerprobung der Gattin', dem 'B.M.' zugehört, haben eine analoge Struktur: Beauftragung des Versuchers, vergebliche Werbung, Überlistung des Bewerbers durch die Frau, 'Stelldichein' mit Bestrafung des Ehemannes. Stoffgeschichtlich stellt 'B.M.' eine Umgestaltung des Schwanktyps vom cocu battu et content dar, wie er im

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Fabliau 'De la bourgeoise d'Orleans' (gedr. bei RYCHNER, II 80ff. in drei Versionen; Version B unter dem Titel 'La Dame qui fist batre son mari' in A. DE MONTAIGLON/ G. RAYNAUD (Hgg.), Recueil general et complet des fabliaux des et XIV e siecles, IV, Paris 1880, S. 133ff.) überliefert ist. Dort wird der Ehemann wirklich zum Hahnrei, während 'B.M.' nach der Art moralisierter Schwanke den Ehebruch meidet und die Frau als treue Gattin zeigt, gegen die der Ehemann und der beauftragte Bewerber gemeinsam ihr Unternehmen inszenieren. Das Thema ist ferner im —»'Herrn, mit den vier Frauen' (NGA 1192 ff.) wieder aufgenommen und in der Exposition durch Vorführung der Untreue dreier Frauen und ihrer Bestrafung kontrastiv erweitert. L i t e r a t u r . FISCHER, Stud., S. 339f. u. Reg. S.493;J. BEDIER, Les Fabliaux, 1893 (61964), S.298-301; J. RYCHNER, Contributions a l'etude des fabliaux I (Univ. de Neuchatel, Recueil de travaux publics par la faculte des lettres 28), Geneve 1960, bes. S.59-62; K.H. SCHIRMER, Stil- u. Motivunters, z. mhd. Versnovelle (Hermaea NF 26), 1969, S. 93,223-226 u. ö.; H.-J. NEUSCHÄFER, Boccaccio u. d. Beginn d. Novelle, 1969, S.16ff.; J. SUCHOMSKI, 'Delectatio' und 'Utilitas', 1975, S. 181 u. Anm. 470.

KARL-HEINZ SCHIRMER

'Bestrafte Untreue' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, SB Preuß. Kulturbesitz, Hdschr. 115 (16./17.JH); Heidelberg,cpg393,10r-14r; London, Brit. Mus., cod. Add. 24946, 110r-114r; Weimar, Thür. LB, cod. O 145, 60v-72r. A u s g a b e n . MATTHAEI, Minnereden, S.113f. Nr. 11; J. WILKS, Bestrafte Untreue, London 1923, S.26 bis 35.

Minnerede von etwa 380 Versen. Eine Frau beklagt sich bitter, daß ihre Treue mit Treulosigkeit vergolten worden sei. Sie trifft in einem Baumgarten die Frauen Trüwe, Stätigkeit und Liebe, die die Männer anklagen. Vor Frau Minne wird schließlich ein Fall von Treulosigkeit, wahrscheinlich der des treulosen Geliebten der Dichterin, verhandelt, der mit der Verurteilung des Mannes endet: er darf keinen Dienst von den drei Frauen empfangen, und alle guten Frauen sollen ihre Liebe ihm entziehen. - Personifikationsdichtung des Typus Minnegericht mit ausschließlicher Anwendung des gängigen farblosen Motivguts und

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'Besuch bei der Geliebten' - Priester Bethlem

Vokabulars der Minneredendichtung des 15-Jh.s. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.463.

TILG BRANDIS 'Besuch bei der Geliebten' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 488 (Ebenreuter-Hs.), 113M18V; München, cgm 714 (1450-60), 16V-22V; Prag, ÜB, cod. X A 12 {-»Hätzlerin-Hs., 1470/71), 94V98" und in der verlorenen Hs. L. Bechsteins. A u s g a b e . HALTAUS, Hätzlerin, S. 183-186, Nr. II 27.

Werbungsgespräch im Traum mit den üblichen szenischen Versatzstücken der Minneredengattung: Spaziergangseinleitung, heimlicher Entdeckung und detaillierter Beschreibung der Geliebten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gedichten des in zahlreichen Varianten überlieferten Minneredentyps der Liebeswerbung (BRANDIS, Nr. 223-261) gelangt der Dichter hier ohne Widerstand der Frau an das Ziel seiner Wünsche, muß aber um der Ehre der Frau willen Abschied nehmen. 272 Reimpaarverse. L i t e r a t u r . K. GEUTHER, Stud. z. Ldb. d. Klara Hätzlerin, 1899, S. 115-116, BRANDIS, Minnereden, Nr. 258.

TILO BRANDIS

'Beteuerung ewiger Treue' Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod. 104 (->Liedersaal-Hs.), 114ra/vb; Heidelberg, cpg 313, 341 "-343v. A u s g a b e . Liedersaal 2, S. 201-204, Nr. 123.

Bekenntnisrede (122 Reimpaarverse) eines Liebenden über seine Treue, die er z.T. mit dem Vokabular der Marienmetaphorik - als ein Exempel darstellt. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr. 12.

TILO BRANDIS Priester Bethlem (Bethlehem, Bethleem) Verfasser eines Kreuzwegbüchleins. Ü b e r l i e f e r u n g . Hss.: Darmstadt, LB, Nr. 97, Hs. 1868, 19r-37r (ohne Verfassernamen, Sprache: kölnisch); ebd., Nr. 106, Hs. 1861, Köln um 1530, 129M43r (Sprache: kölnisch); Münster, ÜB, Nr. 406, 15. Jh., 219r-232r (mnd.); Göttingen, SB u. ÜB, cod. theol. 295i, 15. Jh., 2r-32r (mnd.); Stuttgart, LB, cod. poet, et philol., 4° 83, um 1400 ( ? ; fraglich ob von B.

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verfaßt), 23r-32r (vgl. ferner KNELLER, S. 154 Anm. 3 [obd. Fassung in einem 1566 geschriebenen Gebetbuch, aus Nürnberg ?] und D. A. STRACKE, OGE 11 [1937] 123 Anm. l [Hs. im Brit. Mus.]). - Drucke: Antwerpen 1518 bei W.Vorsterman; ebd., o.J. (ca. 1525) bei W. Vorsterman; Delft 1520 bei H. Lettersnyder; Leiden o.J. (nach 1518) bei J. Severszoon; Antwerpen 1536 u. 1561; Paris o.J. (ca. 1550) bei Kerver; ebd., o.J. (ca. 1570) bei Merlin. Zu einer lat. Übers, durch den Kartäuser Surius s. KNELLER, S. 154 Anm. 1. Ausgabe. C.J. GÖNNET, Overwegingen op het lijden des Heeren voor degengen, die in den geest de heilige plaatsen willen bezoeken, Bijdragen voor de geschiedenis van het bisdom van Haarlem, 11 (1882) 324-343 (nach dem Druck Antwerpen 1518).

Das mit dem Namen B. - in den französischen Drucken sire Bartheletny - verknüpfte Kreuzwegbüchlein, wegen der Erwähnung von Sixtus IV. nach 1471 verfaßt, hat großen Einfluß auf die Ausbildung der Kreuzwegandacht mit 14 Stationen ausgeübt, namentlich auf die Anleitungen von Jan van Paesschen (f!532) und Andrichomius (Christian Andrian Cruys, f!585). Herkunft, Name und Anteil des 'würdigen' priester ghenaemt beer Bethlem am Kreuzwegbüchlein sind nicht eindeutig geklärt. Nur die Einleitung verweist auf ihn als denjenigen, der während eines längeren Aufenthaltes im Hl. Lande die hl. Stätten beschrieben und vermessen habe. Hat B. das Büchlein verfaßt oder nur ein Verzeichnis der Stationen (KNELLER, S. 157), war er selbst im Hl. Lande (STAMMLER) ? Nach WYNGAERT benutzte B. die in der Hs. St.Truiden, Minoritenbibl., cod. B 65 III 5 (15. Jh.) überlieferte Kreuzwegandacht, wenn er nicht selbst ihr Verfasser war. Die größte Verbreitung hat B.s Kreuzwegbüchlein im Mndl. gefunden, war aber auch im nd. und obd. Raum bekannt; ferner wurde es ins Frz. und Lat. übersetzt. Das Büchlein enthält nicht nur Angaben über Entfernungen, Ablässe, Gebete und Zahl der zu verrichtenden Vaterunser bei den einzelnen Stationen, sondern beschreibt die ganzen Leiden Christi, aufgeteilt nach den Wochentagen (KNELLER, S. 155). Auf den Typus der 'geistlichen Pilgerfahrt' wird im Text immer wieder verwiesen, namentlich am Schluß: Erlangung der Ablässe durch Verrichtung der Gebete (im dt. Text: je 3 vor einer Kirche, vor der letzten 5, also

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'Der betrogene Blinde' - Beugedantz, Johannes

bei 23 Gebeten 7 Kirchen; KNELLER, S. 157). L i t e r a t u r . RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 172 Nr. 607; K. A. KNELLER, Gesch. d. Kreuzwegandacht von d. Anfängen bis z. völligen Ausbildung, 1908, S. 153-159; P. A. v. D. WYNGAERT, Een merkwaardige nederlandsche kruiswegoefening uit de XV e eeuw, OGE 2 (1928) 10-41; W. STAMMLER, 'VL I 225 f.

DIETRICH HUSCHENBETT 'Der betrogene Blinde' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2885, 43viM4rb (w; Innsbruck 1393); Innsbruck, Ferdinandeum, FB 32001, 28 rb_ 28 vb (i; Gebiet Innsbruck-Brixen 1456); Donaueschingen, cod. 104, 37vb-38ra (1; alem. [Konstanz] um 1433); Dresden, LB, cod. M 68, 12rb-13ra (d; ostschwäb. [Augsburg?] 1447) u. cod. M 67, 200V-201V (d 6 ; nordbair.-ostfrk. 1450-1475). A u s g a b e n . Liedersaal I, Nr.38, S.275f. [nach 1]; NG AI, Nr. 7, S. 50-52 (zit.). -U. SCHWAB, Der Endchrist des F. v. Saarburg u. die anderen Inedita des Cod. Vind. 2885 (Istituto Universitario Orientale di Napoli. Quaderni della Sezione Germanica degli Annali 1), Neapel 1964, S. 80-83 (Vom Blinden [nach w]). - Faks. Ausg. von i: N.R. WOLF (Hg.), Sammlung kleinerer dt. Gedichte (Codices selecti 29), Graz 1972.

Facetienhaft-pointiertes Wortwitz-rarere eines unbekannten spätmal. Verfassers in 86 (bzw. 72-103) Versen. Die Tochter eines verarmten Ritters wird einem wohlhabenden (vermutlich bürgerlichen) Blinden zur Frau gegeben. In der Hochzeitsnacht muß er feststellen, daß die Braut zwar schön, aber keine Jungfrau mehr ist. Die Klagen des Betrogenen pariert sie mit dem Vorwurf seines weit größeren Gesichtsmangels. Dies dürfe sie nicht tadeln: der Schaden sei ihm von Feinden zugefügt worden. Um wieviel mehr erst dürfe dann er sie nicht tadeln: ihr Schaden stamme von Freunden! Im Epilog (ab v. 78) die Warnung vor Tadel und Spott an anderen, wenn man selber dazu Anlaß gibt. Interessant die gleichfalls treffsichere Fassung desselben Stoffes als bispel: Der betrogene Blinde (NGA I, Nr. 6, S.49). Von den 28 vv. bringen nur 16 die Erzählung, 12 fallen auf den kommentierenden Epilog. In der Variante des betrogenen Einäugigen hat sich das Motiv vor allem in der Schwankliteratur jahrhundertelang lebendig erhalten (Zusammenstellung J.BOLTE, in: StLV 209, S. 233f., Nr.50).

L i t e r a t u r . Bibliogr.: FISCHER, Stud., S.302f. (B 16); J. SUCHOMSKI, 'Delectatio' u. 'Utilitas'. Ein Beitr. z. Verständnis mal. komischer Lit., 1975, S. 184 u. Anm.474,475.

HEDWIG HEGER 'Bettgespräch' Schwankhaftes Märe in München, cgm 270, 212r-213v (15. Jh., evtl. Augsburg); ed. FISCHER, Märendicht., S. 419f. Ein Paar beklagt sich im Ehebett über die Unzulänglichkeiten der Geschlechtsorgane des Partners. Der Text (wie auch andere in der Hs.) ist von einem ehemaligen Besitzer offensichtlich auf Grund des obszönen Inhalts verstümmelt worden. Von den ursprünglich ca. 74 vv. sind nur der Anfang (33 vv.) und ein Stück aus der Mitte (18 vv.) erhalten. L i t e r a t u r . FISCHER, Märendicht., S. 552; ders., Stud., S. 71, 94.

WERNER WILLIAMS-KRAPP Betzier, Arnold Der sonst unbekannte Dichter wird von Hans —»Folz (gest. 1513) in einem Dichterkatalog unter S angsp ruchdichter n und frühen Meistersingern genannt: Grofvon Seldneck (Lesart E und Konrad -> Nachtigall an entsprechender Stelle WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1311 Str.l: Veldeneck) so dare, I Arnolt Betzier, netnpt wäre, l Die waren beit l Von Siben bürgen here, A.L. MAYER, Die Meisterlieder d. Hans Folz (DTM 12), 1908, Nr. 94 v. 22-25. In dem mit Folz' Katalog wohl über eine gemeinsame Quelle eng verwandten Dichterkatalog des Konrad Nachtigall (gest. 1484/85), s.o., fehlt B.

HORST BRUNNER Beugedantz (Bengedans), Johannes ist der Verfasser eines gereimten Handbuches für Belagerungswesen, das sich in der Arnamagnaeanischen Sammlung der ÜB von Kopenhagen befindet. Das Buch, das noch nicht näher untersucht ist, steht in der Tradition der kriegstechnischen Ikonographien des 15.Jh.s, die mit Konrad -»Kyesers 'Bellifortis' beginnt. Im Jahre 1451 bot B. dem Hochmeister des Deutschen Ordens Ludwig von Ehr-

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Bevergern, Arnd - 'Bewährung, daß die Juden irren'

lichshausen seine Dienste als Büchsenmeister an. Er hielt sich damals in Preußen auf. In seinem Brief verweist er auf das von ihm 'gedichtete' kriegstechnische Buch und zählt eine Reihe von kriegstechnischen Fertigkeiten auf, die er beherrsche. Hierbei handelt es sich vornehmlich um Geschützund Belagerungstechnik, aber auch um weitere Künste, wie die der Salpetergewinnung. Zudem gibt B. an, Kenntnisse in der Goldmacherei zu besitzen. - B. ist - der Mundart des Briefes nach zu schließen Preuße aus einem der nd. Teile des Ordenslandes. Königsberg, Staatsarch. (Staatl. Archivlager Göttingen), Ordensbriefarch. Reg. Nr. 10656. Jb. d. Preuß. Akad. d. Wiss. (1941), Hss. arch., S. 3. C. PROBST, Salpetereinfuhr u. Salpetersieder im Deutschordensland Preußen, Warfen- u. Kostümkunde 7 (1965) 60-64.

CHRISTIAN PROBST

Beutler, Magdalena bürg

Magdalena von Frei-

Beutler, Margarethe -»Margarethe von Kentzingen Bevergern,Arnd Bürger zu Münster (Westf.) etwa 1408 bis 1466, urkundlich 1431-1456. Seine Gildenzugehörigkeit (Kaufmann ?) ist nicht bekannt. Er besaß eine Windmühle vor der Stadt, ein Haus im Zentrum und konnte 1449 ein kleines Kapital in Renten anlegen. 1441 besiegelte mit Geistlichen und Patriziern auch A.B. die Gründungsurkunde der Liebfrauen-Bruderschaft zu St. Aegidii, deren Mitgliederrolle seinen Namen an 69. Stelle aufführt. Sein Sohn Arnoldus war Geistlicher und erhielt auf Wunsch der adeligen Stifter die erste Pfarrstelle des 1451 gegründeten Schwesternhauses Niesing. Die Gilden Münsters wählten A.B. zwischen 1443 und 1448 mehrfach zum Oldermann der Gesamtgilde; als solcher vertrat er 1447 in einem Ständeausschuß die Interessen der Stadt in der Soester Fehde (1444/49). Während der 1450 einsetzenden Unruhen war A.B. zunächst ein Parteigänger der

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Hoyaschen Grafen, bis sie ihn ob seiner gemäßigten Haltung im Verlauf der Münsterischen Stiftsfehde (1450/57) mit anderen führenden Familien 1453 aus der Stadt wiesen. Seine in mnd. Mundart geschriebene Chronik des Bistums Münster von 772 bis 1466 lehnt sich für die ältere Zeit an eine frühere Chronik an, erst ab 1424 besitzt sie, wenn auch aus der Erinnerung verfaßt, den Quellenwert eines Augenzeugenberichts. Die führenden Volksvertreter in den Hoyaschen Wirren, die der Chronist als roeper bezeichnete, sind weitgehend als Angehörige der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht zu identifizieren (vgl. dazu U. MECKSTROTH, Das Verhältnis d. Stadt Münster zu ihrem Landesherrn bis z. Ende d. Stiftsfehde [1457] [Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. Stadt Münster, N.F. 2], 1962, S. 144). Die Chronik wurde später bis ins 16. Jh. fortgeführt. L i t e r a t u r . J. FICKER (Hg.), A. B.s Chron. von d. Wahl Bischof Heinrichs v. Moers bis auf d. Einführung Bischof Heinrichs v. Schwarzenburg, 1424-1466, in: Die Geschichtsquellen d. Bistums Münster I: Die münsterischen Chron.n d. MAs, 1851, S. 244-288. Zur Person des Chronisten: ebd., Vorrede S. XXXVIff.; NDBH203.

KARL-HEINZ KIRCHHOFF 'Bewährung, daß die Juden irren' Der 1466 verfaßte apologetische Traktat 'Von den Juden' ist eine gelehrte Auseinandersetzung mit den Einwänden der Juden gegen die Wahrheit des Christentums. Hieronymus, Nikolaus von Lyra, maister —> Nikolaus von Dinkelsbühl, der vor funffczig jaren vil disputatz zu wien mit den Juden gehept hat und ein getaufter Jude, der ain Rabi in der judischait gewesen ist (Karlsruhe, LB, cod. St. Peter pap. 23, 10V), sind die Gewährsmänner des unbekannten Autors, der seine Verteidigungsargumente für die Dreipersönlichkeit Gottes, die Messianität und Gottheit Christi sowie dessen Geburt aus der Jungfrau Maria einzig aus jenen Büchern nimmt, die sowohl Juden wie Christen als bewerte geschrifften ansehen. Fünf Quästionen bilden den Hauptteil des Traktats. In frag und antwurt, red vnd wider rede (10') wird dargelegt, in welchen

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Beyer, Christoph - Biberli(n), Marquard

Punkten die Juden irren. Ein zweiter Teil stellt die argument zusammen, 13 an der Zahl, die die Juden gegen den Glauben der Christen vorbringen. In einer längeren Einleitung wird über die Schöpfung der Engel und Menschen, die Geburt Christi und den Unglauben der Heiden gehandelt. Der Traktat fand rasch Verbreitung. Er wurde einzeln, so in der ->· 'Donaueschinger Liederhandschrift', wie auch als Buch I von -»'Der Seelen Wurzgarten' tradiert. Eine Ausgabe fehlt. Die hsl. und DruckÜberlieferung ist zusammengestellt bei STEER, S. 194f. L i t e r a t u r . G. FREISTADT, Zur Abhängigkeit d. Liederhss. Kolmar u. Donaueschingen, Diss. (masch.) Göttingen 1966, S. 322-324; G. STEER, Zur Entstehung u. Herkunft d. Donaueschinger Hs. 120, in: Würzburger Prosastud. II (Medium Aevum 31), 1975, S. 193199.

GEORG STEER

Beyer, Christoph Geb. 1458 bei Konitz/Westpreußen, als Kaufmann in Danzig und aufgrund seiner Reisen zu ausgedehntem Besitz und Ansehen gekommen, erlangte er 1497 das Amt eines Schöffen der Rechtstadt, 1502 eines Ratsherrn und war bis zu seinem Tode besonders an der Verwaltung der öffentlichen Bauten beteiligt; gest. 2. Feb. 1518. Ihm wird neben verlorenen Genealogien und Landtagsrezessen eine Chronik Danzigs für die Jahre 1481-1518 zugeschrieben, die jedoch nur aus ihrer Benutzung durch spätere Chronisten bekannt ist (als — in dieser Form sehr problematische - Rekonstruktion vor allem aus Stenzel Bornbach, Berlin, SB, Ms. Boruss. Fol. 248 gedr.: HIRSCH, S. 443-491). Sicher dürfte sein, daß er annalistische Aufzeichnungen besonders über innere politische, Verwaltungs- und Bauvorgänge Danzigs anlegte, die aufgrund der Gleichzeitigkeit zuverlässig sind. Aber genausowenig wie nur wenige Nachrichten B. sicher zuzuordnen sind, läßt sich auch seine Verwendung bei späteren Danziger Chronisten im Detail nachweisen - was nicht zuletzt ein Problem des Forschungsdefizits ist. L i t e r a t u r . TH. HIRSCH, C.B.s des altern Danziger Chron., in: SS rerum Prussicarum V, 1874 (Nachdr.

1965), S. 440-491; P. GEHRKE, Das Eben FerberBuch u. seine Bedeutung f. d. Danziger Tradition d. Ordensgesch., Zs. d. Westpreuß. Gesch.ver.s 31 (1892); E. KEYSER, B., in: Altpreuß. Biographie, hg. v. CH. KROLLMANN, I, 1941, S.55; J. DWORZACZKOWA, Dziejopisarstwo Gdanskie do potowy XVI wieku (Die Danziger Geschichtsschreibung bis z. Mitted. 16. Jh.s), Gdansk 1962; U. ARNOLD, Stud. z. preuß. Historiographie d. 16. Jh.s, 1967, Reg.

UDO ARNOLD Beyer, Judeus -»· Meyer iudeus 'Bibelübersetzungen' (altjiddische) menübersetzung' (altjidd.) -»'Toraübersetzung' (altjidd.)

'Psal-

'Bibelübersetzungen' (deutsche) -> 'Augsburger Bibelhandschrift' -»'Evangelien der guten Meister von Prag' ->· 'Evangelienharmonien' -> 'Evangelienübertragungen' -»'Historien der alden e' -> 'Historienbibeln' -»'Holzmindener Bibelfragmente' -»· Konrad von Nürnberg -> Cranc, Klaus -* Kreckwitz, Georg -* Krumpach, Nikolaus -»· 'Münchner Bibel des Johannes Viler' -» 'Niederdeutsche Bibeldrucke' -»· Oberdeutsche Bibeldrucke' -»· 'Plenarien' -> 'Salomonische Schriften' -»'Tepler-Bibel' ^'Wenzel-Bibel' -> 'Wien-Zürcher Bibel' -» auch unter einzelnen biblischen Büchern Biberli(n), Marquard Urkundet 1320 als lesmeister und 1325 als Dominikanerprior in Zürich, schenkte drei Bücher dem Berner Predigerkonvent (LÖHR) und war an der Abfassung eines der ältesten, von SCHÖNHERR und MERTENS ausführlich beschriebenen, aber noch unedierten und nicht näher untersuchten alem. Prosalegendars (26 Legenden) für Dominikanerinnen (in Ötenbach oder Töß ?) beteiligt: Solothurn, Zentralbibl., cod. S 451, -216 (vor 1325); Basel, ÜB, cod. G 2 II58, r l -249v (1382). Vgl. die redaktionelle

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'Biblia pauperum'

Schlußbemerkung in Sol. f. 216V: vnd wart ir [der Heiligenlegenden] vil ze tütsch braht ab einem vil alten buche, vnd vberlas es da bi alles ein wiser lesmeister bredier ordens brüder Marchwart Biberli... L i t e r a t u r . G.M. LÖHR, Die Teutonia im 15.Jh. (Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Dominikanerordens in Deutschland 19), 1924, S. 160; A. SCHÖNHERR, Die mal. Hss. d. Zentralbibl. Solothurn, Sol. 1964, S. 57-59, 300; V. MERTENS, Das Predigtbuch d. Priesters Konrad (MTU 33), 1971, S. 14-23; K. KUNZE, Minophilus u. Zosimus von Anazarba, Analecta Bollandiana 94 (1976) 47-62.

KONRAD KUNZE Bibersee -»· Rember von B. 'Biblia pauperum' G l i e d e r u n g . 1. Begriff. 2. Titel. 3. Überlieferung. 4. Ausgaben. 5. Faksimile-Ausgaben. 6. Aufbau. 7. Quellen der typologischen Zusammenstellungen. 8. Text. a. Lateinische 'Bp'. b. Deutsche Übersetzungen, c. Deutsche erzählende Armenbibeln. 9. Wirkung. 'Bp' = Biblia pauperum; A. = Armenbibel.

1. B e g r i f f . Unter 'Bp' versteht man heute nach allgemeiner Übereinkunft ein wohl um die Mitte des 13. Jh.s in lat. Sprache verfaßtes typologisches Werk eines unbekannten Autors. Da die ältesten erhaltenen Hss. aus dem frühen 14. Jh. sämtlich aus Benediktinerklöstern und Stiften der AugustinerChorherren in Bayern und Österreich stammen, vermutet man den Autor in einem Angehörigen dieser Orden (Erwägungen über benediktinische Herkunft bei CORNELL, S. 150 und SCHMIDT, S. 86f.) im südöstlichen Deutschland. 2. Titel. In der mal. Überlieferung blieb das Werk meist ohne Titel; gelegentlich vorkommende Bezeichnungen sind sehr verschieden (vgl. SCHMIDT, S. 118 f.); 'Bp' ist seltene Ausnahme (ebd., S. 119: München, clm 12717, 142r u. 146r, v. J. 1398; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., 5.2. Aug. 4°, 33r, Nachtrag des 15. Jh.s). Die Erklärung des heute gebräuchlichen Namens, der letztlich auf einem Irrtum C.H. VON HEINECKENS beruht (Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen, 2. Teil, Leipzig 1769, S. 117-156), ist nach wie vor umstritten. Dem Versuch, ihn nachträglich durch die An-

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nahme eines Zusammenhanges mit der 'Armenbewegung' des 12.-13. Jh.s zu sanktionieren - das typologische Konzept hätte die pauperes Christi, welche die Autorität des AT leugneten, widerlegen sollen (A. WECKWERTH, Die Zweckbestimmung d. A. u. d. Bedeutung ihres Namens, ZKG 68 [1957] 226-258) -, steht das späte und vereinzelte Vorkommen des Titels in den Hss. entgegen. Sicher unzutreffend sind alle Erklärungen, in denen davon ausgegangen ist, pauperes seien des Lesens Unkundige gewesen. Andererseits war 'Bp' im MA kein seltener Buchtitel. Mehrfach findet man Schriften so bezeichnet, die in konzentrierter Form (in Versen oder Prosa) den Inhalt der Bibel, vorab den des AT, vermitteln (zuletzt WECKWERTH, 1972) und Rüstzeug der veri pauperes und der pauperes praedicatores waren; keine von ihnen ist typologisch angelegt, bei keiner stehen Bilder im Mittelpunkt der Konzeption. 3. Ü b e r l i e f e r u n g . Sie ist zunächst auf Deutschland beschränkt; erst seit dem 15. Jh. hat sie, auch dann nur vereinzelt, diese Grenzen überschritten (Hss., Blockbücher u. Typendrucke ndl., ital. u. frz. Provenienz). Die kontinuierliche Überlieferung erlosch mit dem I.Viertel des 16. Jh.s. Derzeit sind ca. 80 Hss. oder -frgm.e bekannt: Verzeichnis bei CORNELL, S. 66-119, ergänzt von E. BREITENBACH (Mitt.d. Ges. für vervielfältigende Kunst [1927] 67-70), DEISSMANN/WEGENER, S. 15 Anm. l, u. SCHMIDT, S. 3; krit. beurteilt, mit Zusätzen u. Korrekturen (zumal der Aufbewahrungsorte) versehen von SCHMIDT/WECKWERTH, Sp. 297; nachzutragen E. ROSENTHAL, Italia medioevale e umanistica V, 1962, S. 368 f. - Zu den Blockbüchern vgl. W.L. SCHREIBER, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XV e siecle IV, 1902 (= Handbuch d. Holz- u. Metallschnitte d. 15. Jh.s IX, 1969), S. 90-113; zuletzt L. DONATI, in: Studi di bibliografia e di storia in onore di T. de Marinis II, Rom 1964, S. 207-264, u. SOLTESZ, S. VIIIf. - Typendruck: zuerst Bamberg (A. Pfister) 1462/63; vgl. ROST, S. 225f.

4. A u s g a b e n stehen noch aus, vgl. vorerst die Reproduktionen (und Transkriptionen) in den Faksimile-Ausgaben. 5. F a k s i m i l e - A u s g a b e n . H a n d s c h r i f t e n : A. CAMESINA/G. HEIDER, Die Darstellung d. 'Bp' in einer Hs. d. 14.Jh.s, aufbewahrt im Stifte St.Florian im Erzhzgt. Österreich ob der Enns, Wien 1863; (F.) LAiB/(F.J.) SCHWARZ, 'Bp'. Nach d. Original in d.

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Lyceumsbibl. von Constnn/, Zurich 1867 (Würzburg 1892); H. v. D. GABELENTZ, Die 'Bp' u. Apok. der großhzgl. Bibl. zu Weimar, Straßburg 1912; A. DEISSMANN/H, WEGENER, Die A. des Serai, Rotulus Seragliensis Nr. 52, 1934; F. UNTERKIRCHER/G. SCHMIDT, Die Wiener 'Bp' Codex Vindobonensis 1198, Graz usw. 1962 (bespr. von K.-A. WIRTH, Kunstchronik 18 [1965] 331-341); (K. FORSTNER), Die Salzburger A. Codex a IX 12 aus d. Erzabtei St.Peter zu Salzburg, Salzburg u. München (1969). - Blockbücher. T y p e n d r u c k e : J.P. BERJEAU, ' Repr. in Facsimile from one of the Copies in the Brit. Mus., London 1859; A. PILINSKI/G. PAWLOWSKI, Bible des Pauvres, repr. en fac-simile sur l'exemplaire de la Bibl. Nat., Paris 1883; A. EINSLE/J. SCHÖNBRUNNER, 'Bp', Facsimile-Repr. getreu nach dem in der ... 'Albertina' befindlichen Exemplar, Wien usw. 1890; W. L. SCHREIBER/P. HEITZ, 'Bp'. Nach dem einzigen Exemplar in 50 Darstellungen, Straßburg 1903; P. KRISTELLER, 'Bp', Unicum in d. Heidelberger ÜB (Veröffentlichung der Graphischen Gesellschaft II), 1906; R. EHWALD, 'Bp', Dt. Ausg. von 1471 (Veröffentlichung d. Ges. d. Bibliophilen), 1906; H.T. MUSPER, Die Urausg. der holländ. Apok. u. 'Bp', 1961; L. GILLET, La cathedrale vivante, Paris 1964, S. 190-229: La Bible des pauvres, Incunable xylographique (Bibl. Nat., Res. xylo 3); (E. SOLTESZ), 'Bp', Faksimileausg. des 40bll. A.-Blockbuches in der Bibl. d. Erzdiözese Esztergom, 1967. 2

6. A u f b a u . In ihrer zu erschließenden Urfassung enthielt die durch Priorität des Bildes vor dem Text bestimmte 'Bp' 34 sogen. Bildgruppen. Jede von ihnen besteht aus einer ntl. Darstellung (Antitypus), der Wiedergabe zweier atl. 'Vorbilder' (Typen) sowie Brustbildern von vier 'Propheten', atl. Zeugen, die auf den Antitypus vorauswiesen, damit sowohl die heilsgeschichtliche Einheit beider Testamente wie die Erfüllung des im AT Verheißenen in der Wirklichkeit des NT bezeugend. Zu diesen Bildern treten erläuternde Texte: die Prophetensprüche stehen auf Spruchbändern oder sind den Darstellungen beigeschrieben; Tituli (Leoniner) begleiten die szenischen Darstellungen; in knappen Lektionen sind die typischen Ereignisse beschrieben und typologisch erklärt. Die für die Urfassung charakteristische tafelartige Zusammenstellung von vier Bildgruppen auf einer verso- und der folgenden recto-Seite ist anscheinend in den Hss. St.Florian und Wien, cod. 1198 treuer bewahrt als in anderen (vgl. SCHMIDT, S. 81 f.). Sie sieht folgendermaßen aus:

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I. 'Menschwerdung des Gottessohnes', f. l v -2 r : 1. V e r k ü n d i g u n g (Typen: Verfluchung der Schlange Gn 3; Vlies Gideons Idc 6); 2. G e b u r t C h r i s t i (Brennender Dornbusch Ex 3; Grünender Stab Aarons Nm 1 7 ) ; 3 . A n b e t u n g d e r K ö n i g e (Abner vor David II Sm 3; Königin von Saba vor Salomo III Rg 10); 4. D a r b r i n g u n g C h r i s t i im Tempel (Reinigungsopfer nach dem Gesetz Lv 12; Hanna bringt Samuel zu Elil Sm 1). II.'Flucht der Hl. Familie', f. 2v-3r; 5. F l u c h t n ach Ä g y p t e n (Jakobs Flucht vor Esau Gn27; David flieht vor Saul I Sm 19); 6. G ö t z e n s t u r z (Mose zerstört das Goldene Kalb Ex 32; Sturz des Götzen Dagon I Sm 5); 7. B e t l e h e m i t . K i n d e r m o r d (Saul läßt die Priester töten I Sm 22; Atalja laßt die Prinzen umbringen IV Rg 11); 8. R ü c k k e h r aus Ä g y p t e n (Rückkehr Jakobs Gn 32; Rückkehr Davids Sm 2). III. 'Vorbereitung und Wirken Christi', f. 3v-^r: 9. T a u f e C h r i s t i (Durchzug durch das Rote Meer Ex 14; Kundschafter mit der Taube Nm 13); 10. Vers u c h u n g C h r i s t i (Esau verkauft seine Erstgeburt Gn 25; Versuchung im Paradies Gn 3); 11. V e r k l ä r u n g C h r i s t i (Abraham und die drei Engel Gn 18; Drei Jünglinge im Feuerofen Dn 3); 12. M a g d a l e n a s R e u e (Mirjams Reue und Heilung Nm 12; Davids Schuldbekenntnis vor Nathan II Sm 12). IV.'Weiteres Wirken Christi', f. 4v-5r: 13. A u f e r w e c k u n g des L a z a r u s (Elia erweckt den Sohn der Witwe III Rg 17; Elischa erweckt den Sohn der Sunamitin IV Rg 4); 14. E i n z u g in J e r u s a l e m (Die Frauen Israels begrüßen David I Sm 18; Prophetenknaben begrüßen Elischa IV Rg2); 15. A u s t r e i b u n g der W e c h s l e r (Darius stellt den Tempel wieder her I Esr 6; Judas der Makkabäer reinigt den Tempel II Mcc 10); 16. A b e n d m a h l (Abraham und Melchisedek Gn 14; Mannalese Ex 16). V. 'Verrat', f. 5v-6r: 17. V e r s c h w ö r u n g der J u d e n (Jakob von seinen Söhnen getäuscht Gn 37; Abschalom verschwört sich gegen David II Sm 15); 18. J u d a s v e r k a u f t C h r i s t u s (Josef wird von seinen Brüdern verkauft Gn 37; Ismaeliter verkaufen Josef Gn 39); 19. J u d a s k u ß (Jakob tötet Abner II Sm 3; Tryphon überlistet Jonatan I Mcc 12); 20. C h r i s t u s vor P i l a t u s (Isebel sucht Elia zu töten III Rg 19; Babylonier fordern Davids Tod Dn 6). VI. 'Passion', f. 6v-7r: 21. D o r n e n k r ö n u n g (Noachs Schändung Gn 9; Verspottung des Elischa IV Rg2);22. K r e u z t r a g u n g (Isaak trägt das Opferholz Gn 22; Die Witwe von Sarepta mit zwei Hölzern III Rg 17); 23. K r e u z i g u n g (Opferung Isaaks Gn 22; Erhöhung der Ehernen Schlange Nm 21); 24. Ö f f n u n g der Seite C h r i s t i (Erschaffung der Eva Gn 2; Mose schlägt Wasser aus dem Felsen Ex 17). VII. 'Die ersten drei Tage nach dem Kreuzestod', f. 7v-8r: 25. G r a b l e g u n g (Josef wird in den Brunnen geworfen Gn 37; Jona wird ins Meer geworfen Ion 2); 26. C h r i s t u s in der V o r h ö l l e (Simson tötet den

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System der Anordnung auf (ikonographische Varianten in der Wiedergabe der einzelnen Szenen, für die Gruppierung der Hss. von Bedeutung, betrafen so gut wie nie das typologische Konzept selbst). Zunahme an Text (zweisprachige Notierung der Lektionen, charakteristisch für Hss. der jüngeren Gruppe der Weimarer Hss.-Familie; drastische Ausweitung der Lektionen in den sog. 'deutschen erzählenden A.', vgl. u. 8. c.) wirkte in gleicher Richtung, Versuche, dem durch Vernachlässigung eines anderen Textbestandteils entgegenzusteuern (etwa Weglassen der Prophetensprüche oder der Tituli), blieben auf die Dauer erfolglos. Folge von all dem ist vielfach die Wiedergabe nur mehr einer Bildgruppe pro Seite. Im 15. Jh. konnte selbst diese Ordnung verlorengehen : zu einer Bildgruppe gehörende Darstellungen wurden auf verschiedene und Veränderungen des Aufbaus im Spät- nicht mehr mit einem Blick überschaubare mittelalter. Seiten verteilt, selbst die Texte einer Lektion Es ist so gut wie sicher, daß die gesamte auseinandergerissen (z.B. Prag, Nat. Mus., Überlieferung auf ein verlorenes Urexem- XVI, A. 6, v. J. 1480). Die Gruppierung der plar zurückgeht, das unfertig war (es fehlten Überlieferungszeugen ist für das 14. Jh. vordie ergänzenden Texte der Prophetensprü- bildlich geleistet von SCHMIDT, für das 15. che und einige Tituli, vgl. SCHMIDT, S. 83). und frühe 16. Jh. - einem Zeitraum, für den Keine der erhaltenen Hss. ist in allen Teilen mit schwersten Verlusten zu rechnen ist getreue Spiegelung des Urexemplars; sie steht sie noch aus. 7. Die Q u e l l e n der t y p o l o g i s c h e n setzen es zwingend voraus, doch sind schon die ältesten Überlieferungszeugen wegen Z u s a m m e n s t e l l u n g e n in der 'Bp' sind unterschiedlicher Reihenfolge der Bildgrup- bisher kaum untersucht (Ansätze bei pen drei Hss.-Familien zuzuordnen, einer BERVE, passim). Viele sind seit der Patristik österreichischen, einer bayerischen und der Bestandteil der Tradition, so daß es schwersogen. 'Weimarer' (ebd., passim). Die wei- fallen dürfte, eine bestimmte Quelle namtere Überlieferung ('Entwicklung') ist etwa haft zu machen. Sicher zutreffend wird in seit dem 2. Drittel des 14. Jh.s von zahl- der Redaktion a der 'dt. erzählenden A.' reichen, sich wechselseitig beeinflussenden betont, es sei wenig getat, dy vnser her und bedingenden Veränderungen gekenn- Ihesus Christus getan und geworcht het auff zeichnet. Das klare christologische Konzept erd, dy vor in der alten ee ... nicht halt gar des Urexemplars abschwächend, kamen kuntlich vnd auch aigenlich pezaichent sein, neue Bildgruppen hinzu (zuerst 'Weltunter- aber es gehört doch gros vlays vnd arbeit gang' und 'Weltgericht'; für andere Hinzu- darzw für den, der es ausfundig machen fügungen s.u. 8.c), im Extremfall schwoll will. Seit SCHMIDT (S. 109-114) pflegt man ihre Zahl auf 50 an (Blockbuch mit 50 Bll.). mehrere Arten der Analogiebildung zu In der Abfolge der Bildgruppen nahmen unterscheiden. Bei weitem am häufigsten Unregelmäßigkeiten und willkürliche Ab- beruhen die Vergleiche auf äußerer Ähnänderungen zu. Innerhalb einer Bildgruppe lichkeit der Situation ('Situationsreim'), oft wurde den Bildelementen häufig mehr auf theologischer Ausdeutung der analog Platz eingeräumt, und schließlich gab man gesetzten Vorgänge ('Bedeutungsreim'), selmit der Preisgabe der zentralen Plazie- tener auch auf äußerlicher Angleichung des rung des Antitypus das ursprüngliche Typus an den Antitypus (oder umgekehrt;

Löwen Idc 14; David tötet Goliat I Sm 17); 27. A u f e r s t e h u n g (Simson mit den Stadttoren von Gaza Idc 16; Jona wird vom Fisch ausgespien Ion 2); 28. D i e F r a u e n a m G r a b e (Rüben sucht Josef Gn 37; Braut des Hohenliedes sucht den Bräutigam Ct 3). VIII. 'Erscheinungen Christi', f. 8 v -9 r : 29. Ers c h e i n u n g v o r M a g d a l e n a (Braut des Hohenliedes findet den Bräutigam Ct 3; Daniel unversehrt in der Löwengrube Dn 14); 30. E r s c h e i n u n g vor den J ü n g e r n (Josef gibt sich seinen Brüdern zu erkennen Gn 45; Heimkehr des verlernen Sohns Lc 15 [!]); 31. U n g l ä u b i g e r T h o m a s (Gideon verlangt von dem Engel ein Zeichen Idc 6; Jakob ringt mit dem Engel Gn 32); 32. H i m m e l f a h r t C h r i s t i (EntrückungHenochs Gn 5; Himmelfahrt des Elia IV Rg 2). IX. 'Gründung und Triumph der Kirche', f. 9 V : 33. A u s g i e ß u n g des HI.Geistes (Mose empfängt das Gesetz Ex 24 und 31; Brandopfer des Elia III Rg 18); 34. K r ö n u n g M a r i a e (bzw. Tod M a r i a e, so St. Florian und Wien, cod. 1198; Salomo setzt Batseba auf seinen Thron III Rg 2; Xerxes setzt Ester auf seinen Thron Est 2).

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'Bildassimilation') oder marianisch gedeuteten atl. Wundern ('Symbolreim'); freilich fehlt es auch nicht an unbefriedigenden Vergleichen, die keiner der genannten Gruppen zuzuordnen sind und (wie viele typologische Kombinationen) den Stempel der Willkür tragen. 8. Text. a. Sprachlich hat die l a t e i n i sche 'Bp', von den Tituli abgesehen, wenig zu bieten. Die Lektionen folgen einer mit einigen z.T. charakteristischen, z.T. individuellen Varianten überlieferten Hauptfassung, neben der es zwei ausgeprägte Sonderformen gibt: München, clm 19414 aus Tegernsee (Lektionen etwa doppelt so lang wie üblich) und die Hss. der sogen. München-Londoner Gruppe (dazu CORNELL, S. 8ff., auch SCHMIDT, S. 136f., Tabelle E). - Die Tituli (CORNELL, S. 16-53; SCHMIDT, S. 137f., 146 f.) dienten wohl als mnemotechnische Hilfe (ebd., S. 84). Wenn auch nur wenige das typologische Konzept unterstreichen (ebd., S. 83), scheinen sie doch fast alle für die 'Bp' erfunden zu sein, zwei Verse ausgenommen (J. GUIBERT, Les Origines de la Bible des pauvres, Rev. des Bibl. 15 [1905] 313), die aus Petrus Riga, 'Aurora', stammen (Gn 361, Ex 79: ed. P.E. BEICHNER, Notre Dame, Ind. 1965, 141,94). Früher für älter gehaltene Tituli sind eher Übernahmen aus der 'Bp': sie finden sich auf Werken, die der 'Bp' an Alter weit unterlegen sind (vgl. SCHMIDT, S. 84 Anm. 11; V. H. ELBERN/H. REUTHER, Der Hildesheimer Domschatz, 1969, S. 25 ff. Nr. 14); ein sehr früher Beleg für die Übernahme von 'Bp'-Konzepten (Prophetensprüche zu Bildgruppe 23) ist der um 1290 entstandene Behang des Brandenburger Doms (R. KROOS, Niedersächs. Bildstickereien des MAs, 1970, S. 43f., 115; dagegen R. HAUSSHER, Kunstchronik 25 [1972] 66, ohne Begründung).

b. Die d e u t s c h e n Ü b e r s e t z u n g e n bieten in Lektionen (mindestens sieben Versionen: CORNELL, S. 58-61) und Prophetensprüchen interessante Beispiele früher Bibelübersetzung und -paraphrasierung; die lat. Tituli sind in der Regel in dt. Prosa übertragen, ausgenommen Heidelberg, cpg 59, v. J. 1518, wo freie Nachbildung mit Reimstellung vorliegt, ein Versuch, die Leoniner zu imitieren (ebd., S. 61-66). c. Das bei weitem interessanteste 'Bp'-

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Material liefern die in drei Textfassungen bekannten ' d e u t s c h e n e r z ä h l e n d e n A r m e n b i b e l n ' ( e b d . , S. 66ff.). Ü b e r l i e f e r u n g , geordnet nach dem Alter des jeweils frühesten Zeugnisses: a) München, clm 5350/60, Frgm.e, bair., 2. Viertel d. 14.Jh.s (Text: K.-A. WIRTH, Münchner Jb. d. bild. Kunst 3. F. 14 [1963] 67-73); Wien, cod. 3085, v.J. 1475, u. Prag, Nat.Mus., cod. XVI. A. 6, v. J. 1480 (CORNELL, Nr. 43 f.).

b) München,cgm20, bair.,3. Vierteid. 14. Jh.s (ebd., Nr. 37); ehem. Moritzburg bei Dresden, v.J. 1448 (Textproben: E. ROTHE, Arch. f. Schreib- u. Buchwesen 3 [1929] 170-173, u. WIRTH, 1963, S. 4 Anm. 11); München, cgm 297, Mitte d. 15. Jh.s; Jena, ÜB, ms. El. f. 51, v.J. 1462, u. Gotha, LB, cod. membr. I, 54, v.J. 1464 (CORNELL, Nr. 38-40). c) Heidelberg, cpg 148, 2. Viertel d. 15.Jh.s (Textproben: BERVE, passim); Graz, Landesarch., cod. 3, Ende d. 15. Jh.s (Text bei CORNELL, S. 319-356). Die Ausg. von a) und b) wird von A. VIZKELETY und K.-A. WIRTH vorbereitet.

Charakteristisch für 'dt. erzählende A.' ist: 1) die Vermehrung der Bildgruppen (auf 41), die auch über die in den älteren erweiterten Hss. der lat. 'Bp' hinausgeht; 2) die namengebende Ausweitung des Textes der Lektionen (und, dadurch bedingt, die Ausbildung eines neuen Seitenschemas: eine Bildgruppe pro Seite, Wort und Bild in Analogie zum Schriftspiegel der pagina cum textu incluso angeordnet; 3) die lat. Tituli sind zunächst in a) alle beibehalten, in Hss. von b) nur die zur Bildgruppe Kreuzigung Christi oder deren Antityp (CORNELL, S. 61, u. ROTHE, S. 164) gehörenden. Zu 1) Gegenüber dem Urexemplar der 'Bp' neue Bildgruppen: in a) b) c): Beschneidung Christi (Beschneidung Isaaks Gn 21; Einführung der Beschneidung Gn 17); Speisung der 5000 (Elija u. die Witwe von Sarepta III Rg 4; Speisewunder des Elischa IV Rg 4); Fußwaschung Christi (Abraham wäscht den Engeln die Füße Gn 18; Mose betet für das Volk Ex 32); Christus in Getsemane (Gebet der Susanna Dn 13; Gebet des Hiskija Is 37); Judas erhängt sich (Ahitofel erhängt sich II Sm 17; Abschalom hängt an der Eiche II Sm 18); Weltgericht (David überträgt Salomo das Gericht III Rg l; Urteil Salomos über Joab III Rg 2). - Nur in b): Kreuzabnahme Christi (Moses Gesetz von der Kreuzigung und dem Begräbnis zum Tod Verurteilter Dt 21; Sauls Leichnam wird von der Mauer in Bet-schean abgenommen I Rg 31). - Nur in a) c): Geißelung Christi (Androhung von Geißelstrafen Dt 25; Geißelung Jeremias Jer 20).

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Zu 2) In der weit ausholenden Schilderung der atl. Ereignisse sind, ähnlich wie in -> 'Historienbibeln', vielfach weitere biblische und außerbiblische Quellen verarbeitet, ebenso in derjenigen der bisweilen als glosa eingeführten typologischen Erklärung. Vieles, was zur Sprache kommt, gehört zum Allgemeingut mal. Vorstellungen, aber keineswegs alles. In einer Fülle von kleinen Zusätzen und größeren Einschüben, die gelegentlich den Charakter von Exkursen annehmen, macht sich das Bestreben geltend, einerseits den geschilderten Vorgang so anschaulich wie möglich werden zu lassen, andererseits seine Deutung mit einer Vielzahl aus den verschiedensten Gebieten genommener Erklärungen zu fördern. Eigennamen werden erläutert, Angaben zur Biographie beigesteuert (wer aber di vorgenent chvnigein [von Saba] sey gewesen, daz findet man selten geschriben, doch wil ich es betaeuten: b), Handlungen eigens motiviert (das Gebot Ex 23, 17 und 34, 23 als Grund für HannasTempelbesuch), Verrichtungen beschrieben (es ist ... ze wissen: dy selb peschneydung geschieht also ..., a). In der Bibel knappe Dialoge findet man ausgesponnen (Gespräch Mariae mit Gabriel; Engel am Grab Christi gebietet den Frauen, Petrus zu trösten). Wo möglich, ist durch Kombination von Bibelstellen für größere Anschaulichkeit gesorgt (Reue Davids II Sm 12 -Verweis auf PS 50). Aus naturkundlichen Fakten (z.B. Stimme der Turteltaube, a) werden Moralisationen gewonnen. All dem gegenüber dominieren jedoch die Bemühungen, das heilsgeschichtliche Verständnis zu vertiefen. Dazu müssen so gut wie alle Disziplinen der Theologie herhalten, keineswegs nur Katechese und (die immer wieder bemühte) Aszese; selbst psychologische Erklärungen sind nicht ganz selten und deuten, zusammen mit ausgesprochen homiletischen Betrachtungen, darauf hin, daß die Formulierungen vielfach von der Praxis eines erfahrenen Predigers bestimmt sind (eingestreute Sprichwörter, Lebensweisheiten u. dgl.; Stoßgebete; persönliche Anrede im Plural). Einfluß kirchlicher Praxis liegt vor, wenn die aus dem Limbus Befreiten das Canticum triumphale (Cum rex gloriae) intonieren, das in Osterpro-

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zessionen und geistlichen Spielen seinen festen Platz hatte. Kirchenväter (z.B. Hieronymus) und -lehrer (eine Besonderheit von c: Bernhard von Clairvaux) sind öfters, doch meist ohne Quellenangabe zitiert. Vor allem aber erreicht es der belesene Verfasser durch viele Bibelzitate, die heilsgeschichtliche Deutung von Typus oder Antitypus über das typologische Grundkonzept hinaus zu vertiefen. Zahl und Vielartigkeit der Zusätze lassen in dem Verfasser einen überdurchschnittlich gebildeten Geistlichen vermuten, der an einem Ort, wo es eine gute Bibliothek gab, wirkte. 9. W i r k u n g . Wie bei einem Werk, in dem bildliche Darstellungen den Primat haben, zu erwarten ist, wirkte die 'Bp' vornehmlich auf dem Gebiet der bildenden Kunst (bei der Erfindung von Bildprogrammen, in der Ikonographie; einige Hinweise dazu bei CORNELL, S. 189-210, DEISSMANN/WEGENER,S. 17f., u. ROST, S. 226 bis 230). Bei Wiederkehr auch in der 'Bp' vorkommender typologischer Kombinationen in anderen mal. Texten ist oft schwer zu entscheiden, ob die 'Bp' die unmittelbare Quelle war. Zur Stellung der 'Bp' innerhalb der übrigen typologisch strukturierten Werke des Hoch- und SpätMAs vgl. SCHMIDT, S. 88-104, u. (UNTERKIRCHER)/SCHMIDT, Teil l, S. 20-25. In einigen Hss. des -> 'Speculum humanae salvationis' sind in den Kapiteln, die dieses Werk mit der 'Bp' gemeinsam hat, deren 'Propheten'-Bilder und -Texte übernommen worden, vgl. z.B. E. BREITENBACH, Spec.hum.salv. (Stud. z. dt. Kunstgesch. 272), Straßburg 1930, S. 6,7,12f. L i t e r a t u r . Grundlegend: H. CORNELL, 'Bp', Stockholm 1925; G. SCHMIDT, Die A. d. 14. Jh.s, GrazKöln 1959. - Bibliographie bis 1939 bei H. ROST, Die Bibel im M A, 1939, S. 230 f.; wichtigste Lit. bis 1968 bei G. SCHMIDT/A. WECKWERTH, 'Bp', Lexikon d. christlichen Ikonographie I, 1968, Sp. 297 f. Nachzutragen der wissenschaftsgesch. bemerkenswerte Beitr. von P. ZANI, Enciclopedia metodica critico-ragionata delle Belle Arti II l, Parma 1817, S. 133-184; ferner M. FRIEDEMANN-SOLLER, Die Münchner Hss. der 'Bp', Diss.Bonn 1921,Erfurt 1921.-Seit 1968 :M.BERVE,Die A., Herkunft, Gestalt, Typologie. Dargestellt anhand von Miniaturen aus d. Hs. cpg 148 d. ÜB Heidelberg, 1969; (K. FORSTNER) s. Faksimile-Ausg.n; A.'WECKWERTH, Der Name 'Bp', ZKG 83 (1972) 1-33.

KARL-AUGUST WIRTH

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Bidermann, Jodocus - Biel, Gabriel

Bibra -» Nikolaus von B. Bickenbach -> Konrad von B. Bidermann, Jodocus Auf dem hinteren Innendeckel des cod. 1061 in St. Gallen stehen 20 dt. Verse gegen das Messelesen um Sold mit der Überschrift: Item dominus lodocus Biderman plebanus in Betschwanden A. d. MCCCC 47. Sollte es sich bei dieser Angabe um den Verfasser handeln, so hätten wir es zu tun mit einem Leutpriester, der 1447 in Betschwanden (Kanton Glarus) wirkte. WOLFGANG STAMMLER t Biel -»Johannes von B. Der von Biel Von ihm ist ein mystisches Dictum über die inker im Berliner mgo 69, 17v-18r (um 1400), einer Hs. aus Straßburg mit überwiegend -»Seuse-Texten, überliefert. LÖHR möchte ihn mit Bruder Peter von Biel (urkl. Basel 7. 1. 1345) identifizieren. Er ist einer von vielen namentlich bezeugten Autoren, die als Verfasser anonymen mystischen Predigt- und Traktatgutes in Frage kommen. L i t e r a t u r . W. STAMMLER, Stud. z. dt. Mystik, ZfdPh 55 (1930) 295; G. LÖHR, Über d. Heimat einiger dt. Prediger u. Mystiker aus d. Dominikanerorden, ZfdA 82 (1948/50) 176; zur Hs.: P.G. VÖLKER, Die dt. Schriften d. Franziskaners Konrad Bömlin (MTU 8), 1964, S. 109-115.

K. RUH

Biel, Gabriel Theologe und Prediger I. Leben. Aus Speyer stammend, geb. um 1410/15. Erster datierter Nachweis Immatrikulation an der Artistenfakultät Heidelberg am 13.7.1432 (G. Bihel, Primissar der Peterskirche zu Speyer, zusammen mit Johannes Bihel, Kaplan des Spitals zu Heidelberg). 1432-41 Studium und Lehrtätigkeit in Heidelberg; 21.7.1435 Bacc. art., 21.3.1438 Mag. art. Später Theologiestudium in Erfurt (immatr. 1451; Herbst 1457 Lie. theol.) und zwischendurch in Köln (immatr. 25.5.1453 als Priester der

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Mainzer Diözese). Weihnachten 1457 bis 1465/66 Domprediger in Mainz (Resignation zwischen 29.11.1465 und 4.6.1466). Während der MainzerStiftsfehde (1459-62), in der B. Adolf von Nassau unterstützte, wurde B.s Predigttätigkeit zweimal unterbrochen, durch eine freiwillige Pause (11. 11.1459-26.10.1460) und seine Verbannung aus Mainz (Ende 1461 bis 28.11.1462), während der er auch in Rom war (vgl. 'Defensorium', hg. v. OBERMAN, S. 661 ); spätere Romreisen 1477/78 und 1482. In den folgenden Jahren förderte B. die Neugründung von Häusern der Brüder vom gemeinsamen Leben (Marienthal 1463, Königstein 1464, Butzbach 1468). Als Bruder trat er selbst Mitte Sept. 1469 in Butzbach ein (s. bei HELLRIEGEL, 1969, S. 73 Anm.4), wo er zum Propst gewählt wurde und das Schulwesen des Ortes neu gestaltete (vgl. Monumenta Germaniae Paedagogica 27, 1903, S.485-487). Im Aug. 1477 wirkte B. auf Wunsch Graf Eberhards I. im Bart an der Neugründung des Hauses in Urach/ Württ. mit, ebenso im Juli 1478 in Wolf a. d. Mosel. Juni 1479 wurde er Propst des Uracher Hauses, von wo aus er ab 22.11. 1484 eine theologische Professur in via moderna an der 1477 gegr. Univ. Tübingen versah und am Universitätsaufbau mitwirkte (Rektor im Winter 1485/86 und Sommer 1489). Noch 1492 wurde B. erster Propst des Brüderhauses auf dem Einsiedel bei Tübingen, wo er am 7.12.1495 starb. II. Werke. Ein vollständiger Überblick über das Gesamtwerk wird erst möglich sein, wenn die Sichtung der Butzbacher Hss. in der ÜB Gießen abgeschlossen ist, in der sich die Hauptmasse von B.s hsl. Nachlaß befindet (s. BAYERER, 1975). Einen Teil der Schriften hat B.s Schüler Wendelin Steinbach mit z.T. erheblichen redaktionellen Eingriffen zum Druck gebracht.

1. Predigten. Die Predigttätigkeit B.s erstreckt sich über ein halbes Jh. (älteste dat. Predigt von 1448, Gießen, ÜB, cod. 389, f. 347ff.). In den Butzbacher Hss. sind Predigten aus Mainz 1457-65, dem Rheingau 1463-67 und Butzbach 1470-76 erhalten. B. hat seine lat. abgefaßten Predigten in der Regel vor dem Kirchenvolk in dt. Sprache gehalten. Trotz schulmäßigem Aufbau und engem inhaltlichen Anschluß an die Tradition kommt B.s eigene, von kirch-

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Biel, Gabriel

lichem Gehorsam, Devotio Moderna und Mystik geprägte Frömmigkeit zum Vorschein. Ü b e r l i e f e r u n g . Die hsl. Überl. (s. ELZE, 1970s, S.75-89, BAYERER 1975, S.91) ist noch nicht vollständig erschlossen; Synopse mit den Druckausg.n Steinbachs fehlt. Die Echtheit des 'Sermo historialis passionis dominicae' (in der Überl. auch Wilhelm Textoris zugeschrieben) hatELZE, 1970 b,aufgezeigt (entstanden vermutlich vor 1458, gedr. u.a. anonym Reutlingen 1489). Schon TRITHEMIUS 1494 weist den Sermo B. zu. A u s g a b e n . Sermones [I] de festivitatibus Christi; Sermones [II] de festivitatibus gloriosae virginis Mariae; Sermones [III] de sanctis; Sermones [IV] de tempore, Tübingen 1499-1500. Engl. Übers, einer Predigt 'De circumcisione domini' (=1, Sermo 14) bei H.A. OBERMAN, Forerunners of the Reformation, New York 1966, S. 165-174. Auszüge aus d. Mainzer Predigten v. 11.11.1459 u. 26.10.1460 bei ELZE, 1970a, S.89-91 (Gießen, ÜB, cod. 772, 340va; cod. 834, 8 V ). Leichenpredigten 1467-81 bei ELZE, 1968/69, S. 7-52 (cod. 826,246r-265v). Eine Uracher Heiligenpredigt bei ELZE, 1972, S.8-13 (cod. 839, 372r-373v).

2. S c h r i f t e n zur M a i n z e r S t i f t s f e h d e . Am 18.9.1462 nahm B. vom Rheingau aus in einem offenen Brief an 'einen guten Freund' in Mainz zu Fragen des Interdikts Stellung. Die älteste Ü b e r l i e f e r u n g des dt. Briefs bot eine vernichtete zeitgenöss. Kopie im Stadtarch. Frankfurt, danach gedr. bei J.B. RITTER, Evang. Denckmahl d. Stadt Franckfurth am Mayn, 1726, S. 18-23. Nach Mainz, StB, cod. HSII219, p.23 f., bei OBERMAN, 1965, S. 24-30; nach Vat. pal. lat. 192, 204V-206V (gekürzter Text) bei ERLER, 1964, S. 309-312. Krit. Ausg. fehlt.

In dem aus Predigten erwachsenen und am 22.10.1462 abgeschlossenen 'Defens o r i u m o b o e d i e n t i a e apostolicae', für das B. in Rom die Approbation Pius' II. erlangte, unterstützte er die päpstlichen Ansprüche. Nach STAMMLER, Prosa, Sp. 931, gibt es dazu zwei dt. Übertragungen. Ü b e r l i e f e r u n g . Mainz, StB, cod. HS II 219, p. 25 bis 41 (M), u. Rom, Vat., cod. pal. lat. 192, 186r-200v (V), beide bald nach 1464. Eine verlorene bessere hsl. Überl. lag dem Erstdruck in den Sermones IV, Tübingen 1500, f. QQQ 2r-8r (T) zugrunde. Krit. A u s g a b e v. H.A. OBERMAN et al., Cambridge (Mass.) 1968.

3. 'Canonis missae expositio'. Dieses Werk, eine am 4.11.1488 abgeschlossene Tübinger Vorlesung, wurde durch seine systematischen Ausführungen über Fragen

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der Meßtheologie zu einem umfassenden pastoraltheologischen Handbuch. Hauptquelle ist die 'Expositio', die B.s Freund Egeling -»-Becker von Braunschweig vor dem Mainzer Klerus vorgetragen hatte. Wie B. selbst sagt (s. Prolog und Epilog), hat er einen - noch nicht näher bestimmten größeren Anteil seiner Ausführungen von Becker übernommen. Trotzdem hat er durch Erweiterung und Umarbeitung ein neues Werk geschaffen (LANDEEN, 1959/60, S. 62). Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Die editio princeps Reutlingen 1489 (R), bereits am 15.11.1489 vollendet, wurde ohne Wissen B.s von Steinbach veranlaßt, der auch die überarbeitete zweite Ausg. Tübingen 1499 (T) herausgegeben hat. R wird gegenüber T als der ursprünglichere Text erwiesen durch den unvollständigen Text in Gießen, ÜB, cod. 814, der ein älteres Stadium der Textgeschichte repräsentiert (£LZE, 1970 a, S. 73f.). Die Ausg. v. H. A. OBERMAN u. W. J. COURTENAY, 1963-67,4 Bde. (dazu Erg.bd. v. W. WERBECK, 1976, mit Gliederungsschemata und Sachregister), legte T zugrunde (R im krit. App.) und kannte die genannte Hs. noch nicht. Für den einfacheren Priester hat B. selbst eine 'Epitoma expositionis canonis missae' ausgezogen (Gießen, ÜB, cod. 799,3r-84r, Autograph ?; Trier, StB, cod. 971, 84v-120r; gedr. Tübingen um 1499).

4. ' C o l l e c t o r i u m circa q u a t t u o r libros S e n t e n t i a r u m ' . Dieses Standardwerk des spätmal. Ockhamismus ist in erster Linie aus der Tübinger Lehrtätigkeit erwachsen. Die hsl. Überlieferung belegt jedoch, daß B. schon früher mit den Vorarbeiten beschäftigt war. ImButzbacher Nachlaß B.s befinden sich verschiedene ältere Entwürfe zu den Sentenzen (s. BAYERER, 1975, S. 77). Schließlich hat B. eine Abbreviatio von Ockhams Ordinatio' hergestellt und diese dann kontinuierlich ausgebaut. Wo Ockham ausführlich war, hat B. zusammengefaßt ('epitoma'), so insbesondere in Buch I; in den übrigen Teilen, wo er bei Ockham wenig oder nichts fand, hat er die Ockhamsche Grundlage erweitert oder einen eigenen Kommentar erstellt unter ausgiebiger Einbeziehung anderer Autoritäten ('collectorium'). Buch I war 1486 in der Endfassung noch nicht abgeschlossen, Buch II und III wurden 1488/89 fertiggestellt. Danach arbeitete B. bis zu seinem Tod an Buch IV, das mit dem 'Summarium' von IV d. 23

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'Bielefelder Gebetbuch'

abbricht. Steinbach hat die fehlenden Distinktionen durch einen eigenen Kommentar ergänzt (Supplementum, Paris 1521). Ü b e r l i e f e r u n g . Weder B.s Autograph noch die von Steinbach der editio princeps (Tübingen 1501 =T) zugrundegelegte Hs. sind erhalten. Vor 1501 gibt es lediglich Teilhss. Für B u c h l liegen drei Hss. vor, die noch frühere Stadien aus der Entstehungsgesch. repräsentieren: 1. Gießen, ÜB, cod. 756, 87r-165r (Z), vermutlich zwischen 1484 u. 1492 geschrieben; 2. Tübingen, ÜB, cod. MC 194,1-97" (X); 3. ebd., 98r-138v (Y), nur bis I d. 9 q.l. X und gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück; X stellt gegenüber Z ein fortgeschrittenes Stadium dar, ebenso gegenüber X, jedoch hat B. auch über die Fassung hinaus noch weitergearbeitet. B u c h I I und III sind überliefert in Gießen, ÜB, cod. 734 (abgeschlossen 1488/89) und Trier, StB, cod. 934 (nur Buch II). Beide stimmen trotz kleinerer Lücken weitgehend mit T überein. Für B u c h I V fehlt hsl. Überl. Der Druck T steht B.s Endfassung des Gesamtwerks am nächsten. Stemma bei BUBENHEIMER, 1976, S. 471. A u s g a b e n . Editio princeps, Tübingen 1501. Der Nachdr. Frankfurt 1965 bietet die Zweitausg. Basel 1508 (B). Krit. Ausg. v. W. WERBECK u. U. HOFMANN, bisher Bd. 1,1973; IV/1 (d. 1-14), 1975; IV/2 (d. 15-23), 1977. Auszüge in nhd. Übers, bei G. A. BENRATH, Wegbereiter der Reformation, 1967, S. 70-79. IV d. 15 q. 9 wurde gesondert hg. v. d. Tübinger Juristen Joh. Adler ('Tractatus de potestate et utilitate monetarum', Oppenheim 1516), engl. Übers, v. R. B. BURKE, Treatise of the Power and Utility of Money, Philadelphia 1930.

5. W e i t e r e Sehr if ten. Eine Ausgabe der ältesten dat. Schrift B.s ('Disputatio super principium veteris artis Aristotelis', Heidelberg 1441; Gießen, ÜB, cod. 617, 221rff.) wird von W. G. BAYERER vorbereitet. Ein Traktat 'De communi vita clericorum' hg. v. LANDEEN, 1960, S. 79-95. Ein Brief an Eberhard III. von Eppstein v. 24.1.1470 (Staatsarch. Darmstadt) hg. v. HALLER, 1927-29,1152, II228*. 12 Briefe B.s an den Abt von Bebenhausen befinden sich im StaatsarcA. Stuttgart. B. hat auch theologische Schriften anderer Autoren in dt. Sprache übertragen (s. BAYERER, 1975, S. 62.83; ELZE, 1963; zu B.s Übersetzung von -> Gersons Opus Tripartitum' s. KRAUME, 1975, S.70E). Mehr bei OBERMAN, 1965, S.24 u. 414; ELZE, 1970a; BAYERER, 1975. L i t e r a t u r . J. TRITHEMIUS, De scriptoribus ecclesiasticis (1494), in: Opera historica, Frankfurt 1601, 1385; J. HALLER, Die Anfänge d. Univ. Tübingen, 1927 bis 1929,1153-172, II 54*-64*; W. M. LANDEEN, G. B.

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and the Brethren of the Common Life in Germany, Church History 20 (1951) 23-36; ders., G. B. and the Devotio Moderna in Germany, Research Studies Washington State University 27 (1959) 135-213; 28 (1960) 21^5, 61-95; ders., Das Brüderhaus St. Peter auf dem Einsiedel, Bll. f. württ. KG 60/61 (1960/61) 5-18; A. ERLER, Mal. Rechtsgutachten z. Mainzer Stiftsfehde, 1964; M. ELZE, Ein Beitr. G. B.s z.spätmal. Erbauungslit., ZKG 74 (1963) 265-281; ders., Spätmal. Predigt im Angesicht d. Todes, Fs. H. Thielicke, 1968, S. 89-99; ders., Sieben Exequienpredigten v. G. B., Bll. f. württ. KG 68/69 (1968/69) 3-52; ders., Hss. v. Werken G. B.s aus seinem Nachlaß in d. Gießener ÜB, ZKG 81 (1970a) 70-91; ders., Zur Überl. d. Sermo historialispassionis v. G.B.,ZKG 81 (1970b) 362-374; ders., Eine Predigt G. B.s auf den hl. Amandus, Bll. f. württ. KG 72 (1972) 3-13; H. A. OBERMAN, Spätscholastik u. Reformation 1,1965; W. J. COURTENAY, Zur Chronologie d. Schriften G. B.s v. 1462, Trierer theol. Zs. 74 (1965) 374-376; ders., G. B. als Mainzer Domprediger, ebd. 75 (1966) 49-52; W. WERBECK, Hss. z. I. Buch v. G. B.s Collectorium, Fg. H. Rückert, 1966, S. 68-85; W. JETTER, Drei Neujahrs-Sermone G. B.s als Beispiel spätmal. Lehrpredigt, ebd.,S. 86-126; W. ERNST, Spätmal. Heiligenpredigten, Eine Unters, d. Sermones de Sanctis v. G. B., Fg. E. Kleineidam, 1969, S. 232-259; L. HELLRIEGEL, G. B. in Butzbach, Wetterauer Geschichtsbll. 18 (1969) 73-82; F. J. BURKARD, Philos. Lehrgehalte in G. B.s Sentenzenkommentar, 1974; F. W. BAUTZ, Biograph.-bibliograph. Kirchenlexikon I, 1975, S. 584f. (Lit.); W. G. BAYERER, Libri Capituli Ecclesiae Sancti Marci. Zur Katalogisierung d. Butzbacher Hss. an d. ÜB Gießen, Wetterauer Geschichtsbll. 24 (1975) 57-91; H. KRAUME, Die GersonÜbers.n Geilers v. Kaysersberg. Stud. z. dt.sprachigen Gerson-Rezeption, Diss. Freiburg i. Br. 1975; P. AMELUNG, Bemerkungen z. frühen Buchdruck in Urach, Schwab. Heimat 27 (1976) 193-199; U. BUBENHEIMER, Rez. d. Ausg. Werbeck/Hofmann, ZRG 93 Kan. Abt. 62 (1976) 466-474.

ULRICH BUBENHEIMER 'Bielefelder Gebetbuch' Die um 1500 geschriebene, vermutlich aus dem Bielefelder Augustinerinnenkloster stammende und von TÜMPEL u.d.T. 'B.G.' teiledierte Sammelhs. (Bielefeld, Stadtarch. u. Landesgeschichtl. Bibl., cod. Hgb 154) enthält, ohne erkennbare inhaltliche Gliederung, 73 Gebets- und Andachtstexte, sämtlich in Prosa und zu mehr als drei Vierteln an Maria gerichtet. Obwohl Spezialuntersuchungen zur spätmal, dt. Gebetbuchliteratur so gut wie ganz fehlen, läßt sich doch bereits auf Grund der Beschrei-

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'Die Bienenkirche' ('Die Hostie im Bienenstock')

bungen zahlreicher anderer mnd., mfrk. und mndl. Gebetbuchhss. bei BORCHLING, MEERTENS und ACHTEN/KNAUS sagen, daß das 'B. G.' als typisches mnd. Nonnengebetsbuch der Zeit um 1500 gelten kann: zumindest die umfangreicheren der in ihm enthaltenen Texte sind auch in anderen zeitgenössischen Gebetsammlungen des nd.ndl. Raumes überliefert und mithin als Gemeingut dieses von der Devotio Moderna geprägten Gebietes anzusprechen. Zu nennen sind hier etwa folgende Textstücke des 'B.C.': 'Die Krone unserer Ib. Frau mit den zwölf Sternen' (Nr. 2), 'Die goldene Litanei von der Jungfrau Maria' (Nr.7), 'Die zehn Tugenden Mariens' (Nr.24), 'Die sieben irdischen Freuden Mariens' (Nr. 52), 'Die drei bzw. sieben Klagen Mariens' (Nr. 21 bzw. 22), 'Die fünf Betrübnisse Mariens' (Nr. 51), 'Die zwölf Leiden Mariens' (Nr. 41), 'Von den Gliedmaßen Mariens' (Nr. 43), 'Die fünfzehn Paternoster vom Leiden Christi" (Nr. 10) sowie, als umfangreichster Textkomplex, der 3 X 50 Abschnitte umfassende Marienpsalter u. d. T. 'Drei Kränzchen (= Rosenkränze) vom Leben und Leiden, der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu sowie vom Mitleiden Mariens' (Nr. 61-63). L i t e r a t u r . H. TÜMPEL, Ein mnd. Bielefelder Gebetbuch, Fs. z. 350jähr. Jubiläum d. Gymnasiums u. Realgymnasiums zu Bielefeld, 1908 [mit ausführl. Beschreibung u. Teilausg.]. Zum Vergleich heranzuziehen: BORCHLING, Mnd.Hss., 4 Bde.; M. MEERTENS, De godsvrucht in den Nederlanden naar hss. van gebedenboeken der XVe eeuw, 1930-34, 4 Bde.; G. ACHTEN/H. KNAUS, Dt. u. ndl. Gebetsbuchhss. der hess. LB u. StB 1959.

HARTMUT BECKERS 'Die Bienenkirche' ('Die Hostie im Bienenstock') Dt. Fassung eines im gesamten Raum der mlat. Erzähltradition verbreitetes Hostienmirakels. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Mainz, Bischöfl. Seminarbibl., cod. 43, 60v-61r (Mz); Wien, Schottenkloster, cod. 308 (234), 75v-76r (W). -2. Andere Versionen: s. W. BRÜCKNER, Sagenbildung u. Tradition, ZfVk 57 (1961) 26-74, hier: S. 70-74 (tabellarische Übersicht über Quellen u. zugehörige Forschungslit.). Weitere Hinweise auf mhd., mndl. u. nhd. Quellen: S. RINGLER, Quellen u. Stud. z. Viten- u. Offenbarungslit. in Frauenklöstern d. MAs, Diss. (masch.) Würzburg 1976, S. 236-243. 2 . A u s g a b e n . Mz/W sind bisher nicht ediert. -J.B. BAGATTA, Admiranda orbis Christian!, AugsburgDillingen 1695,1, lib. VII, c. 3, § I, S. 473f., Nr. 14-18

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(Caesarius v. Heisterbach, Thomas v. Chantimpre, Johannes Aegidius, Petrus Venerabilis, Bernardinus Senensis, jeweils in leicht veränderter Wiedergabe); J. KLAPPER, Erzählungen d. MAs in dt. Übers, u. lat. Urtext, Wort u. Brauch 12 (1914) 288f.; C.G.N. DE VOOYS, Middelnederlandse stichtelijke exempelen, 1953, S. 7-9; L. KRETZENBACHER, Die Legende v. d. Hostie im Bienenstock, ZfVk 56 (1960) 177-193. Nhd. Übertragungen: J. KLAPPER (s. o.), S. 82f.; G. FRENKEN, Wunder u. Taten der Heiligen, 1925, S. 149f.

3. Die in Mz/W überlieferte Erzählung von den zum Lob der Eucharistie wundersam tätigen Bienen ist, zusammen mit anderen Erzählungen erbaulich-unterhaltsamer Art, im Anhang zu Werken der Nonnenliteratur überliefert. Die erhaltenen Hss. des 15. Jh.s dürften auf Vorlagen aus dem 14. Jh. zurückgehen. Der Text selbst stellt sich als die deutschsprachige Wiedergabe einer Erzählung des -> Caesarius von Heisterbach, 'Dialogue miraculorum' IX, 8, dar. Diese wiederum entstammt der in den Ursprüngen anonymen lat. Erzähltradition des MAs, und zwar dem Bereich der im 12. Jh. aufblühenden, jedoch vielfach auf älteres Erzählgut zurückgreifenden Hostienmirakel. Der früher vermutete Tradierungszusammenhang mit dem antiken Pausanias-Bericht über den Bau des zweiten Tempels in Delphi besteht nicht. 4. Grundlage des mlat. Hostienmirakels ist die Kontamination zweier ursprünglich selbständiger Motive: 'Wunderhostie' und 'wohltätige Bienen'. Daraus hat sich eine ganze Motivkette herausgebildet: a) menschliche Verunehrung der Eucharistie zum Zwecke der Magie oder (sekundär) durch Kirchenraub; b) Aufbewahrung der Eucharistie durch die Bienen, c) Bau einer Wachskapelle oder (sekundär) einer Monstranz, teilweise mit dem Nebenmotiv wunderbarer Begleiterscheinungen (Lichtwunder) ; d) Verehrung der Eucharistie durch die Bienen: Bienenprozession der schwärmenden und musizierenden Tiere;?) Auffindung der Hostie sowie der Wachskapelle und Verehrung durch die kirchliche Gemeinde. 5. Der Text in Mz/W basiert auf den Motiven a (verkürzt), c und e. Charakteristisch ist, daß die Übersetzung zum Teil

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Bihler, Christoph - 'Bilder-Ars-moriendi'

sehr textnah der Vorlage (Caesarius v. H.) folgt, insgesamt aber - durch Weglassung oder Hinzufügung einzelner Geschehenselemente - die Grundstruktur der Erzählung verändert ist. Bei Caesarius v. H. liegt der Schwerpunkt der Begebenheit im Handeln der einzelnen Rollenträger (frevlerische Frau, Gott, Bienen, Priester, Volk); Absicht ist, das wunderbare Wirken Gottes auch in his minimis zu zeigen. In Mz/W dagegen ist auf die einzelnen Stufen des Vorgangs weniger Wert gelegt (es entfällt z.B. die Schilderung des Hostienraubs); den Schwerpunkt bildet die Schilderung des Hostienwunders im Bienenstock (herausgehoben u.a. durch Lichtwunder); Absicht ist, von der Entstehung eines von Bienen wunderbar errichteten und nun selbst wundertätigen Kirchleins zu berichten. So hat sich der Akzent der Erzählung vom personal getragenen Wundergeschehen auf das dadurch entstandene Wunderding verlagert. Nachdem schon Caesarius v. H. mehr als seine Vorgänger das Wunder des Baus der Wachskirche in den Vordergrund gerückt hatte, ist dieses Wunderwerk in Mz/W Hauptgegenstand der Erzählung geworden. Das Grundmotiv - Ehrfurcht der Bienen vor der Eucharistie, an der ein Mensch gefrevelt hat (nach KRETZENBACHER, S. 178) - ist somit immer weiter zurückgetreten hinter seiner wunderbaren Verdinglichung. 6. Für die Forschung ist die Erzählung von der Bienenkirche in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Als Hostienmirakel mit je wechselnder Akzentsetzung vermittelt sie Aufschlüsse über Verbreitung und Eigenart unterschiedlicher Formen der eucharistischen Frömmigkeit. Als Mirakel macht sie charakteristische Wandlungen im Verständnis des Wunderbaren deutlich, erkennbar daran, ob das nur im Glauben erfaßbare göttliche Wunderwirken trotz menschlicher Freveltat (Motive a/b), das erstaunliche Wundergeschehen (b—d) oder das wohltätige Wunderding (c/e) im Mittelpunkt steht. In den bis ins 20. Jh. fortwährenden inhaltlichen und formalen Ausgestaltungen einer relativ konstanten Mocivkette (u.a. in Verserzählung, Lyrik und Mirakelspiel) ist die Erzählung schließ-

lich ein Musterbeispiel für 'Sagenbildung und Tradition' (BRUCKNER.) . L i t e r a t u r . F. PANZER, Bayer. Sagen u. Bräuche II, 1855, S. 379-389; A.E. SCHÖNBACH, Stud. z. Erzählungslit. d. MAs VI, WSB 156/1, 1908, S. 1-70, hier: S. 49-70; L. KRETZENBACHER (s.o. 2.); W. BRÜCKNER (s. o. 1.); S. RINGLER (s.o. l.);-vgl. auch F. OLCK, Paulys Realenzyklopädie d. klass. Altertumswiss. III, 1899, S. 431^450 (Bienen in d. antiken Lit.); R. BAUERREISS, Pie Jesu, 1931, bes. S. 63-67 (Hostienmirakel); M. MISCH, Apis est animal - Apis est ecclesia. Ein Beitr. z. Verständnis von Naturkunde u. Theologie in spätantiker u. mal. Lit. (Europ. Hochschulschr.n I 107), 1974.

SIEGFRIED RINGLER 'Biergruß' -> 'Weingruß' Bieris —* Beris, Johannes Bihler, Christoph Von ihm überliefert die Hs. des Valentin Holl (Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Merkelsche Familienstiftung; geschrieben 1524—26 in Augsburg) auf f. 129v-130r ein Lied. Die Überschrift nennt ihn von Augspurg, hoffprocurator zu München. Archivalisch ist er als Augsburger Bürger nicht nachzuweisen, wohl aber in München zwischen 1518 (Hofprokurator C. Puler, Inhaber von Pfisterstr. Haus Nr. 5: Häuserbuch I 239) und 1533 (Advokat und Hofprokurator C. Pfichler: Hauptstaatsarch. GU München 761); weitere urkundl. Namensformen Puechler (1521), Puehler (1522), P&ler(l532). Das Lied, 7 Strr. in -» Schilhers Hofton, handelt von valschen zungen, nachred vnd eerabschneiden. Die Namen der sechs griechischen Philosophen (Solan, Chilo, Anthisthenes, Xenocrates, Democritus, Diogenes), die mit einschlägigen Sprüchen zitiert werden, könnten aus humanistischen Quellen oder aus einem Katalog der Sieben Weisen stammen. In der Schlußstr. tröstet sich der Dichter im Gedanken an Christus. ERICH STAHLEDER 'Bilder-Ars-moriendi' ('Ars moriendi cum figuris') 1. Die wirkungsmächtigste 'ars moriendi' (i. F. 'a.m.') des MAs ist die 'B.', da sie in glücklicher Weise Wort und Bild verbindet.

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'Bilsener WeihnachtsspieP

Die Erstausgabe (hg. v. T. O. WEIGEL, 'A.m.', 1869), ein Blockbuch mit 11 Holzschnitten und 13 Textseiten, ist künstlerisch höchst wertvoll und von größter Textgenauigkeit. SCHREIBER sieht die Kupferstiche des Meisters E.S. als Originale an und datiert sie um 1465. MUSPER hält die Holzschnitte für Originale und die Bilder von E.S. für deren Kopien. Nach ihm entstand die 'B.' um 1420/30. Die Bilder stellen fünf Anfechtungen des Teufels in der Todesstunde dar, denen fünf Bilder mit den guten Einsprechungen des Engels gegenüberstehen. 2. Der Text ist wesentlich älter. WEIGEL und ZESTERMANN datieren ihn um 1408/14. Der Verfasser ist unbekannt und war nach FALK vermutlich ein frz. Geistlicher. Inhaltlich geht die 'B.', deren Urtext lat. war, aber bald in die germ, und roman. Volkssprachen übersetzt wurde, über Gerson nicht hinaus, doch ist sie rein auf die Todesstunde zugespitzt: Einschärfung der Bußgesinnung, Beschreibung der wichtigsten Anfechtungen, des Bittgebets, der Fürbitte und Mithilfe der Freunde. Anfechtungsmächte, himmlische und irdische Abwehrhelfer werden knapp, mit wenigen Sätzen und einigen gut gewählten Zitaten erörtert und in den Bildern sichtbar gemacht. 3. Da Text und Bild zusammengehören, finden wir die 'B.' nur selten in Sammelhss. Den lat. Text (Ine: Quamuis secundum philosophum tercio Ethicorum) finden wir im dt. Bereich nur in München, clm 7643, Heidelberg, ÜB, Salem VII 99, Göttingen, SB u. ÜB, cod. Theol. 200 i, Trier, Museumsbibl., cod. 781, Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.Bibl., cod. 904. Drucke: SCHREIBER, 1902, Gr. I-IX, XIII; GW 2571-79.

4. Die dt. Ausgaben der 'B.' zerfallen in zwei Gruppen. Die erste, Inc.: Wie wol nach der lere des natürlichen maisters, umfaßt die dritte Basler Ausgabe (SCHREIBER, 1902, II A; 1909, S.30f.), die Hs. Heidelberg, cpg 34, den Ulmer Druck des Ludwig ze Ulm (SCHREIBER, 1902, Gr. VII A), deren Verfasser nach WEIL, 1923, S. 20, unbekannt ist (gegen R. WESTERMANN, 1VLIII 190f.), und die Hs. Wien, cod. 3021, 180-190 (unvollst.). GW 2580-83. - Die zweite Gruppe hat einen etwas abweichenden Text, der dem 'Speculum artis bene moriendi' ver-

wandt ist. Inc.: So dermal der gang deß todes. Zu ihr gehören die Drucke SCHREIBER, 1902, Gr. X, XI (Basel, ÜB, A IX 23, Nr. 3) und XII (Donaueschingen, Hofbibl., hg. von BUTSCH). L i t e r a t u r . T.O. WEIGEL/A. ZESTERMANN, Die Anfänge d. Druckerkunst in Bild u. Schrift II, 1866, S. 1-6; A. F. BUTSCH, 'A.m.', Facsimileausg. d. Fürstenbergschen Exemplars, 1874; F. FALK, Die älteste 'a.m.', ZfB7 (1890) 309; A. SCHMARSOW, Der MeisterE.S. u. d. Blockbuch der 'a.m.' (Ber. d. kgl. Sachs. Ges. d. Wiss. phil.-hist. Klasse 51), 1899; W.L. SCHREIBER, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal en XV e siecle IV, 1902, S. 253-314; ders., Basels Bedeutung für d. Gesch. d. Blockbücher, Straßburg 1909, S. 30f., 40-42; E. WEIL, Ausg. d. Ulmer Druckes, 1922; ders., Der Ulmer Holzschnitt im 15.Jh., 1923, S. 30; K. KÜNSTLE, Ikonographie d. christl. Kunst I, 1928, S, 206f.; F. GERKE, Die satan. Anfechtung d. 'a.m.' u. bei Luther, Theol. Bll. 11 (1923) 321-331; H. APPEL, Anfechtung u. Trost im SpätMA u. bei Luther, 1938, S. 75-79; H.TH. MUSPER, Die 'a.m.' u. d. Meister E.S., Gutenberg-Jb. 25 (1950) 57-66; R. RUDOLF, 'A.m.' (Forschungen z. Vk. 39), 1957, S. 69-74.

P. RAINER RUDOLF SDS Billick, Burchardus -> Prior Burkhard 'Bilsener Weihnachtsspiel' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Brüssel, Bibl. des Bollandistes, MS 299, 179M80".

Die Entzifferung des mit Noten versehenen mlat. Textes aus dem 12. Jh. bereitet verschiedentlich Schwierigkeiten, da er stellenweise weggerissen, unleserlich oder bearbeitet, d.h. über nicht immer sauberen Rasuren abgeändert worden ist. 2. A u s g a b e n . C. CAHIER/A. MARTIN, Melanges d'archeologie, d'histoire et de litterature l (1847-1849) 258-260; F. CLEMENT, Histoire generale de la musique religieuse, Paris 1861, S. 115-118; G. CoHEN/K. YOUNG, Romania 44 (1915-17) 359-368; J. GESSLER, Le drame liturgique de Munsterbilsen, Antwerpen 1928, S. 19-30; K. YOUNG, The Drama of the Medieval Church, Oxford 1933 (Neudr. 1962,1967 zit.), II75-80.

3. Text. Der Text enthält den gleichen Gesang Eia dicamus, wie er im ->· 'Freisinger Weihnachtsspiel' die Auszugsprozession der Darsteller begleitet, nur daß er hier noch vor dem Anfang der eigentlichen Aufführung zur Einzugsprozession ertönt. Ausgeführt wird er hier wie dort von den pueri, die im Spiel die Rollen der handeln-

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Birchtel, Albert

den Personen übernehmen. Die Aufführung beginnt mit der Thronbesteigung des Herodes. Durch den Chorgesang Super solium David, der diesen Vorgang begleitet, wird er sofort in eine höchst ironische Perspektive gerückt. Dem Hirtenspiel mit Verkündigung und Aufbruch zur (nur pantomimischen) Anbetung folgt das Zusammentreffen der hl. drei Könige, die untereinander den Bruderkuß austauschen, bevor sie gemeinsam weiterziehen. Die zentrale Herodeshandlung wird durch ein reich entwikkeltes Botenspiel eingeleitet. Ein arroganter Herold treibt die zunächst widerstrebenden magi mit blanker Klinge zu Herodes. Im Diener ist vorgreifend bereits der Herr gespiegelt, dem sich, da er absolute Geltung beansprucht, seine auch in anderen Partien des Stücks stark vermehrte und als Boten und Berater aktiv in die Handlung eingreifende Umgebung liebedienerisch und beflissen angleicht, ohne doch verhindern zu können, daß der hochmütige Despot sie sehr von oben herab behandelt. Als er vom Zeichen des Sterns von Bethlehem erfährt, wirft er ira tumens die Schwerter - d.h. wohl sein eigenes und das vom armiger emporgehaltene Zeremonialschwert - zu Boden; bei der weiteren Befragung der magi nach ihrer Person bedroht er sie mit erhobenem Szepter; und für die Dauer seiner Beratung mit den scribae läßt er sie kurzerhand in den Kerker werfen und ihre Jesus zugedachten Geschenke vorübergehend konfiszieren. Schließlich doch wieder entlassen, begegnen die magi den Hirten und den obstetrices, bringen dem Neugeborenen ihre Gaben dar und ziehen in ihre Heimatländer ab. Mit der Benachrichtigung Herodes' von ihrem Entweichen bricht die Textaufzeichnung ab, obwohl auf der letzten Seite noch zwei bis drei Zeilen frei sind. 4. Der gelehrt-schulmäßige Charakter des Spiels - der sich u.a. in Anleihen an Vergil und Sedulius dokumentiert, die auch in anderen Weihnachtsspielen (-»'Freisinger Ordo Racheiis', -»'Freisinger WeihnachtsspieP) zu beobachten sind - ist hier dadurch auffällig gesteigert, daß nicht nur die weitaus überwiegenden Teile des Rollentextes, sondern sogar auch die meisten Regieanweisungen in Hexametern abgefaßt sind.

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Man könnte versucht sein, darin ein Anzeichen für den nicht-dramatischen, nurliterarischen Charakter dieses Textes zu sehen, wenn nicht die Einzugsprozession der Spieler, die lebendige Bewegtheit der Aktionen und die vor allem auf expressive Gestik und auf Verdeutlichung der Anschauung abzielenden Regieanweisungen doch seine Bestimmung für eine Aufführung glaubhaft machten, die, den Bearbeitungsspuren im Ms. nach zu urteilen, sogar wiederholt wurde. Dafür waren ein 18-19köpfiges Ensemble und vier bis fünf Bühnenorte - nämlich außer den gewöhnlichen für die Krippe, Herodes und die scribae noch einer für den Kerker der magi, vielleicht auch ein weiterer für den ab altis singenden Verkündigungsengel - nötig. L i t e r a t u r . E.K. CHAMBERS, The Mediaeval Stage, Oxford 1903, II 56; H. ANZ, Die lat. Magierspiele, 1905, S. 103-106; I. SONDHEIMER, Die Herodes-Partien im lat. liturg. Drama u. in den frz. Mysterien (Beitr. z. Gesch. d. romanischen Sprachen u. Literaturen 3), 1912, S. 16-18, 43-16, 70f., 87f., 158f.; G. COHEN/K. YOUNG (s.o. 2.), S. 357-372; M. BÖHME, Das lat. Weihnachtsspiel (Beitr. z. Kultur- u. Universalgesch. 40), 1917, S. 100-103; J. GESSLER (s. o.2.), S. 5-18; K. YOUNG, 1933 (s.o. 2.}, II 80-84; T. STEMMLER, Liturg. Feiern u. geistl. Spiele (Buchreihe d. Anglia 15), 1970, S. 84, 86, 145, 257f.

HANSJÜRGEN LINKE Binderlin von Friburg —> 'Die Sprüche der zwölf Meister' Birchtel, Albert Er nennt sich selber Albertus Birchtel de St&tgart und ist vielleicht mit Aubertin Birchtel identisch, der 1451 urkundlich für Stuttgart bezeugt ist. 1. Angeregt durch iatromathematische Spekulationen und die Gradus-Lehre alKindis, die in -»-Arnalds von Villanova 'Aphorismi de gradibus' wiederkehrt, entwarf B. einen 'Traktat von 16 Latwergen', der dem Viererschema verhaftet ist und sich entsprechend in vier Textabschnitte gliedert. B. unterteilt den Tag in vier Quadranten (tryangel), die er den Komplexionen zuordnet und im Stundenschritt nach dem Gradus-Schema stuft. Diese Quadranten bestimmen das Auftreten von Fieber-Par-

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Birgitta von Schweden

oxysmen und erlauben je nach der Stunde des Anfalls, Komplexion(en) sowie Grade des Wechselfiebers zu erkennen und durch entgegengesetzt temperierte Latwergen zu behandeln. Derartige Latwergen - insgesamt 16 - werden aus acht Drogen zusammengestellt und entsprechen in Vierergruppen den vier Stufen-Skalen des GradusSchemas. Die Reduktion der Ingredienzen auf acht gelingt B., indem er jeder Droge nicht zwei, sondern unsinnigerweise vier Primärqualitäten zuweist. 2. A. B. als schwäbischer Laienarzt versteht sich als Mittler zwischen Schulmedizin und landessprachigen Chirurgen (arzaten), die er mit medizinischen Theorien der Zeit vertraut zu machen sucht. Sein pharmazeutisch ausgerichteter Vorstoß blieb indessen erfolglos, da er selber die pharmakologische Theorie des SpätMAs unzureichend durchschaut. Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., Wellcome Ms. 538,104r-106r (westl. Niederalem.,Ende 15. Jh.). A u s g a b e . G. Eis, A. B.s Traktat von den 16 Latwergen, in: Fs. E. Heischkel-Artelt u. W. Artelt, 1971, s m 117

- -

·

G.KEIL

Birer, Bires, -»Beris, Johannes 'Birgitts von Schweden' -»Tortsch, Johannes Birgitta von Schweden 1. Die einzige Gestalt europäischer Ausstrahlung im mal. Geistesleben Skandinaviens entstammt einer der führenden Familien Schwedens (geb. 1303 in Finstad bei Uppsala). Ihre schon während der Ehe intensive Religiosität steigerte sich nach dem Tod ihres Mannes 1344 zu mystischem Erleben. Unter ihren frühesten Offenbarungen findet sich der göttliche Auftrag, einen neuen Orden zu stiften (-»'Birgittinerregel'), der zuerst in Vadstena verwirklicht wurde. Von 1349 bis zu ihrem Tod 1373 mit nur wenigen Unterbrechungen (u.a. 1372/73 Pilgerfahrt ins Heilige Land) in Rom lebend, versuchte sie den ihr zuteil gewordenen göttlichen Botschaften Beachtung zu verschaffen. Diese richteten sich häufig an bestimmte Personen, darunter weltliche Herrscher und Päpste.

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2. Die Offenbarungen - fast alle sind nur in der lat. Übersetzung durch B.s schwedische Beichtväter erhalten - wurden im Hinblick auf B.s Kanonisation (1391) gesammelt. Von Italien aus traten sie ihren Überlieferungsweg durch Europa an, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb des sich rasch ausbreitenden Birgittenordens. Dieser griff dann mit dem ersten, von Vadstena veranlaßten Druck des Gesamtwerkes (Lübeck 1492, GW 4391) nochmals ordnend in die Überlieferung ein und erkannte 8 Bücher 'Revelationes', dazu die 'Revelationes extravagantes', 'Regula sancti Salvatoris' (-»'Birgittinerregel'), 'Sermo angelicus' (liturgische Lesungen für die Birgittinerinnen) und 4 Orationes' als authentisch an. Ein genauer Nachdruck erschien 1500 in Nürnberg (GW 4392), von Florian -> Waldauf von Waldenstein finanziert und von Maximilian I. gefördert. 3. Die verschiedenartigen Ausgangspunkte für die Überlieferung von B.s Werk zuerst Italien, später Vadstena - brachten für den deutschsprachigen Raum einen mehrfachen Ansatz für die lat. Tradition wie auch für Übersetzungen. Die in ihrem Gesamtumfang noch nicht erforschte nd. Überlieferung steht dabei hinter der hd. zurück und bietet in Hss. des 15. Jh.s nur kleinere Teilübersetzungen (vgl. JUNGMARK, S. IV), auch in Inkunabeln lediglich Auswahlübertragungen, die meist mit anderen Texten zu Erbauungsbüchern zusammengestellt wurden: Lübeck, vor 20. 8.1478 (GW4393),frgm.;ebd.,ca. 1485 (GW 4394); ebd., 1496, 'Sunte Birgitten openbaringe' (GW 4395, Neuausg. durch DINGES mit Untersuchung auch der vorangehenden nd. Drucke). Im Hd. (vgl. MONTAG, S. 11-20) gehen Teilübertragungen in md. Dialekten dem Anfang der Übersetzungstätigkeit in Oberdeutschland voraus, die in der 1. Hälfte des 15.Jh.s mit bair. und alem. Exzerpten begann, dann in der 2. Hälfte, mit den Birgittenklöstern Gnadenberg bei Nürnberg und Maihingen im Ries als Zentren, großen Umfang erlangte. Etwa 1470 wurden in Gnadenberg Buch 1-8 der 'Revelationes' samt 'Sermo angelicus' erstmals vollständig übersetzt (Abschrift erhalten in Harburg,

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'Birgittinerregel' - Birk, Johannes

Fürstl.Oettingen-Wallersteinsche Bibl., cod. Ill 1. fol. 17 u. 18), dann nochmals für Maihingen der gesamte Inhalt des Nürnberger lat. Druckes von 1500. Übertragung wie Drucklegung (1502 bei Anton Koberger in Nürnberg) erfolgten auf Kosten von Florian Waldauf von Waldenstein mit Maximilian I. als Förderer. Beide Übersetzungen wurden vielfach exzerpiert. Außerdem bot die hd. 'Bürde der Welt' des Johannes —> Tortsch umfangreiche Zitate aus B.s Offenbarungen. Häufig wurden die auch ikonographisch einflußreichen Texte B.s zu Christi Geburt und Tod zitiert. 4. Unechtes kreist im wesentlichen um die von B. eindringlich geschilderte Passion, so die weit verbreiteten 'Fünfzehn Gebete zum Leiden Christi', daneben, nur nd., eine Passionsdarstellung (3 Hss., l Frgm., gedruckt in GW 4394, hg. v. JUNGMARK). 5. Die Heilige ist Gegenstand vieler dt. Gebete, dazu einer kurzen Legende ( TAG, S. 37f. u. 337) sowie einer längeren innerhalb -> 'Der Heiligen Leben'. Zu 'Leben und Wunderwerke St. Birgitten' (von A. MANTE 1971 in nd. Fassung ediert) vgl. Johannes —»Tortsch. Krit. lat. A u s g a b e im Entstehen. Es liegen vor: Sancta Birgitta, Revelaciones Lib. V u. Lib. VII, ed. B. BERGH, Uppsala 1971 u. 1967; Rev. extravagantes, ed. L. HOLLMAN, Uppsala 1956; Opera minora l, Regula sancti Salvatoris u. 2, Sermo angelicus, ed. S. EKLUND, Stockholm 1975 u. Uppsala 1972. L i t e r a t u r . G.E. KLEMMING, Birgitta-Literatur. Bibliografi, in: Kongl. Bibliotekets handlingar. 6, Stockholm 1883/84; K.B. WESTMAN, Birgitta-studier, l (Uppsala universitets ärsskrift. 1911,1), Uppsala 1911; C. JUNGMARK, Eine pseudo-birgittische Christus-Passion, l, Die mnd. Version, Diss. Göteborg 1916; M. HELM, B. v. S. in d. Dt. Lit., Diss. München 1916; dies., Dt. Birgittentexte aus Hss. d. 15. Jh.s, Münchener Mus. f. Philologie d. MAs u. d. Renaissance 3 (1915/18) 248-255; H. DINGES, 'Sunte Birgitten Openbaringe', Diss. Münster 1952; H. AURENHAMMER, Lexikon d. christl. Ikonographie I, 1959/67, S. 374-384; U. MONTAG, Das Werk d. hl. B. v. S. in obd. Überl. (MTU 18

'>1968·

ULRICH MONTAG

'Birgittinerregel' 1. Mit dem Salvator- bzw. Erlöserorden begründete-»Birgitta vonSchwedeniml346 gestifteten Kloster Vadstena eine gemeinsame Lebensform für Nonnen und Mönche.

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Grundlage dafür bot ein Birgitta von Christus geoffenbarter Text ('Regula sancti Salvatoris'). Zur Erlangung der offiziellen kirchlichen Genehmigung (1378) mußten diese in der Ich-Form (ego = Christus) gehaltenen Anweisungen (Frühfassung) in einen neutralen Bericht umgesetzt und als Satzungen der -»'AugustinerregeP bezeichnet werden (approbierte Fassung). Später wurden diese Änderungen z.T. rückgängig gemacht, um dem Text wieder den Charakter einer Offenbarung zu geben (adaptierte Fassung). 2. Lediglich die approbierte und die adaptierte Fassung wurden schon in der 1. Hälfte des 15. Jh.s ins Dt. übertragen. Erhalten sind nur hd. Übersetzungen, als früheste die der adaptierten Fassung (München, ÜB, 4° cod. ms. 265 von 1433, ed. MONTAG, S. 213-243), dann davon abhängig die der approbierten in München, cgm 5612 (ca. 1440-1450), während die Frühfassung erst in dem Nürnberger Druck der Offenbarungen von 1502 enthalten ist. Lat. A u s g a b e . Sancta Birgitta, Opera minora l, Regula sancti Salvatoris, ed. S. EKLUND, Stockholm 1975. L i t e r a t u r . H. CNATTINGIUS, Studies in the Order of St. Bridget of Sweden 1, Stockholm 1963, S. 9-25; T. NYBERG, Birgittinische Klostergründungen d. MAs, Lund 1965, S. 1-69; U. MONTAG, Das Werk d. hl. Birgitta v. Schweden in obd. Überl. (MTU 18), 1968, S. 17-19, 47-70,124-150.

ULRICH MONTAG

Birk, Johannes 1. B. stammte aus Biberach und studierte nach den Angaben des 'Tractatus' in Wien und Heidelberg (die Wiener Matrikel verzeichnet ihn zu 1459 Okt. 13, die Heidelberger zu 1468 Sept. 24 als baccal. artium Wienn.). Er wird als magister artium und kaiserlicher Notar bezeichnet und leitete seit Ausgang der sechziger Jahre des 15. Jh.s die Schule des reichsunmittelbaren Benediktinerklosters Kempten, wo er noch 1494 tätig war. Mit ihm werden einige historische Werke in Zusammenhang gebracht, die untereinander starke Zusammenhänge aufweisen und alle die Geschichte der Abtei Kempten, v. a. die Verknüpfung der Gründungsvorgänge mit Karl dem Gr., seiner

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Birk, Johannes

Gattin Hildegard und seinem Sohn Ludwig dem Frommen zum Gegenstand haben. 2.'Vita Hildegardis' Ü b e r l i e f e r u n g . Sigmaringen, Fiirstl. Hohenzollersche Hofbibl., cod. 23 (Widmungsexemplar für Kaiser Friedrich III., heute verschollen); Fulda, LB, cod. Aa 96, 106M13 r (Provenienz Blaubeuren). D r u c k . A ASS April III 793-802 (nach Fulda, cod. Aa96).

Die 'V. H.' bietet in lat. Sprache eine kurze Darstellung des Gründungsvorganges von Kempten und der Beteiligung Hildegards sowie eine Reihe von Wundergeschichten um ihr Grab in der Klosterkirche. Sie geht angeblich auf ein valde antiquum opusculum zurück, das Abt Johannes von Wernau (1460-81) abschreiben und neu bearbeiten ließ. Die Entstehungszeit ist um 1472 anzusetzen, als die Abtei sich mit der Stadt Kempten im Kampf um ihre Hoheitsrechte befand. Offenbar wurde die Sigmaringer Hs. Kaiser Friedrich III. i. J. 1474 in Augsburg vorgelegt, um die Ansprüche des Klosters historisch zu begründen. Darauf deutet die Titelminiatur des Widmungsexemplars, auf der Abt Johann vor dem Kaiserpaar kniend dargestellt wird; zwei Spruchbänder sprechen die Bitte um den Schutz seiner Rechte aus: Imperator inuictissime tenete iura mea infracte ... Die Zuweisung des Werkes an B. ist nicht gesichert. Es lassen sich vielmehr in Tendenz, Inhalt und Form gewisse Abweichungen von den übrigen Werken feststellen; im übrigen weist B. selbst auf zway latinische Bücher als Quellen für seine Werke hin, die von einem sonst nicht weiter bekannten Kemptener Konventualen Hartmann Nottfest verfaßt worden seien (vgl. SCHREINER, S. 26 Anm.93). Auf jeden Fall aber bildet die 'V. H.' Ausgangspunkt und Grundlage für die übrigen Werke. 3. 'Historia K a r o l i M a g n i et de f u n d a t i o n e m o n a s t e r i i in C a m p i d o n i a ' Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 22104 (Anf. 16. Jh.), 114V-129V; clm 1211 (Abschr. der vorhergeh. Hs. v. J. 1529), 185r-197v; clm 1803 (18.Jh.), S. 1-122.

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schrift eines angeblich sehr alten und beschädigten Originals, als dessen Verfasser ein Godefridus Keren de Marsilia genannt wird, der als Angehöriger der Kanzlei Karls des Gr. und Ludwigs des Frommen Selbsterlebtes niedergeschrieben hätte (Fui autem in cancellaria Caroli et eius filii Ludowici . . . ea quae scribo vidi] . Es handelt sich wiederum um eine Schilderung der Kemptener Gründungsgeschichte, verbunden mit einer sehr ausführlichen Darstellung der Karolingergenealogie und Karls des Gr. 4. ' T r a c t a t u s de monasterio C a m p i d o n e n s i et eius m u l t i p l i c i b u s privilegiis' Ü b e r l i e f e r u n g . Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 245, 48r-53r (unvollst.); München, clm 22104, 130r-154r; clm 1211, 197v-218r; clm 1370, lr-35r; KUEN nennt eine Pollinger Hs. Druck. M. KUEN, Collectio scriptorum rerum historico-monastico-ecclesiasticarum variorum religiosorum ordinum II, Ulm 1756, S. 169-206.

Das Werk gibt in etwa 2000 binnengereimten lat. Versen (die offenbar rhythmisch, nicht quantifizierend zu lesen sind) die ausführlichste Darstellung der Gründungsgeschichte und der an ihr beteiligten Mitglieder der Karolingerdynastie und führt die Klostergeschichte bis auf die Gegenwart des Schreibers (1494) fort; das letzte behandelte Ereignis ist der Bauernaufstand von 1491. Die gerade für historische Darstellung und Merkverse beliebte Versform deutet ebenso auf den Gebrauch des Werkes im Schulunterricht hin wie die mehrfache Erwähnung der Stiftsschule und ihres Schulmeisters J.B. 5. D e u t s c h s p r a c h i g e B e a r b e i tungen Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Kraelersche Hs. (Abschrift v. J. 1506 durch den Notar Joh. Kraeler), Privatbesitz (Farn. Leichtle) Kempten, Photokopie im Stadtarch. Kempten. 2. Würzburg, ÜB, cod. M.ch.f. 97, 131r-228r. Ausgabe. Teile bei BAUMANN, 1881/82, S. 191-210, bzw. 29-58 = BAUMANN, 1899, S. 31-34 sowie 95-101 u.d.T. 'Cronic des loblichen gotzhuß Kempten und auch von sant Hylgarten leben mit ander sachen'

Die deutschsprachigen Aufzeichnungen Das ungedruckte Werk in lat. Sprache der beiden Hss. bestehen im wesentlichen gibt sich als 1494 von J.B. angefertigte Ab- aus drei von einander abzusetzenden Arbei-

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Birk, Johannes

ten: 1. einer Karlschronik, die das in der lat. Hildegards- bzw. Karls-Vita gebotene paraphrasiert und weiter ausschmückt, 2. einer Kemptener Klosterchronik (Cl), die noch einmal die Gründungsgeschichte bietet, die Wiederherstellung der Abtei durch Herzog Ernst erzählt und die Klostergeschichte bis auf Abt Johann von Wernau weiterführt (also bis dahin eine deutschsprachige Parallele zum 'Tractatus' darstellt); abgeschlossen wird sie durch eine Wiederaufnahme und weitere Ausgestaltung der Urgeschichte von Kempten, 3. einer weiteren Kemptener Klosterchronik (C2), einer Art Nachlese zu C l mit einem vorangestellten Abt-Katalog. Das Verhältnis der beiden Hss. zueinander bedarf noch genauerer Untersuchung. Besonders die Anordnung der Stücke in der Würzburger Hs. macht eher den Eindruck einer Materialsammlung, und zwischen die beschriebenen, als geschlossene Einheiten erkennbaren Stücke sind weitere kurze Aufzeichnungen eingeschoben, so z.B. auch die in der Kemptener Hs. enthaltene Sage vom Ritter Heinrich von Kempten (vgl. MASSMANN). 6. Die lat. 'Historia Karoli', der 'Tractatus' und C l stammen mit einiger Sicherheit von J.B. selbst, die beiden anderen deutschsprachigen Stücke stehen damit in so engem Zusammenhang, daß sie ihm ebenfalls zugesprochen werden dürfen. Gemeinsam ist allen die Berufung auf sehr alte Quellen, darunter fingierte Gewährsmänner wie Gottfried von Marsilia, ein Zug, der für die Geschichtsschreibung der Zeit als typisch gelten darf. An echten Quellen stand B. nur wenig zur Verfügung, für die Karolinger hat er v. a. Pseudo-Turpin und —> Thegan ausgeschrieben, anscheinend auch älteres St. Gallener und Zürcher Material verwertet (einen gewissen Überblick über das ihm Bekannte bietet die Mitüberlieferung der Einsiedeiner Hs. des 'Tractatus'). Für die Kemptener Karlstradition selbst konnte er an die im 12. Jh. gefälschten Urkunden anknüpfen, die bereits diese Verbindung herstellten. Gemeinsam ist auch die Tendenz zur Ausschmückung der Urgeschichte v. a. mit gewagten Etymologien zur Namensdeutung, die Herleitung der Herkunft Hilde-

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gards aus bayerischem (Andechs) und schwäbischem Adel, die Beteiligung des schwäbischen Adels an der Gründung und der Versuch, die Äbte von Anfang an bestimmten Adelsgeschlechtern zuzuweisen. Das Ziel des Verfassers ist, durch die Darstellung der Beteiligung von Kaiser, Papst und schwäbischem Adel den Charakter Kemptens als Reichsabtei mit ausschließlich adeligen Insassen zu erweisen, der gegenüber der später entstandenen, von Karl IV. zur Reichsstadt erhobenen Stadt Kempten besondere Rechte und Privilegien zukamen. Neben diese, bereits in der lat. Hildegardvita ausgeprägte Tendenz tritt später in der Betonung der bayerischen Herkunft Hildegards der Gedanke einer historischen Rechtfertigung der bayerischen Schutz- und Schirmherrschaft über Kempten, die in den politischen Auseinandersetzungen des ausgehenden 15. Jh.s eine Rolle spielte. Im Kampf gegen die Städter, der stets wiederkehrendes Thema in der Darstellung der späteren Klostergeschichte ist, liegt dem Verfasser das Monopol des Klosters in der lateinischen Schulbildung, das die Stadt ihm streitig machte, besonders am Herzen. Wenn auch in der Sprachgestaltung etwa des 'Tractatus' wenig davon zu spüren ist, daß B. zu einem Zeitpunkt in Wien studierte, als dort die ersten Anstöße zu humanistischen Studien erfolgten, so stehen seine Arbeiten doch in Parallele zu anderen historiographischen Bemühungen des schwäbischen Frühhumanismus, etwa den Klosterchroniken -» Albrechts von Bonstetten und Gallus -»Öhems; die phantastische Ausgestaltung der Urgeschichte erinnert besonders an Thomas -»Lirer. Vor allem aber bieten die Werke B.s ein eindrucksvolles Beispiel für die Lebendigkeit und lokale Ausgestaltung der mal. Karlstradition. L i t e r a t u r . H.F. MASSMANN (Hg.), Der keiserund der kunige buoch oder die sog. Kaiserchronik ... III, 1854, S. 1075-1078; W. WATTENBACH, Beschreibung einiger Hss. in d. fürstl. hohenzollerschen Bibl. in Sigmaringen, AnzfKdVz 14 (1867) 237f.; F.L.BAUMANN, Eine Kemptener (Lügen)Kronik d. XV.Jh.s, Alemannia 9 bzw. 10 (1881/2) 186-210, bzw. 29-58; LORENZ, Geschichtsquellen I 346; BAUMANN, Die Kemptener Chron.n d. ausgehenden 15. Jh.s, in: ders., Forschungen z. Schwab. Gesch., 1899, S. 1-101; F. HÜTTNER,

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Bischof von Magdeburg - Bischoff, Johannes

Chron.n d. Klosters Kempten, NA 28 (1903) 751-756; I.ROTTENKOLBER, Die lat. Schule im Stift Kempten, Nachrichten d. Ver.s ehem. Kemptener Gymnasiasten 9 (1944) 10; R.FOLZ, Le souvenir et la legende de Charlemagne dans l'empire germanique medievale, Paris 1950 (Neudr. 1973), S. 480-488; K.SCHREINER, 'Hildegardis regina'. Wirklichkeit u. Legende einer karolingischen Herrscherin, AKG 57 (1975, erschienen 1977) 23 40.

Birkenfeld -> Nikolaus von B. Bischof von Magdeburg In einer md. Abschrift vom Anfang des 16. Jh. s enthält die Erlanger Hs. 1376 die Übersetzungen des —» Juden von Solms (Salms). Sie füllen das Volumen bis auf die Rückseite des letzten Blattes (274V). Von einem etwa gleichzeitigen md. Schreiber sind dort Rezepte eingetragen worden, wovon eines mit bischoff von medburgk überschrieben ist. Es ist unklar, ob das Rezept von diesem Bischof stammt oder an ihm nur erprobt worden ist. Das Rezept dient zur Herstellung einer Salbe mit Olivenöl als Vehikel, die ein Quecksilber -Blei-Gemisch enthält. Es wird unter anderem bei Dermatosen (wider das kretzen am lib), was möglicherweise auf Syphilis deuten könnte, angewendet. ERHART KAHLE Der Bischof von Freising verfaßte zwei Rezepte für Mittel gegen Nierengrieß; das eine in cod. Chart B 1238 der LB Gotha (Ende des 15. Jh. s, nord- oder mittelbair.) umfaßt nur 4 Wörter: Recipe nußplüet in wein; das andere in Heidelberg, cpg 274 ( l 6. Jh., bair.) ist ein kompliziertes Rezept in lat. Sprache, in das die Verdeutschungen der Drogenbezeichnungen rein äußerlich eingeschoben sind. Dasselbe Rezept wie in cpg 274 finden wir anonym auch im Arzneibuch der Herzogin Eleonore Maria Rosalie von Troppau und Jägerndorf. G. Eis, Nachricht über eine med. Sammelhs. der Heidelberger ÜB, Sudhoffs Arch. 42 (1958) 4-15 (= G. Eis, Forschungen z. Fachprosa, Bern-München 1971, S. 110-117.

P. RAINER RUDOLF SDS

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Bischoff, Johannes 1. Leben. Wiener Minorit und Hofprediger Wilhelms von Österreich (1395-1406). J.B. verfaßte auf Anraten Reynprechts von Waltsee, der sich für die Klosterreform einsetzte (über ihn s. G. BAPTIST-HLAWATSCH, Das katechet. Werk Ulrichs v. Pottenstein, Diss. Würzburg 1976, S. 62-64), ein volkssprachliches Predigtwerk über die Evangelien des Jahres. Der Umstand, daß im Prolog zwar Wilhelm, aber nicht Albrecht IV. (1404) erwähnt wird, legt die Annahme nahe, daß das Werk erst nach dessen Tod, d.h. zwischen 1404-06, entstanden ist (vgl. VOLLMER, 1939, S. 47*). Auf J.B. dürfte sich ferner eine Notiz beziehen, derzufolge ein Franziskanerminorit Johannes Episkop. Ord. Min. um 1399 an der Wiener Artistenfakultät Vorlesungen über Boethii disciplina scolarium hielt (Act. fac. artist. I. fol. 86; ASCHBACH, Gesch. d. Wiener Univ., Wien 1854,1168, 607; VOLLMER, 1940, S. 16>;-). II. Werk. I . Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Wien, cod. 2827, 53ra-257rb, l.H. 15. Jh. (Winterteil); 2. ebd., cod. 2869, lr-262ra, l.H. 15.Jh. (Sommerteil); 3. Erlau (ungar. Eger), Erzdiözesanbibl., cod C I* 2, lra-258va, v. J. 1449 (Winterteil); 4. ebd., cod. C 3, lr-288v (Sommerteil); 5. Wien, Schottenkloster, cod. 179 (olim 129), lra-254v , 1. H. 15. Jh. (Sommerteil, mit geringem Verlust am Schluß);6. ebd.,cod. 97 (olim301), 15. Jh.,236ra-339vb (Prolog), 239"b-241, 246, 243-244, 242vb (verbunden) (die ersten 3 Fastenpredigten); 7. Klagenfurt, Bischöfl. Arch., cod. XXXI a 14, 15. Jh. (Fastenpredigten). Daraus ergibt sich ein vollständiger Jahreszyklus von Predigten: I. Winterteil (Hss. l, 3), II. Fastenpredigten (Hss. 7, 6 [Anfang]), III. Sommerteil (Hss. 2, 4,5). Der Prolog ist außer zur Eröffnung des Winterteils auch in Hs. 6 überliefert. 2. A u s g a b e n . Das Predigtwerk B.s ist als Ganzes ungedruckt und ununtersucht. Textproben bei: J.M. CLARK, J. B.s Prologue, The English Historical Rev. 47 (1932) 454-461; H. VOLLMER, Zu J. B.s dt. 'Evangeliarium' (um 1400), BdK 9 (1939) 45*-57* u. Tafel II (Textproben aus Wien, cod. 2827: 2, 1-11 Einleitung, Text u. Glosse, S. 48*-57*; Mt 2,1-12, S. 57*); ders., Ein Reisebericht, BdK 10 (1940) 13*-16* (Textprobe [Prolog] aus Wien, Schottenkloster, cod. 97, S. 14*); W. LÜDTKE, Evangelientexte, bes. aus Harmonien (Dt. Bibel-Arch. Abhh. u. Vorträge 2), 1965, S. 11-14 (Textprobe aus Klagenfurt, cod. XXXI a 14: Mt 15, 21-28, S. 12; Lc 16, 19-31, S. 13f.); RUH, Franzisk.

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Bischoff, Konrad

Schrifttum II (i. Druck) (Predigt von der Menschwerdung Gottes nach Wien, cod. 2827,56vb-66va u. Erlau, Erzdiözesanbibl., cod. C I* 2, 6r-16r).

3. Die Bezeichnung 'Evangeliar', wie sie VOLLMER und LÜDTKE im Rahmen heuristischer Bemühungen um dt. Bibeltexte eingeführt haben, ist für B.s Werk insofern mißverständlich, als es sehr viel mehr enthält und einen gebildeteren Leserkreis anspricht als die üblichen 'Evangelien mit Glossen'. Wie schon aus dem Prolog hervorgeht, in dem Mißstände des Predigtwesens angeprangert werden und der in seinem letzten Teil eine Ars praedicandi darstellt, wollte B. nicht nur ein Andachtsbuch für Laien, sondern auch ein Hilfsmittel und Kompendium für Prediger geben. Der alphabetische Index in Hs. 2 ermöglicht sogar die Verwendung als Nachschlagewerk. Innerhalb der Abschnitte zu den einzelnen Sonntagen läßt sich folgender Aufbau beobachten: Voran geht eine thematische Predigt (= Sermo), deren Versus stets der jeweiligen Evangelienperikope entnommen ist; dann folgt der ganze Perikopentext in B.s Übersetzung, dem sich eine ausführliche, durch kirchliche Autoritäten und zahlreiche Väterzitate abgesicherte Auslegung anschließt. Auffallend sind die Exkurse, die den Textkommentaren eingefügt sind, bzw. ihnen vorangehen, deren Themen aus den verschiedensten Gebieten stammen und meist nur in losem Zusammenhang mit dem jeweiligen Evangelientext stehen. Ausgehend von der Hochzeit zu Kana ( 2, 1-11) z.B. bietet B. eine an Umfang der eigentlichen Textauslegung nicht nachstehende Abhandlung über die Ehe, die neben den theologischen und moralischen auch sozialhistorische und juristische Aspekte berücksichtigt; und die erstaunliche Weisheit des 12jährigen Jesus (Lc 2, 24—52) gibt ihm Anlaß für eine Erörterung des Schulsystems und allgemeiner Erziehungsfragen. Besondere Erwähnung verdient die dem eigentlichen 'Evangeliar' im beschriebenen Sinne vorangestellte Adventspredigt von der Menschwerdung Gottes, die sich - vor allem in der Disposition - eng an Bernhards von Clairvaux 1. Adventspredigt anlehnt

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und auch das übrige Predigtwerk Bernhards vielfach zitiert, aber auch Anselms von Canterbury Rechtfertigungslehre (Cur deus homo] einbringt. L i t e r a t u r . J.M. CLARK, J.B., London Mediaeval Studies l (1937/38) 305-331; A. HASENHÜTL, Franzisk. Stud. 26 (1939) 24; VOLLMER, s. u. Ausg.n; H. RUPPRICH, Das Wiener Schrifttum d. ausgehenden MAs, Wien 1954, S. 174; M. A. HOLMBERG, Exzipierend-einschränkende Ausdrucksweisen, Studia Germanistica Upsaliensia 4 (1967) 140; MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., S. 166-168 (T 162).

HANS JESKE/DAGMAR LADISCH-GRUBE Bischoff, Konrad Barfüßer im Bamberger Franziskanerkloster, Verfasser einer 1473 abgeschlossenen, bis jetzt ungedruckten dt. Legende des hl. Otto (= Bischof Otto I. von Bamberg, 11139). Es handelt sich dabei im wesentlichen um eine Auswahlübersetzung auf Grund der lat. Otto-Viten —»Ebos und -> Herbords vom Michelsberg aus dem 12. Jh. In seiner beschlußred des tewtschers äußert sich B. eingehend über die Prinzipien und Probleme seiner Arbeit. Das Werk ist, abgesehen von der Übersetzerleistung, von Wert für die Textgeschichte der älteren lat. Otto-Biographien. In überarbeiteter sprachlicher Fassung diente es noch im 17. und 18. Jh. in Bamberg als Grundlage volkstümlicher Otto-Legenden. Die kritische Edition, die jetzt von R. SCHMIDT (Marburg) vorbereitet wird, ist Voraussetzung für eine detaillierte philologische und textkritische Untersuchung von B.s Werk. Ü b e r l i e f e r u n g . Bamberg, SB, Msc. Hist. 155, f. 113-203; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Guelf. 17. 10 Aug. 4°, 1-229V; Würzburg, ÜB, cod. M.ch. f. 4, 57r-138r. L i t e r a t u r . JACK, Hss. d. Kgl. Bibl. zu Bamberg, Arch. d. Ges. f. ältere dt. Gesch.kunde 6 (1831) 65-69; F. LEITSCHUH/H. FISCHER, Katalog d. Hss. d, Kgl. Bibl. zu Bamberg I 2, 1895-1906, S. 254-256; III, 1912, S. 63f.; D. ANDERNACHT, Die Biographen Bischof Ottos v. Bamberg, Diss. (masch.) Frankfurt 1950, S. 12-14, 37; R. SCHMIDT, Bait. Stud., NF 55 (1969) 118f. (zur geplanten Ed.); J. PETERSOHN, Bemerkungen zu einer neuen Ausg. d. Viten Ottos von Bamberg. 1. Prüfeninger Vita u. Ebo, DA 27 (1971) 180, 181, 184, 186, 189.

JÜRGEN PETERSOHN

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'Biterolf und Dietleib' ('Biterolf')

'Bispel-Sammlungen' -> 'Exempel-Sammlungen' -»'Reimbispel-Sammlungen'

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ist am Rhein von den Burgundenfürsten angegriffen worden und hat trotzig die Versöhnung verweigert. Auf seine Veran'Biterolf und Dietleib' ('Biterolf') lassung findet nun ein Rachefeldzug statt (Botenritte und Anmarsch, Vorbereitungen 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. s.n. 2663 (->'Amam Ort und die eigentlichen Kampfhandbraser Heldenbuch' Kaiser Maximilians, 1504-1516), rb vc lungen stehen im erzählzeitlichen Verhält166 -195 . nis von etwa l :2:4): vor Worms treten sich, 2. A u s g a b e n . F,H. v. D. HAGEN/A. PRIMISSER, reich ergänzt durch Nebenfiguren, das Der Helden Buch, 1820 (glättender Abdr.); O. JÄNICKE, Dt. Heldenbuch 1,1866 (Nachdr. 1963; krit. Ausgabe; Personal des fränkisch-rheinischen Sagenzit.). Auszüge bei E. HENRICI, Das dt. Heldenbuch kreises (einschließlich Walthers von Spa(Kürschner 7), o. J., und G. ZINK, Le cycle de Dietrich, nien) und das des gotisch-hunnischen (u. a. 1953. Korrekturen zum Apparat JÄNICKES von H. neben Dietrich auch die Harlunge) gegenSCHMIDT, ZfdA 54 (1913) 87; Besserungsvorschläge von über - Heldenrevue ohne personelle HöheE. SCHRÖDER, ZfdA 71 (1934) 39-41. punkte (allenfalls ragt Rüdiger heraus). Vor 3. Der in der Hs. in 16 aventiuren den Augen der Damen endet die Auseinanunterteilte, 13510 Reimpaarverse umfassen- dersetzung im Grunde unentschieden, ausde Heldenroman 'B. u. D.' ist seiner Sprache klingend in Scherzreden der Gebläuten. - Zu und zeitgeschichtlich-politischen Tendenz Etzel zurückgekehrt, nehmen B. und D. die nach im österr.-steiermärkischen Raum ent- Steiermark als Geschenk entgegen und standen, vermutlich in den 50er Jahren des siedeln sich gemeinsam mit Dietlind, B.s 13. Jh.s. Sein Verfasser ist - gattungstypisch Gattin, dort an. - anonym geblieben und wird gewöhnlich Die gleichsam private Entwicklung des 1. als 'Ritter' oder 'verritterter Spielmann' Teils - individuelle, gegenseitige und (am eingestuft. (Die Möglichkeit arabischer Maßstab einer artushaft-idealen HofhalHerkunft einiger Namen im 'B. u. D.' tung) gemeinsame Bestätigung - überwölbt [LuNZER, 1923, S. 33f.] wäre im Zu- der 2. durch öffentliche Zurschaustellung sammenhang mit der Rolle Spaniens bei der (mit Dietrich, Ermanarich, Rüdiger und weiteren Erwägungen zum Stand mitzube- Walther auch verwandten) Helden im Kreis denken.) Mit dem Rahmenthema 'B. u. D. der Größten. - Einziges Bindeglied ist das lassen sich in der Steiermark nieder' (ge- Motiv der Rache, in einer charakteristisch nauer: imTraungau: LUNZER, 1927, S. 118) faktisch-nüchternen Abwandlung. Der Verillustriert er einem Adelspublikum die in der fasser des 'B. u. D.' begründet Konflikte obd. Dietrichepik reich belegte Vorstellung nicht ethisch, und er stellt sie als lösbar dar vom starken D., einem traditionellen Etzel- (daher die hervorragende Rolle des guoten bzw. Dietrichhelden, als Herr von Steier. Rüdiger). Er 'zitiert' potentiell tragische Sein Versuch, diese Figur entsprechend auf- Situationen, um sie in Variation und (bezuwerten, paart sich mit ausgesprochen wußt) manieristischem Spiel zu entschärfen. pro-österreichischer Gesinnung. Ein Zweikampf B.s mit Walther zu Beginn, 4. Die Handlung zerfällt in zwei ungleich bei dem B. rechtzeitig den Verwandten erlange Hauptabschnitte. - I. (bis v. 4740). kennt, und planvolle Vermeidung einer Zwei kontrapunktisch aufeinander bezoge- Wiederholung im 2. Teil rahmen den Vaterne, je zwei aventiuren füllende Abenteuer- Sohn-Kampf, der selbst ohne Anagnorisis fahrten führen im Abstand von etwa 10 bleibt. Die folgenden Vermittlungsversuche Jahren erst den Großkönig B. von Toledo eines Dritten, Rüdigers, sind begleitet von und dann seinen heranwachsenden, den einem systematischen Versteckspiel mit Vater suchenden Sohn D. nach Osten an dessen Namen. Ähnlich die Behandlung den Hof Etzels, dem sie - unerkannt - des schach von Wormez: motiviert ausgehervorragende Kriegsdienste leisten. Unver- rechnet durch Brünhild bzw. Wolfhart, löst sehens in einen Zweikampf verwickelt, sich die Fehde (hervart] in drei formale werden sie von Rüdiger getrennt und Varianten auf. Die Auseinandersetzung (später!) identifiziert (aventiure5/6).-lI.O. 'alten Stils' (strit) ist eingefaßt von einem

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'Biterolf und Dietleib' ('Biterolf')

Massenturnier nach festen Regeln (spil) und einem Fürstenturnier um die Fahne Brünhilds. - Grundsätzlich dreht der Dichter das Rad der Heldengeschichte zurück: der 1. Teil wandelt die Flucht Walthers von Spanien zur Queste, der 2. spielt in der Zeit vor den großen Tragödien in Worms, Italien und Etzelburg. 5. Die Existenz einer nd. literarisch ausgeformten Dietleibsage muß zweifelhaft bleiben. HAUPTS Gleichung Stoere-Stire (S. 32 f.) ist selten voll akzeptiert worden, seine Annahme direkter Beziehungen zur russischen Heldendichtung hat TRAUTMANN widerlegt, und das Jugendabenteuer D.s mit einer Wasserfrau, das im 'B. u. D.' unerwähnt bleibt, ist nur in obd. Quellen (indirekt) belegt. In jedem Fall geht das Epos von einer obd. Variante der nur in der 'Thidrekssaga' überlieferten Jugendgeschichte D.s aus (H. BERTELSEN [Hg.], S. 209-249). Daß B. sich anfänglich Fruote statt Diete nennt, ist eine unglückliche Konjektur JÄNICKES (RAUFF, S. 13). - Die Grundlinien des Aufbaus dieses 1. Teils orientieren sich jedoch an anderen Vorbildern, einem (verlorenen) -> 'Walther und Hildegund' und dem Schema der höfischen Suche in der Art -> Wirnts von Grafenberg. - Deutlicher trägt den 2. Teil eine einzelne heldenepische oder -liedhafte Grundlage, ein Werk des Typs -> 'Rosengarten zu Worms'. Dazu ist ständig in beiden Teilen der Komplex -* 'Nibelungenlied'/'Klage' gegenwärtig, in Personal, Wortlaut und Szene. Als geradezu gelehrter Kenner der Heldensage und -literatur seiner Zeit hat dieser Dichter noch zu allerlei anderen quellengeschichtlichen Vermutungen Anlaß gegeben und sich auf diesem Weg den Ruf eines phantasielosen Kompilators zugezogen (s. HAGENMEYER, S. 5). Dem steht das Urteil gegenüber, daß seine weitgehende Adaptation höfischer Erzähl- und Gesellschaftsformen konsequent auf Verritterung des Heldischen zielt (s. DE BOOR, S. 175). Genauer wäre sein Werk als Dichtung über Heldendichtung zu bestimmen, konzipiert aus rationalistisch-ironischer Distanz. 6. Heldenepisch-spielmännisches Formelgut der Zeit und höfische Diktion sind

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im Medium des mechanisch-sicher gehandhabten nachklassischen Vierhebers durchaus originell zu einer gemächlich fortschreitenden, im einzelnen oft anschaulichen, gegenwartsbezogenen und humorvollen Darstellung verschmolzen, die ein durchwegs, aber unaufdringlich gegenwärtiger Erzähler begleitet. Im übrigen bleibt auch nach Abzug des formelhaft Gleichen der relativ enge stilistische Anschluß an die 'Klage' (s. u. 8) und die ->· 'Kudrun' deutlich. Er wird sich im Hinblick auf den gemeinsamen Bezugspunkt, das 'Nibelungenlied', aus verwandter Tendenz erklären. 7. Daß D. auf den Runkelstein-Fresken als dritter Held neben Dietrich und Siegfried erscheint, ist letztlich dem Bemühen dieses Dichters zuzuschreiben, wenn auch vielleicht nicht direkter Kenntnis seines Werks, dessen unmittelbare Wirkung begrenzt blieb. Ausführlich hat allenfalls der 'Rosengarten D' entlehnt (differenzierter urteilt BRESTOWSKI, S. 74). 8. Seit RAUFF und LUNZER gelten Datum (auf 1257/59 zugespitzt von LUNZER, 1927, S. 141) und Modus (einmalige Neuschöpfung) der Entstehung als weitgehend gesichert. Das 19. Jh. rechnete gelegentlich mit einer mehrstufigen Entstehungsgeschichte (s. JÄNICKE, S. XV-XX), diskutierte eingehend die These GRIMMS (S. 164) von der Identität des Verfassers mit dem der 'Klage' und datierte fast ausnahmslos auf etwa 1200. Über sagen-, quellen-, stil- und zeitgeschichtlichen Fragen ist es zu einer eingehenden Würdigung des 'B. u. D.' als literarischen Denkmals bisher nicht gekommen. L i t e r a t u r . GRIMM, Heldensage, S. 136-167; A. EDZARDI, Über d. Verhältnis d. 'Klage' zum 'B.', Germ. 20 (1875) 9-30; R. v. MUTH, Alter u. Heimat d. B., ZfdA 21 (1877) 182-188; E. KETTNER, Zur Kritik d. Nibelungenliedes III. Nibelungenlied u. B., ZfdPh 16 (1884) 345-361; A. SCHÖNBACH, Über d. Sage v. B. u. D., WSB 136/9, 1897; PLAEHN, Unters, über die Entstehung d. Klage u. d. B., Progr. Altenburg 1898; W. RAUFF, Unters, zu B. u. D.,Diss. Bonn 1907; W.HAUPT, Zur nd. Dietrichsage (Palaestra 129), 1914, S. 1-82; J.M. KEYMAN, Kudrun en B., 1915; J. LUNZER, Die Entstehungszeit d. B., Euph, Ergänzungsheft 16 (1923) 8-34; A. LEITZMANN, Wolframianismen im B., Germanica, Fs. E. Sievers, 1925, S. 550-553; A. HAGENMEYER, Die Quellen d. B., Diss. Tübingen 1926; J.

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Biterolf

Bitschin, Konrad

LUNZER, Humor im B., ZfdA 63 (1926) 25^3; ders., Steiermark in d. dt. Heldensage, WSB 204/1, 1927; SCHNEIDER, Heldensage I 289-295; C. BRESTOWSKI, Der Rosengarten zu Worms, 1929, S. 63-76; G. STOTZ, Epitheta ornantia im Kudrunlied, im B. u. im Nibelungenlied, Diss. Tübingen 1930; K. ZUR MIEDEN, Über die Verf. d. mhd. Heldenepen, Diss. Bonn 1930, S. 92108; E. SCHRÖDER, Zum B., ZfdA 70 (1933) 288; R. TRAUTMANN, Die Dietleibsage u. d. Bylinendichtung, PBB 66 (1943) 146-152; H. SCHMIDTMAYER, Die Technik d. Redeeinführung im 'B.' u. d. 'Klage', Diss. (masch.) Wien 1952; A. v. D. LEE, Zum lit. Motiv d. Vatersuche, Amsterdamer SB, N.R. 63/3, 1957, S. 177 bis 186; DE BOOR, LG III l, S. 173-177; W. HARMS, Der Kampf mit d. Freund oder Verwandten in d. dt. Lit. bis um 1300 (Medium Aevum 1), 1963, S. 56-63; R.R. HARTZELL FIRESTONE, Elements of Traditional Structure in the Couplet Epics of the Late Middle High German Dietrich Cycle (GAG 170), 1975; M. CURSCHMANN, 'B. u. D.': a Play upon Heroic Themes, in: Germanic Studies in Honor of O. Springer, 1977.

MICHAEL CURSCHMANN Biterolf 1. Dichter des IS.Jh.s, dessen Werke verloren sind. -> Rudolf von Ems erwähnt ihn im 'Alexander' (v. 15789-15803; hg. v. V. JUNK [StLV 272/74], 1928/29 [zit.]) als Verf. eines maere von Alexander und als Liederdichter. Die Alexanderdichtung, vielleicht noch unvollendet, hatte Rudolf selbst nicht gelesen. 2. Literarisch und geographisch läßt sich Biterolf nur schwer einordnen, da der entscheidende Vers 15789 abweichend überliefert ist: Ain frünt her bitterolfund Ein fruntlich bittolf (JuNK: Ein vruot her Biterolf). ZACHER, S. 97 und SCHRÖDER, 1909, S. 152 schlagen Min friunt vor, so daß an einen Bekannten Rudolfs aus dem schwäb.-staufischen Bereich zu denken wäre. Für diese These sprechen urkundliche Belege des Namens in Freiburg i. Br. (Chuno bitterolf 1213, Johannes dictus Bitherolfl256). Doch weisen auch wichtige Indizien auf Thüringen als Heimat hin: die Vorliebe des Thüringer Hofes für antike Stoffe, das Auftreten eines Biterolf s und die Erwähnung einer Alexanderdichtung im -»'Wartburgkrieg' sowie urkundliche Belege für den Namen in Erfurt (Conradus biter olphus 1212, Gerhart biterolfU17, Cvnradus bitherolf 1217). 3. Ungeklärt ist die Identität des von Rudolf erwähnten Biterolf mit dem gleich-

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namigen Dichter im 'Wartburgkrieg', der als seinen Geburtsort Stilla nennt. Die Strophen des 'Fürstenlobes' und der 'Totenfeier', in denen Biterolf die Grafen von Henneberg rühmt, sind spätere Interpolationen, wahrscheinlich von einem Dichter zwischen 1260 und 1280 (WACHINGER, S. 72 f.). Ob dieser Dichter, wohl ein Dienstmann der Henneberger, Biterolf selbst ist oder ob er die Rolle eines berühmteren 'Kollegen' wählt, bleibt ungewiß. 4. Ein Biterolf (Pitrolff, Pitterolff) wird auch von Hans -»Folz, Konrad —»Nachtigall und Valentin Voigt in ihren Meisterlisten erwähnt (Ausgaben: -»Baltzer). Der ausgesprochen meistersingerliche Kontext spricht dafür, daß es sich um den Biterolf des 'Wartburgkriegs' handelt. L i t e r a t u r . K. SIMROCK, Der Wartburgkrieg, 1858; J. ZACHER, Zur Basler Alexanderhs., ZfdPh 10 (1879) 89-112; E. SCHRÖDER, Erfurter Dichter d. 13.Jh.s, ZfdA 51 (1909) 143-156; ders., Biterolf, AfdA 34 (1910) 191-192; D. KURZ, Verluste auf d. Gebiet d. mhd. höfischen Erzähldicht., Diss. (masch.) Tübingen 1950, S. 173-177; B. WACHINGER, Sängerkrieg (MTU42), 1973, S. 5-89.

HERWIG BUNTZ

Bitschin, Konrad I. Leben. Geb. vor 1400, weder in Danzig (ältere Forschung) noch in Pitschen/ Oberschlesien (GALLE, METHNER), sondern in Luckau/Niederlausitz (NOWAK). Wahrscheinlich Theologiestudium in Prag und/ oder Paris, deren Universitäten er besonders lobt. Stadtschreiber in Danzig vor 1420, ab 1430 in Kulm; von dort Teilnehmer einer preußischen Gesandtschaft an Kaiser Sigismund 1434, gleichzeitig aber wohl noch für Danzig tätig, wie später nach seinem Fortgang von Kulm auch für diese Stadt. B. war eifriger Verfechter einer Universitätsgründung in Kulm, die nach ihrem Scheitern Ende des 14. Jh.s 1430 und 1440 auf preußischen Ständetagen wieder erörtert wurde. Gemeinsam mit den Kulmer Kretschmern war B. beteiligt an einer Stiftung für arme Schüler. 1445 ist er nachgewiesen als Propst zum Hl. Geist in Marienwerder und Pfarrer in Nebrau sowie als Subkollektor für den Peterspfennig (MASCHKE, JOACHIM/HUBATSCH), 1454 in Thorn als subcollector

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Bitschin, Konrad

camere apostolice in terns Culmensis et Pomeranie (METHNER, 1929, S.79). 1464 nennt er sich etzwenn(iger) Pfarrer zu Resem(burg) (Riesenburg) vnd czur Swetze (Schweiz) vnd ouch noch vicar(ius) czum Colmen (Kulm) (SS rer. Pruss. III, 1866, S. 474). Sein Todesjahr ist nicht bekannt. In den politischen Wirren in Preußen stand er offenbar auf ständischer Seite gegen den Deutschen Orden als Landesherrn. Sein großes Verdienst als Stadtschreiber ist die schriftliche Organisation der Notariatsgeschäfte: In Danzig legte er 1418 die ersten Kürlisten an, 1420 das erste Missivbuch für alle ausgehenden Briefe im Konzept, 1422-24 ein 'Manuale Notarii Civitatis Danczk' als Handakte (teilweise gedr.: TH. HIRSCH, in: SS rer. Pruss. IV, 1870, S. 353-357), 1425-36 eine Sammlung Danziger Seerechtsurteile (teilweise gedr.: J. M. PARDESSUS, Collection de lois maritimes III, Paris 1834, S. 461, und A.C. HOLTIUS, Oude Zeeregten in Dantzig, S. 14ff.), zwischen 1435 und 1454 das -> 'Danziger Schöffenbuch' (gedr.: M. TOEPPEN, Beilage des Gymnasialprogramms Marienwerder, 1878); in K u l m ein 'Manuale notarii Ciuitatis Culmensis' mit der einzigen erhaltenen Abschrift und dt. Übersetzung der -> 'Kulmer Handfeste' von 1233 als dem grundlegenden Stadtrecht für das Ordensland Preußen (gedr.: KISCH, S. 148-157); weitere Zusammenstellungen von seiner Hand lassen sich finden. B.s wichtigste literarische Arbeiten sind die 'Libri de vita conjugali' und die Fortsetzung der Chronik -»Peters von Dusburg. II. Werk. 1. 'Libri de vita c o n j u g a l i'

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gum'; 3. 'De moribus feminarum, bonarum videlicet et malarum'; 4. 'De prole et filiorum regimine'; 5. 'De principibus et nobilibus et eorum regimine domestico'; 6. 'De regimine policie', a) 'De civitate et eius fundacione', b) 'De commutacionibus in civitate et vita politica necessariis', c) 'De legibus et consiliis'; 7. 'De regimine principatus' (bes. 'De condicionibus bonorum et malorum principum'); 8. 'De milicia et exercicio militari'; 9. 'De statu ecclesiastico et eius officio'. Das Werk, das nach den der Vita conjugalis gewidmeten ersten 4 Büchern mit einer Staats- und Gesellschaftslehre fortfährt, umfaßt den Bereich der Practica, bietet daneben aber auch 14 Kapitel über Pferdezucht und, im 9. Buch, ausführliche Erörterungen über christliche Feste und das Kalenderwesen. Das 4. Buch ist als die erste pädagogische Theorie im deutschsprachigen Raum zu betrachten. B. war, wie die Vielzahl seiner theologischen, philosophischen, historischen und juristischen Quellen zeigt, anscheinend sehr belesen. Daß er nicht nur belehren, sondern auch unterhalten wollte, legt die ausgiebige Benutzung von Boccaccios 'De claris mulieribus' nahe. Die Bedeutung seines Werks ist erst gegen Ende des 19. Jh.s allmählich erkannt worden. Eine Gesamtanalyse steht, wie schon die Edition, noch aus. 2. F o r t s e t z u n g d e s ' C h r o n i c o n ' P e ters von D u s b u r g Ü b e r l i e f e r u n g . Torun (Thorn), Stadtarch., Akta XIII 1. A u s g a b e n . CH. HARTKNOCH, Petride Düsburg ... Chronicon Prussiae, Frankfurt 1679, S. 423-452; M. TOEPPEN, SS rerum Prussicarum III, 1866, S. 472-518 (zit.).

B.s chronikalische Aufzeichnungen, welche die Jahre 1332-1435 umfassen, sind für Ü b e r l i e f e r u n g . Königsberg, SB u. ÜB, cod. 1762 (Konzept) u. 1310 (Reinschrift). das 14. Jh. eher dürftig, nehmen jedoch ab Ausgabe. Eine Gesamtausg. fehlt; Auszüge bei 1410 an Ausführlichkeit und Wert zu. WeTOEPPEN, SS rerum Prussicarum III, 1866, S.507-512; sentlich waren ihm die kriegerischen ErTeilausg.: R. GALLE, K. B.s Pädagogik. Das 4. Buch eignisse im Lande 1409-1411, 1416 und von 'De vita conjugali' nach d. lat. Hs. zum ersten Mal 1422 sowie 1430-1433 einschließlich des hg. mit dt. Übers., 1905. Hussiteneinfalls. Als Quellen dienten ihm Die Reinfassung des Werks umfaßt 8 Bü- neben den Thorner Annalen Schriften des cher, das Konzept ein umfängliches neuntes. -> Johannes von Marienwerder. Eine NachDie Titel der Bücher lauten: 1. 'De bono wirkung ist nur in der Älteren Thorner sacramenti conjugalis'; 2. 'De fide conju- Stadtchronik des 16. Jh.s zu spüren.

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Blannbekin, Agnes

L i t e r a t u r . A. METHNER, Conrad B. als Danziger Stadtschreiber, Zs. d. Westpreuß. Geschichtsver.s 69 (1929) 69-83; G. KISCH, Die Kulmer Handfeste, 1931, S. 94-106 u. 148-157; E. MASCHKE, Der Peterspfennig in Polen u. d. dt. Osten, 1933, S. 272; A. METHNER, B., in: Altpreuß. Biographie I, 1941, S.59; Regesta hist.diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum, bearb. v. E. JOACHIM, hg. v. W. HUBATSCH, II, 1948, Nr.2646; Z. NOWAK, Starania o zalozenie uniwersytetu w Chelmnie w XIV i XV r. (Bemühungen um d. Universitätsgründung in Kulm im 14. u. 15.Jh.), Zapiski historyczne 31 (Torun 1966) 547-576, bes. S.558; Z. WARDESKA, K. B. z Lukowa zwany Konradem z Byczyny pedagog chelminski (K. B. aus Luckau gen. Konrad v. Pitschen, Kulmer Pädagoge), Kwartalnik Hist. Nauki i Techn. 12 (Warszawa 1967) 253-267; Rep. font. II 534f>

UDO ARNOLD

Blannbekin, Agnes

Schwester eines Franziskanerinnenhauses in Wien, f 1315. Die ihr zuteil gewordenen Offenbarungen' zeichnete ein Wiener Minorit vom Hl. Kreuz-Konvent in lat. Sprache auf: 'Vita et Revelationes' (i.F. 'Rev.'). 1. Agnes ist nach einer frühen Nachtragsnotiz der Neresheimer Hs. (s. u. 2.) die Tochter eines Bauern; 'Blannbekin' dürfte sich auf Plambach in der Diözese St. Polten (Niederösterr.) beziehen. Einige Lebensumstände gehen aus den 'Rev.', bes. c.39, hervor. Danach unterwarf sie sich schon vom 7. Lebensjahr an strengem Fasten, indem sie ihr Essen heimlich (pio furto) den Armen gab. Um so wichtiger werden ihr Speise und Verehrung der Eucharistie. 'Um öfter kommunizieren zu können', beeilte sie sich, Begine zu werden. In welches Haus sie eingetreten ist, wissen wir nicht. In den neunziger Jahren finden wir A. jedenfalls als franziskanische Terziarin in Wien. Sie ist, nach der oben erwähnten Nachtragsnotiz, am 10. Mai 1315 gestorben. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Die Vorlage der PEZSchen Edition war eine Abschrift, die der Gaminger Kartäuser Leopold Wydemann nach einer Neresheimer Hs. des 14.Jh.s vorgenommen hatte. Ihr Verbleib ist unbekannt; die Vermutung, daß sie i. J. 1803 in den Besitz der Fürsten von Thurn und Taxis übergegangen ist, hat sich nach Auskunft der Bibliotheksverwaltung in Regensburg nicht bestätigt. LTnauffindbar oder vernichtet ist auch die Straßburger, aus dem Johanniterkloster stammende Perg.-Hs.,

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die GÖRRES zur Übertragung einer Pfingstvision (c. 213 bei PEZ) benutzt hat. Die Partie ist wörtlich übersetzt, und GÖRRES nährt mit seinem altertümelnden Deutsch (verzucken, Minne, minniglich, Schapelen, das er sogar mit 'Kränzen' erläutert, Behalter, einzalinge 'einzeln') sowie mit der Bemerkung, daß er die Vision 'in der naiven Sprache ihres Beichtvaters hier erzählen' wolle, die Vorstellung, es handle sich um einen mhd. Text. Auch RUPPRICH, S. 42, ist dieser Ansicht; ich meine, es sei größte Skepsis angebracht. Die Straßburger Hs. könnte 1870 verbrannt sein, sie ist indes in den alten Katalogen nicht nachzuweisen. Die einzige heute greifbare Hs. ist cod. 384 der Stiftsbibl. Zwettl (aus dem Besitz des Wiener Plebanus Otto Guemhertle, 11349), 29r-76v, aus der I.Hälfte des 14.Jh.s; sie endet leider fragmentarisch in c. 189 (bei PEZ, die Hs. zählt keine Kapitel). 3. Ausgabe. Ven. Agnetis Blannbekin, quae sub Rudolpho Habspurgico et Alberto I. Austriacis Impp. Wiennae floruit, Vita et Revelationes auctore Anonymo Ord. F. F. min. e Celebri Conv. S. Crucis Wiennensis, ejusdem Virg. Confess.... ed. R. P. Bernardus PEZ, Benedictinus et Bibliothecarius Mellicensis, Viennae 1731. Die Publikation des gelehrten Melker Benediktiners geriet sofort unter Beschüß der Jesuiten und wurde auf deren Betreiben mit Unterstützung des kaiserlichen Bibliothekars Garelli konfisziert. Die Ausgabe gehört so zu den Seltenheiten älterer Drucke. Knappe Auszüge aus PEZ bietet J. CHMEL, Kleinere hist. Mittheilungen Nr. Ill, WSB 2, 1849, S. 46-100.

4. Am Schluß der Neresheimer Hs. steht: Hoc qui scribebat, Ermenricus nomen habet. Das kann der franziskanische Beichtiger sein oder auch nur der Schreiber der Hs. Da die Zwettler Hs. den Schluß verloren hat, entfällt eine Bestätigung der einen oder anderen Möglichkeit. Es spricht von vornherein mehr dafür, daß Agnes' Seelsorger die Aufzeichnungen anonym vorgenommen hat. Er tat es im Wissen, daß Gott vor allem den Kleinen und Demütigen seine Geheimnisse offenbart (Prol.). Die 235 Kapitel der 'Rev.' dürften im wesentlichen die Folge auf weisen, in der Agnes ihre Visionen mitgeteilt hat. Deutliche Spuren einer systematischen Ordnung sind nicht zu erkennen, am ehesten eine thematische Gruppierung in c. 8-23, wo von Heiligen und Engeln berichtet wird. Daß sich immer wieder, besonders c. 192 ff., der Ablauf des liturgischen Jahres beobachten läßt, ist ein starkes Argument für die chronologische Anordnung der Visionen. Von größerem Belang als die Stoffanord-

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'Blanschandin'

nung sind die inhaltlichen Eingriffe seitens des Redaktors: Ihn muß man für das nicht unerhebliche theologische Wissen der 'Rev.' verantwortlich machen. Allenfalls konnte Agnes lesen (wie sich aus C. 127 ergibt, wo sie das Licht zum Lesen der Matutin vermißt), jedoch die Kenntnisse von 'Bernhards Sermones in Cantica Canticorum, die Abhandlung des Augustinus über die Dreifaltigkeit, ferner Hieronymus, Gregorius, Berthold von Regensburg u.a.m.' dürfen wir wohl kaum mitRupPRlCH (S. 45) ihrer 'ansehnlichen Allgemeinbildung' zurechnen. 5. Agnes wurden die Entrückungen und Visionen vor allem während der Messe zuteil, aber auch während des stillen Gebets (c.133). Der Berichterstatter spricht von raptus, ecstasis, aber in diesem Außersichsein erfolgt - mit einer Ausnahme (c. 179 Quomodo totaliter rapta est in Deutn) keine Vereinigung mit Gott in der Liebe, sondern es werden ihr in Visionen und himmlischen Stimmen religiöse Erkenntnisse vermittelt - nicht unähnlich etwa den Erleuchtungen, die in der 'Estoire dou Graal' Roberts von Boron durch den Gral erfolgen. Da weder Formen der Kontemplation noch eine via mystica aufgezeigt werden, sollte man nicht von Mystik sprechen, sondern von Gnadenleben und Gnadengaben. Allenfalls gibt es mystische 'Zustände', freilich der untersten Stufe, im Bereich sinnlicher Wahrnehmung des Übersinnlichen: es ist bei Agnes vor allem das Empfinden von Süßigkeit. So kostet sie die Eucharistie, ihre eigentliche Speise, die ihr jede Woche gespendet wird, aber auch das (regelmäßige!) Küssen der Altäre ist Empfang unaussprechlicher Süßigkeit (c.40, 175), wie das Empfinden der Vorhaut Christi in ihrem Munde (c. 37): hier nimmt die Religiosität der Visionärin in der Tat bedenkliche Formen an, und das Scandalum der Publikation der 'Rev.' wird verständlich. An besonderen Gnaden erfährt sie den imber lacrimarum zu allen Tagzeiten (c.76); wie ihr einmal das Licht zur Matutin fehlt, spendet ihr ein Stern im Umkreis des Großen Bären die Helligkeit einer Kerze, bis sie die Matutin zu Ende gelesen hat (c.127); Christus als Lamm mit menschlichem Ant-

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litz geht während der Messe in der Kirche herum und küßt sie auf beide Wangen (c. 154); in der Weihnachtsnacht darf sie den Christusknaben an ihrem Herzen halten (c. 192, 196); vielfach erwirkt sie auch Gnaden für andere, ihren Beichtvater oder reuige Sünder. Von den wenig älteren Zisterzienserinnen von Helfta, ->Mechthild von Hackeborn und ->Gertrud der Großen, trennen A.B. der geringere Bildungsstand und das Fehlen spezifischer Brautmystik. Näher steht ihr nach Herkunft und religiöser Vorstellungswelt Dorothea —> Beier. Bevor indes hier und dort wenigstens behelfsmäßige Texte zur Verfügung stehen, verbieten sich verbindliche Aussagen. L i t e r a t u r . J. v. GÖRRES, Christliche Mystik II, Regensburg 1837, 21879, S.242-245; O. PLANIZZA, A. B., eine österr. Schwärmerin ausd. 13. Jh., nach den Quellen, Zürich 1898 [kommentierende Auszüge unter psychiatrischem Aspekt]; H. RUPPRICH, Das Wiener Schrifttum d. ausgehenden MAs, WSB 228/5, 1954, S. 40-45; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 254. K. RUH

'Blanschandin' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Einziger Textzeuge: Perg.Frgm. Wien, cod. s.n. 102, datiert seit HAUPT (S. 68) in die Mitte, nach PERKINS (S. 388, 396) an das Ende des 13. Jh.s., 7 Längsstreifen eines Codex discissus aus dem Einband (2. H. 15. Jh.) des Wiener cod. 3742 erhalten insgesamt 384 z.T. durch Beschneidung verstümmelte Verse. Die Hs. beschrieben näher MEYER-BENFEY, 'Ausg., S. 164; MENHARDT, Hss. III 1442. 2. A u s g a b e n . J. HAUPT, Germ. 14 (1869) 68-74 (mit kursivierten Ergänzungen); H. MEYER-BENFEY, Mhd. Übungsstücke, 1909, S. 164-174, unverändert 2 1921, S. 155-165 (diplomat.; synoptisch MICHELANTS Text der frz. Vorlage); PERKINS, S. 111-157 (Faksimile, diplomat. Abdruck, krit. hergestellter Text, nhd. Übers.; Glossar S. 158-271; zit.).

3. Der nicht identifizierte dt. Bearbeiter des frz. roman d'aventure 'Blancandin et l'Orgueilleuse d'Amour' war nach Ausweis der Reime Mitteldeutscher. Die Sprache der Hs. führt wohl eher ins Rheinfränkische als ins Ostfränkische. Die frz. Vorlage dürfte im ersten Drittel des 13.Jh.s entstanden, jedenfalls vor 1229 abgeschlossen gewesen sein. Für die Abfassung der dt. Bearbeitung kommt die Mitte des 13. Jh.s in Betracht. 4.1 n h a 11. Die dt. Fragmente entstammen

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'Blanschandin'

sämtlich den Anfangspartien des Romans (I = MICHELANT 72-154; II = MICH. 292-353; III - MICH. 379^40). Die inhaltliche Hauptlinie der frz. Vorlage hielt sich an bewährte Erzählmuster und -abfolgen der Matiere de Bretagne (insbesondere am Beginn), in der Hauptsache jedoch des hellenistischen Romans. Nach einem Prolog (laudatio temporis acti) und knappster Elternvorgeschichte wird die Ausgangssituation des Titelhelden gegeben, eine aus 'Perceval'-, 'Lancelot'-, 'Fergus'- und 'Barlaam und Josaphat'-Dichtungen bekannte einschränkende Erziehung, die dem Jüngling entscheidende Kenntnisse oder Erfahrungen bestimmter Lebensbereiche vorenthält. B. wird zwar am Hofe seines Vaters, des Königs von Frise (= Phrygien!), in Sprachen und Gesellschaftsspielen unterwiesen, soll aber bewußt von allem Wissen über Ritterschaft ferngehalten werden. Nachdem er vierzehnjährig im Gemach der Mutter einen Vorhang mit abgebildeten Turnierszenen entfaltet hat, erfragt er sich von seinem Lehrmeister (latimier) seine Rittervorstellung (hier setzt das Frgm. I ein). Im Anschluß an den Rüstungskatalog ist interessantester Zug des im Deutschen erhaltenen Dialogs Lehrer - Zögling das Aufbegehren des letzteren gegen die Vorschrift, ein gekrönter König dürfe sich in ritterlicher Begegnung nur mit Gleichrangigen messen, scheide damit praktisch aus der ritterlichen Lebensform aus. Durch ere und durch die werden wtp (I 72) verläßt er mit seines Vaters Pferd und Schwert heimlich auf Abenteuersuche seines Vaters Hof (Ende des I. Frgm.s). Im ersten Abenteuer befreit er für einen tödlich verwundeten Ritter, der ihn zum Ritter schlägt, dessen entführte Dame. Frgm. II schildert aus diesem Komplex den Kampfverlauf bis zur Niederlage und Enthauptung des Entführers. - Der verwundete Ritter erlebt nicht mehr die Rückführung seiner Dame; B. sieht die Befreite dem Geliebten nachsterben. In Frgm. III erscheinen B. die miterlebten Wirkungen von Liebe und Herzensnot wie ein Traum. Er legt neben dem Toten die entliehene Rüstung nieder und reitet dem nächsten Abenteuer entgegen, das ein furtkundiger Ritter jenseits eines reißenden Gebirgs-

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flusses ihm für den kommenden Morgen in Aussicht stellt. (Hier bricht das letzte Frgm. ab.) Auf den Rat des Ritters wird B. durch dreifachen Kuß die Minne der Orgueilleuse vonTormadai herausfordern und sie schließlich durch einen kühnen Befreiungskampf gegen ihren Belagerer, einen Heidenkönig Alimodes, gewinnen und verdienen. Gefangenschaft, Schiffbruch, Freundschaft mit einem heidnischen Königssohn, Bekehrungswunder, unwissentliche Befreiung von Verwandten und (nicht mehr in der Fassung A) bestrafter Verrat durch den treulosen Seneschal sind die Stationen vor der endgültigen Verbindung der Liebenden. Ort der Handlung bleiben Länder und Meere des vorderen Orients. Detailliertere Inhaltsangaben bei MICHELANT, S. V-VIII, SWEETSER, S. 43-59). 5. Keine der 5 frz. Hss. repräsentiert die Vorlage der dt. Fassung, denn diese stellt sich wechselnd zum Sondergut von A und C, soweit auf der schmalen Basis zu urteilen, mit signifikanterer Nähe zu A, aber oft selbständig, wo A und C divergieren. Der dt. Bearbeiter fühlt sich frei für eigene Vergleiche, Kommentare und Reflexionen (Minneklage und -Verteidigung, III 1-20), die den Text der vergleichbaren Vorlage auf fast die doppelte Verszahl bringen. Zumal diese Zusätze stehen stilistisch unter dem Einfluß —> Hartmanns von Aue und -»· Wolframs von Eschenbach. (Zu ... mir enturniere min gedanc, I 68, s. wörtlich die Wendung im Gespräch Abt - Gregorius, v. 1584; Abwehr des verligens, I 100; in der Kampfschilderung nimmt II 59 auf die Kampfesführung zwischen ferefiz ... vnde parze(val) vergleichend Bezug; zu weiteren Wolframismen VAN DAM, Sp. 245; PERKINS, S. 322-324, 374f.). Tiefergreifende Quellenstudien hätten vom frz. Werk auszugehen. Zu den Personennamen: Orgueilleuse weist auf Chretiens 'Conte du Graal' zurück; Blanc(h)andin konstituiert eine allenfalls oberflächliche Verbindung zur Chanson de geste, denn der gleichnamige Ratgeber Marsilies in der 'Chanson de Roland' ist betagt und Sarazene. (Auch dessen Reich Val-Funde wird im frz. 'Blanchandin' erwähnt, allerdings in anderem Zusammenhang; PERKINS, S. 84f.). Auffällig bleibt die Namensähnlichkeit des sich zum Landesherrn aufwerfenden Verräters Subien und des in analoger Rolle gesehenen Saben im -> 'Wolfdietrich A'.

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Blarerin, Justina - 'Die blaue Rede'

6. W i r k u n g s g e s c h i c h t e . Dem frz. Versroman folgten kürzende Prosaauflösungen in Frankreich (2 Hss. des 15.Jh.s), die ihrerseits eine engl. Prosabearbeitung durch Caxton anregten (zuerst Inkunabel von 1489). Spätere Bezugnahmen auf das dt. Werk sind nicht bekannt: Zeugnisse der Aufnahme des frz. Versromans registriert PERKINS, S. 80-83. Die (verbrannte) Turiner Hs. trug als Eintrag aus dem 14. Jh. das Leserurteil: Cest livre est bons et fins ad lire et antandre. L i t e r a t u r . Blancandin et POrgueilleuse d'Amour, ed. H. MICHELANT, Paris 1867; ed. F.P. SWEETSER, Genf-Paris 1964; J. VAN DAM, ' VL I 243-246; G. PERKINS, Le Roman chevaleresque de Blanchandin. Traite comparatif des mss. fran^ais, anglais et allemands ... avec une etude approfondie du fragment du manuscrit allemand, Diss. (masch.) Paris 1969 (xerokopiertes Exemplar ÜB Münster, Sign. DA 01129).

UWE RUBERG Blarerin, Justina In der Inzigkofener Hs. Donaueschingen, cod. 422 ist 71r-143v (dat. 1498) eine Sammlung von Viten der säligen gastlichen brüdern vnd vättern von dem orden sancti Augustini..., die zu vnnßern zytten gelept hönd jn dem nyderland, überliefert. Es handelt sich um eine stark kürzende Übertragung der lat. Fraterherrenviten ('Dialogue Noviciorum', pars 2-4) des -> Thomas von Kempen (M.J. POHL, Op. omn. VII, 1922, S. 31-329). Alle Viten sind berücksichtigt und in 2 Büchern aufgegliedert: im 1. Buch werden Geert —»Groote und Florens -»Radewijns behandelt, im 2. neun der säligen Brüder und vätter die mayster gerhardus vnd mayster Florencius vffgenomen hönd zu ir proueß (107r): Johannes Gronde (Jan de Gronde), Johannes -> Brinckerinck, Lubertus (Lubbert ten Bussche), Heinricus Brune (Bruyn), Gerhart-» Zerbold van Zutphen, vätter Amilio (Melis vanBuren), Jacobus Vianis (deViana), hanßen Kesselin (Johannes Kessel), Arnold van Schoonhoven. Bis auf den letzten (Arnoldus schüri) sind alle Namen wie auch verschiedene Daten gut überliefert. Die Bearbeiterin ist gleichfalls bestens orientiert über den Autor der Viten; sie weiß, daß er 70 Jahre in seinem Orden war und 1471

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(richtig 1470) gestorben ist (143V). - Eine nähere Untersuchung des Textes steht noch aus. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die JohannesKessel-Vita und die anschließende 'Übung' des DeventerBruders (134V-143V) identischmitStuttgart,LB,cod. theol. 4° 219, 77r-88r.

Am Schluß nennt sich J. B., ebtn (Äbtissin?), mit dem Bekenntnis Es ist mir sur worden. Ich wage nicht zu entscheiden, ob sie Schreiberin oder Bearbeiterin gewesen ist. Die Absichtserklärung, weitere Schriften des Thomas zu übertragen (gytt mir gott gnaud wil ich es auch tütschen 143V), weist eher auf die Identität dieses ich mit der B., der das Schreiben (Übersetzen ?) sauer geworden ist. K. RUH 'Die blaue Rede' Minnerede (462 Verse in a), deren Verfasser über das topische Arsenal der Personifikationsdichtung verfügt. In einem ausgesucht sentimentalen, höfischen Gespräch erfragt ein wip vonn hoher art (v. 62) nach den Regeln der Minnepsychologie das Minneleid des nicht mehr jungen Ich-Erzählers um eine Dame von guter utters müssen (v. 117), die sich eynem werden jungen (v. 140) zugewendet hat. Den Abschluß bildet ein 'fürstlich' höfisches Gelage von Rittern und Frauen mit anschließender Jagd, von der sich der Ich-Erzähler (bewußt) in burleskem Ton distanziert. Die anonym überlieferte 'bl. R.' berührt sich mit den Werken -»Hermanns von Sachsenheim, insbesondere dem 'Schleiertüchlein', für dessen Verfasserschaft vieles spricht; sicherlich aber gehört sie in dessen Tradition. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 313 (= a), 384r-391v; Trier, StB, cod. 1120/128a, 6 r -ll r , Abschrift davon: Berlin, mgq 909, 26v-32" (= d); München, cgm 439, 20r-30v (= m). Ausgaben. KELLER, Fsp. 3. Teil, S. 1382-1392 (nach m); BRAUNS/THIELE, Minnereden, Nr. 7, S. 19 bis 26 (nach a, mit Varianten aus d u. m), zit.; vgl.: BRANDIS, Minnereden, S. 75, Nr. 200. L i t e r a t u r . W. BRAUNS, Hermann v. Sachsenheim u. seine Schule, 1937, S. 34-38 (Verf. ist ein Nachahmer H.s v. S.); D. HUSCHENBETT, Hermann von Sachsen-

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Bligger von Steinach

heim (Phil. Stud.u.Qu. 12), 1962, S. 93-98 (Verf. ist H. v. S.); GLIER, Artes amandi, S. 335f.

DIETRICH HUSCHENBETT Biaufelden -* Nikolaus von B. Bletz, Zacharias -»'Luzerner Antichristund Weltgerichtsspiel' Bligger von Steinach 1. B. entstammt einem Geschlecht, das sich um 1100 in Steinach am unteren Neckar (heute Neckarsteinach) eine Burg gebaut hatte, die Hinterburg, die älteste der Neckarsteinacher Burgen. Den seltenen Namen B., der von früh an in diesem Geschlecht üblich war und für den in rund 500 Jahren 22 Träger bezeugt sind, trug als erster einer der beiden Söhne des Erbauers der Hinterburg; er ist 1142 zum ersten Mal urkundlich bezeugt, 1165 starb er. Namen und Burg vererbte er auf den älteren seiner beiden Söhne, der vor 1152 geboren war und um 1210 starb. Dieser B. erscheint zwischen 1165 und 1209 verschiedentlich als Zeuge in Urkunden seiner näheren Heimat, doch von 1193 bis 1196 auch in Urkunden Kaiser Heinrichs VI.; eine davon ist 1194 in Piacenza in Oberitalien ausgestellt. Noch einmal taucht der Name B. v. St. in südlich der Alpen ausgefertigten Reichsurkunden auf, diesmal in zwei kurz hintereinander datierten Urkunden Ottos IV. Anfang November 1209 in der Toscana. Wahrscheinlich ist der Unterzeichner bereits ein Sohn des vorher genannten B., und zwar der zweitgeborene seiner drei Söhne, der den Namen des Vaters trug. Der mittlere dieser drei Träger des Namens ist uns verschiedentlich als Dichter bezeugt, die —> 'Heidelberger Liederhs. C' zeigt ihn mit einer goldenen Harfe im schwarzen Wappenfeld. Ob dies schon zu Lebzeiten des Dichters B. Wappenzeichen der Freiherrn von Steinach war, bleibt ungewiß; -> Gottfrieds von Straßburg Bemerkung in dieser Hinsicht ('Tristan', ed. F. RANKE, v. 4701) kann nicht im heraldischen Sinne verstanden werden. 2. Erhalten sind von B. v. St. durch die Minnesingerhss. B und C zwei Lieder im

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höfischen Stil, das eine von zwei, das andere von drei Strophen, und durch C allein ein Spruch von 15 Versen. Dieser erscheint, allerdings um den Preis einer Konjektur (in der ersten Zeile grase statt glase), an PS 89, 6 angelehnt; er handelt von der Unehrenhaftigkeit des Besitzhabens, wenn es nicht durch Freigebigkeit gemildert ist. BARTSCH (in seiner Ausg.) hat aus formalen Gründen den Spruch unserem B. nicht zuerkannt, von anderen wird die Zuweisung bezweifelt. Im ersten Lied besingt der Dichter die Unverrückbarkeit seiner Liebe in der Hoffnung auf schließliche Erwiderung durch die Geliebte, trotz des Unverständnisses und der Mißgunst seiner Umwelt. Das zweite vertieft das Thema der Unbedingtheit seiner Liebe, indem es dem Element der Hoffnung keinen Raum mehr läßt. Es ist, wie aus einer vergleichsweisen Anspielung auf Saladin und seine Hauptstadt Damaskus hervorgeht, vor 1193, dem Todesjahr des Sultans, gedichtet. 3. Hoch angesehen bei seinen literarischen Zeitgenossen und Nachfahren war B. als Epiker. Gottfried von Straßburg ('Tristan', v. 4691-4722) und -»Rudolf von Ems ('Willehalm von Orlens', ed. JUNK, v. 12192-97,'Alexander', ed. JUNK, v. 2205-18) rühmen ihn mit den zeitüblichen Formeln des Dichterlobes als den Verfasser des 'Umbehanc', einer Dichtung, von der nichts erhalten ist und die sonst nicht weiter erwähnt wird. In der Vermutung, was in diesem Zusammenhang unter dem Wort Umbehanc, das üblicherweise einen über mehrere Wände umlaufenden Hängeteppich oder Vorhang bezeichnet, zu verstehen sei, sind in der Hauptsache zwei konträre Meinungen geäußert worden: Entweder das den Inhalt kennzeichnende Stichwort, vielleicht sogar den Werktitel einer erzählenden Dichtung, oder eine Metapher für die kunstvolle Form und Fügung von B.s Dichtung insgesamt. Der ersten Auffassung folgend, ist versucht worden, B.s 'Umbehanc' in anonym überlieferten Erzählungen oder Erzählbruchstücken (wie dem -»'Moriz von Craün' oder dem seither verschollenen Salmannsweiler Bruchstück, auch -»'Ai-

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Bligger von Steinach

heim (Phil. Stud.u.Qu. 12), 1962, S. 93-98 (Verf. ist H. v. S.); GLIER, Artes amandi, S. 335f.

DIETRICH HUSCHENBETT Biaufelden -* Nikolaus von B. Bletz, Zacharias -»'Luzerner Antichristund Weltgerichtsspiel' Bligger von Steinach 1. B. entstammt einem Geschlecht, das sich um 1100 in Steinach am unteren Neckar (heute Neckarsteinach) eine Burg gebaut hatte, die Hinterburg, die älteste der Neckarsteinacher Burgen. Den seltenen Namen B., der von früh an in diesem Geschlecht üblich war und für den in rund 500 Jahren 22 Träger bezeugt sind, trug als erster einer der beiden Söhne des Erbauers der Hinterburg; er ist 1142 zum ersten Mal urkundlich bezeugt, 1165 starb er. Namen und Burg vererbte er auf den älteren seiner beiden Söhne, der vor 1152 geboren war und um 1210 starb. Dieser B. erscheint zwischen 1165 und 1209 verschiedentlich als Zeuge in Urkunden seiner näheren Heimat, doch von 1193 bis 1196 auch in Urkunden Kaiser Heinrichs VI.; eine davon ist 1194 in Piacenza in Oberitalien ausgestellt. Noch einmal taucht der Name B. v. St. in südlich der Alpen ausgefertigten Reichsurkunden auf, diesmal in zwei kurz hintereinander datierten Urkunden Ottos IV. Anfang November 1209 in der Toscana. Wahrscheinlich ist der Unterzeichner bereits ein Sohn des vorher genannten B., und zwar der zweitgeborene seiner drei Söhne, der den Namen des Vaters trug. Der mittlere dieser drei Träger des Namens ist uns verschiedentlich als Dichter bezeugt, die —> 'Heidelberger Liederhs. C' zeigt ihn mit einer goldenen Harfe im schwarzen Wappenfeld. Ob dies schon zu Lebzeiten des Dichters B. Wappenzeichen der Freiherrn von Steinach war, bleibt ungewiß; -> Gottfrieds von Straßburg Bemerkung in dieser Hinsicht ('Tristan', ed. F. RANKE, v. 4701) kann nicht im heraldischen Sinne verstanden werden. 2. Erhalten sind von B. v. St. durch die Minnesingerhss. B und C zwei Lieder im

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höfischen Stil, das eine von zwei, das andere von drei Strophen, und durch C allein ein Spruch von 15 Versen. Dieser erscheint, allerdings um den Preis einer Konjektur (in der ersten Zeile grase statt glase), an PS 89, 6 angelehnt; er handelt von der Unehrenhaftigkeit des Besitzhabens, wenn es nicht durch Freigebigkeit gemildert ist. BARTSCH (in seiner Ausg.) hat aus formalen Gründen den Spruch unserem B. nicht zuerkannt, von anderen wird die Zuweisung bezweifelt. Im ersten Lied besingt der Dichter die Unverrückbarkeit seiner Liebe in der Hoffnung auf schließliche Erwiderung durch die Geliebte, trotz des Unverständnisses und der Mißgunst seiner Umwelt. Das zweite vertieft das Thema der Unbedingtheit seiner Liebe, indem es dem Element der Hoffnung keinen Raum mehr läßt. Es ist, wie aus einer vergleichsweisen Anspielung auf Saladin und seine Hauptstadt Damaskus hervorgeht, vor 1193, dem Todesjahr des Sultans, gedichtet. 3. Hoch angesehen bei seinen literarischen Zeitgenossen und Nachfahren war B. als Epiker. Gottfried von Straßburg ('Tristan', v. 4691-4722) und -»Rudolf von Ems ('Willehalm von Orlens', ed. JUNK, v. 12192-97,'Alexander', ed. JUNK, v. 2205-18) rühmen ihn mit den zeitüblichen Formeln des Dichterlobes als den Verfasser des 'Umbehanc', einer Dichtung, von der nichts erhalten ist und die sonst nicht weiter erwähnt wird. In der Vermutung, was in diesem Zusammenhang unter dem Wort Umbehanc, das üblicherweise einen über mehrere Wände umlaufenden Hängeteppich oder Vorhang bezeichnet, zu verstehen sei, sind in der Hauptsache zwei konträre Meinungen geäußert worden: Entweder das den Inhalt kennzeichnende Stichwort, vielleicht sogar den Werktitel einer erzählenden Dichtung, oder eine Metapher für die kunstvolle Form und Fügung von B.s Dichtung insgesamt. Der ersten Auffassung folgend, ist versucht worden, B.s 'Umbehanc' in anonym überlieferten Erzählungen oder Erzählbruchstücken (wie dem -»'Moriz von Craün' oder dem seither verschollenen Salmannsweiler Bruchstück, auch -»'Ai-

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'Der blinde Hausfreund' - Bloemenstein, Berchtold

nune' genannt) wiederzuerkennen. Heute begnügt man sich, da derartige Identifikationsversuche ohne Überzeugungskraft geblieben sind, zumeist mit der unbestimmten Vermutung, der 'Umbehanc', wenn er überhaupt ein literarisches Werk B.s bezeichnet, sei ein Zyklus von antiken und britannischen Fabeln, eine Folge von Erzählungen aus der Artussage oder ein loser Kranz von Minneepisoden gewesen. Zuletzt ist versucht worden, ihn als eine Nachdichtung der 'Philomena'-Erzählung Chretiens von Troyes (diese nach Ovids 'Metamorphosen' VI423-674) zu erweisen, in welcher ein von Frauen gewebter Teppich mit einer Folge von zu einer Handlung gereihten Bildern (afrz. cortine) die Schlüsselrolle spielt. A u s g a b e n . HMS, Nr. 58; BARTSCH/GOLTHER, Liederdichter, Nr. XVII; MF, Nr. XVII, dazu MFU, S. 269-271. L i t e r a t u r . Zu l und 2.: TERVOOREN, Bibliogr. XVIII; außerdem R.M. MEYER, B. v. St., ADB 35, S. 668-670; F. GRIMME, Die rhein.-schwäbischen Minnesinger. Urkundliche Beitr. z. Gesch. d. Minnegesangs im siidwestl. Deutschland, 1897, S. 32-40; A.E. SCHÖNBACH, Beitr. z. Erklärung altdt. Dichtwerke, I. Stück, WSB 141/2,1899, S. 106-108; R. IRSCHLINGER, Neckarsteinach. Aus d. Gesch. d. vier Burgen, ihrer Bewohner u. d. Stadt, 1956, S. 7-10; H. BRUNNER, Die alten Meister (MTU 54), 1975, S. 176 Anm. 11; J. BUMKE, Ministerialität u. Ritterdichtung. Umrisse d. Forschung, 1976, S. 41 u. 95 f. - Zu 3.: J. SCHMIDT, Unters, zu d. beiden literarhist. Stellen Rudolfs v. Ems, PBB 3 (1876) 173-181; H. KOLB, Über d. Epiker B. v. St., DVjs 36 (1962) 507-520; FISCHER, Stud., S. 162.

HERBERT KOLB 'Der blinde Hausfreund' Das in cod. M 67 der LB Dresden (nordbairisch-ostfrk., 1450-1475) überlieferte Schwankmäre (412 vv.) -ed. NGAI,Nr. 32, S. 223-228 - erzählt von einem blinden Unterhaltungskünstler, der die Frau seines Gastgebers verführen möchte. Die Frau verrät dies ihrem Mann und sie spielen dem Blinden übel mit, um ihm damit eine Lehre zu erteilen. SCHIRMER sieht im 'bl. H.' eine lehrhafte, moralisierende Absicht des Dichters, die jedoch deutlich der Unterhaltungsfunktion untergeordnet ist (daher 'moralisierter Schwank'). Motivisch eng verwandt sind die Schwankmären 'Drei

Mönche zu Kolmar' (-»Niemand) und -» 'Der Herrgottschnitzer' (Version B: 'Der Bildschnitzer von Würzburg' des Hans -»Rosenplüt [?]). L i t e r a t u r . FISCHER, Stud., S. 67, 96; K.-H. SCHIRMER, Stil- u. Motivunters, z. mhd. Versnovelle (Hermea NF 26), 1969, S. 35-38 u.ö.

ULLA WILLIAMS 'Die blinden Säue' Fastnachtspiele'

• 'Rosenplütsche

Bloemenstein, Berchtold 1. Dem Namen nach nordwestdeutscher Herkunft, gehört B.B. dem Zisterzienserkonvent in Maulbronn an, von dem er zum Studium an der Universität Heidelberg freigestellt wurde. Als er sich 1433 in die Heidelberger Matrikel eintrug, hatte er den medizinischen Doktorgrad schon erworben. Vor 1455 behandelte er die Subpriorin des Maulbronn unterstellten Zisterzienserinnenklosters Lichtenstern (bei Löwenstein), in deren Brust sich eine Schwellung oder Geschwulst (apostema mammille) gebildet hatte. 2. Unter B.B.s Namen sind mehrere medizinische Traktate überliefert, die sich mit therapeutisch-prophylaktischen Themen der ärztlichen Praxis auseinandersetzen. a) Das gilt zunächst für die Pest, zu deren Ätiologie, Bekämpfung und Verhütung B .B. in zwei Schriften Stellung nimmt. Zunächst im deutschsprachigen ' R e g i m e n p r a e visivum', das B. aus älteren landessprachigen Quellen zusammenflickt. Er benutzt den Prager 'Sendbrief', exzerpiert den —> 'Sinn der höchsten Meister von Paris' und bringt acht Paragraphen aus dem (Pest-) -*· 'Brief an die Frau von Plauen'. Überliefert in München, cgm 591,125v-127r; Ausg. v. K. SUDHOFF, Pestschriften aus d. ersten 150 Jahren nach d. Epidemie d. 'schwarzen Todes' 1348, Nr. 90, Sudhoffs Arch. 8 (1915) 270 bis 280; dazu V. GRÄTER, Der Sinn d. höchsten Meister von Paris, Diss. Bonn 1974, S. 145. b) Noch dürftiger ist die eigene Leistung im ' T r a c t a t u s de pestilentia', der fast ausschließlich das 'Pariser Pestgutachten' von 1348 wiederkäut. B.B. hat den Pariser Text unübersetzt beibehalten, fügt einige Avicenna-Exzerpte sowie gängiges Versgut

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Blomenberg, Johannes

ein, greift in der zweiten Hälfte des 7. Kapitels auf Alphons von Cordoba zurück und scheint erst im letzten therapeutischen Abschnitt (Kap. 8) selbständiger zu werden, wo er Galen und Hippokrates zitiert, sich an Jakob —> Engelin anlehnt und mit zwei bombastisch aufgeschwellten RezepturKompilaten schließt. Überliefert in Heilbronn, StB, Hs. M. 2002 q, 89V-94V; Ausg. v. SUDHOFF, a.a.O., Nr. 193, Sudhoffs Arch. 16 (1924) 77-95. c) Unecht ist des weiteren ein kurzer chirurgischer Text, der sich in zwei Traktate gliedert und zunächst die Geschwürslehre bringt, um dann die Wundversorgung abzuhandeln ( ' P r a c t i c a c h i r u r g i a e ' ) . In Oberitalien gegen 1400 verfaßt, wird der Text Petrus de Tussignano, Johann von Mailand sowie einem Johannes de Braccia (Ptraccia, Tracia) zugeschrieben, was Frater Syflvester] von Maulbronn nicht abgehalten hat, das Werk 1455 für B.B. in Anspruch zu nehmen; indessen hat der venerabilis magister Berchtoldus monachus den Text bestenfalls abgeschrieben, als er 1425 in Bologna studierte (überliefert in München, clm 273,113V-146V; clm321, S. 207 bis 249; Heidelberg, cpl 1098,369r-423va [z.Zt. Vatikan]; Vatikan. Bibl., cod. lat. 2482, 221r-262v; Straßburg, ÜB, cod. 20,90v-100r [hier B.B. zugeschrieben]; Wien, cod. 2358; cod. 4751). d) Immerhin scheint eine zweite ' P r a c tica r e c e p t a r u m convenientium' mehr Eigenständigkeit zu besitzen, die nach pharmakologischen Gesichtspunkten aufgebaut ist, sich an Rhases orientiert und die Vorschriften vielfach in anatomischer Folge bietet. Sie bringt Kasuistik aus B. B.s Praxis, nimmt auf Laienärzte Bezug und zitiert Ali Abbas, Konstantin von Afrika, Avicenna, Avenzoar, Pseudo-Mesue sowie Petrus Hispanus und Taddeo Alderotti (überliefert in Straßburg, ÜB, cod. 20,52r bis 66r). 3. B.B.s literarische Eigenständigkeit ist gering. Er kompiliert ungeschickt, mischt deutsche mit lateinischen Vorschriften und tritt selten - etwa mit geistlichen Ratschlägen - als selbständiger Autor hervor. Seine Bedeutung liegt auf dem Gebiet ärztlicher Praxis; darüber hinaus wird er als Rezept-

autor zitiert: es ist wahrscheinlich, daß die um 1500 im schwäbisch-fränkischen Raum vielfach überlieferte 'Species Berchtoldi' auf ihn zurückgeht. Überliefert in Stuttgart, LB, cod. med. et phys. 2° 8, 30r; Heidelberg, cpg 545, 15V; cpg 260, 130V, 140V; Ausg. v. G. Eis, Nachrichten z. Heidelberger Medizingesch. d. 15. u. 16. Jh.s aus Hss. u. Frühdrucken, Med. Mschr. 14 (1960) 324-327. L i t e r a t u r . K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA II, 1918, S.421-424, 596; E. WICKERSHEIMER, La mödecine chez les Cisterciens de Maulbronn au XV siecle, Janus 30 (1926) 79-85; ders., Berchtold Bloemensteyn, Cistercien de Maulbronn, et les ecrits medicaux sous son notn, Sudhoffs Arch. 37 (1953) 427 bis 431; L. THORNDIKE, Science and thought in the fifteenth century, New York 1929, S. 81-108; ders., Another manuscript of Leonard of Bertipaglia and John de Tracia, Bull. hist. med. 4 (1936) 257-260; ders., More manuscripts of Leonard of Bertipaglia and John de Tracia, ebd. 27 (1953) 124-127; G. Eis, Nachricht über eine altdt. Sammelhs. aus Villingen, Med. Mschr. 15 (1961) 474-478, bes. 477; J. TELLE, Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S. 99.

G. KEIL Blomenberg, Johannes In der Hs. Münster, ÜB, N. R. 5000, v. J. 1537, die überwiegend Predigten aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jh.s enthält, finden sich 276r-283r zwei Predigten auf Heiligentage, die in der Kirche des Kölner Benediktinerinnenklosters St. Mauritius gehalten wurden und die von einem Johannes Blomenberg (Blomenberch) stammen, über den Näheres (Weltgeistlicher? Bettelordensmitglied ?) bislang nicht ermittelt werden konnte. Zentralthema der Predigt auf den Katharinentag über Mt 13,44 ist die 'mystische Hochzeit' der hl. Katharina. Die Predigt auf den Agnestag über Ct 2,2 entscheidet die Streitfrage, ob jungfräulicher oder ehelicher Stand höher zu werten sind, zugunsten des jungfräulichen Standes. In der Predigtgestaltung zeigt sich B. von der scholastischen Unterrichtspraxis (quaestiones) beeinflußt. L i t e r a t u r . D. SCHMIDTKE, Zur Gesch. d. Kölner Predigt im SpätMA: Einige neue Predigernamen, Fs. I. Schröbler, 1973, S. 328-361.

DIETRICH SCHMIDTKE

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'Blonde und graue Haare' - Blumenau, Laurentius

'Blonde und graue Haare' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2705 (W); London, Brit. Mus., Ms. Add. 24946 (l2) [Siglen nach FISCHER, Stud.]. Ausgabe. F. PFEIFFER, ZfdA 7 (1849) 372-374 (nach W) (zit.).

Der 70 Verse umfassende Text ist in der Wiener Hs. zusammen mit den geistlichen Bispein des -> Strickers überliefert und ist eines der wenigen Bispel mit schwankhaft gefärbter epischer Partie. Der Erzählteil berichtet von einem Manne, dessen Frau ihm die blonden, dessen Freundin ihm die grauen Haare auszieht, so daß er schließlich kahlköpfig wird. Aus dieser Erzählung wird die Lehre gezogen, daß der Verstand des Menschen an seinen Werken zu erkennen sei: nur ein Dummer lasse sich Hab und Gut und damit die Ehre (= die Haare) nehmen. Literatur. FISCHER, Stud., S.61 Anni. 136.

HANS-JOACHIM ZIEGELER 'Blume von Magdeburg' laus

Wurm, Niko-

'Blume des Sachsenspiegels' Nikolaus

Wurm,

'Blume der Seele' Prosatraktat vom Altarssakrament Ü b e r l i e f e r u n g . Prag, ÜB, cod. XVI. E. 14, lr-112v, Mitte 15. Jh.; Wien, cod. 12568, lr-73", 2. H. 15.Jh. (zit.); ungedr.

In der Vorrede nennt sich ein prüder Prediger ordens des chlosters vo[n] wienn (l r ) als Autor dieser Kompilation aus eucharistischen Schriften verschiedener Lehrer. Der Traktat beginnt Bl. 3r Wie das sacrament gotez leichnam ist auffgesatzt zu ainer gedacbnus des leiden christi: das erst capitel. In dem heiligen sacrament win betraht in ainer verpargene weis das leiden christi. Expl. vnd das hochwirdig verdien marie der hymelkunigin vnd aller heiligen. AMEN. Wegen seines Umfangs und als Zeugnis spätmal, katechetischer Literatur verdiente dieser Traktat eine genauere Untersuchung. Literatur. J.KELLE.Diealtdt.Hss.d. k.k.öff. u. ÜB in Prag, Serapeum 20 (1859) 42; W. DOLCH, Katalog d.

dt. Hss. d. K.K. Off. u. ÜB zu Prag, 1. Teil, Prag 1909, S. 124; MENHARDT, Hss. III 1254 f.

KURT ILLING 'Blümel' Marienlob von 401 erhaltenen (ursprünglich 407) Versen in Reimpaaren in der Wiener Hs. 2709 aus dem 14. Jh., die Bruder -»· Philipps 'Marienleben' enthält; die Orthographie des Stücks weist nach Böhmen. Entstehungszeit wohl 1. Hälfte des 14. Jh.s. Der Name stammt vom anonymen (bair. ?) Verfasser, einem Zisterzienser aus dem böhmischen Kloster Nepomuk, der sein Gedicht nachdrücklich ein lobelin, niht ein lob nennt und damit von anderen Werken der Gattung abhebt, deren Kenntnis u.a. auch die verwandten Bilder, Formeln sowie typische Reimbindungen bezeugen. Eine direkte Beziehung zum -> 'Jüngeren Marienlob' ist wahrscheinlich. Der sprachlichen Ungewandtheit steht positiv eine überlegte Gliederung in thematisch geschlossene Einheiten gegenüber, deren letzte allerdings, dem Namen Marias gewidmet (mediatrix, auxiliatrix, reparatrix, illuminatrix, adiutrix: Abhängigkeit von Pseudo—>· Reinmar von Zweter 235-239 ?), mit mehr als einem Viertel der Verse die Proportionen sprengt. Charakteristisch ist auch die zwölffache Unterbrechung der preisenden Apostrophe durch Gebetsabschnitte unterschiedlicher Länge (insges. 162 vv.). L i t e r a t u r . Abdruck u. knappe Erläuterung von J. HAUPT, WSB 68, 1871, S. 204 f. und 208-214.

HANS-GEORG RICHERT Blumenau, Laurentius

1. Geb. ca. 1415 als Sohn einer Danziger Kaufmannsfamilie begann B. 1434 mit dem Studium in Leipzig, das er wohl 1439 in Padua, 1444 in Bologna fortsetzte und 1446/47 mit dem Doktorgrad im geistlichen (Padua) und römischen (Bologna) Recht abschloß. Seit 1446 im Dienst seines Landesherren bezeugt, diente B. diesem, dem Deutschordenshochmeister, als Gesandter und als Hof Jurist bis Ende 1456. Danach lebte er kurze Zeit in der Umgebung eines literarischen Gönners, des Bischofs von

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'Der Blumengarten' - Blumentrost, Berthold

Augsburg, Peter von Schaumberg, bis er Ende 1457 in den Dienst Herzog Siegmunds von Österreich (Tirol) trat, dem er bis 1465 als Rat diente. Von 1466 bis 1471 ist B. in ähnlicher Stellung beim Erzbischof von Salzburg nachzuweisen. Weder in Preußen noch in Tirol ist es dem Kleriker B. gelungen, die ihm verliehenen bzw. in Aussicht gestellten Domkanonikate in Besitz zu nehmen. Seit 1472 ist er als Kartäuser in der Großen Kartause bei Grenoble bezeugt, seit 1482 als Prior der Kartause Villeneuve bei Avignon, als der er am 25. Dez. 1484 starb. Schon während seines Studiums und auch auf Gesandtschaftsreisen nach Italien ist B. mit dem Humanismus in Berührung gekommen. Das bezeugen seine Chronik wie vor allem private Briefe, die ihn als Mitglied des Augsburger Frühhumanistenkreises ausweisen. 2. Bewegt von der Katastrophe des Deutschordensstaates in Preußen hat B. dessen jüngere Geschichte darstellen wollen. Doch ist er über die Einleitung und die Jahre bis 1449 nicht hinausgekommen. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 529, f. 104-137, und clm 902, f. 1-55. A u s g a b e . M. TOEPPEN, Scriptores rerum Prussicarum 4, 1870, S. 35-66.

3. Im Dienst des Deutschen Ordens verfaßte Blumenau 1452/53 eine gelehrtrechtliche Abhandlung, welche die Rechtlosigkeit des Bundes der preußischen Stände erweisen will. Ü b e r l i e f e r u n g . Ehem. Staatsarch. Königsberg (jetzt: Staatl. Archivlager Göttingen), Ordensbriefarch. Nr. 11700 u. 12411.

4. Abgesehen von amtlichen Briefen meist in dt. Sprache sind von B. 8 private Briefe in lat. Sprache erhalten (Nachweis der Überlieferung und der Drucke bei BOOCKMANN, S. 240). L i t e r a t u r . H. BOOCKMANN, Laurentius Blumenau. Fürstlicher Rat - Jurist - Humanist (ca. 1415-1484), 1965; O. ENGELS, Zur Historiographie d. Deutschen Ordens im MA, AKG 48 (1966) 336-363.

HARTMUT BOOCKMANN 'Der Blumengarten' Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 2959 (Mitte d. 15. Jh.s), lr-3v; v. 1-24 auch 9 V ; ungedruckt.

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Der Dichter läßt sich von einer Frau berichten, wie Schlangen ihren prächtigen Blumengarten zerstört hätten. - Allegorische Erzählung eines Minnethemas in Gesprächsform unter Verwendung des in der spätmal. Allegoriendichtung weit verbreiteten Motives des Gartens. Das 138 Verse umfassende Gedicht berührt sich in vielen Einzelheiten sehr eng mit dem —»'Krautgarten'. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.499; GLIER, Artes amandi, S. 368 u. 419.

TILO BRANDIS Blumentrost, Berthold 1. Vor 1300 als Sproß eines fränkischen Geschlechts in Schwäbisch Hall geboren, promovierte B.B. wahrscheinlich in Paris zum magister artium und schloß danach vermutlich in Bologna - das Medizinstudium ab. Vielleicht ist er mit dem Studenten Bertholdus identisch, den die Akten der Deutschen Landsmannschaft zu Bologna 1317 nennen. - Nach seiner Ausbildung übernahm B.B. ein Kanonikat in Wimpfen und erhielt 1326 als Stiftsherr zu St. Johann in Haug eine zusätzliche Kanonikatsstelle bei Würzburg. Am Hauger Stift vor den Mauern Würzburgs wirkte er bereits 1345 als scholasticus und hatte dieses Lehramt noch 1361 inne. Für den Würzburger Bischof Hermann von Lichtenberg ritt er 1340 als Gesandter zum Erzbischof nach Mainz. Nach seinem Tod wurde B.B. im Kollegiatsstift zu Wimpfen beerdigt. 2. Für die Medizingeschichte ist B.B. zunächst als fingierter Verfasser von ->Ortolfs von Baierland 'Arzneibuch' hervorgetreten, was zu zahlreichen Fehlspekulationen (SlGERIST, S. 73; K. SUDHOtF, ' VL III 647ff.; FIGALA, S. 44) Anlaß gegeben hat (vgl. KEIL, S. 24f.). Entscheidend für die weitere Forschung wurde SUDHOFFS Hinweis auf den 'Tractatus de cautelis venenorum' und WICKERSHEIMERS Identifizierung B.s mit dem Wimpfener Kanoniker bertholdus visicus dictus blumentrost. 3. Das literarische Werk B.B.s umfaßt mehrere Titel, bei denen jedoch nur in einem Fall die sichere Zuweisung gelingt: a) Der ' T r a c t a t u s de c a u t e l i s vene-

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Bock(er), Peter - Bodenze, Conrad

n o r u m ' (München, elm 26875, 127r-134v, siiddt., urn 1450, gedr. beiFIGALA, S. 130 bis 142) nennt im Explicit B. B. als Kompilator (aggregates per magistrum Bertholdum Plumentrost) und ist im wesentlichen aus Avicenna zusammengestückt ('Kanon' IV, fen 6), als dessen Diener (dientulus, c. 2) sich der Verfasser bezeichnet. Der Prolog hebt auf aristotelische Vorstellungen ab; darüber hinaus werden Averroes sowie Rhases zitiert, finden sich Reflexe der 'Giftmädchen-Legende' und sind Anregungen aus der Montpellierschen Theriak-Diskussion verarbeitet (HoLSTE). - Die kleine Schrift gliedert sich in 12 Abschnitte und wurde von FIGALA (S. 130-142) mehr schlecht als recht ediert. b) Ebenfalls mit Avicenna, und zwar mit dessen Embryologie, setzt sich ein Kommentar auseinander, der sich aus Quaestionen aufbaut ( ' Q u a e s t i o n e s disputatae circa tractatum Avicennae de generatione embryonis', überl. München, clm 527, 50r bis 64V, 14. Jh.), die aristotelische Meteorologie einbezient, 1347 als Jahr seiner Entstehung angibt und einen venerabilis magister Berchtoldus als Verfasser nennt. Von diesem Berchtoldus sagt die Schlußschrift, daß er zu Paris die Freien Künste und in Bologna Medizin studiert habe; das Kognomen Bluomentrost wird nicht erwähnt. c) ich Meister blumentrost, von Beyerlant geborn, ein artzt in wirtzburg heißt es dagegen in einer rhfrk. Hs., die aus dem 15. Jh. stammt (Zürich, Zentralbibl., cod. B 245, lr-54r, 63vf.), eine Bearbeitung von Ortolfs 'Arzneibuch' bringt und an beiden Stellen, wo der Verfasser sich nennt, den Namen Ortolf durch Blumentrost ersetzt. Der Redaktor kannte Avicenna (von dem Ortolf nur aus der Salerner Roger-Glosse weiß); er strafft einige Stellen, läßt mehrere Kapitel aus, gestaltet die gynäkologischen Abschnitte zu einem selbständigen Traktat und fügt therapeutische wie diagnostische Texte ein. Von B. B. scheint er nicht mehr gewußt zu haben, als daß der in Würzburg physicus gewesen war; immerhin hat dieses Wissen ausgereicht, ihn zu veranlassen, den tradierten Verfassernamen gegen das ihm geläufigere Blumentrost auszuwechseln. 4. B. B. schrieb lateinisch, und die rhfrk.

Ortolf-Bearbeitung wurde nicht von ihm redigiert. In seinen eigenen Schriften bevorzugt er die Traktatform, wobei er wenig selbständig ist, aber geschickt kompiliert, didaktisch einprägsam darstellt und popularisierend vereinfacht. Nennenswerte Wirkung hat er nicht erzielt. L i t e r a t u r . H.E.SIGERIST,MeisterB.sArzneibuch, Sudhoffs Arch. 12 (1920) 70-73; G. GOI.DSCHMIDT, Katalogisierung d. mal. med. u. alchimistischen Hss. d. Zentralbibl. Zürich, Gesnerus 2 (1945) 151-162, hier S. 158f.; E. WlCKERSHElMER,Berchtold Bloemensteyn, Cistercien de Maulbronn, et les ecrits medicaux sous son nom, Sudhoffs Arch. 37 (1953) 427-431, hier S. 431; G. KEIL, Das Arzneibuch Ortolfs v. Baierland, Sudhoffs Arch. 43 (1959) 20-60, hier S.25,50; K. FIGALA, Mainfrk. Zeitgenossen Ortolfs v. Baierland', Diss. München 1969, S. 36-68,130-159; TH. HOLSTE, Vom Dosisproblem zum Arzneimittelbegleitschein. Wege d. Vulgarisierung bei d. Theriak-Diskussion, Med. hist. Journal 12

Warendorf auch C.B. an (76V und 78r). Das Rezept ist unter Verwendung von Würzburger und Trierer Quellen in der 2. Hälfte des 14. Jh.s von einem niederrheinischen Schüler nach md. Vorlagen geschrieben worden. L i t e r a t u r . MENHARDT, Hss. I 77.

ERHART KAHLE

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'Boec van medicinen in Dietsche' - Boethius

Bodman -»· Johann von B. 'Boec van medicinen in Dietsche' (i. F. 'BvM') Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Haupths. Utrecht, ÜB, Hs. 1328, Perg., 14. Jh., nfrk. ['Boec van Breeder Thomas'], Teil C = 72-127 (= U, DAEMS, S. 66-76); 2. 'sGravenhage, Kon. Bibl., Hs. 71 H 45, Perg., 14. Jh., nfrk., 1^2 (= H, DAEMS, S. 76-83); 3. Paris, Bibl. de l'Arsenal, Ms. 8216, Pap., c. 1410/1420, nfrk., 3™-3rb, 42ra_45va (= A]> DAEMSi s 83-85), Perg., 14. Jh., nfrk., 51r-52r, 58r-58v (=A", DAEMS, S. 85-89); 4. Köln, Hist. Arch., Ms. W 4° 279, Perg., 15. Jh., nfrk., l r -ll rab (= K, DAEMS, S. 89-93); 5. 's.-Gravenhage, Kon. Bibl., Hs. 73 I 8, 1. H. 14. Jh., sächs., mit dem Großteil des Harntraktats (Kap. 1-5, Kap. 6 ohne Schluß = DAEMS, S. 104-105; KEIL, S. 145); 6. Wien, cod. 2818, Ende 15.Jh.,nfrk.,268 v ff. (= achter Teil des'BvM', einschl. Kap. 181 = DAEMS, S. 193-195; KEIL, S. 145); 7. Gent, ÜB, Hs. 697, nfrk., erstes Büschel [Lagen 1-3, S. 1-72], 2. Viertel des 15. Jh.s, S. 16-18 = Abschnitt 5, wobei insbesondere die Abteilung von den Sirupen (= Kap. 126-134, DAEMS, S. 172-176; KEIL, S. 145) berücksichtigt ist; 8. London, Bibl. d. Wellcome institute of the history of medicine, Ms. 291, um 1550, scheint ursprünglich den Abschnitt 5 enthalten zu haben (KEIL, S. 145).

Die ganze Hs. 1328 ist von einer Hand geschrieben und zwar - laut einer Bemerkung im Teil B [Naturkunde in Prosa] 35v - von brueder Aernt, leesemeyster der minrebrueder tutrecht aufgrund des Textes eines angeblichen brueder Thomas (35r, 35V und 44r genannt). Deshalb auch Boec van Broeder Thomas. Thomas konnte nicht, der Lektor Aernt des Utrechter Franziskanerklosters mit Wahrscheinlichkeit identifiziert werden (ÜAEMS, S. 5-9). Der Titel 'BvM' wurde von DAEMS (S. 1—4) aus dem Incipit (72r: Hier beghint een nuttelike cort boec van medicinen ghemaect in dietsche ...) verantwortet. I n h a l t . Kennzeichnender Querschnitt durchs mal. medizinische Schrifttum in zehn Abschnitten (KEIL, S. 142): 1. Vier prognostische bzw. diagnostische Traktate: a. eine Harnschau (Kap. 1-7), b. eine Speicheldiagnostik (Kap. 8), c. eine Schweißdiagnostik (Kap. 9-10) und d. eine Prognostik nach dem Auftreten von Pusteln (Kap. 11). 2. Eine Nahrungsmitteldiätetik für Kranke und Rekonvaleszenten (Kap. 12-19). 3. Gestraffte Übers, des -> 'Circa instans' (Kap. 20-95).

4. Krankheitsdefinitionen in der Reihenfolge 'Vom Scheitel bis zur Sohle' (Kap. 96) mit Rezeptanhang (Kap. 97-99). 5. Ein Rezeptbuch, geordnet nach Arzneimittelformen. Es gliedert sich in fünf Abteilungen: a. Wässer (Kap. 100-112), b. öle (Kap. 113-125), c. Sirupe (Kap. 126-134), d. Klistiere (Kap. 135-139), e. Zäpfchen (Kap. 140). 6. Auszüge aus den —> 'Secreta mulierum' (Kap. 141-145). 7. Der -> 'Liber iste'. DiePlateariusglossen zumfrühsalernitanischen 'Antidotarius magnus' (Kap. 146 bis 178). 8. Die 'Passiones puerum adhuc in cunabilis iacentium' (Kap. 179-180), mit Ammen-Regimen (181, 1-8) und zwei Ammen-Rezepten (Kap. 181, 8-14, 182) sowie einem Rezeptanhang (Kap. 183-204). 9. Kurze Fieberlehre (Kap. 205-207) mit einem Rezeptanhang (Kap. 208-212). 10. Gesundheitsregiment (Kap. 213-220). A u s g a b e n . P. VAN DER WIELEN, Unkrit. Ausg. der Bll. 79r-99v der Utrechter Hs. 1328, Pharmaceutisch Weekblad 53 (1916) 818-849 u. der Bll. 99"-122v ebd. 78 (1941) 637-698 u. 713-735; W.F. DAEMS, 'BvM', Diss. Leiden 1967 (= Janus, Beiheft 7). L i t e r a t u r . Bibliographie der Lit. über d. Utrechter Hs. 1328 vor 1967 s. DAEMS; dazu krit. G. KEIL, Nd. Mitt. 24 (1968) 141-168.

WILLEM FRANS DAEMS 'Dat Boec der Minnen' fünfzehn Graden'

'Die Rede von den

Boethius, Anicius Manlius Severinus I n h a l t : I. Person und historische Bedeutung. II. Lateinische Rezeption. 1. Schriften zum Quadrivium. a) 'Institutio arithmetica'. b) 'Institutio musica'. 2. Logische Schriften. 3. Opuscula sacra. 4. 'De consolatione philosophiae'. - III. Deutsche Rezeption. 1. Allgemeines. 2. Glossen. 3. Übersetzungen. 4. Mittelbare Rezeption. - Literatur.

I. Person und h i s t o r i s c h e B e d e u tung. Geb. um 480 in Rom aus der alten gens Anicia, die seit dem 4. Jh. dem Christentum angehörte. Wahrscheinlich bei dem Neuplatoniker Ammonius in Alexandria (so COURCELLE, zuerst 1935), vielleicht auch in Athen (so erneut SHIEL, 1958, und DE VOGEL, Boethiana I, vgl. aber II 37), erwarb B. seine griechische Bildung und Sprachkenntnisse, die zur Voraussetzung seines wissenschaftlichen Lebensplanes wurden und ihm noch im MA Respekt einbrachten (vgl. Roger Bacon, Opus Maius'

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I 67). Schon in jungen Jahren als wissenschaftliche Autorität hochangesehen und mit öffentlichen Ämtern betraut, wurde er 510 Consul sine collega und erhielt gegen Ende seines Lebens die sehr einflußreiche Stellung des Magister officiorum am Hofe Theoderichs des Gr. In der Atmosphäre allgemeinen Mißtrauens der Goten wegen der Annäherung Roms an Byzanz seit Beendigung des Akazianischen Schismas (519 bis 520) zog B., als er den der Konspiration mit dem oströmischen Kaiser angeklagten Senator Albinus öffentlich verteidigte, selber den Verdacht des Hochverrats auf sich, wurde bei Pavia gefangengesetzt — hier entstand die 'Consolatio philosophiae' und ohne ordentlichen Prozeß wahrscheinlich im Herbst 524 hingerichtet. Obwohl B. nicht für seinen Glauben gestorben ist, wurde er im MA vielfach als Heiliger und Märtyrer gesehen; entsprechend lebte der Arianer Theoderich in der Legende als Christenverfolger fort. Anderseits hat man seit der ersten Beschäftigung mit B. im 9. Jh. immer wieder das Fehlen spezifisch christlicher Inhalte in seinen Schriften festgestellt. Besonders befremdend erschien, daß B. in der Gefangenschaft seinen Trost aus der Philosophie schöpft und im Angesicht des Todes keine christliche Hoffnung verrät. Die besonders im 19. Jh. aufgekommenen Zweifel, ob B. überhaupt Christ gewesen sei, wurden erst 1877 widerlegt durch das von H. USENER hg. 'Anecdoton Holderi', in dem die Echtheit der theologischen Werke des B. von Cassiodor ausdrücklich bezeugt ist. Schon zu Beginn des 10. Jh.s hatte -» Bovo von Corvey in seinem Kommentar zu 'Cons.phil.' III m. 9 ex ipso elegantis stilt quodam proprio nitore die Opuscula sacra des B. für authentisch erklärt.

Daß die philosophischen Werke nahezu keinen genuin christlichen und zumal biblischen Gedanken enthalten und selbst die Opuscula sacra (mit Ausnahme des 4. Traktats) theologische Fragen überwiegend formal-philosophisch behandeln, kennzeichnet den geistigen Standort des Autors klar: Er ist noch ganz in der Antike verwurzelt, das Christentum hat ihn nicht entscheidend verwandelt. So ist dem MA vieles von dem, das es aus der Antike besitzt, durch B. überkommen: 1. eine grundsätzliche Wertschätzung der weltlichen Wissenschaften als notwendiger Vorstufen vollkommener Erkenntnis; 2. aus den logischen Schriften das methodische und terminologische Rüst-

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zeug für die mal. Dialektik; 3. philosophische Methodik der Theologie aus den Opuscula sacra; 4. enzyklopädisches Wissen aus den Schriften zum Quadrivium, aus der 'Cons, phil.' platonische, neuplatonische und stoische Philosophie; 5. 'der menschliche Gehalt antiker Geistes- und Herzensbildung' (E. NORDEN, Die röm. Lit., 51954, S. 116) zumal aus der 'Cons, phil.'. B. gehört damit zu den großen Vermittlern der europäischen Kultur. Das MA hat in ihm einen seiner wichtigsten Lehrer erkannt. Über die außerordentliche Verbreitung seiner Werke im MA vgl. M. MANITIUS, Hss. antiker Autoren in mal. Bibl.katalogen, 1935, S. 275-300. Mit den Worten Restat denique ad maximum ilium latinorum philosophorum, Boethium scilicet, desce.nd.ere leitet Abaelard seine bemerkenswerte Würdigung des B. ein ('Introductio ad theologiam', S. 60). Dante sieht ihn im 'Paradiso' (X 124-126) inmitten der höchsten theologischen Autoritäten des MAs als die anima santa, die sich der Anschauung alles Guten erfreut und dem, der auf sie hört, den trügerischen Charakter der Welt offenbart. Hier wie auch sonst oft ist B. im wesentlichen als Autor der 'Cons.phil.' gesehen, die mittels christlicher Interpretation zu einem der wichtigsten Werke der mal. Ethik wurde. Ebenfalls auf die 'Cons.phil.' bezieht sich —»Konrad von Hirsau, wenn er B. wegen seiner stilistischen Eleganz rühmt und ihn mit den höchsten Vertretern antiker Sprachkultur auf eine Stufe stellt (R. B. C. HUYGENS [Hg.], Accessus ad auctores, 21970, S. 108). Dante bemerkt im 'Convivio' (II 15,1), B. und Cicero hätten ihn con la dolcezza di loro sermone zur Liebe dt questa donna gentilissima Filosofia geführt. Trotz solchen Lobes hat das MA gerade mit der durchaus schwierigen Sprache des B., auch seiner 'Cons.phil.', seine Mühe gehabt und viel Fleiß und Scharfsinn auf die Kommentierung seiner Werke verwendet.

II. L a t e i n i s c h e Rezeption 1. Schriften zum Q u a d r i v i u m Zwar sind die logischen Schriften des B. im späten 10. Jh. zu Standardwerken des Unterrichts in der Dialektik geworden, haben bisweilen, neben der 'Cons, phil.' (vgl. die Exkurse -> Notkers des Deutschen in seiner Übersetzung), auch als rhetorische Lehrbücher gedient, doch scheint es B. nicht ausdrücklich auf die schulmäßige Vermittlung der drei 'redenden' Artes angekommen zu sein. Hingegen sah er eine wichtige Aufgabe darin, das Quadrivium durch wissenschaftliche Kompendien zu erschließen. Der Terminus Quadrivium,

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der die vier 'rechnenden' Artes meint und dem sich später der analoge Terminus Trivium beigesellte, geht auf B. (Vorrede zur 'Arithmetik', S. 7) selbst zurück. Das hohe Ansehen, das die Artes im MA als subsidiäre Vorstufen der wahren Erkenntnis genießen, hat in B. eine entscheidende Stütze. -»Alkuins Bildungsprogramm, formuliert in der 'Disputatio de vera philosophia', beruht auf Gedanken des B. (vgl. BRUNHÖLZL, LG 1270f., und COURCELLE, 1971, S. 133 f.). Auch —»Hugo von St. Viktor definiert die Funktion der Artes im engen Anschluß an B. ('Erud. didasc.' III 3). B. hat offenbar über alle vier Disziplinen des Quadrivium geschrieben, doch sind nur die 'Arithmetik' und die 'Musik' erhalten. (Die im MA unter dem Namen des B. verbreiteten beiden Werke zur Geometrie, von denen das ältere [vgl. GEYMONAT, 1967] mit seinem Anhang über das Abacus-Rechnen auch auf Notker den Deutschen gewirkt hat [vgl. SCHRÖBLER, 1944, S. 34-38], sind unecht [vgl. M. FOLKERTS, 'Boethius' Geometrie II, ein mathemat. Lehrbuch d. MAs, 1970, S.XI-XIII]). Wie in seinen philosophischen Schriften hat sich B. auch hier darauf beschränkt, griechische Autoren zu übersetzen und ihre Lehrmeinungen ausgewählt, konzentriert, oft vereinfacht und neu kombiniert darzubieten. a) ' I n s t i t u t i o a r i t h m e t i c a ' Ausgabe. G. FRIEDLEIN, 1867 (ersetzt PL 63, Sp. 1079-1168).

Die wohl bald nach 500 entstandene 'Inst, arith.', eine Bearbeitung der 'Arithmetik' des Neupythagoreers Nikomachos von Gerasa (2. Jh.n.Chr.), wird schon bei Beda und dann seit dem 9. Jh. vielfach, vor allem in komputistischen Traktaten, erwähnt (vgl. BUBNOV, 1899, S.297-299). In den Bibliothekskatalogen erscheint sie als das dominierende Lehrbuch für die Arithmetik. Bei ihren hohen Anforderungen an das Abstraktionsvermögen dürfte sie jedoch, zumal angesichts der grundsätzlichen Vernachlässigung der mathematischen Disziplinen im frühen MA, keine sehr breite Wirkung erzielt haben. Mit dem Erstarken der Pflege des Quadriviums durch Gerbert von Reims und Abbo von Fleury trat sie

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stärker in Erscheinung (vgl. VAN DE VYVER, 1935, S. 166f.), doch ist sie in der Folgezeit von den praktischer angelegten mathematischen Werken arabischen Ursprungs ergänzt und z.T. verdrängt worden (vgl. HASKINS, 1924, S. 8 f., u. 1927, S. 310-312). b) ' I n s t i t u t i o m u s i c a ' A u s g a b e . G. FRIEDLEIN, 1867 (ersetzt PL 63, Sp. 1168-1300).

Die wohl vor 507 entstandene 'Inst, mus.' beruht im wesentlichen auf den musiktheoretischen Werken des Nikomachos von Gerasa, des Euklid und des Ptolemaeus. Sie wurde seit dem 9. Jh. zur maßgeblichen Grundlage für die wissenschaftliche Behandlung der Musik (vgl. POTIRON, Boece, theoricien de la musique grecque, Paris 1961, S. 155-162), während sie auf die musikalische Praxis nur geringen Einfluß hatte. Das MA übernahm die von B. (12) geformte neupythagoreische Einteilung der Musik in eine musica mundana, humana und Instrumentalis. 2. Logische S c h r i f t e n B. hatte in jungen Jahren den Plan gefaßt, im Laufe seines Lebens alle ihm erreichbaren philosophischen Schriften des Aristoteles und alle Dialoge Platons zu übersetzen und zu kommentieren; zum Abschluß wollte er dann die tiefe Übereinstimmung der beiden Philosophen darstellen (PL 64, Sp.433 Cf.). Von diesem gigantischen Projekt hat B. bis zu seinem frühen Tod nur einen kleinen Teil ausführen können, der gleichwohl erstaunlich genug ist. Die dazu gehörenden erhaltenen Schriften des B., Übersetzungen, Kommentare und selbständige Traktate, stehen überwiegend im Zusammenhang mit der aristotelischen Logik. Über die z.T. bis heute ungelösten Echtheitsfragen kann hier nicht gehandelt werden. Die Skepsis, die noch CAPPUYNS, 1937, Sp. 366-368, vor allem bezüglich der Übersetzungen äußerte, ist durch die Forschungen MINIO-PALUELLOS wesentlich reduziert worden (vgl. ders., 1957, und seine Einleitungen zu den betreffenden B.-Ausgaben im Aristoteles Latinus). Generell verwiesen sei auf DE RIJK, 1964, und die grundlegenden Beiträge von VAN DE VYVER, 1929 und 1935; dessen Studie 'Boece et Revolution philosophique et scientifique du haut moyen äge' ist aus dem Nachlaß noch nicht veröffentlicht.

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A u s g a b e n . Krit. Ausg.n der Übers.n aus Porphyrius ('Isagoge') und Aristoteles ('Categoriae', 'De Interpretatione vel Periermenias', 'Analytica Priora', Topica') von L. MINIO-PALUELLO, Aristoteles Latinus I-V, 1961-1969; Ausg. der Übers, der arist. 'Elenchi Sophistici' vorerst noch PL 64, Sp. 1007-1040. - Kommentar zur 'Isagoge Porphyrii' in beiden Fassungen: A. BRANDT, in: CSEL 48, 1906; Kommentar zu Aristoteles' 'Periermenias' in beiden Fassungen: C. MEISER, 1877-1880; Kommentar zu den arist. 'Categoriae': PL 64, Sp. 159-294; zu den Topica' Ciceros: PL 64, Sp. 1039-1174, u. A.S.Q. PERDOMO, Diss. St. Louis Univ. 1963 (nur Buch I); zu dem für B. nicht ganz gesicherten Kommentar zu den arist. 'Analytica priora' vgl. MINIO-PALUELLO, The Journal of Hellenic Studies 77 (1957) 93-102, u. Stud. Patrist. 2 (1957) 363. - Die selbständigen logischen Traktate ('Liber introductorius in categoricos syllogismos', 'Introductio ad syllogismos categoricos', 'De hypoteticis syllogismis', 'De divisione', 'De topicis differentiis'): PL 64, Sp. 761 bis910 u. 1173-1216; krit. Ausg. von 'De hypoth. syll.': L. OBERTELLO, Brescia 1969 (mit ital. Übers.).

In der Geschichte der Logik stellt B. eine entscheidende Station dar (PRANTL I, 1855, S. 679-722). Seine Übersetzungen und Kommentare sind nahezu die einzigen Quellen, aus denen das frühere MA die Kenntnis der aristotelischen Logik schöpfte. Sie blieben bis zu der im 12. Jh. einsetzenden umfassenden Aristoteles-Rezeption die einzigen in der lat. Welt bekannten Werke des Aristoteles (und überdies, zusammen mit dem ins Lat. übersetzten Timaios' Platons, die einzigen zugänglichen Originaltexte griechischer Philosophie überhaupt). Die Einführung des Porphyrius in die aristotelischen Kategorien ('Isagoge') sowie die 'Categoriae' und 'De interpretatione' von Aristoteles bildeten in ihren von B. geschaffenen Übersetzungen das mal. Handbuch der Logik bis zur Scholastik ('Logica vetus'). Nach neueren Forschungsergebnissen sind auch wenigstens 3 von den 4 Werken der 'Logica nova', die in der 1. Hälfte des 12. Jh.s zunächst in Frankreich (Chartres) bekannt wurden, in der Übersetzung des B. verbreitet worden: 'Analytica Priora', Topica' und 'Elenchi Sophistici'. Vgl. dazu MINIO-PALUELLO, 1957, S. 362f., und die entsprechenden Vorreden der Ausgaben in Arist. Lat.; zur Übersetzung der 'Analytica Posteriora' vgl. ders., ebd., S. 362f., und Arist. Lat. IV 1-4, S. XIII-XV; über die Rolle des Jakob von Venedig, der lange als bedeu-

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tendster Übersetzer der 'Logica nova' galt, vgl. ders., 1952, bes. S. 299-303.

B. vermittelte dem MA die Grundbegriffe der Logik, die ihm als Instrument wie auch zugleich als Teil der Philosophie galt. Mit der Lehre von den Kategorien, vom Urteil (in der Sprachtheorie 'Peri Hermeneias', vgl. BERKA, 1968) und von den Syllogismen lieferte B. ein Arsenal an Begriffen, Regeln, Einteilungs- und Frageschemata, ohne das der philosophische Schulbetrieb der späteren Jh.e, auch in seiner bedenklichen, weil vielfach unschöpferischen Erscheinung, nicht möglich gewesen wäre. Die aristotelische Terminologie hat durch B. ihre für das ganze M A maßgebliche lateinische Fixierung erhalten (vgl. GRABMANN I, 1909, S. 156f., ENGELS, 1963, BRAVO LORANO, 1967). Eine besondere (nicht nur formale und methodische) Bedeutung erlangte B. durch seinen 2. Kommentar zur 'Isagoge' des Porphyrius: er wurde zum Ausgangspunkt für den mal. Universalienstreit; viele Scholastiker haben in der Frage der Substanz der Gattungen die zwischen Platon und Aristoteles vermittelnde Position des B. übernommen (vgl. BÖHMER/GILSON, 1954, S.245f.). Es ist unmöglich, die Allgegenwart der logischen Schriften des B. im geistigen Leben des HochMAs referierend darzustellen (verwiesen sei hierfür generell auf die Arbeiten von GRABMANN; vgl. auch OBERTELLO, Ausg., S. 154-158). Dagegen findet man im 9. und bis in die 2. Hälfte des lO.Jh.s nur gelegentlich eine Spur des Dialektikers B. (VAN DE VYVER, 1935, S. 130). Erst von Gerbert von Reims weiß man (durch Richer), daß er sowohl die Kommentare des B. zum ersten Teil des aristotelischen Organon als auch dessen selbständige Traktate im Unterricht verwendete, und Gerberts Zeitgenosse Abbo von Fleury hat zu zweien dieser Traktate anonym erhaltene Kommentare geschrieben (hg. v. VAN DE VYVER/RAES, 1966; vgl. VAN DE VYVER, 1935, S. 130-137). Notker der Deutsche, der die 'Categoriae' und 'De interpretatione' kurz darauf ins Deutsche übersetzte, kannte die selbständigen Traktate noch nicht. Diese bilden seit dem 11. Jh. zusammen mit der 'Logica vetus'

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das übliche Corpus für die Dialektik. Im 12. Jh. tritt an ihre Stelle in den Hss. meistens der nun neu zugängliche 2. Teil des Organen, die sog. 'Logica nova'. 3. O p u s c u l a sacra A u s g a b e n . R. PEIPER, A.M.S. Boetii Philosophiae consolationis libri V. Accedunt eiusdem atque incertorum opuscula sacra, 1871; H.F. STEWART/E. K. RAND, The theological Tractates and The Cons, of Phil, (mit engl. Ubers.), London 1918; E. RAPISANDA, Boezio, Opuscoli teologici (mit ital. Übers.), Catania 2 1960 (folgt STEWART/RAND).

Die fünf zwischen 512 und 523 entstandenen Opuscula sacra, in der Regel gemeinsam überliefert (mit Ausnahme des 4. Traktats; vgl. RAND, 1901, S.412f.) und oft gemeinsam kommentiert, haben folgende Titel: 1. 'Quomodo Trinitas unus Deus ac non tres Du' ('De trinitate'); 2. 'Utrum pater et filius et spiritus sanctus de divinitate substantialiter praedicentur'; 3. 'Quomodo substantiae in eo quod sint bonae sint cum non smt substantialia bona' ('Dehebdomadibus');4. 'Defidecatholica'; 5. 'Contra Eutychen et Nestorium' ('Liber de persona et duabus naturis'). Nr. 4 wurde lange für unecht gehalten (vgl. RAND, 1928, S. 156f.; LAISTNER, 1957, S. 88; BIELER, 1957, S. IX). B. hat in diesen z.T. sehr kurzen Traktaten Fragen der Theologie, besonders der Trinität, auf philosophische Weise behandelt nach der von ihm selbst formulierten Devise: Fidem, si poteris, rationemque coniunge (2. Traktat). Die Opuscula sacra wurden für das MA kaum weniger bedeutsam als die logischen Schriften (GRABMANN I, 1909, S. 163). Das Verfahren (exemplarisch angewendet im 1. und im 3. Traktat), christliche Dogmen, die als Axiome gesetzt werden, mit Hilfe einer der aristotelischen Philosophie entlehnten Methode und Terminologie rational zu deuten, wurde zum Modell wissenschaftlicher Theologie in der Scholastik. B. hat selber klargestellt, daß die Untersuchung deduktiv von der unbezweifelten Glaubenswahrheit auszugehen hat: ... viamque indaginis hinc arbiträr esse sumendam, unde rerum omnium manifestum constat exordium, id est ab ipsis catholicae fidei fundamentis (2. Traktat). So sind die Opuscula sacra

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'eigentlich die Erstlinge der scholastischen Methode' geworden (RAND, 1906, S. 19). In der Karolingerzeit hat man die Texte (wie auch die 'Cons. Phil.') zum ersten Mal kommentiert (vgl. SCHRIMPF, 1966, S. 56 Anm. 1). Über die Autoren dieser 'Schulglosse', die z.T. unter dem Namen des Johannes Scottus (RAND, 1906, S. 30-80) und des Remigius von Auxerre veröffentlicht ist (vgl. RAND, ebd., S. 99-106), herrscht keine Einigkeit (vgl. COURCELLE, 1967, S. 248-258; dagegen SILVESTRE, 1969, S. 27-28). In der Schule von Chartres setzte dann im 12. Jh. eine intensive Beschäftigung auch mit den Opuscula sacra ein (PARENT, 1938, S. 19). Über weitere Kommentierungen der Opuscula sacra und über ihre Wirkung auf dem 'zweiten Rezeptionsweg', d. h. durch ihr Angebot von axiomatischen Sätzen, die einzeln als Autoritäten zitiert werden konnten, vgl. SCHRIMPF, 1966, S.147-149. 4. ' D e C o n s o l a t i o n e p h i l o s o p h i a e ' A u s g a b e n . R. PEIPER (s.o. II 3), 1871 (wegen der Prolegomena, S. V-LXVII, für die Wirkungsgeschichte der 'Cons.' und der Opuscula sacra wertvoll); G. WEINBERGER, in: CSEL 67,1934; L. BIELER, in: CC94,1957 (zit.); E. GEGENSCHATZ/O.GIGON, 21969 (mit dt. Übers.).

Die in weit mehr als 400 Hss. überlieferte 'Cons.', 'dieses nach Inhalt und Sprache einsam dastehende Werk' (E. NORDEN, Antike Kunstprosa, 71974, II 586), ist bis zur Karolingerzeit nahezu unbekannt geblieben. Mit Alkuin beginnt ihre eigentliche Entdeckung. In der 'Disputatio de vera philosophia' (PL 101, Sp. 849-854), die seine Grammatik einleitet, wird die Philosophie mit den Worten des B. als omnium virtutum magistra und als höchstes zu erstrebendes Glück des Menschen vorgestellt, zu dem man stufenweise per quosdam eruditionis gradus von unten nach oben fortschreitend gelange. Durch ihre Assoziation mit der in den biblischen Proverbia (9,1) beschriebenen göttlichen Weisheit, die sich 'ein Haus gebaut und sieben Säulen (= die sieben Gaben des Hl. Geistes) geschaffen hat', überträgt Alkuin die Funktion der gradus sophiae auf die sieben Artes liberales. Diese Deutung war für die Folgezeit von großer Tragweite

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(vgl. SILVESTRE, 1969, S. 27). Einerseits hat Alkuin die Philosophie des B. ganz in die Nähe der göttlichen Weisheit gerückt, also christianisiert, andererseits den weltlichen Wissenschaften im Geist des B. einen beträchtlichen Eigenwert gesichert. Gegen Ende des 9. Jh.s wird die 'Cons.' allgemein gelesenes Schulbuch (GLAUCHE, 1970, S. 59 bis 61); mindestens zwölf Kommentare sind aus dem 9. und 10. Jh. erhalten. Ihre Überlieferung und Eigenart sowie ihr oft sehr schwieriges Abhängigkeitsverhältnis untereinander sind dargestellt von COURCELLE, 1967, S. 241-299 und 403-408. Der älteste erhaltene Kommentar entstand noch im 9. Jh. vermutlich in St. Gallen, wo seit 872 nachweislich zwei Exemplare der 'Cons.' vorhanden waren. Er ist, vollständig oder fragmentarisch und in vielfach modifizierter Gestalt, in einem Dutzend Hss. überliefert (Näheres bei COURCELLE, 1967, S. 259-267 und S. 403-404). Notker der Deutsche hat ihn für die erläuternden Teile seiner 'Cons.'-Übersetzung in einer nicht mehr erhaltenen Kompilation mit dem zwischen 902 und 908 entstandenen Kommentar des Remigius von Auxerre (CouRCELLE, 1967, S. 270) verwendet. Obwohl dieser seinem geistigen Rang nach deutlich unter dem St. Galler Anonymus steht, hat er mit seinen aus dem Unterricht hervorgegangenen (und für den gleichen Zweck bequem zu verwendenden) gelehrten Erklärungen die weiteste Verbreitung gefunden. Johannes Scottus, vielfach als bedeutendster B.-Kommentator des 9. Jh.s angesehen, hat nach den Ergebnissen von COURCELLE (1967, S. 248-254) die 'Cons.' nicht kommentiert (vgl. aber SILVESTRE, 1969, S.27 und 30f.). Dagegen weist HÄRING (1969, S. 291, 294 f.) den ersten der vier 'Cons.'-Kommentare aus cod. 130 der Stiftsbibl. Heiligenkreuz dem Johannes Scottus als Autor zu (in Auswahl ediert S. 296-316). Das berühmte Gedicht qui perpetua ...' (III m. 9) ist im MA mehrfach gesondert kommentiert worden, so von —> Bovo von Corvey, vom sog. Anonymus Einsidlensis (hg. HUYGENS, 1954, S. 400-404) und von —> Adalbold von Utrecht. In 'Cons.' Ill m. 9 verdichten sich die Schwierigkeiten der mal. Kommentatoren, die Philosophie des B. in die christliche Gedankenwelt zu

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integrieren, und die scharf denkenden unter ihnen, wie etwa Bovo, vermerken hier eindeutig die objektive Unvereinbarkeit der Position des B. (etwa in der Seelenlehre) mit der doctrina evangelica,

Trotz solcher Einschränkungen hat sich die 'Cons.' ihrer mal. 'Christianisierung' kaum widersetzen können. Die teils stoisch diatribenartige, teils platonisch (sokratisch) argumentierende Güterlehre der ersten Bücher war dem christlichen MA sehr gemäß. B. wurde zum Gewährsmann für die in den späteren Jahrhunderten so vielfach variierte Darstellung der Fortuna (vgl. PICKERING, I, 1967, S. 18 und 23f.). Die beiden letzten Bücher der 'Cons.' haben mit ihrem strenger wissenschaftlichen Charakter wichtige Argumente für die Lösung der dort behandelten philosophischen Probleme im christlichen Sinne geliefert. Erst nach dem 11. Jh., in dem B. den sog. Antidialektikern als der Repräsentant der antiken Philosophie galt, die der Hl. Schrift gefährlich werden konnte (vgl. -»Otloh, PL 146, Sp.60AB), erwachte mit der Erneuerung der platonischen Studien in Chartres (1. Hälfte des 12. Jh.s) noch einmal das Interesse für die 'Cons.'. Der bedeutendste Kommentar aus dieser Zeit (neben vier anonym erhaltenen) stammt von Wilhelm von Conches (vgl. COURCELLE, 1967, S. 302 bis 313 und 408-410; HÄRING, 1969, S. 294f.), der eine großzügige Synthese zwischen der Philosophie des B. und der christlichen Lehre herstellte. Durch den Aristotelismus trat die 'Cons.' im 13.Jh. mehr in den Hintergrund. Vor 1307 schrieb der Dominikaner Nicolaus Triveth, den Platoniker Wilhelm von Conches im Sinne des Aristoteles korrigierend, einen sehr erfolgreichen Kommentar, dem im 14. und 15. Jh. noch zahlreiche andere folgten (vgl. COURCELLE, 1967, S. 317-332 und 412 bis 418). Im Humanismus verlor die 'Cons.' an philosophischem Interesse, und auch als literarisches Werk zeigte sie sich, obwohl im 15. Jh. noch 43mal gedruckt, der Konkurrenz der römischen Klassiker nicht mehr gewachsen. Kommentare, die aus der gelehrten reproduktiven Beschäftigung mit dem Text hervorgegangen sind, bilden nicht die einzigen Zeugnisse für die Nachwirkung der 'Cons.'

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im MA. Ihr formaler und inhaltlicher Einfluß auf die mal. Literatur war ebenfalls außerordentlich. Die 'Cons.' wurde, neben 'De Nuptiis Philologiae et Mercurii' von Martianus Capella, das Musterbeispiel für die im MA sehr beliebte literarische Form des Prosimetrum (PATCH, 1927, S. 88-92; vgl. auch NORDEN, Antike Kunstprosa, 7 1974, II 755-757). Vorwiegend nach dem Modell der 'Psychomachia' des Prudentius und der 'Cons.' hat das MA die literarische Allegorie gepflegt, oft (wie etwa bei Bernardus Silvestris und Alanus ab Insulis) in Verbindung mit der prosimetrischen Form und im Dialog. Die Nachwirkung der 'Cons.' auf die mal. Trostbücher ist bei A. AUER, 1928, dargestellt. Für die ikonographische Tradition der 'Cons.' mit der klassisch gewordenen Eröffnungsszene der Philosophie am Krankenbett des B. sowie der Darstellung Fortunas mit dem Rad sei generell auf COURCELLE (1967) verwiesen. Zur formalen Nachwirkung der 'Cons.' gehört auch, daß sie durch ihre Gedichte den mal. Dichtern, die meist die Lyrik des Horaz nicht kannten, eine willkommene Auswahl der verschiedensten metrischen Muster bot. Lupus von Ferneres hat über sie einen eigenen kurzen Traktat verfaßt (hg. v. PEIPER, Ausg., S.XXIV-XXIX). Die überragende Bedeutung der 'Cons.' im MA dokumentiert sich nicht zuletzt durch ihre zahlreichen Übersetzungen in die europäischen Volkssprachen (vgl. die Bibliographie in der Ausgabe von BIELER, S.XXIII-XXVI; PATCH, 1927, S. 46-86; BOLGAR, 1971, S.526-527; COURCELLE, 1967,5.383-402). III. D e u t s c h e R e z e p t i o n 1. Die volkssprachige Boethiusrezeption des dt. MAs gewann weder als ganze noch auf ihren verschiedenen Ebenen, die der Glossen ausgenommen, eigenen Zusammenhang; ihre Grundlage waren in aller Regel von Fall zu Fall Überlieferung und Geltung des Autors in der lat. Bildungstradition. Hervortretende Phasen der dt. Rezeption waren die spätere ahd. Zeit und das 15. Jh. Das mit Abstand größte Interesse zog nach Ausweis der Glossierung, Zitierung, Übersetzung stets die 'Cons.' an sich.

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Mit dem Namen des B., von dessen Schicksal und Tod nach -»Notker dem Deutschen und vor den Übersetzern des 15. Jh.s allein die -> 'Kaiserchronik' (v. 14142-14163) zu berichten scheint, verband sich vor allem die Vorstellung einer Autorität der Wissenschaft und Weisheit (-»Werner von Elmendorf, hg. v. J. BUMKE, v. 104; -»· Thomasin von Zerklaere, v. 8943; —> Hugo von Trimberg, 'Renner', v. 1268, 14676, 16693; u.a.), inbesondere auch die des Repräsentanten des Quadriviums (-> Heinrich von Mügeln, Kl. Dichtungen, hg. v. K. STACKMANN, VII 6,11; 'Algorismus vulgaris', inc.: Eyn weyser ist Boecius genant, Wien, cod. 3502, 15.Jh., f. 270r; u.a.). Die Kulturleistung, die B. als Übersetzer erbracht hatte, vermochte nur ein Gelehrter wie -> Konrad von Megenberg ('Buch der Natur', Prolog, Str. 5) zu erkennen. 2. Glossen Die 20 erhaltenen ahd. Glossenhss. der 'Consolatio philosophiae' zeigen, daß sie zu jenen antiken Werken zählt, die in Klosterschulen des 9.-ll.Jh.s wirklich studiert, mit der Hilfe volkssprachlicher Interpretamente, vielfach zugleich erst geschaffener, sorgfältig erarbeitet und angeeignet wurden. Unter den Hauptorten der Boethiusglossierung sind St. Gallen, woher das älteste bekannte Beispiel (Neapel, Bibl. Naz., cod. IV. G. 68, spätes 9. Jh.) stammt, und Köln, wo -> Froumund von Tegernsee im letzten Jahrzehnt des 10. Jh.s die 'Cons.' abschrieb und glossierte (vgl. BERGMANN, 1966, S. 203-206). Auf die Einbettung der 'Cons.'-Übersetzung Notkers in die Tradition der St. Galler Boethius-Glossierung weist entgegen SCHRÖBLERS kritischer Zurückhaltung mit Nachdruck wieder SONDEREGGER (1970, S. 53-56 u. 91) hin. Von B.' übrigen Werken liegt nur die 'Inst, arithmetica' in einer Glossenhs. vor (München, clm 18764, Ende des 10. Jh.s, Froumund-Hs.). Ü b e r l i e f e r u n g . Nachweis der Glossenhss. mit Lit. bei R. BERGMANN, Verzeichnis d. ahd. und äs. Glossenhss., 1973, Nr. 23, 45 (Kriegsverlust), 69, 90, 117, 120, 126, 132, 242, 243, 281, 413, 418, 572, 619, 656 ('De arithmetica'), 657, 668, 713, 766, 881, 904.

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A u s g a b e n . Ahd. Gil. II 54-81, IV 315-318, V 24. Nachträge: STARCK, 1948, S.301-313; THOMA, 1951, S. 234-237, 240; REICHE, 1970, S. 94f.

3. Ü b e r s e t z u n g e n A. Werke des B. wie überhaupt antiker Autoren übersetzte als erster —>Notker der Deutsche (gest. 1022), übersetzte sie als Werke der Schulbildung, mit der Verknüpfung von lat. Ausgangstext, Kommentierung und Übersetzung stets der klaren Erschließung autoritativen Wissens dienend. Die Übersetzung der 'Cons.' bezieht in ihren erläuternden Zusätzen und Exkursen Wissen aus allen Artes ein, mit Vorzug freilich aus Dialektik und Rhetorik. Der dialektischen Unterweisung diente eigens die Verdeutschung der beiden boethianischaristotelischen Schriften 'Categoriae' und 'De interpretatione'. Ob man in den 'Principia arithmeticae', deren Übersetzung nur mehr der Brief an Hugo von Sitten bezeugt, die 'Arithmetik' des B. zu erkennen hat, ob in der Schrift 'De sancta trinitate', deren ebenfalls verlorene Übersetzung wiederum nur jener Brief erwähnt, das gleichnamige Werk des B., ist ungeklärt. B. Isoliert steht die in nur wenigen Fragmenten (Teile von I 4, IV 3, V 6) erhaltene zweite Übersetzung der 'Cons.'. Mit ihren schwerfälligen meist 6-hebigen Reimpaaren dürfte sie vor dem spätmal. Aufbruch der Prosa entstanden sein, nach STAMMLERS (1928, S. 12) Schätzung um 1300. Ihre Sprache weist auf niederrheinische Herkunft. Ü b e r l i e f e r u n g . Die von A. BÖMER 1907 in der ÜB Münster aufgefundenen Fragmente (15. Jh.) gingen im Krieg durch Brand verloren. Ausgabe. A. BÖMER, Frgm.e einer gereimten dt. Boethiusübers., ZfdA 50 (1908) 149-158.

C. Alle weiteren Übersetzungen, insgesamt fünf, gehören ins 15. Jh. Sie sind damit noch nicht als humanistisch zu charakterisieren oder gar mit BURDACH (1933, S. 556) auf eine Wirkung des 'Ackermann aus Böhmen' (-* Johannes von Tepl) zurückzuführen. a. Nach dem Zeugnis des -> Andreas von Regensburg im 'Chronicon generale' (G. LEIDINGER, Andreas v. R.,Sämtl. Werke, 1903, S. 119) übertrug der Benediktiner Peter von KastI im Jahre 1401 B.' 'Cons.'

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de latino in teutonicum. Die zuerst von PEZ, Thes. IV 3, Sp.598, geäußerte Vermutung der Identität dieser mit der 1473 anonym gedruckten (s.u.) Übersetzung geht seit geraumer Zeit als gesicherte Behauptung um, ohne daß dafür ein weiteres Kriterium genannt worden wäre. Solange die Verknüpfung des Drucks von 1473 mit dem Namen Peters von Kastl nur erwogen, nicht aber begründet werden kann, muß dessen Übersetzung als verschollen gelten. b. Verloren ist ebenfalls die (unvollendete?) 'Cons.'-Übersetzung des -»Niclas von Wyle. Er hielt sie, als er 1477/78 seine gesammelten 'Translationen' (hg.v. A. KELLER, 1861) zum Druck gab, noch etlicher Vrsachen halb (Vorrede an Jörg von Absperg, S. 7 u. 11 f.), zurück, plante aber durchaus ihre Herausgabe (vgl. P. JOACHIMSOHN, Württ. Vierteljahrshefte f. Landesgesch. N. F. 5 [1896] 86). c. Die mnd. Übersetzung der 'Cons.', von der sich in einer Hs. des J. 1464 nur das erste Buch erhalten hat, ist bewußt auf die ersten vier Bücher beschränkt: Dem Verfasser schien nach seiner Bemerkung im Explicit die Thematik des fünften (wetenheit godes) geeignet, in den dummen luden religiöse Zweifel zu wecken. Er ging nach Abschnitten vor, denen er jeweils paraphrasierende Kommentare folgen ließ. Ob der mit Namen sich nennende Schreiber der Hs., Gerhard Nassau we, selbst auch der Übersetzer war, steht dahin. Ü b e r l i e f e r u n g . Gießen, ÜB, cod. 863, 221'-244V, v.J. 1464; vgl. WORSTBROCK, Antikerez., Nr. 39. Ausgabe. Teilabdruck der Vorrede bei MOMMERT, 1965, S. 140f.

d. Vielleicht um 1462/63, als er selbst in Gefangenschaft lag, verfaßte Konrad -»Humery seine sehr freie, mit zahlreichen kommentierenden Bemerkungen ausgestattete Übersetzung der 'Cons.'. Er betrachtete sie allererst als Trostschrift, widmete sie unter den vngelarten allen jenen, die der Gefangenschaft, Verfolgung und anderen ähnlichen Leiden dieser Welt ausgesetzt seien (Vorrede, MOMMERT, 1965, S. 142 f.). e. 1473 erschien in Nürnberg bei Anton Koburger zusammen mit dem lat. Text und dem Kommentar des PS. Thomas eine an-

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onyme Übersetzung der 'Cons.', die einigen Zeitgenossen als Werk Wyles galt, wogegen dieser sich indes ausdrücklich verwahrte ('Translationen', S. 11 f.). Dem Nürnberger Druck folgte 1500 der Straßburger Druck Johann Schotts. Eine von den Drucken unabhängige Überlieferung der gleichen Übersetzung bietet der cod. Gen. 28 (2. Hälfte des 15. Jh.s) der StB Schaffhausen.

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mung und Bildlichkeit (Fortuna mit dem Rade). Meist dürfte es sich hier freilich um bereits vermittelte (mlat., frz., bald auch intern mhd.) Rezeptionen handeln, ähnlich wie bei der von Thomasin von Zerklaere (Buch III-IV), vom Autor des 'Fortunatus' u.ö. verwendeten einflußreichen Güterlehre (bona animi, corporis, fortunae; vgl. 'Cons.' II-III), und sie entbehren so auch stets des Rückverweises auf B. BoethiusZur Überl. vgl. WORSTBROCK, Antikerez., Nr. 40 Zitation aus erster Hand wie in Predigten bis 42. Auszüge nach dem Druck von 1473 bei HOEK, 1943, S. 211-215, nach dem Druck von 1500 bei Meister -»Eckharts (s. Liste der AutorenW. SCHMITT, Dt. Fachprosa d. MAs, 1972, S. 16-19. Zitate in der Ausgabe J. QUINTS) dürfte Die Übersetzung übt eine Art der Wört- ebenfalls eher die Ausnahme, mittelbare die lichkeit, die nicht stilistischer Absicht ent- Regel sein. Vgl. -> Johannes von Tepl, 'Der springt, sondern treuer Vermittlung zu die- ackerman', c.24 u. 29; Johannes -»Rothe, nen trachtet. Umständlich gibt sie sich bei 'Ritterspiegel', v. 1505-1524; -»Thüring der Übertragung der Metra, für die sie in von Ringoltingen, 'Melusine', hg. v. K. 8f der Regel fast des dreifachen Raums be- SCHNEIDER, S. 67 ; die B.-Zitate in den darf. Sie hat grundsätzlich das sachliche Übersetzungen der 'Problemata AristoteInteresse des Lesers im Auge, wie die große lis' (Überl. u. Drucke s. WORSTBROCK, AntiZahl der knappen Einschübe zeigt, mit kerez., S. 5) u.a. Für die Rezeptionsarten denen sie Historisches und Mythologisches, des ausdrücklichen Zitats, geschweige denn Namen, bisweilen einen bildlichen Aus- der Sentenz ohne Autornamen, für Aneignung und Tradierung prägnanter Bilder bis druck erläutert. D. Die volkssprachige Rezeption des B. zu Goethes grün des Lebens goldner Baum bricht im Bereich der Übersetzung mit dem (Faust' I 2039 nach 'Cons.' Ill m. 8,3 f. Non Druck von 1500 vorerst ab. Wiewohl das aurum in uiridi quaeritis arbore) fehlt frei16. Jh. durch einen gewaltigen Aufschwung lich vorerst jede Untersuchung. Die Frage nach eigener oder vermittelter der Antike-Übersetzung gekennzeichnet ist, wurde weder eine neue B.-Übersetzung ver- Rezeption wäre in jedem einzelnen Falle zu sucht noch eine der älteren gedruckt oder stellen; in GOEBELS (1976) vergleichender Betrachtung zwischen —»· Hartmanns wiederaufgelegt. 'Armem Heinrich' und der 'Cons.', in 4. M i t t e l b a r e R e z e p t i o n Die 'Cons.' erlangte ihre breiteste und BURDACHS, PICKERINGS, SWINBURNES (1957) dabei tiefstgreifende Wirkung mit Modellen Annahmen zur Boethiusrezeption Johander Wirklichkeitsdeutung und Lebenslehre, nes' von Tepl, der nirgends direkt nach dem die seit der höfischen Epoche auch von der Wortlaut entlehnte, blieb sie noch außer volkssprachigen Literatur aufgenommen Acht. wurden. Im Zusammenhang der boethianiL i t e r a t u r . Monographische Darstellungen, Bibschen Instanzenhierarchie 'Gott - Provi- liographien, Allgemeines: MANITIUS, LG I 22-36; denz - Fatum - Fortuna - Mensch', die für M. SCHANZ/C. Hosius, Gesch. d. röm. Lit. IV 2,1920, die innere Ordnung des Geschehens vor- S. 148-166; E. K. RAND, Founders of the Middle Ages, nehmlich im höfischen Roman von maß- 1928, S. 135-180; H.R. PATCH, The Tradition of B., geblichem Belang scheint (PICKERING I, 1935;D.M.CAPPUYNS,in:DHGE9,1937,Sp.348-380; 1967, S. 15-17, 64-88), aber weit häufiger P. COURCELLE, Les lettres grecques en Occident, Paris 1948, S.258-312; M.L.W. LAISTNER, Thought and noch unabhängig von dieser ausdrück- Letters in Western Europe, 1957, S. 85-91; H. v. CAMlichen Einordnung etablierte sich seit dem PENHAUSEN, Lat. Kirchenväter, 1960, S. 223-251; F. späteren 12.Jh. (zuerst: ->'Straßburger STEGMÜLLER, in: LThK 2,1958, Sp. 554-556; E. DEKAlexander' v. 3416-3420) in allen Gattun- KERS (Hg.), Clavis Patrum Latinorum, 21961, Nr. gen die Vorstellung der Fortuna in der von 878-895; B. ALTANER, Patrologie, 61963, S. 447-150; B. ('Cons.' II 1-2) ausgehenden Bestim- M.M.T. KINARD, A study of B. and His Influence on

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Herzog Bogislaw X. von Pommern — Bogner, Hans

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FIDEL RÄDLE (I-II) F.J.WORSTBROCK(III)

Herzog Bogislaw X. von Pommern unternahm 1496/97 eine Pilgerreise nach Jerusalem (Juni bis Nov. 1497). Erhalten sind drei Briefe an seine Gemahlin Anna und der Vertrag über die Schiffspassage mit dem Patron Alvise Zorzi (Aloysio Giorgio; ed. KLEMPIN, s. MUELLER). Herausragendes Ereignis der Reise ist ein türkischer Überfall auf See; interessant ist die unterschiedliche Bewertung des persönlichen Einsatzes B.s gegenüber den siegreichen Türken und deren plötzlichen Kampfaufgabe (Kraftakt B.s, Wunder, Verhandlungsgeschick des Patrons) in den verschiedenen Berichten: deutsche: 1. von Martin Dalmar (Dalmert), Schreiber (vielleicht Schatzmeister) B.s; er nahm an der Reise teil und führte darüber Tagebuch (laut Überschrift bei KANTZOW und BÖHMER) ; - 2. von Hans ->Schürpff aus Luzern, der sich der Reisegesellschaft in Venedig anschloß; - 3. von einem Ungenannten (Kitzscher? LEPSZY, S. 94f.) in Sigmund Feyrabends Reyßbuch, Frankfurt a. Main 1584, Bl. 47-19,1609 Teil l, Bl. 87-90; lateinische: 4. von Dr. Johannes von Kitzscher (1501), in Italien humanistisch gebildet (Rektor der Universität Bologna), den B. auf der Rückreise als Orator für seine Regierung verpflichtete (wie auch Dr. Petrus von Ravenna), der aber an der Pilgerfahrt nicht teilgenommen hatte (Hausbuch des Joachim von Wedel, 1609, S. 21; BAUCH, S. 301); - 5. von Christianus Kahle (1554, nach RÖHRICHT, Bibl. Nr. 453);

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italienische: 6. Venetianische Akten aus den Tagebüchern des Marino Sanudo (1466 bis 1535; ed. u. übersetzt von MUELLER). Ungeklärt ist die Abhängigkeit der Berichte 1-5, selbständig dürften l und 2 sein; aber die hsl. Grundlage von l ist unsicher (s. BÖHMER, S. 293-300). Hss., D r u c k e , A u s g a b e n . Briefe, Vertrag: R. KLEMPIN, Diplomat. Beitr. z. Gesch. Pommerns aus d. Zeit Bogislafs X., 1859, S. 539-546. zu l: W. BÖHMER, Thomas Kantzow's Chron. v. Pommern in nd. Sprache..., Stettin 1835 (Nachdr. 1973); BÖHMER kennt 4 Hss. (S. 296f.), ohne sie zu beschreiben, und bringt im Anhang S.300-326 die Hs. aus der 'v.LoperschenBibl., welche im Besitze der Pomm. Gesellschaft zu Stettin ist', zum Abdruck: S. 293-300 nimmt er kritisch zu KANTZOW Stellung; dessen (offensichtliche) Bearbeitung erschien in: Pommeraniana, hg. v. H. G.L. KOSEGARTEN, Bd. 2, Greifswald 1817, S.226-265; diese bei BÖHMER, S. 143-149; über weitere Abdrucke s. RÖHRICHT, 1890. zu 4: Dr. Johannes de Kitzscher, Tragicomedia de iherosolomitana profectione Illustrissimi principis pomeriani..., Liptzk per Melchiar Lotter 1501 (ein Exemplar in der StB Bamberg); gedruckt auch: Stettini ad Odram 1594 (ein Exemplar in der ÜB Breslau); Hs.: München, clm 22104, 15. u. 16. Jh., f. 321ff. zu 5: Christianus Kahle, Historia de Profectione in Terram sanctam principis Bogislai X. ducis Pomerianiae, Wittembergae 1554. zu 6: J. MUELLER, Venetianische Aktenstücke z. Gesch. v. Herzog Bogislavs X. Reise in den Orient im Jahre 1497, Bait. Stud. 29 (1879) 167-298. Lite r a tu r. TOBLER, Bibliogr. geogr. Palaest., 1867, S. 61 f.; RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 514-517; Hausbuch d. Herrn Joachim von Wedel, hg. v. J. Freih. v. BOHLEN BOHLENDORFF (StLV 161), 1882; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 147 Nr. 453-454; G. BAUCH, Dr. Johann v. Kitzscher, Neues Arch. f. Sachs. Gesch. u. Altertumskunde 20 (1899) 286-321; RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 191-195; H. FREYTAG, Preuß. Jerusalempilger vom 14. bis 16. Jh., AKG 3, H. 2 (1905) 129-154, hier S. 143; W. STAMMLER, Von d. Mystik z. Barock, 1927, S. 168; H.J. LEPSZY, Die Reiseberichte d. MAs u. d. Reformationszeit, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 90 u. 94 f.

DIETRICH HUSCHENBETT Bogner, Hans Nürnberger Meistersinger des 15.Jh.s. Bogner, dessen Beruf nicht bekannt ist, wird erstmals in dem Dichterkatalog, in dem Konrad -> Nachtigall (gest. 1484/85) verstorbene Sangspruchdichter und Meistersinger aufzählt, genannt: Hans (La. Berlin,

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Boguslav von Lobkowitz und auf Hassistein - 'Böhmische Marienklage'

mgq 410, 301V: Veyt) Pogener l mit seinen spehen fünden (WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1311 Str. 4). Demnach ist er vor 1484/85 gestorben. Vielleicht ist der Meistersinger mit dem Hans Bogner identisch, der 1441 das Nürnberger Bürgerrecht erhielt (Amtsund Standbücher, Staatsarch. Nürnberg). B., der in den Quellen des 16. und 17. Jh.s häufig den Vornamen Veit führt, wurde anscheinend erst seit dem 17. Jh. unter die Zwölf Meister zu Nürnberg, die Begründer des Nürnberger Meistergesangs, gezählt. Er fehlt im Dichterkatalog des Hans Sachs von 1527 (gedr. B. NAGEL, Meistersang [Reclam 8977/78], 1965, S. 105-107) und in den Töneregistern, die A. DREYER, Analecta Germanica, Fs. H. Paul, 1906, S. 380-389 (16. Jh.) und F. STREINZ, Der Iglauer Meistergesang, 1958, S. 97-108 (1562) und 152-166 (1613) publiziert haben. Der Magdeburger Meistersinger Valentin Voigt (1487 - nach 1558) nennt ihn in der Vorrede zu seiner Hs.Jena,UB,El.fol. 100 (abgeschlossen 1558) außerhalb der Liste der Zwölf Nürnberger Meister, vgl. W.E. TENZEL, Monatl. Unterredungen 3 (1691) 931-935: hier 933 (der Abdruck ist an dieser Stelle fehlerhaft) und HMS 4, S. 962. An erster Stelle der Zwölf Nürnberger Meister steht B. in den Listen in Weimar, LB, Ms. Fol. 421, l, 12V (Ende 17. Jh.) und bei J.CH. WAGENSEIL, Buch v. d. Meister-Singer Holdseligen Kunst, in: De Civitate Noribergensi Commentatio, Altdorf 1697, S. 515 (Nachdr. hg. v. H. BRUNNER, 1975). Der Liste WAGENSEILS entnahm Richard Wagner den Namen.

Gedichte B.s sind anscheinend nicht erhalten. Sein Name ist im 16. und 17. Jh. mit einem einzigen Ton, der 19-reimigen Steigweise, verknüpft (die ungedr. Melodieüberlieferung verzeichnet R. STAIGER, Benedict von Watt, 1914, S. 82f.). Der Name dieses recht einfach gebauten Tons (repetierter Steg, 3. Stollen) ist wohl auf die Melodie zurückzuführen, die in den beiden ersten Verszeilen stetig ansteigt und dann ebenso gleichmäßig wieder abfällt.

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RICHT/MEISNER (Pilgerreisen, S. 577 Nr. 175) die neue Kopie in der fürstl. Lobkowitzschen Bibl. hergestellt wurde.

Ausgabe fehlt. Namen und Daten bei RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 181-183. Nach TRUHLÄR ist eine 'gut lesbare Kopie des verlorenen Originals im modernen Böhmisch im Jahre 1824 in CeskäVcela herausgegeben (Hauslik 625)' (identisch mit der oben genannten Kopie?). L i t e r a t u r . TOBLER, Bibliogr. geogr. Palaest., S. 60; RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 510f., 577 Nr. 175; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 143 Nr. 439; J. TRUHLÄR, Verzeichnis d. neugeordneten hsl. Cimilien d. K. K. ÜB in Prag (übers, v. B. Prusik), Mitt. d. österr. Ver.s f. Bibliothekswesen 6 (1902) 154 Nr. 44.

DIETRICH HUSCHENBETT Böhm, Hans -»'Niklashauser Fahrt' 'Böhmenschlacht' -> 'Schlacht bei Göllheim und verwandte Denkmäler' 'Böhmische Marienklage' Ü b e r l i e f e r u n g . Prag, Dombibl., Perg., 14.Jh. hinter einer Abschrift von Bruder -> Philipps 'Marienleben', nach Angaben von SCHÖNBACH. (Keine Bestätigung durch die Bibl.)

Die 'B.M.', ein ostmd. Text von 307 Versen, gehört zu einer Gruppe von Marienklagen, deren lat. Grundlage die Sequenz Planctus ante nescia (-»'Ältere niederrheinische Marienklage') bildet. Die daraus entwickelten mhd. Strophen (vgl. SCHÖNBACH, S. 2-5) finden sich zum größten Teil und im tradierten Wortlaut auch in der 'B. M.' Während aber die lat. Sequenz und ihr folgend die -+ 'Münchner Marienklage' monologische Klagen sind, hat die 'B. M.' HORST BRUNNER den Schritt zur dramatischen Form vollBoguslav (Johannes) von Lobkowitz und zogen. Maria, Johannes und Jesus werden sprechend eingeführt, wobei allerdings ein auf Hassistein langer Monolog der Maria (v. 59-218) im pilgerte 1493 mit Jetrich von Guttenstein Mittelpunkt steht. Diese Partie und das in der großen Reisegesellschaft von Kur- Folgende sind durch 112 wörtlich aus fürst -»Friedrich von Sachsen nach Jerusa- -»'Unserer Frauen Klage' übernommene lem und schrieb darüber einen Bericht. Verse erweitert worden. Dabei ist an einigen Stellen die Umarbeitung von monologischer Ü b e r l i e f e r u n g . Von dem um 1505 verfaßten zu dialogischer Form nachweisbar. Ferner Bericht gelangte eine Abschrift v. J. 1515 in 4° aus dem zeigt die 'B. M.' deutliche Beziehungen zum Augustinerkloster bei St. Wenzel in die öffentl. Bibl. zu Prag (XVII A 13, 180 Bll., Pap.), von der nach RÖH- -»'Egerer Passionsspiel'.

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Bole, Bernhard - Bollstatter, Konrad

L i t e r a t u r . A. SCHÖNBACH, Über d. Marienklagen, Graz 1874, S.55-62 (Ausg.) u. passim; G.SEEWALD, Die Marienklage im mlat. Schrifttum u. in d. germ. Literaturen d. MAs, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 51 f.

HANS EGGERS Boitzenburg ->· Jordan von B. Boldensele -> Wilhelm von B. Bole, Bernhard Fraterherr aus Herford, Prediger im Schwesternhaus zu Lübeck; wird in dem dortigen Memorienbuch als eindringlicher volkstümlicher Prediger gerühmt; gest. 1491. Von seinen Predigten ist nichts erhalten. L i t e r a t u r . A. FAHNE, Die Westfalen in Lübeck, 1855, S. 103; F. LANDMANN, Das Predigtwesen in Westfalen in d. letzten Zeit d. MAs, 1900, S. 59.

WOLFGANG STAMMLER t Bolff, Peter -> Wolf, P. Bolkenhain -> Martin von B. Boll -> Freitag zu B. Bollstatter, Konrad Nennt sich auch Konrad Müller, Molitor oder Mulitor, Konrad Schreiber von Öttingen und Konrad Lappleder von Deiningen. Geboren in den zwanziger Jahren des 15. Jh.s in Öttingen als Sohn des gräflich öttingischen Schreibers und Notars Konrad Müller, stand er wie sein Vater zunächst als Kanzlist im Dienst der Grafen von Öttingen; im 'Älteren öttingischen Lehenbuch' stehen Einträge von seiner Hand zu den Jahren 1446-52.1455-58 ist er in Höchstädt/Donau, 1458 auf dem Hohenrechberg nachweisbar, wie aus den Datierungen seiner Hss. hervorgeht. 1466 war er in Augsburg ansässig, wo er bis zu seinem vermutlichen Todesjahr 1482 ständig lebte. B. ist vor allem als produktiver Schreiber dt. Hss. bekannt, von denen 14 erhalten sind. Umfangreiche Kenntnisse der dt. Literatur erwarb er sich wohl in der Bibliothek der Grafen von Öttingen, die vor allem Werke der höfischen und der Helden-

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epik sowie Liedersammlungen enthielt (zwei Bücherverzeichnisse sind erhalten, hg. v. P. WEISSENBERGER, Fg. K. Schornbaum, 1950, S. 58-60; P. RUF, Mal. Bibliothekskataloge Deutschlands u. d. Schweiz 3, 1932, S. 159-161). Als Verfasser nennt sich B. selbst am Schluß eines kurzen Gedichts 'Vom Teufel und seinen acht Töchtern' (24 vv.); acht Laster werden als Töchter des Teufels aufgezählt, die dieser an acht verschiedene Stände verheiratet. Die dt. Prosavorlage ist in einer von B. geschriebenen Spruchsammlung erhalten (-* 'Bollstatters Spruchsammlung') ; ob sie ihm ebenfalls zuzuschreiben ist oder ob er sie nur in Reimverse umsetzte, ist nicht sicher. Möglicherweise gehören ihm auch noch weitere Sprüche der Sammlung an. Mehr Redaktor als Autor ist B. in seinen Losbuchbearbeitungen. In einzelne, der traditionellen Losbuchliteratur entnommene Texte der von ihm zusammengestellten Sammlung in München, cgm 312 setzt er Figuren aus der mal. dt. Dichtung ein; sie entstammen u.a. den Werken -> Wolf rams von Eschenbach, den Sagenkreisen um König Artus und um Dietrich von Bern, auch dt. Spruch- und Liederdichter treten auf. - In seine Abschrift der Augsburger Chronik des Sigismund -»Meisterlin schiebt B. Abschnitte aus anderen Chroniken und einen Passus aus dem Trojanischen Krieg nach der Fassung -»· Konrads von Würzburg ein. - Möglicherweise stammt von B. auch ein aus eigener Erfahrung verfaßter Ratgeber für Jerusalempilger. Ü b e r l i e f e r u n g . Ged.: Berlin, mgf 564, 54r; Prosafassung: London, Brit. Mus., Add. 16581, 186'; Losbücher: München, cgm 312; Meisterlin-Bearbeitung: München, cgm 213; Ratgeber für Pilger: München, cgm 735, 28r-30r. A u s g a b e n . Ged.: H. SCHMIDT-WARTENBERG, Journal of Germanic Philology 1 (1897) 249-251: Losbuch: Ein Losbuch K.B.s aus cgm 312 (Faks.), Komm, v. K. SCHNEIDER, 1973; Ratgeber für Pilger: hg. ebd. S. 31 f. L i t e r a t u r . P. JOACHIMSOHN, Alem. 22 (1894) 12-15,139-155; ders., Die humanist. Gesch.Schreibung in Deutschland I, 1895, S. 84-90; J. BOLTE, G. Wickrams Werke 4 (StLV 230), 1903, S. 309-336; H. LEHMANN-HAUPT, Schwab. Federzeichnungen, 1929,

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'Bollstatters Spruchsammlung'

S.110-127;K. SCHNEIDENS. 11-75;E.GRÜNENWALD, Das Älteste Lehenbuch der Grafschaft Öttingen, 1974, S. 74-81.

KARIN SCHNEIDER

'Bollstatters Spruchsammlung' Als 'das merkwürdigste Spruchbuch des 15. Jahrhunderts' bezeichnet EULING, 1905, S. 408 die Hs. London, Brit. Mus., Add. 16581, eine 1468/69 von Konrad ->Bollstatter wohl in Augsburg geschriebene Anthologie didaktischen Inhalts. Merkwürdig ist die Hs. deshalb, weil sie zwei literarhistorisch interessante Spruchsammlungen überliefert, die eine (Sammlung I) aus 129 Vierzeilern (133r-149r, 152r), die andere (Sammlung II) aus 206 Zweizeilern (156r-172v) bestehend. Die einzelnen Sprüche werden Gott, biblischen Propheten und Gestalten, Philosophen und Weisen, Kirchenvätern, mal. Dichtern und aus der Literatur bekannten Gestalten und schließlich auch zahlreichen Zeitgenossen und Bekannten des Sammlers in den Mund gelegt. Die charakteristischen und die literarhistorisch interessanten Namen verzeichnet PRIEBSCH, 1901, der für die l. Auflage des VL auch zu vielen Namen Einzelartikel mit diplomatischen Abdrucken der Sprüche verfaßte, obgleich kaum ein einziger Name literarische Eigentumsrechte beanspruchen darf. Einschlägige Artikel in 'VL (* = nicht von PRIEBSCH): 11; »17 Nr. 2; 158, 592f.; 610; 695; 698; II 2;55;60;75;167f.;240;304;327;331;333;368;388; 414; 422; 423; 472; 482; 487f.; 543; 557; 635; 637; V54;807;824;893f.;894;897;907f.;912;998;III79; 188;217;379f.;432;501;642;645;696;851;858;948; 949f.;1147;IV41;55;81;91;94;118;151f.;153;206; 219; 220; 222; 253; 253 f.; 276; 288; 306; 639; 837; 865; 870; 894. In der vorliegenden 2. Auflage erhalten nur die außerhalb der geschlossenen Sammlungen vorkommenden Namen einen Verweis oder, falls Autorschaft angenommen werden könnte, einen Artikel.

Ausgangspunkt und Vorbild für die beiden geschlossenen Sammlungen scheinen neben Bollstatters Losbüchern in München, cgm 312 die mehrfach in ähnlicher Aufmachung überlieferten Propheten-, Philosophen- und Väterdicta gewesen zu sein.

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Sammlung I, Nr. 1-21 und Nr. 22-44, sowie Sammlung II, Nr. 2-13, sind als selbständige Spruchsammlungen auch sonst zahlreich überliefert; s. dazu -> 'Autoritäten' (gereimt). Von I, Nr. 45 ff., stammt einiges aus -»Freidank, -»Hugos von Trimberg 'Renner', -» 'Cato' und Bollstatters Losbüchern; vieles ist einzeln auch sonst überliefert, vor allem die Priamelvierzeiler. Von den rund 200 weiteren Zweizeilern der Sammlung II stammen sehr viele aus Freidank (rund 90), der dt. Reimfassung der -> 'Documenta Aristotilis ad Alexandrum Magnum' (22), 'Cato' (20) und dem ->'Magezoge' (8); wiederum sind auch hier zahlreiche Sprüche einzeln überliefert und vielfach als Schreiberverse katalogisiert.

Die Zuschreibung der Namen scheint in beiden Sammlungen nach ungefähren hierarchischen und chronologischen Gesichtspunkten erfolgt zu sein. Soweit die Namen nicht schon mit den festen Spruchsammlungen verbunden waren, stammen sie aus Bollstatters Losbüchern, seinen literarischen Kenntnissen und seinem persönlichen Bekanntenkreis. Die jeweils gegen Ende beider Sammlungen auftretenden zeitgenössischen Namen, die sich zum Teil urkundlich identifizieren lassen, stammen alle aus dem schwäbischen Ries mit Öttingen im Mittelpunkt, also aus dem Umkreis von Bollstatters früherer Tätigkeit in der öttingischen Kanzlei. Neben diesen beiden umfangreichen geschlossenen Spruchsammlungen hat die Londoner Hs. Bl. 186r-191v eine weitere Gruppe unterschiedlich langer Reimsprüche, zum Teil wiederum mit charakteristischen Autorenangaben; unter den Namen Maister Conrat von Roggenveltt (IST], Doctor Spolaty (ISTMSS'), Maister Conratt Lappleder von Teyningen genant Bolstatter (188r/v, wohl Bolstatter selbst, der auch Bl. 143r über dem Spruch I 79 als Conrat Bolstatter uon Ötingen erscheint), Hainrich vonn Schillingßfürst (190r) und Johannes Horburger (191r/v) erscheinen ganz oder zum größten Teil aus Freidank kompilierte Spruchcentonen; Walther Veldtygel von Wallerstain (189 r/v ) werden 20 Verse, die meisten aus dem 'Renner' (v. 447-462 ed. EHRISMANN) in den Mund gelegt. Zum weiteren Inhalt der Hs. vgl. die Art. -»· Balderer, Simon, -»Gossenbrot, ->· 'Greisenklage', -> Heinrich von Rang, -*Irrfrid.

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Bömlin, Konrad

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Nürnberg, Stadtarch., Rep. 89, Nr. 320 (gedruckt bei VÖLKER, S. 141-143 und 146 bis 148). 3. Auffälligstes Kennzeichen der bisher unedierten Predigten und Traktate B.s ist ihre formale wie inhaltliche Abhängigkeit von den Schriften -»Marquards von Lindau: Der Traktat 'De anima Christi' erscheint als Ganzes übernommen als Teil II des dreiteiligen 'Gulden buch'; er ist des Boltzer -»Baltzer weiteren Vorlage für die Passionspredigt 'Inspice et fac', und schließlich beruht auf Bombach -»· Berthold von B. seinem 3. Teil die Predigt 'Vom Leiden Christi'. Dem I.Teil des 'Gulden buch' liegt Bömlin, Konrad 'De Nabuchodonosor' zugrunde. Größere 1. Leben. B. ist um 1380 wahrscheinlich Teile des Traktats 'Von der Berührung in Eßlingen geboren; er trat dort in das Gottes' sind 'De reparatione hominis' entFranziskanerkloster ein; 1406 wurde er nommen. RUH vermutet, daß B. auch die Mitglied des Thanner Konvents und 1409 Predigten Marquards gekannt und benutzt Guardian des Klosters in Schwäbisch Hall. hat. B. verwendet zudem dasselbe drei- und 1438 zum Provinzial gewählt, leitete er die sechsfache Gliederungsschema wie MarAlemania superior, die größte der drei dt. quard, in der Predigt 'Unus est magister Minoritenprovinzen, bis zu seinem Tode vester' und im 'Gulden buch' auch dessen am 26. 6. 1449. Meister-Jünger-Dialogform. Selbst Sprache 2. Werke. Das überlieferte CEvre B.s, das und theologische wie mystische Terminoloin den Jahren 1409 bis 1438 entstanden sein gie, die Anleihen von den Dominikanerwird, ist bescheiden. Mystikern macht, verrät die Nähe Mara) 47 lat. Adventspredigten: Luzern, Zen- quards. Die offenkundige Anlehnung B.s an tralbibl., cod. 47/4, lr-75r, v. J. 1409; Marquard von Lindau versteht VÖLKER als Koblenz, Staatsarch., cod. 251, lr-36r, v. J. Offenes Bekenntnis zum Werk seines Vor1457. gängers' (S. 177). Beide Franziskaner scheib) Unter dem knappen Dutzend dt. nen sich lediglich in ihrer pastoralen IntenPredigten, die B. heute zugeschrieben wer- tion zu unterscheiden: während Marquard den, ragen durch reichere Überlieferung stärker auf Unterweisung in den objektiven hervor: die Eucharistiepredigt 'Venite ad Heilswahrheiten abzielt, hebt B. eher auf die me omnes' (23 hsl. Zeugen: VÖLKER, persönliche Nachfolge des vorbildlichen S. 19-91) und die Passionspredigt'Inspice et Lebens Christi ab. Doch B. hat nicht nur aus fac' (5 Hss.: VÖLKER, S. 4-19). Marquards Schriften geschöpft: WARNOCK konnte für die Predigt 'Von der UnterZur Predigt 'Von den 6 Eigenschaften Gottes' ist zu ergänzen: Stuttgart, LB, cod. asc. H B 1207,116r-117v. scheidung der Geister' 'De quattuor instincDie in Straßburg gehaltene Fastenpredigt 'Unus est tibus' -»Heinrichs von Friemar als Hauptmagister vester, Christus', überliefert in Berlin, mgq quelle, der B. mehrere Kapitel wörtlich ent206,200V-207V, ist hg. von RUH, Franzisk. Schrifttum II nimmt, nachweisen. B.s literarische und (im Druck). theologische Selbständigkeit bleibt solange c) Zwei Traktate sind in jeweils 3 Hss. unbestimmbar, solange sein Verhältnis zu anonym überliefert: Das 'Gulden buch' und Marquard von Lindau und anderen theolo'Von der Berührung Gottes' (VÖLKER, gischen Schriftstellern nicht endgültig geS. 117-125). klärt ist - auch in seinen lat. Predigten. d) Eine 'Anweisung' an die Klarissen zu L i t e r a t u r . K. BREHM, Ein Haller Adventsprediger Oggelsbeuren und ein Brief an die Nürn- von 1409, Diözesanarch. von Schwaben 22 (1904) berger Klarissen sind erhalten in Stuttgart, 129-131; RUH, Bonav. dt., S. 56 f.; P.-G. VÖLKER, Diedt. Hauptstaatsarch., Nr. B. 482a, Nr. 4 bzw. Schr.n d. Franziskaners K.B., Teil I: Uberl. u. Unters.

L i t e r a t u r . R. PRIEBSCH, Dt. Hss. in England II, 1901, S. 147-158; K. EULING, Das Priamel bis Hans Rosenplüt (German. Abhh. 25), 1905, S. 329, 408; K. EULING (Hg.), Kleinere mhd. Erzählungen, Fabeln u. Lehrgedichte II. Die Wolfenbütteler Hs. 2. 4. Aug. 2° (DTM 14), 1908; D. WUTTKE, Die Histori Herculis (Beih. z. AKG 7), 1964, S. 27-29,170-174; K. SCHNEIDER, Ein Losbuch Konrad Bollstatters, 1973, S. 19, 4346 · KURT GÄRTNER

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Bonaventura

(MTU 8), 1964; G. STEER, German. Scholastikforschung III, Theologie u. Philosophie 48 (1973) 70-74; R. G. WARNOCK/A. ZUMKELLER (Hgg.), Der Traktat Heinrichs v. Friemar über d. Unterscheidung der Geister. Lat.-dt. Textausg. mit Unters., 1977 (im Druck).

GEORG STEER Bona, Elisabeth -»Kügelin, Konrad Bonaventura (Johannes Fidanza) 1. B. wurde 1221 zu Bagnorea in Mittelitalien geboren, trat 1243 oder 1244 in den Orden des hl. Franziskus ein, wurde zu Beginn der fünfziger Jahre Magister der Univ. Paris neben Thomas von Aquin, 1257 Generalminister des Ordens und 1273 Kardinal; er starb 1274 während des Konzils zu Lyon, wurde 1482 heiliggesprochen und 1488 zum 'Lehrer der Kirche' ernannt. B. ist der Hauptvertreter des hochmal. Augustinismus und einer christlichen Metaphysik, die das 'natürliche Sein im urbildlichen Geiste schaut' (Exemplarismus). GILSON hat sie als eine Metaphysik der Mystik charakterisiert, die großartigste, die je geschaffen wurde. In ihren Fundamenten auf Augustin, Dionysius Areopagita und den Viktorinern Hugo und Richard beruhend, ist sie trotz strengster Systematik durchdrungen von echt franziskanischer Glut und Innigkeit: Bonaventura ... sapientissimus in intellectu, piissimus in affectu (Joh. Ger son). Als Meister der Aszese setzt B. außer dem franziskanischen Frömmigkeitsideal vor allem die Tradition Bernhards von Clairvaux fort (Christus- und Passionsmystik). Die theologische Metaphysik B.s wurde zunächst von seinen Schülern Matthäus von Aquasparta, Johannes Peckham, Petrus Johannes Olivi, Richard von Middletown u.a. übernommen. Ins allgemeine Bewußtsein der abendländischen Christenheit ging B. jedoch erst seit dem ausgehenden 14. Jh. ein. Es erfolgte eine eigentliche B.-Renaissance, die ihren Höhepunkt in B.s Kanonisierung und Erhöhung zum Kirchenlehrer erreicht. So ist vor allem das 15. Jh. das Zeitalter einer umfassenden B.-Rezeption. An ihr hat das dt. Geistesleben maßgebenden Anteil. Vorzüglich in Deutschland und in den Niederlanden wurden B.s

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Schriften, besonders die mystisch-aszetischen und franziskanischen, verbreitet. Imponierend ist die Zahl der mhd., mnd. und mndl. Übertragungen und Bearbeitungen (s. 2.). Aber auch die deutschsprachige Predigt- und Traktatliteratur bezeugt die Wirkung B.s (s, 3). Schließlich vermittelte lat. Schrifttum in mannigfaltigen Traditionsströmen bonaventurianische Theologie und Frömmigkeit (s. 4.). 2. Die mhd., mnd. und mndl. Übertragungen und Bearbeitungen der Schriften B.s werden i. F. in der Ordnung der QuaracchiAusgabe angeführt. Gegenüber dem RUH, Bonav. dt., vorliegenden Bestand hat sich die Überlieferung nicht unbeträchtlich vermehrt. A. M y s t i s c h - a s z e t i s c h e S c h r i f t e n a) 'De t r i p l i c i via' (Ed. Quar. VIII 3-27). 1. Schwab. Übertragung um 1400 in München, cgm 353, 789, 4373, 4393, 7248 und Donaueschingen, cod. 356 (Neubearbeitung), hg. v. RUH, Bonav. dt., S.314-347, und ders., TspMA 6, 1957. 2. Alem. Übertragung von Ludwig -»Moser, MichaelFurter-Druck, Basel 1506/07, Bd. 2, Pl r bis T7r. 3. Alem. Bearbeitung (Exzerpt) in St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 965, S. 106-123. 4. Obd. Paraphrase in Berlin, mgq 164, 196r-239r; Freiburg, ÜB, cod. 253, 327V363r. 5. Mndl. Übers, in Gent, ÜB, Res. 5221, lr-35v. 6. Mndl. Exzerpt in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. II, 1278, 231vb-234va. Dazu kommen Einzelstücke, isoliert und in verschiedenen Kontexten: Prolog u. I, 2-9 in Mainz, StB, cod. 128, 162r-168r; I, 4-6 in Karlsruhe, LB, cod. Wonnental 13,112r bis 113V und im Traktat ->· 'Von dreierlei Abgründen'; II, 9-11 (6 Staffeln der Minne) in Schaffhausen, StB, Gen. 19, 26v-29r, in der Ignatius-Predigt —»· Hermanns von Fritzlar, F. PFEIFFER, Dt. Mystiker I, 1845, S. 79, 13 ff., in der Predigt hg. v. F. JOSTES, Meister Eckhart u. seine Jünger, 1895 (Neudruck RUH 1972), Anhang I, Nr. 2, S. 105,6 ff. und im mndl. Traktat 'Die gheestelike boem mit synen drien telghen', C.C. DE BRUIN (Hg.), Middelnederlands geestelijk Proza, 1940, Nr. 38, S. 92f.; III, 3 in München, ÜB, cod. 8° 48, 147r,175v.

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b) Das 'Soliloquium' (Ed. Quar. VIII 28-67) liegt in nicht weniger als 11 mhd. Übertragungen und 2 Bearbeitungen vor; keine davon hat eine größere Verbreitung gefunden - im Gegensatz zur mndl. Bearbeitung 'Van den vier oefeninghen' mit 25 Hss. Übersetzungen: 1. Rom, Bibl. Vat., Pal. lat. 396, 41rv-87ra. 2. Prag, Metropolitancapitel, cod. D 70, 3r-46r (Übertragung des Prager Subnotars Ulrich v. J. 1387). 3. München, cgm 435, lr-67r, Karlsruhe, LB, cod. Lichtenthal 65, lra-41rb. 4. München, cgm 453, 787, 4596, Graz, ÜB, cod. 1085, 362r-430v, Innsbruck, ÜB, cod. 623,123r bis 198r, Prag, ÜB, cod. XVI F 8, 283r-339v. 5. München, cgm 6552, 147r-196v. 6. München, cgm 4592, lr-152v. 7. St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 973, S. 496-714; Donaueschingen, cod. B III 8, lr-117r, Leipzig, StB, cod. CCXI (Rep. II. 8. 157a), 2r-73r. 8. MichaelFurter-Druck, Basel 1506/1507, Bd. l, aalr-kk5r (Übertragung von Ludwig ->Moser). 9. Heidelberg, cpg 630, lr-10v, 20r-121v. 10. Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 21959, l v ^l r , Klosterneuburg, Stiftsbibl, cod. 585, 47ra-71va, Wien, cod. 2956 [Rec. 2187], 77r-91r. 11. Prag, ÜB, cod. XVI Fl,291r-383r. 12. (nd.) Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl., cod. Helmstedt 1136, 39r-47v/ 25r-38v (Cap. I, Anfg. c. II, bricht frgm. ab). 13. Utrechter Druck (GW 4994). Mndl. Teilstücke: s. P. JULIUS, Leuv. Bijdr. 54 (1965) 14; P. MAXIMILIANUS, Franciscaans Leven 42 (1959) 190. - Nr. l, 2 und 10 gehören noch dem 14. Jh. an, die übrigen dem 15. Jh. Freie Bearbeitungen: 1. Alemannische ('Buch der inbildung des ewigen lebens'): Zürich, Zentralbibl., cod. A 130,155r-188v, Stuttgart, LB, cod. theol. et phil. 4° 503, 60r-84r, Wien, cod. 3017,74r-106r. 2. Oberdeutsche (als Betrachtungen zu einzelnen Wochentagen): Berlin, mgo 369, lr-67r. 3. 'Van den vier oefeninghen' (ndl. mit nd. u. rip. Ausläufern) in 25 Hss. und 9 Wiegendrucken (GW 4695-4703); nicht in RUH, Bonav. dt., S. 141-155: Berlin, mgo 329, 284r-348r, Bielefeld, Altstädter Kirche, cod. A 4, 48r-249r, Breslau, ÜB, cod. IV D 5, 50r-125r, Brüssel, Kgl. Bibl., cod. II 3811, 130r-195v, Oxford, Keble-College, cod. 77, 115r-209v; dazu Teilstücke, s. J. DES-

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CHAMPS, Koninklijke Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis, Handelingen 17 (1963) 166. c) 'Lignum vitae' (Ed. Quar. VIII 68-87). Die bedeutendste mhd. Bearbeitung liegt in einer mystischen Exegese zu den einzelnen Versen des 'Lignum vitae'-Gedichts vor, die jeweils den dazugehörigen Abschnitt des Traktats mitübersetzt. Überlieferung: Freiburg, ÜB, cod. 193, 2r-308r, Bamberg, SB, cod. B V 43 (Patr. 58), lr-388v, St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 989, S. lla-542a, Straßburg, Bibl. Nat. et Univ., cod. L germ. 395, lr-301v, Karlsruhe, LB, cod. Wonnental 14. Auf Grund einer Nennung in letzterer Hs. vermutet K. HANNEMANN als Autor Heinrich ->Bumann, Kaplan und Leutpriester in Mühlhausen. Da die Karlsruher Hs. den Text nur partiell und in neuer Gebrauchsfunktion bietet, bleibt die Autorschaft Bumanns fragwürdig. - Textprobe in: RUH, Franzisk. Schrifttum I 287-298. Die übrige Verwendung des 'Lignum vitae' im hochdt. Raum ist punktuell: Bamberg, SB, cod. Ed. VIII 6 (Lit. 178), 196r-199r (Prolog u. Gedicht), Freiburg, ÜB, cod. 253, 20r-24r (12 Früchte des Leidens), München, cgm 836, 121r-122v (Gedicht lat. u. dt.), Salzburg, St.Peter, cod. b VI 5, 194r-216v (kürzende Übertragung); ebd., cod. b VI 15, 222r-225v (Christus als Lebensbaum im Rahmen eines mystischen Traktats: s. W. HÖVER, Theologia Mystica in altbair. Übertragung [MTU 36], 1971, S. 44 u. 234); Nürnberger Einblattdruck 417 (GW 4665) (Auszug). Eine vollständige und sprachlich hervorragende vlämische Übertragung des 14. Jh.s wurde früher irrtümlicherweise Vranke Callaert zugeschrieben, ist indes nach C.C. DE BRUIN dem Bijbelvertaler van 1360 zuzuschreiben (DE BRUIN, Bespiegelingen over de Bijbelvertaler van 1360, Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 48 [1967] 58f.). Bester Textzeuge Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 15087/90 v. J. 1386 aus Groenendaal. -Eine davon unabhängige ndl. Übertragung scheint in Goslar, Kulturgeschichtl. Sammlung der Familie Adam, cod. 674, 87 r ff. vorzuliegen. d) 'De q u i n q u e f e s t i v i t a t i b u s p u e r i

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lesu' (Ed. Quar. VIII 88-98). - Verschiedene Übertragungen und Bearbeitungen: 1. Bair. Übertragung: München, cgm 750, 252v-275r; Nürnberg, StB, Cent. VI 53, 25r-43r. 2. Schwab. Übertragung: Tübingen, ÜB, cod. Md. 113, lr-42r (c. II gedr. RUH, Franzisk. Schrifttum I 272-279). 3. Alem. Übertragung des Ludwig -»Moser, Michael-Furter-Druck, Basel 1506/07, Bd. 2, Al r -D6 r ; die Vorrede davon auf dem Vorderdeckelbl. Salzburg, St. Peter, cod. b III12. 4. Obd. Paraphrase: Berlin, mgq 164, 95V-113V. Freiburg, ÜB, cod. 253, 275r bis 296V. 5. Weihnachtspredigt mitFestivitates I u. II: München, cgm 263, 109ra-lllra, Salzburg, St. Peter, cod. b VI 15, 183v-190r (HÖVER [s. o. c)], S. 43, 216f.). 6. Nd. Bearbeitung: Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 704, lr-70v. e) 'De p e r f e c t i o n e vitae ad sorores' (Ed. Quar. VIII107-127): Mndl. Übertragung in Leiden, ÜB, Lett. 332, lr-54r. f) Die 'Vitis mystica' (Ed. Quar. VIII 159-229), vielfach -»Bernhard von Clairvaux zugeschrieben (PL 184, Sp. 635-740), ist hauptsächlich im Niederländischen volkssprachlich tradiert worden: 1. Übertragung nach dem (längeren) 'Bernhard'Text in Den Haag, Kgl. Bibl., cod. 73 H 3, lr-161r und 3 weiteren Hss. (Run, Bonav. dt., S. 183ff.). 2. 'Een ghenoechlyc hoveken der devoter zielen' in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. II756 u. Amsterdam, ÜB, cod. l F 11 (s. A. AMPE, OGE 30 [1956] 44). 3. 'Van der meechdeliker reynicheit' in Amsterdam, ÜB, cod. I F 51, 233v-269r (s. R. LIEVENS, OGE 40 [1966] 425). 4. 'Dat boeck der lelien' in Berlin, mgq 1092,151r-191v, 1097, 153r-192v, Den Haag, Kgl. Bibl., cod. 72 J 26, f. 1-77, Köln, Hist. Arch., cod. W 2° 266, 227ra-252ra. 5. 'Vanden hemelschen wijngaert', Postinkunabeldruck Antwerpen (s. A. AMPE, OGE 34 [1960] 51 Anm. 19). Auf 'Vitis mystica' c. 18 ff. beruht ->· 'Die Lilie' und —> 'Die Rede von den 15 Graden'. B. Theologische S c h r i f t e n a) B.s Sentenzenkommentar (Lib. Ill, dist. 34 u. 35) bildet die Grundlage der Lehre von den 'Sieben Gaben des Hl. Geistes' in Berlin, mgq 164,141V-195V und Freiburg, ÜB, cod. 253, 297r-327r. Textprobe in RUH, Franzisk. Schrifttum I 192-196.

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b ) ' I t i n e r a r i u m m e n t i s i n D e u m ' (Ed. Quar. V 293-316). 1. Vollst. Übertragung Ludwig —»Mosers, Michael-Furter-Druck, Basel 1506/07, Bd. 2, E lr-M 4 V ; c. 5, gedr. RUH, Bonav. dt., S. 305-313, c. 7 RUH, Franzisk. Schrifttum I 214-220. 2. Altbair. Übertragung in München, cgm 778, 134r-140v (Text A) und Salzburg, St. Peter, cod. b VI 15, 335v-348r (Text B), hg. v. W. HÖVER, Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum nach zwei Frgm.n aus Tegernsee in altbair. Übertragung (WPM 8), 1970. 3. Sehr freie Kommentierung in Güssing (Burgenland), Franzisk. Kloster, cod. 1/41, 83r-104r (endet frgm.). 4. Kommentierung in einer Predigtreihe des Martinus van Turnhout (t 1540) (s. A. AMPE, OGE 21 [1947] 388). C. F r a n z i s k a n i s c h e S c h r i f t e n a) 'Regula n o v i t i o r u m ' (Ed. Quar. VIII 475^90). 1. Übersetzung des Conrad -> Nater, Vizeguardian des Franziskanerklosters Lentzfried (bei Kempten) v. J. 1498 nach dem Johann-Zainer-Druck Ulm 1473 (HAIN 429) in Kaufbeuren, Franziskanerinnenkloster, Lit. l (Hauptstaatsarch. München), 19r-48v und St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 973, S. 15-107; c. II u. XVI hg. v. RUH, Franzisk. Schrifttum I 130-139. 2. Mndl. Übertragung in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. IV 269, 175r-196v. Die 6 Merkpunkte des Schlußzusatzes der Ed. Vaticana (Ed. Quaracchi VIII, S. 490, Note 6) in Innsbruck, ÜB, cod. 623, 81V-82V; München, ÜB, Ms. 8° 278, 226v-229r, mndl. in Weert, Minderbroederkloster, cod. 10, 138V-139T (gedr. RUH, Bonav. dt., S. 253). 4. Auszug in Nürnberg, StB, Cent. VII, 29, 91V-100V. b) 'Apologia p a u p e r u m ' (Ed. Quar. VIII 233-330). cap. 12, n. 20 in Luzern, Zentralbibl, K.B. cod. 11, 35V-36V, Würzburg, ÜB, Ms. p. th. 12° 4, 89r-91r. c) 'Epistola c o n t i n e n s v i g i n t i quinque m e m o r i a l i a ' (Ed. Quar. VIII 491^98). 1. Alem. Übertragung in St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 1859, S. 239-289, hg. v. RUH, Bonav. dt., S. 348-361. 2. Bair. Übertragung in Vorau, Stiftsbibl., cod. 178, 183vb-191r. 3. Druckausgabe S[peyer], C[onrad] Hist (GW 4660) um 1498. 4. Obd. Bearbeitung in Berlin, mgo 574, 81V-104V in

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München, cgm 6940, 330ra-336rb. 5. Die 'Memorialia specialia' in Graz, UB, cod. 1085, 285r-287r. 6. Mndl. Übersetzung in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 19550,462vlM68vb. 7. Mndl. Auszug, puenten, in Brüssel, Kgl. Bibl., cod. 4510/11 und 4 weiteren Hss., unkrit. hg. v. Fr. ST. SCHOUTENS, Indica mihi, Hs. der xve eew in het licht gegeven, Hoochstraten 1906, S. 173-183. d) 'Legenda maior S. Francisci' (Ed. Quar. VIII504-564). 1. Mndl. Übertragung in 39 Hss. und l Druck (Antwerpen 1491, GW 4664), entstanden um 1400. Die ältesten Textzeugen sind Weert, Minderbroederklooster, cod. 4 und Den Haag, cod. XXVI der Kon. Ned. Akad. v. Wetenschappen. Die Übertragung steht im engen Zusammenhang mit den -> 'Franziskanischen Traktaten'. Ausläufer der Überlieferung reichen ins nd. und mfrk. Sprachgebiet. Unkrit. Ausg. v. SCHOUTENS, Sente Franciscus leven, Aalst 1903. 2. Obd. Übertragung in 22 Hss. überliefert, u. a. Berlin, mgq 866, Bamberg, SB, cod. E VII 56 (hist. 161), München, cgm 65 (überarbeitet nach lat. Fassung) ,218,387,5730,8121 (gekürzt). 3. Alem. Übertragung in London, Brit. Mus., cod. Add. 15710, hg. von D. BRETTEVANS, B.s Legenda Sancti Francisci in d. Übers, der Sibilla v. Bondorf (TspMA 12), 1960; dazu RUH, PBB 85 (Tüb. 1963) 273-279, wo der Nachweis geführt wird, daß -»Sibilla von Bondorf nicht Übersetzerin der 'Leg. mai.' sein kann; zu erwägen ist indes -* Konrad von Bondorf als Übersetzer. 4. Obd. Druckausg. Nürnberg, Hieronymus Höltzel 1512. 5. Mfrk. Übertragung in Straßburg, UB u. LB, cod. L germ. 180. 6. Mnd. Übertragung in Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 761, -137 . 7. Bearbeitung in München, cgm 5158, 7316, Würzburg, Franzisk. Kloster, cod. 166 u. 184. 8. Kompilatorisch verwertet im ndl. Druck 'Wijngaert van sinte Franciscus', Antwerpen 1518, 48ra-145ra. Die älteste volkssprachliche Gestalt der 'Legenda maior' liegt in Jacobs von Maerlant Verslegende um 1280 vor: 'Sinte Franciscus leven', hg. von P. MAXIMILIANUS OFMCap. (Zwolse drukken en herdrukken 7), 1954. e) Die 'Legenda m i n o r S. Francis-

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ci' (Ed. Quar. VIII 565-579), zum Chorgebrauch bestimmt, erscheint nur im Rahmen der mndl. -»· 'Franziskanischen Traktate', hg. v. P. MAXIMILIANUS, Een middelnederlandse vertaling van de Legenda Minor van S. Bonaventura, Franciscaans Leven 42 (1959) 115-123, 152-157 mit vollständigem Verzeichnis der 23 Hss. S. 115 f. Die Überlieferung hat Ausläufer ins Nd. und Mfrk. D. Von den B. zu Unrecht zugeschriebenen Schriften haben besonders die -* 'Meditationes vitae Christi' und der -> 'Stimulus amoris' eine breite dt. und ndl. Rezeption. Die 'Meditationes' mündeten in groß angelegte Nachfolgewerke, mndl. mit nd. und hd. Ausläufern im -»'BonaventuraLudolphiaanse Leven van Jezus' und in -> Ludolfs von Sachsen 'Vita Christi'; s. die Übersicht RUH, Bonav. dt., S. 269ff.; Textprobe einer alem. Übertragung: RUH, Franzisk. Schrifttum I 280-286. Der 'Stimulus amoris', in der ursprünglichen kürzeren Form Jakobus von Mailand zugeschrieben, ist in der Übertragung des —»Johann von Neumarkt am verbreitetsten; die Übersicht RUH, Bonav. dt., S. 272ff. stellt sich heute sehr viel breiter dar; Textprobe der Fassung E mit 63 Kapiteln in RUH, Franzisk. Schrifttum I 299-309. Vorzüglich mndl. verbreitet ist das 'Psalterium beatae Mariae Virginis', B. und ->Bernhard von Clairvaux zugeschrieben; s. GW 4061-63, 4798-99, P.A. STROICK, OGE 8 (1934) 111-115, P. MAXIMILIANUS, Franciscaans Leven 44 (1961) 121-124, P. JULIUS, Leuv. Bijdr. 54 (1965) 15, R. LIEVENS, Middelnederlandse Hss. in OostEuropa, Gent 1963, S. 83. Das 'Speculum disciplinae' (Ed. Quar. VIII 583-614), jetzt -»Bernardus a Bessa, einem 'Begleiter und Gefährten B.s', zugeschrieben (s. Einleitung z. Ausg. S. XCVb) überliefert der Melcher-Lotter-Druck, Leipzig 1510. Zahlreich sind unbestimmbare Dicta und Gebete. Über das 'Speculum Beatae Mariae Virginis' -> Konrad von Sachsen, 'De septem itineribus aeternitatis' -» Rudolf von Biberach, 'De septem gradibus contemplationis' -> Thomas Gallus (Vercellensis), 'De philomena' John -»Peckham.

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Die skizzierte Überlieferung zeigt, daß das ganze dt. und ndl. Sprachgebiet an der Rezeption der Schriften B.s beteiligt ist. Deutliche Schwerpunkte bilden der ndl. und obd. Raum. Der größere Teil ist anonym überliefert; auch sind nur wenige Übersetzer und Bearbeiter mit Namen genannt. Die Hauptmasse der Übertragungen fällt ins 15. Jh., die frühesten gehören der 2. Hälfte des 14. Jh.s an und fallen mit der beginnenden B.-Renaissance zusammen. Ein weiteres Charakteristikum der B.-Rezeption besteht darin, daß sie (wenn wir von der Franziskus-Legende absehen) keineswegs ausgesprochen franziskanisch ist: das gilt im Blick auf die Übersetzer wie auf die hsl. Überlieferung. 3. Den dt. Zeitgenossen B.s, -»David von Augsburg, -»Berthold von Regensburg, -* Lamprecht von Regensburg, war B. noch nicht näher bekannt. Eine Generation später, um 1300, vermittelt -> Bertram von Ahlen kommentierend und erweiternd das 'Itinerarium' in seiner Schrift 'De investigatione Creator is per creaturas'. Sodann führen Fäden von B. zur dt. Mystik der Dominikaner. -»Seuse verwertet das 'Itinerarium' im spekulativen Teil seiner 'Vita' (c. 51); daß Meister ->· Eckhart B. gekannt hat, legen Doktrin und Terminologie nahe, ist jedoch schwierig nachzuweisen. Von den Franziskanern des 14. Jh.s zitieren und benutzen die aszetisch-mystischen Schriften B.s -> Otto von Passau und -»Marquard von Lindau. Im 15. Jh. gehört B. zu den beliebtesten und meistzitierten Lehrern deutschschreibender Autoren (s. bes. Konrad —»Bömlin, Johannes —> Freytag, Johannes -»Pauli). B.s Gnadenlehre vermittelt der kleine anonyme Traktat 'Von der gnaud gottes' (s. STEER, S. 28f., ed. S. 122 bis 125). Am schönsten ist die Wirkung B.s im ndl. Kulturkreis zu beobachten, zumal im Umkreis der Devotio moderna (-> Thomas von Kempen, Florens Radewijn, Gerhard -»Zerbolt van Zutphen, Johannes -»Mauburnus); B., besonders durch 'De triplici via' und das 'Soliloquium', hat bestimmenden Anteil an der in diesem Kreise sich ausbildenden 'methodischen Meditation': sie wird später für die spanische

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Mystik der Gegenreformation (Exerzitienbüchlein des Ignatius von Loyola) bedeutsam. B.s Christusfrömmigkeit und Passionsmystik ('Lignum vitae', 'Vitis mystica'; ferner die Pseudoschriften 'Meditationes vitae Christi' und 'Stimulus amoris') formte auch in entscheidender Weise die dt. Passionspredigt, Passionsmeditationen und -historien. 4. Unter den lat. schreibenden Vermittlern der mystischen Theologie B.s spielt Johannes -»Gerson (1363-1429, Kanzler der Univ. Paris) die bedeutsamste Rolle. Er hat nicht nur B.s Schriften weitgehend rezipiert, sondern immer wieder in begeisterten Worten das Lob des seraphischen Lehrers verkündet (u.a. in der 'Epistola laudans mellifluam et igneam D. Bonaventurae doctrinam'). Wichtig ist sodann der Anteil des Kartäuserordens an der Aufnahme B.s ins dt. Geistesleben: Nikolaus -»Kempf in seiner 'Theologia mystica', -»Vinzenz von Aggsbach in der Verteidigung seines mystischen Voluntarismus, aber auch sein Gegner, der Benediktiner -> Bernhard von Waging berufen sich auf B.; der Karthäuser Ludwig Moser übersetzte dessen Opuscula' (s. o.); auch Ludolf von Sachsen und —> Dionysius der Karthäuser vermittelten bonaventurianischeFrömmigkeitundTheologie. L i t e r a t u r . Bibliographie bei GILSON und ÜBERWEG/GEYER, Philosophie, S. 735-738; J.-G. BOUGEROL, Lcxique Saint Bonaventure, 1969 [theol. Begriffe]; Krit. Gesamtausg.: Opera omnia... edita studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura ... (Quaracchi) 1882-1902; Decem Opuscula ad theologiam mysticam spectantia, Quaracchi 41949; Selecta pro instruendis fratribus Ord. Min. Scripta S. Bonaventurae, Quaracchi 31942. - E. GILSON, La philosophic de Saint B., 2 1943 (grundlegende B.-Monographie); dt. Übertragung der 1. Aufl. von PH. BÖHMER, 1929; P.E. LONGPRE, La theologie mystique de Saint B., AFH 14 (1921) 36-108 (beste Darstellung der Mystik B.s); ders., Diet. Spir. I 1768-1856; R. GUARDINI, Systembildende Elemente in der Theologie B.s (Studia et Documenta Franciscana 3), 1964. - P.B. KRUITWAGEN, De middelnederlandsche handschriften over het leven van Sint Franciscus en zijn eerste gezellen, De Katholiek 128 (1905) 151-191; P. SYMPHORIEN, L'influence spirituelle de Saint B. et l'Imitation de Jesus Christ, Etudes Franciscaines 33 (1914/21) 36 ff.; 235 ff.; 344 ff.; 433 ff.;

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Boner

34 (1922) 23ff.; 158ff.; 35 (1923) 279ff.; 356ff.; H. GLEUNES, Der hl. B. u. d. Imitatio Christi, Franzisk. Stud. 15 (1928) 294-315;M.GRABMANN,Der Einfluß d. hl. B. auf d. Theologie u. Frömmigkeit d. dt. MAs, Zs. f. Aszese u. Mystik 19 (1944) 19-27; S. GLASEN/]. VAN GURP, Nachbonaventurianische Franziskusquellen in ndl. u. dt. Hss. d. MAs, AFH 49 (1956) 434-482; A. RAYES SJ, Gerard Zerbolt de Zutphen et S. Bonaventure. Dependences litteraires, in: L. REYPENSAlbum, 1964, S. 323-356; G. STEER, Scholast. Gnadenlehre in mhd. Sprache (MTU 14), 1966; RUH, Bonav. dt.; ders., Franzisk. Schrifttum I; I. VANDERHEYDEN (Hg.),B. Stud, zu seiner Wirkungsgesch. (Franzisk. Forschungen 28), 1976; darin bes. G. STEER, Die Rezeption d. theol. B.-Schrifttums im dt. SpätMA, S. 146-156.

K. RUH

'Bonaventura-Ludolphiaanse Leven van Jesus' -»· Ludolf von Sachsen Bondorff -> Konrad von B. -> Sibilla von B. Boner 1. Der Verfasser des 'Edelstein' nennt sich in Prolog (v. 39) und Epilog (v. 45) seiner Fabelsammlung selbst als Bonerius. Er widmet sie einem —»Johann von Ringgenberg (Prolog, v. 44). Die Freiherren von Ringgenberg hatten ihren Sitz im Berner Oberland und waren durch vielfache verwandtschaftliche und politische Beziehungen mit der Stadt Bern verbunden. Das legt die Annahme nahe, der Fabeldichter Bonerius sei unter den Angehörigen des in Bern und seiner Umgebung bezeugten Handwerker- und Bauerngeschlechtes der Boner zu suchen (STÜRLER); Berner Dialekteigenheiten in der Sprache des Bonerius bestätigen diese Lokalisierung (BALSIGER). Die genauere Eingrenzung geht von den Lebensdaten des Johann von Ringgenberg aus. Mit ihm wird nicht der früh verstorbene Johannes II. (urk. 1333-1347) gemeint sein, der öffentlich kaum in Erscheinung trat, sondern sein Vater, Johannes I. (urk. 1291-1350), der selbst als Spruchdichter hervorgetreten ist (—»'Heidelberger Liederhs. C', Nr. 62, gedr. BARTSCH, SM, S. 371-380) und in der Politik als Gegenspieler und zeitweiliger Verbündeter Berns eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Während der Schaffenszeit Johanns I. wird in Bern ein brüder vlrich boner der bredigeren ordens mehrfach in Urkunden

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genannt: a. 1324, 1327, 1349, 1350 (Fontes, rerum Bernensium 5,1890, Nr. 349 und 500; ebd. 7,1893, Nr. 429 und 554. Faksimilia bei BLASER, Tafel 1-4). Mit dem schon 1295 als Bürgervertreter im Rat der 200 bezeugten Ulrich B. (Fontes rerum Bernensium 3,1880, Nr. 612) wird er kaum identisch sein (anders VOLLRATH, S. 26). Für den Dominikaner Ulrich B. als Verfasser des 'Edelsteins' spricht nicht nur die Parallelität der Lebensdaten zu Johann I. von Ringgenberg; ihm wären auch die Sprach- und Literaturkenntnisse zuzutrauen, über die der Fabeldichter verfügt haben muß. Wenn die Widmung im Epilog den Tod Johanns I. voraussetzt (LEITZMANN, dagegen GOTTSCHICK, 1910, S. 107-112), kann die Sammlung erst nach 1350/51 abgeschlossen sein. Versuche zur genaueren Bestimmung der Abfassungszeit (VOLLRATH, S. 13-27, danach SCHÜTZE, S. 29) anhand von angeblichen Entlehnungen aus ->· Konrad von Ammenhausen (1337) oder mit Hilfe des zuerst für 1339 erwähnten städtischen Amtes des heimlichers (B. 9, v. 40) führen wegen der mangelnden Eindeutigkeit der Belege über Vermutungen nicht hinaus. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Bekannt sind 32 hsl. Textzeugen (4 davon sind verbrannt bzw. verloren, darunter die von BREITINGER abgedruckte Zürcher Hs., die vermutlich älteste überhaupt): vollständigste Übersicht bei FOUQUET, S. 11; nachzutragen: Donaueschingen, cod. AIII. 53 (Frgm.); Fulda, LB, cod. Aa 110 fol., 137r: Fabel 32 (vgl. PH. STRAUCH, ZfdA 31 [1887] 291 f.); Karlsruhe, LB, cod. Ettenheimmünster 30, -108 ; Ettenheimmünster 37, 84r-237r; Wernigerode, Stollbergische Bibl., cod. Zb. 4m, 135v-137y: Fabel 57 u. 82 (ed. J. ZACHER, ZfdPh 11 [1880] 336-343). Dazu kommen noch die beiden frühen Bamberger Inkunabelauflagen (Albrecht Pfister, 1461 [Faks. hg. v. D. FOUQUET, 1972], ebd., ca. 1463/64 [Faks. hg. v. P. KRISTELLER, 1908]).

Die Überlieferung ist im Fabelbestand auffallend unfest. Das gilt nicht nur für die Hss., die Einzelfabeln als Streugut überliefern, sondern auch für solche, die die Sammlung als geschlossenes Corpus darbieten. Es zeichnen sich Überlieferungskomplexe ab, die nach ihrer Vollständigkeit unterschieden sind (PFEIFFER: Kl. I = 100Fabeln, Kl. II = 90 Fabeln ohne Vorrede; Kl. III = 84 Fabeln ohne Vor- und Schlußrede). Ob dies

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Boner

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Schlußfabel und mit Pro- und Epilog die Vorstellung der Sammlung und die Beschreibung ihres Zieles übernehmen: die Vermittlung von kluogkeit mit Hilfe des von Gott geschaffenen Spiegels der Natur. Die Beispielhaftigkeit aller kreatur eröffnet die Möglichkeit, auch im unscheinbaren Gewände der Fabel zur Liebe zu Gott zu führen. 5. Die in den Rahmenteilen formulierte geistliche Intention ist im einzelnen nicht immer konsequent durchgeführt. Die der tradierten Fabel eigene Demonstration von moralisch indifferenten Erfahrungssätzen und Klugheitsregeln hat B. in den meisten Fällen ebenso unangetastet gelassen wie den Bestätigungsmechanismus, der auf den Nachweis der Nützlichkeit von Verhaltens3. A u s g a b e n . Erste ausführliche Beispiele bei J.G. weisen abzielt und die moralische Qualität SCHERZ, Philosophiae moralis germanorum medii aevi nicht beachtet. Hingegen nützt B. diesen specimina 1-XI, Straßburg 1704-1710 (51 Fabeln). Mechanismus immer wieder dafür, das Erste Gesamtausg.: [J.J. BREITINGER,] Fabeln aus d. Zeiten d. Minnesinger, Zürich 1757. Mit Varianten: Gute zugleich auch als das Nützliche zu erJ.J. ESCHENBURG, B.s Edelstein in hundert Fabeln, weisen ; nur dort, wo der Fabelablauf allzu Berlin 1810. Krit. Ausg.n G.F. BENECKE, Der Edelstein, deutlich als nützlich propagiert, was nicht getichtet von Bonerius, Berlin 1816; F. PFEIFFER, Der als gut gelten darf, leistet er sich den HinEdelstein von U.B., Leipzig 1844 (zit.). weis auf die Vorläufigkeit irdischer Erfolge. Die gleichfalls in dem überlieferten Vor4. Der 'Edelstein' ist die erste als geschlossene Sammlung angelegte und von rat äsopischer Fabeln angelegte Interpreeinem Autor verantwortete 'Gesamtaus- tation gesellschaftlicher Verhältnisse, insbegabe' äsopischer Fabeln in hd. Sprache. Ihm sondere die Ratschläge zum richtigen Verliegen - das hat zuerst LESSING (1781) er- halten im Konflikt zwischen Mächtigen und kannt (s. u. 7) -die beiden maßgebenden lat. Schwachen, übernimmt B. mit behutsamen Fabelcorpora des MAs zugrunde: der sog. Modifikationen, die die Privatisierung ob'Anonymus Neveleti' (gedr. W. FOERSTER, jektiver Ordnungsstrukturen zum Ziele Lyoner Yzopet, 1882, S. 97-137) im wesent- haben (anders VOLLRATH, SCHÜTZE) : richlichen für den größeren ersten Abschnitt tig handelt auch bei ihm, wer die gegebenen (1-62) und Avian (gedr. A. GUAGLIANONE, Verhältnisse akzeptiert und sich ihnen mit Turin 1958) für den zweiten (63-91). Diesen Klugheit anpaßt. Auffallend engagiert widGrundstock ergänzt B. durch moralisierte met er sich hingegen dem Thema der FreiKurzerzählungen, zu denen sich Parallelen heit, vermutlich als Reflex auf die politiv. a. in den verbreiteten Exempelsammlun- schen Bewegungen in seiner Heimat, bes. gen ('Alphabetum Narrationum', Etienne auch auf die Hegemonialbestrebungen der de Bourbon, Jakob von Vitry, Petrus Alfon- Stadt Bern und die bedrohte Situation seines sus) nachweisen lassen (Übersicht bei GRUB- Gönners Johann von Ringgenberg. MÜLLER, Meister Esopus, S.310-319). In 6. Formale Grundlage für B.s Fabeln (bidie von seinen Quellen gebotene Reihen- schaft) ist das Reimpaarbispel. Er bedient folge greift B. gelegentlich ein, um sein lose sich damit des Darstellungstyps, in dem zubefolgtes Anordnungsprinzip durchzuset- erst Fabeln in größeren Sammlungseinheizen : die Bildung von F abelpaaren zu gemein- ten ins Deutsche übertragen worden sind samen Inhaltsstichworten. Neu zusammen- (beim —> Stricker und im —> 'Wiener Fabelgestellt sind auch die 4 programmatischen corpus'). Sein schlichter und sachlicher Eingangsfabeln, die zusammen mit der Erzählstil bringt für die Entwicklung der

allein auf Verstümmelungen im Überlieferungsablauf zurückgeht oder ob sich darin von B. zu verantwortende Editionsschritte spiegeln, wäre in einer Überlieferungsgeschichte des 'Edelsteins' zu klären; ebenso müßten dort die beiden Überlieferungstypen weiter verfolgt werden, die sich bisher erkennen lassen: einerseits die von den Illustrationen geprägte repräsentative Einzelhs., die insbes. in Schweizer Bürgerbesitz (z.B. Basel, ÜB, cod. A.N. III 17; Bern, LB, cod. Hist. Helv. X 49) nachzuweisen ist, andererseits die aus dem Schulbetrieb herausgewachsene und zur Auswertung für Prediger bestimmte didaktische Sammelhs. (z.B. München, cgm 3974, vgl. GRUBMÜLLER, Fs. Ruh).

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'Bonus' ('Marienmirakel vom Bischof Bonus')

Form keine neuen Impulse. Selbständig gestaltet er dagegen seinen Auslegungsteil: er reiht Sentenzen oft ohne Verknüpfung und gelegentlich auch ohne innere Verbindung aneinander; das Epimythion kann so zum Auswahlangebot für Deutungsvarianten werden. 7. B.s Wirkung ist an die unmittelbare Weitergabe seines Werkes gebunden (s. o. 2). Sie hielt an, bis ->· Stainhöwels 'Esop' (um 1476) den 'Edelstein' als repräsentative Fabelsammlung verdrängte. Nachfolge hat B. nur beim ->·Schweizer Anonymus gefunden. Im 18. Jh. begann bald nach der Veröffentlichung der ersten Beispiele von Fabeln B.s (SCHERZ, 1704-1710, s.o. 3), deren philologische Erforschung (CH.F. GELLERT, De poesi apologorum eorumque scriptoribus, Leipzig 1744; J.Cn. GOTTSCHED, De quibusdam philosophiae moralis apud germanos antiquiores speciminibus, Leipzig 1746), die in LESSINGS Aufsätzen einen frühen Höhepunkt erreichte (Über die sogenannten Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger. Erste Entdeckung, Braunschweig 1773; Zweite Entdeckung, ebd. 1781). L i t e r a t u r . Bibliographie: D. FOUQUET, Einleitung zu U.B., Faksimile d. ersten Druckausg., Bamberg 1461, 1972, S. 39-41. - M. v. STÜRLER, Das Bernische Geschlecht der Boner, Germ, l (1856) 117-120; R. GOTTSCHICK, Über d. Zeitfolge in d. Abfassung v. B.s Fabeln u. über d. Anordnung derselben, Diss. Halle 1879; CH. WAAS, Die Quellen d. Beispiele B.s, Diss. Gießen 1897 (zusammenfassend zum Stand d. Quellenforsch. Danach noch dazu:) E. SCHRÖDER, Quellen u. alte Parallelen zu B.s Beispielen, ZfdA 44 (1900) 420-430; R. GOTTSCHICK, B. u. seine lat. Vorlagen (Progr. Charlottenburg), 1901; ders., Über einige Beispiele B.s u. ihre lat. Vorlagen, ZfdA 52 (1910) 231-244; ders., Vorlagen zu Fabeln B.s, ZfdA 53 (1912) 274-287; CH. WAAS, Quellen d. Bonerius, ZfdA 46 (1902) 341-359. - F. BALSIGER, B.s Sprache u. d. Bernische Ma., Diss. Bern 1904, auch: Zs. f. hd. Maa. 5 (1904) 37-99. Zur Abfassungszeit: A. LEITZMANN, Zur Abfassungszeit v. B.s Edelstein, PBB 35 (1909) 574-577 u. R. GOTTSCHICK, Der Anfang u. d. Schluß v. B.s Edelstein, ZfdA 52 (1910) 107-112. -Interpretationen: R.-H. BLASER, U.B., 1949; M. VOLLRATH, Die Moral d. Fabeln im 13. u. 14.Jh. in ihrer Beziehung zu d. gesellschaftl. Verhältnissen, Diss. (masch.) Jena 1966; G. SCHÜTZE, Gesellschaftskrit. Tendenzen in dt. Tierfabeln d. 13. bis 15Jh.s, 1973; K. GRUBMÜLLER,

Elemente einer lit. Gebrauchssituation, Es. K. Ruh (Medium Aevum 30), 1974, S. 139-160; ders., Meister Esopus (MTU 56), 1977, S. 297-374.

KLAUS GRUBMÜLLER 'Bonus' Bonus')

('Marienmirakel

vom

Bischof

1. Ü b e r l i e f e r u n g . Melk, Stiftsbibl., cod. 1547, 106V-111V (ca. 1350) u. (nahe verwandt) Vatican, cod. Christ. 1423, 110M14V (1347). Überlieferungskontext s. LEITZMANN, Erz., S.I-XIV. A u s g a b e n . M.HAUPT,ZfdA2(1842)208-213(M); E. SCHRÖDER, Die dt. Marienlegende v. Bischof B., Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, phil.-hist. Kl. 1924, H. l, S. 1-13 (krit.; vgl. ders., Zum Text des 'B.', ZfdA 75 [1938] 114).

2. Der Mirakeltypus von der Verleihung eines Meßgewandes durch Maria an einen (späteren) Bischof findet sich auf namenlose (SCHOLL; LOZINSKIJ, S. 114-116) und auf historische Personen übertragen, so auf Hildefons von Toledo (AASS Jan. II 536f.), Thomas von Kandelberg (Becket) und Bonitus, um 690 Bischof von Clermont-Ferrand (LThK II 597; VII 65; Lexikon d. christl. Ikonographie V, 1973, S. 437). 3. Das Marienmirakel von Bischof B. (nicht 'M.-legende', dazu WEBER, S. 126, 129f.): Der marienfromme Bischof hat an Maria Himmelfahrt beim nächtlichen Gebet in der Kathedrale eine Vision: Maria kommt mit ihrem himmlischen Hofstaat in die Kirche. Er flieht in ein winchelstat hinter eine Säule, doch diese entweicht. B. zelebriert im Auftrag Marias die Messe und erhält ein nahtloses Meßgewand ze lone. Es folgt eine schwankhaft-kontrastive Repetitio: Des B. Nachfolger wünscht sich dieselbe Vision, schläft aber beim Gebet in der Kirche ein (der dt. 'B.' übergeht, daß er vom Wein müde war) und findet sich morgens in seinem Bett wieder. 4. Quelle ist der nach Ausweis der Schlußverse von Herbert von Losinga, 1. Bischof von Norwich (flll9) nach Besichtigung eines in Clermont-Ferrand als Reliquie gezeigten Meßgewandes (Bibliotheca Sanctorum III, Rom 1963, S. 337f.) in Auftrag gegebene 'Rhythmus de casula S. Boni', BHL Nr. 1420, ed.: AASS Jan. 11077; M. HAUPT, ZfdA 3 (1843) 300-304; LOZINSKIJ. Hier wird aus etymologischen

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Boppe

Gründen Bonitus zu Bonus ... quod designat bonum omen (v. 3f.). 5. Die wohl österreichische, Ende des 12. Jh.s (nach formalen Indizien) entstandene Übertragung des Rhythmus in 241 Reimpaarversen ist das älteste dt. gereimte Marienmirakel. Der Prolog (v. 1-15, Anrufung Marias) ist Eigentum des Übersetzers, ebenso vv. 173-204, in denen B. seinem wolgelerten capellan (VerfasserHinweis ?) das Wunder mitteilt. Der 'reine Visionsbericht' (WEBER, S. 113) der Vorlage erhält stärker die Funktion eines lop der muoter der barmunge (v. 55), der vogtinne ihrer Verehrer (v. 241). Mit der seltenen Technik einer durch Dreireim markierten Gliederung in (ungleiche) Abschnitte rückt der Text in die Nähe des -* 'Rheinauer Paulus', des 'Priesterlebens' des sog. -»Heinrich von Melk und des -»· 'Thomas von Kandelberg'. Während die Reime weitgehend rein sind, sind die metrischen Freiheiten noch groß. - vv. 85-88 klingen wörtlich an das -»'Himmlische Jerusalem', MAURER, Rel. Dicht. II 145, Str. 8, v. 9f. an (PETERS). L i t e r a t u r . E. PETERS, Quellen u. Charakter d. Paradiesvorstellungen in d. dt. Dicht, vom 9. bis 12. Jh. (German, Abhh. 48), 1915, S. 100; SCHRÖDER, s.o.; R. SCHOLL, Thomas v. Kandelberg (Form u. Geist 7), 1928, S. 68,70,83; G. LOZINSKIJ, De Saint Bon, eveque de Clermont. Miracle versifie par Gautier de Coinci (Annales Academiae scientiarum Fenicae XL 1), Helsinki 1938; H. BÜHLER, Die Marienlegenden als Ausdruck mal. M.-verehrung, Diss. Köln 1965, S. 69, 75; H. H. WEBER, Stud. z. dt. M.-legende d. MAs am Beispiel d. Theophilus, Diss. Hamburg 1966, S. 113, 126, 129 f.; C. G. N. DE VOOYS, Mnl. legenden en exempelen, Den Haag 1926, S. 75; H. SCHOTTMANN, Die isländische Mariendichtung, 1973, S. 384 f.

KONRAD KUNZE Bopfingen -> Johann von B. Boppe Obd. Spruchdichter, 2.Hälfte des 13.Jh.s. I. Leben und N a c h l e b e n. Den sichersten Hinweis auf B.s Wirkungszeit gibt seine Bitte um das Seelenheil -> Konrads von Würzburg (t 1287), I 27. Rudolf von Habsburg (1273-91) gelten wohl 112. 24 und II; I 25 wendet sich an die badischen Markgra-

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fen (Rudolf L, 1-1288, und Hermann VII., f 1291); IV (Autorschaft strittig) entstand 1283/90; s. MÜLLER, 1974, S. 147-151. Ein früh bezeugter 'starker' Boppe (-> Berthold von Regensburg, f!272, s. SCHÖNBACH, 1900; 'Annales Basileenses' z. J. 1270, MGH SS 17, 194) ist kaum der Dichter, der das Attribut späterer Übertragung verdanken wird (ToLLE, 1887, S. 9-22; anders SCHÖNBACH). Sichere Belege finden sich jedenfalls erst seit der Mitte des 14. Jh.s (s. TOLLE ; -> Heinrich von Mügeln, s. u. IV 1; vgl. auch das Bild in C, dazu WALLNER, 1908). C gibt B. keinen Titel (das Wappen ist nicht nachweisbar), J nennt ihn meister. Um 1350 erscheint sein Name in Lupold -»•Homburgs Zwölferliste 'Von allen singern'. In die jüngeren Meister-Kataloge hat B. dann ebenso Eingang gefunden wie in die Meisterlieder-Überlieferung. Jüngere Kataloge: -*Regenbogen (?), BARTSCH, Meisterlieder, Nr. 82,6; Hans -»Folz, Konrad —> Nachtigall und V. Voigt (dazu s. Art. -> Baltzer); HMS IV 888; A. Puschman, hg. G. MÜNZER, 1906 (Nachdr. 1970), S.86; C. Spangenberg, hg. A. v. KELLER (StLV 62), 1861, S. 133; W. Spangenberg, hg. A. VIZKELETY, 1,1971, S.41 f., 126; J. C. Wagenseil, hg. H. BRUNNER (Litterae 38), 1975, S.503, 505. - Ferner: Bruder -» Hans,'Marienlieder', v.4096. -> 'BollstattersSpruchsammlung' und München, cgm 523,126V (S.F.PFEIFFER, Germ. 2 [1857] 141) legen B. und anderen Reimpaarsprüche in den Mund. Ein Segen mit Fürbitte für B. in der Briefweise Regenbogens war noch im 17.Jh. verbreitet (I. V. ZINGERLE, Bericht überd. WiltenerMeistersänger-Hs., WSB 37,1861, S. 331-407, hier S. 376; gedr. S. 376-378 u. WACKERNAGEL, KL II, Nr.331 f.; vgl. GOEDEKE, Grundriß II 254). II. Ü b e r l i e f e r u n g , a) Altüberlieferter Bestand: C (-»'Heidelberger Lhs. C') 418r-421v (mit Bild); J (-»'Jenaer Lhs.') 111V-113T (mit Mel.); Ba (Basel, ÜB, Frgm. N I 3, 145) 3". Streuüberl.: m (Berlin, mgq 795) 3r (poppe; I 20. 21); n (Leipzig, ÜB, Rep. II fol. 70", -> 'Niederrheinische Lhs.') 96', 94" (I 1. 14); q (Basel, ÜB, cod. B XI 8) 160rv (bobbe; 11). - H (-> 'Heidelberger Lhs. cpg 350') 61'-63r ('Ave Maria'). - b) ->'Meisterliederhss.' des 15. und frühen 16. Jh.s mit Liedern in B.s Ton I (zur Echtheitsfrage s. u. IV 1): k (-> 'Kolmarer Lhs.', München, cgm 4997) 555r-591r (mit Mel. u. den altüberlieferten Strr. I 1. 13. 17. 21 [doppelt], 5. 7. 14. 22, 'Ave Maria'; vgl. BARTSCH, Meisterlieder, S. 55 bis 58, Verz. 592-639); München, cgm 5198 (unter Mügeln die altüberlieferten Strr. Ba 5 sowie I 5. 8, s. ROETHE, 1887, Anm. 301); Heidelberg, cpg 392 u. 680;

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Boppe

Berlin, mgq 414. Vgl. auch ROETHE, S. 162. - Einzelparallelen: München, cgm 379 (-»· 'Augsburger Liederbuch'), 141r-142v (bei BARTSCH, Meisterlieder, S. 58, 493 fälschlich cgm 444); Paris, Bibl. Nat., ms. all. 150, 333v-336r (Mitt. K. Ruh). - c) Meistersingerhss. des 16./17. Jh.s mit Mel. s. BRUNNER, 1975, S. 176. III. A u s g a b e n . 1. Texte, a) Der Bestand d. älteren Hss.: HMSII377-386, III 405-407 (zit.); G.ToLLE, Der Spruchdichter B. Versuch einer krit. Ausg. seiner Dicht.n, Progr. Sondershausen 1894 (unzuverlässig); Basler Frgm.: L. SIEBER, Germ. 25 (1880) 76f. - Vgl. auch BARTSCH/GOLTHER, Liederdichter, Nr. LXX (11. 21); DE BOOR, Texte (13-10.12-16.20, II, III2, VI, 'Ave Maria', s. S. 1838); U. MÜLLER (Hg.), Polit. Lyrik d. dt. MAs I (GAG 68), 1972, S. 90-92, 231 (I 12. 24-26, II, IV).-b) AusMeisterliederhss.: F.H. v. D. HAGEN, Museum f. altdt. Lit. u. Kunst 2 (1811) 194 (= HMS IV 704 Anm. 4 = KLD Nr. 28 [XVIII], in k unter B. [BARTSCH, Verz. 611 I], nicht dem ->Kanzler); HMS III 407f.; L. UHLAND, Germ. 5 (1860) 284-286; BARTSCH, Meisterlieder, Nr. 124-126,203; P. SPARMBERG, Zur Gesch. d. Fabel in d. mhd. Spruchdicht., Diss. Marburg 1918, S. 104-106; DE BOOR, Texte, S.677; K. SEIDEL, Der Cgm 379, Diss. München 1972, S. 721 f., 724f. 2. Melodie (Ton I): RUNGE, Sangesweisen, Nr. 83 a, b (k, J); G. HOLZ/F. SARAN/E. BERNOULLI, Die Jenaer Lhs., 1901 (Nachdr. 1966), Nr.28; E. JAMMERS, Ausgewählte Melodien d. Minnesangs (ATB Erg.reihe 1), 1963, Nr.4 (k u. J); H. MOSER/J. MÜLLER-BLATTAU, Dt. Liederd.MAs,1968,S.87-92,325 (J);R. J.TAYLOR, The Art of the Minnesinger, 1968,116-18, II19-22 (J, k); SCHUMANN, 1972, Notenteil Nr. l u. BRUNNER, 1975 (gesamte Überl.).

IV. Werk. 1. Von den acht Tönen, die das Boppe-Corpus in C umfaßt, verbindet die übrige Üerlieferung mit B.s Namen nur Ton I (in C 20 von 40 Strr.), der später als sein Hofton, auch Langer Ton bezeichnet wird.

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Anm. 1); das 'Ave Maria' (H, k) ist ein Werk des 14. Jh.s (s. APPELHANS, 1970). Die Gedichte der Meisterliederhss. erheben grundsätzlich keinen Anspruch auf Echtheit; sie stammen wohl überwiegend aus dem 14. und 15. Jh., doch bleibt bei einigen Strophen in B.s Art höheres Alter zu erwägen. 2. H-VIII sind größtenteils in anderweitig bekannten Tönen abgefaßt. In diesem Komplex findet sich unzweifelhaft fremdes Gut. Dadurch wird die Authentizität auch der übrigen Strophen fraglich. Vgl. vor allem THOMAS, 1939. - Str. 26-30 C gehört Heinrich -» Frauenlob (ETTMÜLLER 255. 263.237. 235.236 im Grünen Ton), III l mit J dem -» Meißner (I 12), III 2 vermutlich einem md. Anonymus (WACHINGER, 1973, S. 157f.), IV in der Almend wohl doch eher Boppe als mit J (31) -»Stolle (so zuletzt MÜLLER, 1974, S. 151; s. auch WACHINGER, S. 134 Anm. 2). Nur in C überliefert sind II (fast gleich -> Marners Langem Ton [Ton XV], s. STRAUCH, 1876), V und VII 1-5 (HMS: VIII) in Klingsors Schwarzem Ton (-»•'Wartburgkrieg'), VI 1-4 in -»Gasts Ton und VIII (HMS: IX); THOMAS bezweifelt die Echtheit von V und VI. Ein Kreuzton wird B. in Meistersingerhss. des 16./ 17. Jh.s beigelegt (s. BRUNNER, 1975, S. 117 u. ö.).

3. B. zeigt eine ausgesprochene Vorliebe für anaphorische Reihungen, Namenskataloge u.a. Die Form priamelartig zugespitzter Einzelstrophen verwendet er für Fürstenmahnung und Frauenpreis, Klage Den Tonnamen kennt bereits Mügeln; vgl. 'Chro- des Fahrenden, Lob der Stormarn (vgl. nicon rhythmicum', Str. 41: in nota curie mensurata -»'Kudrun' 204, 2) und Mariengebet gleichermaßen. Mehrstrophig sind nur VII, eine Fortis Popponis rethoris (W. WILMANNS, ZfdA 14 [1869]158;A.DoMANOVszKY[Hg.],S.265).-Diekoman -»Tannhäuser VIII-X anknüpfende plizierte Kanzonenform stimmt metrisch mit Mügelns Verspottung des Minnedienstes, und VI, Langem Ton ganz und nahezu mit der Gesangweise des mit Berufung auf des küniges Tirols buoch —»Römers von Zwickau überein (ROETHE, 1887, S. 161 (-»'König Tirol'). Lupold Hornburg hebt bis 163), was die unterschiedliche Attribution mancher die Tierbispel als typisch hervor (I 5-8, Texte erklärt. Zum metrisch-melodischen Bau s. ähnliche Strophen in k). 111.12 und V sind PETZSCH, 1967, PICKERODT-UTHLEB, 1975, und bes. Rätsel. BRUNNER, 1975, S. 217f., 242-245. L i t e r a t u r . M. GOLDAST, Paraeneticorum rerum Eine kritische Untersuchung des Bestan- volumen, Lindau 1604, S. 269 f., 351,355; HMS IV 692des auch nur der älteren Hss. fehlt bisher. 699,760; PH. STRAUCH (Hg.), Der Marner (QF14), 1876 Als B.s Eigentum können am ehesten die 29 (Nachdr. 1965), S. 62; G. TOLLE, Der Spruchdichter B., durch C, J und Ba überlieferten Strr. dieses Diss. Göttingen 1887; G. ROETHE, Die Ged. Reinmars v. Tons gelten (zu Ba vgl. aber ROETHE, Anm. Zweier, 1887 (Nachdr. 1967); A. E. SCHÖNBACH, Stud, 301; auffällige Reime s. HMS IV 698 z. Gesch. d. altdt. Predigt 2, WSB142/7,1900, S. 91-94;

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Borchardus - 'Bordesholmer Marienklage'

A. WALLNER, Herren u. Spielleute im Heidelberger Liedercodex, PBB 33 (1908) 483-540, hier S. 495,510f., 523; J. HANDSCHIN, Die Schweiz, welche sang, Fs. K. Nef, 1933, S. 102-133, hier S. 128f.;EHRiSMANN, LG II 2,2, S.300 (Lit.); W. FISCHER, Daniel v. Morley, AKG 26 (1936) 342-344; H. THOMAS, Unters, z. Uberl. d. Spruchdicht. Frauenlobs (Palaestra 217), 1939, S. 3742; H. BRÜCK, Strophenverbindungen in d. mhd. Spruchdicht., Diss. (masch.) Bonn 1949, S. 66-68; H. ENKE, Der 'hofedon' d. Meister B., Fs. M. Schneider, 1955, S. 31-48; DE BOOR, LG III l, S.407-481 passim; C. PETZSCH, Text-Form-Korrespondenzen im mal. Lied, DVjs 41 (1967) 27-60, hier S. 35, 39-41; H. TERVOOREN, Einzelstrophe oder Strophenbindung?, Diss. Bonn 1967, S. 322-332; P. APPELHANS, Unters, z. spätmal. Mariendicht., 1970,S.28f.,31;W. v. WANGENHEIM, Das Basler Frgm. einer md.-nd. Lhs. (Europ. Hochschulschriften I 55), 1972, bes. S. 24f., 141 ff.; E. SCHUMANN, Stilwandel u. Gestaltveränderung im Meistersang (Göttinger musikwiss. Arb. 3), 1972; B. WACHINGER, Sängerkrieg (MTU 42), 1973; U. MÜLLER, Unters.; H. BRUNNER, Die alten Meister (MTU 54), 1975; E. PICKERODT-ÜTHLEB, Die Jenaer Lhs. (GAG 99), 1975, S. 171, 207-209, 501.

GISELA KORNRUMPF Borchardus 1. Als Verfasser einer vielleicht schon im 13.Jh. entstandenen legendarischen 'Vita Jude traditoris Domini versificata' (inc.: Balsama non curans humana poematis utar) nennt sich im Akrostichon der 18 Verse des Proömiums Borchardus finxit me ein gewisser B. Die Namensform weist auf nd. Herkunft. Über seine Person ist sonst nichts bekannt. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Darmstadt, LB, cod. 755, 402r-405r, 14.Jh., stark glossiert; Kopenhagen, Kgl. Bibl, cod. 1634, 37v-42r, 15.Jh., aus Bordesholm, glossiert. Zum Überlieferungszusammenhang in der Kopenhagener Hs. vgl. E. STEFFENHAGEN/A. WETZEL, Zs. d. Ges. f. Schlesw.-Holstein-Lauenburg. Gesch. 14 (1884) 97-115. Ausgabe. LEHMANN, S. 251-258.

3. Das einschließlich des Proömiums 137 Distichen umfassende Gedicht steht stoffgeschichtlich der älteren Prosafassung R der Judaslegende (hg. v. E. STEINMEYER, Münchener Museum f. Philol. d. MAs u. d. Ren. 3 [1916] 163-166; dazu LEHMANN, S. 236-246) am nächsten. Entsprechend bildet Judas' Begegnung mit Jesus nur die abschließende Episode einer Vita, deren Zusammenhang in schicksalhafter Vorbe-

stimmung (Traum der Mutter Cyborea) eine Kette ärgster Verbrechen bildet: Mord am vermeintlichen Bruder, Diebstahl, Tötung des Vaters, Inzest mit der Mutter, Verrat Christi, Selbstmord. Die Leistung des Dichters, der keine eigene Konzeption des Stoffes verfolgt, erschöpft sich in der Versifikation, einer offensichtlich recht mühsamen. Das prosodisch immerhin durchweg korrekte Gedicht ist ohne Eleganz und ohne stilistische Prägung. L i t e r a t u r . LEHMANN, Erf. II229-250.

WOLF OSTERHAGE 'Bordesholmer Marienklage' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Kiel, ÜB, cod. Bord. mscr. 53, 410, Pap., Bll. lr-23v erneuter Zählung nach 36 vorausgehenden Bll., (davor eine 'Passio Arnoldi' herausgeschnitten) ; etwa 1475/76 (s.u. 4). Die Marienklage ist mit Noten in 'Hufnagelschrift' versehen. A u s g a b e n . K. MÜLLENHOFF, ZfdA 13 (1867) 288 bis 319; G. KÜHL, Ndjb 24 (1898) 1-75, mit Melodienanhang S. 1-14.

2. Die nd. 'B.M.' planctus deuotissimus beute uirginis ... in vulgari (855 vv. nach KÜHLS Zählung, der die lat. Verse ungezählt läßt) wird in ihrer künstlerischen Geschlossenheit von keiner anderen der erhaltenen Marienklagen erreicht. Die Handlung ist in die Karfreitagsliturgie eingebettet. Der Rector (Leiter des Gottesdienstes), der mit den fünf Darstellern einzieht, eröffnet und schließt das Spiel mit Responsorien, und der Prolog des Johannes (131 vv.), der nach einem nd. Tagzeitengedicht gestaltet ist, 'entspricht der Lesung der Passion nach Johannes' (TESKE, S. 19). Die Gemeinde wird nach liturgischer Einleitung und Johannes-Prolog zum Sitzen eingeladen (Ghat sytten, gy leuen kynder, v. 130), wird im Verlauf des Spiels wiederholt zur Compassio mit Maria aufgerufen und nimmt an den Gebeten teil. Die Handlung führt vom Weg zum Kreuz (132-202) und Klagen um den leidenden Christus (203-476) über die Commendatio und Christi Tod (477-596) zu Klagen um den toten Christus (597-718) und dem Abschied vom Kreuz (719-843). Ein Schlußwort des Johannes an die Gemeinde und ein lat. Gebet beenden das Spiel; dann

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Borgeni, Caspar

stimmt der Rector das Responsorium Tenebre facte sunt an. Die 'B.M.' ist in ihrem Gesamtverlauf stark lyrisch gestimmt, was durch die zahlreichen lat. und nd. Gesangsstrophen noch betont wird. Dabei liegt schon in der Leidens-, vor allem aber in der Totenklage das Hauptgewicht auf den Leiden Mariae, die ganz als irdische Frau und Mutter gezeichnet wird. 3. Die 'B. M.' gehört zu der großen Gruppe von Marienklagen, die auf den Strophen der Sequenz Tlanctus ante nescia' (—> 'Münchner Mkl.') aufbauen. Ihrem Typus nach stellt sie den Höhepunkt einer Entwicklungsreihe dar, von deren Anfängen die noch monodramatische 'Münchner Mkl.' zeugt. Dramatische Zwischenstufen sind z.B. durch die —> 'Trierer' und die -> 'Böhmische Mkl.' repräsentiert, mit der die 'B.M.' eine nähere Verwandtschaft zeigt. Innerhalb einer anderen Traditionslinie bestehen Beziehungen zu der -> 'Wolfenbütteler Mkl.' Offenbar sind in der 'B. M.' mehrere dt. Texte unter selbständiger Verwertung weiterer lat. Hymnen zu neuer Ordnung zusammengefügt. Auch im Rahmenwerk übertrifft die 'B. M.' alle anderen Texte. Sie enthält viele, sehr genaue Bühnenanweisungen, und die vorangestellte Spielordnung (KÜHL, S. 40f.) gibt über den Ort (in ecclesia ante chorutn... aut extra ecdesiam, si bona est aura), die Zeit (am Karfreitag ante prandium) und die Dauer (in duabus horis et media) des Spiels ebenso exakte Auskunft wie über die Darsteller (Jesus und Johannes: deuoti sacerdotes, die drei Marien: iuuenes), ihre Gewänder und weitere Ausstattung, ihre Positionen unter dem Kreuz und die Prozession cum rectore. 4. Die Hs. wurde von Johannes Reborch geschrieben, der bis 1490 Propst des Augustinerklosters Bordesholm in Holstein war. Sie besteht aus einzelnen Faszikeln, die erst sekundär zu dem Codex vereinigt wurden. Auf das Faszikel, das die Marienklage enthält und mit einem leeren Blatt schließt, und vor einer Anzahl weiterer Faszikel, folgen in neuem Faszikel drei dem hl. Bernhard zugeschriebene Texte (36 Bll., davon die letzten 3l/2 Bll. leer) mit dem Abschlußvermerk Sic est finis per me Johannem Re-

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borch in Jasenitze und einer auf den 23. Dez. 1476 gestellten Datumsangabe. Reborch hat also die Bernhard-Texte in dem Bordesholmer Filialkloster Jasenitz im pommerschen Bistum Cammin abgeschrieben. Das besagt aber nicht, daß auch die Marienklage dorther stamme. Die ostfälische Mundart, die der sonstigen Bordesholmer Schreibtradition genau entspricht, kann eher als Gegenargument gelten. Gehalt und Form der Dichtung, die einen hochgebildeten, poetisch gewandten und bühnentechnisch erfahrenen Verfasser bzw. Bearbeiter voraussetzen, lassen eher an die Herkunft des Textes aus einem zentralen Ort denken. L i t e r a t u r . MÜLLENHOFF, KÜHL (s. Ausg.n); H. RATJEN, Zur Gesch. der Kieler ÜB (Schriften d. Univ. Kiel 10), 1863, S. 78-81; A.E. SCHÖNBACH, Über d. Marienklagen, Graz 1874, S. 35-39; W. STAMMLER, Neue Jbb. f. d. klass. Altertum, Gesch. u. dt. Lit. u. f. Pädagogik 45 (1920) 134; W. LIPPHARDT, Stud. z. d. Mkl.n, PBB 58 (1934) 393f.; H. TESKE, Zur 'B.M.', Korr.-Bl. d. Ver.s f. nd. Sprachforschung 57 (1950) 18 f.; G. SEEWALD, Die Marienklage im mlat. Schrifttum u. in d. germ. Lit. d. MAs, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 52f.; TH. MEIER, Die Gestalt Marias im geistl. Schauspiel d. MAs, 1959, passim; E. WIMMER, Maria im Leid, die Mater dolorosa insbes. in d. dt. Lit. u. Frömmigkeit d. MAs, Diss. Würzburg 1968, passim.

HANS EGGERS Borgeni, Caspar Glogauer Domvikar, gest. vor dem 25. Oktober 1495, verfaßte bis 1493 reichende und namentlich das 15. Jh. betreffende annalistische Aufzeichnungen über Schlesien und insbesondere über Fürstentum und Stadt Glogau in lat. Sprache mit zahlreichen dt. Einsprengungen, die manchmal unmotiviert, meist aber dort eintreten, wo seine geringen Lateinkenntnisse versagen oder wo er selbst zweifelt, daß sein lat. Ausdruck den Sinn genügend wiedergebe (dann sind sie gewöhnlich mit proprie eingeleitet). Ein längerer Abschnitt über Wetter und Lebensmittelpreise von 1473 ist ganz dt. geschrieben. Einiges ist nicht unwichtig für schlesische Dialektforschung. Die Originalniederschrift ist verloren. Abschrift des 16. Jh.s in einer Sammelhs. der Fürstensteiner Majoratsbibl. (Ms. Fol. 8, f. 167-222) ohne Nennung von

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Börpful, Jost, von Konstanz - Borxleben, Christian

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schen Akten der Univ. Leipzig teil. Er starb hochbetagt 1484 in Erfurt. 2. Vom Werk B.s ist wenig bekannt. Es dürfte nicht unbedeutend gewesen sein. So ist im Explicit der 'Passio d o m i n i lesu Christi' von sermones und expositiones PAUL BRETSCHNEIDER |die Rede, die er Jahr für Jahr gepredigt hat. Außer dieser Passion nach den vier Evangelisten, erweitert und erklärt mit reicher VäBorghe -> Hintze Jan te B. terzitation (überliefert in Breslau, ÜB, cod. I.F. 186, 302ra-320vb: s. MEIER, 1936, S. Börpful, Jost, von Konstanz 187f.), besitzen wir von ihm eine philosophische Quaestio (Görlitz, StB, cod. fol. Alem. Wundarzt wohl des 15. Jh.s, von r r dem eine "Weingartener Hs. dieser Zeit 37, 3 -9 ), die aus seiner Lehrtätigkeit in (Stuttgart, LB, cod. H.B. XI 16) eine An- Leipzig oder Erfurt hervorgegangen sein weisung zur Behandlung von Geschwüren dürfte. Nach MEIER (1958, S. 68), der ihr als sowie Blutstillmittel enthält, hg. von G. Eis, einziger 'eine erste Durchsicht' zuteil werMed. Mschr. 21 (1967) 404-407. Vgl. G. den ließ, ist sie der Skotistenschule, vor allem dem in Erfurt geschätzten Nikolaus KEIL, StN 43 (1971) 387. Bonetus verpflichtet; u. a. behandelt sie ausPETER ASSION führlich die bei den Skotisten zentralen formalitates, d. h. das Verhältnis der distincBorxleben, Christian tio formalis zur distinctio realis, und den Franziskanertheologe des 15. Jh.s. Wissenschafts begriff. 1. Leben. B., i.J. 1400 in Borxleben Einzig ediert ist eine'Ars p r aedic and i', (Borgsleben) am Fuße des Kyffhäuser ge- inc. Cum in his temporibus plures sint uniboren, trat in das Franziskanerhaus in Nord- versitates. hausen ein und ist hier 1440 und später, 1457, Ü b e r l i e f e r u n g . Leipzig, ÜB, cod. 616, l'-4r (dar; Colmar, Konsistorialbibl., cod. 166, nochmals als Lektor, zugleich als Gustos nachr BUCHWALD) v 289 -291 (MEIER, 1958, S. 57 Anm. 4). Thuringiae bezeugt. Dazwischen wirkte er, Sie wendet sich ausdrücklich an die Ermutmaßlich bis ca. 1454, in Leipzig: er war 1446 als Lector principalis am dortigen furter Studenten, und es soll mit dieser UnOrdensstudium tätig, immatrikulierte sich terrichtung alte, jetzt jedoch in Vergessenim selben Jahr an der Universität, gelangte heit geratene Übung wieder aufgenommen 1449 zum Lizentiat und promovierte zum werden. In zwei Kapiteln kommen zunächst Doctor theologiae (die Ankündigung der Themafindung (Konkordanzennachweis öffentlichen Promotion ist erhalten: Danzig, zum Schriftwort) und divisio (nach dem StB, cod. 2042, Vorderdeckbl.); mehrere Distinktionsprinzip) zur Behandlung, das Male ist er als Magister im Amt bezeugt. Im dritte bringt zwei Beispiele von Collationen Oktober 1452 diente er -»Johannes de zum Gebrauch der Schüler, das vierte und Capestrano in Magdeburg als Dolmetsch. letzte exponiert iuxta meant ymaginacionem 1461 finden wir B., zusammen mit dem subiungam modum faciendi introducciomehrfachen Rektor der Univ. Erfurt, Hunold nem ad populum pro sermonibus vulgarivon Plettenberg, und zwei weiteren Franzis- bus. Unschwer ist zu erkennen, daß in dieser kanern, als Reisebegleiter des Grafen Demonstration volkssprachlicher Predigt-»Heinrich d.Ä. von Stolberg im Heiligen weise das Hauptanliegen des Autors liegt: Lande. es wird mit großer Sorgfalt und geziemender Bereits in sehr fortgeschrittenem Alter, Ausführlichkeit eine Musterpredigt zum 1464, immatrikulierte sich B. an der Univ. Textwort 'Beati mortui, qui in domino Erfurt und führte dann die Regentie seines moriuntur' (Apo 14, 13) entwickelt. Ordens mehrere Jahre lang. 1471,1474 und L i t e r a t u r . G. BUCHWALD, Die Ars praedicandi des 1480 nahm er indes nochmals an akademi- Erfurter Franziskaners Ch. B., Franzisk. Stud. 8 (1921)

Titel und Verfasser, vorgefunden, als 'Annales Glogovienses' betitelt u. hg. v. H.MARKGRAF, SS rerum Silesiacatum 10,1877, S. 1-66. Die Verfasserschaft B.s stellte P. KNÖTEL, Zs. d. Ver.s f. Gesch. Schlesiens 22 (1888) 94-108 fest. Vgl. C. GRÜNHAGEN, Wegweiser durch d. Schles. Gesch.quellen, 21889, S. 1.

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'Die böse Adelheid' - 'Die böse Frau'

67-74 [mit Textausgabe]; L. MEIER, Stud. z. Franziskanertheologie an d. Universitäten Leipzig u. Erfurt, Franzisk. Stud. 20 (1933) 261-285, bes. 269-275; ders., Lebensgang u. Lebens werk d. Erfurter Franziskanertheologen Kilianus Stetzing, Franzisk. Stud. 23 (1936) 176-200, bes. 187f.; ders., Die Barfüsserschule zu Erfurt (Beitr. z. Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs 38/2), 1958, S. 30-32,57, 65, 68, 94, 97.

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ständnis mal. komischer Lit., 1975, S. 186f.; ST. L. WAILES, Social Humor in Middle High German Mären, Amsterdamer Beitr. z. älteren Germanistik 10 (1976) 136-138.

HANS-JOACHIM ZIEGELER 'Von der bösen e' -> Raber, Vigil (C. III. 13.)

K. RUH

'Die böse Adelheid' Ü b e r l i e f e r u n g . Karlsruhe, LB, Hs. Karlsruhe 408 (k) [Sigle nach FISCHER, Stud.], 121rb-122vb. A u s g a b e n . KELLER, Erz., S.204-209; DE BOOR, Texte I 2, S. 1426-1428; L. RÖHRICH, Erzählungen d. späten MAs u. ihr Weiterleben in Lit. u. Volksdicht, bis z. Gegenwart II, Bern u. München 1967, S. 307-311; NGA Nr. 4 (zit.); SCHMID, Cod. 408, S.484-488. Nhd. Übertragung: H. FISCHER, Schwankerzählungen d. dt. MAs, 1967, S. 42-46.

Das im 14. Jh. wohl im Augsburger Raum entstandene (v. 39,136) schwankhafte Märe zeigt eine eheliche Kraftprobe, in der der Mann (Markhart) wegen seiner intellektuellen Überlegenheit die durch seine Frau (diu übel Adelheit, v. 9) verkehrte 'natürliche Ordnung' wiederherstellt. - Nach Jahren der Unterdrückung nützt Markhart eines Tages das Verhaltensschema seiner Frau, stets das Gegenteil dessen zu tun, was er wünscht: Er fordert von ihr das Gegenteil von dem, was er tatsächlich beabsichtigt, und erreicht so - auf dem Hinweg nach Augsburg - Vorteile für sich und - auf dem Rückweg - Nachteiliges für A., zuletzt sogar, daß sie sich selbst in den Lech stürzt. Ein vorbeireitender Herr billigt das Verhalten Markharts, der die Ertrunkene wegen ihrer im Leben gezeigten Widerspenstigkeit flußaufwärts sucht. Dieses Schlußmotiv teilt das Märe mit einer Reihe von Erzählungen des übele w/p-Themas. Die konsequent auf diesen Höhepunkt und Schluß hin geführte Handlung aber verleiht dem Schwank eigene erzählerische Qualität. L i t e r a t u r . Bibliographien: FISCHER, Stud.,5.296; RÖHRICH (s. o.), S. 486-488. -F. BRIETZMANN, Die böse Frau in d. dt. Lit. d. MAs (Palaestra 42), 1912, S.208; FISCHER, Stud., S.97; F. FROSCH-FREIBURG, Schwankmären u. Fabliaux (GAG 49), 1971, S. 137-141; J. SuCHOMSKI, delectatio und utilitas. Ein Beitr. z. Ver-

'Die böse Frau' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien,cod. S. n. 2663 (-»'Ambraser Heldenbuch' des Hans Ried), um 1512, als 'Das Puech von dem Übeln weibe', daher bis 1913 'Von dem üblen Weibe' benannt. A u s g a b e n . J. BERGMANN, 'Das puech von dem übelen weibe', (Wiener) Jbb. d. Lit. 94 (1841) 1-26; M. HAUPT, Von dem üblen Weibe, 1871; E. SCHRÖDER, Zwei altdt. Schwanke: Die 'b.F.'. Der Weinschwelg, 1913,31935, S. 15-42; K. HELM, 'Von dem Übeln wibe' (ATB 46), 1955; völlig neubearbeitete Aufl. von E. A. EBBINGHAUS, 1968 (dazu krit. CH. GERHARDT, AfdA 81 [1970] 43-47).

2. Die Dichtung schildert die böse, dem Ehemann überlegene und ihn trotz aller Gegenwehr beherrschende Frau als Urtypus und legt mit viel Humor, großer Anschaulichkeit und erstaunlicher Variationsfähigkeit den hoffnungslosen Ehekrieg im Munde des unglücklichen Gatten dar. Die Wirkung beruht auf dem Kontrast. Im ersten Teil stellt er der von Gott zum Heil von Leib und Seele eingesetzten Ehe sein von dem Widerspruchsgeist und der Widersetzlichkeit seiner Frau bestimmtes Leiden gegenüber. Schon mit der Nachfeier der Hochzeit und dem Morgentrank, der im Gegensatz zum Liebestrank der Sage ein Gift- und Feindschaftstrank ist, beginnt es und ist infolge seiner Unbegrenztheit schlimmer als das der Märtyrer, wobei außer zum Tristanstoff auch parodistische Bezüge zur Legende (Gregorius) sichtbar werden. Im zweiten Teil schildert er in groteskem Vergleich mit den Kämpfen der Heldensage, die diesem ewigen Streit nicht die Waage halten, sein erfolgloses Handgemenge mit seiner Ehehälfte, aus dem er halbtot von seinen Freunden gerettet wird und das damit doch kein Ende findet. Während der Schauplatz des Kampfes die Hauptstube eines Bauernhofes ist und die Frau sich durch die Beschäftigungen des

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'Die böse Frau'

Flachsschwingens, des Spinnens und des Stoßens der Stampfmühle (niuweri) als Bauernfrau ausweist, lebt der unselige Pantoffelheld in ritterlich-höfischen Vorstellungen, die er seiner traurigen Gegenwart gegenüberstellt. Er vergleicht sein Schicksal mit dem erlauchter Liebespaare aus antiker und höfischer Erzählungswelt wie Eneas und Dido, Pyramis und Thisbe, Erek und Enite, Tristant und Ysalde, Gahmuret und Belakane und (aus der Heldensage) Walther und Hildegund. Seinem wenig rühmlichen Handgemenge müssen gar Rothers Riese Asprian und Meister Hildebrand, die Kämpfe Dietrichs und Witeges, Dietleibs und des Meerweibs als Folie dienen. Er läse lieber den Tarzival' oder erfreute sich am höfischen Tanze oder säße in einer Innsbrucker Weinkneipe beim guten Bozener. 3. Hier haben wir, wie SCHRÖDER richtig erkannte, die äußerste Fortsetzung der -»Neidhartschen höfischen Dorfpoesie: der Junker 'eingefangen im Bauernhause und in einem höchst prosaischen Ehestand allen Derbheiten und Roheiten seines Hausdrachens ausgesetzt'. Es steckt also ein gutes Stück Satire gegen die höfische Welt und höfische Dichtung in diesem 820 Verse umfassenden Schwank. Wie er die derbe Prügelei mit den Utensilien des ländlichen Haushaltes doch wieder beinahe als einen höfischen Zweikampf erscheinen läßt und etwa ein knorriger Bauernstuhl in der Hand des traurigen Helden als Schild und Lebensretter gepriesen wird (v. 514ff.), das verrät ein meisterhaftes Können, wie es nach HUFELAND auch in der Bauform zur Geltung kommt. 4. Der Dichter war besonders in den Werken -»Wolframs zu Hause, aber weit über die Namensanspielungen hinaus, die Vertrautheit mit -*· Heinrich von Veldeke, -»Eilhart von Oberg, -»Hartmann von Aue, -> Albrecht von Halberstadt, Neidhart und seiner Schule, -»'König Rother' und der Heldendichtung, darunter auch einigem uns Verlorenen, verraten, spürt man die genaue Kenntnis höfischer Dichtung überhaupt. Sie setzt er zugleich bei seinem Publikum voraus, das also den höfischritterlichen Kreisen angehörte. 5. Während der begabte Dichter die höfi-

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schen Mittel in Sprache und Stil noch gut beherrscht, sich durchaus dem Ideal der Reimreinheit verpflichtet weiß und gepflegte, wenngleich etwas freiere Verse baut, liebt er es, vielleicht angeregt durch Wolfram, aber doch in eigener Weise, durch seltene auffallende Reimbindungen zu überraschen (wie v. 79 übel: swübel, v. 149 knübele: gruntübele, v. 375 bürel: ovenstiirel) und überhaupt mundartlichen Wortschatz zur Charakterisierung zu verwenden, worin er gewiß von Neidhart angeregt ist. 6. Der Schwank dürfte auf Grund der Anspielungen und des Wortschatzes in Tirol nördlich des Brenners entstanden sein. Er zeigt nähere Beziehungen zu der auf den gleichen Raum und dieselbe Zeit führenden Dichtung vom -*· 'Weinschwelg', deren grotesker, mit Satire gemischter Humor und deren Erhöhung des Helden, des einsamen, alle bisherige Trinkkunst überbietenden Zechers, zum Urbild ihr verwandt ist. Trotz einiger kleinerer Differenzen im Versbau wird man daher mit SCHRÖDER und DE BOOR beide Dichtungen demselben begabten Dichter zuweisen, über dessen Persönlichkeit aber nichts zu ermitteln ist, der jedoch bald nach 1250 gewirkt haben dürfte. L i t e r a t u r . Bibliographie: FISCHER, Stud., S.314f.; hier nur die Lit. seit 1900: K. HELM, Von dem übelen wibe, PBB 34 (1909) 292-306 (bes. zur sachlichen Erklärung) ; E. SCHRÖDER, Zur Kritik d. mhd. Ged. 'Von dem Übeln Weibe', GGN (1913) 88-101; ders., Zur 'b.F.', AfdA 46 (1927) 81 f.; F. BRIETZMANN, Die böse Frau in d. dt. Lit. d. MAs (Palaestra 42), 1912, bes. S. 145f., 166f., 170-173; A. WALLNER, Zu d. Schwank von d.'b.F.', PBB 40 (1915) 137-145; DE BOOR, LG III l, S. 282-284; G. JUNGBLUTH, Rez. d. Ausg. von Helm, PBB (Tüb.) 79 (1957) 419-425; K. HUFELAND, Die dt. Schwankdicht, d. Spät-MAs (Basler Stud. 32), 1966, S. 75-79; E. A. EBBINGHAUS, 'Daz buoch von dem ubeln wibe': Critical remarks toward a new edition, Modern Language Notes 83 (1968) 406-419; K.-H. SCHIRMER, Stil- u. Motivunters, z. mhd. Versnovelle, 1969, bes. S. 280-291; J. CARLES, La sagesse dans la farce: le recit 'De la Mechante Femme' (Von dem Übeln wibe), Fs. J. Fourquet, 1969, S. 43-58; A. KRACHER, Ist 'nacsnarz' wirklich 'eine Art Kopfputz'? Bemerkungen z. mhd. Schwank 'Von dem Übeln wibe, in: Dona Ethnologica. L. Kretzenbacher z. 60. Geburtstag (Südosteurop. Stud. 71), 1973, S.357-362; J. SUCHOMSKY, delectatio u. utilitas. Ein Beitr. z. Verständnis mal. komischer Lit., 1975, S. 187-189 u. Anm. 488-492.

HANS-FRIEDRICH ROSENFELD

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'Der bösen Klaffer Trügen' - Bote, Hermen

'Der bösen Kläffer Trügen' Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 5919 (Spruchhs. von Ulrich Mostl, Regensburg, Anf. 16. Jh.), 153r-164r. Nicht gedruckt.

Minnerede von 539 Versen eines ungenannten Autors, dem auch die anschließend überlieferte Rede -»'Der falschen Klaffer List' (Titel jeweils in der letzten Zeile) zuzuschreiben ist. Der Dichter trifft auf eine Gesellschaft und führt mit einer Frau einen langen Diskurs über die Bosheit der Klaffer, in dem allerdings auch Töne über ihren Nutzen laut werden: v. 231 Es wer nit gut dz kain claffer wer I wan freid vnd lieb wurd gar vnmer / wen claffer mus man meiden l Man tecz sust ze offenbar treiben. Nach einer Ermahnung und direkten Anklage an die Klaffer wird das Gespräch vertagt und ein neues Treffen in äffen hail verabredet, wo aber nach Monatsfrist der Dichter vergeblich seiner Geliebten harrt. Er beklagt bitter sein Unglück. Das als einfacher Minneredentyp zu bezeichnende, zwischen einer dialogischen Liebesklage und einer Lehrrede stehende Gedicht weist viele ermüdende Wiederholungen, unreine Reime und andere stilistische und sprachliche Mängel auf. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.257.

TILG BRANDIS Bote, Hermen (Hermann) 1. Handwerkersohn in Braunschweig, Zolleinnehmer, durch die Unruhen um 1500 aus dem Amt vertrieben, zeitweilig niederer Landrichter in der Umgebung, später wieder im Amt, gest. etwa 1520. Im 'Schichtbuch' hat er in versteckter Form seine eigenen Schicksale eingebaut. Erhalten ist ein Zollregister von seiner Hand, sein Name taucht in den Stadtrechnungen regelmäßig auf. Einige polemische Lieder der Gegner spielen auf seine Person an. 2. Das 'Boek van veleme rade' wurde um 1493 in Lübeck gedruckt, eine große Weltchronik-Hs. entstand 1493-1502, eine zweite 1502-1518, das 'Schichtboick' 15101514, politische Streitlieder zum Aufstand von 1519, 'De Koker' gegen 1520.

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Das 'Radbuch' ist durch den Druck erhalten, die Chroniken sind Originalhss., die Lieder in jüngeren Abschriften erhalten, der 'Köker' durch einen jüngeren Druck. Die ältere Vermutung, B. sei auch der Verfasser des ursprünglichen -> 'Ulenspiegel' (WALTHER), hat neuerdings durch HONEGGER viele neue Stützen erhalten. 3. A u s g a b e n . 'Radbuch': H. BRANDES, Ndjb 16 (1890) 8-41. - Ältere 'Weltchronik': C. ABEL, Sammlung etlicher noch nicht gedruckten alten Chron.n., Braunschweig 1732, S. 27-220. - 'Schichtbuch': L. HÄNSELMANN, Chron. dt. St. 16,1880/86, S. 269-493. Lieder: LILIENCRON, Hist. Volkslieder II, 1866, Nr. 164, 165; III, 1867, Nr. 327, 329. - 'Köker': F.A. HACKMANN, Reinke de Vos mit dem Koker, Wolfenbüttel 1711; C. BORCHLING/W. SEELMANN, Ndjb 42 (1916) 71-125; G. CORDES (ATB 60), 1963. - CORDES, Auswahl aus den Werken v. H.B. (Texte z. dt. Philol. u. Lit.gesch.), 1948.

4. Das 'Radbuch' enthält eine in Reimpaarversen geschriebene Ständekritik, die an der Allegorie von 5 guten und 5 schlechten Rädern vorgeführt wird, unterstützt durch das Wortspiel rod : räd, mit besonderer Beziehung auf die Hansestädte. Der Verfassername ist durch Akrostichon angegeben. Von den Weltchroniken ist die erste durchgehend chronologisch, die zweite außerdem nach Ländern und Territorien eingeteilt. Das 'Schichtbuch' enthält Abschnitte über die einzelnen Aufstände, die jeweils nach dem Namen eines Tieres bezeichnet sind; der Autor spricht von sich nur in der 3. Person. Er stand auf der Seite der konservativen Ratspartei und griff das zeitweilig herrschende Zunftregime heftig an. Der 'Köker' besteht aus aneinandergereihten meist zweizeiligen Sprüchen, die nur zu einem kleinen Teil auf überlieferte Sprichwörter zurückgehen; sie sind durch übergreifenden Reim verbunden. Die Abschnitte sind akrostichisch durch die Buchstaben des Alphabets bezeichnet. Das Akrostichon des Verfassernamens hat HONEGGER ebenfalls mit vielen Resten im überlieferten Straßburger 'Ulenspiegel' festgestellt. 5. Unmittelbare Quellen sind nicht nachgewiesen. Das 'Schichtbuch' und die jüngeren Teile der Chroniken stammen vielfach aus mündlicher Überlieferung. Eine Rolle spielt die Verwandtschaft mit der 'Crone-

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Bote, Konrad

ken der Sassen' des Konrad -»Bote (Mainz 1492). Es wäre für die spätmal. Geschichtsschreibung von besonderem Interesse, wenn im Anschluß an SCHAERS Forschungen das Verhältnis der drei Chroniken und die Quellenfrage eingehend untersucht würden. 6. Die äußere Sprachform ist die mnd. der späten Hansezeit mit einigen ostfälischen Einschlägen, in den Weltchroniken eine einfache Prosa, dagegen im 'Schichtbuch' lebhaft und bilderreich, stark mit 'volkstümlichen' Redensarten durchsetzt. Die Verse im 'Radbuch' sind sehr aufgeschwellt, im 'Köker' sind es regelmäßige Viertakter mit überwiegend weiblichen Reimen. Die Reimtechnik beider Werke ist sehr rein und reich an Reimwörtern. 7. Die Hs. des 'Schichtbuchs' lief wahrscheinlich nur in Kreisen der Braunschweiger Patrizier um, auch die Weltchroniken sind bis in die Gegenwart in Privathand geblieben. Vom 'Radbuch' ist ein Nachdruck 1509 bezeugt, im späteren 16. Jh. wurde es in Hildesheim überarbeitet. Der 'Köker' erregte im Zusammenhang mit den nd. Sprachbestrebungen des 18. Jh.s im Gefolge des -»'Reinke de Vos' Interesse, auch die ältere Weltchronik wurde als Beleg für die alte nd. Schriftsprache benutzt. Aber erst die historische Forschung des späteren 19.Jh.s und die scharfsinnigen Entdeckungen HÄNSELMANNS richteten die Aufmerksamkeit auch der Germanisten auf den Dichter. HÄNSELMANN deckte die verschlüsselte Nennung des 'Schichtbuch'Autors auf und wies seine Person urkundlich nach. SCHNEIDER gelang der endgültige Nachweis, daß B. der Dichter des 'Köker' war; durch Konfrontation der beiden Weltchroniken-Hss. konnten Autorschaft und Originalität gesichert werden. Die Beziehung zum 'UlenspiegeP rückt die Gestalt B.s wieder in das Interesse der Forschung. HONEGGERS These, B. hätte den 'Ulenspiegel' hochdeutsch geschrieben, wobei freilich viele nd. Sprachformen stehengeblieben seien (S. 96ff.), erhält durch das neuerdings aufgetauchte fast vollständige Exemplar Straßburg 1511/12 sowie durch FLOODS Nachweis, daß B. die Vorrede des 'Wigoleis vom Rade' (—»Wirnt von Grafenberg) be-

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nutzt hat, wichtige Stützen. Das Problem ist jetzt, ob nicht dieser mischsprachlichen Fassung ein älteres rein mnd. Original zugrunde liegt; dieses war bereits durch die Stammbaum-Forschungen KROGMANNS sehr wahrscheinlich gemacht worden. L i t e r a t u r . C. SCHAER, Conrad Botes Niedersächs. Bilderchron., 1880, S. 11-33; HÄNSELMANN, s. Ausg.; CH. WALTHER, Zur Gesch. d. Volksbuches vom Eulenspiegel, Ndjb 19 (1893) 1-79; E. DAMKÖHLER, Zum Braunschweiger Schichtspiel u. Schichtbuch, Ndjb 29 (1903) 123-131; J. SCHNEIDER, Die Verfasserfrage d. mnd. Spruchdicht.: De Koker, Diss. Göttingen 1938; W. KROGMANN, Zur Überl. d. 'Ulenspegel', Ndjb 67/68 (1942) 79-112; G. CORDES, Die Weltchron.n v. H.B., Braunschweigisches Jb. 33 (1952) 75-101; ders., H.B. u. sein 'Köker', Fs. L. Wolff, 1962, S. 287-319; P. HONEGGER, Ulenspiegel. Ein Beitr. z. Druckgesch. u. z. Verfasserfrage (Forschungen, hg. i. Auftrag d. Vereins f. nd. Sprachforschung, NF, Reihe B, Bd. 8), 1973; dazu: J.L. FLOOD, AfdA 87 (1976) 134-139; ders., Der Prosaroman 'Wigoleis vom Rade' u. d. Entstehung d. 'Ulenspiegel', ZfdA 105 (1976) 151-165; G. SCHMITZ, Verschollener Eulenspiegel-Frühdruck wiederentdeckt, Nd. Korrespondenzbl. 82 (1976) 33f.; B.U. HUCKER, Ndsächs. Lebensbilder 9 (1976) 1-21 (mit Lit., doch stark hypothetisch).

GERHARD CORDES Bote, Konrad Mnd. Chronist, Ende des 15.Jh.s. B. war vermutlich aus Wernigerode als Goldschmied nach Braunschweig zugewandert, wo er während der Jahre 1475-1501 in städtischen Steuerlisten und Registern nachweisbar ist. Hier schrieb er wohl auch 1489-91 seine 'Cronecken der sassen', die 1492 bei Peter Schöffer in Mainz erschien. Unmittelbar nach wiederholten inneren Unruhen in Braunschweig entstanden, ist B.s Chronik aus der Sicht der herrschenden Geschlechter geschrieben, wenn diese wohl auch nicht als Auftraggeber in Frage kommen. Anders als sein Zeitgenosse und (vermutlich) Vetter Hermann ->· Bote beschränkt er sich nicht auf die Stadt Braunschweig, sondern bezieht die gesamten niedersächsischen Lande und vor allem die Stadt Magdeburg in sein annalistisch gegliedertes, aber immer wieder in umfangreiche Erzählungen isolierter Ereignisse und detailreiche Kaiser- und Fürsten-

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Boto von Prüfening

genealogien abschweifendes Werk ein. Dabei trägt er seine Nachrichten aus den verschiedensten Quellen zusammen, so aus der -> 'Sächsischen Weltchronik', aus der -* 'Magdeburger Schöppenchronik' und der -> 'Braunschweigischen Reimchronik'. Das Fehlen eigener Nachrichten mindert die Bedeutung von B.s Chronik als historischer Quelle; in der Abfassung in mnd. Mundart und in der Detailfülle seiner Erzählungen liegt ihr Wert für Sprachwissenschaft und Volkskunde. In den niedersächsischen Ländern viel gelesen, fand die reich mit Holzschnitten versehene Ausgabe von 1492 (daher verschiedentlich auch als 'Niedersächsische Bilderchronik' bzw. wegen der Magdeburg betreffenden Notizen als 'Magdeburgische Chronik' bezeichnet) mehrere Fortsetzungen und schließich eine Übertragung ins Hd. durch Johann Pomarius ('Chronica der Sachsen und Niedersachsen', Wittenberg 1589). A u s g a b e n . Cronecken der sassen, Mentz 1492,2°; G.W. LEIBNIZ, Scriptorum Brunsvicensia illustrantium Tom. III, Hannover 1711, S. 277-423. L i t e r a t u r . K. SCHAER, Conrad B.s niedersächs. Bildchron., ihre Quellen u. ihr hist. Wert, 1880.

THOMAS SANDFUCHS Botenlauben -> Otto von B. Botenstein -»Ulrich von Pottenstein 'Bothos von Stolberg -> Heinrich von Stolberg

Jerusalemreise'

Boto von Prüfening I. Leben. Der Prüfeninger Mönch Boto (um 1105-um 1170), dessen Existenz in Frage gestellt war, nachdem A. BRASSICANUS ihn in seiner Ausgabe von 1532 durch einen Boto von Prüm (Potho Prumiensis) ersetzt hatte, ist seit J.A. ENDRES' grundlegender Untersuchung als historische Person, als theologischer Schriftsteller und Schreiber verschiedener Prüfeninger Hss. zweifelsfrei identifiziert. Lebenszeugnisse liegen nur aus seinen eigenen Schriften vor. Nach dem Prolog zu 'De domo Dei' war er adeliger Herkunft, erhielt Ausbildung in

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einer Klosterschule, wandte sich dann, wiewohl zum Erben des elterlichen Besitzes bestimmt, aus freiem Entschluß dem Mönchsleben zu. In seinem Zusatz zum 'Liber de miraculis s. Mariae' berichtet er von einem schweren Kopfleiden, das ihn als jungen Subdiakon heimsuchte und ihm alles gewonnene Wissen raubte. Damals sah er in einer Vision die Gottesmutter zu Füßen Christi in der 1123 geweihten Prüfeninger Marienkirche für seine Genesung beten. B. erlebte den großen Aufschwung seines Klosters (gegr. 1109) unter Abt Erbo I. (1121-1162). Von der Prüfeninger Freskenmalerei berichtet seine Beschreibung eines Bilderzyklus, mit dem die (nicht mehr vorhandene) Marienkirche ausgestattet wurde ('Liber de miraculis s. Mariae', PEZ, S. 408 f.). B. selber trug in dem von —> Wolfger geleiteten Scriptorium zur Buchkunst bei. Erhalten sind von seiner Hand Abschriften in mindestens drei Codices: München, clm 13072, lr-179v (vgl. SCHMITZ, S. 143 f.); clm 13099, lr-116v (vgl. SCHMITZ, S. 174f.; Faksimile einer Seite: S.200); clm 13102, lbr-109v (vgl. SCHMITZ, S. 182). In Fragen der monastischen Forma vivendi ein Mann der konservativen Reform, steht B. als Theologe unter dem Eindruck neuer Geistesbewegungen seiner Zeit. Er gehört, neben -> Gerhoch von Reichersberg und -* Honorius, vor allem zu den Schülern -»Ruperts von Deutz, nimmt aber auch bereits Werke der frz. Frühscholastik auf (Hugo von St. Viktor). II. Werke. Die von Johann Staindel Ende des 15. Jh.s geschriebene Hs. des 'Liber de scriptoribus ecclesiasticis' ('Anonymus Mellicensis') Wolfgers von Prüfening (Passau, StB, Inkun. 30; dazu LEHMANN, S. 555-557) enthält einen wahrscheinlich noch von Wolfger selbst nachgetragenen Abschnitt über B., nach dem dieser an Schriften verfaßte 1. omelias super evangelia XXX, 2. librum sermonum, 3. librum qui intitulatur de domo domini, 4. altum (librum) de opere sancte trinitatis, 5. commentum in ierarchiam Dyonisii, 6. libellum qui vocatur Dominicus de die dominica, 7. librum grandiusculum super extremam partem Ezechielis de edificio in monte, 8. libellum de arte tnusica, 9. alium (libellum) de officio missae, 10. (libellum) super Te igitur. Erhalten sind davon nur die unter den Ziffern 3, 5 (Bücher 4 und 5 von 'De domo Dei') und 7 genannten

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Boto von Prüfening

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geschichte, die schattenhafte (umbra) im Alten, die abbildhafte (imago) im Neuen Bund, die wahre (veritas) dereinst vollendete im Himmel. Das Haus des Neuen Bundes besaß für B. seinen vollkommenen Zustand in der apostolischen Frühzeit. Die ecclesia primitiva, vorgestellt als eine im Glauben geeinte Gemeinschaft ohne Privilegien und Eigenansprüche Einzelner, ist der Maßstab der vor allem im 3. Buch vorgetragenen Kritik an der Veräußerlichung der Kirche gerade in den Reihen der Geistlichkeit. Beklagt werden Besitzstreben und religiöse Heuchelei der verweltlichten Prälaten, die ihre Ämter nicht dem Verdienst, nur der Abstammung verdanken, verurteilt nicht minder die Neuerer (wohl Zisterzienser) im Mönchtum selbst, die sich den Vorwurf eines hochmütigen religiösen Individualismus (privata singularitas) gefallen lassen müssen. Gegen den neuen asketischen Eifer erhebt B. die Bewahrung der gu1. 'De domo Dei' und 'De magna ten Ordnung der Väter zum Reformziel. domo Sapientiae' Ruhe und Muße der Kontemplation sind r r Ü b e r l i e f e r u n g . Graz, ÜB, cod. 1448, l -78 u. ihm unbedingte Grundlage des MönchsV lebens, dem körperliche Arbeit aus seiner 78 -88V, 13. Jh. Ausgaben. D. Pothonis Presbyteri prumiensis ... Sicht nur abträglich sein kann. Neben PS. de Statu Domus Dei libri quinque ... Cura Joan. Dionysius (s.o.) ist die wichtigste nachgeAlexandri Brassicani, Hagenau 1532; danach: Biblio- wiesene, des längeren wörtlich ausgezogene theca maxima Patrum, Lyon 1677, S. 489-516. Quelle Hugos von St. Viktor 'Eruditio diDie vielleicht in den 50er Jahren (vgl. dascalica'. Auch die thematische BildlichENDRES, S. 626i.) entstandene ekklesiolo- keit des 'Hauses Gottes' könnte von Hugo gische Schrift 'De domo Dei' handelt unter angeregt sein, von einer unter seinem Nader umfassenden Bildidee des Hauses Got- men gehenden Schrift 'De domo Dei' (vgl. tes über die Ecclesia in ihrer Erscheinung ENDRES, S. 632) oder von 'De area Noe auf Erden und ihre urbildliche ewige Ge- morali' (12; IV 1-2). Wesentliche Beziehunstalt in der himmlischen Hierarchie. Von gen bestehen zum ändern zu -* Rupert von den 5 Büchern gehören die ersten 3, diese Deutz (SCHÖNBACH, S. 119; ENDRES, S. von bemerkenswert kirchenkritischer Prä- 631 f.). Dies gilt in besonders deutlichem gung, und die beiden letzten, die in enger Maße von der kleineren Schrift 'De magna Anlehnung an PS. Dionysius das Thema der domo Sapientiae', in der B. Schöpfung und 'Caelestis hierarchia' ausarbeiten, jeweils Erlösungswerk als das Haus der Weisheit, enger zusammen. B. sieht den Frieden der der zweiten göttlichen Person, darstellt; er Ecclesia in ihrem gegenwärtigen Zustand benutzt hier durchgehend Ruperts 'De glotief gestört: Der Geist der Welt ficht ihn rificatione Trinitatis' (CLASSEN, S. 38; außen und innen an. Als die entscheidende SCHMITZ, S. 260). Aufgabe die innere Reform erkennend, be2. ' H o m i l i a e in E z e c h i e l e m ' schreibt er im 1. Buch in einer ausgreifenden Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 13097, 1M24V, Tropologie des Bauens, wie der Christ sel- 12.Jh.; Heiligenkreuz, Stiftsbibl., cod. 262, lr-110r ber in sich die domus Dei zu errichten (Hom. 1-22), 12. Jh., und cod. 211, 102r-132v (Horn. habe. Gegenstand des 2. Buches sind die Er- 23-29, Fortsetzung von cod. 262), 12./13.Jh.; Nürnscheinungen des Hauses Gottes in der Heils- berg, StB, cod. Cent. I 65, 77ra-122vb, v. J. 1463.

Schriften, von N r. l zwei Predigten. Nicht genannt ist in der Liste seine Schrift 'De magna domo Sapientiae'. Irrig ist, wie MussAFiA, S. 54f., nachwies, die von PEZ vertretene Annahme der Autorschaft B.s am 'Liber de miraculis s. Mariae' (BHL 5357),dessen Kernbestand engl. Ursprungs ist und bis ins 11. Jh. zurückreicht; nur ein Zusatz, der von B.s Visionen berichtet, erhalten in zwei Hss. des -> 'Magnum Legendarium Austriacum' (Heiligenkreuz, Stiftsbibl., cod. 11; Zwettl, Stiftsbibl., cod. 13), die den 'Liber' aufnahmen, stammt von ihm. A u s g a b e n des 'Liber de miraculis s. Mariae' mit B.s Zusatz: B. PEZ, Venerabilis Agnetis Blannbekin ... Vita et Relevationes ... Accessit Pothonis Presbyteri et Monachi... Liber de Miraculis s. Dei Genetricis Mariae, Wien 1731; B.s Zusatz hier c.37. Neuer Abdruck: TH.F. CRANE, Liber de miraculis ... Mariae, Ithaca 1925; B.s Zusatz S. 55-58. LEHMANNS Annahme der Identität B.s mit dem 'Anonymus Mellicensis' hielt ebenfalls nicht stand; vgl. FICHTENAU, S. 344-351, dem LEHMANN, Erf. I 84 Anm. 4, zustimmte. Zu der älteren irrigen Beanspruchung B.s als Autor der 'Vita Erminoldi', des ersten Prüfeninger Abts, vgl. SCHMITZ, S. 308.

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Bovo von Corvey

Ausgaben. Prologus und erster Teil der 5. Horn.: ENDRES, S. 634f. u. 638-640; zweiter Teil der 5. Horn.: SCHMITZ, S. 269-273.

Anhaltspunkte für die Datierung der 'Homiliae' geben das seit 1159 bestehende Schisma, auf das B. in der 5. Horn, eingeht, und die nach der 8. Hom. im clm 13097 eingeschobene Korrespondenz mit dem 1168 verstorbenen Abt Johann von Weltenburg (vgl. ENDRES, S. 636-640). Die 29 'Homiliae', von B. als Fortsetzung der unvollendeten Ezechielhomilien Gregors des Gr. konzipiert (vgl. Prologus), haben den Charakter eines fortlaufenden Kommentars, dienen so, ungeachtet ihrer homiletischen Form, mit der sie an Gregor anknüpfen, offensichtlich nicht dem Predigtgebrauch, sondern der Lesung. Den Verfasser von 'De domo Dei' konnte die bei Ez 40, 48 beginnende Fortsetzung Gregors vor allem deshalb reizen, weil sie jenen Teil des prophetischen Buchs betraf, welcher Ezechiels Vision des Tempels auf dem Berge enthält. Die Verbindungen mit den Gebäudeallegoresen der früheren Schrift sind vielfältig. Die Zeitlage, in der B. schreibt, hat sich für ihn gegenüber der von 'De domo Dei' freilich spürbar gewandelt. Die ordnende Autorität des Papstes, auf die er dort in der Klage über die Gebrechen der Kirche baute, ist nun, mitten im Schisma, dahin; mit ratloser Trauer blickt er auf das Unheil der verwaisten Kirche. Die Stellungnahme zur kirchenpolitischen Situation beschränkt sich indes auf die 5. Homilie; ein zeitkritischer G rundzug wie in 'De domo Dei' bestimmt die 'Homiliae' nicht. Zu B.s maßgeblichen Quellen zählt wiederum Rupert von Deutz, aus dessen Ezechielkommentar er vielfach im Wortlaut entlehnt. 3. Predigten Von B.s zahlreichen Predigten (s.o. II; SCHMITZ, S. 302) haben sich nur 2 erhalten, eine kürzere zum Josephsfest, eine längere zur dritten Weihnachtsmesse. Beide legen die jeweiligen Evangelienperikopen zugrunde. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 13097, 125M27" u. 127V-132V, im Anschluß an 'De domo Dei', ohne Nennung des Verf.s. Ausgabe. Josephspredigt: SCHMITZ, S. 302-306.

L i t e r a t u r . A. MUSSAFIA, Stud. z. d. mal. Marienlegenden III, WSB 119/IX, 1889, bes. S. 53-56; A.E. SCHÖNBACH, Miscellen aus Grazer Hss., 3. Reihe, Mitt. d. hist. Ver.s f. Steiermark 48 (1900) 95-224, hier S. 96-120; J.A. ENDRES, B. v. P., NA 30 (1905) 603-646; W. NEUSS, Das Buch Ezechiel in Gesch. u. Kunst, 1912, S. 132-136; P. LEHMANN, Neue Textzeugen des Prüfeninger Liber de viris illustribus (Anonymus Mellicensis), NA 38 (1913) 550-558; H. FICHTENAU, Wolfger v. Prüfening,MÖIG 51 (1937) 313-357, bes. S. 344-351; P. CLASSEN, Gerhoch v. Reichersberg, 1960, S. 38,119 u. 152 Anm. 5; H. DE LUBAC, Exegese medievale II 2, Paris 1964, S. 43-46; H. GLASER, in: Hdb. d. bayer. Gesch. I, hg. v. M. SPINDLER, 1967, S. 463f. u. 467; SCHNEYER, Rep. I 694f.; WATTENBACH/ SCHMALE, Geschichtsquellen I 241 f.; H.-G. SCHMITZ, Kloster Prüfening im 12. Jh. (Miscellanea Bavarica Monacensia 49), 1975, bes. S.240-307.

F.J.WORSTBROCK Boto von Prüm -» Boto von Prüfening

Bovo von Corvey B. leitete 900-916 als 2. Abt dieses Namens das Kloster Corvey. Außer einer Notiz in -»Widukinds Sachsengeschichte (hg. P. HIRSCH, S. 106) über B.s angebliche Griechischkenntnisse ist nichts Näheres über ihn bekannt. Sein Kommentar zu Boethius, Cons.phil. III m. 9, verrät eine ungewöhnliche philosophische Bildung und große Selbständigkeit im Urteil. Ü b e r l i e f e r u n g . Cod. Vaticanus lat. 5956, 10.Jh., und (unvollst.) London, Brit. Mus., Harleianus 3095, 1. H. 10. Jh. (zur Datierung dieser Hs. vgl. HUYGENS, S. 377 u. H. SILVESTRE, Scriptorium 9 [1955] 279). A u s g a b e n . Nach der auf dem Vaticanus beruhenden Ausg. von A. MAI, Classici-Auctores III 332-335, die in PL 64, Sp. 1239A-1246D, übernommen wurde, erste krit. Ausg. von HUYGENS, S. 375-398 (zit.).

B. widmet seinen Kommentar einem jüngeren Verwandten namens Bovo, früher Mönch in Corvey, jetzt Bischof an einem fernen Ort (über dessen umstrittene Identität vgl. HUYGENS, S. 378-380, und Kunst u. Kultur im Weserraum I 9). Er konstatiert, daß der Text ihn entgegen seinen monastischen Pflichten zwinge, de platonicorum magis dogmatum vanitate quarrt de doctrinae evangelicae veritate (S. 383) zu sprechen, und er betont die Unvereinbarkeit vieler Stellen der 'Cons, phil.' mit dem christlichen Glauben. Trotz solcher grund-

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Bovo von Corvey

Ausgaben. Prologus und erster Teil der 5. Horn.: ENDRES, S. 634f. u. 638-640; zweiter Teil der 5. Horn.: SCHMITZ, S. 269-273.

Anhaltspunkte für die Datierung der 'Homiliae' geben das seit 1159 bestehende Schisma, auf das B. in der 5. Horn, eingeht, und die nach der 8. Hom. im clm 13097 eingeschobene Korrespondenz mit dem 1168 verstorbenen Abt Johann von Weltenburg (vgl. ENDRES, S. 636-640). Die 29 'Homiliae', von B. als Fortsetzung der unvollendeten Ezechielhomilien Gregors des Gr. konzipiert (vgl. Prologus), haben den Charakter eines fortlaufenden Kommentars, dienen so, ungeachtet ihrer homiletischen Form, mit der sie an Gregor anknüpfen, offensichtlich nicht dem Predigtgebrauch, sondern der Lesung. Den Verfasser von 'De domo Dei' konnte die bei Ez 40, 48 beginnende Fortsetzung Gregors vor allem deshalb reizen, weil sie jenen Teil des prophetischen Buchs betraf, welcher Ezechiels Vision des Tempels auf dem Berge enthält. Die Verbindungen mit den Gebäudeallegoresen der früheren Schrift sind vielfältig. Die Zeitlage, in der B. schreibt, hat sich für ihn gegenüber der von 'De domo Dei' freilich spürbar gewandelt. Die ordnende Autorität des Papstes, auf die er dort in der Klage über die Gebrechen der Kirche baute, ist nun, mitten im Schisma, dahin; mit ratloser Trauer blickt er auf das Unheil der verwaisten Kirche. Die Stellungnahme zur kirchenpolitischen Situation beschränkt sich indes auf die 5. Homilie; ein zeitkritischer G rundzug wie in 'De domo Dei' bestimmt die 'Homiliae' nicht. Zu B.s maßgeblichen Quellen zählt wiederum Rupert von Deutz, aus dessen Ezechielkommentar er vielfach im Wortlaut entlehnt. 3. Predigten Von B.s zahlreichen Predigten (s.o. II; SCHMITZ, S. 302) haben sich nur 2 erhalten, eine kürzere zum Josephsfest, eine längere zur dritten Weihnachtsmesse. Beide legen die jeweiligen Evangelienperikopen zugrunde. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 13097, 125M27" u. 127V-132V, im Anschluß an 'De domo Dei', ohne Nennung des Verf.s. Ausgabe. Josephspredigt: SCHMITZ, S. 302-306.

L i t e r a t u r . A. MUSSAFIA, Stud. z. d. mal. Marienlegenden III, WSB 119/IX, 1889, bes. S. 53-56; A.E. SCHÖNBACH, Miscellen aus Grazer Hss., 3. Reihe, Mitt. d. hist. Ver.s f. Steiermark 48 (1900) 95-224, hier S. 96-120; J.A. ENDRES, B. v. P., NA 30 (1905) 603-646; W. NEUSS, Das Buch Ezechiel in Gesch. u. Kunst, 1912, S. 132-136; P. LEHMANN, Neue Textzeugen des Prüfeninger Liber de viris illustribus (Anonymus Mellicensis), NA 38 (1913) 550-558; H. FICHTENAU, Wolfger v. Prüfening,MÖIG 51 (1937) 313-357, bes. S. 344-351; P. CLASSEN, Gerhoch v. Reichersberg, 1960, S. 38,119 u. 152 Anm. 5; H. DE LUBAC, Exegese medievale II 2, Paris 1964, S. 43-46; H. GLASER, in: Hdb. d. bayer. Gesch. I, hg. v. M. SPINDLER, 1967, S. 463f. u. 467; SCHNEYER, Rep. I 694f.; WATTENBACH/ SCHMALE, Geschichtsquellen I 241 f.; H.-G. SCHMITZ, Kloster Prüfening im 12. Jh. (Miscellanea Bavarica Monacensia 49), 1975, bes. S.240-307.

F.J.WORSTBROCK Boto von Prüm -» Boto von Prüfening

Bovo von Corvey B. leitete 900-916 als 2. Abt dieses Namens das Kloster Corvey. Außer einer Notiz in -»Widukinds Sachsengeschichte (hg. P. HIRSCH, S. 106) über B.s angebliche Griechischkenntnisse ist nichts Näheres über ihn bekannt. Sein Kommentar zu Boethius, Cons.phil. III m. 9, verrät eine ungewöhnliche philosophische Bildung und große Selbständigkeit im Urteil. Ü b e r l i e f e r u n g . Cod. Vaticanus lat. 5956, 10.Jh., und (unvollst.) London, Brit. Mus., Harleianus 3095, 1. H. 10. Jh. (zur Datierung dieser Hs. vgl. HUYGENS, S. 377 u. H. SILVESTRE, Scriptorium 9 [1955] 279). A u s g a b e n . Nach der auf dem Vaticanus beruhenden Ausg. von A. MAI, Classici-Auctores III 332-335, die in PL 64, Sp. 1239A-1246D, übernommen wurde, erste krit. Ausg. von HUYGENS, S. 375-398 (zit.).

B. widmet seinen Kommentar einem jüngeren Verwandten namens Bovo, früher Mönch in Corvey, jetzt Bischof an einem fernen Ort (über dessen umstrittene Identität vgl. HUYGENS, S. 378-380, und Kunst u. Kultur im Weserraum I 9). Er konstatiert, daß der Text ihn entgegen seinen monastischen Pflichten zwinge, de platonicorum magis dogmatum vanitate quarrt de doctrinae evangelicae veritate (S. 383) zu sprechen, und er betont die Unvereinbarkeit vieler Stellen der 'Cons, phil.' mit dem christlichen Glauben. Trotz solcher grund-

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sätzlicher Vorbehalte erklärt B. seinen Text methodisch sauber vorwiegend mit sachbezogenen philosophischen Argumenten und hebt sich darin ausdrücklich von früheren Kommentatoren ab, die, wie etwa Remigius von Auxerre, die objektive Differenz zwischen dem Platonismus bei Boethius und der christlichen Theologie überspielen. L i t e r a t u r . MANITIUS, LG 1526-529; J. A. ENDRES, Stud. z. Gesch. d. Frühscholastik, Philos. Jb. 25 (1912) 364-367; R. B. C. HUYGENS, Mal. Kommentare zum qui perpetua...', Sacris Erudiri 6 (1954) 373-427; Kunst u. Kultur im Weserraum 800-1600,1966, S. 9 u. 150; P. COURCELLE, La Consolation de Philosophie dans la tradition litteraire, Paris 1967, S. 273-274 u. 292-295.

FIDEL RÄDLE 'Bozner AbendmahlspieP (Spiel Nr. 15)

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'Bozner Chronik' - 'Bozner Fronleichnamsspiel'

• Debs, Benedikt

'Bozner Chronik' Die in der 2. Hälfte des H.Jh.s wahrscheinlich in Bozen entstandene dt. Aufzeichnung ist in drei Abschriften aus dem Beginn des 16.Jh.s überliefert: 1. Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, cod. Dip. 612,3-25; 2. Innsbruck, ÜB, cod. 502, 1-31; 3. ehemals im Wolkensteinischen Arch, auf Schloß Trostburg in Südtirol (dzt. unzugänglich). Eine Teiledition bietet AUSSERER, S. 386-398.

Die Chronik enthält ohne durchgehende zeitliche Ordnung Notizen sehr verschiedener Art aus den Jahren 1018-1366, etwa über politisches Geschehen im lokalen und entfernteren Bereich, über Naturereignisse, Katastrophen, Bauten und Auswüchse der Kleidermode. Der Schwerpunkt liegt in der Schilderung von Begebenheiten des 4. und 5. Dezenniums des 14. Jh.s. Für die im 16. Jh. entstandene, vielfach hsl. verbreitete sogen. 'Tiroler Chronik' diente die Aufzeichnung als Grundlage. Ebenso benutzte sie der Franziskaner Ferdinand von Troyer 1648 für die Abfassung seiner Chronik der Stadt Bozen. L i t e r a t u r . O. REDLICH, Tirol. Gesch.quellen d. MAs, Fs. d. Akad. Historiker-Klubs in Innsbruck, 1903, S. 7f.; K. AUSSERER, Die 'B.C.' u. ihre Nachrichten z. Gesch. d. Stadt Bozen, Der Schiern 3 (1922) 386-393; L. SANTIFALLER, Vom Schrift- u. Schreibwesen unserer Heimat im Altertum u. im MA, Der Schiern 13 (1932)

178-191 (ebd. Abb.20 u. 21 = Faks. v. cod. Dip. 612); G. GEROLA, Cronache Trentine del medio evo, Studi Trentini di scienze storiche 19 (1938) 16 f.; SANTIFALLER, Über d. schriftlich überlieferten Gesch.quellen Tirols, Tiroler Heimat 13/14 (1951) 124.

JOSEF RIEDMANN 'Bozner Emmausspiel I, IP -»Debs, Benedikt (Spiele Nr. 4 u. 11) 'Bozner Fronleichnamsspiel' (v. J. 1543) Ü b e r l i e f e r u n g . Zenoburg bei Meran, Privatbesitz Dr. von Braitenberg. Papierhs. datiert 1543. Ausgabe. A. DÖRRER, Tiroler Umgangsspiele (Schlern-Schriften 160), Innsbruck 1957, S. 193-196 (Umgangsordnung), 196-206 (Text des Bühnenspiels).

Die von einem Redaktor überarbeitete Quart-Hs. ist der älteste erhaltene Textzeuge jener in Bozen zu Fronleichnam veranstalteten Prozessionsspiele, die erstmals 1472 urkundlich belegt, vielleicht aber ein halbes Jh. älter sind und mit einigen Unterbrechungen anfangs alljährlich, später alle drei Jahre bis 1753 abgehalten wurden. Er bildete die Vorlage für den abermals veränderten und erweiterten gedruckten (!) Spieltext von 1590. Die Veranstaltung gliederte sich in die Prozession und ein abschließendes Bühnenspiel auf dem Bozner Musterplatz. Im Umgang stellten der Klerus der Pfarrkirche, ihre und der Klöster Gutspächter sowie die Zünfte Szenen aus der Heilsgeschichte vom Sündenfall bis zum Jüngsten Gericht teils nur figural, teils aber auch dramatisch dar. Die Texte dieser dramatischen UmgangsSzenen begannen mit dem Abendmahl, umfaßten weiter die Passion Christi vom Gebet am Ölberg bis zur Kreuztragung und schlössen unter Aussparung der prozessional nicht darstellbaren Kreuzigung und Grablegung mit der Auferstehung ab. Sie sind jedoch ebensowenig erhalten wie die das Bühnenspiel einleitenden Prophetensprüche. Dieses setzte vielmehr unmittelbar mit dem Dreikönigsspiel ein und ließ ihm nach einer eigenen Präcursorvorrede als Schluß und Höhepunkt des Ganzen das Georgsspiel mit dem Drachenstich folgen. Sichtbarer Aufwand und Aktion waren dabei wichtiger als der dürftige und trokkene Text.

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'Bozner Passionsspiele'

L i t e r a t u r . A. DÖRRER, 'VL l, Sp. 698-730; ders., Bozner Bürgcrspiele (StLV 291), 1941, passim; W.F. MICHAEL, Die geistl. Prozessionsspiele in Deutschland (Hesperia 22), Baltimore-Göttingen 1947, S. 48-52; DÖRRER (s.o. Ausg.), S. 186-192, 207-212; MICHAEL, Das dt. Drama d. MAs (Grundriß d. germ. Phil. 20), 1971,5.128-131.

HAN s JÜRGEN LINKE 'Bozner Grablegungsspiel I, IP -»'Kreuzabnahmespiele' (Debs, Benedikt, Spiele Nr. 2 und 14) 'Bozner Himmelfahrtsspiel' -> Debs, Benedikt (Spiel Nr. 1) 'Bozner Lichtmeßspiel' ->Debs, Benedikt (Spiel Nr. 7) 'Bozner Marienklage I, IP -»Debs, Benedikt (Spiele Nr. 9 u. 12) 'Bozner Osterspiel I, II, IIP -»· Debs, Benedikt (Spiele Nr. 3, 5, 8 u. 10) 'Bozner Palmsonntagsspiel' ->· 'Bozner Passionsspiele' 'Bozner Passionsspiele' I. Das Spiel von 1495 ist eine dreiteilige Passion, gespielt wurde am Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Bozen, Franziskanerkloster, Sign. I 51 (B); Cornell University, Ithaca/New York (USA), Ms. F. 6 (A) [Siglen nach WACKERNELL]. Beide Hss. sind Originale: Format (Schmalfolio), südbair. Dialekt und die Angabe der Spieler neben den jeweiligen dramatis personae und Spielerlisten am Ende der Hss. bezeugen ihre Verwendung als Regiebücher und erlauben die Datierung 1495. WACKERNELL möchte aufgrund einer Notiz in den Bozner Raitbüchern von 1495, daß ein hainricus ... die Reym in Sterzing abgeschrieben habe, sowie aufgrund seiner Konzeption eines 'Tiroler Passions' (s. u. 14) die beiden Hss. auf eine gemeinsame Vorlage Z, die eine Abschrift einer Sterzinger Hs. sei, zurückführen (WACKERNELL, 1897, S. XXXVI-XL). Demgegenüber wäre zu prüfen, ob A nicht eine Abschrift von B ist. 2. Ausgaben. H.M. SCHMIDT-WARTENBERG, PMLA 5 (1890) H. 3 (Abdruck von A); J.E. WACKERNELL, Altdt. Passionsspiele aus Tirol, 1897 (auf S. 3-253 die Varianten von BA gegenüber Sterzinger Hss.). Eine Ausgabe aller Bozner Passionsspiele bereiten B. KLAMMER und N.R. WOLF vor.

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3. Die Handlung folgt dem durch die Liturgie der Spieltage vorgegebenen Rahmen. Salbenkrämerszene und Ständesatire fehlen. Wichtig ist nur das Heilsgeschehen, das in engem Bezug zur Bibel dargestellt wird. Weitere Quellen sind Apokryphen ('Evangelium Nicodemi'). Ein Praecursor weist zu Beginn jedes Teils sowie am Ende des ersten auf die 'Bedeutung' des Geschehens hin. Ein wichtiges Gliederungsmittel sind lat. Gesänge (in den Hss. zu einem großen Teil mit Noten versehen). 4. Die Bozner Passion steht in engem Zusammenhang mit den übrigen überlieferten Tiroler Passionsspielen des späten MAs, besonders mit der 'Sterzinger Passion' und 'Pfarrkirchers Passion' (-> 'Sterzinger Passionsspiele'). Allerdings kann man WAKKERNELL kaum noch folgen, der mit Hilfe eines Stemmas eine Tiroler Passion rekonstruieren wollte. II. Das Spiel von 1514 war das größte seiner Art, aufgeführt wurden ein Palmsonntags-, Gründonnerstags-, Karfreitags-, Karsamstags-, Ostersonntags-, Ostermontags- und Himmelfahrtsspiel; diese Aufführung an sieben Tagen ist durch die Raitbücher und durch eine Notiz Vigil ->· Rabers (s. u. 1) bezeugt. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Die Hs. BH (Sigle nach WACKERNELL, 1897), die auf der Zenoburg bei Meran (Privatarch. Braitenberg) liegt, besteht aus zwei Teilen: BH I enthält die Spiele für den Gründonnerstag und Palmsonntag (in dieser Reihenfolge gebunden), BH II die Spiele für den Karfreitag und Ostersonntag. Jeder Teil ist von je einer Hand geschrieben; mehrfach begegnen eingelegte bzw. eingeklebte Papierstreifen des Spielleiters Vigil Raber mit Zusätzen (in BH II besonders für seine eigenen Rollen). Im Ostersonntagsteil sind neben den Personen die Namen der Spieler vermerkt. Das Palmsonntagsspiel ist auch als Hs. V der Sammlung Rabers erhalten (R.), von ihm zu Stertzingen ... in der vassten 1514 abgeschrieben (Original nicht zugänglich, Fotokopie im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Sign. FB 44809). Eine Notiz Rabers auf der letzten Seite (abgedruckt bei WACKERNELL, 1897, S. CCXXXVIf.) erlaubt die Zuweisung zum Spiel von 1514. 2. WACKERNELL, S. CCXXXIX, vermutet, daß die Spiele für die drei übrigen Tage dem Kodex des Benedikt -> Debs (Sammlung Rabers Nr. IV, Fotokopie im Ferdinandeum, Sign. FB 44795) entnommen worden seien. Das wäre möglich, denn BH überliefert nur vier

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Bracht, Johann

Tage; ferner notieren die Bozner Raitbücher von 1514, daß der Messner zu/ hall... etlich Register zum Spill hat geben (abgedruckt bei WACKERNELL, 1897, S. CCXXX VIII), für Hall sind aber ebenfalls nur vier Tage belegt (WACKERNELL, 1897, S. CCXXXIII). Allerdings bleibt offen, welche Marienklage und welches E mmausspiel, von denen Debs je zwei überliefert, ausgewählt wurden; Himmelfahrtsspiel ist im Debs-Kodex nur eines enthalten. Schließlich fehlt den Spielen von Debs jeglicher Hinweis auf eine Aufführung. 3. In Rabers Sammlung sind noch zwei Spielerverzeichnisse enthalten (Fotokopien im Ferdinandeum, Sign. FB 44814); da die Angaben mit denen in BH II und R übereinstimmen, ist die Datierung 1514 gesichert. 4. Ausgaben. Palmsonntagsspiel: WACKERNELL, 1897, S. 435-472 (nach Hs. XIII des Sterzinger Archivs mit den Lesarten von R); einige Varianten von BH ebd., S. 483-520; WACKERNELL stieß erst nach Abschluß seines Manuskripts auf die Abschrift, die A. v. WOLFSKRON 1847 vom Karfreitagsspiel und den Anfängen der drei anderen Teile gemacht hatte (jetzt im Ferdinandeum, Sign. FB 1107), und konnte deshalb BH nur in einem Nachtrag erwähnen.

Diss. Ohio State Univ., Columbus 1935; ders., Der Bühnenplan des Vigil Raber, Monatshefte 37 (1945) H. 4/5 (Fs. M.B. Evans), S. 114-129; W.F. MICHAEL, The Staging of the Bozen Passion Play, Germanic Rev. 25 (1950) 178-195; E. A. SCHULER, Die Musik d. Osterfeiern, Osterspiele u. Passionen d. MAs, 1951, passim, bes. S. 61 f. (der Melodienteil ist nur in der ungedruckten Diss. Basel 1940 enthalten); W.F. MICHAEL, Frühformen d. dt. Bühne (Schriften d. Ges. f. Theatergesch. 62), 1963, S. 37-^4; N. HÖLZL, Das größte Schauspiel d. dt. MAs, Der Schiern 40 (1966) 163-173; R. STEINBACH, Die dt. Oster- u. Passionsspiele d. MAs, 1970, bes. S.183f.(S.181-204Bemerkungenzur'TirolerPassion'); W. LIPPHARDT, Die Musik in d. Passions- u. Osterspielen von Bozen, Sterzing u. Brixen, in: Tiroler Volksschauspiel, hg. v. E. KÜHEBACHER (Schriftenreihe d. Südtiroler Kulturinstitutes 3), Bozen 1976, S. 127-166; N.R. WOLF, Die Bozner Passion von 1514, ebd., S.

5. Gegenüber der Passion von 1495 sind die Spiele vom Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag durch Zusätze stark erweitert; am Ostersonntag kommen auch Salbenkrämer- und Teufelszene mit Ständesatire dazu. Das Palmsonntagsspiel bringt nach der Versuchung besonders Wunderheilungen Jesu, die Salbung durch Maria Magdalena, den Einzug in Jerusalem, die Austreibung aus dem Tempel und den Beschluß der Juden, Jesus zu töten. III. A u f f ü h r u n g e n . Die Aufführungen wurden von den Bozner Kirchpröpsten veranstaltet und fanden in der Stadtpfarrkirche statt. Für die Passion von 1514 ist in R auf f. l r ein Bühnenplan eingezeichnet, der eine Rekonstruktion der Szene erlaubt. Aufgrund der Kirchpropstraitungen lassen sich Aufführungen von 1476 bis 1514, mit einem Nachzügler 1522, belegen (vgl. die genaue Darstellung von WACKERNELL, 1897, S.XL-L).

Bracht, Johann

L i t e r a t u r . Bis heute grundlegend WACKERNELL, 1897. Ferner: A. PICHLER, Über d. Drama d. MAs in Tirol, 1850, passim; W.H. CARPENTER, Notes on a German Passion Play, Johns Hopkins University Circulars 17 (1882) 238f.; J.E. WACKERNELL, Über d. altdt. Passionsspiele in Tirol (Abhh. aus d. Jb. d. Leoges.), 1893; M. MUMELTER, Das Osterspiel zu Bozen i. J. 1514, Der Schiern 2 (1921) 108-111; R. NORDSIECK, The Stage of the Passion Play at Bozen in 1514,

380-100.

NORBERT RICHARD WOLF

'Bozner Verkündigungsspiel' Benedikt (Spiel Nr. 13)

-»Debs,

J. B. hatte den Magister-Titel erworben und stand als Ratssekretär in Diensten der Stadt Lübeck, die am 13jährigen Krieg in Preußen lebhaft Anteil nahm. 1463 leitete er eine städtische Gesandtschaft, die mit dem Hochmeister und dem polnischen König Ort und Zeit für Friedensverhandlungen vereinbarte. Auf Grund des Erfolgs seiner Mission wurde er von der Stadt ein Jahr später erneut nach Preußen gesandt: er gehörte zur Gruppe lübischer Unterhändler, die sich 1464 in die Friedensverhandlungen zwischen Polen und dem Deutschen Orden einschaltete. Die Ereignisse dieser zweiten Reise hielt J. B. in tagebuchartigen Notizen fest und legte seine Aufzeichnungen als offiziellen Bericht dem lübischen Rat vor. Von Johann Hertze, einem der Fortsetzer der 'Detmarchronik' (—»· Detmar von Lübeck), wurden diese Aufzeichnungen ausgewertet und in einigen Abschnitten der -> 'Lübecker Ratschronik' verarbeitet (§§ 1884 und 1898-1898 c). Ü b e r l i e f e r u n g . Lübeck,Stadtarch., cod. H. R. II, 5, Nr. 443, §1-139 (mnd.). Ausgabe. Die Ratschron. (3. Forts, d. Detmarchron., 2. Teil), hg. v. F. BRUNS, in: Chron. dt.St.30, 1910, hier S.359f., 382-389 (Abdr. von Auszügen aus J. B.s 'Bericht'), u. 31, 1911, S.VI1I. Q

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Brack, Wenzeslaus - Bra(e)m, Konrad

Brack -»· Johannes von Brakel Brack, Wenzeslaus aus Liebenwerda (Sachsen), 1469 in Basel immatrikuliert, 1477 mag.art., später Rektor der Konstanzer Stadtschule, gest. vor 1496, stellte für seine Schüler einen 'Vocabularius rerum' zusammen, der aus folgenden Teilen besteht: 1) Nominalglossar (lat./ deutsch., mit z.T. sehr ausführlichen lat. synonymischen und sachlichen Erläuterungen); 2) Alphabetisch geordneter Auszug aus Isidor, Etymol. X; 3) 'De verbis' (lat./ deutsch, im Stichwortbestand fast identisch mit dem Verbteil des -»'Brevilogus'); 4) 'De modo epistolandi' (lat. Briefexempel, adressiert an Johannes Lantz, Probst in Höfen); 5) Hugos von St. Viktor 'Didascalicon'.

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deutlich vom Modell Hadamars ab. So bleibt unklar, ob man die Liebe oder das Herz des Mannes als den Bracken substituieren soll (so GLIER) oder ob nicht vielmehr, wofür einiges spricht, das Ganze parodistisch zu verstehen ist, wobei der Bracke die Rolle des Phallus spielte (DALBY). Literatur. Ausg. v. D. DALBY, Two Middle Franconian Hunting Allegories, Medieval German Studies. Fs. F. Norman, London 1965, S. 259-261; BRANDIS, Minnereden, Nr. 507; W. BLANK, Die dt. Minneallegorie, 1970, S. 193; GLIER, Artes amandi, S. 265.

WALTER BLANK Bra(e)m, Konrad

1. Aus kölnischem Gebiet stammend, erlernte K. B. das Druckerhandwerk wahrÜ b e r l i e f e r u n g . IZDrucke: GW4984-4995 (Erst- scheinlich in Paris unter Martin Crantz, druck: Basel, Peter Kollicker 1483; der im 1. Ergän- Michael Fr(e)iburger und Ulrich Gering: zungsband zu JÖCHERS Allg. Gelehrtenlexikon, Leip- seine ältere Type ist dem Vorbild der ersten zig 1784, Sp.2187, genannte Druck von 1480, o. O., Pariser Presse verpflichtet. Am 22. Juli 1474 scheint nicht zu existieren); die von STAMMLER immatrikulierte er sich für kanonisches (1VL I 272) als Vorstufe angesehene, die Teile 1-3 ent- Recht an der Universität zu Löwen, wo er haltende Hs. Donaueschingen, cod. 56 (37ra-128ra, der noch im selben Jahr eine selbständige Offivorangehende Text dat. auf 1486) stellt nichts weiter zin eröffnete. Seine Tätigkeit als Drucker dar als eine (vor allem die lat. Interpretamente) kürist bis in die 80er Jahre des 15. Jh.s belegt. zende Bearbeitung der Druckfassung mit einem ab2. Am philosophischen Schrifttum orienweichenden Vorwort. tiert, legte K. B. zunächst Aristoteles- und L i t e r a t u r . J.MÜLLER, Quellenschriften u. Gesch. d. deutschsprachl. Unterrichts bis z. Mitte d. 16.Jh.s, Porphyrius-Texte auf, ließ 1479 die 'Duo 1882, S. 226; P. JOACHIMSON, Württ. Vjbll. f. Landes- amantes' von Enea Silvio -»· Piccolomini gesch. N.F.5 (1896) 72f.; Gesch. d. humanist. Schul- folgen und brachte 1481 ein Konvolut mewesens in Württemberg I, 1912, S. 356 Anm. 122; dizinischer Texte heraus, das er nicht nur H. HÄNGER, Mhd. Glossare u. Vokabulare in schwei- redigiert, sondern teilweise auch übersetzt zerischen Bibl.n bis 1500, 1972, S. 63-66 (dort weitere hat. Llt> 3. Während beim -> Avicenna entlehnten · PETER SCHMITT '24-Paragraphen-Text' B.s Übersetzertätig'Die Brackenjagd' keit noch nicht feststeht, läßt sich sein AnIn einer Sammelhs. des 14. Jh.s vom Mit- teil an -»Lanfranks von Mailand 'Chirurgia tel- und Niederrhein aus der Bibl. der Grafen parva' inzwischen abgrenzen: er legte die von Manderscheid (Berlin, mgq 284,60ra/va) ndfrk. Fassung des 14.Jh.s zugrunde, verglich sie mit dem lat. Urtext und ersetzte steht ohne Überschrift dieses nur 46 Verse den Wortlaut an zahlreichen Stellen durch umfassende Gedicht der -»Hadamar von neu übertragene Abschnitte. Laber-Nachfolge. Die Sprache ist mfrk. L i t e r a t u r . W. u. L. HELLINGA, The fifteenth cent, In allegorischem Vorgang wird im ersten printing types of the Low Countries, Amsterdam 1966, Teil (v. 1-32) der jagende Bracke dem Mr. 32; F. GELDNER, Die dt. Inkunabeldrucker II, 1970, Minnewerber gleichgesetzt, im zweiten Teil S. 329; R. MÜLLER, Der 'Jonghe Lanfranc' (Altdt. (v. 33-^4-6) spricht der Jäger mit der Frau, ob Lanfranc-Übers.n I), Diss. Bonn 1968, S. 21; G. KEIL/ und wie der Hund trotz vieler Schwierig- R. MÜLLER, Dt. Lanfrank-Übers.n d. 14. u. 15. Jh.s, keiten ans Ziel gelangen könne. Die alle- Fs. E. Heischkel-Artelt und W. Artelt, 1971, S. 90-110, gorische Bedeutung der Minnejagd weicht hier S. 98; H.-U. ROEHL/G. KEIL, Tradition u. Inten-

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Brambeck, Peter - 'Brandans Meerfahrt'

tion. Gliederungsprobleme in d. 'Kleinen Chirurgie' Lanfranks, in: Acta congr. internal. XXIV. hist. art. med., Budapest [1974] 1976, D VIII 5; S. SCHOLLE, Lanfranks 'Chirurgia parva' in mndfrk. Übertragung, Diss. Würzburg 1977.

G. KEIL

Brambeck, Peter Das Quellenverzeichnis der 'Preußischen Chronik' Stenzel Bornbachs (Berlin, SB, Ms. Boruss. Fol. 248, Mitte d. 16. Jh.s) überliefert: Darnach volget Peter Brambeck, eines ratherrn zu Danzke, des Otto Brambecks bruder oder naher freund. Otto war seit 1457 Ratsherr der Rechtstadt Danzig und starb 1464; über Peter wissen wir weiter nichts. Ihm wird die 'Danziger Chronik vom Bunde' für die Jahre 1439-1466 (gedr.: HIRSCH, S.409-443) zugeschrieben. B.s Verfasserschaft und die Rekonstruktion der Chronik sind sehr zweifelhaft, da sie aufgrund der Überlieferung des 16. Jh.s geschahen. Es handelt sich um die Darstellung des Preußischen Bundes von Städten und Ständen unter Führung Danzigs gegen die Ordensherrschaft, der zum Krieg und Verlust großer Teile des Landes (Westpreußen, Ermland) für den Deutschen Orden führte, aus Danziger Sicht und mit bedingter Zuverlässigkeit. L i t e r a t u r . TH. HIRSCH, Die Danziger Chron. vom Bunde, wahrscheinlich von Peter Brambeck, in: SS rerum Prussicarum IV, 1870 (Nachdr. 1965), S. 405-409; P. GEHRKE, Das Ebert Ferber-Buch u. seine Bedeutung f. d. Danziger Tradition d. Ordensgesch., Zs. d. Westpreuß. Gesch.ver.s 31 (1892); J. DWORZACZKOWA, Dziejopisarstwo Gdanskie do polowy XVI wieku (Die Danziger Geschichtsschreibung bis z. Mitte d. 16. Jh.s), Gdansk 1962; Rep. font. Ill 343.

UDO ARNOLD Brand von Tzerstede -»Tzerstede, Brand von 'Brandans Meerfahrt' Eine legendarische Reisebeschreibung, die an die Vita des irischen Abtes und Klostergründers Brendan (t577 oder 583) anknüpft (Verhältnis zur Vita: OSKAMP, S. 20ff.). Zwei Hauptredaktionen: 1. die

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lat. 'Navigatio Sancti Brendani' ('Nav.') mit ihren vulgärsprachlichen Übersetzungen; 2. die dt./ndl. Sonderform der sog. 'ReiseFassung' ('Reise'). 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 1. 'Nav.': über 120 Hss., deren älteste ins 10. Jh. zurückreichen; noch das 15. Jh. bringt eine größere Zahl von Textzeugen (SELMER, 1950 [A Study ...]; 1959, S. XXVIff., S. XXXIIIff., S. 105ff.; Korrekturen u. Ergänzungen: L. BIELER, ZKG l [1961] 164ff.). Es liegen Übertragungen in die meisten mal. europäischen Vulgärsprachen vor (SELMER, 1956 [The Vernacular Translations ...]; 1959, S. XXXI), im dt. Bereich: hd. von Johannes -» Hartlieb, 1468, nd. in den Lübecker Drucken von -»'Der Heiligen Leben', ab 1488 mehrfach; ins Hd. übersetzt von Valentin Vorster, Drucke Basel 1511 u. 1517; darauf beruhen die Ausg. G. ROLLENHAGENS in 'Vier Bücher wunderbarlicher ... Indianischer Reysen', Magdeburg 1603, u. L.TH. KOSEGARTENS Legenden II, Berlin 1810 (SELMER, 1956 [The Vernacular Translations ...], S. 145f.). 2. 'Reise': Sie ist in 3 Überlieferungszweigen erhalten: a) eine mndl. Fassung, Comburger Hs. d. 14. Jh.s (C) u. Hulthemer Hs. d. 15.Jh.s (H); b) eine md. Bearbeitung von ca. 1300 (M) u. ein ostfälisches Ged. aus d. 2. H. d. 15.Jh.s (N); M und N gehen auf eine gemeinsame Vorstufe zurück (DAHLBERG, 1958, S. 76ff., Korrektur der Position MEYERS) ; c) eine bair. Prosaredaktion d. 15. Jh.s (P), die als Volksbuch weite Verbreitungfand (MEYER; SELMER, 1956 [The Vernacular Translations ...], S. 147; DAHLBERG, 1958, S. 24ff.; FREUDENTHAL). - Eine Version der 'Reise' dürfte auch den z.T. dunklen 'Brandan'-Stellen im -»'Wartburgkrieg' zugrunde liegen (SCHRÖDER, S. VIIff.; L.PEETERS, 1970 [Brandanprobleme], S. 6ff.; B. WACHINGER, Sängerkrieg [MTU 42], 1973: Tabellen IB, IIB, IHB, S. 13, 15, 17f., ferner S. 79ff.). II. A u s g a b e n . 1. 'Nav.': C. SELMER, Navigatio Sancti Brendani abbatis from Early Latin Manuscripts (Publications in Medieval Studies 16), Notre Dame (Indiana) 1559; ältere Ausg.n: s. ebd., S. lOZff. (zu den dt. Übers.n vgl. I. 1). 2. 'Reise': H und C: PH. BLOMMAERT, Oudvlaemsche gedichten der XIP, XIII' en XIV eeuwen I, Gent 1838, S. 91-120, II, Gent 1841, S. 1-28 (vgl. F.J. , AnzfKdVz 8 [1839] 255ff.); E. BONEBAKKER, Van sente Brandane naar het Comburgsche en het Hulthemsche handschrift, Amsterdam 1894; C: A.T.W. BELLEMANS, De Reis van Sente Brandane naar de Comburgse tekst (Klassieke Galerij, Nummer 5), Antwerpen 1942. Die krit. Ausg. von M. DRAAK, De Reis van Sinte Brandaan, Amsterdam 1949, verfährt eklektisch (vgl. G.A. VAN Es, TNTL 68 [1951] 208ff.). M und N: C. SCHRÖDER, San« Brandan. Ein lat. u. drei dt. Texte, 1871; T. DAHLBERG, Brandaniana (Göteborger German. Forsch. 4), Göteborg 1958. P ist nur unzulänglich edieit bei SCHRÖDER; eine gekürzte mnd. Prosaversion hg. von C. BAYERSCHMIDT/C. SELMER, An Unpublished Low German Version of the

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'Brandans Meerfahrt'

Navigatio Sancti Brendani, The Germanic Rev. 30 (1955) 83-91. Volksbuch: Sankt Brandans Seefahrt, (Faksimiledruck nach der Ausgabe von Anton Sorg, Augsburg um 1476), hg. von E. GECK, 1969. Wissenschaftlich wertlos ist R. BENZ, Sanct Brandans Meerfahrt. Das Volksbuch erneuert, 1927.

III. 1. Die 'Nav.' stammt aus irischer Schule. Das legt nicht nur die Titelfigur nahe, sondern das bestätigen Hibernismen im Latein und insulare Schreibgewohnheiten. Die hsl. Überlieferung weist nach Lothringen als Ausgangsort der Tradition. Als Zeitpunkt kommt die Mitte des 10. Jh.s in Betracht. Bei der weiteren Verbreitung dürfte der Text auch von der lothringischen Reform, an der Iroschotten maßgeblich beteiligt waren, mitgetragen worden sein (SELMER, 1949/51; 1953; 1950 [Israel...]; 1956 [Die Herkunft...]; 1956 [The Vernacular Translations ...]; 1959, S. XXVIf.). 2. Die drei Überlieferungszweige der 'Reise' gehen unabhängig voneinander auf ein verlorenes mfrk. Original von ca. 1150 zurück. Sie stehen sich bei erheblichen Differenzen doch so nahe, daß es streckenweise möglich ist, den originalen Wortlaut zu rekonstruieren; jedenfalls aber läßt sich ein relativ klares Bild vom Motivbestand des mfrk. Gedichts gewinnen. Der mndl. Übersetzer ist in seiner formalen Glättung gewandter als die dt. Texte (Zu seinem Sondergut: L. PEETERS, 1970 [De Reis ...], S. 29ff.). Der md./mnd. Zweig kürzt stark, vielfach vermag P den mndl. Text zu bestätigen. IV. 1. Die 'Nav.' berichtet von der wunderbaren Reise des hl. Brendan und seiner Begleiter zu einer paradiesischen Jenseitsinsel. Die Fahrt dahin erscheint als eine lockere Folge von Einzelepisoden. Diese Form hat es erlaubt, Materialien unterschiedlicher Art und Herkunft einzubauen. Sie sind zum größten Teil auch anderweitig bekannt: orientalisch-antike Motive - z.B. der Fisch, an dem die Seefahrer anlegen und auf dem sie Feuer machen, weil sie ihn für eine Insel halten stehen neben Szenen aus der christlichen Legenden- und Visionsliteratur - z.B. die Begegnung mit Judas, dessen Höllenqualen an Sonn- und Feiertagen gemildert sind (vgl. SELMER, 1959, 'Notes', S. 83E). Be-

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sonders nahe Beziehungen bestehen zum Typus der altirischen Schiffahrtserzählung, dem 'Immram' (BoswELL, S. 206 ff.; MEYER/NUTT; SEYMOUR, S. 622; OSKAMP). Dieser baut sich nicht nur wie die 'Nav.' als eine Kette von Inselepisoden auf, sondern es gibt auch im Motivbestand unzweifelhafte Berührungen; am nächsten steht der 'Immram Maelduin'. Man hat daraus entweder den Schluß gezogen, daß die 'Nav.' auf der Grundlage einer altirischen Schiffahrtserzählung von der Art des 'Maelduin' und unter zusätzlicher Verarbeitung orientalischer und christlicher Materialien geschaffen worden sei (ZIMMER, S. 176; WAHLUND, S. XXIV; DÜNN, S. 447), oder man hat gefolgert, daß die 'Nav.' den ImmramTypus nachhaltig beeinflußt habe (STOKES, S. 450; THRALL; J. CARNEY, Medium Aevum 32 [1966] 41 f.). Eine genaue Motivanalyse legt ein komplexeres Verhältnis nahe: die 'Nav.' dürfte mit einer Vorstufe des erhaltenen 'Immram Maelduin' zusammenhängen (HAUG, S. 277f.). Der Redaktor der 'Nav.' hat das überkommene Motivmaterial einer spezifischen Konzeption untergeordnet: Brendan hört von der Terra Repromissionis Sanctorum und fährt darauf mit einer Gruppe von Mönchen 7 Jahre über das Meer, um das paradiesische Land aufzusuchen. Der Kalender des Kirchenjahres gliedert die Episodenfolge in der Weise, daß die Hauptfeste Jahr für Jahr an denselben Orten gefeiert werden. Die siebenfache Rundreise, die vom Erzählstoff nur bedingt gefüllt wird, dürfte einen symbolischen Sinn haben: sie ist Bild der Lebensfahrt zum Paradies. Brendan ist auf dieser Fahrt der überlegene Reiseführer. Er durchschaut jede Situation, er bannt durch sein Gebet die Gefahren, und sein grenzenloses Vertrauen in Gott findet immer wieder wunderbare Bestätigung. In dieser Form konnte die Legende vorzüglich als Illustration des Peregrinatio-Ideals der irischen Missionare dienen. 2. Die 'Reise' hebt sich sowohl stofflich als auch der Konzeption nach entscheidend von der 'Nav.' ab. Die Reihenfolge der Episoden ist verändert, teilweise erscheinen sie bis zur Unkenntlichkeit abgewandelt. Überdies wird neues Material eingebaut, zu

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'Brandans Meerfahrt'

dem sich Parallelen insbesondere in den Spielmannsepen, vor allem im -*· 'Herzog Ernst', finden: Lebermeer, Magnetberg u. a. m. (vgl. BECKERS) . Bemerkenswert ist ferner ein verstärkter Motivschub aus der Visionsliteratur. In der Forschung herrscht die Meinung vor, daß es sich bei der 'Reise' um eine sehr freie Bearbeitung der 'Nav.' handle, möglicherweise über eine mündliche Vermittlung des Stoffes (ZiMMER, S. 336 ff.; DAHLBERG, 1954, S. 55; 1958, S. 10; vorsichtiger: SELMER, 1959, S. XXXI). Dem ist entgegenzuhalten, daß in der 'Reise' einzelne Motive in einer gegenüber der 'Nav.' ursprünglicheren Form erscheinen und daß sich Parallelen zur Immram-Literatur nachweisen lassen, die nicht durch die 'Nav.' gedeckt sind. Es ist daher mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Redaktor der 'Reise' aus einer hinter der 'Nav.' stehenden älteren und breiteren Tradition geschöpft hat (HAUG, S. 281 f.). Auffällig ist die Veränderung des Rahmens und damit der Konzeption: In der 'Reise' liest Brandan zu Beginn ein Buch, in dem die Wunder Gottes aufgezeichnet sind. Sie kommen ihm jedoch so unglaubwürdig vor, daß er es erzürnt ins Feuer wirft. Da erscheint ein Engel und befiehlt ihm auszufahren, damit er die bezweifelten Wunder mit eigenen Augen sehe, sie aufzeichne und so das verbrannte Buch ersetze. Die Meerfahrt besitzt damit keinen festen Zielpunkt mehr, die Symbolik der 'Nav.' muß ausfallen; die 'Reise' findet ihren Sinn in der Reihe der wunderbaren Episoden selbst, und sie endet mit einer Szene, die eine dem neuen Thema entsprechende Lehre bringt: Brandan trifft einen Zwerg, der versucht, das Meer auszuschöpfen. Das wird als Gleichnis gedeutet: so unmöglich wie dieses Unterfangen sei es, alle Wunder Gottes in Erfahrung zu bringen (zu diesem Motiv: J. BOLTE, ZfVk 16 [1906] 90ff.). Der Brandan der 'Reise' kann unter diesen Bedingungen nicht mehr der überlegene, mit prophetischem Blick begabte Seefahrer der 'Nav.' sein. Er erscheint nun als eine von den Geschehnissen selbst wesentlich mit betroffene Figur, er hat einen Lernprozeß durchzumachen. Die neue Situation ist erzählerisch reizvoller, sie bietet stärkere dramatische

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Möglichkeiten, die Schilderung wird farbiger; komisch-humoristische Züge dringen ein. V. Die Entstehung der 'Reise' ist im Zusammenhang des großen literarischen Aufbaus zu sehen, der sich in der Mitte des 12. Jh.s am Mittel- und Niederrhein vollzieht. In der Neukonzeption des BrandanStoffes schlägt sich - unter geistlichen Vorzeichen - jenes Interesse an der bunten Fülle der Wirklichkeit nieder, das die frühhöfische rheinische Literatur kennzeichnet und das in einer breiten Rezeption märchenhaftphantastischer Materialien antik-orientalischer und keltisch-bretonischer Herkunft seinen Ausdruck findet (Alexanderroman des Pfaffen -»Lamprecht, -> 'Graf Rudolf, -»· 'Trierer Floyris', rheinische Artusliteratur). Der Brandanstoff hat dann in der mhd. Blütezeit zwar seine Spuren hinterlassen (vgl. J. BUMKE, Die Wolfram von Eschenbach Forschung seit 1945, 1970, Reg. s. v. Brandanlegende), aber keiner der bedeutenden Epiker hat sich seiner angenommen. Die 'Reise' ist jedoch technisch geglättet ins spätereM A weitergereicht worden (Vorstufe M/N). Eine große Breitenwirkung erfährt sie schließlich nochmals durch das Volksbuch, von dem zahlreiche Drucke veranstaltet werden (s. I. 2c u. II. 2). Die Brüder vom gemeinsamen Leben scheinen die BrandanLegende aus den Niederlanden auch in den nd. Bereich, nach Mecklenburg und Pommern, getragen zu haben (SELMER, 1946, S. 412). Mit der Reformation bricht die Überlieferung im wesentlichen ab. Der Stoff findet seine letzte Funktion darin, die Leichtgläubigkeit der Papisten lächerlich zu machen. Trotzdem wurden die Brandan-Inseln nicht nur vom 13.-16.Jh. auf geographischen Karten irgendwo im westlichen Meer eingezeichnet, sondern man hat noch bis ins 18. Jh. Expeditionen ausgesandt, die die Terra Repromissionis des irischen Abtes draußen im Ozean suchen sollten (SCHRÖDER, S.V.; BABCOCK, S. 34ff.; DÜNN, S.459ff., 463f.; SELMER, 1959, S.XXXII). L i t e r a t u r . Bibliographien bei DÜNN, S. 471-477; KENNEY, 1929, S. 406-408; SELMER, 1956 [The Vernacular Translations ...]; 1959, S. 117-132. - C. SCHRÖDER, s. II. 2.; W. STOKES, The Voyage of Mael Duin,

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Brant, Sebastian

Rev. Celtique 9 (1888) 447-495, 10 (1889) 50-95; H. ZIMMER, Keltische Beitr. II, ZfdA 33 (1889) 129-220, 257-338; K. MEYER/A. Nurr, The Voyage of Bran, Son of Febal, to the Land of the Living, London 1895 u. 1897; C. WAHLUND, Die afrz. Prosaübers. von Brendans Meerfahrt nach d. Pariser Hs. Nat.-Bibl. f r. 1553 (Skrifter utgifna af K. Humanistika Vetenskaps-samfundet i Upsala IV 3), Upsala 1900; C.S. BOSWELL, An Irish Precursor of Dante, London 1908; W. MEYER, Die Überl. d. dt. Brandanlegende I: Der Prosatext, 1918; J. DUNN, The Brendan Problem, The Catholic Historical Rev. 6 (1920/1921) 395 477; W.H. BABCOCK, Legendary Islands of the Atlantic (American Geographical Society, Research Series No. 8), New York 1922; W.F. THRALL, Clerical Sea Pilgrimages and the Imrama, in: The Manly Anniversary Studies in Language and Literature, Chicago 1923, S. 276-283; J.F. KENNEY, The Sources for the Early History of Ireland, New York 1929 (Nachdr. 1966); ST.J.D. SEYMOUR, Irish Visions of the Other-World, London 1930; C. SELMER, The St. Brendan Legend in Old German Literature, Journal of the American Irish Historical Society 32 (1941) 161-169; ders., The Beginnings of the St. Brendan Legend on the Continent, The Catholic Historical Rev. 29 (1943) 169-176; ders., The Irish St. Brendan Legend in Lower Germany and on the Baltic Coast, Traditio 4 (1946) 408-413; ders., A Study of the Latin Manuscripts of the Navigatio Sancti Brendani, Scriptorium 3 (1950) 177-182; ders., Israel, ein unbekannter Schotte d. 10. Jh.s, Stud.Mitt. OSB 62 (1950) 69-86; T. DAHLBERG, Der hd. Zweig d. Brendanüberl., AASF,Ser. B, 84 (1954) 53-66; SELMER, Die Herkunft u. Frühgesch. d. Navigatio Sancti Brendani, Stud. Mitt.OSB 67 (1956) 5-17; ders., The Vernacular Translations of the 'Nav.': A Bibliographical Study, Medieval Studies 18 (1956) 145-157; DAHLBERG, 1958, s. II. 2; SELMER, 1959, s. II. 2; GECK, s. II. 2; W. HAUG, Vom Imram zur Aventiure-Fahrt (WolframStud. 1), 1970, S. 264-298; H.P.A. OSKAMP, The Voyage of Mael Duin, Groningen 1970; H. BECKERS, Brandan u. Herzog Ernst, Leuv. Bijdr. 59 (1970) 41-55; L. PEETERS, Brandanprobleme, ebd., S. 3-27; ders., De Reis van Sente Brandane, ebd., S. 28-40; R. PETERS, Die Reime d. mndl. Brandan-Versionen, ebd., S. 67 81; L. KRETZENBACHER, Sankt Brandan, Judas u. d. Ewigkeit, in: L.K., Bilder u. Legenden (Aus Forschung u. Kunst 13), Klagenfurt 1971, S. 150-176; L.PEETERS, Wade, Hildebrand and Brendan, Amsterdamer Beitr. z. Älteren Germanistik 3 (1972) 25-65; K.F. FREUDENTHAL, Ein Beitr. z. Brandanforschung: Das Abhängigkeitsverhältnis d. Prosaversionen, Nd. Mitt. 29 (1973) 78-92; R. LECLERCQ, Reimwörterbuch zu St. Brandan (Amsterdamer Publikationen z. Sprache u. Lit. 24), Amsterdam 1976.

WALTER HAUG Brandenstein -» Wilhelm von B.

Brandenturn -> Johannes von B.

Brandes, Dietrich —> 'Lübecker Ratschronik von 1401-1482' Brandes, Dirich ( )

'Evangelienharmonien'

Brant, Sebastian (latinisiert: Titio) I. Leben. Quellen der Biographie sind vor allem Briefe, Archivalien, gelehrtengeschichtliche Werke, Vorreden zu Drucken. Darstellung des Lebens bes. durch A.W. STROBEL, 1827, S. 1-16; ders. (II 8, Ausg.), 1839, S. 1-39; CH. SCHMIDT, 1879, Bd.l, S. 191-237; E.H. ZEYDEL, 1967, S. 15-63.

Geboren wurde B. 1457 als erstes Kind des Straßburger Ratsherren und Gastwirts der 'Großen Herberge zum goldenen Löwen' Diebolt Brant d.J. und seiner Gattin Barbara, geb. Picker. Über seine Kindheit und Jugend sind wir nur spärlich unterrichtet. 1468 wurde er durch den Tod des Vaters Halbwaise. Hinsichtlich B.s Schulbildung sind wir auf Vermutungen angewiesen. Er dürfte zunächst die Parochialschule von St. Thomas (Straßburg), später eine Schule in Baden besucht haben. Daneben genoß er wohl Privatunterricht. Im Herbst 1475 bezog er die Universität Basel. Nach dem Studium der Artes und bes. der klassischen Sprachen wählte er die Rechtswissenschaft, erlangte darin 1477 das Baccalaureat, 1483 (1484) das Lizentiat und wurde Dozent. Er lehrte vor allem kanonisches Recht, zuweilen Zivilrecht und seit 1484 regelmäßig Poesie. 1489 wurde er zum Dr. utriusque iuris promoviert, 1492 war er Dekan der juristischen Fakultät. Erst 1496 erhielt er eine besoldete Professur für römisches und kanonisches Recht. Außer in seinem Lehramt wirkte er als praktizierender Jurist. 1485 heiratete B. Elisabeth Burg (Burgis, Bürgi), die Tochter des Zunftmeisters der Baseler Messerschmiede. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor, von denen der Sohn Onophrius später als Jurist, Gelegenheitsdichter und Straßburger Ratsherr bekannt geworden ist. Im Jahre 1500 verließ B. Basel und trat zum 14.1.1501 die Stelle einesRechtskonsulenten (Syndikus) inStraßburg an. Daß sein Weggang aus Basel mit

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Brant, Sebastian

dem Abfall der Stadt vom Reich im Zusammenhang gestanden habe, scheint eher patriotische Legende als wahres Motiv. In Straßburg wurde B. 1503 Stadtschreiber (Kanzler, Erzkanzler). In dieser Stellung lebte er bis zu seinem Tode am 10. Mai 1521. Um seine Vaterstadt hat er sich mannigfach verdient gemacht, u.a. als geschickter Führer von Gesandtschaften, durch Neuordnung des Stadtarchivs und Begründung eines Armenpflegewesens. In hoher Gunst stand B. bei Kaiser Maximilian I.; dieser ernannte ihn zum kaiserlichen Rat, zum Comes palatinus und Beisitzer des kaiserlichen Hofgerichtes. B. war ferner Rat des Kurfürsten von Mainz. Straßburg hat seinem berühmten Sohn eine Gedenktafel gestiftet, die bis' zum heutigen Tage erhalten ist (vgl. ZEYDEL, 1966, S.319). B.s geistige Physiognomie ist durch Basel entscheidend geprägt worden. Hat ihn in seinen staatspolitischen Auffassungen-» Peter von Andlau beeinflußt, so wirkte Johann ->Heynlin (vom Stein) noch nachhaltiger auf ihn. Dieser hatte 1473, von Paris kommend, den Realismus an der 1460 (neu) gegründeten Universität Basel eingeführt. Er vertrat eine Richtung, die scholastisches Weltbild mit frühhumanistischer Betätigung verband. Der Heynlin-Kreis, dem -> Geiler, Brant, Bergmann von Olpe, Schott, Wimpfeling, Trithemius, (anfangs) Locher u.a. angehörten oder innerlich nahestanden, hatte sich freilich allmählich von frischer Kampfstimmung zu müder Resignation hin entwickelt (Verzicht auf alle philosophische Spekulation, Nichtigkeitsgefühl, Ideal monastischer Zurückgezogenheit). In einer Zeit religiöser Gärung war er auf Erhaltung der Kirche und der alten Ordnung bedacht, trat lediglich für die Abstellung gewisser Mißstände im kirchlichen Leben ein, war in kirchenpolitischen Fragen zurückhaltend bis zaghaft, noch weitgehend autoritätsgläubig, dabei auf moralischem Gebiet streng, ja engherzig, bei alledem aber stark pädagogisch ausgerichtet. B.s Schriften sind ein ziemlich getreuer Spiegel dieser Haltungen. Ein Verdienst des Kreises ist die Einführung eines neuen Bildungselements, des Studiums der klassischen Sprachen. Indes bedeutete dies noch keinen ästhetischen Hu-

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manismus; verbesserte Verwendung der alten Sprachen wurde begriffen als Mittel zur Verbesserung des Denkens. Dennoch wuchs auf diesem Grunde bereits eine Art philologischen Geistes. B. hat vor allem während seiner Baseler Zeit den umrissenen Auffassungen auf mannigfache Weise gedient. II. Werk. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Überlieferungsund Druckgeschichte insbesondere der Briefe und Gedichte harren noch der Aufarbeitung. Werkverzeichnisse und ältere Ausgaben bei GOEDECKE, Grundriß I 381-392, u. CH. SCHMIDT, 1879, Bd. 2, S. 340-373. Drucke bis 1500: GW 5019-5072. Drucke des 16. Jh.s: Index Aureliensis, Prima pars, Bd. 5, 1974, Nr. 123.659-123.755. Ein immer noch unentbehrliches Corpus Brantscher Schriften bietet F. ZARNCKE (Hg.), S. B., Narrenschiff, 1854 (Nachdr. 1964).

B.s gesamte literarische Tätigkeit ist unter dem Aspekt der Breitenwirkung zu sehen. Was ihn bewegte und er für richtig und notwendig erkannte, wollte er Gelehrten wie Ungelehrten unter Einsatz der jeweils förderlichsten Mittel nahebringen (vgl. II 6). Meist hat er sich dabei der Unterstützung durch den Holzschnitt versichert. 1. B. begann seine literarische Arbeit als B e r a t e r (Corrector) der B a s e l e r D r u k ker. Sie bestand in der Auswahl der zu druckenden Bücher, in der Wahl der Vorlagen, der Abfassung von Vorreden, Widmungs- und Empfehlungsbeiträgen, z.T. in der Annotierung und Kommentierung, der Mitwirkung an der Illustrierung, der Überwachung der Drucke u.a. Auf diese Weise soll B. ein Drittel aller im letzten Viertel des 15. Jh.s in Basel gedruckten Bücher betreut haben. Die Titel dieser Drucke verraten viel über B.s geistige Welt. Unter den Editionen sind Werke religiös-kirchlichen Charakters, solche zur Kirchen- und Reichspolitik, zahlreiche juristische Schriften, Bücher für den akademischen Unterricht, Werke antiker und humanistischer Autoren. Diese in Basel ausgeübte Tätigkeit setzte B. in Straßburg fort: Ausgabe des Vergil 1502, des Terenz 1503, von Peutingers 'Sermones' 1506; von -» 'Der Heiligen Leben' 1502, 1510, 1513 (vgl. W. WILLIAMS-KRAPP, Stud. z. 'Der Heiligen Leben', ZfdA 105 [1976] 298-300);

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noch kurz vor seinem Tode wirkte B. an der erst 1532 veröffentlichten dt. Ausgabe von Petrarcas 'Artzney beyder Glück' mit. 2. B.s Ruhm als 'Narrenschiff'-Dichter hat seinen Ruf als Jurist zumindest seit dem 17. Jh. verdunkelt. Als j u r i s t i s c h e r S c h r i f t s t e l l e r und E d i t o r war er jedoch bis dahin hochgeachtet. Er war zwar kein selbständiger juristischer Kopf oder Neuerer, aber er propagierte und popularisierte mit Hingabe das römische Recht, von dem er sich eine geistig-sittlich-soziale Erneuerung und Besserung des Rechtszustandes im Reich erhoffte. Seine erste juristische Arbeit (1490) sind die 'Expositiones sive declarationes omnium titulorum iuris ...', ein aus Vorlesungsskripten über die Dekretalen und das Corpus iuris erwachsenes Übersichtslehrbuch zum römischen Recht (bis 1632 36 Auflagen). Quellen römischen Rechts wollte B. zugänglich machen durch seine Editionen des 'Decretum Gratiani' (1493), der Dekretalen Gregors (1494), der 'Margarita decretalium' (um 1494), der 'Panormia' des Ivo von Chartres (1499), des 'Liber sextus' (1499) oder der Baseler Konzilsdekrete (1499). Um das römische Recht auch ungelehrten Richtern und Schöffen der Untergerichte nahezubringen, gab er zwei volkstümliche Sammlungen heraus: 1509 den 'LayenspiegeP Ulrich —»Tenglers, eine 'RealEnzyklopädie der populären Jurisprudenz für die Praxis' (STINTZING), und 1516 den 'Richterlichen KlagspiegeP, ein zivil- und strafrechtliches Werk eines anonymen Stadtschreibers aus Schwäbisch-Hall (um 1440), das schon mehrmals im Druck erschienen war. Mit B.s Edition begann eine neue Wirksamkeit dieses Buches, in dem römisches Recht auf deutsche Verhältnisse und Bedürfnisse zugeschnitten war. Ausgaben davon erschienen bis zum Jahre 1612. 3. Als Straßburger Stadtschreiber hat B. eine Reihe von A r b e i t e n h i s t o r i s c h e n und g e o g r a p h i s c h e n C h a r a k t e r s geschaffen. Sehr wahrscheinlich wirkte er an der Straßburger Archivchronik (seit 1510) mit. Nur mittelbare Beziehungen hat er zu den sog. 'Annalen Brants'. Sie sind in Wahrheit eine Kompilation Jacob Wenckers (1590-1659), der dazu die 'Memorialia oder

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Gedenckbüchlein' verwertete, die B. (substantieller freilich als seine Amtsvorgänger) als Stadtschreiber angelegt hat. Aus B.s Nachlaß stammt eine Torso gebliebene 'Chronik über Deutschland, zuvor des lands Elsaß und der löblichen statt Straßburg', deren Vorbild in den römischen Itinerarien zu sehen ist; Caspar Hedio hat sie seiner 'Außerlesenen Chronick...' (1539), allerdings nicht vollständig, beigegeben. Diese Arbeit zeugt nicht nur von B.s geographischen Interessen, sondern auch von entwickeltem Nationalstolz. Ein zeitgeschichtliches Dokument aus B.s Feder ist 'Bischoff Wilhelms von Hoensteins waal und Einrit anno 1506 und 1507', eine Prosadarstellung von Wahl und feierlichem Einzug des neuen Straßburger Bischofs, die durch eine große Zahl kulturgeschichtlicher Details und eine gewisse Freimütigkeit ihres Autors besonderen Wert besitzt. A u s g a b e . A.W. STROBEL/L. SCHNEEGANS (Hgg.), Code hist, et diplomat, de la ville de Strasbourg I 2, Straßburg 1843, S. 239-299. Auszug bei ZARNCKE, S. 199-204.

Kurz vor B.s Tod entstand eine Arbeit auf der Grenze zwischen Historic und Recht, der 'Uszugk einer Stadt Straszburg alt harchomen und bestetigten freyheiten' (1520), in dem die in Jahrhunderten verliehenen kaiserlichen Privilegien und Papstbriefe an Straßburg zusammengestellt und nach ihrer historischen wie rechtlichen Problematik erläutert sind. Obgleich ohne literarischen Anspruch, zeugt diese Arbeit für den auf das Wohl seiner Vaterstadt bedachten gelehrten Stadtschreiber (zu B.s Jerusalem-Werk s. 116). 4. Seine dichterische Laufbahn begann B. als gelehrter Poet. Die Zahl seiner l y r i schen Gedichte ist groß. Eine erste Sammlung erschien um 1494 unter dem Titel 'In laudem gloriose virginis Mariae multorumque sanctorum varii generis carmina'. Dieser Ausgabe folgte 1498 die wesentlich erweiterte Sammlung 'Varia carmina'. Neben den Marien- und Heiligengedichten treten darin besonders solche vaterländischen Charakters hervor. Nicht müde wird B., seine Idealgestalt Maximilian I. zu feiern, von dem er eine Stärkung des deutschen Kaisertums gegen welsche Ansprüche und die

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Niederwerfung der Türken erhoffte. Darüber hinaus enthalten die 'Varia carmina' Lobgedichte auf Persönlichkeiten der Vergangenheit wie Gegenwart, auf Institutionen und Gegenstände, ferner Empfehlungsund Gelegenheitsgedichte unterschiedlicher Thematik; auch Flugblattgedichte (s. u. II6) wurden aufgenommen. Die zahlreichen nach 1498 entstandenen Gedichte sind gesammelt nicht mehr erschienen. B. war ein talentierter lat. Poet. Er verrät antike Schulung im Gebrauch der Sprache, der Metren und der rhetorischen Mittel, und wo ihm vom Thema her, besonders religiösen und nationalen, das Herz voll war, wußte er seinen Versen kräftigen dichterischen Schwung zu verleihen.

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ler wie thematischer Hinsicht von großer Bedeutung für das 'Narrenschiff' selbst. Ein Nachzügler in diesem Bereich, ebenfalls dem 'Narrenschiff' innerlich verwandt, ist B.s B e a r b e i t u n g von -»Freidanks 'Bes c h e i d e n h e i t ' (gedr. 1508 u.ö.). Diese Neufassung hat dem Freidank zu neuem Leben verholfen; er wurde in B.s Version bis ins 19. Jh. hinein gelesen. A u s g a b e n. Druckedesdt.'Cato'bei WORSTBROCK, Antikerez., Nr. 88-112. Text des 'Cato', 'Facetus', 'Moretus' und der 'Thesmophagia' bei ZARNCKE, S. 131-153. Zur Anlage und zu den Zusätzen der Freidank-Bearbeitung vgl. ZARNCKE, S. 164-169.

6. Als Publizist wirkte B. zwischen 1488 und 1504 vornehmlich durch das i l l u s t r i e r t e F l u g b l a t t ; oft stehen lat. und dt. Fassungen davon nebeneinander. Sie unterAusgabe. Teilabdruck der 'Varia carmina' bei scheiden sich im Blick auf die Adressaten ZARNCKE, S. 174-195; Abdrucke einer Anzahl späterer Gedichte ebd., S. 195-199. nicht nur in formaler Hinsicht und im Ge5. B.s Weg zum deutschen Dichter be- brauch anderer sprachlich-stilistischer Mitginnt m i t Ü b e r s e t z u n g e n lat. D i c h t u n - tel, sondern auch von der Intention und der gen. Am Anfang dürfte die Verdeutschung Akzentuierung her. Bei den dt. Blättern der Mariensequenz -» 'Ave praeclara maris steht das religiös-ethisch-erzieherische Mostella' (ZARNCKE, S. 163 f.) stehen; ihr folgen ment, bei den lat. das politisch-institutionelldie des 'Verbum bonum' (CH. SCHMIDT, juristische im Vordergrund. B. nimmt in 1875, S. 61) und des Hymnus -> Tange diesen Gedichten zu politischen Ereignissen lingua gloriosi'. Neben diesen Übertragun- und sonstigen Zeiterscheinungen (Syphilis gen steht die Übersetzung 'Sant Bernarts u.a.) das Wort und verkündet seine AufRosenkrantz' (um 1496 gedruckt; CH. fassungen, Sorgen und Hoffnungen; viele SCHMIDT, 1875, S. 65-67) und die des Gebet- Gedichte lassen sein historisch-politisches buchs ->'(H)Ortulus anime' (1502 u.ö.). Wunschdenken erkennen. Sie knüpfen oft Sie alle zeugen von der anfänglichen Schwie- an außergewöhnliche Naturerscheinungen rigkeit und den allmählichen Fortschritten an (Mißgeburten, Meteorfälle, Übereines lat. Dichters, der bestrebt ist, sich die schwemmungen, Vogelschwärme), die B. eigene Muttersprache poetisch zu erobern. als Anhänger des Prodigienglaubens als eine Größere Bedeutung als diesen Versuchen Zeichensprache des Übersinnlichen seinen kommt B.s Übersetzungen einer Reihe gno- Zeitgenossen (in seinem Sinne) interpretiert. misch-moraldidaktischer Werke zu, die Auch religiöse Gedichte hat er in Flugblattpraktische Lebensregeln vermitteln und be- form veröffentlicht. Rund 20 seiner Flugreits mal. Tradition entstammen: —>· 'Cato' blätter sind erhalten; es waren vermutlich ('Disticha Catonis', gedr. zuerst 1498), mehr. -»'Facetus' (gedr. 1496 u.ö.), -»'Moretus' A u s g a b e d. Flugblätter: P. HEITZ (Hg.), Flug(gedr. 1499 u.ö.), 'Thesmophagia' (auch blätter des S. B., mit Nachw. v. F. SCHULTZ, 1915. Ein 'Phagifacetus', gedr. 1490; -»Reinerus Ale- neuentdecktes Flugblatt (Ged. an den hl. Sebastian) bei mannicus). Obgleich die drei erstgenannten WACKERNAGEL/SACK/LANDOLT. nach dem 'Narrenschiff' erschienen sind, Eine letztlich publizistisch gemeinte Ardürften sie (nach der Übersetzungsleistung beit B.s ist das als Suasoria konzipierte Proin der genannten Reihenfolge) bereits Ende sawerk 'De origine et c o n v e r s a t i o n e der 80er Jahre entstanden sein. Sie alle zeu- b o n o r u m regum et l a u d e c i v i t a t i s gen nicht nur erstmals von B.s volkspädago- Hierosolymae' (1495). Es stellt, wohl im gischen Neigungen, sondern sind in forma- Blick auf Kaiser Maximilian verfaßt, einen

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Aufruf zum Kreuzzug gegen die Türken und zur Rückeroberung des heiligen Landes dar, den B. durch eine aufwendige gelehrt-historische Abhandlung zu begründen versuchte. Das Werk erschien 1518 in einer dt. Übersetzung von Caspar Frey. Auch als religiöser Publizist ist B. hervorgetreten, z.B. in der Frage der Conceptio immaculata und im Zusammenhang mit dem Jetzer-Prozeß. 7. Aus drei vagen Äußerungen Wimpfelings geht hervor, daß B. in Straßburg auch mit einem Theaterstück über Herkules am Scheidewege zu tun hatte, das, nicht lange vor Herbst 1512, unter seiner Leitung aufgeführt worden sein soll. Als Autor des Dramas wird B. nicht genannt, seit CH. SCHMIDT aber als solcher betrachtet. Finden konnte man indes das gesuchte Drama lange Zeit nicht. Mutmaßungen früherer Forscher aufgreifend, hat D. WUTTKE 1964 mit gelehrtem Aufwand den Nachweis zu führen versucht, in der 'Historia Herculis' (1515) des Pangratz Bernhaubt gen. Schwenter liege die dt. Version eines lat. Dramas vor, hinter dessen Verfasser Gregorius Arvianotorfes B. selbst zu erkennen sei. Eine völlig neue Wendung erhielt die Frage, als 1967 H.-G. ROLOFF in Wolfenbüttel ein Tugent-Spyl... Durch Doctor Sebastianum Brand in Reimens weiß ... gestellet' entdeckte, das 1554 der Straßburger Magister Johann Winckel herausgegeben hat; in seiner 'Widmungsvorrede weist Winckel zweimal ausdrücklich auf B. als Autor hin. Dieser Text hat jedoch neue Fragen aufgeworfen. Die einleitenden Worte des Herolds enthalten Hinweise, daß in Straßburg vor manchen tagen eine andere dramatische Bearbeitung des Herkulesstoffes aufgeführt worden ist. Das aufgefundene Spiel aber greift das Herkulesthema zugunsten von etlich new matery nur rahmenbildend auf. Es wäre zu fragen: War B. der Verfasser des (noch nicht gefundenen) Straßburger Spiels I oder des von ROLOFF entdeckten Spiels II oder beider; oder ist Spiel II B. irrtümlich zugeschrieben worden, weil man von einer Herkulesdramatisierung B.s (in Spiel I ?) wußte, oder gab es in Straßburg gar eine dritte Spielfassung, auf die Wimpfelings Angabe historijsque et gestis herculeis (vgl. ZfdA 97 [1968] 237) zielen könnte? Daß B. am Drama interessiert war, steht außer Zweifel; welcher Art aber sein eigener Beitrag zur dramatischen Gattung gewesen ist, läßt sich im gegenwärtigen Thesenstadium der Forschung noch nicht sicher beurteilen.

8. Zum gefeiertsten deutschen Dichter seiner Zeit wurde B. durch seine große Moralsatire, das ' N a r r e n s c h i f f ' ('NSch')

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von 1494. Es sollte der bedeutendste Erfolg in der deutschen Literatur bis zu Goethes 'Werther' werden. Lochers lat. Version ('Stultifera navis') von 1497 vermittelte ihm die europäische Wirkung. A u s g a b e n . A.W. STROBEL (Bibl. d. ges. dt. Nat. Lit. 17), Quedlinburg-Leipzig 1839; F. ZARNCKE (s.o. II), immer noch grundlegend; K. GOEDEKE, 1872; F. BOBERTAG (DNL16), 1889, mit den Holzschnitten; M. LEMMER, 21968, mit den Holzschnitten. FaksimileAusg.n: H. KÖGLER, 1913; mit Nachw. v. F. SCHULTZ, 1913. - Ausg.n von Lochers 'Stultifera Navis': HEIDLOFF, S.34-42.

B. läßt in einer Art Revue 112 Narrengestalten vorüberziehen, typisch gezeichnete Gestalten, an denen er menschliches Fehlverhalten konkretisiert. Dabei spannt sich der Bogen von den sieben Hauptsünden (samt deren Unterklassen) bis hin zu mehr oder minder großen allgemein-menschlichen Schwächen oder Verstößen gegen Anstand und Sitte: Aberglauben, Reliquienhandel und Pfründenjägerei, Quacksalber tum, Prozeßsucht und Pseudogelehrsamkeit, falsche Kindererziehung, Geldheirat und törichtes Planen, Modenarrheiten, nächtliches Ständchenbringen und Reiselust werden neben vielem anderen in bunter Folge aufs Korn genommen. Kaum ein Mensch, der sich nicht in dieser oder jener Gestalt des 'NSch' wiedererkennen könnte. Dieser Narrenreigen vermittelt zugleich ein plastisches Bild des Lebens um 1500, da B. kaum einen Stand oder eine soziale Gruppe ausspart. Die beispiellose Wirkung des 'NSch', das dem 16. Jh. eine Art 'WeltbibeP (F. SCHULTZ) wurde, hat der Kritik lange nur Achselzukken und Kopfschütteln abgenötigt. Seit ZARNCKE galt es als poetisch schwache Leistung, bloße Kompilation, bar jeder Originalität. Erst seit jüngerer Zeit scheint sich eine historisch angemessenere Beurteilung von B.s Leistung anzubahnen. Gewiß ist das 'NSch' ein Sammelbecken vielfältiger Traditionen. Es lebt auf weite Strecken von Zitaten aus Bibel, klassischen Autoren, Corpus iuris, deutschsprachiger Didaktik des späten MAs und vielen anderen Quellen. Auch die Gestalt des Narren ist nicht neu, die Schiffsmetapher abgeborgt, moralische Belehrung mit Zeitkritik und Satire ver-

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quiekt, seit alters geläufig. Worauf beruhte also der Erfolg ? R. GRUENTER sieht einen 'epochemachenden Kunstgriff' B.s darin, daß es ihm gelungen sei, die Vielfalt menschlicher Verkehrtheiten unter den allgemeinen Gesichtspunkt der Narrheit zu zwingen. Dabei ist für B. der Narr nicht mehr Gegenstand derber Komik und possenhafter Belustigung, sondern Symbolfigur für alle, die von der wißheyt abgewichen sind. B.s Narr ist durch moralischgeistige Insuffizienz geprägt; Selbsterkenntnis soll ihn zur Weisheit zurückführen. Nicht Narr zu sein gilt als verwerflich, sondern Narr zu bleiben. Diese Grundauffassung verband B. mit einer Reihe gängiger und wirkungsstarker Vorstellungen: mit dem zeitgenössischen oberrheinischen Fastnachtsnarren, dessen Kostüm ihm in satirischer Umkehrung als das Alltagskleid des Menschen erscheint - und damit das ganze Leben als ein Narrenzug, an dem jeder teilhat. Diesem Bereich entlehnte B. auch die Narrenattribute Kappe, Schelle und Kolben. Dazu treten einprägsame Bildkreise wie Glücksrad, Schiffahrt und Narrenreigen (als verkappte Form des Totentanzes). Mit diesen Mitteln ist es B. in seinem Bestreben, 'das aus den Fugen gehende Volksleben durch die Satire wieder ins Lot zu bringen' (P. BÖCKMANN), gelungen, eine eingängige Narrenkonzeption zu entwikkeln und zu einer allumfassenden Möglichkeit der Weltsicht zu machen. Die durchschlagende Wirkung des 'NSch' erweckt den Eindruck, als habe die Zeit auf ein solches erlösendes Wort geradezu gewartet. Zwar sind B.s Ideale weitgehend retrospektiv; er sucht das Heil der Welt in der Rückkehr zu den göttlichen Geboten und der Wiederherstellung der Autorität von Kirche und Kaisertum. Aber neben dieser mal. Grundkomponente gibt es im 'NSch' auch vorwärtsweisende Elemente. So ist schon seit langem darauf hingewiesen worden, daß sich in ihm bürgerlich-städtischer Geist des 14./15.Jh.s artikuliere und das 'NSch' das eigentlich erste große bürgerliche Literaturwerk in Deutschland sei. In der Tat erweist sich B. als Anwalt bürgerlich-patriotischer Tugenden; gegen bürgerlichen Gemeinsinn zu verstoßen, tadelt er z.B. ebenso hart wie

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das Handeln gegen göttliche Gebote, beides ist ihm mit dem Stigma des Närrischen behaftet. Auch sein Bekenntnis zur Vernunft, die ihm höchster Maßstab und sicherstes Mittel zur Überwindung der Narrheit ist, entspricht durchaus dem bürgerlichen Sinn des 15.716. Jh.s. So erscheint das 'NSch' als das literarische Produkt einer Umbruchsund Übergangszeit. Von Bedeutung für seine Wirkung war nicht zuletzt seine Sprache, die volkstümlich-einfach, Sentenzen-, bilder- und exempelreich ist und damit auf ein ungelehrtes Publikum passend zugeschnitten. Aber hinter dieser äußeren Erscheinungsform verbirgt sich eine hohe gestalterische Leistung, von der Hütten und andere Zeitgenossen höchst angetan waren und die erst in unseren Tagen (bes. durch U. GAIERS Strukturanalysen) wieder erkannt worden ist. Danach hat B. sein 'NSch' als erste deutschsprachige Satire in der römischen Tradition verstanden und mit entsprechenden Mitteln aus der antiken Rhetorik gedanklich und formal durchgestaltet. In dieser Ambivalenz des Werkes liegt zweifellos ein Gutteil seiner Wirkung. Das im Grunde gelehrt befrachtete 'NSch' war zugleich 'Volksbuch', weil es jedem etwas gab, 'dem oberflächlichen Leser vor allem die Holzschnitte und die schlagenden Narrenbeschreibungen, dem tiefgründigen schwierige theologische und philosophische Erörterungen, dem ungebildeten einfachen Manne die einzeln merkbaren Sprüche der Lehre und Kritik in allen Situationen seines Lebens, und dem gelehrten Humanisten die durch alle Register geführte Formung und den umspannenden Gedankengang' (U. GAIER, 1966, S. 6). Geschickt erwies sich B. auch darin, daß er die Stunde des holzschnittbebilderten Buches zu nutzen wußte. Daß er zur Illustrierung seines Werkes in dem sog. Hauptmeister - die Kunstgeschichte sieht in ihm heute Albrecht Dürer - einen Künstler von höchstem Rang fand, war ein Glücksumstand, der zum Erfolg des 'NSch' nicht wenig beigetragen hat. Die literarische Wirkung des 'NSch' war immens. Sie läßt sich schon an der Druckgeschichte ablesen. Zwischen 1494 und 1512 erlebte das 'NSch' 6 rechtmäßige Ausgaben.

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Doch schon unmittelbar nach seinem ersten Erscheinen begann das Nachdrucken. Noch 1. J. 1494 erschienen in Nürnberg, Augsburg und Reutlingen Nachdrucke, dazu eine dreist interpolierte Ausgabe ('Das nüv Schiff von Narragonia') in Straßburg. In der Folgezeit hörte das Nachdrucken nicht mehr auf (vgl. dazu ZARNCKE, S. LXXXI— CXVI). Dazu kamen Überarbeitungen (u. a. eine protestantische Fassung, 1553) und Nachahmungen; das Werk wurde von Schriftstellern verse- und abschnittsweise zitiert, nicht selten schamlos geplündert. Die Literaturgeschichte des 16. Jh.s ist zu keinem geringen Grade Wirkungsgeschichte des 'NSch'. Es hat eine bis ins 18. Jh. hinein blühende Narrenliteratur hervorgerufen. Geiler (der darüber in Straßburg predigte), Murner, Erasmus, Johann Adelphus Müling, Hermann -> Bote, Johann von Morsheim, Hans Sachs - von zahllosen inferioren Geistern zu schweigen -, sie alle stehen unter dem Einfluß und Eindruck des 'NSch'. Die grobianische Literatur des lö.Jh.s beruft sich auf dessen 72. Kapitel. Groß ist auch die Zahl der 'NSch'-Übersetzungen; zwei nd. (1497, 1509) öffneten dem Werk den norddt. Raum, der lat. Fassung Lochers (1497) trat die raffende des Jodocus Badius (Ascensius) zur Seite (1505), dazu kamen drei frz. Versionen (1497,1498,1499), zwei engl. (beide 1509) und eine ndl. (1500). Dadurch wirkte das 'NSch' auch stark in fremde Nationalliteraturen hinein. Erwähnung verdient schließlich, daß die 'NSch'Holzschnitte vor allem in der Buchillustration bis ins 18. Jh. eine Rolle gespielt haben.

III. Die B.-Forschung setzt 1827 mit A. W. STROBELS 'Beiträgen' und seiner 'NSch'Ausgabe (1839) ein. ZARNCKES Edition (1854) gab ihr ein solides Fundament. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses an B. hat seither sein Hauptwerk gestanden. Neue Richtungen der Analyse und des Verständnisses wurden freilich erst nach dem 2. Weltkrieg eröffnet. Zahlreiche Aufgaben der B.-Forschung sind noch gänzlich unerledigt. Dazu zählen u.a. eine Edition seiner Briefe und anderer Materialien aus seinem Nachlaß, eine vollständige Ausgabe der (z.T. verstreuten) Gedichte einschließlich der Flugblätter, eine kritische Neuausgabe des 'NSch' wie anderer Werke (wenn nicht gar eine Gesamt-

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ausgabe), eine geschlossene Darstellung der Wirkung des 'NSch', eine moderne Würdigung B.s als Jurist, schließlich eine erschöpfende Bibliographie und eine Gesamtdarstellung B.s und seines vielfältigen literarischen Wirkens. L i t e r a t u r . Auswahlbibliographie: ZEYDEL, 1967, S. 157-162. Die hier verzeichnete Lit. wird im Folgenden in der Regel nicht nochmals genannt. Biographisches u. Allgemeines: A.W. STROBEL, Einige Nachrichten über S. B.s Lebensumstände u. Schr.n, in: A.W. STROBEL, Beitr. z. dt. Lit. u. Literärgesch., Straßburg 1827, S. 1-35; F. ZARNCKE (s. II, Ausg.rv), S. IX-XXV; CH. SCHMIDT, Histoire litteraire de l'AIsace I, Paris 1879, S. 189-333; R. NEWALD, Elsässische Charakterköpfe aus d. Zeitalter d. Humanismus, Colmar 1944, S. 85-110; H. ROSENFELD, in: NDB II 534-536; W. GILBERT, S.B.: Conservative Humanist, Arch. f. Reformationsgesch. 46 (1955) 145— 167; L.W. SPITZ, The Religious Renaissance of the German Humanists, Cambridge (Mass.) 1963, S.43ff. u.ö.; E.H. ZEYDEL, Wann wurde S. B. geboren ?, ZfdA 95 (1966) 319 f.;ders.,S.B.,New York 1967;RUPPRICH, LG I 580-585. Zu II 2: R. STINTZING, Gesch. d. populären Lit. d. röm.-kanon. Rechts in Deutschland, 1867, S. 45-47, 337-340, 411-417, 451-462; ders., Gesch. d. dt. Rechtswiss., I. Abt., 1880, S. 93 u. ö.; G. KISCH, Die Anfänged. Jurist. Fakultätd. Univ. Basel 1459-1529,1962, S. 77-81; B. PAHLMANN, S. B., in: Dt. Juristen aus fünf Jh.en, hg. v. G. KLEINBERGER/J. SCHRÖDER, 1976, S. 47-49. Zu II 3: K. VARRENTRAPP, S. B.s Beschreibung von Deutschland ..., ZGO N.F. 11 (1896) 288-308; J. KNEPPER, Nationaler Gedanke u. Kaiseridee bei d. elsäss. Humanisten, 1898, bes. S. 79-106; P. JOACHIMSEN, Geschichtsauffassung u. Geschichtsschreibung in Deutschland ..., 1910, S. 64-79. Zu II 4: C. SCHMIDT, Einige dt. Ged. von S. B., Alsatia (1875) 43-82; G. ELLINGER, Gesch. d. neulat. Lit. Deutschlands I, 1929, S. 374-380; C.F. BÜHLER, The Publications of S. B.s 'Varia Carmina', GutenbergJb. 37 (1962) 179-182. Zu II 5: F. ZARNCKE, Der dt. Cato, 1852, S. 1-11; A. TIEDGE, S.B.s Freidank-Bearbeitung in ihrem Verhältnis z. Original, Diss. Halle 1903; C. SCHRÖDER, Der dt. Facetus, 1911, bes. S. 242 f. Zu II 6: K. SCHOTTENLOHER, Flublatt u. Zeitung, 1922, S. 56-58; D. WUTTKE, S.B.s Verhältnis zu Wunderdeutung u. Astrologie, in: Stud. z. dt. Lit. u. Spr. d. MAs, Fs. H. Moser, 1974, S. 272-286; W.D. WACKERNAGEL/V. SACK/H. LANDOLT, S.B.s Gedicht an d. hl. Sebastian. Ein neuentdecktes Flugblatt, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskde. 75 (1975) 7-50; D. WUTTKE, S.B. u. Maximilian I. Eine Studie zu B.s DonnersteinFlugblatt des Jahres 1492, in: Die Humanisten in ihrer

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Der von Brauneck - 'Braunschweiger Fehde'

politischen u. sozialen Umwelt, hg. v. O. HERDING/ R. STUPPERICH, 1976, S. 141-176. Zu II 7: D. WUTTKE, Die Histori Herculis d. Nürnberger Humanisten u. Freundes d. Gebrüder Vischer PangratzBernhaubtgen.Schwenter, 1964;dazu: H.-G. ROLOFF, Euph. 61 (1967) 203-225; ders. (Hg.), S.B., Tugent-Spyl, 1968; D. WUTTKE, Zu den Tugendspielen S.B.s, ZfdA 97 (1968) 235-240. Zu II 8: Lit. bis 1966 bei LEMMER (Ausg.), S. XXIXXVII; P. BÖCKMANN, Formgesch. d. dt. Dichtung, 1949,31967, S. 227-239; R. GRUENTER, Die Narrheit in S.B.s 'Narrenschiff', Neoph. 43 (1959) 207-221; U. GAIER, Stud. z. S.B.s 'Narrenschiff', 1966; B. KÖNNEKER, S. B., Das 'Narrenschiff', 1966; dies., Wesen u. Wandlung d. Narrenidee im Zeitalter des Humanismus, 1966, bes. S. 1-132; R. GRUENTER, Das Schiff, Ein Beitr. z. hist. Metaphorik, in: Tradition u. Ursprünglichkeit, Akten d. III. Internat. Germanistenkongr. 1965 in Amsterdam, 1966, S. 86-101; U. GAIER, Satire. Stud, zu Neidhart, Wittenweiler, Brant u. z. satir. Schreibart, 1967, bes. S. 215-238; K. SINGER, Vanitas u. Memento mori im 'Narrenschiff' S.B.s, Diss. Würzburg 1968; W.G. HEBERER, S.B.s 'Narrenschiff' in seinem Verhältnis z. spätmal. Didaktik, Diss. (masch.) Göttingen 1968; J. LEFEBVRE, Les fols et la folie, Paris 1968, S. 77-169; P. SKRINE, The Destination of the Ship of Fools, MLR 64 (1969) 576-596; H. ROSENFELD, Die Narrenbilderbogen u. S. B., Gutenberg-Jb. 45 (1970) 298-307; H. HOMANN, Stud. z. Emblematik d. 16. Jh.s, 1971, S. 13-23; J. CHARIER, Le sabre et le grelot. Oü est l'homme de guerre dans le 'Narren-SchyfP de S. B. ?, Recherches Germaniques 2 (1972) 130-133; B. KÖNNEKER, Neue Narrenschiff-Forschungen, Euph. 66 (1972) 288-298; B. QUILLIET, Le 'Narrenschiff' de S.B., ses traducteurs et ses traductions aux XV et XVIe siecles, in: Culture et marginalites au XVI e siecle I, Paris 1973, S. 111-124; B. TIEMANN, S.B. u. d. frühe Emblem in Frankreich, DVjS 47 (1973) 598-644; M. LEMMER, Ich hab ettwan gewacht z& nacht. Zum 'NarrenschifPProlog, Vers 90, in: Kritische Bewahrung, Fs. W. Schröder, 1974, S. 357-370; G. HEIDLOFF, Unters, zu Leben u. Werk des Humanisten Jakob Locher Philomusus, 1975; U. GAIER, Zur Pragmatik d. Zeichen in S.B.s 'Narrenschiff', in: Akten d. XVIII. Internat. Kongr. des Centre d'Etudes Superieures de la Renaissance: L'Humanisme allemand 1480-1540, 1978 (in Druck). Zu den Holzschnitten des 'Narrenschiffs': F. WINKLER, Dürer u. d. Illustrationen z. 'Narrenschiff', 1951; E.-M. MARXER, Text u. Illustration bei S. B. u. Conrad Celtis, Diss. (masch.) Wien 1960; H. ROSENFELD, S.B. u. A. Dürer, Gutenberg-Jb. 47 (1972) 328-336.

MANFRED LEMMER Der von Brauneck Das Werk dieses Dichters ist nicht erhalten. Wir kennen ihn nur aus einer

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Erwähnung durch -»Hugo von Trimberg in dessen 'Renner', der ihn unter anderen Sängern des 13.Jh.s aufführt (hg. v. G. EHRISMANN, I, 1908, v. 1186). Ähnlich nennt —» Friedrich von Sunnenburg in einer Strophe zum Lob Rudolfs von Habsburg den Brünecker (hg. v. O. ZINGERLE, 1878, IV, Z. 305), wobei unsicher bleibt, ob dieser mit dem im 'Renner' Genannten identisch ist. Als mögliche Heimat werden drei Orte genannt: 1. Bruneck in Franken, bei Ansbach, 2. eine Burg Bruneck im Aargau, bei Meilingen, 3. Bruneck im Pustertal an der Rienz. Die größte Zustimmung fand, nach der dezidierten Zuweisung HAUPTS und BURDACHS, das fränkische Geschlecht. Als Seitenlinie derer von Hohenlohe beginnt es mit Konrad (urkundlich 1245), der als der Dichter gilt. Für 1264-74 ist außerdem ein Gottfried von B. belegt. L i t e r a t u r . HMS IV 655-657; B. DOGEN, Museum f. altdt. Lit. l (1809) 141 f.; Winsbecke, hg. v. M. HAUPT, 1845, S. XI; K. F. KUMMER, Die poet. Erzählungen des Herrand v. Wildonie, 1880, S. 20; K. BURDACH, Reinmar d. Alte u. Walther v. d. V.,21928, S. 391, 405.

WALTER BLANK Braunschweig -»Heinrich —»Johannes -> Luder von B. und -»'Der Herr von B.' 'Braunschweiger Fehde' Ü b e r l i e f e r u n g . In verschiedenen B raunsch weiger Chroniken, besonders der von Andreas Schoppius (1561; vgl. ADB 32, S. 369-372), werden eine Reihe von hist. Liedern und Sprüchen überliefert, darunter vier Lieder zur B.F. (Hss. u.a. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.Bibl., cod. Guelf. 102, 6 extrav.; Hannover, LB, cod. XXIII 473-475; vgl. LILIENCRON II 214f.). Gesondert überliefert sind außerdem zwei Frgm.e weiterer Lieder. A u s g a b e n . Lied 1-4 bei LILIENCRON, Hist. Volkslieder 11312-329 (Nr. 184-187); Frgm.e: HASSEBRAUK, S. 5-7.

Die sechs Lieder setzen sich aus Braunschweiger Sicht mit dem Krieg (1492-94) der Herzöge Heinrich des Mittleren von Lüneburg und Heinrich des Älteren von Braunschweig-Wolfenbüttel gegen die Stadt Braunschweig auseinander. Sie sind alle in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen, vor 1500, entstanden. Für die Lieder 1-4, von denen drei in der-> 'Lindenschmidt'-Strophe

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'Braunschweiger Marienklage' - 'Braunschweigische Reimchronik'

abgefaßt sind, ist Identität des Verfassers zu erwägen. L i t e r a t u r . LILIENCRON (s. Ausg.); G. HASSEBRAUK, Die geschichtl. Volksdicht. Braunschweigs, Zs. d. Harzver.s f. Gesch. u. Altertumskunde 34/35 (19017 1902) bes. 34, S. 4-7.

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und Ermahnung seiner Söhne, ist die Chronik wohl 1279-1292 entstanden, doch erfolgten Ergänzungen noch bis zum Jahr 1298.

'Braunschweigische Reimchronik'

2. Ü b e r l i e f e r t ist die 'B.R.' in zwei Folio-Hss., die sich im Besitz der SB Hamburg (cod. 18 in Scrin.) und derHzg.-Aug.-Bibl. Wolfenbüttel (cod. 81.14 Aug. 2°) befinden. Dabei handelt es sich bei der Hamburger Hs. wahrscheinlich um das Widmungsexemplar für die Söhne Herzog Albrechts; es umfaßt 202 Bll. mit 9339 vv. bei einem fehlenden Bl. zw. f. 190 u. 191, wodurch nach die den Text der GoBLERschen Ausg. dem der Wolfenbiitteler Hs. stellt eine Übertragung der Hamburger ins Nd. dar, wobei zahlreiche Verstümmelungen des Textes zu beobachten sind. Außerdem fehlt der letzte Teil der Chronik ab v. 7375, so daß diese Fassung textkritisch zu vernachlässigen ist. 3. Bereits 1566 erfolgte eine erste A u s g a b e der 'B.R.' unter dem Titel 'Chronica vnd Historien der Braunschweigischen Fürsten herkommen, Stamm vnnd Geschlecht' durch J. GOBLER, der im Dienste Herzog Erichs d.Ä. stehend die Hamburger Hs. abgeschrieben hatte, doch ist diese bei Christian Egenolffs Erben in Frankfurt erschienene Ausg. fehlerhaft und teilweise sogar sinnentstellend. Auch die Ausg., die G. W. LEIBNIZ im dritten Band seiner 'Scriptores' 1711 vorlegte und die den Text der GoBLERschen Ausg. dem der Wolfenbütteler Hs. gegenüberstellt, ist trotz einiger Korrekturen nur unzureichend. Dies gilt vermehrt auch für die Ausg. K.F. A. SCHELLERS (Braunschweig 1826), die auf der Wolfenbütteler Hs. fußt. Die bis heute einzige wissenschaftl. Ansprüchen genügende Ausg. ist die von L. WEILAND in MGH, Dt. Chron. II, 1877, S. 430-574 (mit ausführlicher Beschreibung u. Einleitung).

1. Der Verfasser des im letzten Viertel des 13. Jh.s entstandenen Werkes ist mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Kleriker aus der Umgebung der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg zu sehen. Als seine Heimat wird man die Stadt Braunschweig ansprechen dürfen, berücksichtigt man die detailreiche Schilderung der Erweiterung einzelner Stadtteile und der Gründungen ihrer Kirchen (v. 1401, 2673, 2812ff. u.a.) oder das Ruhmeslied auf die Stadt und ihren Patron, den hl. Auctor, nach der glücklich überstandenen Belagerung des Jahres 1200 (v. 5408ff.). Damit erschöpfen sich jedoch bereits Kenntnisse und Vermutungen über die Person des Verfassers, und auch über die Umstände der Entstehung der Chronik ist wenig bekannt. Geschrieben zur Verherrlichung der Person und Taten Herzog Albrechts I. (1252-1279) und zur Belehrung

4. Die 'B. R.' hat die Geschichte des sächsischen Herrscherhauses zum Gegenstand. Der Verf. spannt dabei den Bogen vom alten Sachsenherzog Widukind über die Familie der Brunonen, die Gründer der Stadt Braunschweig, und über den großen Förderer ihrer Stadtentwicklung Heinrich den Löwen bis hin zu dessen Urenkel Herzog Albrecht L, dessen Leben und Taten den Nachkommen als Vorbild gepriesen werden. Besonderes Gewicht wird auf die Darstellung der Geschichte der Stadt Braunschweig gelegt. Doch fehlen auch ständige Bezüge zur Reichspolitik nicht, wo diese Einfluß auf die Geschichte des Herrscherhauses hatte. Dies gilt in besonderem Maße für die Jahre des deutschen Thronstreites 1198-1209, für die dem Verfasser eine hervorragende, leider verloren gegangene Quelle zur Verfügung gestanden hat.

UTA REINHARDT 'Braunschweiger Marienklage' Ü b e r l i e f e r u n g . Braunschweig,StB,Frgm. Nr. 33, Pcrg., 14. Jh. Doppelbl. aus einem Missale, auf Bl. l die 'B.M.'; unveröffentlicht.

Das mit den Worten dine macht dine craft beginnende und mit vz der belle irloset hat endende Fragment (19 z.T. unleserliche Zeilen) setzt sich fast ganz aus von SCHÖNBACH notifizierten Versikeln zusammen, ohne mit anderen Marienklagen unmittelbar vergleichbar zu sein. Der gesamte Text ist neumiert. Die Sprache ist md. mit westlichen oder nd. Einschlägen. L i t e r a t u r . A. SCHÖNBACH, Über d. Marienklagen, 1874; J. WOLF, Hdb. d. Notationskunde1,1913 (Neudr. 1963), S. 174, wo fälschlich der Beginn von Bl. l" als Incipit angegeben ist; W. LIPPHARDT, Stud, zu d. Marienklagen, PBB 58 (1934) 391.

HANS EGGERS

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'Der Bräutigam im Paradies'

5. Überhaupt war der Verf. außergewöhnlich gut mit Quellen versehen. Diese wußte er sich durch Reisen in ganz Sachsen und Thüringen zu verschaffen (v. 80ff.). An heute noch bekannten Quellen hat der Verf. die —» 'Sächsische Weltchronik', die Papstund Kaiserchronik -»Martins von Troppau, die Reimchronik -»Eberhards von Gandersheim, die Annalen —* Gerhards von Stederburg, die 'Chronica Minor' des Braunschweiger Ägidienklosters sowie eine Reihe von Heiligenviten und Translationsberichten verwendet. Eine Reihe weiterer von ihm selbst angeführter Quellen sind nicht eindeutig zu identifizieren, so des herren Karies legende (v. 238), mit der nicht —>Einhards Karlsvita gemeint sein kann. Unter historischem Gesichtspunkt von besonderem Interesse ist die Tatsache, daß der Verf. über zwei Quellen verfügen konnte, die heute nicht mehr erhalten sind: eine braunschweigische Fürstenchronik, die von ihm viermal eindeutig zitiert wird (v. 687f., 1411, 1692, 1922) und die etwa bis zum Jahre 1250 gereicht haben muß, sowie die oben (4.) erwähnte Reichsgeschichte für die Jahre 1198-1209. Selbst als Quelle gedient hat die 'B. R.' nachweislich Konrad —»Bote für dessen Bilderchronik. 6. In Form und Sprache orientiert sich die 'B. R.' an der höfischen Dichtung des hd. Sprachraumes, wobei gewaltsame Angleichungen des nd. Lautstandes an den hd. Sprachgebrauch in der Hamburger Hs. möglicherweise nicht zu Lasten des Verf.s, sondern des Schreibers gehen. Den strengen Anforderungen des mhd. Versbaues vermag die . R.' in keiner Weise zu genügen. Eine Regelmäßigkeit hinsichtlich der Hebungen ist bei den endgereimten Verspaaren nicht feststellbar; gewöhnlich schwankt die Zahl der Hebungen zwischen drei und fünf. Enjambement taucht zahlreich auf; Dreireim dient zur Trennung inhaltlicher Abschnitte. Im übrigen bedient sich der Verfasser eifrig der Stilmittel des höfischen Epos: Bilder, Personifikationen, Nominalverbindungen u.a. mehr. Eine Anlehnung an -»Wolfram ist unverkennbar, wie auch ein versteckter Hinweis auf den 'Parzival' (v. 8949 ff.) zeigt. Dies wird auch deutlich in einer Fülle von Kampf- und Schlachtenszenen, die ebenso

liebevoll ausgemalt sind wie Brautfahrten und Schilderungen des Lebens am Hofe. 7. Der dichterische und sprachliche Wert der 'B. R.' ist so vor allem inder Tatsache zu sehen, daß sie ein hervorragendes Beispiel für jene nd. Literatur darstellt, die sich seit Beginn des 13. Jh.s bemüht, dem Vorbild der mhd. höfischen Dichtung nachzueifern. Als historische Quelle ist die 'B. R.' zwar nicht eigenständig, doch kommt ihr durch die Fülle an Informationen über das hochmal. Braunschweig wie auch durch die Vermittlung verlorener Quellen zur Reichsgeschichte erhebliche Bedeutung zu. L i t e r a t u r . K. KOHLMANN, Die'B.R.'auf ihre Quellen geprüft, Diss. Kiel 1876; R. KOEN, Stilist. Unters.n z. 'B.R.', Diss. Halle 1911; W. HERDERHORST, Die 'B. R.' als ritterl.-höf. Geschichtsdicht., Niedersächs. Jb. f. Lit.gesch. 37 (1965) 1-34; T. BRANDIS, Die Codices in scrinio der SB u. ÜB Hamburg, 1972, S.63f.; K. STACKMANN, Kleine Anmerkung zu einer Ehrung f. Albrecht d. Großen, ZfdA 106 (1977) 16-24.

THOMAS SANDFUCHS 'Der Bräutigam im Paradies' Ü b e r l i e f e r u n g . I. D e u t s c h , (a) Berlin, mgq 353, München, cgm 718, Weimar, LB, cod. Q. 48 (zusammen mit einer Abschrift des 15. und einer des 18. Jh.s), Wroclaw, ÜB, cod. I duod. 41 b (wieder aufgefunden!); (b) Berlin mgf 1259, 74r-95r; (c) Darmstadt, LB, cod. 2682, 130V-133V; (d) Hermann -> Korners 'Chronik' (mnd.): 'Van der werschoep Loringi'; (e) Johannes -+Pauli, 'Schimpf und Ernst', Kap. 561. II. N i e d e r l ä n d i s c h , (a) Brüssel, Koninkl. Bibl., cod. 2224-30; (b) Deventer, Athenaeumsbibl., cod. 101 D 12. A u s g a b e n . I. (a) KÖHLER/BOLTE, S. 228-239; (d) F. PFEIFFER, Nd. Erzählungen, Germ. 9 (1864) 265-270; (e) J. BOLTE, Johannes Pauli, Schimpf u. Ernst, 1924,1 320f. - II. (a) C.G.N. DE VOOYS, Middeleeuwse schilderingen van het Aardsche Paradijs, TNTL 25 (1906) 131-139; (b) D. DE MAN, Uit een handschrift geschreven te Deventer in 1517, TNTL 46 (1927) 305-307.

Mehrere Prosaexempel des 15. Jh.s erzählen von dem jungen Bräutigam, der bei seiner Hochzeit einen Gast aus dem Jenseits bewirtet und kurz danach auf dessen Einladung selber das Paradies besucht, um erst nach 300 Jahren wiederzukommen ('Eile der Zeit'-Motiv,vgl.->'Mönch Felix'). Zwei Hauptvarianten sind zu unterscheiden: 1. 'Der junge italienische Herzog im Paradies' (s. Hss. I a, b, d), die der lat. Fassung des 12.Jh.s von -»Engelhard von

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'Daz brechen leit'

Langheim O. Cist. (hg. v. J. SCHWARZER, ZfdPh 13 [1882] 338-351) nahesteht: Der Gast aus dem Jenseits, ein ehrwürdiger Greis, ist ein Engel bzw. Diener des Herrn (la) oder Christus selber (Ic,d). 2. 'Freunde in Leben und Tod' (I e, II a, b, vgl. PETSCHEL) , deren lat. Fassung im 'Speculum exemplorum' des Aegidius Aurifaber O. Carth. (vgl. Diet. Spir. 11138 f.) überliefert ist: Der Gast - ein toter Ritter - und der Bräutigam hatten gelobt, daß jeder von ihnen an der Hochzeitsfeier des anderen teilnehmen würde. Die noch nicht untersuchte Berliner Fassung Ib verbindet die Erzählung mit der Gründungsgeschichte des Klosters Michelsberg in Bamberg. Die Darmstädter Fassung Ic (ripuarisch) kombiniert Züge der beiden Hauptvarianten (vgl. PALMER). le und Hb sind wörtliche Übersetzungen von Aurifabers Exempel. In der Neuzeit blieb das Exempel durch zahllose Volkserzählungen erhalten, vgl. die Sammlungen bei MEISEN und PETSCHEL. L i t e r a t u r . R. KÖHLER/]. BOLTE, Zur Legende vom italienischen jungen Herzog im Paradiese, in: R. KÖHLER, Kleinere Schriften II, 1900, S.224-241; C. G. N. DE VOOYS, Middelnederlandse legenden en exempelen, Groningen-Den Haag 21926, S. 315-319; L. HAMMERICH, Munken og voglen (Festskrift udgivet af Kebenhavns Universitet i Anledning af Universitetets Aarsfest 1933), Kebenhavn 1933, S.29-31; K. MEISEN, Der in d. Himmel entrückte Bräutigam, Rhein. Jb. f. Vk. 6 (1955) 118-175; ders., Die späteren volkstümlichen Varianten d. Erzählung v. d. in d. Himmel entrückten Bräutigam, ebd. 7 (1956) 173-228; T. GAD, Legenden i Dansk Middelalder, Kebenhavn 1961, S.260f.; F. C. TUBACH, Index Exemplorum (FF Communications 204), Helsinki 1969, Nr. 780 u. Nr. 2944; G. PETSCHEL, 'Freunde in Leben u. Tod', Fabula 12 (1971) 111-167; H. D. OPPEL, Die exemplarischen Mirakel d. Engelhard v. Langheim, Diss. (masch.) Würzburg 1976, S. 111-131; N. F. PALMER, The German and Dutch Translations of the 'Visio Tundali', Diss. (masch.) Oxford 1976, S. 376-379.

und Heldendichtung (—»'Laurin', —*· 'Rosengarten zu Worms'). Ausgabe. K. BARTSCH, Md. Ged. (StLV 53), 1860, S. 73-83.

Den Titel (Hie hebt sich ane daz brechen leyt) nahm der Schreiber aus der ersten Zeile der Einleitung (v. 1-34), die einen Reigen von Mädchen unter Bezeichnungen von Pflanzen, Vögeln und Geräten schildert, die Dame des Sprechers erscheint als des blundin meigen ztfic. Der eigentliche Anfang fehlt und die Bedeutung von daz brechen leit (Hs. v. l: let] ist unklar. Wahrscheinlich ist eine Pflanze gemeint, möglicherweise der Lein-Lolch (Lolium remotum), nd. Leethalm, -harl, auch Läte, der als Unkraut in Leinfeldern wächst. Lein wurde als Abführ- und Brechmittel verwendet, der die Wirkung bezeichnende Beiname (brechen) könnte auf den Lolch übertragen sein (R. PETERS, Münster, brieflich). Der Lein-Lolch wurde als Orakelpflanze benutzt, vielleicht steht er deshalb in einer Minnerede. (H. MARZELL, Wörterb. d. dt. Pflanzennamen II 1360f., 1331f.; R. WOSSIDLO/H. TEUCHERT, Mecklenburgisches Wörterb. IV, 1965, Sp.875).

Thema der Minnerede ist Frauenpreis, Klage und Minnebitte, am Schluß steht ein ausführlicher Schönheitspreis und eine lange Reihe von Apostrophen an die Dame aus dem Inventar der höfischen und geistlichen Dichtung. Allegorische Elemente fehlen, Erzählendes erscheint nur ansatzweise (Entstehen der Minne). Der Übergang am Schluß von der dritten zur zweiten Person dient der Intensivierung und braucht nicht aus dem Liebesbrief (MEYER) zu stammen. L i t e r a t u r . A. RITTER, Altschwäb. Liebesbriefe, Graz 1897, S. 100; E. MEYER, Die gereimten Liebesbriefe d. dt. MAs, 1899, S.50f.; BRANDIS, Minnereden, Nr. 27.

VOLKER MERTENS

NIGEL F. PALMER

'Daz brechen leit'

Breidenbach ->· Bernhard von B.

Minneklage von 368 Reimpaarversen, nach Ausweis der Reimklänge in Thüringen entstanden.

Breining, Jörg -»Preining, J.

Ü b e r l i e f e r u n g . Pommersfelden, Gräfl. Schönbornsche Bibl., cod. 2798 (Mitte d. 14.Jh.s, thüringisch), 35'-4Q\ Die Hs. enthält außerdem Mären-

Breisach -> Walther von B.

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'Breisacher Reimchronik' - 'Bremberger'

'Breisacher Reimchronik' 1. Ü b e r l i e f e r u n g u. Ausgaben. Rd. 8400 vv. in 165 (Hs. A) bzw. 148 (Hs. B) Kapiteln. Inc.: Lob und ere sey geseit Gott in seiner heiligen trinität. Hs. A, 1555 von dem Breisacher Schulmeister Mathiß Herman uß einem alten geschribnen exemplar abgeschrieben und noch 1697 im Besitz eines Breisacher Bürgermeisters, war 1765 über die Bibl. des Straßburger Historiographen J.D. Schöpflin in die Straßburger StB gelangt und mit ihr 1870 verbrannt (Hs. Nr. 428, Pap., 280 Bll., 2°, alem. m. Federzeichnungen). Ausg.: F.J. , Quellensammlung d. bad. Landesgesch. 3, 1863, S. IV, 183-434 u. 681-684, Taf.-AnhangS. (3-5) u. Taf. 3-23. Hs. B: Stuttgart, LB, cod.hist.fol. 481, Pap., 157 Bll., alem., unbebildert, um 1670. Einem Schlettstadter Notar 1760 gehörend, gelangte sie über das Stuttgarter Hauptstaatsarch. 1909 in die württemb. LB, s. H. SCHREIBER, Landvogt Peter v. Hagenbach, Taschenbuch f. Gesch. u. Alterthum in Süddeutschland 4 (1844) 316-340 u. E. PICOT/H. STEIN, Recueil de pieces histor. imprim. sous le regne de Louis XI, 1923, S. 71 f.

2. Verfasser und Werk. Der alem. Wortlaut des spätmal. Breisacher Originals ist trotz der Modernisierung in den beiden Abschriften gesichert. An die Drucklegung hat der Verfasser, wohl ein Stadtschreiber oder ein Geistlicher in Breisach um 1480, noch nicht gedacht, Beziehungen zu den im Siegesjahr 1477 gedruckten oberrheinischen Burgunderflugschriften (-> 'Burgundische Legende', Konrad -»Pfettisheim, Hans Erhart -> Tusch) sind nicht erkennbar. Die widmungslose altmodische Reimchronik in 'naiver Verskunst' (A. HEUSLER, Dt. Versgesch. 3, 1929, § 850 u. 887) war für ein zuhörendes Publikum bestimmt. Sicherlich war der Verfasser weitgehend Augenzeuge der berichteten Ereignisse gewesen, auffallend ist die rechtskundige Beschreibung des Prozesses seines 'Helden', des burgundischen Landvogts in den oberrheinischen Pfandlandschaften Peter von Hagenbach (um 1420-1474). Gegenstand der 'rechtschaffen parteiischen Chronik' (L. FEUCHTWANGER, Centum opuscula, 1956, S. 61) war in den Kap. 1-142 die Geschichte der burgundischen Herrschaft am Oberrhein seit dem Vertrag von St.Omer (9. 5. 1469) bis zur Hinrichtung Hagenbachs in Breisach (9. 5. 1474) und in den Kap. 143-165 der Untergang Karls des Kühnen. Der Schluß ist keineswegs triumphierend, sondern eine

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geschichtspessimistische Fürstenkritik angesichts der kriegerischen Auseinandersetzung Maximilians I. und Ludwigs XI. von Frankreich um das burgundische Erbe. Der besondere Vorzug der 'B. R.' besteht in der Überlieferung des Details und in der drastischen Wiedergabe der Stimmung der Breisacher Opposition, s. G. K ALLEN, Probleme d. Rechtsordnung in Gesch. u. Theorie, 1965, S. 200-222. Der Verfasser schrieb offenbar ohne amtlichen Auftrag, ohne literarischen Ehrgeiz und ohne Verwurzelung in einer Breisacher literarischen Tradition. Die von u.a. gerühmte kunstvolle Anlage der Chronik, die 'mit Sinn für dramatische Wirkung auf einen tragischen Effekt' ausgerichtet gewesen sei (H.-P. TRENSCHEL, Chroniken, in: Bern. Hist. Mus. Die Burgunderbeute [Ausstellungskat.], 1969, S.74f.), besteht nicht. 3. I l l u s t r i e r u n g . 199 Federzeichnungen aus Hs. A, größtenteils getreue Nachzeichnungen der spätmal. Breisacher Vorlage, sind allein überliefert durch MONES Steindruckwiedergaben und Beschreibungen. MONES Zuweisung zur Schongauerschule ist ebenso abzulehnen wie die Verbindung mit dem Hausbuchmeister, s. W. STAMMLER, Wort u. Bild, 1962, S. 158f. u. Reallexikon zur Dt. Kunstgesch. 5, 1967, Sp. 852. L i t e r a t u r . Bibliogr. bis 1955 s. 'VL V 954f. - H. BRAUER-GRAMM, Der Landvogt Peter v. Hagenbach, 1957, S. 361-372; dies., NDB VII 487; FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung I 140f.; C. SEITHER, Essai de bibliogr. de la Ville de Mulhouse, 1965, Nr. 820 bis 928; O. ZINK, Aus Hagenbachs Vergangenheit, Jb. d. Sundgauver.s (1967) 25 u. 29-35; G. HASELIER, Gesch. d. Stadt Breisach I, 1969, S. 223, 238 f., 241 f. u. Taf. 46 bis 50; K. , Ludwig XI. u. Karl d. Kühne II l, 1970, S. 616-621; J. LANGE u. a., Neuss, Burgund u.d. Reich, 1975, S. 172 u. 394. „

KURT HANNEMANN

'Bremberger' 1. Unter dem Namen .' werden zunächst zwei stark differierende Fassungen einer Ballade zusammengefaßt, eine ndl. A(DV l, Nr. 16, 1) und eine nd. B- (ebd., Nr. 16, 2; hier anzuschließen eine knappere obd. Version C, Nr. 16, 3) Fassung. Sie sind in hsl. und gedruckten Liedersammlungen vom 2. Drittel des 16.Jh.s an überliefert,

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'Bremer Arzneibuch'

teilweise mit Melodien, die aber jünger und voneinander verschieden sind. Ausgabe. DV1, Nr. 16. Überl. s. dort.

Die einfache Strophenform ist in beiden Fassungen sehr ähnlich. Gemeinsamer Inhalt ist, daß die Hauptperson Bremberger (Bruinenburch, Brunnenberg), wegen seiner Beziehungen zu einer hochgestellten Dame verleumdet, von deren Ehemann gefangengesetzt und getötet wird, worauf die Dame beider Unschuld beteuert und in Zukunft auf alle Freuden verzichten will. Nur in der zweiten Fassung ißt die Frau das Herz des Geliebten und stirbt dann, ein Motiv, das Beziehungen zu sonstigen europäischen Balladen- und anderen Traditionen herstellt (CHILD 5, S. 29-38; vgl. -* Konrads von Würzburg 'Herzmäre'). Die Gefangenschaft im Turm schafft motivliche und wörtliche Anklänge zu den Balladen -»'Schloß in Österreich', -»-'Herr von Braunschweig' u.a., die Tötung durch Zerschneiden in B und C solche zur 'Abendgang'-Ballade (DV l, Nr. 19) und zu skandinavischen Balladen (Tisch-Fisch-Wanderstrophe; JONSSON, S. 18 [brieflicher Hinweis von O. HOLZAPFEL]). Wie in der -»·'Moringer'- und der -* 'Tannhäuserballade' ist ein Minnesänger die Hauptperson, -»Reinmar von Brennenberg. Einen Anlaß für die Verknüpfung von Person und Erzählstoff boten wohl kaum wörtlich genommene Stellen aus seinen Liedern, eher noch sein gewaltsamer Tod und andere historische Ereignisse (ROSTOCK, S. 17 f.). 2. Eine andere Brücke zwischen dem Minnesänger und der Balladenfigur besteht darin, daß 'B.' vor allem Tonbezeichnung für den häufig verwendeten Ton IV Reinmars ist und daß es Ausformungen des Stoffes auch in diesem Ton gibt: D (Kopp Nr. XI; 16. Jh., ähnlich überliefert wie A—C), eine Erzählung des Herzessens, die allerdings nicht älter wirkt als die Ballade; schließlich E, zwei korrespondierende balladeske Rollenlieder (zuerst im -+· 'Königsteiner Liederbuch' [um 1470] überliefert, durch Zitate in einem Quodlibet in Liebhart -»Eghenvelders Liederbuch schon um 1430 bezeugt), Klage des gefangenen Lieb-

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habers in der Erwartung des Todes mit Unschuldsbeteuerung, sowie eine entsprechende Klage der Frau. A u s g a b e n . A. KOPP, B.-Gedichte (Quellen u. Forschungen z. dt. Vk. 2), Wien 1908; P. SAPPLER, Das Königsteiner Ldb. (MTU 29), 1970, Nr. 68 u. 69.

Auch wenn in E die Hauptfigur nicht benannt ist, machen (jeweils andere) wörtliche Anklänge den Zusammenhang dieser 'B.' im weiteren Sinn mit den Balladenfassungen A-C zweifelsfrei. Über die Priorität läßt sich trotz der Brüchigkeit der Balladenerzählung nicht endgültig urteilen; das unzusammenhängende Auftreten von Wendungen aus einem Liebeslied im Brembergerton, das mit der Sage nichts zu tun hat (Königsteiner Liederbuch Nr. 1), am Anfang von B und C spricht eher für die Priorität von E, doch will J. MEIER (DV l, S. 168) das Verhältnis umgekehrt deuten. Gleichheit der Bezeichnung von Ton und Hauptfigur, wie sie bei D vorliegt und beim Gesamtkomplex A-E im Hintergrund zu stehen scheint, findet sich, wohl von dort abhängig, auch in einem weiteren Text F (Kopp Nr. I, Überl. aus dem 16. Jh.), einer schwankhaften Erzählung im Brembergerton, in welcher der B. im Auftrag der Herzogin von Österreich einen Schönheitsvergleich zwischen ihr und der Königin von Frankreich durchführt. Inhaltlich berührt sich dieses Lied mit der Brembergersage (A-E) nicht. 3. L i t e r a t u r . A. OLRIK, Danmarks gamle Folkeviser 5, Kopenhagen 1890, Nr. 305; F.J. CHILD, The English and Scottish Popular Ballads 5, London 1894 (Nachdr. 1957), S.29-38; F. ROSTOCK, Mhd. Dichterheldensage (Hermaea 15), 1925, S. 16-18; J. MEIER, Drei alte dt. Balladen, 3. Das B.lied, Jb. Volkslied 4 (1934) 56-65; B. R. JONSSON, Svensk Balladtradition I, Stockholm 1967, S. 18.

PAUL SAPPLER 'Bremer Arzneibuch' Erstellt im Auftrag Arnold Doneldeys (um 1342-1387/88), des Vormünders vom St. Jürgenspital zu Bremen, wurde das 'B. A.' aus unterschiedlichen Rezeptaren kompiliert und nach einem Schema geordnet, wie es auch in der -> 'Düdeschen Arstedie', bei -»Albrecht van Borgunnien oder im ->· 'Wolfenbütteler Arzneibuch' begeg-

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Bremer, Johannes

net: den Anfang machen therapeutische bzw. diagnostische Passagen, denen als Schlußteil ein astrologisch-iatromathematischer Kalenderteil folgt. Der Kompilator, der 1382 seine Arbeit abschloß, hat in der Regel nicht neu geordnet, sondern nur aneinandergereiht, so daß die von ihm benutzten Texteinheiten noch gegeneinander abgrenzbar sind: Wir erkennen zwei Rezeptare, die auf dem -> 'Bartholomäus' aufbauen, können einen Abschnitt ausgrenzen, der Anweisungen aus dem ->· 'Utrechter' und -» 'Kasseler Arzneibuch' bringt, greifen den md. —»'Geiertraktat', einen urognostischen Abschnitt sowie arzneimittelkundliche Vorschriften, wobei die Spannbreite der Quellen vom 'Corpus hippocraticum' über die frühmal. Rezeptliteratur bis zu Schriftstellern des 13. Jh.s reicht. An einzelnen Vorlagen sind belegt: der 'Kurze Harntraktat' (von Maurus), der Aderlaßtraktat nach Ps.-Beda in einer leicht modernisierten Fassung (Kap. 116, 118; vgl. K. SUDHOFF, Stud. z. Gesch. d. Med. 10 [1914] 168 f. mit Anm. 2), die Jahreszeitenlehre des -»'Secretum secretorum' (Kap. 119; mit anderen Einflüssen), 'König Karls Latwerge' (s. H. BROSZINSKI, Med. Mschr. 29 [1975] 397401), der 'Branntweintraktat' nach Taddeo Alderotti (Kap. 247), die 'Pariser Verworfenen Tage' (vgl. Sudhoffs Arch. 41 [1957] 27-58), eine Kurzfassung des -> 'Liber iste' (Kap. 291-322), Exzerpte aus der 'Epistula de vulture' (Kap. 48), aus der 'Practica' des -> Bartholomäus Salernitanus (Kap. 97-102 = Coll. IV 354f., De tnorbis qui a cerebro principium habent) sowie Entlehnungen aus der diagnostischen, tierheilkundlichen und magischen Literatur (Eis). Einige Versatzstücke decken sich mit dem 'Arzneibuch' Albrechts van Borgunnien (Kap. 290 = A. v. B., S. 54f.) Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e . Das Original im Staatsarch. Hannover ist bei einem Bombenangriff des Z.Weltkriegs verbrannt. - E. WINDLER, Das Bremer mnd. Arzneibuch des Arnoldus Doneldey, 1932. L i t e r a t u r . F. WILLEKE, Das Arzneibuch d. A/noldus Doneldey {Forsch, u. Funde III5), [Diss. Münster] 1912; G. KEIL, Die verworfenen Tage, Sudhoffs Arch. 41 (1957) 27-58, hier S. 39-58 ;W.F.DAEMS, De Mndl. vertalingen van het Antidotarium Nicolai, Scient. hist. 3 (1961) 1-20, hier S. 7; G. KEIL, Acht Parallelen zu

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den Blutschau-Texten des 'B. A.s,' Nd. Mitt. 25 (1969) 117-135, 26 (1970) 125-128; G. Eis, Forschungen z. Fachprosa, Bern 1971, S. 118-121, 380 f.; W. BRAEKMAN/G. KEIL, Fünf mndl. Übers. n des 'Antidotarium Nicolai', Sudhoffs Arch. 55 (1971) 257-320, hierS. 262; H. BERGMANN, Der Branntweintraktat d. . A.s', Ndjb 100 (1977).

Bremer, Johannes Erfurter Franziskanertheologe des 15. Jahrhunderts. 1. Leben. Der Nachname (lat. öfter Bremensis) deutet auf Bremen als Geburtsstadt. 1420 ist er als Lektor secundarius im Leipziger Franziskanerkonvent bezeugt, im selben Jahr immatrikulierte er sich an der Universität. Aber schon 1424 wechselte er nach Erfurt über, wo er am 23. Okt. 1429 zum Dr. theol. promovierte und anschließend die Regentie seines Ordens an der Universität versah. 1434 erscheint er als sacrae scripturae professor Ordinarius fratrum minorum studii Erfordensis an der Univ. Rostock. Wiederum in Erfurt, wohnte er am 28. Dez. 1437 der feierlichen Immatrikulation des Herzogs Sigismund von Sachsen bei. 1439 war er Guardian in Braunschweig, 1444 Lektor der Theologie in Goslar, wo er über die Psalmen las, 1455 versah er das selbe Amt in Braunschweig. Als Prediger ist er in Halberstadt 1444 bezeugt. In dieser Zeit amtete er aber auch mehrfach als Magister (praesidens) in Disputationen der Erfurter Universität (s. Quaestiones 18, 23, 24, 28, 30 der Berliner Hs. lat. 845 a; MEIER, 1933, S. 266 ff.). Das Todesjahr, wie schon das Jahr der Geburt, ist unbekannt. Man erhält das Bild eines im Orden und an der Universität rastlos tätigen Mannes. Klosteralltag scheint auf in einem Streitfall, den B. mit dem Cursor des Erfurter Klosters um eine bessere Zelle im Dormitorium studentium ausfocht (MEIER, 1933, S. 282 f.). 2. Werk. B.s theologisches Werk dürfte noch nicht restlos erschlossen sein. Was bekannt ist, hat L. MEIER ans Licht gebracht. a) Der S e n t e n z e n k o m m e n t a r , entstanden 1424/25, ist nach unserer heutigen Kenntnis nur in München, clm 9027,

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Bremer, Johannes

2r-357r (v. J. 1463/64, aus Straßburg) überliefert und noch ungedruckt (Quaestionenverzeichnis bei MEIER, 'Neue Angaben' 1931, S. 405-415; Prologue bei MEIER, 1928, S. 163 f.). Er dürfte am Ordensstudium in Erfurt entstanden und für franziskanische Hörer bestimmt gewesen sein. Ausgiebig zitiert er vor allem Bonaventura (154mal), dann Duns Scotus (96mal), nach dem er im Prolog die Theologie als Weisheit bestimmt, häufiger Franziscus de Mairon (34mal); aber auch Thomas von Aquin kommt ca. 20mal zu Wort (detaillierte Nachweise bei MEIER, 1932). Auffallend, aber im Hinblick auf die intensiven juristischen Studien in Erfurt verständlich ist B.s Interesse an Fragen des kanonischen Rechts (s. etwa in Buch IV, dist. 27-42 über die Ehe); häufig zitiert er das 'Corpus luris Canonici'. Die Verbindung von theologischer Morallehre mit kirchlichem Recht ist aber auch zeittypisch. Man denke an den Erfolg der 'Rechtssumme' Bruder ->Bertholds (von Freiburg) im 15. Jh. Die Kommentierungstechnik ist traditionell. Keine einzige Distinctio des Lombarden wird ausgelassen, auctoritas und ratio sind ausgeglichen. Die divisio textus steht derjenigen Bonaventuras nahe, womit zugleich gesagt ist, daß der Verfasser auf strenge Systematik bedacht ist. Die Zweckbestimmung war wohl in erster Linie Handreiche für Predigt und Seelsorge. Daraufhin weisen die häufigen Corollarien und die Zurückdrängung des dialektisch-spekulativen Elements zugunsten 'positivistischer' Vermittlung von Lehrmeinungen. Formal sind die regelmäßige Verwendung von Reimprosa bei den Fragestellungen (z.B. 1. I, dist. 3: Utrum reluceat in rebus creatis / vestigium et imago Trinitatis) und die metra der Buchschlüsse anzumerken. Der 'Sent.Ko.' bezeugt ein 'Principium in Sententias', ine. Habet potestatem, anscheinend je eine Einleitungsvorlesung zu jedem Buch. Eine Überlieferung konnte bislang nicht aufgefunden werden. b) Dem Sentenzenkommentar des clm 9027 folgt unmittelbar, f. 357r-363v, eine unsignierte 'Quaestio de Ecclesia', die MEIER (1935, S. 265-272) mit Stringenz,

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wie mir scheint, B. zugeschrieben hat (ed. ebd., S. 284-300). Sie ist bedeutsam als theologisch und juristisch wohlfundierte Stellungnahme für die Römische Kirche als den in der Liebe Christi begründeten Heiligungsort der Gläubigen sowie für deren Anspruch auf das Primat der Lehre und der Jurisdiktion, wendet sich mithin, wenn auch ohne Nennung und Zitation, allein in der Sache, gegen die zeitgemäßen ecclesiologischen Vorstellungen eines Wicliff oder Hus. Über Teilaspekte der Ecclesiologie und in Übereinstimmung mit der 'Q.d.E.' handelt B.s'Quaestio d i s p u t a t a deEcclesiae potestate', vorgetragen vor dem Provinzialkapitel in Liegnitz i.J. 1442 (ed. MEIER, 1935, S. 268-270 nach Danzig, StB,cod. 1965, 129v-130r). c) In zwei Sermones v.J. 1443 und einer 'Quaestio magistratis' v.J. 1455 äußerte sich B. über das Blut Christi. Aktueller Anlaß war der bekannte Streit um das Heiligblutwunder von Wilsnack in der Diözese Havelberg (Mark Brandenburg), das seit 1383 Anlaß einer spektakulären Wallfahrt war und eine kontroverse Behandlung fand (-> Kannemann, Johannes). Die Ü b e r l i e f e r u n g wird von MEIER, 1935, ausführlich im Kontext vorgestellt. 'Sermo I de Sanguine Christi' in: Braunschweig, StB, cod. 48, 176rv-184rb; Wolfenbiittel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 19.6. Aug. fol. (cod. lat. 2221), 56r-62r. - 'Sermo II de Sang. Chr.': Braunschweig (s.o.), 184rb-194va; Gießen, ÜB, cod. 686, 170vb-181vb; Trier, StB, cod. 268, 378ra-392rb; Wolfenbüttel (s.o.), 62r-69r. - 'Quaestio magistralis de Sang. Chr.': Braunschweig (s.o.), 194va-218rb; Gießen (s.o.), 138va-161rb; Trier (s.o.), 339ra-366va; Wolfenbüttel (s.o.), 69r-84r.

B. wendet sich in der groß angelegten 'Quaestio' gegen die von Thomas von Aquin ('S.th.'III. q. 54, a. 2 u. 3; 'Quaestiones quodlibetales' V, q. 3, a. 5) vertretene Doktrin, daß der Leib Christi bei der Auferstehung in seiner Totalität erhalten geblieben sei - was eine Heiligblutreliquie ausschließt. Demgegenüber hält B., franziskanischen Traditionen folgend (Bonaventura, 'Breviloqium' VII 5,5), die vollständige Wiederherstellung des Leibes Christi nicht für notwendig (In eiusdem gloriosa resurrectione non necessario fuit reassum-

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Bremer, Johannes

tus [sanguis] totaliter); es sei nicht denkunmöglich, daß ein (geringer) Teil des Blutes Christi auf der Erde zurückgeblieben sei. d) Wie die Blut-Christi-Stellungnahme hat auch B.s ' I n f o r m a t i o s u p e r o f f i c i o p r a e d i c a t i o n i s ' einen praktischen Anlaß, und wie dort legt der Autor eine grundsätzliche Abhandlung vor. Die Schrift, auch der Traktat 'Consuluit' genannt, wurde, zu Unrecht, Gert —>· Groote zugeschrieben und für Gerard —> Zerbold van Zutphen in Anspruch genommen (J. VAN ROOIJ, G. Z. v. Z. Leven en geschriften, Nijmegen-UtrechtAntwerpen 1936, S. 76-79, 86, 222-241, 286, 347f.). Ü b e r l i e f e r u n g . Karlsruhe, LB, cod. Karlsr. 381, 165va-185ra, 15.Jh.; weitere Überl. s. MEIER, 1952.

Es handelt sich um ein vom Abt eines Klosters erbetenes Gutachten über den dezidierten Wunsch eines Ordensangehörigen mit den niedrigen Weihen und von mäßiger Begabung, die höheren Weihen und damit die Berechtigung zum Predigtamt zu erlangen. B. lehnt das Ansinnen des Klerikers ab, da ihm dessen Berufung zum Predigtamt nicht als echt erscheint und die nötige Eignung fehle, und empfiehlt ihm, in der Klosterstille die eigene Heiligung anzustreben. In der breit nach scholastischer Disputationstechnik angelegten und mit theologischen Autoritäten begründeten Antwort fällt die wiederholte Zitation der Quaestio 185 (de statu episcoporum) der 'Secunda secundae' der Theologischen Summe des Thomas von Aquin auf. Die ThomasZitation und -Auseinandersetzung B.s hier und in ändern Schriften entspricht den neueren Konstitutionen des Ordens, die den Lektoren die Hochschätzung und achtunggebietende Auseinandersetzung des Thomas von Aquin zur Pflicht machten (s. MEIER, 1958, S. 74). e) Die bekannt gewordenen P r e d i g t e n B.s sind alle gelehrte, bei besonderen Anlässen gehaltene Ansprachen und wie die Quaestionen, deren Themen sie öfter aufgreifen (s. 2.c), von entschiedenem theologischen Gehalt. Als Sentenzenlektor in Leipzig hielt er i.J. 1420 einen Sermo zum Tage des letzten Abendmahles Christi (Inc.

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Tu es sacerdos in aeternum; Berlin, SB Preuß. Kulturbesitz, cod. lat. 845a, 50r-54r), als Erfurter Sentenzenlektor zum Fest Maria Empfängnis (S.Dez.) 1424 den 'Sermo recommendatorius Virginis Mariae' (Inc. Liber generationis Jesu Christi; Göttingen, LB, cod. theol. 156h, 17 -178 ). Letzterer gilt als fundiertester Beitrag der Erfurter Franziskanerschule zur unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter (ed. MEIER, 1936, S. 468-486; dazu 'Notabilia de Conceptione Virginis' nach Göttingen, cod. theol. 156h, 170r-171r, S.448-452). B. bietet hier die Theologen seines Ordens auf, allen voran Duns Scotus, dem er auch formal im Beweisgang folgt, macht aber auch den Versuch, dominikanische Autoren, vor allem Thomas von Aquin, für die Conceptio Immaculata in Anspruch zu nehmen. Am Pfingstsamstag 1425 sprach B. vor dem Provinzkapitel zu Breslau über das Textwort llle vos docebit omnia (Breslau, ÜB, cod. I.E. 656, 308va-312va; Trier, StB, cod. 508, 273va-276vb; nicht publiziert), 17 Jahre später, 1442 vor dem Generalkapitel in Liegnitz über Dispersit, dedit pauperibus (Danzig, StB, cod. 1965, 126r129V), eine Collatio, die offensichtlich thematisch auf die 'Quaestio disputata de Ecclesiae potestate' (s.o. 2. b) hinlenken sollte. Der Prediger handelt hier im Anschluß an Pseudo-Dionysius, der wiederholt zitiert wird, von Gott als dem Summum bonum und dessen Streben, sich auszugießen und mitzuteilen; nirgends aber äußere sich diese Güte herrlicher als in Ecclesia Dei orthodoxa, quae est sancta, immaculata, non habens maculam neque rugam. Über die in Halberstadt i.J. 1444 gehaltenen 'Sermones de duobus testamentis et de Ave Maria' (Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.Bibl., cod. Aug. 3203, f. 261-272) fehlen Analyse und Ausgabe. 3. Nach L. MEIER (1935, S. 1264), der sich als einziger mit B. beschäftigt hat, verkörpert dieser 'die besten Traditionen der Franziskanerschule', ihm gehöre 'ein ehrenvoller Platz in der Geistesgeschichte des 15. Jh.s, zu dessen bedeutendsten Theologen er zählt'. Doch war ihm (nach Ausweis der bisher bekannten Überlieferung) eine brei-

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'Breslauer Arzneibuch' - 'Breslauer Heroldsrolle'

tere Wirkung nicht beschieden. Das gilt sogar für seinen Orden. B.s literarisches Werk wurzelt denn auch stärker im Lebensraum der Universität als des franziskanischen Ordens - trotz der liebevollen Aufnahme franziskanischer Schultheologie. In der franziskanischen Ordensgeschichte zuerst —»Glaßberger (Analecta Franciscana II) - hat er keinen Platz gefunden. Für den neuzeitlichen Historiker ist B. ein eindrucksvolles Beispiel einer nach Doktrin und Form 'gesunden' Theologie in spätscholastischer Zeit. L i t e r a t u r . L. MEIER OFM, Der Sentenzenkommentar d. J.B., Franzisk. Stud. 15 (1928) 161-169; ders., De schola Franciscana Erfordiensi saeculi XV, Antonianum 5 (1930) 57-94, 157-202, 333-362, 443-474; ders., loannis B. OFM Quaestio de extrema unctione, Studi Francescani 3 (1931) 307-319; ders., Neue Angaben über d. Erfurter Franziskanertheologen J.B., Scholastik 6 (1931) 401-417; ders., Citations scolastiques chez Jean B., Recherches de Theologie ancienne et medievale 4 (1932) 160-186; ders., Stud, z. Franziskanertheologie an d. Universitäten Leipzig u. Erfurt, Franzisk. Stud. 20 (1933) 261-285; ders., J.B.s OFM Gutachten über d. Beruf z. Predigtamt, Collectanea Franciscana 4 (1934) 5-24; ders., Der Erfurter Franziskanertheologe J.B. u. d. Streit um d. Wilsnacker Wunderblut, Fs. M. Grabmann I 2 (Beitr. z. Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs. Supplementbd. III 2), 1935, S. 1247-1264; ders., Joannis B. OFM Quaestio de Ecclesia, Antonianum 10 (1935) 261-300; ders., Joannes B. OFM Immaculatae Conceptionis strenuus defensor, Antonianum 11 (1936) 429-486; ders., Chi e I'autore del Trattato 'Consuluit' ? Studi Francescani 16 (1944) 43-52; ders., Die hsl. Bezeugung d. Traktates 'Consuluit', Collectanea Franciscana 22 (1952) 180-192; ders., Die Barfüßerschule zu Erfurt (Beitr. z. Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs 38/2), 1958, S. 21, 50-52,101-108 u.ö. (s. Reg.).

K. RUH

Brennenberg -> Reinmar von B. 'Breslauer Arzneibuch' Cod. Rhedigeranus 291 der Breslauer StB vereinigt zwei Faszikel, von denen einer zu Beginn des 14. Jh.s angelegt wurde und als 'B. A.' bekannt ist: der reich ausgestattete Prachtkodex zeigt schlesische Mundart, ist von nur einer Hand geschrieben und umfaßt mehrere heilkundliche Texte, die zur Hauptsache das —> 'Deutsche salernitanische Arzneibuch' ausmachen (1V-94V). Dem salerni-

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tanischen Kompendium schließt sich ein -»'Bartholomäus' an (94V-110V), der über den 'Eisenkraut-Traktat' (110v-lllr) in eine von -* Roger Frugardi geprägte Wundarznei (111V-114V) übergeht. Nach Zwischenschaltung eines Pflanzenglossars (114V bis 121V) sowie eines unvollständigen Vokabulars (120v-121r) folgt die Kurzfassung des älteren deutschen -> 'Macer' (122r bis 146V), und am Schluß steht die durch Nicolaus Salernitanus beeinflußte —> 'Freiberger Arzneimittellehre' (146v-151r) mit angehängtem nachsalernitanischem Rezeptar (152rv). A u s g a b e . Das'B. A.', R.291 d. StB, hg. v. C.KüLZ/ E. KÜLZ-TROSSE [u. J. KLAPPER], 1908. L i t e r a t u r . J. HAUPT, Ueber d. md. Arzneibuch d. Meisters Bartholomaeus, WSB 71, 1872, S. 451-565, hier S. 457-466; CH. FERCKEL, Zum B. A., Mitt. Gesch. Med. Naturw. 13 (1914) 560-564; K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA (Stud. Gesch. Med. 10 bis 12), 1914-18, II 434-437, 439, 443; ders., Zum Breslauer u. Diemerschen Arzneibuche, ZfdA 57 (1920) 191 f.; J. KLAPPER, Schlesisches Volkstum im MA, in: Gesch. Schlesiens, 1938, S.425; W. BRACHMANN, Beitr. z. Apothekengesch. Schlesiens (Jb. d. schles. Friedr.Wilh.-Univ. Breslau, Beih. 5), 1966, S. 11 f.; G. KEIL, Der 'kurze Harntraktat' d. Breslauer 'Codex Salernitanus' u. seine Sippe, Diss. Bonn 1969, S. 63 f.; J. TELLE, Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S. 282 f.

G. KEIL 'Breslauer Cantionale' -»'Neumarkter C.' 'Breslauer Heroldsrolle' eines Fastnachtspiels Ü b e r l i e f e r u n g . Wroclaw (Breslau), Biblioteka Uniwersytecka, cod. IV F 311, lr-l". Heroldsrolle (Prolog, Epilog) eines im übrigen verlorenen Fastnachtspiels; 129 vv., schles., ca. 1460-70. Ausgabe. GÜNTHER, S. 189-192.

Die Eingangs- und Schlußrede erlauben die Rekonstruktion der Spielhandlung, in der Bauer, Ritter, Mönch und ein schließlich siegender Schreiber um ein Mädchen werben. Das Hans -»Rosenplüt bzw. seiner Schule zugeschriebene nürnbergische Spiel (KELLER, Fsp, Nr. 70) zeigt inhaltliche Verwandtschaft bis zu wörtlichen Anklängen; die Beliebtheit des Werbe-Motivs bezeugen viele Fastnachtspiele. Die Eingangsformel (v. 1-8) findet sich auch im -> 'Wiener

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'Breslauer Landrecht' - 'Breslauer Manenklage (II)'

(schlesischen) OsterspieP. Der breit ausgestaltete Prolog nimmt komische Handlungsmotive bereits vorweg, die Überlegenheit des Schreiberstandes im erotischen Bereich wird im Epilog ausgeführt. L i t e r a t u r . O. GÜNTHER, Ein Bruchstück aus einem unbekannten Fastnachtspiel d. 15. Jh.s, Mitt. d. Schles. Ges. f. Vk. 26 (1925) 192-196; W. JUNGANDREAS, Die Ma, d. Breslauer Fastnachtspielbruchstücks, ebd., S. 196-199; 27 (1926) 151-179; W.F. MICHAEL, Das dt. Drama d. MAs (Grundriß d. germ. Philologie 20), 1971, S.217f.

NORBERT HEINZE

Territorien seines Herrschaftsbereichs einheitliche und verbindliche Gesetzestexte zu schaffen. L i t e r a t u r . E.TH. GAUPP, Das schles. Landrecht oder eigentlich Landrecht d. Fürstenthum Breslau von 1356 an sich u. in seinem Verhältnisse z. Sachsenspiegel dargestellt, Leipzig 1828; O. STOBBE, Gesch. d. dt. Rechtsquellen I, 1860, S. 369-371; G. BOBERTAG, Die Rechtshss. d. Stadt Breslau, Zs. d. Ver.s f. Schles. Gesch. 14 (1878/79) 202-204; HOMEYER, Rechtsbücher, S. *13; TH. GOERLITZ, Die Breslauer Rechtsbücher d. 14.Jh.s, ZRG 59 (1939) 155-157; ders., Verfassung, Verwaltung u. Recht d. Stadt Breslau, Teil I:MA, 1962, S. 103 f.

PETER JOHANEK

'Breslauer Landrecht' Rechtsbuch des Sachsenspiegelkreises. Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. HOMEYER, Rechtsbücher, S. 292, sowie GOERLITZ, 1939, S. 155-157. A u s g a b e fehlt; GAUPP, S. 137-193 bietet eine Übersicht über die Übereinstimmungen und Abweichungen gegenüber dem 'Sachsenspiegel' (-»Eike von Repgow) und ediert die 13 Zusatzartikel, S. 193-199.

Der 1346 von König Johann von Böhmen geschaffene Ausschuß der 'Sechser' im Fürstentum Breslau, dessen Aufgabe es sein sollte, Mängel und Unklarheiten in der Rechtssprechung zu beseitigen, bearbeitete 1356 (in diesem Jahr bestehend aus Franz von Boßnitz, Heinz von Schwarzerborn, Friedrich von der Wede aus dem Weichbild; Nikolaus von Lemberg, Peczo Beyir und Johannes Sechsbechir aus dem Breslauer Rat) das Landrecht des 'Sachsenspiegels' als neues Rechtsbuch, das dezem lande zu eynem rechte gesatzt wurde (so das 'Remissorium von 1493', vgl. BOBERTAG, S.202). Die Bearbeitung ist nicht tiefgreifend, besteht vor allem aus Streichungen, der Einteilung des Rechtsbuchs in 365 Kapitel und einigen Änderungen, die bes. das Erb- und Güterrecht von Eheleuten betreffen, wobei der Einfluß von magdeburgischem Recht und königlichen Verordnungen zu erkennen ist. Dreizehn Zusatzartikel aus den verschiedensten Rechtsgebieten sind angefügt. Die Überlieferung läßt vier Stufen der Textentwicklung erkennen. Vermutlich wurde das 'B. L.' außerhalb des Fürstentums Breslau auch im Herzogtum Teschen rezipiert. Die Entstehung des Rechtsbuches könnte mit den Bestrebungen Kaiser Karls IV. zusammenhängen, in den

'Breslauer Marienklage (I)' Hs. Breslau, Stadt. Arch., Teile eines Doppelbl.s, Pap., I.H. 14. Jh. (kein Nachweis, ob noch vorhanden; von KLAPPER 1928 als nicht auffindbar angegeben).

Drei Bruchstücke von zusammen 82 Versen aus dem Schluß einer Marienklage. Sie beweisen durch gemeinsame Textvarianten einen engeren Zusammenhang mit der -»· 'Böhmischen Marienklage' und dem -»· 'Egerer PassionsspieP. Doch ist die dialogische Auflösung weiter fortgeschritten als in der 'Böhmischen Marienklage', und die aus dem 'Planctus ante nescia' stammenden Strophen haben eine andere, recht verworrene Anordnung. - Orthographie und Mundart zeigen schlesische Merkmale. L i t e r a t u r . A. SCHULTZ, Germ. 16 (1871) 57-60; J. KLAPPER, Mitt. d. Schles. Ges. f. Vk. 29 (1928) 179f. u.205-208 (Ausg.n) ;A.E.SCHÖNBACH, Überd.Marienklagen, 1874, S. 34 f.

HANS EGGERS 'Breslauer Manenklage (II)' Ü b e r l i e f e r u n g . Wroflaw (Breslau), ÜB, Hs. I Q 226" (-» 'Breslauer Osterspiel'), lr-2v. A u s g a b e n . J. KLAPPER, Bruchstücke eines Osterspiels, ZfdPh 47 (1916) 89-91 (unvollst.); ders., Mitt. d. Schles. Ges. f. Vk. 29 (1928) 180 u. 208-211 (mit Faksimilia).

Das Fragment enthält den Schlußteil (67 vv.) einer monologischen Marienklage (i. F. Mkl.). Zwei neumierte Gesangpartien werden durch einen gesprochenen Text (v. 11 bis 26) unterbrochen. Die 'B. M. (II)' stimmt weitgehend mit der -»'Böhmischen Mkl.' überein. Zwar stehen

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'Breslauer OsterspieP - 'Brevier'

die beiden ersten Gesangstrophen (v. 1-10) in der 'Böhm. Mkl.' an ganz anderen Stellen. Aber die Mehrzahl der Sprechverse (v. 11-26) und die Gesangstrophen (v. 27-53) kehren in gleicher Folge in der 'Böhm. Mkl.' v. 139-162 und 177-305 wieder, nur daß sie dort durch eine Dialogpartie (v. 193-294) unterbrochen sind. Während aber die 'Böhm. Mkl.' in zwei weiteren Gesangversen den Abschluß erreicht, folgen in 'B.M. (II)' noch die gesungenen Verse 54—67, die fast wörtlich der -> 'Erlauer Mkl.' (v. 393^06) entsprechen, zu der die 'B. M. (II)' sonst keine näheren Beziehungen hat. Sie ist auch nicht verwandt mit der -»· 'B. M. (I)'. Sprache und Orthographie sind ostmd. (schlesisch).

HANS EGGERS

'Breslauer Osterspiel' (Fragment) Ü b e r l i e f e r u n g . Wroslaw (Breslau), ÜB, Hs. I Q 226a; 2 Doppelbll.: IV Q 161 (Bl. I u. IV) u. I Q 370 (Bl. II u. III, der Länge nach teilw. beschnitten), in d. Biblioteka Glowna (Hauptbibl.) d. Univ. A u s g a b e n . J. KLAPPER, ZfdPh 47 (1916) 83-98 (unvollst.); ders., Mitt. d. Schles. Ges. f. Vk. 29 (1928) 208-214 (vollst, m. Faksimilia).

Vom 'B. O.' sowie der vorausgehenden —»'Breslauer Marienklage (II)' sind nur zwei Doppelbll. erhalten. Unmittelbar an die Marienklage schließt sich das 'B. O.' mit Omnipotens pater altissime, dem Gesang der Marien auf dem Wege zum Salbenkrämer, an. Danach fehlt ein Doppelblatt: es wird eine Salbenkaufszene von mäßiger Ausdehnung und anschließend die Visitatio enthalten haben. Mit Bl. 3r setzt die Hortulanusszene ein. Sie beginnt mit lat./ dt. Klage der Maria Magdalena (Cum venissem ungere mortuum), enthält den allgemein bekannten dt. Dialog zwischen der Magdalena und dem als Hortulanus verkannten Christus, bricht aber schon vor den Erkennungsworten: Maria — Rabbi ab. Daran dürften sich die für die dt. Osterspiele typische Thomasszene und der Jüngerlauf (mit vorhergehender Ostersequenz) angeschlossen haben. Das 'B. O.' gehört nach dem Ausweis der dt. Verse in die Texttradition der dt. Osterspiele, speziell zu der ostmd. Fassung von

Osterspiel (und Marienklage), wie sie dem 'Erlauer OsterspieP (Erlau III; -> 'Erlauer Spiele') in seiner Beschränkung auf die Kernszenen des Osterspiels und der -> 'Erlauer Marienklage' (Erlau VI) zu Grunde liegt. L i t e r a t u r . R. STEINBACH, Die dt. Oster- u. Passionsspiele d. MAs, 1970, S.16f.; U. HENNIG, Die Klage d. Maria Magdalena in d. dt. Osterspielen, ZfdPh 94 (1975, Sonderheft) 108-138.

URSULA HENNIG 'Breslauer Systematisches Schöffenrecht' —>· Systematisches Schöffenrecht' Breuning, Jörg -» Preining, J. 'Brevier' [Verweisartikel] Das offizielle liturgische Gebetsbuch der Kirche, das 'Breviarium Romanum', das für den Klerus die Gebetsstunden des Tages durch das ganze Kirchenjahr verbindlich regelt, faßt die einzelnen Gebetsbücher ('Psalterium', 'Hymnarium', 'Antiphonarium') in Auswahl zusammen (12. Jh.). Seit dem 14. Jh. wurden Teile daraus, vor allem die Tagzeiten (Horae) vom Leiden Christi, vom Heiligen Kreuz, vom Heiligen Geist, das kleine Marien-Offizium, das Totenamt, die Bußpsalmen, die Litanei, selten das Gesamt in die Volkssprache übertragen. Die Überlieferung ist sehr breit. Adressaten dieser Übertragungen waren in erster Linie Laienbrüder und -Schwestern, sodann Personen von hohem Stand (Prunkhss.). Aufgearbeitet im deutschsprachigen Bereich ist nur weniges. -»•'Brevier für Kaiser Friedrich III.'; -»· 'Breviertexte aus Westfalen'; -»· Fink, Thomas; -»· Groote, Gert; ->· 'Hortulus animae'; -> 'Stundenbücher'; -> Wyg, Jakob. L i t e r a t u r . W. v. SEIDLITZ, Die gedruckten illustrierten Gebetsbücher d. 15. u. 16.Jh.s in Deutschland, Jb. d. Preuß. Kunstsammlungen 5 (1884) 128145; 6 (1885) 22-38; S.BÄUMER, Gesch. d. Breviers, 1895; ST. BEISSEL, Zur Gesch. d. Gebetbücher, Stimmen aus Maria-Laach 77 (1909) 28-41, 169-185, 274 bis 289, 397-411; Diet, d'archeologie chretienne et de liturgie II l B, Paris 1910, Sp. 1262-1316; F.HOTZY, Zur dt. Gebetsliteratur d. ausgehenden MAs, Progr. Kalksburg 1912/13, S.3-38; J.BRINKTRINE, Das römi-

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'Brevier für Kaiser Friedrich III.'

sehe Brevier, 1932; V. LEROQUAIS, Les Breviaires manuscrits des bibliotheques publiques de France I-V, Paris 1934; J.STADLHUBER, Das Laienstundengebet vom Leiden Christi in seinem mal. Fortleben, ZlcTh 72 (1950) 282-325; J. A. JUNGMANN, Beitr. z. Gesch. d. Gebetsliturgie, ZkTh 72 (1950) 66-79, 223-234, 360 bis 366, 481-486; 73 (1951) 85-92, 347-358; J.PASCHER, Das Stundengebet d. römischen Kirche, 1954; P. SALMON, L'office divin. Histoire de la formation du Breviaire (Lex orandi 27), Paris 1959; STAMMLER, Prosa, Sp. 845;2 RLII, Liturgie §6 Das Brevier, S. 215 f.; V. FIALA/W.IRTENKAUF, Versuch einer liturgischen Nomenklatur, in: ZfB, Sonderheft (1), Zur Katalogisierung mal. u. neuerer Hss., 1963, S. 105-137, bes. 116 ff.

K. RUH

'Brevier für Kaiser Friedrich III.' Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 67-68. Unediert.

Das Brevier ist in zwei zusammengehörenden, reich illuminierten Pergamentbänden erhalten, die durch die Miniaturbildnisse des Kaisers und seiner Familie (in cgm 68,lv-2r) als Eigentum Friedrichs III. (fl493) ausgewiesen sind. Cgm 67 enthält den Winterteil des Temporale (Advent-Pfingsten), cgm 68 den Sommerteil des Temporale (Pfingsten-25. Sonntag nachTrinitatis) und des Sanctorale (Petronella - Andreas). Ein Winterteil des Sanctorale fehlt, obwohl im Sommerteil bei Translatio S. Ruperti auf einen solchen Bezug genommen wird. Es fehlen auch das Commune sanctorum, ein Kalendar und ein Psalterium; möglicherweise existierte ein dritter, jetzt verschollener Band. Das Brevier, vorab cgm 68, ist bisher nur wegen seiner Miniaturen auf kunsthistorisches Interesse gestoßen. Sie werden als Arbeit des auch in anderen illuminierten Hss. nachweisbaren, wohl aus Mähren stammenden 'Meisters des Friedrichs-Breviers' um 1475-80 datiert und nach Wien lokalisiert. Der Text des Breviers wurde bislang nicht untersucht. Nach dem paläographischen Befund und der südbairisch-österreichischen Mundart ist der kunsthistorischen Datierung und Lokalisierung auch für die Abschrift des Textes zuzustimmen. Auch die im Sanctorale besonders hervorgehobenen Offizien der Feste Inventio S. Stephani, Rupertus und Colomannus bestätigen die Lokalisierung nach Wien.

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Es handelt sich um die Verdeutschung eines Vollbreviers. In beiden Bänden sind die Texte der Antiphonen, Responsorien, Versus und Gebete fast durchgehend vollständig ausgeschrieben; die Hymnen erscheinen größtenteils abgekürzt nur mit dem Incipit. Ausführliche Rubriken hat vor allem der Winterteil. Die Übersetzung, stets in Prosa, folgt in diesen Teilen eng den lat. liturgischen Texten. Unterschiedlich ist dagegen in beiden Bänden die Wiedergabe der Schrift- und Predigtlesungen, die in jedem Fall voll ausgeschrieben erscheinen. Der Sommerteil enthält die Homilienlesungen aus den Kirchenvätern nach dem offiziellen Brevier. Im Winterteil werden zu den Festen S. Stephanus bis 5. Sonntag nach Epiphania sowie zu den vier Sonntagen nach Ostern keine aus dem Lat. übersetzten Homilien, sondern dt. Originalpredigten für die Lesungen verwendet. Sie stimmen überein mit den u. a. in Wien, cod. 3057 überlieferten Predigten der Postille, die -> Friedrich dem Karmeliter zugeschrieben wird (HAUPT, S. 303-312, Nr. 5, 7, 11, 12, 14-16, 34, 37, 39 und 42), die z.T. auch in der Postille -»Hartwichs von Erfurt erscheinen. Wiedergegeben wird ungekürzt jeweils die erste Hälfte der Predigten, abgeteilt in 6 3 oder 5 x 3 Lektionen. Eine große Anzahl der Evangelienperikopen des Winterteils - mit Ausnahme des gesamten Quadragesimale - stimmt mit der Übersetzung der -> 'Evangelien der guten Meister von Prag' überein; daneben wurde eine andere, völlig abweichende Übersetzung verwendet. Eventuelle Zusammenhänge dieses Breviertextes mit anderen dt. spätmal. Brevierübersetzungen sind noch nicht untersucht worden. L i t e r a t u r . E. PETZET, Die dt. Pergament-Hss. Nr. 1-200 der SB in München, 1920, S.110-112; G. SCHMIDT, in: Gotik in Österreich, Ausstellungskat. Krems 1967, S. 173 f., 177 Nr. 119 (zur kunsthist. Einordnung u. Gesch. d. Hs.); zu den Predigten J. HAUPT, Beitr. z. Lit. d. dt. Mystiker II, WSB 94,1879, S. 303-312; A. SPAMER, Über die Zersetzung u. Vererbung in d. dt. Mystikertexten, Diss. Giessen 1910, S. 145-184; G. KORNRUMPF, ZfdA 99 (1970) 159-162; zu den Perikopen J. WERUN, Die Evangelien d. guten Meister v. Prag, 1962; alle ohne Erwähnung dieses Breviers.

KARIN SCHNEIDER

1031 'Breviertexte aus Westfalen'

'Breviertexte aus Westfalen"

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Größere Sorgfalt scheint bei der Zusammenstellung der Väterlesungen gewaltet zu I . Ü b e r l i e f e r u n g . Wolfenbüttel,Hzg.-Aug.-Bibl., haben, was selbstverständlich auch auf die cod. Aug. 58.4, Perg., 8°, 113r-218v. Qualität der Vorlage zurückgehen kann. In Der Kodex, der als einziger die 'B.' überliefert, entder bedeutenden Länge dieser Homilien r r hält außerdem auf Bl. l -112 eine Übers, der Psalmen, Hymnen und Cantica, die -> 'Westfälischen Psalmen', sieht ROOTH (Ausg., S. IX) ein Indiz für hohes Alter dieser Vorlage. Von den 25 vorhanund dürfte, was die 'B.' betrifft, aufgrund paläographidenen patristischen Homilien kommen 17 scher und sprachlicher Merkmale um 1325 entstanden in der Homiliensammlung des Paulus Diasein. Ausgabe. Nd. Breviertexte d. 14.Jh.s aus Westfakonus und 3 in anderen Werken vor, wählen untersucht u, hg. von E. ROOTH (Kungl. Vitt. Hist, rend anscheinend nur 5 nicht zum frühmal. o. Ant. Akademiens Handl. Filol.-filos. Ser. 11), Stock- Bestand gehören. Gesetzt den Fall, der holm 1969 (zit.). Schreiber des 'B.s' selbst hätte hier nicht 2. In ROOTHS Untersuchungen zur Spra- eine lat. Vorlage übertragen - und alles che des Denkmals (1966, Ausgabe 1969) spricht dafür, daß er dies nicht tat-, sondern sind besondere Dialektkriterien - wie die lediglich einen mfrk. Text ins Mnd. umgeDiphthongierung von mnd. ü > öy; mouil- setzt, so kann sich in diesem 'B.'-fragment lierte Nasalverbindungen nd, ng, nn; das eine ältere Vorlage verbergen, die ein HomiDentalsuffix bei starken Präteritumformen; liar, möglicherweise auch ein Plenarbrevier mic-, dic-Formen in 35% der gesamten war, zurückgehend auf die von Karl dem Gr. Akkusativformen; ein Zehntel st -Formen angeregte Homiliensammlung oder zuminbeim Reflexivum - in Zusammenhang mit destens wesentlich von ihr beeinflußt. Es wortgeographischen Kriterien und Gesichts- handelte sich somit um ein wichtiges Denkpunkten der modernen Dialektgeographie mal hochmal. Predigtliteratur, die uns in für die Lokalisierung der 'B.' im Südsauer- der Volkssprache nur spärlich überliefert ländischen ausschlaggebend, wobei zu be- ist, allenfalls indirekt erschlossen werden achten ist, daß es sich bei Teilen der 'B.' kann. Die übrigen Teile - Psalmen, Antium die Übersetzung einer rip. Vorlage ins phonen, Responsorien, Versikel, Kollekten, Mnd. handelt. Hymnen — sind gemäß dem Aufbau eines 3. Wenn auch inhaltlich wesentliche Par- Breviers mit den Lektionen kunstvoll vertien des mal. Breviers nicht vorhanden sind bunden und könnten vom Schreiber selbst (es fehlen ein Kalendarium und verschie- aus dem Lat. übersetzt worden sein. Verdene Offizien), so ist die Struktur des bruch- gleichende Untersuchungen zur Übersetstückhaften Textes doch im großen und zungstechnik der einzelnen Partien müssen ganzen von der des Brev. Rom. geprägt, hier Klarheit bringen. Zu den Hymnen gewobei sich allerdings im Aufbau eine ge- hört auch der zu Vesper und Terz des wisse Eigenständigkeit bemerkbar macht, Pfingstfestes gesungene und in die Messe indem die Reihenfolge der vorhandenen aufgenommene Hymnus —> 'Veni Crcnror Offizien nicht nach Temporale und Sankto- Spiritus' (Ausg., S. 91 llff '), der in dieser rale bzw. Winter- und Sommerteil ausge- Form die älteste bisher bekanntgewordene richtet ist. Die Namen der Offizien sind wie Übersetzung ins Nd. darstellt (SCHÖNDORF, die Bezeichnungen der Hören und Noktur- S. 134 f.). 4. Das Verhältnis des dt. zum lat. Text nen teilweise in nd. Sprache, oft unvollständig und mißverständlich angegeben. Zu ver- ist vorläufig nur für den Homilienteil daweisen ist auf DE SMETS Verbesserung (S. 63), hingehend zu charakterisieren, daß manche die die Überschrift des Offiziums In annun- altertümliche Züge, die aus der Übersettiatione b. virginis Mariae betrifft und lautet: zungsliteratur des 12. Jh.s bekannt sind und Tu der vespere der bodescap (vgl. ROOTHS im Mnd. des 14, Jh.s selten vorkommen, Ausg., S. 48), was also ROOTHS Vorschlag, aus der Vorlage ins Brevier übernommen die Entstehung bzw. Benutzung der Hs. in wurden: Gebrauch des Dativs als Ersatz für einem Mönchskloster (bordescap = bro- den absoluten Ablativ und den Ablativus derscap) zu vermuten, nicht länger stützt. comparationis des Lat., Genetiv beim Verb

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'Brevilogus' - Breyell, Heinrich

Hen, der fürs Mnd. seltene Gebrauch des Akkusativs mit Infinitiv, Fehlen des Subjektpronomens etc. 5. Bei der Frage nach der geistigen Umwelt, in die wir die 'B.' einzuordnen haben, kann eine eindeutige Festlegung auf ein Mönchskloster (s.o.) ausscheiden, während Bemerkungen im Text wie Te deum laudamus. Dar na so leys laudes (Ausg., S. 13, 183) natürlich auf privates Lesen dieses wichtigen liturgischen Buches oder auf Unterrichtsanweisungen in einem Kloster oder Stift deuten können. Darüber hinaus sollten aber auch die älteren Gebetsverbrüderungen und die jüngeren Kalandbruderschaften als mögliche Hersteller und Benutzer dieser religiösen Schrift mit in die Diskussion einbezogen werden. Literatur. BORCHLING, Mnd. Hss. III 106; E. ROOTH, Eine westfäl. PS.-übers, aus d. 1. H. d. 14. Jh.s, Diss. Uppsala 1919, S. 159-164; H. PSILANDER, Zum frühmnd. westfäl. Psalter, Ndjb 47 (1921) 51-54; E. ROOTH, Zur Sprache u. Heimat d. Breviers in Cod. Guelf. 58.4 Aug. 8°, Nd. Mitt. 22 (1966) 5-38; Rez. z. Rooths Ausg.: G. DE SMET, Korrespondenzbl. d. Ver.s f. nd. Sprachforschung 77 (1970) 63; K. E. SCHÖNDORF, Nd. Mitt. 26 (1970) 131-141.

KURT ERICH SCHÖNDORF 'Brevilogus' Lateinisches Wörterbuch des ausgehenden 14. Jh.s mit gelegentlichen dt. Glossen. Die Ü b e r l i e f e r u n g (vorläufige Übersicht bei GRUBMÜLLER, S.36-38: 43 Hss.; die ab 1478 vielfach aufgelegte Druckfassung wird J. Reuchlin zugeschrieben, s.u.) setzt zu Beginn des 15. Jh.s im Niedersächsisch-Ostfälischen ein (älteste datierte Hs. v. J. 1401) und behält dort ihren Schwerpunkt. Im Mittel- und Oberdeutschen scheint der 'B.' erst um die Mitte des 15. Jh.s bekanntgeworden zu sein.

Der 'B.' behandelt in drei alphabetisch geordneten Abschnitten Nomina, Verben und Indeclinabilia. Er baut auf dem Lemmabestand der großen lat. Lexika (v. a. der 'Magnae Derivationes' des Huguccio von Pisa und des 'Catholicon' des Johannes Baibus von Genua sowie der Wörterbücher des Papias und des -> Guilelmus Brito) auf, ordnet konsequent und unter Verzicht auf die Darstellung systematischer Zusammenhänge nach dem Alphabet und beschränkt die Wortartikel auf knappe Erläuterungen

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zur Wortbedeutung und zur Synonymik. Nur zuweilen weiten sie sich bei Appellativen zu einer kurzen Beschreibung der Sache aus. Dennoch handelt es sich beim 'B.' noch nicht um ein Elementarwörterbuch. Sein Verfasser strebt nicht eine allgemeine Lernund Lesehilfe an, sondern die Erklärung von seltenen und schwierigen Wörtern als Vorbereitung auf das spirituelle Verständnis des Wortes. Er ist Kleriker und sieht in Klerikern die Adressaten seines Wörterbuches (ob necessitatem met similium clericorum). Dt. Glossen sind allem Anschein nach von Anfang an vereinzelt zur Worterklärung verwendet worden. Im Laufe der Überlieferung hat ihr Anteil immer mehr zugenommen. Genauere Untersuchungen über die Rolle des Deutschen im .' fehlen. Der 'B.' war eine der Hauptquellen des weitverbreiteten -> 'Vocabularius Ex quo', der ihn auch in seiner Vorrede unter den Wörterbüchern nennt, die es zu ersetzen gelte. Eine wieder stärker auf wissenschaftliche Ansprüche ausgerichtete Neufassung hat nach seinen eigenen Angaben (StLV 126, 5. 90) Johannes Reuchlin i.J. 1475 ausgearbeitet. Ob sie tatsächlich in allen 22 anonym erschienenen Druckauflagen zwischen 1478 und 1505 vorliegt (so J. BENZING, Bibliographie d. Schriften Johannes Reuchlins im 15. und 16. Jh. [Bibliotheca bibliographica 18], 1955, S. 1-5), müßte noch geprüft werden. In den Drucken hat sich die schon früher gelegentlich verwendete relatinisierte Titelform 'Breviloquus' durchgesetzt. L i t e r a t u r . K. HAMANN, Mitt. aus d. Breviloquus Benthemianus (Progr. d. Realsch. d. Johanneums Hamburg), 1879,1880,1882; W. PADBERG, Der Vocabularius Breviloquus u. seine Bedeutung f. d. Lexikographie d. ausgehenden MAs, Diss. Münster 1912; G. GOETZ, De glossariorum latinorum origine et fatis (CGL 1), 1923, S. 239f.; K. GRUBMÜLLER, Vocabularius Ex quo (MTU 17), 1967, S. 31-39.

KLAUS GRUBMÜLLER Breydenbach -»Bernhard von Breidenbach Breyell, Heinrich Wahrscheinlich identisch mit dem am 16. 6. 1465 an der Kölner Universität imma-

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'Brief an die Frau von Flauen' - Brigitta

trikulierten Henricus Offermann de Breyl, der in Königsdorf bei Köln als Beichtvater eines Nonnenkonvents wirkte. Er schrieb für sein hsl. Arzneibuch von 1511 den 1485 in Mainz gedruckten anonymen 'Gart der Gesundheit' aus, als dessen Verfasser der Frankfurter Stadtarzt Johann -> Wonnecke von Caub gilt; von den 435 Stücken wählte B. 372 aus, die für die Praxis am wichtigsten waren; daneben berücksichtigte er den Pseudo-Apuleius, Typus Beta, schöpfte aus Gerhard von Cremona (medizinische Verwendung des Petroleums) und kannte die Pandekten des Matthaeus Silvestris. Seine Redaktion ist gut durchdacht, meidet Wiederholungen, kürzt und strafft damit den flüssig und gefällig dargestellten Stoff. Das Krankheitsregister ist zu einem selbständigen Rezeptbuch ausgestaltet. Die Abhandlungen über gebrannte Wässer und Medizinalweine im Anhang bedürfen noch der Untersuchung.

A u s g a b e n und L i t e r a t u r . K. SUDHOFF, Diemed. Fakultät Leipzig im ersten Jh. d. Univ. (Stud. z. Gesch. d. Med. 8), 1909, S. 193-198; W. BRAEKMAN, Laatmndl. pestvoorschriften, VMKVA (1972) 98-122; V. GRÄTER, Der 'Sinn d. höchsten Meister v. Paris', Diss. Bonn 1974; H.-P. FRANKE, Der Pest-'B. a. d. F. v. P.', Diss. Würzburg 1977.

G. KEIL

'Brieger Psalmen-Fragmente' Ü b e r l i e f e r u n g . Brieg, Gymnasialbibl. o. Sign., 3 Perg.Bll. Textbestand. Lat.-dt. Text: PS. 38,10-39,3; 39,1014; 40,7-14; 41,6-11; 48,19-49,4; 49,16-50,3. Paläographische und sprachliche Merkmale deuten auf den Anfang des 12. Jh.s als mögliche Entstehungszeit. A u s g a b e n . GUTTMANN, Einige kl. Funde aus der Bibl. d. Kgl. Gymn. z. Brieg, Progr. d. Kgl. Gymn. z. Hirschberg, 1875; K. BARTSCH, Bruchstücke zweier Psalmenübers.n I, Germ.23 (1878) 58-62; KRIEDTE, Bibelfrgm.e, S. 133-135.

Über dem lat. Text, der im wesentlichen dem 'Psalterium Gallicanum' folgt, ist eine Ü b e r l i e f e r u n g . Cod. Ha 3 des Botan. Instituts dt. Interlinearversion eingetragen, die verder Univ. Halle (1511, Kölner Schreibsprache). mutlich aus einer älteren Vorlage kopiert L i t e r a t u r . O. BESSLER, Das dt. Hortus-Ms. des wurde. Der erhaltene lat. und dt. TextbeHenricus Breyel (Nova Acta Leopoldina NF 15, Nr. 107), 1952; P. ASSION, Altdt. Fachlit., 1973, S. 147f. stand stammt aus der Hand eines SchreiP. RAINER RUDOLF SDS bers. Sprachlich gehören die Fragmente ins Hd., vielleicht ins Bairische (KRIEDTE, S.44). Die von KRIEDTE zusammengestell'Brief an die Frau von Flauen' ten Lesarten scheinen die 'Brieger PsalAufbauend auf älteren Laßschemata des men-Frgm.e' an die -> 'Wolfenbüttler obd. Raumes handelt der Pest-'B. a. d. F. v. Interlinearversion zum Psalter' heranzuP.' acht Laßstellen ab, an denen er je nach rücken, während die ->· 'Windberger InterAuftreten der Bubonen zum Blutentzug rät. linearversion zum Psalter' weiter entfernt Ein abschließender Paragraph empfiehlt so- steht. fortigen Aderlaß beim Sichtbarwerden der L i t e r a t u r . KRIEDTE, Bibelfrgm.e, S.41-44. Beulen und warnt den Kranken vor Schlaf. Ü b e r l i e f e r u n g . 60 Hss. des 15.Jh.s verzeichnet FRANKE.

Verfaßt vor 1400 in Böhmen und an die Gattin eines der Vögte von Flauen gerichtet, erlangte der Pest-'Brief weiteste Verbreitung, deren Spannbreite von Österreich bis Flandern reicht. In der Überlieferung ist er meist mit dem —> 'Sinn der höchsten Meister von Paris' gekoppelt, einem kurzen Rezeptar, das zu den ältesten dt. Pesttexten gehört und gleichfalls von Prag seinen Ausgang nahm. Das Verschmelzen der beiden Traktate führte zu ausgeprägtem Gestaltwandel.

KURT ERICH SCHÖNDORF

Brigitta Die sonst unbekannte Dichterin wird in einem Dichterkatalog, in dem Konrad -»•Nachtigall (gest. 1484/85) verstorbene Sangspruchdichter und Meistersinger aufzählt, genannt: Prigita (Berlin, mgq 410, 301r, entstellt den Namen zu Prediger) sang dem volcke, WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1311 Str. 2. In den verwandten Katalogen von Hans -»Folz und Valentin Voigt (vgl. Art. -* Baltzer) fehlt Brigitta.

HORST BRUNNER

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Brinckerinck, Johannes - Brinkind, Rudolf

Brinckerinck, Johannes 1. B., bekannter Prediger aus dem Kreis der Devotio moderna, geb. 1359 in Zutphen (Overijsel), kam nach seiner Ausbildung an der Domschule zu Deventer um 1380 in Berührung mit Gert ->· Groote und wurde schon bald ein hingebungsvoller Nachfolger des geistlichen Vaters der Devotio moderna, dessen Begleiter er auf vielen Predigtreisen war. Nach seinem Eintritt als Bruder des gemeinen Lebens ins Ordenshaus in Deventer setzte er sich für den Bau des Klosters Windesheim ein. Im Jahre 1392 wurde er zum Rektor des 'Meester-Geertshuis' zu Deventer ernannt. Als Inhaber dieses Amtes oblag ihm die Leitung der weiblichen Devoten sowohl innerhalb wie außerhalb Deventers. Zugunsten einiger Frauen vornehmer Herkunft, die aufgrund der Statuten nicht im Kloster zu Deventer zugelassen werden durften, förderte er die Gründung des Augustinerinnenklosters Diepenveen bei Deventer. Im Jahre 1412 wurde das Kloster dem Kapitel der Windesheimer Kongregation einverleibt. B. blieb Rektor der Schwestern zu Deventer, wurde jedoch gleichzeitig Seelenhirt der Nonnen in Diepenveen. Er wollte eher zur aktiven, praktischen Frömmigkeit als zu einem kontemplativen Leben anregen. Er starb i. J. 1419. 2. B. genoß als Prediger mit Recht einen guten Ruf. Außerdem hielt er, in geschlossenem Kreis, erbauliche Ansprachen vor Schwestern und Nonnen. Dreizehn Kollationen sind erhalten; sie betreffen jeweils vom geistlichen Berater redigierte Aufzeichnungen von Schwestern und Nonnen: 'Vander bekeringhe', 'Van berespinghe', 'Vander ghehoersamheit', 'Vander oetmoedicheit', 'Vanden Heilighen Sacramente', 'Hoe wi seilen striden teghen die ghebreken', 'Vanden arbeide van buten ende van binnen', 'Hoe wi dat leven ende die passie Ons Liefs Heren na seilen volghen', 'Van swighen', 'Vander achtersprake', 'Vanden prelaten', 'Vanden ondersaten'. Aus den Titeln dieser mangelhaft überlieferten Ansprachen erhellt u.a., welche Tugenden und Pflichten B. seinen Zuhörerinnen empfahl.

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B. sprach zweifellos die ostndl. Mundart. Die erste Redaktion seiner Kollationen war, wie wir annehmen dürfen, in derselben Mundart abgefaßt. Dies erklärt u.a. die Tatsache, daß es von einem großen Teil seiner Werke eine mnd. Version gibt; der Unterschied zwischen dem östlichen Mndl. und dem westlichen Mnd. war gering. Mnd. Hss.: BORCHLING, Mnd. Hss. III 169, 210; IV 90. A u s g a b e n . Acht collatien van J.B— medegedeeld door W. MOLL, Kerkhistorisch Archief 4 (1866) 97 bis 168; W. DE VREESE, Van swighen, eene collatie van Jan B., Het Beifort 13 (1898) 231-255; M. GOOSSENS, Een onbekende collatie van Jan B., Archief voor de Geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 72 (1953) 184-190; P.J. BEGHEYN, Drie collaties van Jan B.: Vanden prelaten', 'vanden ondersaten', 'vander achtersprake', Archief voor de Geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 13 (1971) 77-90. Lebensbeschreibungen von J.B.: Thomas a Kempis, Vita domini Joannis B., Opera omnia VII, ed. M.J. POHL, 1922, S. 222-228; diese Vita ist, im Rahmen der 'Vitae undecim virorum sanctimonia illustrium', Ende des 15. Jh.s, von Justina -»Blarerin in gekürzter Form ins Schwab, übersetzt worden (Donaueschingen, cod. 422, 108r-109v); Anon., Vita venerabilis Joannis B., Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis l (1901) 314-354; Vanden leven ende wanderinge des eersamen vaders Johan B., hg. von D. A. BRINKERINK, Archief voor de Geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 28 (1902) 22ff. L i t e r a t u r . W.J. KÜHLER, J.B. en zijn klooster te Diepenveen, 2Leiden 1914.

CEBUS C. DE BRUIN Brinkind, Rudolf Ein Verzeichnis von Büchern, die sich i. J. 1437 in der Schloßkapelle zu Wittenberg befanden, führt als Nr. 12 an: Item alius liber qui incipit, Ein man san sunder lagch etc. Et finitur, Min dangken hat er auch verschult etc. Et est dictamen Kudolffi Brinkind. Mit diesem R.B. ist, nach der sonstigen Ausdrucksweise des Verzeichnisses zu schließen, ein Verfasser, nicht ein Schreiber gemeint. Sonst ist über ihn und sein Werk nichts bekannt. A b d r u c k e des Bücherverzeichnisses: E.G. VOGEL, Serapeum 21 (1860) 299-301; K. BARTSCH, Germ. 24 (1879) 17 u. 19; W. LIPPERT, Der älteste kursächs. Bibl. kat. aus d. J. 1437, Neues Arch. f. Sachs. Gesch. u. Altertumskunde 16 (1895) 135-139.

HEINRICH NIEWÖHNER f

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'Brixener Passionsspiel'

Brito, Guilelmus -»· Guilelmus Brito 'Brixener Emmausspiel' -» Raber, Vigil (C. I. 15.) 'Brixener Passionsspiel' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Innsbruck, Tiroler Landesmus. Ferdinandeum, FB 575, v. J. 1551, 137 Bll., 4615 v., 5 Hände, außerdem Korrektur- u. Nachtragshände. Nach f. 137 folgte ursprünglich noch eine Lage (Emmausspiel ?), die jedoch verlorengegangen ist. A u s g a b e . J.E. WACKERNELL, Altdt. Passionsspiele aus Tirol, Graz 1897, S. 351-431.

2. T e x t. Das dreiteilige 'B. P.' ist die späte Überarbeitung einer Tiroler Vorlage (Quellen u.a. -* 'Sterzinger Passionsspiel [1486, Pfarrkirchers Passion]', Codex des Benedikt -* Debs, -> 'Sterzinger Passionsspiel der Mischhs. M') und hat den Handlungskern der Tiroler Passionen mit z.T. umfassenden textlichen Erweiterungen und Änderungen versehen. Das am Gründonnerstag aufgeführte erste Spiel (v. 1—1378) schildert das Passionsgeschehen von der Salbung Christi bis zum Verhör vor Annas. Typisch für den Bearbeiter dieses Teils, der sich von allen Schreibern am weitesten von seiner Vorlage entfernt hat, sind die textlichen Erweiterungen. Sie beruhen auf der Vermehrung der sprechenden Personen, der Umsetzung der Regieanweisungen des Vorbilds in Dialoge, um stumme Handlung zu eliminieren, und auf der Gewohnheit, ausgedehnten statischen Monologen den Vorzug vor kurzen dynamischen Dialogen zu geben. Überdehnte, zu Wechselgesprächen kombinierte Einzelreden verdeutlichen theologische Gehalte und dienen zur Intensivierung der compassio. Der auf Lehrhaftigkeit und Wahrung religiösen Ernstes bedachte Texte schließt andrerseits das Eindringen mal. Realität in die Handlung keineswegs aus. Das zweite Spiel (v. 1379-3248) wurde am Karfreitag aufgeführt und wird von ähnlichen Gestaltungselementen bestimmt. Die Einführung der Propheten David, Jheremias, Esayas und Zacharias als ständige Kommentatoren des Geschehens stellt den anderen Tiroler Spielen gegenüber ein Novum dar und dient vornehmlich der Verdeutlichung der didaktisch-theologi-

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schen Leittendenz des Spiels. Einen eigenwilligen, von dem Wunsch nach einer guten Überleitung zum Spiel des Ostertages motivierten Schluß bietet die Einführung des nunctius von Datnasco, der die Juden vor Christi Auferstehung warnt und sie auffordert, das Grab bewachen zu lassen. Das dritte Spiel (v. 3249-4615), am Ostersonntag aufgeführt, schließt sich eng an den alten, vorgegebenen Text an und weist nur wenige Zusätze auf. Die Regieanweisungen, in den vorhergehenden Textteilen fast ausnahmslos in dt. Sprache, sind bei der Darstellung des Ostergeschehens insgesamt lat.; nur in diesem Teil sind die Gesänge mit Noten versehen. Der Auferstehung folgt ein Teufelsspiel mit einer Seelenbefragung durch Lucifer. Ungewöhnlich ist hierbei die Darstellung des Bauern, die wohl noch unter dem Eindruck der Bauernunruhen steht und die in ihrer didaktischen Intention eine deutlich repressive Tendenz zeigt (v. 4539-4559). 3. A u f f ü h r u n g . Der Text diente als Grundlage für mehrere Aufführungen. Zumindest eine Inszenierung wurde von zwei Spielleitern durchgeführt, denn f.26r nennt am Rande duo Rectores. Die Zahl der Darsteller muß erheblich gewesen sein, da sich aus den Regieanweisungen mehr als 120 Rollen erschließen lassen. Mit 41 sprechenden Personen war die Zahl der Juden besonders groß. Die Regieanweisungen suchen durch detaillierte Angaben Standortwechsel und Bewegungen innerhalb einer Szene zu regulieren, wobei auffällt, daß Dynamik und Lebhaftigkeit von außen her, durch zumeist inhaltlich völlig unmotiviertes Aufstehen und Niedersitzen der Darsteller ins Spiel getragen werden. Mehrfach findet sich zudem ein für die Simultanbühne ungewöhnliches Abgehen handelnder Personen. Das Spiel wurde auf einem plan vor der Brixener Pfarrkirche aufgeführt: Pilatus und seine Ritter gehen nach v. 4442 ins paradeyss ab, womit sicher nicht der Bühnenstand, sondern der so benannte Teil des Kirchenbaues bezeichnet ist. Da die Brixener Pfarrkirche im MA über ein solches Paradies verfügte und Aufführungen von Spielen in der Osterzeit für Brixen inzwi-

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Bromes, Dirk - 'Bruder Konrad'

sehen nachweisbar sind (z.B. 1544), liegt keine Notwendigkeit vor, das 'B. P.' mit DÖRRER nach Schwaz zu verweisen. L i t e r a t u r . A. PICHLER, Das Drama d. MAs in Tirol, Ostern Revue 4 (1866) 41-48; WACKERNELL (s.o. 1.), S. CCLVII-CCLXXXVII; W. MÜLLER, Der schauspielerische Stil im Passionsspiel d. MAs (Form u. Geist 1), 1927; A. DÖRRER, 'VL III 762-767; K. RUH, Stud, über Heinrich v. St.Gallen u. d. 'Extendit manum'-Passionstraktat, ZSchwKG 47 (1953) 256261; K. GSCHWEND, Die Depositio u. Elevatio Crucis im Raum d. alten Diözese Brixen, Samen 1965 (Diss. Trier 1963), S. 105-108; B. THORAN, Stud, zu d. österl. Spielen d. dt. MAs, Diss. Bochum 1969; B. NEUMANN, Neue Funde z. Brixner Theatergesch. d. 16.Jh.s, in: Tiroler Volksschauspiel. Beitr. z. Theatergesch. d. Alpenraumes, hg. v. E. KÜHEBACHER (Schriftenreihe d. Südtiroler Kulturinstituts 3), Bozen 1976, S. 194-200.

BERND NEUMANN

A u s g a b e : F.J. ('Der Rauch beißt').

1042 , AnzfKdVz 5 (1836) 79-82

15 Strr. zu acht Versen in alem. Sprache; metrisch und reimtechnisch unbeholfen. Thema ist die eheliche Kraftprobe als Kampf um die Hosen. Die 'böse Frau' erringt in drastisch-komischen Prügelszenen die Vorherrschaft über den Mann; wie ein beißender Rauch treibt sie diesen aus dem Haus zum Nachbarn, welcher ebenfalls verprügelt wird. Weitere Bearbeitung des Stoffs von Hans ->Folz in einem Meisterlied (hg. v. MAYER, Nr. 95) und von Hans Sachs 1551 in einem Fastnachtspiel und 1554 in einem Meister lied. L i t e r a t u r . F. BRIETZMANN, Die böse Frau in d. dt. Lit. d. MAs, 1912 (Nachdr. 1967), S.223-226; vgl. KELLER, Fsp.III 1278-1282 u. FISCHER, Stud., S.96f.

JÖRN REICHEL

Bromes, Dirk Geb. vermutlich in Lüneburg 1338, Bruder eines Bardowiker Domherren, Lüneburger Ratsherr 1371, Sodmeister 1391 und 1392, gest. 1400. B. wurde ursprünglich als Verfasser der 'Lüneburger Chronik bis 1414 (1421)' angesehen, doch hat REINECKE nachgewiesen, daß er dafür nicht in Frage kommen kann (S.38f.). Allerdings stammt der nur in der Hs. der Kgl. Bibl. Kopenhagen (Gamle Kongl. Saml. 667) vorhandeneEinschub von etwa 6 Quartseiten zwischen Einleitung und der sonst überlieferten Fassung der 'Lüneburger Chronik', in dem die Ereignisse des Lüneburger Erbfolgekrieges und die Bemühungen um einen Friedensschluß berichtet werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit von B. Er verfaßte seine Darstellung eindeutig als zeitgenössischer Parteigänger des Lüneburger Rates und Gegner des Herzogs Magnus, wodurch seine Darstellung lokalhistorischen Reiz gewinnt. L i t e r a t u r . W. REINECKE, Die Lüneburger Chron. bis 1414 (1421), in: Chron. dt. St. 36 (Lüneburg), 2 1968,S.37-44. _ „

THOMAS SANDFUCHS

Bruder, Hans ist nur bekannt durch die Namensnennung in der letzten Str. eines Gedichts, aufgezeichnet 1456 in der Hs. Karlsruhe, LB, St. Georgen Nr. 74, 39r-42r.

'Bruder Konrad' 1. Der von ALPERS für einen Autor gehaltene B. K. ist die Figur eines schwankhaften Erzähllieds mit Refrain. Ü b e r l i e f e r u n g . Str. l mit Melodie im Tenorbuch des -»'Glogauer Liederbuchs', Bl. c 2; 11 Strr. ohne Melodie in zwei Flugschriften Mitte des 16.Jh.s: Nürnberg, Valentin Neuber (Berlin, SB, Yd 9802; Rom, Bibl. Vat., Pal. VI181, Nr. 47 = E. STEVENSON, Inventario dei libri stampati Palatino-Vaticani II 2, Roma 1891, Nr. 2804) und Augsburg, Hans Zimmermann (Winterthur, StB, c. 620, Nr. 56). Die Verbreitung des Liedes bezeugen ferner Bearbeitungen der Melodie in Orgeltabulaturen und Liedsätzen (u.a. von H. Isaac), s. RINGMANN, S. 120. A u s g a b e . H. RINGMANN, Das Glogauer Ldb. I, 1954, S. 8, 104, 124 (nur Str. 1).

In der Beichte auf dem Krankenbett bittet B. K., in ein Frauenkloster gebracht zu werden, aber seine Brüder führen ihn zu einem Herrenkloster. Als er eine schöne Frau sieht, wirft er die Kutte in die Hecke, bedeckt die Platte mit Rosen und baut für sich und die Schöne ein eigenes Klösterlein aufs Eis (auf die vergängliche Welt ?). Die letzten Strr. nennen - zweifellos fiktiv - B. K., der schon zweimal dem Kloster Tegernsee entsprungen sei und keinesfalls wieder hinter Klostermauern wolle, als den, der vns das liedt von newem sänge. L i t e r a t u r . ALPERS, s.u. 2; H.-J. FEURICH, Die dt. weltl. Lieder der Glogauer Hs. (ca. 1470), Diss. Frankfurt a.M. 1970, S. 18f. (zur Melodie).

1043

'Bruder Rausch"

2. Im -> 'Wienhäuser Liederbuch' steht Bl.27r-28r ein Refrainlied gleichen Tons, das in Str. 1-19 von Jesu Geburt und Kindheit erzählt (einschließlich der apokryphen Geschichte von den Hebammen Zebel und Salome). Str.20-22 gelten einem Broder Conrat, der gar hemeliken stille wieder in die Kutte geschlüpft ist, die Rosen in die Hecke geworfen und seine Platte mit Christi Blut bedeckt hat: he hefft dat ghesungen dor Marien willen - eine ungewöhnliche Kontrafaktur der Autorfiktion. Nach ALPERS ist das Lied aus dem Hd. ins Nd. übertragen worden. A u s g a b e . P. ALPERS, Das Wienhäuser Ldb., Ndjb 69/70 (1943/47) 1-40, dort S. 22f.

3. Eine weitere geistliche Kontrafaktur überliefern zwei Flugschriften um 1550/60: Ein schon new Lied von dem Bruder Conradt Geistlich, Nürnberg, Friedrich Gutknecht (Berlin, SB, Hymn. 4781); Ein newes Lied von dem Brüder Conradt Gaystlich, Augsburg, Mattheus Franck (Rom, Bibl. Vat., Pal. V. 182, Nr. 108 = STEVENSON [s. o.l], Nr. 2929). 4. Ob der B.K. der -> 'Abendvesper' durch das weltliche Lied angeregt ist, muß offenbleiben. _. W7 B.WACHINGER 'Bruder Rausch' Ü b e r l i e f e r u n g . Nur Drucke: Joachim Westfal von Stendal, Magdeburg, um 1448 (A); Hans Dorn, Braunschweig, um 1519 (B); Servais Kruffter, Köln, 1520 (C); Martinus Flach, Straßburg, 1508 (M); Hanns Froschauer, Augsburg, 1512 (W); Mathis Hüpfuff, Straßburg, 1515 (St.); Friedrich Gutknecht, Nürnberg, um 1555 (N); Valentin Fuhrmann, Nürnberg, um 1590 (N 2 ); ndl.: Adriaen van Berghen, Antwerpen, um 1520 [Siglen nach ANZ, 1897 u. PRIEBSCH, 1919]. A u s g a b e n . WOLF/ENDLICHER, nachgedr. bei SCHEIBLE, S.1102-1118 (St.); SCHADE, S.385-399 u. mit Korrekturen BOBERTAG, S.368-381 (B); SCHADE, S.400-414 (N); ANZ, 1898, S. 94-112, faksimiliert von PRIEBSCH, 1919 (A); DEBAENE, S. 1-31 (nach dem ndl. Druck von 1520).

Grundlage der Rauschdichtung ist eine der zahlreichen Teufelssagen, die als Predigtmärlein im Umlauf waren, hier die Geschichte vom Teufel als Klosterkoch, der Unfrieden stiftet und die Mönche zur Völlerei verführt, schließlich aber bei einer nächtlichen Teufelsversammlung belauscht und

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daraufhin vom Abt entlarvt und vertrieben wird. Überliefert ist die Grundfabel (G) als md. Exempel des in einem nordwestdeutschen Zisterzienserkloster verfaßten Prosatraktates -»'Die heilige Regel für ein vollkommenes Leben' (2.Hälfte des 13. Jh.s; London, Brit. Mus., Add. 9048, f.30). Durch volkstümliche Sagenmotive erweitert und anstelle des Bruders Albrecht in G, nun dem Bruder Rausch zugeschrieben -vielleicht ursprünglich Name eines häuslichen Poltergeistes ('rauschen' = 'lärmen', 'stürmen') -, wird das Mönchsexempel zum zentralen Motiv einer anonymen, nd. Reimdichtung, die die Geschichte vom Teufel als Klosterbruder behandelt und offensichtlich mit Rauschs Entfernung aus dem Kloster abschloß (vgl. auch -> 'Von dem Teufel und dem Mönch'). In der ältesten bekannten Fassung (A) ist der geschlossene, dramatische Aufbau der Dichtung allerdings schon durch die unorganische Anfügung eines zweiten Teils verdeckt, der, ohne ersichtliche Motivierung, von Abenteuern des vertriebenen Teufels in England berichtet und offenbar eine Nachbildung der nd. Legendendichtung vom hl. -*Zeno (14. Jh.) ist. Das ehedem erbaulich-belehrende Mönchsexempel ist nun zur teilweise burlesken Satire geformt, deren antimonastische Tendenz mit dem neuen Motiv der unkeuschen Mönche eine zeittypische mönchsfeindliche Einstellung reflektiert. In der erweiterten Form breitete sich die Rauschsage nach Ausweis der beiden nd. Drucke (A, B) und des Kölner Druckes (C) in Nord- und Nordwestdeutschland aus. Die einheitliche Überlieferung der hd. Bearbeitungen (M, W, St., N, N2) geht auf die nd. Dichtung zurück, ist jedoch weitläufiger und lokalisiert die Sage erstmals im dänischen Kloster Esrom, während die ältere Version von einem Kloster im Sachsenland spricht. Diese sekundäre Lokalisierung erfolgte durch Kontamination der Rauschsage und einer ähnlichen Lokalsage in Esrom. Auf eine unbekannte nd. Vorlage geht auch die ndl. Prosaauflösung (um 1520) zurück. Sie erweitert den Stoff durch Eulenspiegelgeschichten und possenhafte Episoden, so daß die ursprünglich religions-

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'Der Bruder mit den sieben Säckchen'

polemisch gemeinte Tendenzdichtung in die Nähe der zeitgenössischen Schwankliteratur rückt. Über die ndl. Rauschdichtung wird der Stoff nach England vermittelt, wo er eine stilistisch selbständige, breite, mit den meisten fremden Elementen versetzte Bearbeitung findet (E; Eduard Allde, London, 1620). L i t e r a t u r . F. WOLF/ST. ENDLICHER, Von B.R., Wien 1835 (nachgedr. bei J. SCHEIBLE, Das Kloster, Stuttgart 1849, S. 1070-1101); O. SCHADE, B.R., Weimarisches Jb. f. dt. Sprache, Lit. u. Kunst 5 (1856) 357 bis 414; F. BOBERTAG, B.R., Narrenbuch (DNL 11), 1884, S. 363-381; H. ANZ, Die Dicht, vom B. R., Euph. 4 (1897) 756-769, Nachtrag S.769-772; ders., B.R., Jb. d. Ver.s f. nd. Sprachforsch. 24 (1898) 76-112; R. PRIEBSCH, Die Grundfabel u. Entwicklungsgesch. vom B.R., Prager Dt. Stud. 8 (1908) 423-434; ders., B.R. (Zwickauer Facsimiledrucke No. 28), 1919; L. DEBAENE, De Historic van B.R. (Voor de Seven Sinjoren), 1950.

DIETER HARMENING

'Der Bruder mit den sieben Säckchen' Mystisches Mirakel, häufig und vielfältig im ganzen dt.-ndl. Sprachgebiet überliefert, aber nie umfassend untersucht. Die Textgeschichte verspricht ein eindrucksvolles Modell von Textgenese und -ausformung. 1. Den Kern des Mirakels bildet die Begegnung eines 'armen Bruders', der auf dem Wege zu der Kirchweih eines Klosters ist, mit Christus, der nach dem Inhalt der sieben Säckchen fragt, die der Bruder mit sich trägt. Sie enthalten (1) freiwillige Armut und Schmach, (2) Beten und Weinen, (3) Wachen und Fasten, (4) Gebet aus lauterem Herzen, (5) umfassende Liebe zu Gott, (6) vollkommenen Christenglauben, (7) eine reine Seele. Um nichts in der Welt, aber auch nicht um die Heiligen und Maria selbst will er seine Säckchen hergeben. Christus gibt sich zu erkennen und verschwindet (Teil B). Der über das Verschwinden des Herrn klagende Bruder trifft auf seinem weiteren Wege einen lahmen Aussätzigen, der ebenfalls zur Kirchweih möchte. Er trägt ihn auf seinem Rücken. Vor der Kirche eilen ihm die Mönche entgegen und fallen vor ihm nieder: er trägt Christus auf seinem Rücken. Nachdem er das Sakrament empfangen hat, nimmt ihn Gott ins ewige Leben auf (Teil C).

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Voran geht das Guten-Morgen-Exempel (Teil A): Ein berühmter Lesemeister wird von Gott zu einem armen Menschen gewiesen, um von ihm die höchste Wahrheit zu erfahren, die im zeitlichen Leben möglich ist. Auf den Guten-Morgen-Wunsch hin erklärt ihm der Arme, er hätte nie einen bösen Morgen erlebt, weil er im Hunger und Durst Gott lobe, das Elend als Gottes Süßigkeit empfinde und im Einklang seines Willens mit Gottes Willen sich selig weiß. Lieber wäre er mit Gott in der Hölle als ohne Gott im Himmelreich. 2. Die hier verwendeten Motive sind verbreitet. Die Säckchen-Erzählung findet sich in der Exempelliteratur (mutmaßlich in einer erweiterten Fassung der 'Vitas patrum' (-»'Vitas-patrum-Prosaübersetzungen') (vgl. Hinweis von DE VOOYS, 1926, S. 336 Anm. 2); selbständig in Basel, ÜB, cod. B X 8, 46vb. Das Christus-auf-demRücken-Tragen berichtet Gregor der Große in Hom. 39 in Evang. 1. II, n. 10 vom Mönch Martyrius (PL 76, Sp.1300). Das GutenMorgen-Gespräch gehört zu den sog. -> 'Eckhart-Legenden' (= Spruch 66 in PFEIFFERS Eckhart-Ausgabe [S. 623f.]), die Armut als höchstes Gut, als Unio mit Gott exempelhaft ins Bild bringen. Die Aussage 'lieber mit Gott in der Hölle als ohne ihn im Himmel' ist ein authentisches EckhartWort (Sermo 34, 2, n. 343). 3. D aß der B-Teil überlieferungsgeschichtlich gesondert am Anfang steht, ergibt sich aus der Motivtradition, nicht aber aus der erkennbaren Textgeschichte. Der mit Abstand früheste Textzeuge mit dem B-Teil, Basel, ÜB, cod. B IX 15, 265ra/va (14. Jh., 2.Hälfte), ist wohl dem Typus nach mit unserem Stück verwandt, aber ohne textliche Zusammenhänge; die Inhalte der Säckchen sind größtenteils andere. Ebenso ist das oben erwähnte lat. Exempel inhaltlich abweichend, entspricht indes dem Augsburger Text (StB, cod. 2° 91,58r/v), den B. GREIFF, Germ. 18 (1873) 353 f., veröffentlicht hat. Diese beiden dt. Texte sind also nicht mit dem B-Teil unseres Exempels gleichzusetzen. Andererseits machen die übrigen erhaltenen B-Texte den Eindruck sekundärer Reduktionsstufen (Wien, cod. 3009, 207r und die ndl. 'Bethlehem-Fassung': s. u.). So-

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Brugman, Johannes

mit ist kein B-Text vorhanden, der als erste Stufe der Textgenese zu fassen wäre. Er muß entweder als *B angesetzt werden, oder dann entstand das Exempel gleich als BC-Text. In der Überlieferung ist dieser Typus dominant. An ihn schloß sich dann, wenig organisch, das Guten-Morgen-Exempel der Eckhart-Tradition mit breiter Sonderüberlieferung an. Als genetische Formel hat zu gelten: [*B-»]BC->ABC 1 >B Die i. F. aufgezählten Textzeugen sind alles andere als vollständig. B-Hss.: Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, cod. b II 21, 233V-236V; Wien, cod. 3009, 207r (elsäß.) (zur Spruchkette reduziert). - 'Bethlehem-Fassung' (DE VOOYS, 1905, S.266f.) - der Bruder kommt von Bethlehem -: Den Haag, Koninkl. Bibl., cod. 73 E 27,192v-193r (hg. v. J. VAN VLOTEN, Nederlandsche Prozastukken van 1229-1476, Leiden-Amsterdam 1851, S. 219 f.); Köln, Hist. Arch., cod. W 12° 25, 30r-34r (hg. v. DE VOOYS, 1905, S. 273 f.); dazu gehört auch ein Leidener Druck um 1494, l'-10v (s. DE VOOYS, S. 275f.). BC-Hss.: Berlin, mgo 224, 104r-108v; Melk, Stiftsbibl., cod. 1828 (olim B 28) 238r-241v; ebd., cod. 1651 (ohm 664), 25"-31v; München, cgm 411, 57vb-60"; cgm 466, 79V-84V; Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, cod. b VIII 27, 262vb-265ra; St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 1005, S. 293-302. ABC-Hss.: Berlin, mgo 328, 294r-299r (hg. v. A. SPAMER, Texte aus d. dt. Mystik d. 14. u. 15. Jh.s, 1912, S. 155-159); Karlsruhe, LB, cod. Licht. 87, 202V-206V; Lambach, Stiftsbibl., cod. cart. 247, 267r270" (hg. v. R. NEWALD, Münch. Mus. f. Philol. d. MAs u. d. Renaissance 4 [1928/31] 320-322); Straßburg, ÜB u. LB, ms. 2122 (L germ. 198), 7T-79r (hg. v. DE VOOYS, 1905, S. 271-273 [nur BC]). Der -Teil (gedr. F. PFEIFFER, Deutsche Mystiker II, Sprüche Nr. 66, S. 623f.) ist häufig in Mystiker-Hss. überliefert: s. QUINT, Hss.funde 156, 65,111,138,144, 185, 235, 268; dazu DE VOOYS, 1905, S. 59. L i t e r a t u r . G.G.N. DE VOOYS, Meister Eckart en de nederlandse mystiek, Nederlandsch Archief voor Keerkgeschiedenis NS 3 (1905) 50-92, 176-194, 265 bis 290, bes. 59, 265-267; A. SPAMER, Zur Uberl. d. PfeifferschenEckeharttexte,PBB 34 (1909) 405; C.G.N. DE VOOYS, Middelnederlandse Legenden en Exempelen, Groningen-Den Haag 21926, S. 335-338; W. MUSCHG, Die Mystik in der Schweiz, FrauenfeldLe lpZ1 gl935, S .273f.

Brues, Andreas -* Brus, A.

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Brugman, Johannes I. Leben. Geb.ca. 1400 (Kempen/Rheinland, Nachricht stammt erst aus dem 17. Jh.; unbewiesen); ca. 1424 Eintritt in den Orden der Minderbrüder Conventualen in Hertogenbosch, Bekehrung zur O bservanz 1445. B. war Verfechter einer strengen Einhaltung der Ordensregel; zu deren Durchführung bereiste er viele Städte, u. a. mindestens 12 in Rheinland-Westfalen, wo er auch vor dem Volke predigte. Später war er Vorsteher des Klosters in Mechelen (Belgien), dann in Sluis (Niederlande) und lector theologiae in St. Omer (Frankreich). Im Jahre 1462 wurde er Provinzialvikar der Kölner Observanzprovinz. In Amsterdam setzte er die Gründung eines Observanz-Klosters mit demagogischen Mitteln durch, worauf ein im Ndl. noch heute bestehendes Sprichwort anspielt: praten (reden) als Brugman. 1464 zog er sich krank nach Kempen (?) zurück (bis 1467?), schließlich nach Nijmegen, wo er Ende 1473 starb. II. Werke. Gesicherte Datierung: 'Vita Lijdwine' 1456; lat. Predigt, Deventer 1458; 'Epistola Maior' 1470; 'Epistola Minor' 1471/72. - Geschätzte Datierung: 'Speculum Imperfectionis' 1451; 'Solutiones' 1460; 'Devotus Tractatus' 1456/58 bzw. nach 1464; zudem ein Brief (Hertogenbosch um 1470). - Undatiert (nach 1464?): Predigten für Ordensleute, 'Devote Oefeninge', Ontboezemingen', 'XV Punten', 'Brugmans Regel', Gebete, Lieder. - Verloren: 2 frz. Bittschriften (1447 an den Herzog von Burgund, 1469 an die Herzogin von Geldern), 'Loci Communes', 'Cantio de Extremo ludicio'. Volkspredigten 1452-1464: kurze Frgm.e oder Zusammenfassungen (Den Haag 1458; Amsterdam 1462; Groningen 1452).

a) Predigten. Von keiner Predigt ist B.s eigener Text erhalten (am besten erhalten: lat. Predigt Deventer); meistens wurde der Text von Ordensleuten rekonstruiert. Trotzdem wird B.s bildhafte Sprache und innige Einfühlung vor allem in das Leiden Christi erkennbar. Bisher sind Fragmente von 46 Sermones bekannt; die meisten davon wurden in zwei Ausgaben publiziert: 1. A. VAN DIJK, J.B. Verspreide Sermoenen (Klassieke Galerij 41), Antwerpen 1948. 20 Texte, von denen 2 lat., einer ripuarisch, einer im Dialekt des Raumes Cleve, die übrigen mndl. sind. Die meisten Sermones waren an Nonnen gerichtet; viele wahrscheinlich

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Brugman, Johannes

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im St. Anna-Kloster Kempen/Rheinland bestimmte Betrachtung des Leidens Christi aufgezeichnet und fanden von dort aus Ver- und Aufforderung zur Nachfolge durch breitung. - 2. P. GROOTENS, Onuitgegeven Meditation. Von diesen 3 Schriften wurde nur die 'Visermoenen van J. B., Tielt 1948, enthält mindestens 5, wahrscheinlich 21 Predigten von ta' relativ früh gedruckt (Schiedam 1498). B. (davon ist eine identisch mit einer Predigt Das 'Speculum', im OFM-Kreis pretiose der Ausgabe VAN DIJKS) ; einige wurden vor asservatur (J. POLIUS, Descriptio Provinciae Mönchen, wahrscheinlich den Fratres in De- Coloniensis, v. J. 1647, in Rom, Sant' Isiventer gehalten. Außerdem sind noch 6 klei- doro, cod. II 7), wurde erst 1909 herausgenere Fragmente bzw. Zusammenfassungen geben; der 'Devotus Tractatus' blieb bis überliefert; vgl. DE TROEYER I 91 und v. D. 1937/39 unbekannt. Aus allem diesen geht HOMBERGH, 1967, S. 37 Anm. 5 u. S. 16 klar hervor, daß B. das Latein ebenso beAnm. 7. Zu Unrecht zählt DE TROEYER I 90, herrschte wie das Mndl. Die mhd. Erzählung vom Leben der -* Lidwina geht nicht die 'XV Punten' zu den Sermones. b) Briefe. 4 lat. (hg. v. MOLL, I 198ff., auf B.s 'Vita', sondern auf einen gewissen 218ff.; AEM. WYBRANDS, Archief voor Hugo zurück (s. VAN DIJK, J.B. als biograaf Nederlandsche Kerkgeschiedenis I (1885) van de heilige Lidwina, Bijdragen voor de 226ff.; v. D. HOMBERGH, 1971); 2 frz. (1447, Geschiedenis van de Provincie der Minder1469), verlorengegangen, aber J.I. PONTA- broeders in de Nederlanden 5 [1948] 280 NUS, Historia Gelrica, Harderwijk 1639, Anm. 12). S. 534f., faßt letzteren gut zusammen. Aus d) Ndl. bzw. nd. T r a k t a t e , alle beallem geht ein guter Briefstil hervor, unter- stimmt für den einfachen Christen; einige haltsam, mit zahlreichen Zitaten aus der kaum oder nicht mehr bekannt. Bibel und dem geistlichen Schrifttum. 1. 'Devote Oefeninge': aus den Evangelien 'Solutiones': nach Punkten gegliederte und anderen Quellen zusammengestelltes Antwort an den Klostervorsteher zu Lemgo Leben Jesu, bereits im 15. Jh. weit verbreiauf dessen Beschwerden über örtlichen Wi- tet. MOLL lenkte 1854 die Aufmerksamkeit derstand. Der Ton ist heftig, der Verfasser wieder darauf (II287ff.). Dieses Werk stützt erwähnt immer wieder persönliche Erleb- sich deutlich auf den 'Arbor' des -»· Hubertinisse. Dadurch sind sie unsere beste biogra- nus de Casalis (ca. 1300); eine lat. oder nd. phische Quelle über B., zugleich gutes Bei- Version ist nicht bekannt. Verbreitung im spiel für seinen Haß gegen die Conventua- Rheinland (wo B. es wahrscheinlich schrieb) len. Leider ist sein Talent als Verfasser von oder in Westfalen ist nicht nachgewiesen, Streitschriften aus den 2 frz. Bittschriften 1933 und 1947 wurde es ins moderne Ndl. nicht mehr ersichtlich. PONTANUS' Exzerpt übersetzt. Verkürzte freie Bearbeitung: P. zeigt, daß B. gründlich informiert war. SCHLAGER, Blütenlese aus d. Werken rhein. c) Lat. T r a k t a t e . 1. In einer beißenden Franziskaner, 1907, S.91 ff.; eine vollstänAnklage gegen schlaffe Klosterzucht, 'Spe- dige dt. Übersetzung gibt es noch nicht. In 4 Teilen (Kindheit, Leben in der Öffentculum Imperfectionis' (ed. v. D. HOMBERGH, 1967, S.llSff.), geißelt B. vor Minderbrü- lichkeit, Passion, Auferstehung und Himdern die Verstöße jeder Klostergemeinschaft melfahrt) beschreibt B. jeweils in kurzen gegen die Ideen des Franziskus. - 2. 'Vita Abschnitten die Details des Lebens Jesu, auf alme virginis Lijdwine' (ed. DE MEIJER, eine Weise, die unser Mitgefühl hervorrufen Groningen 1963): Aufstieg der Lidwina von soll. Ganz anders als in den Betrachtungen Schiedam zu einer immer höheren Stufe der mitBelegstellen im 'DevotusTractatus' wenVollkommenheit durch Leiden und als hel- det er sich in 'Devote Oefeninge' unmittelfende Ratgeberin (des Volkes). Das Werk bar an ein weniger gebildetes Publikum. ist aufgebaut nach den 3 Stufen der Voll2. Die Ontboezemingen over het H. kommenheit des -> D avid von Augsburg, Lijden' (unveröffentlicht) weichen völlig ab offenbar bestimmt für alle Gebildeten. - 3. von 'Devote Oefeninge' und 'Devotus Trac'Devotus Tractatus' (ed. v. D. HOMBERGH, tatus'. In 40 (oder 44) Meditationen wird 1967, S. 163 ff.): ausführliche, für Mitbrüder Jesu Schicksal vom Palmsonntag bis Ostern

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Brüml von Ulm

(bzw. Pfingsten) verfolgt. Das Werk ist eindeutig für einfache Gläubige bestimmt. Heute nimmt man an, daß ->· Thomas von Kempen dieses Werk als Vorbild für sein 'De Vita et Beneficiis Salvatoris' verwendet hat. Die Meditationen haben im Rheinland oder in Köln einige Verbreitung gefunden: BORCHLING (Mnd. Hss.) beschrieb 1913 eine Gebetshs. in ripuar. Dialekt, in der die Ontboezemingen' mit 44 Meditationen, wahrscheinlich zum größten Teil gleichlautend mit der mndl. Version, enthalten sind. Versteigert Frankfurt/Main 1905, jetzt verschwunden. 3. 'XV Punten'. Scheint identisch zu sein mit dem, was POLIUS 1647 puncta itidem 25 Spiritualia sub finem elapsi seculi Harlemij impressa prodierunt nannte; nicht in LACEULLE/V.D. KERK, Haarlemse boekdrukkers, Den Haag 1951; Text vielleicht illegal als Pamphlet verbreitet. J. GELDHOF publizierte (Biekorf 61 [1960] 261 ff.) eine Version mit 15 Punkten: Teil von B.s volkskatechetischer Arbeit, kurze Ratschläge für den einfachen Gläubigen. 4. 'Brugman's Regel'. Genannt bei POLIUS 1647, ein Exemplar (gedr. ca. 1500) in Freiburg/Br., zur Zeit nicht zugänglich. L. MEES ('B.s R.': the rediscovery of an early printed edition, Quaerendo 2 [1972] 232) zeigte, daß es eine Bearbeitung desselben Stoffes wie die 'XV Punten' enthält, also zu derselben Kategorie der Volkskatechese gehört. Auch wies er auf Verwandtschaft mit Dietrich —»Kolde von Münster, 'Der Kersten Spiegel', 1480, hin. Diente 'B.s Regel' als Vorbild ? 5. 'Loci communes', erwähnt bei POLIUS 1647. Der Titel läßt vermuten, daß diese noch nicht wiedergefundene Arbeit in der Art der 'XV Punten' eine Anzahl einfacher christlicher Wahrheiten in Mndl. enthalten hat. e) Gebete. Was als 'Brugmans Pater Noster' bekannt wurde, war in Wirklichkeit eine Kombination der 7 Bitten mit 7 Phasen von Jesu Leiden; es wurde im 15. Jh. auch als 'Dat Cuelsche Pater Noster' bezeichnet. Solange der Text von 'B.s Regel' (mit seiner eigenen Auslegung des Vaterunsers und des Ave Maria) nicht bekannt ist, ist seine Ver-

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fasserschaft nicht gesichert. Dies gilt auch für das nur teilweise überlieferte 'Brugmans Ave Maria'. f) Lieder. 1. Och ewelic is so lane alias Mit vruechden laet ans singhen (Antwerpen 1508), auch in Norddeutschland gesungen, wie 2 mnd. Versionen zeigen; eine davon im 'Liederbuch der Anna von Köln' (W. SALMEN/J. KOEPP [Hgg.], 1954, Nr. 34). Seit MOLL (1854) wieder in den Niederlanden bekannt; 7 bzw. 12 Strophen. Da verschiedene Texte op de melodie ewich gemacht wurden, muß es im 15. und 16. Jh. ziemlich populär gewesen sein, auch außerhalb der heutigen Niederlande. 2. Das andere Lied, Ic heb gheiaecht mijn leven lanc (Antwerpen 1508), mit 7 Strophen war bald vergessen, wurde im 19. Jh. jedoch wiederentdeckt: H. HOFFMANN VON FALLERSLEBEN, Horae Belgicae II, Bratislava 1833, S. 39ff. Nur ndl. überliefert, wahrscheinlich in Deutschland nicht so verbreitet wie Och ewelic. 3. Nichts ist über B.s 'Cantio de Extremo ludicio' (genannt bei POLIUS 1647) bekannt. Es besteht kein Grund, das bekannte Ic wil mi gaen vertroesten B. zuzuschreiben, was in ndl. protestantischen Kreisen 1911-1970 geschah. L i t e r a t u r . Vollst. Bibliogr.: B. DE TROEYER, BioBibliographia Franciscana Neerlandica ante Saeculum XVI, I Pars Biographica, Nieuwkoop 1974, S. 98 bis 102. Von allen dort angeführten Werken am brauchbarsten: W. MOLL, J. B., 2 Teile, Amsterdam 1854; F. VAN DEN HOMBERGH, Leven en Werk van Jan B., Diss. Nijmegen 1967; ders., Ein unbekannter Brief des J.B. über die Observanz, AFH (1971) 337-366. Eine gute moderne Biographie steht noch aus.

F.A.H. VAN DEN HOMBERGH Brüml (Brümelein) von Ulm Der Name dieses Meistersingers ist bisher nur aus einigen Töneregistern bekannt: dem Register am Ende der Hs. Wien, cod. 12 635, 233r (Hs. des Peter Heiberger aus Steyr 1586/90), vgl. K.J. SCHRÖER, German. Stud. (Suppl. z. Germ.) 2 (1875) 223, und den beiden Iglauer Registern (1562 und 1613), gedr. F. STREINZ, Der Iglauer Meistergesang, 1958, S. 101 und 156 (hier beidemale: Brümelein von Ulm). Da B. zu den 'Alten Nachdichtern' gezählt wird, könnte er im 15. oder frühen 16. Jh. gelebt haben.

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Brun von Querfurt

Archivalisch ist der Name Brüml in Ulm nicht nachweisbar. Vielleicht ist er - falls man die Herkunftsangabe ernst nehmen kann - durch einen bair. Abschreiber aus dem in Ulm verbreiteten Familiennamen Brunlin, Brünlin, Brinlin (14./15. Jh.), Breinlin, Breunlin (16. Jh.) entstellt. Welcher der zahlreichen Träger dieses Namens, die meist der Weberzunft angehörten, der Meistersinger sein könnte, ist nicht zu ermitteln. Ein Lied in B.s als 46reimig angegebenen Fröhlichem Ton, dessen Melodie nicht überliefert ist, ist bisher nicht bekannt. Der Ton wurde von Hans Sachs nicht benutzt (vgl. E. GEIGER, Der Meistergesang d. Hans Sachs, Bern 1956), er findet sich auch nicht in den Nürnberger und Augsburger Meistersingerprotokollen (vgl. K. DRESCHER, Das Gemerkbüchlein d. Hans Sachs, 1898; ders., Nürnberger Meistersinger-Protokolle, 1897; W. DISCHNER, Die Augsburger Meistersingerprotokolle, Staatsexamensarbeit [masch.] Erlangen 1975).

HORST BRUNNER Brun -»auch Bruno; -»Bruun (Candidus) von Fulda Brun von Querfurt I. Leben. Geb. um 974. Als Angehöriger des Grafenhauses zu Querfurt (bei Merseburg) wurde B. nach Besuch der Domschule zu Magdeburg Mitglied des dortigen Kapitels, gelangte etwa 996 dank verwandtschaftlicher Beziehungen zum Kaiserhaus in die Hofkapelle Ottos III., den er 997 auf seinem Romzug begleitete. Beeindruckt durch den Tod Adalberts von Prag wie von Ideen des Camaldulenserkreises wurde B. um 998 Mönch im Alexiuskloster (Aventin), 1001 Eremit in Pereum; 1002 entschloß er sich zur Ostmission und wurde vom Papst zum archiepiscopus gentium ernannt, mußte aber wegen Streitigkeiten zwischen dem dt. König und dem Herzog von Polen auf die beabsichtigte Preußenmission verzichten; stattdessen reiste er 1003 zu den heidnischen Szeklern. 1004 nach Merseburg zurückgekehrt und von Erzbischof Tageno geweiht, missionierte B. in den folgenden Jahren bei Schwarzen Ungarn und Petschenegen, bereitete seit Sommer 1008 in Polen weitere Missionsunternehmen nach Schweden und Preußen vor, um Anfang

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1009 selbst zur Preußenmission aufzubrechen, wobei er wahrscheinlich am 9.3. im Grenzland Sudauen mit 18 Begleitern durch heidnische Jatvjagen den Märtyrertod erlitt. II. Werk. B.s literarisches Werk umfaßt außer der 'Vita S. Adalberti', die in erster, längerer Fassung 1004 zu Querfurt, in zweiter 1008 in Polen entstand, die 'Vita quinque Fratrum' und die 'Epistola ad Henricum', die beide ebenfalls 1008 in Polen entstanden. 1. 'Vita S. Adalberti Pragensis ep. et martyris' Ü b e r l i e f e r u n g . Rez. I: Kynivart, Bibl. Castelli, cod. 20. D. 22, 143r-156r, 12./13.Jh. -Rez. II: a) Red. Bavarica: Admont, Stiftsbibl., cod. 393, 204v-220r, Ende 12.Jh.; München, clm 2552, 40ra-50ra, 12.Jh. b) Red. Bohemica: Brunn, ÜB, cod. Rajhrad 376, 161rb162rb, Mitte 13.Jh.; ebd., cod. A.44, 234rb-244r, Ende 14.Jh.; Prag, Bibl. Cap. Metr., cod. G.V., 8rb-16rb, 1320-1343; Prag, ÜB, cod. XIII. D. 20, 253rb-268r, 1368-1389. A u s g a b e n . Rez. I: Ältere Ausg.n s. BHL 38; J. KARWASINSKA, Mon. Pol. Hist. N. S. 4/2, Warszawa 1969, S. 3-41. Dt. Übers, v. H.G. VOIGT, B.v.Q., 1907, S. 333-376. - Rez. II: Ältere Ausg.n s. BHL 39; A. KOLBERG, Zs. Ermland 15 (1905) 120-206; KARWASINSKA (s.o.), S. 45-69. Dt. Übers, v. VOIGT (s.o.), S. 444-450.

B. schuf seine 'Vita S. Adalberti' in Kenntnis der Adalbertus-Vita des -> Johannes Canaparius und biographischer Informationen aus Kreisen des Alexiusklosters. Sie unterscheidet sich von ihrer Vorlage nicht nur durch gehobeneren Stil und vielfältige theologische Spekulationen, sondern betont auch die existenzielle Vorbildlichkeit des Lebens Adalberts für B. und verdeutlicht paradigmatisch B.s Vorstellungen von Wesen und Bedeutung der Heidenmission. Unter stärkerer Berücksichtigung der Reichsgeschichte erläutert B. die enge Verbindung von kaiserlicher Ostpolitik und Missionserfolgen sowie die Notwendigkeit kaiserlicher Missionspolitik unter Einschluß des Missionskrieges, ohne aber nationalistische Denkkategorien zu entwickeln (ältere Forschung). Sein Werk wurde bes. in sächsischen Geschichtsquellen verwendet ('Gesta archiepiscoporum Magdeburg.', 'Chronicon Montis Sereni', Annalista Saxo [-»Arnold von Berge und Nienburg]).

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2. 'Vita quinque Fratrum Erem. martyrutn in Polonia' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, cod. theol. lat. oct. 162, 21r-49v, 12. Jh. A u s g a b e n . R. KADE, MGH SS XV 2, S. 716-738; W. KETRZYNSKI, Mon. Pol. Hist. VI, Krakow 1893, S. 388-428; KARWASINSKA, Mon. Pol. Hist. N.S.4/3, Warszawa 1973, S.27-84. Dt. Übers, v. VOIGT (s.o.), S. 377-436.

Mit großer persönlicher Anteilnahme beschrieb B. das von ihm selbst geförderte unglückliche Missionsunternehmen der 5 Brüder des Camaldulenserkreises, die mit königlicher und herzoglicher Hilfe bei Posen in einer Einsiedelei Vorbereitungen zur Preußenmission trafen, am 11.11.1003 aber von Leuten des Herzogs Boleslav erschlagen wurden. Dennoch stand für B. nicht das individuelle Schicksal der Märtyrer im Vordergrund, vielmehr betonte er in predigthafter Form die fundamentale Bedeutung der Heidenmission und übte zugleich Kritik an der königlichen Ostpolitik. 3. 'Epistola ad Henricum regem' Ü b e r l i e f e r u n g . Kassel, LB, cod. 4° Ms. philol. l, 151V-153V, ll.Jh. A u s g a b e n . A. BIELOWSKI, Mon. Pol. Hist. I, Lwow 1864, S. 224-228; KARWASINSKA, Mon. Pol. Hist. N.S.4/3, Warszawa 1973, S.97-106. Dt. Übers, v. VOIGT (s. o.), S. 436-443.

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f. d. österr. Gymn. 19 (1868) 83-100 (= WdF 7,1963, S. 1-21); R. KADE, De Brunonis Querfurtensis vita quinque fratrum Poloniae nuper reperta, Diss. Leipzig 1883; A. KOLBERG, Der hl. B. v. Q., zweiter Apostel v. Preussen, Zs. Ermland 8 (1884) 1-108; O. PFÜLF, B. v. Q., Bischof der Heiden, Stimmen aus Maria Laach 53 (1897) 266-285 u. 375-379; MANITIUS, LG II231-236; E. KESSEL, Die Magdeburger Gesch.schreibung im MA bis z. Ausgang d. 12. Jh.s, Sachsen-Anhalt 7 (1931) 109-184; J. OSTROWSKI, DHGE X 963-966; H.-D. KAHL, Compellere intrare. Die Wendenpolitik B.s v. Q. im Lichte hochmal. Missions- u. Völkerrechts, Zs. f. Ostforsch. 4 (1955) 161-193 u. 260-401 (= WdF 7, 1963, S. 177-274); H.L. MIKOLETZKY, NDB II 674f.; R. WENSKUS, Stud. z. hist.-polit. Gedankenwelt B.s v. Q., Md. Forsch. 5'(1956); ders., B. u. d. Stiftung d. Erzbistums Gnesen, Zs. f. Ostforsch. 5 (1956) 524537; B. STASIEWSKI, RGG 11447f; W. MEYSZTOWICZ, Szkice o swietym Brunie-Bonifacym, Sacrum Poloniae Millennium V, Ryzm 1958, S. 445-501; B. ,WIDERA, B. v. Q. u. Rußland, Jb. f. Gesch. d. UdSSR u. volksdt. Länder 3 (1959) 223-247; J. KARWASINSKA, Panstwo polskie w przekazach hagiograficznych XI i XII wieku, Poczatki panstwa polskiego-Ksiega Tysiaclecia II, Poznan 1962, S. 238-242; WATTENBACH/HOLTZMANN/ SCHMALE, Geschichtsquellen I 48-52, III 18*-2P; O. KRÄLIK, Due redakce vojtesske legendy Bruna z Querfurtu, Listy filologicke 93 (1970) 249-260; Rep. fönt. II 592-594; J. SZYMANSKI, B. v. Q., 974-1009, Hagiografia polska, hg. O.R. GUSTAWA I, Poznan ..., 1971, S. 219-227; KARWASINSKA, Swiadek czasow Chrobrego-Brunon z Kwerfurtu, Polska w swiecie, Warszawa 1972, S. 91-105.

DIETER BERG Besorgt wegen der anhaltenden StreitigBrun von Schönebeck keiten zwischen König Heinrich und Herzog 1. Die Persönlichkeit. Der Dichter Boleslav von Polen, die einen Fortgang der Preußenmission behinderten, verfaßte B. - nennt seinen Namen im 'Hohen Lied' (i.F. sicherlich mit Einverständnis des polnischen 'H.L.'), v. 31, 6434 und im 'Theophilus' des Herzogs - seine 'Epistola' an Heinrich II., 'Ave Maria' (i.F. 'A.M.'), v. 176. Andere in der nach einem Bericht über die bisherige Glieder der Familie sind in Magdeburg im Missionstätigkeit B.s bei Ungarn und Rus- 13. und 14. Jh. bezeugt. Näheres über ihn sen ein Friedensschluß zwischen dem Reich erfahren wir aus der -» 'Magdeburger und Polen sowie die sofortige Lösung des - Schöppenchronik' in einem Abschnitt, der eines christlichen Königs unwürdigen - hinter den Kämpfen der Jahre 1278/81 Bündnisses mit den heidnischen Liutizen rückblickend van düssen tiden spricht. (gegen Polen) gefordert wird, um dem Danach gehörte er zu den Konstablern, christlichen Auftrag der Heidenmission einer auch in anderen Städten begegnenden erfolgreich, notfalls mit Waffengewalt, ge- Gelagebruderschaft der mächtigsten Gerecht zu werden. Konkrete Veränderungen schlechter. Was das für sein ständisches in der königlichen Ostpolitik vermochte B. Selbstbewußtsein bedeutete, zeigt sich, wenn mit seinem Schreiben aber nicht zu bewir- er im 'H.L.' auch Salomo als Konstabel bezeichnete (v. 267, 4133). Auf Bitten seiner ken. Gesellen, sagt der Bericht, habe er ein Spiel L i t e r a t u r . Vita et passio S. B., MGH SS XXX 2, S. 1350-1367; H. ZEISSBERG, Die öffentliche Meinung erdacht und in höveschen breven die Kaufim ll.Jh. über Deutschlands Politik gegen Polen, Zs. leute zahlreicher niedersächsischer Städte,

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2. 'Vita quinque Fratrum Erem. martyrutn in Polonia' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, cod. theol. lat. oct. 162, 21r-49v, 12. Jh. A u s g a b e n . R. KADE, MGH SS XV 2, S. 716-738; W. KETRZYNSKI, Mon. Pol. Hist. VI, Krakow 1893, S. 388-428; KARWASINSKA, Mon. Pol. Hist. N.S.4/3, Warszawa 1973, S.27-84. Dt. Übers, v. VOIGT (s.o.), S. 377-436.

Mit großer persönlicher Anteilnahme beschrieb B. das von ihm selbst geförderte unglückliche Missionsunternehmen der 5 Brüder des Camaldulenserkreises, die mit königlicher und herzoglicher Hilfe bei Posen in einer Einsiedelei Vorbereitungen zur Preußenmission trafen, am 11.11.1003 aber von Leuten des Herzogs Boleslav erschlagen wurden. Dennoch stand für B. nicht das individuelle Schicksal der Märtyrer im Vordergrund, vielmehr betonte er in predigthafter Form die fundamentale Bedeutung der Heidenmission und übte zugleich Kritik an der königlichen Ostpolitik. 3. 'Epistola ad Henricum regem' Ü b e r l i e f e r u n g . Kassel, LB, cod. 4° Ms. philol. l, 151V-153V, ll.Jh. A u s g a b e n . A. BIELOWSKI, Mon. Pol. Hist. I, Lwow 1864, S. 224-228; KARWASINSKA, Mon. Pol. Hist. N.S.4/3, Warszawa 1973, S.97-106. Dt. Übers, v. VOIGT (s. o.), S. 436-443.

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f. d. österr. Gymn. 19 (1868) 83-100 (= WdF 7,1963, S. 1-21); R. KADE, De Brunonis Querfurtensis vita quinque fratrum Poloniae nuper reperta, Diss. Leipzig 1883; A. KOLBERG, Der hl. B. v. Q., zweiter Apostel v. Preussen, Zs. Ermland 8 (1884) 1-108; O. PFÜLF, B. v. Q., Bischof der Heiden, Stimmen aus Maria Laach 53 (1897) 266-285 u. 375-379; MANITIUS, LG II231-236; E. KESSEL, Die Magdeburger Gesch.schreibung im MA bis z. Ausgang d. 12. Jh.s, Sachsen-Anhalt 7 (1931) 109-184; J. OSTROWSKI, DHGE X 963-966; H.-D. KAHL, Compellere intrare. Die Wendenpolitik B.s v. Q. im Lichte hochmal. Missions- u. Völkerrechts, Zs. f. Ostforsch. 4 (1955) 161-193 u. 260-401 (= WdF 7, 1963, S. 177-274); H.L. MIKOLETZKY, NDB II 674f.; R. WENSKUS, Stud. z. hist.-polit. Gedankenwelt B.s v. Q., Md. Forsch. 5'(1956); ders., B. u. d. Stiftung d. Erzbistums Gnesen, Zs. f. Ostforsch. 5 (1956) 524537; B. STASIEWSKI, RGG 11447f; W. MEYSZTOWICZ, Szkice o swietym Brunie-Bonifacym, Sacrum Poloniae Millennium V, Ryzm 1958, S. 445-501; B. ,WIDERA, B. v. Q. u. Rußland, Jb. f. Gesch. d. UdSSR u. volksdt. Länder 3 (1959) 223-247; J. KARWASINSKA, Panstwo polskie w przekazach hagiograficznych XI i XII wieku, Poczatki panstwa polskiego-Ksiega Tysiaclecia II, Poznan 1962, S. 238-242; WATTENBACH/HOLTZMANN/ SCHMALE, Geschichtsquellen I 48-52, III 18*-2P; O. KRÄLIK, Due redakce vojtesske legendy Bruna z Querfurtu, Listy filologicke 93 (1970) 249-260; Rep. fönt. II 592-594; J. SZYMANSKI, B. v. Q., 974-1009, Hagiografia polska, hg. O.R. GUSTAWA I, Poznan ..., 1971, S. 219-227; KARWASINSKA, Swiadek czasow Chrobrego-Brunon z Kwerfurtu, Polska w swiecie, Warszawa 1972, S. 91-105.

DIETER BERG Besorgt wegen der anhaltenden StreitigBrun von Schönebeck keiten zwischen König Heinrich und Herzog 1. Die Persönlichkeit. Der Dichter Boleslav von Polen, die einen Fortgang der Preußenmission behinderten, verfaßte B. - nennt seinen Namen im 'Hohen Lied' (i.F. sicherlich mit Einverständnis des polnischen 'H.L.'), v. 31, 6434 und im 'Theophilus' des Herzogs - seine 'Epistola' an Heinrich II., 'Ave Maria' (i.F. 'A.M.'), v. 176. Andere in der nach einem Bericht über die bisherige Glieder der Familie sind in Magdeburg im Missionstätigkeit B.s bei Ungarn und Rus- 13. und 14. Jh. bezeugt. Näheres über ihn sen ein Friedensschluß zwischen dem Reich erfahren wir aus der -» 'Magdeburger und Polen sowie die sofortige Lösung des - Schöppenchronik' in einem Abschnitt, der eines christlichen Königs unwürdigen - hinter den Kämpfen der Jahre 1278/81 Bündnisses mit den heidnischen Liutizen rückblickend van düssen tiden spricht. (gegen Polen) gefordert wird, um dem Danach gehörte er zu den Konstablern, christlichen Auftrag der Heidenmission einer auch in anderen Städten begegnenden erfolgreich, notfalls mit Waffengewalt, ge- Gelagebruderschaft der mächtigsten Gerecht zu werden. Konkrete Veränderungen schlechter. Was das für sein ständisches in der königlichen Ostpolitik vermochte B. Selbstbewußtsein bedeutete, zeigt sich, wenn mit seinem Schreiben aber nicht zu bewir- er im 'H.L.' auch Salomo als Konstabel bezeichnete (v. 267, 4133). Auf Bitten seiner ken. Gesellen, sagt der Bericht, habe er ein Spiel L i t e r a t u r . Vita et passio S. B., MGH SS XXX 2, S. 1350-1367; H. ZEISSBERG, Die öffentliche Meinung erdacht und in höveschen breven die Kaufim ll.Jh. über Deutschlands Politik gegen Polen, Zs. leute zahlreicher niedersächsischer Städte,

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die Ritterschaft treiben wollten, dazu eingeladen. Im Mittelpunkt des Festes stand ein 'Gral'. Dort hatten die Konstabler, die sich damit als Gralsritter zeigten, ihre Stelle und konnten von den ändern zum Kampf herausgefordert werden. Der Preis für den Sieger in diesen Kämpfen war eine schöne Frau, eine 'Fee'. In ändern nd. Städten wurde dies Fest weiterhin oftmals nachgeahmt. Man sieht, wie sich die führenden Kreise des Bürgertums, die auch auf den Gebrauch der Waffen angewiesen waren, etwas von dem Glanz und den Gedanken der höfischen Welt und Dichtung anzueignen suchten. So wenig wie die Einladungsschreiben ist ein ganz düdesch bok erhalten, das dies Fest beschrieben hatte. Die Chronik nennt den Dichter einen gelehrten Mann, der seither viele dt. Bücher, 'Cantica canticorum', ein 'Ave Maria' und vele gudes gedichtes geschrieben habe. Nach seiner eigenen Angabe, 'H.L.', v. 1825, war er ein Laie und nennt sich einen tumben Sachsen, ebd., v. 8558, 8580, hat aber nach dem 'A.M.', 13r v. 23 eine geistliche Schule besucht und hat sich reiche, wenn auch nicht sonderlich tiefgehende Kenntnisse im theologischen und antiken Schrifttum erworben. 2. Ü b e r l i e f e r u n g und Ausgaben. Das 'H.L.' ist mit ein paar kleinen Reimstücken in der Papierhs. R 482 der Biblioteka Glowna (SB u. ÜB) in Breslau überliefert, in der die 'Goldene Schmiede' —» Konrads v. Würzburg folgt, um 1400. Ausg. hiernach von A. FISCHER, B. v. S. (StLV 198), 1893. Von einem quer durchgeschnittenen Pergamentbl. d. 14.Jh.s, das v. 3912-4071 (4072) enthielt, war die eine Hälfte, schon von FISCHER benutzt, im Besitz von K. BARTSCH, Verbleib unbekannt, die andere ist in der Murhardschen Bibl. u. LB der Stadt Kassel, hg. von E. SCHRÖDER, ZfdA 40 (1896) 101 f. Ein Pergamentdoppelbl. in schöner Buchschrift wohl vom Anfang d. 14.Jh.s, zerschnitten und unvollständig, mit Versen der Partien 7345-7405 und 7711-7771 hat M. LAST gefunden, Staatsarch. Wolfenbüttel, 12 Sammlung Jerxheim, Nr. 2, Abdr. Braunschweiger Jb. 1975. Ein größeres Frgm. vom Anfang des 'A.M.' findet sich in 18 aus Buchdeckeln losgelösten, zum Teil verstümmelten Bll., Anfang d. 15.Jh.s in der ÜB Lund, Sign. Medelt. handskr. 32b, hg. von W. NORLIND, Ndjb 53 (1927) 59-87. Von den Stücken der Göttinger Könemann-Hs., ÜB, cod. theol. 153 (Pap., 15.Jh.), die F. BREUCKER, Ndjb 30 (1904) 81-146, herausgegeben und als eine Art Blütenlese für B. gesichert hat, gehört danach der

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Theophilus' zu dieser Dichtung. Die Bll. von NORLINDS Lage bringen auch vom Göttinger Stück 'Van der almissen' die ersten 99 vv., freilich unvollständig. Von den Göttinger 'Seligpreisungen' ein großes Stück besser und eine Lücke ergänzend auf einem Pergamentbl. des 14.Jh.s im Arch, der Hansestadt Lübeck, Hs. 1150, hg. v. P. KARSTEDT u. H. WEGENER, Ndjb 63/4 (1937/8) 53-58. So muß man sich die Texte an den verschiedensten Stellen zusammensuchen.

3. Die Werke. Während das Gralsfest seinen jüngeren Jahren angehören muß, hat B. das 'Hohe Lied' in vorgerücktem Alter verfaßt. Voller Sorge, ob ihm der Tod noch die Vollendung gestatten werde (vgl. v. 33, 917,2443,10430), hat er es mit seinen 12719 vv. im Lauf eines Jahres bis zum Winter 1276 abgefaßt. Wie im Traum sind die Jahre ihm verflogen. Falsch war das Streben nach dem Ruhm der Welt. Sie hat ihn betrogen wie auch die Hochstehenden alle, bis zu Kaiser Friedrich und Konrad, dem Sohn des Staufers (v. 10282ff.). Die Dichtung, die er der Gottesmutter widmet (v. 56), gliedert sich, wie er es angibt, in drei Hauptteile. Die beiden ersten (bis v. 1054) holen sich aus den 'Cantica canticorum' eine fortlaufende Erzählung, die von einem Werbungsbrief Salomons, der die Geliebte in ihrer Schönheit preist, bis zur Hochzeit führt, der dritte, wieder dreigegliedert, ohne den nach den Worten B.s die beiden ersten nichts wert wären (v. 1026), bringt in weit über 11000 vv. die Ausdeutung mit Darlegung fast des ganzen Glaubensinhalts. Sie geht für die erste Hälfte der Erzählung auf Gott und Maria, die mit der ganzen für sie bereitstehenden Bilderfülle verherrlicht wird, für das folgende auf Gott und die menschliche Seele und für die Hochzeit auf die Heilsgeschichte der Ecclesia bis zum Jüngsten Gericht, das er unter Verwendung eines lat. Gedichtes darstellt. Auch zahlreiche Einzelheiten erhalten ihre allegorische Ausdeutung. Den Abschluß bildet, nach der gleichen Quelle wie in der mfrk. -> 'Rede von den 15 Graden', der fünfzehnstufige Aufstieg der Braut zum Schauen der Dreieinigkeit. Es ist der Weg der Mystik, der lehrhaft, nicht aus eigenem Erleben dargestellt wird. Verschiedentlich sind kleine Beispielerzählungen eingelegt.

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Brun von Schönebeck

Die Hauptgrundlage für die Dichtung B.s, die ihm alles Wesentliche bot, auch die merkwürdige Mandragora-Geschichte im Schlußteil, war, wie HÜBNER gezeigt hat, die 'Expositio in Canticum Canticorum' von -> Honorius Augustodunensis. Vielfach hat er sich ihr eng angeschlossen, und doch zeigt er sich im planvollen, die Teile aufeinander abstimmenden Aufbau und auch in Einzelheiten wieder frei. Als Helfer, der ihm dt rede tet kunt, nennt er den Barfüßer, Prediger und Lesemeister Heinrich von Höxter (Huxere) in Magdeburg, v. 12458ff. (urkl. nachgewiesen 1276). Auch andere Quellen hat er benutzt; wie ein Spürhund, sagt er v. 12467, habe er gesucht. Er nennt und zitiert, nicht ohne Fehler, außer der Bibel, auf die Honorius sich beschränkte, zahlreiche kirchliche Schriftsteller, besonders oft Augustin und St. Bernhard, aber auch antike Autoren wie Horaz und Ovid. Mit solchem Aufputz, insbesondere den Ausdeutungen, heißt es v. 1030ff., wirt ditz buch gar durchfloret. Nicht selten setzt er lat. Worte in den Reim. In allerlei Anspielungen und Anklängen zeigt sich die Kenntnis des Tarzival' und 'Willehalm' (-»Wolfram von Eschenbach). Er wendet sich gern an die Hörer und Leser (v. 12542); vrünt min, alstolzer jungelinc, trüt swester und ähnlich redet er sie an, läßt sich von ihnen Fragen stellen, und es kann auch, wie wir es von -»· Hartmann von Aue kennen, zu einer längeren Wechselrede kommen wie v. 7130 ff. Anapher und Wortspiele treten auf, in Menge auch formelhafte Wendungen und Flickverse. Sehr viel schlichter sind die anderen religiösen Dichtungen, die wahrscheinlich älter sind (vgl. . L.' v. 9138 ff.). Sie richten sich mehr auf das, was der Laie braucht, zumal die sittliche Unterweisung, und da erhalten die Beispielerzählungen einen größeren Anteil und sind anschaulicher, mit viel Rede und Gegenrede. So finden wir im 'Ave Maria', das die tiefere Bedeutung des Engelsgrußes dartun will und die Marienverehrung B.s zu vollem Ausdruck kommen läßt, wie im 'H.L.' die -»-Theophilus'-Legende, die er als bekannt voraussetzt. Dabei ist es deutlich, daß die verschiedene Behandlung beidemal auf den Zusam-

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menhang abgestimmt ist, das eine Mal auf den fragenden Ausruf der Teufel Quae est ista, das andere Mal auf das Gratia plena. BAUERS, 1930/1, S.132ff., zieht auch die vier Blätter von NORLINDS Lage x, in denen Maria nicht vorkommt, zum 'A.M.' (stärkstes Argument die Erklärung der 4 mit der Sonne geschehenden Dinge, zu 1 19). An ein Leben Jesu hatte ich gedacht. Die Schwierigkeit der Klärung ergibt sich daraus, daß sich bei B. oft große Abschweifungen finden. Beim Göttinger Stück von der Minne (zur Quelle BREUCKER, S. 118 ff.) zeigen Anfang und Schluß, daß darin eine Erläuterung zur Barmherzigkeit vorliegt, und so könnte es zur 5. Seligpreisung gehören. Selbständig waren wohl die 'Messe' und deutlich 'Leib und Seele'. Von den kleinen Reimstücken der Breslauer Hs. stehen einige in enger Beziehung zum 'H.L.'. Bemerkenswert, als Erläuterung zu einem Bild gedacht, das Stück über Amor, das seine Erscheinung auf die Verderblichkeit der von ihm ausgehenden Liebe deutet. Bei der Nachahmung -> Reinmars von Zweter ist B. als Verfasser fraglich. 4. Die Verse B.s sind in der Füllung recht frei, die Reime ziemlich rein. Er verwendet häufig rührenden Reim, wenn die Reimworte sich wenigstens bedeutungsmäßig unterscheiden. Die Sprachform, die er seinen Dichtungen geben wollte, ist, wie in der Regel bei den Niederdeutschen des 13. Jh.s östlich der Weser, md., wobei der Lautstand als das Ausschlaggebende erscheint. Mißgriffe zeigen, daß es nicht seine eigene, bodenständige Sprache war. Er braucht etwa dich für dir, di für der und sagt im Reim Maria di vil guter. Natürlich ist es, daß der heimische nd. Wortschatz sich geltend macht. Die Göttinger Hs. und die Bruchstücke von Lund und Lübeck haben die Sprache, der Entwicklung seit dem 14. Jh. folgend, so gut es ging, ins Nd. umgesetzt. 5. B. wendet sich an männliche und weibliche Hörer und Leser (s. o. 3.) und denkt wohl besonders an die führenden Kreise, auch ritter und knecht nennt er öfter, und meint im 'H.L.', sein Buch könne auch vor die Fürsten oder den König kommen

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Brunner, Andreas - Brunner, Johannes

(1124ff.). Die Schätzung, die seine Dichtungen gefunden haben, zeigt sich in der Überlieferung, die bis ins 15. Jh. und räumlich bis ins Schlesische reicht. Eine gewisse Nachwirkung ist in der -» 'Braunschweigischen Reimchronik' und bei -»Könemann festzustellen. Wolfhart Spangenberg (um 1565-1636) nennt ihn noch in seiner 'SingschuP zwischen -> Albrecht von Halberstadt und —>·Freidank. L i t e r a t u r . A. FISCHER, Das 'H.L.' d. B. v. S. (German. Abhh. 6), Breslau 1886; F. BECH, Zur Kritik u. Erklärung d. B. v. Schonebeck, ZfdA 40 (1896) 63101; G. ROETHE, Die Reimvorreden d. Sachsenspiegels (Abhh. d. Kgl. Ges. d. Wiss.n zu Göttingen, N.F. II 8), 1899, S. 37; F. BREUCKER, Ged. Brunos v. S., Ndjb 30 (1904) 81-146; A. LEITZMANN, Zu B. v. S., ZfdA 53 (1912) 61-69; E. SCHRÖDER, Bruno v. Braunschweig u. B. v. S., ZfdA 60 (1923) 151 f.; L. WOLFF, Das Magdeburger Gralsfest B.s v. S., Nd. Zs. f. Vk. 12 (1927) 212-216 (= Kleinere Schriften, 1967, S.401ff.); J.B. SCHÖMANN, Die Rede v. d. 15 Graden, German. Stud. 80 (1930) 43-49; A. BAUERS, Die neuaufgefundenen Hss.-Frgm.e zu B. v. S., Ndjb 56/57 (1930/1) 111-162; ders., Zur Frage nach d. Quellen d. 'A.M.' B.s v. S., Korrespondenzbl. d. Ver.s f. nd. Sprachforschung 45 (1932) 36-38; F. MOHR, Die literarhistor. Stellung Könemanns v. Jerxheim, Diss. (masch.) Marburg 1944; A. HÜBNER, Das 'H.L.' des B. v. S. u. seine Quelle, Fg. U. Pretzel, 1963, S. 43-54.

LUDWIG WOLFF f Bruneck —> Der von Brauneck Brunn —>· Heinrich von Brun; -»Johannes von Geinhausen Brunner, Andreas Domherr in Brixen und Spitalsverwalter in Klausen, Sohn des Konrad Cobrill, gen. Brunner, zu Verdings b. Klausen. Er besuchte die Schule in Klausen, reiste in jungen Jahren durch Mitteleuropa, Skandinavien und Italien und war bereits 1410 fatniliaris des Kardinals Otto Colonna, des späteren Martin V. 1415 wirkte er als Notar in Bruneck im Pustertal und gewann bald zahlreiche Pfründen in den Diözesen Brixen, Trient, Salzburg, Passau, Utrecht und Meißen. Seit 1419 ist er als Kanonikus in Brixen und Trient bezeugt, 1426 wurde er Dompropst, 1440 Domdekan von Brixen. Er starb am 27. Jan. 1443.

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Im Jahr 1426 schrieb B. eine lat. Chronik des Spitals in Klausen, dem er 1420-39 vorstand. Anscheinend ältere Überlieferungen im Brixner Hochstiftsarchiv (s. REDLICH, S. 5 Anm. 3), einst in Innsbruck, heute im Staatsarchiv Bozen, sind derzeit nicht auffindbar. Neuzeitliche Kopien verwahrt das Kapitelarchiv in Brixen. Teileditionen (in Übers.) bieten SINNACHER, S. 26-37, sowie PERNTHALER, S. 4-10. Die Chronik fußt z.T. auf älteren Aufzeichnungen und berichtet in einfacher Form über Gründung, Ausstattung und die Vorsteher des Spitals. L i t e r a t u r . F. A. SINNACHER, Beyträge z. Gesch. d. bischöfl. Kirche Sähen u. Brixen in Tyrol IV, Brixen 1824, S. 26-37; O. REDLICH, Tirol. Gesch.quellen d. MAs, Fs. d. Akad. Historiker-Klubs in Innsbruck, 1903, S. 5; L. SANTIFALLER, Das Brixener Domkapitel in seiner persönlichen Zusammensetzung, 1924, S. 134, 290-292; A. PERNTHALER, Das 'Zwelfbotenhospital' auf d. Insel in d. Au b. Chiusa, Der Schiern 11 (1930) 4-15; Repertorium Germanicum 1,1897, Nr.741, 776, 875; III, 1935, Sp.48; IV/1,1943, Sp. 79-81.

JOSEF RIEDMANN Brunner, Johannes si sprechent, Johannes Pruner hab es von Costanz bracht lautet die Herkunftsangabe des Liedes auf den St. Galler Abt Kaspar von Breitenlandenberg (Str. 13). Das kräftige Spottlied, 1451 während der Auseinandersetzung zwischen Abt und Bürgerschaft entstanden, ist am Schluß (Str. 13 und 14) vielleicht überarbeitet, nachdem der Abt ins eidgenössische Landrecht aufgenommen war, die Angabe wäre dann irreführend. Ein H.B. ist in dieser Zeit mehrfach als St. Galler Bürger bezeugt (Urkb. d. Abtei St. Gallen, VI, Reg.). Ü b e r l i e f e r u n g . Hss.Stiftsarch. St. Gallen, Büchersammlung 87, S. 297f. u. 91, 235v-236r. A u s g a b e n . LILIENCRON, Hist. Volkslieder I 441 bis 443; L. TOBLER, Schweizerische Volkslieder, Frauenfeld 1882-84, II 39-43, dazu I, S. XXVI; TH. CRAMER, Die kleineren Liederdichter d. 14. u. 15. Jh.s I, 1977, S. 83-85, 426. L i t e r a t u r . Zum Ton V. SCHLUMPF, Die frumen edlen puren, 1969, S. 85; MÜLLER, Unters. (Reg.).

MAX WEHRLI 'Briinner Schöffenbuch' Schreiber von Brunn

Johannes, Stadt-

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Brunner, Ulrich - Bruno von Hornberg

Brunner, Ulrich Kanonikus am Stift Haug in Würzburg, unternimmt 1470 (8.3. bis ca. Nov.) mit Eberhard von Grumbach und dem Kanzler Friedrich eine Pilgerfahrt nach Rom und Jerusalem, worüber er einen ausführlichen Bericht verfaßte, der besonders im letzten Teil, nach Sachgruppen geordnet (Unkosten, das Reiten auf Eseln, Ablaß, heilige Stätten), den Charakter eines 'Handbuchs für Pilger' (HERSCHEL) annimmt (s. -»Girnand von Schwalbach). B. scheint denn auch seine Darstellung aus anderen Berichten ergänzt zu haben, da er die von ihm beschriebenen Orte in Palästina während der kurzen Zeit (18.7.-14.8.) kaum alle besucht haben kann. Umgekehrt wurde B.s Bericht von -»Hans von Mergenthal für die Beschreibungderpilgerfahrt Herzog Albrechts von Sachsen (1476) benutzt, wozu der Besitzvermerk der einzigen Hs. paßt (s.u.). Hs. Dresden, LB, cod. P 216, 77 Bll.; laut Bl. l war der Kodex 1538 im Besitze von Joh. Holewein, Mundkoch Herzog Heinrichs v. Sachsen. Ausgabe. R. RÖHRICHT, Die Jerusalemfahrt des Kanonikus U.B. vom Haugstift Würzburg (1470), Zs. d. Dt. Palästinaver.s 29 (1906) 1-50. L i t e r a t u r . HERSCHEL, B.s Pilgerfahrt nach d. hl. Grabe, Serapeum 14 (1853) 189-192 ;vgl.J.PETZHOLDT, Anz. f. Lit. d. Bibl.wiss. (1862) 244; TOBLER, Bibliogr. geogr. Palaest., S.50 (versetzt U.B. fälschlich nach Erfurt) ; RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 488; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 121 Nr. 365; ders., Pilgerreisen, S. 141; H.-J. LEPSZY, Die Reiseberichte d. MAs u. d. Reformationszeit, Diss. (masch.) Hamburg 1952, S. 42f.

DIETRICH HUSCHENBETT Bruno —»auch Brun Bruno von Hornberg Mhd. Lyriker, 13. Jh. 1. Unter diesem Namen sind in der Großen —» 'Heidelberger Liederhs. C' (Heidelberg, cpg 848, in der 23. Lage als Nr. 70, recte 81, 25 ) 16 Strr. überliefert. Die Miniatur, ein Szenenbild (251r), gehört (wie der Texteintrag) zum Grundstock von C: die auf dem Pferd sitzende Dame bindet dem aus einem Fenster schauenden Dichter die Hände (vielleicht eine Illustration zum ersten Lied).

2. Aus dem Kreis der urkundenden Träger des Namens Hornberg führen das (redende) Wappen (Hörn über Berg) und der

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Vorname auf ein Freiherrengeschlecht, dessen Stammsitz bei der gleichnamigen Stadt im Schwarzwälder Gutachtal lag (SCHULTE, S. 227; GRIMME, S. 115; C. v. KRAUS, KLD II20). Die Zeugnisse des 13. Jh.s werden gewöhnlich auf zwei Vertreter dieses Geschlechtes mit dem Vornamen 'Bruno' bezogen : auf einen in der 1. Hälfte des 13. Jh.s (Urkunden von 1219 und 1234) und auf einen zweiten gegen Ende des 13. Jh.s (Urkunden von 1275 und 1310; s. GRIMME, S. 268 bis 271). GRIMME (S. 120) und PFAFF (S. 6) hielten den zweiten für den Dichter, dagegen reklamierte KRAUS für den Dichter im Anschluß an F. H. v. D. HAGEN (HMS IV) aus stilgeschichtlichen Gründen die Urkunde von 1234 und eine spätere von 1276. Die Einordnung B.s v. H. in der Heidelberger Hs. zwischen zwei stilistisch verwandten Dichtern, dem Schweizer -»Konrad von Altstetten und dem Oberschwaben -»Hugo von Werbenwag, die gewöhnlich beide in der 2. Hälfte des 13. Jh.s angesetzt werden, liefert keine weitere Entscheidungshilfe. 3. B.s Werk umfaßt vier Lieder: eine Minneklage (KLD I), zwei Minnereflexionen (II, IV) und ein Tagelied (III), die in einfacher Sprachform aus dem gängigen Schatz der Motive und Wendungen des hohen Minnesangs kombiniert sind. Im 7-strophigen Lied I finden sich z.B. nach dem Natureingang, der Winter- und Herzeleid gleichsetzt, als Motive der Dienst von Kind an, die Minnestricke, die Herzenswunde. Etwas origineller wirken die Minnereflexionen, so II mit dem zwivel als Zentralmotiv und IV mit dem Eingangsmotiv des beglückenden Händedrucks. Im 3strophigen Tagelied folgen auf eine Wächtermahnung zwei auf die Frau bezogene, nur durch knappe Redeteile unterbrochene epische Situationsschilderungen. 4. Die Strr. sind durchweg stollig gebaut, mit dreiteiligen Stollen in III, IV; in I, III und IV ist der Abgesang angereimt. Grundvers ist der Vierheber, daneben begegnen Zweiheber (3mal), Fünfheber (bei klingender Lesung 2mal) und ein Sechsheber. Auf Grund der flüssigen Formgebung wird B. v. H. in der Forschung als Schüler -»Gottfrieds von Neifen eingestuft (KLD II 20f.).

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Bruno von Köln

Ausgabe. KLD I, Nr.3, S.22-25 (zit.), II 20-33. L i t e r a t u r . S. auch KLD II 20-23; A. SCHULTE, Die Standesverhältnisse d. Minnesänger, ZfdA 39 (1895) 185-251; F. GRIMME, Gesch. d. Minnesinger I, 1897; F. PFAFF, Der Minnesang im Lande Baden, Neujahrsbll. d. Bad. Histor. Kommission NF 11 (1908).

GÜNTHER SCHWEIKLE Bruno der Kartäuser -»· Bruno von Köln

Bruno von Köln 1. Leben. B. wurde wahrscheinlich vor 1030 in Köln geboren, parentibus non obscuris, wie die älteste chronikalische Notiz vermerkt. Wann er seine Kanonikate an St. Kunibert in Köln und an der Kathedrale in Reims erhielt, ist ungewiß. Seine vorzügliche Ausbildung hat er wohl an der Reimser Kathedralschule erhalten, deren Leitung er um 1056 übernahm. In den 'Tituli funebres' bezeichnen sich mehrere Bischöfe und Äbte als seine Schüler; deren bedeutendster dürfte Odo von Chätillon, der spätere Papst Urban II., gewesen sein. In dem wechselvollen Konflikt zwischen dem der Simonie beschuldigten Reimser Erzbischof Manasse I. (1069-80) und Papst Gregor VII. sowie dessen Legaten Hugo von Die scheint B. fest auf deren Seite gestanden zu haben, auch wenn er während dieser Zeit (um 1076) vorübergehend Kanzler des Reimser Erzbischofs war. Daß er von seinen Mitkanonikern zum Nachfolger des abgesetzten Erzbischofs Manasse vorgeschlagen worden sei, das Angebot aber abgelehnt habe, wird immer wieder behauptet, läßt sich jedoch nicht sicher belegen. Nach den Auseinandersetzungen in Reims zog er sich mit zwei Begleitern zunächst in die Einsamkeit von Seche-Fontaine (40km südöstlich von Troyes) zurück. 1084 gründete er - unterstützt von Bischof Hugo von Grenoble mit sechs Gefährten eine Mönchsgemeinschaft in der Chartreuse. Möglicherweise hat B. hier bereits die später für die Kartäuser typische Konzeption, eremitische und koinobitische Elemente miteinander zu verbinden, grundgelegt. 1090 verließ er seine Gemeinschaft cogente pupa, um als Berater UrbansII. an der Kurie zu wirken. Über seine Tätigkeit dort ist nichts bekannt als sein Drängen, in die Einsamkeit zurückzu-

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kehren. Wieder soll er einen erzbischöflichen Stuhl, diesmal den von Reggio di Calabria, ausgeschlagen haben. Nach 1090 sammelte er in S.Maria della Torre in der Diözese Squillace eine neue, von Graf Roger von Kalabrien und Sizilien geförderte Gemeinschaft um sich, die vermutlich ähnlich strukturiert war wie die in der Chartreuse. B. starb am 6. Oktober 1101 in La Torre. Sieht man von der nicht genau feststellbaren Prägung, die die junge Gemeinschaft in der Chartreuse durch B. erhalten hat, ab, so ist seine Wirkung auf den Orden, der sich aus seiner ersten Gründung entwickelt hat, über Jahrhunderte hinweg sehr gering gewesen. Erst seit dem 15. Jh. wird ein nachhaltigeres Interesse der Kartäuser an Person und Werk B.s deutlich. Die im Orden damals aufkommende intensivere Verehrung wurde 1514 von Papst Leo X. bestätigt. 2. W e r k e und Chronologie. Mit der wachsenden Verehrung B.s seit dem 15.716. Jh. wurden ihm immer mehr Werke zugewiesen. Die meisten Zuweisungen haben der kritischen Überprüfung nicht standgehalten. Als authentisch können gelten: 1. der Brief an den Reimser Dompropst Raoul le Verd (zwischen 1096 und 1101) und 2. der Brief an die Gemeinschaft in der Chartreuse (1099 oder 1100). Der beste Kenner der Frühgeschichte des Kartäuserordens M. LAPORTE hält auch die 'Professio fidei' für echt (1101). Zur Echtheit der B. zugewiesenen exegetischen Werke (Kommentare zu den Psalmen und zu den paulinischen Briefen) sind noch keine endgültigen Aussagen möglich. A. LANDGRAF hat 1938 als erster dezidiert die These vertreten, Psalmenkommentar und Paulinenkommentare könnten nicht aus der Feder desselben Autors stammen, und hat deshalb B., der seinen Zeitgenossen als in psalterio et caeteris scientiis luculentissitnus galt, die Kommentare zu den Paulusbriefen abgesprochen. LANDGRAF gründet sein Urteil auf starke Differenzen in der theologischen Argumentation und im Stil der Kommentare. H. LÖBBEL glaubte 1899 gerade hier deutliche Parallelen zwischen Psalmenkommentar und Paulinenkommentaren feststellen zu können. Auch A. STOELEN betonte

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Bruno von Köln

1958 die Übereinstimmungen zwischen den Kommentaren zu den Psalmen und zu den Paulinen; er spricht beide Werke B. zu. Bei der Abfassung seiner Untersuchung wußte STOELEN noch nicht, daß D. VAN DEN EYNDE 1957 B. den Psalmenkommentar abgesprochen hatte, weil sich in ihm theologische Probleme und Argumentationen finden, die so erst seit Anfang des 12. Jh.s vorkommen. 3. Ü b e r l i e f e r u n g , a) Brief an Raoul le Verd. LAPORTE (1962) kennt in seiner Ausgabe vier Hss.: Berlin, cod. Phill. 1694,27v-29r; Berlin, cod. lat. 8° 226, 143v-146r; Lyon, ÜB, cod. 42,113M16V; Kopenhagen, Kgl. Bibl., cod. Ny kgl. S. 2911. 4°, 175r-177r. Die mal. Überlieferung ist jedoch reicher: Berlin, cod. theol. lat. fol. 530, 70r-72v; Darmstadt, LB, cod. 819, 166"169r; Florenz, Bibl. Naz., cod. C.S.J.6.33; Florenz, Bibl. Medicea Laurenziana, cod. Laur. Plut. 13.16, 127r-129v. b) Brief an die Gemeinschaft in der Chartreuse. LAPORTE nennt zwei Hss.: Kopenhagen, Kgl. Bibl., cod. Ny kgl. S. 2911.4°, 174M74V; Mailand, Bibl. Naz. Braidense, cod. AD. IX. 14, 28v-29r. Weitere vollständige Fassungen: Basel, ÜB, cod. F.G. IX2. 24; Berlin, cod. theol. lat. fol. 530, 69r-70r; Darmstadt, LB, cod. 819, 165V-166V; Koblenz, Staatsarch., cod. 146. c) Die Überlieferung der Trofessio fidei" kennt nur Hss. des 16. und 17.Jh.s: Archiv der Kartause Serra San Bruno (o. Sign.) und Grenoble, cod. 630 bis. d) Psalmenkommentar. Die einzige Hs. (12.Jh.) stammt aus der Grande Chartreuse und nennt einen magister Bruno als Autor: Grenoble, cod. 240. e) Paulinenkommentare. Die komplizierte Überlieferung (über 20 Hss. sind erhalten) ausführlich bei LANDGRAF, S. 544-557, STEGMÜLLER, Rep. II 216-219 und STOELEN, S. 177-191. 4. A u s g a b e n . Briefe: Lettres des premiers chartreux I: S. Bruno - Guigues - S. Anthelme, ed. par un chartreux [d. i. M. LAPORTE] (Sources chretiennes 88), Paris 1962. Die bei LAPORTE vollständig genannten älteren Ausg.n (u.a. AASS, Oct. Ill, 674-677; PL 152, Sp. 418-423; A. WILMART, Deux lettres concernant Raoul le Verd, I'ami de saint Bruno, Rev. Ben. 51 [1939] 257-274) sind durch diese Edition überholt. Beste Ausg. der 'Professio fidei' bei LAPORTE, 1962, S. 90-93. - Kommentare zu den Psalmen und zu den paulinischen Briefen: 1509 und 1516 in Paris bei Berthold Rembolt; 1524 in Paris bei Jodocus Badius; 1611 und 1640 in Köln durch den Kartäuser TH. PETREIUS. Nach der Ausg. von 1611 PL 152 und 153. Beste, wenn auch nicht kritische Ausg.: S. Bruno, Expositio in Psalmos, Montreuil 1891; S. Bruno, Expositiones in omnes epistolas beati Pauli apostoli, Montreuil 1892.

5. I n h a l t und A u f b a u , a) Der Brief an

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Raoul le Verd. Raoul war wie B. Kanoniker in Reims und faßte zusammen mit ihm den Entschluß, in proximo fugitiva saeculi relinquere et aeterna capture necnon monachicunt habitum recipere, verwirklichte diesen Entschluß jedoch nicht. Nach der Wahl Raouls zum Probst des Reimser Kapitels (um 1096) erinnert B. den alten Freund in diesem Brief an sein früheres Gelübde. Der Brief beginnt mit einer Schilderung der Einsamkeit, die alle Elemente eines locus amoenus enthält; es folgt ein Lobpreis der vita contemplativa im Stile eines monastischen Humanismus. Die Liebe Gottes ruft zum Verlassen der Welt auf; das spannungsreiche kontemplative Leben in der Einsamkeit verspricht Freude und ewigen Gewinn. B. scheut sich aber auch nicht, auf Raouls Angst zu spekulieren und ihn auf die Strafen hinzuweisen, die der Nichteinhaltung des Gelübdes folgen. Dennoch bleibt der Brief ausgewogen und maßvoll. Hier spricht kein finsterer Asket, sondern ein gebildeter Mönch, für den Einsamkeit und Kontemplation als divina philosophia höchste menschliche Lebensform sind. Der Brief hat seine Wirkung auf Raoul verfehlt. Raoul starb 1124 als Erzbischof von Reims. Vermutlich hat ein unbekannter Reimser Kleriker den Brief B.s in einer Invektive gegen seinen Erzbischof benutzt. b) Der Brief an die Gemeinschaft in der Chartreuse. In diesem Brief zeigt sich B. zufrieden mit dem Leben der von ihm gegründeten Gemeinschaft in der Chartreuse. Er ermuntert besonders die Laienbrüder, ihrem Vorsatz treu zu bleiben, indem er wie in seinem anderen Brief - auf die Vorzüge eines Lebens in der Zurückgezogenheit hinweist. EHe beiden Briefe enthalten die einzigen authentischen Äußerungen B.s zum kontemplativen und monastischen Leben. Um so überraschender ist es, wie gering ihre Wirkung im Kartäuserorden war. Erst seit dem Ende des 14. Jh.s werden die Briefe häufiger abgeschrieben und zitiert. B. hat, wie sicher überliefert ist, auf dem Sterbebett eine 'Professio fidei' abgelegt. Der knappe Text, der diese 'Professio' enthalten soll, legt besonderen Wert auf das Dogma der Trinität.

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Bruno von Longoburgo

6. Sprache und Stil. In seinen Briefen zeigt B., daß er die Grundzüge der literarischen Rhetorik der Zeit souverän beherrscht, ohne daß seiner Sprache Spontaneität und Eigenart abgehen. 7. Ein Hinweis auf das seit dem späteren 15. Jh. gewachsene Interesse am Ursprung des Kartäuserordens und am Leben des Ordensgründers sind verschiedene dt. und ndl. Darstellungen. Am verbreitetsten sind Bearbeitungen der Vita des Franciscus a Puteo (AASS Oct. Ill 707-724). STAMMLER (Prosa, Sp.969) unterscheidet drei Fassungen; es dürften eher mehr sein. Alle gehören der 2. Hälfte des 15. und dem frühen 16.Jh. an; STAMMLERS chronologischer Ansatz 'um 1400' greift arg daneben. Basel, ÜB, cod. A XI 59, 240r-247r; Berlin, mgq 1131, lr-3v; Donaueschingen, cod. 467, lr-7v; Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 750, v. J. 1521, 4V-70V (anschließend bis 87r eine Predigt über den hl. B. von einem Freiburger Kartäuser); Frauenfeld, Kantonsbibl., cod. 80, 44rlM5rb (frgm.) (alle alem. u. westschwäb.); Innsbruck, ÜB, cod. 979 (v. J. 1463/65), 98vb-103ra, bair. - Ein Bruno-Leben nach AASS Oct. Ill 724-736 in Münster/Westf., ÜB, cod. 894 (v. J. 1522), 28V-52V, vielleicht = Berlin, mgq 261, 44V-61V (l.H. d. lö.Jh.s) (beide rip.). Mir nicht näher bestimmbar: London, Brit. Mus., cod. Add. 25042, *, 15.Jh., ndl.; Salzburg, ÜB, cod. M. I. 476, 99V100r, v. J. 1441, alem. - Genauere Untersuchungen fehlen. [ K .RuH zu 7.] L i t e r a t u r . Die mal. Ordenschroniken und die frühneuzeitlichen Viten sind wenig ergiebig. Wichtiges Material ist zusammengestellt AASS, Oct. Ill 491-777 (hier auch die Tituli funebres'). H. LÖBBEL, Der Stifter d. Carthäuser-Ordens, der heilige B. aus Köln (Kirchengeschichtl. Stud. 5, 1), 1899; A. WILMART, La chronique des premiers chartreux, Revue Mabillon 16 (1926) 77-142; A. LANDGRAF, Probleme d. Schrifttums B.s d. Kartäusers, Collectanea Franciscana 8 (1938) 542-590; D. VAN DEN EYNDE, Complementary Note on the early Scholastic Commentarii in Psalmos, Franciscan Studies 17 (1957) 149-172; A. STOELEN, Les commentaires scripturaires attribues a Bruno le Chartreux, Recherches de Theologie ancienne et medievale 25 (1958) 177-247; [M. LAPORTE,] Aux sources de la vie cartusienne I: Eclaircissements concernant la vie de saint Bruno, Grande Chartreuse 1960 (erster Band einer hektographierten Arbeit über die Anfänge des Kartäuserordens; grundlegend für alle weiteren Studien zu B.); La Grande Chartreuse, par un chartreux (d. i. M. LAPORTE), 10 1964; A. RAVIER, Saint Bruno, le premier des ermites de Chartreuse, Paris 1967; J. DUBOIS, Quelques pro-

blemes de l'histoire de l'ordre des chartreux ä propos de livres recents, Revue d'histoire ecclesiastique 63 (1968) 27-54.

HEINRICH RUTHING

Bruno von Longoburgo 1. Geboren um 1200 zu Longobucco (volksetymologisch und in der gesamten Überlieferung: Longoburgo) in Kalabrien, studierte B. in Bologna als Schüler Hugo Borgognonis von Lucca, war Konkurrent -»Thiederiks von Cervia und brachte später nach Padua übersiedelt (SUDHOFF II 461 Anm. 3) -1252 seine 'Chirurgia magna' heraus, die etwa 12 Jahre nach Erscheinen von Thiederik überarbeitet und unter dessen eigenem Namen veröffentlicht wurde (GuRLT I 742-753; TABANELLI I 481-491). Dieses 'unverschämteste' Plagiat ist spätestens von ->Guy de Chauliac aufgedeckt worden, der im 'Capitulum singulare' seiner 'Chirurgie' trocken bemerkt: Posi ipsum (nämlich Brunum) inmediate venit Thedericus,quirapiendootnnia,quedixeratBrunus, cum quibusdam fabulis Hugonis de Luca magistri sui librum edidit (WALLNER, S. 158). - Einen praxisbezogenen Leitfaden wundärztlichen Wissens, die 'Chirurgia parva', ließ B. bald nach 1252 auf die 'Große Chirurgie' folgen. 2. Mit der Veröffentlichung von B.s 'Chirurgia magna' ist eine Entwicklung abgeschlossen, die in der 'Salerner Rogerglosse' um 1190 greifbar wird und in deren Verlauf die abendländische Chirurgie sich am Schrifttum der zweiten Rezeptionswelle ausrichtet. B.s Werk ist vor allem auf Abü'l-Quäsim (Abulkasim, Albucasis] aufgebaut und hat die späteren chirurgischen Texte - nicht zuletzt über die Bearbeitung Thiederiks - nachhaltig beeinflußt. Von ihrer Bedeutung für die wundärztliche Praxis zeugt die landessprachige Überlieferung, wie sie für mehrere Literaturen des mal. Europa nachgewiesen ist. 3. Die dt. B.-Rezeption setzt spätestens im 15. Jh. ein und ist für die meisten dt. Sprachlandschaften bezeugt (SUDHOFF) : Obd. Auszüge bietet cod. 200 (Farfensis) der Biblioteca Vittorio-Emanuele zu Rom (193v-200r); ostfrk.-bair. liegt die 'Große Chirurgie' in London, Brit. Mus., cod. Add.

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Bruno von Magdeburg

21618 (2r-72v) vor, und in ndfrk. Fassung wird das Werk in Wien, cod. 2818 (169ra213vb, 250ra-281ra) überliefert. - Die ndl. Wundärzte Jan —»Yperman und Thomas -v Schelling zitieren B. schon zu Beginn des 14.Jh.s.

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3. A u s g a b e n . W. WATTENBACH, MGH SS rer. Germ., 1880; H.-E. LOHMANN, B.s Buch vom Sachsenkrieg, MGH Dt. MA 2,1937; F.-J. SCHMALE, Quellen z. Gesch. Kaiser Heinrichs IV., Ausgewählte Quellen z. dt. Gesch. d. MAs 12, 1963, S. 192-405, m. dt. Übers, (zit.).

4. Das 'S. b.' ist dem Bischof Werner von Merseburg (f 1093) gewidmet und vielleicht 1082 verfaßt worden, da Otto von Nordheim (f 11.1.1083) im letzten Kap. (131) noch wie ein Lebender erwähnt wird; doch können spätere Entstehung und unvollständige Überlieferung nicht völlig ausgeschlossen werden. B. will darin den Bürgerkrieg schildern, den Heinrich gegen die Sachsen entfesselte, und wie die Sachsen dabei Gottes Barmherzigkeit erfuhren. Da der Krieg die Folge von Heinrichs Bosheit ist, wird eingangs ein Charakterbild des von Jugend auf völlig verderbten Königs gezeichnet, bevor B. die Ereignisse von 1073 bis Ende Bruno von Magdeburg (Merseburg) 1081 darstellt, zur Hauptsache an Hand 1. Der sächsische Kleriker und Ge- eigener Erfahrungen und Mitteilungen der schichtsschreiber, über den Sicheres nur auf antiköniglicher Seite Beteiligten sowie aus seinem Werk 'Saxonicum bellum' zu der zahlreichen inserierten Briefe. Trotz erfahren ist, stand dem Erzbischof Werner einiger Anklänge an -»· Lampert von Hersvon Magdeburg (f!078), einem der Führer feld und -* Berthold von Reichenau ist eine des sächsischen Aufstandes gegen Hein- unmittelbare Benützung nicht nachzuweirich IV., dann dem Bischof Werner von sen. Merseburg nahe und war vielleicht in deren B. war ein leidenschaftlich überzeugter Kanzleien tätig, wie die zahlreichen, zum Sachse, frei von Zweifel an der GerechtigTeil wohl von ihm selbst in fremdem Auf- keit der eigenen Sache, und daher ein engatrag verfaßten Briefe vermuten lassen, die gierter Chronist, der den König haßte und er in sein Buch aufnahm. Er starb nach entsprechend einseitig berichtete, aber doch 1082, dem letzten im 'S.b.' genannten Da- wohl wenigstens subjektiv wahrhaftig. Enttum, oder aber auch erst nach 1100, falls er gegen früherer Ansichten ist das 'S. b.' durchmit dem Magdeburger Domscholaster B. aus auch für die Kenntnis der Fakten wichidentisch ist, der zu diesem Jahr urkundlich tig, bedeutsamer allerdings als Dokument genannt ist (G. A. V. MÜLVERSTEDT, Neue sächsischen Stammesbewußtseins, der AnMitt. aus d. Geb. hist.-antiquar. Forschungen sichten der Gegner Heinrichs IV. und vor .. d. Thür. Sachs. Ver.s 10 [1863] 129ff.). allem des Autors selbst. Bei grundsätzlicher Die Vermutung (WATTENBACH, Geschichts- Wahrung des chronologischen Ablaufs quellen II, 61894, S.86), B. sei mit dem wird das Geschehen in seiner Komplexität gleichnamigen Kanzler Hermanns von Salm und kausalen Verknüpfung nachzuzeichgleichzusetzen, ist unbeweisbar. nen versucht, wie dies kaum ein anderer 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Das Werk ist selbständig in Verfasser des 11. Jh.s erreicht. Ironie und der Hs. Leipzig, ÜB, 1323, 2r-55v, 15.Jh., erhalten, beißender Spott, die den Gegner ins Lächersonst nur beim Annalista Saxo und in den 'Gesta arliche ziehen, geben der Darstellung ebenso chiepiscoporum Magdeburgensium' (-> Arnold von Leben wie die vorzügliche lat. Sprache, die Berge und Nienburg); aus einer älteren und vollstänin einwandfreier Grammatik alle Ausdigeren Uberl. der 'Gesta', die heute nurmehr bis ins drucksmittel beherrscht, mit ihrem reichen 14. Jh. zurückreicht, könnte auch die Leipziger Hs. abgeleitet sein. Wortschatz alle Gedanken, Gefühle und L i t e r a t u r . E. GIJRLT, Gesch. d. Chirurgie I, 1898, S. 725-740; K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA II, 1918, S. 461-463; G. SARTON, Introduction to the history of science II 2, Baltimore 1931, S. 1077f.; G. Eis, Nachricht über eine med. Sammclhs. aus d. ital. Kloster Farfa in Latium, Med. Mschr. 13 (1959) 514-516; G. KEIL, Die 'Cirurgia' Peters v. Ulm, 1961, S. 26; B. WALLNER, The Middle English translation of Guy de Chauliac's Anatomy with Guy's Essay on the history of medicine, Lund 1964, S. 158; M. TABANELLI, La chirurgia italiana nell'alto medioevo I, Florenz 1965, S. 209, 481-491; R. JANSEN-SIEBEN, Mndl. vakliteratuur, in: Fachprosaforschung, hg. G. KEIL/P. ASSION, 1974, S. 24-70, hier S. 46. „ „ Lr. KEIL

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Brunschwig, Hieronymus

Sachverhake exakt wiedergibt und Variation des Ausdrucks ermöglicht. Ebenso wie zu wohlgegliederten Perioden ist sie befähigt, in wenigen und knappen Sätzen Situationen anekdotisch einzufangen. Die zahlreichen fingierten Reden sind rhetorisch wirkungsvoll komponiert, und auch Reimprosa und rhythmischer Satzschluß werden als Stilmittel verwendet. L i t e r a t u r . F.-J. SCHMALE, Zu B.s Buch vom Sachsenkrieg, DA 18 (1962) 236-244; ders., Einleitung z. Ausg., S. 2 u. 28-34; O.-H. KOST, Die östl. Niedersachsen im Investiturstreit (Stud. z. Kirchengesch. Niedersachsens 13), 1962; K. SPRIGADE, Über d. Datierung von B.s Buch v. S., DA 23 (1967) 544-548; WATT ENBACH/HOLTZ MANN/SCHMALE, Geschichtsquellen II 591-594, III 168*.

FRANZ-JOSEF SCHMALE Brunschwig, Hieronymus Wahrscheinlich um 1450 geboren, stammte B. aus einem Straßburger Bürgergeschlecht. Nach wundärztlicher Ausbildungginger einige Jahre auf Wanderungen, die ihn durch den süddt. Raum führten. Daß B. im Ausland studiert und an den burgundischen Kriegen (um 1475) teilgenommen hat, scheint aus einigen Stellen in seiner 'Cirurgia' hervorzugehen, entbehrt aber eines sicheren Beweises. Nach Straßburg zurückgekehrt, entfaltete B. als Stadtwundarzt eine rege chirurgische und schriftstellerische Tätigkeit, die erst durch seinen Tod um die Jahreswende 1512/13 beendet wurde. Als medizinischer Autor steht B. noch ganz im Banne der mal. Tradition. Vom kritischen Geist der Renaissance-Zeit ist bei ihm nichts zu verspüren. Nur die Abschnitte über Schußwunden und Amputationstechnik lassen eine gewisse Selbständigkeit erkennen. Wertvoll für die ältere dt. Botanik sind seine im 'Kleinen Destillierbuch' niedergelegten Beobachtungen. Bei der Auswahl seiner Texte war B. auf dt. Übersetzungen angewiesen; daß er Latein oder Französisch beherrschte, ist nicht anzunehmen. Da sich B. in seinen mehrmals aufgelegten Schriften bewußt an die breiten Volksschichten wandte, wurde er im späteren chirurgischen Schrifttum recht selten zi-

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tiert; irgendeine Beeinflussung der anatomischen Fachsprache durch B. läßt sich nicht feststellen. Bis auf einen Augsburger Nachdruck der 'Cirurgia' (durch Hans Schönsperger) wurden sämtliche Schriften B.s zu seinen Lebzeiten bei Johann Grüninger in Straßburg gedruckt. Die Erstlingsarbeit, das 'Buch der Cirurgia', erschien im Juli 1497 und wurde ein halbes Jahr später mit vier Kapiteln und einem Abriß der Anatomie erweitert. Eine Neuauflage erschien 1513, kurz nach B.s Tod. Spätere Drucke durch A. Weyssenhorn, Augsburg 1534 und 1539 sowie eine nd. (Rostock 1518), eine ndl. (Utrecht 1535) und eine engl. Ausgabe (London 1525).

B.s 'Chirurgia' ist weitgehend der 'Chirurgia Magna' des —> Guy de Chauliac verpflichtet, enthält aber auch Teile einer älteren dt. -> Wilhelm-de-Saliceto-Übersetzung. Ermutigt durch den ersten Erfolg stellte B. i. J. 1500 zum Gebrauch der armen Leute ein kleines Destillierbuch zusammen, das 1508 umgearbeitet und schließlich 1512 mit dem 'Thesaurus pauperum', einem medizinisch-pharmazeutischen Vademecum, vereinigt wurde (mit der gleichnamigen Arbeit von —»· Petrus Hispanus nicht zu verwechseln!). Dieses Werk, vollständig oder in Teilen gedruckt, gehört zu den heilkundlichen Volksbüchern des 16.Jh.s. Weniger bekannt ist B.s kleiner Pesttraktat 'Liber pestilentialis' aus d. J. 1500. Trotz eigenen Beobachtungen handelt es sich hier um einen Ableger des Stainhöwelschen Pestbuches (Heinrich -»· Stainhöwel). N e u d r u c k e (Faks.) der 'Cirurgia': G. KLEIN, 1911 (Restauflage Mailand 1923, mit Einführung v. H.E. SIGERIST); C.PROBST, Gertenbach 1967; K.KÖLBL, München-Allach 1968. Neudruck des 'Großen Destillierbuchs': Basel 1971; Leipzig 1972. L i t e r a t u r . Bibliographie: J. BENZING, Philobiblon 12 (1968) 113-141. - J.HYRTL, Die alten dt. Kunstworte d. Anatomie, 1884 (Neudr. 1966) (berücksichtigt zahlreiche Termini B.s); E. GURLT, Gesch. d. Chirurgie u. ihrer Ausübung II, 1898, S. 200-221; F.W.E. ROTH, H.B. u. Walter Ryff, zwei dt. Botaniker d. XV.Jh.s, Zs. f. Nat.-wiss. 75 (1902) 102-123; K. SUDHOFF, B.s Anatomie, Sudhoffs Arch, l (1908) 41-66, 141-156, 391 f.; G. KLEIN, Das 'Buch der Cirurgia' d. H.B. (Alte Meister d. Med. u. Naturkunde 3), 1911 (Begleittext z. Faksimile-Ausg.); K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurgie im MA II (Stud. z. Gesch. d. Med. 11/12), 1918, S.7, 505, Taf.33; H.E. SIGERIST, H.B. and his work, Mailand 1923 (Einführung in die Faksi-

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Brunswigk, Hans - Brus, Andreas

mileausg. der Cirurgia); F. HOMMEL, Zum Leben d. H. B., Arch. f. Gesch. d. Math. u. Nac.wiss. 10 (1927) 155-157; W. v. BRUNN, Kurze Gesch. d. Chirurgie, 1928, S. 171-175; H. FISCHER, Mal. Pflanzenkunde, in: Gesch. d. Wiss. II,Gesch. d. Botanik, 1929, S. 109-113; K. W. GRABERT, Die Nomina Anatomica bei d. dt. Wundärzten H.B. u. Hans v. Gersdorff..., Diss. Leipzig 1943; J. STEUDEL, B.s Anatomie, Grenzgebiete d. Med. l (1948) 249f.; C. PROBST, B. u. sein 'Buch der Cirurgia', Gertenbach 1967 (Einführung in die Faksimileausg.); G. KEIL/R. MÜLLER, Dt. Lanfrank-Übers.n d. 14. u. 15.Jh.s, in: Med.gesch. in unserer Zeit, Fs. E. Heischkel u. W. Artelt, 1971, S.90-110; J. TELLE, Petrus Hispanus in d. altdt. Medizinlit., Diss. Heidelberg 1972, S. 241-253,297-299 u. ö.; B. ZIMMERMANN, Das Hausarzneibuch, Diss. Marburg/L. 1975, S.49-51

JAN FREDERIKSEN Brunswigk, Hans Mitglied einer Lüneburger Patrizierfamilie, Essigbrauer,Sülfmeister, gestorben 1498. Während der Unruhen des Prälatenkrieges wurde er gegen seinen Willen zum 'Sechziger' und in den neuen Rat gewählt (14547 55). B. ist laut einer Notiz am Schluß der Abschrift der 'Lüneburger Chronik' in der Niedersächsischen LB Hannover der Verfasser der sehr knappen und wenig ergiebigen Fortsetzung dieser Chronik bis zum Jahre 1497. A u s g a b e . Chron. dt. St. 36 (Lüneburg), 21968, S. 143ff., 383ff.

THOMAS SANDFUCHS Brunwart von Augheim l. Die von Augheim (Ougheim, Ouchein), nachweisbar seit 1130 als Ministerialen der Markgrafen von Hachberg, hatten ihren Stammsitz nahe Auggen im oberen Breisgau. Nach Zerstörung der Burg im Verlauf einer Fehde der Grafen von Freiburg wurden sie 1272 im benachbarten Neuenburg a. Rh. ansässig, wo sie als Außenbürger der Stadt bereits Besitz hatten. Ein Brunwart von A. tritt urkundlich zuerst 1272-1303 auf, neben ihm 1272-1296 auch ein Johannes Brunwart von A., dieser als Schultheiß in Neuenburg, später als Ratsherr in Freiburg. Die Frage einer möglichen Identität der beiden ist ungeklärt, ungeklärt auch, welcher der beiden, wenn sie zu unterscheiden sind, als

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der Minnesänger zu gelten hat, von dem die -* 'Heidelberger Liederhandschrift C' fünf Lieder bewahrt. A u s g a b e n . HMS II, Nr. 87; F. PFAFF, Der Minnesang im Lande Baden, Neujahrsbll. d. Bad. Hist. Kommission, NF 11 (1908) 26-31; KLD I, Nr. 4.

2.DieLieder,nachvorherrschendemZeitstil sämtlich dreistrophig, bieten -»Gottfrieds von Neifen Liedtypus aus Natureingang und Minneklage im reduzierten Maß seiner Verallgemeinerung, sprechen ebenso in Neifenscher Motivik und Phraseologie, mit wörtlichen Reprisen u.a. auch aus —»-Hiltbolts von Schwangau jüngeren Liedern X, XI, XXI. Kein Stropheneingang, keine Pose, kein Reim ist neu. Die anmutige Glätte der Lieder scheint eine besondere Funktion ihrer Konventionalität. L i t e r a t u r . KLD II23-31 (mit Bibliogr.); J. BUMKE, Ministerialität u. Ritterdicht., 1976, S. 62f. u.ö. F.J.WORSTBROCK

Brus, Andreas war laut Mitteilung des Dithmarscher Chronisten Johann Adolf gen. Neocorus (ca. 1550-1630) i.J. 1500 Vicarius der Kirche in Büsum/Dithmarschen, unternahm zweimal eine Pilgerreise nach Rom und starb 1532. Neocorus erwähnt ihn als Verfasser von Versen auf die Kirche von Büsum und vermutet in ihm den Verfasser eines politischen Liedes (nd., 24 Strr., ohne Autornennung), in dem der überraschende Sieg der Dithmarscher über die berühmt-berüchtigte 'Große Garde' und die Verbündeten des dänischen Königs Johann bei Hemmigstedt (17.2.1500) berichtet und gefeiert wird. Der Text des Liedes bei dem Dithmarscher Chronisten Hans Dethlev (1. Hälfte des 16. Jh.s) ist offenbar Abschrift aus Neocorus (LILIENCRON), ebenso vielleicht die Fassung im Ms. Meck. 0.55-16 der ÜB Rostock (KRAUSE, teilweise unrichtig). Vom Kampf und Sieg der Dithmarscher wird in weiteren Liedern berichtet (-> 'Schlacht bei Hemmingstedt'). A u s g a b e n und L i t e r a t u r . F.C. DAHLMANN, Johann Adolfi's, genannt Neocorus, Chron. d. Landes Dithmarschen, 1827,1 226, 493 f., 523-525, II 72f., 77 bis 79,572; LILIENCRON, Hist. Volkslieder II 449-451, Nr. 217; KRAUSE, ADB III 453.

ULRICH MÜLLER

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Bruun (Candidus) von Fulda - 'Buch von alten Schäden'

Bruun (Candidus) von Fulda 1. Bruun (Brun), der nach seinem Eintritt ins Kloster Fulda auch Candidus hieß (vgl. Expl. der Praef. zur 'Vita Eigili'; 'Vita Eigili' II 17), lebte, wie er selbst berichtet, unter den Äbten Ratgar (802-817), -> Eigil (818822) und -* Hraban (822-842). Ratgar sandte ihn zu weiterer Ausbildung zu -> Einhard (Catal. abb. Fuld., MGH SS XIII272); daß es sich vorwiegend um eine künstlerische handelte, pflegt man aus der Angabe B.s zu schließen, er habe in Fulda die Apsis der eben erbauten (Michaelis-)Kirche ausgemalt ('Vita Eigili' II 17). Seit wann er Priester und Lehrer an der Fuldaer Klosterschule war, ist unbekannt. Als Todesjahr geben die 'Annales Fuldenses' 845 an (DÜMMLER, MGH Poetae II 95). 2. B. setzte die von Eigil begonnene Reihe Fuldaer Abtsviten fort, erst (vor 822) mit der (nicht erhaltenen) Lebensbeschreibung Bau-' gulfs (vgl. 'Vita Eigili' 12), dann (gegen 840) mit der Biographie des Eigil selbst, zu der er von Hraban angeregt wurde. Zugeschrieben werden ihm ferner theologische Schriften, doch ist deren Echtheit nicht gesichert. 3.'Vita E i g i l i ' Die Erhaltung beruht auf einer einzigen, jetzt verlorenen alten Fuldaer Hs. (mit Miniaturen), aus der C. BROWER, Sidera Germaniae, Mainz 1616, das Werk erstmals herausgab. Weitere Ausgaben: Rep. font. II 596. Zu benützen: G. WAITZ, MGH SS XV 222-233 (Buch I = Prosa), E. DÜMMLER, MGH Poetae II96-117 (Buch 11 = Verse).

Das gegen 840 verfaßte Werk entstand, dem Widmungsbrief B.s an seinen Mitbruder Modestus (Reccheo) zufolge, auf Veranlassung Hrabans, der auf seine Dichtung 'De laudibus sanctae crucis' verwiesen hatte. B. nahm den Hinweis so wörtlich, daß er die 'Vita Eigili' wie Hraban das Kreuzeslob in doppelter Fassung, in Prosa (= Buch I) und in Hexametern (= Buch II), bearbeitete, und zwar so, daß beide Fassungen ein Werk bilden und die Begebenheiten bald in der einen, bald in der anderen Fassung ausführlicher erzählt werden (SCHUPP behandelt die beiden Viten irrig als zwei selbständige). Die Darstellung wirkt anziehend und einprägsam; Eigil wird als vorbildlicher Mönch und Abt, aber nicht als Heiliger ge-

sehen, die Vita mehr historisch-biographisch als hagiographisch aufgefaßt, worin man eine speziell Fuldaer Tradition in der Zeit des noch wirkenden angelsächsischen Einflusses sehen mag. In der Sprache ist die karolingische Erneuerung durchgeführt; im Vergleich zu der von geistlicher Literatur geformten Latinität der ansprechenden Prosa wirken die Verse schulmäßig und ungelenk. 4. Theologisches S c h r i f t t u m Von den theologischen Arbeiten, die B. zugeschrieben werden, scheint ihm am ehesten die (z.B. München, clm 6389, 14614, 14645, 14740 überlieferte) zuerst von PEZ, Thes. I l 239-316, dann PL 106, Sp. 57D104A, gedruckte Schrift 'De passione Domini' zu gehören, eine im Predigtstil gehaltene Auslegung der Passion nach den vier Evangelien, die zur Lektüre der Mönche in der Karwoche bestimmt war. Sehr fraglich dagegen ist die Echtheit der 'Epistola Candidi presbyteri' Num Christus corporeis oculis Deum videre potuerit; sie dürfte eher dem Candidus ->Wizo gehören. - Sicher nicht von B. stammen die jDicta Candidi presbyteri'; vgl. dazu ^Wizo. L i t e r a t u r . O.G.T. RICHTER, Wizo u. Bruun, zwei Gelehrte im Zeitalter Karls d. Gr. (Progr. d. Stadt. Realgymn. Leipzig), 1890; MANITIUS, LG I 660-663; A. HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands II, 51935, S. 151-153; WATTENBACH/LEVISON/LÖWE, Geschichtsquellen II 233; W. HAUBRICHS, Ordo als Form (Hermaea N.F. 27), 1969, S. 143-146 u.ö.; V. SCHUPP, Die Eigilviten des Candidus (Bruun) von Fulda, in: Studi di letteratura religiosa tedesca, Firenze 1972, S. 177—220; E.WALTER, Opus geminum: Unters, z. einem Formtyp in d. mlat. Lit., Diss. Erlangen 1973, S. 57-66; BRUNHÖLZL, LG I 341-343 u. 557.

FRANZ BRUNHÖLZL 'Buch von alten Schäden' Um 1450 im dt. Südwesten kompiliert, befaßt sich das 'B. v. a. Seh.' als erstes Spezial-Rezeptar mit dem Krampfader-Leiden der Beine. Der Autor beginnt mit einer unbeholfenen Übersetzung des 'Capitulum singulare' -» Guys de Chauliac, unterscheidet beim Schenkel-Geschwür zwischen Krankheit und von Gott geschicktem Leiden (büß] und exzerpiert seinen Rezeptbestand

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'Das Buch mit den farbigen Tuchblättern ...' - 'Buch vom Gebet'

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Goldgelb - die Freude der ewigen Glorie und die Köstlichkeit des ewigen Lohns (2V r 3 ). In der Ausführung des ersten Themas Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 591, -50 ('Weiß') erfolgen Darlegungen über Gott, (schwäb., 1470); Stuttgart, LB, cod. med. et phys. 2° 5, Seele und Schöpfung sowie über deren jelr-34v (schwäb., um 1500). Ausgabe. H.-J. PETERS, Das 'B. v. a. Seh.', Diss. weiliges gegenseitiges Verhältnis, z.B.: Bonn 1973. Selbsterkenntnis als Weg der GotteserkenntL i t e r a t u r . K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chirurnis ; Materie, Form und Endbestimmung der gie im MA II, 1918, S. 500-504, vgl. 472-474. Eine Seele; Dreiheit und Einheit der DreifaltigQuellenunters, wird von I. ROHLAND vorbereitet (Diss. keit und der nach ihrem Bild geschaffenen WÜrZbUrg) G. KE!L Seele (nach Augustin, 'DeTrinitate'); Entelechie des Menschen und der Schöpfung. 'Buch von Bern' -»·'Dietrichs Flucht' Daraufhin ('Schwarz') folgt die Frage nach Ursprung und Wesen der Sünde; dargelegt werden hierbei u.a. die Erschaffung der 'Buch der Dreifaltigkeit' -> Ulmannus Engel und Luzifers Fall; die Erschaffung des 'Das Buch mit den farbigen Tuchblättern Menschen und die Ursünde; das Verhältnis der Beatrix von Inzigkofen' des Menschen zur kreatürlichen Welt; die Sünde als ein Nichts und als ein geprest; die ist ein (fragmentarisch erhaltenes) Lehrge- Unterschiede von sündhafter Tat, Neigung spräch der Inzigkofener Nonne Beatrix mit und Zuständlichkeit. Hier endet das Textihrem geistlichen vatter. Eine Beatrix Joos fragment. von Pfullendorf (f 1480) ist durch die 'GeiDie Darlegungen stützen sich, jeweils mit ßenhofsche Chronik des Klosters Inzig- genauer Zitierung, vornehmlich auf Auskofen' als Klosterfrau bezeugt (Freiburger führungen, die der maister in seinem buch Kathol. Kirchenbl. 38 [1894] 442). Nichts der hohen sinne gibt (Petrus Lombardus, spricht gegen die Identität. 'Sentenzen'); diesem Werke entstammen Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgf 1045 (2.H. 15.Jh., auch die meisten der zahlreichen Augustinaus Inzigkofen), 2r-14r. Zitate. Daneben wird des öfteren auf das Das Gespräch der Nonne mit ihrem vatter, buch von den aigenschafften der ding (Barin Form kurzer Fragen und ausführlicher tholomäus Anglicus, 'De rerum proprietatiAntworten, erweist sich als eine anschei- bus') zurückgegriffen. nend systematische und oft subtile DarDas 'Gespräch' erweist sich somit als eine legung der christlichen Dogmatik; es steht Kompilation theologischer Standardwerke unter dem Leitmotiv Lc 10, 23. Rahmen- zum Zweck der Glaubensunterweisung von handlung ist die Erläuterung eines an Bea- Nonnen; das angestrebte Niveau ist beachttrix und deren Inzigkofener Mitschwestern lich hoch. Es gibt keine Gründe, die Nonne übersandten Buchs, dessen einzige Blätter Beatrix als Bearbeiterin (einer ursprünglich sechs unbeschriebene farbige Tuchstreifen Wiener Vorlage ?) anzusehen; eher ist es der sind. Ein berühmter Prediger habe es zuvor Beichtiger des Klosters. In Frage kommt vor von einem frommen Laien in Wien gezeigt allem Konrad Gutfleisch (s. Geißenhofsche und erklärt bekommen. Den sechs Farben Chronik, Sp. 442-444). des Buchs ordnen sich die Hauptthemen des SIEGFRIED RINGLER Gesprächs zu: Weiß - die Seele im Zustand der Taufgnade; Schwarz - die Seele im Zu- 'Buch vom Gebet' stand der Sünde; Grün - die Reinigung der Die Pommersfeldener Hs. 128 (v. J. 1409) Seele durch die göttliche Gnade sowie der Nutzen wahrer Reue; Rot - die Erlösung überliefert als einziges Werk auf f. lr-68r des Menschen durch das Leiden Christi so- einen das Pater noster in Frage- und Antwie Gnade und göttliche Liebe; Blau - die wortform auslegenden Traktat, der vor alBetrachtung himmlischer Dinge als Anreiz lem auf -»Heinrich von Langenstein basiert zur Tugend und zur Beharrlichkeit in ihr; (9 V : vnd dar zu wil ich zuhilff vnde zunucz

teilweise aus -> Ortolf von Baierland sowie aus —» Peter von Ulm.

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'Buch des Gehorsams' - 'Das Buch von geistlicher Armut'

nemen aller meischt die vszlegung des hochgelerten pfaffen meyster Heinrich von Langenstein, genant von Hessen). Über den Verfasser (?) erfahren wir auf f. 9r: ... so ban ich hie nachgeschriben von bet vnd heiz wegen dez ... Friderichen burgraffen zu Nurmberg mynß gnedigen berren, des Cappelon ich der mynsten einer bin. ...; er ist vielleicht identisch mit einem gewissen Eberhard Krempel, der 1408 als Kaplan des Burggrafen Friedrich in Ansbach nachweisbar ist (WÄCHTER, Nr. 5682), wo das 'B. v. G' 1409 entstand (26V hie zu Onelspach [Ansbach]; l r Vnd ist gemacht vnd geteutscht ...da man zalt ... vierzehenhundert jare vnd dar nach in dem nünden jare). L i t e r a t u r . Nachlaß STAMMLER 27/17 u. 45/7; F. WÄCHTER, General-Personal-Schematismus der Erzdiözese Bamberg 1007-1907, 1908, Nr. 5682; T. HOHMANN, Dt. Texte unter d. Namen 'Heinrich v. Langenstein', in: Würzburger Prosastud. (Medium Aevum 31), 1975, S.235.

VOLKER HONEMANN 'Buch des Gehorsams' Umfangreicher, noch ungedruckter dt. Prosatraktat in Form eines geistlichen Sendschreibens an eine Klosterschwester, vermutlich in Dominikanerkreisen um oder bald nach 1400 entstanden. Ü b e r l i e f e r u n g . Bamberg, SB, Msc. Lit. 191 (bis 1959 München, Bayer. Nat.-Mus., cod. 932), lr-157r, spätestens 1430, aus d. Nürnberger Katharinenkloster (s. F. DRESSLER, Kat. d. Hss. d. SB BambergIV/1,1966, S. 9-11); Prag, ÜB, cod. XVI G 27,2r-154r, l. H. 15. Jh., vielleicht aus d. Klarissenkloster Eger (s. W. DOLCH, Kat. d. dt. Hss. d. ÜB Prag, 1909, S. 82). - Beide Textzeugen stehen sich, auch in ihrer ostfrk./nordbair. Sprache, sehr nahe, teilen gemeinsame Fehler und dürften, wenn nicht eine von der ändern abgeschrieben ist, auf die gleiche Vorlage zurückgehen.

Die ohne Autorname überlieferte und noch näher zu untersuchende Schrift handelt von Notwendigkeit und Funktion, Voraussetzungen und Erscheinungsformen des Gehorsams als der bedeutendsten, mit einer Vielfalt anderer Werte und Verhaltensweisen eng zusammenhängenden Grundhaltung christlichen Lebens zumal in der klösterlichen Gemeinschaft. Sie propagiert und rechtfertigt die unverzügliche, wider-

spruchslose und freudige Gehorsamsleistung in der täglichen Unterwerfung unter den Oberen und Beichtvater als zur Vollkommenheit führende Unterordnung unter Gott. Zu diesem Zweck werden zu Anfang vor allem Beispiele aus der Vita der hl. Elisabeth von Thüringen vnd irs maisters Cunradus (-» Dietrich von Apolda) herangezogen - hier wie auch in späteren Abschnitten von einschlägigen Episoden aus dem Leben Christi und Marias unterbrochen -, sodann die negativen Folgen des Ungehorsams bzw. falsch verstandener Askese an Gestalten des AT sowie des anachoretischen Mönchtums aufgewiesen und - über Elisabeth hinaus - weitere weibliche Heilige in ihrem musterhaften Vertrauensverhältnis zum jeweiligen geistlichen Führer vorgestellt. Den breitesten Raum nehmen entgegen STAMMLER indes Schilderungen und daran angeknüpfte Betrachtungen gehorsamen Mönchsverhaltens aus der Altväter-Tradition ein, die sich in erster Linie auf -+ Johannes Climacus und sein buch von den stigen eins volkumen lebens berufen. Daneben treten als Kronzeugen und Vorbilder aber auch bekanntere jüngere Autoritäten auf, darunter der hl. Franziskus.

Aufbau und Darstellung sind bis in kleinste Einzelheiten durch die auf die Wunden Christi gedeutete Fünfzahl bestimmt. Der bei aller Lehrhaftigkeit von einem warmen Gefühlston getragene Stil läßt vereinzelte Einschläge aus der Brautmystik erkennen. Da eine Übersetzung aus dem Lateinischen kaum vorliegen dürfte, wären die benutzten Quellen und Vorlagen - über die im Werk selbst genannten hinaus - noch im einzelnen zu ermitteln. L i t e r a t u r . STAMMLER, Prosa, Sp. 871.

HELMUT LOMNITZER 'Das Buch von geistlicher Armut' 1. A u s g a b e n . H.S. DENIFLE OP, Das Buch von geistlicher Armuth, bisher bekannt als Johann Taulers Nachfolgung d. armen Lebens Christi, 1877. DENIFLE ersetzt die unknt. Ausg. D. SUDERMANNS, Doctor Johan Taulers Nachfolgung des Armen Lebens Christi, Frankfurt 1621, die ihrerseits ein wörtlicher Nachdruck einer Hs. v. J. 1448 sein soll (DENIFLE, S. V). SUDERMANNS Ausg. erschien erneut, mit veränderter Paragrapheneinteilung u. Glossar, Frankfurt 1833, und, mit neuem Titel, Konstanz 1850. Ausgaben unter anderen Verfassernamen s. CHIQUOT. Eine engl. Übers, von C.F. KELLEY, The Book of the Poor in Spirit by a Friend of God, Toronto 1954.

2. V e r f a s s e r . Keine der bisher bekannten Hss. des 'Buchs von geistlicher Armut'

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'Das Buch von geistlicher Armut'

(i. F. 'B. v. g. A.') nennt einen Verfasser. SUDERMANN weist das Werk ohne Begründung -»Tauler zu, und als solches galt es bis zur Ausgabe DENIFLES. Dieser vergleicht in der Einleitung, S. IXff., die Lehren (über Armut, Beschauung, Menschenbild, Innerlichkeit) Taulers mit denen des 'B. v. g. A.' und kommt zu dem Schluß: 'Sie (die Lehre) steht entweder im gegenseitigen Widerspruche, oder sie zeigt in der Behandlung eine derartige Verschiedenheit, daß sie denselben Verfasser für beide ausschließt' (S. XLII). Nach DENIFLES Ansicht ist 'der Verfasser viel eher ein moderierter Anhänger der Fratizellen ... ein Gottesfreund' (S. LIf.). Das Werk sei noch im 14. Jh., aber nach Meister -> Eckhart entstanden, der vielfach verwertet wird (S. XLVf.). KELLEY neigt dieser Ansicht zu, will aber einen Dominikaner als Verfasser nicht grundsätzlich ausgeschlossen wissen wieDENiFLE. CHIQUOT denkt an einen Freund Taulers als Verfasser. HARTINGER erhebt, im Anschluß an DENIFLES Hinweis (S. LII), daß ->Marquard von Lindau (t 1392) bereits das 'B. v. g. A.' benützt habe, die Frage, ob nicht umgekehrt ein Schüler Marquards, 'fußend auf den Werken seines Meisters das 'B. v. g. A.' für Nonnen und Laien zusammengestellt' habe (S. 165). Demgegenüber stellt H. J. MAY (Marquard v. L., De reparatione hominis, Diss. theol., Regensburg 1974) fest, daß die Armutsauffassung Marquards nicht mit derjenigen des 'B. v. g. A.' übereinstimme. 3. Ü b e r l i e f e r u n g . 9 Textzeugen bei DENIFLE, S. Ulf.; 4 weitere bei QUINT, Hss.funde I 109f., 112, 134, 228f. Dazu: Basel, ÜB, cod. B XI 23, Berlin, mgo 565, Eichstätt, St. Walburg, cod. germ. 2, Göttingen, LB, cod. theol. 285; Hamburg, SB u. ÜB, cod. theol. 1082; Karlsruhe, LB, cod. Lichtenthal 68. -Entgegenden Angaben von DEGERINGS Katalog (Germ. Hss.) und DENIFLES unklaren Äußerungen S. IIIf. enthält die Sudermann-Hs. Berlin, mgq 125 das 'B. v. g. A.' nicht; die als 'B. v.g. A.' apostrophierte Schrift ist Jan van -> Ruusbroecs 'Van den blinckenden steen' (s. Ed. von W. EICHLER, 1968, S.9).

Der umrissene Überlieferungsbefund darf nicht als vollständig gelten. Er ist übrigens nie - auch nicht von DENIFLE, dessen Ausgabe keine kritische ist - genauer untersucht worden. Bevor dies geschehen ist,

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kann auch keine verbindliche Lösung der Autorfrage erwartet werden. In jüngster Zeit ist eine lat. Überlieferung, wenn auch erst in Form von Hinweisen, ins Blickfeld gerückt: 1. Armutstraktat in Westmalle, Trappistenkloster, cod. LiturgiaA15, 145r-216v (Inc. Paupertas est similitude dei = 'B. v.g. A.' 3,9). AMPE, S.33ff., kommt nach kurzer Analyse zum Schluß, daß dieser Text auf das 'B. v. g. A.' zurückgehe, also zur Nachwirkung gehöre - ein Resultat, das ich nicht als endgültig betrachten möchte. 2. 'De vera spiritual! perfectione', Antonius Volmar zugeschrieben, pars II (B. PEZ, Bibliotheca Ascetica antiquo-nova V, Regensburg 1724 [Neudruck 1967], S. 73ff.). J. SUDBRACK (Die geistl. Theologie des Johannes von Kastl, 1966, S. 3), der eine 'genauere Untersuchung' ankündet, stellt weitgehende Parallelität 'in Aufbau, Gliederung, Zitaten und wörtlicher Satzkonstruktion' fest. 4. I n h a l t und A u f b a u . Das 'B.v.g.A.', in 2 Teile gegliedert, zeigt entgegen DENIFLES Ansicht eine einheitliche Komposition (AMPE, S. 20-27). Der I. Teil (S. 3-90) legt dar, was Armut, die 'Gleichheit mit Gott' ist, vom Menschen fordert: a) Ein abgescheiden wesen von allen Kreaturen; b) wesenhafte Freiheit des Menschen aus dem Wirken des Gottesgeistes, in dem Gott selbst in unseren Werken wirkt; c) Armut als lutter wirken, d.h. wesenhaftes Wirken wie in Gott, dem actus purus; der Autor unterscheidet hier das natürliche, das gnadenhafte und das göttliche Werk im Menschen (S. 22-64); d) die Werke des Menschen müssen schließlich sein ohne Bild und ohne Form und vollkommen im Willen. Der II. Teil (S. 93-104) zeigt zwei Wege zum vollkommenen Leben auf: a) die Nachfolge Christi im Meiden der Sünde, im Tugendstreben, in der Abtötung der Begierde und im Meiden aller Selbstgefälligkeit. Dies führt zum 'beschaulichen Leben', dem zweiten Wege zur Vollkommenheit, b) Dieser erfordert: Abtötung der Sinne, Ver inner[ichungdmchabegescheidenheitundSammlung auf Gott hin: Armut ohne Innigkeit ist ein König ohne Königreich (S. 190, 30f.). Das Ziel ist ein arm innerlich erstorben le-

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'Buch von geistlicher Lehre' - 'Das Buch von guter Speise'

ben, dessen Einfältigkeit dem Wirken Gottes im Menschen zum Durchbruch verhilft. Weisen diese letzteren Aussagen mehr auf franziskanische Ursprünge hin, so sind die Einleitung des I. Teiles und große Teile des II. Teiles maßgeblich von der Dominikanermystik Meister Eckharts bestimmt; vor allem Eckharts Predigt 'Beati pauperes spiritu' (Nr. 52 bei J. QUINT, Meister Eckhart. Dt. Werke II, i. F. DW) ist reichlich ausgewertet (vgl. DENIFLE, S. XLVf.). Weiter seien angemerkt: Armut ist ein abgescheiden wesen von allen creaturen (3, 11 f. = DW V 401, 7); höchste Armut ist daz der mensche also sy, als er waz, do er nit enwaz; do verstunt er niht, do enwolt er niht, do waz er got mit got (3, 23 f.; vgl. DW II491,15 f.; 488,5f.); da ist Gott als das luter würken Urbild und Ort der Armut des Menschen (DENIFLE, S.22, 1-12; vgl. DW II 495, 6f.; 500,6-501,5). 5. N a c h w i r k u n g . Auf die engen Beziehungen zwischen Marquard von Lindau und 'B.v.g.A.' wurde oben (s. 2.) hingewiesen ; wer hier der gebende Teil ist, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen 'B.v.g.A.' und den lat. Texten. Interessant ist der Nachweis AMPES (S. 27ff.), daß 'B.v.g.A.' zu den Quellentexten des 'Tempel onser sielen' (ed. AMPE, 1968; hier alle Parallelstellen in Synopse) gehört, freilich nur zu den indirekten, da sie durch Marquards Zehngebote-Traktat vermittelt sind. Die Brücke zur Neuzeit schlagen Auszüge im Kölner Tauler-Druck 1543 (AMPE, OGE 40 [1966] 202) und vor allem Sudermanns Druck v. J. 1621 (s. 1.); ein weiterer Druck erschien Frankfurt/M. 1670. L i t e r a t u r. A. RITSCHL, Unters, d. 'B. v. g. A.', ZKG 4 (1881) 337-359; A. CHIQUOT, Diet. Spir. 11976-1978; J. HARTINGER, Der Traktat 'De paupertate' von Marquard v. Lindau, Diss. Würzburg 1965, S. 161-168; A. AMPE SJ, Krit. beschouwingen bij 'Die Naervolghinghe des armen leven Christi', Handelingen XX (Koninklijke Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis), Brüssel 1966, S. 15-37. JOHANNES AUER

'Buch von geistlicher Lehre' Die Innsbrucker Hs. 306, geschrieben im Zisterzienserstift Stams um 1300, überlie-

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fert 101va-136rb eine Kompilation geistlicher Stücke, die sich buch von geistlicher lere nennt. Darin u.a.: Von der Messe, Von den Meßgewändern, Von den drei Ehren der Priester, Von den Tugenden des Menschen, Von der Regel (Keuschheit, Gehorsam, Besitzlosigkeit), Von der Zucht der geistlichen Leute, Von der Beichte, Vom Gebet. Die '15 Zeichen des Jüngsten Gerichts' (123r) (-> 'Fünfzehn Vorzeichen des Jüngsten Gerichts'), abgedruckt bei JEITTELES, S. 403f., entsprechen fast wörtlich der 'Historia scholastica' des -»Petrus Comestor. Ps.-Anselms 'Admonitio morientis' (-* Anselm von Canterbury, 5. a) fand im Abschnitt über die Beichte Aufnahme. Die Sammlung, bestimmt für Klosterleute (110rb), scheint ein bisher unbekanntes Zeugnis der Zisterzienserprosa des 13. Jh.s zu sein: Einflüsse franziskanischer Spiritualität fehlen. L i t e r a t u r . A. JEITTELES, Die fünfzehn Zeichen von d. Jüngsten Gericht, Germ. 29 (1884) 403f.; G. STEER, German. Scholastikforschung III, Theol. u. Philos. 48 (1973) 86.

GEORG STEER

'Buch vom Grunde aller Bosheit' -»'Vom Grunde aller Bosheit' 'Das Buch von guter Speise' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . München, ÜB, 2° cod. Ms. 731 (Cim. 4): Hausbuch des -»Michael de Leone ('Würzburger Liederhs. E'), 156rM65vb; Wien, cod. 4995, 191r-206v (weitere Rezepte bis 224r). Zur Streuüberl. s. FEYL, S. 21 f., 35f.; HAYER, S. 16ff. [Wien, cod. 2897]. 2. Ausgaben. MAURER/CONSTANT [anonym], Ein Buch von guter Speise (StLV 9), 1844; H. HAJEK, Daz buch von guter spise (TspMA 8), 1958 (krit. Ausg., zit., S. 12 Verweise auf Teilabdrucke, dazu erg. M. LEMMER/ E. L. SCHULTZ, Die lere von der kocherie, 1969 [mit nhd. Übers.]); A. KUPFER, Darmstadt o.J. [kalligraphische Nachschrift]; G. HAYER (Litterae45), 1976 [Faksimile].

3. Das 'B.v.g.S.' ist das älteste Kochbuch in dt. Sprache. Es wurde zuerst um 1350 in Würzburg im Hausbuch des fürstbischöflichen Protonotars Michael de Leone aufgezeichnet. Das Kochbuch setzt sich mit seinen 101 Rezepten aus zwei Teilen zusammen: I.Teil: Reimvorrede und Rezepte 1-54 mit Schlußschrift: Diz ist ein gut lere von guter spise. 2 Teil: Rezepte 55-96.

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'Buch von den heiligen Mägden und Frauen'

Beiden Teilen gemeinsam ist der für die Zeit außergewöhnliche Luxus an Nahrungsmitteln, Gewürzen und raffinierten Zubereitungsarten. In Anlage und Stil unterscheiden sie sich jedoch grundlegend voneinander. Die Rezepte des 1. Teiles sind ohne erkennbare Ordnung aneinander gereiht, die des 2. Teiles sind nach Fastenspeisen (Rez. 55-75, 78-85) und Fleischgerichten (Rez. 76-77 a, 86-96) geordnet. Aufgrund unterschiedlicher Formulierungen für inhaltlich gleiche Rezepte (Rez. l und 83 bzw. 3 und 77) sowie wegen des signifikant skizzenhaften Charakters der Rezepte des 2. Teiles sind mindestens zwei verschiedene Vorlagen anzunehmen. Die Zuweisung des 'B.v.g.S.' an einen Autor/ Redaktor - SCHRÖDER, 1904, S. 26ff., ders., 1934, S. 108 sowie LANGOSCH, Sp.534, dachten an den -» König vom Odenwald wurde daher zurecht in der jüngeren Forschung bezweifelt (z.B. HAJEK, S. 11; KEYSER, S. 131; ASSION, S. 120). L i t e r a t u r . E. SCHRÖDER, Die Ged. d. Königs vom Odenwalde, Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskde. NF 3 (1904) 3 92; ders., 'Vom mangelnden Hausrat', ZfdA 71 (1934) 107-114; K. LANGOSCH, 'VL V 534 [zur Verf.frage]; E. PLOSS, Rez. Hajek, Ausg., ZfdPh 78 (1959) 105-107; A. FEYL, Das Kochbuch Meister Eberhards, Diss. Freiburg/Br. 1963; P. KEYSER, Michael de Leone (f 1355) u. seine lit. Sammlung, (Veröff. d. Ges. f. frk. Gesch. IX 21), 1966; H. WISWE, Kulturgesch. d. Kochkunst, 1970; P. ASSION, Altdt. Fachlit. (Grundlagen d. Germanistik 13), 1973.

GEROLD HAYER 'Das Buch vom heiligen Karl' -* 'Zürcher Buch vom hl. K.' 'Buch von den heiligen Mägden und Frauen' 1. b&ch von den heiligen megden vnd frowen ist das Incipit (10r) einer Sammlung von 57 Legenden weiblicher Heiliger in der Hs. Karlsruhe, LB, Licht. 69, lr-233r, die eine Zisterzienserin in Lichtental bei BadenBaden um 1460 zum Zweck der Tischlesung für ihre ungelerten Mitschwestern anlegte. Ediert ist erst eine Legende (KUNZE, 1977). 2. Die Sammlung ist nach Ausweis des Prologs ( -2 ) Teil eines geradezu enzyklopädisch in 4 Bänden geplanten Legendars, dessen Konzeption auf einer Auslegung der

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Paradiesesflüsse als bezeichenunge von viererhand gesiebten von Heiligen beruht: Apostel, Märtyrer, Kirchenlehrer und Bekenner, Jungfrauen und Frauen. Die 3 anderen Bände sind unter den (zahlreichen) Lichtentaler Legendaren (Karlsruhe, LB, cod. Licht. 70,74,82,84,70 und sein zweiter Band Straßburg, ÜB, cod. 2542 u.a.), die teils von derselben Hand geschrieben sind, ausdrücklich aufeinander verweisen und von einem regen hagiographischen Betrieb in diesem Kloster zeugen, nicht mit Sicherheit auszumachen. Dieselbe Legendar-Konzeption findet sich in 'Der ystorien bloeme', s. J. DESCHAMPS, Mndl. hss. uit europese en amerikanse bibl.n, Catalogue, Brüssel 1970,5.44. 3. Das spezielle Vorwort zum 'BdMF' (2r-9v) ist eine Auslegung von Ct 2,12 f. auf den Jungfrauenstand, dessen Quelle noch nicht bestimmt ist. Der Epilog (219rf.), ein Tugendspiegel für megde, schließt bewußt an den anefang dises b&ches an. Die Anordnung der einzelnen Legenden (Katalog bei KUNZE, 1973, S. 33) folgt in etwa dem Kalender, wird aber durch 'systematische' Gesichtspunkte durchbrochen (von s. Marthen ...zu schriben han ich gedachte ... nach ... Magdalenen vmb daz st ir swester waz, 25r). Das Bemühen um Vollständigkeit führte zur Aufnahme eines Exzerpts aller Frauen, di ich vunten han, aus dem 'Martyrologium' -»-Usuards (199r). 4. Die einzelnen Texte sind zumeist aus mehreren Quellen kompiliert (u. a. Usuard, die lat. und die 'Elsässische Legenda aurea', -»•Jacobus de Voragine) und mit einer Fülle erbaulicher, theologischer, historischer, textkritischer und sachkundlicher Anmerkungen durchsetzt. Der im Vergleich mit der sonstigen spätmal, dt. Legendenrezeption bemerkenswert freie Umgang der Verfasserin mit den Texten führte zu späteren Korrekturen des nach eigemg&tduncken Geschriebenen (Licht. 70, Vorsatzbl.) und zum Schreibverbot durch den apocrisus (46r, 51r). -Eine literarische Wirkung des 'BdMF' über Lichtental hinaus ist nicht greifbar. L i t e r a t u r . K. KUNZE, Stud. z. Legende d. hl. Maria Aegyptiaca im dt. Sprachgebiet (Phil. Stud. u. Qu. 49), 1969, S. 101-103; ders., Alemannische Legendare (I), Alem. Jb. 1971/72 [1973] 20-45; ders., Die Legende d.

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'Das Buch der Könige alter e und niuwer e'

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III. 1. Als biblisch-geschichtliche Einleitung zum 'Schwabenspiegel' sammeln das 28)> 1977KONRAD KUNZE 'BdK.' und die 'Pkchr.' Exempla mustergültigen Richter- und Herrschertums. Zur 'Das Buch der Könige alter e und niuwer e' Lektüre sind angehalten alle künige und alle vürsten und ander herren und iralle, den der I. Ü b e r l i e f e r u n g . 1. 'Das Buch der Könige alter e almehtige got gerihte und gewalt enpfolhen und niuwer e', bestehend aus dem 'Buch der Könige' (früher 'Buch der Könige alter e', i.F. 'BdK.') und der hat, damit sie an den einzelnen Figuren und 'Prosakaiserchronik' (früher 'Buch der Könige niuwer ihren Taten bilde nemen (Sp. CXVIII43-46) e', i.F. Tkchr.') ist überliefert in 7 Hss. (HOMEYER Nr. und die Verhaltensregeln lernen, deren 360 [ECKHARDTS Sf], 525, 668, 811, 1093 [HÜBNERS Nachahmung gottgefällig macht, deren H 2], 1241; VOLLMER Nr. 80), und zwar bei l Ausnahme Mißachtung aber Strafe nach sich zieht, wie ( VOLLMER Nr. 80) immer zusammen mit dem -+ 'Seh waes im AT, in den Beispielerzählungen von benspiegeP. - 2. Das 'BdK.', das siebenmal mit der Joseph, Moses, Nabuchodonosor, David, 'Pkchr.' verbunden ist (s.o. 1), läßt sich in insgesamt Salomon, den Makkabäern, und in der Ge65 Textzeugen nachweisen. Das 'BdK.' ist bei 5 Ausschichte des römischen Reiches, an Julius nahmen (N 2, N 21, N 27 [Siglen nach HÜBNER] ; VOLLMER Nr. 42, 80) zusammen mit Rechtsbüchern überlie- Caesar, Augustus, Trajan, Konstantin, Karl fert, u. zw. einmal mit dem —> 'Spiegel deutscher Leute', dem Gr., zur Ermahnung und Warnung ansonsten immer mit dem 'Schwabenspiegel'. Die in vorgebildet ist. der Innsbrucker 'DeutschenspiegeP-Hs.J (HoMEYER Geschichtsbuch und Rechtsbuch beziehen Nr. 557) überlieferte Fassung des 'BdK.' steht auch in sich aufeinander. Das eine illustriert an der der Berliner 'Schwabenspiegel'-Hs.B (HoMEYER Nr. Historic, was das andere in Paragraphen 103). - 3. Die 'Pkchr.', die siebenmal mit dem 'BdK.' faßt, sei es die zweifache Erstattung geraubverbunden ist (s.o. 1), ist in insgesamt 11 Hss. überten Gutes (Schwabenspiegel, Landrecht liefert. Die 'Pkchr.' ist ohne das 'BdK.' überliefert in 4 Hss. (HOMEYER Nr. 727, 1211; VOLLMER Nr. 19,20), §42) an Jakob (Sp. XL 13-18), die Unbeund zwar bei 2 Ausnahmen (VOLLMER Nr. 19, 20) zustechlichkeit des Richters (§ 86) an Trajan sammen mit dem 'Schwabenspiegel'. Zwei weitere Hss. (Sp. CXXXII 9-13) oder die Arten der To(München, cgm 267; Coburg, LB, Ms. Sehe. 16) entdesstrafe (§ 174) an der Rechtssprechung halten aus der 'Pkchr.' nur die Erzählung über Karl Ludwigs des Frommen (Sp. CLXXXVIII46 d.Gr., von der auch Bruchstücke (gedr. WEVERS, S. bis 53). So zeigt die Verbindung der Werke 56 f.) vorliegen. sinnfällig, wie in der Beglaubigung durch II. A u s g a b e n . 1. 'BdK.' und 'Pkchr.': H.F. MASSdie Heilige Schrift und in der Berufung auf MANN, Buch der Koenige alter u. neuer Ee, in: A. v. die gesetzgeberischen Autoritäten der HeilsDANIELS, Land- u. Lehenrechtbuch I (Rechtsdenkm. geschichte das Recht seine Legitimität erd. dt. MAs 3), 1860, Sp. XXXIII-CCXXIV (zit.) [auf der Grundlage von HOMEYER Nr. 524 (N 1) u. 525 hält. (H 6)]; K. A. ECKHARDT, Urschwabenspiegel (Bibl. rer. 2. Vom 'BdK.' lassen sich verschiedene hist., Studia 4), 1975, S. 174-353 [Abdruck nach HOFassungen unterscheiden: die 'DeutschenMEYER Nr. 360 (Sf, HÜBNERS H 3) mit den AbweichunspiegeP-Fassung, die ursprünglich mit dem gen des MASSMANNschenTextes], -2. 'BdK.': a. 'Deutauf Achab und Jezabel folgenden Gebet schenspiegel'-Fassung: J. FICKER, Der Spiegel dt. Leute, schloß (Sp. LV 29), dann mit Nabuchodo1859, S. 1-31 [MASSMANN, Sp. XXXIII-LIX, Z. 36]; nosor und Absalom fortgesetzt wurde (Sp. K. A. ECKHARDT u. A. HÜBNER, Deutschenspiegel u. LXVIII 27), und die 'Schwabenspiegel'-FasAugsburger Sachsenspiegel (MGH, Fontes iur. Germ., N.S. 3),21933, S. 3-71; K. A. ECKHARDT, Deutschensung der Gruppen W (M bei ECKHARDT spiegel (Bibl. rer. hist., Studia 3), 1971, S. 151-219. nach KLEBEL), D (E), Z (H), H (S) und N b.'Schwabenspiegel'-Fassung: K. A.ECKHARDT, Schwa(U, L, B), in der Adonias, Salomon und benspiegel Langform M (Bibl. rer. hist., Studia 5), Roboam (Sp. LXVIII 32-LXXIV 2) sowie 1971, S. 68-131 [Abdruck nach HOMEYER Nr. 1208 Esther und Judith (Sp. CVI 36-CXVH1 34) (Mw, HÜBNERS W 1)]; K. A. u. I. ECKHARDT, Schwahinzutreten, wobei das Mittelstück (Sp. benspiegel Normalform (Bibl. rer. hist.,Studia 8), 1972, LXXIV 5 - CVI 30), eine Aneinanderreihung S. 68-148 [Abdruck nach HOMEYER Nr. 524 (Uh, HÜBkurzer Königsgeschichten, in der ältesten NERS N 1)]; ECKHARDT, 1975,5.174-258. -3. 'Pkchr.': 'Schwabenspiegel'-Fassung (W) fehlte. MASSMANN, Sp. CXXI-CCXXIV; ECKHARDT 1975, S. 260-353. Das 'BdK.' kommt aus dem Kreis der hl. Maria Aegyptiaca. Ein Beispiel hagiogr. Uberl. in 16 unveröffentl. dt., ndl. u. lat. Fassungen (TspMA

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'Buch des Lebens'

Augsburger Franziskaner. Inhaltliche und rhythmische Stilelemente weisen auf eine schlichte und ausdrucksfähige Kunstprosa. Dabei stehen die einzelnen 'Schwabenspiegel'-Gruppen unter dem Einfluß der Sprache -> Davids von Augsburg (III. 6.). Dem 'BdK.' liegen das AT und die 'Historia scholastica' des -»Petrus Comestor zugrunde, die beide zitiert werden. Der Hinweis auf Josephus (Sp. XLV 53) ist sicher durch Comestor vermittelt. - Terminus post quern und ante quern ergeben sich aus der Datierung des 'Deutschenspiegel' auf 1274/75 und der Verkehrsgestalt des 'SchwabenspiegeP auf 1282. 3. Die 'Pkchr.', die keine Fassungsunterschiede kennt, beginnt in Anlehnung an den 'Sachsenspiegel' (-»Eike von Repgow) (Landrecht III Art. 44 § 1) mit knappen Bemerkungen zur Translatio imperil. In engem Anschluß an die -»'Kaiserchronik', deren Reime zuweilen stehen bleiben und auf die als Cronica häufig verwiesen wird, bringt sie Reichsgeschichte bis zu Konrad III. Als weitere Quelle ist unter der Bezeichnung Gesta Karoli (Sp. CLXXII 49; CLXXIX 12) -»Einhards 'Vita Karoli' herangezogen. Die Herkunft der übrigen Ergänzungen und Erweiterungen gegenüber der 'Kchr.'-Vorlage, die zumeist die Verdienste einzelner Herrscher wie Titus, Trajan und Justinian um Recht und Gesetz zum Inhalt haben, läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, zumal es sich oft um chronistisches Allgemeingut handelt. Die 'Pkchr.', gleichfalls in Augsburg entstanden, stammt von einem anderen Verfasser als das 'BdK.'. Da sie der künege buoch und lantrehtbuoch (Sp. CLXXXI 43 f.) als fertige Werke behandelt, muß sie nach dem 'BdK.' erstellt worden sein, so daß sich 1275 als Terminus post quern ergibt. IV. Das 'BdK.' berührt sich mit den dt. Predigten -»Bertholds von Regensburg (HÜBNER, S. 105ff.). Es ist ausgeschrieben in einer Mischhs. von Jans —> Enikels 'Weltchronik' (Hs. 14) und bildet zusammen mit Jakob ->Twinger von Königshofen die Grundlage einer Historienbibel (VOLLMER Nr. 71). Als gereimtes Bruchstück von 704 vv. aus der I.Hälfte des 15.Jh.s (gedr.

KANDZIORA, S. 55-79) schließt es sich unmittelbar an -»Rudolfs von Ems 'Alexander' (Hs. M) an.-Die'Pkchr.'gehört zu den Quellen des -+· 'Lohengrin' und von Ulrich ->Fuetrers 'Bayerischer Chronik'. L i t e r a t u r . H.F. MASSMANN, Kaiserchronik III (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. 4,3), 1854, S. 55-75,366-371; L. ROCKINGER, Der Könige Buch (Abhh. d. Bayer. Ak. d. Wiss., Hist. Cl. 17), 1886, S. 1-102; E. SCHRÖDER, Kaiserchronik (MGH Dt. Chron. I), 1895 [Nachdr. 1964], S.9, 76f.; L. KANDZIORA, Das gereimte Bruchstück des 'BdK.' u. d. entsprechende Prosa, Diss. Greifswald 1910; VOLLMER, Materialien I l, 2; K. A. ECKHARDT, Der Deutschenspiegel, seine Entstehungsgesch. u. sein Verhältnis z. Schwabenspiegel, 1924, S. 9-17; M. WEVERS, Einharts Vita Karoli Magni in d. mal. Geschichtsschreibung u. Heldensage, Diss. Marburg 1929, S.29f., 56f.; E. KLEBEL, Stud, zu d. Fassungen u. Hss. d. Schwabenspiegels, MÖIG 44 (1930) 129-164; HOMEYER, Rechtsbücher (s. I); R. SCHRÖDER/E, v. KÜNSSBERG, Lehrbuch d. dt. Rechtsgesch., 71932, S. 726-728; A. HÜBNER, Vorstud. z. Ausg. des 'BdK.' in d. Deutschenspiegelfassung u. sämtl. Schwabenspiegelfassungen (Abhh. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, Phil.-Hist. KL, 3.Folge, Nr.2), 1932 [Nachdr. 1972]; K. v. AMIRA, Germ. Recht, 4.Aufl. bearb. v. K.A. ECKHARDT, Bd. I (Grundriß d. germ. Philologie 5/1), 1960, S. 159 f.

HUBERT HERKOMMER

'Buch der Kunst' -> Konrad (Spitzer) 'Buch des Lebens' Erbaulich-lehrhafter Traktat. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgo 467, 208r-249v, 15. Jh., bair.; St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 965, S. 409-434, 472-481, geschrieben von Friedrich Cölner OSB (t 1451), hochalem. (beschrieben von O. SIMON, Überl. u. Hss.Verhältnis d. Traktats 'Schwester Katrei', Diss. Halle a.S. 1906, S. 16-21; ergänzend RUH, Bonav. dt., S. 106-108).

Der Traktat, als Ganzes ununtersucht, handelt von Christi Leiden, Wesen und Werken, aber auch von Tugenden, Sakramenten, den Zehn Geboten, Gaben des Hl. Geistes und ändern lehrhaften Gegenständen. Den Titel (Apo 3,5) erklärt die Einleitung: daz buch wirt genempt dz buch dez lebens, wan sin materie und offenthalt oder der aüeredlest gegenwurf vnd vßwürkung form vnd end ist der herr, der da ist ain brün dez lebens vnd dz ewige leben, der och genempt wirt dz buch dez lebens, wan er gemacht ist von dem mhgtlichem pergament mit der

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'Buch der Märtyrer'

künst dez hailigen gaistes (nach Sang. 965). Die breit ausgeführte Buchallegorie stellt RICHTER in den Zusammenhang allegorischer Exegese. Seine Ausführungen sind zu ergänzen mit der 'Maria als Buch'-Allegorie im 'Marienleben Da Got der vater schuof Adam und Evam' im Kapitel 'Von der Geburt Mariae' (—»Heinrich von St. Gallen). Die lat. Vorlage fand RICHTER in Colmar, Bibliotheque du Consistoire, cod. 151, 270r bis 281V, geschrieben von Konrad -»Dreuben. L i t e r a t u r . D. RICHTER, Die Allegorie d. Pergamentbearbeitung, Fs. G. Eis, 1968, S. 83-92, bes. S. 88 f.

K. RUH

'Buch der Märtyrer' ('Märterbuch') 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Keine Hs. enthält alle 103 Legenden des Werkes. Klosterneuburg, Stiftsbibl., Hs. 713, Anf. 15. Jh. (C; 95 Legg.); Brixen, Seminarbibl., cod. A. 22, um 1400 (B; 73 Legg.); Heidelberg, cpg 242, Anf. 15. Jh. (P; 40 Legg.). Zu den bei GIERACH, S. XVIXXV, beschriebenen Frgm.en von 7 Perg.-Hss. und 4 Zeugen mit einzelnen Legg. kommen hinzu: 7 Perg.bll. (noch 13.Jh.?) des Fürstl.-Esterhazyschen Arch. Eisenstadt (cod. 444), darunter die von KNAPP sog. jetzt aber wieder in Eisenstadt befindlichen - 'Laxenburger Fragmente'; Bischöfl. Bibl. Pecs, cod. AA. II. 21, 480r-486r (1455, Katharinenleg.); s.u. 2. LÄNGIN, GLAUNING. 2. A u s g a b e n . Das'MB'.DieKlosterneuburgerHs. 713, hg. v. E. GIERACH (DTM 32), 1928; O. ZINGERLE, WSB 105,1883, S. 3-110 (Hs.B). -Frgm.e: H. LAMBEL, Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Dt. in Böhmen 22 (1884) 33-44 (ß); J. MEYER, Alemannia 9 (1881) 1-5 (9); J. DIEMER, WSB 11,1853, S. 43-75 ( ); K. HILDEBRAND, ZfdA 16 (1873) 394-401 ( ); . . HEIGEL, Germ. 20 (1875) 44-48 ( ); K. BARTSCH, Germ. 31 (1886) 93-98 ( 2 ); J. HAUPT, WSB 70, 1872, S. 161-169 (F); T. LÄNGIN, Karlsruher Bruchst. d. mhd. 'B.d.M.', 1921 (K 1451); O. GLAUNING/P. LEHMANN, Mal. Hss.-Bruchstiicke d. ÜB u. d. Gregorianums zu München, 1940, S. 127f.; F.P.KNAPP, ZfdA 100 (1971) 432-444 u. O. PAUSCH, Eine 'MB'-tradirion d. 13. Jh.s. Die älteste dt. Hs. d. Burgenlandes, Eisenstadt 1973 (cod. Esterh. 444).

3. Von einem unbekannten, wohl geistlichen Verfasser im Auftrag einer gräfin von Rosenberch (v. 78) aus lateinen (v. 81) übertragen. Ob die Gräfin zu den böhmischen oder den bauländischen oder anderen Rosenbergern zählt, ist nicht zu entscheiden. Als Entstehungsort des 'MB' steht mit fast gleichgewichtigen Argumenten das Niederschwäb.-Fränkische (FIRSCHING), Ostfrän-

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kische (EHRISMANN, LG II 2,2, S. 381) und Südböhm.-Österreichische (GIERACH, Eis) zur Debatte. Den terminus ante bestimmt der nur paläographisch datierbare cod. Esterh. 444 (noch 13.Jh.?). 4. Das neben dem -> 'Väterbuch' und dem —> 'Passional' bekannteste mal. dt. Verslegendär (28450 vv.) enthält einen (paränetischen) Prolog und 103 nach dem Kalender geordnete Legenden zu Marien-, Kreuz-und Heiligenfesten von sehr unterschiedlichem Umfang (Felix 36 vv.; Katharina 902 vv.), dazu eine vor Maria Verkündigung eingeschobene Marienklage. Von der im Register von C bezeugten Thomaslegende sind erst 1940 6vv. entdeckt worden (s.o. GLAUNING) . Der Titel der martrer püch (92; seit GIERACHS Ed. mhd. wie nhd. unglücklich 'Märterbuch') ist wie passionate u. ä. nicht ganz wörtlich zu nehmen. Im Original begann der Zyklus wohl mit Januar, in einigen Textzeugen (nach dem Muster der 'Legenda aurea'; s. -»Jacobus de Voragine) mit Advent (PAUSCH; dazu: Germanistik 15 [1974] 615). 5. Hauptquelle (für 77 Texte) war eine seit dem 12. Jh. bezeugte, noch unedierte Sammlung kurzgefaßter lat. Legenden zur Lesung in der zweiten Nokturn (KuNZE, ZfdPh 88; gleichzeitig Vorlage des -»· 'Bebenhausener Legendars'). Auswahl der Heiligen (außer Kilian [vgl. FIRSCHING], Gallus, Afra keine regionalen Rücksichten) und Unregelmäßigkeiten in der Kalenderordnung (GIERACH, 1928, S. XXXVIf.) sind im wesentlichen von der Vorlage bestimmt. Bei 26 Texten, darunter den längsten (Katharina, Magdalena) und kürzesten (Nr. 14,33, 35, 36, 48, 53, 64, 69, 71, 99) ist die Frage nach der unmittelbaren Quelle noch ungelöst. 6. Im Festhalten an Autoritäten in formaler (Reimpaar-Verszwang; über die künstlerische Anspruchslosigkeit ist man sich einig) und stofflicher Hinsicht dokumentiert sich die Unsicherheit eines mittelmäßigen Talents und der literarische Durchschnittsbetrieb um 1300. Inhaltlich hebt sich der spätmal. Verfasser nur in Nuancen von seiner frühmal. Vorlage ab: gegenüber dem Triumphcharakter der Passionen kommt auch ihr Leidenscharakter und die compas-

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'Buch der Rügen'

sio der Augenzeugen zum Ausdruck. Dominierende Funktion von passio und actio der Heiligen wird (statt gloria Dei und salus animae) das missionarische leren, becheren, den glauben meren (wie träge seien gegenüber den Heiligen heutige lerer [v. 9723-74], wie bequem die regier [v. 17783-87]!). Vorlagenunabhängige Reflexionen des Verfassers, die sich im Werk- und in einigen Legendenprologen, in Schlußgebeten und Exkursen fassen lassen, kontrastieren in schlichtester Weise die Barmherzigkeit Gottes und die Qualen der Hölle, das hail der guten und die verlorenhait der haiden, ermahnen (zeitkritisch) zur Befolgung guter lere, warnen vor chetzertum (z.B. v. 9729 bis 9733),läzheit (z.B. v. Sl),reichtum (z.B. v. 63-80, 7633-7652) und hübschen sunden (v. 2987ff., darunter ritterschaft v. 2993!). 7. Die Textzeugen (ca. 1300-1455) stammen aus dem obd. Raum, ohne das Oberrheinische, mit Schwerpunkt im Bair.Österr. Kennzeichnend für die Überlieferungsgeschichte ist die Kontamination mit anderen Legendaren (vor allem mit dem 'Passional', vgl. Hss. B, , ) und die Exzerpierung einzelner Texte. Geradezu unübersehbare Wirkung erlangte das 'MB' dadurch, daß 64 seiner Legenden ca. 1380 in Prosa aufgelöst wurden und in dieser Form den Grundbestand (ca. 1A) des verbreitetsten dt. Legendars -»'Der Heiligen Leben' (Prosapassional) bilden (SöDER). L i t e r a t u r . J.HAUPT, Über d.mhd.'B.d.M.', WSB 70, 1872, S. 101-188; G. Eis, Die Quellen d. 'MBs' (Prager dt. Stud. 46), 1932; G. LAHOHKR, Die Gestaltung d. Nachsatzes im 'MB', Diss. Wien 1950; K. KUNZE, Stud. z. Legende d. hl. Maria Aegyptiaca im dt. Sprachgebiet (Phil.Stud.u.Qu.49), 1969, S.75-79, 92-100; ders., Die Hauptquelle d. 'MBs', ZfdPh 88 (1969) 45-57; ders., Das 'MB'. Grundlinien einer Interpretation, ZfdPh 90 (1971) 429-499; KNAPP (s.o. Ausg.); R. SÖDER, 'MB' u. Prosapassional. Unters, z. Legendenüberl. im 13. u. 14. Jh., Diss. Würzburg 1972; PAUSCH (s.o. Ausg.); K. FIRSCHING, Die dt. Bearbeitungen d. Kilianslegende unter bes. Berücks. dt. Legendarhss. d. MAs (Quellen u. Forschungen z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg 26), 1973, S. 5-18.

KONRAD KUNZE 'Buch der Richter' -»· 'Schoftim'

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'Buch der Rügen' Ü b e r l i e f e r u n g . Hs. ehemals im Besitz des Antiquars Kuppitsch, Wien (verschollen); Abschriftdaraus: Berlin, mgq 488 (v. J. 1836); München, cgm 444. Ausgabe. TH. v. KARAJAN, ZfdA 2 (1842) 6-92, mit dem lat. Text.

Gedicht in 1656 Reimpaarversen, in dem die Fehler der verschiedenen Stände getadelt werden. Der dt. Verfasser ist unbekannt; er war vermutlich Geistlicher. Die Entstehungszeit des Gedichts läßt sich aus darin enthaltenen politischen Anspielungen festlegen, besonders aus der Erwähnung des babst Johan (v. 168 u. 257); es kann sich nur um Johannes XXI. (1276-77) handeln (die lat. Vorlage nennt keinen Namen). Entstanden ist das Gedicht nach den Untersuchungen WIESOTZKYS, S. 30-32, in Nordbayern. Der Titel 'B.d.R.' stammt vom Hg. KARAJAN. Vorlage des 'B.d.R.' war das lat. Gedicht 'Sermones nulli parcentes', eine Art Predigtanweisung in Versen, um 1230 in Dominikanerkreisen entstanden. Es propagiert anstelle des bisher üblichen gelehrten, schriftauslegenden Sermo eine neue zeitnahe Predigt, die den Einzelnen persönlich ansprechen soll; Erneuerung und Pflege der Predigt war ein besonderes Anliegen der neuen Bettelorden. So werden hier nacheinander die geistlichen Stände vom Papst bis zum Vaganten, die weltlichen vom Kaiser bis zum Bauern angesprochen; angeschlossen ist je ein Abschnitt für die geistlichen und weltlichen Frauen. Dem Einzelnen wird in scharfer Anklage aufgezeigt, wie sehr er sich von den Aufgaben und Richtlinien seines Standes entfernt hat. Das dt. Gedicht ist eine sehr freie Übertragung des lat. Werks. Der Verfasser übernimmt unverändert den Aufbau und die Reihenfolge der Stände. Doch während die Rügen in der Vorlage allgemein gehalten sind, wirkt das 'B.d.R.' in viel stärkerem Maß realistisch und aktuell. Ein bestimmter Papst wird namentlich angesprochen und aufgefordert, sich nicht in die Guelfen- und Ghibellinenkämpfe einzumischen; zweimal wird die damals aktuelle Zwei-SchwerterLehre erwähnt. Abweichend von der Vorlage werden besonders auffällige Verfallserscheinungen beim Ritter- und beim

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'Buch Sidrach'

Bauernstand getadelt: die Ritter werden als habgierige Raubritter (scheraere anstatt schermaere) dargestellt, den Bauern wird vor allem ihre Hoffart vorgeworfen. Der Verfasser wendet sich in Anlehnung an den gesprochenen Predigtstil ständig direkt an sein Publikum; er hat die Tendenz, einzelne Situationen seiner Vorlage anschaulich auszuweiten. Durch Häufung konkreter Details, durch die Einschaltung kurzer Fragen und die Verwendung direkter Rede wirkt seine Darstellung an vielen Stellen außerordentlich lebendig. L i t e r a t u r . O. JÄNICKE, Die heimat d. 'b.d.r.', ZfdA 16 (1873) 476 478; B. WIESOTZKY, Unters, über d. mhd. 'B.d.R.' (QF 113), 1911; DE BOOR, LG III l, S. 396-398, 406; A. EHLERS, Des Teufels Netz, 1973, S.120-123. _. „

KARIN SCHNEIDER

'Buch von den setin und regirungk der könige' -> 'Secreta secretorum' 'Buch Sidrach' 1. Ü b e r l i e f e r u n g , a.) Mndl. Original: Übersicht über die Textzeugen bei VAN TOL 1934,1935 und 1936; seitherige Neufunde beschrieben bei BECKERS. - b.) Ribuar. Überl.szweig: Berlin, mgq 1410 (Mitte 15. Jh., Frgm.); Köln, Hist. Arch., cod. W P 4 (Ende 15. Jh.); Berlin, mgq 536 (v. J. 1529). - c.) Nd. Überl.szweig: Kopenhagen, ÜB, cod. 807 4° (v. J. 1479); ebd., Kgl. Bibl., NKS P 285 (2. H. d. 16. Jh.s, unvollst.). 2. A u s g a b e n , a.) Mndl. Original: VAN TOL 1936; Abdruck neugefundener Frgm.e bei BECKERS. - b.) Ribuar. Übers.: unediert; Auszüge bei NIEWÖHNER u. VAN TOL 1934. -c.) Nd. Übers.: JELLINGHAUS 1904.

3. Das 'B.S.' ist eine - in gewisser Weise dem frühmhd. -»'Lucidarius' vergleichbare - Universalenzyklopädie des religiösen und profanen Wissens des HochMAs. In die Form eines Lehrgesprächs zwischen den fiktiven Gestalten des Königs Boctus von Baktrien und des heidnischen Philosophen und Astronomen Sidrach gekleidet, behandelt es in lockerer, keine klare logische Ordnung erkennen lassender Reihenfolge in über 400 Frage-Antwort-Komplexen die verschiedensten Bereiche von Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft und praktisch-alltäglicher Lebenslehre. Der Kreis des Erörterten umfaßt in buntem Wechsel nicht nur tiefgründige Spekulationen über das Wesen Gottes, lehrhafte Aussagen über die

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Ordnung des Weltalls sowie Erklärungen der verschiedensten Phänomene der belebten und unbelebten Natur, sondern auch Ratschläge für alle möglichen Probleme des menschlichen Lebens, angefangen von solchen der Sittlichkeit oder der Rechts- und Sozialordnung bis hin zu spezifisch praxisbezogenen Fragen der Gesundheitspflege und Nahrungszubereitung. - Dem in Prosa geschriebenen Werk ist ein längerer Reimprolog vorangestellt, in dem der namentlich nicht genannte Autor über Quelle und Absicht seines Werkes Auskunft gibt, wobei er unter anderem auch die Wahl der Prosaform für sein Werk mit dem Streben nach nur so zu erreichender absoluter Quellentreue begründet. Ein ursprünglicher Reimepilog, Dank- und Bittgebet des Verfassers enthaltend, fehlt in sämtlichen Hss. der ribuar. Bearbeitung; in der einzigen vollständigen Hs. der mnd. Version sind dem ursprünglichen Text über Ort und Zeit der Entstehung der Hs. unterrichtende Zusatzverse des Schreibers angehängt. 4. Die in den 3 ribuarischen und den 2 nd. Hss. überlieferten Versionen des 'B. S.' stellen textlich nur geringfügig voneinander abweichende Übertragungen eines mndl. Originals dar, das im ersten Viertel des 14. Jh.s (vermutlich i. J. 1318) von einem Antwerpener Autor unbekannten Namens verfaßt wurde. Dieses mndl. 'B. S.' ist eine verkürzende Bearbeitung einer ebenfalls anonymen, um die Mitte des 13. Jh.s entstandenen afrz. Vorlage ('Le livre de Sidrac ou la fontaine de toutes sciences'); den Angaben des Prologs zufolge geht der afrz. 'Sidrac' seinerseits auf einen für Kaiser Friedrich II. aus dem Arabischen ins Lat. übertragenen, bisher jedoch nicht nachgewiesenen Urtext zurück. Wir haben es also aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer fingierten Quellenberufung zu tun und dürfen annehmen, daß der unbekannte Verfasser des afrz. 'UrSidrac' den in sein Werk verarbeiteten Wissensstoff aus den verschiedenen zeitgenössischen lat. Enzyklopädien wie der 'Imago mundi' des ->· Honorius Augustodensis, den pseudo-aristotelischen -»· 'Secreta Secretorum', der -> Wilhelm von Conches zugeschriebenen 'Philosophia mundi' und anderen derartigen Werken zusammengetragen

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'Buch von Troja

hat. Ins einzelne gehende Quellenuntersuchungen fehlen bislang. 5. Während das mndl. 'B.S.' in seinem Entstehungsgebiet eine recht beachtliche Verbreitung gefunden hat (bisher sind elf Hss. und ebenso viele Frühdrucke bekannt geworden), mithin ein Werk von beträchtlicher Wirkungskraft gewesen sein muß (besonders hervorzuheben ist seine Rolle als eine der Hauptquellen für Jan van Boendales 'LekenspiegheP), hat es außerhalb der Niederlande nur in den beiden traditionellen Ausstrahlungsgebieten der mndl. Literatur, im kölnisch-ribuarischen und im nd.hansischen Kulturraum, Fuß fassen können. Bemerkenswert ist, daß die ribuarische Übersetzung sich am Niederrhein einer mehr als 100jährigen Beliebtheit erfreuen konnte und daß die (wohl einige Zeit nach der ribuarischen entstandene) nd. Version ihrerseits zur Vorlage einer dänischen Übersetzung geworden ist. Über die Auftraggeber und den Benutzerkreis der erhaltenen Hss. wissen wir nicht mehr, als daß die ältere der beiden vollständigen ribuarischen Hss. der berühmten Manderscheid-Blankenheimer Schloßbibl. angehört hat und daß die jüngere i.J. 1529 von dem Düsseldorfer Kanonikus Wilhelm Kettwich zu eigenem Gebrauch abgeschrieben wurde; die ältere der beiden nd. Hss. ist dem vom Schreiber stammenden Anhang zum Reimepilog zufolge i.J. 1479 in Kopenhagen verfertigt worden. L i t e r a t u r . M. DE VRIES, Sidrac, Taal- en Letterbode 3 (1871) 64-70; H. JELLINGHAUS, Syderak, Ndjb 14 (1888) 59; ders., Das 'B.S.' nach d. Kopenhagener mnd. Hs. v. J. 1479 (StLV 235), 1904; H. NIEWÖHNER, Eine ripuar. Hs. des 'B.S.', ZfdPh 57 (1932) 183-193; J.F. J. VAN TOL, Mndl. en mnd. Sidrachss., Ts. v. Taal en Letteren 22 (1934) 30-59, Nachtrag ebd. 23 (1935) 212-214; ders., Het Boek van Sidrac, in de Nederlanden. Met tekstuitgave naar Ms. Marshall 28 der Bodleyan Library te Oxford, Proefschrift Amsterdam 1936; H. BECKERS, Bruchstücke unbekannter 'Sidrac'-Hss. aus Münster, D üsseldorf u. Brüssel, Amsterdamer Beitr. z. älteren Germanistik l (1972) 89-110.

HARTMUT BECKERS

- 'Buch von Troja IF

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'Buch von Troja Ü b e r l i e f e r u n g . 10 Hss. vom Ende des 14. bis Anfang des 16. Jh. s bei SCHNEIDER, S. 73 f.; dazu Berlin, mgq 1817 (unvollst.), mgq 1420 (Frgm.). Unediert.

Trojaroman, dessen erster Teil eine Prosafassung des 'Trojanerkriegs' von -> Konrad von Würzburg darstellt. Wo dieser unvollendet abbricht, dienten dem dt. Bearbeiter als Quellen für die Fortsetzung zuerst der spätantike Trojaroman des Dares Phrygius und anschließend die im MA sehr verbreitete 'Historia destructionis Trojae' des Guido de Columnis, die er ins Dt. übersetzte. Der dt. Autor ist unbekannt. Die erhaltenen Hss. stammen fast ausschließlich aus dem alem.-schwäb. Sprachraum und lassen auf eine Entstehung dieser Fassung auf südwestdt. Gebiet gegen Ende des 14. Jh. s schließen. Hauptmerkmal der dt. Bearbeitung ist eine starke Kürzung der in den Vorlagen dargestellten Vorgänge auf das Konkrete und Wesentliche. Wiedergegeben werden, vor allem im l . Teil, nur die für den realen Handlungsablauf wichtigen Tatsachen; der Bearbeiter übergeht Konrads ausführliche Schilderungen, Reflexionen und Exkurse. Doch werden die übernommenen Stellen teilweise im Wortlaut der Vorlage belassen, sogar Reimpaare werden, besonders zu Anfang, häufig übernommen. Die Übersetzung des zweiten Teiles verfährt mit der lat. Vorlage in gleicher Weise kürzend, überträgt jedoch wesentliche und konkrete Episoden ausführlich. Lat. Satzkonstruktionen werden in flüssiges korrektes Deutsch übersetzt. Stilistisch besteht kein Unterschied zwischen den aus dt. Versen in Prosa umgesetzten und den aus dem Lat. übertragenen Textpartien. Das 'B. v. T.' war im späten MA sehr beliebt und wurde als Kompilation mit Hans -»Mairs Trojabuch mehrfach im Druck verbreitet (Erstdruck Augsburg 1474 bei Joh. Bämler). L i t e r a t u r . E. THIEDE, Stud, über daz Buoch von Troja, Diss. Greifswald 1906; K. SCHNEIDER, Der Trojan. Krieg im späten MA (Phil. Stud. u. Qu. 40), 1968, S.73-81. KARIN ScHNEIDER

'Buch von Troja II ' 'Buch von Troja' -* 'Göttweiger Trojanerkrieg' ; -> Mair, Hans, von Nördlingen

Überlieferung. Wien, cod . 2802 ; Lüneburg, StB, Ms. Hist. C. 2° 37; Prag, ÜB, cod. 1. B. 6 ; Milano, Bibl.

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'Buch von Troja nach Guido de Columnis'

Nazionale Braidense AE XIII. 13; Berlin, mgq 1145 (unvollst.). Ausgabe. G.P. KNAPP, Hystoria Troyana, Diss. Berlin 1970.

Dieser Prosaroman geht größtenteils auf die gleichen Quellen zurück wie das -»'Buch von Troja und ist wie dieses das Werk eines Anonymus. Die Hss., alle aus dem 15. Jh., stammen aus dem bairischen Sprachgebiet. Im ersten Teil des Romans wird -»Konrads von Würzburg 'Trojanerkrieg' ziemlich ausführlich in Prosa umgesetzt; selbst Formulierung und Wortlaut der Vorlage werden häufig übernommen. In der Fortsetzung der Erzählung greift auch dieser Bearbeiter zur 'Historia destructionis Trojae' des Guido de Columnis. Als weitere Quelle wird an einigen Stellen und besonders für die Nacherzählung der 'Aeneis' am Schluß des Romans das spätantike 'Excidium Trojae' benutzt. Der Bearbeiter zeigt Selbständigkeit und Geschick bei der Verschmelzung der einzelnen Episoden aus verschiedenen Traditionszweigen zu einer einheitlichen Erzählung; er achtet konsequent darauf, daß der logische Handlungsablauf gewahrt bleibt. Obwohl das 'B. v. T. IP sich als einer der qualitätvollsten spätmal. dt. Trojaromane erweist, hatte es nicht den Publikumserfolg wie das 'B. v. T. und wie Hans -> Mairs Werk. Im bairischen Raum scheint es immerhin eine gewisse Verbreitung erfahren zu haben; Ulrich -»Fuetrer benutzte es zu Ende des IS.Jh.s für die Darstellung des Trojanischen Krieges in seinem 'Buch'der Abenteuer'. L i t e r a t u r . K. SCHNEIDER, Der Trojan. Krieg im späten MA (Phil. Stud. u. Qu. 40), 1968, S. 82-101; KNAPP (s. Ausg.), S. 368-409.

KARIN SCHNEIDER 'Buch von Troja nach Guido de Columnis' 1287 vollendete der sizilianische Jurist Guido de Columnis seine 'Historia destructionis Trojae', eine lat. Prosabearbeitung des afrz. 'Roman de Troye' des Benoit de Sainte-Maure. A u s g a b e . N.E. GRIFFIN, Cambridge (Mass.) 1936. Dieser sehr verbreitete lat. Trojaroman

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wurde im späten MA mehrfach in dt. Prosa übersetzt. Namentlich bekannt sind nur der Übersetzer der bekanntesten dt. Fassung Hans ->Mair von Nördlingen, und Heinrich -> Gutevrunt. Daneben existierten weitere, meist nur in einem einzigen Textzeugen überlieferte Verdeutschungen anonymer Autoren. Die Hss. sind zumeist im md. Sprachraum in der I.Hälfte des 15.Jh.s entstanden. Es lassen sich 6 anonyme Fassungen unterscheiden: I. Md. Fassung, wohl im frühen 15. Jh. entstanden, überliefert in Wien, cod. 2678, unediert; Textprobe bei W.STAMMLER, Spätlese d. MAs I (TspMA 16), 1963, S. 76 bis 81, 112-114. Der Autor behandelt zu Anfang seine Vorlage oberflächlich, ändert aber seine Übersetzungsweise mit Beginn der eigentlichen Kriegsgeschichte. Der Stil wird zunehmend gewandter, die Erzählung flüssiger, persönliche Anteilnahme kommt in selbständigen Einschüben zum Ausdruck. Latinisierender Stil wird bei der Wiedergabe von Guidos rhetorisch gefärbten Textstellen offenbar bewußt angewendet, während die rein erzählenden Abschnitte sehr viel einfacher formuliert sind. L i t e r a t u r . G. KROGERUS, Historie van der vorstorynge der stat Troye (Societas Scientiarum Fennica 17,2), 1951, S. 12-16; K. SCHNEIDER, Der Trojan. Krieg im späten MA (Phil. Stud. u. Qu. 40), 1968, S.28-39.

II. Md. Fassung, überliefert in Prag, Metropolitankapitel, cod. G XXIX u. Berlin, mgf 1202 (unvollst.), unediert; Textprobe bei STAMMLER, S. 58-60,109 f. Diese Fassung kürzt von allen die Vorlage am stärksten. Der Handlungsablauf, vor allem des Kriegsgeschehens, wird merklich zusammengerafft, viele Einzelepisoden fehlen ganz. Der Autor stand seiner Vorlage in der Frage der Auswahl sehr frei gegenüber. Noch auffallender als in Fassung I sind die stilistischen Unterschiede zwischen rein erzählendem Text und den in latinisierender, oft schwerverständlicher Sprache wiedergegebenen reflektierenden Abschnitten. L i t e r a t u r . SCHNEIDER, S. 40-51.

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'Buch von den vier Angeltugenden'

III. Nd. Druckfassung. Drucke: 1478 Lübeck bei Lukas Brandis, GW 7240; 1495 Magdeburg bei Moritz Brandis, GW 7241. A u s g a b e . KROGERUS, S.75-198.

Die Übersetzung II ist in ausführlicherer Fassung zum größten Teil in die nd. Drucke eingegangen, die aber zu Anfang eine weitere selbständige Verdeutschung von Guidos Trojaroman enthalten; sie umfaßt die Argonautensage und die erste Zerstörung Trojas. L i t e r a t u r . KROGERUS,S. 19-71; SCHNEIDER, S. 51 bis 58.

IV. Bair. Fassung, überliefert in Wien, cod. 2773; unediert. Die von dem bayerischen Buchmaler Martinus opifex wohl um 1445 reich illustrierte Hs. enthält eine völlig wörtliche Übersetzung aus dem Lat. in bair. Mundart. Fast jedes Wort der Vorlage wird verdeutscht, lat. Syntax ist übernommen. Eine persönliche Stellungnahme des Autors scheint nicht durch. L i t e r a t u r . KROGERUS, S. 12-15; SCHNEIDER, S. 59-65.

V. Frgm. Fassung, überliefert in Berlin, mgo 765; unediert. Die aus Bucheinbänden ausgelösten Frgm.e enthalten Reste einer weiteren Übersetzung von Guidos Trojaroman. Die Hs. ist zu Anfang des 15. Jh.s im ostmd.-obersächsischen Raum entstanden. Überliefert sind nur Ausschnitte aus den Kriegsschilderungen sowie der Schluß. Ähnlich wie Hans Mair vermochte der Autor dieser Fassung einen flüssigen, anschaulichen Stil zu geben; die lateinische Vorlage wird durchgehend in gutes, leichtverständliches Deutsch übertragen, Latinismen fehlen. Im Vergleich zu Mairs Trojabuch bleibt diese Fassung jedoch näher und vollständiger am Text der Vorlage. VI. Md. Fassung, überliefert in ehem. Breslau, ÜB, cod. R 304 (Kriegsverlust); unediert. Soweit sich aus dem Abdruck des kurzen Inc. und Expl. bei v. D. HAGEN/BÜSCHING schließen läßt, handelte es sich bei diesem dt. Prosaroman nach Guido offenbar um eine weitere selbständige, ebenfalls md. Übersetzung.

L i t e r a t u r . F.H. v. D. HAGEN/].G. BÜSCHING, Lit. Grundriß z. Gesch. d. dt. Poesie von d. ältesten Zeit bis in d. 16. Jh., Berlin 1812, S. 543f.

KARIN SCHNEIDER 'Buch der Väter' -»'Das Väterbuch' 'Buch von den vier Angeltugenden' Im Bereich der christlichen Ethik des MAs sind die vier Kardinaltugenden in der Regel zusammen mit den drei göttlichen Tugenden dargestellt, oder sie werden in einer erweiterten Tugendlehre in Verbindung mit einer größeren Zahl von Tugenden und Lastern ausgelegt. Die isolierte Betrachtung der Angeltugenden ist in der dt. Literatur des MAs selten. 1. Teil des ->· 'Fürstenspiegels Wiewol all menschen ...'. Ü b e r l i e f e r u n g . Als eigenständiges Werk GW 1920; 1921; Wien, cod. 3027, 123r-161r (= Abschrift von GW 1920); Freiburg, Diözesanmus., Adelhauser Hs. O 12, lr-45v. A u s g a b e. G. BRINKHUS, Eine bayr. Fürstenspiegelkompilation d. XV. Jh.s, Diss. Tübingen 1972 (Druck in MTU in Vorbereitung.)

Inc.: Warumb pistu körnen her in unser trübsal und kümerliche sorgen ... Die in diesem Traktat vorliegende Reihenfolge der Tugenden prudentia, iustitia, fortitudo, temperantia entstammt der rhetorischen Tradition. Sie findet sich bei Cicero und im 'Moralium dogma' des -»Wilhelm von Conches, mit dem dieser Text eine Reihe von Zitaten gemeinsam hat. In dem nach den formalen Regeln der Rhetorik aufgebauten Text werden die sechs Kapitel den antiken Autoritäten Boetius (Prolog), Sokrates (lust und freud der tugend), Aristoteles (weishait), Plato (gerechtikait), Cicero (sterck) und Seneca (mässigkait) zugeordnet. 2. Inc.: Hie ist cze merkchen, wie man mit eren weislich leben mag auf erden, das beschiecht mit vier tugenten. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 425, 41r-48r; Wien, Schottenkloster, cod. 145 (A. HÜBL, Cat., 1899, Nr. 209), 126r-132v; Seitenstetten, Stiftsbibl., cod. 31 (seit 1924 verschollen).

Im Unterschied zum vorhergehenden Text hat diese Tugendlehre die alte platonische Reihenfolge prudentia, fortitudo,

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temperantia, iustitia, die sich vorwiegend bei Augustinus und Beda findet. Der Text bietet kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Merksätzen zu den einzelnen Tugenden. 3. Hingewiesen sei noch auf zwei kurze Darstellungen der 4 Kardinaltugenden: Zürich, Zentralbibl., cod. C 76 (14. Jh.), 146va-147va und St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 1001 (15. Jh.), S.226-231. Das Stück 'Von den vier angeltugent' im Rahmen eines Tugendtraktats in München, cgm 374 ist Übers, aus dem 'Compendium' -> Hugo Ripelins von Straßburg: s. BERG, S. 59-61, bes. 60 Anm. 4. L i t e r a t u r . S. MAHL, Quadriga virtutum, 1969; K. BERG, Der tagenden buch (MTU 7), 1964; BRINKHUS 'Heidelberger Liederhandschrift C' bewahrt unter dem Namen von Buochein vier Minnelieder und einen dreistrophigen Spruchton. Für die Bestimmung der Schaffenszeit und der Herkunft des Dichters ist von der zweiten Spruchstrophe auszugehen, die den vorzeitigen Tod eines Grafen von Calw beklagt. Da der letzte Calwer, Gottfried V., im Herbst 1262 starb, ist sie spätestens zu diesem Zeitpunkt entstanden. Graf Gottfried hatte wenige Jahre zuvor den Ministerialen Albrecht Pilgrim von Buochein mit einem Rittergut in Binswangenausgestattet-die einzige Beziehung, die sich zwischen den Calwern und einem Träger des Namens von Buochein hat aufweisen lassen (ALBERT). Mit dem Tod des Calwers aber verlor der Ministeriale Albrecht wieder das Binswanger Lehen. Nach diesen Vorgängen ist am ehesten er als der Verfasser des Spruchtons zu vermuten. Albrecht Pilgrim von Buochein entstammt dem in Buchen im Odenwald beheimateten Dienstmannengeschlecht seines Namens. Urkundlich tritt er zwischen 1251 und 1282 auf. Für die früher und noch bei VON KRAUS erwogene Möglichkeit, den Dichter einem in Buchheim bei Freiburg ansässigen Geschlecht zuzuweisen, bietet sich kein besonderer Anhaltspunkt. 2. Der mit der Beziehung auf den letzten Calwer angenommenen Datierung steht die Form des Spruchtons nicht entgegen: Der durch die Terzinenstollen A3a- A3a- A7b

charakterisierte Bau ist eindeutig vom Typ -»Gottfrieds von Neifen (s. dessen Lieder XV u. IV). Sichtbar setzen auch die kleinen dreistrophigen Minnelieder II und IV, weniger deutlich das zweistrophige Liedl {Frgm. ?), in der Anlage, im Motiv und Reimwort, in fast jeder Wendung die Konventionen der Neifenschule voraus. Gerade deshalb freilich sind die Lieder II und IV, welche C unter dem von -> Trostberg (IV nur hier vollständig) wiederholt, dem Buchheiner meist abgesprochen worden. Sichere Kriterien, die hier über die Frage der Autorschaft entscheiden, sind indes nicht zur Hand. Das Lied III endlich, das sich in C ebenfalls doppelt, schon unter —* Heinrich von der Mure findet, fügt sich so wenig in den Kreis der genannten möglichen Lieder des Bucheiners, daß man mit verschiedenen Verfassern rechnen muß. Die persönliche gedankliche Prägung, der alte Ernst der Minneidee weisen hier in der Tat auf Heinrich von der Mure. A u s g a b e n . HMS II, Nr. 91; F. PFAFF, Der Minnesang im Lande Baden, Neujahrsbll. d. Bad. Hist. Kommission 11 (1908) 12-15; KLD I, Nr. 5 (zit.). L i t e r a t u r . KLDII26-31 (mitBibliogr.); P. ALBERT, Ritter Albrecht 'Pilgrim' v. Buchheim (Zwischen Nekkar u. Main, H. 16), 1937; J. BUMKE, Ministerialität und Ritterdichtung, 1976, S. 60 u. Anm. 339 (S. llOf.). F.J. WORSTBROCK

Bucheler (Pucheler, Pürcheler), Hans 1. Ein Bericht über die Pazzi-Verschwörung in Florenz von 1478, der in zwei stark voneinander abweichenden Fassungen vorliegt (in diesem Punkt ist BALTZER, S.45, zu korrigieren), deren eine (A) an den Bischof von Meissen gerichtet, die andere (B) seynnen gutten /runden zugedacht ist, nennt B. einen jnwoner zu Florencz. Weitere Nachrichten zur Biographie fehlen. Ü b e r l i e f e r u n g . A: Jena, ÜB, cod. S. q. 3, 224r bis 228 r .-B: Dresden, LB, cod. \7< , . 140-144; Dresden, LB, cod. J 287; Halle, ÜB u. LB, cod. S.Th.G. V. 3147, 136M38V; Weimar, Zentralbibl. d. Dt. Klassik, cod. Q 206; MENCKE kannte noch eine Leipziger Hs. und einen 'Codex Imhofianus'. A u s g a b e n . A: Memoriale. R. THIELE, Thüringisch-erfurtische Chron. von Konrad Stolle (Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen 39), 1900, S. 390 bis 394. - B: MENCKE, Joh. Burchard (Scriptores rerum

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'Das Büchlein'

germanicarum praecipue Saxonicarum II), Leipzig 1728, Sp. 431-434.

Der Bericht, den Konrad -> Stolle in der Fassung A seinem 'Memoriale' eingefügt hat, um andere zithunge zu ergänzen, stellt den Verlauf der Verschwörung und vor allem die Bestrafung der Pazzi wie fast alle zeitgenössischen Darstellungen vom Standpunkt der Medici aus dar, ohne näher auf die politischen Spannungen einzugehen, die das Ereignis auslösten. Er trägt den Charakter einer 'Zeitung', wie sie seit dem Ausgang des 15. Jh.s gebräuchlich werden. 2. Die —> 'Meissnische Chronik' in dt. Sprache über Ereignisse von 1426-1472, an die der Bericht in Fassung B als letztes Stück angehängt ist und früher häufig B. zugeschrieben wurde, stammt nach dem Befund von Dresden 170™ nicht von ihm (vgl. OPEL, S. 138). L i t e r a t u r . J.O. OPEL (Hg.), Annales VeteroCellenses, Mitt. d. Dt. Ges. z. Erforschung vaterländ. Sprache u. Alterthümer l, 2. H. (1874); LORENZ, Geschichtsquellen II 109; M. BALTZER, Zur Kunde thüring. Geschichtsquellen d. 14. u. 15. Jh.s, bes. in ihrer hsl. Uberl., Zs. d. Ver.s f. thüring. Gesch. u. Altertumskunde NF 10 (1897) 40-46; Rep. font. II 600.

PETER JOHANEK 'Bücher der Könige' ->· 'Melochimbuch' 'Bücher Mosis' -» 'Vorauer Bücher Mosis' 'Bücher Samuelis' -> 'Schmuelbuch' 'Das Büchlein' ('Das sogenannte zweite Büchlein') 1. Ü b e r l i e f e r u n g einzig im -»'Ambraser Heldenbuch' (Wien, cod. S.N. 2663,26va-28rb), zwischen 1504 u. 1515. Sprache und Orthographie entsprechen dem frühen 16. Jh. - Abdruck: in der Ausg. von Zurr. A u s g a b e n . M. HAUPT, Der Arme Heinrich u. die Büchlein von Hartmann v. Aue, 1842, 21881 von E. MARTIN ; H. Zurr, Hartmann v. Aue, Die Klage / Das (zweite) 'B.' aus d. Ambraser Heldenbuch, 1968; L. WOLFF, Das Klagebüchlein Hartmanns v. Aue u. d. Zweite 'B.' (Altdt. Texte in krit. Ausg.n 4), 1972.

2. Das Gedicht (826 vv.) hat in der Hs. die Überschrift: Ein klag einer frawen. so sy der lieb halb tuet, die offensichtlich durch v. 14 dise wipliche klage verursacht ist. Der Inhalt ist aber die Liebesklage eines Ritters,

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nicht über erfolgloses Werben, sondern über die Trennung eines glücklichen Minneverhältnisses durch die huote; herzeliep hat zu herzeleit geführt. Dennoch kann sich der Ritter nicht aus dem Minneverhältnis lösen — auch nicht durch neue Minnebeziehungen - und ermahnt am Ende des Gedichts die Geliebte, ihm treu zu bleiben. Die eigene Erfahrung wird in Widerspruch zum Schicksal der anderen und den gängigen Meinungen gesehen. Aus diesem Ansatz ergibt sich die Argumentation in Antithesen über die minne in Verbindung mit den Werten saelde, triuwe, staete, ere. Antithetisch ist nicht nur das gedankliche Grundmuster, sondern auch der Stil (Paradoxon und Oxymoron!). - Die Entstehung des 'B.' wird nach 1220 angesetzt wegen der Übernahme von Gedanken -»Gottfrieds von Straßburg und zahlreichen wörtlichen Entlehnungen aus dem Werk -»Hartmanns von Aue. 3. Das 'B.' steht in der Hs. zwischen Werken Hartmanns; es folgen hintereinander: 'Iwein', die 'Klage' (sog. 1. Büchlein), das 'B.' und der 'Mantel' -*· Heinrichs von dem Türlin, der nach knapp 1000 Versen in den 'Erec' übergeht ohne Markierung eines neuen Textes in der Hs. Die Überlieferung bestimmte den ersten Hg. des 'B.', HAUPT, dazu, auch das anonym überlieferte (2.) 'B.' Hartmann zuzuschreiben. Er übertrug auch den Titel 'Büchlein' (v. 811 büechel) auf Hartmanns 'Klage'. Hartmanns Autorschaft wurde schon bald bezweifelt; den endgültigen Nachweis, daß das 'B.' nicht von Hartmann verfaßt wurde, erbrachte KRAUS durch Untersuchungen von Sprachgebrauch und Reim. L i t e r a t u r . Bibliographie in EHRISMANN, LG II 2,1, S. 150. - F. SARAN, Hartmann v. Aue als Lyriker, 1889, S. 39-60, 82f., 89-94; A.E. SCHÖNBACH, Über Hartmann v. Aue, 1894, bes S. 362-378, 393-395; SARAN, Über Hartmann v. Aue (Forts.), PBB 24 (1899) 1-71; C. KRAUS, Das sog. II. 'B.' u. Hartmanns Werke, Abhh. z. germ. Philologie, Fs. R. Heinzel, 1898, S. 111-172 (auch als Sonderabzug 1898); I. GLIER, Artes amandi, S. 46-49 u.ö.

HERTA ZUTT

'Büchlein von der Einkehr' -* 'Von geistlicher Ein- und Auskehr'; -»'Eine gute Einkehr' ; -»'Von der wahren Einkehr'

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'Büchlein vom schauenden und vom wirkenden Leben' - 'Büchsenwerk'

'Büchlein vom schauenden und vom wirkenden Leben' Ein mystischer 'Mosaiktraktat' wie —»'Das Lehrsystem der deutschen Mystik' oder -> 'Spiegel der Seele'; Titelgebung von COVENEY. Ü b e r l i e f e r u n g . Basel, ÜB, cod. B XI 10, 264V bis 348r, 2. H. 14.Jh., alem. (B); London, Univ. College, Ms.germ. 14, lr-84r, frühes 15. Jh., rhfrk. (L); Zürich, Zentralbibl., cod. C 127, S. 158-224, 1. H. 15.Jh., alem. (Z).

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Mainzer Cantual 1605 u. 1627; c) Corners G. 1631 u. 1649 (bearb. u. auf 22 Str. erw.). - Ob es sich bei dem Straßburger Druck (WACKERNAGEL, Bibliogr., Nr. 5) um B.s Lied handelt, ist nicht auszumachen. A u s g a b e n . PH. M. KÖRNER, Marianischer Liederkranz, Augsburg 1841, S. 241-250 (nach 3 b); J. KEHREIN, Kathol. Kirchenlieder II, 1860 (Nachdr. 1965), Nr. 439 (4b u. c); WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1062 (3 a u. 4a); TH. CRAMER, Die kleineren Liederdichter d. 14. u. 15. Jh.s I, 1977, S. 86-103, 427-438.

Das Lied ordnet gemäß der in der Rosenkranzliteratur (-»'Rosarien') üblichen Eine Untersuchung steht noch aus, doch Weise dem Rosenkranz 'Geheimnisse' (hier sind die Einzelstücke in B und Z, partiell dreimal fünf entsprechend den fünfzehn auch in L, beschrieben und weitgehend Paternostern des Marienpsalters) zu, die identifiziert worden. B und Z sind in ihrem die Heilsgeschichte von der Verkündigung Bestand fast identisch, bieten jedoch den bis zum Jüngsten Gericht beinhalten. Die Text erst ab L44V. L beginnt mit Veni Reihenfolge der 'Geheimnisse' bei B. entsancte Spiritus... das bedeutet komme heili- spricht genau der der Illustrationen in dem ger geist und bietet offensichtlich nach An- verbreitetsten dt. Rosenkranzbüchlein (Auslage und Umfang die ursprüngliche Fas- zugaus-» AlanusdeRupe, zuerst Ulm 1483), sung. das B.s Lied zugrundegelegen hat. Die UmL i t e r a t u r . D. K. COVENEY, A Descriptive Catalo- datierung auf 1500 erfolgte vielleicht wegen gue of Manuscripts in the Library of University College, des 25jährigen Jubiläums der Gründung der London 1935, S. 58-60; QUINT, Hss.funde I 241-251 Rosenkranzbruderschaft in Köln 1475. (Hs.Z); G. MEYER/M. BURCKHARDT, Die mal. Hss. d. UB Basel. Abteilung B. Theol. Perg. Hss. II, 1966, S 945 954

'

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·

K.RUH

Buchsbaum (Buchsbam), Sixt dichtete 1492 ein noch in der Mitte des 17. Jh.s beliebtes Rosenkranzlied von 21 Strr. im Herzog-Ernst-Ton, in dessen letzter Str. er sich selbst nennt und das Entstehungsjahr des Liedes angibt (in Wien, cod. 4348 fälschlich 1420, sonst umdatiert auf 1500). Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Wien, cod. 4348, 150r-152r (1496/1503), Abschrift eines verschollenen Druckes von Hans Sporer, Erfurt 1494 (vgl. SCHANZE). - 2. Einblattdrucke : a) [Ulm, Joh. Zainer, ca. 1500]: München, Bayer. SB, Einbl. III, 51W; Faksimile A. SCHRAMM, Der Bilderschmuck d. Frühdrucke V, 1923, Abb. 500; b) Memmingen, [Alb. Kunne] 1500: ebd., 51Z. - 3. Neun Flugschriften von ca. 1500-1638, 8 Bl. 8°: a) [München, Joh. Schobser ca. 1500]: Erlangen, Inc. 1446a, 6; von SCHRAMM, S.20, fälschlich Zainer zugeschrieben; Titelbl. Abb. 496; b) Nürnberg, Wolfg. Huber o. J.: München, UB, P. germ. 8° 1050: Cim. 38; die übrigen Drucke vgl. WELLER, Rep. typ., Nr. 171, 734, 2242; Index Aureliensis, Cat. libr. sed. saec., Tl. I, Bd. 5, 1974, Nr. 126.585-589; BÄUMKER, KL I 98, Nr. 336. - 4. Gesangbücher: a) Tegernseer G. 1577; b)

L i t e r a t u r . HOFFMANN, KL, Nr.281; WACKERNAGEL, Bibliogr., S. 8 f. Nr. XXI; BÄUMKER, KL II, Nr. 84; GOEDEKE, Grundriß I 316, Nr.54 (vgl. die l.Aufl. v. 1859, S. 147); S. BEISSEL, Gesch. d. Verehrung Marias, 1909 (Nachdr. 1972), S. 511-567, bes. 536f.; Einblattdrucke, Nr. 474-475; GW 5671-5672; M.J. SCHROEDER, Mary-Verse in Meistergesang (The Catholic Univ. of America, Studies in German 16), Washington 1942, S. 237-241; CH. SCHEFFLER-ERHARD, AltNürnberger Namenbuch, 1959, S.77 (unbegründete Ansiedlung B.s in Nürnberg); R.W. BREDNICH, Die Liedpublizistik im Flugbl. d. 15.-17.Jh.s II, 1975, Nr. 22-23; K.J. KLINKHAMMER, Adolf v. Essen u. seine Werke. Der Rosenkranz in d. gesch. Situation seiner Entstehung (Frankf. Theolog. Stud. 13), 1972; F. SCHANZE, Ein vergessener Erfurter Druck Hans Sporers von 1494, Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 15 (1976) 1301-1308.

FRIEDER SCHANZE

'Büchsen werk' Dise nach geschribnen stück vnd künst ist nuwe Buchsen werck. ist sy genant. Diese Hs. aus der Mitte des 15. Jh.s besteht aus 26 Bll. Papier, die ohne inhaltlichen Bezug der 'Schwäbischen Chronik' des Thomas -»Lirer von 1486 in Ulm angehängt sind (Inkunabel 10177a der Dt. SB Ostberlin). Nach den beiden ersten leeren Seiten be-

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'Von den Buchstaben' - Bücklin, Conrad

ginnt auf S. 3 ein Lehrgedicht von fast 1200 Versen, in dem der unbekannte Verfasser nach einer kurzen Schilderung der Erfindung des Pulvers und einiger Vorschriften für Pulverherstellung die vom -> Teuerwerkbuch von 1420' und anderen frühen pyrotechnischen Hss. (-> 'Anleitung, Schießpulver zu bereiten...') her bekannten Büchsenmeisterfragen auflistet und ausführlich erläutert. Im Anschluß daran werden in 19 Kapiteln verschiedene Geschützarten, ihre Einsatz- und Wirkungsmöglichkeiten sowie Bedienungsanweisungen für den Büchsenmeister behandelt. L i t e r a t u r . M. JÄHNS, Gesch. d. Kriegswiss. I, 1889, S. 387-389; ders., Hdb. einer Gesch. d. Kriegswesens, 1880, S. 813f.; F. M. FELDHAUS, Was wissen wir v. Berthold Schwarz ? Zs. f. hist. Waffenkunde 4 (1906) 114; B. RATHGEN, Das Geschütz im MA, 1928, S. 117.

VOLKER SCHMIDTCHEN

'Von den Buchstaben* Ü b e r l i e f e r u n g . Donaueschingen, cod. 77, S. 328 bis 330 und cod. 104 (-> 'Liedersaal-Hs.'), 86vb-87™. A u s g a b e . Liedersaal l, S. 577-581, Nr.77.

Didaktische Minnerede von 144 Versen. Der Dichter begegnet in der Maienlandschaft einer plaudernden Frauengesellschaft, die er nach der Bedeutung der in Mode gekommenen Buchstaben auf den Männerkleidern fragt. DieFrauen legen ihm das ABC auf die negativen Eigenschaften der Träger aus. — Buchstabenallegorese, die wie die Edelstein-, Färb-, Kleider- und Blumenallegorese gut geeignet ist, die Minnelehre in katalogartiger überschaubarer Form darzubieten, und zum Grundbestand der allegorisch-didaktischen Minnedichtung gehört. L i t e r a t u r . BRANDIS, Minnereden, Nr.368; GLIER, Artes amandi, S. 79.

TILG BRANDIS

'Buchwaldsche Heiligenpredigten'

In der Hs. 687 der Leipziger ÜB (v.J. 1415/16), direkt anschließend an die Sonntagspredigten des -> Schwarzwälder Predigers, ist auf 71V-126V ein Zyklus von 26 kalendarisch geordneten Heiligenpredig-

ten (von Andreas bis Allerseelen [bricht ab]) überliefert (hg. v. BUCHWALD, H. l, S. 56111 u. H. 2, S. 7-55; ein Abdruck der Petruspredigt bei W. STAMMLER, Prosa d. dt. Gotik, 1933, S.7-10; vgl. MORVAY/GRUBE, Predigtbibliogr., T 63). Der Aufbau der Predigten ist nicht einheitlich. Jedoch steht nach dem Thema stets ein mehr oder minder ausführliches Exordium, woran sich mehrfach eine Aufforderung an die Zuhörer anschließt, ein Ave Maria für das Gelingen der Predigt zu beten. Die am häufigsten vorkommende Dispositionsmethode beruht auf der divisio. Die Predigtinhalte beschränken sich im wesentlichen auf Heiligenviten, die fast ausschließlich der 'Legenda aurea' (->Jacobus de Voragine) entnommen sind, und auf Predigtmärlein. BUCHWALDS Versuch, 'wenigstens geistige Verwandtschaft' mit dem Schwarzwälder Prediger nachzuweisen, konnte STAMM überzeugend widerlegen. Die Identifizierung eines anderen Heiligenpredigtenzyklus als Werk des Schwarzwälder Predigers durch WILLIAMS-KRAPP räumte letzte Zweifel hinsichtlich der Unabhängigkeit dieser Sammlung aus. L i t e r a t u r . G.BUCHWALD, Dt. Heiligenpredigten nach der Art des 'Schwarzwälder Predigers', Mitt. d. Dt. Ges. z. Erforschung Vaterland. Sprache u. Altertümer in Leipzig 11, H. l (1913) 52-111, H. 2 (1915) 7-55; G.STAMM, Stud. z. 'Schwarzwälder Prediger' (Medium Aevum 18), 1969, S.32-36; W.WILLIAMSKRAPP, Das Gesamtwerk d. sog. 'Schwarzwälder Predigers', ZfdA 107 (1978).

WERNER WILLIAMS-KRAPP Bücklin, Conrad

Geb. um 1429 in Weil der Stadt bei Stuttgart (?), als Conradus Bücklin de Wyla Spir. dyoc. p. (pauper) 1445 an der Univ. Heidelberg immatrikukiert (Matrikel v. 1386-1682. T. l, 246). Nach eigener Angabe 1473 kaiserlicher öffentlicher Notar (IsiNG, 1966, S. 13, 206). Schreiber und Bearbeiter einer alem. Fassung der lat. Schulgrammatik -»Donats 'De octo partibus orationis ars minor' Diß ist der Donat jm latin Vnd die Vsslegung von wort zu wort Ouch der sinjntütschetn (Heidelberg, cpg 487, -65 ).

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'Die Buhlschaft auf dem Baume' (A und B)

Der lat. Text des Donat ist durch dt. Kontextglossen und eine freie dt. Übersetzung (der sin jn tütschem) erklärt. Diese ist der älteste Versuch, den Text einer Schulgrammatik zusammenhängend in dt. Sprache wiederzugeben. Die dt. Paradigmen bilden die Vorstufe für die Grammatik der dt. Sprache. L i t e r a t u r . Ausg.: E. ISING, Die Anfänge d. volkssprachl. Grammatik in Deutschland u. Böhmen 1,1966, S. 24-206 (zit.). - Vgl. ebd., S. 12-14; dies., Die Herausbildung d. Grammatik d. Volkssprachen in Mittelu. Osteuropa, 1970, S.42f. u.ö.

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gen, von Gott belehrt, daß man keine böse mer verbreiten und auch dem sunder vil vertragen soll. Z.T. mit den geistlichen Zügen, z.T. ohne sie findet sich der Stoff in den Werken vieler Autoren des europäischen MAs (u.a. bei Boccaccio, Chaucer, -> Stainhöwel); als mündliches Erzählgut ist er auch im Orient oft bezeugt. Seine Geschichte und die Stellung der mhd. Version sind bisher nicht untersucht worden.

Buderick, Arnold -»'Theoria metrica'

L i t e r a t u r . W.W. SKEAT (Hg.), The Complete Works of Geoffrey Chaucer HI, Oxford 21900, S.458462; W.F. BRYAN/G. DEMPSTER, Sources and Analogues of Chaucer's Canterbury Tales, New York '1958, S. 341-356. JÜRGEN MEIER

Bühel, Büheler ->· Hans von Bühel

'Die Buhlschaft auf dem Baume B' (mnd.)

CHRISTINE STÖLLINGER

Buhler -> Fuß der Buhler 'Von der Buhlschaft' (I und II) plütsche Fastnachtspiele'

'Rosen-

'Die Buhlschaft auf dem Baume A' (mhd.) Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 713, 57r-63'. A u s g a b e n . KELLER, Erz., S. 298-305; F. HOLTHAUSEN, Engl. Stud. 43 (1910/11) 170-175; FISCHER, Märendicht., S. 485-492 (zit.). - Nhd. Übertragung: H. FISCHER, Schwankerzählungen d. dt. MAs, 1967, S. 174-178.

Das 256 Verse umfassende Gedicht ist im Grenzbereich zwischen Märe und geistlicher Erzählung anzusiedeln. Schwankhaftes überwiegt im ersten Teil (bis v. 133): unter dem Vorwand, Äpfel zu schütteln, betrügt eine Frau ihren blinden Mann, der sie eifersüchtig bewacht, mit einem Scholaren auf einem Baum. Zeugen dieser Szene werden - und damit gerät das Gedicht in die Nähe der Legende - Gott und Petrus, die auf der Erde wandeln. Zweimal versucht der hitzige Petrus, den Betrug aufzudecken, indem er Gott veranlaßt, dem Blinden das Augenlicht zurückzugeben, und indem er selbst Anklage erhebt: jedesmal aber weiß sich die Frau durch neue Täuschung gegeschickt zu rechtfertigen. Mit den legendenhaften Zügen gewinnt das Gedicht didaktische Dimensionen: Petrus wird über seine Erkenntnis hinaus, daß eine Frau immer Wege findet, ihren Mann zu betrü-

Ü b e r l i e f e r u n g . Stockholm, Kgl. Bibl., Ms. Vu 73 (früher Vitterhet Tysk Nr. 29), 94va-94vb; 15. Jh., aus Mittelpommern, wahrscheinlich Stettin. Die große Raumnot des Schreibers deutet darauf hin, daß das Ged. unter Nutzung einer leeren Seite nachträglich in die Hs. gelangt ist. Durch Beschädigung des Blattes sind die vv. 1-15, 70 u. 73 frgm. überliefert. A u s g a b e n . G . W . DASENT, Theophilus in Icelandic, Low German and other Tongues, London 1845, S. XXVI-XXVIII; K. GOEDEKE, Dt. Dicht, im , 12. Buch (Nd. Dicht, im MA), bearb. v. H. OESTERLEY, 1871, S. 38f.; W.F. BRYAN/G. DEMPSTER, Sources and Analogues of Chaucer's Canterbury Tales, New York 2 1958, S. 347-350; FISCHER, Märendicht., S. 493-495 (zit.).

Der Motivbestand des aus 74 vv. bestehenden Gedichts deckt sich weitgehend mit dem der mhd. Version, aber die unterschiedliche Gestaltung der Motive schließt eine direkte Beziehung zwischen beiden Texten aus. Der Verfasser hat die Handlung wortkarg, gleichwohl stringent und zielstrebig auf die Überlistung des mit Gottes und Petrus' Hilfe sehend gewordenen Ehemannes hin angelegt und dabei auf lehrhafte Auslegung gänzlich verzichtet. Der in der mhd. Fassung belegte Versuch des Petrus, den Betrugdurch eine Anklage aufzudecken, fehlt aus inneren Gründen, er ist nicht, wie man angenommen hat, bei der Überlieferung verlorengegangen. Auch andere Versionen kennen nur das einmalige Eingreifen der überirdischen Macht. (Zu Verbreitung und Geschichte des Stoffes -> 'Die Buhlschaft auf dem Baume A'.)

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Bulach, Hans, von Rottweil - Buman, Heinrich

L i t e r a t u r . FISCHER, Märendicht., S. 557f. Im übrigen -»'Die Buhlschaft auf dem Baume A'.

JÜRGEN MEIER 'Daß Buhlschaft nicht Sünde sei' ->'Die Beichte einer Frau' Bulach, Hans, von Rottweil Rezept, Kirßwin ze machen secundum Bulach in Rottweil, in Donaueschingen, cod. 792 (2. Hälfte 15. Jh., niederalem.). Eis hält den 1401,1422 und 1423 erwähnten Johann der Bulach, bzw. Hans B. für den Verfasser des Rezepts, wobei es sich auch um zwei verschiedene Personen handeln könnte. Johann der B. war wahrscheinlich kein Arzt, sondern Jurist, doch setzt das Rezept keineswegs einen medizinischen Fachmann als Verfasser voraus, da es sich um die Bereitung eines Haustrunkes handelt, wie er bei den Bürgern im MA wohl üblich war. Die Hs. enthält nach Eis' Nomenklatur ein 'Buch vom Menschen, Tier und Garten'. L i t e r a t u r dazu bei G. Eis, Altdt. Zaubersprüche, 1962, S. 83; G. HOFFMEISTER, Fischer- u. Tauchertexte vom Bodensee. Fachlit. d. MAs, Fs. f. G. Eis, 1968, S. 261-275. - Zu Bulach: Eis, Zu H.B. von R., Med. Mschr. 23 (1969) 502f. (mit Textabdruck u. Lit.).

P. RAINER RUDOLF SDS Buman(n), Heinrich 1. Leben. Als biographische Quellen sind bisher nur wenige Urkunden in den Archives de la Ville de Mulhouse bekannt, s. M. BARTH, Archives de PEglise d'Alsace 28, 1961, Sp.631. Da die kirchlichen Urkunden Mülhausens/Els. noch nicht veröffentlicht sind (s. M. STEINMANN, Bulletin du musee histor. de Mulhouse 80, 1972, S. 77), dürften die Mülhäuser Quellen noch nicht voll ausgeschöpft sein. Am 29.10.1478 durch den Basler Generalvikar Burkard Hanffstengel als Nachfolger des verst. Mathias Seeman zum Kaplan der Mülhäuser Michaelskapelle aus der Diözese Freising berufen, ist H. B. noch 1488 in Mülhausen nachweisbar, als er auf die Mülhäuser Pfründe verzichtete und Leutpriester in Illzach bei Mülhausen im Tausch mit Georg Schüttmus aus der Diözese Konstanz wurde.

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Geburts- und Todesjahr B.s sind unbekannt. Die in Mülhausen schon 1522 einsetzende Reformation hat er sicherlich nicht mehr erlebt. Die bisher bekannten Urkunden verzeichnen G. GIDE in: Le vieux Mulhouse l, 1895, S. 170 u. 198f., B. PosT/E. BENNER, Verzeichnis u. Inhaltsangabe d. Beständed. Stadt-Arch.s v. Mülhausen i.E. 1910,S. 141, Nr. 2215, 153, Nr. 2434f., 154, Nr. 2445 u. 156, Nr. 2488 f. u. G. WAGNER, Rev. cathol. d'Alsace (1926) 719.

2. We r k. H. B. ist der mutmaßliche Verfasser der von K. RUH entdeckten, beschriebenen und gerühmten anonymen obd. Übertragung und Auslegung des 'Lignum Vitae'-Gedichts und -Traktats -»Bonaventuras (2.A.c). Ü b e r l i e f e r u n g , s. RUH, Franzisk. Schrifttum I 287 (4 Hss.). Der Name Buman(n)s erscheint nur in dem von RUH nicht berücksichtigten cod. Karlsruhe, LB, Wonnental 14, Pap., um 1500, alem.-lat. Zisterzienserinnenandachtsbuch, geschrieben von einer Nonne Magdalena, 176r-226v (versickel ... vß den bredtgen über bonauentura, die do bet gethon der ersame herr herr(\) heirich (!) human 192').

Für den Mülhäuser H.B. als Verfasser spricht die späte Überlieferung sämtlicher Hss. und der elsässische Dialekt. B. könnte seine Bonaventuraexegese ursprünglich den Mülhäuser Klarissen gepredigt und hierauf in literarischer Form ausgearbeitet haben (vgl. P.-G. VÖLKER, Die Überlieferungsformen mal. dt. Predigten, ZfdA 92 [1963] 225). Sie ragt ebenso durch die meisterhafte Verdeutschung der lat. Prosa Bonaventuras hervor, der bereits als heiliger engelischer lerer erscheint (Kanonisation erst 1482!) wie durch die gründliche und gemeinverständliche dogmatische Auslegung der Kreuzesallegorie. B. kannte und zitierte neben den Kirchenvätern und den franziskanischen Scholastikern auch die meister Thomas von Aquin und Johannes Gerson. Er bestätigt, daß die dt. Bonaventurarenaissance kein ausschließendes Privileg der Franziskaner gewesen war. Die Absicht B.s war es, daz gantz fundament alles vnseres christenliches globens nach Bonaventura zu bieten, er tat dies mit bemerkenswerter Eigenständigkeit. B.s 'Lignum-Vitae'- Paraphrase verdient nicht nur eine nähere Untersuchung, sondern im Anschluß an RUHS Textprobe eine vollständige Ausgabe, wobei die Wonnen-

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Burchard von Mangelfelt - Burchard von Straßburg

taler Hs., die von 49 Kap. nur die c. 14-37 ohne die c. 16, 31, 33 und 35f. bietet, z.T. nur mit der dt. Wiedergabe der Prosa Bonaventuras ohne den ausführlichen dt. Predigtkommentar, in das von RUH aufgestellte Stemrna einzuordnen wäre. L i t e r a t u r . RUH, Bonav. dt., S. 163-170 [Überl. u. Würdigung]; ders., Franzisk. Schrifttum I 287-298 [Textprobe]; TH. LAENGFN, Dt. Hss. (LB Karlsruhe), Neudr. 1974, S. 107 u. 202f.

KURT HANNEMANN Burchard Purchard

A u s g a b e (lat.). J.C.M. LAURENT, Peregrinationes medii aevi quatuor, 1864, S. 1-100;21873, S. 19-94; W. A. NEUMANN, B. de M.S., 1880; dt. unediert.

Die hsl. überlieferte Fassung stimmt nicht mit den im 16. Jh. mehrfach gedruckten Übersetzungen ('Die neue Welt der Landschaften und Insuln', hg. v. Michel Herr, Straßburg 1534; 'Reyssbuch des hl. Landes', hg. v. Sigmund Feyerabend, Frankfurt/M. 1584 u. ö) überein. L i t e r a t u r . RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S.60 Nr. 1283; KAEPPELI, Scriptores, S. 257-260.

auch Borchardus; Burkhard(t);

Burchard von St. Johannis in Thurtal -* Berchtold von Engelberg Burchard von Mangelfeit Die Glosse zu Art. X des Magdeburger Weichbildrechts (-> 'Magdeburger Rechtsbücher') nennt B. v. M. professor theologiae und doctor decretorum unde legum, der im Auftrag Kaiser Ottos H. (sie!) im Gefängnis neben der Weichbildglosse auch eine Sachsenspiegelglosse verfaßt habe. Bisher sind keine weiteren Belege zur Person B.s und für einen echten Kern dieser Nachricht bekanntgeworden. L i t e r a t u r . A. v. DANIELS/F. v. GRUBEN, Das sächs. Weichbildrecht. Jus municipale saxonicum I, 1858, S. 227; O. STOBBE, Gesch. d. dt. Rechtsquellen I, 1860, S. 411; HOMEYER, Rechtsbücher, S. *54.

PETER JOHANEK Burchardus de Monte Sion Dominikaner, wohl aus Barby bei Magdeburg. Er bereiste und beschrieb um 1283 Palästina, Syrien und weitere Länder des vorderen Orients. 1285 war er bei der Gesandtschaft Rudolfs I. am Hof des ägyptischen Sultans. Seine lat. Reisebeschreibung 'Descriptio terrae sanctae' war als instruktiver Pilgerführer im MA sehr beliebt (ca. 93 lat. Hss.) und wurde im 15. Jh. in verschiedene Volkssprachen, auch ins Dt. übersetzt. Ü b e r l i e f e r u n g (dt.). München, cgm 317; Wien, cod. 4578; Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 1056; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 33. 24. Aug. 4°.

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KARIN SCHNEIDER Burchard von Reichenau -»Purchard von R. Burchard von Straßburg 1. Burchard, unterschieden seit SCHEFFER-BoiCHORSTs Untersuchung von dem 1161/2 begegnenden gleichnamigen Notar und Kapellan Friedrich Barbarossas, ist zwischen 1175 und 1194 mehrfach als Vicedominus des Straßburger Bischofs bezeugt. 1175 unternahm er im Auftrage Barbarossas eine Reise zu Sultan Saladin, über die er einen Bericht abfaßte. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . B.s Bericht ist aus der 'Chromca' (VII 8) -> Arnolds von Lübeck (MGH SS XXI 235-241) bekannt, liegt aber auch in gesonderter Überlieferung vor: Wien, cod. 362, f.36r-38", 14. Jh.; Rom, Bibl. Vaticana,cod. Vat. lat. 1058, f.!08r-112r, 13.Jh.; München, ÜB, von LEHMANN 1938 entdeckte Fragmente (s.u. Ausgaben), 1944 verbrannt. In der Vatikanischen Hs. und in den Münchener Fragmenten ist B.s Bericht mit dem 'Liber locorum sanctorum Jerusalem' des Fretellus (PL 155, Sp. 1039-1052) zu einer 'Cronica Brocardi' kompiliert. LEHMANN, S. 70, meinte daher in der Wiener Hs. den Originalbericht' B.s repräsentiert zu finden, überschätzte aber, wie DEVOS, S.260f., nach eingehendem Vergleich der Überlieferungen feststellte, zumindest ihre Textqualität. A u s g a b e n . LEHMANN, S.63-69, nach den durch die Wiener und die Vatikanische Hs. ergänzten Fragmenten; DEVOS, S. 263-268, Teilausg. (Legende von Saidna'ia) nach der Wiener Hs. Der von I.C.M. LAURENT im Serapeum 19 (1858) 147-154 veröffentlichte Burchard-Bericht ist nur ein allerdings reichlich überlieferter Auszug, den ein Unbekannter unter Benutzung des 'Iter ad terram sanctam' des Magister —»Thetmar im 14.Jh. hergestellt hat.

3. B. verfolgt mit seinem Bericht, der über die politisch-diplomatischen Umstände sei-

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Burchard von Ursberg

ner Gesandtschaft gänzlich schweigt, ein geographisches und ethnographisches Interesse. Die Beobachtungen und Eindrücke, die er versammelt, immer auf die Mitteilung des Fremden und Seltenen bedacht, betreffen zu weit mehr als der Hälfte des Textes Ägypten, dann Syrien. Die Darstellung, durchweg nüchtern verzeichnenden Stils, verweilt schildernd vornehmlich dort, wo den Verfasser Marienlegende (Balsamgarten und Palmbaum bei Kairo) und Marienwunder (Ölspendendes Marienbild von Saidna'ia) reizen. Was im einzelnen Autopsie, was Hörensagen und nachträgliche Quellen beitrugen, bedürfte noch der Untersuchung. Wie eng bei B. die Grenzen einer breiteren geographischen Orientierung gesteckt waren, zeigt die Tatsache, daß er zwischen Nil und Euphrat nicht zu unterscheiden vermag. L i t e r a t u r . P.ScHEFFER-BoiCHORST, Der kaiserliche Notar u. der Straßburger Vitztum Burchard, ZGO N.F. 4 (1889) 456-477; P. LEHMANN/O. GLAUMING, Mal. Handschriftenbruchstücke der ÜB u. des Georgianum zu München (ZfB, Beih. 72), 1940, S. 61-73; P.DEVOS, Les premieres versions occidentales de la legende de Saidnaia, Anal. Boll. 65 (1947) 243-278, hier S. 259-272; Rep. font. II 607f. (ohne Unterscheidung der beiden Burcharde). F.J.WORSTBROCK

Burchard von Ursberg 1. B., seit 1215 Propst des Prämonstratenserstifts Ursberg, ist der Verfasser einer der wichtigsten Weltchroniken der Stauferzeit. Nachrichten über sein Leben entnimmt man vor allem seinem eigenen Werk. Spätestens 1177 in Biberach geboren, weilte er 1198 während eines Italienaufenthalts am päpstlichen Hof in Rom, wo er nachhaltige zeitgeschichtliche Eindrücke in sich aufnahm. Nachdem er 1202 die Priesterweihe empfangen hatte, trat er 1205 in das PrämonstratenserstiftSchussenried ein, zu dessenPropst er 1209 gewählt wurde. Genaue Kenntnisse der päpstlichen Kanzlei, die sich auf einer erneuten Romreise 1210/11 zeigten, waren wohl der Anlaß, ihn 1215 zum Propst von Ursberg zu berufen. Dort starb er an einem 31. Januar nicht vor 1231. Als Autor des 'Chronicon' wurde B. erst 1771 von LIENHARDT nachgewiesen; seit

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dem 16. Jh. hatte es als Werk seines unmittelbaren Nachfolgers -»Konrad von Lichtenau gegolten. 2. ' C h r o n i c o n ' Ü b e r l i e f e r u n g . Wie aus früher unbeachteten Ordensquellen jetzt feststeht, fiel die Originalhs. des 'Chronicon' einem der Klosterbrände 1525 oder 1632 (eher dem ersteren) zum Opfer (vgl. BACKMUND, S. 27 f.). Einzige vollst. Hs.: München, clm 4351,15./16. Jh., aus dem Besitz K. Peutingers. Unvollst. Hss.: Petronell (Niederösterr.), Gräfl. Traunsches Schloßarch., cod. 3, 15. Jh.; Rom, Bibl. Vaticana, cod. Vat. lat. 9522 (dazu P. BREZZI, in: Quellen u. Forschungen aus ital. Arch.n u. Bibl.n 34 [1954] 288-292). A u s g a b e n . O. HOLDER-EGGER/B. v. SiMSON/H. BRESSLAU, MGH SS rer. Germ. XVI, 1916 (Vorrede und Darstellung von 1126 an). Zu den älteren Ausg.n vgl. ebd., S. XXXIV-XXXVIII. Der mit 'Historia Friderici imperatoris' überschriebene Abschnitt des 'Chronicon' (s. Ausg., S. 22) wurde im 15. Jh. von einem Unbekannten verdeutscht: Dresden, Sachs. LB, cod. H. 171; dazu HERSCHEL, Serapeum 15 (1854) 58-60.

Das 1229 begonnene 'Chronicon' bricht schon bei den Ereignissen des Jahres 1230 plötzlich ab. Es stützt sich bis zum Tode Heinrichs V. auf die Weltchronik -> Ekkehards von Aura (Rez. IV); nach zahlreichen Exzerpten aus der Chronik -»Ottos von Freising folgen Auszüge aus verschiedenen schwäbischen Annalenwerken u.a. Die Quellenfrage für die Darstellung der Geschichte Friedrich Barbarossas bedarf noch weiterer Klärung (WATTENBACH/SCHMALE, S. 117f.). Aus eigenem Wissen berichtet B. über die Zeit von etwa 1190 an. B.s Werk, das sich seiner Anlage nach an Vorbilder der historiographischen Tradition hält, gehört zu den ergiebigsten Quellen der Geschichte seiner Zeit. Es ist freilich durch eine entschiedene Parteinahme für das staufische Kaisertum geprägt, macht sich zum Anwalt Philipps von Schwaben und vor allem Friedrichs II. gegen ihre päpstlichen Kontrahenten. Grundsätzlich verwirft B. den Anspruch der Kurie, über die Absetzung des Königs zu bestimmen; dieser unterstehe allein dem Urteil Gottes, der in der Frage des Herrschers durch die Fürsten und das Volk spreche. B.s politische Grundhaltung spiegelt sich noch in der Art der späteren Rezeption des 'Chronicon'. Während die Reformatoren des 16. Jh.s es priesen, ging

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Burchard von Walldorf - Burchard von Worms

man aus gegenreformatorischer Tendenz so weit, eine neue 'gereinigte' Abschrift des 'Chronicon' zu verfertigen, da 'ungläubige Menschen die Chronik später mit Fehlern durchsetzt hätten' (LiENHARDT, S. 364; AASS Jun. 1897).

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Hessen, möglicherweise der Familie Reichenbach-Ziegenhain, geboren und in Koblenz an einer der dortigen Stiftskirchen, vielleicht in St.Florin, erzogen; danach begab er sich aus Studiengründen an verschiedene Orte, von denen keiner mit Sicherheit auszumachen ist; unsicher bleibt auch der L i t e r a t u r . G. LIENHARDT,Spiritus Literarius Norbertinus, Augsburg 1771, S. 111-135 u. 357-372; W. immer wieder behauptete Aufenthalt in der v. GIESEBRECHT, Krit. Bemerkungen z. Ursberger Diözese Lüttich (Kloster Lobbes oder gar Chron., MSB l, 1881, S. 201-239; W. GRONAU, Die Lütticher Kanonikat). Um 993 wurde er von Ursberger Chron. u. ihr Verf., 1890; TH. LINDNER, Erzbischof Willigis nach Mainz geholt, dort Zum Chronicon Urspergense, NA 16 (1891) 117-134; zum suae camerae magistrum et dvitatis HOLDER-EGGER/SlMSON,AuSg.(s.O.),S.VII-XXXVIII; primatem ernannt und schließlich zum R. HOLTZMANN, Das Carmen de Friderico Imperatore Propst von St. Viktor erhoben. Um 995 wird aus Bergamo u. d. Anfänge einer stauf. Historiographie, NA 44 (1922) 430-489; Rep. font. II 609f.; N. BACK- er Mitglied der königlichen Hofkapelle, und MUND, Die mal. Geschichtsschreiber des Präm. Ordens, zu Beginn des Jahres 1000 erhält er durch 1972, S. 8-33; WATTENBACH/SCHMALE, Geschichts- Kaiser Otto III. (983 bis 1002) das Bistum quellen I 115-119. NORBERT BACKMUND Worms, das er bis zu seinem Tod am 20.8.1025 mit Tatkraft und ausgeprägtem bischöflichen Standesbewußtsein verBurchard von Walldorf waltete. Cod.20 der Straßburger ÜB, der 1455 B. gehörte fraglos zu den hervorragenden vom Zisterziensermönch Sy[lvester] in Bischöfen seiner Zeit. Die Reichspolitik vor Maulbronn angelegt wurde, überliefert auf allem Heinrichs II. (1002-1024) hat er mitBl. 79" ein kurzes 'Documentum contra getragen: an dessen zweitem Italienzug pestilentiam', das landessprachigen Pest- von 1013/14 war er beteiligt, und auf wichschriften des 14. Jh.s verpflichtet ist und - tigen Nationalsynoden wie denen von Dienicht ganz fehlerfrei - ein Aderlaßschema denhofen 1003, Dortmund 1005 und insbeaus dem 'Sendbrief'-Anhang kopiert. Der sondere Frankfurt 1007 (Gründung des Verfasser kompiliert gewandt, schreibt ein Bistums Bamberg) war er anwesend. Zahlam dt. Substrat orientiertes Latein und wird reiche Schenkungen Heinrichs II. an die als magister Burgharäus bone memorie vor- Wormser Kirche unterstreichen diese Rolle gestellt. Wahrscheinlich ist er mit Magister B.s. Der spätere König Konrad II. (1024 Burkhard de Waltorf, sacerdos et phisicus bis 1039) wurde am bischöflichen Hof in identisch, der 1408 starb und als Wohltäter Worms erzogen. Andererseits wird man des Konvents (hujus cenobii fidelis amicus) B.s Anteil an der damaligen Reichspolitik im Kreuzgang des Maulbronner Klosters nicht zu hoch veranschlagen dürfen; denn beigesetzt wurde. sein eigentliches Handeln galt der Kirche Ausgabe. E. WICKERSHEIMER, Recettes centre la und der Stadt Worms. Dort hat er nicht nur peste, extraites d'un manuscrit du XVe siecle, ayant eine rege Bautätigkeit (Neubau des Domes appartenu a l'abbaye de Maulbronn, Janus 30 (1926) St. Peter und Errichtung der Stiftskirchen 1-7, hierS.5f. St. Paul, St. Andreas und St. Martin) entL i t e r a t u r . E. PAULUS, Die Cisterzienser-Abtei 2 wickelt und eine neue innerstädtische PfarrMaulbronn, 1882, S.81 f.; E. WICKERSHEIMER, La e organisation geschaffen, sondern vor allem medecine chez les Cisterciens de Maulbronn au XV die verfassungsmäßigen Grundlagen der siecle, Janus 30 (1926) 79-85, hier S.79. Stadt weiter gesichert. Die Wormser Kirche, bereits in fränkischer Zeit mit dem ImmuniBurchard von Wengen • Der von Wengen tätsprivileg und mit fiskalischen Nutzungsrechten ausgestattet, hatte durch Otto II. Burchard von Worms 979 (MGH DO II 199) intra urbem vel in I. Leben. B. wurde um das Jahr 965 als suburbia die gräfliche Gerichtsbarkeit erAngehöriger eines gräflichen Geschlechts in worben. B. konnte diese Entwicklung ab-

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Burchard von Worms

schließen, als er 1002 für die Wormser Kirche durch Heinrich II. (MGH DH II 20) die Salierburg im Rheinviertel der Stadt und alle sonstigen Besitzungen und Rechte des Herzogs Otto von Kärnten intra eandem civitatem hoc est Wormatiam erhielt und 1014 bei demselben Herrscher (MGH DH II 319) eine genaue Abgrenzung der vogteilichen und gräflichen Gerichtsbarkeit für die bischöfliche Grundherrschaft, vor allem außerhalbder Wormser Gesamtgemarkung, erreichte. Sein Hauptverdienst für Kirche und Stadt liegt aber in den beiden, auf ihn zurückgehenden Rechtswerken, dem kirchenrechtlichen 'Decretum Burchardi' und der hofrechtlichen 'Lex familiae Wormatiensis ecclesiae'. Die meisten Nachrichten über B.s Leben verdanken wir der wahrscheinlich vom Wormser Domscholaster —> Ebbo verfaßten 'Vita Burchardi' (hg. v. H. Boos, Quellen z. Gesch. d. Stadt Worms 3,1893, S. 99-126), deren Wert allerdings umstritten ist. II. Werke. 1. 'Decretum B u r c h a r d i ' Ü b e r l i e f e r u n g . Das wahrscheinlich zwischen 1008 und 1012, sicherlich aber vor 1023 entstandene und unter verschiedenen Titeln ('Decretum', 'Collectarium' oder 'Brocardus') überlieferte Dekret hat im 11. und 12. Jh. in ganz Westeuropa große Verbreitung erfahren, von der heute noch etwa 80 Hss. (nicht einbezogen die eigenständige Überlieferung des 19.Dekretbuches) zeugen, die aber im 13. Jh. abrupt aufhört und auch durch keine neuzeitliche Kopie verlängert worden ist. Die frühe Überlieferung erstreckt sich auf Deutschland (Bamberg, Konstanz, Eichstätt, Mainz, St.Gallen, Freising [?], Hildesheim [?], Lüttich [?]), Italien (Nonantola, Parma, Novara [?], Montecassino) und Frankreich (St. Omer). An die heute wohl verlorene Urschrift reichen zeitlich die Dekrethss. bzw. -auszüge des cod. Bamberg, SB, Can. 6 (P.1.5), der codd. Vat. Pal. lat. 585/6 und der Wolfenbütteler Hs. Heimst. 32 nahe heran. Die italienische Dekretrezeption setzt zwar schon vor der gregorianischen Reform ein, ihre Breitenwirkung erfolgt jedoch erst mit der Reformzeit; dabei dürfte es allerdings kaum zu jener reformerischen Umarbeitung des Dekretes gekommen sein, die man auf Humbert von Silva Candida zurückgeführt und in den Dekrettexten des vielleicht aus Mittelitalien stammenden cod. Vat. lat. 3809 und des wohl nach Chur gehörenden clm 4570 zu fassen gemeint hat. Aufgabe der Erforschung der Dekrethss. ist es, aufgrund von Kollationierungen und den dabei gewonne-

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nen diakritischen Varianten die heute bekannte Dekrettradition in einzelne Überlieferungsgruppen zusammenzufassen und auf diese Weise eine kritische Teil- oder Gesamtausgabe des Dekretes vorzubereiten bzw. durch eine sachlich gerechtfertigte Hss.-auswahl die kritische Benutzung einzelner Dekretpartien zu erleichtern. Ebenso wichtig ist es, die zahlreichen Kurzformen des Dekretes näher zu analysieren, um so die Art der Dekretbenutzung zu erfahren. A u s g a b e n . Erstausg. Köln 1548, nach ihr die Ausg.n Köln 1560 und vor allem Paris 1549/50, die dem Text in PL 140, Sp. 537-1058, zugrunde liegt. Wichtigster Unterschied zwischen der gedruckten und der hsl. Fassung des Dekretes ist die unterschiedliche Form des Prologes, die in den Dekretdrucken auf den Humanisten Bartold von Questenburgh zurückgehen dürfte und in der hsl. überlieferten und wohl authentischen Fassung von den Ballerini (abgedruckt in PL 140, Sp. 499C-502C) ediert wurde.

Das in 20 Bücher eingeteilte und Fragen der kirchlichen Hierarchie, des sakramentalen Lebens und des Bußwesens behandelnde Dekret war nicht allein B.s Werk. Angeregt wurde es nach Aussage des Prologs durch den Propst des Wormser Domkapitels Brunicho, den die 'Vita Burchardi' neben Bischof Walter von Speyer auch als Helfer bei der Abfassung bezeichnet. Folgt man -»•Sigebert von Gembloux, dann hat auf Vermittlung Bischof Balderichs II. von Lüttich auch -> Olbert, Mönch in Lobbes und späterer Abt von Gembloux, am Dekret mitgearbeitet. Aufgrund dieser mutmaßlichen Mitarbeit ist das Dekret häufig in die Reformtradition einer spezifischen Lütticher oder lothringischen Rechtsschule gestellt worden, was jedoch keineswegs als gesichert gelten kann. Über seine Vorlagen gibt B. in seinem Prolog Auskunft: ex ipso enim nucleo canonum, quod a quibusdam Corpus canonum vocatur habe er unter dem Gesichtspunkt der Zeitnotwendigkeit Texte der Bibel, Apostel, Kirchenväter, Konzilien, Päpste und Bußbücher exzerpiert. Es ist wahrscheinlich falsch, hinter den Bezeichnungen nucleus canonum und corpus canonum eine der von B. tatsächlich benutzten großen Kanonessammlungen, etwa die 'Dionysio-Hadriana', die pseudoisidorischen Dekretalen, —»Regino von Prüm oder die 'Collectio Anselmo dedicata', zu vermuten. Am ehesten handelt es sich hier um eine

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Burchard von Worms

Sammelbezeichnung, vielleicht für den Kanonesbestand der Wormser Kathedralkirche. In der Forschung ist man quellenanalytisch weit vorangekommen: Die meisten Texte von den insgesamt 1785 Dekretkapiteln sind trotz der zahlreichen falschen Inskriptionen B.s identifiziert und fast alle der von B. herangezogenen Kanonessammlungen bekannt, manche sogar in der genauen, von ihm exzerpierten Überlieferungsform. So konnte festgestellt werden, daß B. beim Sendhandbuch Reginos von Prüm, aus dem er nahezu ein Drittel seiner Dekretkapitel übernahm, eine Fassung benutzte, die der Wiener Reginohs., dem cod. Vind. Palat. 694 inter theol. 79, s. XII, sehr nahe kommt. Ähnliches kann für das pseudoisidorische Corpus gesagt werden, für das er eine bestimmte Form der Lang- wie auch Kur/version heranzog.

Über die Tendenz des Dekretes sind die unterschiedlichsten Auffassungen formuliert worden: Die einen sehen in B. den Vertreter eines papstgünstigen und königsfeindlichen Rechtes, andere vermuten eine episkopale Absicht, und eine dritte Gruppe stellt das Dekret als ein frühes, noch zurückhaltend formuliertes Zeugnis des kirchlichen Freiheitsgedankens hin; zahlreiche Forscher versuchen schließlich B. jede kirchenpolitische Tendenz abzusprechen und lediglich in einer stärkeren Straffung und Ordnung des Rechtsstoffes, in der größeren Rechtssicherheit und vielleicht noch in der Anpassung an die eigene Zeit, aber eben nicht in einer Rechtsneubildung seine Absicht zu erkennen. Eines dürfte sicher sein: B. war weder ein Befürworter eines ausgeprägten Konservativismus (Betonung der königlichen Kirchenhoheit) noch ein Vorläufer gregorianischer Positionen (breite Herausstellung des päpstlichen Primates); das Dekret scheint eher das Werk eines 'conservateur modere' (FouRNiER.) bzw. eines vorsichtigen Reformers zu sein. Den Einfluß des Dekretes zeigt deutlich seine schnelle und weite hsl. Verbreitung. Ihn belegen aber auch verschiedene Zeugnisse direkter Benutzung; so findet man Textanalogien bereits in den Kanones von Seligenstadt 1023 oder kürzere Auszüge in einer Urkunde Konrads II. 1025 (MGH DK II41) bzw. in zwei Freisinger Pontifikalbüchern (München, clm 6245 und 21587) aus dem frühen 11. Jh. Ähnlich früh ist der Dekreteinfluß in Italien: Schon Petrus Da-

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miani benutzte das 'Decretum Burchardi', vielleicht auch Humbert von Silva Candida, und später haben es die Kardinale Deusdedit und Atto für ihre Kanonessammlungen herangezogen. Überhaupt liegt die entscheidende Bedeutung in der Vermittlung zahlreichen kirchenrechtlichen Materials an die Kanonisten des 11.712. Jh.s, so vor allem an Ivo von Chartres und durch diesen an Gratian. Der Grund für diese erstaunliche Rezeption dürfte in der Reichhaltigkeit des kirchlichen Rechtsstoffes, seiner systematischen Ordnung und damit in der leichten Benutzbarkeit des Dekretes, vor allem auf Synoden, zu finden sein. 2. 'Lex f a m i l i a e W o r m a t i e n s i s ecclesiae'. Das ohne Titel und lediglich kopial überlieferte Hofrecht von 1023/25 (hg. v. L. WEILAND, MGH Const. 1639-644) stellt in wenig geordneter Form 32 Rechtsbestimmungen zusammen, die im Rechtsleben der bischöflichen Grundherrschaft fraglich geworden waren. Sie beziehen sich auf Fragen des Besitzrechtes, des ehelichen Güterrechtes sowie der Ehelegitimation und schließlich auf strafrechtliche Aspekte. Neben zahlreichen hofrechtlichen Bestimmungen finden sich auch einige landrechtliche Anordnungen. Neben einer Unterscheidung nach 'societates' läßt das Hofrecht eine bestimmte soziale Gliederung der vom Bischof abhängigen Personen erkennen: Auf der untersten Stufe stehen die aus unfreier Herkunft stammenden Dagewarden; dann folgen die ursprünglich freien und in den Hofdienst getretenen Fiskalinen. Eine besondere Stellung innerhalb der bischöflichen Familia (eigener Gerichtsstand) nehmen die Dienstleute des Bischofs (ministerielles, servitores) ein, die zu besonderen Aufgaben des Bischofs herangezogen wurden. L i t e r a t u r . Zu Leben u. Umwelt B.s: A. BRACKMANN, Germania Pontificia III 3, 1935, S. 140-143; G. THEUERKAUF, B. v. W. u. d. Rechtskunde seiner Zeit, Frühmal. Stud. 2 (1968) 151 f. Anm. 35; F. MERZBACHER, in: Handwörterbuch z. dt. Rechtsgesch. I, 1971, S. 541-543; U. BUBENHEIMER, Der Aufenthalt B.s v. W. im Kloster Lobbes als Erfindung d. J. Trithemius, ZRG Kan. Abt. 58 (1972) 320-337; K. KROESCHELL, Dt. Rechtsgesch. 1,1972, S. 123-136. -H. Boos, Gesch. d. rhein. Städtekultur I, 1897, S.235-309;

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'Burenbedregerie'

H. BÜTTNER, Zur Stadtgesch. v. Worms in Früh- u. HochMA, in: Aus Gesch. u. Landeskunde, Fs. F. Steinbach, 1960, S. 389-401. Zum 'Decretum': Bibliographie bis 1959 Rep.font. II610. M. KERNER, Stud. z. Dekret d. Bischofs B. v. W., Diss. Aachen 1971; G. FRANSEN, Les Collections canoniques, in: Typologie des soutces du Moyen Age Occidental, Fase. 10, 1973; H. FUHRMANN, Einfluß u. Verbreitung d. ps. isidorischen Fälschungen (Schr.n d. MGH 24, 2), 1973, S. 442-485. - G. FRANSEN, La tradition manuscrite du Decret de B. de W., in: lus sacrum, Fs. K. Mörsdorf, 1969, S. 111-118; ders., Une suite de recherches sur le Decret de B. de W., Traditio 25 (1969) 514f.; ders., B. de W., Quete des manuscrits, Traditio 26 (1970) 446f.; H. MÖRDER, Hss.forschungen in Italien I: Zur Überl. d. Dekrets Bischof B.s v. W., Quellen u. Forschungen aus ital. Arch.n u. Bibl.n 51 (1971) 626-651; G. FRANSEN, Le manuscrit de B. de W. conserve a la Bibl. municipale de Montpellier, in: Recueil de memoires et travaux, Melanges R. Aubenas, 1974, S. 301-311; P. BROMMER, Unbek. Frgm.e von Kanonessammlungen im Staatsarch. Marburg, Hess. Jb. 34 (1974) 231; ders., Kurzformen d. Dekrets Bischof B.s v. W., Jb. f. westdt. Landesgesch. l (1975) 19-45. E. v. BALBERGHE, Les editions du Decret de B. de W., Recherches de Theol. ancienne et medievale 37 (1970) 5-22; G. FRANSEN, Les sources de la Preface du Decret de B. de W., Bulletin of Medieval Canon Law 3 (1973) 1-9; M. KERNER/F. KERFF/R. POKORNY/K. G. SCHON/ H. TILLS, Textidentifikation u. Provenienzanalyse im Decretum Burchardi, Studia Gratiana 20 (1976) 19-63. Zur 'Lex familiae Wormat. ecclesiae': H. G. GENGLER, Das Hofrecht d. Bischofs B. v. W., 1859; C. RoDENBERG, Die Stadt Worms u. d. Gesetze d. Bischofs B. um 1024, in: Hist. Aufsätze für K. Zeumer, 1910, S. 237 bis 246; L. DASBERG, De Lex familiae Wormatiensis ecclesiae en de herkomst van de middeleeuwse koopmann, Tijdschr. Gesch. 71 (1958) 243-249.

MAX KERNER 'Bürde der Welt' ->· Tortsch, Johannes Buren -> Gertrud von B. 'Burenbedregerie' Vollständiger Titel: Ein gantz schone Vastelauendes gedieht I rimes wise vthgelecht / worinne etliker Buren bedregerie / yeegen de Borgers klarlick vorstendiget wert. l. Ü b e r l i e f e r u n g . Lübecker Druck aus der Mitte des 16.Jh.s, J. Balhorn zugeschrieben. Einziges bekanntes Exemplar in der ÜB Tübingen, Dk XI 1609 (Sammelbd. Nd. Volksschriften aus d. 16. Jh., S. 1-4).

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A u s g a b e n . KELLER, Fsp., S.961-968; W. SEELMANN, Mnd. Fastnachtspiele (Nd. Drucke 1), 1885, S.21-29, 21931, S.71-79 (genauer Abdruck; zit.); W. STAMMLER, Mnd. Leseb., 1921, S. 127-132.

2. Das insgesamt 189 Verse umfassende Spiel ist ein Zwiegespräch zwischen zwei Bauern mit einer Vorrede und einem besl&th. Die Bauern überbieten sich in Aussagen über Betrügereien an den habgierigen und überheblichen Bürgern durch Täuschung in der Liefermenge und durch verdorbene Ware; sie suchen durch Herstellung geistlicher Verwandtschaft, d.h. Patenschaft, mit Pfarrer und Junker die Unzuchtgefahr bei ihren Frauen zu bannen, und sie tauschen Meinungen über Anzeichen für den kommenden Frühling und ein gutes Erntejahr aus. Die Vorrede weist mit Bibelzitaten darauf hin, daß Gott die Menschen ihrer Sünden wegen der Sünde anheimgegeben habe. Im Beschluß wird nach der Bitte um Gottes Gnade um Trinkgeld für die Spieler gebeten. 3. Auf eine Quelle des Spiels weist vielleicht die Reinke de Vos-Glosse von 1539, die aus einem nicht erhaltenen Gedicht von 'Frouwen Untruwen denst' zitiert, wobei wörtliche Parallelen zur 'B.' vorkommen. 4. Eine ndl. Übertragung - ohne Vorrede und Beschluß — findet sich in einem Antwerpener Druck von 1600 (Abdruck in: Nd. Schauspiele, hg. von J. BOLTE und W. SEELMANN, 1895). Eine Bearbeitung in Braunschweiger Mundart bietet ein Zwischenspiel im I.Akt einer von J.Bechmann erweiterten Fassung des Dramas 'Miles Christianus, der Christliche Ritter' von F. Dedekind (Braunschweig 1604). 5. Als Entstehungsort der 'B.' ermittelt SEELMANN (1931, S. 33) nach wortgeographischen Kriterien und nach dem Reimgebrauch eine Stadt im ostfälischen Raum nördlich und westlich vom Harz. Die Vorrede weist einen nur nordnd. möglichen Reim auf. Sie kann wegen einer Anspielung auf das nun allgemein zugängliche Bibelwort frühestens in die 1520er Jahre gehören (SEELMANN, 1931, S.32). Das Stück selbst dürfte älter sein. Nach CATHOLY, 1966, S. 71, steht es der altertümlichen Form des Reihenspiels nahe. Es zeigt jedoch mit dem Stichreim eine moderne Dialogtechnik. An-

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Burg, Heintz Huntpis - Burgundio von Pisa

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standene Märe folgt in der Holischen Hs. unmittelbar dem Märe 'Die Roßhaut' von -»Heinrich dem Teichner (Nr. 360). Wie dieses behandelt es in Zusammenhang mit L i t e r a t u r . M. RACHEL, Reimbrechung u. Dreider hoff art (v. 2) der Frauen, die als eine dem reim (Progr. d. Gymn. Freiberg), 1870, S. 13-16; SEELMANN, s.o. Ausg.; H. BRANDES (Hg.), Die jüngere sozialen Rang unangemessene Form des Glosse zum Reinke de Vos, 1891, S.XXXI-XXXIH; Auftretens in der Öffentlichkeit interpreE. CATHOLY, Das Fastnachtspiel d. SpätMAs (Hertiert wird, das Frauenzucht-Thema. maea NF 8), 1961, S. 303-305; ders., Fastnachtspiel Eine Bürgersfrau glaubt es ihrem Rang (Sammlung Metzler 56), 1966, S. 70. schuldig zu sein, stets von zwei Mägden beULF BICHEL gleitet zu werden. Als ihr Mann dies den Mägden eines Tages verbietet, berichten sie Burenfiendt ->· Bauernfeind ihm, die Frau wage es (aus Scham) nicht, ohne Begleitung nach Hause zu kommen. Burer, Konrad —»· Trölich so wil ich singen* Er gibt vor zu glauben, sie wage dies aus Angst nicht, legt deshalb, um sie zu 'schütBurg, Heintz Huntpis zen', seinen Harnisch an und führt sie so Im cod. 213 des Germ. Nat. Mus. in Nürn- zum Gespött der Stadt von der Kirche heim. berg, nach 1436 geschrieben, finden sich auf Die Frau ändert sich, wird aber von nun an Bl. 23r-24r acht chirurgische Rezepte mit der burgerin im harnasch (v. 120) genannt. Die Motive des Märes (s.o.) lassen auf den Unterschrift Vnd ist Burg Heintz Huntpis vnd sin gesell. Zwei davon lehren zu Einfluß der hochvflrf-Sprüche des Teichners leschenn, je eines dient für den grintt, fur (vgl. Nr. 54, 360, 483, 616) schließen. den wurm und fur den kolben oder fur die L i t e r a t u r . Bibliographie: FISCHER, Stud., S.303. geschwollen brüst, und drei sollen fur den HANS-JOACHIM ZIEGELER brantt verwendet werden. Sie entsprechen nach Inhalt und Formulierung dem Niveau Burggraf von Lienz —»· Lienz der einfacheren Chirurgen (Bader, Scherer). Die Namensbezeichnung ist sonst noch nir- Burggraf von Regensburg —»Regensburg gends nachgewiesen (Huntpis, wohl 'Hundbiß', dürfte ein Übername sein). Als Heimat Burggraf von Riedenburg -»· Riedenburg dieses Meisters ist eine oberdeutsche Stadt anzunehmen. Die Sprache des cod. 213 ist Burghard(t) -»· Borchardus —> Burchard nicht einheitlich; neben überwiegenden -> Burkhard(t) -»Purchard alemannischen kommen auch schwäbische und bairische Schreibformen vor. 'Burgunderkriege' -> 'Burgundische LeL i t e r a t u r . G. Eis, Mitt. über fünf unbekannte Regende' -> 'Karl der Kühne und die Burgunzeptautorend. 15.Jh.s,Med.Mschr. 15 (1961) 839-842, derkriege' -* 'Vom Kölnischen Krieg'

ders als in hd. Fastnachtsspielen der Zeit erscheint in 'B.' der Bauer nicht als der Unterlegene.

hier S. 839.

WOLFRAM SCHMITT Burgeis -»· Heinrich von B. 'Der Bürger im Harnisch' Ü b e r l i e f e r u n g . Nürnberg, Germ. Nat. Mus., Hs. d. Valentin Holl (Bibl. Merkel 966) (n2) [Sigle nach FISCHER, Stud.]. A u s g a b e n . KELLER, Erz., S. 197-200; FISCHER, Märendicht., S. 368-371 (zit.).

Das wahrscheinlich in der I.Hälfte des 15. Jh.s im schwäb.-bairischen Raum ent-

Burgundio von Pisa In München, cgm 415, 20v-37r, ist ein Weinbuch überliefert, das in der 1. Hälfte des 15. Jh.s in bair. Mundart niedergeschrieben wurde und den Titel führt: Hie hebt sich an daz puech von dem Weinlesen, daz do (durchgestrichen: maister Brugundo von Peys) von hern Brugundo Peyser von kriechissch zu latein trewleich gemacht ist. Es handelt sich um eine anonyme Verdeutschung des lat. 'Liber de vindemiis' des Italieners Burgundio von Pisa (1110-1193),

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'Burgundische Legende*

den dieser aus den byzantinischen 'Geoponika', einer um 950 im Auftrag des Kaisers Konstantinos VII. Porphyrogenetos zusammengestellten Kompilation älterer griechischer landwirtschaftlicher Literatur, übersetzt hat. Das Buch des B., das von der Weinlese und der Weinbereitung handelt, ist auch die Hauptquelle des Abschnitts über den Wein im 'Pelzbuch' -> Gottfrieds von Franken. L i t e r a t u r . SCHNEIDER, München III 205-207; K. SUDHOFF, Burgundio Pisanus ins Dt. übersetzt, Mitt. z. Gesch. d. Medizin u. d. Naturwiss. 13 (1914) 564; G. SARTON, Introduction to the History of Science II, Baltimore 1931, S.348; THORNDIKE/KIBRE, Inc., Sp.918; R. ANKENBRAND, Das Pelzbuch d. Gottfried v. Franken. Unters, zu d. Quellen, z. Überl. u. z. Nachfolge d. mal. Gartenlit., Diss. Heidelberg 1970, S. 10f., 20-37; P. CLASSEN, B. v.P.: Richter, Gesandter, Übersetzer, 1973.

WOLFRAM SCHMITT

'Burgundische Legende' Alem., 326 Verse ungleicher Länge in Reimpaaren. Inc.: A/5 man zalt 1 . C. Sehtzig vnd fünff jore, Zoch bertzog Karle von Burgunde offenbare ... 1. Ü b e r l i e f e r u n g (Inkunabeln). Ausg. A 'Burgundisch legende' (Basel: B. Richel 1477). Einziges Exemplar in der Österr. Nat. Bibl., Ink. 2. H. 43, ausgelöst aus Wien, cod. 2975, s. MENHARDT, Hss. II 711. Ausg. B 'Burgundesth (!) legende' (Straßburg: H. Knoblochtzer 1477, HAIN 8344). Unvollst. Exemplar in Karlsruhe, LB, 42 A 1932, 14 RH, früher Misc. 4°, 83, vollst, in der Züricher Zentralbibl., RP 105, s. W.J. MEYER, Ein seltenes, unbekanntes Zürcher Exemplar der . L.', Straßburg 1477, Schweizer Sammler 3 (1929) 129-133 mit Faks. des in Karlsruhe fehlenden Schlusses; K. SCHORBACH/M. SPIRGATIS, H. Knoblochtzer in Straßburg, 1888, S. 6,16 u. 20, Nr. 2 u. Taf. 4. - Ausg. C: Hie vahet an eyn Maysterlicher Spruch ... (Satztitel). (Augsburg: G. Zainer 1477, schwäb., HAIN 14964. Exemplar in der Bayer. SB, Inc. 1694, s. A. SCHRAMM, G. Zainer, Augsburgs 1. D rucker, Festgruß K.W. Hiersemann 1924, S. 389; Die Buchdrucker d. 15. Jh.s. Eine bibliogr. Übersicht, 1926, S. 173. Das von BUCHON (1791-1846) in der Straßburger StB aus dem Vorbesitz des elsäss. Historiographen J.D. SCHÖPFLIN (16941771) aufgefundene und abgeschriebene Exemplar verbrannte 1870, s. J.A.C. BUCHON, Quelques souvenirs de courses en Suisse et dans le pays de Baden, 1836, S.56f., vgl. G.W. PANZER, Zusätze zu d. Annalen d. altern dt. Litt., Nürnberg 1802 (Neudr. 1961), S. 38f. Zeitgenössische Abschriften: a) Md. Umschrift des Erfurter Weltgeistl. Konrad -> Stolle (um 1430-1502)

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nach den Ausg. A oder B mit Zusatzversen, hg. v. L.F. HESSE, Aus K. Stolles Erfurter Chron., ZfdA 8 (1851) 326-336 u. StLV 32, 1854 (Nachdr. 1968), S. 115-125; R. THIELE, Memoriale-thüring.-erfurt. Chron. v. Konrad Stolle, 1900, S. 19, 22 u. 363-373. - b) Elsäss. Abschrift der Ausg. B in der —> Twinger v. KönigshofenHs. der Straßburger ÜB, Ms. 3572, 277v-283" um 1480. - c) Elsäss. Abschrift in der Königshofen-Hs. Dresden, LB, F 98, 256v-262r 'Burgunsche spruch und legende', Ende 15. Jh. -d) Hess. Umschrift des Limburger Vikars Joh. Gensbein um 1500, Auszüge wohl aus der Ausg. B in der heute verschollenen Sammelhs. Nr. 3597 der Gräfl. Walderdorffschen Fideikommißbibl. im Schloß Molsberg bei Wallmerod (Westerwald), 55" (Einleitung), 67V (Krieg 1472), 69rv (Neuss 1474/75) u. 91r-96" (Schluß der 'B.L.'), s. A. WYSS, EineLimburger Hs., NA 7 (1882) 571-575. - e) Bayer. Abschrift der Ausg. C durch Hieron. Herprunner für den Landrichter Wilh. Kulmär in Lofer (Salzburg) in der 1477-78 zusammengestellten Sammelhs. München, cgm 318,118' bis 123r, s. K. A. MUFFAT, Meistersang auf Karl'n d. Kühnen, Taschenb. f. d. Vaterland. Gesch. 39 (1850/51) 312-324 u. SCHNEIDER, München II316 f. (ohne Kenntnis der Zugehörigkeit zur 'B.L.'). In jedem Falle sind die Drucke die primäre, die Hss. die sekundäre Überlieferung.

2. V e r f a s s e r und Werk. Mit der anonymen 'B.L.' eröffnete Basel die sofort in Straßburg und Augsburg fortgeführte Reihe der gedruckten Rückblicksdichtungen zum 'Jahrzehnt Karls des Kühnen' (1467-1477). Der frühestc Burgunderdruck am Oberrhein verdankt seinen ungewöhnlichen Erfolg dem 'Vorzug einer knappen, klaren, einprägsamen Diktion' (OHLY, S. 338). Das chronologische Gerüst diente besonders dem Straßburger Reimchronisten H.E. -> Tusch als annalistischer Leitfaden, s. K. SCHNEIDER, Untersuchungen zur Burgund. Hystorie des H. E. D üsch, Diss. Straßburg 1910, S. 8-11, 13f., 93-95 u. 139f. Der offenbar geistliche Verfasser berief sich auf keine literarische Quelle, ihm genügte das Gedächtniswissen der Zeitgenossen. Historische Objektivität war auch bei einem Geistlichen im Banne der eben überwundenen Burgundergefahr nicht zu erwarten. Die wohl von dem Basler Drucker Bernhard Richel angeregte Reimchronik führt in rustikalem Stil, aber mit bemerkenswerter Sachkenntnis von den politischen und militärischen Ereignissen um Karl den Kühnen seit 1465 (Feldzüge gegen Ludwig XL von Frankreich, Zerstörung der Städte Dinant

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Prior Burkhard

und Lüttich, Gefangennahme des Herzogs von Geldern) zur Zusammenkunft mit Kaiser Friedrich III. i. J. 1473 in Trier, wo die hochfart des Burgunders scheiterte, ein kunig zu werden. Gegen die hübschen tantzknaben des Herzogs bei der vergeblichen Belagerung von Neuss grummeten die von nüsz als die beren. Ausführlich schildert der Reimchronist das folgenschwere oberrheinische Zwischenspiel des burgundischen Landvogts Peter von Hagenbach. Der Herzog, in kriges vbunge verhertet als ein stein, habe statt der Türken lieber die Christen bekämpft. Wie Alexander alle weit überwant, Desglich gluste in auch werden genant. Nach den Niederlagen bei Granson und Murten vollzog sich am Hl. Dreikönigsabend 1477 bei Nancy das verdiente Gottesgericht über den Burgunder, der im wyrouch siner hochfart hin gefaren sei. Ein Anruf der Königin der Barmherzigkeit und ein Dankgebet beschließen die weltliche 'Legende' (vgl. auch -> 'Karl der Kühne und die Burgunderkriege'). 3. I l l u s t r i e r u n g . Im Gegensatz zu den holzschnittreichen Straßburger Burgunderdrucken Konrad —>Pfettisheims und H.E. Tuschs wurde nur der Basler Erstdruck mit einem Titelholzschnitt ausgestattet, wiedergegeben nach dem altkolorierten Wiener Exemplar in A. SCHRAMM, Der Bilderschmuck d. Frühdrucke 21, 1938, S. 13 u. Taf.49, Abb. 273, s. W. J. MEYER, Die ersten Illustrationen über d. Burgunderkriege, Schweiz. Gutenbergmuseum 13 (1927) 104 f. u. W. L. SCHREIBER, Handb. d. Holz- u. Metallschnitte d. 15.Jh.s X, l2, 1969, Nr. 3661, vgl. 4182 u. 5398. L i t e r a t u r . G.E. v. HALLER, Bibl. d. SchweizerGesch. 5, Bern 1787, S. 79; E. DÜRR, Die Nicolai de preliis et occasu ducis Burgundie historia, Basler Zs. f. Gesch. 11 (1912) 397; G. TOBLER, Conradus Pfettisheims Ged. über d. Burgunderkriege, Neuj. Bl. d. Lit. Gesellsch. Bern (1917) 4f.; E. PicoT/H. STEIN, Recueil de pieces histor. imprim. sous le regne de Louis XL, 1923, S.65-90 (Text in frz. Prosaübertragung), Faksimile S. 29-42 (Ausg. B) u. 47-63 (Ausg. C); K. OHLY, Nicolaus: De preliis et occasu ducis Burgundie historia, ZGO 106 (1958) 53-55, 331-334, 352, 356 u. 358363; FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung I 138f.; F. GELDNER, Die dt. Inkunabeldrucker 1,1968, S. 66f., 114-116 u. 132-137; H.-P. TRENSCHEL, Chroniken, in: Bern. Hist. Museum. Die Burgunderbeute (Ausstel-

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lungskat.), 1969, S.71, Nr.23; J. LANGE u.a., Neuss, Burgund u. d. Reich, 1975, S. 145, 160, 388 u. 392.

KURT HANNEMANN Burkart -> Burkhard Burkhard -> auch Borchardus; Burchard; Purchard Prior Burkhard In der Hs. Münster, ÜB, N. R. 5000 aus dem Kölner Benediktinerinnenkloster St. Mauritius findet sich 297r-300r ein Neujahrsgruß in Predigtform (thema: Ct 6,10). Autor des nach der Überschrift Weihnachten 1529 überreichten Neujahrsgrußes, in dem an vier Gruppen von Klosterangehörigen viererlei Äpfel als geistliche Neujahrsgeschenke ausgeteilt werden, ist her Borchhert eyn prior zo vnser Heuer vrauwen broder. Handelt es sich um einen Kölner Karmeliterprior, so kommt nur Broccardus bzw. Burchardus Billick in Frage, der 1475 in den Orden eintrat, in den 90er Jahren Lektor des Kölner Konvents war, 1521 zum Prior gewählt wurde und 1527 verstarb. Die Annahme eines Datierungsirrtums in der Münsterschen Hs. fällt angesichts weiterer irriger Datierungen in dieser Hs. leicht. Billick zuzuschreiben ist wahrscheinlich die Mehrzahl der lat. Predigten und Traktate in der aus dem Kölner Karmeliterkloster stammenden Hs. Kopenhagen, Ny Kgl. S.2828410: 'Logotesseron' (1495); 'Materia collacionis principalis de matrimonii sacramento'; 'Sermo de 9 peccatis alienis' (1496); 'Sermones super In omnibus operibus tuis memorare nouissima tua1 ( ? ) ; 'Sermones super Declina a malo et fac bonum'; Einzelpredigten. In die Predigtaufzeichnungen sind gelegentlich dt. Wendungen und Sätze eingestreut. L i t e r a t u r . B. Billick: J. HARTZHEIM, Bibliotheca Coloniensis, Köln 1747, S. 40; A. POSTINNA, Der Karmelit Eberhard Billick, 1901, S. 2f., 7, 225; E. J0RGENSEN, Catalogue codicum latinorum medii aevi Bibliothecae Regiae Hafniensis, 1926, S.95f.; Billick u. Prior Burkhard: D. SCHMIDTKE, Zur Gesch. d. Kölner Predigt im SpätMA: Einige neue Predigernamen, Fs. I. Schröbler, 1973, S. 328-361.

DIETRICH SCHMIDTKE

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Burkhard von Hohenfels

Burkhard von Hohenfels 1. A u t o r . Hohenfels ist die (noch als Ruine sichtbare) Burg bei Sipplingen am Bodensee. Ein (staufischer ?) Ministeriale B. v. H. ist urkundlich bezeugt seit 1212, 1216 bei Friedrich II. in Ulm, seit 1222 mehrfach in der Umgebung von König Heinrich (VII.), aber nur im engeren Umkreis seiner Heimat, 1227 mit ihm in der Schweiz, seither nur noch einmal 1242 in einer Urkunde des Bischofs von Konstanz. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Heidelberg, cpg 848 (Große -»'Heidelberger Liederhs. C'), 18 Lieder (81 Strr.). C Nr. 38 (im Reg.4v Nr. XXXV!), 110'-113r, Anfang d. 11. Lage (7 Ministerialen, die vier letzten und älteren aus *BC; zwischen -»Reinmar dem Alten in der 10. und -> Walther v. d. Vogelweide in der 12.713. Lage). Ganzseitiges Bild 110' (Maler des Grundstocks): Ritter übergibt Dame ein Schreibblatt (JAMMERS, S. 96: 'Gesprächsbild') . Wappen: quergeteilter Schild, oben grün, unten Silber (stimmt zur Züricher Wappenrolle und dem Wappenbuch Konrad -» Grünenbergs). Text von Schreiber A (JAMMERS, S. 163f.; PFAFF setzte an: A für Lied I, B für II-VIII, A für IX-XVIII). Melodien: nichts erschließbar.

Überlieferungsgeschichtlich ließe sich aus der Tatsache, daß in dem Senio Lage 11 für B. v. H. ein Doppelbl. eingelegt wurde (111 und 112), folgern: bei der Planung von C lag ein kleineres Corpus vor (für 110V u. 113r), dann kam eine weitere Vorlage hinzu. Vorlagenwechsel, etwa mit Lied IX, könnte höchstens in dem von PFAFF angenommenen Schreiberwechsel von B zurück zu A (lll v ) einen Anhaltspunkt finden. Ob der 'gute' Text der Hs. C auf Nähe der Überlieferung zum Autor weist (v. KRAUS), bleibt fraglich. Der Text in KLD I könnte öfter auf die Hs. zurück korrigiert werden, die Tonbeugungen sind wohl mit Recht beibehalten. A u s g a b e . KLD l 33-51 (Text) u. II 31-52 (Kommentar) Nr. 6.

3. Die Sammlung B. v. H. enthält nur Minnelieder, die sich in drei Typen gruppieren lassen: (a) formal ungleich versige Strophen, meist mit Viertakterstollen und komplizierteren, z.T. reimreichen Abgesängen, im Inhalt locker gefügt meist aus 'EigenschaftsMetaphern' (Garten, fliegendes Lob usw.):

11.36

Lied II (ein Minne-Physiologus), IV, V, VIII, XIII (ein Minnegespräch), XIV; (b) formal gleichversige Strophen, oft aber mit Schlußbeschwerung, im Inhalt mehr logische Deduktionen und rational durchgeführte 'funktionale Metaphern' (Falkenjagd, Belagerung usw.): III, VI, IX, X, XII, XVI, XVII, XVIII; (c) Szenen- und Gespielengesprächs-Lieder: I und XI (ein 'Stuben'und ein 'Stadel'-Tanz, dieser mit Refrain), VII und XV (Gespielengespräche über 'freie' und 'unfreie' Liebe, VII mit Refrain), formal und stilistisch gehören I (daktylisch) und VII mehr zum Typ (a), XI und XV durchaus zu (b). 4. Stellung. B.v.H. hat als erster systematisch 'geblümten Stil' (Ornatus difficilis) im Minnesang verwendet, vielleicht eher in Kontakt mit den lat. Artes poeticae der Zeit als in der (früher meist angeführten) -> Wolfram-Nachfolge. Die Systematik, mit der in der Sammlung unterschiedliche Typen von gesuchten Wendungen und Metaphern den beiden Strophentypen der Ungleich versigen oder Gleichversigen zugeordnet sind (vielleicht auch in zwei verschiedenen Vorlagen in C? s.o. 2.), rindet direkte Nachfolge, aber im 'leichten Stil' (Ornatus facilis), bei -»· Gottfried von Neifen. Sozialer Hintergrund dieser Artistik dürfte der weitere Umkreis der staufischen Verwaltung in Deutschland sein. L i t e r a t u r . F. PFAFF, Die große Heidelberger Liederhs. in getreuem Textabdruck, 1909, Sp. 372-389; E. JAMMERS, Das kgl. Liederbuch d. dt. Minnesangs, 1965 (Reg.), Rez. dazu: H. FRÜHMORGEN-Voss, PBB (Tüb.) 88 (1967) 371-380; H. KÜHN, Minnesangs Wende, 21967, S. 7-43, 188 u.ö.; H. JAEHRLING, Die Ged. B.s v. H. (Geistes- u. sozialwissenschaftl. Dissertationen 4), Hamburg 1970, Rez. dazu: J. VORDERSTEMANN, AfdA 83 (1972) 190-193; J. BUMKE, Ministerialität u. Ritterdichtung, 1976, S.63 u.ö., Anm. 358 u. 370. - Einzelinterpretationen: VORDERSTEMANN, Zu B. v. H. Mich müet daz so manger sprichet (KLD 6, XVI), in: K. RuH/W. SCHRÖDER, Beitr. z. weltl. u. geistl. Lyrik d. 13. bis 15. Jh.s, Würzburger Colloquium 1970, Berlin 1973, S. 40-53; C. GERHARDT, B.s v. H. Nach des aren site ir ere (KLD 6, II), ebd., S. 5467; W. MOHR, Goethes Ged. 'Wiederfinden' u. d. Frühlingsreigen B.s v. H., Fs. F. Beißner, 1974, S. 256273; S. RANAWAKE, Höfische Strophenkunst (MTU 51), 1976, Reg.

HUGO KÜHN

1137

Burkhard von Horneck

Burkhard von Horneck 1. Geb. um 1440 in Horneck bei Heilbronn, gest. am 26.7.1522 in Würzburg, bedeutender Arzt, Humanist und Theologe. B. erwarb in Padua den Doktorgrad und lehrte dort wohl auch Medizin, ehe ihn 1464 Kaiser Friedrich III. zu sich berief. 1466 wechselte B. als Leibarzt zu dessen Vetter, Herzog Siegmund von Tirol, nach Innsbruck über, wo er bis 1488 fest angestellt blieb. Beziehungen zu Friedrich bestanden jedoch fort, dazu wurde B. von Maximilian I. und Herzog Albrecht von Österreich sowie von Papst Sixtus IV. (vermutlich 1484 in Rom) konsultiert. 1488/89 nahm B. eine Lehrtätigkeit an Siegmunds vorderösterreichischer Landesuniversität Freiburg i.Br. auf. 1503-1505 finden wir ihn als Stadtarzt in Heilbronn, 1505-1515 als Leibarzt des Bischofs und Domkapitels von Würzburg, dazu ebenda als Stadtarzt. Unter dem Einfluß des Karmeliterpriors Peter Schwicker wandte er sich der Theologie zu. Mit Johannes Trithemius, Abt des Schottenklosters, verband ihn eine Gelehrtenfreundschaft ; Trithemius widmete ihm eine Abhandlung gegen die Simonie und nahm ihn in seinen 'Catalogue illustrium virorum Germaniae' (Nachtragsartikel) auf. B. ehrte Trithemius mit der Zueignung seiner Arbeit über Schwickers Bußpsalmen. Ab 1515 war B. Arzt in Konstanz, 1522 kehrte er nach Würzburg ins St. Dietrich-Spital zurück. Dem Domkapitel vermachte er seinen hsl. Nachlaß und seine berühmte medizinische Bibliothek sowie theologische Drucke. Ein Großteil davon ist in der Würzburger ÜB erhalten, jedoch noch unbearbeitet. 2. Für den Dogen von Venedig, Christoforo Moro, schrieb B. 1464 das lat. Pestregimen 'Theisir contra omnem pestern' (Salzburg, ÜB, cod. M I 37; Würzburg, ÜB, cod. M. eh. q. l, 120r-132v), für Maximilian I. vor 1475 den 'Tractatus contra pestem inguinariam', lat., mit dt. Einsprengseln (Salzburg, ÜB, cod. M I 37), Rezepte und Konsilien für Friedrich III., Herzog Siegmund und andere. Medizinische Textstücke verschiedenster Art überliefern Würzburger Hss.: 'Collectanea et notata medica' (M. eh. q. 10), 'Practica et

1138

viaticum' (M. eh. o. 2), 'Collectanea circa materiam medicam in genere de febribus et pulsibus' (M. eh. q. 10). Weiterhin gibt es von B. eine dt. Aderlaßtafel in der Würzburger Hs. M. eh. q. 108, 342r-350v, ein dt. Rezept für ein Bruchpflaster auf dem Vorsatzblatt einer Ausgabe der 'Expositio' des Dinus del Garbo von 1489 aus B.s Besitz (ÜB Würzburg); auch weitere Inkunabeln von ihm enthalten Einträge. Gedruckt liegen vor: ein 'Carmen de ingenio sanitatis' für den Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg (Memmingen um 1500; in der Übersetzung Johann Pfeiffelmanns gedr. o. 0.1507), ein 'Carmen de purgatorio divi Patricii' für Eberhard von Württemberg (Memmingen, wohl 1495), die lat. Erklärungen der Bußpsalmen Schwickers (Landshut 1514) und ein 'Compendium Theologiae' der Sentenzen des -> Petrus Lombardus (Nürnberg 1515). Trithemius bezeugt zahlreiche weitere, noch nicht wieder aufgefundene Schriften, so ein 'Regimen principum' für Maximilian L, einen lat. Syphilistraktat, ein lat. Gedicht gegen den Aberglauben für Herzog Siegmund und ein Werk 'De agricultura Bohemorum'. 3. B. war einer der berühmtesten Ärzte seiner Zeit und ist jenen humanistisch geprägten, am Latein orientierten Medizinern zuzurechnen, die in der 2. Hälfte des 15. Jh.s von den italienischen Hochschulen kamen, vorwiegend an Höfen tätig wurden und allgemein in hohem Ansehen standen. Sein medizinisches Wirken kennzeichnet das Bemühen um vertieftes Verständnis der Klassiker Hippokrates, Avicenna und Rhazes, die er sich mit Hilfe ihrer modernen Übersetzer und Kommentatoren erschloß, um sie für eigene Schriften fruchtbar werden zu lassen. Astrologisches Wissen leitet sich daneben von Alkabitius und Albumasar her. Das Verhältnis zwischen Traditionsgebundenheit und kritischer Selbständigkeit bei B. ist unbestimmt, da seine Schriften noch der Edition und Analyse harren. L i t e r a t u r . I. SILBERNAGEL, Johannes Trithemius, 1885, S. 256f.; I. SCHWARZ, Die med. Hss. d. K. ÜB in Würzburg, Diss. Würzburg 1907; E. GRÜNDEL, Über d. Carmen de ingenio sanitatis des... B. v. H., Diss. Leipzig 1924 (mit Ausg.); K. SUDHOFF, Zur Lebensgesch. B.s v. H., Sudhoffs Arch. 19 (1927) 299f.;

2

1139

Meister Burkhart von Reutlingen - Busch, Johannes

H. ENDRES, Johannes Trithemius u. B. v. H., Mainfrk. Jb. 9 (1957) 159-169; E. TH. NAUCK, B. v. H., Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins NF 70 (1961) 285-303 (mit Schriftenverzeichnis); I. HUBAY, Incunabula d. ÜB Würzburg, 1966; M. P. KOCH, NDBIX 637; P. ASSION, Der Hof Herzog Siegmunds, Fachprosa-Stud. 1977.

PETER ASSION Meister Burkhart von Reutlingen München, cgm 384, eine oberschwäb. Sammelhs. der 2. Hälfte des 15. Jh,s, überliefert in einem -»· Peter von Ulm und ändern Quellen verpflichteten Rezeptar die Anweisung, ein Heilbad zu richten, das den Kranken die Reise in die Schweiz oder den Schwarzwald ersparen soll (wer nit wol macht körnen in das wildbad). Der alem. Schreiber beginnt die Anweisung mit den Worten £5 ist gesin ain maister ze Rutlingen, hieß maister Burkart (96V) und deutet durch diese Wendung an, daß um 1470, als die Vorschrift notiert wurde, Meister B. schon gestorben war. Ob das Verfahren sich mit gleichsinnigen Vorschriften für ein natürliches bad im -»'Buch von alten Schäden' (c. 40 und 53) deckt, ist noch nicht geklärt. - Meister B. lebte wahrscheinlich in der I.Hälfte des 15. Jh.s; vermutlich war er Wundarzt oder Bader in Reutlingen. „ * G. KEIL Burley, Walter -»Sorg, Anton

-> Lobenzweig,

Hans;

Bürn, Johannes, de Mohausen Der Verfasser bezeichnet sich selbst als Kleriker der Diözese Mainz und als notarius publicus. Wahrscheinlich stammte er aus Mohnhausen in Oberhessen. 1442 begleitete er die Gesandten des Salzburger Domkapitels nach Aachen zur Königskrönung Friedrichs III. und beschrieb als Augenzeuge den Krönungszug, den Vorgang des Zeremoniells und die anschließenden Festlichkeiten in einfacher, anschaulicher Prosa. Ü b e r l i e f e r u n g . München, cgm 331, 10r-12v. A u s g a b e n . J. HANSEN, Zs. d. Aachener Gesch.ver.s 9 (1887) 211-216; H. HERRE, Dt. Reichstagsakten 16, 1921, S. 195-202, Nr. 109. L i t e r a t u r . LHOTSKY, Quellenkunde, S.347f.

KARIN SCHNEIDER

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'Der Busant' -»'Der Bussard'

Busch, Johannes 1. B. wurde zwischen dem 10. Aug. 1399 und dem 6. Jan. 1400 von vermögenden Eltern zu Zwolle geboren. Bis 1417 besuchte er die Schule von Zwolle, die unter der strengen Leitung des Johannes Gele zu hoher Blüte gelangte und durch Celes Freundschaft mit Gert ->Groote unter dem Einfluß der Reformbewegung der Devotio moderna, der erlebten Frömmigkeit, stand. Der Unterricht in der Schule von Gele (vgl. M. SCHOENGEN, Die Schule von Zwolle von ihren Anfängen bis zu dem Auftreten des Humanismus, 1898) muß zu den besten der damaligen Zeit gerechnet werden. Gele und einige Magister aus Paris unterrichteten 800—1000 Schüler, die besonders auch aus Deutschland dorthin kamen, im Trivium und wahrscheinlich auch im Quadrivium. B. durfte als älterer Schüler in den unteren Klassen unterrichten. Gegen den Wunsch seiner Eltern trat er 1417 in das Augustinus-Kloster zu Windesheim, südlich von Zwolle, einem Mittelpunkt der Devotio moderna, ein. Von 14241428 war er im Chorherrenstift Bödingen bei Köln, zwischen 1429 und 1437 in einigen ndl. Klöstern und von 1437-1439 als Subprior in Wittenburg (Diöz. Hildesheim). Das Basler Konzil erlaubte 1435 den Windesheimer und Wittenburger Mönchen, unaufgefordert ihre Reform in anderen Klöstern durchzuführen. B. reformierte das Augustiner Chorherrenstift Sulta (Suite) im Hildesheimischen (jetzt in der Stadt selbst), dessen Prior er 1440-1447 und 1459-1479 war. In der Zwischenzeit war er Propst des zwischen Halle und Schloß Giebichenstein gelegenen Klosters Novum Opus (Neuwerk). 1451 ernannte ihn der Kardinal -> Nikolaus von Kues zum päpstlichen Visitator. 2. Quelle dieser Lebensnachrichten ist B.s 'Liber de reformatione monasteriorum diversorum ordinum', eine anekdotische Beschreibung seiner manchmal sonderbaren Erlebnisse und zugleich eine klösterliche Sittengeschichte Sachsens bis 1475.

1141

Buschmann, Amt

Ü b e r l i e f e r u n g . Zu den erhaltenen u. verschollenen Hss. vgl. VAN DER WouDE, S. 151. Zur ehemals Hamerslebener Hs. zuletzt W. ZÖLLNER, WZUH 13 (1964) 215-219. Ausgaben. G. W. LEIBNIZ, Scriptorum Brunsvicensia illustrantium t. II, Hannover 1710, S.476-506 u. 806-970; K. GRUBE, 'Chronicon Windeshemense' u. 'Liber de reformatione monasteriorum' (Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen 19), 1886 (zit).

3. Das große Werk B.s ist das 1459 in Windesheim in erster Fassung und 1464 in Sulta in zweiter Fassung vollendete 'Chronicon Windeshemense', das aus drei Teilen besteht: a) 'Liber de viris illustribus', b) 'Epistola de vita et de passione domini nostri Jhesu Christi et aliis devotis exerciciis, secundum que fratres et layci in Windesem se solent exercere', c) 'Liber de origine modernae devotionis'. Der erste Teil ist nach dem dritten Teil entstanden, während der zweite, die 'Epistola', von einem ändern als B. ursprünglich mnd. abgefaßt war. Ü b e r l i e f e r u n g . Zu den zahlreichen Hss. vgl. VAN DER WOUDE, S. 142-151. Zur Textgeschichte der ersten Fassung vgl. LEHMANN, zu derjenigen der zweiten, Teil b, vgl. DE BRUIN. Ein weiterer mnd. Text der 'Epistola': L. HEDBERG, Epistola de vita et passione Domini nostri u. Regula Augustini in mnd. Fassungen (Lunder German. Forschungen 29), 1954. Ausgaben. Erste Fassung: V. BECKER, De twee verschillende redactien der Windesheimsche Kronijk, De Katholiek 21 (1885) 388-404. Zweite Fassung: GRUBE (s. o. 2).

1142

B.s Quellen sind neben Augenzeugen Urkunden, eine Vita Gert Grootes (s. VAN GINNEKEN), Briefe des Gert Groote und sicher andere Chroniken. Er zitiert gern aus der Vulgata und aus den Kirchenvätern. 5. Von B. sind weiter noch 6 Predigten, ein 'Soliloquium' und ein 'Soliloquium breve' sowie 4 Briefe, vielleicht noch ein fünfter, erhalten. Ausgabe. D. J. M. WÜSTENHOFF, De kleinere geschriften van J. B., Gent-Den Haag 1890.

M. COENS (Anal. Boll. 34/35 [1921] 1-25) schreibt B. eine 'Vita Lebuini' zu, VAN DER WOUDE, S. 154-158, ein zuerst 1481 in Deventer gedrucktes 'Speculum exemplorum'. L i t e r a t u r . J. G. R. ACQUOY, Het klooster te Windesheim en zijn invloed, 3 Bde., Utrecht 1875-1880, I 289-328 u.ö.; G. BOERNER, Die Annalen u. Akten d. Brüder d. gemeinsamen Lebens im Lüchtenhofe zu Hildesheim, 1905, S. 25-38; J. POHL, Die Glaubwürdigkeit des J. B. in der Imitatiofrage, Hist.Jb. 27 (1906) 322-333 u. 954-975; P. LEHMANN, Reste einer Frühfassung von J. B.s Windesheimer Chronik, Hist.Jb. 54 (1934) 230-239; P. DEBONGNIE, in: DHGE X 14101413; F. VAN DER BORNE, Geert Groote en de Moderne Devotie in de geschiedenis van het middeleeuwsche ordewesen, Studia Catholica 16 (1940) 397-414 u. 17 (1941) 120-133 u. 197-209; J. VAN GINNEKEN, Geert Groote's levensbeeld naar de oudste gegevens bewerkt, Amsterdam 1942,S.20u.ö.; C. C. DEBRUJN,DeDietse oertekst van de anonieme 'Epistola de vita et passione domini nostri Ihesu Christi...1, Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis NS 34 (1944/45) 1-23; B. KRUITWAGEN, Le speculum exemplorum... entre les mains de Savanarole a Brescia, Miscellanea G. Mercati IV, Rom 1946, S.209-244; S. VAN DER Woude, J. B., Windesheimer kloosterreformator en kronickschrijver, Diss. Amsterdam 1947 (mit Lit.); E. ISERLOH, in: NDB III 62f.; Biograph.-bibliograph. Kirchenlexikon, hg. v. F. W. BAUTZ, 1,1975, Sp. 825f. (Lit.); D. MERTENS, Jacobus Carthusiensis, Unters.n z. Rezeption d. Werke d. Kartäusers Jakob von Paradies, 1976, S. 110115.

Die Verschiedenheit der beiden Fassungen tritt am stärksten im 'Liber de origine modernae devotionis' hervor. Die zweite Fassung umfaßt die Geschichte der Bewegung der Devotio moderna, während sich die erste mehr auf das Kloster Windesheim beschränkt. 4. B.s Glaubwürdigkeit wurde von BOERNER in Zweifel gezogen, POHL und VAN DER WOUDE aber schließen sich einer Briefstelle COLA MINIS des Priors Clovekorn an B. an: quia non valeo esse quietus, nisi videro scripta vestra, Buschmann, Arnt I.Leben. Über die Person A. B.s sind wir so gut wie que novi fore solida firma, veritate subnixa ausschließlich durch den Text eines (zumindest in seiatque fundata, quoniam non soletis incornem Kern) von ihm selbst verfaßten Mirakelberichts recte scribere. B.s Glaubwürdigkeit ist auch unterrichtet, der in zahlreichen Hss. und Frühdrucken darum von Bedeutung, weil er -»Thomas des 15. und frühen 16. Jh.s verbreitet ist. Außer durch von Kempen als den Verfasser der 'Imitatio gelegentliche Erwähnungen bei theologischen Autoren Christi' nennt. B.s Verhältnis zu Thomas des 16. Jh.s ist er sonst lediglich noch durch eine Privatbezeichnet VAN DER WOUDE aber noch als urkunde v.J. 1483 bezeugt. Nimmt man diese Quellen zusammen, so ergibt sich folgende Biographie: ungeklärt.

1143

Buschmann, Amt

Um 1411/12 als Sproß eines begüterten Großbauerngeschlechts auf dem Buschmannshof nahe dem heutigen DuisburgMeiderich geboren, hatte A.B. von November 1437 bis Frühsommer 1438 eine Reihe von Visionen, bei denen sich ihm der Geist seines 1338 gestorbenen Großvaters Heinrich B. offenbarte und um Erlösung aus den Qualen des Fegfeuers bat. Dieses Erlebnis wurde zum Wendepunkt seiner Existenz: Um seine Mitmenschen vor den Qualen von Hölle und Fegfeuer zu warnen, verfaßte er 1444, nachdem er (wohl im nahegelegenen Prämonstratenserkloster Hamborn) schreiben gelernt hatte, einen schriftlichen Bericht über seine Visionen, den er 1450 auf einer Romfahrt in lat. Übersetzung auch Papst Nikolaus V. überreichte. Sein weiteres Leben dürfte er als Geistlicher in seiner niederrheinischen Heimat verbracht haben; i.J. 1483 wird er als Stellvertreter des Pfarrers von Götterswick bei Wesel urkundlich erwähnt. 2. Ü b e r l i e f e r u n g , a) Mnd. Tcxtzeugen: Berlin, mgq 404 (v. J. 1446; älteste volkssprachige Hs.) [B]; ebd., mgo 348; Emden, Ges. f. bild. Kunst, Ms. 64 [E]; Kopenhagen, Kgl. Bibl., GKS P 82 [B2]; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Heimst. 1180; ehem. Fürstenwalde, Dombibl., unsign. Frgm. (verschollen); Druck Lübeck, St.Arndes, 1510 [N]. - b) ndfrk.-ndl. Textzeugen: Greifswald, ÜB, nd. Hs. I 4° [F]; Brüssel, Koninkl. Bibl., cod. 1654-55 [F2]; ebd., cod. 2224-30; Druck Haarlem, J. Bellaert, um 1483-86 [G]; Druck Delft, C. Snellaert, um 1487-91 [H]. - c) mfrk. Textzeugen: Duisburg-Hamborn, Prämonstratenserabtei, Hs. o. Sign. [D]; Trier, StB, cod. 1186/488; Druck Köln, J. v. Landen, 1506 [M]; ebd., H. v. Neuß, 1509 [N]; ebd., 1514 [O]; ebd., 1517; ebd., S. Kruffter, um 1520 [Q]. - d) Obd. Textzeugen: Breslau, ÜB, cod. I D 41; Eichstätt, cod. St. Walb. germ. 7; Druck Straßburg, vor 1500 [I]; ebd., 1500 [K]; Heidelberg, ÜB, cpg 226; London, Univ. Coll., ms. germ. 24; ebd., M. Hupfuff, 1505' [Kb]; ebd., 1505" [L]; ebd., 1515 [P]. - e) Lat. Textzeugen: Koblenz, Hauptlandesarch. Gymn. Bibl., Ms. 149 [A]; ehem. Duisburg-Meiderich, Privatbesitz [C]; Brüssel, Koninkl. Bibl., cod. 8763-74; Köln, Hist. Arch., cod. GB 4" 218. (Siglen nach SEELMANN und HEEROMA). 3. A u s g a b e . SEELMANN, 1880,5.40-67 (Text nach Hs. B). Auszüge aus verschiedenen anderen Hss. und Drucken in den unten genannten Arbeiten von KAUFMANN, CRECELIUS, BIRLINGER, REIFFERSCHEID und BAESECKE.

4. Die Textgeschichte von A. B.s Mirakelbericht ist bisher erst ansatzweise erforscht.

1144

Nach den Feststellungen HEEROMAS wird wenigstens soviel als gesichert gelten dürfen, daß A.B. die erste Niederschrift in dt. Sprache (genauer: in südniederfrk.-kleverländ. Schriftdialekt) angefertigt hat. Ob diese erste Version am getreuesten durch den kürzeren Text der Hss. B und B2 oder durch den ausführlicheren Text der Hs. E repräsentiert wird, bedarf noch näherer Klärung. Eine erweiterte Neubearbeitung erfuhr der ursprüngliche Text im Sommer 1444 im Dominikanerkloster zu Wesel, und zwar möglicherweise unter dem Einfluß des dortigen Theologieprofessors Johann von Essen, der den deutschen Text im Herbst des gleichen Jahres ins Lateinische übertragen, kompositorisch redigiert und mit einer Erörterung theologisch strittiger Stellen versehen hat (Hss. A und C). Auf diese Weseler Redaktion von 1444 scheinen außer B, B2 und E alle sonst bekannten dt. und ndl. Textzeugen zurückzugehen. 5. Ob und inwieweit A. B. sich bei der literarischen Gestaltung seiner Visionserlebnisse von älterer Visionsliteratur wie der -»· 'Tundalus'-Legende, der -»'Visio Philiberti' oder der 'Historia de spiritu Guidonis' des Johannes Gobius (Grabius) (-> 'Guido von Alet') hat beeinflussen lassen, ist umstritten und schwer zu entscheiden; die ältere Forschung (SEELMANN) plädierte ebenso entschieden für eine solche Beeinflussung wie die jüngere Forschung (HEEROMA) dagegen.-Die Wirkung des Textes war, wie seine breite Überlieferung zeigt, bis in die Reformationszeit hinein beachtlich. Vom Niederrhein ausgehend, hat er sich schnell sowohl in die Niederlande und nach Niederdeutschland als auch den Rhein hinab bis nach Straßburg und in Ausläufern bis ins Ostfränkisch-Nordbairische sowie nach Schlesien verbreitet. Über Niederdeutschland hat das Buschmann-Mirakel auch Dänemark erreicht; in dem dänischen Fastnachtsspiel 'Peder Smed' (um 1510) wird es als allgemein bekannt erwähnt. 6. Der Wert, den A. B.s Mirakelbericht für die Literatur- und Kulturgeschichte besitzt, liegt, worauf zuletzt HEEROMA mit Nachdruck hingewiesen hat, vorzüglich darin, daß er, wenn auch in mehr oder weniger starker klerikaler Verbrämung, ein

1145

'Der Bussard'

Stück der so außerordentlich selten auf uns gekommenen spätmal. Volksliteratur (im Sinne von aus dem Volk hervorgegangener Literatur) repräsentiert. Denn der Text ist von seinem Autor zwar als Warnung vor den Schrecknissen von Hölle und Fegfeuer und als Mahnung zu Almosengeben, Wallfahrten und Seelenmessen zugunsten der Verstorbenen gedacht; was ihn aber aus der Dutzendware des trocken moralisierenden und theoretisierenden geistlichen Schrifttums ähnlicher Zielsetzung so wohltuend heraushebt, das ist die Exemplifizierung seiner Botschaft anhand der menschlich pakkenden Schicksale eines sich durch sein Streben nach Besitz und Einfluß vier Generationen lang immer wieder in Schuld verstrickenden Großbauerngeschlechts. Ihre Glaubwürdigkeit gewinnt die Darstellung dabei vor allem durch den in zahlreichen Einzelheiten hervortretenden Realismus, wobei die Aussagen über den aus kirchlichen und abergläubischen Elementen wunderlich gemischten Geisterglauben des einfachen Volkes jener Zeit für Kulturgeschichte und Volkskunde von besonderem Zeugniswert sind (s. dazu insbesondere die Arbeiten von KAUFMANN, BIRLINGER und BAESECKE). L i t e r a t u r . A. KAUFMANN, Holden am Niederrhein, Germ. 11 (1866) 411-415; dazu W. CRECELIUS, Germ. 12 (1867) 104 sowie 13 (1868) 444; A. BIRLINGER, Zu Mythologie u. Sprache d. Niederrheins, Germ. 17 (1872) 77-79; W. SEELMANN, A.B.s Mirakel, Ndjb 6 (1880) 32-40; CRECELIUS, A.B., Ndjb 7 (1881) 70f.; SEELMANN, Peter Smed u. A.B., Ndjb 12 (1886) 95f.; A. REIFFERSCHEID, Geistliches u. Weltliches in mnd. Sprache nach d. Emder Hs. Nr. (139) 64, Jb. d. Ges. f. bild. Kunst u. vaterld. Altertümer zu Emden 14 (1902) 1-38, darin S. 7-26; G. BAESECKE, Frau Holden am Niederrhein, ZfVk 22 (1912) 179f.; K. HEEROMA, Der Ackermann aus Meiderich, Ndjb 94 (1971) 99-114.

HARTMUT BECKERS 'Der Bussard' (früher 'Der Busant') 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Bremen, SB, Ms. b 42b, 15. Jh. (schlecht und willkürlich korrigiert, s. H.-F. ROSENFELD, Mhd. Novellenstud. [Palaestra 153], 1927 [Neudr. 1967], S. 305, 320f.) (b); Moskau, ZentralArch.-Verwaltung der UdSSR, cod. 1432 (Frgm.), 15. Jh. (m); Bristol, Priv.-Bes. A. Closs (früher R. Priebsch) (Frgm.), 14. Jh. (b2); Karlsruhe, LB, cod. St.Georg 86, 16. Jh. (k).

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2. A u s g a b e n . N. MEYER/L.F. MOOYER, Altdt. Dicht.n, Quedlinburg-Leipzig 1833, S. 24-37 (nach b, mit bloßer Berücksichtigung des korrig. Textes); GA I, Nr. 16, S.337-366 (nach dem vorigen); E. GLASER, Über d. mhd. Ged. 'Der Busant', Diss. Göttingen 1904, S. 118-121 (Abdr. von k); H. MEYER-BENFEY,Mhd. Übungsstücke, 21920, S. 112-131 (nach MEYER/ MOOYER) ; R. PRIEBSCH, PBB 46 (1922) 21-25 (Abdr. v. b 2 ).

3. Die anonyme Erzählung (1074 vv.) gehört zum Mageionentypus und nähert sich in der Vielfalt ihrer Motive und der langen Zeitdauer ihrer Handlung dem höfischen Roman, bleibt aber in der Darstellung knapp und märenhaft. Der Königssohn von England, der an der Pariser Universität studiert, lernt dort die schöne französische Königstochter kennen, und beide verlieben sich, obwohl sie bereits mit dem König von Marokko verlobt ist. Am festgesetzten Hochzeitstag folgt sie dem als Spielmann verkleideten Königssohn in die Fremde. Im Walde raubt ein Bussard (mhd. büsant) den Ring der Jungfrau; der Königssohn verirrt sich auf der Verfolgung und findet nicht zu ihr zurück. Sie erwirbt sich in einer Mühle ihren Unterhalt durch kostbare Handarbeiten, während er durch den Verlust der Geliebten in Wahnsinn und in ein Tierleben im Walde verfällt. - Eine Herzogin erkennt die edle Herkunft der Königstochter und nimmt sie mit sich. Der Königssohn wird von deren Gatten aufgefunden und ebenfalls auf das Schloß gebracht, wo er nur langsam gesundet, aber in sein tierisches Dasein zurückverfällt, als er einen Bussard erblickt, den er zerfleischt. Das aber führt zur Erkennung durch die Prinzessin und zugleich zur Heilung, so daß eine glückliche Hochzeit stattfinden kann. 4. Der 'B.' ist im Elsaß zu Anfang des 14. Jh.s unter dem Einfluß -> Konrads von Würzburg entstanden. Das bestimmt nicht .nur den Stil, sondern gibt auch Anregung für Einzelmotive ('Partonopier'). Sonst hat in der Entführungsepisode -> Rudolfs von Ems 'Wilhelm von Orlens' und in der Schilderung des Wahnsinns —> Hartmanns 'Iwein' eingewirkt. 5. Quelle war eine verlorene, dem afrz. Epos 'L'Escoufle' (ed. P. MEYER, Anc. textes fran$. 34,1894) nahestehende frz. Erzählung, die der kaum über den Durch-

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schnitt begabte Dichter wohl zusammendrängte, in Einzelzügen aber auch bisweilen erweiterte oder umgestaltete. 6. Eine literarische Nachwirkung läßt sich nur begrenzt nachweisen, da die Beziehungen zu Kunz —»· Kistener und —> Egenolf von Staufenberg zweifelhaft sind. Doch hat Hans -* Ehrenbloß die beiden ersten Verse seines 'Hohlen Baumes' dem Eingang des 'B.' entnommen. Anders ist es in der bildenden Kunst. Auf zwei Wandteppichen, die auf einen elsässischen Karton vom Ende des 15.Jh.s zurückgehen, sind mehrere Szenen des 'B.' dargestellt und durch gereimte Beischriften erläutert, die jedoch nicht dem Märe entnommen, sondern eigens verfertigt sind.

260f.; R. KÖHLER, Das altdt. Ged. 'Der Busant' u. d. afrz. TEscoufle', Germ. 17 (1872) 62-64 = Kl. Sehr. 2, 1900, S. 351-354; L. PFANNMÜLLER, Die vier Redaktionen d. Heidin (Palaestra 108), 1911 (Neudr. 1967), S. 150f.; A. LEITZMANN, Zu v. d. Hagens GA, PBB 48 (1924) 64-66; H. SAUER, Das mhd. Ged. 'Der B.', Diss. (masch.) Wien 1952 (mir nicht zugänglich); K.-H. SCHIRMER, Stil- u. Motivunters, z. mhd. Versnovelle, 1969, bes. S. 103, 188. - B. KURTH, Mhd. Dicht.n auf Wirkteppichen d. XV.Jh.s, Jb. d. kunsthist. Sammlungen Wien 32 (1915) 233-253 (S. 233-245); dies., Die dt. Bildteppiche d. MAs, Wien 1926,1 131 f., 199, 239-241, II, Taf. 142-150; W. STAMMLER, 'Busant', Reallex. d. Kunstgesch. III 237-240; ders., Wort u. Bild, 1962, S. 76f., FISCHER, Stud., Reg.

L i t e r a t u r . Bibliographie: FISCHER, Stud., S. 303. F. LIEBRECHT, Beitr. z. Novellenkunde, Germ, l (1856)

Der von Büwenburc- •Ulrich von Baumburg

HANS-FRIEDRICH ROSENFELD

c 'Caecilia' Dt. Legenden I. Eine in der Donaueschinger Hs. 115, 41r-96r (I.Hälfte des 14.Jh.s; südalem.), überlieferte C.-Verslegende (hg. von SCHÖNBACH, 1873, S. 165-215, nach der Abschrift von C. GREITH [v.J. 1848], heute Wien, cod. 15386 [Suppl. 2786], f. 1-79) schließt in der Einleitung (vv. 1-24) und am Schluß (vv. 1739-1778) an die am Fest (22. Nov.) als Evangelium gelesene Perikope der klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25, 1-13) an. Nach SCHÖNBACH aufgrund großer metrischer Freiheit als 'Reimprosa' bezeichnet, der Funktion nach (vgl. />-Anrede, v. 44) zum Genre 'Reimpredigt' (MORVAY/GRUBE, Predigtbibl., T 223) gerechnet, eine Zuordnung, die SCHRÖDER wegen des großen Umfangs (1778 vv. und Schlußgebet) ablehnt. Konzipiert wurde der Text wohl für die Tischlesung in Frauenklöstern (vgl. auch STROPPEL : 'liturgische Legende'), was auch die Provenienz der Donaueschinger Hs. (Dominikanerinnenkloster St. Katharinental b. Dießenhofen [östl. Schaffhausen]) nahegelegt. Quelle ist die bei Boninus Mombritius, Sanctuarium I (ed. F. A. BRUNET, Paris 21910), S.332-341, abgedruckte Fassung (BHL 1495). Entstehung nach SCHÖNBACH in der 1. Hälfte des 14.Jh.s; eine frühere Datierung ist jedoch keineswegs ausgeschlossen.

offensichtlich um den Wahrheitsgehalt der Legende zu unterstreichen. Vgl. auch die Nachschrift: Dise legend ist so glaublich das sie in dem concilij bestettiget ist worden. III. Eine Prosaübersetzung der C.-Legende der 'Legenda aurea' (—»Jacobus de Voragine) ist auf S. 423-444 des cod. 1102 (olim 480) der Melker Stiftsbibl. überliefert. IV. Die C.-Legende in Solothurn, Zentralbibl., cod. S 353, 250v-256r (2.Hälfte d. 15. Jh.s; südalem.; aus dem Basler Magdalenenkloster) geht ebenfalls auf die 'Legenda aurea' zurück, ist jedoch durch einen Prolog ergänzt worden. WERNER WILLIAMS-KRAPP Caesarius von Arles

1. Erzbischof von Arles. Er wurde 470/71 in der Gegend von Chalon-sur-Saöne geboren, trat mit 20 Jahren in das Kloster von Lerme ein, ab 502 war er Bischof von Arles. Unter Alarich II. wurde er 505-506 nach Bordeaux verbannt. Er starb 542 in Arles. Vor allem durch seine Predigtsammlungen, die in über 200 Hss. überliefert sind, übte C. eine große Wirkung auf das MA aus. Er schuf sie als Predigthilfe für den niederen Klerus. Daß er in sie neben eigenem vielfach auch älteres, vor allem augustinisches Predigtgut in mehr oder weniger umgearbeiteter Form übernahm, schuf eine etwas verworrene Überlieferungslage; nicht L i t e r a t u r . A.SCHÖNBACH, Sant Cecilia, ZfdA 16 (1873) 215-223; E.SCHRÖDER, AfdA 7 (1881) 189; wenige Bearbeitungen und auch eigenstänSCHÖNBACH, Reimpredigt, ZfdA 25 (1881) 213f.; dige Predigten des C. wurden Augustinus R. STROPPEL, Liturgie u. geistl. Dichtung zwischen zugeschrieben, weil man hie und da Ent1050 u. 1300 (Dt. Forsch. 17), 1927, S. 154-156. lehnungen erkannt hatte (s. SCHRÖBLER, II. Auf dieselbe Quelle wie I geht eine 1939, S. 291; dies., 1948, S. 9). 2. Im Vergleich zu der reichen ÜberliefeProsaübersetzung der C.-Legende in Berlin, mgf 1259,185ra-195vb (v.J. 1493/4; schwäb., rung der lat. Predigtsammlungen des C. ist aus Söflingen), zurück. Hier wird der lat. der Ertrag an deutschen C.-Predigten nach Text dem hl.Ambrosius zugeschrieben, Durchsicht der vorhandenen Hss.-Kataloge

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Caesarius von Arles - Caesarius von Heisterbach

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recht spärlich. Allerdings ist auch hier damit zu rechnen, daß manches unter Augustinus' Namen läuft oder anonym überliefert wurde (-»Augustinus III. 12.).

Sp. 1056-1059 gedruckt ist. Nach MORIN (S. 936) hat C. diese Predigt aus einer älteren Sammlung (Ps.-Eusebius) übernommen. (Nhd. Übers, bei C.F. ARNOLD, Caesarius von Arelate, 1896, Die Predigt der Kirche 3. Glossen 30,5.125-130). A u s g a b e . Ahd. GH. II 81 f., 41 f.; Erg.-Bd. V24. 7. Innerhalb einer Zusammenstellung von Aussprüchen verschiedener AutoritäIn STEINMEYERS ahd. Glossen sind unter ten zugunsten der häufigen Kommunion in der Überschrift 'Caesarii Homiliae' Glossen Cent. VI 60 der Nürnberger StB (aus dem aus 2 St. Galler Hss. (cod. 193 und cod. 558) Katharinenkloster, 15. Jh.) kommt 132Vabgedruckt; der Ergänzungsband enthält r eine Glosse aus Berlin, SB, cod. theol. lat. 134 auch C. zu Wort mit einer diemutlich 2° 355. Darüber hinaus gehören auch einige beslissung, in der betont wird, daß die Seele der unter 'Augustini Sermones' aufgeführ- ebenso regelmäßig ihrer Nahrung bedürfe ten Glossen aus dem sog. Homiliar Bur- wie der Leib. Vgl. dazu MORIN, Sermo 4, chards von Würzburg (Würzburg, ÜB, cod. n. 3. 8. Ein dem Cardinal Arelatensis zugeMp. th. f. 28) zu C.-Predigten (s. SCHRÖBschriebenes gebedgin von dem heiligen LER, 1939,5.287-294). Sacrament enthält die Mainzer Hs. 322, 4. [Scherers] ahd. P r e d i g t s a m m l u n g v.J. 1454,14r-15r. A (-> 'Althochdeutsche PredigtsammlunL a t . Ausgabe. D.G.MORIN, Sancti Caesarii epigen A-C) 2 Ü b e r l i e f e r u n g und Ausgaben s. MORVAY/ GRUBE, Predigtbibliogr., T4.

Es handelt sich um Fragmente von drei Predigten, die sich in Wien (cod. 2681) und München (cgm 5248,3) befinden, für die SCHRÖBLER (1939) nachgewiesen hat, daß es sich nicht, wie man vorher angenommen hatte, um ahd. Bearbeitungen von Augustinus-Predigten handelt, sondern um die Bruchstücke einer Übersetzung von einer C.-Sammlung, der 'XLII Admonitiones' (Beschreibung der Sammlung bei MORIN, S. XLV-LI); die Abweichungen und Erweiterungen der Fragmente gegenüber dem Augustinus-Text gehen also nicht auf den Übersetzer, sondern auf C. zurück. 5. Der Wiener cod. 13655, 15.Jh., aus Brüssel, überliefert 87r-90r Sente cesarius sermoen vander oetmedicheyt. Der Text ist eine Übersetzung des bei MORIN als Nr. 233 edierten 'Sermo ad Monachos', die sich, von geringfügigen Kürzungen abgesehen, eng an die lat. Vorlage hält. 6. Eine weitere Klosterpredigt, sumyche stichtiche punten vs des hilgen buschofs cesarius eirste sermoen we dat man in cloisteren leuen sal, enthält die Darmstädter Hs. 1848,326V-329V. Sie folgt der 2.Homilie aus der Sammlung M (beschrieben bei MORIN, S. XXXIff.), die bei MIGNE, PL 67,

scopi Arelatensis op. om. V 1.2, 1953. L i t e r a t u r . LThK II 964f. ; R.CRUEL, Gesch. d. dt. Predigt im MA, 1879, S. 97-101; I. SCHRÖBLER, Zu d. Vorlage d. ahd. Predigtsammlung A, PBB 63 (1939) 271-294; dies., Rez. v. Morin, AfdA 64 (1948) 8-10; F.W.E. ROTH, Altdt. Hss. d. Bibl. zu Darmstadt, Germ. 32 (1887) 342; MENHARDT, Hss. III 1326.

DAGMAR LADISCH-GRUBE

Caesarius von Heisterbach C. hat nach dem damaligen Brauch seinen Namen stets mit -e- geschrieben (Cesarius), Dies geht aus dem Akrostichon der Verse im Prolog zum 1. Buch des Homilienwerks hervor, aus den Anfangsbuchstaben der Wörter in den Schlußversen des 'Dialogue', aus denen der einzelnen Bücher des 'Dialogue', der 'Libri miraculorum', der 'Libri super Ecclesiasticum'.

I. Leben. C. wird weder im Urkb. der Abtei Heisterbach noch in Schriften seiner Zeitgenossen erwähnt. Lebenszeugnisse bieten nur seine eigenen Werke.

Geboren ist er um 1180, vielleicht in Köln; adhuc puer hörte er dort 1188 Heinrich von Albano in der Peterskirche das Kreuz gegen Saladin predigen. Feststeht, daß er in Köln, wo er von 1188-1198 bezeugt ist, Erziehung und Ausbildung erfuhr. Zunächst besuchte er die Schule des St. Andreasstifts ('Dialogus' VI4), hatte dort jedoch nicht den origi-

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Caesarius von Heisterbach

nellen Decanus Ensfrid zum Lehrer, wie man nach VI 5 annahm. Damals befiel ihn eine schwere Krankheit, von der ihn ein Schwitzbad heilte (X 44). Auf der Domschule schloß er seine Bildung ab; hier war der berühmte Scholasticus Rudolf sein Lehrer (I 32 u. 38, IV 26, IX 22). Die Kölner Periode spiegelt sich in den Exempla. Köln ist in ihnen am häufigsten Schauplatz der Begebenheiten, und mehrfach erwähnt C. im 'Dialogue' (IV 98, X 25, XI 55) seine eigene dortige Jugend. Im Okt. 1198 ließ er sich durch Abt Gevard von Heisterbach bestimmen, Zisterzienser zu werden (I 17), begab sich zur Erfüllung eines Gelübdes zunächst aber noch auf die dreimonatige Wallfahrt zur hl. Maria von Rocamadour bei Cahors. Von Anfang 1199 an (II 10) bis zu seinem Lebensende hielt er sich dann meist im Kloster Heisterbach auf und schrieb hier seine Werke. Viele seiner Schriften gingen aus seiner Tätigkeit als Novizenmeister (s. Prolog zum 'Dialogus') hervor. Frühestens 1227 wurde er Prior (HENRIQUEZ, Menologium Cisterc., 25.Sept.). Das Kloster hat C. öfter verlassen, so als Begleiter seiner Äbte Gevard und Heinrich auf ihren Visitationsreisen nach Aachen (V 11), wo nicht wenige Mirakel des 'Dialogue' spielen, oder Hadamar in Nassau ('Libri mir.' I 22). Längere Zeit weilte er in Himmerode, dessen Abt Hermann II. ihm eine Reihe Exempla mitteilte; den dortigen Prioren Hartmann und Alexander widmete er die beiden Homilien über die Verklärung Christi und die 8 Predigten über die Passion. 1218/1224 ist er im Moselgebiet bezeugt, im Augustinerinnenstift Stuben bei Bernkastei ('Dialogue' IV 89, VIII 50 u. 54) sowie in Veldenz (VII44f.). Er reiste zur Abtei Eberbach (X 5), nach Utrecht (142, IV15, VIII53, X 21, XI 58 u. 60) und Groningen (VII 46). Um 1233 zog er vermutlich nach Marburg, um die Elisabethwunder aufzuzeichnen. Sein Todesjahr ist nicht bekannt. Da er das 32. Werk in der an Petrus von Marienstatt gerichteten 'Epistola catalogica' 1237 verfaßte, dort aber noch 4 Werke folgen, darunter ein großer Ecclesiasticus-Kommentar, und er nach der 'Epistola' noch mehrere Schriften vollendete, hat er bis in die 40er Jahre des 13. Jh.s gelebt.

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II. Werk. C. hat um 1240 in einem Brief an den Prior Petrus von Marienstatt zur einbändigen Sammlung seiner kleineren Werke eine chronologische Liste seiner Schriftstellerei aufgestellt, aus ihr jedoch einige in jungen Jahren verfaßte Sermones ausgeschlossen, die er der Aufnahme in den Katalog nicht für wert hielt. Das Verzeichnis (Ausg.: HiLKA I [s. u. II2], S. 1-34) umfaßt 36 Nummern. 14 davon sind noch nicht wiedergefunden; bei ihnen handelt es sich um theologische Schriften (Sermones, Bibelexegese u.a.), die zur Hälfte (Nr. 1-8) aus den Anfängen stammen; Nr. 26, ein Kommentar zu 5 Psalmen, ist wenigstens noch in einem Bibl.katalog von 1444 belegt (HiLKA, S. 60). Wieviel C. nach jener Liste noch vollendet hat, steht nicht fest, außer dem Katalog der Erzbischöfe von Köln (s. u. II3) sicherlich 'De sollemnitatibus b. Marie Virginis octo sermones' (HiLKA, S. 31) undwohl'OmeliaedeSanctis' (Inc.: Dominus ac salvator noster Jesus), die wenigstens im Bibl.katalog des St. Jakobklosters in Mainz, den Wolfgang Trefler 1512 anfertigte, verzeichnet sind (HiLKA, S. 60). C. unterscheidet zwei fast gleich starke Gruppen seiner Schriften nach dem äußeren Anlaß der Entstehung, die eine ad exercendum me, die andere ad diversorum peticiones, secundum quod epistole premisse declarant. Im letzten Falle gibt freilich nicht immer ein Brief Auskunft; so fehlt er den 2 Sermones von Nr. 15, die auf Bitten eines Priesters entstanden (COPPENSTEIN, Ausg., Homil. III138). Anfangs überwog eigener Antrieb, später Anregung und Zuspruch anderer.

1. Theologische Werke Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Den größeren Teil der H o m i l i e n vereinigt eine von C. selber in drei Abteilungen gegliederte Sammlung:! (Nr. 16) = 18 Homilien für die Zeit von Weihnachten bis zum l. Sonntag nach Epiphanias; II (Nr. 18) = 64 Homilien für die übrigen Sonntage des Kirchenjahrs bis zum 4. Adventssonntag; III (Nr. 20) = 33 Homilien vornehmlich zu Heiligenfesten. Alle bekannten Hss. bei HILKA I, S. 5 u. 60. Ausgabe von J. A. COPPENSTEIN, Fasciculus Moralitatis venerabilis Fr. Caesarii Heisterbacensis monachi..., Köln 1615 (wegen der Teilung von II hier insgesamt IV Teile). 36 Homilien umfaßt das große Quadragesimale (Nr. 30), das in einem Teil der Überl. 2 Predigten über die Verklärung und 8 über das Leiden Christi (Nr. 23) aufnahm; Hss. bei HILKA I, S. 6. Von den Se r m ones sind die Nr.n 10,13,31,35 in je einer Hs. erhalten (HiLKA I, S. 5-7); Nr. 2 u. 15 haben nur mehr Drucküberlieferung (COPPENSTEIN IV, S. 4-16 [= Nr. 2]; III, S. 138-159 [= Nr. 15]). Druck von Nr. 35: A. HUYKENS, Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 86 (1908) 51-59; ders. in HILKA III, S.381-390. Nr. 21 enthält 5 Predigten über die Marienfeste; 2 Hss., s. HILKA l, S. 6, Druck: J.H. SCHÜTZ, Summa Mariana II, 1908, S. 687-716. Nr. 28, eine Erklärung

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Caesarius von Heisterbach

des 19. Psalms, die Erklärungen von PS. 119-133 (Nr. 32), die von PS. 115 sowie die 'Exposiuncula* über die Sequenz 'Ave praeclara maris stella' (Nr. 9) sind in je einer Hs. erhalten; s. HILKA I, S. 4-7. Die Psalmerklärungen von Nr. 26 sind nur noch durch den Bibliothekskatalog des Jakobsklosters bei Mainz nachgewiesen, s. HILKA I, S. 60.

Die meisten theologischen Werke C.s sind Predigten, häufiger Sermones als Homilien. Aber die verlorenen Nr.n 25 und 29 bieten Streitschriften gegen Häretiker, Nr. 24, ebenfalls verloren, oraciones cum collecüs super boras canonicas. In den Predigten wird der Bibeltext oder das daraus entnommene Thema moraliter und allegorice ausgelegt. Gegenstand der Sermones sind Bibelstellen, bes. ganze Psalmen oder Teile aus ihnen (Nr. 10,26,28,31-33). Gern behandelt C. das Verhältnis der Himmelskörper zu den Schicksalen der Menschen (Nr. 3, Nr. 5-8); einmal interpretiert er eine Sequenz. Die Homilien sind mehr theologische Traktate und Meditationen als Reden und Predigten, predigthaft in ihnen meist nur der Eingang und das Schlußgebet. Nicht für Laien bestimmt, sondern für den Zisterzienserorden und besonders seine Konversen, beziehen sich die Auslegungen oft auf das Mönchs- und Ordensleben (z.B. werden COPPENSTEIN II, S. 66ff., die 5 Brote des Evangeliums auf die 5 virtutes ausgedeutet, in quibus vita monachorum consistit), und sie begegnen dem Hörer mit scholastischgelehrtem und besonderem spirituellen Anspruch. Seine Mitbrüder bemängelten dies wie auch den zu großen Umfang mancher Stücke, durch den sie für die praktische Seelsorge nicht brauchbar seien. Im 2. Teil der Sonntagshomilien hat C. sich daher bemüht, stilo breviori atque planiori (Vorrede, HILKA I, S. 19) zu schreiben; doch fielen die Festtagshomilien noch umfangreicher aus. Mit seiner Art steht C. in scharfem Gegensatz zu den Bettelmönchen, die aus dem Volk und für das Volk predigen. Immerhin hat C. drei Homilien (den beiden von Nr. 22 und der Sonntagshomilie COPPENSTEIN II, S. 93ff.) die Dialogform gegeben. Die Homilien bilden ein wichtiges Hilfsmittel für die mal. Homiletik aufgrund ihrer Behandlung der Perikopen sowie ihrer Belehrungen über die Kanzelberedsamkeit

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(vgl. CRUEL, S. 247-249), vor allem aber wegen der eingelegten Exempla; durch sie erhält die Homilie ihre eigene Note und unterscheidet sich z.B. von der des noch der Mitte des 12.Jh.s angehörenden -»Gottfried von Admont, mit der sie an sich manche Berührungspunkte besitzt. Wie C. im Vorwort zu I sagt, hat er die Exempla eingefügt, «i, quod probare poteram ex divine scripture sentenciis, hoc eciam firmarem exemplis. Da er damit Anstoß erregte, ließ er sie in den Festtagshomilien beiseite, verwendete sie jedoch später wieder, so in Nr. 22,32,35. Die Predigten sind uns heute besonders wegen ihres Inhalts wichtig, wegen ihres reichen Stoffes aus kirchlichem Leben und kirchlicher Lehre. C. verkörpert die Theologie seiner Zeit, besser: seines Ordens, und zeigt sich mit ihrer damaligen Literatur sehr vertraut. In der Geschichte der mal. Predigt steht C. zwischen den zwei Perioden: er verwendet zum größten Teil noch die alte unorganische Form, die bis ins 12. Jh. vorherrschte, z.T. aber bereits die neue, von der Scholastik herrührende, die Einheit und logische Disposition kennzeichnen, und zwar in einzelnen Partien wie ganzen Predigten. So erklärt er in der 1. Homilie (COPPENSTEIN I, S. 1) den Bibeltext Wort für Wort allegorisch ohne innere Einheit, während er in der 2. ein einziges Thema (de nomine Marie) in systematischer Gliederung (composicio, interpretacio, vocalis prolacio) behandelt. Beide Formen können sich auch in einer Homilie nebeneinander finden. 2. E x e m p l a Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Von A. HILKAS Gesamtausg. der erzählenden Werke sind erschienen: Die Wundergeschichten des C. v. H., Bd. l (= HILKA I), 1933 (Einl., Exempla u. Auszüge aus den Predigten); Bd. 3 ( = HILKA III), 1937. a) 'Dialogue miraculorum'. F. WAGNER verzeichnet in seiner noch ungedruckten Habil.schr. 'Der Dial, mirac.', Köln 1967, über 100 Voll- u. Teilhss.; Ausg.: J. STRANGE, 1851, mit einem Index 1857. Ubers.n: E. MÜLLER-HOLM (Verschollene Meister der Literatur 3), 1910; L. HOEVEL, nach der Übers. MÜLLERHOLMS ausgew. u. bearb. (Hegner Bücherei), 1968; I. u. J. SCHNEIDER, Die wundersamen Geschichten des C. v. H., 1972. - b) 'Libri miraculorum'. Hss. bei HILKA III, S. 4-11; ferner: P.C. BOEREN, Ein neuentdecktes Fragment der Libri VIII Miraculorum des C. v. H., Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 170 (1968)

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Caesarius von Heisterbach

7-21. Ausg.: A.MEiSTER,Rom 1901 (nichtzuverlässig); dazu A.E. SCHÖNBACH, MIÖG 23 (1902) 660-683, und A. PONCELET, Anal. Boll. 21 (1902) 45-52. Krit.Ausg. der beiden ersten Bücher: HILKA III, S. 16-128.

Zur novellistischen Predigtart der Exempla wurde C. als Novizenmeister gedrängt und damit auf ein Gebiet, auf das sich in erster Linie sein Schriftstellerruf gründet. Wie er in den Homilien zur Verdeutlichung Geschichten aus dem Leben erzählt, so tut er es auch im Unterricht der Novizen und läßt sich von ihnen zur selbständigen Sammlung der Exempla anregen, zumal er fühlt, daß ihm diese Art schriftstellerischer Betätigung liegt. Aus den Schriften, in die C. Exempla einfügte, hat HILKA I deren 315 herausgeholt, 282 allein aus dem Homilienwerk. a) Der ' D i a l o g u e m i r a c u l o r u m ' , das im MA bekannteste Werk des C., erhielt von ihm diesen Titel, weil sein Inhalt satis miraculosa (s. Prolog) ist und es in der Form des Dialogs zwischen einem Novicius interrogans und einem Monachus respondens hinter ihm verbirgt sich C. - gehalten ist. Zu datieren ist der 'Dialogue' auf die Jahre 1219— 1223. In I 27 und II17 sind 1219, in II10 1221 und in IX 10 1222 als die Jahre der Niederschrift zu errechnen; X 48 gibt 1222 als annus presens an; die mehrmals erwähnte Synode Engelberts von 1222 wird II 25 und VI 20 mit anno preterito angegeben. Das Exempelwerk ist zwischen den beiden Teilen der Sonntagshomilien entstanden, da in I 13 deren erster zitiert wird.

Der 746 Kapitel umfassende 'Dialogue' ist in zwei Teile zu je 6 Distinctiones geteilt. Die Distinctiones, deren Kapitelanzahl zwischen 35 und 103 schwankt, haben jeweils ihr eigenes Thema. In Art und Reihenfolge der 12 Themen ist am Anfang und am Ende eine bestimmte Absicht zu erkennen. Auf die äußere Bekehrung zum Klosterleben (I) folgt die innere (contricio II) und dann die Beichte (III); loser knüpfen sich Versuchung (IV) und Versucher (demones V) an; die beiden letzten Bücher handeln von den Sterbenden und dem Gericht über die Gestorbenen. Die Anordnung im Inneren scheint willkürlich (Herzenseinfalt VI, Marienwunder VII, Eucharistie IX); die Titel von VIII und X, De diversis visionibus und De miraculis, zeugen von der Verlegenheit, für zwei große Gruppen von 97 und 72 Geschichten den

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Mittelpunkt zu finden. C. sucht in den Einleitungen zum Ganzen wie zu den einzelnen Büchern die Anordnung zahlensymbolisch zu begründen. Die Einkleidung in ein belehrendes Gespräch, das den Novizen über die wichtigsten Gedanken des Ordenslebens aufgeklärt, unterstreicht den Charakter eines Lehrbuchs und verbindet so den 'Dialogus' mit den Homilien. In der Wahl und Technik dieses Rahmens haben die 'Dialogi' Gregors des Gr. als Vorbild gedient. Dem Dialog fehlt es an Leben, den beiden Sprechern an Charakterisierung. Das Lehrhafte tritt in fast jeder Geschichte hervor. Meistens enden sie mit moralischer oder dogmatischer Deutung, durch die betont wird, daß die Exempla anspornend oder warnend wirken sollen. Auch ganze Kapitel sind der Belehrung gewidmet. Zu Beginn jeder Distinctio wird das betreffende Thema erläutert, etwa in 11: quid sit conversio, unde dicatur, et de speciebus eius. Ähnliches wird inmitten der einzelnen Bücher behandelt, so in 15 cause conversions oder 136 modus et forma conversions. Dabei erörtert C. wichtige Gesichtspunkte der kirchlichen Lehre (III 27: die schriftliche Beichte genüge nicht); VIII12 erklärt eine Psalmstelle tropologisch. Am Schluß werden das himmlische Jerusalem und seine Bewohner beschrieben. b) Die 'Libri m i r a c u l o r u m ' hat C. als Fragment hinterlassen. Er plante ursprünglich acht Bücher (s. Nr. 27 der 'Epistola': libros octo; am Schluß des Prologs in der Soester Hs.: nomen auctoris iniciales littere coniuncte declarent). Das 1. Buch beginnt mit C, das 2. mit E (das 3. in der Bonner Hs. nicht mit S; es stammt nicht von C., das 4. und 5. sollten zuerst die Engelbertvita (s. u.) aufnehmen; deren Initialen A und R hätten dazu gepaßt. Die Vita aber wuchs sich zu einem selbständigen Werke von 3 Büchern aus; das ließ C. wohl das Interesse an den 'Libri' verlieren, in die die Vita nicht mehr hineinpaßte. Er hoffte wohl auch nicht, genug Stoff für nun 6 Bücher in absehbarer Zeit sammeln zu können. Nachdem C. den 'Dialogue' vollendet und damit Beifall gefunden hatte, ließ er sich durch seinen Abt zu dieser neuen Exemplasammlung antreiben. Nach dem Schlußsatz des Prologs schrieb er zur Zeit der Ermor-

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dung Engelberts (7.11.1225); dazu stimmen Zeitangaben in diesen Exempla (I 42 und II 8 nennen 1226 als annus presens); die Abfassung des Fragments fällt also in die Jahre 1225/26. Die Dialogform fehlt den 'Libri' (non dialogi morem servare volut, Prolog); auch findet sich die stoffliche Gliederung hier nur partienweise (I 1-13 Wunder durch Eucharistie oder II1-2 über die Trinität und 3-11 über Inkarnation und Eucharistie, beides mit theologischen Einführungen); C. bekennt im Prolog selber, daß er keine Ordnung beabsichtigt hat (que mihi sunt comperta ..., prout occurrerunt, scripto mandavi). Auch sind die dogmatischen und moralischen Erläuterungen knapper und seltener als im 'Dialogus'. Die Bonner Hs. (B), in der nicht, wie der Hg. MEISTER meinte, ein Entwurf oder Konzept von der Hand des C. vorliegt, bietet 106 zusätzliche Exempla und eine Einteilung des Ganzen in 3 Bücher; der Interpolator setzt 3 Geschichten in das 2. Buch des C. hinein und 23 an dessen Schluß, bildet mit 10 Exempla aus dem 2. (4-10, 20, 21, 33) und 77 neuen das 3. Buch (die 3 am Schluß gesondert stehenden rühren wohl von einem 2. Interpolator her); nur 4 sind keine Marienwunder. Daß sich der Interpolator in keiner Weise mit C. messen kann, zeigt er schon in der Bearbeitung der C.-Texte: Seine Sprache ist lose im Bau und frei in der Syntax, seine Darstellung sprung- und skizzenhaft ; er beseitigt die Verbindung der einzelnen Kapitel miteinander. Weiter läßt er oft Personen, Zeit und Ort der Handlung unbestimmt, gibt gern keine Quelle an und schöpft aus schriftlichen Vorlagen; ja, er schreibt 22 aus ihnen fast Wort für Wort ab, so je vier aus dem 'Dialogue' des C. und aus der etwa fünfzig Jahre später verfaßten 'Legenda aurea' (-> Jacobus de Voragine). c) Zur Charakteristik der Exempla läßt sich folgendes feststellen. Ihr Inhalt ist vorwiegend aus dem Leben und Treiben in den Zisterzienserklöstern und um sie herum geschöpft. Ihre Zeit ist das letzte Menschenalter (von etwa 1190 ab); Schauplätze sind namentlich Köln und Heisterbach, das Rheinland und die Niederlande. Das Milieu ist wahrlich bunt; alle Stände, die weltlichen

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vom Kaiser herab bis zum Bürger, Bauer, Bettler wie die geistlichen vom Papst und Erzbischof bis zum Novizen und Konversen, die verschiedenen Lebensalter, Geschlechter, Stämme, Charaktere und Temperamente sind vertreten. Mannigfaltig ist auch der Stoff, schwere Schuld und Buße im Diesseits und Jenseits, Einfalt und Frömmigkeit von ergreifender Größe, herrliche Wunder und Visionen, erschreckende Erscheinungen von Teufeln und Dämonen, daneben aber auch unbedeutende, wunderlose Erzählungen (etwa 'Dial.' X 16 oder IV 64). Es begegnet manches Motiv aus der international verbreiteten Erzählungsliteratur, so die Theophilussage in ganz verweltlichter Fassung (II 12), die Polykratessage (X 61), dieEntrückungssage(V37,VIII59,X2u.ö.). Auch die altgermanische Mythologie ist vertreten; das Volk tanzt um ein 'Götzenbild', einen Widder, Hammel oder Maibaum ('Libri' I 17); der wilde Jäger braust daher ('Dial.' XII 20); der Drache verschlingt den Mond (Homil. III35) u.a.m. Der lehrhaften Tendenz entsprechend überwiegt das Böse und Unheimliche, die Darstellung des Lasters (der verkommene Priester ist fast eine stehende Figur) und der Hölle. Das Erfreuliche und Heitere kommt weniger oft vor; hin und wieder löst ein Schwank Heiterkeit aus und erinnert an die Art Boccaccios ( £ Dial.'IV76,II24oderIV6u.88,VI37u.a.). Damit steht C. im Gegensatz zu Jakob von Vitry, der häufig auf die Lachnerven wirken will und die Tierfabel stark verwendet. Hauptquelle für die Exempla ist die mündliche Tradition. Was C. an merkwürdigen Begebenheiten erfahren konnte, hat er aufgezeichnet und redigiert, manches auch selber erlebt. Nicht wenig stammt aber auch aus schriftlichen Vorlagen, den -»'Vitas patrum' (III36, IV 9 u.ö.), 'Dialogi' Gregors des Gr. (II 16, IV 22 u.ö.), dem 'Liber miraculorum' des Herbert von Clairvaux (I 17, VIII 43 u.ö.), der 'Vita' des Bernhard von Clairvaux (I 1.6.8.16.19 u.ö.; vgl. VIII 31), der 'Vita s. Malachiae' Bernhards (III38, X 67), der 'Historica Damiatana' des Thomas Oliver (X 37-39 u.ö.) u.a. Wenn C. auch mit dem Stoff frei verfährt, um ihn der Exemplaform einzupassen, so bemüht er sich doch sehr um die Wahrheit, nennt

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Namen der Personen und Orte, die Zeit des Ereignisses und den Gewährsmann für den Stoff, soweit ihm das bekannt ist oder er es kundtun will (I 12 nolo ... nomina ... exprimere oder VII 13.15; IV 41) oder darf (V 5, vgl. IV 72). Im Prolog zum 'Dialogue' versichert er, daß er kein Kapitel erdichtet habe; so bricht er in einer Erzählung ab, weil er sich des weiteren nicht mehr genau erinnert und lieber Wahres verschweigen als Falsches berichten will (III33), oder läßt den Rest einer Vision weg, weil er zu obskur und ihm zu unverständlich ist (II30; vgl. IV 39). Was ihm zugetragen wird, hält er für wahr, stellt Märchen- und Sagenhaftes, Unglaubliches als wirkliches Geschehen hin (VIII59, VII 34, V 27 ...) und sieht im Alltäglichsten ein Wunder (V 53, X 57, IV 89 ...). Dieses Streben, überall ein Wunder zu sehen, will nicht nur moralisch wirken, sondern auch dogmatische Sätze beweisen. Im Wundererleben ist C. ganz ein Kind seiner Zeit und seines Ordens. 3. Historische S c h r i f t e n

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teristische Züge der betreffenden Personen hervortreten (IV 98, VI 5.6.10, VII 16.38).

b)Die'Vita s. E l y z a b e t h lantgravie', etwa 1236/37 verfaßt - der im Juni 1237 verstorbene Bischof Eckbert von Bamberg wird noch als lebend bezeichnet -, ist dem Prior Ulrich und den Brüdern des Deutschen Hauses in Marburg gewidmet. Sie hatten C. durch den Zisterzienser Cristianus einen quaternulus übersandt, der den Tibellus de dictis quatuor ancillarum' in kürzerer Redaktion enthielt, d.i. die Protokollaufnahme des Kanonisationsprozesses von Anfang 1235, und ihn gebeten, aus dieser formula conversations eine hystoria zu machen; ->Konrad von Marburg hatte vor seinem Tode C. als Biographen empfohlen. Da die Kanonisation bereits erfolgt war, brauchte C. seine Quelle nur zum größten Teil zu übernehmen und zu einem literarischen Werk auszugestalten. Wie er im Widmungsbrief erklärt, ließ er den Text teilweise unverändert, kürzte oder erweiterte ihn teilweise im Wortlaut, schmückte ihn auch namentlich mit Bibelzitaten oder fügte ihm Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n , a) 'Catalog! wertvolle Interpretationen ein. archiepiscoporum Coloniensium continuatio II.': Hss. c) Die 'Vita E n g e l b e r t i ' ist zur Hauptbei A. MEISTER (s.o. II 2, Ausg.), S. XXVII. Ausg. von sache 1226/27 geschrieben, das 1. Buch vor H. CARDANUS, MGH SS XXIV 345-347. b) 'Vita s. dem7. November 1226 vollendet (I l Ende), Elyzabeth lantgravie': Hss. bei A. HUYSKENS, in HILKA das 2. daran anschließend (zuerst ohne III, S. 331-334. Ausg. von HUYSKENS, Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 86 (1908) 1-59; ders., in c. 17?) verfaßt; das letzte Buch mit den 76 HILKA III, S. 344-381. c) 'De vita et actibus domini Miracula hat C. wohl größtenteils in dieser Engelberti Coloniensis archiepiscopi et martins': Hss. Zeit zusammengestellt, wenn auch nicht vor bei F. ZSCHAECK, in HILKA III, S. 229-231. Ausg. von 1237 beendet (c. 74 spielt 1237 anno preA. PONCELET, AASS Nov. III, Brüssel 1910, S. 644-681, sente). Wenn C. am Ende des Prologs zu den u. F. ZSCHAECK, in HILKA III, S. 234-328; zu älteren 'Libri miraculorum' angibt, er wolle als 4. Ausg.n vgl. ZSCHAECK, S. 232. Dt. Übers, von K. LANund 5. Buch passionem et miracula domini GOSCH (GdV 100), 1955. Engelberti einfügen, und die Initialen des a) Am unbedeutendsten ist der Katalog Passio- und des Miracula-Buchs mit A und der Kölner Erzbischöfe, der nur 71 Jahre R hineinpassen (s.o. II2b), hat er zwischen umfaßt und größtenteils aus mehreren Engelberts Todestag (7.11.1225) und der Quellen entlehnt ist. 1238 oder bald danach Ordination von dessen Nachfolger (20.9. abgefaßt, da er mit Conradus de Hochsta- 1226) an einer zweibändigen Vita gearbeitet, den schließt, der 1238 Erzbischof wurde und sie aber nach der feierlichen Beauftragung nur mit Namen erwähnt wird, kann er noch durch Heinrich von Molenark an dessen vor der 'Epistola catalogica' geschrieben Ordinationstag zu einer dreiteiligen erweiund dort nicht aufgenommen sein, weil er zu tert und zu einer selbständigen Schrift ausungewichtig schien. gebaut - der neue Erzbischof hat den Abt von Heister bach noch aufgefordert, C., der Bereits im 'Dialogus miraculorum' befinden sich sich anfangs weigerte, zum Gehorsam zu sechs kleinere Viten, die sich in ihrer Art nicht von ihrer zwingen. Auf zwei Fassungen weist z.B. Umgebung unterscheiden; Anekdoten, Visionen und Mirakel werden aneinander gereiht, in denen charakII11, dessen Bericht, wie Heinrich von Mo-

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lenark C. mit der Abfassung der Vita betraut, den chronologischen Ablauf zerreißt und sich so als späteren Einschub verrät (vgl. den Schlußsatz: hits ex abrupto insertis); II16 dürfte das eine Passio-Buch der 1. Fassung beschlossen haben. Die Ermordung Engelberts hat C. tief getroffen (vgl. Homilien III 90bf.). Aus Mitgefühl und Empörung scheint er sich entschlossen zu haben, dem Ermordeten ein literarisches Denkmal zu setzen. Der Auftrag des neuen Erzbischofs am feierlichen Ort und zu feierlicher Stunde hebt das bereits begonnene Werk zu besonderer Bedeutung, fordert aber auch, das Märtyrertum scharf zu betonen (ad gloriam martins dilatandam). Erzbischof Heinrich wollte die offizielle Kanonisation Engelberts erreichen, die 'Vita' sollte zur Streitwaffe dafür werden. Deshalb läßt C. beiseite, was nicht in die Märtyrervita paßt. Die politische Tätigkeit streift er nur, stellt die Passio in die Mitte, strengt den Beweis an, daß Engelbert im Kampf für die Kirche ermordet worden sei, hebt ihn schließlich über die Kölner Heiligen Evergillus und Agillolfus und vergleicht ihn mit Thomas Becket. Wenn in Wahrheit der Adel sich verschworen hatte, weil der Erzbischof als Herzog seine Oberhoheit durchzusetzen trachtete, der Überfall nur zur Gefangennahme führen sollte und es zur Ermordung erst dadurch kam, daß die Ritter die Selbstbeherrschung verloren, wenn er also einem politischen Handel zum Opfer fiel, so hat C. doch die Auffassung vom Martyrium von Anfang an vertreten und die öffentliche Meinung sie zumeist geteilt. Wie auch sonst hat sich C. hier um Wahrheit bemüht, ohne sich dessen bewußt zu sein, daß die Auffassung, die er vertritt, ihr widerspricht. So verschweigt er nicht den Tadel anderer Leute gegen Engelbert, ja, er tadelt ihn sogar selber (PONCELET, Ausg., S. 625). In seinen Angaben fußt er auf mündlicher Tradition, hat aber für den Überfall das Protokoll des Tobias, der die Dienste eines notarius beim Grafen Friedrich von Isenberg, dem Führer der Verschwörung, versah; daraus zitiert er einiges wörtlich. Die Wunder haben ihm persone veridid und Goswin, der Kanonikus von St. Peter, zugetragen. Die letzten 26 Mira-

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cula am Ort der Mordtat, in Gevelsberg, stammen aus der schriftlichen Aufzeichnung des dort amtierenden Priesters. Infolge der Sorgfalt und Schlichtheit, mit der C. berichtet, sowie jener Wahrheitsliebe stellt die 'Vita' für die Geschichtswissenschaft eine wertvolle Quelle dar. Im 1. Buch werden vita et actus behandelt, Herkunft (Kap. 2), erzbischöfliche Wahl (3-4), Tätigkeit (4-6) und Charaktereigenschaften (7-9), im 2. martirium, mortis causa et vindicta (17 Kap.) und im 3. miracula, que per illum operatur Dominus. Die eigentliche Biographie setzt sich aus trefflichen Einzelschilderungen zusammen, in die sich die Apologie des Märtyrertums eindrängt. Das Beste, das C. geschrieben hat, ist das Kapitel über die Ermordung (II7). Von den zwei Bearbeitungen der 'Vita' bringt die eine die nicht von C. herrührende Zurechtstutzung für den Klostergebrauch; sie läßt sich u.a. die Namen der Zeugen für die Wunder des 3. Buches wie auch die Bemerkung über Kaiser Friedrich II. qui hodie imperat fort, dazu die Stellen, die auf Engelbert ungünstiges Licht werfen. Doch überliefert sie C.' Prolog zum 3. Buch. III. S t i 1. C. zeigt in der Sprache zeitgemäßen Kolor und auch in den Zitaten, daß er sich nicht die klassische Latinität zum Vorbild nimmt; er holt sie vor allem aus der Bibel, seltener den Kirchenschriftstellern (Augustin, Gregor d. Gr. u. a.), nur gelegentlich aus der Antike. Verzicht auf rhetorischen Schmuck, Einfachheit und Klarheit charakterisieren seinen Stil. Gegen faleras verborum und flores rhetoricos, deren sich die philosophi bedienen, um mit ihrer sciencia secularis zu prunken, spricht er sich mehrfach in den Prologen aus (zur 'Vita Engelberti' oder zu 'Vita Elyzabeth'). Einem Mönch, der zur moralischen Erbauung schreibt, gezieme der stilus simplex, der auch den geistlichen Themen angemessen sei. Dementsprechend sind Wortspiele, Metapher und Vergleich selten. Den eigentlichen Schmuck bilden die Bibelzitate; vgl. den Prolog zur 'Vita Engelberti': in textus defloracione magis divine scripture testimoniis quam dictis utens phylosophicis. Reimprosa findet sich nur stellenweise, wenn auch

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endet und unkorrigiert aus der Hand genommen und hinter seinem Rücken so abgeschrieben, daß zu seinem Entsetzen viele Fehler hineinkommen. Mit den damals äußerst beliebten Exempla scheint C. Schule gemacht zu haben. Ein Anonymus bearbeitete die 'Libri miraculorum' und setzte sie fort. LAMPRECHT (Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 38 [1882] 173 f.) nennt an nachahmenden Werken die verschiedentlich in rheinischen Bibliotheken vorhandenen varia exempla, die in Hexametern abgefaßten 'Miracula s. Marie' und Holkotts Werke; vgl. auch die Breslauer Exemplasammlung, hg. von J. KLAPPER, Wort u. Brauch 12 (1914). 2. Für die v o l k s s p r a c h l i c h e Adaptation der Exempla ist Streu- und Einzelüberlieferung charakteristischer als die Übertragung größerer Komplexe. Um 1460 legte Johann -»· Hartlieb eine bairische, -> Püterich von Reichertshausen gewidmete Übertragung des 2. Teils des 'Dialogue' (VI-XII) vor - anscheinend ohne Publikumserfolg (e i n e Hs.). In den Niederlanden entstanden (nach DE VOOYS und DESCHAMPS) zwei Übertragungen, eine südndl. (I—VI, Teile von VII) mit 6 Textzeugen (Haupths. Haarlem, Bisschoppelijk Museum, cod. S.J. 91 IV. W i r k u n g . v.J. 1418) und eine holländische (VII-XII), 1. C. hat die erst 1192 gegründete Abtei überliefert in Hamburg, SB u. ÜB, cod. Heisterbach bekannt und berühmt gemacht, theol. 1125, um 1460 und Amsterdam, ÜB, und zwar durch die erzählenden Werke, wel- cod. V B 10; dazu Streuüberlieferung. che die eigentlich theologischen in den HinDie sehr breite volkssprachliche Überlietergrund drängten. Er hat wohl als erster ferung einzelner Mirakelgeschichten ist bis Exempla planmäßig in die Predigt eingefügt jetzt fast nur aus Hss.katalogen ablesbar; und dann selber für sich gesammelt, immer DE VOOYS erschloß vor allem Marienmiramehr als selbständige Erzählung behandelt kel, SPIESS publizierte aus St. Gallen, Stiftsund zu großen Sammelwerken vereinigt. bibl., cod. 591, Wundergeschichten über die Exemplasammlungen an sich gab es schon hl. Ursula (dieselben in Karlsruhe, LB, cod. im 12. Jh., s. H.D. OPPEL, DA28 (1972) 242 Licht. 87, 145r-153r). 'Dial.' Ill 26 ist die (unter den 5 sind 3 zisterziensische). Quelle der mhd. -* 'Teufelsbeichte'. Im Zeitalter der Gegenreformation erWenn er auch nur an seine Mitbrüder als Publikum dachte ('Dialogus' I l dient mit langte C.neueBedeutung; s. dazu W.BRÜCKseinem Bericht über die Entstehung des Zi- NER, Geistl. Erzähllit. der Gegenreformation sterzienserordens der Fundamentierung des im Rheinland, Rhein. Vjbll. 40 (1976) 150Ganzen), hat er doch viel weiter gewirkt, 169, hier: 152-154. wofür am deutlichsten die große Zahl der A u s g a b e n . (Mhd.) K. DRESCHER, Johann HartHss. spricht. Wie begierig die Fratres auf liebs Übers, des 'Dial, mirac.' von C. v. H. (DTM 33), seine Schriften waren, schildert er in der 1929; E. SPIESS, Ein Zeuge mal. Mystik in d. Schweiz, 'Epistola catalogica' und im Homilien- Rohrschach 1935, S.208-216. - (Mndl.) G.G.N. DE prolog von Nr. 23; sie werden ihm unvoll- VOOYS, Middelnederlandse Marialegenden II, Leiden

oft stark ausgeprägt (K. POLHEIM, Die lat. Reimprosa, 1925, S. 406ff.). Vermutlich ist für den Kursus ähnliches festzustellen. Mit Ungekünsteltheit und Schlichtheit in Sprache und Darstellung wirkt er künstlerisch recht stark. Er vermag einzelne Vorgänge dramatisch aufzubauen und so klar und eindrucksvoll zu schildern, daß sie deutlich vor Augen stehen. So darf manche Erzählung als Perle mal. Erzählkunst gelten. Er paßt den Stoff nicht nur in die literarische Form ein, sondern gestaltet auch eine Erzählung um, indem er sie anders stilisiert oder dem Habitus des anderen Werks angleicht; dabei ändert er historische Tatsachen durch neue Motivierung und eigene Erfindung. Nicht aber versteht er es, größeren Werken innere Einheit zu geben. Das Gewand des Dialogs, z.B. im 'Dialogue', ist so leicht aufgelegt, daß es sich mühelos abheben läßt. Manches Exemplum kann moralisch verwirren; bisweilen stehen Vergehen und Strafe nicht im richtigen Verhältnis zueinander (ein Priester muß ohne Schuld das Fegfeuer erdulden: 'Dialogus' VII 3; die gleiche Handlung dient als Warnung und als Ansporn: IX 24f.). Und im Ganzen steht jedes Exemplum für sich.

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Papst Calixtus

[1903], S. 237-261; ders., Middelnederlandse stichtelijke exempelen (Zwolse drukken en herdrukken 1), Z wolle 1953, S.5-7; 55f.; C.C. DE BRUIN, Middelnederlands Geestelijk Proza, Zutphen 1940, S. 199f.

3. Von größtem Wert sind die Schriften des C. als historische Quelle, besonders für den Zisterzienserorden und seine Theologie, aber auch für alle Bereiche des mal. Lebens, so daß man aus ihnen vom Tun und Treiben der damaligen Menschen bunte Bilder entworfen hat ( WIJBRAND, UNKEL) , nicht zuletzt auch für das Fühlen des einfachen Mannes. L i t e r a t u r . Bibliographie: Rep. font. III 101-103. I. A. KAUFMANN, C. v. H., ein Beitr. z. Kulturgesch. d. 12. u. 13-Jh.s, 21862; A.W. WIJBRAND, De 'Dial, mirac.' van C. v. H., Studien en bijdragen op 't gebied der hist, theol. 2 (1872) 1-116; M. BETHANY, C. v. H., Monatsschr. d. Bergischen Geschver.s 3 (1896) 165178; H. HÖFER, Zur Lebensgesch. des C. v. H., Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 65 (1898) 237240; ders., Regesten über C. v. H., Rhein. Gesch.bll. 5 (1900/01) 341-351; A. E. SCHÖNBACH, Stud. z. Erzählungslit. d. MAs IV, VII-VIII, WSB 144, 1901; 159, 1908; 163, 1909; J. GREEVEN, Kleinere Stud, zu C. v. H., Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 99 (1916) 1-35; P. HÜLSTER, C. v. H. u. sein Lehrer Ensfried, Heimatbll. d. Siegkreises (1925) 75-80; A. WACHTEL, in: NDB II 88f.; F. WAGNER, Stud, zu C. v. H., Analecta Cisterciensia 29 (1973) 79-95; A. SCHNEIDER, C. v. H., in: Die Cistercienser, 1974, S. 137-140. II. A. KAUFMANN, C. v. H. u. seine Bedeutung f. d. Mythe, Zs. d. Ver.s z. Erforsch, d. rhein. Gesch. u. Altertümer in Mainz l (1845/51) 226-238; K. UNKEL, Die Homilien des C. v. H., ihre Bedeutung f. d. Kulturu. Sittengesch. d. 12. u. 13.Jh.s, Annalen des Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 34 (1879) 1-67; J. PSCHMADT, Der 'Dial, mirac.' des C. v. H. in seinen Beziehungen zu Aachen, Aus Aachens Vorzeit 13 (1900) 1-16; M. BETHANY, Ärzte, Krankheiten u. deren Heilung nach C. v. H., ein Beitr. z. mal. Volksmedizin, Zs. d. Ver.s f. rhein. u. westf. Vk. l (1904) 154-158; M. HAIN, Lebendige Volkssage im 'Dial.mir.', Arch. f. mittelrhein. Kirchengesch. 2 (1950) 130-140; F. WAGNER, Wundergesch. aus Soest in d. Mirakelbüchern des C. v. H., Soester Zs. d. Ver.s f. d. Gesch. von Soest u. der Börde 78 (1964) 24-34. III. R. CRUEL, Gesch. d. dt. Predigt im MA, 1879, S. 244-256 u. 298-302; A. LINSENMAYER, Gesch. d. Predigt in Deutschland von Karl d. Gr. bis z. Ausgange d. 14. Jh.s, 1886, S. 150,369-372 u. ö.; A. M. KOENIGER, Die Beicht nach C. v. H., 1906; H. HARDER, Die sittl. Begriffe im 'Dial.miac.' des C. v. H., Diss. Leipzig 1916; dazu J. GREVEN, Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 106 (1922) 148f.; W. KLEIST, Der Tod d. Erzbischofs Engelbert v. Köln, Zs. f. Vaterland. Gesch.

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u. Altertumskde. 75 (1917) 182-249; J. GREVEN, Die Entstehung d. 'Vita Engelb.', Annalen d. Hist. Ver.s f. d. Niederrhein 102 (1918) 1-39; ders., Engelbert d. Heilige u. der Bettelorden, Bonner Zs. für Theol. u. Seelsorge 2 (1925) 32-^8; PH. SCHMIDT, Der Teufelsu. Dämonenglaube in d. Erzählungen des C. v. H., Diss. theol. Basel 1926; WELTER, L'exemplum, S. 113118 u.ö.; H. BRINKMANN, Voraussetzungen u. Struktur relig. Lyrik im MA, Mlat. Jb. 3 (1966) 37-54, bes. S.52-54; R.B. HUYGENS, Deux commentaires sur la sequence Ave praeclara maris Stella, Citeaux Com. Cist. 2/3 (1969) 108-163; WATTENBACH/SCHMALE, Geschichtsquellen I 362-364. IV. C.G. N. DE VOOYS, Middelnederlandse legenden en exempelen, Groningen-Den Haag 21926, S.20-30 u.ö.; J. DESCHAMPS, Middelnederlandse handschriften uit europese en amerikaanse Bibliotheken (Eeuwfeestuitgave van de Handelingen II. Konikl. Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal - en Letterkunde en Geschiedenis), Leiden 1970, S. 185-188.

KARL LANGOSCH Papst Calixtus Als 'Sankt (oder: Papst) Calixtus Paternoster' (ob Calixtus III. [1455-1458] ?) wird in zahlreichen Hss. ein Ablaßgebet bezeichnet, dessen einzelne Rubriken (Christi Kreuzestod, sein Aufenthalt in der Vorhölle, seine Auferstehung) jeweils durch das Sprechen eines Vaterunsers abgeschlossen werden. Ü b e r l i e f e r u n g z.B. Darmstadt, LB, Hs. 237, 141r-142r, um 1490; Hs. 1903, 193v-195r, um 1500; Hs. 1918, 45v-47r, v. J. 1457/58 (ohne Namensnennung) ; Greifswald, ÜB, nd. Hs. 9, 155rv, 15. Jh.; München, ÜB, cod. ms. 8C 227, 90V-91V, 1. H. 16. Jh. - Zur mndl. Überl. s. MEERTENS VI 116, Nr.43; A b d r u c k ebd. I 84 f.

Dieses Stück ist nicht zu verwechseln mit dem im allgemeinen einem Papst Gregorius zugeschriebenen Gebet von den fünf Wunden Christi (fünf Pater noster), das 'Papst Calixtus' lediglich mit einem Ablaß versah (ACHTEN/KNAUS, S. 36 und die dort angegebene Literatur). L i t e r a t u r . N.PAULUS, Gesch. d. Ablasses im MA, II, 1923, S. 293 f., 303; M. MEERTENS, De Godsvrucht in de Nederlanden I-VI (Historische Bibliotheek van Godsdienstwetenschappen), 1930-34; G. ACHTEN/H. KNAUS, Dt. u. ndl. Gebetbuchhss. d. hess. Landes- u. Hochschulbibl. Darmstadt, 1959.

VOLKER HONEMANN

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'Cambridger Handschrift von 1382/1383' - 'Candela rhetorice'

'Cambridger Handschrift von 1382/1383' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Cambridge, ÜB, Sign. T-S. 10. K. 22, orient. (?) Pap., 84 S. Altjidd. Sammelfys., von einer Hand, laut Kolophon (S.38, Z.40) 1382/83 wohl von Awroham dem Schreiber geschrieben. Ob die Niederschrift im vorderen Orient oder in Deutschland erfolgte, ist unbekannt; gefunden wurde die Hs. in dem 'Archiv' (Genisa) der Synagoge von Fostat bei Kairo. Inhalt: S. 1-3 (Schluß einer) -»'Petirass Aheron'; 3-12 ->'Gan Eden'; 12-33 -> 'Awroham owinu'; 34-36 -VJoßef ha-zadik'; 37-38 -> 'Löwenfabel'; 40 Notizen; 41-84 -> 'Dukus Horant* (Schluß fehlt). 2. A u s g a b e n . L.FUKS, The oldest known literary documents of Yiddish literature (C. 1382), 2 Bde., Leiden 1957 [Faks., Transliteration, nhd. Übers.]; E. KATZ,, Six Germano-Judaic poems from the Cairo genizah, Diss. Univ. of Calif., Los Angeles 1963 [Mikrofilm; Text in hebr. Quadratschr.]; H. J. HAKKARAINEN, Stud, z. Cambridger Codex T-S. 10. K. 22,1 (Annales Univ. Turkuensis Ser. B, Tom. 104), 1967 [Translit.]. Ausgaben einzelner Texte s.d.

3. Die Hs., als 'Dukus Horant'-Hs. bekannt geworden, ist von ungewöhnlicher Bedeutung, da die Überlieferung jiddischer Erzählliteratur im übrigen erst im 15. Jh. einsetzt. Ihr Inhalt ist deutlich zweigeteilt. Drei Legendenerzählungen, aus hebr. Midraschim übertragen, stammen aus der Hs. eines Isak, der sich in wohl angehängten (ROLL) Schlußversen jeweils nennt. Dieser Teil ist vermutlich von dem Schreiber Awroham um die Josef-Erzählung und die Löwenfabel ergänzt. Ihm steht der umfangreiche 'Dukus Horant' gegenüber, der stoffgeschichtlich deutscher Herkunft ist. Handelt es sich um das Repertoire eines Vortragenden ? 4. Die Sprache des Schreibers ist schwer zu beurteilen. Zum einen ist sie nur selten einwandfrei von der der Vorlagen zu unterscheiden, zum anderen fehlte es in der Zeit an klaren lautlichen Oppositionen zwischen dem Jiddischen und dem Deutschen. Die Merkmale weisen auf ein Idiom hin, das dem (Zentral-)Md. entsprach. Die Aufzeichnung mit hebr. Schriftzeichen wie die soziologischen Charakteristika und möglicherweise Einzelzüge morphologischer und lexematischer Art rechtfertigen es, diese und alle gleichartigen Aufzeichnungen der Zeit als jiddisch zu bezeichnen.

L i t e r a t u r . Chronologie, Bibliogr. s. HAKKARAINEN I (s.u. Ausg.n); ders., Stud. ... II: Graphemik u. Phonemik [Erg. z. d. Bibliogr.], III: Lexikon d. i. Wortindex (Ann. Acad. Scient. Fennicae Ser. B, Tom. 174 u. 182), Helsinki 1971/3; J. A. HOWARD, Hebrew-German and early Yiddish literature: A survey of problems, Diss. Univ. of Illinois 1972 [Mikrofilm], S..32-52 (wenig förderlich); W. ROLL, Zu d. ersten drei Texten d. Cambridger Hs. von 1382/3, ZfdA 104 (1975) 54-68. Zu den Vorlagen der Legendenerzählungen s. L. GINZBERG (Hg.), The legends of the Jews, 7 Bde., Philadelphia 1903-38, und M.GASTER (Hg.), The exempla of the rabbis, London 1924.

WALTER ROLL 'Cambridger Lieder' Cantabrigiensia'

'Carmina

Canaparius -> Johannes C. 'Candela rhetorice' 1. 'C. rhet.' ist der im Prolog genannte und erläuterte Titel einer zwischen 1403 und 1418 in Iglau entstandenen Ars dictandi (inc.: Venite ad me omnes qui laboratis). Über die Identität ihres Verfassers, der sich als Notar in Iglau und Lehrer an der dortigen Stadtschule zu erkennen gibt, ist Sicheres nicht auszumachen. BURDACH, Sp. 1965, vermutet in ihm einen Schüler -> Johanns von Geinhausen, der 1400 bis 1404 Iglauer Stadtschreiber war, WATTENBACH, S. 148 und 201, einen gewissen Urbanus de Pochyech, dessen Namen die 'C.' für ein Beispiel der Subscriptio verwendet. Ü b e r l i e f e r u n g . Brunn (Brno), Statni Archiv, G 11 (Hss. d. Frenzensmuseums), cod. 964, lr-41v; 42r-62v u. 7 / Nachträge u.a. mit der Beschreibung Iglaus. A u s g a b e . Auszüge bei WATTENBACH, passim.

2. Nach einer Einleitung, in der die personifizierte Rhetorica über den Nutzen, den sie ihrem Schüler bringt, spricht, behandelt die 'C.' die einzelnen Teile des Briefes, standesspezifische Salutatio, Exordium, für das Dichterzitate empfohlen werden, usf. Dem Traktat schließt sich eine Figurenlehre nach dem 4. Buch der 'Rhetorica ad Herennium' an, die inhaltlich zugleich eine geschlossene Beschreibung Iglaus darstellt. Über ihre doktrinale Funktion hinaus interessiert diese 'descriptio per colores singulos' als Beispiel für den schulläufig gewordenen

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'Canonicus Sambiensis' - 'Cantilena de conversione Sancti Pauli'

Stil gehäuften und schweren rhetorischen Zierrats, vor allem aber als ausführlichstes zeitgenössisches Zeugnis des literarischen Städtebilds. Der Autor fährt fort mit einem großen rhythmischen (Stabat-mater-Strophen) Lob Iglaus, das auch sonst überliefert ist (München, clm 17543, f. 233v-234r; Wien, cod. 4953, £.197*). Den Abschluß bilden eine Abhandlung über die für den spätmal. Kanzleistil typische Technik der Commutatio (Conversio nach der Terminologie Galfrids von Vinsauf) und eine Ars memorativa. L i t e r a t u r . W. WATTENBACH, Candela rhetoricae, eine Anleitung z. Briefstil aus Iglau, Arch. f. Kde. österr. Gesch.quellen 30 (1863) 179-202; K. BURDACH, DLZ (1898) 1964f.; W. HAMMER, Latin and German Encomia of Cities, Diss. Chicago 1937, S.47f. F.J.WORSTBROCK

Candidas (Bruun) von Fulda

Bruun (Candidus)

Candidas Wizo -»Wizo Canonicus Sambiensis Als den Verfasser der 'Epitome gestorum Prussie', einen samländischen Domherrn, vielleicht Deutschordenspriester, identifizierte KROLLMANN den Königsberger Pfarrer Konrad, der seit 1313 Canonicus, 1318 bis 1330 Pfarrer an St.Nicolai in Königsberg-Altstadt, seit 1331 Scholasticus war; er ist zuletzt 1334 (1335 ? s. Preuß. Urk.buch III l, 1944) nachgewiesen und starb zwischen 1338 und 1340. Ü b e r l i e f e r u n g . Königsberg, SB u. ÜB, cod. 1119, 156r-166r, 2.H.d. 14.Jh.sA u s g a b e n . M. TOEPPEN, Neue Preuß. ProvinzialBll., Andere Folge 4 (1853) 27-44 u. 140-153 (c. 1,2 auszugsweise; mit dt. Übers.); ders., SS rer. Prussicarum I, 1861, S. 275-290 (entgegen der Hs. zusammenhängend geordnet); W. ARNDT, MGH SS XIX 697-708 (getreu der Hs. unter Korrektur der Fehler TOEPPENS).

Neben Angaben zur Kirchen-, Reichsund österreichischen Geschichte bietet die 'Epitome' eine Übersicht über preußische Burgen und Städte, Hochmeister und Landmeister, befaßt sich mit dem Bistum Samland und der Kriegsgeschichte des Deutschen Ordens in Preußen und Livland (bis etwa 1300 kürzer, dann ausführlicher bis

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1338 für Preußen, bis 1331 für Livland; spätere Notizen bis 1352 wohl vom Kopisten). Quellen: Bistumsarchiv, Dünamünder und Rigaer Überlieferung, -»Nikolaus von Jeroschin, -» Hermann von Reichenau, eine Reihe österreichischer Annalen. Die 'Epitome' besitzt einen hohen Grad an Zuverlässigkeit und Selbständigkeit und verfügt über ein kritisches Urteil aus samländischem Blickwinkel gegenüber dem Deutschen Orden als Landesherrn. L i t e r a t u r . M. TOEPPEN, Gesch. d. Preuß. Historiographie, 1853, S. 26-28; ders., 1861 (s. Ausg.n), S.272-275; H. ZEISSBERG, Über eine Hs. z. älteren Gesch. Preußens u. Livlands, Altpreuß. Monatsschr. 8 (1871) 577-605; K. HÖHLBAUM, Beitr. z. Quellenkde. Alt-Livlands, Dorpat 1873; M. PERLBACH, Preuß.poln. Stud. z. Gesch. d. MAs II, 1886, S. 80-92; C. KROLLMANN, Wer war der Verf. der . g. P'. ?, Mitt. d. Ver.s f. d. Gesch. v. Ost- u. Westpreußen 2 (1928) 51-53; ders., C.S., in: Altpreuß. Biographie I, 1941, S. 99; G. LABUDA, Studia nad annalistyk? pomorska z XIII-XV wieku (Stud. z. pommerell. Annalistik d. 13.15. Jh.s), Zapiski Tow. Nauk. w. Toruniu 20 (1954) 103; O. ENGELS, Zur Historiographie d. Dt. Ordens im MA, AKG 48 (1966) 347f.; Rep. font. III 115.

UDO ARNOLD 'Cantilena de conversione Sancti Pauli' Fragmente eines Bußgedichts, etwa Mitte des!2.Jh.s. Ü b e r l i e f e r u n g . Colmar, Archives departementales du Haut-Rhin, Serie F. varia 108, f. Hva/b(sog. Colmarer Bruchstücke), 12.Jh., alem., aus einem Urbar des 15.Jh.s (s. MARTIN, ZfdA 40 [1896] 305307). Frgm., 93 Kurzverse. Die Hs. enthält weiter das -»'Crescentia'-Fragment und den -> 'Scoph von dem lone'. Die Überlieferung hat Lücken durch Blattbeschnitt; Vorschläge zu ihrer Ergänzung bei MARTIN, E. SCHRÖDER und MAURER. Der Titel stammt aus der Hs. Vor der Erwähnung des Paulus bricht das Fragment ab. A u s g a b e n . E. MARTIN, ZfdA 40 (1896) 328-331; A. LEITZMANN, Kleinere geistl. Ged. d. XII.Jh.s,21929, S.9f.; MAURER, Rel. Dicht. I 264-268 (zit., Verszählung nach MARTIN).

Das Bußgedicht setzt ein mit einer Warnung vor dem Jüngsten Gericht. In die Furcht der Menschheit vor Gottes Gericht bezieht sich der Dichter mit einem Sündenbekenntnis ein (Heu me misero, IIvb, v. 27). Die letzten erhaltenen Verse erwähnen die Ehebrecherin ( 8, 3ff.). Die Verknüpfung

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'Cantilena de rege Bohemiae' - 'Carmen ad Deum'

von Paulusbekehrung und Schuldbekenntnis ist nicht erhalten. Der Aufbau ist wegen der Lücken nicht sicher erkennbar, jedoch vermutete schon MARTIN (S. 312) aufgrund der Initialen Gliederung in ungleichzeilige Strophen. MAURER rekonstruierte mittels Konjektur gleichzeilige Strophen mit je vier 'binnengereimten Langzeilen'. Die Sprache des Originals ist wegen fehlender Reimbelege nicht zu bestimmen. L i t e r a t u r . E. MARTIN, Colmarer Bruchstücke aus d. 12.Jh., ZfdA 40 (1896) 311f.; dazu ergänzend E. SCHRÖDER, ZfdA 41 (1897) 94; EHRISMANN, LG II l, S. 181-183; R. STROPPEL, Liturgie u. geistl. Dichtung zwischen 1050 u. 1300, 1927, S. 124; MAURER (s. Ausg.n), S. 261-263 (mit weiterer Lit. bis ca. 1963).

EDGAR PAPP 'Cantilena de rege Bohemiae' Ü b e r l i e f e r u n g unter diesem Titel im cod. hist. 4C, 145 der LB Stuttgart (um 1540), 109r/v (Hs.-Beschreibung KLEINSCHMIDT, S.377-385). A b d r u c k durch J.F.BöHMER,ZfdA4(1844)573f.; M.HAUPT, MGH SS 17, S.251 f.

Die zweistrophige Totenklage eines anonymen Autors bezieht sich auf den in der Marchfeldschlacht (26.8.1278) gegen König Rudolf I. von Habsburg gefallenen böhmischen König Otakar II. Pfemysl (um 1230 bis 1278) und wird im gleichen Jahr entstanden sein. Sie ist nur in einer späten Abschrift der Chronik des -> Colmarer Dominikanerchronisten (um 1300) überliefert, der sie vermutlich durch eigene Ordenskontakte (aus Böhmen ? Vgl. z.B. MGH SS 17, S. 246 Z. 40 ff.) vermittelt erhielt. Der Dichter steht Otakar positiv gegenüber und gehört damit in den Kreis mhd. Autoren, die am Hofe des deutschfreundlichen Königs, bzw. für ihn als Mäzen schrieben (vgl. —> Friedrich von Sunnenburg, -> Meißner, -»Sigeher, ->·Tannhäuser, -»Ulrich von Etzenbach, -»Ulrich von dem Türlin), ohne daß er sicher mit einem von diesen identifiziert werden könnte. Der Text bewegt sich in der traditionellen Topik des herrscherlichen Totenpreises. Zum Lied sind in der Hs. nur für die erste Zeile die Noten in römischer Quadratnotation mitüberliefert.

L i t e r a t u r . E. KLEINSCHMIDT, Die Colmarer Dominikaner-Geschichtsschreibung im 13. u. 14. Jh., DA 28 (1972) 371-496; MÜLLER, Unters., S. 151 f., Reg.

ERICH KLEINSCHMIDT Caoursin, Guillaume Deutsche Übersetzung seiner Obsidionis Rhodiae urbis descriptio'. Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 813; vgl. DEGERING, Germ. Hss. II142; GW VI111 118.

G.G. (um 1430-1501), Sekretär und Vizekanzler des Johanniterordens seit 1462, der 1480 Rhodos gegen die Türken verteidigte, verfaßte sofort nach dem Ende der Belagerung die Obsidionis Rhodiae urbis descriptio', in der auch die erste Beschreibung von Rhodos enthalten ist; sie ist noch im selben Jahr lateinisch in Venedig bei Erhard Ratdolt (HAIN 4356), in Parma bei Andreas Portilia (HAIN 4357), in Passau bei Benedikt Mayr (HAIN 4359) erschienen, bei dem auch um die Jahreswende 1480/81 eine deutsche Übersetzung davon gedruckt wurde (D. REICHLING, Suppl. zu HAIN-COP., 1953, Nr. 42). Außer dieser gibt es auch eine hsl. tradierte deutsche Übersetzung aus dem Ende des 15. Jh.s (s. Überlieferung). L i t e r a t u r . Dictionnaire de biographic francaise 7, 1956,5.1056.

GERHARD BAADER

Capestrano -> Johannes von C. 'Carmen de bello Saxonico' —> Erlung von Würzburg 'Carmen ad Deum' Das 'C. a. D.', so genannt seit SCHERER (MSD Nr. LXI) nach einer sicher nicht originalen Überschrift in G, ist ein in 8 Hss. überliefertes lat. Reimgebet, dem in München, clm 19410 eine ahd. Übersetzung beigegeben ist. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 7 Hss. (fünf aus dem 9., je eine aus dem 10. und 11. Jh.) verzeichnet BLUME (s. Ausg.n), S. 300 (von BAESECKE, S. 9-10, um einen Vindobonensis des 15.716. Jh.s ergänzt); über das 'Book of Gerne' (Hs. A, l.H. d. 9. Jh.s) vgl. SCHRÖBLER, 1951/2, S. 92-93, und W. LEVISON, England and the Continent in the eighth Century, Oxford 31956, S. 295-302. München, clm 19410 ist beschrieben bei BISCHOFF, Schreibschu-

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'Carmen ad Deum'

len, S. 163f. (Faks. der p. 39 mit den ersten 10 Versen des Gedichts bei E. PETZET / O. GLAUMING, Dt. Schrifttafeln I, 1910, Taf. V; übernommen von BAESECKE, Taf. I). Der ursprünglich selbständige erste Teil der Hs., p. 1-60, wurde, sehr wahrscheinlich in Tegernsee, um die Mitte des 9. Jh.s von einer einzigen Hand zusammengeschrieben. Den vielfältigen Inhalt (darunter ahd. Glossen) des clm verzeichnet STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 290f.; unser 'Carmen' auf S. 39-41. 2. A u s g a b e n . Der lat. Text: , Hymnen 1365 f., Nr. 269 'Addeumoratio'; SCHÖNBACH, S. 113 f.; C. BLUME, Anal. hymn. 51, 1908, S. 299-301, Nr. 229 'Rhythmus ad Deum' (maßgeblich; Verbesserungen von W. BULST, ZfdA 80 (1944] 162); BAESECKE, S. 21-22 'Rithmos' (mit starker Bevorzugung der Hs. A). Der lat.-ahd. Text nach clm 19410: MSD Nr.LXI, S.221 f.; STEINMEYER, Sprachdenkm., Nr.XXXVI, S. 290 (beide in der Anordnung der Hs.: mit der nach jeweils einem halben oder ganzen lat. Vers auf der gleichen Zeile folgenden ahd. Übers.); BRAUNE, Leseb., Nr. XV, S. 37f.; BAESECKE, S. 55 f. (in der rekonstruierten interlinearen Anordnung); H. METTKE, Altdt. Texte, 1970, Nr. IX l, S.89 (folgt BAESECKE).

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Thematische, sprachliche und verstechnische Verwandschaft mit Gedichten aus dem Umkreis Aldhelms (vor allem Aethilwalds, vgl. MGH Auct. ant. XV 519-537) und mit Aldhelms Nachahmern ließ vielfach angelsächsische Herkunft vermuten (so u.a. SCHÖNBACH, BAESECKE, DE BOOR, LG I 22), doch sind auch diese Gedichte stark irisch beeinflußt. Die Sprache des 'C.a.D.' ist dunkel und oft 'glossematisch' (ScHÖNBACH), reich an ausgefallenen, z.T. griechischen Wörtern. Der Dichter zielt, wie die dominierende Rolle von Klang und Rhythmus zeigt, auf eine Art magischer Beschwörung, die dem Grundgedanken des Gebets sehr angemessen ist (vgl. BRINKMANN, S. 68 bis 72). Auf Grund des variierten SchildMotivs (v. 16 u. 19), in dem sich das SchutzAnliegen des Betenden besonders eindringlich äußert, läßt sich das 'C.a.D.' dem Typus der Lorica-Gedichte zuordnen. 5. Die ahd. Übersetzung. Die im clm 3. Der Dichter wendet sich in einer 19410 erhaltene Übersetzung ist der Spradoxologischen Anrufung an den Schöpfer che nach bairisch und um die Mitte des der Welt (v. 1-10), dann an den 'Himmels- 9.Jh.s oder kurz danach zu datieren (vgl. herrscher' Christus (v. 11) mit der Bitte um SONDEREGGER, S.71, 86, 100). Ihre AnordSchutz gegen die Anfechtungen der Sünden. nung in der Hs. (im Wechsel mit dem lat. Diese 'Geschosse' des Teufels soll Christus Halbvers oder Vers auf gleicher Zeile) ist als Schild (v. 16 umbo) bzw. mit seinem durch Abschrift bedingt; das Original war Schild (v. 19 parma) abwehren, um dann sehr wahrscheinlich interlinear. (Daß die seinerseits den Teufel in einem mächtigen Übersetzung stellenweise nicht zum lat. Angriff zu Fall zu bringen (v. 22f.). Im letz- Text des clm paßt, sondern Lesarten aus ten Teil erbittet der Dichter noch einmal der übrigen Überlieferung voraussetzt, deuhimmlische Unterstützung, damit er schließ- tet ebenfalls auf Abschrift hin). Der Überlich mit geläutertem Herzen Christus Dank setzer hat den schwierigen lat. Text mühsam Wort für Wort übertragen, manches sagen könne. Daß in dieser Bitte die Gottesmutter angesprochen mißverstanden (z.B. v. 6 fiostra - plomun; v. 11 caeliarc(h)e - himiles nolle], im Lateisei - was sich erst nach einem Eingriff in den überliefernischen Unverständliches konsequent in ten Text als plausibel darstellt -, bezweifeln BLUME und STEINMEYER (mit manus, v. 25, könnte die Macht des seine ahd. Entsprechung umgesetzt (v. 29) Himmels gemeint sein). Das Gedicht ist ohnehin unund in einem Fall wegen eines ihm unbescharf in der theologischen Unterscheidung der gött- kannten Glossenworts (v. 18 sugmento) auf lichen Personen: die vv. 1-9 richten sich vokativisch an die Wiedergabe ganz verzichtet. Über die den Schöpfer, also Gott Vater, in der darauffolgenden sprachlichen Probleme vgl. im einzelnen Bitte wird jedoch ausdrücklich Christus angeredet. STEINMEYER, Sprachdenkm.,, S.291, und 4. Das lat. Gedicht. Die Ssilbigen BAESECKE, S. 56-60. BAESECKES Annahme, rhythmisch trochäischen Verse, deren Halb- das von den Angelsachsen auf das Festland zeilen fast durchgehend reinen zweisilbigen gebrachte 'C.a.D.' sei zwischen 796 und Endreim und zahlreiche Alliterationen bzw. 802 auf der Reichenau ins Alemannische Stabreime aufweisen, sind vermutlich von übersetzt worden und habe erst über eine einem Iren (so u.a. BULST, SCHRÖBLER, Freisinger Zwischenstufe seine heutige baiSZÖVERFFY) vielleicht im 8. Jh. geschrieben. rische Gestalt in der Tegernseer Hs. erhal-

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'Carmen de Timone Comite'

ten, hat sich nicht behaupten können, doch wird, u.a. wegen der im Gebrauch der 'dichterischen Interlinearversion' (SONDEREGGERjS. 100) begründeten Verwandtschaft des 'C.a.D.' mit den sog. ->'Murbacher Hymnen', an einer traditionsmäßigen Verbindung mit der Reichenau festgehalten. L i t e r a t u r . EHRISMANN, LG I 259f.; BRAUNE, Leseb., S. 164; H. KRATZ, Frühes MA. Vor- u. Frühgesch. d. dt. Schrifttums, in: Hdb. d. dt. Lit. gesch., Bibliographien I, 1970, S. 181. - A.E. SCHÖNBACH, Über das 'C. a. D.' ZfdA 42 (1898) 114-120; G. BAESECKE, Das lat.-ahd. Reimgebet ('C. a. D.') u. d. Rätsel vom Vogel federlos, 1948; dazu Rez. v. I. SCHRÖBLER, AfdA 65 (1951/2) 88-94; dies., Zu den Carmina Rhythmica in d. Wiener Hs. d. Bonifatiusbriefe, PBB (Tüb.) 79 (1957) 1-42; H. BRINKMANN, Der Reim im frühen MA, in: Britannica, Fs. H.M. Flasdieck, 1960, S. 6281; SZÖVERFFY, Hymnendicht. I 161 f.; ST. SONDEREGGER, Ahd. Sprache u. Lit., 1974.

FIDEL RÄDLE 'Carmen de Timone Comite' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . München, clm 21571, 11.Jh., 233V-235V; München, Erzbischöfl. Ordinariatsarch., cod. B 5,15. Jh., S. 59-64. 2. A u s g a b e n . C.MEICHELBECK, Historia Frisingensis I 2, Augsburg 1724, S. 38-41; M. VON DEUTINGER, Beytr. z. Gesch., Topographie u. Statistik d. Erzbisthums München u. Freysing III, 1851, S. 557-561; E.DÜMMLER, MGH Poetae II, 1884, S. 120-124 (zit.).

3. Einer Randbemerkung des Schreibers von clm 21571 zufolge wurden die ca. 75 elegischen Distichen des 'CdT' aus einer älteren Rolle abgeschrieben, in der die Anfangsverse durch Altersabnutzung z.T. unleserlich geworden waren. Aus den vv. 60 bis 64 geht hervor, daß das anonym überlieferte Gedicht kurz vor der Überführung des hl. Alexander von Rom nach Weihenstephan bei Freising (834) entstand. BRUMMER, S. 107, vermutet in -> Erchanbert von Freising den Verfasser. 4. Nach dem fragmentarisch erhaltenen Prolog (Anrufung der Thalia v. 4) schildert das an Ludwig den Deutschen gerichtete Gedicht die rechtsprechende Tätigkeit des bayerischen Pfalzgrafen und Königsboten Timo (vgl. Hdb. d. bayer. Gesch. I, hg. v. M. SPINDLER, 1967, S. 283). Während dieser auf den Höhen von Weihenstephan zu Gericht sitzt, trinkt sein Hund aus der dort befindlichen heiligen Quelle und stirbt. In

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diese Rahmenerzählung werden Exkurse eingefügt: An König Ludwig richtet sich eine Darlegung der regia res (v. 13-54), die dem von Vorbildern und Gedankengut des ATs inspirierten karolingischen Königsideal entspricht (ANTON, S. 245-247); die Schilderung der Wahrheitsfindung beim Gericht führt zu einer scharfen Verurteilung der damals üblichen Gottesurteile (v. 73-82), die neben den Schriften Agobards von Lyon (gest. 840) zu den frühesten Belegen für grundsätzliche Kritik an den Ordalien gehört (NOTTARP, S.337). Vers 87-136 wird berichtet, wie die heilige Quelle auf dem Hügel Weihenstephan einst durch Hunde entweiht wurde und versiegte. Erst ein Bittgang des Volkes und des Klerus bewirkte, daß der Brunnen wieder zu fließen begann. Alles Schmutzige soll also dem Brunnen fern bleiben und nur der honestus daraus trinken. Das Verenden von Timos Hund (v. 137—150) bekräftigt diesen Grundsatz. Exkurs und Rahmenerzählung fließen hier zusammen. 5. Die Sprache des 'CdT' ist ein prosodisch fast korrektes (vgl. v. 39 fratricidis), an Vergil und Ovid geschultes Latein, wobei auch biblisches Sprachgut in den Hexameterbau geschickt aufgenommen wird (vgl. DÜMMLER, Apparat). Der Dichter verwendet gelegentlich seltene Formen und Vokabeln (v. 22 conteruit neben 25 contrivisse, 31 adentes, 49 faxit, 69 disceptamen, 117 cambutta). Auffallend sind die Wortspiele v. 9 f., 29 f., 42 f. 6. Im 15. Jh. wird das 'CdT' in einer Veit —> Arnpeck zugeschriebenen Schrift über die Gründung des Klosters Weihenstephan zitiert. L i t e r a t u r . MANITIUS, LG I 598f.; J.BRUMMER, Das carmen de Timone comite, Hist. Vjs. 16 (1917) 102-107; H. NOTTARP, Gottesurteilstud. (Bamberger Abhh, u. Forschungen 2), 1956, S. 337; H. H. ANTON, Fürstenspiegel u. Herrscherethos in d. Karolingerzeit (Bonner Hist. Forschungen 32), 1968, S.245-247; SZÖVERFFY, Weltl. Dicht., S.556; BRUNHÖLZL, LG, S. 367f., 560.

JOHN TAGLIABUE 'Carmen Winrici' -> 'Querela magistri Treverensis'

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'Carmina Burana'

'Carmina Burana' Sammlung lat. (und dt.) Dichtungen, um 1225/30. I. Ü b e r l i e f e r u n g . 'C.Bur.' werden die 318 Dichtungen genannt, die in der Hs. München, elm 4660/ 4660a, vereinigt sind. Die Sammlung ist als Ganzes nur durch diese eine Hs. überliefert; von den einzelnen Gedichten stehen jedoch viele auch an anderer Stelle. 1. Der Codex Buranus. Die Hs. der 'C.Bur.' (Faksimile s.u., Ausg.), ist ein gut ausgestattetes, teilweise neumiertes oder zur Neumierung vorgesehenes und mit einigen Miniaturen geschmücktes Ldb. Sie kam bei der Aufhebung der bayer. Klöster i. J. 1803 in die Kurfürstl. Hofbibliothek zu München. Vorher und, wie der Einband vermuten läßt, schon im 18. Jh. lag sie in Benediktbeuern, wonach sie durch SCHMELLER (s. Ausg.) benannt wurde. Über die frühere Gesch. der Hs. ist nichts bekannt. Entstanden ist sie vor der Mitte des 13. Jh.s, wahrscheinlich um 1225/1230. Die Schrift weist nach Kärnten, Steiermark, Tirol. Aus inhaltlichen Gründen hat BISCHOFF, 1970, S.Xlf., die Entstehung am Hof eines Bischofs von Seckau, entweder Karls (1218-1231) oder Heinrichs (1232-1243) wahrscheinlich machen können. Die Hs. hat am Anfang und an mehreren Stellen im Innern Verluste erlitten. Sie ist für ungefähr drei Fünftel der Texte der Codex unicus (BuLST, S. 462). Unter den nur im Buranus überlieferten Gedichten fällt eine Reihe von Liedern auf, denen jeweils eine dt. Str. zugesetzt ist. Sie bilden mit drei weiteren, die in noch je einer Hs. bezeugt sind (CB 142, 146, 178), die größte und geschlossenste Gruppe (CB 48,112-115,135-148,150-153,155,161175, 179-183, 203, 211); ihre Entstehung könnte in die Nähe des Buranus zu setzen sein. Die Hs. wurde bald nach ihrer Vollendung um Nachträge vermehrt. Als im 14. Jh. nochmals zwei Stücke eingetragen wurden (CB 7* und l*), scheint 'der Geist der Sammlung ... jenen, die sie schrieben, fremd gewesen zu sein' (BISCHOFF, 1967, S. 16). 2. Die Parallelüberlieferung. Etwa zwei Fünftel der 'C.Bur.' sind auch außerhalb des Codex Buranus überliefert, manche nur einmal, andere sehr häufig (CB 101 z.B. in 67 Textzeugen). Aber: 'Keine der über 490 als 'Textquellen' ... aufgeführten Hss. war nachweislich einem der Schreiber des clm 4660 vorgelegen oder ist auf ihn zurückzuführen.' (BULST, S. 462; über eine mögliche Ausnahme ebd., Anm. 1). Es sind trotzdem Verbindungen zu erkennen, die vermuten lassen, daß für die Auswahl der 'C.Bur.' bereits vorliegende Zusammenstellungen benützt wurden. Ein Teil der neumierten oder zur Neumierung vorgesehenen Stücke deutet auf eine neumierte Hs. des Notre-Dame-Repertoires (entfernt vergleichbar: Florenz, Bibl. Laurenz., cod. Mediceus 29.1 [F]). Desgleichen finden sich Berührungen mit dem Saint-Martial-Repertoire, mit dem Stuttgarter cod. HB I. 95 u.a. (BISCHOFF, 1967, S.12f.).

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Weitere Linien, die besonders die Gedichte des Petrus von Blois betreffen, deutet LENZEN an. II. A u s g a b e n . J.A. SCHMELLER, 'C.Bur.' (StLV 16), 1847; W. MEYER, Fragmenta Burana, Fs. z. Feier d. 150jährigen Bestehens d, Kgl. Ges. d. Wiss.n zu Göttingen, 1901; 'C.Bur.', mit Benutzung d. Vorarbeiten W. Meyers krit. hg. v. A. HILKA u. O. SCHUMANN (= CB),I.Bd.:Text, 1. Die moral.-satir. Dicht.n, 1930, 2. Die Liebeslieder, hg. v. O. SCHUMANN, 1941, 3. Die Trink- u. Spielerlieder - Die geistl. Dramen, Nachträge, hg. v. O. SCHUMANN | und B. BISCHOFF, 1970; II.Bd.: Kommentar, 1. Einleitung, Die moral.satir. Dicht.n, 1930 (zit.); die weiteren Ausg.n einzelner Gedichte sind in CB jeweils verzeichnet. 'C.Bur.', Faksimile-Ausg. d. Hs. Clm 4660 und Clm 4660 a, hg. v. B. BISCHOFF (Veröff. mal. Musikhss. 9), 1967; 'C.Bur.', lat. u. dt., übertr. v. C. FISCHER, Übers, d. mhd. Texte v. H. KÜHN, Anm.n u. Nachwort v. G. BERNT, 1974.

III. I n h a l t und A u f b a u . 1. Die Hs., die man früher mitunter als Vagantenliederbuch angesehen hat (hierzu SCHUMANN, CBII 82*ff.), enthält Lieder und Gedichte, die fast durchwegs weltlichen Inhalts sind, und sechs geistliche Spiele (CB 227, 228,13% 15*, 16*, 26*). Sie ist die weitaus größte und wohl bedeutendste Sammlung weltlicher mlat. Lyrik. Daß im verlorenen Anfang auch geistliche Dichtungen aufgenommen waren, ist nicht unwahrscheinlich. Die große Menge der 'C.Bur.' gehört dem 12. und beginnenden 13. Jh. an, der Blütezeit der mlat. Dichtung. Daneben enthält sie einige Verse aus der Antike und aus dem 11. Jh. Die meisten der Lieder und die Spiele sind anonym. Der Buranus selbst gibt (abgesehen von CB 123, das den Namen des Dichters im Text nennt) eine Verfasserangabe nur zu zwei nachgetragenen Liedern des —»Marner. Hier hat sie ein nahezu gleichzeitiger Korrektor, dessen Hand in dem ganzen Band zu bemerken ist, hinzugesetzt (s. BISCHOFF, 1967, S. 16). CB 193 bietet in der aus der Parallelüberlieferung ergänzten Fassung den Verfassernamen 'Petrus'. Darüber hinaus sind zahlreiche Autoren durch die Forschung identifiziert worden: Horaz, Ovid, Juvenal, Ausonius, -»Otloh von St. Emmeram (11. Jh.), Marbod von Rennes, Gottfried von Winchester, der Abälard-Schüler Hilarius, Hugo Primas von Orleans, der -»· Archipoeta, Walther von Chätillon, Petrus von Blois,

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Philipp der Kanzler, Gottfried von St. Viktor; unter den Dichtern dt. Strophen: -»Otto von Botenlauben, -»Dietmar von Aist, -»Walther von der Vogelweide, -»Reinmar, -»Heinrich von Morungen, -»Neidhart, -»Freidank, dazu die Helferich-Strophe des -»'Eckenliedes' (CB 203 a). 2. Bei der Anlage der Hs. wurde ein ungewöhnlicher Plan befolgt. In vier großen Abteilungen sind zusammengefaßt: 1. Moralisch-satirische Dichtungen, 2. Frühlingsund Liebeslieder, Liebesklagen, Klagen überhaupt, 3. Trink- und Spielerlieder, 4. geistliche Spiele. Daneben gibt es jedoch noch eine feinere Ordnung, die vor allem in der ersten Abteilung eingehalten ist: Nach den Gegenständen sind Gruppen gebildet, die manchmal eine Überschrift tragen wie De correctione hominum, De vere. Die Gruppen werden durch thematisch etwa passende versus abgeschlossen. Diese versus sind metrische Verse: Sprüche, Zitate, Reihensprüche oder auch ganze Gedichte. 'Vielleicht darf man den Plan der im großen geordneten Sammlung ... charakterisieren: wo immer dem Redaktor etwas sachlich zu den Liedern Passendes gegenwärtig war, hat er es aufgenommen, und das Ergebnis war eine Liedersammlung mit moralischen und didaktischen Anmerkungen' (BISCHOFF, 1967, S.9). Die Verknüpfung geschieht dabei oft über lose Assoziationen, die von einem einzelnen Zug ausgehen. Einigen der Gruppen sind Miniaturen zugeordnet, die jeweils am Ende der Gruppe stehen. 3. Der Inhalt der Sammlung ist außerordentlich bunt, ja kontrastreich, er spiegelt den Reichtum der großen Dichtung des 12.Jh.s wider. Der erhaltene Teil beginnt mit drei Gruppen von Gedichten über Habgier, Bestechlichkeit und die Macht des Geldes, über den Verfall der Studien und der guten Sitten, mit versus über den wahren Adel des Menschen und mit Satiren gegen die Simonie (CB1-11). Nach einem Lied gegen die Neider (in Liebessachen) und versus auf den Neid (allgemein) folgen die Gedichte auf die Unbeständigkeit des Glücks, dazwischen, wohl als Kontrast, ein Lob der Beständigkeit. Es schließen sich an Gedichte auf richtiges Geben (19-20), Auf-

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rufe und Bekenntnisse, die zum rechten Wandel, zur Bekehrung mahnen (21-40; De correctione hominum vor 26-28, De conversione hominum vor 29-32, De ammonitione prelatorum vor 33-38), darunter ein polemisches Gedicht auf die Verhältnisse im Orden von Grandmont (CB37). Es folgen Romsatiren (41-45), Kreuzzugsgedichte, vermischt mit einer bissigen Sitten-Satire und einer dt. Tageliedstrophe im Maß des jeweils vorausgehenden Kreuzzugsliedes und einem eigenartigen Lied aus Solignac auf den Jahrestag der Einnahme von Jerusalem (CB52), dann Texte auf die Beilegung des Schismas von 1159-1177 und zwei Dämonenbeschwörungen. 4. Die zweite Abteilung enthält - zum größten Teil, aber nicht ausschließlich Gedichte, die mit der Liebe zusammenhängen. Ihre Gegenstände sind: die Liebe, der Frühling und die Liebe, der Preis der Geliebten (der einmal ehrfurchtsvoll der Schönheit und Tugend, dann wieder mit detaillierter Beschreibung dem nackten Körper gilt), die Schilderung der Furcht, des Schwankens und der Liebesleiden, die Wünsche, die Werbung, das Glück des Liebeserfolges. Diese Themen, die im einzelnen Gedicht allein vorherrschen oder mit anderen verbunden sind, werden oft mit sehr verschiedenen Mitteln ausgeführt. Sie umreißen zudem keineswegs den ganzen Kreis der Gegenstände. Neben Liedern, die den - mitunter recht gewaltsamen - Sieg über die Geliebte (CB 72, 84) oder den Liebesakt (68) preisen, stehen andere, die bewußte Schonung und Zurückhaltung bezeugen (86, 88,167II). Neben Ermunterung zur Jugendlust und der Schmähung des Alters (75, 87, 94) stehen Gedichte, in denen sich der reife Mann mit seiner Beständigkeit (86) und der noch reifere mit seiner Ungefährlichkeit (93a) empfehlen. Mit gepflegten Ausdrücken und Bildern wird sehr witzig ein Besuch in einem Freudenhaus geschildert (76). Der Zwiespalt zwischen Studium und Liebe wird einmal für (108), einmal gegen die Liebe (63) entschieden. Es finden sich Ferien- und andere Schülerlieder (75,162), Pastourellen (79,90,157,158), ein kleines bildliches und ein großes unverhülltes Streitgedicht über die Vorzüge der Kle-

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riker- und Ritterliebe (82, 92), andere Fragen der Liebestheorie (59, 175a), eine leidenschaftliche Verteidigung gegen den Vorwurf der Sodomie (95), wohl vom AbälardSchüler Hilarius, eine ebenso leidenschaftliche Verteidigung gegen den Vorwurf der Untreue (117), Lieder auf die Liebe im Herbst und im Winter (69, 83), Tanzlieder (165,168 und wahrscheinlich viele andere), Lob und Ermunterung, die sich ein Liebhaber selbst spendet (166, 166a). Kennzeichnend für die Art der Verknüpfung ist z.B. die Gruppe 89-91. An einen eklogenartigen, sicher allegorischen Disput zwischen stolzen Pferdehirten und einer Kleinviehhirtin schließen sich die reizenden Pastourellenstrophen Exiit diluculo, daran eine Ermahnung an die Priester - die ja auch Hirten sind. Ganz bunt ist die lange Reihe der Klagen. Sie beginnt mit der Kurzfassung des Apollonius-Romans, weil diese mit einer Klage einsetzt (97), die folgenden Dido-Gedichte sind eigentlich keine Klagen (98f.), aber sie stehen neben einer großen Dido-Klage (100). Die große metrische Troja-Klage (101) zieht ein anderes Metrum über den Troja-Äneas-Stoff nach sich. Es schließen sich Liebesklagen an, die erste fand vielleicht ihren Platz, weil der Liebhaber und die Geliebte mit Paris und Helena verglichen werden. Unter ihnen steht eine Klage Amors über den Verfall der Liebeskunst (105), danach Klagen über Trennung und Scheiden (111, 118f.), über eine Geliebte, die sich einem schlimmen Wandel zugewandt hat (120; danach, 121, gewiß keine Klage, aber vielleicht ein ähnliches Motiv), Totenklagen (122, 124), die Klage des vom Aussatz befallenen Walther von Chätillon (123), die Klage des schwangeren Mädchens (126), das scherzhaft-klägliche Gedicht von einem jungen Mann, der ins Kloster gehen will, aber nur, solange er sich krank fühlt (127), eine Klage eines armen fahrenden Schülers (129), die Klage des gebratenen Schwans (130) und schließlich die Klage der caritas, der Nächstenliebe, ein Lied Philipps des Kanzlers (131, mit dem in das Schlußmelisma eingearbeiteten 131 a). 5. In der dritten Abteilung sind Lieder auf das Hofleben, das Trinken, den Wein, das Spiel, die Geselligkeit, das Vagieren -

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mit Bettelliedern und Invektiven gegen die Geizigen - gesammelt. Hier findet sich die 'Beichte' des Archipoeta, eine Spielermesse, ein Streitgedicht zwischen Wasser und Wein, die Kleidersatire 220a (-»Archipoeta). 6. Die vierte Abteilung wird durch das —* 'Benediktbeurer Weihnachtsspiel' und das (unvollständige) Spiel vom Ägypterkönig, in welchem das 'Tegernseer AntichristspieP (-> 'Ludus de Antichristo') benützt ist, gebildet. Die sehr gemischten N a c h t r ä g e bringen u.a. drei weitere Spiele, zwei große Marienklagen, fünf Katharinenhymnen und vier lat. Gedichte des Marner (3*, 6*, 9*, 10"·?). IV. Quellen. Bei Stücken so verschiedener Herkunft ist die Frage nach den Quellen für jedes Gedicht einzeln zu stellen. Neben der Tradition der mlat. Lyrik ist in den moralisch-satirischen Dichtungen der starke Einfluß der Bibel, in den Liebesdichtungen die Wirkung Ovids sehr bedeutend. V. Formen. Die 'C.Bur.' spiegeln auch im Hinblick auf die Form die Vielfalt der Dichtung des 12.Jh.s wider. Neben reimlosen und verschiedenartigen gereimten Hexametern und Distichen und den katalektischen daktylischen Tetrametern von 135 finden sich rhythmische Gebilde von stichischen Versen mit Paarreim (6,10) und einfachen Strophen mit und ohne Refrain bis hin zu den komplizierten Gebilden der Leiche, der 'strengen' Leiche und Sequenzen - mit und ohne Refrain. Großer formaler Anspruch bringt mitunter dunkle Verse (65), manchmal ein geglücktes Virtuosenstück (181) hervor. Es sind Rhythmen aufgenommen, die mit metrischen Zeilen gemischt sind (65, 71, 73, 110; auf die Mischung weist ausdrücklich 65.103, 5) oder mit gereimter Prosa (53,54). Auch die Sprachen werden gemischt (lat.-dt. 149, 184, 185; 218; lat.-afrz.: 94, 95; teilw. griech. Refrain: 51a; im Passionsspiel (16*) stehen dt. Strophen. Sonst finden sich einzelne dt. und afrz. Zeilen oder Wörter. Die musikalische Form läßt sich für einige Lieder aus der Parallelüberlieferung gewinnen. Von der musikalischen Gestalt ist u.a. vermutlich ein Gebilde wie CB22

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beeinflußt, das eine beim motetus auftretende Form zeigt. An zwei Paaren läßt sich innerhalb der 'C.Bur.' beobachten, wie die (Melodie und) Gestalt eines Gedichtes in einem anderen aufgenommen wird (Kontrafakt, Parodie: 62 und 197, 61 und 195). VI. Wirkungsgeschichte.Die'C.Bur.' haben als Sammlung bis zur modernen Zeit keine erkennbaren Spuren hinterlassen (s. o. 1.2). Die Frage nach der Wirkung müßte wieder für jedes Gedicht einzeln gestellt werden, gehört dann aber strenggenommen nicht mehr in die Wirkungsgeschichte der 'C.Bur.'. Bei manchen Gedichten ist gar keine, bei anderen, wie der 'Beichte' des Archipoeta, eine sehr bedeutende Wirkung festzustellen. Entstellte Verse von CB71 und CB88 haben sich sogar auf Holzstäbchen im norwegischen Bergen gefunden. Die moderne Geschichte der Sammlung beginnt mit ARETIN, der mit der Auswahl der nach München zu überführenden Bücher aus den Klosterbibliotheken betraut war. In seinen 'Beyträgen zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek zu München', 9 Bde., München 1803-1809 (J.Cn. v. ARETIN, Briefe über meine literarische Geschäftsreise in die baierischen Abteyen, hg. v. W. BACHMANN, MünchenWien 1971, S.71 und 171 Nr.5) berichtet er über die Hs. und druckt CB44. Vor SCHMELLER (s. Ausg.) haben u.a. B.J.DoCEN und J. GRIMM einiges aus der Hs. veröffentlicht. Ein entscheidender Fortschritt wurde durch W. MEYER (s. Ausg.) erzielt. Er entdeckte die Blätter der 'Fragmenta Burana' und stellte ihre Zugehörigkeit zum Codex fest, legte die Grundlagen für die richtige Ordnung der verbundenen Lagen und Blätter, suchte und fand einen großen Teil der Parallelüberlieferung. Seine Datierung der Hs. auf etwa 1225 hat sich letzten Endes bewährt. Auf A. HILKAS Anregung hat schließlich O.SCHUMANN (s. Ausg.) aus dem vielfach verderbten Wortlaut des Buranus und aus der erreichbaren Parallelüberlieferung mit 'solider Kenntnis der Grundlagen, aus denen mlat. Dichtung im allgemeinen lebt', mit 'beweglichem Urteil und feiner Einfühlungsgabe' (BISCHOFF, CB I 3, S.VII) die ersten beiden Bände der

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kritischen Ausgabe erstellt. In der Einleitung zum einzigen bisher erschienenen Kommentarband (S.3*-96*) hat er eine sehr eingehende Beschreibung der Hs. und ihres Inhalts gegeben. SCHUMANN hatte aufgrund von Parallelen, die er zwischen dt. Texten der 'C.Bur.' und späten Minnesängern zu sehen glaubte, die Hs. ins Ende des 13.Jh.s datiert (CB II l, S. 71* und 81*). Durch P.DRONKE, PBB (Tüb.) 84 (1962) 173-179,181 wurde die Stichhaltigkeit dieser Übereinstimmungen bestritten und mit Berufung auf das Urteil der Kunstgeschichte (O. PACHT) die auch schon von A.BOECKLER vertretene Datierung ins erste Drittel des 13. Jh.s wieder in ihr Recht gesetzt. Damit steht auch der paläographische Befund insoweit im Einklang, als er nicht erlaubt, 'mit der Datierung über die Mitte des 13. Jahrhunderts herabzugehen' (BISCHOFF, CB I 3, S. XI). 1970 wurde die Ausgabe durch B. BISCHOFF (s. Ausg.) mit dem dritten Textband und wichtigen Nachträgen zu den ersten beiden Bänden abgeschlossen. VII. L i t e r a t u r . Eine reiche, nahezu vollständige Bibliographie zu den 'C.Bur.' und zu jedem einzelnen Stück enthält die krit. Ausg. (CB). Ergänzungen gibt SCHALLER (s.u.). - B. BISCHOFF, Einl. z. Faks.-Ausg. (s.o. II), 1967; ders., Vorwort zu CB I 3, 1970; W. BULST, Rez. von CB I 3, Gnomon 44 (1972) 46(M67; H. SCHÜPPERT, Kirchenkritik in d. lat. Lyrik d. 12. u. 13. Jh.s, 1972; R. W. LENZEN, Überlieferungsgeschichtliche und Verfasserunters, z. lat. Liebesdicht. Frankreichs im HochMA, Diss. Bonn 1973; A. LISTOL, Runeninschriften von der Bryggen in Bergen (Norwegen), Zs. f. Archäologie d. MAs l (1973) 129-139; G. SPRECKELMEYER, Das Kreuzzugslied d. lat. MAs, 1974; D. SCHALLER, Bemerkungen z. Schlußbd. d. krit. Edition d. 'CB', Mlat. Jb. 10 (1975) 106-115; TH. LATZKE, Das Verwahrungsged. mit bes. Berücksichtigung d. 'C.Bur.' 95 u. 117, Mlat. Jb. 11 (1976) 151-176. Umfassende Unterrichtung über die 'C.Bur.' bietet SCHUMANN, CB II, Einl., zusammen mit BISCHOFF, 1967, BISCHOFF, 1970, BULST u. SCHALLER.

GÜNTER BERNT 'Carmina Cantabrigiensia' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Der cod. Gg 5.35 der ÜB Cambridge, eine umfängliche Sammelhs. christlicher Dichtungen, enthält gegen Ende 432r-441v eine kleine Liederanthologie, die jetzt eine Lage mit 8 Bll. und einem Vorsatzbl. umfaßt, während die Lagen der Hs. sonst stets 10 Bll. stark sind. Hinter f. 440 fehlt min-

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destens ein Bl., das wohl wegen des Inhalts der darauf stehenden Stücke herausgenommen wurde; 438" sind nämlich 2 Gedichte, 440" und 441" je ein Gedicht wegen des stark erotischen Inhalts getilgt. Da der Schreiber die kontinentale Minuskel des ll.Jh.s verwandte, aber gewisse Buchstaben (g, r, t, einzeln auch f, th, p, uu] mit ags. Zeichen vertauschte, ist zu vermuten, daß die Hs. im 11. Jh. in England nach einer kontinentalen Vorlage geschrieben wurde, und zwar im St. Augustinkloster zu Canterbury, da sich die Hs. dort vom 12.-16.Jh befand. Nach ihrem heutigen Aufbewahrungsort Cambridge, wohin sie gegen Ende des 17.Jh.s gelangte, sind auch die Lieder benannt, ohne daß sie mit diesem Ort weiter zu tun hätten. A u s g a b e n . K. STRECKER, Die Cambridger Lieder (MGH SS rer. Germ. 40), 1926 (mit Kommentar u. 3 Anhängen; zit.). Kleine Ausg. v. W. BULST (Editiones Heidelbergenses 17), 1950. Faksimile, mit nicht einwandfreier Edition: K. BREUL, The Cambridge Songs, Cambridge 1915. Dt. Übers, (von insgesamt 14 Stükken): K. LANGOSCH, Hymnen u. Vagantenlieder, 1954, S. 91-145.

2. Die 50 Stücke (Nr.30 und 30a sind als je eines zu betrachten) umfassende Sammlung hatte Vorlagen. Auf deren eine weist die ziemlich geschlossene Anordnung aller Sequenzen (Nr. 2-9 und 11-15; 30 und 30 a hatten ihren Platz ursprünglich vor Nr. 2, wo noch der Anfang von 30 eingetragen ist). Davon sind vier, die zu den bedeutendsten der Sammlung gehören, hintereinander, aber in alphabetischer Ordnung ihrer Titel (Nr. 5 -> 'Modus qui et Carelmanninc', Nr. 15 -+'Modus florum\ Nr. 14 -> 'Modus Liebinc', Nr. 11 —»'Modus Ottinc'), auch im cod. Aug. 56.16, f.59v-63r (11.Jh.), der Herzog-August-Bibl. Wolfenbüttel überliefert. Aus der daraus zu gewinnenden Vorlage U oder einem Verwandten von U hat gegen Ende des ll.Jh.s Sextus -»Amarcius in den 'Sermones' I 438 bis 443 geschöpft, in denen ein locator zur Lyra die Nr.n 14,12 und 10 singt (eingangs freilich ein in den 'C.C.' nicht vorhandenes Lied über Goliath). Danach läßt sich schließen, daß die Nr. 10, der Rhythmus über die Nachtigall, sich bereits in der Vorlage der 'C.C.' fand, wenn sie auch wegen ihrer anderen Liedform und wegen ihrer wohl frz. Herkunft (vgl. STRECKER, Ausg., S. 32) in die offenbar dt. Sequenzensammlung nicht ursprünglich hineingehört haben kann. Von den 15 Stücken der Sequenzensammlung weisen nicht weniger als 9 aufgrund

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des Inhalts und der Namen nach Deutschland: Nr. 3 und 12 sind Preislieder auf Konrad II. anläßlich seiner Kaiserkrönung (26.3.1027) und auf Otto I. bzw. die Ottonen, Nr. 9 ist eine Totenklage auf Heinrich II. (f 13.7.1024) und Nr. 7 eine auf Erzbischof Heribert von Köln (f 16.3.1021), Nr. 8 ein Preislied auf den hl. Viktor, den Patron von Xanten, Nr. 14 und 15 erzählen zwei Schwabenstreiche; Nr. 5, eine 'Predigt' auf wichtige Ereignisse aus dem Leben Christi, zeigt im Titel Modus qui et Carelmanninc eine dt. Bezeichnung, die auch für eine Sequenz —»Ekkehards I. begegnet (in lidio Charromannico), und Nr. 6 die dt. Namen Lantfridus und Cobbo. Nichts in den übrigen Sequenzen (Nr. 2, 4, 12, 13, 30, 30 a) widerspricht dem Schluß, daß die Sequenzensammlung in Deutschland zusammengestellt wurde, vielleicht im Westen - die Wolfenbütteler Hs. mit den vier Modi gehört nach Paderborn, Amarcius nach Speyer. Ein anderer Teil der 'C. C.', dieNr.n 35^7, weist auf eine nach Frankreich gehörende Vorlage, und zwar wenigstens 9 Stücke davon mit einiger Sicherheit: Nr. 35, der Rhythmus 'Sacerdos et lupus', ist vom Dichter des 'Roman de Renart' in der 18. Branche benutzt; Nr.36, 38,41,43 (dieTotenklage auf den 918 verstorbenen Wilhelm I. von Aquitanien gehört wohl nach Brioude), 45 und 47 haben durchgehenden Tiradenreim; Nr. 42 ist wohl von Fulbert von Chartres verfaßt, Nr. 44 im Gottesdienst der Kirchen von Nevers und Sens verwendet worden. Die vier übrigen Stücke dieses Teils (Nr. 37, 39, 40, 46) sprechen nicht dagegen, daß hier eine in Frankreich veranstaltete Sammlung aufgenommen wurde. Von den zwei den Schluß bildenden Stücken ist das Paidikon Nr. 48 italienischer Herkunft (an der Etsch entstanden), Nr.49 größtenteils ausradiert. Nr. l stammt aus einem alten Hymnus (Anal.hymn. 50, S. 195). Von den 18 Nr.n in der Mitte (16-29, 31-34) sind 9 in Deutschland entstanden: Nr. 16 behandelt die Königskrönung Heinrichs III. (1028), 17 den Tod Kaiser Heinrichs II. (1024) und 33 den Konrads II. (1039); 24-26 beziehen sich auf Mainz,

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Trier, Köln, 20 auf Homburg (a.d. Unstrut ?); 19 und das stark getilgte Gedicht 28 (-> 'Kleriker und Nonne') sind lat.-dt. Mischgedichte, von denen das erste (—»'De Heinrico') einen bayerischen Herzog Heinrich (den Zänker) preist und seine und Herzog Heinrichs (von Kärnten) Begegnung mit einem der Ottonen (Otto III.) besingt; der Dialekt erscheint als mfrk. oder eher nordthüringisch. Von den übrigen 9 Stücken sind 7 an sich neutral; 4 heben 9-24 Verse aus der 'Thebais' des Statius (Nr. 29, 31, 32) und aus Vergils 'Aeneis' (Nr. 34) aus, Nr. 22 bietet 5 Distichen aus einem großen Gedicht des Venantius Fortunatus und Nr. 18 einen merowingischen Abecedarius, Nr. 21 einen Prosasatz über Musiktechnisches. Bei Nr. 23 und 27 wagt STRECKER keine bestimmte Meinung, möchte aber hier Verona (Ausg., S. XIX), dort romanisches Gebiet (S. 73) vermuten, obwohl 27 zwischen sicherlich dt. Stücken steht. Im ganzen spricht demnach nicht wenig dafür, daß die 'C.C.' in Deutschland zusammengestellt wurden, vielleicht in der Rheingegend und um die Mitte des 11. Jh.s. 3. Auffällig ist die beträchtliche Zahl der Hofgedichte. Während die Nr.n 3, 9,11 der Sequenzengruppe, 16,17, 19 des Mittelteils und später 33 deutschen Kaisern von den Ottonen bis Heinrich III. gelten, gehört der Glückwunsch zur Genesung einer Königin (Nr. 41) auch wegen seines Tiradenreims in die frz. Gruppe - galt er Gerberge, der Schwester Ottos L, die Königin von Frankreich wurde ? Da sich für diese Gedichte in erster Linie der deutsche Königshof interessieren mußte und Heinrich III. den Wormser Magister ->· Ebbo beauftragte, modi zusammenzustellen, wie deren vier in den 'C.C.' auch andernorts bezeugt und für U anzusetzen sind, gehen die 'C.C.' mindestens im U-Teil auf Heinrich III. zurück, vielleicht sogar im ganzen, zumal sich die frz. Gruppe mit der zweiten Gemahlin Heinrichs III., Agnes von Poitou, in Verbindung bringen läßt. Die 'C.C.' scheinen also von diesem Kaiser angeregt zu sein, mit dem auch sonst eine Reihe bedeutender Werke in Beziehung steht wie mehrere -»-Wipos;

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Wipo selbst ist in den 'C.C.' mit Nr. 33, vielleicht auch mit Nr. 3 und 16 vertreten. 4. Entsprechend hoch ist das Niveau der Sammlung, die für ein sehr gebildetes Publikum gedacht ist. Angesprochen werden außer weltlichen Höfen, besonders dem kaiserlichen, auch geistliche wie die erzbischöflichen Höfe von Köln, Mainz, Trier; vgl. auch den Preis des Kölner Cäcilienstiftes vornehmer Damen (Nr. 26) und die Begrüßung eines neugewählten Oberhirten (Nr. 38). Der geistliche Tenor, der schon in jenen Stücken stark ist, überwiegt in der Sammlung überhaupt. Für die Interessenbreite des Sammlers zeugt anderseits die Zahl weltlicher Lieder, unter den Sequenzen Nr. 6 über die Freundschaftssage, Nr. 14 und 15 die Schwabenschwänke, Nr. 10 und 23 über die Nachtigall und die Vogelstimmen im Frühling, Nr. 20 'Alfrads Eselin', Nr. 24 'Der Prophet als Schwindelmajor', vor allem die Liebeslieder, die ältesten mlat. (Nr. 27, 28, 39,40,49); auch das Fabliau ist hier zuerst bezeugt (Nr. 14 -> 'Schneekind'). 5. Was die Buntheit zusammenbindet, ist die Möglichkeit des musikalischen Vortrags. Das Interesse des Sammlers daran tritt in verschiedener Weise hervor, so bereits bei den an sich merkwürdigen antiken Stücken. Die vier Exzerpte aus Statius und Vergil sind pathetische, zur Vertonung reizende Partien - erst recht die Horazode III12 an Neobule (Nr. 46) - und sind in anderen Hss. des 10. und 11. Jh.s neumiert. Sonst finden sich nicht selten bezeichnende Präludien vorangestellt: In Nr. 10 richtet sich die 1. Str. an die Leier, in Nr. 43 werden der Magister angerufen, die Leier zu schlagen, und der Sänger, die Stimme zu erheben; in Nr. 6 wird über die drei Arten, Töne hervorzubringen, gehandelt ; die neun Verse von Nr. 30 mahnen den Sänger zur Sorgfalt; des weiteren hat Nr. 45 die Musik zum Thema, Nr. 12 die Rolle des Pythagoras in der Musik, und Nr. 21 ist ein Merkspruch über die Intervalle. 6. Während jede Sequenz eine eigene Form besitzt, zeigen die in der Mehrzahl rhythmischen Stücke zwar eine Fülle von Formen, aber drei wiederholen sich, die Adonier zweimal (Nr. 20 und 24), die Fünfzehnsilbler sechsmal (in Dreierstrr. Nr. l und 10; unstrophisch Nr. 41 und 43; mit steigenden

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'Cato'

und fallenden Siebensilblern Nr. 37 und 47), die ambrosianische Strophe sechsmal (Nr. 19, 25, 35, 40, 42; 18 merow. gebaut). Erwähnenswert sind die Alexandriner in Nr. 48, die sapphische Str. in Nr. 23, der freiere Strophenbau in Nr. 16,17, 36, 45 sowie die metrisch-rhythmische Mischung in Nr. 38 und 44 (hier noch mit Prosa), schließlich der Einfluß seitens dt. Versbaus in Nr. 19, 28, 33. Die metrischen Stücke (zu den fünf antiken kommt Nr. 26 mit leoninischen Hexametern; Nr. 38 und 44 setzen sich nur zu einem Teil aus Hexameter und Distichon zusammen) verschwinden in der Masse. Vermerkenswert ist die mal. Formung bei den Sequenzen: Die Weiterentwicklung über den Typus der ersten, der NotkerPeriode hinaus zeigt sich im Reim, am stärksten in Nr. 8 und 30 a, aber auch darin, daß sie alternierenden Rhythmus durchzuführen und die Kadenz in den entsprechenden Zeilen der Strophenpaare stets gleich zu halten suchen; mehrmals ist bereits die Sequenzform für weltlichen Inhalt verwendet (Nr. 6, 14, 15). 7. Den größten Wert besitzen die 'C.C.' als die erste Liedersammlung Deutschlands darin, daß sie einen weitgefaßten, anspruchsvollen (poetisch ragen Nr. 40 Levis exsurgit zephirus und Nr. 14 'Modus Liebinc' hervor) Ausschnitt aus der Lyrik namentlich der Ottonenzeit vorlegen, von der sonst zu wenig erhalten ist (30 Stücke der 'C.C.' sind nur in ihnen überliefert). Sie ist ein 'Kulturdokument ersten Ranges' (STREKKER, Ausg., S. V). L i t e r a t u r . K. STRECKER, Zu d. Cambridger Liedern, ZfdA 62 (1925) 209-220; W. BULST, Zur Vorgesch. d. Cambridger u. anderer Sammlungen, Hist. Vjs. 27 (1932) 827-831; EHRISMANN, LG I 236-242; RABY, Sec. Lat. Poetry I 291-306; H. SPANKE, Ein lat. Ldb. d. ll.Jh.s, Studi Medievali NS 15 (1942) 111142; ders., Dt. u. frz. Dichtung d. MAs, 1943, S.45-51; DE BOOR, LG I 105f. u. 130 (Lit.); M. UHLIRZ, Der Modus 'De Heinrico' u. sein geschichtl. Gehalt, DVjs 26 (1952) 153-161; M. L. DITTRICH, De Heinrico, ZfdA 84 (1952/53) 274-308; G. DE VALOUS, La poisie amoureuse en langue latine au moyen äge, Classica et Medievalia 14 (1953) 156-204; W. KRANZ, Pythagoras in den 'C. C.', Rhein. Museum f. Philol. NF 102 (1959) 292-302; BULST, Zu Wipos 'Versus pro obitu Chuonradi imperatoris', Fs. P. E. Schramm 1,1964, S. 433-445;

K. LANGOSCH, Die dt. Lit. d. lat. MAs, 1964, S.86-88 u. 93-95; S. EBBESEN, Zum Carmen Cantabr. VI, Mlat. Jb. 3 (1966) 254-256; P. DRONKE, Medieval Latin and the Rise of European Love-Lyric, Oxford 2 1968, S. 271-281 (über Nr. 27, 40, 28), 353-356 (über Nr. 28!), 552 u. 571 (neue Hss. für Nr. 27 u. 40); V. SCHUPP, Der Dichter des 'Modus Liebinc', Mlat. Jb. 5 (1968) 29-41; J. BEYER, Schwank u. Moral, Unters, z. afrz. Fabliau u. verwandten Formen, 1969, S. 64—93; P. DRONKE, The Rise of the Medieval Fabliau, RF 85 (1973) 275-297; A.G. RIGG / G.R. WIELAND, A Canterbury Classbook of the middle ll' h -Century, the 'Cambridge Songs' Manuscript, Anglo-Saxon England 4 (1975) 113-130; F. BEHRENDS (Hg.),Fulbert of Chartres, The Letters and Poems, Oxford 1976, S.266-269 (Nr.42; Nr. 10 wird Fulbert abgesprochen: S.XXV Anm.25).

KARL LANGOSCH 'Carolus Magnus et Leo papa' -»'Karolus rex et Leo papa' Cassiodor -> Leopold von Wien 'Casus s. Galli' -*· Ekkehard IV. von St. Gallen 'Casus monasterii Petershusensis' ->· 'Petershausener Chronik' 'Cato' I. Die lat. 'Disticha Catonis' ('D.C.') (144 Distichen mit Präfationen) eines unbekannten spätantiken Didaktikers (3./4. Jh.) wurden in karolingischer Zeit durch 56 breves sententiae in Prosa erweitert. Die Subsumierung der vier Bücher unter die vier Kardinaltugenden iustitia, prudentia, temperantia, fortitudo ist ebenfalls mal. und entspricht weitgehend nicht dem Inhalt. Die 'D.C.' sind das wohl am weitesten verbreitete Schulbuch des europäischen MAs; sie wurden häufig lat. kommentiert und in viele Volkssprachen übersetzt. Ihr Inhalt besteht aus pragmatischen, stoisch gefärbten Lebensregeln militaristischer Ausprägung. Die erste uns bekannte Rezeption sind -»Alkuins 'Praecepta vivendi'. Die 'D.C.' (zuweilen auch 'Dicta' genannt) hatten bedeutenden Einfluß auf die pädagogisch-didaktische Literatur des deutschen MAs, z.B. —> 'Winsbecke', —> Thomasin von Zerklaere, -»Freidank, -> Konrad von Haslau.

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'Cato'

A u s g a b e n und L i t e r a t u r . Ausg. von M.BOAS, Amsterdam 1952; leichter zu benutzen: L.ZATO£IL, Cato a Facetus, Brunn 1952, S. 229-237. - Zur volkssprachl. Rezeption: I.A.BRUNNER, On Some of the Vernacular Translations of Cato's Distichs, Fs. H. Adolf, New York 1968, S. 99-125 (Zusammenstellung der volkssprachl. Rezeption in Europa); K.V.SEE, 'D.C.' u. Havamal, PBB (Tub.) 95 (1972) 1-18; E. RUHE, Unters, zu-d. afrz. Ubers.n der 'D.C.' (Beitr. z. Rom. Philol. d. MAs2),1968.

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3. Eine Sonderstellung nimmt der ostmd. (schlesische) 'C.' ein. Er stellt sich zwar zur Gesamtübertragung, bietet jedoch so viele Eigentümlichkeiten, daß er nicht mehr zur dritten Gruppe der Gesamtübersetzungen zu zählen ist. Einziger vollständiger Vertreter: L (London, Brit. Mus., cod. Arund. 243,15. Jh.). Der schlesische 'C.' hat Spuren in den ostmd. Vertretern der dritten Gruppe der Gesamtübersetzung hinterlassen, vor allem in H und N, aber auch in B (bair.!).

II. Der deutsche 'Cato' 1. Ob -»Notkers des Deutschen Plan, Ausgabe. Hss.-Verzeichnis u. krit. Ed. aufgrund den 'C.' ins Deutsche zu übersetzen, ver- von L: ZATOCIL, 1952, S. 185-229. wirklicht wurde (Brief an Hugo II. von Sit4. Abhängig von der Gesamtübersetzung ten, ed. P. PIPER, Notkers Werke II, 1882, ist die sog. 'Rumpfbearbeitung', entstanden S. 859-861; vgl. S. SONDEREGGER, Althochdeutsch in St. Gallen, St. Gallen 1970, S. 81 Ende des 13. Jh.s auf bairisch-österreichischem Gebiet. Diese Bearbeitung kürzt auf bis 87), ist ungewiß. 2 2. Die mhd. Gesamtübersetzung setzt die etwa /i des Umfangs, ordnet die Distichen lat. Distichen in paargereimte viertaktige unter thematischen Gesichtspunkten um Vierzeiler um. Sie entstand gegen Mitte des und nimmt fremdes Gut herein {-> Frei13. Jh.s im bairisch-österreichischen Sprach- dank). Sie läßt sich in zwei Gruppen klassiraum. Die Überlieferung teilt sich in drei fizieren. Die jüngere Hss.-Gruppe (X, Y, Z, Gruppen. Bester Repräsentant der ältesten s, t, v, w, W, Liederbuch der Clara -»HätzGruppe (Hss. Z, ZI, B) und zugleich näch- lerin) übernimmt ganze Partien aus Freister Abkömmling des dt. 'Urcato' ist Z, dank, dem 'Welschen Gast' und 'TannZwettl, Stiftsbibl., cod. 357, 89ra-98vb (frü- häusers Tischzucht' (-»· 'Tischzuchten'). hes 14.Jh., Ma.: rod. Schreiber einer bair. Wichtigster Vertreter der ca. 30 Hss. und Vorlage). Der 'C.' ist der Hs. nachträglich Bruchstücke sowie viele Drucke umfassenangebunden. Der dt. Übersetzung steht den Überlieferung ist A, Melk, Stiftsbibl., linksseitig der lat. Text gegenüber (mit cod. 1547 (olim 1859, olim R18), S. 271-293, Ausnahme einiger Verse am Anfang und Nr. 46 (um 1300). am Schluß). - Die zweite Gruppe (Hss. A, A u s g a b e n und L i t e r a t u r . Krit. Ed. von F. AI, a) wird am besten repräsentiert durch A: ZARNCKE, Der dt. C., 1852; eine Zusammenstellung Stuttgart, LB, Ms. poet, et phil. 50, 2r-76v der von ZARNCKE noch nicht genannten Hss. bei D. (15.Jh.). Ursprungsgebiet dieser Fassung, HARMENING, Neue Beitr. z. dt. C., ZfdPh 89 (1970) die Änderungen und Umstellungen auf- 348 f. Zwei weitere Bearbeitungen ebd., S. 351-360 weist, ist Schwaben. - Die dritte Gruppe (Bamberg, SB, codd. Ed. VII. 55 und VIII. 18). entfernt sich am weitesten vom dt. 'UrWeitere, selbständige 'C.'-Übertraguncato' (Hss. C, D, E, F, , G, H, N, alle gen: 15. Jh., Ma. bair. und ostmd.). Wichtigster 5. Mndl. 'C.' (13. Jh.), älteste Hs. C, StuttVertreter ist C (Wien, cod. 2977, 26r-41v). gart, LB, Ms. poet, et phil. 22 (I.Hälfte Über die Klassifizierung der Bruchstücke 14. Jh.). und Inkunabeln der Gesamtbearbeitung Ausgabe. A.BEETS, De 'D.C.' in het Middelnederhandelt ZATOCIL, 1935, S. 56-66. Die zahl- landsch, Groningen 1885. reichen Frühdrucke (ca. 30) gehören fast 6. Niederrhein, (mfrk.) 'C.', entstanden sämtlich zur zweiten Überlieferungsgruppe vor 1350; beste Hs.: K, Kassel, Murhard(GW VI 6319-6351). sche Bibl. u. LB, Ms. philos. 5 (Ende 14. Jh., Ausgaben. Abdruck von Z, ZI, B, A, F, H, G sowie von GRAFFUNDER nicht benutzt), Kölner Verzeichnis der gesamten Überl. bei ZATO£IL, 1952, Frühdrucke 1480, 1498, 1500. S. 15-182; N ist herausgegeben von ZATOOIL, Der Neusohler Cato, 1935, S. 85-102.

Ausgabe. P. GRAFFUNDER, Catos Distichen in niederrhein. Übers. (Progr. d. Prinz Heinrich-Gym-

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Chirurg von der Weser

nas.), Berlin 1897 (dazu: J.FRANCK, ZfdA 45 [1904] 100).

7. Mnd. 'C.' des Meister —> Stephan aus Dorpat (Mitte 14.Jh.), mit Kommentar, beste Hs. D, Danzig, StB, Ms. 2416 (olim IX.E.O. 110,14. Jh.). A u s g a b e n und L i t e r a t u r . Ausg. von P.GRAFFUNDER, Meister Stephans mnd. C., Ndjb 23 (1897) 1-50 u. 25 (1899) 1-33; B.CLAUSSEN, Die Rostocker Bruchstücke des. mnd. Cato, WZUR 5 (1955/56) 217 bis 219.

8. Der 'Amorbacher C.' ist nur als Abschrift des fränkischen Historikers Johannes Gamans (wohl v. J. 1673) im cod. M. ch.q.85, 590ra-591vb der ÜB Würzburg er-' halten. Das Original gehörte zum Bestand der Klosterbibl. Amorbach. Der Hg. stellt den Text zum nd. Cato, insbesondere zum Ms. germ. 2 4° der StB u. ÜB Frankfurt/M. Der 'Amorbacher C.' zitiert, entgegen der übrigen 'C.'-Überlieferung, am Anfang (v. 1-13, außer v. 9) den 'Wigalois' ^Wirnts von Grafenberg (Auswahl aus vv.11518 bis 11542). Ausgabe. D. HARMENING (s.o.4.), S. 360-368.

9. Die bislang einzige bekannte Prosafassung ist der 'St. Galler C.', überliefert in der St. Galler Weltchronik, cod. Sang. 628, Großfolio, S.259f. (Ende 15. Jh.). Der 'St. Galler C.' enthält etwa V5 des lat. Originals in Neuübersetzung mit Anklängen an die ostmd. (schlesische) Redaktion (s.o. 3.). Er verfolgt nicht wie die anderen Fassungen die Absicht, den Hörer/Leser moralisch zu belehren, sondern will antike Autoren durch Auszüge aus ihren Werken charakterisieren. A u s g a b e und L i t e r a t u r . P. KESTING, Ein dt. 'C.' in Prosa. C. u. Cicero in d. St. Galler Weltchronik, Würzburger Prosastud. II, Fs. K. Ruh (Medium Aevum 31), 1975, S. 161-173 (Text S. 167-170).

10. Der 'C.' wurde immer wieder neu übersetzt, so von Sebastian -»Brant und Martin Opitz, sogar noch im 19.Jh. (G.B. H. Pistorius 1816, I.M. Fleischner 1832, F. F. Franke 1835/40). A l l g e m e i n e L i t e r a t u r . W.MiTZKA, Diedt. CatoDicht.n d. MAs, ZfdPh 54 (1929) 3-20; DE BOOR, LG III l, S.386-391, Bibliographie S.404f.; WORSTBROCK, Antikerez., Nr. 47-124 (Dt. Drucküberl. 1473 bis 1546).

N a c h t r a g . Nachdem der 'Cato'-Artikel bereits abgesetzt war, erreicht mich folgende Ankündigung: N. HENKEL beabsichtigt, bisher unbeachtete lat.-dt. Cato-Hss. der Bayer.SB München zu beschreiben bzw. zu veröffentlichen. Es handelt sich um folgende Textzeugen: clm 3059, 392V-397V und 398"; 3588, 235r246V;7021,114M20V; 15632,113r-129r; 11782,1 ; 15145, 33r-351r (lat. Sermones über Stellen aus der Bibel und aus 'Cato'; die 'Cato'-Stellen sind ins Dt. übersetzt); 11782, 30r (frgm.). Alle Angaben nach N. HENKEL (brieflich). Die Entdeckungen HENKELS kommen nicht unerwartet, denn eine systematische Bestandsaufnahme aller dt. Cato-Bearbeitungen ist bisher nicht unternommen worden und verspricht weitere Funde in erheblichem Umfang. L i t e r a t u r . N. HENKEL, Beitr. z. Überl. d. Disticha Catonis in dt. Übers. (I). Die Ubers.n des clm 3059. Erscheint ZfdA 107 (1978); weitere Veröffentlichungen sollen folgen.

PETER KESTING

Caub -> Wonnecke, Johann, von C. 'Cautela und Premis' —> Hermann von Oesfeld Cersne -»Eberhard von C. Chimära, Stephanus -> 'Confessionale' Chiphenberger -» Kipfenberger Chirurg von der Weser Vor allem an der operativen Heilkunde interessiert, studierte der Ch. v. d. W. um 1220/30 in Bologna sowie Montpellier, traf in Montpellier mit Wilhelm Burgensis (de Congenis) zusammen, dessen Operationsmethoden er kennenlernte und dessen Vorlesungen zur 'Roger-Chirurgie' (-»Roger Frugardi) er nachschrieb. Spezialisiert auf Lidplastiken, entwickelte er ein eigenes Operationsinstrumentar und praktizierte zu Paris sowie später im Weserbergland, beispielsweise in Höxter. Aus seinen Kollegnachschriften rekonstruierte der nd. Wundarzt die Vorlesungen Wilhelms de Congenis und gab ihnen die Gestalt eines fortlaufenden Kommentars zur -'Roger-Chirurgie'; er schrieb diese Roger-Glosse vielleicht noch in Frankreich jedenfalls nach dem Tode seines wide vermaert meesters - und widmete sie einem

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'Christ ist erstanden'

dux O., wohl Herzog Otto I. von Braunschweig, der 1252 starb. Diese Roger-Glosse nach Wilhelm Burgensis ergänzte der Ch.v.d.W. später (vor 1266) durch einen Zweitkommentar, der marginal dem Wortlaut des Erstkommentars folgt und in einer Reihe fortlaufender notulae zur älteren Wilhelm-BurgensisGlosse Stellung nimmt. Vor allem bringt der Zweitkommentar Nachträge, in die der nd. Wundarzt spätere operative Erfahrung einfließen läßt, wobei er aus seiner Praxis in Frankreich und Deutschland berichtet. Roger-Erstkommentar und Roger-Zweitkommentar des nd. Wundarztes dokumentieren das frühe Vordringen oberitalienischer Chirurgie nach Deutschland. Beide Texte sind - von wenigen landessprachigen Einsprengseln abgesehen — lat. verfaßt, lassen indessen schon die Rezeptionsbewegung erkennen, die noch im 13. Jh. zur Roger-Verdeutschung -»Ortolfs von Baierland führte. Ü b e r l i e f e r u n g . Oxford, Bibl. Bodl., cod. 553, lr-71v (2. H. d. 13. Jh.s); Leipzig, ÜB, cod. 399,55r-85r (14.Jh.); Erfurt, Wiss. Bibl., cod. Amplon. F. 267, 151r-162r (2. H. d. 14.Jh.s; nur Erstkomm.); Bern, Burgerbibl., cod. 429, 63'-67" (frgm.); Paris, Bibl. Nat., Ms. ancien fonds 429, 43v-60r (14. Jh., hebräisch, übers, von R. Isaie). A u s g a b e n . J.L. PAGEL, Die Chirurgie d. Wilhelm v. Congeinna (Congenis), 1891; K. SUDHOFF, Beitr. z. Gesch. d. Chir. im MA (Stud. z. Gesch. d. Med. 10-12), 1914-18, II 297-384 (grundlegend). L i t e r a t u r . M. STEINSCHNEIDER, Die hebräischen Übers.n d. MAs u. d. Juden als Dolmetscher, 1893, S. 801, §498; R. GANSZYNIEC, Zur Chirurgie d. Wilhelm de Congenis, Sudhoffs Arch. 13 (1921) 166-170; K. SUDHOFF, Der Ch. v. d. W., Schüler, Überlieferer u. Interpret Wilhelms v. Bourg im 13.Jh., Janus 13 (1926) 114f.; E. WICKERSHEIMER, in: Dictionnaire biogr. des medecins en France au moyen äge I, Paris 1936, S. 235; L. DULIEU, La medecine a Montpellier I, Avignon 1975, S.148f. u.ö.; W. LÖCHEL, Die Zahnmedizin Rogers u. d. Rogerglossen (Würzburger med.hist. Forsch. 4), 1976, S. 31 f., 59-61, 200-223.

G. KEIL 'Christ ist erstanden' Osterleis, entstanden im 12. Jh. 1. Ü b e r l i e f e r u n g. Das früheste Zeugnis für Text und Melodie findet sich im Ordinarium des Salzburger Domes um 1160 (Salzburg, ÜB, cod. II, 6, 67r, Incipit mit Neumen). Von da an bis zur Mitte des 16. Jh.s sind

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bislang über 300 Uberlieferungszeugen bekannt, die meisten zitieren allerdings ebenfalls nur das Incipit. Älteste Quelle für die ganze (erste) Strophe: Klosterneuburg, Stiftsbibl., cod. 1213, 83V (anno 1325, mit linienlosen Neumen). Zur Überl. der weiteren Strophen s.u. Zusammenstellung von 160 Textzeugen bei LIPPHARDT, 1960, S. 97-99; Ergänzungen in der seither erschienenen Literatur (s. u.), vor allem LIPPHARDT, 1972, S. 70 u. 117 Anm. 36 (26 Zeugnisse in den -> 'Medinger Liedern und Gedichten') und ders., Lat. Osterfeiern u. Osterspiele II-V, 1976, passim. Zusammenstellung der Melodieüberl.: LIPPHARDT, 1971, S. 47-54. A u s g a b e n . Ein breites Spektrum von verschiedenen Fassungen bietet WACKERNAGEL, KL II, Nr. 39-42, 935-940, 942-951. Ausgabe der Melodieüberl.; LIPPHARDT, 1971.

2. E n t s t e h u n g und A u s b r e i t u n g . Das Lied bestand ursprünglich nur aus einer vierzeiligen Strophe mit angehängtem Kyrieleis. Diese benutzt textliches und musikalisches Material der Ostersequenz Victimae paschali laudes (-> Wipo) in freier Bearbeitung. Verwendung findet das Lied vor allem in lat. Osterfeiern (Visitatio Sepulchri) in der von den Augustiner-Chorherrn geprägten Fassung als abschließender Gesang des Volkes. Auch als Prozessionsgesang nach der Sequenz Victimae paschali laudes in der Ostervesper läßt sich das Lied schon früh in der Passauer und Salzburger Diözese nachweisen. Tendenzen, das Lied als Tropus in die Sequenz zu integrieren (zunächst als Refrain nach einzelnen Versikeln, später auch als Alternatim-Gesang mit weiteren dt. Strophen), zeigen sich wohl schon seit dem 13. Jh., wenn auch eindeutige Zeugnisse (z.B. aus Admont und Dießen, s. auch -»'Crailsheimer Schulordnung') erst aus dem 15. Jh. stammen. Seltener (aber schon sehr früh) ist auch tropierende Inter, polation in das die Osterfeier abschließende Te Deum bezeugt. Verwendungsweisen außerhalb von lat. Osterfeier und Ostervesper sind erst seit dem 14. Jh. belegt: als Abschlußgesang in dt. Osterspielen, als Predigtlied von Ostersonntag bis Christi Himmelfahrt und als Wallfahrtslied. Ob Salzburg, der Ort der frühesten Aufzeichnung, auch der Entstehungsort ist, bleibt umstritten; da nur die von Passau aus durch die Augustiner-Chorherren ver-

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'Christ ist erstanden'

breitete Fassung der lat. Osterfeiern das dt. Lied in enger Verbindung mit der lat. Sequenz, aus der es entstanden ist, zeigt, vermutet LIPPHARDT (1971) Passauer Herkunft. Zunächst bleibt das Lied auf seine bair.-österr. Heimat beschränkt. Erst vom 14. Jh. an ist es auch aus anderen Gegenden bezeugt (u. a. -»'Frankfurter Dirigierrolle', -> 'Medinger Lieder und Gedichte'). Im 15. Jh. war es fast über das gesamte dt. Sprachgebiet verbreitet, sogar aus den 13 deutschen Gemeinden in der Nähe von Verona ist es überliefert (WACKERNAGEL, KL II, Nr. 942). Da die meisten Quellen nur den Anfang des bekannten Liedes zitieren und vollständige mehr strophige Aufzeichnungen erst sehr spät einsetzen, bleibt die genaue Verbreitung der weiteren Strophen unsicher. So ist die schon Ende des 12. Jh.s in St. Lambrecht (Graz, ÜB, ms. 798, 52r-53r) und Seckau (Graz, ÜB, ms. 763, 187V) durch Incipit bezeugte Str. (£5) giengen drei vrouwen vollständig erst seit dem 16. Jh. überliefert. Die Str. Wer er nit erstanden ist erst seit dem 15. Jh. durch Incipit bezeugt und findet sich erstmals vollständig in einer Amberger Hs. um 1500 (München, clm 2992, 230r bis 231r). Sie wird wohl auch erst im 15. Jh. entstanden sein; denn sie dürfte sich an zwei Zeilen einer Strophe anlehnen, die 1422 erstmals belegt ist (Ein kindelein so löbickleich, -^'Dies est laetitiae'). Daß sie 1474 schon sehr bekannt war, zeigt ihre Verwendung zu einer politischen Parodie (s.u.). Weniger häufig als die mehr als 300 Textzitate und -Überlieferungen sind Aufzeichnungen der Melodie. Auch diese beschränken sich meist auf das Incipit. Immerhin läßt sich den Neumen der ältesten Salzburger Quelle entnehmen, daß dieses Incipit musikalisch mit der späteren Tradition übereinstimmte. Seit dem 14. Jh. gibt es vollständige Aufzeichnungen in Neumen, seit dem 15. Jh. Aufzeichnungen in Liniennotation. Schon früh erscheint die Melodie auch in mehrstimmigen Bearbeitungen, so 1433 in Salzburg und um 1450 in Trier (Nachweise LIPPHARDT, 1971, S. 45 f., 6871). Mit der Melodie wanderte das Lied auch in das polnische (FEICHT), tschechische

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( ) und ungarische (RAJECZKY) Sprachgebiet. Eindrucksvolle Zeugnisse einer simultanen Aufführung in drei Sprachen (lat., dt., tschechisch) bieten u.a. die Predigten -»Konrads von Waldhausen (f 1369). Ein neuer Fund aus Kaschau (Kosice) vom Anfang des 15. Jh.s zeigt sogar eine Simultanausführung in vier Sprachen (ungarisch, dt., polnisch, tschechisch), wie es der Sprachensituation einer Stadt wie Kaschau entsprach (RAJECZKY). 3. W i r k u n g . Das dt. Lied wurde außer ins Tschechische, Ungarische, Polnische auch dreimal ins Lateinische übertragen ( .). - Eine Umdichtung auf Christi Himmelfahrt Crist fuergen himel (WACKERNAGEL, KL II, Nr. 976-980) ist seit dem 15.Jh. überliefert (JANOTA, S. 203f.). KOTHE (S. 36-38) vermutet wohl zu Unrecht Einfluß des dt. Osterleis auf den lat. Hymnus Surrexit Christus hodie (CHEVALIER, Nr. 19934; WALTHER, Initia, Nr. 18925); auch die mal. dt. Übertragungen dieses Hymnus (Erstanden ist der heilige Christ, BARTSCH, Germ. 18 [1873] 60; WACKERNAGEL, KL II, Nr. 953; auch 'Crailsheimer Schulordnung') lassen noch keinen Einfluß erkennen, wohl aber einige dt. Fassungen seit dem 16. Jh. (WACKERNAGEL, KL II, Nr. 956, 957, 960 bis 962). - Zitatartige Verarbeitung des Osterleis zeigen zwei Gedichte wohl des 15. Jh.s: Cristus ist erstanden gewerlich von dem tod (HOFFMANN, KL, Nr. 9; WACKERNAGEL, KL II, Nr. 515 f.) und Crist ist erstanden mit seiner macht (F. SCHOLZ, ZfdPh 53 [1928] 49-54). - In der Osterzeit 1474 wurde Erzherzog Siegmund von Österreich beim Einritt in Basel mit einer Parodie des Osterlieds auf den gefangenen burgundischen Landvogt Peter von Hagenbach empfangen (LiHENCRON, Hist. Volkslieder II31). L i t e r a t u r . BÄUMKER, KL I, Nr. 242; H. TEUSCHER, 'Chr.i.erst.' Stilkrit. Studie (Königsberger Stud. z. Musikwiss. 11), 1930; K.KLINGEMANN, Das Osterlied 'Chr.i.erst.' als Zeuge dt. Vergangenheit u. dt. Wanderungen, 1932; J. KOTHE, Die dt. Osterlieder d. MAs, Diss. Breslau 1939; E. A. SCHULER, Die Musik d. Osterfeiern, Osterspiele u. Passionen d. MAs, 1951; W.LIPPHARDT, 'Chr.i.erst.'. Zur Geschichte d. Liedes, JbLH 5 (1960) 96-114 (Lit.); ders., Die mal. Leisen 1.1. 'Chr.i. erst.', Musik u. Altar 15 (1963) 167-173, dort S. 167 bis 170; K. GSCHWEND, Die Depositio u. Elevatio Crucis im Raum d. alten Diözese Brixen, Sarnen 1965;

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Christan von Hamle - Christan von Lilienfeld

H.FEICHT, Old Polish Music, Krakau 1966, S.XVI; J.JANOTA, Stud, zu Funktion u. Typus d. dt. geistl. Liedes im MA (MTU 23), 1968 (Lit.); . , 'Chr.i.erst.' Buoh vsemohuci, Miscellanea Musicologica (Universitas Carolina Pragensis, Fac. Phil.) 21/23 (1970) 7-45 (tschech. mit dt. Zusammenfassung); W.LIPPHARDT, Stud. z. Musikpflege in d. mal. Augustiner-Chorherrenstiften d. dt. Sprachgebiets, Jb. d. Stiftes Klosterneuburg NF 7 (1971) 7-102, 230-232 (Lit.); ders., Nd. Reimgedichte u. Lieder d. 14.Jh.s in d. mal. Orationalien d. Zisterzienserinnen v. Medingen u. Wienhausen, Ndjb 95 (1972) 66-131, dort S. 70 u. 117 Anm. 36; B. RAJECZKY, Ein neuer Fund z. mehrstimmigen Praxis Ungarns im 15. Jh., Studia Musicologica Acad. Scientiarum Hungaricae 14 (1972) 147168, dort S. 157; W. LIPPHARDT, Hymnologische Quellen d. Steiermark u. ihre Erforschung (Grazer Universitätsreden 13), Graz 1974; ders., Leisen u. Rufe, in: MGG 16, 1976, Sp. 1105-1110.

WALTHER LIPPHARDT Christan von Hamle 1. Der Minnesänger C. v. H. ist allein aus der -* 'Heidelberger Liederhandschrift C' bekannt, die unter seinem Namen sechs Lieder überliefert. Auch ein Geschlecht seines Namens ist nicht bezeugt. Seine md. Reime, aber auch besondere Verbindungen mit Liedern -»Heinrichs von Morungen lassen eine thüringische Herkunft vermuten. 2. Wenn die meist erwogene Datierung 'um 1225' zutrifft, gehört C. zu den ersten Gestaltern eines neuen Sangs der fröide, welcher sich dem Kult des Dienstes und der Entbehrung versagt, sich dem Glück der Umarmung (I), dem Lichtglanz der Schönheit (III, V), der sensuellen Entzückung (II, IV) hingibt. Keines der Lieder ist noch Minneklage. Die panegyrische und sensuelle Motivik knüpft vielfach an Morungens, die erotische (I) auch an -»Wolframs Lieder an. Die auffallendste Rezeption zeigt das in der Forschung merkwürdig verkannte Lied II, welches die sinnliche Wirkung der Geliebten ähnlich vermittelt wie u.a. die ps.vergilianische 'Lydia': als Erlebnis des Grases, das unter den Schritten der Geliebten, ursprünglich der Aphrodite, lustvoll ergrünt. C.s Tagelied (VI), reiner Dialog zwischen Wächter und Frau, folgt stilistisch und im besonderen Ausdruck sichtlich -»Ottos von Botenlauben Lied III.

Ausgaben. HMS I Nr.31; BARTSCH/GOLTHER, Liederdichter, Nr. XXXII (Lieder I-III); KLD I Nr. 30 (zit.). L i t e r a t u r . KLD II 267-275 (mit Bibliogr.). F.J.WORSTBROCK

Christan der Kuchimaister -> Kuchimaister, Christian Christan von Lilienfeld I. C., Zisterzienser des Stifts Lilienfeld, ist 1307 dort als Subprior, 1326 bis 1328 als Prior bezeugt (G. WINNER, Die Urkunden d. Zisterzienserstiftes Lilienfeld 1111-1892, Wien 1974, Nr. 291,506,515,520). Er starb an einem 4. März (MGH Necrolog. V 378), nicht vor 1330; Leupolt, sein Nachfolger im Priorat, ist am 7. Mai 1329 noch Kämmerer, tritt als Prior zuerst am 7. Sept. 1329 auf (WINNER, Nr. 528 u. 532). Der von DREVES wiederentdeckte C. hat ein (Euvre lat. geistlicher, moralischer und didaktischer Dichtungen hinterlassen, dem nach Umfang und Vielfalt im spätmal. Deutschland nur weniges zur Seite steht. Das früheste datierbare Werk ist der Abt Konrad I. (1277-1281) oder, wahrscheinlicher, Konrad II. (1286-1294) gewidmete 'Zebedides'; als letztes datierbar ist das Epitaphium auf den am 25. Dez. 1326 verstorbenen Dietrich von Pillichsdorf. II. Ü b e r l i e f e r u n g . C. hinterließ fünf umfangreiche, in Format u. Einrichtung gleichartige Miszellanhss., die zu den größten Teilen von seiner Hand geschrieben sind (Siglen der Hss. -D nach DREVES, S.5): Lilienfeld, Stiftsbibl., cod. 137 (=C), cod. 143 (= D), cod. 144 (= A), cod. 145 (= B), und, DREVES noch unbekannt, Wien, cod. 362, aus Lilienfeld (= W). In D nennt er sich als den Erwerber, in A, B, W auch als einen der Schreiber. Die fünf sehr reichhaltigen Hss. sind zugleich die wesentlichen Textzeugen von C.s eigenen Werken. Zum Inhalt der bislang nur unzureichend analysierten und ausgewerteten Hss. vorläufig: Die Hss.-Verzeichnisse der Cistercienserstifte I (Xenia Bernhardina II 1), 1891, S. 524-532 (Zuschreibungen an C. hier vielfach irrig!). C. gibt sich als Autor ausdrücklich nur zweimal zu erkennen, durch Selbstanrede in den 'Exempla de s. apostolo Jacobo maiore', durch Akrostichis seines Namens im 'Planctus' ('Threnus'). Nach der Vorbemerkung zum Traktat über die gereimten Hexameter (A, 8ra: ... formam ... secundum quarn uersus edidi subnotatos), der in der Tat Versbeispiele aus anderen Dichtungen C.s verwendet, dürfte er auch für dieses

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Christan von Lilienfeld

Werk als Verfasser zu identifizieren sein. Im übrigen bestehen für die von DREVES und die hier vertretenen Zuweisungen folgende Kriterien: 1. Überlieferung ausschließlich in den Christan-Hss. A B C D W; 2. Lilienfelder Erstüberlieferung, spätere Überl. vornehmlich im österr.-bayer. Umfeld; 3. Stiltypische Kriterien, wie sie von DREVES, S. 7-17, überzeugend vorgestellt wurden. Die Frage der endgültigen Zuweisungen, darunter des großen Dichter-Florilegs (C, 206va-221rb), harrt noch einer eingehenden Diskussion der Überlieferung.

III. Werke. 1. L i t u r g i s c h e Dichtungen C.s liturgische Dichtungen umfassen ein Reimoffizium 'De corpore Christi' und 14 regelmäßig mit einem Hymnus, einem Tropus zum Alleluja und einer Sequenz verbundene Reimoffizien auf Heilige (u.a. Gründer und Patrone niederösterreichischer Stifte wie Altmann, Georg, Koloman), dazu eine für sich stehende Agnes-Sequenz. Zur Frage des liturgischen Gebrauchs der Offizien vgl. DREVES, S. 21 f. Ü b e r l i e f e r u n g . B, 162ra-173vb. Zusätzliche Überl. u.a. in einem Lilienfelder und einem Herzogenburger Brevier jeweils bei DREVES vermerkt. Ausgabe. DREVES, S.27-34 (Hymni), 35-88 (Officia), 89-100 (Sequentiae mit Tropi). DREVES hat Hymnen und Sequenzen ohne Not von den Offizien getrennt und jeweils für sich alphabetisch geordnet, damit aber den liturgischen Zusammenhang, in den sie C. gestellt hatte, unkenntlich gemacht. Unvollständig ist das Gertrud-Offizium; hier fehlen auch Hymnus, Tropus und Sequenz.

Die liturgischen Dichtungen verzichten auf alle Momente der Neuerung. Die Hymnen treten entweder in der ambrosianischen (kreuzreimend, fast stets mit Zeilenentlehnung am Strophenschluß) oder der rhythmisierten asklepiadeischen Strophe (mit variierender Ordnung der End- und Binnenreime) auf. Ähnlich beschränkt sich C. bei den Sequenzen auf eingeführte Formen des jüngeren Stils (vorwiegend einfache oder erweiterte Stabat-mater-Strophe, Veni-s.spiritus-Strophe). Die Strophik der Reimoffizien zeigt ein ähnlich traditionales Bild. 2. 'Salutationes' Ü b e r l i e f e r u n g . Haupths. ist A, welche die 'Salutationes' in drei Gruppen bietet: a) Iva-2vb, b) llva14 , c) 78ra-80vb. Fast alle Stücke der Gruppe c), die im wesentlichen Reimgebete an die großen Heiligen

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der Kirche (Apostel, Stephanus, Laurentius, Nikolaus, Benedikt, Agnes u.a.) umfaßt, aus den Gruppen a) und b) indes nur kleinere Teile, sind auch in den Münchener Hss. clm 4423, f. 133V-142", und clm 19824, f. 80r-81r u. 270r"v, und zwar in gleicher Reihenfolge erhalten. DREVES schrieb die 'Salutationes' der beiden Münchener Hss. 1888, damals noch ohne Kenntnis der Lilienfelder Hss., Ulrich -> Stöcklin zu und druckte sie unter dessen Namen Anal.hymn. 3, S. 169-198, ab; zur Korrektur der irrtümlichen Zuschreibung vgl. Anal.hymn. 41 a, S. 6. Weitere Überlieferung einzelner 'Salutationes', vor allem aus C, ist von DREVES, Ausg., jeweils vermerkt; größte Verbreitung hatte die Bernhard-Salutatio (DREVES, S. 126). Die 'Salutationes' Nr. 4 u. 26, die ohne Lilienfelder Überlieferung sind und sich auch formtypologisch nicht ohne weiteres einfügen, möchte ich C. nicht zuschreiben. Ausgabe. DREVES, S. 101-159. DREVES hat auch die 'Salutationes' einer eigenen sachlichen und alphabetischen Ordnung unterworfen, so daß das Verhältnis der Überlieferungszweige anhand seiner Ausgabe nicht mehr durchschaubar ist.

C.s 'Salutationes' sind Reimgebete mit den typischen Merkmalen der Fünf strophigkeit und der steten Strophenbindung durch ein anaphorisches Ave jeweils im Stropheneingang. Auf das anaphorische Ave bezieht sich C.s Terminus 'Salutatio'. Die feste Strophenzahl entspricht einer formgeschichtlichen Tendenz innerhalb der geistlichen und weltlichen deutschen wie lat. Lyrik des späteren MAs überhaupt. Die in den 85 (DREVES: 87) 'Salutationes' bevorzugte Strophenform ist die Vagantenstrophe (55mal), gefolgt von der Pange-lingua-Strophe (18mal). Von zwei Reimgebeten sind deutsche Fassungen erhalten, die C. anscheinend selber besorgte. Ü b e r l i e f e r u n g und D r u c k e . Vrev dich muter gnadenrich (C, 34r u. 35r; DREVES, S. 116); Grfist seyst vol aller ersamkait (München, clm 4423, f 140r-141'), zu Ave o ingenua dulcis Margareta (ÜREVES, S. 141). Von C. könnte auch das dt. Marienlied O suezz ob aller svzzichait stammen, das er A, 14r, aufzeichnete (DREVES, S. 22f., und F. VOGT, ZfdA 47 [1904] 288f.).

Außerhalb der eigentlichen 'Salutationes' steht das von DREVES übersehene (Anal, hymn. 3, S.46, fälschlich unter —> Konrad von Haimburg) Schutzengelgebet Salve my angelice Spiritus beate (A, 12ra, 8 Vagantenstrr.).

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Christan von Lilienfeld

3.Metrische religiöse D i c h t u n g e n Neben den rhythmischen stammt von C. auch eine Anzahl metrischer religiöser Dichtungen, a) 'Exempla de s. apostolo Jacobo maiore', eine Sammlung von gerafft berichteten Mirakeln des hl. Jakobus d.Ä. in 48 Paaren leoninischer Hexameter (ÜREVES, S. 171-173). b) In leoninischen Hexametern mit jeweils durchgehendem Tiradenreim ein Gedicht über das Wesen Gottes (DREVES, S. 163, Nr. 1) und zwei Preisgedichte auf Maria (ÜREVES, S. 163-165, Nr. 2 u. 3), die beide sonst nur durch ihre Attributenhäufung auffallen, c) 'Zebedides', ein 1367 Verse umfassendes Gedicht über den hl. Jakobus d. Ä. Es umfaßt ein Proömium, eine Widmung an Abt Konrad, 2 Kapitel über das Leben des Jakobus vor und nach der Himmelfahrt Christi, 13 über Wunder des Apostels, schließlich eine das Vorhergehende zusammenfassende Preisrede (Laudes ... cum recapitulatione ...) und einen Epilog. Die formale und als solche durchaus bestimmende Eigentümlichkeit des 'Zebedides' ist die Manier der Reimornamentik: C. verwendet ausschließlich gereimte Hexameter, variiert dabei von Abschnitt zu Abschnitt in der Spielart (versus inflexi, ventrosi, retrogradi, crucifixi usf.), so daß geradezu eine Beispielsammlung der Hexameterreimung entsteht, die C.s entsprechenden Traktat (s. III. 6.) illustrieren könnte. Ü b e r l i e f e r u n g , a) 'Exempla de s. apostolo Jacobo maiore': A, 10v°-llra; B, 211rb"vb. b) Hss. der Gedichte DREVES Nr. 1-3 (S. 163-165) s. ebd. c) 'Zebedides': B, 196vb-203vb.

4. M o r a l i a und V e r m i s c h t e s Der 9 Vagantenstrophen umfassende 'Planctus' mit dem Strophenakrostichon CRISTANUS ist eine verzweifelte Zeitklage über die heillose Verderbnis alles Guten und die Herrschaft von Völlerei, Unzucht und Lüge. Ü b e r l i e f e r u n g . A, 3ra; B, 213vb; D, 196va. A u s g a b e n . DREVES, S.159f.; HUYGENS, S.314 (zit.).

Moralistische Thematik, vornehmlich Klage der Seele wider das Fleisch und Vergänglichkeitsbetrachtung verbindet eine Gruppe von sieben metrischen Gedichten, in denen zum ändern C.s Vorliebe für den

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Reimschmuck des Hexameters bzw. des Distichons hervortritt. Drei von ihnen sind an namentlich genannte Mitbrüder gerichtet. Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. DREVES, S. 165-171, zu Nr. 4-11. Ferner: Nr.4 (Flere volo) auch St. Florian, Stiftsbibl., cod. 303, f. 196v-197r, und Innsbruck, ÜB, cod. 669, f. 158V; Nr. 7 (Marcet ut imbre rosa] auch St. Florian, Stiftsbibl., cod. 303, f. 197r; Nr. 9 (fraterne Stimulans) W, 238ra; zu Nr. 10 (Fili mandata data) nennt 9 weitere Hss. WALTHER, Initia 6502 u. Nachtr. l (vgl. auch ZfdA 91 [1961/62] 337f.); Nr. 11 (Quod fuit est) W, 239va, und Oxford, Trinity Coll., cod. 18, f. 167V.

Neben dem Epitaph für den dem Lilienfelder Konvent eng verbundenen Dietrich von Pillichsdorf (A, 10rb und 119ra, 16 Versus ludentes; s.o. I.) könnte C. das in A, 147ra"b, überlieferte Gedicht (inc.: Previa grammatica sedet in senatu] gehören, das in siebenmal zwei Vagantenstrophen die Artes liberales beschreibt, kaum jedoch auch das sich unmittelbar anschließende Gedicht (ine.: Causans totam structionem), das, dem Weihnachtslied des Alanus folgend, die den Gesetzen aller Artes widersprechende Wunderbarkeit der Menschwerdung Gottes beschreibt (vgl. SZÖVERFFY, Hymnendicht. II 154f.). Wie stark C. an den zahlreichen kleinen Versus, meist Merkversen, über die 'Decem precepta', 'Decem plage', 'Condiciones confessionis' usf., die B, 161ra~vb, und C, 204va-206rb, überliefern, als Autor beteiligt ist, bedürfte der Untersuchung. Daß er das D, lra-70ra, von seiner Hand geschriebene 'Compendium theologicae veritatis' des ->Hugo Ripelin von Straßburg fortlaufend mit Versen (nicht immer eignen) begleitete, sei wenigstens vermerkt. 5. A l l e g o r e s e n und K o n k o r d a n z e n a) 'Specula' Ü b e r l i e f e r u n g . 'Speculum de sex generibus irrationabilium animalium': A, 205ra-208ra; B, 203vb207vb; St. Florian, Stiftsbibl., cod. 303, f. 192r-196r. 'Speculum de duobus generibus vegetabilium': A, 209ra-212rb; B, 208ra-211rb.

Die in leoninische Hexameter gefaßten 'Specula' sind Kompendien von Tropologien der Tier- und der Pflanzenwelt. Sie gliedern ihre Dingbereiche in Genera, verfolgen innerhalb der Genera eine alphabetische Ordnung der res. Jede res wird in jeweils zwei

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Christan von Luppin

Versen vorgestellt; der erste beschreibt sie nach einer Proprietas, der zweite gibt deren Moralitas. Das 'Speculum de sex generibus irr. anim.' führt 108 gressibilia, 95 aves, 63 pisces, 18 monstra, 46 serpentes, 32 vermes auf; das 'Speculum de duobus generibus veget.' 128 arbores und 131 herbae. Über Konzeption und Zielsetzung der 'Specula' äußert sich C. in den beiden Prosavorreden. Sie sollen, als Kompendien den pauper es zugedacht, die Kreatur als 'Spiegel' moralischer Erkenntnis sehen lehren. Wieweit sich die Tropologien der Tradition verdanken, bedürfte der Untersuchung. Für sein naturkundliches Wissen beruft C. sich auf ungenannte doctores praecipui. b) 'Versus de evangeliis d o m i n i calibus' Ü b e r l i e f e r u n g . A, 208 rb ~ vb ; B, 212va-213rb; C, 200ra-210ra.

Die 'Versus de evang. dorn.', 64 Paare leoninischer Hexameter, geordnet in der Reihenfolge der Sonntage (einschließlich der Hochfeste, der Vigilien u.a.), verbinden in jedem Verspaar das Resümee eines Sonntagsevangeliums und dessen moralis concordancia, entsprechen darin der Anlage der 'Specula'. c) ' C o n c o r d a n c i a e ' Ü b e r l i e f e r u n g . A, 213™-215rb; C, 198ra-200ra.

Bemerkenswert unter C.s poetischen Allegoresen sind vor allem die 67 jeweils fünfzeiligen 'Concordanciae'. Jede trägt eine Überschrift, beginnt sodann mit einem Paar leoninischer Hexameter, in dem ein Ereignis des NT (Leben Jesu) und ein darauf bezogener Typus des AT vereinigt sind; es folgt, stichwortartig gerafft, ein zweiter Typus, dann in der Regel ein Prophetenwort, schließlich, nun wieder in einen Leoniner gefaßt, eine res significans (natura) oder ein Proverbium (versus). Die 'Concordanciae' haben ihrer Art nach die anonymen 'Concordantiae veteris et novi testamenti' zum Vorbild (vgl. SCHMIDT, S. 92 u. 96), scheinen ihrerseits eine Quelle der 'Concordantiae caritatis' -> Ulrichs von Lilienfeld gewesen zu sein. 6. D i d a k t i s c h e s zur M e t r i k Der in zwei Versionen (A, 8ra-10ra und B, 159vb-160vb) vorliegende kleine Traktat, in

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dem C. die Arten des gereimten Hexameters bespricht und anhand von Beispielen, fremden und eigenen, erläutert, bekundet am deutlichsten sein Interesse am Reimornament in metrischer Dichtung. Nicht im einzelnen, aber systematisch entspricht der Traktat den vv. 699-734 und 775-816 von -»Eberhards des Deutschen 'Laborinthus'. Ausgabe. J. HUEMER, Ein Tractat über lat. Reimbildung, Wiener Stud. 4 (1882) 299-306.

Ins didaktische Feld der Metrik und Prosodie gehört auch die Sammlung der 718 'Versus differentiales' (A, 3va-8ra), eine der umfangreichsten ihrer Art. L i t e r a t u r . G. M. DREVES (Hg.), C.s v. L.Hymnen, Officien, Sequenzen u. Reimgebete (Anal.hymn. 41 a), 1903; G. SCHMIDT, Die Armenbibeln d. XlV.Jh.s, 1959, S. 94-96; SZÖVERFFY, Hymnendicht. II307-315; K. KUNZE, Stud. z. Legende d. hl. Maria Aegyptinca im dt. Sprachgebiet, 1970, S. 78-83; R.B.C. HUYGKNS, Le moine Idung et ses deux ouvrages: 'Argumentum super quatuor quaestionibus' et 'Dialogue duorum monachorum', Studi medievali, serie III 13 (1972) 291-470, hier S. 311-314. F.J. WORSTBROCK

Christan von Luppin 1. Die Luppine treten seit 1229 als Ministerialen und Burgmannen der thüringischen Grafen von Beichlingen auf, ansässig zu Kelbra (Goldene Aue) und auf der nahen Rothenburg. C. erscheint urkundlich zwischen 1292 und 1312, 1311 in neuen Diensten als Marschalk des Markgrafen Heinrich von Brandenburg. 2. Die sieben Lieder, welche die ->· 'Heidelberger Liederhandschrift C' unter C.s Namen überliefert, bieten einen auf feste Affekttypen reduzierten Minnesang, deren uniforme Motivik sie mit preziösen und hyperbolischen Reizen neu zu kolorieren trachten. Damit fanden sie Nachfolge vor allem bei Heinrich ->· Hetzbold. Daß sie ihrerseits im geprägten Vokabular und in manchem motivischen Detail an die ältere thüringische Sangtradition anknüpfen, hat die Forschung mit Recht betont. Die regelmäßige Dreistrophigkeit der Lieder (außer IV) entspricht vorherrschendem Zeitstil. Auffällig bevorzugen die stets metabolischen Strophen den vom längeren zum kür-

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Christan, Michael - Christanni, Peter

zeren Vers schreitenden Stollen. Reimornamentik und Technik der Verszerlegung zeigen beherrschte Routine. Ausgaben. HMS II Nr.73; KLD I Nr.31 (zit.). L i t e r a t u r . KLD II 275-279 (mitBibliogr.). Ergänzend: E. GOTTSCHAU, Über Heinrich v. Morungen, PBB 7 (1880) 403-407; H. JUNG, Beitr. z. Gesch. d. nord- u. mitteldt. Minnesangs, Diss. Frankfurt 1891; DE BOOR, LG III l, S.330f.; J.BUMKE, Ministerialität u. Ritterdichtung, 1976, S. 62, 65. F.J.WORSTBROCK

Christen, Michael 1. C. ist zwischen ca. 1460 und 1482 vor allem brieflich, 1475 auch urkundlich (K. RIEDER, Regesten z. Gesch. d. Bischöfe von Konstanz IV, 1941, Nr. 14423) bezeugt. Die Bezeichnung de Constantia (von Costentz), die er seinem Namen beifügt, dürfte seinen Geburtsort meinen. 1466 zeichnet er in der Subscriptio der von ihm geschriebenen Justinus-Hs. (Stuttgart, LB, cod. hist. 2° 7) als Capellanus im thurgauischen Bernrein, 1475 ist er Capellanus und Inhaber einer Pfründe am Konstanzer Dom. Briefwechsel und Werk weisen ihn als Angehörigen des schweizerischen und schwäbischen Frühhumanismus um -> Albrecht von Bonstetten und -»Niclas von Wyle aus. In Konstanz gehörte er neben dem Domdekan Dr. Johann Zeller (f 1474) und dem langjährigen Bürgermeister Konrad Schatz zu den ersten Zeugen und Vermittlern humanistischer Interessen. Die ihn offenbar bestimmende literarische Vorliebe für Aeneas Silvius (-> Piccolomini) dürfte von Wyle, zu dem er anscheinend freundschaftliche Beziehungen unterhielt, zumindest beeinflußt sein. Neben der Übersetzung von Aeneas' 'Epistola ad Mahumetem' und des unscheinbaren Briefs an Giovanni Peregallo besorgte er die erste Einzelausgabe von Aeneas' 'In Europam'. 2. Ü b e r l i e f e r u n g und A u s g a b e n . Übersetzungen aus Aeneas Silvius: Wien, cod. 12596, (nach) 1482, l'-80v 'Epist. ad Mahum.', mit Widmungsbrief an -> Johannes Wernher von Zimmern v. 25.5.1482; 81r-82v Brief an Peregallo, mit Widmung an Eberhart von Württemberg v. 31.7.1482. Der lat. Text der 'Epist.' hg. v. G.TOFFANIN, Pio II, Lettera a Maometto II, Napoli 1953; der des Briefs an Peregallo hg. v. R. WOLKAN, Der Briefwechsel d. Eneas Silvius Piccolomini, II. Abt., 1912, Nr. 9.

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Druck von Aeneas' 'In Europam': HAIN *258 [Memmingen: Albert Kunne, zwischen ca. 1480 u. 1491]. Der Widmungsvorrede an den Konstanzer Bischof Otto von Sonnenberg (1475-1491) ist zu entnehmen, daß C. den Text auf Bitten Kunnes kritisch durchsah, und zwar u.a. an Hand der von Aeneas benutzten antiken Quellen. C.s Korrespondenz: JOACHIMSOHN, S.265f. (von Peter ->Luder), S.272 (von Ludwig Rad), S.271 (Erwähnung in einem Brief Rads an Schatz); R. WOLKAN, Neue Briefe von u. an Niklas von Wyle, PBB 39 (1914) 524-548, Nr.20 (von Wyle); A. BÜCHI, Albrecht v. Bonstetten, Briefe u. ausgew. Sehr.n, 1893, Nr. 21 u. 81 (beide an Bonstetten).

3. Die 'Epistola ad Mahumetem' hatte C., wie er in der Vorrede ausführt, bereits 1474 auf Betreiben Johann Zellers wie auch Eberharts von Württemberg übersetzt und diesem damals gewidmet. Das Manuskript kam ihm indes bei einem ungenannten Augsburger Drucker, dem es Hans Harscher, der bekannte Freund Wyles, zur Veröffentlichung übergeben hatte, abhanden. Um einem möglichen Plagiator zuvorzukommen und seine Autorschaft an der Übersetzung zu sichern, entschloß er sich 1482, sie nochmals anzufertigen. C. betrachtete Aeneas' (Pius II.) 1460 verfaßte 'Epistola' nicht als Dokument päpstlicher Diplomatie, als welches sie wohl rätselhaft bleibt, sondern als eine vorbildliche neue Unterweisung im christlichen Glauben : Sie hätte die Türken überzeugt, wäre sie nur bei ihnen verbreitet worden. Sein Übersetzungsstil ist trotz des ausdrücklich berufenen Grundsatzes von wort ze wort (81r) nicht in der Wyleschen Art methodisch aufs Latein fixiert, sondern weit mehr auf deutschen Sprachbau abgestimmt, dabei genau, bündig, um treffende Anschaulichkeit bemüht. L i t e r a t u r . P.JOACHIMSOHN, Frühhumanismus in Schwaben, Württ. Vierteljahreshefte f. Landesgesch. NF 5 (1896) 63-126 u. 257-291, bes. S. 70, 74 u. 111 bis

F.J.WORSTBROCK Christanni, Peter Franziskaner, 2. Hälfte des 15. Jh.s. Die Hs. 1972 der Grazer ÜB (um 1500) überliefert Bl. 96V-97V ein schöne auslegung vber den pater noster in Form einer hymnisch-gebethaften Erweiterung des Vater-

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'Christe qui lux es et dies'

unsere, die der gardian des ordens sant franczisen der opserfancz genant prüder Peter in München gepredigt haben soll. Es kann sich nur um P. Ch. handeln, der der einzige Guardian namens Peter in dem fraglichen Zeitraum ist. Nach den Quellen in Anal. Franc, stammt Ch. aus Breslau. Er war Prediger in Nürnberg, bevor er 1480 nach der von Albrecht V. erzwungenen Reform des Münchener Konvents als erster Guardian der neuen Observanz eingesetzt wurde. Er starb 1483. ->· 'Glaßbergers Chronik' rühmt ihn als hervorragenden Prediger; bekannt sind zwei lat. Predigtsammlungen in München, clm 8728 und clm 11928. A u s g a b e des Pater noster in Vorbereitung in RUH, Franzisk. Schrifttum II (MTU). L i t e r a t u r . Anal. Franc. 2 (1887) 473, 486 ('Glaßbergers Chronik'); ebd. 8 (1946) 790f., 688, 691, 694, 697, 701, 813; F. LANDMANN, Zum Predigtwesen d. Straßburger Franziskanerprovinz in d. letzten Zeit d. MAs, Franzisk. Stud. 15 (1928) 317f.;Bav. Franc. Ant. III (1957) 70, 90 f. Anm. 300.

DAGMAR LADISCH-GRUBE 'Christe qui lux es et dies' (deutsch) Der lat. Hymnus wird bereits von Caesarius von Arles (f 542) in seiner 'Regula sanctarum virginum' (BuLST, S. 163) als bekannt vorausgesetzt. Er ist im MA weit verbreitet, doch ist er ins Römische Brevier nicht übernommen worden und nur in frz. Brevieren bis ins 18. Jh. erhalten geblieben. Gesungen wurde er fast durchweg zur Complet und zwar meist in der vorösterlichen Fastenzeit. A u s g a b e n . Anal. hymn. 51, S. 21-23, vgl. auch ebd. 27, S. Ulf. (nach mozarabischen Quellen); W. BULST, Hymni Latini antiquissimi LXXV psalmi III, 1956, Nr. VI 9. L i t e r a t u r . CHEVALIER, Nr. 2932-2934; LYON (s.u.), S. 74-85; SZÖVERFFY, Hymnendicht. I 112 u. 214f; J. JANOTA, Stud, zu Funktion u. Typus d. dt. geistl. Liedes im MA (MTU 23), 1968, S. 142 Anm. 709; H. GNEUSS, Hymnar u. Hymnen im engl. MA, 1968, S.52f., 24f. u.ö.; R. PATZLAFF, Otfrid v. Weißenburg u. d. mal. versus-Tradition, 1975, S. 187f.

Die zahlreichen Übertragungen ins Deutsche gehen wohl alle auf die verbreitetste der drei Fassungen des Hymnus (CHEVALIER, Nr. 2934) zurück, wobei mit Varian-

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ten innerhalb dieser Fassung zu rechnen ist. Gebraucht wurden die Übertragungen wohl überwiegend in freieren Andachtsformen, wenn auch in Anlehnung ans lat. Stundengebet; vgl. den Registereintrag in einer Hs. der Übertragung des Mönchs von Salzburg (s. u. 1): den ympnum singt vnd list man ze den Completen, wer den mit andacht pey der nacht spricht den mag der tiefel nicht angeweigen noch kain swerer trawm czu gefallen (München, cgm 715, 2 V ). Bekannt sind bislang sechs Übertragungen in Versen aus dem Ende des 14. bis Anfang des 16.Jh.s: 1. -»Mönch von Salzburg, G 43, hg. v. F. V. SPECHTLER, Die geistl. Lieder des M. v. S., 1972, S. 333-335. Auch in: München, clm 8481, 102"-103r, und clm 27423, 65' (Hinweis von G. KORNRUMPF). 2. Eine vorwiegend nd. und ndl. verbreitete Übertragung: nach einem nd. Gebetsbuch hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 564; hierzu: -» "Werdener Ldb.' Nr. 22, hg. v. F. JOSTES, Ndjb 14 (1888) 88; LYON, S. 162167 (4 weitere Hss.); H. JELLINGHAUS, Mnd. geistl. Lieder u. Sprüche, 1928, S. 27f. (ohne Angabe der Quelle); K. MENNE, Dt. u. ndl. Hss. (Mitt. aus d. Stadtarch. Köln X 1), 1937, S. 176f. u. 192 (2 Hss.); obd. Wien, cod. 13435, 160 6 , und Basel, ÜB, cod. A.N. II 46, Vorsatzblatt. Eine Bearbeitung dieser Übertragung steht im Erfurter 'Enchiridion' 1526 und gelangte so in spätere evangelische Gesangbücher (WACKERNAGEL, KL III, Nr. 161); doch wurde sie in der evangelischen Tradition schließlich durch die Übertragung des Erasmus Alberus (WACKERNAGEL, KL III, Nr. 1037) verdrängt. 3. Eine später in katholischer Tradition rezipierte Übertragung ist bislang zuerst aus einem Druck des 'Salus Animae', Nürnberg 1503, bekannt (hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 566); hsl. in obd. Gebetbüchern vom Anfang d. 16.Jh.s: Nürnberg, Germ. Nat.-Mus., cod. 1737, 126V-127V; München, cgm 97, 151V-152V, cgm 178, 92r-93r, und wohl auch cgm 165, 56r-57r. Nahe verwandt ist die Fassung des 'Hymnarius Sigmundslust 1524' (-*· 'Hymnare'), hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 567. 4. BARTSCH, Erlösung, Nr. XXXI. Die von BARTSCH angegebene Signatur Nürnberg, StB, cod. Cent. VI 43 ist falsch, die richtige Signatur konnte nicht ermittelt werden. 5. Stuttgart, LB, cod. theol. et phil. 8° 19,162r-163r, hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 565. 6. Ortulus animae, Straßburg 1501, Bl. CCLXIIIb (->'Hortulus animae'), hg. v. WACKERNAGEL, KL II, Nr. 1096.

Vor und neben diesen Versübertragungen finden sich Übertragungen in Prosa, z.T.

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'Christherre-Chronik'

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SB u. ÜB, cod. 40b in scrin.; Heidelberg, cpg 321; Stockholm, Kung. Bibl., cod. Vu 74 a). Außer diesen beiden Kompilationen gibt es eine Reihe weiterer Mischredaktionen, zu denen der 'Ch.'-Text mit anderen Weltchroniken verbunden wurde: 3. mit Jans -»•Enikels 'Weltchronik' (so in Berlin, mgf 480; Tambach, Gräfl. Ortenburgsche Bibl., o. Sign.; Wien, cod. Ser. nov. 2642), 4. mit Rudolf- und Enikel-Textteilen (z.B. in München, cgm 5; Stuttgart, LB, cod. HB XIII 6) und 5. mit einem Mischtext, der L i t e r a t u r . D.W. LYON, 'Christe qui lux es et dies" Teile aus Rudolf, Jans Enikel und -> Heinand its German, Dutch, and English Translations, rich von München enthält (so z.B. in BerAJPh 19 (1898) 70-85, 152-192. FRANZ VIKTOR SPECHTLER/B. WACHINGER lin, mgf 1107; Wien, cod. 2768; cod. 2782; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 1.5.2. Aug. fol.). Innerhalb dieser fünf Gruppen 'Christherre-Chronik' von Mischredaktionen sind unterschiedli1. 'Christherre-Chronik' ('Ch.') wird che Grade der Textzusammenfügung festnach dem Anfangsvers Crist herre keiser zustellen: von bloßer Aneinanderreihung über alle kraft (im Unterschied zu -»Ru- größerer Passagen bis zur innigen Durchdolfs von Ems 'Weltchronik', die mit Rich- dringung und Bearbeitung des jeweiligen ter Got, herre ubir alle kraft beginnt) eine Textfundus. in der 2.Hälfte des 13. Jh.s wohl in ThürinDiese Überlieferungssituation ist kenngen entstandene Reimbibel genannt. Nach zeichnend für den Gattungstyp Weltchroder Widmung an lantgräve Heinrich l von nik : Die vielfältig variierenden MischredakDüringen (MASSMANN, v. 280f.) - sicher tionen repräsentieren die für ihr jeweiliges Heinrich der Erlauchte (1247-1288) - heißt Publikum verbindliche Gebrauchsfassung, das anonyme Werk, das in den Prosavor- sie sind kein verderbtes Textmaterial zur reden einiger Hss. als 'Bibel und Chronik' Rekonstruktion des Autortextes der 'Ch.'. bezeichnet wird, auch 'Thüringische WeltSelbst eine Übersicht über die genaue chronik'. Zahl dieser Hss., geschweige denn über die 2. Die 'Ch.' ist nur selten in reiner Text- verschiedenen Redaktionen, ist beim gegengestalt überliefert (ihr am nächsten etwa wärtigen Forschungsstand, trotz der VorGotha, Forschungsbibl., cod. memb. I 88; arbeiten VILMARS, MASSMANNS, STRAUCHS München, cgm 4; Wolfenbüttel, Hzg.- und EHRISMANNS noch immer nicht mögAug.-Bibl., cod. 1.16 Aug. fol.), sondern lich. Man wird mit allen Textteile der 'Ch.' meist kompiliert mit anderen Weltchro- enthaltenden Mischhss. mehr als 100 Hss. niken. Wohl schon im 13. Jh. wurde und Fragmente annehmen dürfen (als sie in zwei verschiedenen Redaktionen mit Mischhss. der betreffenden Texte z.T. in Rudolfs 'Weltchronik' verbunden: 1. Ru- den Editionen der 'Weltchroniken' Rudolfs dolfs Text wurde - mit Variationen der von Ems, EHRISMANN 1915, und Jans EniNahtstellen — die 'Ch.'-Einleitung vorange- kels, STRAUCH 1891, mit aufgeführt). Eine stellt (/.B. Heidelberg, cpg 146; Kassel, Edition der 'Ch.' steht noch aus: das einzig Murhardsche Bibl. u. LB, 2° Ms. theol. fol. Greifbare sind ein Druck von 1779 nach 4; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 8. einer ca. 18 000 Verse umfassenden Mischhs. Aug. quart.), worunter Fassungen mit bei- mit dem Schluß aus Rudolfs Chronik (Hamden Widmungen - an Heinrich und an Kon- burg, SB u. ÜB, cod. 40 b in scrin.) und ein rad IV. - vorkommen; 2. die 'Ch.' wurde textkritischer Abdruck der 2200 Anfangsmit dem Schluß aus Rudolf bis ins 'Buch verse (MASSMANN III118-150). der Könige'fortgesetzt (so z.B. in Hamburg, 3. Die 'Ch.' - unvollendet wie Rudolfs

als Interlinearversionen im Rahmen von Hymnensammlungen (-»'Murbacher Hymnen' Nr. 16; -> 'Millstätter Interlinearversion ambrosianischer Hymnen' Nr. 11; 'Auslegung der Hymnen', Wien, cod. 3079, 180v-182r und Tegernseer Hymnen', Nr. 22, vgl. -> 'Hymnare'). Weitere verstreute Übertragungen sind vorerst noch nicht zuzuordnen: Berlin, mgf 76, 109rv; mgo 2, 186r-187r; mgo 577, 158r-159v; München, cgm 137,199r; Nürnberg, Germ. Nat.-Mus., cod. 22930, 15V.

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'Christherre-Chronik'

'Weltchronik' - bricht im 'Buch der Richter' ab, ist aber in den Hss. in der Regel fortgesetzt, mindestens (nach Rudolf) bis zum 'Buch der Könige'. Dem Verfasser wird Rudolfs Werk, auch wenn er sich nie explizit darauf bezieht, bekannt gewesen sein (so übereinstimmend die Literatur), Neben dem AT sind die (lat.) Quellen der 'Ch.' die gleichen wie die Rudolfs, doch folgt der 'Ch.'Dichter viel enger seinen Vorlagen: -»Gottfrieds von Viterbo (um 1125-1192) 'Pantheon' (Nennung MASSMANN, v. 119 f.) ist die Quelle der Einleitung und der Schöpfungsgeschichte (MASSMANN, v. 303-1230), während der Hauptteil sich an —»Petrus Comestors (um 1100-1179) 'Historia scholastica' orientiert (Nennung MASSMANN, v. 268), die - mit dem Bewußtsein des Übersetzers - von latine in tiutsch (MASSMANN, v. 284) übertragen wird. Der enge Quellenbezug gilt auch für die Darstellung der Geschichte der heidnischen Völker, die nicht wie bei Rudolf, entsprechend der augustinischen Unterscheidung der beiden civitates, als synchrone Excurse den nebinganc (v. 3117) der Schilderung biblischer Geschichte bildet, sondern, nach der 'Historia scholastica', als kaum integrierte, knappe incidentia über den Text verstreut bleibt. Zwar kündigt der Dichter der 'Ch.' eine Gliederung seines Werks nach den aetates mundi in sechs Weltzeitalter an, doch bleibt dies, anders als bei Rudolf, ohne strukturelle Konsequenzen für seinen Text. 4. Die kunstlosen, zuweilen auch unbeholfenen und holprigen Verse mit starker Reimwortbetonung umfassen oft nur eine syntaktische Einheit: selten überschreitet ein Satz die Versgrenzen. Hinter dem sachlichen Erzählstil und der Kunstlosigkeit der Sprache steht - ähnlich wie bei Rudolf die Überzeugung von deren Angemessenheit gegenüber der Wahrheit der Geschichte. Mit ihrer Tendenz, Gelehrsamkeit auf den geistlichen Bereich zu beschränken, ist die 'Ch.' im Vergleich zu Rudolfs auch weltliche Bildung ausbreitende Chronik der in seiner Zeit konservativere Entwurf. 5. Die 'Ch.' bildet (mit Rudolfs 'Weltchronik') die Grundlage aller späteren Weltchroniken. Für Heinrichs von Mün-

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chen Kompilation ist sie eine der Hauptquellen: in Prosa aufgelöst geht sie in die -»· 'Historienbibeln' des MAs ein. Für den Gebrauchszusammenhang des Werks bedeutsam ist die Vielzahl der oft üppig illustrierten Hss.: In der 2.Hälfte des 13.Jh.s beginnen die bebilderten Textabschriften und reichen bis ins 15. Jh. - alle bekannten Redaktionen, Mischformen, auch Prosaauflösungen sind illustriert. Der Ausstattungs-Anspruch dieser Hss. ist oft hoch (wofür auch das für dt. Texte äußerst seltene Vorkommen dreispaltiger Hss. und Fragmente spricht: u. a. Gotha, Forschungsbibl., cod. Chart. A3; Heidelberg, cpg 146; München, cgm 7330; Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl. cod. 1.5.2 Aug. fol.). Die Weltchroniken waren dazu prädestiniert, Repräsentationsstücke mal. Hausbibliotheken zu sein. Die Filiation der illustrierten Weltchroniken nach ikonographischen Prinzipien hat Aufschlüsse auch für die Zusammenhänge der verschiedenen Mischredaktionen gebracht: Der Kunsthistoriker (JERCHEL) unterscheidet eine südwestdeutsche Gruppe, die hauptsächlich Rudolf- und 'Ch.'Texte benutzt (z.B. die sog. 'ToggenburgbibeP, Berlin, Kupferstichkabinett 78 E l; München cgm 6406; cgm 8345 - ehem. 'Wernigeroder Hs.', Donaueschingen, cod. 79; Fulda, LB, cod. Aa 88; St. Gallen, StB (Vadiana), cod. 302; Zürich, ZentralbibL, cod. Rh. 15), und eine bayerisch-österreichische mit Bevorzugung Jans Enikels und Heinrichs von München (so etwa München, cgm 5; cgm 11; New York, Pierpont Morgan Libr., cod. M. 769; Regensburg, Thurnu. Taxissche Bibl., Ms. Perg. III; Stuttgart, LB, cod. HB XIII 6). Angesichts der immer noch unzureichenden Kenntnis von den verschiedenen Textredaktionen der mal. Weltchroniken hätte auch die philologische Forschung diese Gliederungsansätze nach Bildredaktionen weiterzuverfolgen. 6. A u s g a b e n . G. SCHÜTZE, Die hist. Bücher d. ATs, 2 Theile, Hamburg 1779-1781 (Abdr. d. Hs. Hamburg, cod. 40b in scrin.); H.F.MASSMANN, Der keiser und der kunige buoch oder d. sog. Kaiserchron. III (Bibl. d. ges. dt. Nat.-Lit. 4, 3), 1854, S. 118-150 (2200 Anfangsverse). L i t e r a t u r . A.F.C. VILMAR, Die zwei Recensionen

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'Von Christi Geburt' - 'Christi Leiden in einer Vision geschaut'

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u. d. Hss.familien d. Weltchron. Rudolfs v. Ems, mit Auszügen aus d. noch ungedruckten Theilen beider Bearbeitungen, Marburg 1839; K. SCHRÖDER, Zur Ch.-Weltchron., German. Stud. 2 (1875) 159-197; J.Z[ACHER]/Frhr. VON HARDENBERG, Bruchstücke aus d. Sammlung d. Freiherrn v. Hardenberg, ZfdPh 9 (1878) 395-443, hier S.422-441; K.REGEL, Verhältnis d. Hardenbergschen Bruchstücke zu d. Gothaer Reimbibelhss., ZfdPh 9 (1878) 444-460; O. DOBERENTZ, Die Erd- u. Völkerkunde in d. Weltchron. d. Rudolf v. Hohen-Ems, ZfdPh 12 (1881) 257-301, hier S. 263-265; E. GLEISBERG, Die Historienbibel (Merzdorffs I) u. ihr Verhältnis z. Rudolfinischen u. Thüringischen Weltchron. (Diss. Leipzig), Gera 1885; Jansen Enikels Werke, hg. v. PH. STRAUCH (MGH Dt. Chron. 3),' 1891 (Nachdr. Dublin-Zürich 21972), S. XXII-XL; E. SCH[RÖDER], Aus einer unbekannten Reimbibel, ZfdA 39 (1895) 251-256; G. ROETHE, Bruchstücke altdt. Dicht.n aus Marburg u. Göttingen, ZfdA 41 (1897) 243-260, hier S. 247-249; A. WUNDRACK, Posener Bruchstücke d. 'Ch.', ZfdA 49 (1908) 381-384; Rudolfs v. Ems Weltchronik, hg. v. G. EHRISMANN (DTM 20), 1915 (Nachdr. Dublin-Zürich 1967), S.V-XXXVII; H. JERCHEL, Die Bilder d. südwestdt. Weltchron. d. 14.Jh.s, Zs. f. Kunstgesch. 2 (1933) 381-398; ders., Die bayer. Buchmalerei d. 14.Jh.s, Münchner Jb. d. bildenden Kunst NF 10 (1933) 70-109; H. MENHARDT, Zur Weltchronik-Lit., PBB 61 (1937) 402-462; P. GICHTEL, Die Weltchron. Heinrichs v. München in d. Runkelsteiner Hs. des Heinz Sentlinger (Schriftenreihe z. Bayer. Landesgesch. 28), 1937, S. 59-83; K. BLASCHKE, Görlitzer Bruchstücke zu Rudolf v. Ems u. 'Ch.', PBB (Halle) 77 (1955) 380-401; A. BORST, Der Turmbau von Babel II2,1959, S. 835 f.; W. STAMMLER, Epenillustration, in: RDK V 810-857, hier Sp. 831-836; H. FRÜHMORGEN-VOSS, Mhd. weld. Lit. u. ihre Illustration, DVjs 43 (1969) 23-75, hier S. 51-55, wieder abgedr. in: dies., Text u. Illustration im MA. Aufsätze zu d. Wechselbeziehungen zwischen Lit. u. bildender Kunst (MTU50), 1975, S. 1-56, hier 30-35; Rep. font. III 310; CH. KRATZERT, Die illustrierten Hss. d. Weltchron. d. Rudolf v. Ems, Diss. FU Berlin 1974.

Das Gedicht besteht fast nur aus herkömmlichen Wendungen, insbesondere aus ->'Annolied', -»Ezzos 'Cantilena',-»'Friedberger Christ', vielleicht auch aus Frau -»Avas 'Leben Jesu' und dem -»'Melker Marienlied' (SCHÖNBACH, KRAUS) . Im ersten Teil (v. 1-69) sind einzelne atl. Ereignisse typologisch gedeutet (eherne Schlange Christi arcedum, v. 1—19; babylonische Gefangenschaft und Rückkehr mit AllemjaGesang - Osterfreude der Christenheit, v. 20-44). V. 45-63 verweisen zusammenfassend auf die Vorzeichen von Noe bis David und erwähnen den am Angelhaken gefangenen Teufel. Der zweite Teil (v. 70138) reiht im Stile Ezzos anspruchslos die Geschehnisse um Christi Geburt. Auf Ausdeutungen wird nur angespielt (v. 122-131, 134f.). Mit dem Anfang der Jugendgeschichte bricht das Gedicht ab. EHRISMANN (S. 122) vermutete, daß es als Erlösungsgeschichte gedacht war. Die überlieferten, inhaltlich geschlossenen Initialabschnitte wurden von MAURER als 'ungleichzeilige Langzeilenstrophen' angesehen. Der Versbau zeigt deutliche Tendenz zum Vierheber; die Initialabschnitte sind durch silbenreichere Verse oder lat. Zitate abgeschlossen. Assonanzen und Reime von Stammsilbe auf Endsilbe sind sehr häufig.

NORBERT H. OTT

'Christi Leiden in einer Vision geschaut' Anonymer Passionstraktat (i.F. 'CL'), vermutlich alem. Ursprungs. Abfassungszeit bedeutend früher als die vom moselfrk.rhfrk. Raum ausgehende Textgeschichte, respektive um 1350-60 und 1390-1420 (s. 6).

'Von Christi Geburt' Ripuarisches Gedicht (frgm.), um 11201140 im Kölner Raum entstanden (SCHÖNBACH). Ü b e r l i e f e r u n g . Innsbruck, ÜB, Fragm. 69. 2 quer durchgeschnittene Doppelbll., 1. Hälfte d. 12.Jh.s; 138 Kurzverse. Entgegen den älteren Abdrucken vermutet MAURER Ausfall eines Doppelblattes zwischen 2V und 3r (inneres Blatt der Lage). Ausgaben. SCHÖNBACH, S. 351-356; KRAUS, Dt. Ged., S. 3-6 u. Anm. S. 71-77 (zit.); MAURER, Rel. Dicht. II126-131.

L i t e r a t u r . A. SCHÖNBACH, Altdt. Funde aus Innsbruck, ZfdA 33 (1889) 350 f. u. 356-373; J. MEIER, Stud, zu Sprach- u. Lit.gesch. d. Rheinlande, PBB 16 (1892) 96; EHRISMANN, LG II l, S. 122f.; R. STROPPEL, Liturgie u. geistl. Dichtung zwischen 1050 u. 1300, 1927, S. 178; MAURER (s. Ausg.n), S. 124 f. (mit weiterer Lit. bis ca. 1963).

EDGAR PAPP

1. Ü b e r l i e f e r u n g , allg.: als Einzelwerk (P); als ein Hauptstück in Quart-Sammel-Hss. klösterl. Bibl.n (voran K, aber auch N, M, wohl auch w); sonst und mehrfach in Andachtsbüchern frommer Sammler, meist Nonnen (s. 3, 6). a) Hd. Hss. (vollst.). (1) In der Ausg. PICKERING bereits erfaßt u. beschrieben: Bernkastel-Cues, Hospit.

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'Christi Leiden in einer Vision geschaut'

Bibl., Ms. 115 (olim D 41), 67rb-81vb, wichtige moselfrk.-rhfrk. -» Seuse-Sammel-Hs. des frühen 15.Jh.s. Eine Schreibernotiz 67" rechtfertigt des Schreibers Übersetzung na synre sprachen ... van warten zo· worten also dat der syn gantz blyue (K). - In Privatbesitz (Bibl. A. Closs, Bristol) befindliche rhfrk. Hs., ca. 1430-40 (P). - Basel, ÜB, Frgm. I 87, alem.; zur paläogr. Datierung 'Mitte des 14. Jh.s' (BiNZ) s. Ausg., S. 8-10; gegen so frühe Ansetzung RUH, S.72f., auf alle Fälle ältestes Zeugnis (w). - Berlin, mgo 449, 4 -80 , frühes 15.Jh., bair. Im Kolophon der sonst nicht nachweisbare henricus de wildenholcz (B). - Prag, ÜB, Hs. XVI G 26 (olim G 33), 74v-lllr, bair., 2. H. d. 15. Jh.s (A). (2) Seit 1952 nachgewiesen: Nürnberg, StB, Ms. Cent. IV 31,174r-161v, ca. 1420, obd., bisher beste obd. Hs., s. 2, 3 (N). - München, cgm 5235, 24 -4 spätes 14.Jh., rip.; hierzu RUH, S.74f. (M). Berlin, mgo 323, 26V-58V, 15.Jh., mittelbair. (B2). Göttingen, SB u. ÜB, Ms. theol. 295, lr-124r, 15. Jh., elsäss. (G). b) Mndl. H s s. (Auswahl): Eigenwert für die mndl. Aneignung und Zeugniswert für die interne hd. (!) Werkgeschichte (s. 3, 6) besitzen: Brüssel, Kgl. Bibl., Ms. 19552-53, 84r-108r, 2. H. d. 15. Jh.s (Br); Düsseldorf, LB u. StB, Ms. C 89, 6r-53v, v. J. 1566 (D). 2. A u s g a b e n . R.PRIEBSCH, 1936 (nach P); F.P. PICKERING, Manchester UP 1952 (krit. Ausg. nach K, P, B, A, w; zit.); J. MARROW, OGE 43 (1969) 337-380 (nach Br, D); A.TURNER, Diss. (M. Phil., masch.) Reading 1974 (N).

3. I n h a l t und Fassungen. Das von einer Nonne 'geschaute' Leiden Christi (Gefangennahme bis Auferstehung) bildet die in PICKERINGS Ausgabe erschlossene, dann von RUH hsl. nachgewiesene Urfassung: 'CL . Dazu gibt es frühe, Inhalt und Ton dieses 'Büchleins' bestätigende oder ändernde Rezensionen. In der moselfrk.-rhfrk. Überlieferung geht 'CL ein empfehlendes Vorwort, angeblich des Beichtvaters (S.60 bis 62), voraus, das, aber nur das erste Drittel (bis S.60*8), auch mndl. überliefert ist; der übrige Vorworttext ist weitgehend der Vita —> Seuses entlehnt (s. Ausg., S. 13): 'CL . In Oberdeutschland werden drei Interpolationen eingeschaltet (S. 38-43): fromme Betrachtungen im Stile von Seuses 'Büchlein der ewigen Weisheit' und Zusätze, die den 'Realismus' von 'CL teils steigern, teils dämpfen: 'CL . In den Niederlanden erfolgt die nachträgliche Einfügung in 'CL übersprungener Motive und Episoden der kanonischen Leidensgeschichte.

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4. Quellen. Leitsatz des Vorwortes (s. 3) ist: Die Evangelisten haben nicht alles erzählt. Im Gegensatz etwa zu -* Heinrichs von St. Gallen Passionstraktat beruft sich 'CL' auf keine Kirchenväter oder Theologen: die Visionärin ist eine von Christus auserwählte Zeugin seines Leidens. Sonst: bei Beachtung kanonischer Wortlaute (vor allem in Gerichtsszenen) zusätzliche und konsequente 'historische' Auswertung atl. Prophezeiungen und Symbole des Leidens Christi ('spätmal. Realismus'). Das heißt zugleich: 'CL' übernimmt ohne Quellenberufung das aus dem —»· Anselm von Canterbury zugeschriebenen 'Dialogue' und anderen Traktaten überlieferte 'passionsgeschichtliche Gemeingut' des MAs, baut dieses aus und reicht es namenlos weiter. 5. Form, Stil. Die für heutiges Empfinden 'abstoßende' Darstellung läßt kaum an eine 'künstlerische' Intention des ursprünglichen Autors denken. Jedoch ist die gewandte Beherrschung rhetorischer und 'choreographischer' Mittel zur Beschreibung und Inszenierung der von der Visionärin geschauten Passion nicht zu übersehen. 6. Werk- und W i r k u n g s g e s c h i c h t e . Die gute moselfrk.-rhfrk. Überlieferung bezeugt: Sorge um einen korrekten Text, 'seusische' Einordnung (s. l a, 3), Übersetzertätigkeit. Im Gegensatz -dazu zeigen obd. Hss. Eingriffe in den Haupttext (s. 3), sogar 'Absetzung' des Werkes (Frgm. w ist aus Bucheinbänden gelöst) und Exzerpierung von Einzelpassagen durch individuelle Abschreiber: die obd. Varianten l und 2 des Passionstraktats Heinrichs von St. Gallen (Ausg. RUH, S. 145 f.) sind aus 'CL' 65,1-66,24 entlehnt. Die eigentliche, bei MARROW bereits im Umriß erfaßte Wirkungsgeschichte geht vom Rheinischen ins Niederländische. Die Filiationen bedürfen weiterer Aufklärung. 'CL' gehört z.B. zu den Quellen bereits edierter oder erst neuerlich untersuchter mndl. Texte (H. ROSENFELD, AfdA 61 [1942] 41 f., RUH, MARROW): die sog. -»'Heimelike Passie' 'körnt overeen ... in hoofdzaak met de tekst von Christi Leiden', A. AMPE, OGE 35 (1961) 189, und der Franziskaner Frans Vervoort kannte 'CL', MARROW, S. 338 f.

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Christian von Hiddestorf - Christian von Prachatitz

L i t e r a t u r , s. 2 u. folgende Rez.: A. HÜBNER, AfdA 55 (1936) 151; F.P.PICKERING, MLR 32 (1937) 127; K. RUH, AfdA 69 (1956) 72-75. - F.P. PICKERING, Das gotische Christusbild, Euph. 47 (1953) 16-37; ders., Literature and Art in the Middle Ages, London 1970, Kap. IV, beide passim.

F.P.PICKERING

Christian —> auch Christan Christian von Hiddestorf Erfurter Franziskaner des 14./15. Jh.s. 1. Leben. Das Jahr der Geburt ist nicht bekannt. Um 1390 finden wir Ch. als Lektor am Magdeburger Provinzialstudium. 1396 ist er als Baccalaureus Biblicus am Studium generate des Erfurter Franziskanerkonvents bezeugt. Die Promotion muß nicht viel später erfolgt sein, denn um 1400 fungiert Ch. als Magister regens - wie es scheint, als einziger bis zu seinem Tode am 13.4.1420. 2. Werk. Ch.s Tätigkeit als Sentenzenlektor (um 1396/98) schlägt sich nieder in 'Conclusiones S e n t e n t i a r u m ' , überliefert im cod. theol. F. 48 der Ratsbücherei Lüneburg, f.H7r-207v (ungedruckt). Er folgt dem Lombarden, dessen Text, wie aus einer Notiz hervorgeht, jeder Student zur Hand hatte, genau und löst die Fragen in seinem Sinne, freilich nicht die der Unbefleckten Empfängnis, die mit Entschiedenheit franziskanisch-skotistisch beantwortet wird. Teile eines M a t t h ä u s - K o m m e n t a r s , der aus Ch.s Tätigkeit als Magister hervorgegangen ist - die Erfurter Statuten schrieben ausdrücklich Vorlesungen über die ganze Hl. Schrift vor -, überliefert der cod. 141, 14v-77r, der Braunschweiger StB (Auszug, Lectura über Mt 5, bei MEIER, 1939, S. 166-174). Er ist wie die 'Conclusiones' traditionalistisch, mit reichen Väter-Zitationen, Augustin mit 79 Zitaten weit an der Spitze, gefolgt von Gregor mit 30 Zitaten. Es werden indes auch profane Autoritäten aufgerufen: Aristoteles, Seneca, Valerius, Cicero; einmal sogar (73V74V) Petrarca (|1374). Im Vordergrund steht, deutscher und italienischer Tradition entsprechend, die theologisch-spekulative Auslegung auf Kosten des sensus litteralis. Das scholastische Disputationselement ist mit Quaestio-

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nes und Dubia eingebracht. - Bemerkenswert ist die nicht nur gepflegte, sondern durch Cursus und Reim (bei KernaussagerO gehobene Sprache. Nur in einem (bisher bekannt gewordenem) Text ist der Prediger Ch. bezeugt: einer P a s s i o n s p r e d i g t (Breslau, ÜB, cod. I.F.742, 120r-136r, ine. Omnis anitna quae non fuit afflicta), die, laut Kolophon, in Lübeck und 'an mehreren Orten' gehalten wurde. 3. Bezeugt ist die Nachwirkung Ch.s in der Erfurter Ordensschule, aber auch die Benutzung seines Matthäus-Kommentars in der alemannischen Ordensprovinz (Quadragesimale des Albert Hofeltinger im Münchner clm 9000 v. J. 1433). L i t e r a t u r . L. MEIER, Christianus de Hiddestorf O.F.M. Scholae Erfordinsis columna, Antonianum 14 (1939) 43-76, 157-180; ders., Die Barfüßerschule zu Erfurt (Beitr. z. Gesch. d. Philos. u. Theol. d. MAs 38/2), 1958, S. 19, 46f., 73f., 93.

K. RUH

Christian von Prachatitz Geb. 1368 an der oberen Blanitz im Böhmerwald, studierte Ch. v. P. in Prag, wo er 20jährig das Bakkalaureat erwarb (1388), ein Jahr später zum Magister artium promovierte und 1403 zum Dekan der Artistenfakultät sowie Rektor der Hochschule gewählt wurde. Seit 1405 Pfarrer bei St. Michael in der Prager Altstadt, hörte Ch. medizinische Vorlesungen Sigmund -»· Albichs, trat als dessen Gegner in der Hussitenfrage auf, wurde während Albichs Episkopat als Rektor wiedergewählt (1412), besuchte 1415 Johannes Hus in Konstanz, leitete 1417 erneut die philosophische Fakultät und mußte 1427-29 den Hussiten weichen. Nach seiner Verbannung wurde er 1434 zum dritten Mal als Rektor gewählt; 1439 ist er 71 jähr ig gestorben. Die Schriften Ch.s v. P. befassen sich mit mathematischen sowie medizinischen Themen; ursprünglich lat. abgefaßt, wurden sie teils tschechisch und vereinzelt deutsch rezipiert. Überliefert sind ein 'Astrolab', ein 'Computus chirometralis', ein 'Antidotar', ein 'Kräuterbuch' ('Herbularium'),ein Aderlaßtraktat sowie einige Pestschriften, deren Zuweisung im Einzelfall fraglich bleibt.

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Christian von Stablo

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Möglich ist, daß Ch. v. P. den Pest- -> 'Brief an die Frau von Flauen' verfaßte; mit größerer Wahrscheinlichkeit stammt von ihm ein Theriak-Pesttraktat', der auch unter dem Namen des —»Gallus (von Prag) läuft und deutliche Abhängigkeit von Sigmund Albich zeigt: der Text wurde wahrscheinlich in Baiern übersetzt und ist in vier obd. Abschriften des 15. Jh.s belegt.

man ihn mit A. HAUCK (Kirchengesch. Deutschlands II, 31912, S. 633 Anm.10) auch dort beheimatet sehen. Die Kommentarnotiz, die durch lat. harundo bezeichnete Pflanze wachse in sumpfigem Gelände in modwn herbae quae apud nos ror vocatur (Sp.1355 B; vgl. LAISTNER, S. 138), könnte für die deutsche (frk. ?) Muttersprache des Verfassers sprechen.

Ü b e r l i e f e r u n g des Theriak-Pesttraktats': a) lat.: Prag, ÜB, cod. IX.A.4, 168v-169r (15.Jh.); Berlin, mlf 88, 98r (15. Jh.; Kurzfassung unter dem Namen des Gallus von Prag).-b) deutsche: Schriesheim b. Heidelberg, Slg. G. Eis, cod. 54*, 10r-llr (östl. Mittelbair.; inzwischen verschollen) (E); Heidelberg, cpg 577, l I'll* (mbair. mit einigen md. Merkmalen) (H); München, cgm 725,13r-14r (mbair. mit schwäb. Einschlag) (M); Nürnberg, Germ. Nat. Mus., cod. 18792, 179r180r (schwäb.) (N). A u s g a b e n . G.Eis, Zur dt. Pestlit.d. 15. Jh.s, Med. Mschr. 6 (1952) 321-323 (nach E und H); E. HÖRING, Der schwäb. Theriak-Pesttraktat von 1398 [!], Med. Mschr. 30 (1976) 308-311 (nach allen vier Hss.). Ausg. d. lat. Überl. v. K. SUDHOFF, Pestschriften aus d. ersten 150 Jahren nach d. Epidemie d. 'schwarzen Todes' 1348, VI, Sudhoffs Arch. 7 (1913) 57-114, hier S. 72 f. u. 99-101, vgl. auch 102-105 sowie 14 (1922) 157. L i t e r a t u r . J. VON HASNER, Die älteste Medizin in Böhmen, (Prager) Vjs. f. d. prakt. Heilkde. 90 (1866) 17-20; G. Eis, Das Deutschtum d. Arztes Albich, ZfdPh 64 (1939) 174-209, hier S. 180f.; THORNDIKE/ KIBRE, Inc., Sp. 47,165,207,563,685,1224,1228,1250, 1456,1621 u. 1773; H.-J. WEITZ, Albich v. Prag, Diss. Heidelberg 1970, S. 17; H.-P. FRANKE, Der Pest-'Brief an die Frau von Flauen' (Würzb. med.-hist. Forsch. 9), 1977.

G. KEIL

2. C. schrieb einen umfänglichen Matthäus-Kommentar. Ein Teil der Überlieferung legt ihm auch zwei kleinere unvollendete Erklärungen zu Lukas (3 Hss.) und Johannes (l Hs.) bei, die sich freilich als unverbundene Exzerpte aus Bedas Lukas- und Augustins Johannes-Kommentar erwiesen haben (LEBON). Falls sie auf C. zurückgehen, bilden sie vielleicht Vorarbeiten zu den beiden Evangelienkommentaren, die C. im Vorwort zum Matthäus-Kommentar in Aussicht stellte. Vollends ungesichert ist die Echtheit der 'Homelia in caput xiij. Mathei' (inc.: Cum vero negligentiusagerent praepositi), die allein die Editio princeps von 1514 f. XCIXr-Cr unter C.s Namen überliefert. Ü b e r l i e f e r u n g . 7 Hss. (10.-14.Jh.) des Matthäus-Komm.s bei STEGMÜLLER, Rep. 1926, eine weitere (München, clm 14066) bei DÜMMLER, S. 952; Überl. der Erzerpte zu Lukas bei STEGMÜLLER, Rep. 1927, u. DÜMMLER, S.952; zu Johannes bei STEGMÜLLER, Rep. 1928. Ausgaben. Editio princeps: JAKOB WIMPFELING, Christiani Druthmari Grammatici Expositio in Matheum ..., Straßburg 1514 (nach unbekannter Hs.); unabhängig davon die von M.MOLTHER besorgte Ausg. Hagenau 1530 (nach einer verlorenen Wormser Hs.), in der die Exzerpte zu Lukas und Johannes fehlen. Nach der Ausg. von 1514: PL 106, Sp. 1259-1520. Krit. Ausg. des Widmungsbriefes: E. DÜMMLER, MGH Epist.VI177f.

I.C., der seit Johannes Trithemius auch unter dem unbeglaubigten zusätzlichen Namen eines Druthmarus monachus et presbyter Corbeiensis (dazu DÜMMLER, S. 936f.) läuft, bezeugt sich durch sein eigenes Werk als einen im 9. Jh. lebenden Mönch und Lehrer des Klosters Stablo (Diöz. Lüttich). Vielleicht ist er identisch mit dem Christianus decanus, der in einer Stabloer Urkunde von 880 (s. DÜMMLER, S. 937) unter den Zeugen auftritt. Für aquitanische Herkunft, von der -»Sigebert von Gembloux (T)e script, eccl.', c.72) spricht, findet sich sonst kein Anhalt. Aufgrund der besonderen Kenntnis Burgunds, die C. äußert, könnte

3. Seiner Entstehung aus dem Schulunterricht (vgl. Sp. 1261 CD) entspricht die Bestimmung des Matthäus-Kommentars, der Unterweisung der Anfänger zu dienen. Der Lehrer C. machte Einfachheit und Faßlichkeit zu seinem Programm, sparte nicht mit grammatischen Erläuterungen, suchte auch mit der seltenen eigenen Kenntnis des Griechischen zu nützen. Als Exeget sah er sich grundsätzlich zuerst der litteralen Auslegung verpflichtet, betrachtete die sprachliche und sachliche Sicherung des sensus historicus, die sein Werk vor der exegetischen Praxis seiner Zeit in der Tat auszeichnet, als strikte Voraussetzung allen Bemühens um den geistigen Sinn. Der ihm vorliegende Bibeltext muß eine irische Rezension

Christian von Stablo

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Christina von Hane

der Vulgata gewesen sein (vgl. LAISTNER, S. 140-142 u. 146-149); BISCHOFF verweist auf Bekanntschaft auch mit irischer Exegese. C.s Hauptquelle war indes der Matthäuskommentar des Hieronymus, den er zu ergänzen und zu verdeutlichen, nicht zu ersetzen trachtete. Seine an den frühen Augustin anknüpfende spiritualistische Auffassung der Eucharistie, nach welcher Brot und Wein eine nur sinnbildliche Bedeutung besitzen und die Verwandlung nicht in den Substanzen, sondern geistig, in der Einung der gläubigen Seele mit Christus, sich vollzieht, erregte mehrfach die Kontroverstheologie. L i t e r a t u r . R.SIMON, Histoire critique des principaux commentateurs du Nouveau Testament, 1693 (Neudruck: Frankfurt 1969), S. 370-377; D. RIVET, in: Histoire litteraire de la France V, 1866, S. 84-90; WETZER/WELTE, Kirchenlexikon, 21884, Sp.2087 bis 2089; E.DÜMMLER, Über C.v.Stavelot u. seine Auslegung zum Matthäus, BSB 37, 1890, S.935-952; J.LEBON, Notes sur C. de Stavelot, Rev. d'hist. eccl. 9 (1908) 491-496; MANITIUS, LG I 431-433; J. GEISELMANN, Die Eucharistielehre d. Vorscholastik, 1926, S. 133f. u. 143; M.L.W.LAISTNER, A Ninth-Century Commentator on the Gospel According to Matthew, Havard Theol. Rev. 20 (1927) 129-149; H.H.GLUNZ, History of the Vulgate in England, 1933, S.90, 206 u. 313-316; L. BERGERON, in: Diet. Spir. Ill 1721-1723; P.S.SpiCQ, Esquisse d'une histoire de 1'exegese latine au moyen age, Paris 1944, S.lSf., 20 u. 49f.; B.BiSCHOFF, Wendepunkte in d. Gesch. d. lat. Exegese im FrühMA,SacrisErudiri6 (1954) 191-281, hier S. 219f.; H. DE LUBAC, Exegese medievale II l, Paris 1961, S.210-219; BRUNHÖLZL, LG, S.383L u. 562f. F.J.WORSTBROCK

Christina von Hane (Hagen), gen. von Retters Ekstatische Mystikerin und Visionärin, Ende des 13. Jh.s. 1. Leben. Die einzige Quelle, eine geistliche Vita C.s, bietet für die Kenntnis ihres äußeren Lebens nahezu nichts. Aus adeliger Familie 1269 'im Mainzer Bistum' geboren, wird sie mit 6 Jahren dem Prämonstratenserinnenstift Hane (Hagen) bei Bolanden (Pfalz) übergeben, 1281 Profeß. Alsbald einsetzende ekstatische Visionen, begleitet von z.T. schweren körperlichen Krankheitserscheinungen, dauern bis zu ihrem frühen Tode 1292 fort. Ein nicht mit Namen ge-

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nannter leiblicher Bruder C.s führte nach der Vita in einer großen Schlacht bei Köln (wohl Worringen 1288) des byschoiffs banner. Die daraus neuerdings gefolgerte Herkunft C.s aus dem nassauischen Grafenhause als bisher unbekannte, sehr viel jüngere Schwester des späteren deutschen Königs Adolf ist bloße, durch keinerlei sonstige Anhaltspunkte gestützte Vermutung. Die einzige überkommene Hs. ihrer Vita (s.u. 2.) hat um 1650 der PrämonstratenserHagiologe und zeitweilige Rommersdorfer Abt Petrus Diederich (1617-1667) verunechtet, indem er aus C. von Hane eine C. 'von Retters' machte. Dazu haben ihn offensichtlich seine eifrigen Bemühungen um die Restitution des 1559 aufgehobenen, einst Rommersdorf unterstehenden Prämonstratenserinnenstifts Retters bei Königstein (Ts.) verleitet, denen er durch den Aufweis einer aus diesem Konvent hervorgegangenen 'Seligen' stärkeren Nachdruck zu verleihen hoffte. Erst die Wiederentdeckung (1958) der lange verschollenen Hs. mit Diederichs 'Korrekturen' hat diese Verfälschung ans Licht gebracht. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Straßburg, Bibl. Nat. et Univ., cod. 324, Mitte 15. Jh., aus Engelport (Mosel), durch Diederich 1657 nach Ilbenstadt transferiert. Enthält f. 212r-349v die deutsche, am Schluß unvollständige Fassung der Vita C.s. A u s g a b e . F.P. MITTERMAIER, Arch. f. mittelrhein. Kirchengesch. 17 (1965) 226-251 u. 18 (1966) 203-238. Nachmittelalterl.Bearbeitungender Vita (unter Übernahme der Verunechtung 'von Retters'): J.L. VAN CRAYWINCKEL, Legende der levens ... van de voornaemste Heylige ... in de witte orden van de H. Norbertus, t. II, Antwerpen 1665, S. 730-759 (fläm., dt. Übertragung bei KÖSTER, S. 253-267); J. HAAS, Praemonstratum foemininum, Ms. Ilbenstadt, ca. 1740, heute verschollen (dt.); [G. LIENHART], Spiritus literarius Norbertinus, Augsburg 1771, S. 597-602 (Auszüge, lat.); I. VAN SPILBEECK, Une fleur cachee. La bienheureuse Christinedu Christ..., Namur 1885 (frz.).

3. C.s Vita, die Geschichte ihres geistlichen Lebens, ihrer Askese und visionären Ekstasen, hat vermutlich ein Zeit- und Ordensgenosse aus ihrem unmittelbaren Lebenskreis, vielleicht ein mit der Seelsorge in Hane betrauter Prämonstratenser, aufgezeichnet; ob lat. oder schon dt., ist ungewiß.

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'Von einem christlichen Leben'

4. C.s 'schauendes' Leben beginnt früh, im Anschluß an fast noch im Kindesalter aufgenommene rigorose Selbstkasteiung im Kampf gegen weltliche Anfechtungen (7 Hauptsünden). In C.s oft über Wochen sich hinziehenden ekstatischen Visionsreihen spielen Liturgie und Festkalender eine beherrschende Rolle. Im Vordergrund ihrer Christusmystik steht das schmerzvolle körperliche Miterleben der Passion Christi (vielleicht mit Stigmatisation ?). Die freundlicheren Seiten ihrer mystischen Schau verknüpfen sich mit Maria: als Vorbild geistlichen Lebens (magistra disdplinae) zeigt sie doch überwiegend mütterliche Züge. Am Rande stehen Betrachtungen über Marias Verhältnis zur Trinität; auch eine besondere Andacht für die hl. Weisheit (die später —»Seuse in der Frauenmystik heimisch machen sollte) kündet sich an. Lebhaften Anteil nimmt C. an dem damals zumal in ihrem Orden - in hoher Blüte stehenden Kult der 11000 Jungfrauen, von denen auch ihr Kloster Reliquien besaß. Ein allgemeiner Zug mal. Devotion, die Sorge für die Seelen im Fegefeuer, erscheint bei C. auffallend stark ausgeprägt. Von Kind an besitzt sie ein inniges, gottbezogenes Verhältnis zur Natur. Von den Visionärinnen des 12. Jh.s (->· Hildegard von Bingen, -* Elisabeth von Schönau) scheidet C. ihr stärkeres Verlangen nach Nähe, Innigkeit und Gefühl, von dem oft zudringlichen Subjektivismus der späteren Frauenmystik ihre ungleich stärkere Bindung an Kirchenlehre, Orden und Liturgie. 5. Kenntnis und Verehrung C.s beschränken sich im MA auf einen regional eng umgrenzten Kreis mittelrheinischer Prämonstratenserklöster. Auch die Wiederbelebung, Ausweitung und Verfremdung ihres Kultes als 'sei. C. von Retters' oder 'von Christus' durch die hagiographische Bewegung des 17.Jh.s bleibt auf den eigenen Orden beschränkt (Konvente am Mittelrhein, in den südl. Niederlanden, vereinzelt im Osten: Czarnowanz b. Oppeln). Ihr von der Kirche niemals offiziell approbierter Kult erlosch mit der Säkularisation. L i t e r a t u r . Die ältere Lit. (vor 1945) bei KÖSTER, 1956, passim, u. bei MITTERMAIER, 1965, S. 217. - F.

PETIT, La spiritualite des Premontres aux 12e et 13" siecles, Paris 1947, S. 119-124; K. KÖSTER, Leben u. Gesichte der C. v. Retters, Arch. f. mittelrhein. Kirchengesch. 8 (1956) 241-269; F. P. MITTERMAIER, Ein bislang verschollener Hymnus auf die sei. C., gen. von Retters, ebd. 10 (1958) 353-355; ders., Wo lebte die sei. C., in Retters oder in Hane ?, ebd. 12 (1960) 75-97; ders., Lebensbeschreibung der sei. C., gen. von Retters, ebd. 17 (1965) 209-224 (Einl. zur Ausg., s.o. 2.).

KURT KÖSTER Christine von Engeltal -> Ebner, Christine 'Von einem christlichen Leben* Ü b e r l i e f e r u n g . 17 Hss. des 15. Jh.s, die den Text vollständig bieten, dazu 3 weitere, die nur Auszüge enthalten, zusammengestellt bei WEIDENHILLER, S. 140 bis 145. Dazu kommen noch: Nürnberg, StB, cod. Cent. 42, Nr. 13 (frgm.); Bamberg, SB, cod. Lit. 175 (Ed. VII. 56), lr-26r.

Die Überschrift lautet: Hie hebt sich an von einem cristenlichen leben ... wer oren hat zu hören, der hör. Inc.: In dem namen unßers herren Ihesu Christi, im zu lobe und zu eren, so ist zu wissen und zu mercken und zu verstien (München, cgm 509, 341va/b). Öfter steht das lat. Textwort zu Beginn: Qui habet aures audiendi audiat (Mt 11,15 u.ö.) (Lindau, StB, cod. P I 30 [olim25],252ra). Es handelt sich um einen vor allem im bairischen Sprachraum, aber auch in einigen alemannischen Hss. verbreiteten katechetischen Traktat. In der Überlieferung erscheint er öfter zusammen mit dem popularmystischen Traktat -* 'Von der Gemahelschaft Christi mit der gläubigen Seele', vor allem aber steht er im engen Verbund mit einigen Kurztraktaten, unter denen -> 'Die Goldwaage der Stadt Jerusalem' als einziges veröffentlicht wurde (W. STAMMLER, Spätlese d. MAs II [TspMA 19], 1965, Nr. 27). Das Traktatenbündel ist am vollständigsten vorgestellt durch BANZ nach Einsiedeln, cod. 710. Trotz der breiten Überlieferung ist in den bisher erfaßten Hss. kein direkter Hinweis auf den Verfasser zu finden. Mit Sicherheit ist er Ordensangehöriger, wahrscheinlich ein Augustinerchorherr aus einem Reformkloster. Mehrfach betont er seine geringe Gelehrsamkeit, er sei ein armer sneder hunt.

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Herzog Christoph von Bayern - 'Christophorus'

Die Entstehungszeit des Traktats liegt zwischen 1379 und 1413. Der Traktat bietet alle Stücke der christlichen Lehre, zuerst das Vaterunser, das Ave Maria und den Glauben, dann die 10 Gebote und die üblichen katechetischen Stücke. Er ist geschrieben für die Laien, wohl auch für die Laienbrüder der Orden, wenn auch die spezielle Einfügung für Ordensleute (Angriff auf das Sondereigentum) etwas gezwungen erscheint. Die theologische Grundhaltung und der Stil zeigen erbauliche, popularmystische Züge. Wörtlich übernommen wird der Sündenkatalog aus -> Hugos von Straßburg 'Compendium' III, c. 30-40. L i t e r a t u r . R.BANZ, Christus u.d. Minnende Seele (German. Abhh. 29), Breslau 1908, S. 12-14; W. SCHMIDT, Die vierundzwanzig Alten Ottos v. Passau (Palaestra 212), 1938, S. 45f. [erste Hinweise auf den Überlieferungskomplex]; E. WEIDENHILLER, Unters, z. dt.sprachigen katechetischen Lit. d. späten MAs (MTU 10), 1965, S. 140-152.

EGINO WEIDENHILLER Herzog Christoph von Bayern (1449-1493) unternahm 1493 zusammen mit Kurfürst Friedrich von Sachsen eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, an der auch Lucas Cranach teilnahm, worüber er in einem Brief von der Insel Lissa (vom 28.5.1493) und in knappen, tagebuchartigen Notizen, dem bruchstückhaft erhaltenen Tilgramsbuch', berichtet, das von der Landung in Jaffa bis zum 9.7.1493 auf Rhodos reicht, wo C. am 15.8.1493 am 'Fieber' starb. Interessant wird geschildert, wie er den Kurfürsten, seinen Neffen, aus der Hand der Türken befreit hat. Hans —>· Schneider hat nach dem Augenzeugenbericht von C.s Koch Johannes ein Gedicht über die Pilgerfahrt verfaßt (250 Verse). A u s g a b e n und L i t e r a t u r . F. TRAUTMANN, Die Abenteuer Herzog C.s v. B., Teil 2, Regensburg-New York-Cincinnati 1880, S. 448-458: Brief u. Pilgramsbuch (vollst.?); das Original d. Briefes nach S.493 in 'Frh. E. v. Oefele's Coll. vet. Hist. Bav.', keine Angaben über den Verbleib des Pilgramsbuchs; vgl. RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 177-179; im übrigen: ADB IV 232-235; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 143 Nr. 437; H. Schneiders Ged. ist gedruckt bei: RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 299-307.

DIETRICH HUSCHENBETT

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Christoph von Glotz (= Glatz) Von Magister Ch. v. G. sind zwei astrologische Schriften im Druck verbreitet worden. Ein 'Prognostiken' für das Jahr 1491 erschien in einer dt. und einer lat. Ausgabe in Nürnberg bei Peter Wagner (GW 6659). Gleich viermal wurde seine dt. 'Practica' für das Jahr 1496 gedruckt (Nürnberg: Peter Wagner; Nürnberg: Friedrich Creussner; Bamberg: Johann Pfeil; Speyer: Konrad Hist [?]; GW 6660-6664). Da sie als Practica Wiennensis bezeichnet wird, dürfte sie in oder zumindest für Wien verfaßt sein. Weitere Nachrichten über den Verfasser sind bisher nicht bekannt geworden. L i t e r a t u r . G. HELLMANN, Beitr. z. Gesch. d. Meteorologie II, 1917, S. 212.

WOLFRAM SCHMITT 'Christophorus' I. Anders als in Frankreich ist in deutschsprachiger Dichtung die ursprüngliche Passio, die im Anschluß an die Bartholomäuslegende die Bekehrung eines gewaltigen Kynokephalen (Canineus) 'Reprobus' ('der Verworfene'), seine Taufe unter Verleihung des Namens Christophorus — einer alten Ehrenbezeichnung für den Christen überhaupt — und sein aus dem Typ der Märtyrer vom unzerstörbaren Leben entwickeltes gesteigertes Martyrium darstellte, ohne Behandlung geblieben. In dt. Dichtung kommt ausschließlich die spätere Christusträgerlegende zu Wort, die in der ersten Hälfte des 13. Jh.s wohl am Südrand des dt. Sprachgebietes entstanden ist. Sie ist vor allem aus dem Namen und der diesen deutenden bildlichen Darstellung unter Verwertung von Motiven der Legende von Julianus Hospitator erwachsen und ist durch das Motiv des Wunsches, nur dem mächtigsten Herren zu dienen, der feudalen Welt des Rittertums angenähert, ohne daß hier doch, wie SZÖVERFFY annimmt, ein unmittelbarer Einfluß des Gahmuret-Ausrittes in -»Wolframs von Eschenbach 'ParzivaP (13, 9-14) vorläge. Während die Bearbeitung im -»'Passional' (S. 545 ff.) sich eng an die 'Legenda aurea' des -»Jacobus de Voragine anschließt, vertreten die drei selbständigen

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Herzog Christoph von Bayern - 'Christophorus'

Die Entstehungszeit des Traktats liegt zwischen 1379 und 1413. Der Traktat bietet alle Stücke der christlichen Lehre, zuerst das Vaterunser, das Ave Maria und den Glauben, dann die 10 Gebote und die üblichen katechetischen Stücke. Er ist geschrieben für die Laien, wohl auch für die Laienbrüder der Orden, wenn auch die spezielle Einfügung für Ordensleute (Angriff auf das Sondereigentum) etwas gezwungen erscheint. Die theologische Grundhaltung und der Stil zeigen erbauliche, popularmystische Züge. Wörtlich übernommen wird der Sündenkatalog aus -> Hugos von Straßburg 'Compendium' III, c. 30-40. L i t e r a t u r . R.BANZ, Christus u.d. Minnende Seele (German. Abhh. 29), Breslau 1908, S. 12-14; W. SCHMIDT, Die vierundzwanzig Alten Ottos v. Passau (Palaestra 212), 1938, S. 45f. [erste Hinweise auf den Überlieferungskomplex]; E. WEIDENHILLER, Unters, z. dt.sprachigen katechetischen Lit. d. späten MAs (MTU 10), 1965, S. 140-152.

EGINO WEIDENHILLER Herzog Christoph von Bayern (1449-1493) unternahm 1493 zusammen mit Kurfürst Friedrich von Sachsen eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, an der auch Lucas Cranach teilnahm, worüber er in einem Brief von der Insel Lissa (vom 28.5.1493) und in knappen, tagebuchartigen Notizen, dem bruchstückhaft erhaltenen Tilgramsbuch', berichtet, das von der Landung in Jaffa bis zum 9.7.1493 auf Rhodos reicht, wo C. am 15.8.1493 am 'Fieber' starb. Interessant wird geschildert, wie er den Kurfürsten, seinen Neffen, aus der Hand der Türken befreit hat. Hans —>· Schneider hat nach dem Augenzeugenbericht von C.s Koch Johannes ein Gedicht über die Pilgerfahrt verfaßt (250 Verse). A u s g a b e n und L i t e r a t u r . F. TRAUTMANN, Die Abenteuer Herzog C.s v. B., Teil 2, Regensburg-New York-Cincinnati 1880, S. 448-458: Brief u. Pilgramsbuch (vollst.?); das Original d. Briefes nach S.493 in 'Frh. E. v. Oefele's Coll. vet. Hist. Bav.', keine Angaben über den Verbleib des Pilgramsbuchs; vgl. RÖHRICHT, Pilgerreisen, S. 177-179; im übrigen: ADB IV 232-235; RÖHRICHT, Bibl. geogr. Palaest., S. 143 Nr. 437; H. Schneiders Ged. ist gedruckt bei: RÖHRICHT/MEISNER, Pilgerreisen, S. 299-307.

DIETRICH HUSCHENBETT

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Christoph von Glotz (= Glatz) Von Magister Ch. v. G. sind zwei astrologische Schriften im Druck verbreitet worden. Ein 'Prognostiken' für das Jahr 1491 erschien in einer dt. und einer lat. Ausgabe in Nürnberg bei Peter Wagner (GW 6659). Gleich viermal wurde seine dt. 'Practica' für das Jahr 1496 gedruckt (Nürnberg: Peter Wagner; Nürnberg: Friedrich Creussner; Bamberg: Johann Pfeil; Speyer: Konrad Hist [?]; GW 6660-6664). Da sie als Practica Wiennensis bezeichnet wird, dürfte sie in oder zumindest für Wien verfaßt sein. Weitere Nachrichten über den Verfasser sind bisher nicht bekannt geworden. L i t e r a t u r . G. HELLMANN, Beitr. z. Gesch. d. Meteorologie II, 1917, S. 212.

WOLFRAM SCHMITT 'Christophorus' I. Anders als in Frankreich ist in deutschsprachiger Dichtung die ursprüngliche Passio, die im Anschluß an die Bartholomäuslegende die Bekehrung eines gewaltigen Kynokephalen (Canineus) 'Reprobus' ('der Verworfene'), seine Taufe unter Verleihung des Namens Christophorus — einer alten Ehrenbezeichnung für den Christen überhaupt — und sein aus dem Typ der Märtyrer vom unzerstörbaren Leben entwickeltes gesteigertes Martyrium darstellte, ohne Behandlung geblieben. In dt. Dichtung kommt ausschließlich die spätere Christusträgerlegende zu Wort, die in der ersten Hälfte des 13. Jh.s wohl am Südrand des dt. Sprachgebietes entstanden ist. Sie ist vor allem aus dem Namen und der diesen deutenden bildlichen Darstellung unter Verwertung von Motiven der Legende von Julianus Hospitator erwachsen und ist durch das Motiv des Wunsches, nur dem mächtigsten Herren zu dienen, der feudalen Welt des Rittertums angenähert, ohne daß hier doch, wie SZÖVERFFY annimmt, ein unmittelbarer Einfluß des Gahmuret-Ausrittes in -»Wolframs von Eschenbach 'ParzivaP (13, 9-14) vorläge. Während die Bearbeitung im -»'Passional' (S. 545 ff.) sich eng an die 'Legenda aurea' des -»Jacobus de Voragine anschließt, vertreten die drei selbständigen

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'Christophorus'

mhd. Reimpaardichtungen eine ältere Form der Legende. Unabhängig voneinander und ohne durch Wortanklänge auf eine gemeinsame dt. Vers Bearbeitung hinzuweisen, stimmen sie in der Benennung des Gottsuchers als Off ems ('Anbieter'), seiner vornehmen Herkunft, der Verlegung der Fergendienste an einen Fluß in der Nähe seiner Mündung ins Meer, der Erprobung durch zweimaliges vergebliches Durchwaten des Flusses und der Taufe mit Namensänderung mitten im Fluß überein. Sie gehen teils unmittelbar, teils vermittelt durch Nacherzählung besonders in der Predigt auf die offenbar in Deutschland eingebürgerte lat. Urfassung zurück. II. ' C h r i s t o p h o r u s B' Ü b e r l i e f e r u n g . Prag, ÜB, cod. XVI G 19, Pap., 15. Jh. Ausgabe. A.E. SCHÖNBACH, ZfdA 17 (1874) SSMI; dazu E. SCHRÖDER, ZfdA 75 (1938) 103 f.

Der geistliche Dichter der 2002 Verse umfassenden Reimpaardichtung, der wohl im österreichischen Alpengebiet beheimatet war, ist an höfischer Dichtung geschult und zieht Keti und Artus zum Vergleich heran. Er versteht nicht ungeschickt zu erzählen, legt jedoch besonderen Wert auf didaktische Einschübe und Gelehrsamkeit. Vieles hat er aus -> Freidank, einzelnes auch aus dem 'Welschen Gast' des -» Thomasin von Zerklaere entnommen. Er scheut sich nicht vor selbständigen Änderungen des Erzählverlaufs. Die ursprüngliche Dreiheit der Dienstfolge des Heiligen (König, Teufel, Christus) sucht er zu steigern durch die lehnsmäßige Folge Ritter, Graf, König, Kaiser, Papst (Teufel, Christus). Er verrät dabei klerikale Gesinnung, indem er den Papst weit über den Kaiser stellt, bedenkt aber nicht, wie wenig es dem tieferen Sinn der Erzählung entsprach, den Helden von der christlichen Sphäre des Papstes in die Hände des Teufels gelangen und ihn dann erst erkennen zu lassen, daß Christus der größte Herr ist. Daß er auch mit volksepischer Tradition vertraut war, kommt darin zum Ausdruck, daß an die Stelle der Marter mit dem glühenden Helm des küneges wurmgarte tritt, in dem Drachen, Nattern und Kröten ihr Wesen treiben.

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Für die Datierung ist die Erwähnung von Palermo als Sitz des deutschen Kaisers wichtig. Das kann nur auf Friedrich H. und damit die Zeit vor 1250 hinweisen. Aber das Bild des friedlichen Osterbesuches des Kaisers in Rom und seine demütige Unterordnung unter die Autorität des Papstes läßt sich schlecht mit der tatsächlichen Haltung Friedrichs II. vereinen. Es handelt sich daher wohl um den Wunschtraum eines päpstlich eingestellten Klerikers aus einer Zeit, in der die Erinnerung an Friedrichs glänzende Hofhaltung in Palermo bei einem Augenzeugen noch lebendig war. Die Legende verrät also ähnlichen Geist wie die damals umlaufende Sage vom Fortleben Kaiser Friedrichs, die sich die 'falschen Friedriche' bis hinein in die Regierungszeit Rudolfs von Habsburg zunutze machten. Nimmt man eine Entstehungszeit etwa um 1270 an, ehe ein allgemein anerkannter deutscher König den Blick in andere Richtung lenkte, so erklären sich auch gut die starken Apokopeerscheinungen, die z.B. an die in Jans ->Enikels vor 1280 entstandener 'Weltchronik' erinnern, sowie das Hervortreten vierhebig klingender Verse. III. ' C h r i s t o p h o r u s A' Ü b e r l i e f e r u n g . 1. St.Florian (Oberösterreich), Stiftsbibl.,cod.XI276,Pap.,15.Jh.;2.Wien,cod.2953, Pap., 15. Jh.; 3. Eine erweiternde und vielfach ändernde, aber auf guter Vorlage beruhende Bearbeitung ist der Druck: Sant Christoffs gepurt und leben mit vil figuren gar lustig in reym Weyhs, Landshut, J. Weinenburger 1520 (mit 31 Holzschnitten), erhalten anscheinend nur in der SB München. Ausgabe.A.E. SCHÖNBACH, ZfdA 26 (1883) 20-84.

Im Gegensatz zu der höfisch bestimmten Fassung B ist A (1650 vv.) eine Dichtung spielmännischer Art. In unbekümmerter Fabulierlust wird etwa eine Geburtsgeschichte des Helden vorangestellt und die Erzählung mit zahlreichen novellistischidyllischen Einzelzügen ausgestattet. Dabei hat es dem Dichter vor allem die Riesenhaftigkeit des werdenden Heiligen angetan; sie sucht er mit derbem Humor zur Geltung zu bringen und scheut dabei vor dem Grotesken nicht zurück, vor allem, wenn er immer von neuem seine gewaltige Eßlust schildert oder wenn er vor Schreck über den Schall seiner Stimme gleich 40 Kriegsleute

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'Christus als Koch'

das Leben einbüßen läßt. Die Übersetzszene gestaltet er würdig und mit Wärme. Den Passioteil wandelt der Autor unter Verwertung von Motiven der Legendendichtung und des Volksepos ziemlich frei um. U. a. läßt er statt der beiden Dirnen, die den Heiligen in fleischliche Lust verstricken sollen, den Teufel selbst in der Gestalt eines schönen Weibes einen Verführungsversuch machen. Die ihm gar zu versöhnlich erscheinende Heilung und Bekehrung des königlichen Wüterichs beseitigt er kurzerhand. Das Geistliche betont er durch Einlegung von Visions- und übernatürlichen Abendmahlsszenen. Gelegentlich gelingt ihm ein hübsches Naturbild (v. 866f. und v. 1003 ff.). Ein erneuter Einfluß der bildenden Kunst wird darin sichtbar, daß der Einsiedler mit der Laterne, der auf den Christophorusbildern seit dem 14. Jh. nach verbreitetem mal. Brauch die Nacht andeutet, in die Handlung einbezogen wird (v. 1008 ff.). Die Sprache ist kräftig und nicht selten derb. Sie weist eindeutig auf das BairischÖsterreichische hin. Die Metrik und besonders der Reim sind außerordentlich frei. W. GRIMM wollte das Gedicht darum ins 12. Jh. versetzen (Vermerk GRIMMS auf seiner Abschrift der Hs. St. Florian XI 276, vgl. SCHÖNBACH, 1874, S. 136). SCHÖNBACH und RICHTER erblickten wenigstens die Bearbeitung einer Vorlage des 12. Jh.s darin und glaubten, diese in Stil und Sprache durchschimmern zu sehen. Zu dieser Auffassung trug bei, daß man die Hs. von St. Florian mit GRIMM dem 14. Jh. zuschrieb und die Freiheiten der Form mit diesem Zeitansatz nicht in Einklang bringen konnte. Aber weder im Wortschatz noch im Reim finden sich Anhaltspunkte für eine Dichtung des 12. Jh.s: es fehlen nicht nur die für das 12. Jh. charakteristischen Endsilbenreime bzw. Verse, die zur Wiederherstellung derartiger nicht abgeschwächter Nebensilben Anlaß geben könnten, sondern ebenso auch die vokalischen Assonanzen. Vielmehr weisen die Reime mit ihren starken Apokopeerscheinungen, ihren ausgeprägten Dialektismen und der Fülle konsonantischer Unreinheiten eindeutig auf das 15. Jh. hin. Daß die Dichtung dem Geschmack des ausgehenden MAs entsprach, zeigt die Tat-

sache, daß sie in leichter Überarbeitung noch 1520 eines Druckes gewürdigt wurde (s. o.). IV. ' C h r i s t o p h o r u s C' Ü b e r l i e f e r u n g . Annaberg (Erzgebirge), Kirchenbibl. (jetzt der Ratsbibl. angegliedert), Pap.-Hs. D 187, v. J. 1447. Ausgabe. H.-F.ROSENFELD (s. u.) 1937,S. 500-519.

Diese kürzeste Fassung (564 vv.) erzählt sehr schlicht und klar ohne viel Beiwerk den epischen Verlauf. Daß sie die Passio an eine Pilgerfahrt des Heiligen nach Santiago di Compostella anknüpft, erfolgt unter dem Einfluß des mit Jacobus dem Älteren gemeinsamen Feiertages (25.Juli), vielleicht auch aus der Kenntnis der im Bereich von Compostella und an der Pilgerstraße hoch verehrten Reliquien des hl. Ch. Sehr entschieden vertritt der Dichter den Glauben an die apotropäische Wirkung des Bildes des Heiligen und gibt damit der Auffassung Ausdruck, die den Christophoruskult in Deutschland am stärksten gefördert hat. Die Dichtung ist im nördlichen Gebiet des Ostfränkischen zu Beginn des 14. Jh.s entstanden. L i t e r a t u r . K. RICHTER, Der dt. St. Ch. (Acta Germanica V 1), 1896; H.-F. ROSENFELD, Der hl. Ch. (Acta Acad. Aboensis, Humaniora X 3), Helsinki 1937 und Leipzig 1937; ders., Der hl. Ch. (Forschungen u. Funde 15), 1939, S. 63 f.; J. KUNSTMANN, Hol über. Leben, Bild u. Kult des hl. Ch., 1961; J. SZÖVERFFY, Die Verhöfischung d. mal. Legende, ZfdPh 91 (1972) 23-29; G. BENKER, Ch., 1975 (mit ausführl. Bibliogr.).

HANS-FRIEDRICH ROSENFELD 'Christus als Kaufmann' • Christus und die sieben Laden' 'Christus als Koch' Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 90, 231v-233r; München, cgm 411, 49ra-50va; 480,66r-68v; 702,155r-156v; Stuttgart, LB, cod. theol. et phil. 8° 19,115r-117r. A u sga be. A. SPAMER [Hg.], Texte aus d. dt. Mystik d. 14. u. 15. Jh.s, 1912, S. 146-149 (nach d. Stuttgarter Hs. mit Laa. von cgm 411 und 702).

Zwölf Klausnerinnen empfangen am Ostertag die Kommunion. In ihrem Eifer haben sie vergessen, für Speise und Trank zu sorgen. Eine wird in die Küche geschickt. Am Herd sieht sie einen Jüngling stehen, der sich als ain hergeladner bezeichnet. Die Klausnerin erschrickt sehr und fällt in

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'Christus und die minnende Seele'

Ohnmacht. So ergeht es auch den anderen, die nacheinander in die Küche kommen. Jeder stellt sich der Jüngling mit einer göttlichen Eigenschaft vor. Seinen Namen nennt er nicht, doch heißt es am Anfang der kurzen Erzählung: Es war der koch hymelrichs vnd ertrichs jhesus cristus, der den Klausnerinnen zu essen gab nach irs hertzen begird. Der Text könnte in Augsburg entstanden sein. Darauf weisen hin die Herkunft der Münchener Hss. aus Augsburg und der ostschwäb. Dialekt aller Hss. bis auf mgq 90 (mittelbair.). Doch hängt die Berliner Hs. eng mit cgm 480 zusammen: Beide bringen etwa 25 Gebete und Betrachtungen in fast gleicher Reihenfolge und gleichem Wortlaut (vgl. K. ILLING, Alberts d. Gr. 'Super missam'-Traktat in mhd. Übertragungen [MTU 53], 1975, S. 74ff.). 'Ch. a. K.' gehört wie -»'Christus und die sieben Laden' in eine Reihe populär-mystischer Exempel, die im Erbauungsschrifttum des 14. und 15.Jh.s im ganzen dt. Sprachgebiet verbreitet waren. KURT ILLING 'Christus und die minnende Seele' 1. Die Unio mystica, die begnadete Mystiker und Mystikerinnen in der Schau erlebten, wurde für weniger Begnadete durch Ausarbeitung einer Stufenfolge asketischmystischer Übungen nachvollziehbar gemacht und u. a. in Dichtungen unterschiedlicher Länge verbreitet. 2. Aus Illustrationen und mehr oder weniger unverändert wiederkehrenden Vierzeilern in größeren Dichtungen, die sich wie erratische Blöcke vom jüngeren Text abheben, sowie aus Bilderbogen und Bilderbogenfragmenten des 15.Jh.s und einem Frühdruck (I) läßt sich ein hsl. Bilderbogen des 14. Jh.s rekonstruieren, der in 20 Szenen in 5 Reihen von unten links nach rechts oben mit je 2 Dialogreimpaaren den Weg der Seele über fromme Kasteiung des Leibes, Büß- und Meditationsübungen und Visionen zur Unio mystica in ein Schema zwängt und als Wandbild für Nonnenzelle und Frauengemach bestimmt war. Die Unio wird als Beilager, später als Krönung durch Christus dargestellt. Der ursprüng-

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lich hsl. vervielfältigte Bogen wurde durch Holztafeldrucke (Fragmente W, Bn, Z) und Bilderbogen (M) abgelöst. Ü b e r l i e f e r u n g . B = Randeintrag in der Hs. Basel, ÜB, cod. A X 123 (1441), 19", 18 vv.; hg. v. G.BiNZ, Die Hss. d. öffentl. Bibl. d. Univ. Basel l, 1907, S. 118 f.W = zerschnittenes Einblatt (schwäb., 1460), 34 vv.; Faks.: F. M. HABERDITZL, Einblattdrucke d. 15. Jh.s in Wien, 1920, Nr. 163. - Bn = zerschnittenes Einblatt (schwäb., 1470), 16 vv.; Faks.: P.KRISTELLER, Holzschnitte im Kupferstichkabinett Berlin 2, 1915, Taf. 62. - Z = zerschnittenes Einblatt, Pause nach verlorenem Züricher Original in der Hs. Donaueschingen, cod. 106, 16 vv. -M = Bilderbogen (Holzschnitte mit Typensatz, ca. 1500), 80 vv., München, Bayer. SB, Einbl. III, 52f; Faks.: BANZ, Taf. IX. -1 = Breslau, ÜB, Inkunabel 'Von der ynnigen Selen' (Erfurt, W. Schenck, ca. 1504), 16 Bll. mit 96 vv. -Hist.-krit.-ikonogr. Textausgabe wird von H. ROSENFELD vorbereitet.

3. Bei Übergang zur Buchform konnte man den Inhalt des Bilderbogens durch zusätzliche Verse, Szenen oder andere Einschübe vermehren. Der erwähnte Erfurter Frühdruck I erweiterte durch Voranstellung einer Eingangsszene und Einschub mystischer Prosa zwischen die Stammszenen. 4. 'BARTSCHS minnende Seele' (so genannt nach BANZ), eine Dichtung von 222 Versen (I.Hälfte des 14.Jh.s), gibt die 20 Szenen des Bilderbogens mit ihren Versen, vermehrt jeweils um ca. 8 Verse und um 5 z.T. aus Einzelblättern mit Text übernommenen Szenen und dem Einschub von auch sonst bekannter mystischer Prosa (v. 171-180). Die einzig erhaltene Abschrift ersetzt die Illustrationen durch regiebuchartige kurze Bemerkungen. Aus dem Andachtsbogen wurde ein Andachtsbuch. Ü b e r l i e f e r u n g . Nürnberger Hs. Cent. VI 43, verschollen, aber 9 Bll. davon aus BARTSCHS Nachlaß nach Berlin gekommen = mgq 1303 (ca. 1430); Text hg. v. K. BARTSCH, Die Erlösung, 1858, S. 216-224. Nur sehr entfernt verwandt ist der kurze Dialog zwischen anima und salvator (Koblenz, Staatsarch., cod. 701/193, f. 217; als 'Bruchstück aus einem Weltgerichtsspiel' in W.STAMMLER, Berner Weltgerichtsspiel, 1962, S.46f.), der Christi Ermahnungen in Form eines vom Engel-überreichten göttlichen Briefes gibt (-»'Koblenzer WeltgerichtsspieP).

5. 'Die minnende Seele' (i.F. MS; Sigle nach BANZ), eine umfangreiche Dichtung von 2112 Versen mit 21 Illustrationen, ist

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'Christus und Pilatus' - 'Christus und die Samariterin'

Aufschwellung der 80 Bilderbogen verse durch fromme Ermahnungen und Betrachtungen zu einer klösterlichen Lehrdichtung. Die von BANZ und KREBS behauptete Verfasseridentität mit der C-Fassung von -»· 'Des Teufels Netz' ist unmöglich. Letzteres ist eine bittere, Obszönitäten nicht scheuende Satire, verfaßt von einem Mann (STRAUCH), der sich aus der Welt in eine Klause am Bodensse zurückgezogen hatte, während MS, wie z.B. die Verse über die Ehe erweisen, von einer Frau (Ordensfrau) für Frauen geschrieben wurde, wahrscheinlich für Beginenhäuser am Bodensee. Die aus 'Des Teufels Netz' (10000 vv.) übernommenen Verse oder Versgruppen (ca. 260 vv., vgl. BANZ, S. 124-141) sind teils im Ausdruck gemildert, teils mißverstanden und erweisen nur, daß die Verfasserin von MS die eindrucksvolle Dichtung eifrig studiert oder abgeschrieben hat. Das Dutzend Anklänge an MS in Heinrich —»Wittenwilers 'Ring' sind nicht (parodistisches) Zitat (BANZ, S. 149-151), sondern gängige Formeln ohne jede Beweiskraft für Abhängigkeit. Im übrigen verbietet die Werkchronologie einen Rückgriff Wittenwilers auf MS. Stil und Versbehandlung weisen das Gedicht ebenfalls erst in das fortgeschrittene 15. Jh. Drei der vier überlieferten Handschriften stammen aus Konstanz, der mutmaßlichen Heimat der Verfasserin. Ü b e r l i e f e r u n g . E = Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 710 (St. Peter, Konstanz, ca. 1480) .- D = Donaueschingen, cod. 106 (Konstanz, ca. 1500), lr-80v. - K = Karlsruhe, LB, cod. St.Georgen pap. germ. 89, f. 1-80, nach 1430). - U = Überlingen, Leopold-Sophien-Bibl., cod. 22 (Konstanz, Ende 15. Jh.). a = Frgm. v. 1605 1685, 1783-1869, verschollen; hg. v. F.J. , AnzfKdVz 8 (1839) 334-338. - Krit. Text hg. v. BANZ, S. 259-363. L i t e r a t u r . R.BANZ, 'Chr. u. d. m. S.', Unters, u. Texte (German. Abhh. 29), Breslau 1908; dazu PH. STRAUCH, AfdA 34 (1910) 255-261; E. KREBS, in: 1 VL l 377-379; W. MUSCHG, Die Mystik in d. Schweiz, Frauenfeld-Leipzig 1935; H. ROSENFELD, Der mal. Bilderbogen, ZfdA 85 (1953) 66-75; ders., in: J VL V 140-143.

HELLMUT ROSENFELD 'Christus und die Nonne' -»· 'Kreuztragende Minne'

'Christus und Pilatus' Md. (thüring.) Gedicht, letztes Viertel (KRAUS) bis Ende des 12. Jh.s (EHRISMANN). Ü b e r l i e f e r u n g . Berlin, mgq 1303, Nr. 10; Frgm., verschollen, l Doppelbl., 64 Kurzverse; zwischen den beiden Blättern fehlt ein Stück unbestimmbaren Umfangs. Zur Hs. C. v. KRAUS, Collation u. Abdruck v. Frgm.n d. 12.Jh.s II. Christus u. Pilatus, ZfdA 50 (1908) 333 f. A u s g a b e n . K . BARTSCH, Bruchstücke einer Passion d. IZ.Jh.s, Germ. 4 (1859) 245f.; KRAUS, Dt. Ged., S. 62-64 (Anm. 246-249) (zit.); MAURER, Rel. Dicht. III 430-433.

Das Gedicht behandelt den Evangelien folgend die Gerichtsszene vor Pilatus in stark dialogischer Gestaltung. Die sieben eingestreuten lat. Zitate sind alle ins Deutsche übersetzt. Daß der Dichter nach dem Gedächtnis gearbeitet habe, glaubt KRAUS (Dt. Ged., S. 246 f.) der Begrüßung Jesu durch Pilatus mit ave, rex Judeorum (v. 8) entnehmen zu können, die in den Evangelien bei der Verspottung durch die Soldaten steht. Zu dieser Annahme paßt, daß Jesu Rede vor Hannas ( 18,23) in die Pilatusszene (v. 33 f.) verlegt wird. EHRISMANN (S. 125 f.) sah die Bedeutung des Textes in seiner Nähe zum geistlichen Drama. Er sei das einzige Beispiel für Einwirkung des Dramas auf die mhd. erzählende Literatur. Die Kürze und Lückenhaftigkeit des Textes und die ungeklärte Quellenlage wecken jedoch Bedenken gegen zu weitgehende Folgerungen. L i t e r a t u r . Bis ca. 1969 in: MAURER (s. Ausg.n), S. 429. - W. SCHERER, Gesch. d. dt. Dichtung im 11. u. 12.Jh.(QF12),1875,S.35;EHRisMANN,LGIIl,S.125f.

EDGAR PAPP 'Christus und die Samariterin' Ahd. Reimgedicht (i. F. 'Sam.'). 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 515, 4v-5r. 'Sam.' wurde im 10. Jh. in die Hs. der Lorscher Annalen eingetragen. Diese wurden im frühen 9. Jh. aufgezeichnet, tragen südwestdeutschen Schriftcharakter und befanden sich um 835 auf der Reichenau. Sie reichen bis Bl. 5', Z. 10. Das Gedicht folgt unmittelbar darauf, nimmt den Rest der Seite ein und bricht mit deren letzter Zeile ab. In Z. 14 verweist ein Auslassungszeichen auf zwei Verse, die auf 4V unten eingetragen sind. A u s g a b e n . Facsimilia: E. ENNECCERUS, Die ältesten dt. Sprachdenkm., 1897, Taf. 38; H. FISCHER, Schrifttafeln z. ahd. Lesebuch, 1966, Taf. 21. Diplomat.

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'Christus und die Samariterin'

Text ebd., S. 24*; S. 23* weitere Faks. - MSD Nr. X; STEINMEYER, Nr. XVII; BRAUNE, Leseb., Nr. XXXIV (zit.).

2. Die Sprache weist alemannische Züge auf; doch finden sich daneben andere, die meist als fränkisch angesprochen werden. Die vermeintliche Dialektmischung ist erklärt worden entweder als alem. Einfärbung eines frk. Originals (soBAESECKE, 1908, und STEINMEYER) ; oder als frk. Einfärbung eines alem. Originals (so LEITZMANN und EHRISMANN); oder durch Entstehung in einem sprachlichen Grenzgebiet (so KOEGEL). Neben die sprachlichen Schwankungen treten graphische, die sich nur teilweise mit den sprachlichen decken und auf Beteiligung zweier Schreiber an der Aufzeichnung (so PONGS, STEINMEYER, MENHARDT) schließen ließen, die einander mehrmals abgelöst und das Original (ob frk. oder alem.) unterschiedlich treu kopiert hätten. BAESECKE (1927, 1928) fand ein ähnliches Nebeneinander alem. und frk. Merkmale in den Reichenauer Mönchslisten und sah in 'S am.' einen Zeugen der Reichenauer Schreibsprache. MAURER folgte ihm und lehnte die Hypothese der zwei Schreiber ab. Zur Datierung ist mitEHRiSMANN festzustellen, daß Reime wie unnen: -prunnen neben man: brunnan wahrscheinlich erst nach dem weitgehenden Zusammenfall von -an, -in (-en), -on möglich waren, also gegen Ende des9.Jh.s. 3. Quelle des Gedichts ist 4,4 ff. Der erhaltene Text besteht aus 31 Reimpaaren. Auf einen Erzähleingang folgt das Gespräch zwischen Christus und dem samaritanischen Weibe, mit zwei Ausnahmen in direkter Rede ohne Verba dicendi. Die Dialogform erinnert an das Heldenlied und das einleitende lesen uuir an Quellenberufungen wie ik gihorta dat seggen. Dagegen war die Wiedergabe von discipuli durch thegana bei -> Otfrid vorgebildet, und die von patres nostri durch unser altmaga scheint das eher gelehrt anmutende for uns er giborana abzuwandeln. Die Wiedergabe der Geschichte ist gedrängter als in der biblischen Quelle; z.B. tu batis dir unnen I sines kecprunnen = tu forsitan petisses ab eo et dedisset aquam vivam. Es gibt jedoch auch Zusätze, auf Reimbe-

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dürfnis beruhende (wie die seltsam anachronistische Beteuerung uuizze Christ) oder erzähltechnisch begründete wie die Anrede guot man vor dem Übergang zum respektvollen herro im Munde des Weibes. Die Variation betoton hiar ... suohton hia genada für das biblische adoraverunt unterstreicht die theologische Bedeutung der Geschichte. 4. Strittig ist, ob die metrische Form nur den Otfridschen Reimpaarvers fortsetzt oder (NEUMANN, SCHWEIKLE u.a. zufolge) an eine durch das -> 'Petruslied' bezeugte vorotfridische (autochthone?) Verstradition anknüpft. MAURER, der den Text in alternierende Gruppen von 6 und 5 Reimpaaren gliederte, hat ihn mit dem ebenfalls auf der Reichenau entstandenen -»'Georgslied' und dem im nahegelegenen St. Gallen ursprünglich deutsch verfaßten Lobgesang ->Ratperts auf den hl. Gallus verglichen und die Möglichkeit erwogen, daß alle drei zu derselben Melodie gesungen worden seien. Im Aufbau des Gedichtes ist ein starker Formwille unverkennbar, wie z.B. die symmetrische Anordnung der Reimpaare 6-23 in Gruppen von l, 2,3, 6,3,2, l verrät. 5. Lehrreich ist ein Vergleich von Otfrid (11,14) mit 'Sam.': hier kurze epische Einleitung und knapper Dialog, dort gemächliches kommentierendes Erzählen. Daß Otfrid 'Sam.' kannte, ist unwahrscheinlich, wie ERDMANN gezeigt hat; daß unser Dichter das 'Evangelienbuch' kannte, ist nicht ausgeschlossen. Auffällig ist das Nebeneinander von brunno und puzzi l buzza in beiden Stücken (bei Otfrid sogar ausausdrücklich als Synonyma gekennzeichnet: 11,14,8), sowie der gemeinsame Gebrauch des seltenen bita. Allerdings könnte das Lehnwort puzzi in beiden Fällen durch das in der Quelle vorkommende Etymon puteus angeregt worden sein, und zu beton 'adorare' kam als Abstraktum nur bita 'adoratio', nicht das häufiger belegte beta 'petitio' in Betracht. L i t e r a t u r . KOEGEL, LG II113 f.; EHRISMANN, LG I 207-211; DE BOOR, LG I 84 f.; J. K. BOSTOCK, A Handbook on Old High German Literature, Oxford 21976, S. 214-218. -MSD II64 f.; STEINMEYER, Sprachdenkm., S. 90 f.; BISCHOFF, Schreibschulen, S. 145 f.; E. A. LOWE,

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'Christus und die sieben Laden'

Codices Latini Antiquiores X, Oxford 1963, Nr. 1482; MENHARDT, Hss. I 41 f. - O. ERDMANN, Rez. zu P. Pipers Ausg. v. Otfrieds Evangelienbuch, ZfdPh 11 (1880) 117f.; W. BRAUNE, Ahd. bita, PBB 32 (1907) 153f.; G. BAESECKE, Kl. Mitt., AfdA 31 (1908) 206; P.R. KOLBE, Variation in the Old High German PostOtfridian Poems, Modern Language Notes 28 (1913) 216; H. PONGS, Das Hildebrandslied, Diss. Marburg 1913, S. 27f., 165f.; A. LEITZMANN, Die Heimat d. Samariterin, PBB 39 (1914) 554-558; TH. v. GRIENBERGER, 'Sam.', PBB 45 (1921) 221-226; G. BAESECKE, Das ahd. Schrifttum v. Reichenau, PBB 51 (1927) 217f.; ders., Das Ahd. von Reichenau, PBB 52 (1928) 92-148; F. MAURER, Zur Frage nach d. Heimat d. Ged.s 'Sam.', ZfdPh 54 (1929) 175-179. - Versgeschichtliches: F. MAURER, Zur Geistlichendichtung d. MAs, Fg. f. Th. Frings, 1956, S. 338-341; F. NEUMANN, Otfrieds Auffassung vom Versbau, PBB (Halle) 79 Sonderband (1957) 303f.; G. SCHWEIKLE, Die Herkunft d. ahd. Reimes, ZfdA 96 (1967) 165-212.

DAVID R. MCLINTOCK 'Christus und die Seele' Minne'

'Kreuztragende

'Christus und die sieben Laden' Erbauliche Exempelgeschichte aus dem 15.Jh. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . 32 hsl. Textzeugen und 9 Drucke von 1491 bis 1572 bei SCHMIDT, Erbauungslit., S.445ff.DiefrühesteHs.istKarlsruhe,LB,cod,St.Georgen pap.germ. LXXX, 50r-58v, v. J. 1425; nicht bei SCHMIDT: Würzburg, Staatsarch., Ms. f. 31, 34V-38V, ca. 1488, aus dem St. Klara-Kloster in Nürnberg. Der älteste Druck: Basel, Johann Amerbach, 1491 (mit Holzschnitten). - Schwerpunkt der Überlieferung ist das Elsaß mit den anschließenden alemannischen Landschaften ; Ausstrahlungen bis ins Ripuarische und Niederländische (sofern die Leidener Hs. Lett. 340, 140r149', wirklich den selben Text und nicht eine nur thematische Variante überliefert), ins Schwäbische und Bairische, vor allem aber nach Nürnberg und Umkreis. A u s g a b e n . A. BACHMANN/S. SINGER (Hgg.), Dt. Volksbücher (StLV 185), 1889, S. 247-258, 390-398 (nach Zürich, Zentralbibl., cod. Car. C 28); F. VETTER, Lehrhafte Lit. d. 14. u. 15.Jh.s. II. Geistliches (DNL 12, 2), 1890, S. 78-80 (Teildruck); übersetzt bei R. FRAUENFELDER, Christus als Kaufmann, Bodenseebuch 17 (1930) 78-87.

2. Ein Kaufmann hat sich, betroffen durch das Predigtwort über Lucas 14,33 - wer nicht allem absagt, was er hat, kann nicht mein Jünger sein -, in eine Einsiedelei zurückgezogen, erliegt aber dort den Anfechtungen des Bösen und nimmt den kere

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wider zue der weite. Auf dem Wege zurück zur Kaufmannschaft begegnet ihm Christus als Kaufmann mit sieben Laden (Truhen) auf seinem Karren. Sie enthalten die kostbarsten Schätze der Welt: (1) einen Palast aus Gold und Edelsteinen, (2) ein Land in Reichtum und Wohlstand, (3) einen Garten, herrlich wie das irdische Paradies, (4) einen Tisch mit kostbarster Speise, (5) einen nie versiegenden Gesundbrunnen, (6) einen Spiegel mit dem himmlischen Herrn, thronend im Himmel, (7) die Insignien kaiserlicher Majestät. Nacheinander öffnet Christus die Laden und bietet deren Inhalt scheinbar für ein Nichts an. Aber dieses Nichts ist in der anschließenden Auslegung der Besitz höchster christlicher Tugenden, nämlich die Güter der sieben Seligpreisungen (Mt. 5,3-11), die dem rückfälligen Eremiten nicht zukommen, so daß er vom Kaufe absehen muß. Wie der Kaufmann mit seinen Laden plötzlich verschwindet, weiß er, wem er begegnet ist. Er kehrt reuig in seine Klause zurück, und es gelingt ihm, die von Christus genannten Schätze der Seligpreisungen zu erwerben. 3. Die kleine Schrift, die auch den Titel 'Christus als Kaufmann', 'Vom Krämer Jesu Christi' u.a. hat, vermittelt christliche Tugenden und Spiritualität, angelehnt an die sieben Seligpreisungen, im Rahmen einer Exempelzählung. Das Schema von Christus dem Kaufmann dürfte wie im -»· 'Bruder mit den sieben Säckchen' der Altväter-Tradition angehören und fügt sich, nicht ohne Geschick in einen novellistischen Rahmen gebracht, vortrefflich in die erbaulich-lehrhafte Traktatliteratur des Elsaß im 15. Jh. ein. Die genauere literarische Einordnung zwischen der Gottesfreundliteratur Rulmann ->Merswins und der handfesten geistlichen Emblematik Johannes -»Kreutzers durch SCHMIDT ist sicher zutreffend, dessen vorsichtige Zuordnung zu den Augustiner-Eremiten in Straßburg eine sehr ansprechende Hypothese. 4. Weitere Auskunft über das Leben des beliebten Traktätchens vermöchte die Textgeschichte zu bieten. Sicher hat der Text in verschiedenen Formen gelebt, und sicher hat er in den Drucken, zumal den jüngsten

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'Chronik des Anonymus vom Prälatenkrieg' - 'Chronik der Burgunderkriege'

im gegenreformatorischen Dillingen, neue Funktionen erhalten. Die Reduktion zum 'Andachtsbild' seit dem späten 15. Jh. konnte SCHMIDT nachweisen. Die erbauliche Exempelgeschichte ginge damit den selben Weg wie die Heiligenvita. Verwandt mit unserem Exempel ist das ndl. Exempel vanden monic die in die achte salicheit dachte, gedruckt : C. G. N. DE VOOYS, Meister Eckart en de nederlandse mystiek III, Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N.S. 3 (1905) 277-280 (Bijlage XV). L i t e r a t u r . W. MUSCHG, Die Mystik in d. Schweiz, Frauenfeld-Leipzig 1935, S. 274f.; W. SCHMIDT, Christus u. d. sieben Laden, Fs. E. Stollreither, 1950, S. 261-284 = Zur dt. Erbauungslit. d. späten MAs, in: K. RUH (Hg.), Altdt. u. altndl. Mystik (WdF 23), 1964, S. 437-461 = W. SCH., Kleine Schriften, 1969, S. 198-

K. RUH

'Christus und die Sultanstochter' Sultanstochter im Blumengarten'

'Die

'Chronik von alten Dingen der Stadt Mainz' -> Reise, Nikolaus 'Chronica und altes Herkommen der Landgrafen zu Thüringen' -* Nuhn, Johannes 'Chronik des Anonymus vom Prälatenkrieg' 1476 abgefaßte Chronik über den sog. Prälatenkrieg, diplomatische und prozessuale Auseinandersetzungen des Lüneburger Rates mit den überwiegend geistlichen Inhabern der Siedehütten über deren Beteiligung an der Tilgung der städtischen Schulden. Die Chronik beginnt 1448 und bricht mit dem Tod des abgesetzten Bürgermeisters Springintgud 1455 ab. Ü b e r l i e f e r u n g . Original: Lüneburg, Stadtarch., cod. AB 1125; weitere Hss. vgl. BORCHLING, Mnd. Hss. I 148, 151 f., 156, 220, 223, 236; dort auch die älteren (auszugsweisen) Drucke. A u s g a b e . W. REINECKE, Chron. dt. St. 36 (Lüneburg), 1931, S. 280-336.

Der Prälatenkrieg ist das zentrale Ereignis der Lüneburger Geschichte des 15. Jh.s. In seinem Verlauf wird die Stadt mit dem Interdikt und Acht und Bann belegt, was zu einer innerstädtischen Revolution und der Absetzung des alten Rates führt. Erst nach zwei Jahren tritt er wieder an die Spitze der Stadt. In der allgemeinen Lüne-

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burger Chronistik nimmt der Prälatenkrieg entsprechend breiten Raum ein, allein mit ihm beschäftigen sich neben dem Werk des Anonymus Hinrik —> Lange und Dirick -* Döring. Alle Verfasser stehen dem alten Rate nahe, ihre Aufzeichnungen dienen seiner Rechtfertigung (vgl. auch die Lieder vom -> 'Lüneburger Prälatenkrieg'). Die Chronik des Anonymus fand hsl. und in frühen Drucken weitere Verbreitung, sie galt lange als beste Quelle zum Prälatenkrieg. Der Verfasser inseriert zahlreiche Ratsrezesse, Schiedssprüche und andere Dokumente (ca. 45% des Gesamtumfanges), die eine Benutzung des Ratsarchives voraussetzen. Er kennt ferner die Chronik des Hinrik Lange, der ca. 35% des Textes überwiegend wörtlich entnommen sind. Nur ca. 20% des Textbestandes sind dem anonymen Verfasser zuzuschreiben, wovon die in direkter Rede lebhaft dargestellten Verhandlungen des Rates mit den Prälaten von 1448 und mit dem Papst 1453 hervorzuheben sind. L i t e r a t u r . W. REINECKE, Lüneburgs Chronistik, Niedersächs. Jb. NF 2 (1925) 145-164; ders., Ausg., S. 277-279 (Einleitung); ders., Gesch. d. Stadt Lüneburg l, 1933, S. 203-242; Rep. fönt. III 422; D. BROSIUS, Die Rolle d. röm. Kurie im Lüneburger Prälatenkrieg, Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 48 (1976) 107-134.

INGEBORG BUCHHOLZ-JOHANEK 'Chronicon Austriacum' • Österreichische Chronik von 1454-1467' 'Chronica und Beschreibung der Türkei' -> Georg von Ungarn 'Chronik der Burgunderkriege' Die anonyme Chronik ist nur in der vom sonst unbekannten Magister Berlinger angelegten Kompilation, deren Grundlage der entsprechende Teil von Petermann -> Etterlins Chronik ist, überliefert. Sie wurde nach 1484 von einem Basler Zeitgenossen in dt. Sprache aufgezeichnet und behandelt die Jahre 1473-1479. Ü b e r l i e f e r u n g. Basel, ÜB, cod. HIV 27, f. 93-116, Hs. des Mag. Berlinger, Mitte d. 16. Jh.s; ebd., Hs. IV 14, 83v-97r, Berlingers Etterlin (Randzusätze in Berlingers Exemplar von Etterlins 'Schweizer Chronik', gedr. 1507).

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'Chronik des St.Clarenklosters ..."

'Chronica auff Closternewburg, ...'

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Ausgabe. A.BERNOULLI, Basler Chron.n 5, 1895, S.499-527 (zit.).

folgloser Widerspruch gegen Klostereintritt).

Obzwar unvollständig und besonders über auswärtige Ereignisse nur ungenau informiert, ist die Chronik doch von gewissem Wert, da sie Angaben enthält, die bei Johann -* Knebel fehlen. Beachtenswert ist die scharfe Scheidung von 'Walchen' und 'Tütschen'.

L i t e r a t u r . K.P. LEPSIUS, Hist. Nachricht von d. St. Ciarenkloster zu Weißenfels, Neue Mitt. aus d. Gebiet hist.-antiquar. Forschungen hg. v. Thüring.Sächs. Verein 3,2 (1837) 45-94, wiederabgedr. in: ders., Kleine Schriften H, 1854, S. 231-275; HERSCHEL, Die Chron. d. Weissenfelser Klarenklosters, Serapeum 16 (1855) 156-160; LORENZ, Geschichtsquellen II lOOf.; Rep. font. III 472f.

L i t e r a t u r . F.MEYER, Die Beziehungen zwischen Basel u. d. Eidgenossenschaft in d. Darstellung d. Historiographie d. 15. u. 16.JH.S (Basler Beitr. z. Gesch.wiss. 39), 1951, S.81 f.; FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung, S. 61.

GISELA FRIEDRICH

GUY P. MARCHAL

'Chronica auff Closternewburg, der lantsfurstlichen statt' (auch 'Kleine Klosterneuburger Chronik')

'Chronik des St. Clarenklosters zu Weißenfels' (1285-1347) Klostergründungsgeschichte eines unbekannten Verfassers (LEPSius: franziskanischer Beichtvater?), wohl nicht vor der Mitte des 14.Jh.s verfaßt (OPEL, S. 375 gegen LEPSIUS, 1854, S. 232).

Ü b e r l i e f e r u n g . Klosterneuburg, Stiftsarch. (2 codd., einer davon K215 [vgl. RÖHRIG, S. 119 Anm. 108]); Klosterneuburg, Stiftsbibl., codd. 1235 und 1235a (alle 16. Jh.). A u s g a b e n . H.J. ZEIBIG, Die kleine Klosterneuburger Chron. (1322 bis 1428), Arch. f. österr. Gesch. 7 (1851) 231-268, auch selbständig als Monumenta Claustroneoburgensia l, 1851; H. MASCHEK (DLE, Reihe Realistik d. SpätMAs 5), 1936, S. 286-316.

Ü b e r l i e f e r u n g . Dresden, Sachs. LB, cod. L364; ebd., cod. a 29 (umarbeitende Abschrift von L 364 aus dem 16. Jh., OPEL, S. 373). Ausgabe. J.O. OPEL, Die Chron. d. St. Clarenklosters zu Weissenfels, Neue Mitt. aus d. Gebiet hist.-antiquar. Forschungen hg. v. Thüring.-Sächs. Verein 11 (1865) 373-424.

Die Prosachronik beginnt mit der Stiftung des Klosters 1285 durch Markgraf Dietrich von Landsberg (1242-1285) und seine Frau Helena (1241/42-1304), die damit dem hartnäckigen Wunsch ihrer Tochter Sophia gegen den zunächst erbitterten Widerstand des Markgrafen nachkamen. Namentlich genannt als Klosterfrauen werden Dietrichs Töchter Sophia (spätere Äbtissin) und Gertrud, außerdem Elisabeth von Orlamünde, eine Verwandte König Adolfs, und Margaretha, eine Tochter Heinrichs I. von Brandenburg; mit der Erwähnung ihres Todes (1347) schließt die Chronik. Das vorbildliche Leben dieser der St. Clären-Ordensregel verpflichteten Nonnen wird ausführlich beschrieben und durch eingestreute Wundererzählungen verklärt. Die Angehörigen der wettinischen und askanischen Stiftergeschlechter werden lediglich in ihrer Beziehung zur Klostergeschichte erwähnt (Schenkungen, er-

Annalistische Aufzeichnungen für die Jahre 1322 bis 1428, von zwei lat. Annalenzitaten zu Beginn und einigen kleineren lat. Wendungen im Text abgesehen in dt. Sprache - wohl dem Umgangsdeutsch jener Tage - abgefaßt; etliche Stifts-, Stadt-, wirtschafts-, sozial-, kultur- und kunstgeschichtliche Notizen von hohem Wert (numismatische Einzelheiten, Mitteilungen über Witterung, Ernten, Preise, Judenverfolgungen, aber auch Angelegenheiten der Wiener Universität [z.B. zu 1422] sowie zum großen Villacher Erdbeben des Jahres 1348) sichern dem Werk wohl mehrerer, jedenfalls aus bürgerlichen Kreisen stammender Verfasser — für das 15. Jh. vermutete MASCHEK den herzoglichen Bergmeister, Stadtschreiber und Stadtrichter Niklas Teim (f 1435) als Verfasser - Beachtung. L i t e r a t u r . ZEIBIG (s.o. Ausg.n), S.229f.; LORENZ, Geschichtsquellen I 224; MASCHEK (s.o. Ausg.n), S. 37, 335-339; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 305f. (Lit.); Rep. font. Ill 312; F. RÖHRIG, Klosterneuburg (Wiener Geschichtsbücher 11), 1972, S. 36-38 und 119.

WINFRIED STELZER 'Chronik von Goisern' -> Mühlwanger, Koloman

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'Chronik des Gotzhaus St.Gallen' - 'Cronica der graffen von Cilli'

'Chronik des Gotzhaus St. Gallen' Es handelt sich nicht um eine eigentliche Chronik, sondern um eine in unmittelbarer Nähe Abt Ulrich Roeschs von mehreren Händen geschriebene Denkschrift in dt. Sprache über die Vorgeschichte und die Gründe des 1485 begonnenen Klosterbaus zu Rorschach und über die Ereignisse vor, während und nach dem Klosterbruch (d. h. der Zertrümmerung des halbfertigen Bauwerks durch die Anhängerschaft der Stadt St. Gallen) von 1488, eine Denkschrift, in die verschiedene Akten, Urkunden und die Privilegien für Rorschach inseriert sind. Sie dürfte im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu den Friedensverhandlungen von 1490 entstanden sein (vgl. S. 48, vergiss nicht..., S. 81, Item gedenck an ...). Ü b e r l i e f e r u n g . St.Gallen, Stiftsarch., cod. B 221, 28r-136r; Miszellaneen-Hs„ 15. Jh. Ausgabe, J.HARDEGGER, Kurze Chron. d. Gotzhaus St. Gallen (1360-1490) von einem unbekannten Conventualen, bes. der Klosterbruch zu Rorschach, mit darauf bezüglichen Verträgen u. Liedern, Mitt. z. vaterländ. Gesch. 2 (1863) 1-81 (zit.). Unzulängliche Ed. mit irreführendem Titel und Hss.beschreibung.

Die Schrift spiegelt unmittelbar die Argumentationsweise Abt Ulrich Roeschs in den Ereignissen wieder, die zum St. Gallerkrieg von 1489/90 führten. Von kulturhistorischem Interesse sind die Überlegungen zum neuen Klosterbau (S. 25-35) und das Schadeninventar der Baustelle (S. 74-81). L i t e r a t u r . J.HÄNE, Der Klosterbruch in Rorschach u. d. St. Galler Krieg 1489-1490, Diss. Zürich 1895, in: Mitt. z. vaterländ. Gesch. 26 (1899) {grundlegend zur Sache unter Verwendung d. 'Kurzen Chron.'); J. DUFT, Der Bodensee in sanktgaller Hss., 2 1960, S.20-22, 79f.; Hdb. d. Schweizer Gesch. I, Zürich 1972, S. 333. _ _ ,. .

GUY P. MARCHAL

'Cronica der graffen von Cilli' Ü b e r l i e f e r u n g . Zu den mehr als 20 bekannten Hss. s. KRONES, 1883, II 10-20 u. 176-183 bzw. LHOTSKY, S. 351; hinzukommt die bisher unbeachtete, auf Veranlassung Job Hartmanns von Enenkel hergestellte Überlieferung Schlierbach, Stiftsbibl., cod. I 13,148M74 (v.J. 1603), die weitestgehend der Edition HAHNS entspricht und in diesem Zusammenhang noch genauer untersucht werden müßte. A u s g a b e n . S. HAHN, Collectio monumentorum veterum et recentium ineditorum II, Braunschweig

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1726, S. 665-746 bzw. 746-764; I. A. CAESAR, Annales ducatus Styriae III, Graz 1777, S.5-164; F. KRONES, Die Freien v. Saneck u. ihre Chron. als Grafen v. Cilli. II. Die Cillier Chron., Graz 1883.

Um diese namhafte dt. Chronik von beträchtlichem Quellenwert richtig zu beurteilen, muß man sich die ungemein bedeutende Position des aufstrebenden, aus den ehem. Freien von Sannegg hervorgegangenen Geschlechts der gefürsteten Grafen von Cilli (Untersteiermark, heute slovenisch Celje) vor Augen halten und ihre einerseits gegen die Habsburger, andererseits nach dem Südosten gerichtete Politik verfolgen, deren Schwerpunkt durch ihre serbischen, bosnischen und dalmatinischen Verbindungen bestimmt war (vgl. zuletzt H. DOPSCH, Die Grafen von Cilli ein Forschungsproblem? Südostdt. Arch. 17/18 [1974/75] 9-^9). Als Grundstock des Werkes darf man eine um 1435 von einem Kleriker (wohl einem Minoriten des Cillier Konvents) verfaßte Cillier Grafenchronik annehmen, die ursprünglich vermutlich von 1340 bis 1435 reichte, sodann bis zum Aussterben der Cillier (1456) fortgesetzt und endlich durch eine kurze Schilderung des Streites um das Erbe bis 1460 ergänzt wurde. Eine freie Übersetzung der mit Cilli bekanntlich unmittelbar zusammenhängenden -»'Vita Maximiliani' wurde zur Illustration der Frühgeschichte vorangestellt (Paralleldruck der lat. Vorlage und der Übersetzung bei KRONES [s.o. Ausg.], S. 51-69). Die Chronik ist in volkstümlichem Deutsch abgefaßt; durch die erst in der Mitte des 16. Jh.s einsetzende Überlieferung, durch eine zweite, im 16. Jh. entstandene Redaktion mit ihrerseits drei Varianten zusätzlich verkompliziert, läßt sich der Formenstand der ursprünglichen Fassung indes nicht mehr zuverlässig sichern. L i t e r a t u r . F. KRONES, Die zeitgenössischen Quellen z. Gesch. d. Grafen v. Cilli mit Einschluß d. sog. 'Cillier Chron.' (1341-1456), Beitr. z. Kunde steiermärk. Geschichtsquellen 8 (1871) 3-120; ders., Die Cillier Chron. Krit. Unters, ihres Textes u. Gehaltes, Arch. f. österr. Gesch. 50 (1873) 3-102; ders., (s.o. Ausg.n); LHOTSKY, Quellenkunde, S.350f.; Rep. font. III 311.

WINFRIED STELZER

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'Chronik aus Kaiser Sigmunds Zeit' - 'Cronica des koninks Sigmundus zu Ungern'

'Cronica van der billiger stat Cöllen' -> 'Koelhoffsche Chronik' 'Chronik aus Kaiser Sigmunds Zeit' (1126-1438/41) 1. Unbekannt ist der Autor dieser Aufzeichnungen, die eine wichtige Grundlage der Nürnberger Stadtgeschichtsschreibung darstellen. Aus der Chronik läßt sich entnehmen, daß es sich um einen in größeren Abständen bis 1438 schreibenden, zu Reflexionen neigenden Beobachter der Zeitverhältnisse gehandelt hat, der keinen engeren Kontakt zum Kreis der politisch handelnden Personen seiner Stadt besaß. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . 15 Hss., zusammengestellt bei KERN, Chron. dt. St. I 327-341. Ergänzend dazu C. ADAM, Arch. d. Freiherren Stromer von Reichenbach auf Burg Grünsberg II: Akten (Bayr. Archivinventare 34), 1972, S.2f. Neue Sign, der Haupths. A: Nürnberg, Staatsarch., Nürnberger Hss. 159. Ausgabe. KERN, Chron. dt. St. I 344-414.

3. Die in drei frühen Fassungen sowie mehreren späteren Überarbeitungen überlieferte Chronik setzt 1126 im knappen Stil von Klosterannalen mit spärlichen Nachrichten in großen Zeitsprüngen ein. Die Informationen zur Mitte des 14. Jh.s dürfte der Autor aber bereits noch lebenden Zeitgenossen verdanken. Es folgen, v. a. 1420ff., präzis formulierte reichhaltige Augenzeugenberichte zurStadt- und Reichsgeschichte, die sich durch seltene Genauigkeit der Zeitangaben auszeichnen. Eine Fortsetzung von 1438-1441, einem weiteren Autor zugeschrieben, behält diese Merkmale bei. Unselbständig ist nur der knappe I.Teil der Chronik. Quelle ist ein fränkisch-bayrisches Annalenwerk (KERN, Chron. dt. St. X 56-58 in Korrektur zu ders., Chron. dt. St. I 319-324), aus dem auch Erhard ->Wahraus im I.Teil seiner Augsburger Chronik schöpfte. Innerhalb der städtischen Geschichtschreibung wurde die Chronik in ihren frühen Fassungen mehrfach rezipiert: von Hartmann -»Schedel in seinem lat. 'Breve Chronicon Norimbergense', von Michael Eisenhard in seiner Rothenburger Chronik, von Johannes Müllner in den Nürnberger Annalen von 1623 und von Heinrich -»Deichsler in seiner gewaltigen

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Kompilation zur Geschichte der Reichsstadt. Die größte Verbreitung aber erreichte das Werk in einer frühen Bearbeitung, die es mit Ulman -> Stromers historischen Aufzeichnungen verband und in die Nürnberger Jahrbücher des 15. Jh.s eingliederte. In dieser Redaktion ging die Chronik in zahlreiche spätere Geschichtswerke ein (KERN, Chron. dt. St. I 325f.), als solide Basis der Nürnberger Historiographie, die frei war von den kurz darauf beginnenden wuchernden Sagenbildungen zur Frühgeschichte der Reichsstadt (Sigismund -»Meisterlin). L i t e r a t u r . TH.V.KERN, Chronik aus Kaiser Sigmunds Zeit, in: Chron. dt. St. I, 1862 (Nachdr. 1961), S.313-469, Chron. dt. St. X, 1872 (Nachdr. 1961), S. 49-58; E. MUMMENHOFF, Die Nürnberger Geschichtsschreibung bis Johann Müllner, Unterhaltungsbl. d. Frank. Kuriers 50 (1903) Nr. 79, S. 421; H. SCHMIDT, Die dt. Städtechron.n als Spiegel d. bürgerlichen Selbstverständnisses im SpätMA (Schriftenreihe d. hist. Komm. d. bayr. Ak. d. Wiss. 3), 1958, S.38f., 42f.; G. HIRSCHMANN, Die Nürnberger Geschichtsschreibung bis Müllner, in: Johannes Müllner, Die Annalen d. Reichsstadt Nürnberg von 1623,1 (Quellen z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg 8), 1972, S. *2.

HELGARD ULMSCHNEIDER 'Cronica des koninks Sigmundus zu Ungern' Ü b e r l i e f e r u n g . Kopenhagen, Kongl. Bibl., cod. 666, 37V^3V. A u s g a b e . CARDAUNS, S.339-350.

In einer bis 1419 reichenden Miscellanchronik offenbar Kölner Provenienz ist zwischen Ereignissen des Jahres 1414 gleichsam als Exkurs die Sigmundschronik eingeschoben. Die wohl vor 1419 entstandene, chronologisch verwirrte Darstellung, die vorwiegend einige Episoden anekdotisch ausmalt, steht ganz auf der Seite Sigmunds; es hat den Anschein, als handle es sich um Exzerpte aus einem Quellenwerk, das allerdings noch zu identifizieren wäre. Der seinem Grundcharakter nach nd. Text weist wiederholt obd. Lautformen auf, folgt daher wohl, wie schon CARDAUNS, S. 338, vermutete, einer obd. Vorlage. L i t e r a t u r . H. CARDAUNS, Chron. über Sigmund König v. Ungarn, Forschungen z. dt. Gesch. 16 (1876) 335-338; LORENZ, Geschichtsquellen II303; Rep. font. »I 463.

WINFRIED STELZER

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'Chronik der nortelvischen Sassen, ...' - 'Chronica S.Pantaleonis'

'Chronik der nortelvischen Sassen, der Ditmarschen, Stormarn unde Holsten' Der Verfasser ist unbekannt. Die Quellenbenutzung und verschiedene Angaben im Text verweisen auf Hamburg als möglichen Entstehungsort. 1483/86 ist die Aufzeichnung anscheinend abgeschlossen worden. Ü b e r l i e f e r u n g . 6 Hss. des 15.-17.Jh.s (vgl. LAPPENBERG, S. V ff.), z.T. unvollständig. A u s g a b e n . A.L.J.MICHELSEN,Staatsbürgerl. Magazin 9 (1829) 343-380; überholt durch: J.M. LAPPENBERG, Quellensamml. d. schles.-holstein.-lauenburgischen Ges. f. Vaterland. Gesch. 3 (1865).

W e r k . Ob der Originaltitel überliefert ist, bleibt unsicher. Die Chronik setzt mit der Eroberung und Missionierung Sachsens durch Karl den Großen ein. Sie behandelt die politische und kirchliche Entwicklung Holsteins mit Ausblick auf die Zustände in den Nachbargebieten. Für das 15. Jh. treten die dänischen und hansestädtischen Verhältnisse mehr in den Vordergrund. Die mnd. Chronik ist annalistisch aufgebaut, mit Lücken zwischen den Berichtsjahren. Die Textentstehung ist nicht ganz geklärt. Der I.Teil (790-1181) ist anscheinend später als der 2. Teil (1250-1483) entstanden. Nach FRICKE, S. 27, ist der 2. Teil ursprünglich die Fortsetzung einer Aufzeichnung über die schauenburgischen Grafen gewesen. Als Quellen sind sicher nachweisbar: die 'Slawenchronik' -»Helmolds von Bosau, die 'Annales Hamburgenses', die 'Annales Ryenses'. Die Verwandtschaft mit der spätmal. Chronistik Holsteins und Lübecks ist nicht ganz eindeutig. Die jüngeren Chronisten haben die Aufzeichnungen mehrfach benutzt. L i t e r a t u r . LORENZ, Geschichtsquellen II 183f.; R. HANSEN, Der dithmarsische Chronist Joh. Russe u. seine Vorgänger, Zs. d. Ges. f. schles.-holsteinische Gesch. 29 (1899) 65-67; W.FRICKE, Unters, z. älteren holsteinischen Gesch., Diss. Jena 1907, S. 1-32; Rep. font 111440

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KLAUS WRIEDT

'Chronica (Annales) S. Pantaleonis' Ü b e r l i e f e r u n g . 2 Rezensionen, von denen nur die 2. vollst., die 1. dagegen allein für die Jahre 7701177 unverändert überliefert ist. Rez. 1: Rom, Bibl. Vaticana, cod. Vat. reg. 521 (700-1237), 13.Jh.; Berlin, cod. lat. 4° 65 (964-1162), 18.Jh. (Abschrift);

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Brüssel, Bibl. Royale, cod. 467 (bis 1137 Rez. l, danach näher der Rez. 2), 13. Jh. - Rez. 2: Wolfenbüttel, Hzg.Aug.-Bibl, cod. Aug. 2° 74.3 (bis 1237), 13.Jh., aus St.Pantaleon; Leipzig, ÜB, cod. II 70 (1162-1237), 14.Jh. (Abschrift), mit dt. Übers, des 16.Jh.s - Fortsetzung bis 1249: Würzburg, ÜB, cod. 81, 16.717.Jh.; Köln, Stadtarch., Chron. u. Darst. 86,17. Jh. A u s g a b e n . J.G. v. ECKHART (EccARD), Corpus hist, l, Leipzig 1723, S. 683-944 (bis 1162); K.PERTZ, MGH SS XVII 729-847; G.WAITZ, Chronica regia Coloniensis, MGH SS rer. Germ., 1880 (als Rez. B. u. C der 'Chronica regia Colon.'). Dt. Übers, nach der Leipziger Hs.: ECKHART (s.o.), S.945-1106 (Jahre 920-1162); C.PLATNER, GdV 69, 41896 (1106-1237).

Das anonyme und titellose Werk, das seit PERTZ als eine Rezension der —>· 'Chronica regia Coloniensis' betrachtet wurde, ist eine der letzten großen 'selbständigen' Chronographien Deutschlands aus dem früheren MA. Ein Mönch des Klosters St. Pantaleon zu Köln schuf es i. J. 1237 oder unmittelbar danach mit Hilfe der Werke des Josephus Flavius, Orosius, Justin, Beda, Regino, Petrus Comestor, der Kölner Königschronik und zahlreicher anderer Quellen sowie klostereigener Materialien. Die Königschronik war für ihn nur eine Quelle unter vielen anderen; sie wurde erst für die Zeit von der 2. Hälfte des 12. Jh.s an zum alleinigen Leitfaden. Vom Jahre 1200 an berichtet der Verfasser durchaus selbständig als gut beobachtender Zeitgenosse, wenn auch anfangs noch unter Verwendung von Aktenstücken und —* Olivers Kreuzzugsgeschichte. Thema der Chronik ist die Geschichte der vier Weltreiche, der regna maxima, deren Abfolge durch Gottes Ratschluß vorherbestimmt ist. Der Übergang der Herrschaft von einem Weltreich zum nächsten vollzieht sich infolge der vis temporis jeweils gemäß einem ius hereditatis. Der Weltreichsgedanke beherrscht die Darstellung in einem Maß, daß er geradezu als institutionenorientiert erscheint; jedenfalls ist der Verfasser in der Geschichte des Römischen Reiches fast völlig frei von besonders ausgeprägten Sympathien für die fränkischen oder deutschen Herrscher, deren Herrschaftsübernahme in keiner Weise hervorgehoben wird. Dieses Konzept war allerdings für die letzten Berichtsjahre nur noch mitMühe durchzuhalten: Der Schwer-

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'Chronik vom Pfaffenkrieg' - 'Chronik von Rapperswil'

punkt des Imperiums hatte sich unter Kaiser Friedrich II. verlagert, Deutschland war an den Rand des Imperiums geraten. Der Berichtshorizont wird hier tatsächlich mehr und mehr auf die deutsche Geschichte eingeengt. Das Werk liegt freilich nicht mehr als ganzes in seiner authentischen Form vor, die nur für den Zeitraum von 700-1177 rekonstruiert werden kann; die einzige vollständige Hs. repräsentiert es in einer nicht sicher datierbaren stilistischen und kürzenden Bearbeitung. Ein anderer Mönch aus St. Pantaleon hat es schließlich bis 1249 fortgeführt. In dieser Fortsetzung ist die Darstellung ganz auf die Person des Kölner Erzbischofs Konrad von Hochstaden ausgerichtet und spiegelt so die Verlagerung der für die deutsche Geschichte wichtigen weiteren Entwicklung in die Territorien wider. L i t e r a t u r . N.BREUER, Geschichtsbild u. politische Vorstellungswelt in d. Kölner Königschron. sowie der 'C.S.P.', Diss. Würzburg 1966; WATTENBACH/ SCHMALE, Geschichtsquellen I 105-115.

FRANZ-JOSEF SCHMALE 'Chronik vom Pfaffenkrieg'

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sichten widerspricht zu Recht DWORZACZKOWA. Originalnotizen haben wohl vorgelegen; unklar ist, in welcher Form, doch jedenfalls aus der Danziger Tradition. Da das ursprüngliche Aussehen unbekannt ist, kann über Nachwirkungen nichts gesagt werden. A u s g a b e . Die Danziger C. v.P., hg. v. TH. HIRSCH, in: SS rerum Prussicarum IV, 1870 (Nachdr. 1965), S. 679-689. L i t e r a t u r . HIRSCH, S.676-679; F.HIPLER, Abriß d. ermländischen Lit.gesch., 1872, S.46-50; P. GEHRKE, Das Ebert-Ferber-Buch u. seine Bedeutung f. d. Danziger Tradition d. Ordensgesch., Zs. d. Westpreuß. Gesch.ver.s 31 (1892) 76-91; P. SIMSON, Gesch. d. Stadt Danzig 1,1913 (Nachdr. 1967), S.323; J. DWORZACZKOWA, Dziejopisarstwo Gdanskie do polowy XVI wieku (Die Danziger Geschichtsschreibung bis z. Mitte d. 16. Jh.s), Gdansk 1962; Rep. font. Ill 343.

UDO ARNOLD 'Chronik von Rapperswil' (1000-1388) Aufzeichnungen mit eindeutig pro-österreichischer Tendenz eines unbekannten Verfassers über Ereignisse von 1000-1388, vermutlich Anfang des 15. Jh.s verfaßt ( MÜLLER, S. 223 f.) und nur in einer - sprachlich überarbeiteten - Abschrift aus dem 17. Jh. überliefert, geschrieben durch Mattheum Rickhenmann, Presbytern und Burgern zu Kapperschweyll, Anno 1670.

Darstellung der Auseinandersetzungen um die Besetzung des ermländischen Bischofsstuhls 1467-1489, kurz fortgesetzt Ü b e r l i e f e r u n g . Hs. 1849 im Privatbesitz von 1497-1501, nur aus Kompilationen und Xaver Rickenmann (ETTMÜLLER, S. 223); jetziger VerAbschriften des 16. Jh.s bekannt. bleib unbekannt (Auskunft des Stadtarch.s RappersHIRSCH hielt sie für eine verlorene, selb- wil). A u s g a b e . L. ETTMÜLLER, Chron. v. Rapperswil, ständige Chronik, die er aus der Danziger Mitt. d. antiquar. Ges. Zürich 6 (1849) 223-236. Chronistik des 16.Jh.s rekonstruierte; als Verfasser vermutete er einen Danziger BürDer erste Teil der Prosachronik schildert ger, der dem Rat der Stadt nahestand, als die - mit legendenhaften Zügen versehene Abfassungszeit spätestens den Beginn des - Geschichte der Herren von Rapperswil, 16. Jh.s. Er identifizierte sie mit der 1564 ihre Verbindung zum Kloster Einsiedeln, vom Danziger Bauherrn Stenzel Bornbach die sagenhafte Gründung der Burg und dem Bischof Nikolaus von Tüngen - einem Stadt Rapperswil bis zum Aussterben des der Kandidaten im Bischofsstreit - selbst Geschlechts. Im Zentrum des zweiten Teils zugeschriebenen, heute nicht mehr be- stehen die kriegerischen Auseinandersetkannten Chronik für 1474-1489, worin ihm zungen Rapperswils mit Zürich in den JahHIPLER folgte. Bereits GEHRKE hat sich ren 1350-1388: die Zeiten des Friedens, gegen die Zerstückelung der Danziger auch unter den Habsburgern, werden durch Chronistik in ungesicherte Einzelteile ge- den vielfach zitierten übermuoth der Zürwandt und unsere Chronik neben anderen cher beendet (Einäscherung der Stadt 1350 als Teil des 'Ebert-Ferber-Buchs' vom Be- durch die Zürcher, die Schlacht bei Näfels ginn des 16. Jh.s angesehen. Beiden An- 1388, Belagerung der Stadt durch die Zur-

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'Chronica regia Coloniensis' - Chronicon rhythmicum Austriacum'

eher bis 1388). Mit diesem Jahr bricht der Text in der Abschrift ab. L i t e r a t u r. LORENZ, Geschichtsquellen 1118; Rep. fönt. III 424.

GISELA FRIEDRICH 'Chronica regia Coloniensis' Ü b e r l i e f e r u n g . Nur fragmentarische Hss.: Florenz, Bibl. Laurenz., cod. Ashburnham 1586 (a. 576 bis 1175), 13.Jh.; Trient, Bibl. Com. [früher Wien, cod. 3382] (Historia Francorum - 1220), 15.Jh.; Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. Extrav. 302, l (Exzerpte). A u s g a b e n . G.H. PERTZ, MGH SS XVII, 1861, S. 736-788 (nach Hs. Florenz); G. WAITZ, MGH SS XXIV, 1879, S. 4-20 (nach Hs. Trient a. 1175-1220); ders., 'C.r.C.', MGH SS rer. Germ., 1880 (bis 1106 nur Teildruck), (zit.); krit. Ausgabe fehlt. Dt. Übers, von W.WATTENBACH, Kölner Königschronik, GdV 69, 4 1896.

Als 'C.r.', d.i. Chronik der (Kaiser und) Könige, bezeichnete der anonyme Verfasser, ein Kölner Domherr, entsprechend einer in Köln traditionellen literarischen Gattungsbezeichnung sein Werk, das er 1197 in einem Zuge schrieb und 1202 nur noch um zwei Berichte für die Jahre 1198 und 1199 ergänzte. Aus der Absicht des Autors und weil die —> 'Chronica s. Pantaleonis', eine Weltchronik, die Chronik -»Frutolfs und -»Ekkehards nur aus der 'C.r.' ausgeschrieben haben kann, diese aber erst seit der Geschichte des Augustus verwertete, läßt sich schließen, daß die 'C.r.' auch ihrerseits mit der Regierung des Augustus einsetzte. Sie folgt bis z. J. 1106 völlig der Chronik Frutolfs und Ekkehards (Ekkehards Rez. II), bis z. J. 1144 den Korveyer (früher Paderborner) Annalen. Erst dann wird der Verfasser ausführlicher und selbständiger und benutzt nur noch wenige auch heute noch feststellbare Quellen; jedoch behält er auch für diesen Abschnitt, der sich inhaltlich weitestgehend mit anderen Werken der Zeit deckt, die annalistische Darstellungsform bei. Die frühere Ansicht, die einen ersten Verfasser schon für 1175 und mehrere Fortsetzer annahm, ist irrig und stützt sich lediglich auf die zufällige Zeitgrenze einer der fragmentarischen Hss. Wie sich schon aus dem Thema zwangsläufig ergibt, ist der Verfasser zutiefst kaiserlich gesonnen, doch weniger extrem, als

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es in manchen Äußerungen des staufischen Hofes zum Ausdruck kommt. Er teilt auch die staufische Vorstellung, daß die Fürsten auch den Kaiser wählen, räumt diesem aber keine Vollmacht gegenüber dem Papsttum ein, wie sie Friedrich I. und Rainald von Dassel zeitweilig beanspruchten; vielmehr werden die Päpste stets mit Ehrerbietung genannt. Der Berichtshorizont umfaßt das gesamte staufische Imperium, das ihm als Imperium Romanum gilt; die übrigen Reiche betrachtet er indes als diesem durchaus gleichberechtigt. Besondere Würdigung erfährt der Kanzler und Erzbischof Rainald als Vorbild der Reichsfürsten, deren Aufgabe es ist, zusammen mit dem Kaiser für das Imperium zu wirken. Um 1220 setzte ein anderer Kölner Domherr ganz aus eigenem Erleben die 'C.r.' bis auf seine eigene Zeit fort. Er verrät eine distanzierte Einstellung gegenüber den Königen in der Periode des deutschen Thronstreits und vollzieht ihnen gegenüber die selben Schwenkungen wie der Kölner Erzbischof Adolf II. Die Konstante seiner historisch-politischen Ansichten liegt in der uneingeschränkten Anerkennung des Papsttums als der höchsten moralischen Instanz, deren Entscheidungen unbedingt gelten. Damit rückt der Verfasser von den staufischen Vorstellungen ab, und entsprechend schränkt er auch seinen Berichtshorizont auf das deutsche Reich ein. L i t e r a t u r . N.BREUER, Geschichtsbild u. politische Vorstellungswelt in d. Kölner Königschronik sowie der 'Chronica S. Pantaleonis', Diss. Würzburg 1966; WATTENBACH/SCHMALE, Geschichtsquellen I 105-115; T. DIEDERICH, Coniuratio Coloniae facta est pro übertäte, Ann. d. hist. Ver.s f. d. Niederrhein 176 (1974) 7-19.

FRANZ-JOSEF SCHMALE

'Chronicon rhythmicum Austriacum' 1. Lat. Reimchronik in 877 Vagantenzeilen, die ein anonymer Kleriker um 1270 verfaßt hat. Im Rahmen der allgemeinen Geschichte von 1190 bis 1268 behandelt er Blüte und Ende des Staufergeschlechtes. Vom gleichen Dichter, der vermutlich in Frankreich (Paris?) studiert hat, stammt wahrscheinlich auch ein 1247/1250 entstandenes Gedicht auf Innozenz IV. und Fried-

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'Chronik der Stadt Zürich'

rieh II. (311 Verse), das J. WERNER nach der Hs. D IV 4 der ÜB Basel (Ende 13. Jh.) veröffentlicht hat (NA 32 [1907] 589-604). Diesem Gedicht nach erlitt der Autor 3 Monate mongolischer Gefangenschaft. Später muß er vor den Tataren aus Ungarn (Kalocsa?) nach Österreich geflüchtet sein; dort, in Klosterneuburg, ist das 'Chr. rhythm.' nach Ausweis der hsl. Überlieferung wahrscheinlich entstanden. 2. Ü b e r l i e f e r u n g . Vollständiger Text: Wien, cod. 506, 1. H. 14. Jh., 77v-86r, und, vermutlich davon abhängig, cod. 364, Mitte 14. Jh., 177r-183v (historiographische, wahrscheinlich in Klosterneuburg entstandene Sammelhss.; vgl. KLEBEL, S.59ff.). Textkritisch belangvolle Fragmente aus dem I.Viertel des 14.Jh.s sind in den Klosterneuburger codd. 79, Schutzumschlag (v. 1-111), und 269, Deckblatt (v. 341-387 und 393-439), enthalten. Einige Verse des 'Chr.rhythm.' finden sich als Merksprüche im Wiener cod. 352 (Ende 13./Anf. 14.Jh.), 40V u. 49r, als Glossenzusätze zum 'Auctuarium Vindobonense' (hg. v. W. WATTENBACH, MGH SS IX 723 f.) eingetragen. A u s g a b e n . A. RAUCH, Rerum Austriacarum SS I, Wien 1793, S. 129-156 (nach d. Wiener cod. 364); W. WATTENBACH, MGH SS XXV 350-368, dazu Konjekturvorschläge von L. WEILAND, HZ 46 (1881) 500f., und G.STIASSNI (s.u.), S.115ff.; die Ungarn betreffenden Textteile bei A. F. COMBOS, Cat. fontium hist. Hungariae I, Budapest 1937, S. 671-676.

3. Der Autor des 'Chr. rhythm.' äußert sich über den Anlaß seines Werks nur allgemein in den Formen der Exordialtopik. Moralische Prinzipien in der Darstellung verweisen auf den geistlichen Verfasser. Der Quellenwert des Werkes ist nicht allzu groß. Es fußt auf nicht mehr erhaltenen annalistischen Aufzeichnungen aus Heiligenkreuz und dem Wiener Schottenkloster. Eine Verwertung ungarischer Geschichtsquellen ist zu vermuten. Sprachlich ist der Autor durch Bibel, Liturgie und durch die Rezeption der gängigen Schulautoren geprägt. Er liebt wie vielfach die lat. Dichtung der Zeit Wortfiguren wie Allitteration und Annominatio. Die Wahl der rhythmischen Form (stilus cursilis, non metricus) verweist auf die Kenntnis der in Frankreich gepflegten Formkunst. Das 'Chr. rhythm.' wirkte über den Wiener cod. 352 weiter auf den ->· Anonymus Leobiensis (MÖSER-MERSKY, S. 30); als Quelle benutzten es das 'Auctuarium Vin-

dobonense' (s.o. 2.) und dadurch vermittelt wiederum die 'Continuatio Praedicatorum Vindobonense' (MGH SS IX 725 ff.) und Jans —> Enikel. L i t e r a t u r . WATTENBACH/SCHMALE, Geschichtsquellen l 222; E. KLEBEL, Die Fassungen u. Hss. d. österr. Annalistik, Jb. f. Landeskunde v. Niederösterreich NF 21 (1928) 43-185; G.STIASSNI, Anonymi clerici Chronicon rhythmicum, ein Beitrag z. Historiographie d. 13. Jh.s,Diss. (masch.) Wien 1955;LHOTSKY, Quellenkunde, S.190f.; G.MÖSER-MERSKY [=geb. STIASSNI], Das österr. 'Chronicon rhythmicum', M1ÖG 73 (1965) 17-38; Rep. font. III 277.

ERICH KLEINSCHMIDT 'Chronicon Schlierseense' -»· Teufenbeck, Heinrich 'Chronik der Stadt Zürich' Die Chronik ist eine um 1415-18 von einem unbekannten Zürcher ausgeführte Kompilation von zumeist einheimischen Quellenstücken in dt. Sprache. Im Original verloren, ist sie in mehreren, sie zudem chronologisch weiterführenden Abschriften erhalten: so in der sog. ersten Fortsetzung durch den Zürcher Hans Gloggner (bis 1438, mit fremden Nachträgen bis 1476), der zweiten Fortsetzung (bis 1450) möglicherweise durch Felix -> Hemmerli (DÜRR, 1909) und der dritten Fortsetzung (bis 1478) durch den Glarner Landschreiber Rudolf Mad (DÜRR, 1910). Ü b e r l i e f e r u n g . Innsbruck, FerdinandeumsbibL, cod. Dip. 873, 1420-30 geschr. vom Konstanzer Klaus Schulthaiß; Zürich, Zentralbibl., cod. A 116, 15.Jh., sog. Gloggnerische Chronik; ebd., cod A 80, 15. Jh., sog. Krieg'sche Chronik; St.Gallen, Stiftsbibl., cod. 643, 15.Jh., geschrieben von Rudolf Mad; ebd., cod. 657, Ende 15. Jh., kopiale Überlieferung der Hemmerlinschen (?) Fortsetzung; weitere Hss. s. QSG 18, S. XIX-XXXVII. A u s g a b e . J. DIERAUER, Chron. d. Stadt Zürich mit Fortsetzungen (Quellen z. Schweizer Gesch. 18, zit. QSG), Basel 1900, S. 1-183; 187-211; 212-225; 226271 (zit.).

Die Chronik erzählt je nach Vorlage mehr oder weniger informativ die Geschichte der Stadt Zürich seit ihrer (sagenhaften) Gründung. Aufschlußreich ist sie besonders für 1350-55, wo sie durch den Standpunkt der Partei Rudolf Bruns ge-

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'Chronik des Stiftes SS.Simon und Judas ...' - 'Chronik der Straßburger Franziskanerprovinz'

prägt ist, sowie für 1382-87 mit betonter zürcherischer Sicht der Ereignisse. Der alte Zürichkrieg (1436-1450) wird in österreichischer Perspektive dargestellt. Historiographisch bedeutsam ist bei der dritten Fortsetzung der Nachweis einer sonst verlorenen glarnerischen Geschichtsschreibung im MA (DÜRR, 1910, S. 108f.).

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in der näheren Umgebung ereigneten, wie die Kämpfe Heinrichs IV. mit dem Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden in Sachsen kommen solche von lokaler Bedeutung wie die Entdeckung des Rammeisberges und seiner Silbervorkommen. Ausführlichere Behandlung erfahren Heinrich L, Heinrich III., Heinrich IV., Friedrich Barbarossa, Rudolf von Habsburg und Adolf L i t e r a t u r . E.DÜRR,DieChron.d.FelixHemmerli, von Nassau. Die Auswahl der einzelnen Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskde. 8 (1909) 180-213; ders., Die Chron. d. Rudolf Mad, Landschreibers v. Nachrichten ist willkürlich, ihr Inhalt häuGlarus, ebd. 9 (1910) 95-110; H.G. WIRZ, Der Sieg v. fig unzuverlässig - so wird die Absetzung Sempach in d. Übcrl., Neujahrsbl. d. Feuerwerker-Ges. Heinrichs des Löwen Heinrich VI. statt in Zürich 117 (1922); FELLER/BONJOUR, GeschichtsFriedrich Barbarossa zugeschrieben. Auf schreibung, S. 66 f. r, * * GUY P. MARCHAL sehr breitem Raum wird über Gründung und Geschichte des eigenen Stiftes berichtet, wobei erlangte Privilegien, Erwerb von 'Chronik des Stiftes SS. Simon und Judas Besitzungen und vor allem von Reliquien in Goslar' im Vordergrund stehen. Die Abfassung der Nd. Chronik von Konrad I. bis zum Jahr Chronik und ihr Überlieferungszusammen1294. hang mit Reliquienverzeichnis und Predigt stehen offenbar in engem Zusammenhang Ü b e r l i e f e r u n g . Hannover,LB,cod.XXI1209fol. mit der 1294 eingeführten Reliquienwei(15.Jh.); Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 20.10 Aug. 4° (15. Jh.). sung des Stiftes. Dazu dienen die Ereignisse A u s g a b e . L. WEILAND, MGH Dt. Chron. 11, 1877, der Reichsgeschichte und das Gerüst der S. 591-599. Kaiserchronik als Rahmen. Neben der nd. Chronik ist aus dem Stift L i t e r a t u r . WEILAND, Ausg., S. 586-591 (EinleiSS. Simon und Judas auch eine kürzere lat. tung); LORENZ, Geschichtsquellen II 147; Rep. font. Chronik von Konrad I. bis Heinrich V. III 346. (Ausg. ebd., S. 604-606) überliefert. Der INGEBORG BUCHHOLZ-JOHANEK lat. Chronik geht ein lat. Reliquienverzeichnis (Ausg. ebd., S. 606-608), der nd. Chro- 'Chronik der Straßburger nik ein nd. Reliquienverzeichnis mit einer Franziskanerprovinz' nd. Predigt zur Reliquienweisung des Stiftes Die in lat. Sprache abgefaßte Chronik ist voraus (Ausg. ebd., S. 599-602). Beide Chroin den Zwanziger jähren des 14. Jh.s im niken gehen auf eine verlorene, ausführlichere lat. Vorlage zurück, in der vor allem Basler Franziskanerkonvent entstanden. Urkunden des Stiftes verarbeitet waren. Für das 13. Jh. bietet sie in einer von vielen Benutzt wurden ferner die —»'Sächsische Fehlern durchsetzten Kompilation aus verWeltchronik', ev. die Töhlder Annalen' und schiedensten Quellen Annalistisches zur Ordensgeschichte und Listen der Ordensdie verlorene 'Sächsische Kaiserchronik'. Als Kaiserchronik aufgebaut, beginnt obern. Sie ist dagegen eigenständig und injeder Abschnitt mit dem Namen des Herr- formativ für die Zeit von 1300-1325, beschers, ev. mit Beinamen (z.B. Friedrich sonders seit 1318, durch die lebensnahe der Große für Barbarossa), Abstammung, Schilderung der gerade im erfaßten Gebiet Zählung als Herrscher nach Kaiser Augu- kritischen Auseinandersetzungen um die stus und Regierungsdauer. Nach unter- Beginen und die sie unterstützenden Franschiedlich umfangreichen chronikalischen ziskaner, wobei die Basler Ereignisse in den Nachrichten enden die Absätze mit der Vordergrund treten. Angabe, wo der Herrscher bestattet ist. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. 4349, 3r-12r, 15.Jh., Zu den Nachrichten aus der Reichsge- Miszellaneen-Hs., ohne Titel (s. Tabulae manuscripschichte - es überwiegen solche, die sich torum3, 1869, S. 248f.).

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'Chronik der vier Orden von Jerusalem' - 'Die Chronik im Weißen Buch von Samen'

A u s g a b e n . L. LEMMFRS, Chron. d. Straßburger Franziskanerprovinz, Römische Quartalschrift 14 (1900) 235-255; ersetzt durch: ders., Chronicon Provinciae Argentinensis OFM circa an. 1310-1327 a quodam fratre minore Basileae conscriptum (1206 bis 1325), AFH 4 (1911) 671-687 (zit.). L i t e r a t u r . R.WACKERNAGEL, Eine Chron. d. Basler Barfüßerklosters, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskde, l (1902) 147f.; J.B. VILLIGER, Das Bistum Basel zur Zeit Johannes' XXII., Benedikts XII., Klemens' VI., 1939, S. 16-20; CScHMirr, Le conflit des Franciscains avec le clerge seculier ä Bale sous 1'eveque Gerard de Wippingen (1318-24), AFH 54 (1961) 216 bis 223; B. DEGLER-SPRENGLER, Die Beginen in Basel, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskde. 69/70 (1970), bes. 22-28; J.-C.ScHMlTT, Mort d'unc heresie. L'Eglise et les clercs face aux beguines et aux beghards du Rhin superieur du XlVe et XVe siecle (Civilisations et Mentalites), [in Vorbereitung].

GUY P. MARCHAL 'Chronik der vier Orden von Jerusalem' Die titellose, im 19. Jh. benannte Chronik entstand nach 1489; die Hs. war im Besitz des deutschmeisterlichen Kanzlers (ab ca. 1530) Gregor Spieß, der sie mit Randbemerkungen versah, seit 1809 in Stuttgart, 1859 in Wien. Verfasser war nach Herkunft, Sprache und Inhalt der Hs. vermutlich ein fränkischer, ev. Mergentheimer Deutschordenspriester. Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, Zentralarch. d. Deutschen Ordens, Hs. 459 (olim 212); Abschrift Anf. d. 16. Jh.s, mit Textverlust abbrechend, Original unbekannt. A u s g a b e n . R.ToEPPEN, Wiss. Beilage z. Progr. d. Kgl. Gymnasiums Marienburg 1895, S. 11-97; U. ARNOLD, in: SS rerum Prussicarum VI, 1968, S. 110-164.

c. 1-10 berichten über Jerusalem und das Hl. Land seit Christi Tod in Zusammenhang mit der Geschichte der Chorherren vom Hl. Grab sowie der Johanniter und Templer, c. 11-88 über den Deutschen Orden. Klammer der Darstellung ist die Gründung aller vier Orden in Jerusalem. Damit stellt sich - wie auch die gleichzeitige -»'Jüngere Hochmeisterchronik' - diese Chronik in Gegensatz zur älteren Ordenstradition, die eine Gründung vor Akkon betont. Den Schwerpunkt der Darstellung bildet in kritischer Kompilation, selten mit eigenen Mitteilungen, die Entwicklung Preußens bis 1455.

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Der Verfasser nennt viele Quellen, andere sind von TOEPPEN erschlossen: Jakob von Vitry, ->·Peter von Dusburg, die -> 'Ältere Hochmeisterchronik', der —»Canonicus Sambiensis. Allerdings dürfte es sich um eine indirekte Vermittlung durch eine unbekannte preußische Hs. handeln, die von einem Landesunkundigen ausgewertet und dabei öfter mißverstanden wurde. L i t e r a t u r . TH. HIRSCH, in: SS rerum Prussicarum V, 1874 (Nachdr. 1965), S. 19 Anm.3; TOEPPEN (s. Ausg.n), S. 3-9; ARNOLD (s. Ausg.n), S. 106-110; ders., Geschichtsschreibung im Preußenland bis z. Ausgang d. 16. Jh.s, Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 19(1970) 89 f.

UDO ARNOLD

'Die Chronik im Weißen Buch von Samen' In dt. Sprache 1470/72 vom Obwaldner Landschreiber Hans Schriber (belegt 1435 bis 1474) niedergeschrieben. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Samen,Staatsarch. Obwalden, Weißes Buch, sicher nicht Original, Vorlage verloren. Weitere Abschriften: QW HI/1, S.LIV. A u s g a b e . H. G. WIR^, Das Weiße Buch von Samen (Quellenwerk z. Entstehung d. Schweiz. Eidgenossenschaft, Abt. III, Bd. 1; zit. QW III/l), Aarau 1947 (zit.).

2. I n h a l t , A u f b a u . In seiner Gesamtanlage ist das 'Weiße Buch' ein Kanzleihandbuch und enthält die für wichtig erachteten Verträge und Bünde von 1309 bis 1474, in Nachträgen bis 1607. Bl. 208-231, sog. 'Chronik des Weißen Buches' (künftig 'WB'), enthaltend: die früheste schriftliche Fixierung der voll ausgebildeten eidgenössischen Gründungstradition (Befreiungsgeschichte mit Rütlischwur und Burgenbruch, Tellsage), Notizen zu den Bundesschlüssen des 14. Jh.s, Berichte über Ereignisse des beginnenden 15.Jh.s (bernischluzernische Differenzen, Appenzellerkrieg, ennetbirgische Feldzüge, Walliser Händel). 3. Quellen. Bei einem so sehr im volkstümlichen Bereich verhafteten Text ist es methodisch problematisch, nach direkten Quellenabhängigkeiten zu suchen. Im Sinne einer Stoffgeschichte lassen sich fassen: a. Die Befreiungsgeschichte bereits 1420 bei Konrad -»Justinger, 'Berner Chronik' (ed. STUDER, 1871, S. 45) und um 1450 bei Felix -» Hemmerli, 'De nobilitate et rusticitate dialogue' (HAIN 8425, Bl. 130).

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'Die Chronik im Weißen Buch von Samen'

In Bezug auf Justinger und 'WB' (unbekanntes Original) ist neuerdings ein gegenseitiger, direkter Einfluß angenommen worden (MEYER, 1963, S. 23-39). Sicher ist nur die Kenntnis der 'Berner Chronik' durch 'WB' (vorliegende Fassung) beim Bericht über das Berner Bündnis (QW III/1,27).

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Chronisten sah. Die Entdeckung des 'WB', 1856, entfachte die Diskussion neu (s.u. 6). Auf die literarische Wirkungsgeschichte bes. des Teilstoffes bis in die neueste Zeit kann hier nicht eingegangen werden. Hiezu: A.BERCHTOLD, Le cheminement d'un hero, Tell au 19e et 20e siecle, in: Quel Teil ?, Lausanne 1973, S. 181-321 (m. Lit.).

b. Die Tellepisode im 1477 verfaßten Bunb. Im Bereich der politischen Argumentadeslied (hg. v. M. WEHRLI, QW HI/2; tion liegt der historiographischen Grün-> 'Vom Ursprung der Eidgenossenschaft'), dungstradition die Tendenz zugrunde, die aber sicher schon früher im 15. Jh. zu uneidgenössische Sonderentwicklung innerbekanntem Zeitpunkt in Uri lokalisiert. halb des Reichs und gegen die habsburgiNeuerdings ist eine Datierung des 'Tellenliedes' auf schen Ansprüche zu rechtfertigen als Erum 1443 und dessen Abhängigkeit von einem noch gebnis gerechter Notwehr gegen widerälteren, verlorenen Teilenspiel vorgeschlagen worden rechtliche Herrschaftsansprüche. In politi(TRÜMPY, 1965). Von literarhistorischer Seite wird daschen Verhandlungen wurde mit ihr (ohne gegen an der Abhängigkeit des Spiels vom Lied festden Attentäter Teil) wiederholt argumengehalten (WEHRLI, 1962, 1967). - Auf die nordischen tiert (1461 in Konstanz, Amtl. Sammlung d. Überlieferungen des Meisterschützen- und Ächterälteren eidgenössischen Abschiede 2, 1863, motivs kann hier nicht eingegangen werden. Hierzu: DE BOOR, 1947; F. GRAUS, Lebendige Vergangenheit. S. 313 Nr. 493; 1473 in Basel, Basler ChroÜberlieferung im MA u. in d. Vorstellungen vom MA, niken 2, 1880, S. 5). Köln-Wien 1975, S. 61-72.

4. F o r m , S p r a c h e . 'WB' ist keine kontinuierliche Chronik. Neben den erzählenden Partien stehen lediglich auf den Urkundenteil bezogene Kurznotizen (vgl. o. 2). Einfache, prägnante Erzählweise, in der Gründungsgeschichte dramaturgisch gesteigert (direkte Rede). 5. W i r k u n g s g e s c h i c h t e . Von seinem Inhalt her kommt dem 'WB' eine Bedeutung zu, deren tiefgreifende nationale Wirkung sich in verschiedenen Bereichen verfolgen läßt: a. Historiographisch-literarisch bedeutsam war für die Verbreitung der Gründungstradition ihre Aufnahme in die erste gedruckte Schweizer Chronik Petermann -»Etterlins, 1507. Die weitere Ausgestaltung erfuhr sie durch Johannes Stumpf, 'Gemeiner loblicher Eidgenossenschaft ... beschreybung', gedr. 1547, und durch Aegidius Tschudi, 'Chronicon Helveticum', gedr. 1734-36 (jetzt B. STETTLER, Quellen z. Schweizer Gesch., NF I, VII/1 a, Bern 1970, S.23-51). In dieser Gestalt hat sie gewirkt auf Johannes von Müller (FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung II628-655, bes. 649) und Friedrich Schiller. Von Grund auf in Frage gestellt wurde sie durch J.E.Kopp, Urkunden z. Gesch. d. eidgenössischen Bünde, Wien 1835-51, der in ihr die Schöpfung dieser

Zum Ganzen: K.MOMMSEN, Eidgenossen, Kaiser u. Reich (Basler Beitr. z. Gesch.wiss. 72), 1958.

c. Im volkstümlichen Bereich ist vor allem der Ächtercharakter Teils zum Tragen gekommen: Seit 1561 bis ins 18. Jh. hinein ist die Erscheinung, daß Anführer von sozialen Erhebungen, Geheimbünden und Jungmannschaften als Teil, als die drei Teilen bezeichnet werden, vielfach belegt. Sogar Tellenschaft' für drei Attentäter, 1653. Andrerseits ist die Tellfigur eine eigentümliche, national gefärbte Mischung mit der Befreiungsgeschichte eingegangen, indem die drei Schwurgenossen vom Rütli zu den drei Teilen wurden, die in einer Höhle schlafen, bis das Vaterland sie wieder ruft (belegt seit dem 18. Jh.). H.G. WACKERNAGEL, Bemerkungen z. Tellgesch.: Vom Schützen Teil, Sonntagsbl. d. Basler Nachrichten, 29. Juli 1934, Jg. 28, Nr. 30, S. 121-123; ders., Altes Volkstum der Schweiz (Schriften d. schweizer. Ges. f. Vk. 38), 1956; ders., Bemerkungen z. älteren Schweizer Gesch. in volkskundl. Sicht, Schweizer. Arch. f. Vk. 56 (1960) 1-24; Schweizer. Idiotikon (grundlegend) ; TRÜMPY, 1965.

6. F o r s c h u n g s g e s c h i c h t e . Bei der zentralen Bedeutung des 'WB' käme seine Forschungsgeschichte einer Historiographie zur Schweizer Bundesgründung seit Mitte des 19.Jh.s gleich. Hierzu: ERNST, 1936; WIRZ, 1947 (grundlegend); MEYER, 1952;

1265

'Die Chronik im Weißen Buch von Samen'

WEHRLI, 1962; Quel Tell?, 1973. Hier sei nur auf die wichtigsten Forschungstendenzen hingewiesen: a. Der Versuch, die Gründungstradition des 'WB' faktisch und chronologisch mit der urkundlichen Geschichte zu verbinden, impliziert die ursprüngliche Einheit der Befreiungstradition und der Teilsage. Archäologisch sind gewaltsame Burgenzerstörung und Übereinstimmung des Bodenbefundes mit Lokalangaben des 'WB' festgestellt worden (ÜURRER, s. QW III/l, S. XXXII). Die Versuche, aufgrund des kopialen Charakters von 'WB' (1472) die unbekannte Vorlage zu erschließen und diese in eine den Ereignissen - für die verschiedenste Datierungen von 1239/40 bis 1314/15 vorgeschlagen wurden — naheliegende Zeit zu bringen, 'WB' also als direkte Quelle zu verwenden, dürften besonders für Teil als fehlgeschlagen gelten. K.MEYER, 1927, postuliert eine stufenweise Entstehung von 'WB' (Vorlage), die Gründungsgeschichte gehe ins 14. Jh. zurück; Teil = Tillendorf töter. B. MEYER, 1963, Ablehnung stufenweiser Entstehung, Identifikation 'WB' 1472 = 'WB' Vorlage von 1426, welche nun mit mündlicher Tradition und frühen Augenzeugenberichten verbunden wird; Teils Apfelschuß wäre tatsächliche Wiederholung des bekannten Tokoschusses. Hdb. d. Schweizer Geschichte I, Zürich 1972, S. 196, läßt die Möglichkeit 'einer kühnen Jägertat' offen. Hauptschwierigkeiten: Vorlage nicht zu erschließen ; Unklarheit bei Tod Rudolfs von Habsburg, Nichterwähnung des Bundes 1291 und der Morgartenschlacht; Unsicherheit der chronologischen Einordnung. - Neuerdings ist auf die Möglichkeit von Einflüssen volkstümlicher Bewußtseinselemente und Zeitstimmungen des 15. Jh.s auf 'WB' (1472) aufmerksam gemacht worden (D.SuTER-ScHMiD, Koller-, Mötteliund Amstaldenhandel, Diss. Zürich 1974, S. 124-130; MARCHAL, Die frommen Schweden in Schwyz [Basler Beitr. z. Geschichtswissenschaft 138], 1976, S. 86f.).

b. Historiographisch-literarhistorisch wird 'WB' im Zusammenhang mit dem 'Aufbau des nationalen Gründungs- und Befreiungsmythos' in der 2. Hälfte des 15. Jh.s und eher als Werk der Frühhumanisten und des erwachenden Nationalbewußtseins denn als altes Volksgut gesehen (WEHRLI, 1962, 1967; Hdb. d. Schweizer Gesch., 1972, S. 367; U. IM HOF, Schweizergesch., 1974, S. 53). Die Einheit Befreiungsgeschichte - Teilsage erscheint hier nicht

1266

zwingend, wird eher abgelehnt. Andererseits ist Verbindung der Tellsage mit den nordischen und viel älteren Zeugnissen dieses Motivs nicht bewerkstelligt worden, womit die Begründung der Teilfigur ungelöst ist (DE BOOR, 1947, S. *24-*26, ähnliche soziale und politische Voraussetzungen; Quel Teil?, 1973, 11 f., Archetypus). c. Dem Versuch, die Gründungstradition in volkskundlichem Zusammenhang zu fassen, kommt das Verdienst zu, gegenüber 6. b. deren Verankerung im volkstümlichen Bereich hervorgehoben zu haben (vgl. 5.c.). Dagegen ist die Ableitung der Tellfigur von altem Brauchtum angesichts der späten Quellenzeugnisse umstritten. Sie beruht methodisch auf den weiterhin umstrittenen Thesen O. HÖFLERS von der beinahe überzeitlichen, im sakralen Bereich begründeten Kontinuität des Brauchtums und dem entwicklungsmäßigen Vorangehen des Brauchs vor der Sage, welches letztere sicher als allgemeines Axiom abgelehnt wird (O. HÖFLER, Kultische Geheimbünde d. Germanen, 1934; L. RÖHRICH, Die deutsche Volkssage, ein methodischer Abriß, Studium Generale 11 (1958) 644-691, u. in: Vergleichende Sagenforschung (WdF 152), 1969, S.217-286, bes. 242-246 (mit Lit.); K. VON SEE, Kontinuitätstheorie u. Sakraltheorie in d. Germanenforschung. Antwort an Otto Höfler, 1972 (mit Lit.). Zur Stützung der volkskundlichen These dürfte die hypothetische Rückdatierung eines unbekannten Tellspiels auf Anfang des 15. Jh.s wohl zu schwach sein (vgl. 3. b.). Dagegen ist enger Zusammenhang der a u s g e b i l d e ten Sage mit dem Brauch (z.B. Zwölfnächte, Verbindung Teils mit typisch urnerischem Schützenwesen) unbestritten. Literatu r. F.HEINEMANN, Teil-Bibliographie, Bern 1907; ders., Tell-Iconographie, Luzern-Leipzig o.J.; KARL MEYER, Die Urschweizer Befreiungstradition, Zürich 1927 (mit Lit.); F. ERNST, Wilhelm Teil, Blätter aus seiner Ruhmesgeschichte, Zürich-Berlin 1936; H.G.WiRZ, Das Weiße Buch von Samen im Spiegel d. Forschung, QW III/l, S.XI-XLVIII, 1947 (mit Lit.); H. DE BOOR, Die nordischen, englischen u. dt. Darstellungen d. Apfelschußmotivs, Texte u. Ubers.n mit einer Abhandlung, QW III/l, 1947, S.*r-*53*; M. WEHRLI, 'War ich witzig hieß ich nicht der Teil', in: Hortulus amicorum, Fs. F.Ernst, Zürich 1949, S. 187-194; B.MEYER, Die Entstehung d. Eidgenossenschaft. Stand d. heutigen Anschauungen, Schweizer. Zs. f. Gesch. 2 (1952) 190-200; Schweizerisches Idiotikon. Schweizerdeutsches Wörterbuch 12, Frauenfeld 1959, Sp. 1398-1405 (KURT MEYER); WEHRLI, Bemerkungen z. Stand d. Tellforschung, Neue Zürcher Zeitung, 21. Okt. 1962, Nr. 4060 (109);

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'Chronik der Zeiten Albrechts II und Friedrichs III.' - 'Chronikalien der Ratsbücher von Basel"

B.MEYER, Weißes Buch u. Wilhelm Teil, Weinfelden 1963; H. TRÜMPY, Bemerkungen z. alten Tellenlied, Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskde. 65 (1965) 113 bis 132; WEHRLI, Der Schweizer Humanismus u. d. Anfänge d. Eidgenossenschaft, Schweizer Monatshefte 47 (1967) 127-146; Teil. Werden u. Wandern eines Mythos, Bern 1972 (L. STUNZI, A. BERCHTOLD, M. HOPPE, R. LABHART, J.R. VON SALIS, L.SCHELBERT), übers, u. erweitert: Quel Teil? Lausanne 1973 (mit Lit.).

GUYP.MARCHAL 'Chronik der Zeiten Albrechts II. und Friedrichs III.' (Fragment) Konzept eines unbekannten Verfassers, der sich selbst dises püches zesambseczer nennt, wahrscheinlich 1460/70 (MAZAL/ UNTERKIRCHER, S. 411) auf den leeren Seiten eines Registers geschrieben und mit zahlreichen Änderungen und Streichungen versehen.

1268

nalnotizen. Welcher Chroniktyp intendiert war (Chronik zeitgenössischer Ereignisse, Weltchronik, Landeschronik), ist aus dem Fragment nicht zu erschließen. Der Autor erwähnt, daß er in einem 1. Buch über Böhmen und Ungarn geschrieben habe. L i t e r a t u r . A. LHOTSKY, AEIOV. Die Devise Kaiser Friedrichs III. u. sein Notizbuch, MIÖG 60 (1952) 156-193; LHOTSKY, Quellenkunde, S. 349; O. MAZAL/ F. UNTERKIRCHER, Kat. d. abendländischen Hss. der Österr. Nat.bibl. 'Series nova', Teil 3, Wien 1967, S. 411.

GISELA FRIEDRICH

'Chronikalien der Ratsbücher von Basel' Ü b e r l i e f e r u n g . Vgl. Ausg., S. 1-9. A u s g a b e . Basler Chroniken IV, hg. von der Hist.Antiquarischen Ges. in Basel, bearb. v. A. BERNOULLI, Basel, 1890, S. 1-162.

Es handelt sich bei diesen Aufzeichnungen nicht um eine geschlossene offiziöse Ratschronik — eine solche hat Basel nicht hervorgebracht -, sondern um kurze Einträge der jeweiligen Stadtschreiber in die verschiedenen Amtsbücher der Basler städtischen Verwaltung aus der Zeit von 1356 In den beiden erhaltenen Kapiteln des bis 1548. Sie setzen nach dem Stadtbrand Prosafragments wird von den ersten Regie- von 1356 ein, bei dem die älteren Stadtrungsjahren (1439-1443) Friedrichs III. (V.) bücher zugrundegingen und betreffen zum ohne eindeutige Parteinahme berichtet. Die größten Teil die kriegerischen VerwicklunEreignisse sind auch aus der Chronik des gen der Stadt unter Darlegung der Gründe Thomas —>· Ebendorfer bekannt: heftiger und vor allem der Verzeichnung der beteiWiderstand der österreichischen und ob- ligten Bürger. Daneben stehen Notizen über derennsischen Landstände 1439 und 1441 Lebensmittelpreise, Herrscherbesuche, Bigegen Friedrich (wegen der Ausschreitun- schofsbeerdigungen u.a.; anläßlich der gen nicht bezahlter Söldner), seine Wahl und Wahl des Gegenpapstes Felix' V. durch das Krönung zum römischen König, Erbstreitig- Basler Konzil wird sogar auf Ratsbeschluß keiten mit seinem Bruder Albrecht VI., der hin der Ansatz zu einer größeren, zusamsich mit den Grafen von Cilli verbündete; menhängenden Darstellung gemacht, die mit dem Frieden von 1443 schließt das jedoch bald wieder abbricht. Als Ganzes Bruchstück. Die Devise Friedrichs III. in spiegeln diese Eintragungen, die in anderen ihrer spöttischen Ausdeutung wird genannt Städten Parallelen finden (vgl. SCHMIDT) (Aller Erst Ist Osterreich Verdorben) und und gelegentlich Überschriften wie Notanihr eine von Friedrich offenbar akzeptierte dutn, uffschriben tragen, das von den Stadtentgegengesetzt (En! Amor Electis, Iniustis schreibern getragene Bemühen der städtischen Führungsschicht, durch chronikaliOrdinor Ultor). Die Überlieferungsform des Textes (Strei- sche Aufzeichnungen das Aktenschriftgut chungen, Korrekturen von gleicher Hand) zu ergänzen und damit politische Erfahrung legt den Schluß nahe, daß es sich nicht um festzuhalten und für die Zukunft nutzbar die Abschrift einer vorhandenen (verlore- zu machen (vgl. bes. die Einträge S. 35, 44, nen) Chronik handelt, sondern um Origi- 48).

Ü b e r l i e f e r u n g . Wien, cod. ser. nov. 3964, 3 Papierbll. Ausgabe. A. LHOTSKY, Eine unbeachtete Chron. Österreichs aus d. Zeit Kaiser Friedrichs III., Fs. z. Feier d. 200jährigen Bestandes des Haus-, Hof- u. Staatsarch.s l (Mitt. d. Österr. Staatsarch.s, Erg. Bd. 2), Wien 1949, S. 538-548.

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'Chrysostomus'

1270

Bei der Waldbüßer-Episode handelt es sich um die Bearbeitung einer italienischen 'Istoria di San Giovanni Boccadoro' des 14. Jh.s. Die 'Heiligenleben'Version erzählt, daß der Priester Johannes in einer Klause ein Einsiedlerleben führt. Eines Tages bittet ihn eine Königstochter um Obdach. Im Konflikt zwischen seiner Barmherzigkeitspflicht und seinem Keuschheitsgelübde nimmt er sie auf. Dann fällt er mit ihr in Sünde. Ernüchtert, versucht er sie zu töten. Im Wahn, einen Mord auf sich geladen zu haben, und im Bewußtsein seines Zölibatsbruches zieht er nach Rom, um beim Papst die Absolution zu erlangen. Aber dieser weist ihn ab. Nachdem er am Ort des Sündenfalls lange Zeit Buße getan hat, wird ihm durch ein Wunder das Ende der Bußzeit angezeigt.

Legenden aus 'Der Heiligen Leben' - auf eine ältere dt. Versdichtung zurück (vgl. WILLIAMS, 1935, S.37ff.; dazu Eis, S.35). Zur unrichtigen Datierung von WILLIAMS (2.Hälfte des 15.Jh.s) vgl. Eis, S. 35 und die Datierung von 'Der Heiligen Leben'. Von der breiten Rezeption dieser Fassung der Ch.-Legende legt u. a. ein Volkslied des lö.Jh.s Im Thon: Ich gieng einmal spacieren [o.O., Off. u. J.], Berlin (Ost), Dt.SB, Hymn. 206, Zeugnis ab. Bekannt sind auch die entsprechenden Kupferstiche von Albrecht Dürer (um 1497) und LukasCranach (um 1509) im Stich und Schnitt der Behams. Luther gab 1537 diese 'Heiligen-Leben'Legende in einem Pamphlet, mit spöttischen Randglossen, einer Vorrede an Papst Paul III. und einem Nachwort versehen, heraus ('Die Lügend von St. Johanne Chrysostomo', Weimarer Ausg., Bd. 50, 1914, S. 52-54). Luthers Kritik war wohl der Anlaß, daß die gegenreformatorische Hagiographie des Laurentius Surius auf die Wiedergabe dieser Version verzichtete. Der 'Heiligen Leben'-Fassung kommt insofern besondere Bedeutung zu, als in ihr allein geraume Zeit vor dem Nürnberger Druck der —> Tannhäuser-Ballade' von 1515 alle tragenden Handlungszüge des dort erstmals belegten Tannhäuserstoffes - ausgenommen allein die Verdammung des Papstes — vorgebildet sind: der Sündenfall, der Bußgang nach Rom, die Abweisung des Sünders durch den Papst, die Rückkehr des Sünders an den Sündenort und die Erlösung durch ein übernatürliches Zeichen. II. Eine mit I stofflich verwandte, aber davon nicht abhängige Version der Legende bietet ein im 15. Jh. entstandenes Lied von 37 Strr. in Albrecht -> Leschs Feuerweise.

Dieses Exempel dient der Darlegung der sakramentalen Bußlehre. Der Bußgang nach Rom entspricht der Reservationsvorschrift; die Abweisung durch den Papst erklärt sich aus der Forderung nach vollständiger Erfüllung der Akte des Bußsakramentes. Diese läßt theoretisch eine Absolution unmittelbar nach der Beichte, d.h. vor Ableistung der Genugtuung, die einen Wandel der inneren Einstellung des Sünders bezweckt, unzulässig erscheinen. Die Prosaerzählung geht - wie zahlreiche

Ü b e r l i e f e r u n g . 1. Berlin, mgq 1587, 262r-275v (15.Jh., Str. 14 u. 30 fehlen); 2. Rom, Bibl. Vat., Pal. VI. 228 (3), 18r-24v (1518 abgeschlossen, vgl. E. STEVENSON, Inventario dei libri tedeschi stampati Palatino-Vaticani, Rom 1886-91, Bd. H/1, S.249 Nr.982c; im Wortlaut z.T. sehr stark vom meist besseren Text von l abweichend). A b d r u c k e . WILLIAMS, 1935, S.49-65;L.KoESTER, Albrecht Lesch. Ein Münchner Meistersinger d. 15.Jh.s, Diss. München 1933 (gedr. 1937), Nr. 23, S. 175-212 (beide nach 2). I n h a l t . Der Bischof (!) Ch. zieht sich als Einsiedler in den Wald zurück. Er nimmt die von einem Greifen

L i t e r a t u r . H.SCHMIDT, Die dt. Städtechron.n als Spiegel d. bürgerlichen Selbstverständnisses im SpätMA, 1958, S. 16-18; G. BURGER, Die südwestdeutschen Stadtschreiber im MA, 1960, S.227f.; FELLER/BON [OUR, Geschichtsschreibung, S.53f.; G.MELVILLE, System u. Diachronie, Hist. Jb. 95 (1976) 57 f.

PETER JOHANEK 'Chrysostomus' Deutsche Bearbeitungen der Legende. I. In ->· 'Der Heiligen Leben', Winterfell, findet sich eine Bearbeitung der Legende des griechischen Kirchenlehrers und Patriarchen von Konstantinopel, Johannes I. Chrysostomus (um 344-407) (hg. v. WILLIAMS, 1935, S. 68-74, nach dem GüntherZainer-Druck, Augsburg 1471,188vb-191va). Diese Bearbeitung seines Lebens unterscheidet sich von den älteren durch Cassiodor, Simeon Metaphrast und —»Jacobus de Voragine durch die Waldbüßer-Episode, ein eingeschobenes Büßerexempel, das außer im Ch.-Meisterlied (s.u. II.) auch noch in den lat. P rosa Versionen des 'Viaticum narrationum' und der 'Chronica novella' des Hermann —»· Korner auftaucht.

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'Churer Weltgerichtsspiel'

entführte Tochter des Königs von Sizilien (!) bei sich auf, stößt sie, nachdem er mit ihr gesündigt hat, in ein tiefes Loch und gelobt voller Reue darüber lebenslanges Schweigen. Nach langer Zeit von einem Jäger entdeckt und zum König von Sizilien gebracht, beichtet er dessen Kaplan seine Sünde. Man findet die Königstochter mit einem Sohn am Leben, Johannes schreibt seine Geschichte mit goldenem Speichel auf, und alle beschließen ihr Leben im Kloster.

In der Lied-Version der Legende sind die Motive der italienischen Erzählung, wie sie durch die 'Istoria' repräsentiert wird, besser bewahrt als in 'Der Heiligen Leben', wo mit der Papst-Handlung ein völlig neues Moment eingeführt ist. Von der 'Istoria' unterscheidet sich das Lied vor allem durch Anfang und Schluß: es fehlt die Episode von den drei Sünden des Einsiedlers sowie seine Lossprechung durch ein neugeborenes Kind. L i t e r a t u r . A. D'ANCONA, La storia di San Giovanni Boccadoro, in: F. PATETTA, Di una tavola della R. Galleria Estense, Modena 1907; P.ScHUBRiNG, Die Ch.-Legende, Zs. f. Bildende Kunst NF 24 (1913) 109-112; C.A.WILLIAMS, Oriental Affinities of the Legend of the Hairy Anchorite, Urbana (Illinois) 1925; ders., The German Legends of the Hairy Anchorite (Illinois Studies 18), Urbana (Illinois) 1935; dazu krit. A. LÄNGFORS, Neuphil. Mitt. 37 (1936) 56-58, J. BOLTE, ZfVk 44 NF 6 (1936) 312 u. G. Eis, AfdA 56 (1937) 33-35; Lexikon f. christl. Ikonographie VII, 1974, Sp. 93-101, bes. 100f.; D.-R. MOSER, Die Tannhäuser-Legende, 1977. DlETZ-RÜDIGER MOSER (I)

FRIEDER SCHANZE ( ) Chunradus -> Konrad 'Churer Weltgerichtsspiel' 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Chur, Staatsarch. Graubünden, Ms. B 1521, lr-16r im Format 15,5x44 cm (C). Ediert ist nur 5. Akt = v. 1111-1545 bei JENSCHKE, S. 384-390. Eine kommentierte Textausgabe durch, einen germanistischen Arbeitskreis unter Leitung von M.-L. DITTRICH (Univ. Münster) ist demnächst zu er-, warten.

2. Das 'Ch.W.' (C) gehört zu den an Mt 25,31-46 anknüpfenden Spielen wie das -> 'Berliner W.' (B), -> 'Berner W.' ('Bern'), -»'Donaueschinger W.' (D), -» 'Kopenhagener W.' (K), -+'Münchner W.' (M), -> 'Schaffhauser (früher Rheinauer) W.' (S), sowie das in Ulrich -»Tenglers 'Der neu

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Layenspiegel', Augsburg 1511, 223r-234v eingefügte W. (T). Im Unterschied zu den kürzeren, z.T. wörtlich anklingenden B, 'Bern', D, K, S ist C in fünf von einem precursor eingeleitete Akte eingeteilt und erweist sich als Dirigierrolle für eine bestimmte Aufführung: in Chur zu Ostern 1517, zu der der Text durch Kürzung und Zudichtung aus Vorlagen hergestellt wurde (mit mindestens 50 Akteuren). 3. Der I.Akt gibt nach der Vorrede v. 42-199 unter Anschluß an den BernSchaffhauser Typ die Reden von Joel, Sophonias, Hiob, Salomon, Gregorius, Hieronymus (mit -»· 'Fünfzehn Vorzeichen des Jüngsten Gerichts'). Auch der 2.Akt hält sich mit Weckrufen der vier Engel und Christi Gericht über die Gerechten (sieben Werke der Barmherzigkeit) weitgehend an diese Vorlage. Der 3. Akt mit der Anklage der Engel von Erde, Wasser, Luft, Feuer, Sonne und Mond (v. 410-479), mit der Selbstanklage von Judas, Herodes, Pilatus, eines Reichen und Vertretern der sieben Todsünden und Satans Aufruf weiterer Sünder (v. 480-683) fällt aus dieser Tradition heraus. In sie lenkt wieder ein der 4. Akt (v. 694-1110) mit dem Urteil über die Ungerechten, den fünf vergeblichen Bitten der Verdammten um Strafminderung, der Fürbitte von Maria und Johannes dem Täufer, Teufelreden und Wehruf der Verdammten. Der 5.Akt (v. 1111-1543) bietet nach den Jubelreden mehrerer Heiliger ein ganz kurzes Antichristspiel, in dem auch sechs Todsünden auftreten, aber entgegen der Antichristtradition Elias und Enoch erst nach dem Sturz des Antichrist mit Bekehrungspredigten auftreten. Daß chronologisch falsch die dem Weltgericht vorangehende Antichristszene hier an den Schluß gesetzt ist, wird die damaligen Zuschauer nicht gestört haben, gab aber dem Spiel eine werbende Kraft und Vorbereitung auf das v. 9-15 ausdrücklich erwähnte österliche Bußsakrament. 4. Manche Zutaten zur Urfassung des 14.Jh.s teilt C mit M und T (668 vv. im Anhang von Ulrich Tenglers 'Neuem Layenspiegel', 223V-234V). In M wie C finden sich die Anklage der Engel von Erde, Wasser, Luft, Feuer, Sonne und Mond (C 423-479,

1273

Cicero, Marcus Tullius

M 947-704), die sieben Todsünden (C 496 bis 647, M 947-1098) sowie die durch den precursor markierte Fünfteilung, in M, T und C das Begraben als siebtes Werk der Barmherzigkeit (C 330, M 510, T 589), während M und T das Streitgespräch zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit für sich gemeinsam haben (M 1183-1280, T 327-424). All das und zahlreiche Textanklänge nötigen zu der Annahme, daß C, M, T eine gemeinsame Vorlage des 15. Jh.s benutzten und daß C im wesentlichen diese Vorlage umgedichtet hat, also nicht so selbständig ist, wie es zunächst scheint. 5. Daß C für Chur gedichtet wurde, erweist das Auftreten des hl. Florinus, des 2. Diözesanpatrons von Chur v. 1210-1227, sowie die Erwähnung des Churer, am 16.9.1504 arrestierten Schelms Ulrich Thomali in der Regiebemerkung nach v. 1006 (hier fälschlich) und 1026: Thomali versucht, dem Teufel zu entlaufen, jedoch erwischt in baab [d.i. rätorom. Teufel'] (nicht, wie JENNY, S. 399, will, entwischt in zuo baab). Sonst gibt der Verfasser Regiebemerkungen oft lat. Für die Ausmalung der 'Fünfzehn Zeichen des Jüngsten Gerichts' greift der Verfasser auf -* Jacobus' de Voragine 'Legenda aurea' zurück, wie das wörtliche Zitat v. 118 in hebreorum annalibus ich find erweist. Seine flüchtige Niederschrift mit Buchstaben- und Wortauslassungen und Wortdurchstreichungen macht wahrscheinlich, daß er z.T. seine Vorlage erst bei der Niederschrift umdichtete. Soweit er den Wortlaut der Vorlage aufgibt, ist seine Diktion recht unbeholfen und schwerfällig. 6. Die erschlossene Vorlage von C, M, T darf als selbständige schweizerische Bearbeitung des Bern-Schaffhauser Urspiels angesehen werden. Bei der Umdichtung C wurde der Mundart weitgehend nachgegeben, z.B. mit Nasalierung von kü(n)schheit, ewe(n)clich und mit Kontraktionen selbst im Reim, z. B. kön( < körnen): thron, schön; nen (< nemen): gen (< geben); 5öi (< solt): [ge]böt. Nicht zur alem. Versumpfung von ä (hat: gott; hän: genön [< genomen]) paßt, daß im Versinnern schwäb. au für ä geschrieben wird (z.B. laussen usw. in 300, 388, 560, 859, 1025, 1079; aaurüf 421);

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vielleicht war der Verfasser früher in der Nordschweiz tätig ? L i t e r a t u r . K.REUSCHEL, Die dt. Weltgerichtsspiele d. MAs. u. d. Reformationszeit, 1906, S. 120 bis 137; G.JENSCHKE, Unters, z. Stoffgesch., Form u. Funktion mal. Antichristspiele, Diss. Münster 1971, S. 244-251, 384-399; R. JENNY, Hss. aus Privatbesitz im Staatsarch. Graubünden, 1974, S. 393-409.

HELLMUT ROSENFELD Cicero, Marcus Tullius Römischer Politiker, Redner und Schriftsteller (106 v.Chr.-43 v.Chr.). I. C.s umfangreiches rhetorisches und philosophisches Werk wurde seit der Spätantike ohne wesentliche Verluste überliefert. Verallgemeinernd kann man sagen, daß C. ('Tullius') als Rhetoriker und Philosoph dem MA, insbesondere dem 12. Jahrhundert, eine anerkannte Autorität war, während seine politische Persönlichkeit und auch seine Bedeutung als Briefschriftsteller weitgehend in Vergessenheit geriet. Als solcher wurde er erst vom italienischen Humanismus, allen voran Petrarca, neu entdeckt. II. L a t e i n i s c h e Rezeption. 1. Für viele frühchristliche Schriftsteller war C. nicht nur oft bewundertes stilistisches Vorbild, sondern auch Anlaß zur Auseinandersetzung mit dem christlich deutbaren 'humanen' Ideengut seiner Schriften. Minucius Felix ahmt in seinem Dialog Octavius' (ed. J. BEAUJEU, Paris 1964) C.s 'De natura deorum' nach; Lactanz, der 'Cicero christianus', benutzt dasselbe Werk in 'De ira dei' (CSEL 27); seine 'Divinae institutiones' (CSEL 19) zeigen, daß er das philosophische Werk C.s aufs beste kannte. Hieronymus und Augustinus sind zugleich Kritiker und Verehrer C.s; letzterer bekennt, durch die Lektüre des 'Hortensius' zum Christentum gelangt zu sein, und zitiert vor allem in 'De civitate dei' auf Schritt und Tritt C., besonders dessen Hauptwerke 'De re publica' und 'De officiis'. Auch Kommentare zu C.s Werken entstehen in der Spätantike: Macrobius verfaßt einen Kommentar zum 'Somnium Scipionis', Boethius kommentiert die 'Topica'.

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Cicero, Marcus Tullius

Keine Schrift C.s blieb bis in die Neuzeit so lebendig wie 'De officiis'. Ihre früheste Adaptation erfolgt durch Ambrosius, der sich in seinem Werk 'De officiis ministrorum' (PL 16, Sp. 25-194) nicht nur im Titel, sondern auch in Aufbau und Inhalt eng an C.s Schrift anschließt. Neben 'De officiis', dessen Fortleben, seiner besonderen Bedeutung wegen, weiter unten behandelt werden soll, waren im MA anscheinend 'De inventione' und 'De amicitia' beliebter als andere Schriften C.s. Eine Wirkungsgeschichte C.s für das MA gibt es bisher nicht. Hier können nur Teilaspekte einer solchen wünschenswerten Darstellung angedeutet werden.

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scheme ciceronien au Moyen Age, Revue du Moyen Age latin I [1945] 39). Weitere Hinweise auf das Fortleben von 'De inventione' bei PH. DELHAYE, L'enseignement de la philosophic morale au XHe siecle, Medieval Studies 11 [1949] 90 ff. Zu erwähnen ist, daß die antike anonyme 'Rhetorica ad Herennium', die seit dem 11. Jh. weiteste Verbreitung fand und zur wichtigsten Quelle der rhetorischen Figurenlehre wurde, als Werk C.s galt (ed. F. MARX, 1923); vgl. J. KIBELKA, Der wäre meister, Denkstile u. Bauformen in d. Dichtung Heinrichs v. Mügeln, 1963, S. 238-240.

3. 'De amicitia' Auch 'Laelius, de amicitia' wird rezipiert. Zu nennen ist Aelred von Rievaulx 'De spi2. 'De i n v e n t i o n e ' rituali amicitia' (PL 195, Sp. 659-702); hier Schon Augustinus gibt den Schlußteil von wird C.s Werk ins Christliche umgesetzt. 'De inventione' wieder in seinem 'Liber de Von diesem Werk und somit auch von 'De diversis quaestionibus LXXXIIF, c.31 (PL amicitia' abhängig ist 'De amicitia chri40, Sp. 20-22). Dieses Werk C.s scheint des- stiana' des Petrus von Blois (PL 207; Neuwegen sehr beliebt gewesen zu sein, weil es ausgabe von C. DAVY, Un Traite de l'amour Rhetorik und Ethik miteinander verbindet, du XIIe siecle, 1932; vgl. dazu PH. DELHAYE, und in seinem 2. Buch einer Kurzfassung der Deux adaptations du 'De amicitia' de CicePflichtenlehre gleichkommt, wie sie C. in ron au XIIe siecle, Recherches de Theologie 'De officiis' umfassend ausführte. Daher ancienneet medievale 15 [1948] 304-331). eignete sich 'De inventione' hervorragend —»Konrad von Hirsau schätzt in seinem für den Schulbetrieb. 'Dialogue super auctores' (ed. G. SCHEPSS, -*· Alkuin benutzte das Werk ausführlich 1889) unter allen antiken Schriftstellern C. in 'De rhetorica' (kommentierte Ausgabe am höchsten ein (Nobilissimus auctor iste, von W.S. HOWELL, The Rhetoric of Alcuin S. 51), von seinen Werken nennt er 'De and Charlemagne, Princeton 1941). ->Not- amicitia' an erster und wichtigster Stelle kers des Deutschen 'Rhetorik' ist vor dem (S.51 ff.). — Marbod von Rennes ist im Hintergrund von 'De inventione' zu sehen. 8. Kapitel seines 'Liber decem capitulorum' -»Ermenrich von Ellwangen fügt 'De in- (PL 171, Sp. 1693 ff., Neuausg. von W. ventione', lib. II. seinem Werk ein (MGH BULST, 1947) deutlich 'De amicitia' verEpistolae V 541 f.). In des -»Wilhelm von pflichtet, während sein 6. Kapitel den EinConches Werk 'Moralis dogma philoso- fluß von C.s 'Cato maior, de senectute' phorum', das sich im allgemeinen an 'De •zeigt. — Auch die Predigten —»Bernhards officiis' orientiert, ist ein Teil auf 'De in- von Clairvaux über das Hohelied benutzen ventione' zurückzuführen (vgl. C. OTTA- und zitieren vielfach Gedanken aus 'De VIANO, Un brano inedito della 'Philosophia' amicitia', wie auch zum selben Thema der di Guglielmo di Conches, Neapel 1935, Kommentar des Philipp von Harvengt (PL S. 29f.). - Von Thierry von Chartres gibt es 203, Sp. 314ff.; vgl. H. BRINKMANN, Der dt. einen Kommentar zu 'De inventione' (vgl. Minnesang, in: H. FROMM (Hg.), Der dt. PH. DELHAYE, Medieval Studies 11 [1949] Minnesang [WdF 15], 1961, S.95f.). -An97-99). Bei Thomas von Aquin sind in der dreas Capellanus erwähnt im 3. Buch von 'Summa theologica' zahlreiche Anspielun- 'De amore' ausdrücklich C. als Gewährsgen auf 'De inventione' und 'De officiis' zu mann für den hohen Wert der Freundschaft finden (vgl. E. K. RAND, Cicero in the Court- (ed. H. TROJEL, 1892 [Neudr. 1964], S. room of St. Thomas Aquinas, Milwaukee 317f.). - In den sog. Tegernseer Liebes1946 und M. PALLASSE, Breve histoire d'un briefen' werden an mehreren Stellen Ge-

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Cicero, Marcus Tullius

danken aus 'De amicitia' wiedergegeben, auch wird C. ausdrücklich als Autorität zitiert: amicicia vera attestante Tullio Cicerone est divinarum humanarumque omnium rerum cum karitate et benivolentia consensio (MF, ed. C. v. KRAUS, 1944, S.318f.).

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fiehlt er die Lektüre von 'De oratore', der Tusculanen, 'De amicitia', 'De senectute', 'De fato' und der 'Paradoxa'. 5. Eine besondere Form der Rezeption ist die des Florilegiums, bzw. der Exzerptensammlung, die nicht den Anspruch einer systematischen Tugendlehre erhebt. Eine solche, die besonders C., aber auch Plato, Sallust, Macrobius, Martianus Capella u. a. zitiert, liegt von einem Autor vor, der sich selbst Hadoardus nennt (vermutlich 9. Jh.). Der Exzerptor stellt unter thematischen Gruppen Äußerungen C.s zusammen, die zum größten Teil 'De officiis' entnommen sind (P. SCHWENKE, Des Presbyters Hadoardus C.-Exzerpte, Philologus Suppl. 5 [1889] 397ff.; vgl. TRAUB, S.39ff., und P. L. SCHMIDT, Die Überlieferung von C.s Schrift 'De legibus' in MA u. Renaissance, 1974,5.134-152).

4. 'De o f f i c i i s ' Auf 'De officiis ministrorum' des Ambrosius wurde oben bereits hingewiesen. - Im wesentlichen auf 'De officiis' (neben 'De inventione' und anderen antiken Autoren) beruht die Tugendlehre des Wilhelm von Conches (Walthers von Chätillon ? die Verfasserfrage ist umstritten), die u.d.T. 'Moralis philosophia de honesto et utili' oder 'Moralium dogma philosophorum' bekannt ist (PL 171, Sp. 1007-1056; neuere Ausgabe von J. HOLMBERG, 1929. HOLMBERG zählt allein 165 Zitate aus 'De officiis', 16 aus III. Deutsche Rezeption. anderen Schriften C.s). Das Werk geht von 1. Eine unmittelbare deutschsprachige C.s Begriffen honestum und utile und deren Konfrontationen aus und beantwortet in Rezeption C.s im frühen und hohen MA Inhalt und Gliederung die Problematik in scheint es nicht gegeben zu haben, jedenallen wesentlichen Punkten wie C. in 'De falls ist sie bisher nicht nachgewiesen worofficiis'. Wilhelm von Conches ist damit der den. Sie setzt offenbar erst im späten MA genaueste Vermittler von 'De officiis' für ein. das MA, man muß sein Werk geradezu als 2. Eine mittelbare Rezeption wird von der mal. Erneuerung von C.s Pflichten lehre an- Forschung vor allem für 'De amicitia' und sehen (vgl. PH. DELHAYE, Une adaptation 'De officiis' reklamiert. E. GILSON (Die Mydu 'De officiis' au XHe siecle, Le 'Moralium stik des hl. Bernhard, 1936, S. 32ff.) und Dogma Philosophorum', Recherches de ihm folgend besonders H. BRINKMANN (Der Theologie ancienne et medievale 16 [1949] dt. Minnesang, s.o. II.3.) sehen in 'De ami227 ff. und 17 [ 1950] 5 ff.). - Wichtige Gedan- citia' eine wichtige Basis für das Entstehen ken der Offizien' sind in dem 'Libellus de der 'Hohen Minne', derart, daß mittels quattuor virtutibus vitae honestae' des Hil- einer 'translatio' die ciceronianische 'amidebert von Lavardin wiederzufinden (PL 171, citia' die höfische 'minne' essentiell beSp. 1055-1064). Vor allem die Definitionen stimmte. - Von größter Wichtigkeit war der Tugenden, also des Bereichs des hone- 'De amicitia' für die Gottesfreundliteratur, stum, zeigen den Einfluß C.s. - Auf C. beruft wie R. EGENTER (Gottesfreundschaft. Die sich das 'Speculum universale' (eine Tugend- Lehre von d. Gottesfreundschaft in d. Scholehre) des Radulfus Ardens (ungedruckt; lastik u. Mystik d. 12. u. 13.Jh.s, 1928) s. E. NEUMANN, Zum 'ritterlichen Tugend- vielfach aufgezeigt hat. system', in: G. EIFLER (Hg.), Ritterliches Unbestreitbar ist die mittelbare Rezeption Tugendsystem [WdF 56], 1970, S.294f.). von 'De officiis' durch —»Wernher von ElSchließlich sei noch Alexander Neckam er- mendorf (ed. J. BUMKE [ATB 77], 1974). wähnt. Er charakterisiert 'De officiis' so: Er überträgt gegen 1170/80 das 'Moralium Tullius de officiis utilissimus est - nämlich dogma philosophorum' (s. o. II. 4.) ins Deutfür den Schulgebrauch! (Vgl. C. HASKINS, sche, nicht ohne Eigenwilligkeit. Wernher Studies in the History of Medieval Science, macht aus dem Tugendsystem Wilhelms Cambridge 1942, S.372.) Weiterhin emp- eine eher biedere praktische Tugendlehre

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Cicero, Marcus Tullius

für den Adel: Verhaltensvorschriften, wie sie z.B. auch beim -*'Winsbecke' und beim dt. ->· 'Cato' zu finden sind (vgl. J. BUMKE, Die Auflösung d. Tugendsystems bei Wernher v. Elmendorf, ZfdA 88 [1957] 39-54). 3. Sehr schwierig ist es, die Rezeption von C.s Ethik für die mhd. didaktische Literatur nachzuweisen, wenngleich sie wahrscheinlich ist. Für den 'Wälschen Gast' des —»·Thomasin von Zerklaere gelingt dies noch am ehesten, da Thomasin das 'Moralium dogma philosophorum' und dessen ciceronianische Gliederung von honestum und utile kannte (vgl. H. TESKE, Thomasin v. Zirklaere, 1932). Die Tradition antiker Tugendlehre ist sicherlich spürbar beim 'Winsbecke', bei -» Freidank, -»Hugo von Trimberg, Johannes —»Rothe u.a. - aber was geht mittelbar oder unmittelbar auf C. zurück? Einzelne Zitate besagen hier wenig, sie können allenfalls signalisieren, daß C. als Autorität bekannt war. 4. An dieser Stelle muß die bekannte Diskussion über das 'ritterliche Tugendsystem' erwähnt werden. G. EHRISMANN (Die Grundlagen d. ritterlichen Tugendsystems, ZfdA 56 [1919] 137-216) führte das 'ritterliche Tugendsystem' hauptsächlich auf C.s 'De officiis' zurück, indem er C.s summum bonum - honestum - utile umgeformt in den höfischen Begriffen gotes hulde - ere guot wiederzufinden meinte. Seine Darstellung löste den temperamentvollen Widerspruch von E. R. CURTIUS aus (Das 'ritterliche Tugendsystem', DVjs 21 [1943] 343 bis 368). Es folgte eine Diskussion über dieses Thema, deren wichtigste Beiträge bei EIFLER [WdF 56], 1970 (s.o. II. 4.) zusammengestellt sind. Ein abschließendes Urteil scheint bisher nicht möglich, denn: 'Das Herkunftsproblem der ethischen Vorstellungen des Rittertums ist zu knapp, sehr lückenhaft und weder in bezug auf den historischen Werdegang, noch in bezug auf die eingeschlossenen philosophischen und theologischen Fragen auch nur annähernd befriedigend abgehandelt' (£IFLER, S. VIII). 5. Deutsche Ü b e r s e t z u n g e n C.s gibt es erst im späten MA. Zu nennen sind folgende : a) In der I.Hälfte des 15. Jh.s wurde 'De

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officiis' erstmalig u.d.T. 'Von den Ampten' vollständig ins Deutsche übertragen. Der Übersetzer bleibt anonym, auch Anlaß und Ort des Entstehens sind unbekannt; die Art der Überlieferung läßt auf Bildungsinteressen adeliger Kreise im bairisch-österreichischen Raum schließen. Die Ü b e r l i e f e r u n g umfaßt folgende Textzeugen: Donaueschingen, cod. 11, lr-79r (v. J. 1453, alem.); Gießen, ÜB, cod. 76, lra-55ra (15. Jh., bair.); Heidelberg, cpl 1814, 98r-174v (v. J. 1472, rhfrk., in Rom); Michelstadt/Odenwald, Kirchenbibl., cod. D 690, lr-78r (15. Jh., bair.); Prag, ÜB, cod. I. B. 6,169ra-226va (15.Jh., bair.); ebd., Fürstenbergsche Bibl. (jetzt im Prager Nat.Mus.), cod. I.b. 26, lr-74r (v. J. 1461, alem.); Salzburg, Stiftsbibl. St.Peter, cod. bill 38, lr-184r (v. J. 1471, bair.); Wien, cod. 3070% lr-50r (v. J. 1449, bair.); Inkunabel, gedruckt bei Hans Schobser, Augsburg 28.1.1488, bair. (GW 6975); ein Fragment München, clm 28824 (olim Nat.Mus. 945), 2", ist eine Abschrift dieses Druckes (nur des Anfangs), daher textkritisch ohne Wert. A u s g a b e in Vorbereitung von P. RESTING.

Die Übertragung hält sich meist eng an den lat. Text, übersetzt aber in der Regel nicht 'ad verbum', sondern 'ad sensum'. Die Sprache ist grammatisch nahezu frei von Latinismen. Vom Lateinischen abweichende oder 'falsche' Übersetzungen gehen meistens nicht auf Unvermögen des Übersetzers zurück, sondern auf seine Tendenz, das Werk als praktische Morallehre mit Exempeln zu interpretieren, oft in sehr origineller Weise. C. ist der 'heidnische Meister' ; von humanistisch-philologischer Zuneigung zur Antike ist nichts zu spüren. b) Diese erste Übertragung von 'De officiis' regte eine zweite an. Frh. -»Johann von Schwarzenberg (ca. 1465-1528) ließ durch seinen Kaplan Johann Neuber eine Neuübersetzung anfertigen (fertiggestellt 1520, gedruckt posthum bei Steiner in Augsburg 1531), die wörtliche Übereinstimmungen mit der alten Übersetzung aufweist und sich in der Vorrede auf sie beruft. Der Vorrede läßt sich auch entnehmen, daß Johann von Schwarzenberg selbst kein Latein verstand, aber die dt. Übersetzung seines Kaplans stilistisch überarbeitete, mit eingestreuten Glossen und mit kurzen, selbstgedichteten Merkversen versah, die in der Regel über den reichlich eingestreuten Illu-

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'Circa instans'

strationen (vermutlich von Hans Weiditz) stehen. Erklärte Absicht der Neuübersetzung war, C.s Werk nicht von warten zu Worten, sondern von synnen z& synnen (Vorrede) zu übertragen. Um die Richtigkeit der Übersetzung abzusichern, übergab J. von Schwarzenberg seine Redaktion nochmals anderen gelerten / wyder zu übersehen (obs dem lateyn genieß sey). Vermutlich war dieser Schlußredaktor Lorenz Behaim (1457-1521). Weitere Übertragungen ciceronianischer Werke durch J. von Schwarzenberg entstanden in entsprechender Weise. Die Übersetzung von 'De senectute' erschien 1522; posthum wurden im 'Teutschen Cicero' 1534 zusammen mit eigenen Werken des Johann von Schwarzenberg Übersetzungen von C.s 'De senectute', 'De amicitia' und der Tusc. disp.' lib. I gedruckt. - Natürlich begegnet man in Johanns eigenen Werken (besonders im 'Memorial der Tugend') ständig ciceronianischen Gedanken.

d) Übersetzungen anderer Werke C.s: Von Johannes -> Gottfried, Pfarrer und Canonicus von St.Katharinen in Oppenheim, wurden für Friedrich von Dalberg in den Jahren 1489-1491 ins Deutsche übertragen: 'De natura deorum', 'De fato', 'Paradoxa', 'De senectute', 'Somnium Scipionis' (Berlin, mgq 1477; DEGERING, Hss. II 242; F.J. WORSTBROCK, Zur Einbürgerung d. Übersetzung antiker Autoren im deutschen Humanismus, ZfdA 99 [1970] 58 ff.).

Vgl. dazu W. SCHEEL, Joh. v. Schwarzenberg, 1906; G. RADBRUCH, Verdeutschter Cicero. Zu Johann v. Schwarzenbergs Officien-Übers., Arch. f. Rechts- u. Sozialphilosophie 35 (1942) 143-154.

'Circa instans'

c) Eine von der ersten Übertragung unabhängige Teilübersetzung von 'De officiis' findet sich in der -»'St. Galler Weltchronik', St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 628, p. 263-265 (Ende d. 15.Jh.s). Sie umfaßt Ausschnitte in der Art eines Florilegiums und stammt wohl von dem Übersetzer des an gleicher Stelle befindlichen Textes Von Catho dem weysen vnd seinen Sprüchen ('Disticha Catonis'), -»'Cato'. Die Absicht der Übertragung ist, den Schriftsteller C. unter literarhistorischem Aspekt durch Ausschnitte aus seinem Werk zu charakterisieren. Weitere Zitate aus anderen Werken C.s sind in der 'St. Galler Weltchronik', p. 265-271 zu finden. — Bemerkenswert ist, daß der Autor offensichtlich Augustins C.Rezeption kannte (er zitiert seinerseits ein C.-Zitat Augustins) und außerdem über ein umfangreiches Werkverzeichnis C.s verfügte: er nennt nicht weniger als 18 Schriften C.s (vgl. KESTING, S. 163ff.). P. KESTING, Ein dt. Cato in Prosa. Cato u. C. in d. St.Galler Weltchron., in: Würzburger Prosastud. II, Fs. K. Ruh, 1975, S. 161-173.

Allgemeine L i t e r a t u r . TH.ZIELINSKY, C. im Wandel d. Jahrhunderte, 31912; MANITIUS, LG I 478-483; N. E. NELSON, Cicero's De officiis in Christian Thought: 300-1300 (Univ. of Michigan Publ., Lang, and Lit. 10), 1933; G. TRAUE, Stud. z. Einfluß C.s auf d. höfische Moral, Diss. Greifswald 1933; M. GELZER/ W, KROLL / R. PHILIPPSON / K. BÜCHNER, M. Tullius Cicero, in: PAULY/WISSOWA, Realencyclopädie d. class. Altertumswiss. 7 A (1), 1939, Sp. 827-1274 (zum Fortleben der philos. Schriften: PHILIPPSON, Sp.1190 bis 1192)

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PETER RESTING

I. Die Verselbständigung des abendländischen Apothekerstandes - ablesbar an den 'Konstitutionen von Melfi' (1241) wie am Venediger 'Capitolare de spetialibus' (1258) - geht von Salerno aus und stützt sich auf drei Werke, die durch Auswahl und Anlage wesentlich zur Standardisierung sowie Lagerfähigkeit der Arzneimittel beitrugen. Für die Komposita bewirkte diese Vereinheitlichung das 'Antidotarium Nicolai' (—>· Nicolaus Salernitanus), während die einfachen Arzneimittel durch den -> 'Liber iste' und das 'C.i.' normiert wurden. Alle diese Werke sind um 1150 entstanden, wobei der 'Liber iste' (mit dem 'Liber noster') zeitlich am Anfang steht, das 'C.i.' eine Mittelstellung einnimmt und das 'Antidotarium Nicolai' als letztes folgt. Für die Verselbständigung der Pharmazie waren die drei Texte etwa gleich bedeutend. II. Das 'C.i.' als maßgebende mal. Drogenkunde beweist seinen Einfluß durch eine Vielzahl von Hss., deren älteste (Breslau, ÜB, Hs. 1302, der Breslauer 'Codex Salernitanus') von 1180 datiert und deren Anzahl die Zweihundertgrenze übersteigt: 'allein aus dem XIII./XIV. Jh. befinden sich

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'Circa instans"

in Deutschland weit über 30, denen sich noch ungezählte in den Bibliotheken von Paris und London anschließen' (DAMM, S. 1). Die landessprachige Rezeption beginnt im 13. Jh.; sie läßt sich fürs Deutsche wie fürs Altfranzösische erst in groben Umrissen konturieren und bietet neben Ü b e r s e t z u n g e n des Gesamtwerkes eine weit ausgreifende Streuüberlieferung. Zentrum deutschsprachiger 'C.-i.'-Rezeption ist der niederfrk. Raum; die übrigen deutschen Sprachlandschaften haben an der 'C.-i.'Ubersetzung geringeren Anteil. Bisher lassen sich sechs dt. Übertragungen abgrenzen: 1. Wenig verbreitet war d e r ' H e r b a r i j s ' , eine niederfrk. Bearbeitung, die sich auf die leringe van dyascorides den wisen meester ende van circuinstanse den wisen meester bezieht, durch Zusätze erweitert ist und in einer Brabanter Abschrift von 1351 vorliegt. U herlief erung. Brüssel, Koninkl.Bibl.,Hs.l562415641, 91r-107r. Ausgabe. L.J. VAN DE WIELE, De 'Liber magistri Avicenne' en de 'Herbarijs' II, Brüssel 1965.

2. Größere Wirkung erzielte eine zweite niederfrk. Übersetzung, die wie der 'Herbarijs' in die Mitte des 14. Jh.s zurückreicht und in ndl. Hss. des 14. und 15. Jh.s erhalten ist.

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W.F. DAEMS, Boec van medicinen in Dietsche (Janus, suppl. 7), Leiden 1967, S. 116-159.

4. Im Gegensatz zu den niederfrk. Fassungen sind die hd. Bearbeitungen jünger und bisher jeweils nur in einem Textzeugen belegt. Das gilt zunächst für die interessante Übertragung, die DAMM untersucht und auszugsweise bekanntgemacht hat. Der ärztliche Übersetzer fügte dem 'C.-i.'-Kern Versatzstücke aus arabischen Pharmakologien ein, wobei er einige Einschiebsel unübersetzt beibehielt; wahrscheinlich wirkte er um 1400 im ostmd. Raum. Ü b e r l i e f e r u n g . Leipzig, ÜB, cod. 1224, lr-190v (Mitte d. 15. Jh.s, ostmd.).- Ausgabe. W. DAMM, Die einzige bisher bekannte dt. Fassung d. Buches 'C. i." (de simplicibus) nach einer Hs. d. 15. Jh.s, Diss. Berlin 1939 (Teilausg.).

5. An den Anfang des 15. Jh.s gehört die 'C.-i.'-Übersetzung des -»Juden von Solms, die sich als buch genant Circken Steyn einführt und zumindest im Erlanger Textzeugen defekt ist. Ob auch der Zürcher cod. C4a Exzerpte aus dieser Fassung bietet, wurde noch nicht untersucht. Ü b e r l i e f e r u n g Erlangen, ÜB, cod. B34 [Irm. 1376], 216vb-271rb (Anf. d. 16.Jh.s, westmd.), vgl. KEIL, 1961, S. 136 u. 141.

3. Ebenfalls in zwei Hss. erhalten ist eine Kurzform, die den dritten Teil des -> 'Boec van medicinen' ausmacht (c. 20-95), aber in den meisten Textzeugen des medizinischen Kompendiums fehlt; es sieht so aus, als sei die Fassung über den holländischen Raum nicht hinausgekommen. Der Bearbeiter hat Anzahl und Umfang der Kapitel nicht unwesentlich verringert; er stützte sich teilweise auf Jacob van Maerlant und hat darüber hinaus Material aus anderen Quellen entlehnt (ÜAEMS, S. 39).

6. Die Reihe altdt. 'C.-i.'-Fassungen ist wesentlich umfangreicher, als es diese Übersicht erkennen läßt. Eine Vielzahl von Textzeugen - beispielsweise die Überlieferung des Londoner cod. Wellcome 625 (lr-21r) oder das Fragment in Heidelberg, cpg 260 (39va-49vb) - wurde nur vorläufig gesichtet, und eine genauere Einordnung steht noch aus. Das gleiche gilt für die landessprachige S t r e u ü b e r l i e f e r u n g , die sich vorerst nur ganz grobstrichig konturiert; sie setzt im 13. Jh. ein (->'Deutsches salernitanisches Arzneibuch'), reicht vom ->· 'Gart der Gesundheit' über -> Konrad von Megenberg bis zu Jacob van Maerlant und ist durch verwickelte Überlieferungsstränge gekennzeichnet, die für das 'Buch der Natur' oder für 'Der naturen bloeme' in der Regel über Thomas van Bellinghen laufen (KEIL/REINECKE, S. 406-408).

Ü b e r l i e f e r u n g . Utrecht, ÜB, Hs. 1328, 79r-99v (Utrecht, um 1400); Den Haag, Koninkl. Bibl., Hs. 71 H 45, 9ra-24ve (holl., 2. H. d. 14.Jh.s). - A u s g a b e .

L i t e r a t u r . P. DORVEAUX, Le livre de simples medecines. Traduction fran9- du 'Liber de simplici medicina dictus C. i.' de Platearius tiree d'un manuscrit du XIIIe

Ü b e r l i e f e r u n g . London, Brit. Mus., MS Loan (Portland) 29/332,104r-256v (westl. Nordniedersächs., nach 1377); Gent, ÜB, Hs. 1457, 102M81r (Südwestgelderland, 2.H. d. 15.Jh.s). - A u s g a b e . L.J. VAN DE WIELE, Een Middelnederlandse versie van de 'C. i.' van Platearius [!], Oudenaarde 1970.

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'Cisioianus'

siecle, Paris 1913; J. SCHUSTER, Secreta Salernitana u. Gart d. Gesundheit, Fs. H. Degering, 1926, S. 203-237, hier S. 206 Anm. l; H. WÖLFEL, Das Arzneidrogenbuch 'C. i.' in einer Fassung d. XIII. Jh.s aus d. ÜB Erlangen, Diss. Berlin 1939; C. BECK, Stud, über Gestalt u. Ursprung des 'C. i.', Diss. Berlin 1939; Das Lexicon plantarum, hg. v. R. MAUS, G. BAHN u. W. THODE (Texte u. Unters, z. Gesch. d. Naturwiss. 2-4}, 1941-42; F.-H. HOLLER, Das Arzneidrogenbuch in d. Salernitanischen Hs. d. Breslauer StB (Nr. 1302) (Texte u. Unters, z. Gesch. d. Naturwiss. 5), 1942; E. MÜLLER, Der Traktat Liber iste (die sog. Glossae Platearii) aus d. Breslauer Cod. Salernitanus (Texte u. Unters, z. Gesch. d. Naturwiss. 7), 1942, S. IX-XI; L. THORNDIKE/F.S. BENJAMIN jr. [Hgg.], The herbal of Rufinus, Chicago 1945,S.XXVIII-XXXIIu.ö.;O.BEssLER,Dasdt.Hortus-Manuskriptd. Henricus Breyell (Nova acta Leopoldina, NF XV 107), 1952, Stammtafel nachS.266;ders., Prinzipien d. Drogenkunde im MA. Aussage u. Inhalt des 'C. i.' und Mainzer Gart, Habil.schr. (masch.) Halle 1959; G. KEIL, Die 'Cirurgia' Peters v. Ulm, 1961, S. 23 f., 136 Anm. 36-39,141; W. L. BRAEKMANN, Een gecommentarieerd antidotarium en de 'C. i." van Platearius in een Oostmiddelnederlandse bewerking, Scient. hist. 4 (1967) 182-210; ders., Een onbekend Mnl. medisch hs. uit de veertiende eeuw, VMKVA (1968) 99-131; G. KEIL/H. REINECKE, Der 'kranewitber'-Traktat d. 'Doktor Hubertus', Sudhoffs Arch. 57 (1973) 361-415, hier S. 364f., 404-408. ,_ T,

G. KEIL

'Cisioianus' I. Als 'C.' bezeichnet man einen Typ Vers-(Reim-)Kalender, der eine exakte und unkomplizierte Tagesbestimmung ermöglicht. Auf seiner älteren, lat. Stufe besteht er aus 12 Hexameterpaaren (selten Distichen), eines für jeden Monat, deren Silbenzahl der jeweiligen Tageszahl entspricht. Das Wortmaterial besteht aus den Anfangssilben markanter Heiligenfeste, die im Vers jeweils die gleiche Position einnehmen wie im Monatsablauf; dazu kommen Folgesilben und verbindende Satzglieder. Die Januarverse beginnen (woher die Gattungsbezeichnung) Ci- ( = circumcisio: I.Jan.) si- (2.) o (3.) la- (4.) nus (5.) £- (= epiphania: 6.) pi- (7.) usw. Die Abweichungen im Heiligenkalender der einzelnen Diözesen erlauben oft Lokalisierung und grobe Datierung (nach den Heiligsprechungen) der einzelnen Redaktionen und ihrer Überlieferung. - Entstanden ist der Typus des lat. 'C.' wohl im 12. oder 13. Jh. Vorläufer im weiteren Sinne waren kalendarische Merk-

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verse von der Art der Versus de nutnero dierum singulorum mensium (die Zahl der Buchstaben entspricht jeweils der Zahl der Tage), hg. v. J.HENNIG, Versus de mensibus, Traditio 11 (1955) 65-90, 89. - Verbindliche Tagesbezeichnungen nach dem 'C.' findet man seit dem 14. Jh. vorzugsweise in Ostdeutschland, Böhmen und Polen (GROTEFEND, 1891), aber auch in Dänemark (ODENIUS, S. 71) und in Nürnberg (-»'Lochamer-Ldb.', S.37). Weitere Geltung erlangte er in nach dem Kirchenjahr geordneten Legendensammlungen. L a t e i n i s c h e 'C.' sind erschlossen von GROTEFEND, 1870 und 1871; PICKEL, 1878, S.24f.; ODENIUS, S.62-69, 73-119; THORNDIKE/KIBRE, Inc., S.226; WALTHER, Initia, Nr. 2808. Viel unbearbeitetes Material dürfte noch in Hss. und Frühdrucken verborgen sein.

II. Der deutschsprachige 'C.' (seit dem 14. Jh.) ersetzt die Silbe bald durch das Wort ('Vokabelcis.') oder selten durch den Vers ('Verscis.') und ist i.A. in vierhebige Reimpaare gekleidet. Für die Tagesbezeichnung wird er dadurch fast ungeeignet, nicht jedoch als Hilfsmittel für zeitliche Orientierung im Jahr und Bestimmung der wichtigen Heiligenfeste. Auch gewinnt er an Lebendigkeit und Individualität des Ausdrucks zurück, was er an Funktionsfähigkeit verliert. Eine erste Sichtung des Materials erbringt folgende Beispiele: A. S i l b e n c i s i o i a n i 1. 'C.' des Steyrer, ine. Neu ist daz iar in perichten lernt l erhart nach dier ist dem felix gar ant. Nach der Hs. Donaueschingen, cod. 103,2V, hg. v. PICKEL, 1878, S.46-51; nach der Hs. Stockholm, Kungl. Bibl., cod. A175, 346", hg. v. ODENIUS, S. 110-114. Über die Person des sich Steyrer nennenden Verf .s ist nichts auszumachen. 2. Hd. Anonymus, ine. New Jahrs Tag folgen König drey l Das sagt dem Reinhard Felix frei. Nach letztlich unbekannter Quelle hg. v. G.F. GROTEFEND in J.S. ERSCH/J.G. GRUBER, Allg. Encyclopädie d. Wissenschaften u. Künste, I.Abt., Bd. 17, Halle 1828, S. 298 f. 3. 'C.' des Konrad -»Gesselen (nd.), ine. Nye iar unde twelfte dach l de holden dat erste flach. Nach der Hs. Rostock, ÜB, Mss. math. phys. l, 24v-27r, hg. v. K. E. H. KRAUSE, Bruchstück eines Kalendarii d. Johannis-Klosters u. Nd. 'C.' d. Konrad Gesselen, 1875, vgl. ders., Germ. 16 (1871) 91; danach wiederholt von PICKEL, 1878, S.72f. - Nach einem 'Bedebock', gedr. von Johann Snell in Lübeck um 1480 (BoRCHLING/ CLAUSSEN, Nd. Bibliogr., Nr. 47), hg. von H. O. LANGE,

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'Cisioianus'

Boghistoriske Misceller I, Nordisk tidskrift for bokoch biblioteksväsen 10 (1923) 127-130. 4. Nd. Anonymus, inc. Snijt aeff den raet och koenynck man I Want all v victorie ligt dar an. Nach der Hs. Brüssel, Kgl. Bibl., cod. II 144, 55V-56V, hg. v. R. PRIEBSCH, Aus dt. Hss. der Kgl. Bibl. zu Brüssel IV, ZfdPh 38 (1906) 436-467, 443 f. 5. 'C.' des Ludwig Dietz (nd.), ine. Nyyars dach darna Dre konyng qwemen tnyt der vart. Nach dem Schapherderskalender, gedr. von Ludwig Dietz in Rostock 1523 (BORCHLING/CLAUSSEN, Nd. Bibliogr., Nr. 762) und einem 'Bedebock', gedr. von Johann Ballhorn d.Ä. in Lübeck 1548 (BORCHLING/CLAUSSEN, Nr. 1510), hg. v. WIECHMANN-KADOW, Der im 16. Jh. in Meklenbürg gebräuchliche Cisiojanus, Jbb. d. Ver.s f. meklenburg. Gesch. u. Alterthumskde. 23 (1858) 125-127. B. V o k a b e l c i s i o i a n i 6. 'C.' des -> Mönchs von Salzburg, ine. Besniten wirdigkleichen l wart der dreier künig betaget. Nach zwei Hss. hg. v. F. V. SPECHTLER, Die geistl. Lieder d. M.s v. S., 1972, S. 338-342 (G 45). 7. Gesungener 'C.' des -»Oswald von Wolkenstein, ine. Menschlichen got, beschnitten schon, l drei kiing für Erhart hohen Ion. Hg. von K.K. KLEIN, Die Lieder O.s v. W.,21975, Nr. 28; vgl. KERSKEN, passim. 8. Gesprochener 'C.' des -> Oswald von Wolkenstein, ine. Genner beschnaid Crist wirdikleich. l drei kunig, für Erhart lobleich. Hg. v. KLEIN (s.o. 7.), Nr. 67; vgl. KERSKEN, passim. - Zum in der OswaldHs. A gelöschten 'C.' s. KERSKEN, S. 66f. 9. Solothurner Anonymus (Günther Zainers 'C.') von 1411, ine. Jhesus das kindlin ward beschnitten I dry kunige von Orient kamen geritten. Nach der Hs. Solothurn, Zentralbibl., cod. S I 245, hg. v. KULLY, S. 109-116; nach der Hs. Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.Bibl., cod. 535.16 Novi, 38r/v (nd.!), hg. v. R.FRANKE, Peter van Zirns Hs. (Germ. Stud. 127), 1932, S. 91 bis 95; nach einem Druck von 1539 (KuLLY, S. 123: B9e) hg. v. H.RUNGE, Eine Kalendertafel aus dem 15. Jh., Mitt. d. antiquar. Ges. in Zürich 12, H. l (1857) 25 f., danach wiederholt von L. SIG, Vorgregorianische Bauernkalender (Wissenschaft!. Beilage zum JB d. Bischöfl. Gymnasiums zu Straßburg i.E.), 1905, S.55, 57-60; weitere Drucke des 15. und 16.Jh.s sind bei KULLY, S. 123, nachgewiesen; auch in die -»· 'Bauernpraktik' ist von der Ausgabe 1530 an dieser Text aufgenommen, s. G. HELLMANN, Die Bauern-Praktik 1508 (Neudrucke von Schriften u. Karten über Meteorologie u. Erdmagnetismus 5), 1896, S.34; in diesem Umkreis ist wohl auch die Vorlage für G.F.GROTEFENDS Text in ERSCH-GRUBER (s.o. 2.), S.299, zu suchen, die von PICKEL für seine Ausgabe mitbenutzt wurde (1878, S. 51-56). - Weitere hsl. Überl.: Basel, ÜB, cod. AIX 38, 174M77r; London, Brit. Mus., cod. Add. 12057, ll'-12v; Wien, cod. 3496, 10r; ebd., cod. 3502, 261v-262r; ebd., cod. 4781, 12v-18r (KEIL, S. 112, letzte Uberl. nicht defekt!); Zürich, Zentralbibl., cod. C 101, geschrieben von Gallus -+ Kemly, 2r—3r

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(nur Jan-März); ebd., cod. S 318, 137-139, vgl. dazu J, HÄNE, Das Familienbuch zweier rheintalischer Amtmänner d. 15. u. 16.Jh.s, Jb. f. Schweizer. Gesch. 25 (1900) 43-80, hier S.60; Trier, StB, cod. 2050/1965. 8°, 13'-15V; Münster, Bischöfl. Priesterseminar, cod. K 8° 112 (nd.) (BORCHLING, Mnd. Hss. 1285), lt. briefl. Auskunft nicht mehr vorhanden. 10. 'C.' -> Heinrichs des Teichner (?), ine. Besniten ist daz kind. I Drey kunig sagt (sint) Erharts gesind. Nach den drei besten Hss. hg. v. H. KRISTOF, Heinrich des Teichners (!) Reimkalender in einer Zwettler Hs. u. Wurmprechts Wiener Kalendarium 1373, Jb. f. Landeskunde v. Niederösterreich NF 34 (1960) 232 bis 286, 257-259. Nach sieben Hss. hg. v. PICKEL, 1878, S.59-65 (mit älterer Lit.). Nach der Hs. Uppsala, ÜB, cod. C653, 191", hg. v. ODENIUS, S. 70 (nur Jan.). Weitere Überl.: Berlin, mgq 488, S.13d (jüngere Abschrift); Stuttgart, Württ. LB, cod. HB XI 43, 24r/v; Wien, cod. 2817, 71vb (KEIL, S. 112); eine Bearbeitung liegt vor in Wolfenbüttel, Hzg.-Aug.-Bibl., cod. 2.4. Aug. 2°, 206r-207v (Inc. ähnlich), hg. v. PICKEL, 1880, S. 132-135, vgl. K. EULING, Kleinere mhd. Erzählungen, Fabeln u. Lehrgedichte II: Die Wolfenbüttler Hs. 2.4. Aug. 2° (DTM14), 1908, Nr. 780. 11. Niederrheinischer Anonymus, inc. Jairsdach is gekomen / Dry connyncgen haen dz vernomen. Nach einer Abschrift aus der Hs. Trier, StB, cod. 2017/ 660. 8°, lr-2v, hg. v. A.REIFFERSCHEID, Ein niederrheinischer C. d. 15. Jh.s, Arch. f. d. Gesch. dt. Sprache u. Dichtung (Wagners Arch.) l (1874) 507-510; Überl. auch in der Brüsseler Hs. II 144 (vgl. o. 4.), 57r, s. R. PRIEBSCH, ZfdPh 38 (1906) 444 f. 12. Berliner Frgm. (Juni-Dez.), ine. Nycomedis vnd Erasmus Erauchetent fast I do sprach Sant prymus zu barnaban Bis myn gast. Überl. Berlin, mgo 224, 120' bis 123". 13. 'Cisianus zu dutsche' des Heinrich —> Eggestein. C. V e r s c i s i o i a n i 13. 'C.' des Gallus -»Kemly, ine. Wie Christus ist beschniden worden l Als fahe ich an des fares orden. Überl. in der Hs. Zürich, Zentralbibl., cod. C101, 34v-40r, vgl. J.WERNER, Beitr. z. Kunde d. lat. Lit. d. MAs, 21905, S. 155 (nicht ediert); zur Hs. s. auch o. 9. 14. Stuttgarter Anonymus, inc. Crist wart besnitten noch der E l Noch dem gebott her(n) Moyse. Nach der Hs. Stuttgart, Württ. LB, cod. bibl. 4° 20, 3r-8v, hg. v. F.PFEIFFER, Ein dt. C. aus d. 15.Jh., Serapeum 14 (1853) 150-156,173-176. 15. 'C.' des Jacob Köbel, ine. Beschnitten ward auff diesen tag l Ein kindt, das in der krippen lag. Wohl nach dem 'New geordneten Kalender' Köbels von 1512 hg. v. PICKEL, 1880, S. 135-143.

Der Überlieferungskontext ist sehr vielfältig : Kalender und Sammelwerke zur Zeitrechnung (computistische Lit.) überwiegen, daneben erscheinen auch liturgische Hss. und bemerkenswerterweise weltlich-lyri-

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Papst Clemens VI. - 'Cleomades'

sehe Sammlungen (4, 6-8, 10). Die Hs. -> Peters van Zirn (9) zeigt, daß - wie der lat. — auch der volkssprachliche 'C.' im Schulunterricht vermittelt wurde, wohin die ganze Gattung als typisches Beispiel eines einfachen mnemotechnischen Hilfsmittels auch wesensmäßig paßt. Zum 'C.' als Lehrstoff der mal. Schule s. W. CRECELIUS, Crailsheimer Schulordnung von 1480, Alemannia 3 (1875) 247-262, hier S.247; F.A.SPECHT, Gesch. d. Unterrichtswesens in Deutschland von d. ältesten Zeiten bis z. Mitte d. 13.Jh.s, 1885, S. 128-130; A. RICHTER, Drei Schulbücher d. MAs, Der praktische Schulmann 35 (1886) 484-495, hier S. 492 ff.; H. HAJDU, Das mnemotechnische Schrifttum d. MAs, 1936, S. 52; H.FICHTENAU, Die Schulbücher Maximilians L, Philobiblon NF 3 (1959) 2-8, hier S. 2 u. 7; ODENIUS, S. 62; KULLY, S. 102-104. L i t e r a t u r . H. GROTEFEND, Laurea sanctorum, ein lat. C. des Hugo v. Trimberg, AnzfKdVz NF 17 (1870) 279-284, 301-311; ders., Zur Laurea sanctorum u. dem C., ebd. NF 18 (1871) 308-312; ders., Zeitrechnung d. dt. MAs u. d. Neuzeit 1,1891, S. 24; K. PICKEL, Das Hl. Namenbuch v. Konrad Dangkrotzheim (Elsässische Litteraturdenkm. aus d. 14.-17.Jh. 1), 1878, S. 19-74; ders., Zwei dt. Cisio-Jani, ZfdA 24 (1880) 132-144; K.HAEBLER, Le soi-disant cisianus de 1443 et les cisianus allemands, Le Bibliographe moderne 6 (Paris 1902) 5-40, 188-210; P.LEENDERTZ jr., De C., Het Boek 19 (Den Haag 1930) 257-266; O. ODENIUS, Cisiojani Latini, Arv 15 (Uppsala 1959) 61-154; G. KEIL, Rez. Menhardt, Hss. II u. III, AfdA 76 (1965) 100-143, hier S. 112; R.M. KULLY, Cisiojanus, Schweizer. Arch. f. Vk. 70 (1974) 93-123; W.KERSKEN, Genner beschnaid. Die Kalenderged. u. d. Neumondkalender des Oswald v. Wolkenstein (GAG 161), 1975. Lit. ist ausführlicher verzeichnet von GOEDEKE, Grundriß I 306; ODENIUS, passim; KULLY, S.94-98.

ARNE HOLTORF Claromontanus -»· Lichtenberger, Johann Papst Clemens VI. (geb. um 1291, gest. 1352) werden eine Reihe dt. Gebete und Betrachtungen zugeschrieben. 1. 'Maria Tagzeiten', die offenbar im 15. Jh. am Niederrhein entstanden sind. Inc. Tzo metten tzijt wart Marien gekundiget, dot Jhesus van den valschen ioden geuangen was...: Berlin, mgo 451, 15.Jh., rip., 278r-280v. Weitere Uberl.: Berlin, mgo 585, 297v-299r, 15.Jh., niederrhein.; Köln, Hist. Arch., cod. W. 8° l*, 108M09V,

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Ende 15.Jh.; Darmstadt, LB, Hs. 1903, 210v-213r, um 1500, kölnisch; ebd., Hs. 1932, 31r-36v, um 1490, mndl.; ebd., Hs. 1962, 155r-157v, um 1525, mndl.

2. Betrachtung über die 12 Fasten-Freitage. Inc.: ICh pabst Clement Ich wil machen ain weg In das ewig leben ... Expl.: vnd furent sein sei zu den ewigen frewden. Amen: Wien, cod. 2994, 112r, Mitte 15. Jh., bair., gedruckt Augsburg 1494. Weitere Uberl.: Prag, ÜB, cod. I.C. 26, 37r, 2.Hälfte 15.Jh., bair.; Darmstadt, LB, Hs. 968, 305r-308v, um 1525, kölnisch.

3. Ablaßgebet mit 15 Paternostern als im gechündt ward in der mes von gott zu Rom in Sannd Peters münster: München, cgm 136, 93r-98v, v.J. 1475, bair. Inc.: Ich voll beut dem henn zu füeß der mir sei vnd leib peschueff... (93V), expl.: ... dein parmherczigkchait mir volligkleich erczaigt werd. amen. Zwei weitere Textzeugen schreiben das Gebet dem Papst Coelestinus zu: München, cgm 7075, 166^-169", 15.Jh.; Prag, ÜB, cod. XVI. G. 37, 37r-38r, 2. Hälfte 15.Jh. 4. Eine Kontemplation über die vier Freuden Christi, beginnend jeweils mit Ich ermanen dich und schließend mit dem Paternoster, findet sich München, cgm 97, 87r bis88 r , v.J. 1519. 5. Ferner laufen verschiedene kurze Ablaßgebete unter dem Namen Papst Clemens: a) Uppsala, ÜB, cod. 496, 18rv, Ende 15. Jh., mnd. (im Text Papst Clemens IV. zugeschrieben!); b) Schaffhausen, StB, cod. Gen. 21, 31", Anfang 16.Jh., bair. Inc.: Gesegnet vnd wolgesprochen sey der sueß nam vnsers herren Jhesu Christi ...; c) Wien, cod. 3637, 168v-169r, Ende 15.Jh., bair. Inc.: O Herr Jhesu Criste, sich vber mich armen sunder ... PETER KESTING Papst Clemens' Roßarzt -»· Meister Albrant Clement von Graz -»Folz, Hans (V. 3h. 5.) 'Cleomades' Bruchstück eines frnhd. Prosaromans aus der Mitte (?) des 15. Jh.s.

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'Codex Falkensteinensis'

Ü b e r l i e f e r u n g . 2 Pap.-bll. am Ende der Sammelhs. Mss. hist. helv. VII 81 der Burgerbibl. Bern, welche die 'Straßburger Chronik' Jacob -»· Twingers von Königshofen (285 Bll., Pap., geschrieben 1452 von Nikiaus Tugy) und die später angebundene 'Stadtchronik von Bern' Konrad ->Justingers enthält (61 Bll., Pap.; von gleicher Hand? STUDER, S.93; der Schluß fehlt). Das 'C.'-Frgm., von anderer Hand, war (in falscher Reihenfolge) zwischen die Chroniken gebunden, ehe es vom letzten Vorbesitzer Freiherr von MülinenMutach ans Ende versetzt und paginiert wurde (S. 119 bis 122). STUDER nahm an, daß es als Umschlag der Berner Chronik gedient habe, und datierte es in die Nähe der Hs. der 'Straßburger Chronik' (S. 94; 'um 1450': STAMMLER, Sp.1033). A b d r u c k . G. STUDER, Arch. d. hist. Ver.s d. Kantons Bern 4, H. 3 (1859/60) 93-100; FRÖLICHER, S. 52-57 (nicht ganz fehlerlos).

D äs Fragment überliefert einen Ausschnitt aus dem 'Cleomades ou le cheval de fust', und zwar nicht direkt nach dem zwischen 1275 und 1282 entstandenen Versroman des Adenet (Adam) le Roi (ed. A. HENRY, Brüssel 1971), sondern, wie schon STUDER gesehen und FRÖLICHER (S. 57f.) bekräftigt hat, nach der erstmals 1480 gedruckten frz. Prosaauflösung, die, falls STUDERS Datierung richtig ist, schon vorher hsl. verbreitet gewesen sein muß. Der Roman erzählt unter Verwendung orientalischer Motive die Geschichte des spanischen Königssohns Cleomades (= Clamaäes im dt. Text), dessen Geliebte Clarmondine (Clermunda) von König Crompart (Cropart) aus Afrika auf einem fliegenden Pferd aus Ebenholz nach Salerno entführt wird. Dort stirbt Crompart als Gefangener des Königs Meniaducs (Menyadus), der nun selbst erfolglos um Clarmondine wirbt. C. findet sie nach vielen Abenteuern, die ihn durch ganz Europa führen, und flieht mit ihr nach Sevilla, wo er sie heiratet und zum König gekrönt wird. Das dt. Fragment reicht von der Landung Croparts mit Clermunda in Salerno bis zum Beginn der großen Suche des Clamades. Die Sprache des (alem.) Übersetzers ist nüchtern, ohne die in der zeitgenössischen Übersetzungsprosa beliebten zwei- und mehrgliedrigen Worthäufungen, syntaktisch einfach, aber nicht ungeschickt. Daß dieser Übersetzer nicht, wie STUDER erwogen hatte, -»· Thüring von Ringoltingen ist, hat FRÖLICHER (S. 58ff.) mit 'inneren'

Gründen zu zeigen versucht; sie ließen sich durch eine Stilanalyse leicht erhärten. Da die Datierung unsicher ist, bleibt die literarhistorische Würdigung des kurzen Textstücks vage. Es läßt sich den aus frz. Quellen schöpfenden frnhd. Prosaromanen -»· Elisabeths von Nassau-Saarbrücken und -»Eleonores von Österreich beigesellen, ohne daß ihm dort ein näher definierter Ort angewiesen werden könnte. VAN DAM (1VL I 386) stellt es als 'wertvolles Zeugnis für das Aufkommen des Prosaromans in der Schweiz' neben Thürings 'Melusine' und die Prosalegenden der Zürcher Hs. C 28, bei denen es sich freilich um Texte anderer Provenienz und einer anderen Gattung handelt. L i t e r a t u r . H. FRÖLICHER, Thüring v. Ringoltingen's 'Melusine', Wilhelm Ziely's Olivier vnd Artus' u. 'Valentin vnd Orsus' u. d. Berner C.-Frgm. mit ihren frz. Quellen verglichen, Diss. Zürich, Solothurn 1889, S. 52-61; J. BAECHTOLD, Gesch. d. dt. Lit. in d. Schweiz, 1892, S. 242 u. Anm.-bd., S. 56, 208; STAMMLER, Prosa, Sp. 1053 f.

HANS HUGO STEINHOFF Cleve ->Johannes von Kleve; -»Philipp von Kleve Clusener, Heinrich —> Heinrich der Klausner 'Coburger Spiel von den Frauen Ehre und Schande' ->· 'Erfurter Moralität' 'Codex Falkensteinensis' Ü b e r l i e f e r u n g . München, Bayer. Hauptstaatsarch., Kl. Weyarn l, Perg. hs., lat./dt., angelegt 1166, weitergeführt bis ca. 1196. A u s g a b e n . H. PETZ/H. GRAUERT/J. MAYERHOFER, Drei bayerische Traditionsbücher, 1880; WILHELM, Denkm., Nr. XXIV u. XXXIX, S. 53 u. 111, Erläuterungen S. 135-137, 203-209; E. NOICHL, 'C. F.'. Die Rechtsaufzeichnungen des Grafen v. Falkenstein, Nr. 104,161 u. 185 (im Druck).

Die Hs. aus dem Besitz der oberbayerischen, auch in Niederösterreich begüterten Grafenfamilie von Neuburg-Falkenstein, ist das bisher einzige überlieferte Traditionsbuch einer mal. Grundherrschaft. Graf Siboto IV. von Falkenstein ließ es im Herbst 1166, vor seinem Aufbruch zur Teilnahme am 4. Italienzug Barbarossas, im Stift Herrenchiemsee zur Sicherung des Familien-

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'Colmarer Chronik'

Besitzes für seine unmündigen Kinder aufzeichnen . Der Codex umfaßt eine Vormundschaftsbestellung, ein Verzeichnis der gräflichen Lehen sowie eine Zusammenstellung des ausgetanen Allodialbesitzes mit Angabe der Einkünfte. Verschiedene Einträge über Rechtsgeschäfte, Aufstellungen über Erträge und familiengeschichtliche Notizen sind spätere Zutaten. Unter diesen finden sich auch Eintragungen in dt. Sprache: ein Verzeichnis von Wertgegenständen, Hausrat und Waffen in den Burgen Neuburg, (Herrnstein), Falkenstein und Hartmannsberg von ca. 1168/69-ca. 1175 mit dt. Bezeichnungen; ein Weistum über Abgaben des Pfarrers von Obing (Landkreis Traunstein) von ca. 1179-1181/82, das zu den ältesten dt. Urkunden Oberdeutschlands zählt; ein Rezept zur Herstellung einer Medizin gegen den stain aus der Zeit von ca. 1180-ca. 1195. Der Codex ist mit 25 teils einfarbigen, teils mehrfarbigen Federzeichnungen von beträchtlichem kulturhistorischen Wert geschmückt; besonders hervorzuheben ist eine Miniatur, die die Familie der Falkensteiner zeigt und als das erste bekannte Familienbildnis der mal. Porträtsmalerei Deutschlands angesehen wird. Eine dt. Übersetzung des 'C.F.', aus Exzerpten von Aventin, Hund und Gewold bekannt, ist seit dem Ende des 17. Jh.s verschollen. L i t e r a t u r . M.A. BECKER, Hernstein in Niederösterreich, 1822-1888, insb. Bd. 3,2; H. G. GENGLER, Ein Blick auf d. Rechtsleben Bayerns unter Herzog Otto I. v. Wittelsbach, 1880; K. RAMP, Stud. z. Grundherrschaft Neuburg-Falkenstein, Diss. München 1925; G. UMLAUF, Grund u. Boden im 'C. F.'. Besitz, Besitzrechte u. Wirtschaftsführung, Diss. (masch.) Wien 1935; W. MORHART, Zur Abfassungszeit des 'C. F.', Zs. f. bayer. Landesgesch. 9 (1936) 416-420; W. STÖRMER, Früher Adel, Stud. z. politischen Führungsschicht im Fränkisch-deutschen Reich vom 8.-ll.Jh., Teil l, 1973, S. 147-151; [E. NOICHL], Der 'Falkensteiner Kodex' in: Niederösterr. Jubiläumsausstellung Jahre Babenberger in Österreich', Stift Lilienfeld, 15. Mai-31. Oktober 1976 (Kat.), S. 565-567. RUTH SCHMIDT-WlEGAND

'Codex Teplensis' ->· 'Tepler-Bibel' Colmar -> auch Kolmar

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'Colmarer Chronik' Deutsche Prosachronik annalistischen Charakters, die um 1403 ein unbekannter Dominikaner in Colmar verfaßte. Sie wurde zweimal bis 1426 bzw. 1454 von einem Anonymus fortgesetzt. 1. Ü b e r l i e f e r u n g . Colmar, Bibl. de la Ville, Ms. 563, lr-6v (innerhalb einer Sammelhs. aus dem Kloster Murbach, um 1463; enthält den Text bis 1403); Basel, ÜB, cod. E VI 26 (zur Hs. vgl. Basler Chroniken 4, 1890, S. 223-228 u. 411-413 sowie H. HERKOMMER, Überlieferungsgeschichte d. 'Sächsischen Weltchronik' [MTU 38], 1972, S.42-46), 85", 175V-185V, 192r, 205r (nur zerstreute Auszüge des Colmarer Kaplans —»-Erhard v. Appenwiler, um 1460); Nürnberg, Staatsarch., Hs, Reichsstadt Nürnberg, Hss. (Rep. 52a), Nr. 13, 5r-44r (um 1470; enthält den Text bis 1426); Colmar, Bibl. de la Ville, Ms. 540, 31r-36v (z. Hs. vgl. A. WALTZ, Catalogue de la Bibl. Chauffeur, 1889, S. 1-5), nur Auszüge (bis 1454) des Colmarer Obristweibels Conrad Scheerer (2. H. 16.Jh.); Augsburg, SB u. StB, cod. 169, 168v-169r u. 175v-177r (um 1550 aus Basel; zur Hs. vgl. Chron.dt.St. 8, 1870 S. 202f. u. Basler Chron. 5, 1895, S. 302-304 sowie 315); enthält nur Auszüge. 2. A u s g a b e n . F.J. , Quellensammlung z. bad. Landesgesch. 3, 1863, S. 581 f. (zwei Einträge zu 1218 u. 1367 nach Colmar 563); J.SEE, Alsatia (1873/ 74) 221-235 (nach Colmar 563); J.RATHGEBER, Forschungen z. dt. Gesch. 15 (1875) 462-469 (nach Colmar 540); A.BERNOULLI, Die älteste dt. Chron. von Colmar, Colmar 1888, S. 1-42 (nach der Nürnberger Hs.); beste Ausg.

3. Die Chronik beginnt mit Notizen zur Erschaffung der Welt, zum Leben der Patriarchen von Adam bis Noah, ergänzt durch Gründungsvermerke zu Rom und Trier. Quelle hierzu ist neben der Gn die Chronik des -»Martin von Troppau. Die anschließende Geschichte über die vier Charakterwirkungen des Weins beruht auf mal. Erzählüberlieferung (vgl. ST. THOMPSON, Motiv Index of Folklore-Literature I, Kopenhagen 1955, A 2815). Die Vermerke zu Heiligen des 2. bis 5. Jh.s (Quelle ist die 'Legenda aurea' des -»Jacobus de Voragine), ergänzt durch zwei Einträge zur Reliquientranslation der Heiligen Drei Könige nach Köln (1162) und zur Engelweihe des Klosters Einsiedeln (948), leiten zur eigentlichen Chronik über, die annalistisch mit dem Jahr 1212 beginnt (bis 1293 aufgrund der kurzen Annalen des -> Colmarer

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Colmarer Dominikanerchronist - Comitis, Gerhard

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Dominikanerchronisten) und erst ab dem 1304 (Abfassungsbeginn in den 90er Jah14. Jh. Eigenständiges bietet. Behandelt wer- ren). den Reichs- und Lokalgeschichte, vermischt 3. Ü b e r l i e f e r u n g . Colmarer Originalhs. im 18. mit Notizen zum Wetter, zu Naturereig- Jh. verloren, davon Abschrift Stuttgart, LB, cod. hist. nissen und wirtschaftlicher Lage. Ebenso 4°, 145 (= S) um 1540 und Auszug (um 1462/63) Colverfahren die beiden Fortsetzungen, von mar, StB, cod. 248 (= C), 183M88r; Donaueschingen, r v denen die erste sich vor allem mit dem Kon- cod. 704 (= D), 174 -193 , Teilabschrift (um 1545) der redigierten 'Colmarer Chronik' (s.u. 6.); Uberliefestanzer Konzil beschäftigt. Die Wirkung der Chronik blieb im 15. rungsbruchstücke Zürich, Staatsarch., cod. B X 62 (=Z), S. 136f.; 141-144; 148-154 (um 1540) und und 16. Jh. auf Colmar und Umgebung be- Basel, ÜB, cod. A X 130 (= B), 39r/v (2. H. 14. Jh.). schränkt. Ausgiebig verwertete sie beson4. A u s g a b e n . Ältere Teildrucke bei KÖSTER, S. 93; ders Maternus Berler (gest. nach 1555) in maßgebend PH. JAFFE, MGH SS 17, S. 189-270; KLEINseiner 'Rufacher Chronik' (hg. im Code SCHMIDT, S.439-496 (Ed. der Hss. B, D u. Z). historique et diplomatique de la ville de 5. Werk. Die Colmarer Quellen zählen Strasbourg 2, 1848, S.46-67). zu den wichtigen aus der 2. Hälfte des L i t e r a t u r . RATHGEBER (s.o. 2.), S.455-471, hier 13. Jh.s. Sie sind die ältesten Dominikaner460-469; BERNOULLI (s.o. 2.), S.VI-XXIX; R.REUSS, aufzeichnungen zur politischen ZeitgeDe scriptoribus rerum Alsaticarum historicis, 1897, schichte auf deutschem Boden. Das InterS.22-24 u. 57; Rep. font. III 314; E.KLEINSCHMIDT, esse des Autors ist dabei vielfältig. ZahlDie Colmarer Dominikanergeschichtsschreibung im reiche Einzelbeobachtungen aus der Le13. u. 14. Jh., DA 28 (1972) 418 f. bensrealität seiner Umwelt sind kulturgeERICH KLEINSCHMIDT schichtlich wertvoll. Er besitzt Interesse für die Literatur seiner Zeit (Autorenkataloge) - auch für die deutsche (-»Freidank, -»· Heinrich von Basel, -»Konrad von WürzColmarer Dominikanerchronist burg) - sowie an Naturbeobachtung und 1. Leben. Quellen sind die Selbstzeug- Geographie. Die geschichtlichen Informanisse. Geb. 1221, 1238 Ordenseintritt, ab tionen des Autors fußen, soweit nicht eigene ca. 1260 in Basel, seit 1278 in Colmar, Tod Kenntnis vorliegt, auf mündlicher Überum 1305. KÖSTERS Annahme S. 81 ff., der lieferung. Chronist habe nur bis 1296/98 gelebt und 6. W i r k u n g s g e s c h i c h t e . Keine gröein anderer sei Fortsetzer der Annalen und ßere hsl. Verbreitung. Die Chronik wurde Verfasser der 'Colmarer Chronik' (lat.) gevor 1314 von einem Redaktor (Rudolf von wesen, ist umstritten, wäre aber in Hinsicht Schlettstadt?) bearbeitet und bis ca. 1308 auf die Chronik möglich. Für diese ließe sich u.U. -»Rudolf von Schlettstadt als fortgesetzt (z.T. verloren). Sie lebte nur in dieser Fassung weiter. Im 14. Jh. benutzten Autor namhaft machen. die Colmarer Quellen -»Ottokar von Steier2. W e r k c h r o n o l o g i e . Die schlechte mark, -» Matthias von Neuenburg und die Überlieferung (s.u. 3.) erlaubt kein klares -»· 'Königsfeldener Chronik', im 15. Jh. JoWerkbild. JAFFE gliederte als Hg. in Kurz- hannes ->Meyer. annalen (1211-1298, abgefaßt um 1298) L i t e r a t u r . K. KÖSTER, Die Geschichtsschreibung und zwei große Annalen (1266-1305, syn- d. Kolmarer Dominikaner d. 13. Jh.s, in: Schicksalschron zunächst in Basel, ab 1278 in Colmar wege am Oberrhein, hg. v. P. WENTZCKE, 1952, S. 1geführt). In der Hs. S folgen nichtannalisti- 100; E. KLEINSCHMIDT, Die Colmarer Dominikanersche Textteile (um 1300). JAFFE trennte einen Geschichtsschreibung im 13. u. 14.Jh., DA 28 (1972) Text über Elsässer Zustände Anfang des 371-438; ders., Herrscherdarstellung, Bern-München 13. Jh.s von zwei topographischen Beschrei- 1974,5.127-133. ERICH KLEINSCHMIDT bungen des Elsaß und Deutschlands. Die anschließende 'Colmarer Chronik' behandelt die Geschichte Rudolfs und Albrechts Comestor —> 'Historienbibeln'; von Habsburg sowie Adolfs von Nassau bis —> Petrus Comestor